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lada Berendt;
Bralma Die Welt
ist Klang

wransformatio,,
dee:
fa on ba Ükee,
(4 heao, Laie u, )
n tronen— des Sauerstoffatoms in einer Dur.Arc iter sc
gen, daß die Halme einer Bergwiese «singen» _ H

e aterie bilden das Fundament: — exakt meßbar, a Lt


rechenbar — das Sicherste, was wir hatten. Heute stehen u hy

= Welt eine der Winigen Sicherheiten, die wir besitzen: Die


ist Klang, ist Rhythmus und Schwingung.
Berendts Buch ist eine Reise durch Asien und Europa, dı
Afrika und Lateinamerika, aber vor allem ist es eine Reise
‚die unerforschten Regionen des Unbewußten, das sich uns
eine Landschaft aus Klängen darstellt. RT
PROF. H. C. JoOACHIM-ERNST BERENDT, 1922 |in Berlin als Pfar = 3
sohn geboren, 1945 Mitbegründer des Südwestfunks, Autor vı
über 20 Büchern, darunter «Das Jazzbuch», das meistverk

als (Berlin, Ohne München, World Expo Osaka etc. ),Produ-


©$ Bent zahlreicher Schallplatten, Repräsentant der Bundesrepubli
‚in der International Jazz Federation (UNESCO). Er erhielt
reiche Auszeichnungen, darunter zweimal den Bundesfil
den Kritikerpreis des Deutschen Fernsehens, den Polr

_ erfolgreiches Buch «Nada Brahma— Die Welt ist Klang», das


s hie
in einer gründlichen N eubearbeitung Bi Im Rowohl A g
Joachim-Ernst Berendt

Nada Brahma
Die Welt ist Klang

de)
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ge)
transformation
rororo transformation R

Herausgegeben von Bernd Jost


und Jutta Schwarz
Umschlagentwurf: Peter Keller

27.-36. Tausend August 1986

Überarbeitete Neuausgabe
Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH,
Reinbek bei Hamburg, November 1985
Copyright © 1983 by Insel Verlag, Frankfurt am Main
Alle Rechte vorbehalten
Satz Trump Mediaeval (Linotron 202)
Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany
1280-ISBN 3 499 17949 o
Inhalt

Intro 9

Nada Brahma — Die Welt ist Klang

. Was heißt Nada Brahma? 23

. Nada Brahma - als Koan und als Mantra 28

Samt einem Exkurs über die Logik

. Im Anfang war das Wort 67


Über Laut, Logos und Rose

. «Bevor wir die Musik machen, macht die Musik uns» 74


Vom Makro- zum Mikrokosmos

. DerKlangruft 99

... Sterne und Elementarteilchen - Fische und Pflanzen - Kristalle und


Blattformen - den männlichen und den weiblichen Körper und die Se-
xualität - Kathedralen und Kreuzgänge : den Aufbau der Erde und die
Statue des Memnon im Niltal

. Klang ist gewisser als Zeit und Stoff ı18

VI. Harmonie als Ziel der Welt 145

VII. Soundim Bauch 167


Über «die» Klang und «die» Echo, über Amen und OM
IX. Tempelim Ohr 177
Über das Hören, die Stille- und die Wachheit

X. Nada Brahma: Was sagen die Musiker? 197


Über indische Musik, Jazz, Rock, Minimal Music -
Samt einem Exkurs über Hermann Hesse

XI. Die Legenden und Mythen der Völker haben es


schon immer gewußt: Gott schuf die WeltausdemKlang 224

Anhang

Zen und das Japan von heute 239

Postskriptum über die Wissenschaft 257

Nachwort 270

Wie ich zu Nada Brahma kam und wem ich Dank schulde

Quellen - Literaturhinweise- Anmerkungen 279

Namen- und Sachregister 299


Nada Brahma

Wer sich selbst und andre kennt,


Wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident
Sind nicht mehr zu trennen.
Sinnig zwischen beiden Welten
Sich zu wiegen, laß ich gelten;
Also zwischen Ost und Westen
Sich bewegen, sei’s zum besten.
- Goethe

Offene Weite — nichts von heilig!


Bodhidharma

Wie unfaßbar bescheiden sind die Menschen, die sich einer einzigen
Religion verschreiben! Ich habe sehr viele Religionen, und die eine,
die ihnen übergeordnet ist, bildet sich erst im Laufe meines Lebens.
Elias Canetti

Das Universum und ich existieren zusammen, und alle Dinge und ich
sind eins. Da alle Dinge eins sind, ist kein Grund mehr zur Rede. Da
ich jedoch eben gesagt habe, daß alle Dinge eins sind, wie kann da
Rede nicht wichtig sein?
Hinter den Teilen ist immer etwas Ungeteiltes, hinter dem Bestreit-
baren etwas Unbestreitbares. Du fragst: Was? Der Weise trägt esin
seinem Herzen.
Dschuang-tse
Im Gedenken
an
John Coltrane
Jean Gebser
Hermann Hesse
Sufi Hazrat Inayat Khan
Hans Kayser
Intro

«Nada Brahma» begann im Funk - in der Reihe «Soir&en» des Süd-


westfunks. Ich glaube, das ist spürbar geblieben: im Collage-Cha-
rakter. Viele Stimmen sprechen. Das gehört zum Radio, das wollte
ich bewahren. Der Klang, von dem in diesem Buch die Rede ist, ist
auch ein Zusammenklang. Ein Akkord aus vielen Stimmen. Von
Lao-tse bis Niels Bohr. Von Pythagoras bis John Coltrane. Vom
Psalmisten bis Hermann Hesse. Vom Zen-Meister Hakuin bis
Heisenberg.
Darüber wird von allein deutlich - und doch möchte ich es aus-
sprechen: Der Autor tritt zurück. Er ist - in bestimmten Kapiteln
von «Nada Brahma» — «Kom-ponist»: Zusammen-füger. Es ist
nicht ein Autor, der hier spricht. Es sind viele.
Zu den Stimmen, die in diesem Buch sprechen, gehören nicht
nur diejenigen der modernen Wissenschaft, sondern auch solche
aus sehr alter Zeit. Alles - fast alles —, was in diesem Buch steht,
hat die Menschheit seit je gewußt. Aber sie hat es verdrängt. Nicht
mehr wissen wollen.
Der Südwestfunk hat auf die «Nada Brahma»-Sendungen sehr
viel Post bekommen, die höchste Anzahl von Zuschriften je im
Bereich des Kulturprogramms, erstaunlich viele Hörer schrieben,
sie hätten den Eindruck, daß sie all dies «immer schon geahnt»,
«immer schon in sich getragen» hätten und daß es ihnen «durch
diese Sendungen lediglich bewußt gemacht» worden sei. «Nada
Brahma» also - vielleicht - als Indiz: für einen Bewußtwerdungs-
prozeß, der sich in dieser Generation abspielt.
9
essen,
Futurologen, le Eiedensiclscher Be. den
_ kende Wissenschaftler, die noch nicht in ihrem Spezialistentu:
_ erstickt sind, Ärzte, die über den Maschendraht ihrer Schulmedi-
Bi zin hinaussehen, sagen uns immer wieder: Esist 5 vor 12. e
2 An einer Zeit, in der die Menschheit pro Minute 2,3 Millione

DR er ke kann es nahen er Tag in der Zeitung jsc ie B


spürt es in seiner Arbeit (oder daran, daß er sie verloren hat], am
Geldbeutel, an Gesundheit und Lebensqualität, — an all den «Ze
chen», die uns beständig gegeben werden (und die wir gleichwohl
&; mißachten): Jährlich verwandelt sich auf dieser Erde eine Fläche 4
. von der Größe der Bundesrepublik in Wüste, bis zum Ende des
' Jahrhunderts werden 60 bis 70% der Wälder, die bisher unsere
- Landschaft geprägt haben, verschwunden sein; zwischen 437000
. (mindestens!) und 1,4 Millionen biologischer Arten — gerechnet
_ wird mit 60% aller existierenden — werden bis zum Jahre 2000
unwiederbringlich ausgerottet sein (nachdem vom Anfang des
16. Jahrhunderts bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges nur 100
Säugetiere und 150 Vogelarten durch menschliche Einwirkung ge-
tilgt wurden!) — und es ist allenfalls ein Ausdruck des unverwüs
. lichen menschlichen Optimismus, im übrigen aber unbegreiflic
daß immer noch die Mehrzahl der Menschen glaubt, das allge-
meine Sterben werde ausgerechnet vor ihrer eigenen Gattung
haltmachen - in einer Zeit, in der der Begriff der megacorpse
1000000 Tote! —, von den perversen Gehirmen der Militärs g
prägt, unaufhaltsam in i das Denken der Politiker und Journalisten
kriecht. «Sich den wirklichen Zustand der Welt vor Augen zu hal-
ten, ist psychisch unerträglich» (Christa Wolf).
In den sechziger Jahren ging die Meldung durch die Welrgeees :
daß Angehörige des amerikanischen Peace Corps in Tansania und
‚anderen ostafrikanischen Staaten festgestellt hatten: Was sie auch
taten, es schlug — trotz allen Geldes, trotz aller Mühe — zum
Io
Probleme und arlichen Hilfs-,ee und Verbesse: *
hi £
gsvorschlägen füttern, zu denen Wissenschaftler undPolitiker E

eraten hatten. Antwort der Computer zu jedem einzelnen Rat- FR


‚schlag: «Verschlechterung!» Ähnliche Antworten gaben Compu-
ter, diezuder wachsenden Unregierbarkeit amerikanischer, afrika-
nischer undasiatischer Großstädte befragt worden waren. Zujeder
' wissenschaftlich empfohlenen Maßnahme sagten sie nein.
Der Mathematiker, Physiker und Pädagoge Claudio Hoffmann
schreibt ineinem wesentlichen (und kämpferischen) Buch über die
moderne Wissenschaft: «Die wissenschaftliche Denkweise hängt
zwar unmittelbar zusammen mit der akuten Gefährdung der
Menschheit durch ökologische Katastrophen, atomare Aufrü-
stung, ökonomische, soziale und psychische Verelendung. Es ist {

aber nicht möglich, im Rahmen der heutigen Wissenschaft wir-


kungsvolle Maßnahmen zur Abwendung dieser Gefährdung zu
entwickeln. Vielmehrbringt unsjede Maßnahme, diemitdenMit-
_ teln heutiger Wissenschaft entwickelt und durchgesetzt wird, der
| Er upe näher.»
— Ichhabemich gleich damals, als ich die Meldung über die Ergeb-
nisse der Peace Corps-Leute las, gefragt, warum die Computer
nicht auch mit «Bewußtseinsänderung» gefüttert worden waren—
mit jenem neuen Denken und Fühlen, das sich in unserer Zeit
_ kristallisiert und das gewiß weniger «anti-» als «post-wissen-
haftlich»
| ist. Ich bin sicher: Dazu hätten die Computer, gäbe es
Menschen, die sie mit einer solchen Möglichkeit sinnvoll hätten
programmieren können, alsdemeinzigennochmöglichen Ausweg
jagesagt.
Inzwischen ist das Gespenst der Unregierbarkeit auch in den
Industrieländern aufgetaucht, jaeinige von ihnen haben heute grö-
_ Bere Probleme als die Dritte Welt. Mitte der achtziger Jahre liest
man alle paar Wochen Äußerungen von maßgebenden Politikern,
daß sie bereits fest mit einem Atomkrieg rechnen, seine Vorberei-
tung schreitet zügig voran. Die bisher defensive- und auch als
_ solche gewiß wahnwitzige — Rüstung der westlichen Welt wird
zielstrebig und ohne daß die Öffentlichkeit darüber aufgeklärt
"würde, auf «Erstschlag-Kapazität» — also auf atomare Aggression—
Hi _ umgestellt. Und selbst dann, wenn uns der Atomtod erspart blei-
en‚sollte, scheint die ökologische Katastrophe vorprogrammiert.
TI
sesven: in meiner eigenen1 Seeleee durch
kehr und Umdenken und Meditation und alle die anderen N
lichkeiten, von denen wir wissen —, was nutzt es, daß ich di
tue, mich abkapselnd, immer nur an mir selber arbeitend, wen

. mehr nachvollziehbaren Progressionen verschlechtern? Komm


. esin dieser Situation nicht viel stärker darauf an, anderen zu he
fen, bevor ich mir selber helfe? Ist es nicht narzißtisch und eg«
. istisch, mich immer nur mit mir selbst zu beschäftigen? Auch
‘ hierzu ist uns die Antwort gegeben— von vielen der weisen Me
. schen, die in diesem Buch zitiert werden, von den Denkern
Asiens und den Zen-Meistern Japans bis zu Hermann Hesse, von
' ‚Sokrates bis Erich Fromm: Wir sind die Welt. Das heißt: Wir
' können die Welt nicht verändern, wenn wir zuvor nicht uns sel- E
ber verändert haben. Jeder andere Weg ist absurd. Er verbessert
. nicht, sondern verschlechtert, weil wir das, was in uns selber
' nicht in Ordnung ist, in jede politische, ökonomische, gesell-
schaftliche Lösung hineintragen, die wir durchsetzen wollen.
. Das ist der Grund, warum — wie Hans Magnus Enzensberger ein-
mal gesagt hat — «die Projekte des 19. Jahrhunderts von der Ge-
schichte des 20. samt und sonders falsifiziert worden» sind. Dut-
zende von Lösungsversuchen bestimmter Gefahrensituationen
und Krisen seit dem 2. Weltkrieg, so erfolgversprechend sie zu-
nächst schienen, und all das Kümmerliche und Enttäuschende,
was jeweils aus ihrien geworden ist, bestätigen den Befund. Sieg-
reiche Revolutionäre ähneln wenige Jahre später denen, die abzu-
. schaffen sie angetreten waren. Wie gesagt, die Computer antwor-
ten: «Verschlechterung!» — inzwischen auch in der westlichen.
Welt.
Inwiefern aber können wir die Welt verändern, wenn wir uns
selber verändern? Jahrhundertelang war diese Frage nicht zu be-
antworten. Wir wußten nur, daß es so ist. Alle die großen Um-
brüche in historisch überblickbarer Zeit waren zuerst Umbrü-
che des Bewußtseins- leicht erkennbar etwa in Renaissance und
Reformation, aber auch vorher schon der Umbruch der Zeiten-
wende, als aus der Welt der Antike eine neue und andere Welt
entstand. Kriege, Revolutionen, neue Lebensstile, Gesellschafts-
formen, Entdeckungen- alles beginnt iim Kopf. plan Br
‚ Was immer sich grundlegend verändert hat, hat sich zuers
I2
see anet. BR konnte das nase oder Auchad
sen. PrEWschen bestätigt die moderne a ‚die

Br nn ne das Phänomen der ne und ande ®


ü ber das wir sprechen werden-, daß in der Tat «alles Eins» ist, auf
eine unserem Intellekt nicht nachvollziehbare und gleichwohl
F wissenschaftlich, mathematisch, experimentell zu erhärtende 5i
Weise. Wenn aber «alles Eins» ist, dann ändert mein Bewußtsein-—
_ dann ändert das Bewußtsein von einem Menschen das Bewußt-
i _seinvon tausend Menschen, und das Bewußtsein von einer Mil-
- lion Menschen kann das Bewußtsein von 100 Millionen, dasBe-
wußtsein von ıoo Millionen das Bewußtsein von einer Milliarde
Menschen verändern. Die wahren Träger des Geistigen, sagt der
französische Atomphysiker Jean E. Charon, sind unsere Elektro-
nen und Photonen: «Wir sind unsere Elektronen.» «Wasinuns
‚denkt, das sind unsere Elektronen.» Ein Mensch von 60KiloGe-
wicht besteht aus einer Zahl von Elektronen, diedurchdieZiffer4
ne
.
reis
gefolgt von 28 Nullen darstellbar ist. Das sind viel, vielmehr Elek-
a.
# tronen, als es Sterne im Universum gibt. Und wenn die Physiker
errechnet haben, daß in jedem von uns immer noch Elektronen
stecken, die Buddha und Jesus, Lao-tse und Mohammed ausgeat-
met haben, dann ist kein Zweifel: Deine «denkendenElektronen»
Rer stecken in mir, und meine «denkenden Elektronen» steckenin n
_ Es gibt also Indizien— physikalische, wissenschaftliche Indi-
zien- dafür, daß unser Bewußtsein tatsächlich die Welt verändern
kann, ein Blick auf die Geschichte bestätigt dies ohnehin. Wenn
aber ein anderer Weg nicht in Sicht ist, wenn Politiker, Wissen-
schaftler und Ökonomen ratlos sind und die gewissenhaften un-
_ terihnen diese Ratlosigkeit auch zugeben), dann sollten wir den
Weg des Neuen Bewußtseins zu gehen versuchen.
Viele hervorragende Denker, Wissenschaftler, Psychologen, P
losophen und Schriftsteller haben das Neue Bewußtsein beschrie-
ben und umschrieben. Es gibt eine ganze Literatur darüber. Aber
noch nirgendwo ist gesagt, was auch zu seiner Kennzeichnung
gehört: daß es ein Bewußtsein hörender Menschen sein wird,
will sagen: Nicht mehr das Auge wird — wie allgemein heute - ae
afi
Pr

Vorrang vor dem Ohr, sondern umgekehrt das Ohr Vorrang vor
' dem Auge haben. Das Hörbare, der Klang, wird wichtiger sein als
. das Sichtbare (und nur um die Relation geht es: um die Unverhält-
nismäßigkeit unserer Augen-Bevorzugung, denn beides — Auge 4
und Ohr- sind edle, unverzichtbare Organe).
Der sehende Mensch analysiert, er zerlegt in Teile-wie sofort
deutlich wird, wenn man das Sehen auf die Spitze treibt: beim
Blick durch Elektronenmikroskope. Da zerfällt sogar noch das, x

was «unteilbar» scheint. Das Auge ist etwas Wunderbares, aberje


besser es ist, desto schärfer ist es, und Schärfe ist eine Qualitätdes
Messers und des Schneidens. Der — vorrangig — sehende Mensch
hat jenen Exzeß der Rationalität herbeigeführt, dessen Zusam-
menbruch wir gegenwärtig erleben. Im Zeitalter des Fernsehens |
führt sich der sehende Mensch selbst ad absurdum. Er sieht nicht
mehr die Welt, sondern nur noch ihr Abbild — und ist damit auf
eine unbegreifliche Weise zufrieden.
Um es provozierend zu sagen (später in diesem Buch wird alles
dies differenziert werden]: Bewundernswertes, höchstes Idealdes
Augenmenschen ist der «Adlerblick». Der Adler erspäht seine
Beute, stürzt aufsieniederund packt sie. Dasistein Ideal, daszum
westlichen Menschen paßt — dem Menschen, der sich daran ge-
wöhnt hat, die ganze Welt als seine Beute zu betrachten. Esistein
schönes, aber ein aggressives Ideal, das heißt: in der heutigen Zeit
ein gefährliches.
Symbol des Ohres ist die Muschel, die ihrerseits das weibliche :
Geschlechtsorgan symbolisiert-ein Symbol des Empfangensund
Aufnehmens; das Leben wird nicht analysiert, es wirdals Gan-
zes insich Aubendsmien. es wird - im Sinne des Schweizer Phi- iR
losophen Jean Gebser - «wahr»-genommen.
Aber das Ohr mißt auch—und tut dies genauer und sorgfältiger
als Auge und Tastsinn—,wie physiologisch, physikalisch undma-
thematisch nachgewiesen wurde (und wie wir in diesem Buch zei-
gen werden). Bereits für die Chinesen war das Auge ein Fansrsne,
I4
\ x Brahma» ehe nur ordest sondern auch we zu Ei
eben versucht wird. Dieses Buch ist das Buch eines Keen s

Und doch müssen viele Teile bewußt sein, um «Ganzes» wa Br


2Einen zu können. Für «viele Teile» ist das Wissen eineseinzel-
nen Menschen notwendig begrenzt. Ich muß das zugeben, aberdas.
. darf nicht — wie es gar zu oft in der Vergangenheit geschehen ist-— e 7
dazu führen, das Feld - wieder einmal! - den Spezialisten zu über-
lassen, samt ihrer häufig demonstrierten Fähigkeit, das Ganze aus
den Augen zu verlieren. Auch unser Unvermögen darf uns nicht
hindern, «das Ganze als Eines» verstehen und deshalb auch dar-
ä stellen zu wollen. «Hinter dem Teilen ist immer etwas Ungeteil-
tes. Hinter dem Bestreitbaren etwas Unbestreitbares.» Ki
; Ein Ausgangspunkt war mein Interesse am Hören: meine Erfah-
rung, daß sich der moderne Mensch zu einer solchen Hypertro-
phie des Optischen verstiegen hat, daß er nicht mehr adäquat hö-
renkann. Ich wollte ein Buch über das Hören schreiben, aber- und
_ mich selber hat das zunächst gewundert - esist auch ein spirituel-
les Buch geworden. Es wird deutlich werden, warum das soist-—
und zwangsläufig so sein muß. Der Verfall unseres Hörsinnes
läuft auffälligparallel mit der Säkularisierung-mit dem, wasman
die
zu «Abkopplung des westlichen Menschen von Gott» genannt
hat. Daß der moderne Mensch «nicht mehr auf Gott hört», ist eine
. Alltagsweisheit, die ich nicht hierher schreiben würde, wenn in
diesem Satz die beiden Worte «auf Gott» nicht so auffällig leicht
"fortgelassen werden könnten. Der moderne Mensch hört nicht
mehr auf Gott. Der moderne Mensch hört nicht mehr. Der erste
Satz ist eine theologische Feststellung, der zweite kann sich zum
"Beispiel darauf beziehen, daß wir trotz fortgeschrittener Techno-
'logien offensichtlich keinen Wert darauf legen, daß unsere Fern-
-sehapparate einen den heutigen Möglichkeiten entsprechenden
Tonhaben. Trotzdem hängen diese beiden Sätze zusammen. Auch
‚das wird deutlich werden.
pi immer Gott sich dem Menschen kundtat, wurde er gehört.
magim ua erschienen sein, aber um verstanden werdenzu
rm

15
I sprach» ist eine Stan dformel
rensind das Tor.
Das Feld des Gesehenen ist Oberfläche. Der Bi üc Ge
‚ten ist Tiefe. Das Auge tastet Flächen ab. Nichts aber kann durch
das Ohr wahrgenommen werden, was nicht eindringt. Ja, auc
dann, wenn etwas nur oberflächlich gehört wird, muß es immer !
noch tiefer eindringen als der Blick, der in die Oberfläche, die
allein er wahrnehmen kann, überhaupt nicht hinein kann. Der
hörende Mensch also hat mehr Chancen, in die Tiefe zu dringen,
als der sehende. e
Was immer in diesen Jahren über das N Bewußtsein gesagt
worden ist, istrichtigund wesentlich, aber eines wurde vergessen:
Der Neue Mensch wird ein hörender Mensch sein— oder er wird
nicht sein. Er wird in einem Maße Klänge wahrnehmen, von dem
wiruns heute noch keine Vorstellung machen können. Von diesen
Klängen handelt «Nada Brahma». Diese Klänge sind «Nada
Brahma».
Freilich erinnern Hörer und Leser- mit Recht-daran: Wirmüs-
sen auch wieder neu lernen zu sehen. Nur leiden wir bereits an
einer Überzüchtung unseres Augensinns. Und es gibt in der west-
lichen Welt eine verehrungswürdige Tradition und Kultur des Au-
ges, des Sehens und des Lichtes: über die Renaissance bis zurück
. zu den Griechen. Es gibt nichts Vergleichbares in unserer Welt,
was das Hören betrifft. f:
Die‘ tiefere Veränderung unseres Bewußtseins (und das ist
wohl unbestritten: wir brauchen ein neues Bewußtsein, einean-
dere Wahrnehmung von Welt) ... die tiefere Veränderung wirdda-
durch ausgelöst, daß wir uns endlich das Ohr und das Hörenin
dem Maße erschließen, indem das Augeund das Sehen ohnehinin -
unserer Kultur erschlossen sind. &
Wenn wir wieder gelernt haben zu hören, dann werden wirauch
unsere Hypertrophie des Auges korrigieren können. Dann werden
wir verstehen können, daß -so hat Goethe, der Augenmensch, es
. gefordert — «die Geistesaugen mit den Augen des Leibes in stetem
Bunde zu wirken haben, weil man sonst in Gefahr gerät, zusehen
und doch vorbeizuschauen. »
drei grüßen.«Nada ER -Tourneen EN die
An EN
iePe und Österreich (s. den Kassetten-Hinweis in V.I

llem von jungen Menschen kam dieser Einwand - von denen


so, die sich am stärksten von «Nada Brahma» betroffen fühlen.
N Eechweren Herzens habe ich mich deshalb entschlossen, die bei-
den großen Kapitel «Der Musiker als Weltbürger» und eIndiien
- und der Jazz» der gebundenen Ausgabe fortzulassen—Kapitel, die
hi
4'in besonderem Maße spezialisiert sind und ohnehin von vielen
Lesern der ersten fünf Auflagen übersprungen wurden. Sie bleiben '
- aber in der gebundenen Ausgabe erhalten.
Versteht sich, daß der eigentliche «Nada Brahma»-Teil nicht ge-
_ kürzt wurde, im Gegenteil, er wurde durch viele neue Abschnitte,
Korrekturen und Anmerkungen ergänzt. Für Verbesserungsvor-
schläge danke ich vor allem Rudolf Haase, dem Meister der Har-
monikalen Grundlagenforschung in Wien.
Ich habe, als ich «Nada Brahma» schrieb, nicht ahnen können,
wie groß das Echo werden würde. Im Gegenteil, ich dachte, ı
könnte mir nach den vielen Jazzbüchern, die ich geschrieben
habe, auch einmal ein Buch leisten, das einen kleineren Leserkreis
Er. — ein Buch, das eine Frucht des spirituellen Weges ist,
_ den ich seit dem Anfang der sechziger Jahre — seit meiner Begeg-
nung mit dem Jazzmusiker John Coltrane und seit meinen Asien-
Reisen- gegangen bin. Ich war— und bin im Grunde noch immer —
Y. überrascht, daß der Leserkreis von «Nada Brahma» dann schnell
sehr viel größer wurde als der meiner Jazzbücher in den letzten
2 Jahren.
Besonderen Widerhall fand das Kapitel über das Hören: «Tem-
_ pel im Ohr». Keines wurde so oft besprochen, diskutiert, zitiert,
referiert. Die Leser verstanden den Anruf: «Höre, so wird dans
_ Seele leben!» (Jesaja). Höret, so werdet ihr überleben! Hier habe
_ ich weitergearbeitet. «Tempel im Ohr» wurde das «Sprungbrett»
zu einem weiteren Buch: «Das Dritte Ohr— Vom Hören der Welt»
(Rowohlt, Reinbek b. Hamburg 1985). Ich habe hier versucht, Fra-
gen zu beantworten, zu denen «Nada Brahma» mich - und, wie
|on weiß, viele Leser—geführt hat:
ß Warum hat die Evolution unseren Hörsinn so sorgfältig diffe-

17
ana zum
m Gleichgewicht?
Warum sind die Aussagen unseres db so viel gen:
des Auges? Warum ist der range unseres Hörbereiches so viel br.
ter- exakt um das Zehnfache!- als der Sehbereich? Was wird
damit signalisiert? NA
Warum haben wir -in den letzten dreihundert Jahren: seit Ga
lei, Descartes, Bacon- diese Signale nicht mehr verstanden?
Was können wir gewinnen, wenn wir die Signale wieder ver-
it stehen lernen? Wenn wir —zum Beispiel in der Biologie, der Evo
"lutionslehre, der Anthropologie, der Sprachwissenschaft, de
Soziologie — genauso sorgfältig und bewußt mit unseren Ohren
arbeiten, wie es die Wissenschaftler nun schon seit Aristoteles
mit den Augen tun?
Was lehrt uns die Sprache? Was — zum Beispiel — bedeutet es,
daß das Wort VERNUNFT - eines der gepriesensten unserer Zi
_ vilisation-von VERNEHMEN kommt, also von einem Hörvor-
gang, während doch das exakt parallel gebildete Wort VERSE-
HEN ebenein Versehen-eine Täuschung-bezeichnet?
Warum hören Männer Frauen nicht zu? Warum unterbrechen
. sie sie so viel häufiger — nach sorgfältigen Untersuchungen einer
amerikanischen Universität: 25 mal öfter! — als Frauen Männer
unterbrechen? u
E Wie ist es dazu gekommen, daß der Satz «Du hörst mir jaüber-
A haupt nicht zu!» ein Standardvorwurf in unseren Beziehungen ge
= worden ist? Was würde sich ändern - in der Gesellschaft (wasi im-
‘mer auch heißt: in der Politik), wenn er seltener nötigwäre?
Warum haben Frauen höhere Stimmen als Männer? Warum hat
die herkömmliche Wissenschaft diesen Sachverhalt nicht unter-
sucht, woes doch offensichtlich ist: Überallin der NaturundMu-
sik haben höhere Stimmen Leit-Funktion. Hohe Instrumente —
Geigen, Flöten, Trompeten- tragen die Melodie, während tiefere x
—-in «männlichen» Tonlagen- Celli, Bässe, Posaunen, Tuben -—
meist nur eine Begleitfunktion haben und ale Melodieträger nur
dann wahrgenommen werden, wenn die höheren schweigen.
Auch im Straßenverkehr Sählen wir Signale in höheren, «weib-
lichen» Lagen: Polizeisirenen, Erste Hilfe-Wagen, Alarm-Signale,
wenn dies wichtig für unser Überleben ist. Ja, selbst noch auf
dem Kasernenhof zieht der Feldwebel, der doch traditioneller-
weise ein Sinnbild patriarchalischer Überleseuheir ist — seine
Stimme in höhere Lagen, wenn er will, daß ihm gehorcht wird:ü

18
er
bleme nun schen
ee are mit Eifer a. EN
E: Warum hat die Sprache das Wort AUFHÖREN geschaffen?
Warum identifiziert sie das Ende, den Schluß, das Fertig-Sein mit
dem Aufhören zu hören, dem Ende des Hörens?
: Alle diese Fragen sind auch bereits die Fragen dieses Buches.
.

V.

In einer Sammlung von Zen-Koans, die der japanische Mönch


_ Genro im Jahre 1783 in Kyoto vorlegte, steht der Satz: «Eine
:_ Lehre, die das tägliche Leben nicht einbezieht, ist nicht die wahre
Lehre.» Was dem einen oder anderen Leser im Hauptstück dieses
Buches gar zu theoretisch erscheinen mag, das gewinnt Leben in
den beiden Kapiteln des Anhangs.
"Wer es nicht schon vorher gemerkt hat, wird spätestens in «Zen
und das Japan von heute» realisieren: «Nada Brahma» ist nichts
Esoterisches. Es darf gelebt werden. Es muß gelebt werden. Auch
für den Autor war der Weg zu «Nada Brahma» ein gelebter Weg.
Erst später folgte dem Leben das Lesen, dem Er-fahren das Er-ar-
beiten.
Zu unserem Leben gegen Ende des 20. Jahrhunderts gehört die
Wissenschaft. Aber sie gehört zu sehr zu ihm. Inwiefern ihr An-
spruch zu relativieren ist, wird deutlich im «Postskriptum über
die Wissenschaft». «Nada Brahma» ist ein sehr friedliches Buch,
e hier aber ist Aggressivität zu spüren. Wir brauchen Wissenschaft-
- ler, aber wir brauchen sie nicht anders, als wir Klempner und
ET: Schler brauchen. Was darüber ist, das ist vom Übel, denn wir
haben begriffen: Wissenschaft kann auch gefährden. Sie darfnicht
'mehr die bestimmende Kraft unseres Lebens sein.
Das «Darüber» kann aber auch zu einer neuen Wissenschaft
E_ führen, — einer ganzheitlichen und partizipierenden. Auf sie be-
ziehe ich mich. Die großen Physiker unseres Jahrhunderts waren
FIRE
5 ey», 23
ne Stellen dem entgegen. Es a ie Kassetten: I. Die
pelkassette «Nada Brahma» (auf Wergo, Schott Verlag, Ma
‚aufgenommen bei einer «Nada Brahma»-Veranstaltung in
"Frankfurter Alten Oper — mit dem Obertonsänger und Saxop
nisten Roberto Laneri, dem indischen Sarod- und Tabla-Meister
Kamalesh Maitra und Gert Westphal und mir als Sprechern, m
Musik von Bach, Händel, Coltrane, sowie Klängen von Planet
Pulsaren etc., sowie 2.) die beiden. Kassetten «Ur-Töne» (Baı
Verlag, Freiburg i. B.) mit den Tönen der Erde, der Sonne, de
Mondes, sowie dem Shiva-Shakti-Klang der indischen Überlief
. rung; sie sind auch zur Meditation bestimmt (die letztere zur
‚Paar-Meditation im tantrischen Sinn); ein auskührlicher Beglei
. text gehört dazu. {
UmdasLesennicht durch eine Füllevon ne zu bela-
sten, wurde auf bezifferte Fußnoten verzichtet. Trotzdem emp-
fehle ich, vom Quellen- und Anmerkungsteil regen Gebrauch zu
machen. Nebenbei enthält dieser Teil auch ein Verzeichnis der
. «in-Bücher», das nahezu alles aufführt, was für «Nada Brahma»
und seinen geistigen Umkreis lesenswert ist.

VI.

An den Schluß dieser Intro möchte ich ein paar Sätze stellen, die
ich seit fast zwanzig Jahren durch viele meiner Bücher schleppe:
Ich kann nicht hoffen, allen Irrtümern entgangen zu sein, noch
‚erwarte ich, daß meine persönlichen Auslegungen von jederm %
übernommen werden. Ich glaube, daß gerade dieses Buch -m
‚alsirgendein anderes, dasich geschrieben habe- ein sehr persönli-
ches Buch ist. Ich bin denen dankbar, die mir A an ich
Beer diejenigen, dieesnichttun.
Nada Brahma

Die Welt
ist Klang
Nada Brahma ist ein Urwort indischer Geistigkeit. Ein Urwort
b_ auch der großen klassischen Musik Indiens. Von dorther mußes
' erklärt werden. Aber bevor das geschieht, ist vorbeugend zu sa-
E. gen: Dieses Buch handelt nicht von Indien — oder doch nur inso- RS
‚fern, als die indische spirituelle Erfahrung zum Bestand der gei-
stigen Erfahrung der ganzen Menschheit gehört. Dieses Buch
_ handelt von uns. Es betrifft den heutigen westlichen Men-
schen. Was immer hier von fremden Völkern und fernen Zeiten
gesagt wird, deckt sich, sofern es recht verstanden wird, mit den
Erkenntnissen moderner Wissenschaft: kosmologisch — morpho-
logisch — biologisch — mythologisch — harmonikal — astro- und a
atomphysikalisch.
Allerdings haben die Weisen Asiens viele der Dinge, von denen
wirsprechen werden (und deren Erkenntnis sich diemoderne Wis-
senschaft zugute hält), bereits zwei- oder dreitausend Jahre vor
unsgewußt.
Also: Nada Brahma. Nada ist Sanskrit und heißt «Klang». In
den Lexika steht auch: «lauter Ton, Geschall, Gedröhne, Rau-
schen, Brüllen, Schreien». Aber nadä heißt außerdem «Stier».
Brüllender Stier. Über das Brüllen vollzog sich die Bedeutungser-
weiterung von «Klang» zu «Stier». Vorher hatte es noch einen an-
deren Bedeutungswandel gegeben. Verwandt nämlich ist nadi:
«der Strom, der Fluß», aber auch: «rauschend, tönend, klingend.»
Der Fluß rauscht, der Klang rauscht: auf diesem Wege ist aus
«Fluß» «Klang» geworden. Deutsche Spuren von nadi finden sich.
«naß» und in den Flußnamen Nidda und Nette. Nadi wird auch
' im Sinn von «Strom des Bewußtseins» gebraucht - bereitsim Rig-
veda, dem ältesten der vier heiligen Veden-Bücher Indiens — vor
vier Jahrtausenden. Die Beziehung von Klang und Bewußtsein,
um die es in diesem Buch geht, ist also schon in der Sprache ange-
legt. Und der «Klang-Strom» ist eine menschliche Ur-Vorstellung,
eit es Sprache gibt. In einem einzigen Satz sagt es Martin Buber:
«Wir horchen in uns hinein — und wissen nicht, welchen Meeres
Rauschen wir hören.»
Wir haben «zusammengeworfen» — in einem einzigen Absatz:

23
Rauschen des Meeres und die de
«Zusammenwerfen» heißt auf griechisch: sym
- Wort heißt außerdem: zum Streit reizen, Geld ausleihen, einen
Wechsel ausstellen, deuten, erklären, zusammentiefien, zusam
menfließen, ineinander fallen, handgemein werden, kämpfen -—
undschließlich: verstehen. Das Wort Symbol kommt vonsym-
ballein. Also: Wir haben Symbole geschaffen. Symbole wofür?
Die Antwort gibt das zweite Wort unseres Titels, das Wort
Brahma. E
Brahma ist, neben Shiva und Vishnu, einer der drei Hauptgötter :
des Hinduismus; die anderen, die es neben und unter ihnen gibt,
sind im Grunde nur Reinkarnationen dieser drei. Die Inder spre- 1
chen von der Trimurti, der Trinität ihrer drei Hauptgötter. Reli-
gionswissenschaftler haben darin Parallelen zur christlichen Tri-
nität von Vater, Sohn und Heiligem Geist entdeckt.
Von Trinität zu reden, ist-im Hinduismus wieim Christen
wiein anderen Religionen, iin denen es Trinität gibt -nur insofern
sinnvoll, als Dreiheit letztlich Einheit ist. Wer Christus sagt,
meint Gott; wer Gott sagt, meint auch den Heiligen Geist; wer
Heiliger Geist sagt, meint Christus und Gott. Wer Brahma sagt—
oder Shiva oder Vishnu — meint letztlich: das Höchste Göttliche
Prinzip der hinduistischen Welt. In diesem Sinn ist auch der Hin-
duismus eine monotheistische Religion. Deutlich wird dies-un-
ter anderem - an der speziellen Form des «Ur-Hinduismus», die
sich auf Bali erhalten hat; hier gibt es noch eine Ahnung davon,
daß die Fülle der Haupt-, Neben- und Untergötter, die ja nicht nur
hinduistischer, sondern auch animistischer Herkunft sind, dem
Einen Gott «übergestülpt» wurden.
In einem Lexikon findeich: «Brahma (Sanskrit): ursprünglich
indische Zauberformel, später als schöpferisches Urwort, Welt-
grund und heiliges Wissen verstanden, wurde das Brahma zum
Zentralbegriff indischer Weltdeutung. Es ist eins mit dem geisti-
gen Selbst des Menschen.» Nada Brahma heißt also zunächst ein-
"mal: Klang ist Gott; oder englisch (wir werden finden, daß die
Übersetzung beziehungsvoll ist): Sound is God. Und umgekehrt:
Gott ist Klang. \
Aber Brahma, der Alles-Erschaffer, ist mehr als Gott. Eristiden-
tisch mit dem, was ER erschaffen hat und worin ER ständigan-
wesend ist. Deshalb wird ER so oft mit vier Häuptern dargestellt,
die in je eine der vier Himmelsrichtungen schauen. Brahma also
ist auch: die Welt. Brahma ist: die Welt. Brahma ist: der Kosmos.

24
en Beakens bilden Karen ein einziges großes Pe
mit unerschöpflicher Ideenfülle immer wieder neu variiert

«Brahman ist das Absolute.


Alles, was ist, ist Brahman oder das Heilige Wort,
das nicht erklärt werden kann.
Es ist unbedingt und ohne Eigenschaften. 2
Es ist die Weltseele, die alle Einzelseelen enthält, u
so wie das Meer alle Wassertropfen enthält,
2 aus denen es sich zusammensetzt.
| Brahman ist Leben.
Brahman ist Freude.
Brahman ist Leere...
Freude, wahrhaftig, ist das gleiche wie Leere.
Die Leere, wahrhaftig, ist das gleiche wie Freude.»

Das Lexikon drückt es, unserer westlichen Rationalität entspre-


Sen man aus: «Das Brahman...: Innericker
!Grundstoff und Wirkungskraft aller natürlichen und geschichtt-
lichen Dinge und Ereignisse.»
{

naBrahma über sich selbst (in den Upanischaden):

«Ich bin der Schöpfer, der Schoß der Welt,


bin aus dem eigenen Wesen erworben,
R bin der einzige Herr,
bin anfangloses höchstes Wort.
Wer mich als solchen verehrt, wird erlöst.
Ich bringe alle Götter ins Werden und ende ihr Wirken,
. und nicht findet sich irgendwer in den Welten,
der mich überragte.»
Universum -ist ea und Brahm
Seienden. a
Nada Brahma heißt also nicht nur: Gott, der Schöpfer, ist Kl
sondern auch-und dies vor allem: Die Schöpfung, der Kosmos,
Welt ist Klang. Die Welt ist Sound. Und: Klang ist die Welt.
- Aber auch: Klang ist Freude. Und sogar: Die Leere ist Klang.
a Und schließlich: Der Geist und die Seele sind Klang. i
Das Wort Nada, Klang, ist dabei ebenso wichtig wie das Wort E
Brahma oder wie das kosmische Prinzip Brahman, will sagen: wie
das Wort Gott.
Das also ist bereits jetzt zu erkennen: Klang ist Zentrale
Der Welt-Nada. Die Nada-Welt. Der Brahma-Klang. Das Klang-
‘Wort. Das Wörtchen «ist» zwischen «Welt» und «Klang» könnte
fortbleiben. Nada Brahma ist Eines: der Ur-Klang des Seienden.
Das Seiende selbst.
An dieser Stelle beginnt der «Trip» dieses Buches. Wir haben
zur Kenntnis genommen - kaum mehr noch als dies—, wasNada
Brahma ist, und wir begeben uns auf die Reise — durch Makro-
und Mikrokosmos und durch die Welt, in der wir leben, und wir
befragen Atomphysiker und Astronomen und Kosmologen und
‚ Mathematiker, Biologen und Evolutionsfachleute, Chemiker
und Botaniker, Logiker und Kybernetiker, Mystiker und Rationa-
listen, Kenner des Buddhismus und des Zen, des Hinduismus,
des Islam und des Christentums, wir fragen Musikwissenschaft-
ler und Musiker in Ost und West, Ethnologen und Sprachwissen-
schaftler und Kenner der Sagen, Mythen und Märchen der Völker
der Welt, wir fragen Wissenschaftler und solche, die Wissen- I

. schaft ablehnen, ja für gefährlich halten, heutige Menschen und


die Weisen und Wissenden der Vergangenheit in Orient und Ok-
E zident, wir fragen auf Reisen in Japan und China, auf Baliund
ii den Inseln Polynesiens, in Indien, Hinterindien und Tibet, in
Persien und in Ägypten, in Nord- und Südamerika und in Afrika:
Ist die Welt wirklich Klang? Und wenn ja, inwiefern ist sie
Klang? Inwiefern ist sie ein einziges, unvorstellbar großes Kosmi-
sches Musikinstrument? Ist auch die Struktur des Mikrokosmos
mit ihren Elektronen und Photonen zuallererst Klang? Und sind
auch Blattformen und Kristalle, menschliche und tierische Kör-
per Klang? Ist auch das Wort und die Sprache vor allem anderen
Klang? Ist auch das Wort und die Sprache vor allem anderen
Klang? Sind wir selber Klang? Ist auch das, was wir als Geistund
26
als Seele bezeichnen, Klang? Und die Beziehung, die wir Liebe
nennen — wird sie durch klangliche Progressionen gesteuert? Sind
wir die Spieler des Instrumentes? Oder ist es der Zufall? Oder wer
sonst?
Die Welt ist Klang. Sofort stellt sich die Frage: Was für ein Klang:
Das ist eine Schlüsselfrage, denn wenn die Welt Klang ist, wird
- diese Frage gleichbedeutend mit derjenigen nach der Ursubstanz
- der Welt- physikalisch gesprochen also nach Atomen, Neutroneı
und Positronen, nach Photonen, Quarks und Leptonen und all de:
anderen Elementarteilchen, aus denen der Atomkern, aus denen
das Universum, aus denen wir bestehen. Wir werden sehen, daß
es in der Tat zwischen diesen beiden Fragen eine enge Beziehung
‚gibt. 2A

Die folgende Frage stellen japanische Zen-Meister ihren Schü:


lern:

«Wenn du auslöschst Sinn und Ton-


was hörst du dann?»

ist also eine bewährte Frage. Die Japaner nennen sie ein BA
Koan, chinesisch kung-an, heißt ursprünglich «Öffentliches Do-
kument», «Öffentliche Bekundung». Gewiß ist ein Koan, wie es
im Zen verwendet wird, kein öffentlicher «Anschlag» mehr, ab
es ist hilfreich, sich dieser Bedeutung bewußt zu bleiben: Koanı
sind matters of fact, sie werden dem Meditierenden mitgeteil
‚und er hat sich nach ihnen zu richten. Er hat zu sehen, wieerm
ihnen zurechtkommt.
Koans sind Formeln, Fragen, Aufgaben, die den Auschais a
Rationalität erwecken und doch rational nicht lösbar sind. Gelöst |
5 werden können sie allein in der Meditation. Jeder kann sienur für
. sich selber lösen. Keiner kann die Lösung von irgend jemanı dande-
rem übernehmen. Wüßte ich also die Antwort und schriebe sie |
Ä hierher: sie wäre bedeutungslos fürandere — selbst er wenn sie |

RN,
fragen. Das Fragen ist wichtiger als das Beantworten. Das Fr
u die Antwort. Zen-Meister sagen: Das Fragen ist

Ri:
Man Bi dem nach.
Auf «den» Weg begibt sich der Zen-Schüler. Er fragt viele Male.
Er sitzt in der Meditation —und in der dazugehörigen Haltung-
4 d meditiert das ihm aufgegebene Koan. Wenn er nureinehalbe
tunde sitzt (das tägliche Minimum), mag er sein Koan hundert,
- vielleicht hundertfünfzig Mal gefragt haben. Wennertäglichvier
Stunden sitzt — meist sitzt er aber länger —, hat er eintausend-
Ezweihundert Mal gefragt. Es gibt Meditierende, die ein Jahr —
oder auch viele Jahre — benötigen, um, wie man das nennt, ihr
' Koan zu «knacken». Um die bisherige Rechnung weiterzufüh-
- ren: ein Jahr — das wäre rund eine halbe Million mal:

«Wenn du auslöschst Sinn und Ton -


was hörst du dann?»

"Das
| Fragen kann ein Leben dauern. Die Antwort benötigt, wenn
man sie findet, wenige Sekunden. Oft wird sie als «Blitzschlag»
beschrieben, ja eben das war jahrhundertelang ein Hauptstreit-
punkt zwischen den verschiedenen Sekten des Zen: ob man sich
der Lösung allmählich in einem graduellen Näherungsprozeß
oder schlagartig bewußt werde. Die «Blitzschlag»-Richtung hat
sich durchgesetzt.
- Hakuin, der große, 1685 geborene japanische Zen-Weise, der E
‘die Koan-Technik zu ihrer heutigen Vollendung geführt hat,
schreibt: | Fr
«Wenn du ein Koan aufnimmst und es unaufhörlich unter-
' suchst, dann wird dein eigener Geist sterben und dein Ich-Be-
wußtsein zerstört werden. Es ist, als ob ein unermeßlicher, leerer
Abgrund sich vor dir öffne, und du findest mit Händen und Fü-
ßen keinen Halt. Du glaubst, dem Tod ins Auge zu sehen, und
fühlst dein Herz in Flammen aufgehen. Dann bist du plötzlich
eins mit dem Koan, und Leib und Geist sind abgelegt... Das ist
die Schauiin die eigene Natur. Du mußt unnachgiebig weiter vor-
29 5
ehlbar zum Urgrunc ringen.
Daisetz Suzuki, der in unserem Jahrhundert, besonder
USA, so viel für das Verständnis des Zen getan hat, vergleic
Koan mit einem glühenden Ball. Der Meditierende schluckt
Ball und will ihn — erschrocken - sofort wieder ausspucken, abe
der Ball wächst und wächst und wird so groß, bis das Ego ein einzi-
ger glühender Ball geworden ist. «Das Ego ist endlich zum Koan
geworden.» Darüber stirbt es den «großen Tod», der in der Fach-
sprache des Zen taishi heißt, und geht ein in die «Große Geburt»
(japanisch daigo). «Das Ego platzt wie eine Wasserblase.»
13. Weil Koans mit Erfahrung zu tun haben, möchte ich über ein
Koan sprechen, mit dem ich selbst eine gewisse — mit den Ergeb-
- nissen der großen erfolgreichen Zen-Meditierenden nicht ver-
gleichbare - Erfahrung gemacht habe. Mein erster Zen-Meisterin
Kyoto in Japan hat es mir gegeben:

i «Nichts Böses. Nichts Gutes. A


N Mein Ur-Angesicht Jetzt!»

Oder ausführlicher: «Denke an nichts Böses und auch an nichts


Gutes. Versuche nur dies: Herauszubekommen, wie dein Ange-
sicht aussah, bevor du in diese Welt tratest. Vor deiner jetzigen
Inkarnation. Versuche dies jetzt herauszubekommen.» |
Was geschieht — was kann geschehen —, wenn man sich dieser
Aufgabe hingibt?
Zunächst einmal ist es einleuchtend: Niemand soll an etwas
Böses denken. Aber, so möchte man annehmen, man soll dies ja
wohl deshalb nicht tun, um dadurch Raum zu schaffen für das
Gute — um also desto mehr an Gutes denken zu können. Nein,
sagt aber diese Aufgabe — und das ist der Beginn der Zen-Absurdi-
tät, freilich erst ihr Beginn: Du darfst auch an Gutes nicht denken.
Die Gleichsetzung der beiden Wort-Paare «Nichts Böses/
Nichts Gutes» - man kommt zu diesem Schluß bei entsprechend
langer Beschäftigung mit dem Koan ganz von allein auf «logische»
und doch gleichzeitig auch auf völlig «außer-logische» Weise —
kann nur bedeuten: die Gleichsetzung von Bösem mit Gutem.
Beides — so sagt das Koan - ist gleichermaßen unwichtig, gemes-
sen an dem, worauf es ankommt. {
Das Böse und das Gute bilden die - oder zumindest eine ganz |
wichtige — Ur-Polarität. Das also ist der nächste Schritt: Polaritä- |

30
Wersiß das:
Du sollst es Meresec weil der zweite Teil deral die -
doch wohl? — weiterbringen wird: Dein Ur--Angesicht! Wie eigent-
lich sahst du früher aus? Und dann, zwangsläufig daraus folgend:
Wie hast du noch früher und immer noch früher ausgesehen?
Zuerst suchst du wirklich nach einem Gesicht. Monatelang
vielleicht. Du tauchst immer weiter zurück. Du siehst viele Ge-
sichter. Du ahnst sie. Aber vor jedem Gesicht, das du siehst oder _
_ ahnst, muß es noch ein früheres gegeben haben. Bis die Gesichter
_ aufhören. Du weißt ja, du hast das in der Schule gelernt: Mensch-
_ liche Gesichter gibt es erst seit soundso vielen Hunderttausenden
von Jahren. Was war vorher? Gene? Zellen? Und vor diesen: Mole-
' küle? Atome? Und vor den Atomen: Partikelchen? Elementar-
_ teile? Photonen? Das Ur-Licht, von dem die Kosmologie der mo-
dernen Physik, aber auch die Bibel spricht: Im Anfang war das
. Licht -? Die Photonen-Brühe. Der Licht-Brei.
Du kannst diesen Weg gehen, aber natürlich auch einen ande-
_ ren. Wenn du ihn gehst, wird irgendwann allmählich oderauch
- plötzlich — das Suchen nach Licht vorrangig. Wird Licht dein Ur-
Angesicht? Du tauchst und tauchst und tauchst und suchst und
_ suchst und suchst—- Licht!
Vielleicht suchst du es nur. Aber es ist auch möglich, daß du es
_ erfährst. Vielleicht bist du nicht sicher und dein Ergebnis liegt
irgendwo zwischen dem Suchen und dem Erfahren. Die Meister
- sind sicher. Du bist kein Meister. Aber du sagst dir: Wenn die Mei-
- ster sicher sind, warum kann ich es nicht sein? Ich will auch si-
cher sein. Und du gibst nicht auf und machst weiter.
Ich beschreibe also auch weiter. Aber was beschreibe ich? Im
Grunde kann ich ja, abgesehen von den Schmerzen, die mir das
- Still-Sitzen bereitet, nur eines beschreiben: Was ich gedacht habe.
' Das aber ist es doch gerade, was gar nicht so wichtig ist. Das sollst
- du doch überschreiten!
Du liegst in deinem Koan wie in einem Fluß. Das Koan treibt
-dich und nimmt dichmit. Du liegst auf dem Rücken- vom Wasser
_ deines Koans umgeben. Nur Mund und Nase tauchen heraus, da-
_ mit du atmen kannst: Gedanken atmen. An allen übrigen Stellen
- deines Körpers — deines Wesens, deines Seins — umgibt dich das
"Koan-Wasser so dicht und so schmiegsam, daß Gedanken dich gar
a
Körpers. Oder das Verhältnis Zwischen da hi Minuten,
man braucht, um das zu lesen, was ich hier versuche zu beschr
ben, und den zwei Jahren meiner Beschäftigung mit diesem Koan:
drei Seshins, in denen nur gesessen und meditiert wird, täglich
acht Stunden lang, eines in Kyoto, zwei in Deutschland, daseine
in Frankfurt, das andere in Neresheim, in der übrigen Zeit täglich
zweimal dreißig Minuten Meditation dieses Koans, nicht nurzu
Hause in Baden-Baden, sondern auch auf allen Geschäfts- und per-
sönlichen Reisen zu Vorträgen und Konzerten, Festivals und Kon-
ferenzen, in Europa und in den USA und zwei Wochen langauch in
Brasilien: Nichtsbösesnichtsgutesmeinurangesichtjetzt.
Irgendwann auf diesem Wege begreifst du, daß du etwas ganz
Gewöhnliches tust. Der Zen-Meister ist im fernen Kyoto. Du De1Ble Fa
a
a
kannst ihn vergessen. Du hast es als Kind von deinem Lehrer im EnP
Griechisch-Unterricht gehört — aber auch dann, wenn du nicht
Griechisch gelernt hättest, kenntest du Sokrates’ Forderung:
Gnothi seautön. Erkenne dich selbst. Du hast sie gehört oder gele-
sen. Du denkst: zu oft. Du kannst auch Sokrates vergessen. Du
ua
u
ee
erinnerst dich: Esistja auch eine moderne Forderung. Freud, Jung,
Adler, Reich, Fromm, Fritz Perls — die ganze Psychologie und.
Bsychoanalyse und Psychotherapie laufen darauf hinaus — ob sie rZe
dich auf die Couch legen oder auf den Stuhl der Gestalt-Therapie
setzen oder in den abgedunkelten Raum der Urschrei-Therapeu-
ten sperren: Erkenne dich selbst. Auch von hierher also kommst
du, wenngleich von anderem Ausgangspunkt, zu der- nun schon $
monatelang gestellten — Frage: Wer bist du? Wie siehst duin Wirk-
lichkeit aus? Wie sahst du ursprünglich aus? Du kannst nichts
antworten. Immer noch nichts. Ja, doch: Dies könntest du ant-
worten: Nichts. Gewisse Dinge denkst du. Du bist ja ein denken-
der Mensch. Du kannst nicht sein, ohne zu denken- und doch ist IE
das Denken in der Meditation anders als das alltägliche, anders
I
auch als das intellektuelle Denken. Es ist immer «er-sessen»und
hat schon deshalb auch mit Erfahrung zu tun. Du denkst also:
Nichts. Du denkst: Die Atome, aus denen du bestehst, sind- zu-
sammengepreßt — kleiner noch als ein Staubkorn. Abe |
von diesem Staubkorn ist: Nichts. Aber auch das Staubkorn löst
sich auf -: in Atome, und dann die Atome in Elementarteilchen
und Schwingung und Energie und in Immer-noch-weniger. In
%

}
nichts.

32 j \ a -
icht eine. Aufgabeis
ist-die Aufgabe des Tibetanischen Toten-
hes: «Mein Bewußtsein— leuchtend und rein— untrennbarer
Bestandteil des Großen Strahlungskörpers — kennt weder Geburt
$
F
noch Tod. Es ist das unveränderliche Licht.»
Nichts. Nichts. Nichts. Licht. Licht. Licht. Ur-Angesicht. Ur-
_ Angesicht. Ur-Angesicht. Du merkst, all diese Aufgaben laufen
. auf das gleiche hinaus.
L Alsich mich eine Weile mit dem tibetanischen Wort beschäftigt
_ hatte, schlug mein christliches Erbe durch. Immer stärker mel-
_dete sich das Wort aus dem Jesaja:
En

2
«Mache dich auf.
Werde Licht.
Denn dein Licht kommt.
Und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir.»

Ich spürte, die beiden Worte — das tibetische und das alttestamen-
tarische — bedeuten letztlich das gleiche. Das Licht, das da zu dir
' kommt, ist der «Große Strahlungskörper». Es kommt zu dir, wenn
- du selber Licht wirst: wenn du dir bewußt wirst, daß dein eige-
nes Bewußtsein «leuchtend und rein» ist, «Bestandteil des Gro-
ßen Strahlungskörpers». Aber es kommt nur, wenn du dem An-
fang gehorchst, den ersten drei Worten: «Mache dich auf!» Du
darfst nicht warten, daß irgend etwas von allein zu dir kommt.
Mache dich selber auf, nur dann erfährst du das «unveränderliche
Licht», das für den Propheten Jesaja die «Herrlichkeit des Herrn»
ist. Dieses Licht — diese «Herrlichkeit» — kennt weder Geburt
noch Tod, und mit einem Mal bist du wieder dort, wo du vorher
‘schon warst: Das ist ja ein Teil deiner Aufgabe — die Schranke
zwischen Tod und Geburt zu durchbrechen. Was ist vorher gewe-
sen? Dein Ur-Angesicht als Angesicht des Lichts?
Aber deine Aufgabe hat noch einen dritten Teil: das Wort Jetzt!
Jetzt sollst du dein Ur-Angesicht sehen. Im Grunde also
_ kannst du aufhören. Du siehst esja gar nicht jetzt. Du kannst doch
nicht jeden Tag einer Lüge aufsitzen: Dir immer wieder «Jetzt-
Jetzt-Jetzt» sagen, und jetzt geschieht gar nichts. So dumm kann
doch dein Zen-Meister nicht sein, daß er glaubt, du fällst darauf
rein. Was also ist gemeint mit dem Jetzt? Warum Jetzt? Warum
richt morgen, wo doch, wenn überhaupt, allenfalls morgen - oder
33
TESMEINURANGESICHT TETZTNICHTS
NICHTSGUTESMEINURANGE SICHTJETZTNICHTS
SWETZIIETIZTIETZT::
. Längst ahnst du — machst du deshalb noch weiter?—
ses Wort «Jetzt» das wichtigste an deiner Aufgabe ist. Nichtsbö
sesnichtsgutes JETZT! Vergiß alles andere. Tu nur dieses ein
Aber dies ganz und gar. Was es auch sei. Du hast das gelesen—
alten Zen-Schriften: Scheiße und pisse und liebe und iß ı

im Buddha-Sitz: in den Beinen, im Kreuz - manchmal fühlst du


eesie überall - du bist nur noch Schmerz - fühl ihn und sonst gar
nichts - und wenn du das eine Weile getan hast, dann fühlst du
eben dies letztere: gar nichts. Die Schmerzen lösen sich auf. Tat
immer nur eines — aber dies ganz und gar: Jetzt! Und du erfährst,
daß Jetzt und Gestern und Morgen zusammenfallen. Daß es Zeit N
gar nicht gibt. Daß sie sich auflöst. Wie deine Schmerzen. Es
bleibt nur das Jetzt.
Jetzt fühlst du dein Bein. Deine Schmersih Jetzt meditierst
du. Jetzt denkst du- nein, jetzt bist du: Jetztjetztjetztjetzt.. E Biz
e

«Jetzt» sagst du auf dem Höhepunkt der Liebesvereinigung, und


auch aus diesem «Jetzt» fällt alles andere heraus, es bleibt nur
das Jetzt, und du erfährst: Unter allem, was du bisher erfahren
hast, ist dies die einzige annähernd vergleichbare Erfahrung:
Auch hier ist das Jetzt Alles. Und Eines. Und auch hier geht -—
zumindest manchmal- das Jetzt in das Alles über. a
Aber du läßt auch dies hinter dir, denn der Vergleich stimmt
nur annähernd. Und du erfährst: Auch das Jetzt läuft — wie das
Böseundgute, wie das Ur-Angesicht und das Nichts und dasLicht
— auf das gleiche hinaus. Du hast ja schon erfahren: Wo esnurdas
Jetzt gibt, ist keine Zeit mehr. Also ist dein Ur-Angesicht gar
nicht so lange her. Und auch das Nichts und das Licht nicht. Dies.
also ist Jetzt. Und im Jetzt ist all dies: Das Ur-Angesicht und
das Nichts und das Licht und all das andere, zu dem dich dein i
Weg geführt hat. 4
Vielleicht hat er dich irgendwann auch zu einem Kanesge- j
führt. Zumal dann, wenn du dich ohnehin viel mit Klängen be-
faßt. Dein Koan wird selber ein Klang, wenn du es oft genug wie-
derholt hast. Die sieben Worte deiner Aufgabe sind wie sieben.
. Noten einer Leiter — oder eines Akkordes. Du hörst — du
34
nd jetzt. Er ist jetzt. Er ist der glü-
all, den dem Ego verschluckt, und dann wächst erund
rei und das Ego platzt.
So kann sich das abspielen. Und gleichzeitig: Nein. So spielt es
sich nicht ab. Denn es spielt sich nicht ab in Worten und Begrif-
' fen und in Gedanken und Abstraktionen. Deshalb wurde es dir;ja Zur

aufgegeben: um die Begriffe zu überschreiten. Wie beschreibt nn


ne
man die Überschreitung?
Man umschreibt sie. Ungenügend und annähernd— wie ich es
zu tun versucht habe. Lao-tse sagt dazu: «Das in Worten aus-
- drückbare tao ist nicht das ewige tao. Ein Name, der ausgespro-
chen werden kann, ist nicht der des ewigen tao.»
Und im «Genro», dem bereits erwähnten Buch der Koans, E
N
heißt es: «Ein Koan ist ein seltsames Ding. Wer sich damit be-
schäftigt, wird in eine Welt der Erfahrung eingeführt. Je mehr Er-
fahrung, um so tiefer dein Einblick in die Buddha-Natur.»
Man bedenke diesen letzten Satz. Der christliche Parallel-Satz
' dazu würde wohl lauten: «Je größer dein Glaube, um so tiefer
dein Einblick in das Wesen Christi.» Erfahrung und Glauben ste-
hen einander gegenüber. Zen handelt nicht von Dingen, an die
man glauben — oder dann eben auch nicht glauben - kann. Zen
handelt von etwas, das einer erfährt. Und was einer erfahren hat,
das weiß er. Daran ist nicht zu rütteln. Deshalb kommt das Wort
«Glauben» in Zen-Texten nicht vor. Es wird nicht benötigt. Be-
nötigt wird es im Westen — zum erstenmal im frühen Christen-
tum, bei Paulus vor allem, und von da an ständig wachsend, je
stärker sich der immer rationalistischer, immer «kopforientier-
ter» werdende Mensch den Weg zu eigenen religiösen Erfahrun-
gen verstellte. Für Luther steht der Glaube im Mittelpunkt -und
_ das war auch nötig, denn mit der Reformation beginnt die Neu-
zeit: Die Hypertrophie der ratio bedarf — wenn das Religiöse in
ihr überhaupt noch eine Chance haben soll — der Hypertrophie
des Glaubens.
Das Erstaunliche ist, daß der Zen-Meister überprüfen kann, ob
der Schüler sein Koan wirklich «geknackt» — will sagen: die Lö-
sung selber erfahren — hat. Außenstehende wundern sich: Woher
weiß er denn das? Jedenfalls geschieht es oft, daß ein Meditieren-
der beglückt zu seinem Röshi, seinem Zen-Meister, eilt, ihm
sagt, er habe das ihm aufgegebene Koan gelöst — aber der Zen-
"Meister schickt ihn wieder fort: der Meditierende sei einer
"Scheinlösung aufgesessen, er solle weiter meditieren. Zen-Mei-

35
a ;
TUNER
«Wenn du auslöschst Sinn und Ton —
was hörst du dann?»

Es geht, wie gesagt, nicht darum, eine Antwort hierherzuschrei


ben. Aber es ist offensichtlich: Der Ton, nach dem dieses Koan
fragt, ist ein Ton «jenseits von Sinn und Ton». Ein Ton auch jen-
seits aller Musik. Und doch der Ton, der aller Musik zugrunde
liegt und dem alle Musik nachspürt. Wir erinnern uns an dieim
. vorhergehenden Kapitel gegebene Erklärung von Nada Brahma
‚Der Ton, der übrig bleibt —- jetzt übrig bleibt —, wenn man Sinn
und Ton ausgelöscht hat, ist der nada, das Ur-Rauschen und da
Ur-Gedröhn des Ur-nadis, des Ur-Flusses, der die Welt ist. Dieser
Ton selbst ist die Welt. Wir werden immer wieder darauf zurück u
kommen müssen. £
Wir haben bereits gemerkt: Fast alle Koans laufen auf das glei-
che hinaus. Lies Groening, eine deutsche Atemtherapeutin, di:
vier Jahre im Kloster Shokoko-ji in Kyoto als einzige Frau unter
Zen-Mönchen meditierte, bekam von ihrem Meister die Aufgabe,
einen Glockenklang während seines Erklingens zum Stillstand zu
bringen. Auch hier also ging es darum, Sinn und Ton auszu- Er
löschen. Was hörte sie dann? Lies Groening mußte sich fragen, ob.
sie je wirklich gehört hatte. Erst jetzt lernte sie hören. Sie wurde
eins mit dem Klang der Glocke. Erst da hörte sie ihn wirklich. Sie
mußte so «total hören», daß sie der Glockenschlag selbst wurde.
Erst dann konnte sie ihn zum Stillstand bringen. Erst dann wurde
Stille «das große Instrument, in das alle Chöre des Lebens ein-
münden». u E

Viele meditieren nicht über ein Koan, sondern über ein Mantra S
(und natürlich — das ist das beste, wenn man es kann- ri
Nichts). Mantras sind Wort- und Silbenklänge. Wir werden se-Ä T

hen: Deshalb gerade—weil sie Klang sind—wirken sie. BE


Was sagt das Wort Mantra? Die Silbe man heißt Verstand. Auch |
Denken und Fühlen. ne was dencn in, man
: © aRiftiches des Pesknisted: «ER Be
eine Pritiche a dir.Seine Wahrheit ist dein Schirm und dein
.Schild.» Das ist tram. Ein Man-tram breitet Fittiche über Ver-
tand, Denken und Fühlen. Über den Menschen. Lama Anagarika
f Eovinda nennt Mantras «Geistige Werkzeuge» ... «Werkzeuge
des Geistes».
. Mantras entstehen aus dem mantrischen Laut, der im Sanskrit
bija heißt: Same. Mantras sind aufgehende Samenkörner. Aus
' Mantras sprießt Einswerden. Sie sind «Werkzeuge des Einswer-
. dens». Das Wort bija ist wahrscheinlich mit der im 1. Kapitel er-
az wähnten Sanskrit-Wurzel bri = wachsen verwandt, von der sich
der Gott Brahma und das Brahman, das kosmische Prinzip, her-
- leiten. All dies gehört in einen einzigen sprachlichen Zusammen-
12-
Sr
ara
ab
hang. Der Same, aus dem die Mantras sprießen, ist dergleiche, aus
dem Gott Brahma wuchs. 2
Der große Weise Govinda spricht vom «Mantra als Urlaut und
als archetypisches Wortsymbol». Mantrische Formeln sind «vor-
2
sprachlich». Sie sind «Urlaute, welche Gefühle ausdrücken, aber
keine Begriffe, Gemütsbewegungen, aber keine Ideen.» Aus den
bijas, den Keimsilben der Mantras, ist Sprache entstanden. Aus
den Mantras selbst entsteht Sprache. :
Das größte aller Mantras ist «OM». Besonders eindrucksvoll sa- &
gen und singen es tibetische Mönche — wo immer sie heute in
ihrer weltweiten Diaspora leben - in den Bergen Kaschmirs und
der Schweiz, in den Tälern Colorados und Nordindiens. Zur tibe-
' tischen Gesangsweise gehört es, daß eine einzelne menschliche
Stimme ganze Akkorde singen kann - und was für Akkorde! Ak-
korde, die aus tiefsten Tiefen zu kommen scheinen und diedem
Sinn dieses Wortes entsprechen: In accord steckt cor = Herz.
Westliche Zuhörer bewundern die tibetischen Stimmen. Aber
wunderbar sind sie in erster Linie für uns, weil wir den Ton - wie
so vieles andere auch - abstrahiert und aus seinen natürlichen Zu-
sammenhängen gelöst haben. Wenn eine Saite schwingt — das Ur-
bild aller Klangerzeugung, dem auch unsere menschlichen
Stimmbänder entsprechen -, dann schwingt ja nicht nur die ganze
‚Saite, also der Grundton, es schwingt zwangsläufig auch die halbe
Saite mit, das heißt die nächsthöhere Oktave, und es schwingen
zwei Drittel der Saite, die Quinte, und drei Viertel, die Quarte,
und drei Fünftel, die große Sexte, und vier Fünftel, die große Terz,
und fünf Sechstel, die kleine Terz, und so fort, das heißt: es er-

STARE
% zige dhler In jedem. Ton sind alle enthalten. Wie in
Indras, obwohl ssienicht größer ist alsalleanderen auch, alle Pe =
der Welt stecken -und, nach neueren Vorstellungen der Teilchen-
Physik, der sogenannten «Bootstrap-Theorie», in einem atomaren
Vorgang alle atomaren Vorgänge der Welt enthalten sind.
Es gibt nun gewisse Musikkulturen, die pointiert auf der Ver- ME
EnE
bundenheit aller Töne untereinander basieren. Es gibt Instru-
mente, die besonders obertonreich sind und deren Spieler von
vornherein bestrebt sind, die Obertöne nicht etwa zu unterdrük-
B
ken oder mehr oder minder unbeachtet mitschwingen zu lassen,
sondern sie zu entwickeln, zu kultivieren und zu akzentuieren—
wie es zum Beispiel die Spieler der indischen Saiteninstrumente
tun: der Sitar, des Sarod, der Veena, der Surbahar— oder ähnlich
obertonreicher BlAstantrarachtes des Shenai und des Nagaswaram
— auf diese Weise ständig den Zusammenhang mit dem Ganzen,
dem «Kosmos der Töne», herstellend, an ihn erinnernd, sich im-
mer wieder neu seiner bewußt werdend. («Kosmos der Töne»:
Man kann die beiden Worte «der Töne» fortlassen.) Vor allem aber
gibt es Sänger — etwa die tibetischen Mönche -, die die Obertöne
kultivieren — und oft auch die viel weniger stark hörbaren, noch Ar
schwerer zu produzierenden Untertöne. Auf diese Weise entsteht
ein Eindruck mehrstimmiger Akkorde-und oftauch von Polypho-
nie, weil verschiedene, unabhängige Melodiebewegungen entste-
hen. Hierzu ist eine völlige Entspannung von Gaumen, Rachen,
Zunge, Lippen, Kehle und Brustraum erforderlich. Nirgendwo
wurde so viel meditiert wie in Tibet, und gerade die Meditation
fördert derartige Entspannungszustände.
Auch bei dem in Sibirien lebenden mongolischen Stamm der
Tuwans ist diese Art des Obertonsingens geborgen in religiöser
Überlieferung. Sie wird von den Schamanen gepflegt, den magisch
und medial begabten Priestern. Ansätze freilich zu mehrstimmi-
gem Singen gibt es in vielen Kulturen - bei südamerikanischen
Indianern, auf Sardinien, in Bulgarien und inzwischen auch bei
vielen jungen Musikern und Musikerinnen der zeitgenössischen
westeuropäischen und amerikanischen Meditationskultur.
In den alten Schriften des Tantra-Buddhismus heißt es über das
OM: «Dieses Mantra ist das mächtigste. Seine Kraft kann allein
schon Erleuchtung vermitteln.» Und die Upanischaden sagen: S
«Wer immer dieses Mantra fünfunddreißig Millionen mal sagt,
das Mantra des heiligen Wortes, wird befreit von seinem Karma

28)
uns ana Sterbliche = härheren er be der diesen Ur )
klang, der die Welt ist, nahekommt, dann ist es der Klang des heili-
8
Nochmals de Upanischaden:

«Die Essenz aller Wesen ist die Erde,


die Essenz der Erde ist das Wasser,
ic
die Essenz des Wassers sind die Pflanzen,
die Essenz der Pflanzen ist der Mensch,
die Essenz des Menschen ist die Rede,
die Essenz der Rede ist das Heilige Wissen, oe
die Essenz des Heiligen Wissens ist Wortlaut und ln FE
die Essenz von Wortlaut und Klang ist OM.» u

Und an anderer Stelle: «Gott Brahma sprach: «Du bist derheilige


EEE
VENOpferruf Svaha, du bist Lebenskraft, du bist der heilige Spenden-
TONER
FETT
ruf Vaschat - Schall ist dein Wesen. Trank der Unsterblichkeit
- bist du, Unvergängliche; dein Wesen liegt in den drei Zeiten der
heiligen Silbe OM beschlossen, du bist in der Halbzeit beschlos-
sen, die dem Verklingen der Silbe OM als Schweigen nachfolgt,
du Ewige, die vom Unterschiedlichen her nicht auszusagen ist.» _
N Swami Sivananda Sarasvati schreibt in «Der dreifache Yoga»:
«OM ist der Bogen, der Geist ist der Pfeil, Gott oder Brahmanist
die Zielscheibe ... Triff diese Scheibe!» i
Und etwas später: BE

«OM ist die innere Musik der Seele...


Verwirkliche dich durch OM. 2
Denke immeran OM. Be
Singe OM.
Rezitiere OM.
Übe OM.
Meditiere OM.
Betritt das Schiff OM.
Segle sicher auf ihm..
Und lande önikehalen in.der wunderbaren Stadt
des Ewigen Brahma.»

39.
ER
ee Raum ziischen Kann,und nn dem eige:
lichen Moment der Leere und des Einswerdens. Auch insofern be-
zeichnet das Mantra OM genau die Stelle, an der aus dem
«Atem» das «Wort» wird, und aus dem «Wort» der «Atem» mit
allem, was zu diesen beiden Begriffen gehört: zum Atem das
Atma, das Selbst, zum Wort der Logos der Griechen und die «Tat»
Goethes.
OM ist eines der vier großen Keim- und Samen-Mantras. Go-
vinda nennt drei weitere: AH, HUM, HRIH. In ihnen stecken die
vier Basisvokale o, a, u undi, die «den vier Prinzipien entsprechen:
einer kreisförmigen, alles einschließenden, einer horizontalen,
einer nach unten und einer aufwärtsgerichteten Bewegung». Auf
diese Weise kann man auch von den Ur-Mantras sagen, daß sie das
Universum umfassen. Wie der in alle vier Himmelsrichtungen
schauende Gott Brahma - wie das Prinzip Brahman.
Govinda schreibt: «OM ist der Aufstieg zur Universalität, |
HUM der Abstieg dieses universellen Zustandes in die Tiefe des
menschlichen Herzens.»
HUM ist das mantrische Maß des Menschlichen. Deshalb ver-
band es sich mit dem man, das- wie wir bereits wissen — Verstand,
Denken, Fühlen heißt, zuhuman: menschlich.
Govinda: «OM und: HUM verhalten sich wie der Kontrapunkt
in der Musik.»
Demgegenüber ist das Mantra AH «der Ausdruck des Sich-
Wunderns und der unmittelbaren Wahrnehmung», des Staunens,
‚der Lobpreisung und Anbetung, die uns ziemt, aber auch der
Schrei des Schmerzes. Und der Laut der Liebe.
Und von der Keimsilbe HRIH sagt Govinda, sie habe «dieNa-
tur einer Flamme ... Sie hat deren Wärme, Intensität, ihre Auf-
wärtsbewegung, Strahlkraft und Farbe... Im OM macht sich der
Meditierende so weit wie das All... Die ihm innewohnende Be-
wegung ist vergleichbar dem Öffnen der Arme - als wolle-er
Raum schaffen für das unendliche Licht... Im HRIH aber ent-
zündet er die aufwärtslodernde Flamme der Inspiration und m:
gabe..
Weil a Vokale kosmischen Bezug haben, entsprechen :sie de
Planeten: das A dem Jupiter, das Idem Mars, das O der Venus, das.
U dem Saturn und das E dem Merkur, — will sagen: Zwischen den
Schwingungsverhältnissen der Vokale und denen der Planeten
40
t ang. :
s En imöhungs es ae mit allen verdichten, biswirin _
apitel VI exakte Informationen darüber geben können. Auch das
tun die großen Mantras OM, AH, HRIH und HUM: sie spüren
diesem Zusammenhang nach.

_ Aber es gibt auch das Mantra, das ein Meditierender für sich ganz
allein hat. Sein Meister — oder derjenige, der ihn in die Meditation
_ eingewiesen hat — hat es ihm gegeben. Und es würde die mantri-
sche Kraft brechen, wenn der Meditierende je über sein Mantra
spräche — außer, versteht sich, mit dem Meister. In jahrelanger
Meditation eines solchen persönlichen Mantras entsteht eine
Ba; nahezu vollkommene Synchronisation zwischen den Schwingun-
gen der dem Meditierenden gegebenen Silbe und den Schwingun-
' gen des betreffenden Menschen. Auch darauf kommen wir zu-
rück: der Mensch ist Schwingung, wie alles andere auch: nicht
nur in einem spirituellen, sondern auch in einem physikalischen
Sinn.
Der Meditierende meditiert sein Mantra— laut oder nur in der
- Vorstellung- jahrelang. Bis ihm sein Meister eine andere Aufgabe
‚gibt. Oder bis er selbst eine andere findet.
Eines der großen Mantras der indischen Mystik ist «O Mani Pad
Me Hum» - von den Tibetern ausgesprochen: «O Mani Pay Mä
Hung». Die Frage, was das bedeute, bringt nur indirekt weiter. Es
bedeutet: «Heil dem Juwel im Lotus!» Oder: «Heil ihm, der das
Juwel im Lotus ist». Die Lotusblume — die Schönheit, die aus
Sumpf und Verwesung geboren wird - ist eines der wichtigsten
Symbole asiatischer Spiritualität. Es kommt nicht darauf an, sol-
che Symbole zu übernehmen. Wir haben unsere eigenen. Zum
Beispiel die Rose (deren Symbolik freilich ebenfalls ursprünglich
‚aus dem asiatischen Raum stammt).
Die Analyse eines Mantras - seine intellektuelle Deutung-hat
immer nur «Krücken»-Funktion. Noch einmal Lama Govinda:
«Wie eine geschriebene Partitur nicht den emotionalen und spiri-
tuellen Eindruck gehörter oder gespielter Musik vermitteln kann,
- ebenso kann... die intellektuelle Analyse eines Mantras nicht die
Erfahrung eines Initiierten wiedergeben, noch jene tiefgehende
\FR
—U
Wirkung offenbaren, die es im Laufe einer langwährenden Übung
hervorbringt.»
Von dem mächtigen, sechssilbigen Mantra «O Mani Pad Me
- Hum», das «umarmt» wird von den Keimsilben der Ur-Mantras
41
igen erfüllt, ini Millionen von Niederschrift: 1
. Felsen gemeißelt und auf Berghängen in riesigen Buchstabe:
gestellt, als Zeugen einer gewaltigen geistigen Erhebung...

Ein häufig benutztes Mantra der Zen-Meditierenden ist dasj japa--


% nische Wort MU - zu deutsch: Nichts. MU signalisiert, was der
Meditierende erst noch werden will: leer - auf daß die Fülle des
Seins in ihn einbreche. Im MU schwingt der «Klang des Nichts»
— jener Klang, den man hört, wenn man «auslöscht Sinn und
Ton».
Am MU, wenn es als Mantra benutzt wird, wird sinnfällig, daß
'Koan und Mantra ineinander übergehen können: Ursprünglich iM
. nämlich war MU ein Koan-sogareinesderberühmtesten:
Ein Mönch fragte den Meister Joshu: Kann denn auch ein klei- Ä
ner Hund die Buddha-Natur haben? se
Der Röshi — so nennt man einen Zen-Meister — antwortete: 1
MU.
Zugrunde liegt folgende Überlegung: Wenn alles Buddha-Natur
hat und Buddha in allem ist, dann müßte doch selbstverständlich
auch ein Hund - oder ein Regenwurm oder eine Ratte - Buddha-
Natur haben. Warum antwortete Joshu trotzdem mit «MU», also
mit «Nein» und «Nichts» und «Nicht-Sein»? Warum sagte er
me
Pu
a

nicht «U», also «Ja», zumal gerade Meister Joshu in anderem Zu-
sammenhang immer wieder auf die Buddha-Natur alles Lebendi-
gen hingewiesen hatte? „
Die Antwort liegt darin, daß Joshu die Frage des Mönchesnicht
etwa beantwortet, konderm ablehnt. Sein «MU» will sagen: Küm-
mere dich nicht um Metaphysik. Oder auch: Kümmere dich nichtPET2”
um Dinge, die dich nichts angehen. Auch hier also wieder - wie
schon vorhin: «Scheiße und pisse und iß und schlafe.» Dies ist
tatsächlich eine überlieferte Anweisung eines Zen-Meisters an
seinen Schüler. Und von einem anderen ist das Fragespiel überlie-
fert: «Wo wirst du nach dem Tode hingehen?» Antwort: «Ent-
schuldige mich einen Augenblick, ich muß zur Toilette.» Oderdie
Aufforderung: «Sage in einem Atemzug die Fünf Moralischen
Prinzipien und die Fünf Kardinaltugenden» - eine Forderung, die
im christlichen Zen variiert wird: «Sage in einem Atemzuge die
Zehn Gebote.» Antwort: «Heute ist ein schöner Tag.» j
Die Hofdame Kasuga erlöste einen Geist aus der Welt des Lei- ’
dens, indem sie eine Teetasse mit Wasser füllte. Wie schaffte sie
42
ler sein können, und indem Sie ie ganzes Sein, all ihren ’
arme und ihre Schönheit, auch ihren Sex (denn kein Mensch
spräche heute noch von der Dame Kasuga, wenn sie den nicht so
glanzvoll gehabt hätte), ihre Energie und ihre Konzentration in
diesem Akt des Tee-Einschenkens wie Lichtstrahlen in einem
Prisma sammelte, so daß Zeit und Welt- und ganz gewiß auch die
_ Polarität der Dame Kasuga und ihrer Teekanne aus kostbarer Ke-
ramik — in einem einzigen allumfassenden «Jetzt!» zusammen-
fiel. Das ist es, was Zen fordert, wenn gefordert wird, eine Sache |
Zee
et
Ze
ho
Anu.
rn und nur diese Eine zu tun, sie aber ganz und gar. Das ist es, was
Meister Joshu sagen wollte: Es ist mehr wert zu pissen, dies aber
mit Aufmerksamkeit, nur dieses Eine, als gleichzeitig zu meditie-
Dee

ren und außerdem noch über die eventuelle Buddha-Natur eines


Schoßhündchens nachzudenken. Deshalb forderte er in der Wei-
terentwicklung seines Koans: «Übergib mir MU.» Und der Schü-
ler nahm irgendeinen Gegenstand, der gerade zur Hand war, und
gab ihn dem Meister. Denn: Alles ist MU. Alles ist nichts. Form
ist Leere. Und Leere ist Form. «Sage mir, wie groß MU ist»,
fragte Joshu. Und der Schüler gab seine eigene Größe an. Denn
der Schüler ist MU ganz und gar — oder zumindest: Ermuß MU
werden. MU ist aller Dinge Maß, auch also das der menschli-
chen Größe.
Ein Koan, das sich im Zwiegespräch zwischen Meister und
Schüler entwickelt, nennt man ein Mondo. Der Meister fragt:
«Wie alt ist Amida Buddha?» Der Schüler antwortet: «So alt wie
ich.» Das ist ein Mondo. Verpaßt er die Antwort, muß er wieder
fortgehen und weiter meditieren. Bis er sie gefunden hat — und
wenn es Jahre dauert.
Ich werde nie vergessen, wie ich zum ersten Mal MU hörte. Es
. war in Kyoto, der alten japanischen Tempelstadt. Vom Miyako-
Hotel, in dem ich wohnte, weil ich davon in einer Erzählung von
Kawabata, dem japanischen Nobelpreisträger für Literatur, gele-
AZe sen hatte, ging ich über die Straße zum Nanzen-ji, einem Haupt-
- tempel der Rinzai-Sekte des Zen. Ich sah mir im Sammon, dem
' Tempeltor, ein in der japanischen Kunstgeschichte berühmt ge-
wordenes Gemälde von Engeln und Vögeln an, dachte darüber
_ nach, was das Gemälde sagen will: daß nämlich die Vögel nichts
anderes singen als die Engel und daß dies ihre Aufgabe ist: «eng-
- lische» Botschaft hörbar zu machen - da erklang mit einemmal
aus einem Seitengebäude alles andere als eine «englische» Bot-
43
als ichan ichnmit Zen:zu ee brach diese
_ mit seiner dunklen vibrierenden Kraft wiederinmirauf.Solchein
'Klang ist es: man hört ihn einmal, versteht ihn nicht, müßte ihn
also sofort wieder vergessen—wie so vieles, was man gerade mal
hört und nicht begreift—,und doch bleibt er in einem: unvergeß-
‚lich. Für immer. Ein Ur- Klang;

Was für Inder und Tibeter das Mantra und für Chinesen und Japa-
ner das Koan ist, das ist für die Sufis das Wazifa. Der erste mysti-
sche Sufi-Orden wurde im Jahre 923 in Persien gegründet. Die gro- 4
' Ben persischen Dichter - Jelaluddin Rumi, Hafizund andere-wa-
ren Sufis. Der Sufismus kann als die esoterische Seite des Islam
bezeichnet werden, aber seine Naturverehrung geht auf den Ein-
fluß Zarathustras zurück; die Philosophie des Hinduismus und
. des Brahmanentums ist ebenso in ihn eingeflossen wie die derjü-
dischen Mystik und des Christentums (vor allem des Johannes-
Evangeliums). All dieser Einflüsse sind sich die Sufis bewußt. Von
hier her kommt ihre Toleranz, die sie unterscheidet von der Mehr- J
heit der Moslems. Sufis beten ebenso in Moscheen wie in christ-
lichen Kirchen, in einer Synagoge wie in einem Hindu- und Bud-
dha-Tempel.
Was die Sufis für unseren Zusammenhang wichtig macht, ist
ihr hohes Bewußtsein von Klang und Musik. Beides nennen sie
Ghiza-i-ruh: Nahrung der Seele. Der Übergang vom Klang zum
Mantra und zum Wort und von dort weiter zur Musik und Dich-
tung ist für die Sufis bruchlos, ja, für den großen Sufi Hazrat Inayat 0Be
Khan (der selber zunächst ein berühmter Virtuose der nordindi-
schen Musik gewesen ist, bevor er in den Westen ging, um den j
Sufismus in Amerika und Europa bekanntzumachen) beginnt
diese Reihe noch früher, nämlich beim Atem: «Wenn wir die Wis-
senschaft über den Atem studieren, dann ist das erste, was wir
feststellen, daß der Atem hörbar ist. Er ist ein Wort für sich selbst,
denn was wir ein Wort nennen, ist nur eine ausgeprägtere Äuße- \
rung des Atems, geformt durch Mund und Zunge. Durch die Fä-
higkeit des Mundes wird Atem zur Stimme, und deshalb ist der
Urzustand eines Wortes der Atem. Wenn wir deshalb sagen: Zu \
erst war der Atem», dann bedeutet dies das Gleiche wie: Im An-
fang war das Wort.»
«Das erste Lebenszeichen, das sich kundtat, ist der Klang-und N
gl .. A

geheime ha Be nn ak erden
ich auf der Kenntnis von Wort und Klang... Es gibt Worte, dieim
Herzen wirken, und es gibt andere, die dies im Kopf tun. Und wie-
er andere haben Macht über den Körper.»
Und Vilayat Inayat Khan- Sufi Hazrats Sohn, Fortführer seines
Werkes und heutiges Oberhaupt der Sufis — fügt an: «Arbeite mit
dem Klang, bis du vollkommen in Staunen gerätst, daß du einen
solchen Klang hervorbringen kannst, und du dich wunderst,
warum gerade du das Instrument bist, auf dem der göttliche Flö-
_ tenspieler seine Töne formt... ae
Gebrauche die Folge der Dbertöne als Jakobsleiter, um aufzu-
steigen. Laß diese Jakobsleiter dem Lauschen auf das Echo des
Echos eines Echos gleichen ... |
Werde du selbst reine Vibration jenseits des Raumes. Wenn der
Laut, der durch deine Stimmbänder hervorgerufen wird, im vibra-
torischen Netzwerk des Universums die Fähigkeit hat, dich zu |
stimmen, dann ist das darum möglich, weilerdich verbindetmit
der Symphonie des Kosmos. Die ständige Wiederholung eines
- physischen Lautes setzteine Klangströmungfrei, einevibrierende
- Welle im Äther durch den Aufbau von Energie... 2
Wir leben gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen. Im Hekha-
loth, dem Buch der himmlischen Sphären der Juden, wird gesagt,
' daß jedesmal, wenn eine neue Seele sich manifestiert ... sie eine
Vibration erzeugt, die mit dem ganzen kosmischen Ozean kom-
muniziert ... Jedes Geschöpf ist die Kristallisation eines Teils die-
ser Symphonie der Vibrationen. So gleichen wir einem Klang, er-
starrt in solider Materie, der fortfährt, unaufhörlich zu klingen —
und das Wort ward Fleisch
f und das Wort ward Fleisch
2 und das Wort ward Fleisch
“ und...»
«Du mußt reine Vibration werden, um fortzuschreiten zu der
- nächsthöheren Ebene —- und immer weiter zu höheren.»
Die Wazifas der Sufis werden meditierend wiederholt wie die
Mantras der Inder. Ihre Wurzelsilben sind vorarabisch. Sie gehen
auf die alte semitische Ursprache zurück, aus der sich sowohl das
Hebräische wie das Arabische entwickelt haben. «Wazifas sind
ie häufiger ah ern Techniken; ee es Bj. us
zu erfahren, mehr Lust zu geben als jegliche Lust, von der Sterb-
liche wissen» und Sexualität in geistige und spirituelle Bereiche
zu transzendieren. Die Tantras — wörtlich heißt das: die «Ge-
webe» - sind ursprünglich in Sanskrit verfaßte Dialoge zwischen 1
dem Gott Shiva als der höchsten Potenz männlicher Kraft und j
seiner Geliebten Shakti als Personifizierung höchster weiblicher
Kraft. Die Mantras, die sie dabei gebrauchen, sind die sprachli-
chen Archetypen dieses Dialoges. j
Es gibt in der tantrischen Überlieferung drei Gruppen von Man-
tras: Die Wahrnehmungs-, die Kontroll- und die Kanalisierungs-
mantras. Die ersteren (Ommm Ahdi Ommm) steigern die Sensi-
bilität und Lustempfindungsfähigkeit. Sie können so mächtig
werden, daß sie bereits zu wirken beginnen, wenn sie nur ausge-
sprochen oder nur gedacht werden, noch bevor irgendeine körper-
liche Berührung stattfindet. Denn, so Shiva: «Das Zentrum der
Lust ist der Geist.» '
Die Kontrollmantras (Pahhh Dahhh O-Mahmmm) werden ge-
braucht, um die Selbstbeherrschung zu steigern: um den Orgas-
mus zu vermeiden und die «Ein-Stunden-Regel» der Tantriker
einzuhalten: Orgasmus frühestens eine Stunde nach der Vereini-
gung. Wenn sie entsprechend oft praktiziert werden, wirken sie
noch jenseits des point of no return, wo sie «die Körper zusolchen
Höhen der Ekstase erglühen lassen, daß sie in einen traumartigen
Zustand verfallen und stundenlang an der Grenze zum Orgasmus,
der nicht stattfindet, festgehalten werden».
Dies ist die schwierigste tantrische Technik: sich im Laufe der
Zeit immer näher an den Punkt des Orgasmus heranzuwagen,
aber mit Hilfe des Kontrollmantras diesen Punkt zu halten und
den eigentlichen Orgasmus zu vermeiden. In der Sprache der Tan-
tras: «In die Tiefe des Meeres zu tauchen, ohne sich zu benetzen.»
Oder: «Auf dem Tiger zu reiten» und sich selbst in den wildesten
Sprüngen nicht abwerfen zu lassen, denn dann würde der Tiger
den Reiter zerfetzen. Reiter und Tiger brüllen gemeinsam das
Mantra, das aus dem Urschrei des Tigers entstanden ist. |
Für die Taoisten ist der Tiger Yin, ein Symbol also der Frau. Das _
Yang-Symbol des Mannes ist der Drachen: Er fliegt und fliegt und
fliegt und kommt, wenn er das Kontrollritual beherrscht, nicht
mehr herunter. Beherrscht er es nicht, stürzt er ab und zerschellt
in der Tiefe -wo ihn der Tiger frißt. Tantriker brauchen nur diese
46
sgi | |
aunnn). Es die diesexuelle Kraftins je Be Spi-
rituelle, «damit die Kraft nicht nach unten, sondern nach oben
steigt» und schafft Eins-Sein zwischen dem sich liebenden Paar
und dem Universum. Die Kanalisierungstechniken können -
nach vorhergehender, oft stundenlanger Praktizierung des Kon-
trollrituals — das sexuelle Bewußtsein bis in Bereiche steigern, in
denen es in ein kosmisches Bewußtsein, wie es sonst nurinder
' Meditation erreicht wird, übergeht.
Da esinzwischen auch in der westlichen Welt Tantra-Kurseund
-Seminare gibt und tantrische Techniken nicht mehrssoseltenwie
früher angewandt werden, ist gerade dies ein Bereich, indem west-
liche Frauen und Männer die Wirksamkeit von Mantras miteiner
nachprüfbaren, immer neu verifizierbaren Kraft erfahren können,
einer Kraft, die ihnen deren Infragestellung als irreal erscheinen
. läßt.

Koans .... Mondos ... Mantras ... Wazifas ... Gebet... wohin wir
- auch schauen, gibtes das Wissenum dieKraftvonKlangundSilbe
_ und Wort. Bei den «Reine-Land-Buddhisten» Japans ist es das
Namu Amida Butsu — wobei das Wort Namu die «Ich-Kraft» be-
zeichnet (das deutsche Wort Name kommt aus der gleichen Ur-
wurzel) und Amida die «andere Kraft» ist, die göttliche. «Namu
' Amida Butsu symbolisiert die Vereinigung der Ich-Kraft mit der
anderen Kraft» (Daisetz T. Suzuki. a
Das Mantra des Nichiren Shoshu Buddhismus, zu dem sich so a
' viele zeitgenössische Musiker in Jazz, Rock und Konzertmusik
bekennen, ist Nam Myoho Renge Kyo, das «Röhren des Löwen», en
' wie es genannt wird. Auch hier bezeichnet die Silbe Nam die kör- ;
perliche und geistige «Ich-Kraft» des Meditierenden; Myoho ist
' das Gesetz des Jenseitigen; Renge heißt eine besonders edle Lotus-
blüte (aber das Wort steht auch für das karmische Gesetz von Ur-
sache und Wirkung); und Kyo ist Wort und Klang, Sprache und
' Stimme, Sutra, sound, vibration. Alle vier Worte zusammen - so
hat es der japanische Priester Nichiren Daishonin im 13. Jahrhun-
dert gewollt - «umarmen» die gesamte buddhistische Sutra: acht
Bände mit insgesamt 28 Kapiteln. Sie stehen stellvertretend für
das Riesenwerk. Beachtenwert in unserem Zusammenhang, daß
Sutra- also die heiligste Überlieferung des Shakyamuni, des Gau-
tama Buddha, die «Bibel» des Buddhismus — auf japanisch Kyo
Welt. Er ist Rn
Abernochmals: Wir brauchen gar nicht so genau zu wissen, 21
ein Mantra bedeutet; es wirkt jenseits des bewußten Intellektes,
__ nurdeshalb kann es das «Überschreiten des mentalen, verstandes-
mäßigen Konzeptes erzwingen». «Du mußt nur reine Vibration j
werden» (Vilayat Inayat Khan). 1|
ı4
Aus dem China des 9. Jahrhunderts ist folgender Mondo überlie- .
fert. Der Schüler fragt seinen Zen-Röshi: «Wie muß ich recht hö- h
ren?» Der Roshi: «Nicht mit den Ohren.» Der Schüler erbittet
weitere Erklärungen, aber der Meister sagt nur noch: «Hörst du \
jetzt?» Jetzt! In diesem Moment findet der Schüler Erleuchtung.
(Auch hier wieder das Zen-Jetzt!) |
Tozan, ein Zen-Weiser des 9. Jahrhunderts, dichtete:

«Laß das Auge die Klänge fangen.


Dann wirst du endlich verstehen ...»

— was gewiß keine Bevorzugung des Auges gegenüber dem Ohr


‘bedeutet. Tozan hätte ebensogut sagen können: «Laß dein Ohrdie _
Farben einfangen. Dann wirst du endlich verstehen.» Worauf es
ankommt - das ist das Transzendieren dessen, was alle tun: die
attacca auf das Offensichtliche und Oberflächliche herkömm-
licher Verhaltensmuster. Das Unhörbare der Klänge. Das Unsicht-
bare der Farben. Das Sichtbare der Klänge. Das Hörbare der bar: |
ben. Das Mu. R
Jahrhunderte hindurch haben die großen indischen und tibeti-
schen Weisen immer wieder auf die Kraft hingewiesen, die Man-
tras besitzen. Die Tibeter sagen, das gesamte Universum sei aus
dem Urlaut OM entstanden — dem Ur-Mantra, der Ur-Silbe, die
immer wieder neu «Es werde» spricht. Das ist eine Vorstellung,
die auch von Menschen, die in der jüdischen und christlichen
Überlieferung aufgewachsen sind, nachvollzogen werden kann.
Denn auch für uns ist ja die Welt aus einem Mantra entstanden:
aus dem «Es werde» Gottes.

«Es werde»: Das ist ein Mantra — und ein Mantra ist: Wort! Des-
halb heißt es im Johannes-Evangelium: «Im Anfang war das Wort.
Und das Wort war bei Gott. Und Gott war das Wort.» Das Wissen
um die mantrische Kraft von Gottes Wort gibt es nicht nur bei
Sr
48
Vie item ee im seta des ne Die-
ses Wissen «trägt» die Heilige Schrift. Deshalb ist sie Gottes
ort. ;
Weil Goethe Mantras nicht kannte, heißt es im «Faust»:

«Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,


ich muß es anders übersetzen.»

Indem er das Wort durch die Tat ersetzte, hat Goethe das getrübte
USnen
until
ne
Z
Verhältnis zu Wort und Mantra des wissenschaftlich-techni-
schen Zeitalters auf eine Formel gebracht, die zum Bildungsbe-
stand geworden ist. Getrübt ist vor allem das Verhältnis vieler
Protestanten zum Mantra und zur Gebetswiederholung. Mit Un-
verständnis und Hochmut schauen sie auf die Gebetsmühlen der
Tibeter und auf die 150 Ave Marias des Rosenkranzes der Katho-
- liken herab. Für sie ist dies nur ein «gedankenloses Herunterplär-
ren und Nachplappern», ohne daß sie sich die Mühe machen, in
das einzudringen, was hier wirklich geschieht, nämlich die be-
- dingungslose Befolgung des Christus-Wortes «Betet ohne Unter-
- laß» (Lukas 18,1).
Mantras und Wazifas sind Symbole des Ur-Klangs. Wenn näm-
lich die Welt Klang ist und wenn dieser Klang, der die Welt ist,
uns sterblichen Menschen rational letztlich unerreichbar ist,
dann brauchen wir Spiegelungen, Symbole, Gleichnisse. Auch
deshalb, um uns verständlich machen zu können. Uns selbst und
anderen gegenüber.
Mantras und ihre bijas, ihre Keimsilben, stehen nicht nur am
Anfang der Sprache, sondern auch am Anfang der Musik - ja alle
- Musik, die sich ihrer spirituellen Herkunft bewußt ist, ist nichts
als eine einzige große Variation des Ur-Mantras, des Ur-Lautes,
- den sie sucht - in allem, was in ihr erklingt. Die spirituelle Lite-
_ ratur ist voll einer solchen Deutung von Musik. Im Tibetani-
schen Totenbuch hört der Verstorbene auf seiner Wanderung
‘ durch das «Zwischen-Totenreich» «unzählige Arten musika-
_lischer Instrumente, die ganze Weltensysteme mit Musik füllen
"und sie zum Vibrieren, zum Beben und Zittern bringen mit Tö-
nen, die so mächtig sind, daß sie einem das Hirn betäuben ...»

Immer wieder habe ich die Erfahrung gemacht: Die Begriffe «Ur-
Laut» und «Ur-Ton» gehören für zahllose Menschen so sehr zum

N
meines Wissens der Dichter Christian Morgenstern getan n
' erklärt zu werden brauchen, wie auch Morgenstern sie nic
klärte und wie sie daschwohl auch bei ihm sofort verstanden
den: sie sind «archetypische Begriffe».
Die Upanischaden nennen den «Ur-Ton» das Sabda Bra
den Laut des Gottes Brahma, den kosmischen Laut, dessen wir
kende Kraft allen Worten, die Wesentliches aussagen, innewohnt. |
Für die Veden ist es das Anahäd: der «unbegrenzte Ton», für die
Musiker und Weisen Indiens seit der Mogul-Zeitist Nada Brahma
‚der Ur-Klang, der als «Brahma-Klang» und «Welt-Klang» un
«Gott-Klang» verstanden wird. Um ihn verstehen zu können, be- |
darf es des Nada Yoga: der Zucht und Übung und Schulung durcht3
Klang. Bei den Sufis heißt der Ur-Ton Saute Surmäd: der Ton, der
den Weltraum erfüllt. Mohammed vernahm ihn in der Höhle von
' Gare-Hira, als er sein Erleuchtungserlebnis hatte. Auch hier also—
auch im Islam — gibt es den Ton, der «Es werde» spricht - und:
Alles ward! Sufi Hazrat Inayat Khan sagt:

«Dieser Ton ist die Quelle aller Offenbarung ... i


Wer das Geheimnis dieses Tones kennt, “
kennt das Mysterium des Weltalls.» ’

Und auch in der hebräisch-jüdischen Welt gibt es eine Ahnung


von diesen Dingen. Die Posaunen, die die Mauern von Jerichoein-
stürzen lassen, sind Symbole von Ur-Klang und Ur-Musik. Der
«Posaunenengel» ist eine christliche Ur-Vorstellung. Der Engel
bläst nicht Posaune, er bläst Ur-Klang. |
Mantras gibt es auch:in der christlichen Welt. Amen, das mit,
dem Rosenkranz gebetete Ave Maria, Halleluja, Oskune, Kyrie
Bleison— das alles sind Mantras. Das letztere, das Herr Erbarme N
Dich, ist das «Jesus-Gebet» der Ostkirche, dar die Wandermön-
che, durchs Land ziehend, oft jahrelang vor sich hinmeditieren. F
Wer Mantra-Geschichten aus der asiatischen Welt skeptisch ge-
genübersteht, kann in den von Emmanuel Jungclaussen herausge-
gebenen «Aufrichtigen Erzählungen eines russischen Pilgers»
Wichtiges aus dem Umkreis unserer abendländisch- -europäischen
Welt über Methodik und Wirkungsweise von Mantras finden: «Da
lehrte mich eine Pilgerin, die ich kannte, ich solle, wenn ich un-
terwegs bin, unabläßlich das ie Gebetsprechen, und sie versi-.
widerfahren könne..
So zog ich denn meines Weges und verrichtete unabläßlich das
mündliche Gebet. Endlich fühlte ich nach nicht gar zu langer RN
Zeit, daß das Gebet ganz von selbst ins Herz überzugehen be-
gann, das heißt, das Herz fing an, beim gewöhnlichen Schlagen,
gleichsam Eu rlich, die Gebetsworte mit jedem Schlage auszu-
sprechen..
Ich hörte auf, das Gebet mit den Lippen zu sprechen, und
horchte mit Eifer darauf hin, wie das Herz es sprach ...
Setz dich still und einsam hin, neige den Kopf, schließe die Au-
. gen, atme recht leicht, blicke mit deiner Einbildung in dein Herz,
_ führe den Geist, das heißt das Denken aus dem Kopf ins Herz.
Beim Atmen sprich, leise die Lippen bewegend oder nur im Gei-
ste: «Herr Jesu Christus, erbarme Dich meiner. Gib dir Mühe,
alle fremden Gedanken zu vertreiben, sei nur still und n. Ge-
duld und wiederhole diese Beschäftigung recht häufig...
Bewußt oder unbewußt müssen die Übersetzer der Heiligen
Schriften gespürt haben, daß Amen, Halleluja und Kyrie Eleison
Mantras sind. Deshalb haben sie diese Worte unübersetzt gelas-
sen — was doch auffallen muß, da sie alles andere in die jeweilige
Landessprache übersetzten.
Mantrisch müssen aber auch viele der übersetzten Worte und
Sätze der Heiligen Schrift — unserer wie jeder anderen — verstan-
den werden: das «Wort» des Johannes-Evangeliums, das «Friede
auf Erden» der Weihnachtserzählung, und natürlich auch - wie
schon erwähnt - das «Es werde» der Schöpfungsgeschichte. Und
vor allem sind auch bei uns - wie überall - die göttlichen Namen
' Mantras: Gott, Jesus, Christus, Maria, Herr, Schöpfer ... Der
- Name - wir werden davon sprechen - hat magische Kraft. Nicht
zuletzt deshalb ist nam eine Ur-Silbe; es gibt sie auf der ganzen
Erde - bis hin zum namu des Amida Buddha in Japan.
Ein Echo des mantrischen Ur-Klanges, des Nada Brahma, hallt
auch in der deutschen Mystik des Mittelalters nach — sogar noch
- bei Jakob Böhme. Der schlesische Mystiker (und Schuhmacher-
_ meister) des frühen 17. Jahrhunderts nennt es den «Hall»: «Denn
>»am
‚mit dem Hall oder Sprache zeichnet sich die Gestalt in eines an-
_ deren Gestaltnis ein, ein gleicher Klang fänget und beweget den
andern, und im Hall zeichnet der Geist seine eigene Gestaltnis,
welcher in der Essenz geschöpfet hat, und hat sie im principio
zur Form gebracht ...» — «Aus der Essenz urständet die Sprache
‚oder der Hall ...» — «Das Innere offenbaret sich im Halle des Wor-
5I

LE
I E
"von Gott geredet, geschrieben and Rn wird, aber ohneHall
. das ist stumm und ohne Verstand.»

2 Aber es gibt die Ahnung des Ur-Tones und Ur-Lautes in unsere


‚eigenen Welt auch in neuerer Zeit. In der Romantik: bei E.T. A.
Hoffmann und A.W. Schlegel, bei Brentano und Novalis (der
wahrhaftig ein Eingeweihter gewesen ist) und bei Tieck. Jean Paul
spricht von der Musik als «Nachklang aus einer entlegenen har- D
monischen Welt», als «Seufzer des Engels in uns». Und von Ei-
chendorff stammt die Strophe, dieviele von uns aus ihrer Kindheit ‘
kennen: |

«Schläft ein Lied in allen Dingen, Mes: 1


die da träumen fort und fort,
und die Welt hebt an zu singen,
triffst du nur das Zauberwort.»

Dietrich Bonhoeffer dichtete in der Zelle des SS-Gefängnissesin


der Berliner Prinz-Albrecht-Straße, wenige Wochen bevor die Ge-
stapo ihn erhängte, vom «vollen Klang der Welt, die unsichtbar
sich um uns weitet» - jenem Klang, der allein in der Stille, seies. |
auch die der Gefangenenzelle, hörbar wird. Für Paul Celan istder
Ur-Klang ein «Dröhnen»: Es dröhnt, als sei «die Wahrheit selbst |
i
unter die Menschen getreten, mitten ins Metaphern-Gestöber». |
Und Rilke in der ersten «Duineser Elegie»:

«Stimmen, Stimmen: Höre, mein Herz, wiesonstnur 2


Heilige hörten: daß sie der riesige Ruf N
aufhob vom Boden, sie aber knieten,
Unmögliche, weiter und achteten’s nicht: TE
so waren siehörend.... Aber das Wehendehöre, | u
die ununterbrochene Nachricht, die aus Stille sich bildet.»

Vom «Zauberwort» ist inden Märchen und Sagen fast aller Völker
der Erde die Rede. Auch in denen unserer eigenen Überlieferung. j
Das «Zauberwort» ist das Mantra. Es ist die Ur-Spannung, diedie
Welt schuf. Denn: der «Ton» schuf die Welt. Das Wort:i
. «Spa! no, griechisch, heißt: «ich spann
os ist deshalb auch: das Seil, die Seide, Anstrengung, Kraft,
achdruck, Ernst. Es ist die Spannung der Saite, inderen einem
on alle Töne schwingen. Auch in einem etymologischen Sinne
also ist der Ur-Ton die Ur-Spannung. Wir werden das späterin
_ diesem Buch noch gründlicher tun: daß wir der Sprache -ihrem
Klang und dem Sinn ihrer Ur-Silben und Ur-Worte- nachhorchen.
Eindrucksvoll weist Heinrich Zimmer auf die Bruchlosigkeit
des Übergangs vom Laut zum Mantra und vom Mantra zum Zau-
berwort und zur Kraft großer Dichtung hin: «Wie es im ersten
Lautwerden beschwörender Zwang war, mit dem Unmittelbares
den Seher-Dichter als Bildund als Wort überkam, Zwang, mit dem
der Dichter Unmittelbares im Bild und im Wort bewältigte, soist
es für jede zukünftige Generation, die Mantra-Worte zu gebrau-
chen weiß, beschwörender Zwang, magisches Mittel, um unmit-
telbar Wirklichkeit - Erscheinung der Götter, Spiel der Kräfte-zu
wirken. Das ist ja das Eigene am wahren Dichter, daß sein Wort
unbestreitbare Wirklichkeit schafft, ein Wirkliches unmittelbar
_ aufruft und entschleiert. Sein Wort redet nicht, es wirkt.»
Die Bruchlosigkeit der Übergänge vom Klang und vom Laut
_ zum Wort und zur Sprache spielt auch indem Werk, dasfürGene-
_ rationen von Germanisten zum Schlüsselwerk wurde, eineent-
scheidende Rolle - in Herders «Über den Ursprung der Sprach»
von 1770 mit seinem damals wie heute schockierenden ersten
Satz: «Schon als Tier hat der Mensch Sprache.» Für Herder war das }
Ohr der «erste Lehrmeister der Sprache». Der «Mensch erkannte a.
das Schaf am Blöken ... Was ist das anders als Wort!» «nalen
Sprachen des Ursprungs tönen noch Reste dieser Naturtöne ...»,
«so daß sich die Laute aller uns bekannten Sprachen auf etliche
Da

zwanzig Buchstaben bringen lassen.» Sprache ist für Herder eine


«Weiterführung der Schöpfung», es gibt für ihn eine «Identität von
- Sprache und Seele» (Karl König).

Daß ein Mantra, daß ein einziger Wortklang, eine einzige Silbe,
prägende, gestaltende, schöpferische Kraft besitzen soll: die ratio-
" nalisierten Menschen des Westens haben lange darüber gelächelt.
Es scheint, daß ihnen heute - in dieser Generation — das Lächeln 5
vergeht. Inzwischen gibt es in der westlichen Welt mehr Meditie-
rende als in der östlichen. Sie haben die Wirkung von Mantras an
sich und anderen erfahren. Und vor allem: Die moderne Wissen-
ande bestehen aus Sch heangen. Unsere Nerven,
lien, Zellen schwingen ebenfalls, was notwendigerweise—so for-
"dert esdas Resonanzgesetz— bedeutet: wir reagieren auf Schwin-
gungen —und zwar, wie man heute weiß, auf die allerfeinsten und i
allerschwächsten, sogar auf solche, die noch vor wenigen Jahren
nicht meßbar waren- etwa die Gehirnwellen—, deshalb logischer-
weise auch auf solche, die vielleicht erst in der Zukunft meßbar
sein werden (zumal doch die Tatsache, daß die Wissenschaft nun ep
Nee
Bape

schon anderthalb Jahrhunderte lang ständig neue Wellen und


Strahlen entdeckt, zu der plausiblen Schlußfolgerung führen
muß: Es werden auch weiterhin Wellen und Strahlen und Schwin- e
gungen entdeckt werden, ja die Entdeckung jeder neuen Schwin-
gungsart ist ein Indiz dafür, daß noch zahlreiche andere zu entdek-
ken sind. Nur der Rationalist sieht das anders: Unbelehrbar wähnt
er sich ständig und immer wieder - in jeder Generationneu-im
Besitz des letzten und endgültigen Wortes, und es gelingt ihm ein-
fach nicht, sich bewußt zu machen, daß seine Söhne und Nachfol-
ger schon wieder ein anderes «letztes», noch «endgültigeres»
‚Wort haben werden, das dann wiederum von deren Söhnen und
Nachfolgern überboten oder widerlegt wird. Das gehört zum Ab-
. surdesten am Gehabe der abendländischen Wissenschaft: daß sie
sich ununterbrochen, jahrhundertelang, alle 20 oder 30 Jahre wie-
der neu in dem Bewußtsein spreizt, sie hätte den Endpunkt wis-
senschaftlicher Erkenntnis erreicht, und aus diesem Bewußtsein
— das ein Bewußtsein des Hochmutes ist — ihre Erkenntnisse an
Schüler und Nachfolger und an ihre Umwelt vermittelt). Kein
Zweifel jedenfalls: Die Tatsache, daß bestimmte Schwingungen
und Strömungen seitJahrhunderten gefühlt werden, ist gewich-
tiger als deren — morgen vielleicht schon verifizierbare - Meßbar-
keit. j
Vilayat Inayat Khan: «Bei den Mantra-Übungen knetet mannes \
wahre Fleisch unsres Körpers mit Klang. Die reinen Zellen dieses
vollkommenen Bündels von Nervenfasern, die die Plexi oder
Ganglien bilden ... sind einem ständigen Hämmern unterwor-
fen.... Es gibt eine Art von ne des Fleisches durch die
Vibrationen des Klanges..
Die Tibeter sind ein ke Volk. Wären sie nur die Mysti-.
ker, als die man sie in der westlichen Welt sieht, sie hätten nicht
überlebt in der Unwirtlichkeit des Schnees und Eises ihrer Berg-
welt. Sie würden nicht ein halbes Leben lang Mantras tezitieren

54
N Tebn Blofeld erzählt i in seinem Buch «Die Macht des Heike
_ Lautes» von einem alten Mönch, der auf die Frage nach dem Ur-
‚sprung der heiteren Ruhg, die er ausstrahle, geantwortet habe, daß
es der Klang der Mantras sei, der es dem Geist ermögliche, auf
geheimnisvolle Weise seine verborgene Übereinstimmung mit
dem tao, dem Ur-Weg und dem Ur-Sinn des Seins, zu erfahren.
Blofeld schreibt: «Ich selbst wurde schließlich fähig, die Überle-
genheit der mantrischen Form gegenüber dem Gebet zu erfahren.
Da Gebete eine begriffliche Bedeutung haben und das durch sie
heraufbeschworene Denken die Stille des Geistes beeinträchtigt,
kannder Geist keinen ruhigen und ungestörten Zustand erlangen,
in dem die Stille des Ursprungs widergespiegelt wird. Erbleibtan
Dualismen hängen - wie «Ich, der Beter, oder «Er, der Angebetete».
Das Gebet ist bestenfalls eine Vorform der mystischen Vereini-
gung. Und was Gebete betrifft, die eine Bitte enthalten, kann wohl
kaum etwas unspiritueller, ungeistlicher sein, als um Sieg oder
um ein bestimmtes Wetter oder um Glück zu beten, was doch
letztlich immer nur auf Kosten anderer erreicht werden kann.»
Auf die Überlegenheit des mantrischen gegenüber dem christ-
lichen Gebet weist auch Lama Govinda hin. Er vergleicht die Mu-
dras, die Gebetshaltungen Buddhas und der buddhistischen Welt
etwa die in Brusthöhe aneinander gelegten Handflächen und
ihre nach oben weisenden und von oben her aufnehmenden Fin-
gerspitzen — mit den gefalteten Händen des Christentums: «Im
Gegensatz zu dieser natürlichen (nämlich der asiatischen) Geste
des Betens ... steht eine andere Geste, in der die Finger so ver-
schlungen werden, daß es scheint, als ob die betende Person gefes-
selt wäre oder sich bemühte, in einem Gefühl der Hilflosigkeit
und Verzweiflung etwas durch die schiere Kraft des Willens zu
. erreichen. Es ist bezeichnend, daß diese Geste ...in den Ländern
des Westens gang und gäbe ist. Es entsteht die Frage: Ist diese Ge-
betshaltung nicht ein Spiegelbild der verspannten, wenn nicht ge-
radezu verkrampften Haltung des westlichen Individuums?»

N achdem in unserer Zeit auch in der westlichen Welt ein Bewußt-


' sein von der Kraft der Mantras entstanden ist —von Mantras als
einer Spiegelung des Ur-Klanges-, sollte esnun auch wieder mög-
- lich werden, den mantrischen Gehalt zum Beispiel eines Hallelu-
jas oder eines Osannas von Johann Sebastian Bach neu zu entdek- .

De
Bache h-moll-Messe — völlig Bade ee a
noch eben gehört wurde, wenn in allem, was darin erklingt, |
mantrischen Gehalt des Wortes Osanna nachgehorcht und der
Ur-Klang erspürt wird. Ja, wir werden lernen müssen, eine solche |
Musik anders zu hören, wenn wir sie nicht im Lauf derkommen-
den Generation verlieren oder Gefahr laufen wollen, sienurnoch
als Exotikum wahrnehmen zu können. Das ist die Negativ-Seite
jener Bewußtseinsänderung, von der in diesem Buch die Redeist.
Was nicht mit-verändert wird, nicht - im Sinne eines bewußten,
mit Anstrengung verbundenen Aktes — «mit-genommen» wird,
was immer nur im Schlendrian einer bequem gewordenen Über-
lieferung weitergeschleppt wird, das wird uns verloren gehen.

Im Koan- und im Mondo - begegnen einander die spirituelle Kraft


des Buddhismus und die Rationalität des chinesischen Konfuzia-
nismus. Die ersten Koans im heutigen Sinn gab es bei den Sung-
Meistern Chinas im 12. Jahrhundert. Aber es ist charakteristisch,
daß es erst die Japaner gewesen sind, die, beginnend im 13. Jahr-
hundert, die Koan-Technik perfektioniert haben. Koans sind prak-
tisch und intensiv wirksam. Sie sind nicht denkbar ohne die prak-
tische Ader der Chinesen und ohne die Effizienz der Japaner.
Daisetz Suzuki erinnert daran, daß die Absurdität, das Unsinnige
vieler Koans — «Gehe zu Fuß, indem du auf einem Esel reitest»,
«Gebrauche den Spaten, den du in deinen leeren Händen hältst» —
zuallererst einmal den Verstand anspricht: indem es ihn nämlich
herausfordert, ja geradezu beleidigt - und daß gerade rationale ja-
panische und chinesische Menschen hierauf ansprechen.
Das ist ja eine Grundsituation des Zen-Meditierenden: Er sagt
sich, wenn mein Röshi mir eine solche Aufgabe aufgegeben hat
und behauptet, sie sei lösbar, dann muß sie lösbar sein, ich muß
sie also lösen können. Es ist nun einmal menschlich - und zumal
chinesisch und japanisch —, daß dieser Gedankengang automa-
tisch bedeutet, die Lösung habe mit dem Verstand- und mit Kraft
und mit Wille und Klarheit - zu geschehen. Das ist der Trick des
Koans: Indem der Verstand die ihm aufgegebene Frage tage-, wo-
chen-, jahrelang abtastet, entdeckt der Schüler ganz von allein:
Mit dem Verstand komme ich nicht weiter. Es gibt keinerationa-
. lere Methode, die Grenzen der Rationalität zu erkennen und- was
wichtiger ist— selbst zu erfahren als die Arbeit an einem Koan. Wer
sie getan, wereein Koan gelöst hat, mit dem ist nicht mehr darüber
56

Ga le Na Nee PERRRN.
aus,
| in eineEfeckpinie say dein leesin Bun; iR
Wort «Sackgasse» verwendet, schreibt: «Vom Verstandirgendeine
_ endgültige Antwort zu erwarten, hieße ihn überfordern, denn das Fo
liegt nicht in seiner Natur. Die Antwort liegt tief unter der unter-
. sten Schicht unseres Wesens vergraben ... Was wir auch über den
Verstand sagen mögen, er ist schließlich nur oberflächlich. Er ist er

_ etwas, das auf der Oberfläche des Bewußtseins dahintreibt. Die


Oberfläche muß durchbrochen werden ... Der Verstand wird be-
nötigt, um, wenn auch nur sehr vage, festzustellen, wo sich die
; Wirklichkeit befindet, aber die Wirklichkeit läßt sich nur erfas-
sen, wenn der Verstand seinen Anspruch auf sie aufgibt. Das Zen
weiß das und gibt als Koan.... etwas, das sich so gibt, als erfordere
eseine logische Behandlung, oder vielmehr, das so aussieht, als ob
für eine solche Behandlung Raum wäre.»
Den westlichen Menschen mag es überraschen, wenn er be-
merkt, daß im Buddhismus Chinas und Japans, im Konfuzianis-
mus und Taoismus Chinas, im Zen Japans das rationale Element
dennoch in einem Maße eingebaut ist, das weit hinausgeht über
_ alles Vergleichbare in der christlichen Welt. Zweifellos führt doch
das Christentum schon viel eher an die Grenzen des Verstandes
als die Spiritualität Ostasiens. Im Christentum steht man von An-
fang an an der Grenze. Christi Kreuzestod und Auferstehung und
die dadurch ermöglichte Erlösung der Menschen übersteigt den
Verstand. Der Buddhist Chinas und Japans, der Konfuzianer, der
Zen-Anhänger kann mit Verstand sehr viel weiter gehen als der
christliche Denker. Christentum und Rationalität schließen ein-
EEE,

andervielgrundsätzlicherausalsZenundRationalität.Esist wich-
tig, daran zuerinnern, weildie Rationalisten Europas natürlich das
Gegenteil meinen. Sie meinen, ihre eigene christlich-abendländi-
- sche Welt habe die Rationalität für sich gepachtet, während ihrer
Ansicht nach Zen und Irrationalität unlösbar zusammengehören.
Das ist die Reaktion von Leuten, die vor dem Irrationalen so viel
Angst haben, daß sie darüber vergessen, genauer hinzuschauen —
‘wie es ja überhaupt zum Wesen des wissenschaftlichen west-
lichen Denkens gehört, daß es seine Rationalität, seine Disziplin,
_seine Sicherheit und seine Methoden sofort aufgibt, wenn es in
Bereiche gerät, die sich ihm-und sei es nur scheinbar- entziehen.
Ein solcher Bereich ist Zen.
Das empört den Rationalisten ganz besonders: daß man mit den
_ Mitteln der Logik und Rationalität deren Unangemessenheit um
AT)
VE
.
ee
a

#37
auf oa und Rationalität.
Ein Weg, um die Bedingtheit und Boprenshen von Logik
ratio zu erkennen, führt über das Bewußtsein, daß das, was der
westliche Mensch «Logik» nennt, nur eine unter erschien i
möglichen «Logiken» ist. Denn das eben kennzeichnet das Logik-
Bewußtsein des westlichen Menschen und seinen Hochmut: «Lo-
'giken» im Plural gestattet ihm nicht einmal die Sprache; für ihn
gibtesnurdie eine Logik, die seine, die aristotelische-und das
eben ist falsch. i
Wenn ich erinnern darf: die aristotelische Logik beruht aufdem
Satz der Identität (a gleich a], dem Satz vom Widerspruch (akann
nicht gleich nicht-a sein), und dem Satz vom ausgeschlossenen
Dritten (a kann nicht sowohl a wie nicht-a sein). Neben ihr gilt-
seit alters bekannt — die sogenannte paradoxe Logik. Sie postu-
liert, daß a und nicht-a gleichermaßen Prädikate von x sein dür-
fen. Der alte chinesische Weise Dschuang-tse sagte: «Was eines
ist, ist eines. Was nicht-eines ist, ist ebenfalls eines.» Und Erich
Fromm: «Die paradoxe Logik herrscht im chinesischen und indi-
‚schen Denken, in der Philosophie Heraklits und fernerunterdem
Namen Dialektik in den Gedanken von Hegel und Marx vor.»
‚Der rationale abendländische Mensch meint, daß die Welt «lo-
gischerweise» allein nach aristotelischer Logik funktioniere.
Bhagwan nennt das die Aristotelitis, die «große Seuche». Der
abendländische Mensch ist dieser Seuche so sehr verfallen, daßer
‚nicht bemerkt, daß selbst in seinem nächsten Umkreis ständig
auch paradoxe Logik herrscht. Freud hat den Begriff der Ambiva- |
lenz geschaffen: Man kann zur gleichen Zeit fürdie gleiche Person
Liebe und Haß empfinden. Wir meinen, dies sei «unlogisch», |
und doch tun viele von uns es täglich. Es ist «unlogisch» nurnach. |
den Gesichtspunkten deraristotelischen, aber durchaus «logisch» |
nach denen der paradoxen Logik. 1
Carl Friedrich von Weizsäcker weist in Anlehnung an die Ma- |
thematiker und Physiker J. v. Neumann und Birkhoff darauf hin, \| |

daß die Quantenmechanik der modernen Atomphysik längst. |


schon ihre eigene Logik, die «Quantenlogik», entwickelt hat, de- |
ren Gleichungen und Sätze Weizsäcker in seinem Aufsatz «Quan-
tenlogik und mehrfache Quantelung» erläutert und seinerseits.
weiterentwickelt hat. Weizsäcker: «Der Verdacht eines Versagens.
der klassischen Logik stammt aus dem Versagen der klassischen
Be en in . ee . Was ver- y
cker weist darauf. ‚daß on alasık «mit der ve
ä derten Einstellung der Önsntenthearie zum methodischen An-
satz der Subjekt-Objekt-Trennung zusammenhängt», jener Tren-
nungalso, die auch Zen als trügerisch erkannt hat. Ein Hauptsatz
des Zen-Meisters Hakuin lautet: «Die Unterscheidung zwischen
Subjekt und Objekt gibt es nur so lange, als Ich-Bewußtsein
vorhanden ist.» Jeder moderne Atomphysiker kann diesen Satz
vorbehaltlos unterschreiben — nur daß Hakuin ihn bereits in der.
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts formulierte, während die Quan-
tenmechaniker erst unter dem Eindruck der Heisenbergschen Un-
schärferelation in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts (als
der beobachtende Mensch, eben das «Ich-Bewußtsein», in den Mi-
krokosmos drang) zu ähnlichen Erkenntnissen kamen.
Wiedereineandere Art von Logik- defactomehrere «Logiken» — =PT

_ erfordert die Mehrdimensionalität, wie sie sich unter dem An-


ET
S
spruch der Relativitätstheorie uud der Minkowskischen Glei-
chungen ergeben hat, so daß Govinda zwar vereinfachend, aber
- letztlich richtig folgern darf: «Es gibt ebensoviel verschiedene Ar-
ten von Logik, wie es Dimensionen gibt.» Der Lama Govinda
weiß sich einig mit dem Atomphysiker Heisenberg, wenn er die
«Überwindung jener eindimensionalen, gradlinigen Logik» for-
dert, «die mit dem Messer des Entweder-Oder die Welt zerschnei-
det und aus ihrem zerstückelten Leichnam einen abstrakten Be-
griffskosmos aufzubauen versucht.»
Govinda erinnert daran, daß es ähnliche «Logiken», wie sie
? durch die moderne theoretische Physik unabweisbar geworden
sind, schon vor Jahrtausenden im Hinduismus und Buddhismus
Indiens gegeben hat: Die indische Logik «baut sich nicht auf dem
Satz vom Widerspruch und dem ausgeschlossenen Dritten auf,
sondern auf einer vierfachen Logik, die folgende Aussagen über
ein Objekt zuläßt:

. esist,
. esist nicht,
.esist und ist nicht,
+
PR. es kann von ihm weder gesagt werden, daß es ist,
noch daß es nicht ist.

) Mit ae Worten, die indische Logik Par aen vier Mög-

nn\o
EI
3. Sein oh als Nicht-Sein,
4. Weder Sein noch Nicht-Sein.

Unser westlicher Logik-Begriff ist nicht ul durch die west-


lichen Sprachen konditioniert. Es kann kein Zufall sein, daß die s
aristotelische Logik im alten Griechenland entstand, also in der
Sprache, die das Subjekt-Objekt-Denken, das all unsere west-
lichen Sprachen trägt, zum erstenmal klar ausprägt und gleich da-
mals so großartig und bildhaft realisiert hat wie keine spätere. N
C. Ev. Weizsäcker spricht von der «Sprachbezogenheit derDenk-
systeme der großen Kulturen». Er weist daraufhin, «daß die Philo- :
sophien ... eng mit den grammatischen Strukturen ihrer Sprache
zusammenhängen. Das Subjekt-Prädikat-Schema der aristoteli-
schen Logik entspricht der grammatischen Struktur des griechi-
schen Aussagesatzes.»
Bereits Nietzsche merkte an, daß sich die «wunderliche Fami-
lienähnlichkeit» westlichen Philosophierens «einfach genug» er-
kläre: nämlich durch die «unbewußte Herrschaft und Führung
durch gleiche grammatische Funktionen». ä
Demgegenüber bewegt sich das chinesische und japanische
Sprachdenken nicht geradlinig vom Subjekt mit Hilfe des Verbs
auf das Objekt zu, es umkreist seinen Gegenstand und kreist ihn
ein, bis er— und das setzt ein inneres Geschehen voraus - ge-
nauso präzisiert ist wie die Gegenstände in unseren westlichen
Sprachen, ja Kenner meinen: Er ist dann sogar noch stärker präzi-
siert, weil er nicht einfach «objektiviert» wird, sondern Subjekt
und Objekt iin ihm «eins werden», Aktiv und Passiv zusammen-
fallen. ; |
Das beginnt - eindringlich genug — mit dem Ich, dem «Subjekt
aller Subjekte». Die japanische Sprache hat zehn verschiedene
Möglichkeiten, es auszudrücken — was freilich nicht dazu führt,
daß der Reichtum dieser Möglichkeiten genutzt wird; im Gegen-
teil: sie werden unterdrückt. Und nicht nur das Ich, das Subjekt,
sondern auch das Du, das Objekt, wird vermieden. Keine Japane-
rin wird ihrem Geliebten sagen: Ich liebe dich. Sie sagt: «Aishi-
teru.» Zu deutsch: Lieben. Das «Ich» und das «Du» wird nicht
benötigt, es bildet eine Einheit im «Lieben». Nicht einmal eine
entsprechende Endung am Verb ist erforderlich. Dabei ist unsere i
Japanerin, wenn sie «Aishiteru» sagt, schon ungewöhnlich mo {
60
uszudrücken
Der japanische Philosoph Ryogi Okochi, der auf diese Ding:
hinweist, gibt ein Beispiel aus einer alten japanischen Gedicht-
sammlung, dem aus dem 8. Jahrhundert stammenden Manyoshu.
. Das betreffende Gedicht lautet in deutscher Übersetzung folgen-
dermaßen: ng.

«Wenn ich Melonen esse, muß ich an meinen


Sohn denken. Er ist gestorben.
Wenn ich Maronen esse, bin ich seiner um so
mehr eingedenk.
Maronen liebte er noch mehr als Melonen.
Woher kommt mir so eindringlich das Gesicht meines
Kindes?
|
a
LT
Sein Antlitz hängt ständig vor meinen Augen,
; so daß ich auch nachts keinen Schlaf finden kann.»
te
et
- Im japanischen Original steht aber viel weniger - nämlich:
A
u

Uri hameba kodomo omohoyu —


f zu deutsch: Wenn Melonen essen,
i Sohn denken.
h kuri hameba masthite shinobayu
| Wenn Maronen essen,
um somehr.
# izuku yori kitarishi monozo
Woher kommen?
e managaini motona kakarite
Vor Augen hängend immer.
$. yasuishi nasanu
Y Kein ruhiger Schlaf.

Man bemerkt: Fast alle Subjekte und Objekte fehlen. Aber das
Seltsame ist: Sie fallen nicht heraus, sie fallen zusammen. Beson-
ist dies gleich im ersten Satz: In «Sohn denken» ist
ders auffällig
auch das «Sohn» kein Objekt mehr. Es bildet eine Einheit mit dem
denken», und da auch das Wort «ich» in diese Einheit gleichsam
: einen Bild: die Einheit ters mit dem Denken mit
_ dem Sohn.
Wir bemerken: Das Eins-Werden, das Zen fordert, ist sprach-
lich vorgeprägt. Einem Menschen, der diese Sprache spricht, \
muß es sehr viel leichter fallen, «Eins-Sein» zu erreichen, als je-
mandem, der von Kind auf durch seine Sprache dazu erzogen.
wird, auch den einfachsten Vorgang in Subjekt, Prädikat, Objekt
auseinanderzunehmen.
Aber nicht nur Subjekt und Objekt fallen zusammen, auch Ak- '
tiv und Passiv erübrigen sich. Japaner sagen: «Yama ga mieru.»
Und Deutsche übersetzen: «Der Berg ist gesehen.» Oder: «Ich
5a r sehe den Berg.» Aber «Yama ga mieru» bedeutet einfach nur:
Ar «Berg sehen.» Die deutsche Sprache ist darauf angewiesen, den
Satz entweder aktiv oder passiv zu übersetzen. «In Wirklichkeit
jedoch», so schreibt Ryogi Okochi, «spricht er weder im Aktiv
noch im Passiv, sondern das Sagen und das Gesagte geschieht
jenseits der Spaltung von Tun und Erleiden, das heißt in reiner
Bewegung «von sich aus ... Das Sehen und das Gesehenwerden,
das Erblicken und das Sich-zeigen des Geschauten gehören un-
23
De
a trennbar zusammen ... Der Berg ist kein Objekt im europäischen
r > h |
Sinn, sondern das Thema, das einem zu verstehen gibt, worumes
sich jetzt (!) handelt. Das Deutsche gebraucht darüber hinaus die
Akkusativ-Form «den Berg. Der japanischen Sprach- und Den-
kensweise entsprechend ist aber Berg ebenso Thema wie
«sehen», das zweite im Satz ... Der Akt sehen» enthält beide
Momente, den Sehenden und das Geseheng, in sich. Tun und Er- |
leiden, Sehen und Gesehen-werden sind Unmterscheidhas indie-;
sem Akt eines.»
Ein Lieblingssymbol des Zen ist ie Kreis. Viele Röshis schen-
ken ihren Schülern zum Abschluß eines Seshins, eines Medita-
tionskurses, einen Kreis, den sie in japanischer Tuschtechnik auf
ein erlesenes Blatt Reispapier zeichnen. Der Kreis ist Symbol:
Alles ist eins. Symbol der westlichen Sprechweise und Logik ist
die gerade Linie, gewiß nicht aus der freien Hand mit Tusche «ge-
schrieben», sondern mit dem Lineal gezogen: eine Linie, für die
Herbert Achternbusch eine eindringliche Metapher gefundent
hat: «Die Autobahn in den Gehirnen» - in der Tat so gewaltsam
und unsensibel in die Gehirnwindungen geschlagen wie Auto-
bahnen in unsere Landschaften.
Die argumentative und diskursive westliche Sprech- und
Denkweise läßt sich durch zwei übereinander liegende Lineal-Lid
62
ge
jersprechen einander, streitentelsnder Kampf schön zu:
Idee der Aristotelitis. Der Kreis rundet einander Widerspre-
chendes, gleicht Gegensätze aus und umschließt sie.
| ‚Frederic Vester hat gezeigt, daß auch die Prozesse und Denkwei-
_ sen der zeitgenössischen Kybernetik unserer herkömmlichen Lo-
-gik zuwiderlaufen. Sie entwickeln sich nicht auf der Linie der ari-
stotelischen Logik, die geradlinig Ursache und Wirkung, Vergan-
genheit und Zukunft verbindet, sondern kreisförmig, in soge-
' nannten «Regelkreisen», auf denen durchaus auch die Wirkung
zur Ursache werden und Vergangenheit durch Zukunft (!] gesteu-
ert werden kann. Die Ursache liegt an beliebiger Stelle-dortnäm-
lich, wo man in den «Regelkreis» eintritt. Dort liegt auch die Ver-
gangenheit. Wirkung und Zukunft sind ebenso beliebig; sie liegen
dort, wo der «Regelkreis» wieder verlassen wird. Ein anderer mag
ihn an dieser Stelle betreten. «Meine» Wirkung kann «seine» Ur-
‚sache, «meine» Zukunft «seine» Vergangenheit werden. Was wir
. bisher nur von Kindern gewußt haben- daß sie, miteinander strei-
tend, von eben dem Kind sagen, es habe «angefangen», das seiner-
. seits glaubwürdig behauptet, zweifellos habe doch das andere «an-
gefangen» —, gewinnt in der Kybernetik wissenschaftlichen Rang.
‚Die Kinder haben recht: Ursache und Wirkung sind nichts «Ob-
. jektives»; sie hängen von meinem «Einstieg» ab, davon, wo ich
«angefangen» habe — und das ist zweifellos eine andere Stelle als
der «Anfang» des anderen.
Das Denken und Planen in «Regelkreisen» istin Ökonomie und
Ökologie, Medizin, Biologie, Stadt- und Verkehrsplanungetc. sehr
viel effizienter, kosten- und energiesparender, wirkt langfristig
sehr viel organischer als im Sinne der herkömmlichen Logik ge- ;
plante Prozesse und Abläufe, die immer nur einzelne Symptome “
steuern, aber das Gesamtsystem langfristig zerstören. ie
. So ist zum Beispiel die Idee des unbeschränkten Wichstams Be:
- eine «logische» Idee. Kybernetisches Denken weiß, daß Systeme
immer nur bis zu einer gewissen Grenze wachsen können. Wach- ur
sen sie darüber hinaus, zerstören sie sich selbst —- und meist auch
noch gleich die benachbarten Systeme mit. Esist ein wesentlich
«]ogisches» Denken, das viele der Probleme, die heute fastunlös--
- bar erscheinen, bedingt hat — das Chaos auf unseren Straßen, die
_ Unregierbarkeit unserer Städte, die Kostenexplosion in der Schul-
_ medizin, die Ineffizienz unseres Umweltschutzes, die Gleichzei-
i tigkeit von Inflation und ..\ die Fehlkalkulationen
R Eh ehterung der Ausgangssituation a Großbauprojekte, di4
doch geschaffen wurden, um die Lage zu verbessern (Musterbei-
spiele: die großen Staudämme:i in Assuan und am Cabora-Bassa im i
Sambesi-Fluß, die Erschließung des Okawango-Beckens, die Mil-
liarden- Fehlinvestitionen in den drei europäischen Uran-An-
reicherungswerken, etc.) |
Frederic Vester gibt in seinen Veröffentlichungen Hunderte von
Beispielen dafür, daß das herkömmliche logische Denken die mit-
einander «vernetzten» Probleme der heutigen Welt, auch etwain
der Medizin — besonders verheerend in der Behandlung von Krebs!
— nicht löst, sondern verschlimmert. Er berichtet eine Erfahrung,
die er auf einem kybernetischen Kongreß in Japan gemacht hat:
Japanern - nicht nur japanischen Wissenschaftlern, sondern den
Durchschnittsmenschen - erscheint das Denken in «Regelkrei-
sen», wie es die Kybernetik fordert, völlig natürlich. Es fälltihnen
viel leichter als Europäern, die immer noch in geradlinigen Abläu-
fen zu denken gewohnt sind: weil eben das Denken und Sprechen
in Kreisen der japanischen Sprache, Tradition und Spiritualität
‚von jeher vertraut ist.
Aber nicht nur das Denken in Regelkreisen kann an die Stelle
des Kausaldenkens treten, auch ein analoges (vergleichendes) und
ae.
Pe schließlich sogar ein teleologisches (auf Ziele ausgerichtetes)
Denken kann dies tun. Wir werden später bemerken, daß das Ana-
logiedenken für die harmonikalen Zusammenhänge, auf die esin
diesem Buch ankommt, sehr viel ergiebiger ist als das Kausalden-
ken. Seine Ergebnisse sind wissenschaftlich genauso korrekt wie.
die in kausal-gesteuerten Denkabläufen gefundenen Ergebnisse, —
was natürlich auch für das teleologische Denken gilt. Das letztere
ist sehr oft sinnvoller, relevanter als die Kausalsteuerung. Wenn
ich von einem Tisch sage, daß seine «Ursache» das Holz, oder von
einem Briefe, daß seine «Ursache» der Kugelschreiber sei, denke
ich in der Tat schulmäßig kausal im Sinne der allein an der Mate-
rie orientierten Wissenschaft des 19.Jahrhunderts. Derartige
{ Denkabläufe gibt es immer noch überall in den Wissenschaften
(mit besonders verheerendem Erfolg in der modernen Schulmedi-
zin). Wenn ich aber Tisch oder Brief «teleologisch» bestimmte —
im Hinblick auf beider «Ziel», darauf also, wofür sie da sind oder
was sie bewirken sollen -, kann ich viel relevantere Aussagen.
über sie machen. Es ist notwendig, daß wir uns vergegenwärtigen,
wie sehr sich der westliche Mensch und 25 Wissenschaft selbst
N
>a,
En
64 Ss, Ze al {

esZN,
Ko er
chlieRlich Sa jaRa andere Form der Wirklich-
keitserfassung mit Geringschätzung abtaten.
Ich halte diesen Exkurs in das Umfeld der Logik - der verschie-
_ denen «Logiken» — gerade im Zusammenhang mit dem, was in
diesem Kapitel über die Technik und Wirkungsweise des Koans
. gesagt wurde, fürnotwendig. Das Argument des westlichen Ratio-
_ nalisten, das, was wir da gesagt hätten, könne nicht «stimmen»,
denn es sei «unlogisch», zieht nicht mehr. Nicht nur Koans sind
absurd. Die Aussagen der Neuen Physik sind es auch. Und zwi-
schen beider Absurditäten bestehen — wie wir sehen werden - ex-
akte Parallelen. Der Rationalist muß sich sagen lassen: Er ist
_ nicht informiert, erlebt immernoch im vergangenen Jahrhundert,
er weiß nicht, daß gerade die höherentwickelte westliche Wissen-
schaft, auf die er sich doch beruft, inzwischen zu paradox-logi-
schen Systemen gefunden hat, die denen entsprechen, die es in
Asien seit Jahrtausenden gibt. Ich komme später noch einmal auf
diesen Satz zurück: «Die Quantenmechanik ist das Zen-Koan un-
serer Zeit.»

Musik zum Hören des zweiten Kapitels

- Tue Music or TIBET — THE TANTRIC RıTUALs («<OM»), in: «An


- Anthology of the World’s Music» 6 (Anthology AST 4005, Antho-
logy Record and Tape Corporation, 135 West 4ıst St., New York,
N. Y. 10036) |
THE RELIGIOUs SOUND OF TIBET- Collection of Buddhist chants
and hymns recorded at various Tibetan monasteries (Teldec TST
76965)
2a"E-
TIBETAN Rırtuar Music — chanted and played by Lamas and
_ Monks [Lyrichord LLST 71 81)
THE SonGs or MILARE PA Buddhist Nunnery, Tilok-
— Mahayana
_ pur — Tibetan Sacred Music (Lyrichord LLST 7285)
|PADMASAMBAVA CHoPA — A Tibetan Buddhist Rite From Nepal
(Lyrichord LLST 7270)
Tineran SonGs OF Gops AND DeEmons (Lyrichord LLST a
65
by
Harmonies CEL 005, Vertrieb Teldec)
CHRIS HINZE: «FLUTE AND MANTRAS», sed live at a E
lora Caves, Aurangabad, India (Keytone Records KYT 703)
SHoMYo-BUDDHIST RITUAL FROM JAPAN [Zen-Gesänge 2.
Zen-Sounds, aufgenommen in verschiedenen Klöstern der Shin-F==
gon-Sekte) (Holl. Philips 65 86021)
ZEN: INNER GATES — (Zeremonien, Gesänge und Sounds, aufge-F
nommen in vier Tempeln der Rinzai-Sekte, darunter dem Dai-Br r=

toku-ji in Kyoto) (Japan. Philips PH 1513/ 14, Doppelalbum mit.


ausführl. Text)
Zen: HEAD SounDs (wie vorstehend] (Japan. Philips CD-4) r

BUDDHIST CHANT - arecorded survey of actual temple rituals—


Zen — Shomyo - Goeika -— Nembutsu — Yamabushi Ba |
LLST 7118, 2 LPs)
JapanEsE TEMPLE Music — Zen, Nembutsu en Yamskaı
Chants (Lyrichord LLST 7117]
BUDDHIST DRUMS, BELLS AND CHANTS - Recorded at actual ser-
vicesin the teniples of Kyoto, Japan (Lyrichord LLST 7200)
ZEN, GOEIKA & SHOMYO CHANTS (Lyrichord LLST 7116) ö|
. PETER MICHAEL HAMEL: BUDDHIST MEDITATION EAST- West
(Harmonia Mundi, Doppelalbum)
JOHANN SEBASTIAN BACH: MEsSsE IN H-MOLL (BWV 232)— Con-
centus Musicus Wien, Wiener Sängerknaben, Nikolaus Harnon- IF
court (Telefunken 6.35019 FK-3 LPs)
3 JOCHEN VETTER— HELMUTH SCHERNER: INNER VOICES en Sitar
Zen-Klangschalen, Flöte, OM-Gesang) (Silent u Trion Sound
FrankfurtSS ııor) - zZ ! !
Über Laut, Logos und Rose

Der Leser würde sich das Verständnis erleichtern, wenn er sich ent-
schließen könnte, die wenigen Seiten dieses Kapitels laut zu lesen -
dem Sprachklang der Worte nachhorchend. Es macht auch mehr
Spaß. «Turn up the volume!» Wenn das auf Rockplatten steht, dann
macht es mindestens so viel Sinn, es hierher zu setzen.

En ärrch£n en ho lögos — «Im Anfang war das Wort», heißt es im


Johannes-Evangelium. «Im Anfang war OM», sagen die Tibeter.
Dies sind verwandte Vorstellungen. Im vorhergehenden Kapitel
wurde deutlich, daß die Übergänge zwischen dem mantrischen
Klang und dem gesprochenen Wort fließend sind. Wo mensch-
' licher Sound mental faßbaren Sinn gewinnt, wird er Wort.
Kandinsky empfand: «Das Wort ist ein innerer Klang.» Und Jean
Gebser schreibt: «Sobald wir uns der magischen Struktur nähern,
' verblassen die Bilder ... Es gibt nur ein letztes Mittel, sich ihr
anzunähern: den Klang. Oder, wenn wir so wollen: wir müssen
‚versuchen, gewisse sehr differenzierte «Ur-Klänge hörbar zu ma-
chen... Wo aber finden wir sie? Es dürfte nicht verfehlt sein, sie im
Klang der Wurzeln zu suchen.»
Bei dem Sprachforscher Arnold Wadler, der mir und so vielen
anderen den Einblick in die geheimnisvollen Urgründe der Spra-
chen erschlossen hat, heißt es: «Der Anfang des Johannes-Evange-
liums «Im Urbeginn war das Wort, und das Wort war bei Gott
bedeutete der Menschheit der Urzeit noch eine durchaus reale
. Wahrheit, Wesen wie Heimat des Wortes waren ihrnoch bewußt.»
Im Schöpfungsbericht lesen wir: «Und Gott sprach ...» Das
Wort, das Gott sprach, war das Wort «Licht»: «Und es ward Licht.»
- (Es ist mir unmöglich, an diese Bibelstelle zu denken, ohne nicht
sofort das strahlende Dur-Fortissimo zu hören, mit dem Haydn in
seiner «Schöpfung» das Wort «Licht» feiert. Was dieser Akkord —
als seiernadi: der aus einer Enge ins Freie und Helle durchbrechen-
Re Strom - ausdrückt: das ist die mantrische Kraft von «Licht».)
67
tierende Jean Gebser Bit diezentrale Bedeuutung.
aufgezeigt. Hier sind einige wenige der zahllosen Worte d
_ aus ihr herleiten: Lux, Licht, Logos, Iychne (griech. Leuchte), Iu-
cere (leuchten), auch das deutsche Wort leuchten natürlich, lex 4
‚(das Gesetz), lesen, das griechische legein (reden, lesen, zählen),
das seinerseits die Wurzel das lateinischen Wortes religio — der
Religion — geworden ist... wie gesagt, all dies - und noch viel‘
mehr-.hat sich aus der Silbel- e-gentwickelt. Aus ihrist aber auch 4
— Lug entstanden: die Lüge! Man muß sich das deutlich machen:
Das Licht und der Logos und der Laut und die Lüge entstammen |
der gleichen Ur-Wurzel. Und diese Wurzel wirkt quer durch die
Sprachen und Kontinente. Liuhat heißt es gotisch, L’ikhuta bei
den indianischen Aymara von Peru, Laki in Melanesien, Langin
Mikronesien, Langit bei den Khmer in Kambodscha, Langgit im
Malayischen, Lucidus im Lateinischen und- über die L-R-Vertau-
schung — Rucit im Sanskrit Indiens, Langi und Rangi in Polyne-
sien, Raim alten Ägypten und schließlich La’atuim Assyrischen,
Larang-ai in einer der australischen Ursprachen, Lagat im Kor-
nisch-Keltischen, Llygad im Kymrischen (engl. look!) — und alle
‚diese Worte stehen für Licht und Leuchten und Himmel und
Sonne, für Blitz und Blick und Auge.
Viele Ur-Wurzeln, so haben die Sprachforscher gezeigt, haben
auch eine sogenannte Spiegelwurzel, die die Ur-Wurzelnicht etwa
nur einfach negiert, sondern deren Bedeutung in andere Dimen-
sionen hineinspiegelt — in unserem Falle konkretisiert sie das
Licht. Die Spiegelwurzel nämlich von l-e-g ist r-e-g-h. Aus ihr ist
rex, der König, regula, die Regel, Recht und rechts und richten.
entstanden, aber auch das griechische oregein, sich strecken, zie-
len, trachten, das seinerseits mit dem Wort ärche, Anfang, ver-
wandt ist.
Also: En ärchen en ho lögos, im Anfang war das Wort: etymolo-
gisch gesehen ist das ein «weißer Schimmel». Das Wort ist der.
Anfang. Die beiden Bestandteile dieses Satzes, auf die es an-
kommt, gehen auf l-e-g und seine Spiegelwurzel r-e-g-h zurück:
Anfang= griechisch ärche (von o-reg-ein) und Wort= griechisch
lögos, dem Licht und dem Leuchten und dem Sonnengott Ra ver-
wandt. Aber auch dem Laut, der mantrischen Keimzelle.
Wir müssen die Sprache nur wörtlich nehmen, sie hat es von
Anfang an gewußt: das Wort ist das Licht ist der Laut ist der
Anfang — auch in anderen Wortfamilien. Nicht nur «Licht» und.
4 %
nd, 2 sen aber auch ae kalin
n|= \
im Grlechischen ale
kaleo = ich rufe, als kalos = schön, ursprünglich jedoch: leuch-
tend. Die Verschiebung von H zu K, so weiß die SR
gibt es so häufig wie die vonK zuLundvonLzuR.
' Was wir hier tun, entspricht einem Wissen, das die Geschichte |
der Menschheit durchzieht, so lange Menschen sich mit dem Ge-
heimnis der Sprache beschäftigen — von Konfuzius bis Goethe.
- «Wörter», so die amerikanische Sinologin Sukie Colegrave, «ha-
ben in der Erkenntnis von Konfuzius eine wahre Bedeutung, die
bestimmte absolute Wahrheiten des Universums widerspiegelt.
Die meisten Menschen haben allerdings den Kontakt mit diesen
Wahrheiten verloren und benutzen deshalb Sprache nach Gutdün-
ken. Das führt - so Konfuzius - zu <«ungenauem Denken» und dies
' wiederum zu falschen Urteilen», «wirren Handlungen und am
_ Ende dazu, daß «die falschen Leute politische Macht gewinnen».»
Aus einer anderen Wort-Quelle mündet das folgende Beispiel
ebenfalls in unser Thema. Lateinisch cantare wird im allgemei-
nen mit singen übersetzt; ursprünglich aber heißt es: zaubern,
durch Zauber schaffen. Man spürt den Übergang, den es dairgend-
' wann einmal gegeben haben muß: indem der Mensch durch den
Laut — den Ur-Laut — zauberte, Veränderungen bewirkte, begann
er, die Ur-Laute musikalisierend, zu singen. Carmen, das Gedicht,
. war früher der Zauberspruch - und ist es in vielen Kulturen noch
heute. Die Huicholes-Indianer Mexikos haben das ursprünglich
aus dem Lateinischen stammende, spanische Wort Cantor über-
_ nommen und meinen damit: den Zauberer und Schamanen. Sie
haben es also dorthin zurückgebracht, wo es bei den alten Latei-
nern schon einmal gewesen ist. Sie, ganz gewiß, haben der Spra-
che, dem Ur-Sinn ihrer Worte, nachgchorcht:
Die Worte für Dichter, Sänger, Zauberer gehen nicht nur im L
' teinischen, sondern in vielen Sprachen auf die gleiche Wurzel zu-
rück; oft sind sie gleichbedeutend — was verständlich wird, wenn
man sich das Hauptwerkzeug des Zauberers vergegenwärtigt:
Sprache. Genauer: das Wort. Mehr als Zaubertränke,und Zauber-
mittel, als Gesten und Kräuter ist es das Wort, das den Zauber
bewirkt. Und weil es eben nur ein einziges Wort ist - meist kein
zusammenhängender Satz -, wirkt es als Wort in seinem Ur-Sinn:
als Klang und als Mantra. Auch unter diesem Aspekt ist es der
'Klang, der die wirkende Kraft besitzt: in den Hochreligionen als
' Logos und Mantra, bei den Zauberern und Schamanen einfach als
Überedägen und Scharen zwisc
weltschaffenden, göttlichen Wortes und der den Liebes- oder Jagı
zauber bewirkenden Laute des Medizinmannes oder Schamanen. {
Wie gesagt, all dies gilt quer durch die Wortstämme und Spra-
chen, zum Beispiel auch in bezug auf das deutsche Wort «Name» —
mit all seinen Verzweigungen. Auch in ihm - wie in der gänzlich
anderen Wurzel cantare - steckt die verändernde, «zaubernde»,
schöpferische Kraft des Wortes: Nam ist im Hebräischen nicht |
nur «sprechen», sondern auch das feierliche Verkünden des Ora-
kels; Nabha und Nawa war noch das prophetische Wort, die Weis-
sagung, die schöpferische Schau. Numen ist im Lateinischen
nicht nur das Himmelszeichen, sondern auch das an den Himmel
geschriebene, menschliches Schicksal verändernde «Numinose».
Nebo war im Altslawischen der Himmel. Und noch in der germa-
nischen Edda heißt nef-na nicht einfach nennen, sondern feierlich
verkünden. Der Wortstamm nam, nef, num findet sich auch in
Sprachen des Fernen Ostens, für unseren Zusammenhang am ein-
dringlichsten in dem berühmten Begriff Nembutsu des japani-
schen Buddhismus. Er bezeichnet genau das, wovon hier die Rede
ist: das Nennen, das Beschwören des Buddha — durchaus auch in
dem Sinne, daß bereits das Aussprechen des göttlichen Namens
genügt. Das Wort als solches hat Kraft - um so mehr, wenn es das
Wort Buddha - Butsu - ist.
Auch in uns Heutigen schwelt ein Rest des Bewußtseins, daß
«Name» nicht einfach besagt, wie jemand heißt: daß dem Akt der
Namensgebung etwas Bedeutungs- und Geheimnisvolles, Schöp-
ferisches innewohnt. Spuren davon stecken im Akt der Taufe —
AR selbst dann, wenn sie nicht kirchlich vollzogen wird. Keiner Mut-
ter, Könem Vaterist es egal, ob die Tochter Maria oder Sabine oder
sonstwie heißt, obwohl der Name, interpretierte man ihn rationa-
listisch, doch nun wirklich keine andere Aufgabe hat, als ein Kind
von anderen Kindern zu unterscheiden. In Wirklichkeit hat er
eben doch einen dahinter verborgenen Sinn: kaum jemand kennt
ihn noch, aber Eltern spüren ihn, wenn sie die Frage ernst nehmen
und immer wieder diskutieren: Wie soll unser Kind heißen?
Carl Friedrich von Weizsäcker: «Es genügt nie, über Sprachen
zu sprechen. Man muß mit der Sprache über das sprechen, wovon
die Sprache spricht.» Tun wir dies. Sprechen wir mit dem deut-
schen Wort «Sprache». Noch im Lateinischen ist preces das Gebet
(und auch dessen Gegenteil: der Fluch, die Verwünschung). Prayer
ist esim Englischen, Brihaspati in Sanskrit, damit verwandt ist—
s

70
B ahımaiistlautlich verwandt dem Namen Beapt Ba Odin-So
dem Gott des Wortes und der Dichtung in der germanischen My-
thologie» (Wadler). Beracha wurde es im Hebräischen: Segens-
spruch! Sprache also betet. Beide Worte dieses Satzes-Spracheund
beten — gehen auf die gleiche Wurzel zurück. Bereits das Wort si-
gnalisiert: Sprache sollte mit Ehrfurcht behandelt und nicht ein-
fach «geplappert» werden. Schelling nennt Sprache die «verbli-
chene Mythologie».
Kein Mensch lasse sich einreden— wie es immernoch die beeng-
teren unter den Sprachforschern versuchen, ihreKollegen dabeials
«unwissenschaftlich», diskriminierend—, daß solche Wort-Reihen
(die Wadler bis zu den Azteken, nach Australien und in die Südsee
verfolgt hat) «zufällig» entstanden seien. SovieleZufällegibtesgar
nicht. Ob etwas Zufall sein kann, läßt sich, seit es Computer gibt,
wahrscheinlichkeitsmathematisch nachprüfen, und dann ergibt
sich: Der Zufall hat einfach noch nicht genug Zeit gehabt. Sprache
ist noch nicht alt genug. Dinosaurier bereits müßten Sprache —
menschliche Sprachlaute- gehabt haben, lange bevor es den homo
sapiens gab, Millionen Jahre noch vor dem Neandertaler, damit £
«Gott Zufall» genugMöglichkeiten hättehaben können, um derar-
tige Reihen - also nicht etwa nur vereinzelte Bildungen mal hier
und mal dort auf diesem Planeten - schaffen zu können.
Lauschen wir also weiter- im Sinne Konfuzius’-den Ur-Worten
nach. Und zwar wirklich dem Wort: W-o-r-t. Woher kommt es?
Verblüffenderweise führt die Beantwortung dieser Frage zudem
gleichen Ergebnis, das wir vorhin bei der Verfolgung der Rei nn A
gos- Licht -Laut -Anfang (- Lug) gefunden haben.
Zwei von den drei Schicksals-Nornen der alten Cennan tru-
gen Namen vom gleichen Stamm: Urd und Verdandi. Gotisch
Wairth, angelsächsisch Weordh, altnordisch Verdh gehen auf die
Sanskrit-Wurzel v-r-t zurück. Alle diese Worte bedeuten: sich ent-
rollen, werden, entstehen. Aramäisch Varda, arabisch Vard be-
zeichnet die Rose, hebräisch Wered ist beides: Knospe (also das
noch Werdende) und Rose (das bereits Gewordene), und diesem
hebräischen Wered - wie all den anderen genannten Worten — ist
" unmittelbar dasdeutsche Wort «werden» verwandt. Auch aaufdiese
Beziehung hat Arnold Wadler hingewiesen; er schreibt: «Kein
schöneres tieferes Bild konnte der Sprachgeist der alten Germanen
‚ wählen, um das Werden auszumalen, als das Laut-und Sinnbild der
Rose.»

YA
. gE-WOI
Das Wort: istBu Schicksal. Und Verdandi Zukunft. Un
allem, was ich da eben geschrieben habe, steckt, als hätteichnur
immer das gleiche Wort wiederholt, die indische Wurzel v-r-t.So
unwahrscheinlich dies klingen mag: sie steckt sogar im deut-
schen Wort Rose. Rhödos ist es im Griechischen. Die V-Abschlei-
fung und die damit verbundene Vorziehung des R führt zu jenem
x arabischen Vard= Rose, von dem vorhin schon die Rede war, samt
seinen aramäischen, Kebrischen gotischen und altnordischen
Verwandten.
Denken wir folgendem Satz nach: «Aus der Knospe we die
Rose.» Wenn wir Präposition und Artikel fortlassen, besteht der
; Satz aus drei Worten: «Knospe - wird- Rose.» Alle drei Worte sind
R, ursprünglich eines: die Ur-Wurzel v-r-t. Und das ist ja wirklich
s die Idee der Knospe: sie muß erst noch werden — nämlich Rose
werden. Woraus wird sie? Aus der Wurzel. Voilä: sogar dieses Wort
AR Wurzel entstammt derselben «Wort-Wurzel» (= zweimal v-r-t!),
% wie man noch nachempfinden kann, wenn man sich an die
r Schicksals-Norne Urd erinnert, die Norne der Vergangenheit, die
# Wurzel-Norne; versteht sich, in Urd steckt ebenfalls «Wurzel».
Si Arnold Wadler schließt sein bahnbrechendes Werk über die Ur-
Worte mit folgendem Satz: «Als tiefster, machtvollster Ausdruck
“ dieses Ur-Stammes, weitester Inbegriff ewigen Lebens, ewigen
Seins krönt ein anderer deutscher Name diese Reihe, die geistige
Rose: das W-o-r-t.»
R Ich denke an den Spruch auf Rilkes Grab bei der Kirche von
- Raron im Wallis:

R «Rose, oh reiner Widerspruch, Lust,


Niemandes Schlaf zu sein unter soviel
Lidern.»

Und variiere - und bleibe gleichwohl Rilke ganz nahe:

Rose, oh reiner Widerspruch, Lust,


Wort zu sein
in so vielen Wandlungen.
Vom Makro- zum Mikrokosmos

Unsere Zeit ist voll großer Entdeckungen, über diein den Medien
—-in Zeitungen und Zeitschriften, in Funk und Fernsehen - stän-
dig berichtet wird. Aber über eine der größten Entdeckungen un-
serer Generation spricht kaum jemand: daß sich uns nämlich die
Welt in einer eben noch unvorstellbaren Weise als Klang darstellt.
Und daß auch und gerade jene Bereiche der Welt, die jahrhunderte-
lang als Inbegriff von Stummheit und Stille erschienen, voller
Klänge sind. Professor Dr. Kippenhahn vom Max-Planck-Institut
für Astrophysik in Garching bei München schreibt: «Um das Jahr
1960 bat ich in einem Vortrag meine Zuhörer, sich einmal vorzu-
stellen, es gäbe ein Gerät, das die gesamte aus dem Weltall kom-
mende Strahlung in hörbaren Schall umwandelt. Neben dem
' gleichmäßigen Rauschen des Sternlichts und den Radioausbrü-
chen der Sonne würde man das Rauschen der damals bekannten
Radioquellen hören, anschwellend und abebbend im Rhythmus
des Auf- und Untergangs dieser sich mit dem gesamten Himmels-
gewölbe an uns vorbeidrehenden, gleichmäßig strahlenden Ob-
jekte. Es wäre eigentlich eine recht langweilige Sache gewesen.
Heute, zwanzig Jahre später, muß ich das Bild revidieren. Neben
der damals bekannten Strahlung würden nun die inzwischen neu
entdeckten Quellen das Hörbild vom Weltall bestimmen. Über
dem gleichmäßigen Rauschen hört man das sich gegenseitig über-
lagernde Ticken der Pulsare, den tiefen Brummton des Krebs-Pul-
sars, dessen Pulse das Ohr nicht mehr einzeln hören kann, und
dazwischen schießen andere Röntgenquellen ihre Garben ab, wie
etwa die Quelle MXB 1730-335, die aus einem Kugelsternhaufen
heraus sehr energiereiche Pulse aussendet, vielleicht ein Dut-
zend, mit Abständen von 10 bis 20 Sekunden aufeinanderfolgend,
dann wieder für Minuten aussetzend, bis die neue Sequenz abge-
feuert wird. Es rauscht nicht nur im Weltall, es tickt und trom-
melt, es summt und knattert. Wahrscheinlich sind es vor allem
, \pparat a der vorn Weltall oe
| {
Strahlung ar
an unser Ohr weitergibt.»
Daß der Kosmos voller Klang, voller Sound ist — diese Entdek-
kung verdanken wir dermodernen Radioteleskopie. Die Amerika-
ner J. Lichtman und Robert M. Sickels bemerken dazu in ihrem
«Amateur Radio Astronomer’s Notebook»: «Die Wissenschaft
der Radioteleskopie hat eine ganz neue Dimension des Univer-
sums enthüllt. Die Tiefe des Kosmos ist dadurch ein lautstarkes
Gezisch und Gezischel von Sounds geworden - Sounds, die durch
plötzliche Veränderungen der molekularen und atomaren Energie
explodierender Gase — zum Beispiel von neugeborenen Sternen —
entstehen ... Aber auch der riesige Planet Jupiter ... produziert
seine ganz besonderen Geräusche, riesige, schnelle Seufzer wie
das intensive Röhren einer fernen Brandung - Stürme wahrhaftig,
die in ihrer Intensität des Gottes würdig sind, dessen Name der
Planet trägt.
Auch die Sonne macht ihre Geräusche ... zischende, krachende
Klänge, wenn sie im Zustand relativer Ruhe ist, aber brüllende
Laute von beängstigender Intensität, wenn sie ... riesige Mengen
von Materie in den Raum spuckt.»
Die interessantesten Klangerreger im Kosmos sind die Pulsare —
auch pulsierende Sterne oder Neutronensterne genannt. Der erste
wurde erst 1967 entdeckt - von Radioastronomen der Universität
Cambridge —, und doch wissen wir inzwischen schon eine ganze
Menge über diese «Miniatursternchen», die gerade nur einen
Durchmesser von zehn bis zwanzig Kilometern haben, aber von so
ungeheurer Dichte sind, daß sie die Masse riesiger Weltkörper
mühelos erreichen und oft übertreffen. Ein Mensch von etwa
ı7ocm Größe, so hat Isaac Asimov errechnet, wöge an der Ober-
fläche eines Pulsars rund ı13 Milliarden Tonnen. Ein auf die Erd-
oberfläche treffender Pulsar würde sofort bis zum Erdkern durch-
schlagen und auf der anderen Seite wieder herausschießen. In der
' »Tat hat es wahrscheinlich ein solches Ereignis in jüngerer Ver-
gangenheit gegeben: bei den rätselhaften, ‚nie aufgeklärten
Verwüstungen am 30.Juni 1908 in der Tunguska-Region in Zen-
tralsibirien. Keinesfalls nämlich können sie, wie man zunächst
angenommen hat, durch den Aufprall einesgewaltigen Meteoriten
verursacht worden sein; trotz jahrelangen Suchens hat man weder
einen Einschlagkrater noch Meteoritentrümmer finden können.
Die Wissenschaftler neigen deshalb immer mehr zu der An-
| nahme, daß ein Pulsar diese Katastrophe ausgelöst habe. Träte sie
75
man die wahre Natur des Ereignisses erkannt hätte, unddie;g
Erde könnte verwüstet werden».
Pulsierende Sterne bestehen aus SogcHammiter ee j
Materie». Sie besitzen unvorstellbar starke Magnetfelder und
sind ständig umgeben von wilden elektrischen Wirbelstürmen.
Manche Pulsare klingen wie Bongotrommeln, andere wie Kasta-
gnetten, wieder andere wie die ausrutschende Nadel eines Plat-
tenspielers. Die meisten tacken und ticken einfach vor sich hin — ö
seit Millionen von Jahren —, einige auf seltsame Weise rhythmi-
siert. Es sind «lebende Klänge», die sich oft von Tag zu Tag, ja von
Stunde zu Stunde verändern -— schrumpfend oder wachsend, sich.
zusammenziehend oder sich ausdehnend, als stammten sie von
lebendigen Wesen. Einer der interessantesten Pulsare befindet
sich in der Kassiopeia — 50o Millionen Lichtjahre von uns ent-
fernt —, Überrest einer riesigen Supernova, aber so stark ge-
schrumpft, daß er selbst in den größten Teleskopen der Welt
kaum gesehen werden kann; doch seine Sounds sind so kräftig,
daß auch die einfache Radioausrüstung eines Amateurs sie leicht
empfangen kann. Einige Pulsare strahlen in rasenden Rhythmen,
die allerdings zu schnell sind, als daß sie vom menschlichen Ohr
als Rhythmus wahrgenommen werden können. Nachvollziehba-
rer Rhythmus entsteht erst, wenn man eine solche Sternbot-
schaft, die da aus einer Entfernung von Millionen von Lichtjahren
zu uns getrommelt wird, mit reduzierter Bandgeschwindigkeit ab-
spielt — wie es Lichtman und Sickels mit ihren Aufnahmen getan
haben.
' Das also ist neu in den Umkreis unseres Wissens getreten: Der
Kosmos ist voller Klänge und Rhythmen - von Pulsaren und Qua-
saren, von Supernovae (explodierenden Sternen), von sogenann-
ten «Roten Riesen» und «Weißen Zwergen», von entfliehenden
und kollidierenden Sternsystemen — und auch von unserer eige-
nen Sonne. Angesichts dieses Befundes, der, wie wir sehen wer-
den, ein musikalischer ist, gewinnt das Wort Kosmos - im Licht
der neuesten Forschung - viel von seiner ursprünglichen Bedeu-
tung zurück. Griechisch xöouog heißt: Schmuck.
Dabei ist es noch gar nicht so lange her, daß der Kosmos ein.
Inbegriff des Schweigens war - der Stille schlechthin. Kein Sound,
kein Klang schien aus seinen unendlichen Weiten zu uns zu drin-
gen. Wer damals von der «Harmonie der Sphären» sprach, wie
Plato in seinem Dialog «Politeia» — von der «harmonia mundi»,
wir: All dies ist wörtlich zunehmen (wie im Folgenden deutlicher
werden wird).
Goethe im Prolog zum «Faust»:

«Die Sonne tönt nach alter Weise


in Brudersphären Wettgesang,
und ihre vorgeschriebne Reise
vollendet sie mit Donnergang. .
Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,
wenn keiner sie ergründen mag; Br i
die unbegreiflich hohen Werke z
sind herrlich wie am ersten Tag.» er

Goethe hat es geahnt: die Sonne tönt ... Wir Heutigen wissen es. 2
" Der römische Astronom Claudius Ptolemäus schrieb über den
Kosmos unter dem Titel «Harmonia». Keplers berühmtestes
Werk heißt «Harmonices mundi libri V» (= Fünf Bücher über die
Weltharmonie), als handle es von Musik und nicht von Planeten-—
in der Tat fühlte sich Kepler nicht nur als Astronom, sondern auch
als Musiker; und es gibt Hinweise darauf, daß ihm das letztere
wichtiger war als das erstere. Pythagoras und Ptolemäus haben
Beziehungen geahnt, die zwischen den Umlaufbahnen der Plane-
ten und den Klangverhältnissen bestehen, die es auf einer ge- Ä
spannten Saite gibt - dem sogenannten Monochord. ü
Kepler ging als erster von elliptischen Planetenbahnen aus. Erst
- dadurch wurde deutlich, wie exakt die harmonikalen Beziehun-
gen in unserem Sonnensystem sind. Gott wurde zum kosmischen
Tonmeister. Er habe, so Kepler, die Planeten bewogen, die zu- Be
‚nächst ja doch auf der Hand liegenden einfachen Kreisbahnen zu ER
verlassen und ihre so auffällig komplizierten elliptischen Bahnen -
zu wählen, um auf diese Weise um so schönere Klänge produzie-
. ren zu können. Auffällig ist in der Tat nicht nur, daß die Planeten
‚sich in elliptischen Bahnen bewegen, sondern daß sie aus der
unendlichen Fülle möglicher Bahnen genau solche gewählt ha- >
ben, die in ganzzahligen Proportionen unserer «irdischen» Musik
"schwingen und klingen.
Die Obertonreihe, die entsteht, wenn man ein auf C gestimm-
. tes ventilloses Horn anbläst oder wenn man den Flageolett-Tönen
24 DR ER SE =
Ve ind hn: lan er
Dies ist die Obertonreihe - die eigentlich «natürliche»
aller Musik:

Verhältnisse der Saitenlängen

2 .
En En m m

9510771771213 14°15:216

Verhältnisse der Schwingungszahlen


|2
nn
22

Das an dieser Leiter immer wieder neu Überraschende liegt inden


darunter bzw. darüber gesetzten Ziffern. Sie nämlich machen
deutlich, daß der jeweils folgende Ton der Leiter um jeweilsgenau
eine Zahl schneller schwingt als der vorangehende. Das heißt
also, um ein Beispiel zu geben, der fünfte Ton der Leiter-eine-—
macht fünfmal soviel Schwingungen wie das C, mit dem die Lei-
ter beginnt. Entsprechend sind auch die räumlichen Verhältnisse
auf dem Monochord: um den fünften Ton, das e, zum Erklingen zu
bringen, wird nur ein Fünftel der vollen Saitenlänge benötigt — bis
hin zum hohen C, das nur ein Sechzehntel der Saite braucht.
Wenn wir also eine Saite in ı2 gleiche Abschnitte teilen und diese
Saite auf die Längen 6, 8 und 9 verkürzen (Verkürzung 12:6=2:1,
12:8=3:2,12:9=4:3), dann erhalten wir bei der Verkürzung um
die Hälfte: die Oktave, um zwei Drittel: die Quinte und um vier
Drittel: die Quarte etc. Das ist gemeint, wenn im Folgenden im-
mer wieder von den «ganzen Zahlen» der Obertonreihe die Rede
sein wird.
Nach der Obertonreihe wollen wir uns gleich auch mit den In-
tervallproportionen bekannt machen (denn auch sie werden wir
im Verlauf dieses Buches immer wieder benötigen) (s. Abb. S. 79).
Sofort fällt eine Grundregel auf: Je niedriger die Zahlenverhält-
nisse, um so stärker die Konsonanz, um so «harmonischer» der
Zusammenklang. Die gestrichelte Linie bezeichnet in etwa die
Grenze, an der konsonante in dissonante Klänge übergehen [ver-
steht sich, daß dies ein gleitender Übergang ist). Wir werden
bemerken, daß in den Proportionen des Makrokosmos, des Mikro-
kosmos und unserer irdischen Welt die konsonanten Zusammen-
klänge — Proportionen also vorwiegend aus niedrigen ganzen |

‚78
RT Y
}
" Quarte a! si
Große Sexte BIS
Große Terz Mehnais
Kleine Terz 5:6
Kleine Sexte 5:8

Kleine Septime 5x9


Große Sekunde 8:9
Große Septime ea 0
Kleine Sekunde 15:16
* Tritonus Bau ES

Zahlen - bei weitem überwiegen, ja der weitaus häufigste Zusam-


menklang ist auch der «harmonischste»: die Oktave, das Verhält-
nis 1:2, einer Proportion, die seit je auch benutzt wird, um die
Polarität der Welt zu bezeichnen: Yang und Yin, männlich und
weiblich, himmlisch und irdisch etc. Diese «Ur-Polarität» ist also
gleichsam «an den Himmel geschrieben».
Aber sie ist auch «in unsere Ohren geschrieben». Alle die
Klänge und Klangverhältnisse, die wir in so überwältigender Fülle
in Makro- und Mikrokosmos und in unserer menschlichen Welt —
und Musik! — finden werden, entsprechen (wie Rudolf Haase ge-
zeigt hat) der natürlichen Disposition unseres Gehörs. Unser Ohr
bevorzugt Konsonanzen, Dur-Proportionen etc.
Insgesamt gibt es sieben harmonikale Grundgesetze, die glei-
chermaßen «in unsere Ohren» wie «in Makro- und Mikrokosmos
geschrieben» sind und die wir in allem, was in diesem und in dem
nächsten Kapitel aufgezeigt wird, wiedererkennen werden:
1. Die Obertonreihe
2. Die Intervallproportionen
3. Die Teilung des Oktavraumes in zwölf Halbstufen
4. Die Unterscheidung von Konsonanz und Dissonanz, wobei
die Konsonanz um so größer ist, je niedriger die Zahlenverhält-
nisse sind
3. Die Unterscheidung von Dur und moll, wobei Dur-Proportio-
nen bei weitem überwiegen i |
6. Die Dominanz der ı: 2-Polarität - der Oktave
7. Das Gesetz des Lambdomas [einer in Form des griechischen
Buchstabens Lambda angeordneten Zahlenkolonne, deren rechter
- Schenkel jeweils um eine ganze Zahl von ı bis unendlich steigt,
ganzen Zahlen he so daß dieKo d |
schenkligen Lambda- Dreiecke der Ober- bzw. Untertonre
gen). Hans Kayser und Rudolf Haase sind den Verzweigungen des 1
Lambdomas in den verschiedensten Bereichen nachgegangen, ha-
ben sie exakt berechnet und Entsprechungen zu ihm in Physik,
Akustik, Arithmetik, Geometrie, Kristallographie, Kybernetik,
Religionswissenschaft und Philosophie gefunden. Rudolf Haase
hat diese Entsprechungen auf das System des chinesischen IGing
und des genetischen Codes ausgedehnt, so daß sich nachgerade
ie
en
ER
N
DE der Eindruck einer Allgegenwärtigkeit des Lambdomas bestätigt.
Es ist hier nicht der Ort für mathematische Darlegungen: vor
Zu allem Hans Kayser und Rudolf Haase haben sie geleistet - in
einem umfangreichen, von Tabellen, Graphiken und Berechnun-
gen überquellenden Lebenswerk. Wichtig für unseren Zusam-
menhang ist vor allem zweierlei: daß die sieben genannten Ge-
setze auf dem Ur-Gesetz der ganzzahligen Quanten (wie es
einerseits die Obertonreihe, andererseits die Quantentheorie der
theoretischen Physik deutlich macht) basieren. Und daß alle sie-
ben Gesetze auf verhältnismäßig einfache Weise am Monochord
demonstriert werden können, also auf dem aus einer einzigen
Saite bestehenden Musikinstrument, an dem bereits die Pythago-
räer im alten Griechenland ihre Versuche gemacht haben und auf
das sich auch Platon bezog, als er in seinem Dialog «Timaios»
erkannte, daß die Weltseele eine Tonleiter ist. Hans Kayser hat
zum Beispiel gezeigt, daß es aufgrund der harmonikalen Verhält-
nisse am Monochord hätte möglich sein können, eben jene Plane-
ten zu entdecken, die den Griechen und Römern und den Astrono-
men des Mittelalters noch nicht bekannt waren: Uranus, Neptun,
Pluto und die Schwärme der Planetoiden (Näheres darüber später).
Der 1964 in Bern verstorbene Hans Kayser ist der Begründer der
harmonikalen Lehre als Wissenschaft, von der in diesem Buch
noch oft die Rede sein wird. Eines seiner bekanntesten Werke,
1946 erschienen, heißt «Akröasis» — von griechisch «Anhörung»
—im Gegensatz zur «Aisthesis», der «Anschauung». Die Welt, wie
sie wirklich ist, so Kayser, ist eher durch Hören als durch Sehenzu
erfassen. In diesem Werk schreibt Kayser: «Der Begriff der Sphä-
renharmonie ist so alt wie die Bewußtwerdung des Menschen. Zu-
erst Mythos, dann Astralsymbolik und integrierender Bestandteil
fast der gesamten Menschheitsdichtung, wird er zur Vorausset-
zung der Astrologie und der beginnenden astronomischen For-
schungaller alten Völker. Erst mit Keplererhälterjedoch jene Fun-
80
ar,
Me
BE
menti ie ihr ßen‚Glauben nlche din das
LH

_ mod erne wissenschaftliche Denken einordnet. In seinem Haupt-


_ werk, «De Harmonice Mundi», einem Werk, welches Kepler als
sein wichtigstes bezeichnete und welchem er zeitlebens seine be-
sondere Liebe zuwandte, weist er mit einem umfangreichen,
heute noch im wesentlichen gültigen Material nach, daß zwi-
schen den Geschwindigkeiten der Planeten untereinander eine
große Anzahl musikalischer Harmonien bestehen ... Es ist aber
für Kepler bezeichnend, daß gerade diese, von uns heuteals einzig
Wertvolles der «De Harmonice Mundi> noch anerkannte Entdek-
kung nur als eine neben vielen anderen <Harmonien» in seinem
Werke genannt wird. Wir tun Kepler völlig unrecht und verbauen
‚ uns selbst das tiefere Verständnis für ihn und sein Wollen, wenn
wir seine Harmonik nur als eine Anregung bezeichnen, über wel-
che wir eigentlich möglichst rasch zur Tagesordnung überzuge-
hen hätten...
Wer das Werk Keplers gelesen und sich von seiner Begeisterung
hat mitreißen lassen, für den sind seine harmonikalen Proportio-
nen seelische Wirklichkeiten, und er weiß: Hier geht es nicht
um ... praktische Nutzanwendungen, sondern um das wahrhaft
erschütternde Erlebnis eines «Tat twam asi»: Das bist Du, da oben
sind Kräfte und Gestalten an den Himmel geschrieben, die in dei-
ner eigenen Seele tönen, die dich innerlich aufs stärkste angehen
und ebenso wie dein ureigenstes Ich der Gottheit angehören!»
Und Johannes Kepler selbst: «Gib dem Himmel Luft, und es
wird wirklich und wahrhaftig Musik erklingen. Es gibt einen
«Concentus Intellectualis, eine «geistige Harmonie», an der reine
Geistwesen und in gewisser Weise auch Gott selbst nicht weniger
Genuß und Ergötzen empfinden als der Mensch mit seinem Ohr
an musikalischen Akkorden.»
Eine besonders interessante Überlegung Kaysers betrifft die
Schwärme der Planetoiden, die zwischen Mars und Jupiter auftre-
ten. Die Wissenschaft nimmt an, daß sie einem zertrümmerten
Planeten entstammen, und die harmonikale Lehre kann dies
nicht nur bestätigen (weil an dieser Stelle ein Planet «gebraucht»
wird; die Planetoiden laufen in der wichtigen Terz-Bahn des
Dur-Akkordes; undenkbar, daß diese Bahn unbesetzt geblieben
wäre!)—, siekann darüber hinaus auch zeigen, warum derPlanet,
der sich an dieser Stelle befunden haben muß, notwendigerweise
zerborsten ist. Kayser hat errechnet, daß die Bahn dieses mythi-
schen «Planeten X» «inmitten der beiden aufgespaltenen enhar-
monischen Töne 8/9 d und 9/ ro d’» liegt: «Dieser Planet X stand
81
en
Kontinbierlich en De Allen b-d-f
Harmoniker liegt es nun außer allem Zweifel, daß es; gerade die
enharmonische Spaltung der beiden d-Töne war, welche dem
Planeten X zum Verhängnis werden sollte; denn sein Bahnortlag
mitten in der gefährlichen Spaltungszone, während Jupiter, der
ebenfalls einer solchen enharmonischen Zone naheliegt, soklug
war — möchte man fast sagen —, seine Bahn außerhalb dieser ge-
fährlichen Zone zu legen ... Durch die Elimination dieser Terz
verschwand der Dur-Akkord und damit das ee Zen- ;
trum der gesamten Planetenkonfiguration..
Aber, so weiterhin Kayser: «... eine Arıabene: der al gegebenen
Art ist selbstverständlich für die heute übliche wissenschaftliche
' Begriffsbestimmung im höchsten Grade ungewöhnlich.»
Nicht nur die Planetenbahnen selbst, sondern auch die Verhält-
nisse innerhalb der Umlaufbahnen gehorchen harmonikalen Ge-
setzen — und zwar in einer Fülle, die weit hinausgeht über das
statistisch Wahrscheinliche. Francis Warrain hat berechnet, daß
von den 78 Tönen, die durch die verschiedenen Planetenproportio-
nengebildet werden, 74 der Dur-Tonleiterangehören (und zugleich
derDiatonik)-wahrhaftigein überwältigendes Ergebnis, dasdurch
keinen wie auch immer gearteten «Zufall» erklärt werden kann.
Besonders interessant ist es, daß auch, wenn sich die Pla-
netenbahnen verändern (was ständig der Fall ist), die Winkelge-
schwindigkeiten an den sogenannten Aphels und Perihels, den
Extrempunkten der elliptischen Planetenbahn, zur Sonne nahezu
unverändert erhalten bleiben. Aus diesen Winkelgeschwindig-
keiten aber errechnen sich die harmonikalen Verhältnisse. Abge-
2 sehen von geringfügigen Verschiebungen (auf die ich in anderem
Zusammenhang zu sprechen kommen werde) tönt also das Plane-
tensystem über die Jahrtausende hinweg in den gleichen überwie-
gend harmonischen Dur-Klängen. Es ist mehr als metaphorische
& Ausschmückung, wenn Dichter— und überhaupt sensiblere Men-
z schen - beim Anblick des gestirnten Himmels immer wieder und
über die Jahrhunderte hinweg ein «inneres Klingen» empfunden
haben.
Ein «inneres Klingen» ist es um so mehr, als es tatsächlich auch
unser eigenes Klingen ist- einerseits in dem bereits angedeuteten
“ Sinn, daß es die Disposition unseres Gehörs ist, in die alle diese
Klänge «eingeschrieben» sind, zum anderen aber auch insofern,
als alle die «Aspekte», die sich harmonikal-mathematisch erge-
82
eu en beyc hole ee .
G rechte in Rütte im Hochschwarzwald, macht mich
darauf aufmerksam, daß die Aspekte der klassischen Astrologie
«selbstverständlich auch harmonikal verstanden werden kön-
nen». Danach ist — wie ein einfaches Rechenexempel auf einem $
kreisförmigen Horoskop ausweist — die Konjunktion eine Ok- 2
tave, die Opposition eine Quinte, das Trigon eine Quarte, de
kleine Terz ein Quintil, die kleine Sexte ein Biquintil usf. Das Ri
Horoskop eines Menschen — oder eines Ereignisses — ist also RKi
‚letztlich ein System aus Akkorden und Klängen. Der Mensch
klingt: Das ist — auch unter astrologischen Gesichtspunkten — R
„mehr als poetische Metapher. Wo Menschen einander begegnen, h
'wo also ihre Gestirnstände aufeinander zugleiten, sich wieder
voneinander lösen und neue Aspekte, Konjunktionen und Oppo-
sitionen entstehen, in sich ständig verändernden Übergängen,
entsteht Musik — nochmals: nicht in gleichnishafter Aus- h
schmückung, sondern so real, daß sie im Notenbild niederge- N
schrieben werden kann.
Thomas Michael Schmidt schreibt: «Die antike Vorstellung,
daß die irdische Musik nur Abglanz und gleichsam Stellvertrete- |
rin der Harmonie des Himmels sei, erhält (auf diese Weise) einen
konkreten Sinn, denn hier wie dort sind es die gleichen mathe-
matischen Verhältnisse, die einerseits den Tönen, andererseits
den Planetenbewegungen zugrunde liegen. Lange bevor hier auf
der Erde menschliche Musik ertönte, strahlten die mathemati-
schen Urbilder der Töne in wahrhaft kosmischen Dimensionen
vom Himmel. Den akustischen Verhältnissen ist deshalb ein
universaler Charakter zu eigen. Als Ordnungsprinzipien gestal-
ten sie sowohl die Planetenwelt, den Makrokosmos, als auch die
menschlich-irdische Musik ... So offenbart sich durch die uni-
versale Geltung der Tonverhältnisse ein umfassender kosmi-
scher Zusammenhang ...» r
Nochmals Johannes Kepler: «Darum wird man sich nicht
_ weiter wundern, daß die schöne, zweckmäßige Folge der Töne
in den musikalischen Tongeschlechtern von den Menschen ge-
funden wurde, wenn man sieht, daß sie dabei nichts anderes ge-
tan haben als Gottes Werk nachzuahmen, um nur sozusagen das
Schaustück des himmlischen Bewegungsbildes herunterzuspie-
len...»
«Dicunt astrologi vel musici ...» begann das Werk von David
Blaesing, einem Astronomen des Mittelalters: Es sagen die

2 w “ P
83
pr ’ re

Der Dichter Chrierean ee a «Die Sterne lauter


Noten. Der Himmel die Partitur. Der Mensch das Instrument.»
Und Plotin, der Philosoph des Hellenismus: «Alle Musik, wie
sie auf Melodie und Rhythmus beruht, ist der irdische Stellvertre- |
ter der himmlischen Musik...»
Hermann Graf Keyserling summiert: «Seitdem es Menschen
gibt, ist der Musik eine Vorzugsstellung unter den Künsten zuge-
standen worden. Bewußter- oder unbewußtermaßen hat sie von
jeher als Ausdruck und Vermittlerin von Kosmischem gegolten.»
Es ist in unserer Zeit möglich geworden, den «Gesang der Plane-
ten» hörbar zumachen. Willie Ruff und John Rodgers, Professoren
an der Yale University in den USA, haben die Umlaufbahnen der
Planeten in einen Synthesizer gespeist — ein modernes, compute-
risiertes, elektronisches Musikinstrument, wie es in der Rock-
und Jazzmusik häufig verwendet wird. Sie sind dabei nicht — wie
noch Pythagoras und Kopernikus — von kreisförmigen, sondern
von eiliptischen Bahnen ausgegangen und haben sich genau an die
Angaben Keplers gehalten. Wie Kepler es errechnet hatte, haben
sie dem Planeten Saturn das Kontra-G zugeordnet (das tiefe G, das
dem unteren Ende der normalen Pianotastatur am nächsten liegt).
Von daher definieren die Keplerschen Gesetze zwangsläufig die
Töne aller anderen Planeten — über Jupiter, Mars, Erde, Venus bis
zum sonnennächsten, dem Merkur, der dashohe viergestrichenee
ist, fast schon am Ende der Pianotastatur.
Auf der Schallplatte, die auf diese Weise entstanden ist, Kling
das «moll-gestimmte Duett», in dem Erde und Venus miteinander
«konzertieren», besonders bewegend; dabei «tanzt» die Venusum
das dreigestrichene e, während die Erde - eine Sext tiefer — zwi-
schen dem zweigestrichenen g und dem gis «tändelt». Kepler
empfand diese Tonbeziehung als «das unendliche Lied vom Elend
der Liebe auf Erden».
Auch sonst entsprechen die Klänge der Planeten, wie Ruffund
Rodgers sie realisiert haben, den Vorstellungen, die traditioneller-
weise mit den verschiedenen Himmelskörpern verbunden wer-
den. Der Merkur, dem das Element Quecksilber zugeordnet ist,
hat einen schnellen, geschäftigen, zirpenden, in der Tat «queck-
silbrigen» Klang. Mars rutscht aggressiv und «rücksichtslos» über
mehrere Noten hinauf und hinunter. Jupiter hat einen majestäti-
schen, orgelartigen Ton, Saturn ein tiefes, unheimliches Dröhnen.
Anl diese Weise nlat der Tonbereick der sechs sichtbaren
Rn
84
sch Kepiens Tod wurden drei weitere Planeten entdeckt—Ura-
nus, Neptun, Pluto -, deren Umlaufbahnen sich den Keplerschen “
Gesetzen- wie nicht ‚anders zu erwarten— widerspruchslos einge-
fügt, ja diese Gesetze bestätigt haben. Da diese Planeten sehr lang-
sam umlaufen — Pluto etwa hat eine Umlaufperiode von 248 Jah-
ren —, würde ihre Umsetzung in Tonhöhen die menschliche Hör-
fähigkeit überschreiten. Die Professoren Ruff und Rodgers haben
aber entdeckt, daß die Umlaufellipsen dieser äußeren Planeten für
das menschliche Ohr als Rhythmen hörbar gemacht werden kön-
nen. Ruff, der nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Jazzmusi-
. ker ist, sagt: «Ich wußte von Anfang an: Es muß da draußen doch
auch Rhythmus geben.»
So ergibt sich: Die sechs sichtbaren Planeten formen in ihren
elliptischen Bahnen einen — dieser Ausdruck stammt von Kepler,
dem Musiker Johannes Kepler! — «sechsstimmigen Motetten-
satz», während die drei äußeren Planeten — die Formulierung ist
von Ruff - die rhythm section, die «Rhythmusgruppe», bilden, in
der Pluto, der fernste, die kosmische «Baßtrommel» schlägt.
Interessant, wie sich im Trilog der drei «Rhythmusplaneten»
Uranus und Neptun gegeneinander verschieben. Wenn Uranus
sich langsam bewegt, ist das Verhältnis zu Neptun ziemlich genau
1:2), aber die schnelleren Rhythmen der beiden Planeten sind
fast identisch. Auf diese Weise entsteht ein Netz interessanter Po-
lyrhythmen, das sich an Plutos Baßtrommel orientiert. Diese
Orientierung besitzt nichts Metronomisches, denn auch der Baß-
rhythmus verschiebt sich - allerdings in Zyklen von etwa sieben
Minuten, so daß dierhythmischen Umschichtungen, die dadurch
entstehen, kaum wahrzunehmen sind. Sie laufen ähnlich langsam
wie die Veränderungen in der sogenannten «Minimal Music».
Willie Ruff und John Rodgers haben auf ihrer Platte die Umlauf-
bahnen der Planeten für einen Zeitraum von rund 250 Jahren als
Klänge realisiert — beginnend in Keplers Geburtsjahr 1571. Ange-
regt zu ihrer Arbeit wurden sie durch Hindemiths Oper «Die Har-
monie der Welt» (die ihrerseits von Leben und Werk Johannes
Keplers inspiriert wurde). Ruff selbst ist ein Schüler von Hinde-
nn

mith, der nach seiner Emigration aus Deutschland an der Yale


University gelehrt hatte und in intensivem Kontakt mit Hans
Kayser stand.

85
» ker des IR Jahrhunderts, schrie! 4
arithmetische Übung der Seele, die dabei nicht weiß, daß sie mit
Zahlen umgeht, denn vieles tut sie in Gestalt von unmerklichen 1
Auffassungen, wassiemit klarer Auffassungnichtbemerken kann.
Esirrennämlich diejenigen, welchemeinen, daßnichtsinder Seele
geschehen könne, dessen sie sich nicht selbst bewußt sei. Daher
bemerkt die Seele, obschon sie nicht erkennt, daß sie rechnend
tätig ist, dennoch die Wirkung dieses unmerklichen Zahlenbil-
dens, entweder als ein daraus hervorgehendes Wohlbehagen bei
Zusammenklängen oder als Unbehagen bei Mißklängen.»

«Wie oben so unten» lautet das Grundprinzip der Weisen Asiens


und des alten Ägyptens. Die Klang-Struktur «oben» - nämlich im
Kosmos - kennen wir seit Pythagoras und Kepler — und die mo-
derne Astronomie und Kosmologie entdeckt ständig neue, faszi-
nierende harmonikale Beziehungen, weit über den Raum unseres
Planetensystems hinaus. Wie aber steht es mit «unten» — mit der
Welt der Gene und Zellen, der DNS und RNS, der Atome und Ele-
mentarteilchen? Gibt es auch hier harmonikale Strukturen? Hier
mehr als irgendwo anders müßte es sie geben, wenn wovonin
diesem Buch die Rede ist, einen Sinn hat.
Jahrzehntelang hat man es sich einfach gemacht: Das Bohrsche
Atommodell schien bestimmte Umlaufbahnen der Elementar-
teilchen um den Atomkern zu postulieren, undmannahm an, daß
diese Bahnen - ähnlich denjenigen, die die Planeten um die Sonne
ziehen — harmonikalen Gesetzen gehorchen; in Wirklichkeit ge-
horchen sie statistischen, und «Umläufe» im Sinne der ellipti-
schen Bahnen der Sonnentrabanten gibt es hier nicht.
BAmMUPT
. Esgibt aber sogenannte «Schalen», dieim Atomkern annähernd
der Bedeutung entsprechen, die die «Bahnen» im Sonnensystem
haben. Die Schalen füllen sich mit Elektronen auf, und diese Auf-
füllungszustände stehen in Beziehung zur Ordnungszahl der
Atome im Periodischen System der Elemente; die Ordnungszahl
entspricht der Größe der Kernladung. Hier - in den Schalen, den
Auffüllungszuständen, in Ordnungszahl, Kernladung, Anzahlvon
Elektronen und Protonen und in den sogenannten spin-Zuständen
(der Ausdruck wird weiter unten erklärt) — liegen die harmonika-
len Proportionen, — und zwar in einer Dichte und Auffälligkeit,
die auch den reservierten Beobachter zum Staunen bringt. Die
diesbezüglichen Erkenntnisse wurden fast um die gleiche Zeit aus
den beiden in erster Linie zuständigen und gleichwohl entgegen-
86
y K Ing Me oh a
a SFR FR Ya
‚schaft, andererseits aus der T
. nierende Weise bestätigend und ergänzen d- zusammengetragen >
von dem Musikwissenschaftler Wilfried Krügerund dem französi-
schen Atomphysiker Jean E. Charon.
Krüger hat an den für die Entstehung des Lebens entscheiden-
den Punkten der Mikrowelt — im Sauerstoff-, Stickstoff-, Kohlen-
stoff- und Phosphoratom und in den Nukleinsäurefäden der RNS
und DNS - in besonders überwältigender Fülle harmonikale
Strukturen entdeckt.
Der Sauerstoff ist das Grundelement, die Dur- die Grundtonlei-
ter, und in der Tat: Die acht Protonen des Sauerstoffatoms bilden
eine Dur-Tonleiter, wobei die spins der Protonen exakt die Halb-
und Ganztöne markieren. Der spin — '% ist der Halbton, der
spin + der Ganzton, und wirklich sitzt der Minus-spin auf der
vierten und achten Stufe, dort also, wo in der Dur-Tonleiter das f
und das c’ den Halbtonschritt signalisieren.
Noch überraschender wird die Übereinstimmung, wenn man
bemerkt, daß das Sauerstoffatomkern-Protonen-Modell zwölf
Stufen hat - so viele also, wie die Tonleiter, die es ja tatsächlich
bildet, Halbtöne besitzt. Im Normalzustand sind sieben gefüllt
und fünf leer — wie bei der Tonleiter, die aus sieben «leitereige-
nen» Tönen besteht und die übrigen fünf Halbtöne unbenutzt
läßt. Nun werden in der Musik gelegentlich — vor allem dann,
_ wenn moduliert wird — auch «nicht-leitereigene» Töne verwen-
det; genau das geschieht auch in den verschiedenen Auffüllungs-
zuständen des Atomkerns, die freilich immer nur Übergangsfunk-
tion haben — wie die Modulationen in der Musik.
Ähnliche Entdeckungen hat Krüger in den Kernen anderer
Atome gemacht — wie gesagt um so häufiger, je wichtiger die be-
treffenden Atome für die Entstehung organischen Lebens sind. So
ergibt «die Elektronenhülle des Kohlenstoffatoms, nach den Re-
geln der Atomphysik und in den Stufen des Grundtheorems aufge-
füllt, die Tonleiter c-d-e-f-g-a», das ist der Hexachord der Gregoria-
nischen Musik, ja es gibt sogar, je nach dem Auffüllungszustand
des Atoms, alle drei Hexachorde der Gregorianik im Kohlenstoff —
den sogenannten Hexachord durum, den Hexachord molle und
den Hexachord naturale.
Das Phosphoratom, das größte der DNS, hat die Grundzahl 15,
also 15 Protonen im Kern, die in Form einer ı5stufigen Tonleiter
vom tiefen g bis zum fis’ angeordnet sind, wobei auch hier wieder
die positiven und negativen spins exakt die Halbtöne markieren.
87
%
urIp
en Bangs ern ee die Ne T ee _ die Vıcch
tigkeit des Oktavraumes (Oktave, Quinte, Quarte und große Se-
kunde) - strukturiert. Die Pythagoräer haben der Tetraktys magi-
sche Gewalt zugesprochen und sie als «heilig» bezeichnet, und in
der Tat ist sie in den geheimnisvollen Prozessen, die anorganische
Strukturen in organisches Leben überführen, nahezu allgegenwär-
tig. Die vier Sauerstoffatome zum Beispiel, die das Phosphoratom
umgeben, schwingen in der Tetraktys! Es ist wörtlich zunehmen,
wenn Lama Govinda - lange vor Krügers Entdeckungen -— gesagt
hat: «Jedes Atom singt ständig ein Lied, und es ist dieser Ton, der
in jedem Augenblick dichte oder feine Formen von größerer oder
geringerer Materialität schafft.»
Eine ähnliche Schlüsselstellung wie die Tetraktys besitzt der
geheimnisumwitterte Tritonus, der diabolus in musica, der Teu-
felin der Musik: die übermäßige Quarte oder verminderte Quinte,
die weder konsonant noch eindeutig dissonant ist und in der Mi-
krowelt genau das bewirkt, was sie auch im Jazz-in der Musik des
Bebop der vierziger Jahre - bewirkte: einen «Hauch von Freiheit».
Man spricht, zumal im Jazz, von der «springenden» Quinte,
«springend» aber wirkt sie auch in der Zellkernteilung. Die Ener-
gie, die für den Sprung benötigt wird, entsteht durch Aufnahme
von Photonen, den, wie wir weiter,unten sehen werden, «Kom-
munikationsträgern». Der «Segen der Photone» - so Krüger - geht
«pfingstlich in großer Schar herab hauptsächlich auf die Tonre-
gion des Tritonus» — nämlich auf f, fis, g- und zwar besonders
stark immer gerade kurz vor der Mitose, der Zellteilung, wenn
zwei identische Kerne mit gleicher genetischer Information ent-
stehen. In diesem Prozeß — und auch bei zahlreichen anderen Pro-
zessen im Mikrokosmos, die von Krüger ausführlich analysiert
wurden - ist die verminderte Quinte wirklich noch das, was sie
für die Alchimisten gewesen ist: die quinta essentia— die Quintes-
senz. Sie ist «Schaukel» und «Wippe» und «Angel», weil sie offen
nach allen Seiten ist-sie bringt, wie gesagt, Freiheit. Krügerhatdie
Parallelität der Tritonus-Position im Mikrokosmos einerseits und
im Bebop des Jazz andererseits bis in Einzelheiten ausgeführt.
Franz Schubert empfand das eingestrichene fis als «grüne
Note». Ich weiß nicht, wie Schubert das hören konnte, aber eben
jenes fis’, ein Tritonus (auf C bezogen), bildet die Schlüsselspan-
nung im erchebeh des Stickstoffatoms bei der Photosynthese,
dem Prozeß, in dem aus Sonnenlicht Chlorophyll, lebendiges
88
hsdende Wirkckrdfte, die nie essentia — zusammen a
gens mit zwei weiteren Proportionen, die ebenfalls harmonikal
von besonderer Bedeutung sind und bei den Pythagoräern, in der
Kabbala und in anderen Geheimwissenschaften des Ostens und
Westens seit je als magisch und als heilig gelten: der Sieben der
Dur-Tonleiter und der Zwölf als der Zahl derin der Oktave verfüg-
baren Halbtöne. Tatsächlich besitzt das Magnesiumatom, das in
der Mitte des Chlorophyllis schwingt, die Grundzahl ı2, umgeben
aber ist es von vier Stickstoffatomen mit der Grundzahl 7.
Bereits bevor Lothar Meyer und Dimitrij Mendelejeff das Perio-
dische System der Elemente entdeckt haben, wies John Newlands
darauf hin, daß Elemente der gleichen Gruppe in musikalischen
Intervallen erscheinen: «Es ist zu erkennen, daß die Nummern
analoger Elemente sich allgemein um die Zahl 7 oder ein Vielfa-
ches von 7 unterscheiden ... Ich schlage vor, diese Beziehung vor-
läufig als «Gesetz der Oktaven: zu bezeichnen.»
Prof. Dr. Rudolf Haase, der an der Hochschule für Musik und
Darstellende Kunst in Wien harmonikale Grundlagenforschung
lehrt und das Wiener «Hans-Kayser-Institut» leitet, hat dieses Ge-
setz erhärtet. Nach seinen Untersuchungen basiert das ganze Pe-
riodische System der Elemente auf den Tönen c'’, c’”, d”’”’und.c””’”,
also vorwiegend auf höheren Oktaven des Grundtones.
Haase weist darauf hin, daß das aus der Chemie bekannte «Ge-
setz der konstanten und multiplen Proportionen» zu harmonikal
deutbaren Zahlenverhältnissen führt. Da es «die Grundlage für
die chemischen Formeln bildet», läßt sich «die chemische For-
melsprache als ein riesiger Katalog von Proportionen auffassen....,
dessen harmonikale Erschließung noch aussteht».
Wir haben uns damit aus dem Bereich der Atome und ihrer Teil-
chen in den der Moleküle begeben. Rudolf Haase hat gezeigt, daß
ihrem Aufbau «ein Streben nach höchster Symmetrie zugrunde
liegt, das sich vor allem in Gruppierungen auswirkt, die uns unter
dem Namen der platonischen Körper bekannt sind» — nämlich
Tetraeder, Oktaeder, Hexaeder (Würfel), Ikosaeder, Pentagondode-
kaeder; nur diese fünf gibt es, und sie alle sind aus regelmäßigen
Vielecken zusammengesetzt. In der Anzahl der Ecken, Flächen
und Kanten der fünf Körper kommen folgende Zahlen- und nur
diese Zahlen! - vor: 4- 6-8 - 12 - 20 - 30; in einer Obertonreihe
auf c bilden sie die folgenden Töne: c’’, g”, c’”, g’”’, e””,h””.
L. Wolf hat nach Untersuchungen von Hunderttausenden von

89
c
Molekül rimertelbee benschlaren Bee Diebe) unters
chen wird. Hier gibt es nämlich die gleichen Zahlen, nur die 30,
das viergestrichene h, fehlt, ausgerechnet der Ton, derals einziger
der genannten nicht in den Dur-Dreiklang hineinpaßt! R. Haase,
der all diese Erkenntnisse in jahrelangen Untersuchungen erarbei-
tet hat, bemerkt noch, daß, wenn man die genannten Zahlen in
Intervall: Verhältnisse überträgt; ausschließlichund nur diekon-
sonantesten Intervalle entstehen, nämlich Oktave, Quinte,
Quarte, große Sexte und große Terz. Wahrhaftig ein überwältigen-
des Indiz für den gleichermaßen «harmonikalen» wie «harmoni-
schen», klingenden, musikalischen Aufbau unserer Welt.

Ich habe erwähnt, daß die Forschungen des Musikwissenschaft-


lers Wilfried Krüger durch die des Physikers Jean E. Charon er-
gänzt werden. Bevor ich die Ergebnisse von Charon mitteile, muß
der bereits mehrmals erwähnte Begriff spin erklärt werden. Er ist
das Produkt aus Rotationsenergie und Rotationsperiode von Neu-
'trinos, Photonen und Elektronen und muß grundsätzlich ein
ganzzahliges Vielfaches der wichtigsten Naturkonstante des Mi-
krokosmos, nämlich des Planckschen Wirkungsquantums sein,
auch Plancksche Konstante genannt. Der Ausdruck «ganzzahli-
ges Vielfaches» signalisiert von vornherein schon - also noch be-
vor die Detailfunde Krügers berücksichtigt werden - einen har-
monikalen Befund. Und in der Tat soll Max Planck, der ein starkes
musikalisches Interesse besaß, durch das Springen der Töne in der
Obertonreihe von einer ganzen Zahl zur nächsten zu seiner Quan-
tentheorie angeregt worden sein. Darauf läuft ja die Quantentheo-
rie hinaus: die Energie der Teilchen im Atom verändert sich nicht
gleitend, sondern in ganzzahligen Sprüngen. (Seltsam dieses
gleichstarke Interesse an Musik und Physik bei den beiden großen
Wissenschaftlern, die einerseits unser makro- und andererseits #
unser mikrophysikalisches Weltbild geprägt haben: Johannes
Kepler und Max Planck!) Was nun den Begriff spin betrifft, so ent-
‚sprechen spin-Zahlen in der Mikro-Physik den Intervall- Verhält-
nissen der Musik auf dem Monochord- %, I, %, 2 usw. jeweils
bezogen auf die Einheit der Planckschen Konstante (dividiert
durch 2).
Besonders wichtig für unseren Zusammenhang ist — wie wir se-
hen werden - der spin der Photonen. Was sind Photonen? Krüger:
«Wenn die Atomphysik feststellt, daß die Zeit stillsteht, der Ort
90
tgesc ndigkeit nee = He Teil-
a ist ein Photon -, so tritt sie von außen auf eine Schwelle, auf
die von anderer Seite "her Mystiker traten und treten.»
Wer einem unvoreingenommenen Menschen die Frage stellt:
Was ist das - der Ort ist nirgends, die Masse gleich Null, es bewegt
sich mit Lichtgeschwindigkeit und ist ununterbrochen wirksam
und aktiv?—,der könnte die Antwort erhalten: ein Gedanke. Krü-
ger: «Die Photonen sind die springenden Punkte des Geistes.» Ge-
nau das bestätigt die moderne Teilchenphysik-im Werk von Cha-
ron.

Einen entscheidenden Anstoß für die wachsende Berücksichti-


gung des geistigen Moments in der theoretischen Physik bildeten
die immer wieder gemessenen Abweichungen von den rein physi-
kalischen Gesetzmäßigkeiten, die sich rechnerisch ergaben und
gleichwohl oft nicht ganz genau mit den. gemessenen Ergebnissen
übereinstimmten. Immer wieder stießen Physiker und Mathema-
tiker auf minimale und unvorhersehbare «Zwischenwerte». Sie
begannen sich deshalb zu fragen: Wo sind die Energien, die Im-
pulse, die durch sie abgedeckt werden? Wasist es, was uns da stän-
dig durch das Netz unserer immer genauer werdenden Meßmög-
. lichkeiten schlüpft?
Einen weiteren Anstoß bildete die in eine ähnliche Richtung
weisende Entdeckung von Lee und Yang — zwei amerikanischen
Physikern chinesischer Herkunft —, daß das für die rohe Materie
gültige Prinzip der Erhaltung der Parität im Zuge schwacher Wech-
selwirkungen verletzt wird. Für bestimmte Gruppen amerikani-
scher Physiker bedeutete diese Entdeckung einen Durchbruch.
Untermauertauch durch andere Forschungen, die vorzutragenhier
zu weit führen würde, ließ sich der Gedanke immer weniger von
‚der "Hand weisen, daß sich geistige und psychische Elementen der
oft minimalen- Differenz zwischen den errechneten, aufgrund
der Naturgesetze «verbindlichen» und den de facto gemessenen
Ergebnissen in die bisher «gültigen» Konzeptionen der Mikrowelt
gleichsam «einschlichen». Sie waren da, diese geistigen und psy-
. chischen Elemente, ungerufen und ungewollt, allen herrschenden
physikalischen Theorien zuwider — und konnten gleichwohl im-
mer weniger abgewiesen werden. Leeund Yangerhielten sofort den
Nobelpreis, noch im Jahreihrer Entdeckung, 1957 (Charon weistin
diesem Zusammenhang darauf hin, daß Einstein immerhin 17
Jahre lang auf den Nobelpreis warten mußte!).
9I
denn das ist ja der Geist per definitionem: ein Wählendes!
Neuere mikro-physikalische und kosmologische Modelle sind
überhaupt nicht mehr denkbar ohne ständige Berücksichtigung
von Wahlmöglichkeiten. Die Physiker machen nicht einmal
mehr den Versuch (den sie doch Generationen hindurch unter-
UN
SENAEE
nommen haben), mit Hilfe physikalischer Manipulationen diese
Er «Möglichkeiten der Freiheit» aus der Welt zu schaffen oder ein-
fach zu leugnen. Sie akzeptieren sie und erkennen in wachsendem
Maße: die Akzeptanz der Wahl bedeutet die Akzeptanz des Geisti-
gen.
Eine ständig wachsende Gruppe von Physikern — um den Fran-
zosen Jean E. Charon und um die in den USA führenden For-
schungsanstalten in Pasadena und Princeton (die sogenannten
«Gnostiker von Princeton») — meint, die Urheber geistiger und
psychischer Impulse im Elektron und im Photon entdeckt zu
haben.
Charon schreibt: «Das Elektron umschließt innerhalb seines
Mikro-Universums einen Raum, der erstens Informationen zu
speichern vermag, zweitens mit Hilfe einer Art von «Erinnerungs-
system» diese Information in jeder Pulsationsperiode seines
Zyklus wieder verfügbar machen kann und drittens die Fähigkeit
besitzt, komplexe Operationen durch Kommunikation und Zu-
sammenarbeit mit den anderen Elektronen des zu bildenden Sy-
stems zu steuern.» |
Das Elektron nämlich ist eine Art «Mikro-Schwarzes Loch»; es
besitzt eine ähnliche Struktur wie die Schwarzen Löcher des Kos-
mos und, bis zu einem gewissen Grade, wie deren Vorstufe, die
Pulsare, die schweren, pulsierenden Sterne, von denen wirgespro-
chen haben. Wie Schwarze Löcher und Pulsare verfügt das Blek-
Rr tron über eine sehr, sehr hohe Temperatur zwischen 60 Millionen
und 650 Milliarden Grad - man muß sich das vorstellen: in der
. unvorstellbaren Kleinheit des Mikrokosmos! — sowie über eine
ungeheure Dichte - zwischen Tausend Milliarden und einer Mil-
lion Gramm pro Kubikzentimeter! - und, damit zusammenhän-
gend, einen im Sinne der Einsteinschen Theorie völligin sich ge-
krümmten Raum und eine völlig in sich gekrümmte Zeit. Die
. Zeit der Elektronen und Schwarzen Löcher ist also nicht unsere
«materielle Zeit», die von der Vergangenheit in die Zukunft führt.
92
-y-
fen len kann. Deshalb, so Chiten. sind die Eekinnen die
«Ur-Speicher» der Erinnerung. Sie gehören zu den wenigen Ele-
mentarteilchen, die nicht zerfallen, das heißt, sie bestehen von
Beginn des Kosmos an biszum Ende der Zeitunddes Universums. _
Charon: «Ein Elektron, das nacheinander Teil eines Baumes,
eines Menschen, eines Tigers und wieder eines Menschen war,
wird sich also für immer an alle in diesen verschiedenen Leben
gesammelten Erfahrungen erinnern. Von nun an vereintesinsich
alle Erfahrungen, die es als Baum, als Mensch Nr. ı, als Tiger und
als Mensch Nr. 2 erlebte, dessen Organismus es zu bestimmten
Zeiten angehörte.»
Angebahnt hat diese Erkenntnisse bereits in den zwanziger Jah-
ren der Züricher Physiker Wolfgang Pauli, aus dessen sogenann-
tem «Pauli-Prinzip» hervorgeht, daß Atome «wissen» und «behal-
ten» können, ob sie einem anderen Atom schon einmal begegnet
sind oder nicht, und daß sie «wissen», in welchem Zustand sich
andere Atome befinden.
Das Erinnerungsvermögen der Elektronen wird durch den spin
seiner Photonen gesteuert. Jede Steigerung des spins führt zu
einem Mehr an Information, und diese Steigerung erfolgt - und
das eben ist für unseren Zusammenhang das Überraschende und
Wunderbare - in harmonikalen Progressionen.
Photonen steuern aber nicht nur die Erinnerung, sondern auch
den Erkenntnisprozeß: «Bei ihm verschwindet ein Photon des
Außenraumes und stellt dadurch seinen Impuls, seine Energie
und seinen spin einem Photon des Elektronenraumes zur Verfü-
gung ...» — wodurch das innere Photon von nun an eben über das
Potential verfügt, über das bisher nur das äußere Photon verfügte
— und auch dies wiederum geschieht in ganzzahligen harmonika-
len Progressionen! Es ist, als ob sich die Teilchen gegenseitigihre
«Töne» mitteilten! Das ist die Sprache, in der sie miteinander
kommunizieren — eine Sprache in Tönen, in Harmonien!
Drittens gibt es die «Tat» der Elektronen. Charon: «Das Elek-
tron hat hierbei eine rein motorische Aufgabe zu erfüllen; es muß
sich in den Außenraum, den Raum der Materie, hinausbewe-
gen...» um dort durch seine Anwesenheit atomare und chemische
Prozesse auslösen zu können - was auch wieder durch die spin-
Zustände, in harmonikalen Progressionen also, bewirkt wird.
Charon: «Zuletzt gibt es noch den spin-Austausch zwischen
den Photonen zweier benachbarter Elektronen. Diesem Aus-

93
spielsweise geschehen, daß ein Photoni a
trons von spin + ı auf spin+ 2 übergeht, während gleichze
benachbarten Elektron ein Photon von spin- ı auf spin— 2 über-
geht .. . Zur Kommunikation durch Liebe gehören jedoch immer
zwei: Beide müssen sich zu dieser Wechselwirkung entschließen |
und beide den spin-Austausch annehmen. Der Elektronenraum |
jedes der beiden Beteiligten (das «Gedächtnis» dieses Raumes) muß
imstande sein, eine solche Erhöhung des spin-Zustandes, von spin
ı auf spin 2 beispielsweise, eines seiner Photonen zu akzeptieren.
Anders ausgedrückt: es muß eine gewisse ästhetische Über-
einstimmung zwischen jenen beiden «Gedächtnissen> herr-
er schen, die versuchen, sich zu paaren, um ihre Information zu be-
=
reichern ... Jedes ist Spender und Empfänger zugleich, und damit
Jes
cr dieser auf Gegenseitigkeit beruhende Vorgang stattfinden kann,
müssen die beiden neuen geistigen Konfigurationen gewisserma-
ßen «zusammenpassen>.»
ee
Be
EinElektron, dassichbishernurintoterMaterieaufgehaltenhat,
besitzt gegenüber einem, das sich schon lange in einem Tier oder
E) Menschen befindet, ein völlig verschiedenes Informationsniveau;
die beiden haben gleichsam eine andere «Ausbildung» durchlau-
fen, und es ist nicht wahrscheinlich, daß zwischen ihnen ein spin-
Austausch - «Kommunikation», «Paarung», «Liebe» — geschehen
wird, ein Befund, der exakt menschlichen «Usancen» entspricht.
Der Psychologe Oscar Ichazo: «Die Liebe ist das Wiedererkennen.
des gleichen Bewußtseins bei sich und beim anderen.» Und Jean E.
Charon: «Ich bin übrigens der Überzeugung, daß eine bestimmte
Affinität auf der Stufe des Lebendigen (und nicht mehr des Elemen-
taren), die auf Verwandtschaft (wie der Mutterliebe), aber auch auf
gegenseitiger Ergänzung [wie der Liebe zwischen Mann und Frau)
beruhen kann, jene Art der Kommunikation zwischen Elektronen
erleichtert, diewirin Analogie dazu auch aufderEbenedesElemen-
taren als Liebe bezeichnet haben. Im Gegensatz zu den Ansichten,
welche die meisten organisierten Wesen sich darüber zurechtge-
legt haben, sind es nämlich eigentlich ihre Elektronen, die Liebe
verströmen oder Liebe hervorrufen. Das organisierte Wesen selbst
ist nur das «Vehikel> dieser Liebe, und auch das nur in einem eng
begrenzten Teilgebiet von Raum und Zeit.»
Wir können danach den oben zitierten Satz von Oscar Ichazo
variieren — und präzisieren: Die Liebe ist das Wiedererkennen der
gleichen spin-Zustände, will sagen: gleicher harmonikaler Ver-
hältnisse, gleicher Schwingungen, - letztlich: gleicher Harmo-

=
Akkord. Je Fe sieim Würlichen Sinn ist, desto «har
. monischer» ist sie auch im übertragenen Sinn— womit auch offen-
‚sichtlich ist, daß die Vorgänge der Liebe, ihre «Taten» — Zärtlich-
_ keiten, Vereinigung, Orgasmus - durch harmonikale Verhältnisse
gesteuert werden und ihrerseits wiederum - in einer Art «feed-
back» im Sinne der «Regelkreise» der Kybernetik - ein harmoni-
kales Geschehen von wachsender Kraft und Intensität auslösen —
durchaus so, wie es die Dichter aller Zeiten, Shakespeare etwa,
empfunden haben: Die Liebe als Musik ...

Der spin steigert sein Niveau aber nicht nur in harmonikalen


Progressionen, er «geschieht» auch in der Zeit - und zwar in der
gekrümmten, zyklischen Zeit der Elektronen (die auch die der
Schwarzen Löcher des Makrokosmos ist). Zeitliche Progressio-
nen in ganzzahligen Verhältnissen sind Rhythmen. Spins er- NE
scheinen in diesem Licht als die Ur-Rhythmen des Kosmos, und
auch diese Rhythmen also «swingen» in ganzzahligen Verhält-
nissen.
Und schließlich: Das Photon ist die kleinste Einheit des Lich-
tes. Photonen tragen das «Ur-Licht». Sie sind «mikrokosmische
Lichtblitze». Photonen sind Licht in der totalen Bedeutung
des Wortes, gleichermaßen der materiellen wie der «übertrage-
nen» geistigen. Ohnehin lassen sie sich geistig einfacher und
zwangloser definieren als physikalisch-materiell — weshalb
denn auch die Schul-Wissenschaft zugeben muß: «Es ist bisher
noch nicht gelungen, sie (die Eigenschaften dieser Teilchen) aus
allgemeineren theoretischen Ansätzen in befriedigender Weise
abzuleiten.» Carl Friedrich von Weizsäcker räumt ein, daß «von
dieser Physik aus gesehen, nichts der Behauptung im Wege
(steht) — die allerdings auch nicht aus ihr folgt —, daß, wenn
ich einmal klassische Begrifflichkeiten benutzen darf, die Sub-
stanz, das Eigentliche des Wirklichen, das uns begegnet, Geist
ist.»
Was nun die Frequenz des Lichts betrifft, das ein Photon «ist»,
so hängt auch sie von seinem spin ab, das heißt wieder: von har-
"monikalen Progressionen. Von den Gesetzmäßigkeiten der Ober-
tonreihe! (Wir werden in dem Kapitel «Harmonie als Ziel der
Welt» auf diese Dinge zurückkommen müssen, aber wir begreifen
schon jetzt, warum Musik und Physik einander so nahestehen,
von Anfangan, und warum gerade die Musiker so oft von physika-
95
dumg 2 | 1
Die hier der biblischen Eenehia edenkalls; wonach
Gottim Anfang das Licht geschaffen habe, wird von dermodernen
Kosmologie voll bestätigt. Denn die Kosmologen behaupten
heute, gestützt auf die allgemeine Relativitätstheorie, daß das
Universum am Anfang von sehr heißer elektromagnetischer
Strahlung - und nur von solcher — erfüllt war: von Photonen,
also— von Licht. Charon: «Wie aus der Bibel, so erfahren wirauch
von den Astrophysikern, daß die Materie erst nach der Erschaf-
fung des Lichtes entstanden ist.»
Dieses Licht aber, das Photon, läßt sich leichter als Geist und
Gedanke denn als Materie oder Energie bestimmen. Im Anfang
also— auch das bestätigt die moderne Physik —war der Geist, der
Logos. [Und gerade an dieser Stelle sollte daran erinnert werden,
daß das Wort Aöyog im Griechischen auch «Proportion» beiden.
tet!)
Im übrigen ist nun wohl der Punkt erreicht, an dem man sich
eine Vorstellung von dem ungeheuren Verdrängungsakt machen
kann, dessen sich die Schul-Wissenschaft befleißigt hat. Genera-
tionenlang hat sie versucht, die Grundvorgänge des Kosmos und
des Mikrokosmos und sogar die des Lebens allein physikalisch
und chemisch, also materiell zu erklären. Immer wieder ist sie
dabei auf die Dimension des Geistigen, des Seelischen, des Meta-
physischen gestoßen, aber sobald dies geschah, hat sie allergisch
die Augen geschlossen, als gäbe es diese Dimension nicht. Es war
ein asketischer Krampf: Menschen, die selber denken und fühlen
und für die ja, wie für jeden Menschen, ihr eigenes Denken und
Fühlen das Wichtigste auf der Welt ist, versuchten, die Welt zu
erklären, als gäbe es Denken und Fühlen nicht.
Der französische Psychoanalytiker Pierre Soli€ hat einmal die
Frage gestellt: «Glauben Sie denn, die Physiker hätten je die Ge-
setze des Atoms entdecken können, wenn sie nicht selbst aus die-
sen Atomen bestünden?» Entsprechend darf gefragt werden: Kann
man denn glauben, die Menschen hätten je schöpferischen und
tätigen, liebenden und erkennenden Geist bewiesen, wenn sie
nicht aus Geist bestünden?
Deshalb sind es gerade die schöpferischsten Wissenschaftler ge-
wesen, die genialsten, diejenigen, die am meisten von Geist
durchdrungen sind, die - in Medizin, Physik, Biologie und Che-
mie -— die geistigen, psychischen und metaphysischen Kräfte nicht
etwa geleugnet und ausgeklammert, sondern im Gegenteil in ihre

96
aphysi: t) te:
en hakllichen elkunsen hie verbunden .. ae =
stellt) eine starke Antriebskraft für den Fortschritt der Erkenntnis
dar...-mit oder ohne die Approbation der Herren «Wissenschafts-
‚gläubigen».»
Und schließlich Max Planck, der Mann, der die Quantenme-
chanik und die Teilchen-Physik, wie sie sich heute darstellt, be-
gründet hat und auf den sich die «Schul-Wissenschaft» in ihrem
Materie-orientierten Denken beruft — zu Unrecht, wie das fol-
gende Zitat deutlich macht: «Es gibt keine Materie an sich!
Nicht die sichtbare, aber vergängliche Materie ist das Reale,
Wahre, Wirkliche, sondern der unsichtbare, unsterbliche Geist
.. Da aber Geistwesen nicht aus sich selbst sein können, son-
dern geschaffen worden sein müssen, so scheue ich mich nicht,
diesen geheimnisvollen Schöpfer ebenso zu nennen, wie ihn alle
alten Kulturvölker der Erde früherer Jahrtausende genannt ha-
ben: — Gott!»

Klänge und Musik zum Hören des vierten Kapitels


Pursar-Kıänce: Bandaufnahmen der amerikanischen Astrono-
men Jeff Lichtman und Robert M. Sickels, dazu gehörig: «Ama-
teur Radio Astronomer’s Notebook», copyr. 1975 (Max-Planck-
Institut für Radioastronomie Bonn)

THE HARMONY OF THE WORLD — A Realization for the Ear of


Johannes Kepler’s Astronomical Data from Harmonices Mundi
1619, Realized by Willie Ruff and John Rodgers (Plattenveröffent-
lichung der Yale University LP 1571, Adr. W. Ruff, School of Mu- =e

sic, Yale University, New Haven, Conn. 065 20)

EARTH’S MAGNETIC FIELD — Realizations in computed electronic


sound by Charles Dodge, produced at the Columbia University
Computer Center (Nonesuch Records H-71250)]
(Computerisierte, elektronisch realisierte «Musik», die im
Schwingungsgefüge zwischen den Solar-Winden und dem ma-
ee Feld der Erde entsteht. Dodge: «Die Musik auf dieser

f
97
idee . Pe
IE SEELEN" SL
WE

RE

ne
unb
ä
E
Ä
3
an
... Sterne und Elementarteilchen - Fische und Pflanzen Kristalleund
Blattformen - den männlichen und weiblichen Körper und die Se-
xualität - Kathedralen und Kreuzgänge - den Aufbau der Erde und die
Statue des Memnon imNiltal...
B
Nada Brahma. Die Welt ist Klang. Sie ist Klang in Pulsaren und
Planetenbahnen. Und im spin der Photonen und Elektronen. In
den Quanten der Atome und in der Struktur der Moleküle. In Ma-
kro- und Mikrokosmos. Aber sie ist auch Klang im Bereich dazwi- Te
schen -in der Welt, in der wirleben. Davon handelt dieses Kapitel.
Auch hier wieder werden wir Klang zuallererst dort entdecken, a
a
wo man ihn noch eben zuallerletzt erwartet hätte.
Unter den Tieren war der Fisch seit je ein Symbol ewiger
Stummheit. «Stumm wie ein Fisch», sagt man. Heute wissen wir,
daß das Meer - insbesondere die Tiefsee — voller Klänge ist. Da
gibt es Pfeifen und Grunzen, Klappern und Schnarchen undRlin-
geln, Sägen und Knarren und elektronisch wirkende Geräusche,
Schnappen und Schnalzen und Knattern, Trommeln von Baß-
trommeln und Tomtoms und Tamburins, Schreien und Pfeifen,
Stöhnen und Ächzen, und die Fische, von denen diese Laute kom-
men, heißen Fleckentrommler, Papageienfische, atlantische und
pazifische Welse, weiße Grunzer, Kofferfische, Thunfische, atlan-
tische Lippfische, Austernfische, Schwarzgrundeln, Schnappgar-
nelen, Bastardforellen, Knurrhähne, Umbernfische ... Viele von
ihnen haben Antennen und andere elektrische Sendeanlagen. Sie
überziehen die Meere mit einem Netz von Signalen zusätzlich
noch zu denen, die sie mit ihren «Sound-Werkzeugen» hervor-
bringen.
Die Erforschung der Klänge der Tiefsee befindet sich erst in ih-
ren Anfangsstadien. Die Vorfahren der Wale und Delphine, der
Säugetiere des Meeres, die sogenannten Cetacea, lebten auf dem
Lande. Das Meer - bis in Tiefen hinunter, in denen es kein Licht
mehr gibt - konnten sie sich erst dadurch erschließen, daß sie die
Fähigkeit, Klänge zu schaffen, entwickelten: Sounds auszusenden
"und zu empfangen und zu verstehen. Dabei arbeiten sie- und an-
99
ee F
tes messen. Die Wissenschakle 4 wissen Hoch nicht genau, wie
"und wo bei vielen dieser Meerestiere die Sounds erzeugt werden; u

man nimmt an, daß es in der Hirn-Region geschieht und daß dort
auch die Antwort-Signale empfangen werden.
Wale zum Beispiel können auf Hunderte von Kilometern buch-
stäblich miteinander reden. Computeranalysen haben eine Infor-
mationsdichte zwischen einer und zehn Millionen Bits pro
halbstündigem Walgesang ergeben, das ist etwa die Informations-
menge der «Odyssee»!
Schon lange bevor die Menschen das Radio und die Schallüber- 3
mittlung durch elektrische Wellen erfunden hatten, «sendeten»
die Fische - ohne Röhren und Transistoren! So ist auch die Erfin-
dung des Radios — wie viele große Erfindungen - nur eine nach-
trägliche technische Realisation dessen, was die Natur vorher
«gewußt» und gekonnt hat. Und natürlich spielt es für unseren
. Zusammenhang keine Rolle, ob wir die Klänge der Fische unmit-
telbar hören können oder ob wir sie, um sie hörbar zumachen, erst
aus dem UKW-Bereich transponieren müssen. Auch Rudolf Haase
weist darauf hin, daß die Transponierbarkeit ein Grundprinzip
harmonikalen Weltverständnisses ist. Wir haben gesehen: Es
kommt auf die Proportionen an — gleichgültig in welchem
Schwingungsbereich. Musik — wir sprechen ja hier von der Musik
des Kosmos und der Natur - ist nicht denkbar ohne ständiges
Transponieren. Die Beziehung würde nicht stimmen, wenn es
Transponierbarkeit nur in unserer menschlich-irdischen Musik
gäbe, aber nicht in der anderen Musik, die Kosmos, Mikrokosmos
und Natur machen. [Die amerikanische Plattenfirma Folkways
hat «Sounds of the Sea» auf zwei Schallplatten herausgebracht —
aufgenommen sowohl unmittelbar unter der Meeresoberfläche,
wie auch in Tiefen bis zu 600 Metern an der Küste von Florida nd
beim Point Lobos am Pazifik südlich von San Francisco.)

Ähnlich wie für die Fische galt bis vor wenigen Jahren: auch die
Pflanzen schweigen. Sie wachsen in Stille. Kein Leben ist ge-
räuschloser als das ihre. Inzwischen weiß man, daß es auch hier
Klänge gibt. In Israel, England und den USA hat man den Klang
einer Rose in dem Augenblick, in dem aus der Knospe die Blüte
bricht, mit den Mitteln der modernen fotoakustischen Spektro-
skopie hörbar gemacht: ein orgelartiges Dröhnen, das an die
Klänge einer Toccata von Bach oder an die der «Ascension», der
IOO
S ı 8 +15 - ex rin i Go:

also, was manin der abendländischen Orgelmusik als eine «auf


brechende» Folge von Akkorden empfände.
Dr. David Cahen am Weizmann Institute of Science in Reho- \
wot/Israel und Dr. Gordon Kirkbright am Imperial College,
London, haben die Möglichkeiten fotoakustischer Spektroskopie
besonders sorgfältig erforscht und angewandt. Sie nennen das
«Listening to Cells» — ein Hören auf die Zellen. Durch ihre For-
schungen weiß man, daß auch ein Halm - ein einfacher Getreide-
halm auf einem Acker - einen Klang hat. Man muß sich das vor-
stellen: Viele solcher Halme nebeneinander wachsend - jeder mit
seinem eigenen Sound. Es ist eine Sinfonie von Klängen, die da
wogt. Gewiß, keines Menschen Ohr kann sie hören, und doch
gäbe es diese Sinfonie nicht, wenn nicht irgendein Sensorium vor-
handen wäre, das sie wahrnähme. Versuchen Sie, wenn Sie das
nächste Mal vor einer Bergwiese stehen, dieses Sensorium in sich
zu erwecken. Sehen Sie die Tausende von Halmen und Blumen
und Gräsern, die da wachsen, und dann stellen Sie sich vor: Jede
dieser Pflanzen hat ihren eigenen Klang. Und während sie wächst
— und sie wächst in jeder Minute und in jeder Sekunde, verändert
sich dieser Klang. Es ist der Gesang des Lebens schlechthin. Ein
ungeheurer Chor. Millionen, Milliarden von Klängen, die in einer
alles menschliche Vorstellungsvermögen überschreitenden Har-
monie, ineinergewaltigenPolyphoniemiteinanderverschmelzen.
Aber auch das haben neuere Forschungen ergeben: Pflanzen auf
einer Wiese, auf einem Feld, im Wald verkümmern, wenn sich
ihre Schwingungen - will sagen: ihre Klänge - disharmonisch zu
den in ihrer Nachbarschaft wachsenden Pflanzen verhalten. Blu-
menfreunde wissen seit je: Bestimmte Pflanzen gedeihen nicht
unmittelbar nebeneinander — sogar dann nicht, wenn sie grund-
sätzlich die gleichen Boden- und Klimaverhältnisse bevorzugen.
Inzwischen wissen wir den Grund. Sie vertragen sich nicht, weil
sich ihre Schwingungen nicht vertragen, ihre Sounds nicht zu-
sammenpassen, ihre Klänge disharmonisch zueinander stehen,
harmonikal ausgedrückt: nicht niedrigen ganzen Zahlen entspre-
chen.
Besonders aufsehenerregend sind diesbezügliche Forschungen
in der Sowjetunion. Die Prawda, offizielles kommunistisches Par-
teiorgan, schrieb im Oktober 1970: «Pflanzen sprechen ... ja, sie
schreien. Es sieht nur so aus, als ob sie sich geduldig in ihr Schick-
sal fügten und stillschweigend alle Pein erdulden. Der Prawda-
"Reporter V. Tschwertkow berichtete ausführlich, wie er Zeuge
"OL
a
_ sew- Hochschule fürhe. besichte Er Vor meinen \
Augen schrie ein Gerstensprößling buchstäblich auf, als man
seine Wurzeln in kochendes Wasser tauchte.»
Sowjetische Wissenschaftler haben einen Film unter dem Titel
«Sind Pflanzen empfindungsfähig?» gedreht. Der amerikanische
Arzt William McGarney, der diesen Film gesehen hat, berichtet:
[2
«Zeitrafferaufnahmen ließen das Wachsen der Pflanzen wie einen
Tanz erscheinen. Blumen öffneten und schlossen sich, als seien
sie Wesen, die in einer anderen Zeitdimension lebten.»
In der westlichen Welt ist die Empfindungsfähigkeit der Pflan-
Ba
ea zen als «Backster-Effekt» bekannt geworden - nach dem amerika-
Er nischen Wissenschaftler Cleve Backster, einem international
bekannten Experten für Lügendetektoren. Als Backster in den
sechziger Jahren zur Abwechslung einmal nicht Menschen, son-
dern die in seinem Arbeitsraum wachsenden Zimmerpflanzen an
seine Detektoren — sogenannte Polygraphen — anschloß und un-
tersuchte, wie Pflanzen reagieren, wenn man ihre Blätter oder Blü-
‚ten mit einer Kerze anbrennt, stellte er fest, daß die Meßapparate
bereits in dem Augenblick aufs stärkste ausschlugen, als er nur
den Gedanken hatte, eine Pflanze anzusengen. Pflanzen verstehen
also Gedanken. In weiteren Versuchen konnte Backster erhärten,
daß Topfpflanzen die Gedanken von Menschen, die sie «kennen»
(weil die betreffenden Personen sich oft im gleichen Zimmer auf-
halten], noch auf Tausende von Kilometern Entfernung emp-
fangen und darauf reagieren können.
Es ist danach nicht verwunderlich, daß Pflanzen auch Musik
«hören» und verschiedene Arten von Musik durchaus voneinan-
der unterscheiden können. Der indische Botaniker Dr. T.C. Singh
ließ der asiatischen Mimosenart Hydrilla virticillata täglich meh-
rere Stunden lang Ragas — also indische Musik - vorspielen. Die
amerikanischen Autoren Peter Tompkins und Christopher Bird
berichten in ihrem Buch «Das geheime Leben der Pflanzen»:
«Nach vierzehn Tagen entdeckte Singh, daß die Anzahl der Spalt-
öffnungen pro Flächeneinheit bei den Versuchspflanzen um
sechsundsechzig Prozent höher lag, die Epidermiswände dicker
und die Palisadenzellen bis fünfzig Prozent länger und breiter
waren als bei den Kontrollpflanzen, die keiner Musik ausgesetzt
waren.
Durch diese Erfolge zu weiteren Experimenten ermutigt, ließ
Singh einen Lehrer der Annamalai-Musik- Schule, Gouri Kumari,
102
ya» ee ist. REES nrer Musiker impr
visierte jeden Tag fünfundzwanzig Minuten auf einem lauten
ähnlichen Instrument, der Veena. Im Laufe der fünften Woche
überholten die Versuchspflanzen allmählich ihre «Artgenossen»,
denen keine Musik vorgespielt wurde. Nach einigen Monaten
hatten jene durchschnittlich zweiundsiebzig Prozent mehr Blät-
ter entwickelt, die zwanzig Prozent höher gewachsen waren als
die Kontrollpflanzen.»
Daß die Kraft von Klängen gegebenenfalls auch vernichtende
Wirkung haben kann, stellte die amerikanische Biologin Dorothy
Retallack fest. Sie spielte einer Anzahl von Philodendren, Mais,
Radieschen und Geranien jeden Tag acht Stunden unablässigden
Ton F vor — und einer genau gleichen Gruppe von Pflanzen diesen
gleichen Ton F jeweils drei Stunden lang, aber von längeren Unter-
brechungen gefolgt. In dem ersten Gewächshaus waren sämtliche
Pflanzen nach zwei Wochen tot. Im zweiten - so berichten Tomp-
kins und Bird — waren sie gesünder als die Kontrollpflanzen, die
überhaupt keinen Tönen ausgesetzt worden waren.
An demselben biologischen Institut im amerikanischen Bun-
desstaat Colorado, an dem Mrs. Retallack arbeitet, ließen junge
Biologen in zwei verschiedene Gewächshäuser, in denen Kürbisse
gezogen wurden, die Musik zweier Radiosender aus Denver, Colo-
rado, übertragen; der eine war eine sogenannte «Rock station»,
der andere war auf klassische Musik spezialisiert. Bird und Tomp-
kins berichten: «Die Kürbisse zeigten sich keineswegs gleichgül-
tig: Die Pflanzen, die Musik von Haydn, Beethoven, Brahms,
Schubert und anderen Komponisten aus dem Europa des 18. und
19. Jahrhunderts ausgesetzt waren, wuchsen dem Transistorradio
entgegen, ja, eine Pflanze schlang sich sogar liebevoll um den Ap-
parat. Die «Rock-Kürbispflanzen» dagegen mieden den Lautspre-
cher in auffälliger Weise. Sie bogen sich von ihm fort und wollten
lieber an den glatten, keinerlei Halt bietenden Wänden ihres Glas-
käfigs emporranken, wenn diese Wände nur weit genug von der
Musik entfernt waren, als den Halt bietenden Lautsprecher und
seine Kabel und Befestigungen zu benutzen.»
Noch überzeugender geriet ein Experiment, das Mrs. Retallack
selbst ausführte. Sie pflanzte drei Gruppen von Gewächsen an — er

die gleiche Art, auf den gleichen Böden, unter den gleichen Tem-
peraturen, mit der gleichen Bewässerung. Der ersten spielte sie
Musik von Bach vor, der zweiten Sitar-Musik, gespielt von Ravi
Shankar, dem großen Meister der klassischen indischen Musik,

‚203
ri überhaupt keine Musik. Bird und Tom a
2 Pflanzen zeigten deutlich, daß sie Bach mochten, indem sie sich
um bisher noch nie dagewesene fünfunddreißig Grad den Prälu-
dien entgegenneigten. Aber selbst diese starke Zu-Neigung wurde
noch bei weitem von der Reaktion auf Ravi Shankar übertroffen:
Die Pflanzen legten sich in ihrem Bestreben, die Quelle der indi-
schen Musik zu erreichen, fast in die Horizontale — mit extremen
Winkeln von bis zu sechzig Grad —, und wieder umarmte die dem
Lautsprecher am nächsten wachsende Pflanze beinahe den Appa-
rat.
Mrs. Retallack experimentierte auch mit verschiedenen ande-
ren Musikarten. Bei Folk- und Country-Musik verhielten sich die
Pflanzen wie in der Kontrollkammer ohne Musik ... Bei Jazz von
Duke Ellington und Louis Armstrong neigten sich mehr als die
Hälfte der Pflanzen fünfzehn bis zwanzig Grad dem Lautsprecher
zu, und ihr Wachstum war üppiger als das der Kontrollpflanzen.»

Die harmonikale Forschung weiß: Jede organische Form — eines


Fisches, einer Blume, eines Blattes, einer Frucht, eines Käfers,
überhaupt jedes Lebewesens —, ja auch die «schönsten» Formen
der anorganischen Welt, etwa die der Kristalle, sind Klang, das
heißt in ihrem Aufbau kommen vorzugsweise solche Zahlen vor,
aus denen Konsonanzen gebildet werden können. «Oder anders
formuliert: dieharmonikale Forschung weist nach, daß in der Na-
tur solche Quantitäten eine große Rolle spielen, dieim Menschen
in Qualitäten umgewandelt werden können ...» (R. Haase). Hans
Kayser hat die «Entsprechungen von Blattspektren und Tonspek-
tren» bis in Einzelheiten hinein aufgezeigt: «Zeichnet man sämt-
liche Töne innerhalb einer Oktave — das ist übrigens dieselbe
Oktavoperation, die Johannes Kepler in seiner berühmten De Har-
monice Mundi anwandte — mit ihren Winkeln graphisch auf, so
erhält man die Form eines Urblattes. Was ja nichts anderes heißt,
als daß das Rahmenintervall der Oktave, also die Möglichkeit des
Musizierens und Musikempfindens schlechthin, die Form des
Blattes in sich birgt. Man bedenke, was es heißt, wenn eine
Pflanze innerhalb einer Blüte eine exakte Drei- und gleichzeitig
eine Fünfteilung durchführt. Wenn man nicht einen logisch rech-
‚ nenden Verstand annehmen will, so wird man sich wohl damit
abfinden müssen, daß in der Pflanzenseele bestimmte gestalt-
trächtige Prototypen — und zwar hier eine Terz- und dort eine
Quintform - am Werke sind, die- wie in der Musik - als Intervalle
die Blütenform gestalten.»
104
Aal Vers hele Ara konnten, hartmonikale
Gestalten und Proportionen besitzen - in Kelch, Blattkrone,
Staubgefäßen, Fruchtknoten, Frucht, Stengel und Blattstellung.
Die Tabelle enthält so verschiedene Pflanzen wie Roßkastanie,
Milchstern, Esche, Kürbis, Rose, Pfaffenhütchen, Taubnessel, Bal-
drian, Wegerich, Waldmeister, Berberitze, Wiesensalbei, Brom-
beere, Linde und Mauerpfeffer.

Vieles, was wir als «schön» empfinden - in der Natur, in der


Kunst, am menschlichen Körper —, gehorcht den Gesetzen des
Goldenen Schnittes. Im Lexikon findet sich folgende Definition:
«Goldener Schnitt: Teilung einer Strecke so, daß die ganze
Strecke a zum größeren Teil b sich wie der größere Teil b zum
kleineren (a-b) verhält. Alsoa:b=b:[a-b).»
Das klingt ziemlich trocken, gewinnt aber sofort Leben, wenn
man sich vorstellt, daß der Goldene Schnitt ein Sext-Phänomen
(3:5 und 5:8) ist, — ein in der Musik wie im Kosmos besonders
wichtiges Intervall. Verfolgen wir einmal die Gesetze des Golde-
nen Schnittes in bezug auf den menschlichen Körper.
Als erster hat der im 16. Jahrhundert lebende niederländische
Arzt Agrippa von Nettesheim die Proportionen unseres Körpersin
ein Netz aus Kreisen und Dreiecken eingezeichnet. Der Organist
und Musiktheoretiker Andreas Werckmeister schreibt in seinem
1702 erschienenen Werk «Harmonologia Musica»: «Ist nun die
große Welt als (makrokosmos) beschaffen, so muß der Mensch als
(mikrokosmos) auch eine Verwandtschaft mit derselben haben:
Daher Pythagoras und Platon gesagt haben: Die Seele der Men-
schen sei eine Harmonie; dieses wird nicht allein von vielen
Philosophiis bekräftigt und erwiesen, sondern man hat es auch
erfahren, daß an eines wohlproportionierten Menschen Leibe und
Gliedern die proportiones musicä — musikalische Proportionen —
zu finden seien.»
Thomas Michael Schmidt beschreibt den wohlproportionierten
Körper folgendermaßen:
«Der Bauchnabel teilt die Körperlänge im Verhältnis des Golde-
nen Schnittes ... Die Brustwarzen teilen die Gesamtbreite eines
Menschen mit ausgestreckten Armen im Verhältnis des Golde-
nen Schnittes. Der Beinansatz teilt die Höhe der Brustwarzen im
' Verhältnis des Goldenen Schnittes ... Das Knie teilt das ganze
Bein im Verhältnis des Goldenen Schnittes ... Die Augenbrauen

Re
nis des Goldenen Schnittes..
Den menschlichen Körperbau, insofern er vom Goldenen i
Schnitt, also von musikalischen Verhältnissen gegliedert wird,
"kann man deshalb als ein klingendes Kunstwerk bezeichnen, sind
es doch ... gerade die vollkommensten mathematischen Verhält-
nisse, die ihn gestalten. Mit vollem Recht kann man deshalb sa-
gen, daß der Mensch zumindest seinem Körperbau nach auf die
Vollkommenheit hin angelegt sei.» -
Versteht sich, daß sich bei Tierkörpern — überhaupt in der gan- _
zen organischen Welt-ähnliche Proportionen nachweisen lassen,
— und doch gibt es sie nirgendwo in solcher Dichte und Fülle wie
am menschlichen Körper. Th. M. Schmidt fährt fort: «Es kann -
nach dem vorher Gesagten —- kaum noch überraschen, daß die ge-
nannten Verhältnisse des menschlichen Körpers Entsprechungen
in den mathematischen Beziehungen der Planetenumläufe haben
.. Fürjede Proportion des menschlichen Körpers, die einem musi-
kalischen Intervall entspricht, läßt sich ein entsprechendes Ver-
hältnis zwischen zwei oder drei Planetenumläufen angeben. Die
beiden scheinbar so weit auseinanderliegenden Welten der Töne
und Planetenbewegungen finden also im menschlichen Körper
einen unmittelbar sichtbaren Ausdruck. Verbindungsglieder zwi-
schen Mensch und Kosmos sind dabei die musikalischen Verhält-
nisse, die daher im wahrsten Sinne des Wortes ein universales
Ordnungsprinzip darstellen.»
Weil der gesunde menschliche Körper nach harmonikalen Ge-
setzen gebildet ist, kam man schon früh auf den Gedanken,
menschliches Leiden und Krankheiten durch Musik zu heilen.
Agrippa von Nettesheim schrieb zu Beginn des 16. Jahrhunderts:
«Wer krank ist, stimmt nicht mehr mit dem Universum überein.
Er kann aber die Harmonie wiederfinden und gesund werden,
wenn er seine Bewegungen nach denen der Gestirne richtet.»
Und Johannes Kepler: «Es pflegen etliche Ärzte ihre Patienten
durch eine liebliche Musik zu kurieren. Wie kann die Musik in
eines anderen Menschen Leib wirken? Also daß die Seele des Men-
schen wie auch etlicher Tiere die Harmonie versteht, sich darüber
erfreuet, erquicket und in ihrem Leib desto kräftiger wird. Sodann
nun auch die himmlische Wirkung in den Erdboden durch eine
Harmonie und stille Musik kommt ...» -— eine Erkenntnis, die
durch die moderne Musiktherapie voll bestätigt wird.
Novalis, der Dichter und Mystiker der Romantik, derein beson- \
106
Hans Kayser hat auch die Sexualität-alstreibende Kraft organi-
schen Lebens- als musikalisches Phänomen gedeutet. Nicht um-
sonst sprechen wir ja auch in der Musik von Ton-Geschlechtern -
einerseits Dur, andererseits moll. Das erstere wird mehr mit
«Männlichem», das letztere eher mit «Weiblichem» assoziiert.
Wenn es auch die Trennung von Durund moll in erster Linie in der
europäischen Musik gibt, so muß es doch gestattet sein, sich dar-
auf ebenso zu beziehen, wie wir uns an anderer Stelle auf Phäno-
mene indischer oder afrikanischer Musik beziehen; latent gibt es
im übrigen Dur- und moll-«feelings» in den meisten Musikkultu-
ren — wie überhaupt die Proportionen, auf die es unter den harmo-
nikalen Gesichtspunkten dieses Buches ankommt, allen Völkern
gemeinsam sind; letztlich begründet sind sie in der Disposition
des menschlichen Gehörs. So hat es beispielsweise schon im alten
China -R. Haase erinnert daran - die Chromatik, also die Zwölf-
zahl der Intervalle, und den Quintenzirkel gegeben. Und auch in
der indischen Musik gibt es Diatonik und die spürbare Dominanz
von Dur.
Hans Kayser schreibt: «In jedem Akkord ist die Terz der Ge-
schlechtston — je nachdem er als große Terz den Dur-Akkord oder
als kleine Terz den moll-Akkord verkörpert. Die Terz aber wird
durch die fünfte Schwingung- beziehungsweise Saitenlänge einer
angenommenen Einheit — verwirklicht. Diese «Fünf ist nun aber
im Pflanzenreich nicht nur insofern von Bedeutung, als eine große
Anzahl von Blüten eine fünfblättrige Rationierung zeigt, sondern
als morphologisches Moment auch insofern, als die Fünf im Pflan-
zenreich gegenüber den Mineralien als morphologische Konstanz
überhaupt erst auftaucht...»
Und an anderer Stelle: «In der inneren Struktur der Kristall-
achsen fehlt die Fünf als Rationenbild. Die Fünf tritt also im Pflan-
zenreich erstmalig als Formkonstanz auf. Sie ist harmonikal der
Geschlechtston, und wir haben in dieser Betonung der Terz und
deren Spaltung in Dur- und moll-Terz zumindest einen der bisher
unbekannten prototypischen Gründe zu erblicken, warum die Se-
xualität im Bereich der Pflanzen zum erstenmal in Erscheinung
tritt...»
An dem von Rudolf Haase geleiteten «Institut für harmonikale
- Forschung» in Wien wurde beim Vergleich von männlichen und
weiblichen Schädel- und Gesichtsformen festgestellt, daß bei
107
chenden Dar Intervalle |
Noch bemerkenswerter ist, daß der weibliche Körner:in beson- i
ders auffälliger Weise-und häufiger als dermännliche-vonmoll-
Proportionen beherrscht wird. Was man die «Urproportion der
Weiblichkeit» genannt hat — das Dreieck, das zwischen den Brü-
sten und dem Punkt, an dem die Schenkel einander begegnen, ent-
steht —, entspricht in statistisch weitaus größerer Häufigkeit als
beim männlichen Körper einem Terz-Sext-Akkord in moll. Dich-
terund Liebende mögen es oft schon empfunden haben -als poeti- _
sche Metapher —, aber es ist mathematische Realität: Dieses
Dreieck - diese Ur-Proportion— ist Musik.
Horchen wir auch hier wieder der Sprache nach. Der Geigenspie-
ler spricht vom «Körper» seiner Violine. Seit Jahrhunderten gibt
es- vielen Gitarristen bewußt, von vielen Dichtern besungen-die
auffällige Ähnlichkeit zwischen dem «Gitarrenkörper» — nicht
zufällig wird er ja so genannt —- und dem weiblichen Körper. Man
spricht von «Klang-er-zeugern». Der Klang-er-zeuger zeugt auf
dem Klangkörper, diesen er-regend, den Klang. So etwas kann ein
Gitarrist sagen — oder ein Geiger —, um seinem Schüler den Vor-
gang der Klangentstehung zu erklären. Aber mit fast den gleichen
Worten kann man auch den Liebesakt beschreiben. Hier wie dort
bedarf es des Körpers und dessen Er-regung, damit Zeugung statt-
findet.
In vielen Kulturen der Erde werden gitarrenähnliche Be
mente als weiblich, Flöten -vor allem Längsflöten- als männlich
empfunden. Gott Krishna bläst die Flöte — das musikalische Pe-
nis-Symbol par excellence-, während er sich mit seiner Geliebten
Radha vereinigt. Der Gott Pan der alten Griechen- auch erein Ur-
Image von Männlichkeit — ist Flötenspieler und Liebender zu-
gleich. Bei den Azteken und Inkas gab es den Flötenspieler als
Symbol des Liebenden und Zeugenden, und damit es auch jeder
verstand, gab es Miniaturplastiken, die den Liebenden - ähnlich
wie Gott Krishna in Indien — während des Liebesaktes flötespie-
lend darstellen.
Andererseits: Im Hinduismus und Buddhismus — zum Beispiel
in den Tempeln von Angkor Vat in Kambodscha - gibt es die gitar-
respielenden Apsaras: die «Mädchen der Himmlischen» als Sinn-
bild höchster erotisierter Weiblichkeit. Immer wieder, wenn man
im Urwald von Angkor die von fromagiers, von Käsebäumen,
überwucherten und umwachsenen, von Schlingpflanzen buch-
108
] ‚Orp |
nander lead de addierend, ch überbietend: der
Mädchenkörper der Apsaras und der — ebenfalls weibliche— der
. gitarrenartigen Instrumente, die die Mädchen vor sich her tragen
und auf denen sie spielen; beide zusammen sind - durchaus auch
im Sinne der tantrischen Liebeskunst - gesteigerte Metaphern je-
ner berückenden «Sexualität der Seligen», die diese «Engel» der
indischen Mythologie den Bewohnern himmlischer Welten ver-
sprechen.
Und natürlich gibt es auch in unserer christlichen Kultur - ver-
steht sich: viel stärker gefiltert — Kunstwerke, auf denen Liebe
und Musik eines sind. Zum Beispiel bei den sinnenhaften, von
Liebe erfüllten musizierenden Engeln von Luca della Robbia in
Santa Maria del Fiore in Florenz. Und vor allem: Nirgendwo in der
europäischen Kunst ist Musik so großartig Bild geworden wie auf
den Meisterwerken der Venezianischen Schule des 14. und frühen
15. Jahrhunderts — bei Paolo und Lorenzo Veneziano, bei Carpac-
cio, Stefano di San Agnese, Nicolo di Pietro, Giovanni Bellini und
— besonders bewegend - bei Jacobello del Fiore, auf dessen «Krö-
nung der Jungfrau im Paradies» die Seligen ganze Orchester und
vielfältige Chöre bilden und dies eben das Paradiesische ist: Mu-
sikmachen. Was auch immer geschieht auf den Bildern des alten
Venezia - selbst Jesu Präsentation im Tempel, das Martyrium des
Heiligen Sebastian sogar —, es geht nicht ohne Gitarren und Lau-
ten, ohne Flöten und trombas, ohne Zimbeln und Violinen und
Harfen, ohne große und kleine Orgeln und Mundorgeln.
‚Es paßt dazu, daß damals — oder richtiger: wenig später — die
Stereophonie- sogar die Quadro- und «Multiphonie»!- eigentlich
entdeckt wurde. In der venezianischen Vielchörigkeit (die um
1530 begann) klangen die Teile und Abschnitte der Musik - klang
das, was ein Solist sang und was ein anderer ihm antwortete, klan-
gen Chöre und Gegen-Chöre und die ihnen gegenüberstehenden
Instrumentalparts- von den verschiedenen Emporen, Rängen und
Balustraden etwa San Marcos, aber auch der anderen Kirchen
Venedigs, auf die Zuhörer in einer Art von «Super Stereo» herab.
Aber noch bevor die Musik in den Kirchen erklang, ist deren
Architektur selber Klang. Immer häufiger werden präzise mathe-
matische Entsprechungen entdeckt — etwa zwischen der Ba-
rockkirche von Vierzehnheiligen und gewissen Stücken in Johann
'Sebastian Bachs Wohltemperiertem Klavier. Oder — durch Marius
' Schneider - zwischen den 72 Doppelsäulen im Kreuzgang von San
109
nus, der den Märtyrer feiert, em Chen dieses K j)
Oder ;in den Kapitellen der romanischen Keeae von 1 Ripoll, !
Gerona und Cluny, die «gelesen» werden können, als seien es
Rhythmen: «als eine verborgene, verschlüsselte Notenschrift».
Sensibleren Architekten (die freilich selten sind, daja, von Aus-
nahmen abgesehen, die eigentliche Verwüstung unserer Städte
nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges noch ein zweites
Mal stattfand — bleibender und unkorrigierbarer: durch die Archi-
tekten) ist seit je bekannt: Länge, Breite, Höhe eines Raumes müs-
. senin den ganzzahligen Verhältnissen der Obertonleiter zueinan-
der stehen, wenn Menschen sich in ihm wohlfühlen sollen. Es ist
auffällig, daß diese Beziehungen gerade in unserer Zeit — neu —
entdeckt werden. Auch das ist ein Ausdruck des in dieser Genera-
tion erwachenden harmonikalen Bewußtseins.
Wenn erst einmal die architektonischen er der
Menschheit systematisch auf ihren «musikalischen» Grundcha-
rakter untersucht sein werden, dann werden all diese Bauten auch
für unseren Verstand so zu klingen beginnen, wie sie für unser
Unterbewußtsein schon seit Jahrhunderten klingen, und wir wer-
den begreifen: Sie hätten als Gipfelpunkte architektonischer
Kunst überhaupt nicht empfunden werden können, wenn sie
nicht von allem Anfang an «Klang» wären - ein Klang, der den
musikalischen Meisterwerken der jeweiligen Epoche präzise ent-
spricht: die romanischen Kapitelle und die Gregorianischen Ge-
sänge, die Barockkirchen und die Fugen und Präludien der Ba-
rockkomponisten oder auch das Tadj Mahal und die große Musik
Indiens in der Mogul-Zeit.

Wenn schon Planetenbahnen, Blatt- und Körperformen, Kirchen


und Kreuzgänge harmonikalen Gesetzen gehorchen, dann muß
dies auch für die Erde selbst gelten. Auch sie ist ein harmonikales
Gebilde. Dazu Hans Kayser: «Eines der eigenartigsten Phäno-
mene innerhalb der Geologie ist der schalenförmige Aufbau des
Erdinneren. Der Erdkörper besteht ja nicht, wie man früher ange-
nommen hat, aus einer dünnen, festen «Haut und einer restlichen
flüssigen Masse, sondern ist nach seiner Dichtigkeit ... in ver-
schiedene, ziemlich scharf voneinander getrennte Stufen geglie-
dert. Man kam auf diese Entdeckung durch die Beobachtung der
Erdbebenwellen und fand verschiedene Zonen im Erdinnern, wo
sich die Wellen in verschiedener Weise brechen. Vergleicht man
nun die Abstandsverhältnisse in diesen Zonen mit den Saitenlän-
IIO

E
Er
er verschiedenen Brdächslen eine merkwürdige Übereinstim-
mung mit denen der Akkordzahlen zeigen und die feste Erdkruste
in die siebente Oktave fällt, also morphologisch als «Verdichtung
verständlich wird ... Die Erde: Ein gewaltiger Akkord! Eine Vor-
stellung, die unserem Verstand vielleicht nur wenig sagt, dafür
aber um so mehr zu unserem Herzen spricht!»

Besonders sorgfältig hat Hans Kayser die harmonikale Struktur


von Bergkristallen erforscht, die er in der Schweiz, wo er lebte, in
reichem Maße vorfand. «Man kann», so schreibt er, «die verschie-
denen Zonen eines Kristalls in Zahlen ausdrücken und diese
wiederum, da sie ja harmonikalen Ursprungs sind, in Töne über-
setzen. Das beifolgende Notenbeispiel (s. S. 112) zeigt das Tonma-
terial einiger Zonen bestimmter Kristalle ... Alle diese Beispiele
hier sind auf C transponiert. In Wirklichkeit hat auch jeder Kri-
stall eine eigene Tonart, nur müßte man sich dann vorherüber den
kristallographischen <Kammerton einigen, das heißt, ein Achsen-
‘verhältnis als den Ton «4 normieren, auf welches dann die ande-
ren Verhältnisse bezogen werden. Aber jeder, der sich diese Bei-
spiele vorspielt, wird hören, wie individuell, ja, wie «modern» die
Flächenskalierung bei einzelnen Kristallen ist. Oft sind es gera-
dezu grandiose Tonfolgen, welche da zum Vorschein kommen,
und wer weiß, welche Überraschungen uns noch bevorstehen,
wenn sich einmal jemand die Mühe nimmt und all diese Kristall-
themen und Kristallakkorde herausnotiert. Es gäbe das sicher eine
Sammlung von den einfachsten, monumentalsten bis zu den dif-
ferenziertesten und interessantesten musikalischen Gebilden, —
eine unerschöpfliche thematische Fundgrube für Kontrapunkt
und Polyphonie.»

Harmonikale Entsprechungen sind Entsprechungen in doppelter


Hinsicht: quantitative, da sie errechnet, und qualitative, da sie
gehört und empfunden werden können. Bereits insofern, als wir
«Qualitatives» und «Quantitatives» unterscheiden, muß es «Ab-
weichungen» geben. Sie «kriechen» gleichsam hinein in die
Lücke zwischen der Qualität und der Menge. Es gibt eine Fülle
von ihnen -minimale «Abweichungen» zwischen dem errechne-
ten, wünschbaren Ergebnis und dem de facto gemessenen Befund.
Um den Leser nicht mit mathematischen Berechnungen zu be-
lasten, muß in diesem Buch auf die Darstellung solcher «Abwei-
Flusspat
weichungen «zurecht hört». Unsere
j npcrierte Stimmung, die ja ohne eine gewollte Ver-stimmung
der einzelnen Töne gar nicht funktionieren würde, könnte sonst
nicht als «stimmend» akzeptiert werden.
Rudolf Haase weist darauf hin, daß dieses Phänomen schon seit
der Barockzeit bekannt ist und als «Zurechthören» bezeichnet
wird. Die «Zurechthörbereiche» sind groß. Sie können bis zu 40%
der betreffenden Halbtonbereiche betragen. Nun aber ist offen-
sichtlich: Wenn es in der Musik «Zurechthörbereiche» gibt,
muß es sie — davon handelt ja dieses Buch - auch in der Natur
geben. Es wäre schlechterdings absurd, von der Natur eine Genau-
igkeit zu verlangen, die von der Musik, die ja ebenfalls «Natur»
ist, nicht verlangt wird (und die, da es sich hier wie dort auch um
seelische Qualitäten handelt, gar nicht wünschenswert ist).
Wir müssen uns in aller Deutlichkeit vergegenwärtigen: Die
Tatsache der «Abweichungen» ist geradezu eine Bestätigung für
den harmonikalen Charakter des Universums. Wenn Musik nicht
denkbar ist ohne «Abweichungen», dann kann logischerweise
auch die «Musik» des Universums — des Makro- und Mikrokos-
mos und unserer irdischen Welt — nicht denkbar sein ohne die
entsprechenden «Abweichungen». Wenn das Universum Musik
«ist» - wenn die Welt Klang ist, wenn Nada Brahma gilt -, dann
muß es in Planetenbahnen und in Atom-Strukturen, in Blatt- und
Körperformen und all dem anderen, wovon wir gesprochen haben,
genau jene «Zurechthörbereiche» geben, die es auch in der Musik
gibt. Und in der Tat gibt es sie in einer der Musik entsprechenden
Fülle. Zum Beispiel haben sich seit Kepler Aphel und Perihel der
meisten Planetenbahnen verändert, aber doch eben nur um jene
äußerst geringfügigen Differenzen, die «zurechtgehört» werden
. können. Gerade an diesem Beispiel wird deutlich: Hätten sie sich
nicht verändert, könnte von lebendiger «Musik» nicht gespro-
chen werden. In die gleiche Richtung weist die Tatsache, daß
immer wieder-zum Beispielin der Molekül- und Atom-Struktur—
vereinzelte Töne vorkommen, die nicht in den betreffenden Dur-
Dreiklang oder in die betreffende Tonleiter hineinpassen. Auch
unsere irdische, hörbare Musik wäre langweilig, wenn es keine
«Jeiterfremden» Töne in ihr gäbe und immer nurreine Dreiklänge
"hinauf- und hinunterkadenziert würden. Auch insofern bestätigen
- also die «Abweichungen» den harmonikalen — den musikalischen
— Charakter des Universums. Sie bestätigen Nada Brahma.
Sogar zwischen dem Goldenen Schnitt und der exakten harmo-
113
hing
= auchsie ei in den Bereich der Zurechehorbarkeits falle
Die «Abweichungen» häufen sich, je mehr sich die Musik der
Natur menschlicher Musik nähert, am meisten im Gesang der Vö-
gel. Nicht zuletzt deshalb kann er vom Menschen auch ganz un-
mittelbar als Musik empfunden werden. Fachleute haben gezeigt,
daß die «Gesetze» der Vogelmusik denen der menschlichen Mu-
sik entsprechen. Es gibt aber Vögel, die - wie der Mensch — «mo-
derne Konzertmusik» machen, in deren Musik sich also die «Ab-
'weichungen» häufen, zum Beispiel im Gesang der Amsel, des
«Komponisten schlechthin unter den Vögeln». Sie singt «hoch-
komplizierte Melodien, die nahezu atonal sind, wobei von großer
Wichtigkeit ist, daß es Aufzeichnungen von Amselgesängen aus
dem 19. Jahrhundert gibt, die bereits eine Kompliziertheit aufwei-
sen, wie sie viel später erst, etwa in der «Salome von Richard
Strauss, in der menschlichen Musik zu verzeichnen ist»
[R. Haase).
Seit wir Quarz- und Atomuhren haben, wissen wir, daß nicht
einmal die genauesten kosmischen Prozesse, nach denen noch vor
30 Jahren das Zeit- und Uhrensystem der Menschheit korrigiert
wurde, ohne «Abweichungen» ablaufen. Wenn Jean E. Charon
und verschiedene amerikanische Physiker in den «Abweichun-
gen» von vorberechneten Prozessen den Einfluß des Geistigen
und Psychischen sehen, so steht dies mit unserer Auffassung
— daß sich in ihnen der Einfluß des Geistes der Musik spiegele —
keineswegs in Widerspruch.
Haase erinnert in diesem Zusammenhang an Theodor Lipps’
«ästhetischen Grundsatz, daß in der bildenden Kunst und in der
Musik minimale Abweichungen von den exakten Proportionen
notwendig sind, damit diese besonders schön und reizvoll wir-
ken». Aber der Grundsatz ist zu erweitern. Er bezieht sich nicht
nur auf Kunst und Musik, sondern auf den gesamten Kosmos. Er
ist ganz offensichtlich ein künstlerisches Gesetz, und es wird an
dieser Stelle besonders eindringlich deutlich, daß auch die Natur
— oder der Schöpfer — künstlerischen Gesetzen folgt, und zwar —
wie wirsehen werden - in um so stärkerem Maße, je mehr sich die
Entwicklung von Kosmos und Leben bestimmten «Zielen»
‚ nähert.
Im Grunde verhält sich unser Ohr und das ganze Universum,
wie sich die Menschen tagtäglich zu Maß und Zeit verhalten. Wir
werden gefragt, wie spät es ist, schauen auf die Uhr, sehen, daß es
weiser bezeichnet e
tanz als «4 Kilometer», es sind aber 3700 Meter. Auch wir
Menschen neigen also dazu, ganzzahlige Verhältnisse herzustel-
len. Wie die Natur dies tut - vom Makro- zum Mikrokosmos mit
uns mittendrin!
Wir brauchen jetzt nur noch einen Schritt weiter zu gehen, um
zu der tröstlichen Erkenntnis zu kommen, daß im Grunde das
ganze Universum jenes Verhältnis zu Genauigkeit und Pünktlich-
keit besitzt, das auch wir Menschen haben — nämlich ein getrüb-
tes. Die Idee absoluter Genauigkeit ist eine jener sich selbst ad
absurdum führenden Ideen des rationalisierten westlichen Men-
+
schen, — will sagen sie ist Verfalls- und Dekadenzindiz. Wer im
Einklang mit der Natur lebt, lebt auch in Einklang mit dem, was
wir ihre «Abweichungen» genannt haben, — mit ihrer Ungenauig-
keit und Unpünktlichkeit.

Der amerikanische Psychologe George Leonard schreibt: «An der


Wurzel jeglicher Kraft und Bewegung im lodernden Zentrum der
Existenz ist Musik und Rhythmus: das Spiel geordneter Frequen-
zen in der Matrix der Zeit. Vor mehr als 2500 Jahren sagte der
Philosoph Pythagoras seinen Schülern: Ein Fels sei zu Stein ge-
wordene Musik - eine intuitive Erkenntnis, die durch die mo-
- derne Wissenschaft voll bestätigt wird. Wir wissen heute, daß jede
Partikel im physischen Universum ihre Eigenschaft durch Fre-
quenz, Muster und Obertöne ihrer speziellen Schwingungen, also
durch ihren «Gesang erhält. Dasselbe gilt für alle Formen von
Strahlung, alle starken und schwachen Naturkräfte und für alle
Informationen. Bevor wir Musik machen, macht die Musik uns ...
Die Art und Weise, wie Musik entsteht, ist auch die Art und Weise
der Entstehung der Welt... Die Tiefenstruktur der Musik istiden-
tisch mit der Tiefenstruktur aller Dinge.»
Und Kandinsky, der große Maler des Expressionismus, der im
«Almanach des Blauen Reiter» einen «Generalbaß» und eine
«Harmonielehre der Malerei» entworfen hat, bemerkt: «Die Welt
klingt. Sie ist ein Kosmos der geistig wirkenden Wesen.»

Wir sagen in diesem Buch: Die Welt ist Klang. Wir sagen nicht
einfach: Die Welt ist Schwingung. Physikalisch gesehen nämlich
gibt es Milliarden von Schwingungsmöglichkeiten. Aber der Kos-
mos, das Universum wählt aus diesen Milliarden von Möglichkei-
ten mit überwältigender Präferenz die wenigen tausend aus, die
115
schon der moll-Tonleiter, des Lambdomas (s.$.79)und
ter Kirchentonleitern und indischer Ragas.
Und das gilt für nahezu alle Proportionen im Kosmos-Planeten-
bahnen, DNS-Gene, Blatt- und Kristallformen, die Verhältnisse
im Periodischen System der Elemente, Körperformen, die Quan-
telung im Atomkern, die spins der Elektronen und all die anderen
Proportionen, von denen in diesem Buch die Rede ist.
Es ist ein Verhältnis von ı: ı Million, mit dem sich das Univer-
sum in der unendlichen Vielzahl von Schwingungsmöglichkeiten
für harmonikale Schwingungen — und das heißt: für Klänge- ent-
scheidet, ein Verhältnis, das selbst bei der großzügigen — und ganz
gewiß nicht «wissenschaftlichen» — Auslegung des Begriffes «Zu-
fall», den sich die positivistische Wissenschaft zugelegt hat, als
«Zufall» gewiß nicht rubriziert werden kann.
' Damit das Wort «Klänge» in diesem Zusammenhang vollends
klar wird, muß realisiert werden: «Klang» existiert für das wissen-
schaftliche Denken durchaus auch als Abstraktum. So empfinden
ihn auch die Musiker: Bevor sie ihn spielen, lesen sie ihn in der
Partitur. Schon dort ist er Klang. Oder sie hören ihn klingen in
ihrem Inneren. Erst dann «speisen» sie ihn ein in ihr Instrument.
In genau diesem Sinn «speist» das Universum ständig Klänge in
jedes einzelne seiner «Instrumente» - vom Atom und vom Gen
bis zum Planeten und zum Pulsar.

Vielleicht erinnert man sich noch an die Chladnischen Klangfigu-


ren, mit denen uns die Physiklehrer in der Schule verblüfften: wie
sich da wahllos auf eine Glasplatte gestreute Sandkörner und
Staubpartikelchen durch einen Strich mit dem Geigenbogen
schnell und zügig zu den schönsten und symmetrischsten Gebil-
den ordneten. Es schien immer, als «riefe» der Klang die Staubkör-
‚ner zu Ordnung und Symmetrie. Als Kinder konnten wir wenig
mit diesem Phänomen anfangen. Inzwischen aber verstehen wir:
Was dort geschieht, geschieht überall. Überall ist es der Ton, der
die Welt ordnet und der ihr Schönheit gibt. Vor seiner Kraft und
Mächtigkeit sind auch die «Partikel» des Kosmos, sind auch
Planeten und Sterne nur Staubpartikelchen, die der Klang «ruft».
Wozu ruft er sie? Wir haben erkannt: zu Ordnung und Struktur
und Schönheit. Er ruft Sterne und Elementarteilchen, Kristalle
und Blattformen, Pflanzen und Menschen- und Tierkörper (und
deren Sexualität], architektonische Formen und die Erd-Struktur,

II6
i ; issen,
denn die meistenniedernen den ah erstinihren
Anfängen. Und doch wissen wir genug, um folgern zu dürfen:
Klang ruft die Welt. Die Welt ruft in Klängen. Die Welt ist Klang.
Nada Brahma.

Klänge und Musik zum Hören des fünften Kapitels


SOUNDS OF THE SEA (Folkways Records, Science Series, FPX 121]
SOUNDS OF SEA ANIMALS (Folkways Records, Science Series, FPX
125)
SONGS OF THE HUMPBACK WHALE (Lieder der Wale) (Capitol ST
620) ‘
OLIVIER MESSIAEN: «L’Ascension» — Meditationen für Orgel
(Schwann Studio 518)
ROBERTO DETREE: «ARCHITECTURA CELESTIS» (|Wergo Spectrum]
RAVI SHANKAR: siehe «Musik zum Hören» Kap.X. ‚
CLAUDIO MONTEVERDI: GEISTLICHE KONZERTE (DGG Archiv
Produktion 2533 137)
CLAUDIO MONTEVERDI: FESTLICHE VESPER IN SAN MARCO
(Schwann AMS 4521, 2 LPs)
Ganze Welten und Weltgebäude scheinbar gesicherter Erkenntnis
sind in unserem Jahrhundert zusammengebrochen. Zeit und Ma-
terie bildeten das Fundament: exakt meßbar, wiegbar, berechen-
bar — das Sicherste, was wir hatten. Unsere Welterkenntnis war
darauf begründet, alle Erkenntnisprozesse gingen davon aus.
Heute steht die theoretische Physik vor den Trümmerhaufen des-
sen, was Zeit und Materie einmal gewesen sind.
Seit Einstein — seit zunächst der speziellen (1905), dann der all-
gemeinen (1916) Relativitätstheorie — wissen wir um den illusori-
schen, den «krückenhaften» Charakter von Zeit. Wir wissen, daß
es Ereignisse gibt, die von einem bestimmten Standpunkt aus als
gleichzeitig erscheinen können, während sie sich von anderen Be-
obachtungspunkten aus als Folgeerscheinungen darstellen, die
von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft führen.
Um dies zu verdeutlichen, wird in der einführenden Literatur über
die Relativitätstheorie gern ein Vergleich verwendet, dessen fol-
gende Version ich Lyall Watsons Buch «Geheimes Wissen» ent-
nehme: «Stellen wir uns vor, wir sitzen in einem Eisenbahnwagen
und blicken seitwärts durch das Fenster auf die Gegenwart, wäh-
rend die Zeit vorbeifliegt. Es wird, wenn wir das Verstreichen der
Zeit in immer kleineren Einheiten messen, immer schwieriger zu
entscheiden, was die Gegenwart ist und wann sie anfängt und wo.
sie endet. Unabhängig von der Fahrgeschwindigkeit des Zuges er-
fassen wir mit einem Blick alles, was das Fenster einrahmt. Der
Reisende uns gegenüber hat das Rollo ein Stück heruntergezogen
und sieht einen kleineren Ausschnitt. Zur gleichen Zeit schaut
jemand in einem Wagen weiter vorn, gleich hinter der Lokomo-
tive, aus einem Fenster und erhält ein etwas anderes Bild, und ein
blinder Passagier oben auf dem Waggondach, dessen Gesichts-
kreis nicht durch ein Fenster eingeengt ist und der in derselben
Richtung wie alle anderen Passagiere seitwärts blickt, erfaßt ein
weit größeres Feld, das auch ein Stück der Bahnlinie weiter vorn
mit einschließt. Wer von allen diesen Beobachtern sieht nun die
Gegenwart? Die Antwort muß offensichtlich lauten: Alle sehen
sie, und die unterschiedlichen Ansichten, die sie von ihr gewin-
118
8 heine ee ansich auf die Gegenwart und race von
seinen Sinnen volleren Gebrauch. In der Hindu-Philosophie gibt
es seitjeher die Vorstellung einer ewig fließenden Gegenwart, und
die moderne Physik ist im Begriff, dieses Bild zu übernehmen.»
Stellen wir uns die Beobachtung eines fernen Spiralnebels in
‚den Tiefen des Kosmos vor- Beobachtungen, wie sie in der moder-
'nen Astronomie täglich gemacht werden -, etwa im Bereich der
Kassiopeia, 50oo Millionen Lichtjahre entfernt. Was geschieht,
wenn wir die Kassiopeiazu sehen meinen? Was sehen wir? Doch
offensichtlich etwas, was vor 500 Millionen Jahren dort war, viel-
leicht gibt es die Kassiopeia überhaupt nicht mehr? Aber wir se-
hen doch - ganz offensichtlich — «jetzt». Kein Zweifel also: Wir
sehen rückwärts, aus der Gegenwart in die Vergangenheit hin-
ein, und beide sind «jetzt».
Die entferntesten bekannten Systeme im Kosmos sind fünf Mil-
liarden Lichtjahre entfernt. Wenn wir sie beobachten, beobachten
wir «jetzt» etwas, das es gegeben hat, bevor unsere Erde sich über-
haupt gebildet hatte,
Diese Überlegung erhellt, daß Raum in Zeit und -wie wir spä- heR
mVRR
N=IE h
NE H
NMr

ter sehen werden — Zeit in Raum umschlagen können. Ein Licht-


jahr ist bekanntlich die Strecke, die das Licht in einem Jahr zu-
rücklegt. In der Sekunde legt es 300000 km zurück, in der Minute
also 300000Xx 60km. In einer Stunde diese Summe mal 60, an
einem Tage diese Summe mal 24, in einem Jahr diese Summe mal
365: insgesamt die unvorstellbare Strecke von 946 Billionen km.
Das an der Zeit sich messende Lichtjahr ist also eine für die prakti-
sche Arbeit relativ brauchbare Metapher für eine Strecke, deren
räumliche Maße stärker noch als die zeitliche Umschreibung
jegliche «normalen» Vorstellungsmöglichkeiten sprengt. Wir
werden bemerken: Fast alle Begriffe der modernen Physiker sind
«Metaphern» — auch die, auf die es in diesem Kapitel ankommt:
Zeit und Materie.
Offensichtlich gibt es das Aufeinanderbezogensein von Raum
und Zeit auch in den kleineren Dimensionen unserer Erde; nur
wird es da nicht bemerkt. Eine einfache Überlegung macht deut-
lich: Je länger eine Saite, je größer also das räumliche Moment,
desto tiefer der Ton, desto langsamer folglich die Schwingungen,
_ will sagen: desto niedriger das zeitliche Moment. Umgekehrt: Je
kürzer eine Saite, je niedriger das räumliche Moment, desto höher
der Ton, desto schneller die Schwingungen, will sagen: desto grö-
ge
so ne sich das zeitliche Monient die Schwingung 12
und umgekehrt.»
Auch die Zeitebenen — Vergangenheit, Gegenwart und Zu-
kunft — können nahtlos in räumliche Vorstellungen übergehen,
wie sowohl am Beispiel des fahrenden Zuges wie an der Kassio-
peia-Beobachtung deutlich wird. Zeitbegriffe also können defi-
4 nieren, was nach gängigen Vorstellungen normalerweise durch
Raumbegriffe beschrieben wird: Distanzen, Strecken, Entfernun-
gen.
Für gewisse Denk- und Rechenvorgänge in der theoretischen
Physik können Raum und Zeit praktisch nicht voneinander un-
terschieden werden. Die Worte «Raum» und «Zeit» werden in
solchen Zusammenhängen bedeutungslos. Und vor allem: Es ist
mathematisch ohne Belang, ob wir die beiden miteinander ver-
wechseln, einander gleichsetzen oder ineinander übergehen las-
sen — oder schließlich auch im herkömmlichen Sinn sorgfältig
voneinander trennen.
Bereits Bernhard Riemann, der große Mathematiker des ver-
gangenen Jahrhunderts, neigte dazu, mathematisch Zeit in Raum
zu wandeln. Später, als sich nicht mehr von der Hand weisen
ließ, daß die eine Zeit- und die drei Raumdimensionen, die sich
unseren Sinnen darbieten, nicht ausreichen für ein der Realität
entsprechendes Weltbild und daß diese Welt mindestens vier,
wahrscheinlich noch viel mehr Dimensionen hat, wurden die
verschiedensten Theorien entwickelt, die -— etwa — von zwei
Zeit- und drei Raumdimensionen ausgehen (wie es die engli-
schen Physiker Sir Arthur Eddington und Adrian Dobbs taten)
oder Zeit überhaupt nur für eine mißverstandene Raumdimen-
sion halten. Fünf-, sechs- und mehrdimensionale Welten funk-
tionieren mathematisch einwandfrei — ja, es gibt Physiker, die
darauf hinweisen: sie funktionieren rechnerisch besser als die
unseren Augen und unserem Tastsinn erkennbare Dreidimensio-
nalität.
P.D. Ouspensky erinnert in diesem Zusammenhang daran,
IR
"
daß es unmöglich ist, die Dreidimensionalität mathematisch zu
g
;
bestimmen: «Wie sollen wir verstehen, daß die Mathematik
Dimensionen nicht fühlt - daß es unmöglich ist, den Unterschied
2 zwischen Dimensionen mathematisch auszudrücken? Dies kann
KR\ man nur dadurch verstehen und erklären, daß dieser Unterschied
nicht existiert ...(Man erkennt auf diese Weise), daß keine wie
120
"dürch Pr
A anzeirist völlig ke
ae»
Um das «Illusionsträchtige» unserer Re und Zeitaukauetnk
verständlich zu machen, ist es üblich geworden, die Annahme
zweidimensionaler Wesen — solche etwa, die sich der Flachheit
einer Wanze nähern - gleichsam als « Verständnisbrücke» zu Hilfe
zu nehmen. Denn wenn wir uns schon Mehrdimensionalität
nicht vorstellen können, so kann man sie doch bis zu einem ge-
wissen Grade über die «Geringer-Dimensionalität» begreiflich
machen. Man stelle sich also ein Wesen vor, das auf einer Fläche
lebt, sagen wir: auf einer Tischplatte. Es kennt nur zwei Dimen-
sionen, Höhe und Breite. Einem solchen Wesen «wird ein Kreis
oder ein Quadrat, das sich um seinen Mittelpunkt dreht, wegen
seiner doppelten Bewegung ein unerklärbares und unglaubliches
Phänomen sein — wie eine Erscheinung des Lebendigen es für
einen modernen Physiker ist ...» Wenn ein vielfarbiger Würfel
durch die Fläche, auf der das zweidimensionale Wesen lebt, hin-
durchgeht, «wird das Flächenwesen, wenn eine blaue Linie an die
Stelle einer roten tritt, die rote Linie als ein vergangenes Ereignis
betrachten. Es wird nicht in der Lage sein, die Idee zu begreifen,
daß dierote Linienoch irgendwo existiert» —-soP. D.Ouspenskyin
«Tertium Organum» über die Mehrdimensionalität unserer Welt.
Und derselbe Autor weiter: «Für das Wesen, das auf der Fläche
lebt, wirdalles, wassich ober- oderunterhalbbefindet...inderZeit
-in der Vergangenheit oder in der Zukunft - existieren... Deshalb
wird das Flächenwesen, obwohl es die Form seines Universums
' nicht begreift und dieses als unendlich in allen Richtungen be-
“ trachtet, nichtsdestoweniger unwillkürlich die Vergangenheit
als etwas denken, das irgendwo auf einer Seite von allem
gelegen ist, und die Zukunft als irgendwo auf der anderen Seite
dieser Gesamtheit. Auf diese Weise wird das Flächenwesen die
Idee der Zeit begreifen. Wir sehen, daß diese Idee entsteht, weil
das zweidimensionale Wesen nur zwei von drei Dimensionen des
Raumes empfindet; die dritte Dimension empfindet es nur, nach-
dem ihre Wirkungen auf der Fläche bemerkbar werden, und des-
halb betrachtet es sie als etwas von den zwei ersten Dimensionen
Verschiedenes und nennt sie Zeit.
Wir wissen, daß die Phänomene der Bewegung oder die Erschei-
nungsformen der Energie mit Aufwand von Zeit verbunden sind,
und wir sehen, wiebeidem allmählichen Überschreiten des niedri-
_ geren Raumes in den höheren die Bewegung verschwindet und
I21
taufwand verschwin ‚und dieNotwen it
% der Zeit. Für das zweidimensionale Wesen ist die Zeit notwendig
zum Verständnis der einfachsten Phänomene - eines Winkels,
eines Berges, eines Grabens. Für uns ist die Zeit zum Verständnis
solcher Phänomene nicht notwendig, aber sie ist notwendig zur
Erklärung der Bewegungsphänomene und physikalischer Phäno-
mene. In einem noch höheren Raum würden wahrscheinlich un-
sere Phänomene der Bewegung und die physikalischen Phäno-
mene, unabhängig von der Zeit, als Eigenschaften unbeweglicher
Körper betrachtet werden, und biologische Phänomene - Geburt,
Wachstum, Fortpflanzung, Tod — würden als’ Bewegungsphäno-
mene betrachtet werden. ;
Somit sehen wir, wie die Idee der Zeit mit der Erweiterung des
Bewußtseins zurückweicht.
Wir sehen ihre vollständige Bedingtheit.
Wir sehen, daß mit Zeit die Merkmale eines Raumes bezeichnet
werden, der jeweils höher als ein gegebener Raum ist —, das heißt
die Merkmale der Wahrnehmungen eines Bewußtseins, das
jeweils höher als ein gegebenes Bewußtsein ist...
Mit anderen Worten, das Wachsen des Raumsinnes geht auf Ko-
sten des Zeitsinnes vor sich. Oder man kann auch sagen, der Zeit-
sinn sei ein unvollkommener Raumsinn (das heißt ein unvoll-
ständiges Vorstellungsvermögen, das, wenn es vervollkommnet
ist, in den Raumsinn übergeht, in das Vermögen der Vorstellung
durch Formen).
Wenn wir die hier erläuterten Prinzipien als eine Grundlage
nehmen und versuchen, uns das Universum sehr abstrakt vorzu-
stellen, ist es klar, daß dieses ganz anders sein wird als das Univer-
sum, das wir uns gewöhnlich vorstellen. Alles wird in ihm immer
existieren.
Dies wird das Universum des ewigen Jetzt der hinduistischen
Philosophie sein — ein Universum, in dem es weder ein Vorher
noch ein Nachher geben wird ...»
«Anders ausgedrückt», so der bereits an früherer Stelle zitierte
Lama Govinda: «wirlebennicht in der Zeit, sondern die Zeitlebt
in uns ... Oder: Raum ist die nach außen verlegte, nach außen
projizierte, objektivierte Zeit; und Zeit ist der verinnerlichte, sub-
jektivierte Raum ... Zeitund Raum entsprechen einander wie das
Innen und Außen derselben Sache...»
Ahnlich sieht es der Philosoph Jean Gebser: «Der Körper ... ist
nichts anderes als erstarrte, geronnene, dichtgewordene, mate-

122
n gl
edlen und Feuilletons — zum in- SER einer ganzen Gene
_ tion geworden ist und das den «integralen Menschen» postuliert,
der «zeitfrei» ist.
Noch einen Schritt weiter in der Relativierung von Zeit ist die
moderne Teilchenphysik gegangen. Bei der Deutung gewisser
Streuungsprozesse in der Quantenmechanik kann es geschehen, Sn. 5

daß sich die Teilchen in dem einen Prozeß zeitlich vorwärts, in e


A
KT
ar
dem unmittelbar benachbarten Prozeß aber rückwärts bewegen, —
ja noch absurder (es scheint hier angebracht, Absurdität zu stei-
gern): Wenn manein beobachtetes Teilchen als Positron interpre-
tiert, geschieht der Ablauf in der Zeit vorwärts; interpretiert man
es als Elektron, läuft die Zeit rückwärts. Beide Interpretationen
sind physikalisch schlüssig, beide sind mathematisch «richtig».
Noch vor zehn Jahren haben die Physiker geglaubt, derartige
Phänomene seien auf die Welt der Quantenphysik mit ihren un-
vorstellbar kleinen Dimensionen beschränkt. Inzwischen haben
sie errechnet, daß Situationen denkbar sind - und logisch denkbar
sein müssen —, in denen Prozesse der Mikrowelt auf die Makro-
physik durchschlagen; ja, der aus der Sowjetunion stammende, in
Belgien lebende Physiker Ilya Prigogine hat nicht zuletzt für diese
Erkenntnis 1977 den Nobelpreis erhalten.
Bereits von Heisenberg wissen wir, daß — mathematisch gese- e
hen- die Feldgleichung für elektromagnetische Felder nicht nur
für eine zurückliegende Zeit, sondern auch für eine jeweils künf-
tige Zeit gelöst werden kann. Das aber bedeutet, daß ein Feld be-
obachtet werden kann, noch bevor es da ist. Auch unter diesem
Gesichtspunkt ergibt sich, daß die vertraute Abfolge von Ursache
und Wirkung- von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft- sich
unter gewissen Umständen umkehren kann. Die Wirkung kann
eher da sein als die Ursache, die Zukunft eher als die Vergangen-
heit. Ja, all diese Worte — Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, Ur-
sache und Wirkung - haben mittlerweile etwas Absurdes bekom-
men — wie ähnlich übrigens auch (wir haben in unserem Exkurs
über die Logik davon gesprochen) in den «vernetzten» Regelkrei-
sen der Kybernetik.
Weissagen — wenn ich dieses von soviel Skepsis umgebene Wort
physikalisch umschreiben will, dann kann ich es nicht besser tun
als mit dem Satz: Ich beobachte ein Feld, noch bevor es da ist. Die
Teilchenphysik hat gezeigt, daß dies de facto möglich ist. Und es
ist - ich komme nochmals auf diesen Einwand zurück — nicht
123
Die Auffassung von Zeit als einer für unsere Sinne nicht na«
eleiehbaren Raumdimension erklärt zahllose Psi-Phänomene,
die in der Literatur so erhärtet sind, daß auch skeptische Wissen-
- schaftler nicht an ihnen wi — Präkognition, Wahrsagen,
Hellsehen, dejä-vu-Phänomene. Zum Beispiel die oft beobachtete
Tatsache, daß Tiere bei Waldbränden oder Erdbeben-Katastrophen
‚das gefährdete Gebiet vorher verlassen — besonders eindrucksvoll
bei den Waldbränden in Norddeutschland 1973 oder beim Aus-
bruch des Mount St. Helens 1980 in den USA: Nur ganz wenige
Tiere kamen ums Leben; die meisten waren buchstäblich «weg»
- vorher geflohen -, als hätten sie gewußt, was geschehen würde;
nur die Menschen blieben. Offensichtlich haben Tiere (wohl
auch, wie Jean Gebser annimmt, der «archaische» Mensch der
Vorzeit) eine Fähigkeit, die unter uns rationalisierten und «men-
‚talisierten» Menschen nur noch wenigen Begnadeten — oder Ver-
fluchten? - gegeben ist: Zeit alseine Raumdimension wahrzuneh-
men, einfach als Strecke, die vor uns liegt und die «eingesehen»
werden kann. In diesem Sinne haben die großen Hellseher aller
Zeitenihre Gabe immer wieder als das Sehen einer sich vor ihnen
auftuenden Strecke beschrieben - also als Distanz und als Raum.
Wie gesagt: Auch die mathematische Realisierung dieser Konzep-
tion bereitet keinerlei Schwierigkeit; sie «stimmt».
Ich habe dieses Kapitel so angelegt, daß sich die Zeit- und später
die Materie-Vorstellungen der modernen Physik und der asiati-
schen Welt als eine Art «patchwork» zu einem Ganzen fügen.
Lama Govinda schreibt: «Wenn wir vom Raumerlebnis der Medi-
tation sprechen, so haben wir es mit einer gänzlich anderen
Dimension zu tun ..., in der das zeitliche Nacheinander zum Ne-
beneinander, das räumliche Nebeneinander zum Ineinander, das
Ineinander zum lebendigen Kontinuum wird, jenseits von Sein
und Nicht-Sein in der Einschmelzung von Raum und Zeit.»
Und der alte japanische Zen-Meister Dogen erkannte schon sie-
benhundert Jahre, bevor die theoretische Physik es wußte: «Die
meisten glauben, daß die Zeit vergeht. In Wirklichkeit bleibt sie
stehen, wo sie ist. Die Vorstellung des Verstreichens von Zeit ...
ist eine falsche Vorstellung, denn da man die Zeit nur im Verstrei-
chen sieht, begreift man nicht, daß sie stehenbleibt, wo sie ist ...»
— wozu Daisetz T. Suzuki, der zeitgenössische Vermittler des
Buddhismus, anmerkt: «In der spirituellen Welt gibt es keine
Zeiteinteilungen wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft,
124
Genau das meinte auch Einstein, wenn er statuierte: «Füruns
gläubige Physiker hat die Trennung zwischen Vergangenheit, Ge-
genwart und Zukunft den Wert einer bloßen — wenn auch sehr
hartnäckigen - Illusion.»
Es ist offensichtlich: Zwischen den Zeit-Interpretationen der
modernen Physiker einerseits und denen des Buddhismus und der
Mystik andererseits gibt es keinen Widerspruch. Ja, je weiter die
Entwicklung der Physik fortschreitet, desto ähnlicher werden die
Auffassungen. Auf diesen letzteren Punkt werden wir zurück-
kommen müssen.
Für das Durchschnittsverständnis wird Zeit, wo sie unendlich
lang wird, zur Ewigkeit; so jedenfalls denken die meisten: Zeit —
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - bildet letztlich nur
einen Ausschnitt aus der Ewigkeit. Steckt aber nicht in einer sol-
chen Interpretation der - unbewußte — Versuch, Ewigkeit so weit
wie möglich aus unserem menschlichen Umkreis und Bewußt-
sein herauszuschieben - einerseits in eine unendlich weit zurück-
liegende Vergangenheit, andererseits in eine ebenso unendlich
fern vor uns liegende Zukunft? Es geht hier nicht darum, den
psychologischen Implikationen eines solchen Versuches nachzu-
denken - so interessant das sein mag —, aber es ist daran zu erin-
nern, daß die spirituelle Weisheit des Ostens und des Westens
über die Jahrhunderte hinweg gewußt hat, daß Ewigkeit jetzt
ist-in diesem Moment.
Nochmals Daisetz T. Suzuki: «Ewigkeit ist absolute Gegen-
wart.» Saichi, der Weise des japanischen «Reine-Land-Buddhis-
mus», sagt: «Das Wiedergeborenwerden meint diesen gegenwärti-
gen Augenblick ...»
Das gleiche Wissen gab es in der europäischen Mystik — denn,
so Erich Fromm, der Buddhismus und die christlichen Mystiker
Europas sprechen «in Wirklichkeit nur zwei Dialekte der gleichen
' Sprache». Ein Schlüsselwort im Denken Meister Eckeharts, des
großen rheinischen Mystikers des 13. Jahrhunderts, lautet «Nun»
- und «Nun» ist beides: das Jetzt und die Ewigkeit. «Denn, das
Nun, darin Gott den ersten Menschen schuf, und das Nun, darin
der letzte Mensch vergehen wird, und das Nun, darin ich spreche,
- die sind gleich in Gott und sind nichts als ein Nun.»
«Die Kraft der Seele weiß nichts vom Gestern noch vom Vorge-
stern, vom Morgen noch vom Übermorgen, denn in der Ewigkeit
125
en wird, Bes ist so ne wie a was jens
Meeres ist.»
Dasselbe meint Jakob Böhme, der schlesische Mystiker im frü-
hen 17. Jahrhundert:

«Wem Zeit ist wie Ewigkeit


und Ewigkeit wie Zeit,
der ist befreit
von allem Streit.»

— ebenso wie Angelus Silesius in der Ausgabe des «Cherubini-


schen Wandersmannes» von 1675:

«Gott schafft die Welt annoch:


Kommt dir dies fremde für,
so wiss, esist bei IHM
gr kein Vor noch Nach wie Hier.»

Oder schließlich ein moderner «Mystiker» — als welcher Franz


Kafka nicht nur im Licht des folgenden Zitats bezeichnet werden
darf: «Nur unser Zeitbegriff läßt uns das Jüngste Gericht so nen-
nen, eigentlich ist es ein Standrecht.»
Zum Standrecht gehört es, daß die Tat, das Ertappen, das Urteil
und seine Vollstreckung so eng zusammenfallen, daß die Zeit zwi- |
schen ihnen herausfällt: sie «fällt aus», es gibt sienicht mehr. Und
zum Verständnis des Begriffes «Jüngstes Gericht» sollten wir |
überlegen, was dieses ungewöhnlich gewordene Adjektiv '
«jüngst» wirklich bedeutet. Man sagte früher: Etwas fand
«jüngst» statt, und man meinte: Esfand eben erst statt. Man sagte:
Der Tag ist noch «jung» — wenn es früh am Morgen war. Wenn ein |
Tag also der «jüngste» ist, wird Frühe gesteigert, esist noch frü-
her als am frühen Morgen, der Tag hat gerade eben erst begonnen;
deshalb ist er der «jüngste» — der «allerjüngste» — Tag. Den Satz
«Dieses Kind ist sein jüngster Sohn» versteht man dahingehend,
daß die Geburt des gemeinten Sohnes dem gegenwärtigen Augen-
blick näher liegt als die der anderen Söhne. Das «Jüngste Gericht»
ist also wirklich — so allein kann die Sprache es meinen -ein
Standrecht. Wir sind schon verurteilt. Was jetzt stattfindet, ist
nur noch der Vollzug.
126
| genau dies: Proj \
2 eibenabine: Schuld ist immer der Snders: Er trägt die Verant-
wortung. In diesem Fall: Wir hüllen die Zukunft in den dichtest-
‚möglichen Nebel. Nichts ist «nebliger» als eine Ewigkeit, dieso
weit von uns fortrückt, daß wir beruhigt sein können: Uns kann
nichts passieren.
Die Sprache jedenfalls — das Wort «jüngst» — weiß: Zukunft
ist jetzt. Ja, sie ist sogar schon gewesen, gerade eben war sie. Die
Zukunft ist unser «jüngster Sohn». Nichts, was wir zeugen,
7SnOr
a
a
Ban
UA
LT
nichts, was wir gebären, ist jünger als sie. Also: Der Jüngste Tag
Nr
Er
ist jetzt.
3
Über das Wissen, daß Ewigkeit «jetzt» ist, gibt es einen alten
4 Zen-Mondo, der in den verschiedensten Formen überliefert und
verschiedenen Zen-Meistern zugeschrieben wird - ein Zeichen
dafür, daß er Gemeinbesitz geworden ist:

«Es ist Frühling. Zen-Meister und Schüler arbeiten


im Garten. Da- ein Schwarm Vögel am Himmel! =
Der Schüler zum Meister: #
«Nun wird es warm werden — die Vögel kommen zurück.»
Darauf der Meister: «Die Vögel sind von allem
Anfang an hier gewesen.»

. Man spürt: Buddhismus — vor allem Zen - und europäische My-


stik sind in wesentlichen Punkten einer Meinung. Professor
Gorbach von der Kopenhagener Universität schreibt: «Die Mysti-
ker sprechen im Grunde zu allen Zeiten das gleiche aus, ja, es be-
steht eine so große Übereinstimmung unter ihnen, daß sie oft die-
selben Worte und Bilder gebrauchen. Man findet bei den Indern,
die Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung lebten, Schriftstellen,
die fast gleich lauten wie die von europäischen Mönchen des spä-
ten Mittelalters, und sogar die sprachlichen Schöpfungen der mo-
dernen Dichter lassen uns unmittelbar an die alten Schriften den-
ken. Der Grund für die Übereinstimmung liegt darin, daß sie alle
eine gemeinsame Erfahrung besitzen, die in sich selbst so klar
und überzeugend ist wie die Wahrnehmungen eines Durch-
schnittsmenschen in seiner materiellen Welt. Für Träume und
Phantasien ist hier kein Raum. Der Mystiker hat es mit einer Er-
- fahrung zu tun, die sein ganzes Leben bestimmt.»
Spürt man in all diesen Zitaten — bei Jakob Böhme und Angelus

BE.
geknechtet -vom zwingenden Schritt ihrer Hierteckaft. «Die Vö- |
gel sind immer schon hier gewesen.» Der Mann, der das gesagt |
hat, ist frei von der Tyrannei der Zeit.
Man erinnere an dieser Stelle das- immer wieder neu zu bestau- |
nende —Phänomen, das Augenzeugen der Französischen Revolu- |
tion übereinstimmend berichtet haben: Am Abend des ersten
Kampftages im Juli 1789 schlugen die Kämpfer an den verschie-
densten Stellen der Stadt, unabhängig voneinander und ohne vor-
herige Absprache, die Turmuhren entzwei. Ich glaube, man kann
das nur so erklären: Spontan empfanden sie die Uhren als Symbole
der Tyrannei, der sie unterworfen waren. Zeit und Tyrannei wur- |
den ihnen in diesem wahrhaft «hellsichtigen» Augenblick gleich-
bedeutend. Jetzt, da sie frei zu sein meinten, brauchten sie keine
Uhren mehr. Jetzt galt für jeden die eigene Zeit. Wie auf den Bil-
dern Salvador Dalis. Zeiger sind da nicht nötig. Zeit ist jetzt.
«Die Vögel waren schon immer da.»
Daß «Zeit-Freiheit», wie Jean Gebser es nennt, Freiheit per se |
impliziert und daß Uhren mit Unfreiheit zu tun haben, wird deut- |
lich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie angelegentlich-sobald |
es nur technisch machbar war - sich das mittelalterliche Europa
mit einem Netz von Uhren überzogen hat - auf so beflissentliche,
unmerkliche Weise, daß die Chronisten kaum mithalten konn-
ten. So weiß man nicht einmal genau, wer der Erfinder der ersten
auf einem Kirchturm angebrachten Räderuhr gewesen ist, noch
wo diese gestanden hat. Vielleicht war es der Archidiakon von
Verona, Pazificus (t846), vielleicht war es Gerbert von Aurilac
(etwa 950-1003), der 996 die berühmte Magdeburger Uhr gebaut
hat und später als Papst Sylvester II. berühmt wurde, vielleicht der
Abt Wilhelm von Hirschau (heute: Hirsau, Württemberg) (tıog1).
All dies verliert sich im Dunst der Geschichte. Sicher ist nur, daß
es der Klerus war, der dafür gesorgt hat, «daß die Räderuhr ein
brauchbarer Zeitmesser wurde» (Anton Lübke).
Nachdem es um 1300 eine erste öffentliche Uhr in Paris, um
1306 eine solche in Mailand gab und Caen, Padua, Nürnberg,
Straßburg und andere Städte folgten, wurde das 14. Jahrhundert
das «Jahrhundert der Gewichtsräderuhren». Und noch bevor das
15.Jahrhundert vorüber war — mit erstaunlicher Schnelligkeit
also, wenn man die damaligen Verkehrsprobleme bedenkt —, ver-
stand es sich fast von selbst, daß jeder noch so kleine Kirchturm
seine eigene Turmuhr hatte, — auch dann, wenn mehrere Kirchen
128
eit insistierte. Und bald er Uhren, die alle 30 und alle
15 Minuten ertönten, damit selbst diejenigen, die die Uhren nicht
sehen konnten, in beständiger Vergegenwärtigung ihres mahnen-
den Fingers der Zeit und ihrer Tyrannei inne blieben. Kaum ein
EnGlockenschlag im Lande, dem nicht in Hörweite der Ruf einer
benachbarten Kirche antwortete — ein paar Sekunden oder Minu-
ten eher oder später, die allgemeine Zeit-Insistenz auf diese Weise
noch erhöhend. Die Glockenschläge der Stadtuhren tönten hin-
über in die Vorstädte und von dort über das Land in die Dörfer, und
weiter von einem Dorf zum nächsten. Das Abendland hatte sich
von Sizilien bis Skandinavien, vom Westen Frankreichs bis hinein
nach Polen und Rußland eine gigantische Kapuze aus Turmuhren
_ undGlocken übergestülpt. Und für den unwahrscheinlichen Fall,
daß doch womöglich der eine oder andere schlafende Bürger des
Nachts der dröhnenden Zeit-Kapuze nicht gewahr wurde, gab’s
Nachtwächter in den Städten, die alle Stunden durch die Straßen
zogen und in ödem Singsang daran erinnerten, was die Uhr ge-
schlagen hatte: Hört Ihr Leut’ und laßt Euch sagen ... In keiner
Kultur gibt es etwas Vergleichbares. Der Ruf der Muezzins von
den Moscheen der islamischen Welt, ohnehin nur wenige Male
- am Tage erklingend, ist nichts im Vergleich mit der «Zeitverge-
genwärtigung» in den Städten und Dörfern des Abendlandes. Und
es ist wichtig, sich daran zu erinnern, daß es die Mönche und Prie-
ster, die Instanzen des Christentums also, gewesen sind, die zu-
gleich mit ihrer Lehre das Fangnetz der Zeit über Europa warfen,
als hülfen ihnen die Uhren — und das taten sie auch —, «Bauer,
Bürger und Edelmann» zu kontrollieren - in nie ruhender, ekla-
tanter Beleidigung ihres Herrn und Gottes, von dem doch gesagt
war, daß er «zeitfrei» ist: Tausend Jahre sind vor ihm wie der Tag,
- der gestern vergangen ist. Und wie eine- Nachtwache!
Und dann das Mißverhältnis: Millionen von Uhren und welch
ein Ergebnis! Keine einzige mißt Zeit. Sie tun alle nur so, als ob.
Der Dichter Manfred Hausmann hat das einmal hübsch ausge-
drückt: «Wer die Entfernung von Hamburg nach Berlin nach Kilo-
grammen bemessen wollte und das Gewicht eines Korbes mit Äp-
feln nach Metern, würde ausgelacht werden... Jedes Kind weiß,
daß die Maßeinheit dem Objekt, das vermessen werden soll, ent-
sprechen muß. Darüber braucht weiter kein Wort verloren zu wer-
den. Daß wir aber die Zeit mit dem Raum messen, der ihr ebenso-
wenig entspricht wie das Kilogramm der Entfernung zwischen
129
sei dann vergangen, d Re Zeiger e | \ Fläch
eines Kreises durchwandert habe. Wir messen also tatsächl die |
Zeit mit dem Raum...»

. Die meisten Zeitphilosophen unterscheiden zwischen «gelebter»


und «gemessener», zwischen «subjektiver» und «objektiver» |
Zeit. Die gemessene gilt als die unverbrüchlich exakte, die fürje-
den Menschen gleiche und verbindliche. Die gelebte ist die per-
sönliche Zeit des einzelnen Individuums, die in Momenten der
Glückseligkeit viel zu schnell und in den Stunden des Leides zu
langsam verfliegt. Nach heutigem Wissensstand aber müssen für |
den, der Relativitätstheorie und Unschärferelation zu Ende denkt,
die beiden Zeitarten fast umgekehrt bewertet werden wie noch
vor zwanzig oder dreißig Jahren: Die gelebte Zeit, die eben noch |
als die «relative» erschien, ist nun doch wenigstensin einemrela-
tiven Sinn verläßlicher geworden als jene Zeit, die eben noch die |
«objektive» war und die nun so weitgehend relativiert wurde, daß
wenig «Objektivierbares» von ihr übriggeblieben ist. Unsere per- |
sönliche, «gelebte» Zeit können wir wenigstens fühlen, während |
uns doch die Physiker von der «objektiven» Zeit sagen, daß sie
nicht einmal mehr zuverlässig gemessen werden und Sicherheit
über sie überhaupt nicht erzielt werden kann.
Der Unterschied zwischen gemessener und gelebter Zeit muß
z schon den alten Griechen «unbewußt bewußt» gewesen sein. Sie
2 hatten zwei Zeit-Gottheiten: Chronos und Kairos. Urvater Chro-
“ nos war der Gott der absoluten, der «ewigen» Zeit. FürKairos aber,
N den jüngsten Sohn des Zeus, lief Zeit nur einfach auf die günstige |
Stunde, den rechten Augenblick, hinaus. Penelope Shuttle und
. Peter Redgrove haben gezeigt, daß im Kairos mehr weibliches
Zeitempfinden steckt, im Chronos mehr männliches. Das männ- |
liche sei starr, spreize sich im Stolz, Zeit «objektiv» erfassen zu |
_ können, das weibliche sei relativ, «zu- oder abnehmend», weil die |
Frauen von zyklischen Prozessen gelenkt werden: «Im weib- |
lichen Bewußtsein beugt sich die Zeit dem Kairos und weniger
dem Chronos des männlichen Bewußtseins, dienatürlich beidein '
derselben Person erlebt werden können.»
Die «gelebteste» aller Zeiten ist der weibliche Zyklus. Die Frau
lebt ihn jeden Monat. Mehr als alles andere ist dieser Zyklus
«ihre» Uhr. Ja, es gibt Forscher, die der Ansicht sind, daß der Ur-
Re mensch Zeit überhaupt zum erstenmal über den weiblichen Zy-
a klus erfahren habe. Das war sein Maß, das eigentliche Urmaß,
Ion
4 heißt: we verschiedenen Maße. Mater Mutter, ist damit: ver-
wandt. Fast alle Worte für Maß, dieses selbst eingeschlossen, kom-
men von daher: Messung, Mensur, meßbar, ange-messen, Dimen-
sion, Unermeßlichkeit, Meter, Diameter, Parameter, Meteor und
so weiter— quer durch die Sprachen -bis ins Sanskrit; auch dort ist
matr die Mutter und matra das Maß. Man mache sich dies deut-
lich — es ist ja fast unvorstellbar für den rationalisierten Men-
schen: Die «Keimzelle» für all diese verschiedenen Worte steckt
in der metra, in der Gebärmutter. Sie gebar — Maß! Sie war —
Maß. Indem der Mensch aus der Gebärmutter hervorgeht, geht er
aus dem Maß hervor, wird er Mater-ie! -
Die rational bestimmte europäische Zivilisation hat den Kairos
verdrängt. Ihre Zeit wird nur noch mit Uhren, mit - man beachte
das Wort— Chrono-metern gemessen; ihre Zeit kommt vom Urva-
ter Chronos, dem Patriarchen: Sie ist männlich, patriarchalisch,
rational und funktional. In urtümlicheren Kulturen aber — etwa
denen Afrikas - ist auch heute noch die Zeit des Kairos wichtiger
als die Uhrenzeit, die nur für das männlich dominierte Denken
gleich «Ur-Zeit» ist.
Inzwischen ergibt sich auf fast ironische — und durchaus auch
ein wenig auf «ionische» — Weise: Die moderne Teilchenphysik,
obwohl sie doch nicht ohne Maß und Messung und Uhren -ohne
Chronos also — zu denken ist, steht dem Gott Kairos gar nicht
mehr so fern, wie es bisher schien. Wie gesagt, für Kairos ist Zeit
der rechte Augenblick, die günstige Stunde, die gute Gelegenheit,
der Blick für dasrechte Maß und das rechte Verhältnis. Und genau
das ist sie auch für die Quantentheorie und Heisenbergs Unschär-
ferelation. Für Photonen und Elektronen und für Tohus und Wo-
hus — die neuesten atomaren Kleinteilchen (wie lange die neue-
- sten?) - existiert Zeit überhaupt nur noch als «gute Gelegenheit»
oder «rechter Augenblick» und jedenfalls nicht mehr als Uhren-
zeitundschon garnicht als die angebliche «Ur-Zeit» des Chronos.
Den Kairos zum Sohn des Zeus zu machen, zu seinem jüngsten
gar, und dem Urvater Chronos die gemessene Zeit anzudichten,
muß gleichermaßen logisch wie mythologisch, physikalisch wie
evolutionsgeschichtlich als Umkehrung des wirklichen Ablaufs
durchschaut werden - als Fälschung mithin. Damit beginnt doch
eigentlich Zeitempfinden: daß jemand den rechten Augenblick
# wahrnimmt. Erst gab es das Maß der Gebärmutter, die Zeit der
131
net-so wollten: es die alten Griechen-es ist wirkl um La-
chen!- mit der Anänke paarte: dem Zwang-im ir von «Not-
wendigkeit», ja oft genug von Gewalt und Unterdrückung. Man
. kann sich das gut vorstellen: die muß er geliebt haben! Und daß |
seine Nachkommen den Kairos so gründlich «mordeten», daßihn |
fast nur noch die Altphilologen kennen, war eine wahrhaft «ödi-
pale» Tat, deren Analyse überfällig ist — und die gewiß längst
geschehen wäre, wenn die Psychologie nicht so fest in Männer-
händen läge. Warum das der Fall ist — mit allem, wasesinihran
verräterischer Liebe zum Zwang, zur Anänke, gibt: auch darüber
sollte nachgedacht werden. Wie gesagt, das Ganze ist eine Fäl-
schung, und es ist offensichtlich, wannsiegeschehen seinmuß:im |
Prozeß der Umpolung vom Ur-Matriarchat auf das Patriarchat. Es
steckt Humor in der Fälschung - ionisch-griechischer Humor. Als
habe da jemand hinter vorgehaltener Hand odysseisch-ver- |
schmitzt gegrinst -— wie Odysseus und seine Mannen bei ihren |
diversen Bübereien (die in der Tatnur von männlichen Wesen aus- |
gefressen werden konnten). Ich wüßte einehübsche Überschrift für
dieganze Geschichte: «Das GriechischeBubenstückmitderZeit.»

Nun die Materie. Sie hat sich unter dem Zugriff der modernen |
Physik fastnoch radikaler aufgelöst als die Zeit. Dabeiwaresdoch |
Ir so: Für den westlichen Menschen gab es nichts Sichereres als sie:
den Stuhl, auf dem ich sitze; den Tisch, auf dem ich schreibe; die
Be Schreibmaschine, auf die ich nächtelang hämmere ... Jetzt aber
bestätigen die Atomphysiker, was Buddha und die Weisen Asiens
seit je gesagt haben: Materie ist Leere. Stoff ist «nicht».
Beginnen wir diesen Abschnitt über die Materie mit einem
iR Zitat aus dem Buch «Der Rhythmus des Kosmos» des bereits er- |
= wähnten amerikanischen Psychologen George Leonard - ein
i Werk, das ich jedem, der tiefer in diehier behandelten Zusammen- |
; hänge eindringen möchte, wärmstens empfehle: «DasElektronen- |
h mikroskop eröffnet uns Einblicke in den Körper, der in seiner |
Schönheit und Schrecklichkeit so grenzenlos wirkt wie das Meer |
. Jemehr die Vergrößerung zunimmt, desto mehr beginnt sich '
ie das Fleisch aufzulösen. Die Muskelfasern gewinnen einen kristal- |
linen Aspekt. Wir sehen, daß sie aus langen, wohlgeordneten Mo-
lekülspiralen bestehen. Und all diese Moleküle schwanken wie |
Weizen im Wind durch unsichtbare Wellen, die viele Billionen
mal in der Sekunde pulsieren... Woraus bestehen die Moleküle? |
Ba
y N
’ ehättenhafte Kugeln, dieinden Molekülen um
u ihren festen Arte&
tanzen, dabei manchmal in vollkommenem Rhythmus mit ihren
Partnern die Position tauschend. Und jetzt sehen wir uns eines
dieser Atome an: Sein Inneres ist durch eine Wolke von Elektro-
nen verschleiert. Wir kommen näher, verstärken die Vergröße-
rung, die Schale löst sich auf, wir blicken ins Innere und sehen
dort ... nichts!
Irgendwo in dieser Leere, das wissen wir, ist ein Kern. Wirsehen
uns im Raum um, und da ist er: Ein winziger Punkt. Endlich ha-
ben wir etwas Greifbares und Festes, einen Bezugspunkt entdeckt,
aber nein- sobald wiruns dem Atomkern nähern, beginnt auch er,
sich atıfzulösen. Auch er ist nichts anderes als ein oszillierendes
Feld, rhythmische Wellen. Innerhalb des Kerns sind andere orga-
nisierte Felder: Protonen, Neutronen, sogar noch kleinere Teil-
chen. Sobald wir uns einem dieser Partikel nähern, löst es sich in
Schwingungen auf.
Die Wissenschaftler suchen immer noch nach den primären
Bausteinen der materiellen Welt. In unseren Tagen sind sie auf der
Suche nach den Quarks, merkwürdigen subatomaren Einheiten,
deren Eigenschaften sie mit Begriffen wie Obensein, Untensein,
Charme, Fremdartigkeit, Wahrheit, Schönheit, Farbe und Ge-
schmack beschreiben. Aber wie dem auch sei, wenn wir an diese
merkwürdigen Quarks nahe genug herankommen, schmelzen
auch sie weg. Auch sie können keinen Anspruch auf Festigkeit
erheben. Selbst ihre Geschwindigkeit und ihre Position ist unklar,
und es bleiben von ihnen nur Beziehungen und Schwingungsmu-
ster. Woraus also besteht der Körper?! Er besteht aus Leere und
Rhythmus. Im Innersten des Körpers, im Herzen der Welt gibt es
keine feste Materie: Es gibt nur den Tanz.»
Lao-tse hat gesagt: Was ein Rad eigentlich zum Rad macht, ist
die Leere zwischen den Speichen. In diesem Sinne ist das, was ein
Atom zum Atom macht, die Leere zwischen den Elementarteil-
chen - eine Leere, die sich uns in wachsendem Maße als immer
noch «leerer» auftut. Wenn wir ein Atom auf die Größe des Em-
'pire State Buildingin New York ausdehnten, dann hätte sein Kern
gerade die Größe eines Salzkörnchens. So also muß man sich Ma-
terie vorstellen — von solcher Leere: ein Salzkörnchen, das durch
das riesige Empire State Building wirbelt — mit einer Geschwin-
digkeit von 60000 km pro Sekunde. Oder umgekehrt: Preßten wir
einen Menschen auf das zusammen, was - allenfalls noch — «Ma-
in den Worten von Isaac Asimov: «Wollte man u ganze Volu- |
men eines einzigen Atomes mit Kernen ausfüllen, so bräuchte |
man dazu eine Billiarde Atomkerne.» Das also ist die Relation,
bezogen auf den Kern, mithin auf das, was man, wie gesagt, gerade
noch - aber auch hier wieder nur unter Einschränkungen — als
«Materie» bezeichnen darf: ein «Billiardstel» dessen, was Leere
und «Nichts» sind! |
Doch auch der «Kern» löst sich bei näherer Betrachtung immer |
weiter in immer noch kleinere Teile, in immer noch «leerere»
Dimensionen auf! Das geht nun schon ein halbes Jahrhundert so:
Wann immer ein äußerstes, «letztes», kleinstes, «unteilbarstes»
Teilchen entdeckt worden ist, wird ein paar Jahre später einnoch
kleineres entdeckt.
Am Anfang stand das Atom (griech. &touog= das «Unteilbare»,
aufschlußreicherweise auch das «den Göttern Heilige», das ur-
sprünglich nicht materiell, sondern harmonikal verstanden
wurde - als das kleinste, musikalisch sinnvolle Intervall 45: 46!),
dann folgten Elektronen, Neutronen und Protonen (griech. = das |
«Erste», weil man auch da wieder geglaubt hatte, man habe das |
«erste» und kleinste aller Teilchen entdeckt), darauf in atem-
beraubender Folge immer kleinere Partikel — bis hinab zu den |
Photonen und Quarks und Leptonen, Gluonen, Tionen und Myo- |
nen — und neuerdings den Rischonen, den Tohus und Wohus (von
israelischen Physikern 1980 entdeckt und nach den beiden Be-
standteilen des hebräischen Wortes Tohuwabohu benannt: |
-Tohu = wüst, Wohu =leer).
Inzwischen hat man mehr als zweihundert derartige Teilchen
gefunden, und die Physiker wissen, daß das Wort «Elementarteil-
chen» nur noch ironisch gebraucht werden kann. Nichts ist
weniger «elementar» als das, was man sich angewöhnt hat, «Ele-
mentarteilchen» zu nennen. Viele dieser längst nicht mehr «ele-
mentaren» Teilchen existieren nur noch für tausendstel Bruch-
teile von Sekunden und zerfallen sofort in noch kleinere oder in
Wellen oder in Energie. Und — wie gesagt — sie bewegen sich glei-
chermaßen von der Vergangenheit in die Zukunft wie von der Zu-
kunft rückwärts in die Vergangenheit, so daß es das tatsächlich
gibt - wie in den Märchen und Mythen der Völker: ein Leben nach
rückwärts — aus dem Kommenden ins bereits Gewesene. Was
«morgen» gewesen ist, wird «gestern» sein.
Und weil jedes der genannten Teilchen sein Anti-Teilchen fat,
: g
»tzte
dans wie in unserer «realen» (man kan das Wort ja wirk
lich nur noch in Anführungszeichen setzen) Welt. Ein Elektron
also ist dort nicht mehr negativ, sondern positiv, und umgekehrt
ein Proton nicht mehr positiv, sondern negativ geladen. Es ist be-
reits gelungen, Anti-Materie, wenn auch in kleinster Menge,
künstlich im Laboratorium herzustellen, und Physiker fragen:
«Wo ist die Anti-Materie geblieben, die zu Beginn des Universums
gleichzeitig mit der Materie enstanden sein muß? ... Vielleicht
gibt es Milchstraßen, die ganz aus Anti-Materie bestehen ...»
(Isaac Asimov).
Der amerikanisch-österreichische Atomphysiker Fritjof Capra
merkt dazu an: «Die Erzeugung von Materieteilchen aus reiner
Energie ist sicher der spektakulärste Effekt der Relativitätstheorie
... Die Unterscheidung zwischen Materie und leerem Raum
mußte endgültig aufgegeben werden, als entdeckt wurde, daßvir-
tuelle Teilchen spontan aus der Leere entstehen und wieder in die
Leere verschwinden können.»
Einer der ersten, der begriffen hat, was die Auflösung der Mate-
rie «in Nichts» impliziert, war - bereits in den zwanziger Jahren —
Niels Bohr, einer der Begründer der modernen Atomphysik: «Um
zur Leere der Atomtheorie eine Parallele zu finden ... müssen wir
uns den Überlieferungen eines Buddha und eines Lao-tse zuwen-
den...»
Und wir müssen uns daran erinnern, daß es Hindu-Mathemati-
ker waren, die die Idee der «Null» bereits im 6. Jahrhundert einge-
führt haben. Aus der indischen Mathematik kam sie in die ara-
bische - erst von dort in die europäische. Ohne die «Null» wäre
das ganze mathematische Denken des Abendlandes - jenes Den-
ken, auf dem die moderne Physik beruht — unmöglich. Die.
«Leere», das «Nichts» in der Philosophie des Hinduismus und
Buddhismus stand dabei Pate, denn aus dem philosophischen und
spirituellen Wissen um das «Nichts» haben die Hindu-Wissen-
schaftler das mathematische Konzept der «Null» abgeleitet. Des-
halb kann in der Differentialrechnung o: o jede beliebige Zahl sein
—- null, eins oder unendlich groß.
Zen-Weise haben bereits im 14. Jahrhundert die Formel des
Shikisokuseku entwickelt, die besagt: «Materie ist Leere.» Und:
«Leere ist Materie.»
Hierzu noch einmal Fritjof Capra: «Wir müssen sehen, wie die
beiden Fundamente der Physik des 20. Jahrhunderts — Quanten-
BN ehe De ne Ehyeik führe uns nn einer Anschauung von ;|
der Welt, die den Ansichten der MystikerallerZeitalterund Tradi-
tionen sehr ähnlich ist...
Zum Beispiel wird dem Hindu durch den kosmischen Tanz des
Gottes Shiva dieselbe Vorstellung von der Materie vermittelt wie

\
dem Physiker durch gewisse Aspekte der Quanten- und Feldtheo-
ie... In einer berühmten buddhistischen Sutra, die Buddha per-
sönlich zugeschrieben wird, heißt es: «Form ist Leere, und Leere
ist Form. Leere unterscheidet sich nicht von Form, Form unter-

scheidet sich nicht von Leere. Was Form ist, das ist Leere, was
&2, Leere ist, das ist Form.»
Zwischen den Naturwissenschaften und den Institutionen der
christlichen Kirchen herrscht seit Jahrhunderten Spannung, oft
EM
genug Feindschaft; Galilei, Giordano Bruno, Kepler und andere
R große Wissenschaftler wurden verfolgt, eingekerkert, verbrannt,
Darwin und Einstein diskriminiert und bekämpft. Aber zwischen
den Naturwissenschaften und der Weltauffassung Asiens herrscht
weitgehend Übereinstimmung. Was Einstein über die Zeit gesagt
hat und was die Quantenphysiker über die Materie entdecken
konnten, hat Buddha vor Jahrtausenden auf seine Weise in Worte
gefaßt. Ja, bereits vor Buddha wird in der hinduistischen Philo-*
sophie der Raum mit akasa umschrieben -ein Wort, dassichvon |
der Sanskritwurzel kas = leuchten, strahlen herleitet. Undjedem
Kenner hinduistischen und buddhistischen Denkens ist der Be-
griff der sunyata, der Leere, geläufig, — einer Leere, die voller ist als
die Fülle, so daß auch hier wieder gilt: «Leere ist Fülle.» Und:
«Fülle ist Leere.»
Viele moderne Physiker, die nach Asien gereist sind, haben die
Parallelität ihrer eigenen Erkenntnisse mit denen der asiatischen
Spiritualität erfahren. Als Niels Bohr 1937 in China war, fiel ihm
die Ähnlichkeit der chinesischen Ch’i-Vorstellungen mit Heisen-
bergs Unschärferelation auf. Er sagte: «Das Ch’i ist das Äquiva-
lent des modernen Quantenfeldes.»
Und als er wieder daheim in Kopenhagen war, ya er das chi-
nesische Yin- und Yang-Symbol in sein dänisches Familienwap-
pen auf.
Auf die Ähnlichkeit des chinesischen Ch’i mit den Feldvorstel-
lungen der theoretischen Physik hat auch der in diesen Zusam-
menhängen immer wieder zu erwähnende Fritjof Capra hingewie- |
sen: «In der chinesischen Philosophie ist die Feldidee nichtnurin '
P 136

Bi;Bi
a =
Sh’i ausgedı ückt. Dieserns spielt ;
eine wichtige an inea jeder Schule der chinesischen Natur-
philosophie..
Capra rs Se aufmerksam, wie auffällig sich die folzende
Beschreibung des Feldbegriffes der modernen Physik von Walter
Thirring mit den Vorstellungen des chinesischen Ch’i deckt: «Die
moderne theoretische Physik hat unser Denken vom Wesen der
Materie in neue Bahnen gelenkt. Sie hat den Blick von dem zu-
nächst Sichtbaren, nämlich den Teilchen, weitergeführt zu dem,
i was dahinterliegt, dem Feld. Anwesenheit von Materie ist nur
eine Störung des vollkommenen Zustandes des Feldes an dieser
Stelle, etwas Zufälliges, man möchte fast sagen, nur ein «Schmutz-
effekt. Dementsprechend gibt es auch keine klaren Gesetze,
welche die Kräfte zwischen Elementarteilchen beschreiben ...
Ordnung und Symmetrie sind in dem dahinterliegenden Feld zu
suchen ...»
Capra hat gezeigt, daß sich die Erkenntnisse der Relativitäts-
theorie und der Quantenmechanik lesen, als seien sie Koans im
Sinne des Zen: scheinbar absurde Meditationsaufgaben, wie sie
die Zen-Meister ihren Schülern stellen. Er sagt: «Die Quantenme-
chanik ist das Zen-Koan unserer Zeit.»
Und der Physiker James Hopwood Jeans resümiert: «Heutzu-
tage herrscht weitgehend Übereinstimmung, die auf der Straße
der Physik beinahe an Einstimmigkeit grenzt, daß der Strom des
Wissens einer nicht-mechanischen Realität entgegenfließt; das
Universum beginnt mehr einem mächtigen Gedanken als einer
Maschine zu gleichen. Der Geist scheint nicht länger mehr ein
. zufälliger Eindringling in den Bereich der Materie zu sein. Wir be-
ginnen zu mutmaßen, daß wir ihn eher als Schöpfer und Lenker
des Bereichs der Materie begrüßen sollten ...»
Der bedeutende englische Physiker Sir Arthur Stanley Edding-
_ ton gehört zu den Wegbereitern der zeitgenössischen Erkenntnis
vom «Geist der Materie», über dieich im vierten Kapitel berichtet
habe. Bereits Anfang der dreißiger Jahre schrieb er: «Der Stoff der
Welt ist Geist-Stoff. Der Geist-Stoff ist nicht ausgebreitet in
Raum und Zeit ... Wir müssen aber annehmen, daß er, auf eine
andere Art oder von einem anderen Gesichtspunkt aus gesehen,
sich in Teile differenzieren kann. Nur da und dort erhebt er sich
zur Höhe des Bewußtseins, doch von solchen Inseln kommt alles
Wissen ... Dieses umschließt unser Wissen von der physikali-
schen Welt.»
137 x
ausgehen kann, daß räumlich getrennte Ereignisse
unabhängig sind». Wer in der spirituellen Tradition Asiens aufge- |
wachsen ist, stockt voller Erstaunen, denn dieser Satz — inzwi-
schen als «Bell’s Theorem» in der theoretischen Physik weltweit
akzeptiert - läuft auf genau das hinaus, was die Weisen Asiens seit
je gewußt haben: Nichts im Kosmos, so weit seine Grenzen auch
sein mögen, ist von etwas anderem getrennt. «Alles ist Eins.» —
«Tat ITwam Asi.»
Ich zitiere noch einmal George Leonard: «Damit die Quanten-
theorie wirklich funktioniert, muß jedes Elektron, umgangs-
sprachlich formuliert, «wissen», was all die anderen Elektronen im
Universum tun, um selbst zu «wissen», was es tun soll. Es ist, als
obsich an jedem Punkt jedes elektromagnetischen Feldes ein win-
ziger Supercomputer befände, der ständig alles berechnet, wasim
Universum vor sich:geht ... In einem solchen Universum stehen
die Informationen über das Ganze an jedem einzelnen Punkt zur
Verfügung.
Diese Implikationen der Quantentheorie entsprechen der tief-
sten Intuition früherer Zeitalter, der unmittelbaren Erfahrung der
angesehensten spirituellen Meister und den Gedanken von Philo-
sophen wie Leibniz, Spinoza und Whitehead.»
Der Physiker Ilya Prigogine sieht einen ersten Schritt in diese
Richtung bereits in der Entwicklungslehre Darwins: «Die Lehre
Darwins bedeutet, daß wir mit allen Formen des Lebens zusam-
menhängen; das expandierende Universum bedeutet, daß wir mit
dem gesamten Kosmos zusammenhängen.»
Genau das gleiche hat der chinesische Zen-Meister Ch’an-sha
Ching-ts’en im 9. Jahrhundert gesagt: «Das ganze Universum ist
dein Auge. Das ganze Universum ist deine eigene Lichtquelle. Das
ganze Universum ist innerhalb deiner eigenen Lichtquelle. Im
ganzen Universum gibt es niemanden, der nicht dein eigenes
Selbst ist.»
Auch an dieser Stelle wieder denkt man an die berühmse Perle
des Gottes Indra, die alle anderen Perlen der Welt widerspiegelt
und gleichzeitig in jeder anderen Perle der Welt enthalten ist. Den
alten Brahmanen galt sie als ein Symbol des Universums. Indische
Weise stellen sie als Meditationsaufgabe: Dring in die Absurdität
der Perle Indras, sie spiegelt alle Perlen der Welt und steckt doch
gleichzeitig in jeder Perle. Begreif dies!
Für einen Rationalisten mag die Perle eine Metapher sein (auch
Wnckelten ERETEE an eg ieso Hei
Schnürsenkel.) Sätze der «Bootstraper» lauten: «Jedes Teilchen
besteht aus allen Teilchen.« Oder: «So hilft jedes Teilchen andere
Teilchen zu erzeugen, die wiederum es selbst erzeugen.« Man
liest das und denkt, es seien buddhistische Sutras. Es sind aber
Sätze der modernen Teilchen-Physik.
Worauf die Heisenbergsche Unschärferelation eigentlich hin-
ausläuft, das ist die Gewißheit Buddhas und der Zen-Weisen: daß
unser Betrachten der Dinge die Dinge erst zu dem macht, was sie
sind. Ein Teilchen ist Welle, wenn ich es als Welle ansehe. Esist
Materie, wenn ich es als Materie ansehe. Das Teilchen kann auf
dem Mond sein, aber wenn ich es als Welle beobachte, ist es Welle.
Und wenn ein anderer — gleichzeitig! — es dort oben als Materie
beobachtet, ist es für ihn Materie. Wenn ich es als Positron beob-
achte, ist es Positron. Beobachte ich es als Elektron, ist es Elektron
— und die Zeit dreht sich um. Meine Beobachtung also kann Zeit
umdrehen — Vergangenheit in Zukunft und umgekehrt. Positives
in Negatives — und umgekehrt. Das ist es, was die Unschärferela-
tion eigentlich besagt. Was auch immer wir über die Welt aussa-
gen, wir selbst sind mittendrin; wir können nicht daraus heraus;
"wir sind «in» den Dingen - im kleinsten Teilchen. Im «Kern der
Perle».
Und die Unschärferelation war nur die erste dieser Entdeckun-
gen. Inzwischen gibt es ein Dutzend ähnlicher, alle paar Jahre wer-
den neue gemacht, die uns signalisieren: Wir sind die Dinge. Das
ist die eigentliche Botschaft der Neuen Physik: Der Kosmos sind
wir. Und es ist seltsam verwirrend, daß diese Botschaft nun schon
seit länger als einem halben Jahrhundert ertönt und gleichwohl
immer nur von den Fach-Physikern vernommen wird. Die ande-
ren betrachten sie wie ein Exotikum. Wie eine Kunde von fernen
Sternen. Dabei müßte sie doch unser ganzes modernes Wissen-
schaftsdenken längst völlig revolutioniert haben. Erst dann wäre
dieses Wissenschaftsdenken wirklich wieder «modern». Solange
es die Botschaft der Neuen Physik nicht verstanden hat, ist es
antiquiert. Ein vor-modernes Denken. Ein Denken des 19.Jahr-
hunderts. Zum Beispiel die Schul-Medizin: Ohne die Berücksich-
tigung der Unschärfe- Relation wird sie selber: «Unschärfe-Medi-
zin»!
| Vielleicht hat eonbens mit seiner Unschärferelation ein fun-
damentales Prinzip entdeckt, das nicht nur in der Mikro-Physik
139
sagen: Die Relation Er Schärfe ist eine Relation 3
punktes. Wären wir uns der «Objektivität» unserer Standpunkte |
nicht so trügerisch sicher, müßten die Menschen längst bemerkt
haben: Sie leben schon seit Jahrtausenden mit der Unschärferela-
tion. Fast jeder Mensch macht diese Erfahrung: Er sieht die Sache
von seinem Gesichtspunkt aus und erkennt seine Sehweise als
zweifellos richtig, aber ein anderer — Vater vielleicht oder Freund
oder Geliebter — betrachtet sie von einem anderen Gesichtspunkt
und kommt zu einem entgegengesetzten Ergebnis, das für diesen
anderen ebenso zweifelsfrei richtig ist.
Es ist also unser Gesichtspunkt, unsere Bettachtungsweise, die
die Wirklichkeit zu der macht, die sie ist. Im 19. Jahrhundert war
die Idee des «Kampfes ums Dasein» der Mehrheit der Menschen
des Westens bewußt. Die Staaten des kleinen Europa hatten den
größeren Teil der Erde unterworfen und beuteten ihn rücksichts-
los aus; die Industrialisierung machte von Jahr zu Jahr Fort-
schritte; Kapitalisten beuteten Arbeiter, Arbeiter ihre Frauen,
Familien ihre Kinder aus; Erziehung war ganz und gar daraufhin
ausgerichtet, von Anfang an - nicht erst auf der Schule - jene Art
patriarchalischer und autoritärer Strukturen zu etablieren und
immer noch stärker zu befestigen, die die allgemeine Ausbeutung
legitimieren. Industrialisierung und Kapitalismus führten zu im-
mer phantastischeren Gewinnen; sie funktionierten bewunde-
rungswürdig, und es war offensichtlich: was da funktionierte und
| immer noch weiter maximiert wurde, basierte auf Ausbeutung.
Ausbeutung also muß sein; jeder ist des anderen Feind; jeder
kämpft gegen jeden; je rücksichtsloser der Kampf, desto schneller
der Fortschritt. Darwins Theorie vom «Kampf ums Überleben»
samt jener Konzeption der Evolutionslehre, die wir alle noch auf
der Schule gelernt haben, fügte sich zwanglos ins Bild. Wahrhaf-
tig: Sie wurde gebraucht —- und die Wissenschaft lieferte sie.
Heute ist deutlich: Die Idee der Evolution durch Kampf, Ver-
nichtung, Ausbeutung und durch das Überleben des Stärkeren ist
eine Sache des Gesichtspunktes. Sie entsprach exakt dem Stand-
punkt der damaligen europäischen - zumal der englischen - Men-
schen. Heute wissen wir, daß das, was uns die Wissenschaft
damalsals parasitäre Ausbeutungerklärthat, in Wirklichkeitsym-
biotische Kooperation ist. Wirwissen, daßes Parasiteninder Natur
nur in Ausnahmefällen gibt, daß sie uncharakteristisch sind
und daß im Gegenteil zur Idee der Evolution die symbiotische
'sammenhängt und der Tod.eines Partners — sogar eines find:
lichen— oder einer Art immer auch eine Gefahr für alle anderen
Partner und Arten und für das System des Lebendigen als Ganzes
ist. Wir wissen, daß jene Art von Räuber-Beute-Beziehungen, von
denen uns unsere Großväter, auch noch die Väter, beibringen
wollten, sie seien «typisch für die Natur», Ausnahmen sind und
daß es - verglichen mit den Milliarden kooperativer und symbio-
tischer Beziehungen — nur ganz wenige «mörderische» gibt, daß
uns die «mörderischen» eben deshalb so aufgefallen sind, weil sie
so selten sind, und daß gerade sie — wie es das Beispiel der großen
Raubtiere deutlich macht -mit einer Noblesse und Vorsicht prak-
tiziert werden, die dem Menschen meist fremd sind. Wir haben
. verstanden: Der Mensch mußte das partnerschaftliche Verhalten,
welches in der Natur dominierend ist, in ein räuberisches verfäl-
schen, um sein eigenes Verhalten rechtfertigen zu können.
Damals hat die Wissenschaft den «Kampf uns Dasein» «gefei-
‚ ert». Heutige Biologen wissen, daß Kämpfe in der Natur oft nur als
Ritual angedeutet werden - offensichtlich etwa beim Kampf brün-
stiger Hirsche, miteinander konkurrierender Hähne oder in einer
Kolonie von Pavianen: Sobald deutlich ist, wer der Stärkere ist,
hört der Kampf auf - oder wird ins Spielerische abgebogen; der
Schwächere wird nicht vernichtet; er zieht sich zurück. Das
« Arrangement» ist häufiger als die Vernichtung — sogar bei Bakte-
rienkulturen, Korallenarten, bestimmten Vegetationsformen etc.
Capra resümiert: «Übermäßige Aggression, Wettbewerb und zer-
störerisches Verhalten herrschen nur bei den Menschen vor und
müssen eher im Zusammenhang mit kulturellen Werten behan-
delt werden, statt pseudowissenschaftlich als angeborene Natur-
erscheinung «erklärt zu werden.»
Ich referiere dieses Beispiel nicht nur deshalb so ausführlich,
weil es das neue, für dieses Buch wichtige Bewußtsein kennzeich-
net, sondern gerade an dieser Stelle, weil es eklatant deutlich
macht: Die Phänomene der Teilchenphysik sind nicht unbedingt
auf den Mikrokosmos beschränkt. Auch in unserer angeblich so
«objektiven» Wissenschaft ist «Schärfe» eine Relation des Ge-
sichtspunktes — oder des Bewußtseinsstandes.
Wir sollten uns deutlich machen, daß dies sogar für die Religion
"und die Bereiche des Spirituellen gilt. Wir würden dann toleranter
werden. An die Stelle der «Schärfe» als Ideal — denn das ist ja ein
Ideal: man soll «scharf» nachdenken und «scharf» sehen (Schärfe
a aber dafür das an in einer Weise «wahr»nimmt, die |
sich der «scharfen», ins Detail dringenden Rationalität entzieht.
Betrachten wir also noch das Beispiel von Religiosität und Spiri-
tualität. Europäer beten zu einem Gott als dem cchristlichen-und
er ist eben dies: Jesus Christus. Der Allmächtige Gott. Araber be-
ten zu einem Gott als dem Allah der Moslems — und er ist Allah.
Der Allmächtige Gott. Inder beten zu Brahma -und erist Brahma.
Der Schöpfer. Der Allmächtige Gott. Das also ist er in jedem Fall:
Der Allmächtige Gott. Es ist nicht möglich zu entscheiden, wer
recht hat. Jeder hat recht. Und in jeder der drei Kulturen gibt es
Menschen, die über jeden Zweifel hinaus erfahren haben, daß sie
recht haben. |
Ist dies nun eine Relativierung? Geradezu eine Aufhebung des
göttlichen Prinzips? Ist es nicht dessen Gegenteil? Die verbind-
liche Sicherheit, daß nicht etwa nur die gläubigen Menschen |
einer der genannten Kulturen — welcher auch immer — «recht»
haben, sondern alle? Wir heben auch das Teilchen nicht auf, wenn
wir es mal als Welle und mal als Materie betrachten. Das Teilchen |
ist. Aber es ist auch abhängig von uns. In demselben Sinne ist
Gott. Aber er ist auch abhängig von uns. Meister Eckehart und |
Angelus Silesius haben das gewußt: Gott ist nicht außerhalb von |
uns, eristin uns.

Die Entdeckung der Laserstrahlen hat die Holographie möglich


gemacht - eine Art Photographie mit Laserstrahlen. Das Überra-
schende ist Folgendes: Keines der durch Holographie entstande-
nen «Bilder» läßt sich teilen. Wenn man es teilt, «springt» es so-
fort wieder ins volle Bild. Teilungen— Ausschnitte— lassen sich
nicht erzielen. Auch das kleinere Format zeigt-lediglich ein we-
nig schwächer — sofort wieder das holos, das Ganze (öAog,
griech. = ganz). Theoretisch kann man immer weiter teilen— bis
in mikrokosmische Dimensionen, ein Ausschnitt gelingt nicht.
Das Bild bleibt das Bild. Bis das Bild selber Elementar-Teilchen |
wird —was doch bedeutet: In jedem Elementarteilchen steckt das
Ganze -das Universum. Buddhas Erkenntnis- die Erfahrung von
Generationen von Zen-Meditierenden: «Alles ist Eins» - können
die Holographie-Physiker bedenkenlos unterschreiben.
Auch von dieser Seite her also gelangen wir an einen Punkt, der
-im ersten Teil dieses Kapitels -von der Zeit her bereits sichtbar
wurde: Physiker diskutieren heute die Frage, ob nicht die Psi-Phä-

142
cr i } Kt :
ntenm ee rlich» ers nen kö en 10-
e wie rekoenition, a allsation. Dematerialisation,
Sichtbarmachung der Aura, Telekinese etc. Wenn alles eins ist,
stecken auch die entferntesten Dinge im Hier und Jetzt.
Wolfgang Büchel schreibt unter dem Titel «Physik und Para-
psychologie» in der Zeitschrift «Psi und Psyche»: «Wenn auch
. eine Einordnung der Psi-Phänomene in die gegenwärtigen physi-
' kalischen Kategorien nicht möglich ist, so sind doch gewisse Ana-
logien zwischen Parapsychologie und moderner Physik unver-
kennbar. Wie schon erwähnt, sieht sich die Quantenphysik mit
der Tatsache konfrontiert, daß die Objekte der Mikrophysik sich
nicht mehr eindeutig in die als grundlegend angesehenen Katego-
rien von Raum, Zeit und Kausalität einordnen lassen. Das hat
einerseits Bestürzung und Kritik bei führenden «traditionellen»
Physikern wie Einstein, Schrödinger, Planck, de Broglie und ande-
ren hervorgerufen: aber bis in die neueste Zeit hinein hat sich ge-
rade in der Auseinandersetzung mit dieser Kritik die Auffassung
der Quantenphysik immer wieder bestätigt. Aufderanderen Seite
hat die Entwicklung bei führenden Quantenphysikern, wie Jordan
und Pauli, dazu geführt, Psi-Phänomene nicht mehr a priori als
unmöglich abzutun, sondern unvoreingenommen ihre Tatsäch-
lichkeit zu prüfen und der durch sie bedingten erkenntnistheore-
. tischen und naturphilosophischen Problematik Interesse entge-
genzubringen. Die Tatsache, daß bei Hellsehen und Präkognition
die kategorialen Schranken von Raum und Zeit durchbrochen
werden, kann jedenfalls nicht mehr als durchschlagender Ein-
wand gegen die Möglichkeit einer Einordnung der Psi-Phänomene
in eine zukünftige physikalische Begrifflichkeit anerkannt wer-
den.»

Resümee: Das, was uns eben noch als das Unerschütterlichste


und Gesichertste erschien, ist illusorisch geworden — Zeit und
Stoff. Dafür [und damit schließe ich an die beiden vorausgehenden
" Kapitel an) wurde uns eine neue, um so sicherere Erkenntnis ge-
schenkt — und ich gebrauche mit Absicht die Formulierung: sie
wurde uns «geschenkt»: Kosmos und Erde, Anorganisches und
Organisches, Pflanzen und Tiere und Menschen sind Schwin-
gung, und Schwingung ist Klang.
- Im zweiten Kapitel dieses Buches haben wir das alte Zen-Koan
kennengelernt:
etzt können wir dieses Koan variieren:

«Wenn du auslöschst Zeit und Stoff —


was hörst du dann?»

Das ist die eigentliche Frage, um die es geht, undeesist besser—und |


aussichtsreicher —, sie als Koan zu lösen, als die Lösung von theo-
retischen Erwägungen zu erwarten. Was auf diesen Seiten gesche-
hen kann, ist nicht mehr, als die Frage bewußt zu machen, einen '
Anstoß zu geben. Was wirklich geschieht, geschieht nicht auf dem |
Papier. Es geschieht in uns. Man denke dem Wort von Dschuang- |
.tsenach, das diesem Buch als Motto vorausgestellt ist.
Wer Harmonielehre gelernt hat, weiß: Jede Disharmonie strebt
danach, sich in eine Harmonie aufzulösen. Wenn nun die harmo-
nischen Verhältnisse in der Musik Abbilder und Spiegelungen
sind der harmonikalen und mathematischen Verhältnisse im
Planetensystem wie im Kosmos und Mikrokosmos, in der Biolo-
gie wie in all den anderen Bereichen, von denen wir gesprochen
haben, dann muß auch außerhalb der Musik gelten: Jede Dishar-
monie strebt danach, sich in eine Harmonie aufzulösen. Ein dik-
kes Buch wäre erforderlich, um diese These durch all die verschie-
denen Bereiche zu verfolgen und darzustellen. Dieses Kapitel muß
- sich auf wenige Indizien beschränken.
Was zunächst die Musik betrifft, so läßt sich ihre Geschichte
auch unter dem Gesichtspunkt schreiben, daß sie eine ständige
Entdeckung von Harmonien — von neuen harmonischen Mög-
lichkeiten und Wohlklängen - ist. Am Anfang menschlichen Mu-
sikempfindens wurden nur einstimmige melodische Linien als
«wohlklingend» empfunden. Der erste Schritt in Richtung auf die
Entwicklung zur Harmonie bildete die Entdeckung der Oktave.
- Im abendländischen Raum wurde er in der Zeit des Hellenismus
getan. Er bedeutete die bahnbrechende Möglichkeit, den Ton der
melodischen Linie mit einem weiteren Ton zu verbinden und
darin Wohlklang zu empfinden. Darauf folgte die Entdeckung von
Quinte und Quarte. Noch im Mittelalter galt die Terz als ausge-
sprochen mißtönendes — die mittelalterlichen Musiker meinten:
teuflisches - Intervall. Die ersten Naturterzen (und übrigens auch
Natursexten: die «umgekehrte» Terz!), die als Wohlklang verstan-
den werden können, finden sich um das Jahr 1300. Sie haben
damals - zuerst in der englischen, später auch in der niederländi-
schen und französischen Musik — geradezu avantgardistisch
gewirkt und wurden heftig diskutiert. Für uns Heutige ist die Terz
ein Inbegriff konservativen Wohlklangs.
Im Lauf des ı5.Jahrhunderts setzte sich die Dur-Tonleiter
durch - zunächst in der Form des aus dem System der Kirchenton-
arten abgeleiteten C-Modus, der sämtliche fünf «natürlichen»
Konsonanzen enthält. Die stärkere Beliebtheit von Dur gegenüber

145
£ E FERRBIER,

Von Bach an läßt sich die ganze abendländische Musik ;


wicklung interpretieren als ein immer entschiedeneres Entdek- |
ken von Wohlklängen in dem, was ebennochals «unharmonisch» |
und «mißtönend» empfunden wurde. Mehrfach in dieser Ent-
wicklung — auch bereits von Bach selbst, in seinem Hang zur |
Chromatik — wurde die Linie, die wir im IV. Kapitel zwischen die
mehr konsonanten und die mehr dissonanten Klänge gezogen ha-
ben, überschritten. Schließlich — im 19. Jahrhundert — waren nur
noch Sekunden und Septimen, vor allem kleine Sekunden und
‚große Septimen als «Intervalle des Mißvergnügens» — übrigge- |
blieben. Debussy hat auch in ihnen chromatischen «Wohlklang»
gefunden - sogar im kritischsten dieser Intervalle, der kleinen Se-
kunde. Und auf den so besonders heiklen Tritonus kann bereits
seit dem späten Beethoven, mindestens aber seit Richard Wagner
nicht mehr verzichtet werden. Hindemith räumt ihm in seiner.
«Unterweisung im Tonsatz» eine Schlüsselstellung ein. Daß er |
. sie auch im Jazz, zumal seit dem Bebop, besitzt, haben wir bereits
erwähnt. In der Entwicklung der modernen Konzertmusik gab es |
während der fünfziger Jahre eine Situation, in der die Komponi- |
„sten nur noch in sogenannten Clusters — im gleichzeitigen An-
schlagen sämtlicher Töne über den ganzen Bereich der Tastatur |
hinweg-Mißklänge schaffen zu können meinten, aber sogar diese |
wurden nach einigen Jahren, zumindest ansatzweise, in «Wohl-
klang» verwandelt- etwa von dem polnischen Komponisten Pen- |
derecki, dem Deutschen Bernd-Alois Zimmermann und vor allem
von dem Ungarn György Ligeti — besonders in dessen Orgelwer- '
ken. Seine «Volumina» sind ein wahrhaft bedrängendes Beispiel |
für die irisierende Schönheit, die aneinandergereihte kleine Se-
kunden auszustrahlen vermögen. György Ligeti über seine «Volu- |
mina»: «Akkordik, Figuration und Polyphonie wurden verwischt
und unterdrückt, bleiben aber unterhalb der klanglichen Oberflä- '
che der Komposition, wie tief unter einer Wasserfläche, im Gehei-
men, doch wirksam. Es entsteht eine gleichsam leere Form. Es
erwachsen Gestalten ohne Antlitz wie in Chirico-Bildern, gewal-
tige Weiten und Fernen, eine Architektur, die bloß aus Gerüstung
besteht ... Alles andere verschwindet in den weiten, leeren Räu-
men, den «Volumina» der musikalischen Form.»
In diesen Zusammenhang gehört die seit der Entstehung der
modernen Konzertmusik immer wieder aufgetauchte Frage,
warum große Musik in allen Kulturen, in denen Musik eine Rolle
en 0 ul
en A
Gniveiiıy of Ilinois in ee ee rei wie
umfangreich das Reservoir von Tönen ist, die von menschlichen .
Ohren deutlich unterschieden wahrgenommen werden können: a
«Wir entdeckten, daß je nach Tondauer, Zeitabstand zwischen
den Tönen und psychologischer Ermüdung der Zuhörer Musiker
und Nicht-Musiker gleichermaßen bis zu weit über tausend «eben re
em
a
E
merkliche Unterschiede» (von den Akustikern JNDs [= just noti-
ceable differences] genannt) zwischen den Tönen, von den tiefsten
bis zu den höchsten wahrnehmbaren, hören. Ein exaktes Experi-
ment ergab Unterscheidungen von 1378 «gerade noch merklichen
Unterschieden zwischen diesen musikalischen «Rohtönen».
Wirschließen aus diesemeinfachen, abervielleichtermüdenden
Experiment, daß das menschliche Ohr ein erstaunliches Organ
mit Möglichkeiten ist, die musikalisch noch nie ganz realisiert
worden sind. Denken wir an die Musik des Westens oder irgendei-
ner anderen Kultur, wird uns bewußt, daß wir als Musiker oder
Musikhörer ziemlich träge sind, wenn es darum geht, mit dem
riesigen Potential an Tonunterscheidungen, das das Ohr soeben
vorgeführt hat, Musik zu machen. Selbst das moderne Klavier hat
nur 88 Tasten, und das scheint sowohl die Komponisten als auch
die Zuhörer vollauf zufriedenzustellen. Aber was sind (mehr oder
weniger) achtundachtzig Töne von eintausenddreihundert? Müs-
sen wirnach Tausenden von Jahren Menschheitsgeschichte leicht
verlegen zugeben, daß wir nur fünf Prozent dessen verwenden,
was tonal nutzbar gemacht werden könnte, um Musik zu schaf-
fen? Warum haben wir es bei den zwölf Tönen der chromatischen
Skala bewenden lassen, die wir in Oktaven genannten Reihen ...
immer wieder verdoppeln, um das mit Bedeutung und Emotionen
befrachtete Objekt zu schaffen, das wir als Musik bezeichnen?»
Die Frage beantwortet sich zunächst einmal — wir haben davon
gesprochen - aus der Gehördisposition des menschlichen Ohres.
Aber sie beantwortet sich auch, insofern wir die «Musik», von der
im IV. und V. Kapitel die Rede war — die «Musik» des Makro- und
Mikrokosmos -, auf unsere menschliche Musik beziehen können
(und müssen!). Wir wissen inzwischen: Musik ist mehr als Musik.
Sie ist Kosmos und atomare Mikrostruktur, Erde und Fluß,
Pflanze und Blattform, menschlicher und tierischer Körper — so
weitgehend, daß der Komponist und Musikwissenschaftler Dane
Rudhyar schreiben konnte: «Die physische Welt menschlicher Er-
| fahrung gleicht einem ungeheuren Klangkörper.» Überall auf die-
geren Sinn A a - der ee Musik menschliche
Kulturen- zugrunde liegen und das Arsenal ihrer Töne definieren.
Wo die Töne nicht genau getroffen werden, werden sie - in dem
Sinne, in dem wir dies am Ende des V. Kapitels erklärt haben —
«zurechtgehört». Jene Bereiche, die nicht «zurechtgehört» wer-
den können, werden ausgeschieden. Das ist der Grund, so vermu-
tet Rudolf Haase, warum sogenannte Vierteltöne, die genau in die
Lücken zwischen den «zurechthörbaren» Bereichen fallen, «sich |
in der Musik nie durchsetzen konnten». 4
Was ist Tonalität? fragt Richard Norton. Under antwortet: «Die |
Tonalität ist eine Entscheidung gegen das Chaos der Töne jener
eintausenddreihundert JNDs, die wir im akustischen Labor ent-
deckt haben.»
Will sagen: Musik ist nicht denkbar ohne einen Akt der Aus-
wahl: Aus der Fülle der «möglichen» Töne, aus dem, was Norton
das «Chaos der Töne» nennt, werden - um eben das Chaos zu |
_ vermeiden - nur wenige gewählt, und zwar genau die, dieesauch
im Kosmos und in den organischen Formen der Natur gibt. Es ist |
jener Akt der Wahl, den wir im IV. Kapitel als Prärogativ des Gei- |
stes kennengelernt haben. |
Man kann diesen «Akt der Wahl» auch, um einen Ausdruck der
Atomphysik zu verwenden, als «Quantelung» bezeichnen. Wir
—-die Natur, der Geist- wählen in Quanten. Auch dies wird bereits
am Monochord und an der Obertonreihe deutlich. Beim Hinauf-
e gleiten des Fingers auf einer Saite erklingen bevorzugt nur ganz
bestimmte Töne: «Die Natur trifft also von selbst eine Auswahl.
Die Töne springen sozusagen von einer Stelle zur anderen - sie
sind quantenmäßig und nicht kontinuierlich angeordnet ...»
(Kayser). j
Das Entsprechende geschieht auf einem ventillosen Horn. Es
«ist dem Bläser schwer möglich, dazwischenliegende Töne rein
herauszubekommen. Die Töne springen tatsächlich zuerst vom
Grundton auf die Oktave, dann auf die Quinte, dann wieder auf
eine Oktave usw.»
Die Natur macht also nicht, «was wir wollen, sondern was sie
selber will; denn ich kann mit meinem Finger noch so vorsichtig |
tasten —wenn er eine Stelle berührt, wo die Saite «nicht will, ist
} alle Liebesmühe vergebens. Es ist also offenbar, daß die Natur aus-
N wählt oder, wie wir auch sagen können, «normiert: ...» (Kayser).

EA NATAL
men en hat, io)einem 1893 hentlichren Aufsatz über
AN
«Die natürliche Stimmung in der modernen Vokalmusik»
schreibt Planck:
«Aus den diskreten Eigenwerten der Energie ergeben sich nach
dem Quantenpostulat bestimmte diskrete Eigenwerte der
Schwingungsperiode, ebenso wie bei einer gespannten, an denEn-
den festgeklemmten Saite, nur daß bei der letzteren die Quantisie-
rung durch einen äußerlichen Umstand, nämlich durchdieLänge
der Saite, hier dagegen durch das in der Differentialgleichung sel-
ber enthaltene Wirkungsquantum bedingt wird.»
Wilfried Krüger gelang es (und damit rundet sich das Bild), die
temperierte Stimmung atomphysikalisch zu begründen. Es ist ja
eine alte Streitfrage: Welche der verschiedenen möglichen Stim-
mungen ist die richtige? Und es hat sich eingebürgert, auf die
«gleichschwebende Temperatur» herabzusehen, weil sie «künst-
lich» und «gewaltsam» und «mathematisch konstruiert» sei.
Aber die Grundidee der temperierten Stimmung liegt in der Tei-
lung des Tonraumes in exakt gleiche Abstände, und diese Idee ent-
spricht der Quantenmechanik Max Plancks, wonach Wirkungen
nur im Vielfachen einer kleinsten, nicht mehr zu teilenden Ein-
heit ausgelöst werden können. Der «Quantenmechanik» des Mi-
krokosmos entspricht also die «Quantenharmonik» der gleich-
schwebenden Temperatur. «Der Tonraum ist in Wirklichkeit ein
Atomraum.»
Erst durch die temperierte Stimmung wurde das Wunder der
Modulation möglich. Erst durch sie können Transpositionen rei-
bungslos geschehen, - und wir wissen ja bereits: Überall im Uni-
versum gibt es die Möglichkeit der Transposition. Aber vor allem:
Erst nach Einführung der gleichschwebenden Temperatur im
17.Jahrhundert kam es - in einem wahrhaft explosionsartigen
Prozeß - zu jenem ungeheuren Aufschwung der abendländischen
Musik, der zu den größten Phänomenen in der Geschichte des
menschlichen Geistes zählt.

Es ist wichtig zu sehen, daß die Tendenz zur Harmonie, die es in


der Musik gibt, gleichsam nur eine Spiegelung derselben Ten-
denz außerhalb der Musik ist — durch nahezu alle Bereiche hin-
|"durch. Zitieren wir noch einmal George Leonard: «Im Jahre 1665
fiel dem holländischen Wissenschaftler Christian Huygens auf,
Eee EB bei, weit über Bi Maß hinaus, mit den sic
zwei Uhren mechanisch einander angleichen lassen. Es ist, als ob
sie im selben Rhythmus schlagen «wollten».»
Dieses Phänomen - so weiß die Wissenschaft — ist universal
gültig. Wenn zwei oder mehr Oszillatoren im selben Feld fastim
Wer gleichen Rhythmus pulsieren, neigen sie dazu, «einzurasten», so
daß sie schließlich genau synchron schwingen. Man nennt die-
ses Phänomen Resonanz. «Resonanz ist so allgegenwärtig, daß
wir sie ebenso wie die Luft, die wir atmen, kaum bemerken. Doch
sie zeugt auf verblüffende Weise von der Tendenz zur vollkomme-
a
2
en nen Harmonisierung des Rhythmus, der wir jedesmal begegnen,
N wenn wir zu den Wurzeln unserer Existenz vordringen ...»
«Was es mit der Resonanz auf sich hat, das erfahren wir zum
Beispiel, wenn wir mit den «vertikal» und «horizontal» bezeichne- |
ten Knöpfen eines alten Fernsehgerätes spielen. Diese Geräte ent-
hielten Oszillatoren zur periodischen Horizontal- und Vertikal-
Ablenkung des Elektronenstrahls, der das Fernsehbild erzeugt. |
Die Oszillatoren müssen mit den Signalen des Senders sehr genau |
im Gleichklang schwingen, sonst verschiebt sich das Bild seit-
wärts oder Jäuft; vertikal. Indem man an zwei Knöpfen dreht, |
stellt man die Frequenz der Oszillatoren des Gerätes auf die Fre- |
quenz der Oszillatoren des Senders ein. Zum Glück muß man |
dabei keine vollkommene Abstimmung erzielen. Wenn sich die '
Frequenzen nämlich einander annähern, dann gleicht sich die
Frequenz der Oszillatoren des Gerätes mit einem plötzlichen
Sprung der des Senders an, so als «wollten» sie im gleichen Takt
pulsieren ...»
«Lebewesen sind insofern mit Fernsehgeräten vergleichbar, als
auch sie Oszillatoren enthalten. Man könnte sogar sagen, daß Le- |
bewesen Oszillatoren sind; das heißt, daß sie rhythmisch pulsie- |
ren, beziehungsweise sich verändern. In dem Film «The Incredible |
Machine: gibt es einen elektrisierenden Augenblick, in welchem
man zwei separate Muskelzellen des menschlichen Herzens
durch ein Mikroskop sieht. Jede pulsiert in einem anderen Rhyth-
mus. Dann nähern sie sich einander. Bevor sie sich berühren, |
erfolgt eine sprungartige Veränderung ihrer Rhythmen - sie pul-
sieren plötzlich vollkommen synchron im gleichen Takt.» |
William Condon von der medizinischen Fakultät Boston hat '
gezeigt, daß diese «Harmonisierung» — wie man es genannt hat - /
auch eintritt, wenn zwei Menschen ein gutes Gespräch miteinan-
R ag sl hen, Professor anhören; re Gehirnwellen weitg
hend mit denen des Vortragenden «in-eins-schwingen» lassen.
Nur wenn dies geschieht, wird die Arbeitsatmosphäre im Hörsaal
als «gut» empfunden.
In besonders beeindruckender Weise hat Leonard eine solche .
«Harmonisierung» bei den Auftritten bedeutender Prediger zwi-
schen Redner und Gemeinde beobachtet etwa bei Martin Luther
King, einem der größten und erfolgreichsten Prediger unseres
Jahrhunderts. Eine Predigt kann erst dann als «gelungen» bezeich-
net werden- als «elektrisierend» und «mitreißend» und «begei-
sternd» —, wenn die Gehirnwellen der Zuhörenden mit denen des
Predigers ‚synchron schwingen.
Ähnliche Beobachtungen konnten bei Mutter und Kind, bei
Ehemann und Ehefrau, kurz in den verschiedensten mensch-
lichen Gruppen, in deren Beziehungen Harmonie erwünscht ist,
gemacht werden.
Ein anderer Wissenschaftler, Paul Beyers von der Columbia
University in New York, hat menschliche Interaktionen in den
verschiedensten Kulturen - bei Amerikanern, Eskimos, afrikani-
schen Buschmännern und den Eingeborenen Neuguineas — ge-
filmt und analysiert. In jedem einzelnen Fall hat er Rhythmusan-
gleichungen festgestellt. Und bei George Leonard lesen wir: «Es
wurde von einer Synchronisierung der Herzschläge von Psych-
iater und Patient berichtet. Studentinnen, die eine Wohnung mit-
einander teilen, stellen manchmal fest, daß ihre Menstruations-
zyklen synchron oder annähernd synchron verlaufen ...
In der Musik wird das Wunder der rhythmischen Resonanz
offensichtlich. Jede Geste und jede Mikrobewegung muß syn-
chron mit dem Pulsschlag der Musik erfolgen, wenn die Darbie-
tung nicht «auseinanderfallen> soll. Man beobachte die Mitglieder
eines Kammermusikensembles — sie bewegen sich als Einheit, sie
werden zu einem einzigen Kraftfeld.
Wir haben uns an solche Wunder bereits gewöhnt: Die uner-
hörte Fähigkeit von Jazzmusikern, Tonhöhen und Tonbewegun-
gen während der Improvisation gleichsam «vorauszuahnen: ...
Das Wunder entspringt weniger der Virtuosität einzelner ... als
vielmehr der Fähigkeit eines großen Kollektivs... wie ein Körper
zu empfinden, zu fühlen und sich zu bewegen.»
Wie ein Körper zu empfinden und sich zu bewegen: diese Ten-
"denz können wir auch bei großen Vogel- und Fischschwärmen be-
15I
ne faszinierende Weise w< higeordnet, in «harmonis j
kender Form. Jahrzehntelang nahm die Wissenschaf t — der dur i
tional-mecha nistischen Denken des abendländis chen Menschen
entsprechend - an, es müsse in einem solchen Schwarm notwen-
digerweise ein «Leittier» geben. Heute weiß man: «Leittiere» gibt
es allenfalls, wenn zwei oder drei Fische oder Vögel gemeinsam
schwimmen oder fliegen. Wo eine größere Anzahl von Fischen
oder Vögeln sich zusammen bewegen, wird der Schwarm selbst
zum «Wesen». Professor Brian L. Partridge von der University of '
Miami, der das Tierverhalten in Fisch- und Vogelschwärmen |
jahrelang untersucht hat, schreibt: «In gewisser Weise ist der
gesamte Schwarm der Führer, jedes Einzelwesen Teil der Gefolg-
schaft.» Der Schwarm gleicht «mehr einem einzelnen Organis- |
mus als einer Ansammlung von Individuen». «Aller Wahrschein-
2aa lichkeit nach weiß sozusagen jedes Mitglied der Schule, wohin
- sich die übrigen bewegen ... Zu dieser Hypothese paßt es, daß sie
(die Mitglieder) niemals zusammenstoßen.» Die Befehle gehen
E
vom Kollektiv als Ganzem aus, nicht von einem einzelnen Tier.
Deshalb ist das Kollektiv «das Wesen» — und so, in der Tat, sind
% große Vogelschwärme einfachen, der Natur verbundenen Men-
“a schen seit je erschienen: als ein Wesen, das sich — sich ständig
verändernd und doch in bestechender Weise «Form» wahrend - |
am Himmel bewegt. |
Es lohnt sich in diesem Umfeld, dem Phänomen nachzuspüren,
daß Zusammenstöße in der Natur tatsächlich unverhältnismäßig |
selten geschehen. Selbst im Gewühl eines Ameisenhaufens, eines
Termitenbaus oder eines Bienenstocks, in dichten Bakterienkul-
turen, in den Blutbahnen des Menschen und der Säugetiere oder in
den «kompakt» wirkenden Vogelschwärmen, die mit rasender
= Geschwindigkeit dahinfliegen und plötzlich - gleichsam «schlag-
artig» — ihre Richtung ändern, sind sie, gemessen an der Häufig-
keit des Phänomens «Zusammenstoß» unter Menschen, überra-
.... schend selten — so selten, daß gefolgert werden darf: Vor allem
! Menschen sind es, die zusammenstoßen und die durch ihre Art
zusammenzuleben die Erscheinung «Zusammenstoß» zu einer
Gefahr gemacht haben, mit der gerechnet werden muß. Auch die-
ser Tatbestand gehört unter das rubrum «Harmonisierung» und
«Resonanz».
Man hat Resonanz-Phänomene, «Harmonisierungen» und ver-
wandte Erscheinungen in den verschiedensten Bereichen ent-
: deckt - in Architektur und Statik, in Elektrik und Akustik, in
"Harmonische are En ist lenfalls uichennur
das Ziel der Musik. Es ist das Ziel von Atomen und Molekülen,
von planetaren Umlaufbahnen, von Zellen und Herzen, von Ge-
hirnwellen und Bewegungen, von Fisch- und Vogelschwärmen,
und vor allem: von Menschen. Sie alle-will sagen: der Kosmos,
die Schöpfung - streben letztlich zur Harmonie, das heißt: Sie
‚streben zum Klang- zum Nada Brahma!
Die in diesem und in Kapitel V aufgezeigten Phänomene der
Harmonisierung und Synchronisation können auch rhythmisch
verstanden werden. Rhythmus ist «Harmonie in der Zeit». Wenn
man von der «Rhythmisierung der Welt» gesprochen hat, so steht
diese Rhythmisierung der «Harmonisierung» nicht gegenüber,
sondern ergänzt sie. Ja, in der Rhythmisierung ist die Harmonisie-
rung schon enthalten.
Gunther Hildebrandt, Direktor des Institutes für Arbeitsphy-
siologie an der Universität Marburg, schreibt: «Der Organismus
ist nicht nur nach harmonikalen Prinzipien konstruiert, sondern
er funktioniert auch mit ihnen.» Ähnlich Rudolf Haase: «Hat
man doch festgestellt, daß die Rhythmik des menschlichen Orga-
nismus geradezu harmonikal funktioniert — also die Frequenzen
von Puls, Atmung, Durchblutung usw., sowie deren Zusammen-
wirken. Es zeigt sich nämlich eine strenge Koordinierung dieser
Rhythmen, die vorwiegend durch die Zahlen ı bis 4 gekennzeich-
net ist, aus denen sich die Intervalle Oktave (1:2), Quinte (2:3),
Quarte (3:4), Duodezime (1:3) und Doppeloktave (1:4) bilden las-
sen.»
In anderem Zusammenhang weist Haase darauf hin, daß das
Unterbrechen der Rhythmen im menschlichen Organismus mit
ihren ganzzahligen Proportionen Krankheit zur Folge hat, so daß
«insbesondere im Falle von Krebs eine völlige Regellosigkeit aller
Rhythmen festzustellen ist und die Krebszelle offenbar ein Aus-
'scheiden aus der zeitlichen Harmonie der Körperfunktionen
bewirkt.»
Auch Haase also nennt den Rhythmus «zeitliche Harmonie».
Und es bleibt letztlich der Interpretation überlassen, ob wir die
Zahlenverhältnisse, die wir in Kapitel V in so vielen Erscheinun-
gen der organischen und anorganischen Welt gefunden haben, als
Harmonie oder als Rhythmus empfinden. Die Harmonie ist der
Rhythmus ist die Harmonie ist der Rhythmus.
R E PR ythmen : ‚gr u FETTE
das Phsnornen auf Be ne dr T:ıtsache sieht,
die Krankheit Krebs, die das einzelne Individuum hat, nur Aus-
schnitt eines viel umfassenderen krebsartigen Befundes ist, dem
wir in der heutigen Welt allenthalben begegnen - in Gesellschaft,
Städtebau, Ökonomie, Ökologie, Politik, Rüstung, im Gesund-
heitswesen und in Dutzenden von anderen Bereichen. Das krebs-
artige Wuchern ist ein Geisteszustand. Weil es im Kopf geschieht,
produziert es in allen Gebieten, auf die das Bewußtsein des Men- |
schen Einfluß hat, seinerseits Wucherungsprozesse.
So sagen wir beispielsweise von einer Stadt, sie «wuchere wie
ein Krebsgeschwür». Wer Lagos, Säo Paulo, Mexico City, Ral-
kutta, Djakarta, Tokio kennt, weiß, daß dies nicht nur eine Meta-
pher ist. Aber es gibt Beispiele für diese Wucherungsprozesse auch
in kleineren Kommunen - in jeder zweiten oder dritten. Einin der
Bundesrepublik oft bemühtes Beispiel ist ... aber nun scheue ich |
mich, den Namen der Stadt, an die ich denke, hierher zu setzen;
ich denke: eswohnen Menschen dort— Menschen, denenich dann h
sagen würde: Ihr wohnt in einem Krebsgeschwür. Und ich be-
merke: Wir haben den krebsartigen Wucherungen in unserem öf-
fentlichen Leben gegenüber die gleiche Einstellung wie gegenüber
der Krankheit Krebs: Man vermeidet, darüber zu sprechen.
Wer viel im Flugzeug unterwegs ist, kann beobachten, wie das
krebsartige Wuchern der Städte und Vorstädte, der Industriege-
biete und Siedlungen die Erde wie eine Krankheit befallen hat:
eine schorfartige, weißliche Kruste, die über die eben noch grünen
Flächen kriecht.
Noch offensichtlicher sind die krebsartigen Prozesse in der
Ökonomie. Die Weltwirtschaft der 70er und 8oer Jahre wird gera-
dezu beherrscht von ihnen. Das ist der Grund, weshalb die alten,
erprobten ökonomischen Rezepte versagen und die Vorhersagen
selbst der erfahrensten ökonomischen Fachleute, Politiker und
Wissenschaftler sich fast immer als falsch erweisen. Prozesse, die
einander nach den überlieferten, kausalen Erwägungen ausschlie-
ßen müßten, laufen aufeinander zu und steigern sich aneinander:
wachsende Investitionen und trotzdem Arbeitslosigkeit. Oder:
geringer werdende Kapitalmittel und gleichwohl wachsende In-
flation. Oder: Wachstum und gleichzeitig Schrumpfung. Das ge-
hört ja zum Wesen von Wucherungsprozessen: Sie können nicht
gesteuert und auch nicht vorhergesagt werden. Sie wuchern ein-
fach.
tungsapparat der Europäischen Gemeinschaft in Brüssel liest —
wie da jede einzelne Abteilung ständig neue Abteilungen gebiert
und diese Unterabteilungen sich zu immer noch weiteren, neuen
aufspalten, sich gegenseitig in Frage stellen, einander bekriegen
und aufheben, so daß nicht einmal mehr die Chefs wissen, wie die
Verwaltungsstrukturen ihrer eigenen Häuser funktionieren, und
deshalb ständig neue Strukturen, Abteilungen, Organisationen
und Organisationsformen einrichten —, der braucht nur ein paar
Vokabeln auszutauschen, um aus der Beschreibung des bürokrati-
schen Wucherns in einer Verwaltung eine solche des Krebswu-
cherns im menschlichen Körper zu machen.
Aus erster Hand kann ich einen solchen «Wucherungsprozeß»
in dem Haus schildern, in dem ich täglich arbeite, - einer südwest-
deutschen Rundfunk- und Fernsehstation, in der - zum Beispiel —
die Intendanz innerhalb weniger Jahre explosionsartig gewachsen
ist — ohne Relation, ja durchaus im Widerspruch zu den übrigen
Wachstumsprozessen im Haus —, so daß die Angestellten inzwi-
schen empfinden: Wir haben zwei Verwaltungen: die Intendanz
und die eigentliche Verwaltung, und beide verwalten sich gegen-
seitigund haben so viel damit zu tun, daß die eben noch übersicht-
lichen Kommunikationswege im Hause blockiert wurden. Zum
Beispiel gibt es nur noch eine Minimal-Kommunikation zwi-
schen Intendanz und den Programmabteilungen, — und dies trotz
der Tatsache, daß Rundfunk- und Fernsehanstalten doch eigent-
lich nur deshalb existieren, um Programme zu produzieren. Kom-
munikation wurde ersetzt durch zahlreiche Formulare, mit denen
Abteilungsleiter, Sachbearbeiter, Redakteure, Sekretärinnen oft
viel stärker beschäftigt sind als mit ihrer eigentlichen Arbeit, —
Formulare, die in vielen Fällen, kaum daß sie ausgefüllt sind, in
irgendwelchen Ablagen verschwinden. Computergeschriebene
Schriftstücke und Tabellen, deren Sprache und Schreibweise die
meisten Menschen nicht zu verstehen vermögen, wandern über
die Schreibtische, als hätten sie ein Eigenleben, - als seien sie Ge-
spenster. Und Eingeweihte zwinkern einander — Einverständnis
erheischend - zu: Schreib irgend etwas, es kommt ja doch nicht
drauf an, mach dir nichts draus, wenn du es nicht verstehst, wir
verstehen es auch nicht, die Prozesse, auf die es ankommt und die
wir trotz allem auch selber gern erhalten wollen, steuern sich
selbst; wer seinen gesunden Menschenverstand gebraucht,
kommt ohnehin zurecht. Was sich also in Wirklichkeit abspielt,
Ich bin sicher: Fast jeder, der im heutig | n 4
kennt ähnliche Wucherungsprozesse. Es gibt die Krankheit Krebs
nicht nur im menschlichen Körper; es gibt sie überall—was besa-
gen will: Wir können sie nicht bekämpfen, wenn wir sie nurim
menschlichen Körper bekämpfen. Ich erinnere an den kyberneti-
schen Ausdruck «vernetzt». Der Krebs hat ein Netz aus Ursa-
chen - und dieses Netz reicht weit über das Medizinische hin-
aus. Bis in den Bereich des Bewußtseins. Eine Medizin, die im-
mer noch im Sinne des 19.Jahrhunderts kausal denkt — die
meint, eine Krankheit müsse eine, und nur eine einzige, Ursa- |
che haben, kommt, wie inzwischen offensichtlich ist, nicht wei-
ter. Wir müssen das «Netz» erkennen. Nicht nur das Krebs-Netz
im menschlichen Körper, sondern das wuchernde Gewebe in un-
serem Bewußtsein. Die chaotischen Rhythmen.
Ich habe Novalis zitiert: «Jede Krankheit ist ein musikalisches
Problem.» Die Erkenntnis, daß Krebs mit Störungen von Rhyth-
men, Resonanz, Schwingung und harmonikaler «Stimmigkeit»
zu tun hat, ist nicht nur eine ästhetisch-philosophische. Sie liegt
auf der Linie modernen kybernetischen Wissensstandes.

«Harmonie als Ziel der Welt»: die fünf Worte, die über diesem
Kapitel stehen, haben mit einer teleologischen (von griech. t&Xog
= Ziel) Idee - mit der Idee der Finalität - zu tun: die Harmonieist
das Ziel, und um dieses Ziel zu erreichen, muß sie wachsen. Wir
haben unsere Überlegungen (im IV. Kapitel) mit der harmonikalen
.
ü
Struktur unseres Planetensystems, wie Kepler sie erkannt hat, be-
gonnen. Schon da wurde deutlich: diese Struktur war ein Ziel.
a Welche Vorstellung man auch haben mag von der Entstehung |
h: unseres Sonnensystems, offensichtlich ist, daß die Planeten, als
R sie eingefangen oder aus der Urmasse der Sonne herausgeschleu-
dert oder aus «kosmischer Urbrühe ausgebrütet» wurden, noch |
nicht in harmonikalen Bahnen um die Sonne gekreist sein kön-
nen. Sie haben diese Bahnen erst nach Millionen oder Milliar-
den von Jahren «gefunden», was bedeutet: die Harmonie der
Bahnen war ein - schließlich erreichtes — Ziel. Und eben dies
ist das Wunderbare: daß dieses Ziel angesichts Milliarden ande-
rer Möglichkeiten so — im genauen Sinne dieses Wortes — «ziel-
strebig» erreicht wurde.
In die gleiche Richtung weist der anthropologische Befund. Ru-
dolf Haase konstatiert, «daß harmonikale Gesetze in der Anthro-
156.
ei in Enwir leben; it am höchsten wickele ve ist,
das wir kennen. Für uns also ist er das Ziel; wenn es einmal ein
' anderes geben wird, werden wirnichtmehrdasein.Unddaistnun
auffällig: Es gibt zwar überall harmonikale Strukturen und Ge-
setze, aber je mehr sich die Entwicklung dem Menschen nähert,
desto häufiger werden sie — bis schließlich der Mensch erreicht
ist: Dasind sie am häufigsten! Die Harmonie also hat finale Quali-
tät. Sie ist Ziel.
Wir können das in den verschiedensten Bereichen beobachten,
— natürlich auch dort, wo das Wort «Harmonie» zunächst einmal
angesiedelt ist: in der Musik. Wir haben gezeigt: Harmonien muß-
ten «entdeckt» werden. Das war ein jahrhundertelanger Prozeß,
in dessen Verlauf verschiedene musikalische und harmonische
Systeme gefunden, eine Weile bewahrt und wieder verlassen wur-
den, bis — um die Zeit Johann Sebastian Bachs — das im wesent-
lichen noch heute gültige «abendländische» System erreicht
wurde, das sich in diesem Lichte als «Ziel» darstellt. Fast alle Kul-
turen und Völker übernehmen es ganz oder ansatzweise, sobald
deren Musiker es kennenlernen. Man denkt oft, dies geschehe im
Zuge einer — wenig wünschenswerten — «Verwestlichung», gar
einer «Amerikanisierung» unter dem Druck amerikanischer Pop-
Musik. Oberflächlich gesehen mag das stimmen, aber dahinter
steht etwas ganz anderes: Die Musiker- und die Ohren! - der Welt
begreifen den teleologischen Charakter des westlichen harmoni-
schen Systems. (Und sie tun das um so leichter, als die entschei-
denden Charakteristika dieses Systems, wie wir ausgeführt
haben, ohnehin in aller Musik der Welt - gleichsam «keimhaft» —
angelegt sind.)
Bleiben wir bei diesem Wort «Keim». In Keimen, Wurzeln,
Samenkörnern, Knospen gibt es nichts Harmonikales. Erst wenn
sich eine Pflanze entfaltet hat, steht die harmonikale Schönheit
vor unseren Augen - in der Blattform und in der Blüte. Der Wachs-
tumsvorgang einer Pflanze führt es uns gleichsam ständig vor Au-
gen: Die Harmonie ist ein Ziel, nach dem gestrebt werden muß.
Zur Idee des Ziels gehört die der Konstanz. Man erreicht ein
Ziel - und dort bleibt man, wenigstens so lange, bis man sich für
ein neues Ziel entscheidet. Im Periodischen System der Elemente
En diejenigen Elemente am wenigsten konstant— zerfallen also
‚am ehesten -, die einen Überschuß an Protonen und Neutronen
#37
| esitz enicht — od
nur noch ganz entfernt - ein er harmonikalen Struktur entspre |
chen; sie haben gleichsam zuviel «leiterfremde» und «Dur-Drei-
klang-fremde» «Teilchen-Töne». Deshalb zerfallen sie in radioak-
tiven Prozessen, zielen also auf einen anderen, stabileren Zustand
hin, und «stabiler» ist ihr Zustand dann, wenn er «harmonikaler»
geworden ist. Je weniger harmonikal diese Elemente (zum Bei-
spiel Plutonium, Uran, Actinium, Thorium etc.) sind, desto radio-
aktiver sind sie, was übrigens auch bedeutet: desto gefährlicher
sind sie für den Menschen. Je geringer die Harmonie in der atoma-
ren Struktur, desto größer die Gefahr für das Leben. Auch unser
Krebs-Befund wies in diese Richtung. Wir werden am Ende dieses
Kapitels sehen, welche wahrhaft erstaunlichen Konsequenzen die |
Idee der harmonikalen Finalität haben kann. Bevor wir aber in die-
ser Richtung weiterdenken, muß von der Gegenkraft, der Entro- |
pie, die Rede sein.

Der Harmonisierung entgegen steht der Zweite Hauptsatz der |


Thermodynamik: Nicht die Harmonie -nicht Struktur, Ordnung, |
Differenziertheit— wächst, sondern im Gegenteil Unordnungund
Chaos: die Entropie. Sie, so errechnen die Thermodynamiker,
werde den Endzustand kennzeichnen, zu dem das Universum
strebe, - zum Tod im niedrigstmöglichen Energiezustand: zum
«Wärmetod» und zum Versinken in einem -undifferenzierten
«Wärmebrei».
Immer häufiger allerdings stellt sich der Wissenschaft die Frage, |
warum denn — wenn die Entropie so unwiderstehlich wachsen
soll — nicht längst schon der Endzustand des allgemeinen Chaos |
erreicht worden ist; ja, nach gewissen Rechenmodellen hätte er
bereits vor Millionen von Jahren erreicht sein müssen. Zahlreiche
Biologen haben sich zu ausgesprochenen Gegnern der Thermody-
namiker entwickelt, und in der Tat lassen sich die Erkenntnisse
der Entwicklungslehre - die «einfache» Tatsache der Existenz des
Lebens und seiner ständigen Differenzierung und Höherentwick-
lung - einerseits und die Entropie andererseits nur schwer mit-
einander vereinen. Die Gedankenkunststücke, mit denen die
Thermodynamiker dies gleichwohl versuchen, wirken wenig
überzeugend.
In den Forschungen und Überlegungen von Jean E. Charon und
den amerikanischen Physikergruppen in Princeton und Pasadena,
über die wir in Kapitel IV gesprochen haben, spielt die Negentro-
Bar gu en zi = p t

tive ae ist die ihr rede kosmische Kraft. Sie


verheißt wachsende Ordnung und Differenzierung, eine stetige
Höherentwicklungnicht nur des Lebendigen, sondern des Univer-
sums — sowohl des Mikro- wie des Makrokosmos.
Wirhaben davon gesprochen, daß sich das Elektron den erwähn-
ten Forschergruppen als die Urzelle des Geistigen darstellt und
' daß es im Bereich des Mikrokosmos der Erscheinung entspricht,
_ die man in der Astrophysik das Schwarze Loch nennt. Beide —
Elektron und Schwarzes Loch -, so haben wir erkannt, sind ge-
kennzeichnet durch einen ganz und gar in sich gekrümmten
Raum und eine entsprechend in sich gekrümmte Zeit, was bedeu-
tet, daß die Zeit der Elektronen und der Schwarzen Löcher unserer
«materiellen» Zeit, die geradlinig von der Vergangenheit über die
Gegenwart in die Zukunft läuft, entgegengesetzt wirkt. Das aber
wiederum impliziert: Wenn in der «materiellen» Welt die Entro-
pie wächst, muß in der Welt der Elektronen (und der Schwarzen
Löcher) genau die entgegengesetzte Kraft wachsen - nämlich die
Negentropie. Dort also wachsen Ordnung und Differenziertheit,
es herrscht das Prinzip der Höherentwicklung (welche letztlich
eine Höherentwicklung des Bewußtseins ist).
Man hat bisher geglaubt, daß das Wachsen der Negentropie ein
Charakteristikum des Lebendigen sei. Kein Zweifel - im Innern
einer lebendigen Zelle, inden Genen und DNS-Molekülen wächst
sie. Jetzt aber meint man zu wissen, daß dieses Wachsen ein viel
umfassenderes Prinzip ist: ein Prinzip der Elektronen und der
Photonen. Es kann keinesfalls auf die Welt des Lebendigen be-
schränkt werden. Charon schreibt: «Erst wer diesen Standpunkt
eingesehen und akzeptiert hat, beginnt auch zu verstehen, wie das
geistige Niveau des gesamten Kosmos sich progressiv erhöht:
- dies geschieht im Durchlauf vieler aufeinander folgender <Lebens-
erfahrungen» der elementaren Materie, die für mehr oder weniger
kurze Zeitspannen einmal dem Mineralischen, dann wieder dem
Lebendigen oder dem Denkenden angehört und den im Zuge die-
ser sukzessiven Lebenserfahrungen angesammelten Informa-
tionsschatz nie wieder verlieren kann.»
Charon hat gezeigt, daß «Erkenntnis, Liebe, Reflexion und Tat»
die «Hauptachse» der geistigen und psychischen Entwicklung des
"Universums darstellen. Er sagt: «Alles in allem stehen dem Geist
neben den vier materieabhängigen Möglichkeiten der Wechsel-
wirkung (starke, schwache, elektromagnetische und gravitative
Wechselwirkung (Reflexion, Tat, Erkennt Ä
gung. Die vier erstgenannten stehen unter dem Gesetz ni b-
nehmender Entropie, die vier letztgenannten unter dem Gesetz
nicht abnehmender Negentropie.» |
Die Elektronen —gemeinsam mit den Photonen, die in ihnen
und um sie herum wirken - steuern Erkenntnis, Reflexion, Tat
und Liebe durch Matrizen, welche etwa denjenigen entsprechen,
die der Idee des Computers zugrunde liegen — wozu Charon an-
merkt, «daß die Analogie zwischen dem Denken des Elektrons
und dem «Denken» des Computers so groß ist, daß das Elektron
seine schöpferische Phantasie nicht besonders anstrengen mußte,
um uns die Grundprinzipien des Computers zu suggerieren!» In
der «Ur-Matrix» noch nicht differenzierter und «beeindruckter»
Elektronen, die es am Anfang der Geschichte des Universums ge-
geben haben muß, als noch nichts oder kaum etwas geschehen
war, was gespeichert werden konnte, bestanden die Zellen der Ma-
trizen aus einem Wechsel von Zuständen, die man jeweils durch
die Zahlensymbole o und ı bezeichnet hat. Jene Stellen, an denen
sich kein Photon befindet — wo also noch nichts gespeichert ist —,
werden mit dem Zahlensymbol o gekennzeichnet, die Stellen, an
denen es Photonen gibt, zeigen diese in ihrem Grundzustand, das
heißt mit dem spin 1; sie werden dementsprechend mit einer ı
bezeichnet. Die «Ur-Matrix» wird natürlich um so differenzierter,
je mehr Informationen gespeichert werden. Erkenntnis und Tat
schaffen zusätzliche Differenziertheit, das heißt: Immer mehr
: Zellen der elektronischen «Ur-Matrix» werden von Photonen be-
setzt, und diese Photonen steigern sich zu immer höheren spin-
Zuständen.
Ihre höchstentwickelte Differenzierung findet die spin-Matrix
durch Liebe. Zur Liebe gehört nicht einfach Kommunikation zwi-
schen zwei beliebigen Elektronen. Ich darf erinnern: Elektronen,
die einander nichts zu geben haben, können auch nicht miteinan-
der kommunizieren, das heißt sie können einander nicht «lie-
ben». Ein Elektron zum Beispiel, das bisher nur in mineralischen
Stoffen gewirkt hat, und ein anderes, das bereits in tierischen. oder
gar menschlichen Körpern «anwesend» war, sind so weit vonein-
ander entfernt, daß jene eigentümliche Affinität, die wir Liebe
nennen und die in der Tat der Liebe zwischen Lebewesen ent-
spricht, zwischen ihnen nicht möglich ist. «Liebe» zwischen
Elektronen ist um so intensiver, je differenzierter die spin-Matri-
zen der beiden einander «liebenden» Elektronen sind, je stärker
‚rung und mit einem en an ein cher alien zu tun.
Der Evolutionstendenz der Elektronen entspricht die mensch-
- liche. Wir alle spüren, gleich welcher Kultur und welchem Bil-
dungsstand wir angehören, daß wir um so «richtiger» leben, je
mehr wir unser Leben in den Dienst von Erkenntnis und Liebe
stellen. Die Evolution hat uns in diesem Sinne «programmiert».
Allerdings hätte ich eben nicht von «Entsprechung» reden sollen.
Genaugenommen gibt es keine Entsprechung. Wir sind unsere
Elektronen. Charon: «Mein Denken ist das Denken meiner Elek-
tronen, es herrscht also nicht bloß Analogie, sondern Identität.»
Man darf sich die elektronische «Ur-Matrix» — also den Raum
innerhalb eines Elektrons - als ein System aus Waben vorstellen.
Jede einzelne Wabe ist entweder «leer» oder sie enthält ein
- Photon — mit der den Photonen eigenen Tendenz zur Erhöhung
ihrer spin-Zustände. Die Tatsache, daß die Elektronen dem Mi-
krokosmos angehören, also unvorstellbar klein sind, hindert
nicht daran, daß ihre Speichermöglichkeiten gleichwohl unvor-
stellbar groß sind. Man bedenke die Dichte der Masse im Innern
eines Elektrons! Wir haben davon gesprochen, daß sie derjenigen
der Schwarzen Löcher entspricht, also der Masse der Sonne, kon-
zentriert auf ein Objekt von etwa 6-10 Kilometern Ausdehnung.
Man bedenke auch ihre Temperatur — Millionen, oft gar Milliar-
den von Grad! Und dann ihre Anzahl! In einem Kubikmeter Luft
sind mehr Elektronen enthalten, als es Sterne im Universum gibt.
Wie gesagt, ein Mensch von 60 Kilo Gewicht besteht aus einer
Zahl von Elektronen, die durch die Ziffer 4 gefolgt von 28 Nullen
darstellbar ist. In ihnen allen gibt es Speicherungsmöglichkeiten,
‚ die ein Millionenfaches dessen betragen, was in unserem norma-
. len Raum vorstellbar ist. Vorstellbar ist ohnehin nichts. Auch die
_ Bienenwaben sind eine Hilfskonstruktion; in einem in sich selbst
‘ zurückgekrümmten Raum ist keine Struktur denkbar, die den
‚ Vorstellungen des dreidimensionalen menschlichen Raumes ent-
, spräche. Die Waben müssen viel dichter, viel vielschichtiger, viel
; komplexer sein, als sie es je in einem Bienenstock sein könnten.
"Noch ungeheurer werden die Möglichkeiten der Speicherung
‚ auch deshalb, weil die Photonen die Masse Null haben, es also
praktisch unbegrenzte Photonen-Möglichkeiten in der — anderer-
‚ seits — so unvorstellbar dichten Elektronen-Masse gibt.
Man denke der Anzahl der Elektronen nach, die wir genannt
!haben. Eine einfache, von Charon ausgeführte, Berechnung macht
Beispiel -allen Cäsariı im Jahr 44 vor Christus im ten sei-
ner Ermordung mit seinem «letzten Seufzer» ausstieß. Wenn wir
davon ausgehen können, daß ein Elektron speichert, was sich von
' Anbeginn des Universums an ereignet hat, so betrifft das also
‚nicht irgendwelche Elektronen, die fern von uns durch den Kos-
mos schwirren. Ein paar dieser «ältesten» Elektronen stecken in
jedem von uns. Und jeder besitzt folglich Elektronen, die - ich
: m auch das noch einmal bewußt wiederholen- in Jesus oder
Buddha oder anderen großen heiligen und wissenden Menschen
der Geschichte gewirkt haben und durch sie mit Photonen-Infor-
mation, Photonen-Erkenntnis und Photonen-Liebe aufgeladen
wurden. In jedem von uns arbeiten aber natürlich auch Elektro-
nen, die in Hitler und Stalin, in Himmler und Eichmann und den
großen Verbrechern der Menschheitsgeschichte gewirkt haben
und von ihnen programmiert wurden. Wahrhaftig, auch unter die-
sem Gesichtspunkt kommen wir der Erkenntnis der Wissenden
Asiens und des alten Ägyptens näher: Alles ist eins — derselben
Erkenntnis, die auch die Bootstrap-Physik und die Holographie
und die anderen Phänomene, von denen wir gesprochen haben,
nahelegen.
Strapazieren wir weiter unser Vorstellungsvermögen: In jedem
der Millionen von Matrizenkästchen, die das Elektron bilden, ih-
rer Millionen von Waben, sofern sie «gefüllt» sind — und je weiter
die Zeit fortschreitet, je mehr Information angesammelt wird, de-
sto mehr von ihnen sind «gefüllt» —, befindet sich ein Photon —
jedes mit seinem eigenen spin, und alle diese spins schwingen
miteinander in den ganzzahligen Verhältnissen der Obertonreihe!
Das also ist das Ur-Muster des Geistes —, das Ur-Muster von Er-
kenntnis, Reflexion, Tat und Liebe: ein gewaltiger Akkord — «ge-
stimmt» sozusagen auf den «Grundton» des Planckschen Wir-
kungsquantums.
Die der Entropie entgegenwirkende Negentropie wächst nun
aber nicht nur dadurch, daß die spin-Matrizen der Elektronen
durch Erkenntnis, Tat, Reflexion und Liebe immer differenzierter
werden. Sie wächst auch insofern, als die Anzahl der Schwarzen
Löcher -und, nach bestimmten Theorien, der Elektronen im Kos-
mos— ständig wächst. Die Astronomen sind schon lange der Mei-
nung, daß die Schwarzen Löcher mit ihren der Entropie entgegen-
gerichteten Zeitabläufen im Laufe der Entwicklung zahlreicher
werden. Ihr Auftreten kennzeichnet ein Spätstadium, ja, es gibt
162
chwarzen Loches "und von ihm angesaugt werden ann, auf
Nimmerwiedersehen verschwindet und in einer «Gegenwelt»
wiederauftaucht. Man kann ein Schwarzes Loch als das Embryo
eines neuen Universums sehen, — eines Universums der Negen-
tropie: des Geistigen!
Jean E. Charon hat die allgemeine Relativitätstheorie Einsteins
zu einer «Komplexen Relativitätstheorie» weiterentwickelt. Das
aus ihr errechnete Modell des Endzustandes unseres Universums
postuliert, daß am Ende der Zeit «keinerlei Materie mehr übrig- #

bleiben wird, zumindest nicht in der Form, wie wir heute Materie
definieren — das heißt in Form mehr oder minder großer Zusam-
. menballungen von Kernteilchen (Protonen und Neutronen). Es
werden nur Elektron-Positron-Paare bestehen bleiben, die in
schwarzer Strahlung mit einer konstanten Temperatur von etwa
60000 Grad «baden: ...»: «Hier sind wir an einem hochinteressan-
ten Punkt angelangt: das ‚Jüngste Gericht wird nicht über aus
Materie bestehende Wesen hereinbrechen, denn solche wird es
dann nicht mehr geben. Am Ende der Zeiten werden nur noch
Elektronen und Positronen anzutreffen sein.»
Die Elektronen aber, die Träger des Geistes, werden bis dahin in
einem unvorstellbaren Maße Information gespeichert haben und
durch Erkenntnis, Tat, Reflexion und Liebe aufgeladen sein.
Um «Taten» vollführen zu können, müssen die Elektronen sich
bewegen können. Sie brauchen dazu ein bestimmtes thermisches
Milieu von ausreichend hoher Temperatur. Dieses Milieu können
sie im derzeitigen Entwicklungszustand des Universums nur in
sehr begrenztem Maße schaffen, indem sie die Topologie des Rau-
mes verändern. «Am Ende der Zeiten aber wird dieses für die Elek-
tronentaten unentbehrliche Milieu durch die Evolution des mate-
riellen Universums geschaffen worden sein: Die Elektronen
werden nach Belieben darüber verfügen - und sich daher ungehin-
dert an jeden Ort des Universums begeben können. Wie sehr ver-
setzen die Mechanismen der Natur uns doch immer von neuemin
bewunderndes Staunen!»
«Das Endziel der Evolution ... ist also ein Zustand, in dem das
Universum vom Volk der denkenden Elektronen ... bewohnt ist,
die jedes ein Mikrouniversum einschließen, dessen Negentropie
sich über die gesamte Lebenszeit des Universums der Materie hin-
weg unaufhörlich erhöht hat.»
Es kann jedenfalls keine Rede mehr davon sein, daß die Entropie
der Thermodynamiker das alleinige Sagen hat. Sie hatte es nur so
163
ven,
die das Sach hatten. ball das «Geistige» a eine reve Welt
oft sogar als eine «Gegenwelt» — neben die materielle tritt, mit |
ihrem eigenen «zyklischen Prozeß immerwährender Rückkehr
der Zeit», wird deutlich: Mit fortschreitender Entwicklung muß
sich im kosmischen Wettlauf zwischen Entropie und Negentropie
die Waagschale zugunsten der letzteren senken. Und desto klarer
ergibt sich, daß die Überschätzung der Entropie -ihre nachgerade
e
alleinige Berücksichtigung - ein Musterbeispiel par excellenceist
für die Fehlleistungen einer allein am analytischen Denken und
an der Materie orientierten Wissenschaft, die auf beiden Augen
blind ist, sobald negentropische, geistige und psychische Kräftein
ihren Gesichtskreis treten — obwohl diese mindestens ebenso
offensichtlich für uns alle sind wie die materiellen.
Zusammenfassend nochmals das Entscheidende stärker her-
ausgearbeitet: Alle Vorgänge, von denen wir gesprochen haben —
die wachsende Differenzierung und Höherentwicklung der Elek-
tronen-Matrizen, ihre Taten, Reflexionen, Erkenntnisse und
Lieben und ihre zyklischen Zeitabläufe, die ständige Höherent-
wicklung des Bewußtseins nicht nur des Lebens, sondern des Uni-
versums —, werden durch Photonen und ihre spins gesteuert, das
heißt — und das ist der eigentliche Grund, warum ich in diesem
Kapitel über das Wachsen der Harmonie noch einmal darauf zu-
rückkommen mußte — durch harmonikale Progressionen. Ja, fol-
gendes kosmologisches Modell rückt in den Bereich des Mög-
lichen: Wirhaben gesehen, daß jeder spin ein Ton der Obertonleiter
ist. Injedem spin sind alle vorhergehenden ganzzahligen spins mit-
enthalten-wiejaauch injedem Ton der Obertonreihe alleanderen
Töne mitenthalten sind. Nach dem kosmologischen Modell der
Komplexen Relativitätstheorie ist denkbar, daß erst am Ende der
Zeit-ein Zustand, dernach den Berechnungen Charonsin etwa20
Milliarden Jahren erreicht sein wird- alle spins diehöchstenspin-
Zustände erklommen haben. Das eben ist der Prozeß der Differen-
zierung und Höherentwicklung: je höher die spins, desto höher die
Bewußtseinszustände. Gewiß gibt es schon jetzt Photonen mit
spins der höchsten Kategorie, aber doch eben nur wenige. Auch so
also läßt sich die Evolution sehen, daß, je weiter sie fortschreitet,
desto mehr spins auf der höchsten Sprosse der spin-Leiter anlan-
gen und daß das Ende der Entwicklung erreicht sein wird, wenn
alle spins auf der höchsten Sprosse der Leiter angekommen sein
werden! Teilhards «Punkt Omega» — das Erreichen des höchsten
Es ist zu früh, all dies zu Ba aber fragen müssen wir
denn die Entwicklung der Teilchenphysik und speziell der Kom-
plexen Relativitätstheorie von Charon weist in genau diese Rich-
tung.

Immer wieder verwenden wir den Begriff «harmonikal». Für uns


alle war er ursprünglich bezogen auf die Harmonik der Musik, in
einem gewissen Sinne sogar auf die Harmonielehre; das legt schon
die sprachliche Bildung «harmonikal» nahe. Aberistnichtlängst
schon, spätestens seit dem Schluß unseres IV. Kapitels, ein Punkt
erreicht, an dem das Wort «harmonikal» differenziert werden
muß? Der Kosmos bis hinein in die Tiefen der Pulsare und
Schwarzen Löcher, die atomare Welt bis hinab zu den Elektronen
und Photonen, die Welt, in der wir leben, Pflanzenblätter, Tier-
und Menschenkörper und die Mineralien - das alles sollnach den
Gesetzen der musikalischen Harmonielehre strukturiert sein und
in ihr schwingen? Ist nicht eher anzunehmen, daß es sich umge-
kehrt verhält: daß die Harmonik der Musik nach den Strukturge-
setzen unserer Welt und des Makro- und Mikrokosmos gebildet
wurde? Wirkt also nicht der Ausdruck «harmonikal» gar zu ein-
engend, gar zu sehr auf die Musik bezogen? Kein Zweifel, das Wort
«harmonikal» muß im Sinne dieses Kapitels verstanden werden,
— nicht nur als die Strukturiertheit der Welt nach den Gesetzen
musikalischer Harmonik, sondern als ein Wachsen der Harmonie
im gesamten Kosmos, wobei das Wort «Harmonie» in seinem wei-
testen Sinne zu fassen ist, einem Sinn, der sich ebensosehr an
«harmonischen» Beziehungen orientiert, wie sie unter Menschen
wünschenswert sind, wie an der Harmonik der Musik oder der
Photonen-spins. Diese Interpretation macht «Harmonie» — etwa
diejenige menschlicher Beziehungen - zu einem Auftrag an uns.
alle. Je stärker wir diesem Auftrag gehorchen, desto entschiedener
sind wir auf dem Weg zu dem «Ziel», das in diesem Kapitel deut-
lich wurde - zu einem «Finale» (was ja ein musikalischer Aus-
druck ist) von wahrhaft kosmisch-musikalischer Dimension.
Mehrfach haben wir in diesem Buch von der jahrtausendealten
Erkenntnis der Weisen Asiens gesprochen - jener Erkenntnis, die
durch Bootstrap-Physik, Komplexe Relativitätstheorie, Hologra-
phie und durch so viele andere Entdeckungen bestätigt wird:
«Alles ist Eins» — oder wie es in den Upanischaden heißt: «Der
"Geist, der hier unten im Menschen ist, und der Geist, der dort in
das, was die beiden Worte Ne en sagen wollen - ist das
nnfllieste und am meisten überzeugende Indiz für die Einheit
der Welt, das sich dem forschenden Menschen mit seinem be-
grenzten Wahrnehmungsvermögen erschließen kann. Darüber
hinaus führt nurnoch ein einziger Weg, — der Weg, den die Wissen-
den des Ostens und der Mystik gewiesen haben und weiter wei-
sen: die Einheit selber zu erfahren. Nada Brahma selber zu
hören.
«Wenn du auslöschst Sinn und Ton, was hörst du dann?» Du
hörst Ur-Klang, du hörst Nada Brahma. Irgendwann - in irgendei-
nem Stadium auf dem Wege zum Ziel — wirst du es hören. Denn
wir haben ja gesehen: Nada Brahma ist da — auch unter den Ge-
sichtspunkten der westlichen, rationalen Wissenschaft. Muß es
nicht irgendein Sensorium geben, das all diese Klänge, von denen
das Universum erfüllt ist, wahrnehmen kann? Warum sollten sie
sonst klingen? Musik — und das ist unlösbar mit ihr verbunden —
wird für Ohren gemacht, seien es auch Ohren, die das überschrei-
ten, was links und rechts an unseren Köpfen gewachsen ist. Un-
sere «Ohren» — nunmehr in Anführungszeichen -— müssen ihre
Grenzen überschreiten, denn auch die «Musik», von der hier die
Rede ist, überschreitet. Wer Ohren hat zu hören, der höre!
Über «die» Klang und «die» Echo,
über Amen und OM

Nada Brahma: die Welt ist Sound. Mehrfach mußten wir dieses
englische Wort gebrauchen. Sound hat - ähnlich dem indischen
nada - eine breitere Bedeutung als das deutsche Wort Klang. Es
umfaßt Hörbares schlechthin, tönt auch hinüber in den Bereich
des Geräusches. Auch impliziert es Klangvorstellungen, die durch
das deutsche Wort Klang zwar lexikalisch, aber nicht gefühlsmä-
Big abgedeckt werden.
Das Wort Sound ist in den vierziger und fünfziger Jahren aus
dem Bereich des Jazz in den Sprachgebrauch der westeuropäischen
Völker gedrungen. Wie so viele Begriffe und Phänomene des Jazz
wurde es von den Rock-Freunden übernommen - in einem jener
durch die Medien lancierten Prozesse, der dazu führte, daß dem
jungen Rockpublikum gar nicht bewußt wurde, daß Wort und
Sache aus dem Jazz stammen.
Sound wird im Vokabular von Jazz und Rock in leicht abgewan-
delter Bedeutung gebraucht. Ein Jazzmusiker muß Sound haben -—
einen ganz persönlichen Sound, an dem er schon nach wenigen
Takten erkennbar ist. Eben darin unterscheidet sich das Klang-
ideal des Jazz von dem der europäischen Musik: hier gibt es - im
Grunde und cum grano salis— für alle Musiker.eines Orchesters in
einem bestimmten Stilbereich ein verpflichtendes Klangideal;
im Jazz aber muß ein Musiker, wenn sein Spiel wirklich etwas
bedeuten soll, seinen unverwechselbar individuellen Sound ha-
ben. Wynton Marsalis — Trompeter von Weltklasse in beiden Be-
reichen, sowohl in der klassischen Musik wie im Jazz - sagt: «Im
Jazz muß man, um gut zu sein, ein Individualist sein — was in der
klassischen Musik nicht notwendigerweise der Fall ist.» Nicht
zufällig habe ich im ersten Satz der eben formulierten Gegenüber-
stellung das deutsche Wort Klang, im zweiten das englische Sound
verwendet: dies, in der Tat, ist der Punkt, an dem sich die beiden
Worte für das Sprachgefühl junger Menschen unterscheiden.
Der
167
g r Ir
ker mit dem Ecbehegeruhl: , ner
Noch deutlicher wird dies, wenn Sound auf eine Gruppe beangen
wird: im Rock und in der Popmusik. Im Jazz hat der Einzelne sei-
nen persönlichen Sound; im Rock hat eine Gruppe- also eine Ge-
meinschaft — ihren (so jedenfalls ist es wünschenswert) unver-
wechselbaren Gruppen-Sound.
Klang ist mehr männlich besetzt, Sound mehr weiblich. Der
Klang wächst, erhebt sich, sucht dich, erreicht dich, dringt ein...
Sound aber - zum Beispiel der Sound einer Rock-Gruppe - ist ein
Körper, der ein musikalisches Geschehen in sich aufnimmt und
von dem der Hörer seinerseits aufgenommen wird. Es gibt Rock-
Sounds, von denen es heißt, sie seien «so groß wie eine Kathe-
drale». Indem der Hörer sie hört, befindet er sich in einem Innen-
raum. Wenn eine Rock-Gruppe einen wirklich originellen und
eigenen Sound hat, dann ist alles, was sie spielt, im Grunde nur
«Variation über den Sound». Um es überspitzt auszudrücken: Der
Klang bringt seinem Hörer eine Melodie. Aber die Melodie bringt
dem Hörer den Sound. Ein Mantra ist also viel mehr ein Sound als
ein Klang. Es ist — wie die «Kathedrale» des Rock-Sounds - ein
Raum, in dem der Meditierende fortan lebt und den er, wo immer
er sich aufhalten mag, mit sich trägt. Der «Klang», dernada, von
dem dieses Buch handelt, ist also eigentlich mehr der weibliche
Sound als der männliche Klang.
Daß wir uns mit diesen Gedanken auf der richtigen Fährte be-
finden, macht die Neutralisierung des Wortes Echo deutlich. Wir
sagen im Deutschen «das» Echo - aber daß das Echo weiblich ist—
empfangend, aufnehmend, antwortend, reagierend -—, daß es also
«die» Echo heißen müßte, sollte jeder, der Sprachgefühl besitzt,
nachempfinden können. Bei den Griechen war Echo denn auch
ein weibliches Wesen, die Nymphe Echo - mit der beneidenswer-
ten Fähigkeit, jeweils das letzte Wort zu behalten. In der Tat ist das
Echo so offensichtlich weiblich, daß selbst unser patriarchalisch-
männlicher Sprachgeist es beim besten Willen nicht maskulini-
sieren konnte. So hat er «die» Echo wenigstens neutralisiert.
In dieser grammatischen Kleinigkeit — in «der» Klang und in
«das» Echo-steckt das ganze Problem der Klangneurose der west-
lichen Menschheit. Von ihr wollen sich die jungen Menschen
heute befreien. Verständlich deshalb, daß die Neurose nachgerade
umgeschlagen ist in eine Verherrlichung des Sounds, wie sie vor
allem im Rock gefeiert und von der Musikindustrie merkantili-
siert wird.
zuspüren. Ye han miten Berschen Wort.
' Ton zusammen, wie sofort ersichtlich wird, wenn man die Be
sische Form dieses Wortes beachtet: Son, das auf dem Wege über
die der Sprachforschung geläufige Vertauschung von T und S auf
das lateinische tonus und das griechische tönos zurückgeht, aus
dem eben auch das deutsche Ton entstand. Sound ist eine Angli-
sierung von Son. Deshalb gehört auch der Song, das Lied, in den
etymologischen Umkreis des Sound - wie das alte Sanskrit-Wort
sangeet, das in Indien die ursprüngliche Einheit von Sprache, Ge-
sang, Tanz und Musik - ähnlich der griechischen musik&e - be-
zeichnet. Arnold Wadler vermutet, daß tönos, Ton, son, sound,
song, sangeet sogar ineinen noch größeren Sprachzusammenhang
gehören, der auch das Wort Sonne miteinbezieht! Goethes «Die
Sonne tönt» also als Pleonasmus!
Im Deutschen ist Sound nirgendwo so offensichtlich präsent
wie in gesund — was ja, wenn man der Sprache nachhorcht, sagen
will: Der ist ge-sund, der «im Sound» ist. Man sollte dieser Ver-
wandtschaft von Sound und Ge-sundheit nachdenken. An diese
Stelle gehört auch die Verwandtschaft von Sound und singen - die
um so deutlicher wird, sobald man das Perfekt bildet: ge-sungen.
Singen also ist — ge-sund, nicht bloß in dem oberflächlichen Sinn,
der diesen Satz als Reklame-Slogan für Fischer-Chöre geeignet er-
scheinen läßt, sondern in dem wahrhaft «ur-sprünglichsten»,
den unsere Sprache besitzt: dem nämlich ihrer Wurzeln und Ur-
Worte.
Nun zum Klang. Er ist der — lauttönenden — Klage verwandt,
dem klingenden Gesang der Klageweiber. Aber auch dem Lachen!
Das ist es ja, was beide vereint — Klage und Lachen: beide sind
klang-voll. Wir sprechen vom glockenhellen Lachen, und in der
Tat: auch die Glocke gehört in diese Reihe: Wadler verfolgt sie bis
zu den Mandschus in der Mongolei, wo Kalang der Metallklang
und Kialang der Glockenklang ist. Noch bei den Griechen war
klange: Schall, Klang, Gesang, Geschrei, Lärm. Klagcor |= Lärm)
gibt es in Tibet, Clangor im Italienischen, Glagol im Russischen,
wo kolokol die Glocke ist! Klegeti (=lärmen, laut lachen) istesim
Litauischen. Und noch im Althochdeutschen war es, nach der
über das H laufenden K-L-Wandlung, hlahhan (=lachen). Der
Übergang von der Klage und dem Klang über die Glocke zu unse-
rem Wort lachen und zum englischen laugh ist also bruchlos - so
weit die Wörter auch zunächst voneinander entfernt scheinen,
wenn man «Klage» und «Lachen» einfach so nebeneinander setzt.
wi lung sitzt die Glat
auch klar gehört hierher. Wie Glanz und Glas. Kilara heißtesbei
den Mandschus. Hilaris war heiter und hell im Lateinischen. Wir
haben also eine Reihe vor uns, die genauso eindrucksvoll ist wie
die im III. Kapitel gezeigte Laut-Logos-Licht-Lug-Verwandtschaft.
Arnold Wadler nimmt an, daß beide sogar zusammengehören. Ge-
rade die Lach-Reihe - lahat, to laugh, hlahhan - wirkt wie ein
i Verbindungsglied, und ist esja auch ihrer Bedeutungnach. Lachen
ist laut und klingt und singt und leuchtet und ist klar und hell. So
gesehen wäre dieses ganze Buch ein einziger großer «Pleonas-
mus»: (fast) alle Worte, die uns wichtig sind, erweisen sich als
untereinander verwandt: Klang- Logos —- Licht und Laut - Sonne
und Song und Sound — Klage und Lachen ... Das Wort «Pleonas-
mus» klingt übrigens in diesem Zusammenhang zu Unrecht nega-
tiv, denn die Kommunikationstheorie weiß, daß jede Information,
jeder «Code», über eine gewisse Redundanz verfügt, also Pleonas-
men enthalten muß, wenn er vom Rezipienten als «stimmig»
empfunden werden soll. Eben diese Stimmigkeit ergibt die
Sprachprobe in (fast) jedem Fall. Wir denken ja zuerst in vermeint-
lich voneinander getrennten, sprachlich nicht zusammenhängen-
den Begriffen, und erst dann stoßen wir auf die Sprachbeziehun-
gen — beziehungsweise werden durch Sprachforscher vom Range
Jean Gebsers und Arnold Wadlers auf sie gestoßen.
Zurück zur Klang-Unterreihe. Überall in ihr steckt Onomato-
pöie— Lautmalerei — bis hin zu Lachen und Glocke. Im Deutschen
wird das deutlich, wenn man sich die i-Formen vergegenwärtigt:
Klingen und Klingel. Kinder sagen: Kling-ling-ling. Die Sprachfor-
scher sind sich noch nicht darüber einig — sie sind sich ohnehin
selten einig—, ob solche onomatopoetischen Bildungen unabhän-
gig voneinander in den verschiedenen Sprachen entstehen oder ob
nicht vielmehr gerade in ihnen, wie Wadler annimmt, die Ur-Spra-
che waltet. Im Balinesischen ist der Gusti Kliang der Chef des
Klanges, also der Leiter eines Gamelang-Orchesters. Klar, daß
auch das Wort Gamelang hierher gehört. In seinem zweiten Teil —
J-a-n-g - steckt der gleiche K-J-a-n-g wie im deutschen Klang.
Bereits im Zusammenhang mit der Gesangstechnik tibetischer
Mönche und zentralasiatischer Schamanen haben wir gezeigt, daß
der Sound im Bauch entsteht und von dort durch den Körper wan-
dert. Diese Vorstellung des Bauches als eines Zentrums musikali-
scher — und überhaupt geistiger, gestalterischer, schöpferischer —
Kraft befremdet den westlichen Menschen. In Asien ist sie selbst-
170.
z. h. Wir I r möge Geliebte «au
- Herzen» lieben. Der Balinese - auch der Japaner - liebt sie (und in '
der Tat gibt es die entsprechenden Redewendungen) «aus ganzem
Bauch». Der Japaner, wenn er sich tötet, sticht sich nicht ins Herz,
sondern er begeht Hara-kiri: Hara heißt Bauch. Und in der japani-
schen Kunstgeschichte gibt es den Begriff des Hara-Gei, den der
Musikkritiker Shoichi Yui folgendermaßen erläutert: «Hara-Gei
bedeutet wörtlich: An den Bauch denken und vom Bauch her mit
anderen kommunizieren. Der Ausdruck <«AndenBauch denken» im
Zusammenhang mit einer künstlerischen Tätigkeit wird von je-
dem Japaner verstanden. Für Europäer und Amerikaner ist es
schwer nachvollziehbar, daß Hara - der Bauch - irgend etwas mit
Kunst zu tun haben könnte. In der Philosophie und Dichtung des
Westens wird Herz anstelle von Bauch gebraucht. Aber es ist offen-
sichtlich, daß es einen großen Unterschied ausmacht, ob eine
Kunst aus der höher gelegenen Brustgegend —dem Sitz des Herzens
—oderausderTiefedesBauches entsteht. In diesem Sinn darf gesagt
werden, daß es unter den Künstlern des Westens gewiß nicht aus-
schließlich, aberdoch vorrangigdie Jazzmusiker sind, diein beson-
derem Maße aus dem Bauch heraus schöpferisch sind...»
... wie sich sofort erkennen läßt, wenn man einer Jazzimprovi-
sation einmal im Hinblick darauf zuhört, aus welchen Regionen
des Körpers sie kommt: genau nämlich aus jenen, aus denen die
tibetischen Mönche singen — aus dem Bauch. Besonders offen-
sichtlich ist dies bei den großen «Sound Creators» unter den Blä-
sern des Jazz — Ben Webster etwa oder Cootie Williams oder
Johnny Hodges oder Eric Dolphy: sie spielen aus dem Bauch - und
finden auf diese Weise in einem einzigen Ton so viel Expression,
als sei er eine ganze Melodie. Es ist seltsam, daß gerade Rudolf
Steiner eine solche Entwicklung geahnt hat. In einem seiner frü-
hen Dornacher Vorträge spricht er davon, daß das «musikalische
Erleben der Gegenwart immer mehr dahin geht... den einzelnen
Ton gewissermaßen zu befragen, inwiefern er selbst schon eine
Melodie ist». Es werde, so vermutete Steiner bereits 1920, sich ein
anderes, ein neues Tonerlebnis anbahnen, in dem «die Mög-
lichkeit, beim Ton in die Tiefe hineinzugehen», stärker als bisher
‚in der Musik genutzt werde.
Asiatische Musiker — etwa die japanischen Shakuhachi-Flöti-
sten — wissen, was im Westen vorrangig die Jazzmusiker wissen:
Der Sound aus dem Bauch ist der eigentliche Sound. Der amerika-
nische Jazz-Klarinettist Perry Robinson, der in den siebziger Jah-
_ ren so viel dafür getan hat, daß sein einstmals - zur Zeit Benny
28
«Die Klarinstteikist zu jeise: Auch de ist einer der Gründe,
sie verschwunden ist. Aber du kannst das ändern. Du mußt groß
' denken und aus dem Bauch spielen. Dann bekommst du einen
Ton- so groß, als bliesest du ein Tenorsaxophon.»
«Der Mensch lebt durch den Kopf», läßt Bert Bröcht‘ in der
«Drei-Groschen-Oper» singen. Heute sind immer mehr Men-
schen auch in der europäisch-amerikanischen Welthälfte davon
überzeugt: Das Nur-aus-dem-Kopf-Leben hat unser Leben ärmer
gemacht. In asiatischer Vorstellung sitzt das Zentrum mensch-
lichen Seins im Bauch. Von dorther steigt die Energie auf.Wenn
der Yoga-Lehrer seine Schüler auffordert, sich zu «zentrieren»,
dann heißt das: sie sollen sich ihres Bauches bewußt werden, den
Schwerpunkt in die Bauchregion verlegen. Die Japaner - in ihrer
Genauigkeit —haben den Bereich lokalisiert: Zwei bis drei Finger-
breit unter dem Bauchnabel. Das ist auch der Punkt, aus dem her-
aus meditiert wird. Der Meditationslehrer und Psychologe Karl-
fried Graf Dürckheim hat seinem Hauptwerk den Titel gegeben:
«Hara — Die Erdmitte des Menschen.»
Asiatische Meditationslehrer mahnen seit langem: Der Kern
westlicher Schwäche liege darin, daß wir unser Zentrum zu stark
nach oben verlagert haben - in die Brustregion und den Kopf; des-
halb kippen wir so leicht um - im wörtlichen und im übertrage-
nen Sinn. Yoga-Lehrer machen gern ein Experiment mit ihren
Schülern: Sie bitten sie, sich so hinzustellen, wie westliche Men-
schen meist stehen — dann stößt der Yoga-Lehrer sie nur eben ein-
mal an, und schon verlieren sie das Gleichgewicht. Darauf fordert
der Lehrer sie auf, alle Konzentration und alles Gewicht aus dem
Kopf- und Brustraum herauszunehmen und in den Bauchraum zu
verlegen. Wenn jetzt der Lehrer den Schüler anstößt, dann bleibt
er stehen. Wie ein Baum. Verwurzelt im Boden. Nichts kann ihn
umwerfen. Wer «im Hara ruht», sagt Graf Dürckheim, «ist uner-
schütterlich». Wer aber im Brust- oder gar Kopfraum zentriert ist,
ist labil, unsicher und beeinflußbar. Das soldatische «Brust raus!»
decouvriert — wie alles militärische Denken — Schwäche. Der
Feldwebel-der «Spieß», der seine Leute anschreit «Brust raus!»,
tut es letztlich, damit er mit ihnen machen kann, was er will. Das
brauchen ja diese Herren: ihre Untergebenen zum Umfallen
schwach, ohne die Kraft des Hara, die gleichermaßen eine körper-
liche wie eine psychische, geistige und moralische ist.
Eine Verlagerung des Schwerpunktes von unten nach oben hat
; . Die Ps ssenschaft
weiß: Das chliatliche Amen ist in einer graduellen Wandlung aus
dem Ur-Mantra OM entstanden. Sprechen Sie laut und langsam
die beiden Worte aus, und Sie werden bemerken: Das OM
schwingt viel tiefer als ds Amen nach unten-- bis in den Bauch-
raum und seine Nachbarbereiche, also auch in die Geschlechtszo-
nen hinein, die in der Sprache der Yogis aus gutem Grund «Sakral-
bereiche» heißen und selbstverständlich mitschwingen sollen-
mindestens so sehr wie alles andere auch, aber womöglich noch
stärker.
Wenn Sie das OM richtig sagen, den Sound aus dem Kopf durch
den Brustraum in den Bauch hinunterführend, dann gerät der
ganze Körper ins Schwingen; zumal das M, wenn es kraftvoll ge-
sprochen wird, kann den Körper lange noch nachschwingen las-
sen. Ja, erschwingt auch dann noch weiter, wenn das Mantra- von
neuem mit dem O beginnend — ein weiteres Mal im Kopfraum
gleichsam «eingefädelt» und erneut nach unten geführt wird; und
inzwischen schwingen nicht nur Brust, Magen und Bauch; es
vibrieren auch Kopf und - beim Geübten — sogar Arme und Beine.
Mit dieser Technik, OM zu sagen und zu singen, ist diemehrstim-
mige Gesangsweise der tibetischen Mönche verwandt. Und wenn
man in dieser Weise OM sagt, versteht man auch, daß sich aus
dem Wort OM das hebräische und christliche Amen entwickelt
hat. Amen - das ist einfach ein stärker gedehntes und nasaliertes
OM. Amen: wie man es auch aussprechen mag, es bringt in erster
Linie Kopf-, Kehl- und Brustraum zum Mitschwingen: jene Berei-
che also, in denen der abendländische Mensch vorwiegend lebt,
denkt und fühlt. Arnold Wadler sagt in seinen immer wieder zu
zitierenden Arbeiten über die Ur-Sprache: «Klangverschiebun-
gen, die sich ergeben, wenn bestimmte Worte durch verschiedene
Sprachen wandern, haben oft ihren tiefen Sinn.»
In der Verschiebung des Klanges von OM auf Amen werden
zwei völlig verschiedene Seins-Weisen offenbar. Amen ist ein ge-
gliedertes OM: das OM in seine Bestandteile zerlegt-in O und iin
M--und jeder dieser Bestandteile für sich weiter ausgeführt. Wohl-
gemerkt, dies geschah, als das OM nach Westen wanderte — zu-
nächst nach Israel, dann weiter in den christlichen Raum nach
- Europa. Auf diesem Wege also wurde es gegliedert, in seine Be-
standteile aufgeteilt - wie alles, was in den Westen dringt, geteilt
"und gegliedert, und das heißt ja analysiert und seziert wird. Es
wirkt wie der Eröffnungszug einer wahrhaft königlichen Schach-
_ man sich et hose Gliederungs
prozeß hat sich bereits vor Jahrtausenden angekündigt — damals, |
als aus dem OM das Amen entstand.
Noch deutlicher wird der Wandel, wenn man sich die Beziehung
vergegenwärtigt, die die Vokale seit alters zu den Planeten haben.
Das O wird der Venus, das A dem Jupiter, das E dem Merkur zuge-
ordnet (und weiter, um die Reihe zu vervollständigen: das Idem
Mars und das U dem Saturn). Im OM schwingt also die Venus mit:
Liebe, Wärme, Verbundenheit, Eins-Sein. In A und im E von
«Amen» schwingen Jupiter und Merkur: Erfolg, Aktivität, Extro-
vertiertheit; Verstand, Denken, Geschäftigkeit. Wahrhaftig, der
Wandel vom OM zum Amen wird auf diese Weise zu einer Formel
für das, was Westen und Osten voneinander trennt — aber auch
verbindet!
Er ist beides: ein gedanklicher und ein klanglicher, ein musika-
lischer Prozeß; ersterer wird durch letzteren um so deutlicher:
Manhöre einOM, von tibetischen Mönchen gesungen, und gleich
darauf ein Amen aus dem Raum der christlichen und abendländi-
schen Musik - vielleicht das machtvollste: dasjenige aus Händels
«Messias» —, und man wird begreifen, was sich auf diesem Wege
(eine Zwischenstation etwa wäre das «Amen» eines Gregoriani-
schen Chorals) an ständig reicher werdender Differenziertheit,
aber auch an einem ständig größer werdenden Verlust an «Ein-
heit» und «Eins-Sein» ereignet hat. Der Weg führte weiter, bis ihm
nicht nur das OM, sondern - in unserer Zeit für die Mehrheit der
rationalisierten Menschen des Westens - auch das Amen selbst,
das sich doch eben diesem Wege verdankt, zum Opfer fielen und
nun beide - OM und Amen - neu entdeckt werden müssen. Das
geschieht im Wandel zu dem Bewußtsein, von dem in diesem
Buche die Rede ist.

ERFEch®! am eindringlichsten vielleicht bei der Wandlung von


OM zu Amen - ist deutlich geworden: Der Sound, den wir mei-
nen, ist nicht einfach ein Klang, der erklingt und dann vorbei ist.
Sbund steht für Ur-Klang. Sound ist Ausdruck und Symbol; ist
hörbarer Stellvertreter des - unhörbaren -nada.

«Wenn du auslöschst Sinn und Ton,


was hörst du dann?»
exDI
Da den en ker der essiechen Musik veih ich
' niemanden, bei dessen Sound dies in so beeindruckender Weise
deutlich würde wie bei dem wunderbaren und weisen Cellisten
Pablo Casals. Selbst Jazzmusiker, die doch in ihrem eigenen Be-
reich wahrhaftig eine Fülle bedeutender Sound-Schöpfer besitzen,
sprechen mit atemloser Bewunderung von ihm - so der öster-
reichische Tenorsaxophonist Hans Koller in einem Interview:
«Als Tenorsaxophonist hat man es ja eigentlich einfach: Man
braucht nur auf die großen Tenorsaxophonisten der Jazztradition
zu hören. Die haben wirklich Sound. In Europa weiß ich nur
einen, den man damit vergleichen könnte - Pablo Casals.»
Und dann ließ Koller - in einer Rundfunksendung Anfang der
sechziger Jahre — die unbegleitete Solo-Improvisation «Picasso»
des Jazz-Tenorsaxophonisten Coleman Hawkins auflegen und un-
mittelbar darauf Casals’ Cello-Sound in Bachs Solo-Suite in
c-moll. Die Übereinstimmung wirkte frappant, aber noch ein zu-
sätzliches Phänomen wurde deutlich: Bei einem Bläser - in die-
sem Fall einem Saxophonisten —- kann man sich ja vorstellen, daß
er aus dem Bauch bläst. Da gibt es die direkte Luftsäule. Bei Pablo
Casals aber gibt es nur eine «spirituelle» Säule — doch gerade auf
sie kommt es an; selbst wo außerdem noch die Luft-Kolumne
wirkt, ist die spirituelle die stärkere. Es war wie eine Wiederent-
deckung, als ich — viele Jahre später - in einem Buch von Silvia
Ostertag die folgenden Sätze las: «Als ich das erste Mal den Celli-
sten Pablo Casals spielen hörte, ist etwas Seltsames in mir vorge-
gangen: Es war bei den Zermatter Meisterkursen, und zu jedem
Unterricht waren auch Teilnehmer zugelassen, die nur zuhören
wollten. Zu denen gehörte ich, eine von vielen. Casals unterrich-
tete, und ich erinnere mich an den Augenblick, in dem er seinen
Bogen in die Hand nahm und einen Ton vorspielte, einen einzigen
Ton. Es war sicher nicht so, daß ich vorher geschlafen hätte. Aber
im Augenblick, da dieser Ton erklang, war es mir, als würde ich
erwachen; schlagartig und sanft zugleich ...
Es war so, als habe dieser Ton ein Ohr in mir erreicht, das es
bisher noch gar nicht gab. Es war mir, als habe dieser Ton alle
Höhen durchdrungen und mich im Innersten getroffen. In einem
Innersten, das ich bis dahin nicht wahrgenommen hatte. Und
doch war mir dieses Innerste mit einem Male mehr vertraut als
alles, was ich an mir kannte; sonst würde ich es nicht mein Inner-
stes nennen.
ob es nur gerade er still im Raum war. Und u wenn ich ihn be- 4
schreiben wollte... es warein Ton, in dem alle Töne klangenund
in dem zugleich alle Stille war.
Daß ich Casals zum ersten Mal hörte, ist jetzt viele Jahre her.
Ich habe nicht nur jenen Ton nicht vergessen, sondern von jenem
Erlebnis an danach gesucht, selbst so zu werden, daß mein Hören
und mein Tun sich für diesen «Ton» in allem Leben öffne ... (Da-
mals ist mir) etwas begegnet, das den Horizont unseres Begreifens
überschreitet: Etwas Unbegreifbares, Unbedingtes, etwas Ewi-
ges ... der Ton, in dem alle Töne klangen - der Ton, in dem alle
Stille war.»

Musik zum Hören des achten Kapitels

BEN WEBSTER MEETS Don Byas (MPS ı5 159 ST)


BEN WEBSTER: BEN AND SWEETS — mit Harry Edison (Columbia-
CBS PC 37036 Stereo)
COLEMAN HAWKEINS: THE ESSENTIAL COLEMAN HAwRkInSs (ein-
schließlich «Picasso») (Verve V-8568)
Jounny Hopges: Bıurs PyrAaMıD— mit Wild Bill Davis (Verve
ne

V 6-8635)
Pınk FLoyD: ATOM HEART MOTHER (EMI SHZE 297)
HÄNDEL: Der Messıas (Edition Eterna ST 8 26636—a u. zahl-
reiche andere Aufnahmen)
OM tibetischer Mönche: s. «The Music of Tibet» in «Musik zum |
Hören des zweiten Kapitels», s.S. 65
HOMMAGE A PABLO CAsAaLs- Schubert, Beethoven, Haydn, Bach
u.a. (Philips 6747 103, 3 LPs)
PABLO CaAsAıs: BACH-SUITEN FÜR VIOLONCELLO SOLO (Elec-
trola E 80496)
Über das Hören, die Stille —
und die Wachheit

Insofern wir vom Ton handeln, handeln wir vom Hören. Experi-
mente haben gezeigt, daß kein anderes Organ auf so minimale Im-
pulse anspricht wie das Ohr. Reize gleich geringer Stärke wären
von anderen Sinnen — etwa dem Auge - gar nicht mehr wahrzu-
nehmen. George Leonard schreibt: «Unser Gehörsinn ist in der
Tat ein Wunder und übertrifft das Sehvermögen in vielerlei Hin-
sicht. Wenn ein Maler beispielsweise drei Farbtöne miteinander
vermischt, kann unser Auge das Resultat nur als eine einzige neue
Farbe wahrnehmen. Wenn Klarinette, Flöte und Oboe zusammen
erklingen, kann unser Ohr die resultierende Mischung sowohl als
neuen Klang wahrnehmen, wie auch die drei Instrumente, die die-
sen Klang hervorbringen, voneinander unterscheiden.»
Hans Kayser weist auf die erstaunliche Tatsache hin, daß das
Ohr der einzige menschliche Sinn ist, der gleichermaßen die Zahl-
größe wie auch den Zahlwert erkennen kann: «Das Ohr hört
nicht nur genaue Zahlverhältnisse, also Zahlgrößen wie ı:2 als
Oktave, 2:3 als Quinte, 3:4 als Quarte usw., sondern es hört ...
zugleich Werte, welche es als Töne C, G, F usw. apperzipiert... In
der Tonzahl verschmelzen also zwei Elemente zu einer Einheit:
das Element der Empfindung, der Ton, mit dem Element des Den-
kens, der Zahl, und zwar: auf exakte Weise, so daß der Wert des
Tones genau an der Größe der Zahl, und die Größe der Zahl genau
am Wert des Tones kontrollierbar ist... Unter allen menschlichen
Sinnen besitzen wir nur ein Sinnesorgan, welches diese Ver-
schmelzung zustande bringt: das Ohr... Die Empfindung kontrol-
liert somit das Denken, oder anders ausgedrückt: Unsere Seele ist
auf diese Weise imstande, die Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer
intellektuellen Größe festzustellen. Umgekehrt haben wir durch
das Phänomen der Tonzahl aber auch die Möglichkeit, Proportio-
nen und Maßzahlen im seelischen Bereich zu entwickeln.»
Es ist wichtig, daß man sich die besondere Befähigung des Oh-
177
Konsequ Ibst derunmusikalische Men
kann hören, obeine Oktave stimmt odernicht; das Ohr 7]
daß der höhere Ton doppelt so schnell schwingt wie der tiefere.
Niemand aber kann sehen, daß eine Farbe doppelt so schnell
schwingt wie eine andere. Entsprechend genau ist, was das Ohr
betrifft, unsere Sprache (entsprechend ungenau ist sie, wie wir se-
hen werden, in bezug auf das Auge). Wir können eine bestimmte
Tonschwingung als «C» oder «D» oder «E» bezeichnen und haben
sie damit mathematisch genau fixiert. Nichts Vergleichbares gibt
esim Bereich der Farben. Wir können zwar «gelb» oder «blau» oder
«rOt» sagen, aber nichts ist damit über die Schwingungszahl aus-
gesagt. Das Auge vermittelt immer nur Annäherungsinformatio-
nen. Es gibt überaus viele verschiedene Gelb- oder Blau- oder Rot-
töne - schon müssen wir ein Wort aus dem Bereich des Hörens,
eben das Wort «Töne», zu Hilfe nehmen -, und doch ist es unmög-
lich, Präzision zu beanspruchen, wenn man Farben beschreibt.
Selbstwenn wirviele verschiedene Blautöneunterscheiden- Preu-
ßischblau, Marineblau, Himmelblau und Dunkelblau oder gar un-
ter großem Aufwand erklärender Worte, noch ein halbes Dutzend
weiterer Blaus -, ist nicht annähernd die Genauigkeit geschaffen,
über die wir im Bereich des Hörbaren verfügen, wenn wir nur ein-
fach «F» oder «G» oder «H» sagen.
Die meisten Musiker haben erlebt, daß ein hochentwickeltes
Ohr sogar noch genauer «funktionieren» kann als eine Stimmga-
. bel. «Lassen Sie morgen Ihre Stimmgabel zu Hause», sagte Hans
Rosbaud dem Sänger eines Chores, den er mit dem SWF-Sinfonie-
Orchester zu begleiten hatte. «Die Stimmgabel stimmt nicht!»
Der Sänger war beleidigt, aber als wir hinterher nachprüften, stell-
ten wir fest, Rosbaud hatte recht. Nochmals: Es ist unvorstellbar,
daß das Auge ähnlich genau «Maß nehmen» könnte.
Und doch ist damit erst die eine der beiden wunderbaren Fähig-
keiten des Ohres gekennzeichnet — seine mathematische. Wir
können Zahlen hören. Aber das Ohr gilt seit alters auch als «Tor
zur Seele». Zu seiner Meßfähigkeit hinzu kommt die Empfin-
dungsfähigkeit, und auch sie ist unzweifelhaft größer als die des
Auges. Das Wunderbarste freilich ist, wie die beiden Fähigkeiten
miteinander gekoppelt sind, ja, es scheint, daß in dieser Kopplung
die größte Fähigkeit des Ohres liegt - nämlich die Begabung, Ma-
thematisches in Sinnliches, Bewußtes in Unbewußtes, Meßbares
in Unmeßbares, Abstraktes in Seelisches — und natürlich jeweils
auch umgekehrt- mit unfaßbarer Exaktheit zu überführen. Ja, das |
4 Eiserche einer in Besshdhe zua Und Bach eh Es
macht uns unabweisbar deutlich, daß eine Beziehung besteht.
Demgegenüber ist das Auge «vager» und «ungefährer». Ein
Mensch, der vorwiegend durch seine Augen lebt, lebt nicht nur
reduzierter in bezug auf seine seelischen Qualitäten, er lebt auch
weniger «genau» als der Ohrenmensch. Das Ungefähre - und hier-
mit verwandt ist das Wort: das Ge-fähr-liche - zeitgenössischer
Existenz wird unmittelbar deutlich, wenn man realisiert: Dermo-
derne Mensch ist vorwiegend Augenmensch!
Auf seine Weise sagt es Jacques Lusseyran: «Unsere Augen ge-
hen über die Oberfläche der Dinge. Sie bedürfen nur einiger ver-
streuter Punkte, und blitzartig füllen sie die Zwischenräume. Sie
erahnen viel mehr, als sie sehen, und niemals, oder fast niemals,
prüfen sie die Dinge. Sie geben sich mit den Erscheinungen zufrie-
den, und in diesen gleitet die Welt schimmernd dahin und verbirgt
ihren wesentlichen Inhalt.»
Man beachte das Wort «Erscheinung» oder die Redewendun-
gen «Es scheint mir so» und «Ich bilde mir ein» - alles Aus-
drücke aus dem Bereich des Optischen. Diesen Bereich also be-
nötigt die Sprache, um die Möglichkeit der Illusion, des Irrtums
und der Selbsttäuschung in Worte zu fassen. Wenigstens die Spra-
che durchschaut den strahlenden Glorienschein, mit dem der
abendländische Mensch das Auge umgeben hat, als trügerisch
«schimmernd» und «schillernd» - und es kann kein Zufall sein,
daß auch diese beiden Worte wieder der optischen Sphäre ent-
stammen. Ich habe trotz monatelangen Suchens in keiner mir be-
kannten Sprache einen Ausdruck oder ein Sprachbild für Vages,
Ungenaues, Scheinbares oder Trügerisches gefunden, das dem
Ohr und dem Bereich des Akustischen verhaftet wäre- und wenn
möglicherweise dennoch ein solcher Ausdruck existierte, würde
er in der Überzahl der entsprechenden «optischen» Begriffe und
Formulierungen verschwinden.

Wir haben - im VI. Kapitel — erfahren, daß unser Zeitsinn


krückenhaft ist. Aber auch die anderen menschlichen Sinne sind
Krücken. Wir sollten erkennen — das würde zu unserer Beschei-
denheit beitragen —, daß die Evolution keinen Grund gehabt hat,
uns Sinne zu schaffen, mit denen wir die Wirklichkeit als solche
erkennen können. Die Evolution hat immer nur ein Ziel: Das
_ Überleben! Und es ist schon viel — und ist wunderbar, wenn und

179
«geistigen» Möglichkeiten errabglicheni ihr Überleben’in
nen zugefallenen Umwelt. Nicht weniger. Aber auch nicht mehr.
Wer deshalb glaubt-und das glaubt ja gerade die rationalistische
Wissenschaft im Sinne des vergangenen Jahrhunderts —, er könne
mit Hilfe seiner Sinne «Wahrheit» erkennen, denkt nicht einmal
logisch, denn gerade die Evolutionslehre hat doch plausibel ge-
macht, daß wir nur das erkennen, was wirerkennen müssen, um
auf diesem Planeten überleben zu können.
Derjenige unserer Sinne, der uns noch - relativ am meisten —
«Wahrheit» vermittelt, ist der Gehörsinn. Ertut das auch deshalb,
weil er - als einziger unserer Sinne — nicht an Dimensionen ge-
bunden ist. Wir haben im Abschnitt über die Zeit im VI. Kapitel
von der Überzeugung der modernen theoretischen Physik gespro-
chen, daß die Welt, in der wir leben, mehr Dimensionen enthält
als die drei bzw. — mit der Zeit - vier Dimensionen, die uns unser
Auge, unser Tastsinn und unsere Bewegungswerkzeuge zu er-
schließen scheinen. Wir leben in einer Welt, die anders ist, als sie
aussieht. Unsere Sinne- vor allem der Seh-Sinn- informieren uns
falsch über die Dimensionalität unserer Welt. Aber: Der Gehör-
Sinn ist [wenn man einmal von seiner Ortungsaufgabe absieht)
«dimensionsunabhängig». Auch dies gehört in den Umkreis der
unverhältnismäßig größeren Genauigkeit und «Kompetenz» un-
serer Ohren.

Wir haben esin diesen Jahren oft gehört und gelesen: Der moderne
Mensch ist im Zeitalter des Fernsehens ein vorwiegend sehender
Mensch geworden. Kaum jemand, der das konstatiert, macht sich
die Mühe, zu fragen: Was sieht er? Und: sieht er auch das, was er
sieht? Sieht er nicht nur noch Bilder und Abbilder? Sind es nicht
sie, die er für Wirklichkeit hält? Er verwechselt das Bild von der
Welt, das ihm die Medien ins Haus liefern, mit der Welt selbst.
Daher die Befunde von Wirklichkeitsverlust, die- zumal bei jun-
gen Menschen - so oft festgestellt werden, und von verkümmerter
Erlebnisfähigkeit, die die Psychologen bei den Älteren diagnosti-
zieren. Mit Wirklichkeitsverlust meine ich - um ein einziges Bei-
spiel zu geben: Die Kinder, die im Keller ihres Hauses einen Spiel-
gefährten ermordeten und, als Psychologen sie untersuchten, sag-
ten: «Die im Fernsehen machen das doch auch so.» Sie konnten
nicht mehr unterscheiden zwischen Wirklichkeit und Fernsehen.
TV ist «ihre» Wirklichkeit. Mit Verlust von Erlebnisfähigkeit
180

Eh cATE per FR
WI N ER a TR Ne
en PART-eine Tasten des Grauens. jean Grauen,
desto weniger Hähne krähen danach. Die «Trennung des Men-
schen vom Menschlichen» nennt Botho Strauß es, die «Endsta-
tion der sinnlichen Wahrnehmung».
In dieser Situation ist Hören wichtig. Es warimmerschon wich-
tig. Jetzt ist es noch wichtiger. Mehr als je zuvor ist durch das
Fernsehen deutlich geworden, wie überlegen der Hör- dem Ge-
sichtssinn ist. Die Jugend- und Kinderpsychologie hat erkannt,
daß ein Märchen, im Fernsehen gesehen, allenfalls Unterhaltung
ist. Es löst nichts aus. Was geschieht, geschieht ja schon auf dem
Bildschirm — und vorher im Studio. Was das Kind sieht, ist nur
noch Information über ein Geschehen, das sich anderswo ab-
spielt. Das «äußere» Bild macht das «innere» überflüssig; das «äu-
ßere» mag farbiger, bewegter, reizvoller sein — und vor allem:
robuster. Aber gerade deshalb verdrängt es das «innere». Ein Mär-
chen hingegen, das dem Kinde erzählt wird, muß, um überhaupt
verstanden zu werden, in «innere» Bilder umgesetzt werden. Und
diese «inneren» Bilder sind es, die Erfahrung, Erlebnis, Bereiche-
rung bewirken; die «äußeren» «transportieren» nur Information
und Reiz.
Wann immer ein Roman verfilmt wird, ist es gängige Klage der
Feuilletonisten, das Buch sei so viel besser als der Film — egal wie
gut der Film ist. Die Klage suggeriert immer ein wenig, daß grund-
sätzlich eine Verfilmung möglich sein müßte, die dem Roman-
Kunstwerk adäquat, vielleicht gar ihm überlegen sei. Sie ist aber
nicht möglich, weil die Rezeption durch das Ohr - Lesen ist verin-
nerlichtes Hören - so ungleich differenzierter und vielschichtiger
ist als die durch das Auge. Deshalb muß alles, was für das Auge
dargestellt wird, derber sein, weniger subtil als das, was dem Ohr
geboten wird.
Seit wir nicht mehr auf Bäumen leben - seit unsere Vorfahren
auf die Erde herunterstiegen, um in Bodensenken und Höhlen zu
schlafen —, ist das Ohr, mehr als jedes andere Organ, der Sinn un-
seres Überlebens geworden. So hat ihn die Evolution program-
miert. Wenn wir schlafen, schließen wir Augen und Mund, das
Gefühl stellt sich (fast) ab, aber: Die Ohren bleiben offen.
Ja, unsere Ohren sind geöffnet, noch bevor wir geboren werden.
Bereits in dem der Geburt vorausgehenden Stadium ist das Ohr
. wichtiger als unsere anderen Sinne. Mit ihm beginnt unser Be-
wußtsein: Das Kind hört im Mutterleib den Herzschlag der Mut-
be 'hmit irgende
lamebnien Ba nimmt er sie mit a Ohr hr rl
Bevor wir diese Erde betreten -und unser ganzes Leben hin-
durch, auch dann, wenn in der Stunde des Todes bereits alleande-
ren Sinne versagen —, hören wir. Wir können unsere Ohren
nicht schließen. Ja, die ständig wiederkehrenden Anweisungen ..

des Tibetanischen Totenbuches «Höre, Edelgeborener» machen.


deutlich, daß auch danach noch gehört wird, will sagen: unsere
‚Ohren sind es eigentlich, die uns einerseits aus dem vorgeburt-
rar
er

lichen Zustand in den unserer irdischen Existenz und andererseits


auch aus diesem letzteren in den Zustand nach dem Tode überfüh-
ren — mehr zumindest, als irgendein anderer Sinn dies tut... was
doch heißt (und niemand könnte einen ähnlichen Satz mit ver-
gleichbarer Ausschließlichkeit über einen anderen Sinn sagen):
Mit keinem unserer Sinne sind wir so sehr, wie wir hörend sind!
Hören heißt sein! Ist das der eigentliche Grund dafür, daß wir un-
sere Ohren nie und nimmer schließen können, so lange wir leben?
Weil Hören = Sein ist? Und wir die Verbindung zum Ur-Grund des
Seins verlieren, wenn wir aufhören zu hören. Deshalb können
wir die Ohren nicht schließen — wie wir die Augen schließen kön-
nen.
Und doch lassen Millionen von Menschen diesen unseren edel-
sten Sinn verkümmern. Sie hören kaum noch. Unfaßbar zum Bei-
spiel, daß die Mehrheit der westlichen Menschheit im Zeitalter
bis aufs äußerste gesteigerter High-Fidelity-Möglichkeiten mit
dem kümmerlichen Ton zufrieden ist, der ihnen allabendlich aus
dem Fernseher entgegenschallt. Die meisten merken gar nicht,
wie schlecht dieser Ton ist. Ihre Augen ergänzen, was ihre Ohren
nicht bringen. Oder — noch schlimmer und häufiger: Die Ohren
werden überhaupt nur noch benutzt, wenn die Augen nicht aus-
reichen, sie verkümmern zum Hilfs- und Ergänzungsorgan. Es ist
dann fast ein Reflex: Die Funktion der Ohren wird nurnoch dann
abgerufen, wenn die Information durch die Augen beim besten
Willen nicht ausreicht.
In dieser Situation hat Radio Bedeutung. Wenn, wie McLuhan
gezeigt hat, «das Medium die Botschaft ist», dann ist die eigent-
liche Botschaft des Radios: Hören! Das ist es, was wir Radio-Leute
in Wirklichkeit tun: Mit allem, was wir machen, bitten wir nur
immer die Leute, ihre Ohren zu öffnen - die Welt wieder stärker
durch ihr Gehör wahrzunehmen. Besonders schön hat dies die
junge, so früh verstorbene österreichische Dichterin Ernie Lipp in
Y
182
NADA BRAHMA
Su
u
nn.
ir
Geh dichte
Geh fühle
Geh danke
Geh schichte
Geh schenke
Geh wühle
Geh brumm
Gehör auf!

Es gibt eine wunderbare urchristliche Legende: Maria hat Jesus


durch ihr Ohr empfangen. Warum wohl durch das Ohr? Weiles das
reinste unserer Organe ist — dasjenige, das zum Sein, zum Ur-
Grund, zum Ur-Ton und zur Ur-Spannung die unmittelbarste Be-
ziehung besitzt.
Vielleicht können sich noch einige ältere Leser daran erinnern,
wie in den zwanziger Jahren Radio begann: Wie man da nächte-
lang an kleinen Kristall-Empfängern saß - noch nicht einmal röh-
renbestückt, von Transistoren zu schweigen — primitive Kopfhö-
rer übergestülpt - glücklich, wenn man Musik überhaupt als Mu-
sik - kreischend und krächzend — wiedererkennen konnte—-noch
glücklicher, wenn man ferne Länder hörte - spanische oder italie-
. nische Wortfetzen ... Meine eigene Hör-Erfahrung begann auf
diese Weise. Es war wie ein Abenteuer — wie eine Expedition in
. unbekanntes Land: Eine Expedition mit den Ohren! Am nächsten
Morgen sprach man beim Frühstück darüber — mit aufgeregter,
begeisterter Stimme. «Ihr klingt selber wie Radio, wenn ihr vom
- Radio sprecht», pflegte unser Vater zu sagen. Es gibt eine ganze
Generation — Stefan Zweig hat über sie geschrieben -, die durch
Radio-Hören - durch Hören also - die Welt erfahren hat- in einem
Zustand, den Zweig als «Trunkenheit» beschrieb. Es ist gut, sich
dessen zu erinnern: Weil wir dadurch ermessen können, wie sehr
‚ unsere Hörsensibilität inzwischen gelitten hat.

Die Entwicklung vom Hörfunk zum Fernsehen, die wir allein un-
serer Generation und der unserer Eltern erlebt haben, ist also ein
Rückschritt - als hätten sich Menschen, die bereits das Niveau
einer Boden- und Bauernkultur erreicht hatten, wieder rückwärts
i gesagt, daß es «ständig Unterwegs» sei — auf Beutezüg en-no
denhaft schweifend. Nichts Vergleichbares ließe sich vom Ohr sa-
gen. Ein Mensch kann einen «stechenden Blick» haben, aber zeit1
kein «stechendes Ohr» - und auch nichts anderes, womit das Ohr
derQualitätdes Stechensnahekäme. Inbegriffhöchster Augenqua-
litätistderBlick des Adlers, derausschwindelnder Höhe sein Opfer
erspäht und bereits im Moment des Erspähens das Zupacken mit
den Krallen und das Zustechen mit dem Schnabel vorausnimmt.
Dies ist eine einzige Sache: Erspähen und Zupacken. Nicht nur
für den Adler. Für das Auge. Auch für das menschliche. Es kann
kein Zufallsein, daß der Adler ssobeliebtistalsnationales Symbol-
in Wappen und Emblemen von machtbewußten Staaten und Städ-
ten.
Wo immer aber für das Ohr umschreibende und beschreibende
Attributegesucht werden, stammensieausdem UmkreisdesEmp-
fangens, des AufnehmensunddesSich-Öffnens, desGe-hörensund
Ge-horchens. Das Ohrgleicht einer Muschel; mitihrwirdauch das
weibliche Geschlechtsorgan verglichen: Beide empfangen.
Ein Mensch, der unter seinen Sinnen dem Ohr den ersten Platz
einräumt, vorwiegend also ein hörender und zuhörender Mensch
ist, wird — das ergibt sich aus dem Gesagten - sehr viel weniger
aggressiv sein als einer, der die Welt vorwiegend oder zuerst durch
seine Augen wahrnimmt. Aus diesem Grund ist diemoderne Fern-
sehkultur eine Brutstätte für Aggressivität. Allabendlich wird in
Millionen bürgerlicher Wohnstuben Aggressivitätausgebrütet-in
all der «Gemütlichkeit» — der «Nestbezogenheit» —, die zu dem
Vorgang des «Brütens» gehört. Dieser «Gemütlichkeit» wider-
spricht esnicht, sondern es ergänzt sie, daß das Fernsehen in seiner
Berichterstattung Szenen der Aggressivität so offenbar vorzieht.
Gewiß, dies tun auch die Nachrichten in Radio und Presse — aber
auch dies ist ein Befund der Ergänzung: Augenmenschen ziehen
Aggressivität vor. Selbstdann, wennsiehörenundlesen-was viele
von ihnen ja ohnehin nur noch als Ersatz für das vielleicht gerade
nicht vorhandene Fernsehen tun.
Bhagwan hat in der ihm eigenen Prägnanz einen schönen Aus-
druck für unser Erkranktsein an der Hypertrophie des Auges gefun-
den. Er empfindet diese Hypertrophie als einen «Wahnsinn» und.
nennt sie «Kodakomanie»: «Achtzig Prozent eurer Energie ist den
Augen gewidmet. Andere Sinne leiden sehr, weilnur zwanzig Pro-
zent fürsieübrigbleiben. Das Auge ist zum AdolfHitlergeworden.
184
i ähigkeit, dieWirklichkeit nslimens »
Man erwäge: Welche Sinne sind wichtig für Liebe? Zunächst
einmal: alle. Aber man spüre der Rangordnung nach. Das Auge ist
vor allem wichtig am Anfang - in der Begegnung, wenn alles noch
ungewiß ist. Danach wird Hören wichtig — dann Fühlen. Dann
beobachten wir etwas Seltsames: Je intensiver Liebe wird, desto
öfter neigen wir dazu, die Augen zu schließen. Wir fühlen und
hören. Was fühlen wir? Was hören wir? - und nun die ganz wich- Pa
eeA
tige Antwort: Wir fühlen — auch und gerade, indem wir den ande-
ren fühlen — vorrangig und überwältigend die eigene Lust. Aber
wir hören: den anderen. Mit den Ohren nehmen wir «wahr», wo
der andere «ist» auf dem Wege, auf dem Liebe geschieht: oberihn
schnell oder langsam geht, intensiv oder rezeptiv, ob.er uns folgt
oder gar schon voraus ist, ob beide auf gleicher Wegstrecke sind...
Das also ist das Ohr: Die Brücke der Liebe zum Du. Die Brücke
mag schwindelnd hoch sein, der Fluß darunter reißend stark, aber
die Augen brauchen wir nicht. Ja, es ist geradezu paradox: Je höher,
kühner, weiter die Brücke, je wilder der Strom, desto fester schlie-
ßen wir die Augen. Es ist aufschlußreich, daß die Frau die Brücke
des Sounds in der Liebe häufiger und intensiver beschreitet als der
Mann. Warum sie das tut, wird in den folgenden Abschnitten
deutlich.

Die Dimension des Auges ist eher männlich, die des Ohres mehr
weiblich — beides im übertragenen wie im wörtlichen Sinn. Die
amerikanischen Psychologen Robert May und Anneliese Korner
haben «Sex Differences in Newborn» — Geschlechtsunterschiede
bei Neugeborenen - untersucht, und May resümiert: «Männliche
Babies reagieren eher auf visuelle Reize, während weibliche leich-
ter auf Reize ansprechen, die sie durch das Ohr wahrnehmen; dies
gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für junge Affen und
Ratten, und bleibt ein Geschlechtsunterschied auch bei erwach-
senen Männern und Frauen.»
Entsprechend kommunizieren Mütter mit Baby-Töchtern sehr
viel leichter und statistisch häufiger, indem sie ihnen Klänge vor-
machen und die Geräusche des Babys imitieren, während sieihren
männlichen Babys Bewegungen zeigen mit den Händen oder mit
Gegenständen, um Aufmerksamkeit auf dem Weg über das Auge
zu finden. Weil «Sounds» für das Mädchen wichtiger sind als für
den Jungen, fangen Mädchen auch früher an, «Sounds» zu produ-
AMädchen und fumgcnn -auf beides: auf ars
elle Reize. Aber mehr Mädchen reagieren eher, leichter und häu-
- figer mit dem Gehör, mehr Jungen mit den Augen. Das «männ-
liche» Element, das in der Dominanz des Visuellen steckt, und —
. entsprechend— das «weibliche», das zur Bevorzugung der Wahr-
nehmung durch das Ohr gehört, könnte nicht schlagender deut-
lich werden als durch diese Untersuchungen, die von anderen
Psychologen und Anthropologen in den USA und Europa bestätigt
wurden. Der Befund ist um so gewichtiger, als er auch bestehen
bleibt, wenn aus den Kindern Erwachsene werden. Die Psycholo-
gen Camilla Persson Benbow und Julian C. Stanley von der Johns-
Hopkins-University in Baltimore haben in jahrelangen Tests er-
härtet: «Männer leisten gewöhnlich mehr im visuell-räumlichen,
Frauen im sprachlichen Bereich. Beide sind verhältnismäßig
schwach auf dem Gebiet, auf dem der andere seine Stärke hat.»
Die Fachleute haben ihre Tests so «gegengeprüft», daß sicher ist,
daß es sich nicht um erworbene, sondern um angeborene Unter-
schiede handelt. Es ist die stärkere Wahrnehmung durch das Ohr,
die das weibliche Wesen von Anfang an zu seiner — vergleichs-
weise — stärkeren rezeptiven — und wohl auch zu einer stärkeren
sprachlichen — Begabung führt.
Interessanterweise ist auch in der chinesischen Überlieferung
das Ohr ein Yin-, also ein mehr weibliches, das Auge aber ein
Yang-, also ein mehr männliches Organ. Der Bezug auf die Weis-
heit der alten Chinesen macht freilich auch besonders deutlich,
daß wir keine Wahl zwischen dem Ohr und dem Auge haben - so
wenig wie zwischen ausschließlich Männlichem und ausschließ-
lich Weiblichem, zwischen ausschließlich Yang und ausschließ-
lich Yin. Nur gilt eben der westliche Mensch - zumal der moderne
— in der chinesischen Interpretation traditionellerweise als zu
stark Yang-betont. Er müßte lernen, die seit Jahrhunderten ver-
nachlässigten — oft auch verdrängten — Yin-Elemente stärker in
den Vordergrund zu rücken. Als — vorrangig— Horner Mensch
würde er es wieder lernen.
Alles, was in diesem Kapitel gesagt wird, orde simplifiziert,
wenn es als die — gewiß groteske — Alternative mißverstanden
würde: nur noch zu hören und nicht mehr zu sehen. Wir müssen
beides tun. Wichtig ist aber, daß die Präferenzen deutlich werden:
Der «Ohren-Mensch» muß notwendig rezeptiver, der «Augen-
Mensch» ebenso notwendig aggressiver sein.
186
den: er nd «Ge- fähr- a REN, Diese
Tendenz wird auf um so «ge-fähr-lichere» Weise durch die (eben-
falls bereits besprochene] relativ größere Aggressivität des Augen-
menschen ergänzt. Es gibt eine Fülle von Evidenzen für diesen
Prozeß. Hier nur eine einzige - die allergefährlichste: Nach allem,
was in diesem Kapitel gesagt wurde, ist es offensichtlich: Man L
muß Augenmensch sein, um den Gedanken denken zu können,
durch Rüstung und immer weitere Rüstung ließen sich Kriege
vermeiden — ein Gedanke, in dem sich das Ungenau-Spekulative,
das Vage und Ungefähre des Augenmenschen mit dessen Aggressi-
vität paart und beide sich aneinander steigern. Für den — genaue-
ren — Ohrenmenschen dagegen ist völlig plausibel und bedarf kei-
ner weiteren Ausführung: Wer rüstet, rüstet zum Krieg, und je
mehr Waffen man aufschichtet, desto zerstörerischer wird der
Krieg. Man beachte nur, wie vieler Worte die Politiker bedürfen,
wie — wahrhaft — spekulativ (in dem Wort steckt speculari: sich
umsehen, anschauen, spähen) alle die Überlegungen der herr-
schenden Augenmenschen sind, mit denen sie uns die simple und
schlüssige Einsicht aus den - ohnehin durchs Fernsehen verdorbe-
nen, immer noch ungenauer hinschauenden — Augen wischen
wollen, daß Waffen zum Krieg führen. (Es scheint mir wichtig,
gelegentlich in diesem Buch auf solche Evidenzen zu verweisen,
damit nicht der eine oder andere sich in dem Gefühl wähnt, wir
bewegten uns auf diesen Seiten weit entfernt von jeglicher aktusel-
' len Realität.)

Die Verherrlichung des Auges, des «glücklichen» (Goethe), in der


Literatur und Dichtung der westlichen Welt-eine Verherrlichung
und Idealisierung, durch die wir alle gefühlsmäßig von Jugend auf
geprägt sind - steht nicht etwa im Gegensatz zu unserem Befund;
sie bestätigt ihn. Wir bedurften dieser Idealisierung- als Legitima-
tion und als Basis —, um die Betonung des optischen Elementes,
die es in der geistigen und kulturellen Entwicklung des Abendlan-
des gibt und die im Lauf der Jahrhunderte immer noch stärker her-
ausgebildet wurde, verständlich zu machen, sie gleichsam zu be-
gründen. Auch sind ja alle unsere Sinne lobens- und preisenswert
-in den höchsten und schönsten Worten der Dichter und Künst-
ler, nur kommt es eben - noch einmal - auf die Präferenzen und
auf die Verhältnismäßigkeit oder vielmehr Unverhältnismäßig-
_ keit der Akzente an.
187

RT STE AUE, a N: a an 2
sehen verbindet hat Wir wollen uns mit einem P h
:
fassen» (als ob man das könnte), wollen Gedankenginee «be- i
greifen», haben sie «hand-fest» darzustellen, müssen sie «in den
Griff kriegen», wollen «zu-packen» können, haben Tatsachen
«fest-zustellen» (als seien sie ein Hebel oder ein Rad) oder - am
schlimmsten - «fassen sie ins Auge», lauter Sprachbilder, die ge-
rade wegen ihrer Ungenauigkeit so verräterisch sind. Man könnte
in ähnlicher sprachlicher Bedenklichkeit (aber dadurch um so iro-
nischer) formulieren: «Unser Gefühl hat dem Auge die Hand ge-
reicht.» Das Bündnis von Auge und Hand, das wir, so absurd eesist,
doch gleichwohl täglich in seiner dominierenden Bedeutung be-
obachten können, wirkt besonders seltsam, wenn man sich verge-
genwärtigt, daß unser Tastsinn auf viel natürlichere Weise ein
Partner unseres Gehörsinnes ist — oder doch jedenfalls sein
könnte. Leider ist er dies aber (fast) nur noch bei Blinden. Sie öff-
nen sich der Welt hörend und tastend, wobei das Hören dem Ta-
sten und umgekehrt das Tasten dem Hören hilft. Der blinde Uni-
versitätsprofessor Jacques Lusseyran beschreibt, wie er sich als
Kind seine Umwelt erschloß: «Als ich noch meine Augen hatte,
waren meine Finger steif und am Ende der Hände halb abgestor-
ben, gerade recht, die Bewegung des Greifens auszuführen ...»
Nun aber, nachdem der junge Lusseyran erblindet war, begann er
zu spüren: «Die Objekte leben, selbst die Steine. Mehr noch, sie
vibrieren, sie erzittern. Meine Finger fühlten deutlich dieses Pul-
sieren ... Wenn jeder meiner Finger verschieden stark gegen die
Rundung eines Apfels drückte, wußte ich bald nicht mehr, ob der
Apfel schwer war oder meine Finger ... Ich war ein Teil des Apfels
geworden und der Apfel ein Teil von mir. Das war es, wie die
Dinge - für mich - existierten.»
Ich zitiere Lusseyran deshalb so ausführlich, weil seine Worte
deutlich machen, daß wir, die Sehenden, ein ganz anderes Verhält-
nis zum Taktilen haben als die Nicht-Sehenden - die vorrangig
Hörenden. Unsere Finger sind «gerade recht, die Bewegung des
Greifens auszuführen» — im Sinne eines «Be-greifens» (ein Wort,
in dem ja auch das schwingt, was der Dialekt das «Begrabschen»
nennt, das ungelenke und unsensible Be-tasten und Be-fassen). In
der Dimension des Taktilen aber, von der Lusseyran spricht, gibt
es ein Fühlen, das nicht auf der Oberfläche des «Be-fühlens»
bleibt, sondern Einswerdung herstellt.
Die Möglichkeiten der Haptik sind fast so groß wie die des Opti-
inswerden des Liebenden. Der moderne Mensch spielt vorwie: :
er . gend nurnoch auf dem einen Ende der haptischen Klaviatur,— auf
dem Ende, auf dem er dem Auge dienen kann. Auch unter diesem
Gesichtspunkt also lassen wir die volle Bandbreite unseres Senso-
riums verkümmern — wie ein musizierender Anfänger, der gerade
nur über ein oder zwei Oktaven und jedenfalls nicht über die
ganze Tastatur (darin steckt das Wort «tasten») verfügt. Auf der
vollen Tastatur des Haptischen können unter den Sehenden fast
nur noch die Liebenden spielen, wenn der Körper des geliebten
Menschen in der sexuellen Begegnung zum Instrument wird. Es
mag ein schöner Gedanke sein, daß es die Liebenden und die Blin-
den sind,denen sich die «orchestrale» Fülle, Breite und Tiefe des
Taktilen erschließt, aber weniger befriedigend ist die ergänzende
Feststellung, daß es eben fast nur noch sie— die Blinden und die
Liebenden- sind, die diese Möglichkeit ausschöpfen.
Wilfried Fischer weist in einem lesenswerten Aufsatz unter
dem Titel «Fernsehen bedroht die Wahrnehmungsfähigkeit» dar-
auf hin, daß heute «für das Kind die optischen Stimuli dominie-
ren ... es von daher die Fähigkeit zur akustischen Analyse ver-
nachlässigt ...» Deshalb ergibt sich «die ernsthafte Gefahr einer
einseitigen Belastung des Nervensystems, die zu Störungen des
psychischen Gleichgewichts führen kann». So weit also ist die
Entwicklung schon fortgeschritten. Wie gesagt, Botho Strauß
nennt das Stadium, in dem wir uns befinden, «Endstation der
sinnlichen Wahrnehmung».

Wir haben über die «Defizienz» der Entwicklung vom Hörfunk


zum Fernsehen, von der Wahrnehmung vorwiegend durch das Ohr
zur Präferenz des Auges gesprochen. Aber längst hat eine Gegen-
bewegung begonnen - und auch dieses Buch ist ein Indiz für sie:
eine Gegenbewegung, deren Wachsen in diesen Jahren fast von
Monat zu Monat beobachtet werden kann. Immer mehr Men-
schen wollen - und werden - die Welt (wieder) als Klang erfahren,
gewiß nicht mehr an altertümlichen Radios, durch Wort- und Mu-
sikfetzen und Morsezeichen aus fernen Ländern, sondern auf noch
— dieses Wort ist angemessen — abenteuerlichere Weise, nämlich
als Klänge jener Welten, die eben noch ein Inbegriff des Schwei-
gens waren: des Kosmos, der Tiefsee, der Pflanzen, der Leere, des
Nichts ... der Stille und der Meditation...
Es ist verwunderlich, daß bisher niemand darauf hingewiesen
buches» - das Wort «Hören» vorkommt. Erseiner eigenen Sp prache
heißt dieses Buch «Bardo Thödol», zu deutsch: «Befreiung durch
Hören im Zwischenzustand», il sagen: auf der Stufe unmittel-
bar nach dem Tode. Wenn man den Titel wörtlich übersetzt,
kommt heraus: «Zwischenzustand-Hör-Befreiung». Wie schon
erwähnt, beginnen fast alle Ratschläge, die dem Verstorbenen in
diesem Buche gegeben werden, mit den Worten: «O Edelgebore-
Nnn
Be
en
De nen ... höre zu!» An einer Stelle heißt es: «Wenn der Leser dies
R
sagt, soll er seine Lippen nahe an das Ohr des Sterbenden bringen
ERBE und es deutlich wiederholen und es ihm klar einprägen, um zu
verhindern, daß seine Gedanken auch nur für einen Augenblick
abschweifen. »
Louise Goepfert-March hräihe zur deutschen Übersetzung des
«Tibetanischen Totenbuches»: «Der erste Schritt ist hören ler-
nen, hören wollen, das Durcheinander in sich selber fallen lassen,
es abtun, wie man beim physischen Tod den Körper abtut. Dieser
Schritt bedeutet, daß man nicht mehr länger dazwischenfahren
will, nichts ändern will... (zunächst auch nicht sich selber), nicht
streiten will, keine Meinung äußern will, nichts, was gehört wird,
in die übliche automatische Tagessprache übersetzen will ... be-
deutet, daß man neben dem Millionenheer aufstürmender Denk-,
Gefühls- und physischer Assoziationen ruhig verweilt. Hören
können ist eine schwere Sache, auch wenn die meisten Europäer
dies nicht glauben wollen.»
Wenn wir in dieser Generation den Klangcharakter der Welt
entdeckt — wieder-entdeckt! — haben, dann ist es notwendig, auch
ein gesteigertes Sensorium für das Hören zu entwickeln. Das Hö-
ren beginnt im Schweigen. In der Stille. Dichter sprechen von der
«Musik der Stille», der «Orgel des Schweigens». Wer Klang erfah-
ren will, muß zuvor gelernt haben, Stille zu erfahren. Martin Bu-
ber: «Wo keine Stille ist, da ist die Notwendigkeit wie eine
Stimme der Willkür. - Beschütze mich, Schweigen!»

Dies ist eine Übung. Wenn Sie können, machen Sie sie JETZT.
Nachdem Sie das folgende gelesen haben. Gewiß, Sie könnten sie
auch morgen machen. Aber wenn Sie sie jetzt machen, könnte
morgen bereits der nächste Schritt, die Wiederholung, getan wer-
den.
Vielleicht können Sie im Lotussitz sitzen. Versuchen Sie es. Für
alles, was ich im folgenden schreibe, ist schon der Versuch sehr
gistderweg». D
immernur aufdem Wegsein können, nieüberihn hinausgelangen,
kommt es eben auf den Weg an. Wie auch immer man«Tao», dass
japanische «Do», übersetzen mag, zuallererst heißt es: Der Weg.
Wenn Sie den Lotussitz nicht einnehmen können, genügt seine
Andeutung. Wichtig ist nur: Die Knie müssen tiefer sein als der
Bauchnabel. Sitzen Sie aufrecht. Aber nicht «Brust raus!», son-
dern Bauch raus, ohne Ausrufezeichen dahinter — ohne Anspan-
nung. Sie sitzen im «Hara» .... Werden Sie stille... Atmen Sie, wie
Ihr Atem fließt. Nicht flach und oberflächlich, aber auch nicht
_ übertrieben tief. Lassen Sie einfach den Atem durch Ihren Bauch
wandern. Pusten Sie ihn nicht in sich herum. Lassen Sie ihn wan-
dern. Das muß in Ihrem Bewußtsein, nicht freilich in Ihrem Den-
ken sein: Ihr Atemist das, was Sie am intensivsten mit der Welt
und dem Sein verbindet - in einem ständigen Austausch-Prozeß,
einem ständigen Geben und Nehmen. Kein Schauen, kein Reden
stellt diesen Austauschprozeß (der - bewußt erlebt - Identifika-
tion bedeutet) intensiver her als das Atmen. Atma: das Selbst.
Das also ist Atmen: Ihr Selbst. (Nicht Ihr Ich: eine Unterschei-
dung, die ich hier nur andeuten kann.)
Hören Sie auf Ihren Atem ... Wenn Sie das eine Weile getan
haben, hören Sie durch den Atem hindurch ... Sie hören den
Raum, in dem Sie sitzen. Nehmen Sie sich nicht vor, ihn unbe-
dingt hören zu wollen. Wenn Sie lange genug hören - dann wer-
den Sie ihn hören ... Hören Sie jetzt durch den Raum ... Viel-
leicht gibt es Glockenschläge von ferne... Schritte... Ein Auto...
Vogelstimmen ... Radiomusik von irgendwo her ... Belegen Sie
nichts davon negativ ... Hören Sie hindurch. Raum, Glocken-
schlag, Schritte, Auto, Vögel: Es ist alles ein Schleier. Dahinter
ist: Stille. Sie weitet sich - weiter und weiter. «Offene Weite -
nichts von heilig.» Das hören Sie: Weite öffnet sich.
Später hören Sie vielleicht das Klopfen des Blutes in Ihren
Adern. Oder Sie werden wieder auf das Kommen und Gehen Ih-
res Atems aufmerksam. Gedanken kommen. Aber die «hören»
Sie nicht. Sie hören hindurch. Seien Sie Ihren Gedanken, auch
wenn Sie sie jetzt nicht brauchen können, niemals feindlich ge-
sonnen. Sehen Sie gute Freunde in ihnen — und das sind sie ja
wirklich. Gute Freunde dürfen jederzeit kommen. Sie merken
von allein, wenn sie nicht gebraucht werden — und gehen dann
wieder.
Nach einer Weile - vielleicht erst nach Wochen zweimal täg-
zen so groß wie Segel uf einem Meer. Sie hd Ihre Bra
Meer ist das Sein. Aufihm segeln Sie- mit und durch Ihre Ohren. |
Es ist beglückend, das zu tun. Wie Segeln an einem Sommertag.
Wenn Sie dann Sinn und Ton auslöschen - |

Was hörst Du dann?!


Was hörst Du dann?

ET“cin
PR
®
Vene Diese Übung ist eine Zen-Übung. Zen-Übungen sollte man zwei-
p| maltäglich machen. Zweimal zwanzig Minuten. Sagen Sienicht:
Das kann ich nicht. Tun Sie es einfach. Jeder kann es. Millionen
i tun es. Und weil diese Millionen es einfach tun undnnicht darüber
reden, ahnen die Außenstehenden nicht, daß schon Millionen
meditieren.
Wenn Sie es tun, wird es Ihr Leben verändern. Mehr noch, als
die Liebe es kann.

Es sei die «Erlangung einer zunehmend vertieften intuitiven


Wahrnehmung des wahren Wesens der Wirklichkeit», die uns die
. Meditation erschließe, sagt John Blofeld. Diese Wahrnehmung
führe uns «unweigerlich zu größerer Weisheit und Lebensfreude
.. und zu der Fähigkeit, den Sinn des Lebens besser zu verstehen.
Andere Ziele, dieman vielleicht als Nebenprodukte... betrachten
kann, sind eine Verlängerung oder Wiederherstellung jugend-
licher Kraft, eine ausgezeichnete Gesundheit und eine Verlänge-
rung des Lebensalters auf bis zu hundert Jahre, wobei man sich bis
zum Ende guter Gesundheit und einer glücklichen Gemütsverfas-
sung erfreut.
Ein langes Leben allein mag nicht unbedingt als wünschens-
wert erscheinen, aber in diesem Fall ist es wahrscheinlich nicht
nur von strahlender Gesundheit begleitet, sondern auch von einer
heiteren Ruhe, die jeden Augenblick lebenswert macht, da die ne-
gativen Auswirkungen von Langeweile, Frustration, Verlust,
Angst und Furcht gebannt sind. Außerdem wird ein Mensch, der
frei ist von diesen Auswirkungen, mit aller Wahrscheinlichkeit
geliebt und geschätzt, und sei es nur, weil er keine Sorgen hat, die
er anderen aufzubürden versucht, die ihrerseits das Gefühl haben,
mit den eigenen Sorgen genügend belastet zu sein. Bei alledem
kann er sicher sein, daß er sich zu einem glücklichen Menschen
; = zweifle at daran, daßalle ee Zieleiim Bereich Ei Mae, er

lichen liegen. In vielen abgelagenen Einsiedeleien an den Hängen


eines der zahllosen heiligen Berge Chinas traf ich taoistische Ere-
miten, die außergewöhnlich glücklich, gesund und aktiv für ihre
Jahre waren; sie waren von einer erstaunlichen, fast athletischen
Agilität und bewiesen oft auch große Geschicklichkeit in Kün-
sten wie dem Heilen, der Kalligraphie, Dichtkunst, Musik und
Malerei, dem Selbstverteidigungskampf oder in der gärtnerischen
Gestaltung von Miniaturlandschaften. Sie waren stets von einer
Atmosphäre des Friedens und der Fröhlichkeit umgeben; nur ein
paar Tage bei ihnen genügten schon, um in einem Menschen den
Glauben an den Wert des Lebens wiederherzustellen und neue
Möglichkeiten des Glücks zu eröffnen. All dies rührte von einer
Weisheit her, die der inneren Stille entspringt.» Der durch Medita-
tion gewonnenen inneren Stille, die Eins-Sein schafft.
In der Welt, die sich unseren Sinnen erschließt, gibt es kaum ein
Bild, das Eins-Sein, Einheit so sehr vermittelt wie das einer Mut-
ter, die ihr Kind an die Brust nimmt. Was tut sie? Sie stillt ihr
Kind. Auch dort also hat Eins-Sein mit Stille zu tun. Und auch in
dem anderen Eins-Werden, an das man in diesem Zusammenhang
denken mag, in der Vereinigung der Liebenden, hat die Sprache
Stille entdeckt: Sie stillen einander.
Rilke evoziert in den «Sonetten an Orpheus» «Tiere aus Stille»:
Wesen, die leise sind, um hören zu können. Ihnen gelte es, eine
Stätte im eigenen Sensorium zu schaffen. Rilke hat für diese
Stätte das unvergeßliche Bild eines «Tempels im Gehör» gefun-
den (den wir hier zum «Tempel im Ohr» variieren).
Diesen «Tempel im Ohr»: Du mußt ihn dir schaffen. Und er
muß wirklich ein Tempel sein. Ein Tempel in dir, den du rein
- hältst. Du.bist dieser Tempel.
Nochmals: Niemand kann Klänge so hören, daß er sie als die
wahre Natur der Welt erfährt, wenn er nicht zuvor gelernt hat,
Stille zu hören und Stille zu erfahren. Man kann dasnicht in weni-
gen Minuten oder nur an einem Tag oder in einer Woche lernen.
Die großen Meditierenden — Asiens sowohl wie der Mystik des
europäischen Mittelalters und auch die unserer Zeit — wenden ihr
Leben daran und haben dadurch ein reicheres, erfüllteres, wache-
res Leben gefunden, - jetzt schon - in jedem Augenblick.
Zu Zen gehört Wachheit. Auch die Wachheit durch Schock. Zen
_ muß schockieren. Immer wieder geschieht es, wenn man mit
ecke.wie ich nie zuvor ande klatschen gehö
als ob ein Schuß fällt. Man zuckt zusammen, bleibt für den Rest ;
des Gespräches «getroffen» — von diesem Schuß. Man ist hell-
wach.
Oder es geschieht, daß der Röshi, der Zen-Meister, plötzlich los-
lacht. Wo Sie doch gerade dachten, es sei alles so ungeheuer ernst.
Wer das Gelächter der Zen-Leute ein paarmal gehört hat, findet
alle übrige menschliche Lache im abwertenden Sinne dieses Wor-
tes «lächer-lich». |
Das am meisten schockierende Wort des Zen lautet: «Wenn du
Buddha triffst, schlag ihn tot!» Buddha soll man totschlagen? Ge-
wiß, Buddha im Buddhismus und Jesus im Christentum haben
eine verschiedene Position, aber auch Buddha wird geliebt — mit
allen Fasern des Herzens - des Bauches, des Hara! — buddhistisch-
gläubiger Menschen. Übertragen Sie also ruhig, was diese Auffor-
derung zum Totschlag bedeutet, in unsere Vorstellung—- nämlich:
Wenn du Jesus triffst, schlag ihn tot! Seien Sie ruhig schockiert
darüber. Zen will schockieren. Auch Meister Eckehart hat dar-
über nachgedacht: «Warum wir sogar Gottes ledigwerden sollen.»
Nämlich deshalb: Wenn Buddha - oder Jesus oder Gott - Dich bei
der Meditation, bei Stille, Schweigen und Eins-Werden stören:
dann schlage sie tot!
Der chinesische Weise Li Pu We sagt: «Alle Menschen brauchen
eine Übung des Geistes, um richtig hören zu können. Wer diese
Übung nicht besitzt, der muß sie sich verschaffen durch Lernen.
Daß jemand ohne zu lernen richtig zu hören vermöchte, ist in al-
ter und neuer Zeit noch nie vorgekommen.»

Wie gesagt: Zu Zen gehört Wachheit. Zum Hören von Stille gehört
Wachheit. Wer nicht ganz wach ist, hört nur die Abwesenheit von
Geräusch, — das Fehlen von all den Lauten, die man hört, wenn es
nicht still ist, — also lediglich etwas Negatives.
In Luthers Übersetzung der biblischen Schöpfungsgeschichte
(1. Mose 2,21) steht der Satz: «Da ließ Gott der Herr einen tiefen
Schlaf fallen auf den Menschen. Und er schlief ein ...» Wir verste-
hen das im allgemeinen so: Der Mensch wurde in Schlaf versenkt
- in fast so etwas wie eine frühe «Narkose» —, damit Gott ihm die
Rippe herausoperieren konnte, aus der Er die «Männin» schuf. Da-
nach wachte Adam auf und erblickte — Eva.
Wir haben aber von C. G. Jung, Walter F. Otto, Heinrich Zimmer.
Also: Ada schlief weiter. Wir schlafenimmer noch- was doch
besagen will: Wach war der Mensch vorher, als er androgyn war —
in jenem Eins-Sein, von dem die Mythen so vieler Völker der Erde
berichten — Plato im «Gastmahl», aber auch die Bibel selbst, und
beide offensichtlich auf noch viel ältere Mythen zurückgreifend.
So alt war der Mythos, daß der Erzähler der Genesis ihn nicht im-
mer verstehen konnte. Deshalb berichtet er zwar - ganz im Sinne
des Ur-Mythos: «Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum
Bilde Gottes schuf er ihn, er schuf ihn als Mann und als Weib» (r.
Mose 1,27], aber mißversteht diesen Satz als Schöpfungsakt
zweier geschlechtlich getrennter Wesen, obzwar doch ganz offen-
sichtlich (so interpretiert es auch Julius Evola in seiner bedeuten-
den «Meta-Physik des Sexus») die Einheit gemeint ist. Gott schuf
ein androgynes Wesen. Deshalb ist jaauch - ein oft beanstandeter
Widerspruch - erst im nächsten Kapitel von der Erschaffung der
Eva aus der Rippe Adams die Rede.
Die Spaltung der «Ur-Rasse» (dieses Wort gebraucht Plato) in
Mann und in Frau, die ein Ausdruck ist - vielleicht ihr elementar-
ster — für all die anderen Polaritäten, in die der «schlafende»
Mensch, der rationalistische zumal, gespannt ist, ist der eigent-
liche, der allererste Sündenfall (so sah es auch Jakob Böhme).
Wach - Zen würde sagen: erweckt - ist der Mensch erst wieder,
wenn er die Polarität überwunden hat. Wenn Eins- Sein a
gestellt ist.
Im hebräischen Original steht an der zunächst zitierten Stelle
(1. Mose 2) das Wort tardemah, das sich von radam herleitet: Ver-
stopftsein. Erst später trat die Bedeutung «Schlaf» hinzu. Gott
(diese Urbedeutung schwingt mit) «verstopfte» also den Adam.
Luther hat durchaus richtig mit «tiefem Schlaf» übersetzt, aber
die Septuaginta, die griechische Bibel, wählte an dieser Stelle
Exotaoıg — das Heraustreten des Menschen aus sich selbst, das
durchaus unserem heutigen Wort «Ekstase» entspricht. Man
könnte sagen: Das war ein Übersetzungsfehler, aber auf diesem
Niveau werden keine Fehler gemacht (wie ja auch der frühe isra-
elische Schriftgelehrte, der den Genesis-Mythos nicht genau ge-
nug niedergeschrieben hat, in diesem Sinn keinen Fehler gemacht
hat). Ranke befand: «19 Jahrhunderte können nicht mißverste-
- hen.» Ich möchte deshalb eher von «Schaltstellen des Bewußt-
seins» sprechen: Luther hat - fast anderthalb Jahrtausende spä-
_ ter- wiederzurückgeschaltet, Versteht sich, der «tiefe Schlaf» war
Öfenbar Ehöre fürdie helleriistische Welt zur Vorste
Trennung des Menschen in Mann und Frau zwangsläufig Ekstase,
- so zwangsläufig, daß die griechischen Übersetzer das Original
korrigieren zu müssen meinten. Die Ekstase, als die sie tardemah
verstanden, findet ihren Schatten - ihre Spiegelung, ihr Relikt-in
der Ekstase der Liebesvereinigung, die die polare Gespaltenheit,
wenn auch nur für kurze Zeit, rückgängig zu machen versucht.
Plato spricht im «Gastmahl» von der «an Kraft und Stärke ge-
waltigen ... Ur-Rasse», in der Männliches und Weibliches noch
eine Einheit bildeten, und dann heißt es: «Von so langem her also
ist die Liebe zueinander den Menschen angeboren, um die ur-
sprüngliche Natur wieder herzustellen, und versucht, aus zweien
eins zu machen und die menschliche Natur wieder ganz zu ma-
chen ...» Und etwas später: «Nun liegt aber der Grund für das
Streben nach Vereinigung und Verschmelzung mit dem Geliebten
darin, daß dies gerade unsere ursprüngliche Natur war, in der wir
eine noch unversehrte Einheit bildeten; das Verlangen und Trach-
ten nach dieser Einheit trägt den Namen Liebe.» Liebe also als
eine ferne Erinnerung an das ursprüngliche Eins-Sein des Men-
schen, — eine Erinnerung, die immer wieder aufgefrischt werden
muß-in einer verzweifelten Trotzdem-Haltung-, damit wirihrer
nicht ganz verlustig gehen.
Das wahre Eins-Sein ist ein anderes. Wir besitzen viele Be-
schreibungen des Zustandes der Erleuchtung, und wenn auch of-
fensichtlich ist, daß sie alle nur Näherungen sein können, so darf
doch wohl gesagt werden: Es gibt keine präzisere als: Eins-Seinin
Wachheit. Nicht mehr gespalten sein im Zustand des tiefen Schla-
fes, des hebräischen tardemah. Nicht mehr bedürftig sein der
£rxotaoıg und ihrer ständigen Erneuerung. Durchlässig sein in
Wachheit.
Das ist die Wachheit, auf die Zen zielt. Die Wachheit, in der das
Schweigen zur dröhnenden Orgel des Kosmos wird — wirklich:
zum lautesten Klang des Universums (dieses Wort bedeutet wört-
lich: In-Eins-wenden, Eins-Sein-schaffen). Zur Orgel des Nada
Brahma. Es ist die Wachheit, in der sich unsere Frage beantwortet:
Wer hört all die Klänge, von denen wir gesprochen haben, wo sie
doch so offensichtlich keines normalen Menschen Ohr je hören
wird? Wo ist das Sensorium, für das die Evolution oder Gott- was
ja das gleiche ist — sie geschaffen haben?
Über indische Musik, Jazz, Rock,
Minimal Music —
Samt einem Exkurs über Hermann Hesse

Nada Brahma: Wir haben kosmologisch und physikalisch, mor-


phologisch und biologisch, mythologisch und harmonikal gefragt,
jetzt fragen wir diejenigen, die die Feststellung, die Welt sei Klang,
in besonderem Maße angeht: die Musiker.
Es ist unserer Generation auch in dieser Hinsicht etwas Er-
staunliches passiert. In den gleichen Jahren, in denen uns der
Klangcharakter des Universums bewußt wurde, haben wir ein
neues Verhältnis zur Musik gewonnen. Wir haben Musiken ent-
deckt — oder doch wiederentdeckt —, die eben diesem Klangcha-
rakter auf faszinierende Weise entsprechen. Hans Kayser, als
Schöpfer der modernen harmonikalen Wissenschaft mehrfach in
diesem Buch zitiert, warjahrelang ein Außenseiter- kaum jeman-
dem bekannt. Heute gibt es eine ganze Generation junger Musiker
und Komponisten, die sich auf ihn bezieht.
Es gibt das neue musikalische Bewußtsein in zweierlei Hin-
sicht. Einerseits insofern, als die westliche Welt die Musik Asiens
für sich entdeckt hat, besonders diejenige Indiens, und anderer-
seits insofern, als es eine neue Musik in der westlichen Welt gibt,
die — erstmalig seit der Gregorianik, also seit rund tausend Jahren
— dem Bewußtsein der asiatischen Musik entspricht und gleich-
wohl ganz und gar zeitgenössisch und westlich ist und nichts
mehr weiß und wissen will von dem schrecklichen Wort Adornos,
die Unmenschlichkeit der Kunst müsse die Unmenschlichkeit
der Welt überbieten.
Zunächst einmal sind einige der großen Meister der klassischen
indischen Musik — der Sarod-Spieler Ali Akbar Khan, der Sitar-
Spieler Ravi Shankar, der Sänger Pandit Pran Nath, der Tabla-Spie-
ler Alla Rakha, die Geiger L. Shankar und L. Subramaniam —
«Stars» des europäischen und amerikanischen Musikbetriebes
geworden, die die Konzertsäle ähnlich füllen wie ein Daniel Baren-
ae Bde fünfzehn a her, daß die Musik Asiens-und Ge
die indische —westlichen Ohren unerträglich und als monotones _
Lamentieren erschien.
Noch wichtiger freilich als die «Stars» sind die Hunderte von
indischen Musikern, die sich in Städten der westlichen Welt —
nicht nur in New York und Los Angeles, sondern auch in Mün-
chen und Berlin, in Paris und Lyon, in London und Edinburgh, in
Wien und Salzburg und inzwischen bereits in der Provinz -nieder-
gelassen haben und von dort unser Musikleben durchdringen. Es _
ist mittlerweile in der westlichen Welt kaum schwieriger, einen
indischen Tabla- oder Sitar-Spieler zu finden als einen guten Celli-
sten oder Waldhornisten.
Auf den Parties junger Menschen kann man heute Platten mit
indischer Musik fast mit der gleichen Selbstverständlichkeit hö-
ren wie die neuesten Rock-Aufnahmen. Der jungen Generation
geht indische, aber auch arabische, balinesische, japanische Koto-
Musik ein, als entstamme sie ihrem eigenen Lebensraum - ja sie
ist jener Sphäre zugehörig, die ihre eigene neue Kultur umfaßt.

Alain Danielou, jahrelang Leiter des Instituts für Vergleichende


Musikwissenschaft in Berlin, erkannte schon vor Jahren: «Der
Westen hat den Indern ihre Musik gerettet. In dem Moment, in
dem die klassische indische Musik in Indien zugrunde zu gehen
drohte, hat der Westen sie entdeckt. Dadurch haben nun auch die
Inder wieder ein neues Bewußtsein ihrer eigenen Musiktradition
gewonnen.»
Indische Musiker, die im Westen wohnen, leben in erster Linie
davon, daß sie Unterricht geben. Man muß sich das vergegenwär-
tigen: Da sind Tausende, ja Zehntausende junger Menschen in der
westlichen Welt, die indische Musik und indische Instrumente
spielen lernen! Und natürlich lernen sie nicht nur die Musik und
die Instrumente. Denn das ist nicht möglich. Schon Ravi Shankar
stellte fest: «Du kannst indische Musik nicht lernen, ohne nicht
auch in die indische Denkweise einzudringen. Beides gehört zu-
sammen. Eines geht nicht ohne das andere.»
Eben deshalb lernen ja die meisten dieser jungen Menschen in-
dische Musik: weil sie von indischer Spiritualität betroffen sind.
Hermann Graf Keyserling wies bereits 1921, also lange bevor
die heutige Welle asiatischer Spiritualität und Musik um die Erde
ging, darauf hin, daß «indische Musik eine weite, unermeßliche
198
ste leben. Man hört, ne man den Wechsel der Töne folgt, in
Wahrheit sich selber zu.»
Ravi Shankar schreibt in seiner Biographie: «Unsere Tradition
lehrt uns, daß der Klang Gott ist - Nada Brahma. Das bedeutet,
daß der Klang von Musik und musikalischeErfahrungSchrittezur
Selbstverwirklichung sind. Wir betrachten die Musik als eine Art
geistiger Disziplin, die das innere Wesen eines Menschen zu gött-
lichem Frieden und Glückseligkeit erhebt. Wir lernen, daß eines
der fundamentalen Ziele, die der Hindu in seinem Leben anstrebt,
die Kenntnis der wahren Bedeutung des Universums ist— sein un-
veränderliches, ewiges Wesen -, und dies erreicht man zuerst
durch eine völlige Kenntnis seiner selbst und seiner eigenen Na-
tur. Das höchste Ziel unserer Musik besteht darin, das Wesen des
Universums zu enthüllen, das sie widerspiegelt, und die ragas ge-
hören zu den Mitteln, mit denen dieses Wesen erfaßt werden
kann. So ist es möglich, durch die Musik Gott zu erreichen.»
An anderer Stelle desselben Buches heißt es: «Es mangelt nicht
an schönen Geschichten, die berichten, wie große oder heilige
Musiker wie Bajiu Bavare, Swami Haridas oder Mian Tan Sen
Wunder vollbrachten, indem sie bestimmte ragas sangen. Es
heißt, daß manche Feuer oder Öllampen anzünden konnten,
wenn sie einen raga sangen, oder Regen herbeirufen, Steine zum
Schmelzen und Blumen zum Blühen bringen, gefährliche wilde
Tiere anlocken - sogar Schlangen und Tiger -, die sich im Wald zu
einem ruhigen, friedlichen Kreis um den singenden Musiker ver-
sammelten. In unserem modernen, mechanischen, materialisti-
schen Zeitalter erscheint all das wie eine Sammlung von Mär-
chen, doch ich glaube fest daran, daß all diese Geschichten wahr
‚sind und möglich waren, vor allem, wenn man in Betracht zieht,
daß diese großen Musiker nicht einfach Sänger oder Interpreten
waren, sondern auch große Yogis, deren Geist die völlige Kon-
trolle über ihren Körper hatte. Sie kannten alle Geheimnisse des
Tantra, Hatha Yoga und anderer Formen okkulter Macht, und sie
waren reine, heilige Gestalten. Das ist die wundervolle Tradition
unserer Musik.»
Und der Musikwissenschaftler Gerhard Nestler erklärt: «Ein-
stimmige Musik, auf nicht festgelegter Tonhöhe, mit ihrer breiten
Skala von Zwischen- und Obertönen, hat eine breitere Ausdrucks-
basis als mehrstimmige mit ihren fixierten Tonhöhen und als in-
tervallmäßig geordnete Musik, als also letztlich die herkömm-
. Das bol s
4
Macndch aus der Fülle dessen, was der Kosmos Dre aus-
wählt. Solche Musik entsteht aus der polaren Spannung zwi-
schen Hörbarem und Unhörbarem.»
Stärker als irgendeine andere ist diese Musik dadurch geprägt,
daß sie Ausschnitt ist aus einer ewigen Musik. Sie besitzt Stell-
vertreter-Funktion für das Unhörbare. Sie ist anahata nad - im
Gegensatz zum ahata nad. Anahata heißt «nicht angeschlagen»,
ahata nad ist also der Klang, der durchs Anschlagen — durch ma-
re
ET terielle Klangerreger — entsteht, während der anahata nad der
ewige Klang ist: der «Klang des Universums», der Nada Brahma.
In einem der alten Bücher des japanischen Buddhismus, dem
«Shoji Jisso-gi» — zu deutsch etwa: Der wahre Sinn menschlichen
N
ee
6
n€222
Gesanges - finden wir folgende Passage: «Buddhas Stimme kön-
nen wir nicht mehr hören. Und doch können wir immer noch
Stimmen hören, die der seinen nahekommen. Wenn alle Dinge in
dieser Welt, die eine Stimme haben, zusammen ihre Stimme erhe-
ben, indem sie zwar ihren persönlichen Charakter bewahren, aber
sich in einem einzigen großen Klang verbinden, dann kommen
wir dem Klang von Buddhas Stimme am allernächsten.»
Wenn Zen-Mönche beim sogenannten Shomyo-Ritual in
. einem der Klöster der buddhistischen Shingon-Sekte singen,
' dann spürt man in überwältigender Weise, daß sie diese Anwei-
sung des «Shoji Jisso-gi» wörtlich nehmer Sie wollen dem Bud-
dha-Klang nahekommen - der identisch ist mit dem Brahma-
Klang, dem Nada Brahma. Pandit Pran Nath, der große in New
York lebende Sänger der indischen Kirana-Gesangsweise, sagt oft
bei seinen Konzerten und zu seinen Schülern: «Nada Brahma.
Sound ist Gott. Klang ist Gott. Mache das durch Gesang deut-
lich. Meditiere darüber. Wasche dadurch dein Karma rein. Singe
so, daß die Menschen dies verstehen — auch wenn du es ihnen
nicht vorher sagst: Klang ist Gott. Nada Brahma.»
Und Allauddin Khan, einer der bedeutendsten Musiker der
nordindischen Musik, erzählt, daß sein Vater 22 Jahre lang «ohne
Unterbrechung» gelibt habe, und er fügt hinzu: «Natürlich war
das ein Üben nicht nur von Musik, sondern auch ein geistiges
Üben. Es war wie Meditation. Aber es war auch Musik. Mein Va-
ter, Ustad Hafiz Ali Khan, war ein tief religiöser Mann. Er lehrte
mich, daß Musik nicht zur Unterhaltung da ist, sondern daß sie
ein Gebet darstellt. Er glaubte fest daran, daß durch Musik <Ta-
seer: entstehen kann, jene unbeschreibliche Qualität, die die in-

200
"Er:
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BURN WIR NL2EC 3 TE RR TN ;
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In den ee Maker Familien Indiens gibt es die seit Jahr-
hunderten gepflegte «Zeremonie des Bindens der Ganda»: einer
Schnur, die Schüler und Guru- oft sind das Sohn und Vater- auf
Lebenszeit symbolisch aneinander bindet. Dazu muß der Sohn ge-
loben, daß er seine Kunst niemals entweihe und sie nicht zu
leichtfertiger Unterhaltung verwende oder gar an Unterhaltungs-
Sängerinnen und Tanzmädchen weitergebe.
Weil das Spielen indischer Musik ein Anders-Denken und ein
Umdenken impliziert, ist es so langwierig, indische Musik zu ler-
nen. Ustad Allauddin Khan («Ustad» bedeutet Lehrmeister und
ist - in etwa - ein Moslem-Äquivalent zu dem Hindu-Ausdruck
«Pandit», auch zu «Guru») erzählt, daß er zwölf Jahre lang nichts
anderes als sargana, palta und murchana (Solfeggien, Tonleitern
und Übungen) gelernt habe. Täglich habe er sechzehn bis zwanzig
Stunden geübt. «Manchmal band ich beim Üben mein langes Haar
mit einer Kordel an einen Ring in der Zimmerdecke. Wenn ich
dann einnickte, spannte sich die Kordel an meinem Haar, sobald
mein Kopf sich vorneigte, und weckte mich.» Ravi Shankarhat an
seinen ersten Ragas vier Jahre lang geübt: «Heute würde ein Schü-
ler schon murren, wenn er vier Wochen damit zubringen müßte!»
Ali Akbar Khan erzählt, daß ertäglich vierzehn bis sechzehn Stun- n
den üben mußte. Weil er als Kind gerne fortgelaufen sei und ge-
spielt habe, hätte sein Vater ihn oft mit einem Seil festgebunden.
Ravi Shankar berichtet über seine Ausbildung bei Allauddin
Khan: Von morgens vier bis gegen sechs mußte er Grundtonlei-
tern üben, dann badete er, hielt seine Morgenandacht, aß zwei ge-
kochte Eier und ein Stück indisches Brot. Um sieben erschien er
beim Ustad und hatte bis zehn oder elf Uhr Unterricht; Shankar
weist ausdrücklich darauf hin, daß «völlige Demut und Hingabe
an den Guru verlangt» wurde, «ein vollkommenes Abstreifen des
Ego. Der Schüler ist nur der Empfangende.» Dann nahm er ein
Mahl], ruhte sich kurz aus und übte für sich allein weiter - wieder
drei bis vier Stunden. Nachmittags rief der Ustad erneut zum Un-
terricht - der mindestens drei Stunden dauerte.
«Meine einzige Unterhaltung waren Spaziergänge am Fluß mit
Ali Akbar Khan ...» — «Gegen halb acht nahmen alle das Abend-
essen ein, dann übten wir wieder einige Stunden.» — «Wenn wir
- Unterricht hatten, verloren wir jeden Zeitbegriff. Oft weinten wir
wegen der intensiven Schönheit der Musik, und keiner wäre auf
- dieldee gekommen, den Zauber zu stören.» - «Daher würde ich sa-
201

Et
schen Musik Heife und Vollendune zu ech > er: :
Das Gefühl, in dem der Schüler und Student Indschen) Musik {
aufwächst, ist- in stärkerem Maße noch als bei anderen Musikar-
ten- das der Verantwortung: Falsche Töne, ungenaue Rhythmen,
verwischte Verzierungen, Unaufmerksamkeit, fehlende Konzen-
tration, Mangel an vinaya — an Demut, Respekt, Bescheidenheit,
Hingabe - stiften Verwirrung und führen letztlich zum Chaos,
nicht nur in der Musik, sondern auch in der Welt. Als Narada, der
wohl früheste der großen Musiker Indiens, dessen Geschichte im
Dunst des Mythos versinkt, nach jahrelanger Arbeit davon über-
zeugt war, ein Meister geworden zu sein, führte Gott Vishnu ihn
zur Wohnstätte der Götter. Dort «sah er viele Männer und Frauen
mit gebrochenen Gliedern. Alle weinten über ihren Zustand.
Vishnu ging zu ihnen hin und fragte sie, was ihnen fehle. Sie ant-
worteten, sie alle seien Geister von Ragas und Raginis ... aberein
gewisser Narada, der Musik weder richtig spielen noch verstehen
könne, habe durch seinen Gesang ihre Glieder verrenkt und gebro-
chen. Und sie sagten weiter, wenn nicht ein wirklich großer und
geübter Musiker käme, um ihre Tonfolgen noch einmal richtig zu
. singen, würden sie nie wieder ihre unbeeinträchtigte Ganzheit
und Gesundheit erlangen. Als Narada das hörte, war er tief be-
schämt, und in aller Demut kniete er vor Vishnu nieder und bat
um Vergebung».

An dieser Stelle ist ein Einwurf zur musikhistorischen Ortung


asiatischer Musikkulturen — vor allem derjenigen Indiens, aber
auch der arabischen Welt sowie derjenigen Balis und Javas, Chinas
und Vietnams, Koreas und Japans— notwendig. Sieallesind klas-
sische Musiken, und es verrät - im genauen Sinne dieses Begrif-
fes — «kolonialistisches» Denken, wenn jemand sie als «Folklore»
bezeichnet. Man hört das ja oft, wenn irgendwo klassische indi-
sche Musik erklingt: da spiele jemand — etwa Ravi Shankar - «in-
dische Folklore». Das ist ein wenig so, als bezeichne man ein Di-
vertimento von Mozart als Salzburger Folklore, eine Oper von
Verdi als Mailänder oder ein Schubert-Lied als Wiener Folklore.
Klassische indische Musik- auch die alte Musik Persiens oder die
große Beduinen-Musik des Magrebh — Folklore zu nennen, ist
Hochmut. Es klingt so, als gäbe es musikalische Klassik aus-
schließlich bei uns, im altehrwürdigen Abendland. All die ande-
ren haben: Folklore. (Natürlich gibt es auch in Indien Popular-,
202...
Viele der großen außereuropäischen Musikkulturen sind der
unseren nicht nur ebenbürtig, sondern in bestimmten Bereichen
überlegen. Rhythmisch zum Beispiel sind afrikanische und indi-
sche Musiken reicher als nahezu alles, was es in Europa gibt.
Selbst die längsten tälas — die rhythmischen Reihen der indi-
schen Musik -, tälas etwa von achtzig oder hundert Schlägen, die
auf die komplizierteste Weise untergliedert werden — können
nicht nur von indischen Musikern, sondern auch vom Publikum
derartiger Musikdarbietungen in jedem Schlag nachvollzogen
werden, während doch das westliche Publikum bei allem, was
über Dreier- oder Vierer-Metren, und die westlichen Musiker bei
dem meisten, was über Fünfer- und Siebener-Metren hinausgeht,
unsicher werden. Im Nahen Osten, in Indien, in Afrika, in Indone-
sien kann man auf der Straße junge Burschen sehen, die auf selbst-
gebastelten Perkussionsinstrumenten — aus Eimern, Kannen,
Benzinkanistern, Metallfässern, Kochtöpfen, Konservenbüchsen
sinnvoll zusammengefügt — mit Armen und Beinen die kompli-
ziertesten Polyrhythmen mit absoluter Genauigkeit anschlagen,
sieben oder acht verschiedene Rhythmen einander überlagernd.
Um etwas annähernd Ähnliches im Raum der westlichen Musik
zu realisieren, bräuchte man ein halbes Dutzend verschiedener,
hoch-studierter Perkussionisten, von denen dann jeder einzelne
seinen Part stur durchschlagen würde, — wobei, versteht sich, der
Schwung und die Vitalität der orientalischen Darbietung gar nicht
erst aufkämen.
Auch in tonaler Hinsicht ist die indische Musik reicher als un-
sere europäische, weil sie über Mikrotöne verfügt; die Anzahl der
Töne ist um etwa das Doppelte größer als bei uns. Indische Ohren
sind noch nicht durch die Annäherungswerte unserer «wohltem-
perierten» Skala verdorben. Sie hören die Töne, die für uns durch
einen langen Abschleifungsprozeß «gleich» geworden sind — also
zum Beispiel ein dis und ein es oder ein fis und ein ges- als durch-
aus verschiedene.
Zur westlichen Vorstellung von musikalischer Kultur gehört
Geschichte. Auch in dieser Hinsicht sind viele der außereuropäi-
schen Musikkulturen uns überlegen. Die große Musik der Bedui- $
1

nen und des westarabischen Magrebh war im ı1. Jahrhundert in


ihrem ganzen Reichtum fertig ausgeprägt - zu einer Zeit also, als
_ die europäische Musikgeschichte noch kaum begonnen hatte.
_ Und die klassische indische Musik läßt sich bis ins 7. Jahrhundert
h hi
en erstreckt. Esist an derZeit, daß eh est
. hörer dies vergegenwärtigen, damit sie bescheidener werdeninih-
' rem seit Generationen gedankenlos nachgeplapperten Anspruch,
Musikkultur — zumal das, was wir «Klassik» nennen - für sich
gepachtet zu haben.

Das neue musikalisch-spirituelle Bewußtsein äußert sich freilich


nicht nur insofern, als wir die Musik Asiens hören und diese Mu-
sik in den Philharmonien Europas und Amerikas erfolgreich ge-
worden ist — noch offensichtlicher wird es in der Tatsache, daß
zahlreiche Musiker der westlichen Welt es praktizieren. Der erste
war ein Jazz-Musiker, der große 1967 verstorbene Tenor- und So-
pransaxophonist John Coltrane. Seine Wirkung strahlte bis in die
Rock- und Pop-Musik aus, ja überhaupt in das Bewußtsein junger
Menschen (auch, wenn viele von ihnen den Namen Coltrane noch
nie gehört haben). John Coltranes bekanntestes Stück ist «Love
Supreme», 1965 entstanden — mit einem Text, den er selbst ge-
schrieben hat. Hier ein Ausschnitt daraus:

«Ich will alles tun, was ich kann, um Deiner,


Oh Herr, wert zu sein.
Alles, was ist, hat mit Dirzu tun,
Danke Dir, Gott.
Gott ist. Er war seit je. Er wird immer sein.
Worte, Klänge, Sprache, Menschen, Erinnerung,
Gedanken, Angst, Zeit:
Es ist alles miteinander verwandt...
Es ist alles durch Einen gemacht,
Alles in Einem gemacht, —
Gesegnet sei Dein Name.
Gedankenwellen - Herzwellen - alle Schwingungen —
alle Wege führen zu Gott. Danke Dir, Gott.
Die Tatsache schon, daß wir existieren,
ist Beweis Deiner Gegenwart, oh Herr.
Gott atmet durch uns so vollständig—
Und doch so zart, daß wir es kaum fühlen.
Er ist alles, was wir sind.
Danke Dir, Gott...
Auci CF 13 nsc

im Sturm und im Regen:


Überall ist Gott.
Er ist auf allen Wegen und immer da.
Alles Lob sei Dir, oh Gott.
Danke Dir, Gott, Amen.»

Man kann heute die revolutionäre Bedeutung eines solchen Tex-


tesin einem Jazz-Stück kaum mehr nachvollziehen. Denn inzwi-
schen sind wir daran gewöhnt, daß Jazz-Musiker derartige Gedan-
ken äußern und Texte dieser Art schreiben und vertonen. Wirha-
ben uns damit vertraut gemacht - eben durch John Coltrane. Vor
1965 gingesin den Texten der Stücke, dieman von Jazz-Musikern
hörte, um Liebe, Treue und Lust, und man konnte schon dankbar
sein, wenn sie sprachlich einigermaßen in Ordnung waren.
John Coltrane, so der amerikanische Kritiker Ralph Gleason in
einem oft zitierten Ausspruch, hat «das musikalische Bewußtsein
der jungen Menschen der westlichen Welt von Amerika nach
Asien verlagert». Mittlerweile gibt es ganze Generationen junger
Jazz- und Rock-Musiker in den USA und Europa, die — von Col-
trane herkommend - die asiatische Musik, vor allem die Indiens,
aber auch die der arabischen Welt, so genau — oder fast so genau—
wie ihre eigene musikalische Tradition kennen und souverän dar-
' über verfügen.
Das, was all diese Musiker spielen — die asiatischen wie die
westlichen —, unterscheidet sich von der traditionellen europäi-
schen Musik dadurch, daß es «modal» ist, das heißt, es basiert
nicht auf den ständig wechselnden Akkordgerüsten, die unserer
abendländischen Musik unterliegen, sondern auf einer «Skala» —
einer mode-letztlich auf einem einzigen Akkord —, will sagen: es
ist sehr viel ruhiger, sehr viel weniger «nervös» (wenn ich dieses
Wort einmal ohne Wertung, einfach auf das menschliche Nerven-
system bezogen, verwenden darf) als unsere Musik, die ja dies
eben ist: auf Nerven bezogen. Modale Musik hat mit einer be-
stimmten geistigen — einer spirituellen — Haltung zu tun. Der
deutsche Musiker Karl Berger, der in Woodstock im Staate New
York eine bekannt gewordene Schule für «Weltmusik» leitet,
sagt: «Modal spielen ist eben nicht nur «modales Spielem. Du
"kannst nicht einfach anstelle der bisherigen Akkordgerüste mo-
dale Skalen verwenden und darüber improvisieren und glauben,
Y f
rüde.
Als ich bei einem a in Washington über den kulturel- 4
len Beitrag Amerikas in der Welt die Diskussion auf das Thema
der Modalität in der heutigen amerikanischen Musik lenkte,
stand der schwarze Tenorsaxophonist Nathan Davis, Universi-
tätslehrer an der Pittsburgh University, auf und sagte: «Modal-
Spielen hat mit Spiritualität zu tun, —- und was wir wirklich mei-
nen, wenn wir Spiritualität sagen, das ist Religiosität. Wir ver-
wenden nur nicht dieses Wort, weil wir nicht das meinen, was die
christliche Welt unter Religiosität versteht.»
Was junge Musiker heute unter Spiritualität verstehen, wirdin
dem Text von John Coltrane, den ich zitiert habe, beispielhaft
deutlich. Es gibt diese Spiritualität inzwischen in vielen Arten
westlicher Musik, längst auch außerhalb des Jazz, — zum Beispiel
U
Eine im Rock. Als Beispiel sei Santana, die Gruppe eines in San Fran-
cisco lebenden Gitarristen mexikanischer Abstammung, ge-
nannt. Eines seiner erfolgreichsten Werke heißt «Caravanserai»,
und Santana hat deutlich gemacht, daß die «Karawanenreise»,
Ye
a
von der die Musik handelt, ein Gleichnis ist für eine Reise der
Seele in neues, noch unerschlossenes Land. Es ist auffällig, daß es
solche «Seelenreisen» seit der zweiten Hälfte der sechziger Jahre
immer häufiger in der westlichen Musik gibt. Der Jazz-Musiker
Wayne Shorter sagt von seiner «Odyssey of Iskra»: «Das Stück
handelt von der Odyssee eines westafrikanischen Odysseus na-
mens Iskra. Vielleicht kannst du diese Musik auf die Reise deiner
eigenen Seele beziehen.»
Und ein anderer Jazz-Musiker, der Pianist McCoy Tyner, nannte
eine seiner Kompositionen «Sahara» und zitierte dazu den ara-
bischen Historiker Ibn Khaldoun: «Diese Wüste ist so groß, daß es
ein Leben dauert, sie von einem Ende zum anderen zu durchque-
ren. Und selbst an ihrer schmalsten Stelle braucht man noch eine
Kindheit dazu.»
Es ist offensichtlich: die Wüste, die Karawane, die Odyssee sind
Symbole für die Reise, die uns in dieser Generation auferlegt ist—
die Reise in die Welt eines neuen Bewußtseins. «Eternal Caravan
of Re-incarnation» heißt der Eröffnungssatz von Santanas «Cara-
vanserai»: die ewige Karawanenreise der Wiederverkörperung.
Von Sufi Hazrat Inayat Khan (die Sufis sind wir erinnern uns —
die zumeist aus Persien stammenden Mystiker des Islam) gibt es
einen Text, der seit dem Ende der sechziger Jahre unter vielen Mu-
IR sikern der westlichen Welt zirkuliert. Vollständig erscheint ernur
’ |
R 206
tigt in T
ikchı und Bitetviews, begegnetmanihm überall; Mu-
' siker legen ihn gelegentlich ihren Weihnachts- Glückwünschen
oder Geburtstagsgrüßen bei. Dieser Text umreißt das musika-
lische und spirituelle Bewußtsein der jungen Musiker-Generation
präzise und repräsentativ wie kein anderer. Hiereinige Abschnitte
daraus:
«Was wir in unserer Alltagssprache Musik nennen, ist nur ein
miniaturhafter Ausschnitt — aus der Musik und der Harmonie des
Universums, die hinter allem wirkt und die die Quelle und der
Ursprung der Natur ist.
Deshalb haben die Weisen aller Zeitalter Musik als heilige
Kunst betrachtet. In der Musik kann der, der zu sehen versteht,
das Bild des Universums erkennen ...
Viele Religionen der Welt haben uns gelehrt, daß der Ursprung
der Schöpfung Klang ist. Aber es ist kein Zweifel: Die Art, in der
dieses Wort Klang in unserer Alltagssprache gebraucht wird, ver-
schleiert die ursprüngliche Bedeutung dieses Wortes, wieesin den
alten Schriften verwendet wird.
Die Musik des Universums ist der Hintergrund jenes so viel
kleineren Phänomens, das wir auf dieser Erde als «Musik» empfin-
den. Unser Gefühl für Musik - die Art, in der sie uns anspricht —
zeigt uns, daß die wahre Musik in der Tiefe unseres Seins ruht.
Musik ist im Wesen des Universums. Musik ist nicht nur das
eigentliche große Objekt des Lebens, sie ist dieses Leben selbst.
Was uns hinzieht zur Musik, ist die Tatsache, daß unser inner-
stes Wesen Musik ist. Unser Geist und unser Körper und die Na-
tur, in der wir leben; die Natur, die uns gemacht hat; all das, was
über uns und unter uns und um uns herum ist: all dies ist Mu-
sikiä
Wir sagen, daß wir die Natur lieben. Aber was an der Naturlie-
ben wir? Ihre Musik. Es ist etwas in uns, das berührt wird von der
rhythmischen Bewegung und der vollkommenen Harmonie, die
wir in unserem Alltagsleben so selten finden...
Wenn man den Kosmos betrachtet, die Bewegungen der Sterne
und Planeten, das vollkommene und ewige Gesetz der Schwin-
gungen und Rhythmen, dann wird uns bewußt, daß das kosmi-
. sche System nach dem Gesetz der Harmonie, das heißt: nach dem
der Musik funktioniert.
Wann immer die Harmonie des kosmischen Systems gefährdet
"wird, kommen Katastrophen über die Welt. Wir spüren das an den
1.
Weisheit des astrologisch en Gesetzes, die Weisheit von Ma
Mystik basieren auf Musik. Deshalb ist das Leben der Seuche “7
ten Menschen, die auf dieser Erde gelebt haben— das der großen
Propheten Indiens zum Beispiel— Musik gewesen. Aus der Minia-
turmusik, die wir verstehen, leiteten sie die kosmische Musik des
Universums ab. Das hat sie inspiriert zu ihren großen geistigen
Leistungen ...
Jeder Mensch ist Musik — ewige Musik — Tag und Nacht erklin-
gend. Intuitive Wesen können diese Musik hören. Aus diesem
Grunde gibt es Menschen, die dich abstoßen, und andere, die dich
anziehen. Was dich in Wirklichkeit abstößt oder anzieht, ist die
ALLEN
Musik, die in einem Menschen schwingt.
Die folgende Geschichte handelt von Omar, dem großen Kalifen
Arabiens. Jemand wollte ihm etwas Böses antun und suchte nach
kF
ihm. Omar wohnte, obwohl er ein König war, nicht in seinen Palä-
sten, sondern in der Natur. Das wußte der Mann, der Omar verlet-
zen wollte, und er war froh darüber, denn er dachte, dies würde
seine Aufgabe erleichtern. Aber als er sich dem Platz, an dem
ee
FE
AR
it?
Omar saß, näherte, bemerkte er: Je näher er kam, desto mehr ver-
änderte sich seine Einstellung. Und als er Omar erblickte, fiel ihm
sein Dolch aus der Hand, und er sagte: «Ich kann dich nicht verlet-
zen. Sage mir, was ist die Kraft in dir, die mich daran hindert, das
zu tun, um dessentwillen ich gekommen bin?> Und Omar antwor-
tete: «Mein Eins-Sein mit Gott».
Was meinte Omar mit diesem Eins-Sein mit Gott? Er meinte:
Eingestimmt sein auf die Unendlichkeit. In Harmonie sein mit
dem Universum. Mit anderen Worten: Omar empfing die Musik
des Universums ...
Das Charisma, das die Persönlichkeit der Heiligen zu allen Zei-
ten umgeben hat, liegt darin, daß sie empfänglich sind für die Mu-
sik des Seins. Darin liegt ihr Geheimnis...
Der Unterschied zwischen der materialistischen und der spiri-
tuellen Sehweise liegt darin, daß der materialistische Gesichts-
punkt zuerst die Materie sieht und glaubt, daß Intelligenz und
Schönheit und alles andere sich daraus entwickelt hätten. Aber
der spirituelle Gesichtspunkt verrät uns, daß Intelligenz und
Schönheit zuerst kommen- und aus ihnen hat sich alles andere
entwickelt. Deshalb liegt Musik im Wesen des Seins, — auf dem
Grunde von allem, was existiert. Jeder weiß, daß der Samen einer
Rose seiner Essenz nach die Rose selbst ist. Ihr Wohlgeruch, ihre
Form, ihre Schönheit sind in ihm enthalten. Und selbst wenn rs |
208
ee

Die Erfahrung der Harmonie und des Eins-Seins kann ein


Mensch überall machen: in der Schönheit der Natur, in den Far-
ben der Blumen, in allem, was er sieht, und in allem, dem er begeg-
net. In den Stunden der Meditation und der Einsamkeit. Und in
den Stunden, in denen er inmitten der Welt ist. Überall spürt er
Musik. Erfährt er voll Freude ihre Harmonie ... Indem er die Mau-
ern, die ihn umgeben, niederbricht, erfährt er das Eins-Sein mit
dem Absoluten. Dieses Eins-Sein ist eine Manifestation der Mu-
sik der Sphären.»
Der zeitgenössische westliche Musiker, der zum erstenmal auf
diesen Text hingewiesen hat — für mich jedenfalls war er der erste,
aber ich weiß, daß er es auch für viele andere gewesen ist —, ist der
Trompeter Don Cherry. Erhat eine für diese ganze Generation von
Musikern beispielhafte Entwicklung durchgemacht: vom Jazz
mit seiner Bindung an die Blues-Musik der schwarzen Ghettos
und die Gospel-Klänge der Baptistengemeinden zu immer größe-
rer musikalischer und spiritueller Offenheit, in der sich die Kultu-
ren der ganzen Welt zu einem Mosaik zusammenfügen, das Eines
ist— ein einziges großes Ganzes. Don Cherry lebt, wieinzwischen
Tausende von Musikern in der ganzen Welt, in einer musika-
lischen und geistigen Überlieferung, in der es ihm unmöglich ge-
worden ist, nachzuvollziehen, daß irgendein kultureller Strom
oder Zweig esoterischer, abgelegener, «exotischer» sein könnteals
ein anderer. «Für wen exotisch», fragte er einmal, «sie für dich
oder du für sie?»
Don Cherrys musikalischer Weg ist eng mit meinem eigenen
verknüpft. In Amerika hatte er nur mit kleinen Gruppen spielen
können - in Trios und Quartetten. Deshalb bot ich ihm seit der
Mitte der sechziger Jahre in Konzerten und Produktionen im Rah-
men des New Jazz Meetings Baden-Baden, der Berliner Jazztage
und der Donaueschinger Musiktage die Möglichkeit, seine Ideen
in einer Reihe großorchestraler Werke zu realisieren.
In der von Cherry für die Donaueschinger Musiktage 1971 ge-
schriebenen Suite «Humus — The Life-Exploring Force» gibt’es
den Satz «Siddhartha» — nach Hermann Hesses gleichnamigem
Buch —, und damit ist nun endlich ein anderer Name gefallen, der
fallen muß, wenn von dem Neuen Bewußtsein die Rede ist. John
Coltrane und Hermann Hesse: das sind die beiden, die dieses Be-
wußtsein zwar nicht begründet haben - es ist Jahrtausende alt —,
von denen es aber die jungen Menschen der westlichen Welt neu
Bi; 209
Für das Verständnis ee enlietensieche> zZ
hateseinneuespolitischesund gesellschaftliches Selbstverständ-
nis gebracht; aber es hat auch den Weg zu einer neuen geistigen
und spirituellen Sensibilität bereitet - und inzwischen scheintes,
daß diese bleibender ist als jenes. Es war das Jahrzehnt, an dessen
Anfang - 1961 -John Coltrane mit «My Favourite Things» seinen
ersten großen Erfolghatte und in dem, eben noch als schwäbischer
Biedermann von der Literaturkritik mißachtet, Hermann Hesse
zum meistgelesenen Schriftsteller deutscher Zunge avancierte.
In einem seiner «Märchen» spricht Hesse von einem Weisen der
Vorzeit, der «die Einheit der Welt als einen harmonischen Zusam-
menklangderHimmelsräume vernommenhabe». Bereits 1925 fin-
det sich bei ihm das Bild von der «weitschwingenden Weltmusik
der Sterne». Und über sein «Glasperlenspiel» sagt er, daß in ihm
«der Kultus der Musik und des Meditierens aufs innigste zusam-
menhängt». Dem jungen Josef Knecht, dem Helden dieses Buches,
verwandeltsich beim Meditieren die Weltin Töne, verwandeltsich
der Gang der Noten in mathematische Figuren, in rhythmische
Ornamente. Man könnte sagen, die Musiker der zeitgenössischen
Minimal Music - mehr über sie später — haben einfach die An-
weisungen des «Glasperlenspielers» Josef Knecht befolgt und sind
dadurch zu ihrer Musik gekommen - wie zum Beispiel der Kompo-
:nist Peter Michael Hamel.
Hamel hat eine in jeder Hinsicht ingeniöse musikalische Realı,
sation von Hesses Gedicht «Orgelspiel» geschaffen, das zu den
poetischen Vorstufen des «Glasperlenspiels» gehört. Ich kenne
keinen Literaten, keinen Literaturwissenschaftler, der diesen
Text so genau, so liebend erfaßt hätte wie der Musiker Peter M.
Hamel. Er — und die Mitglieder seiner Gruppe Between — ordnen
den drei Ebenen des Textes drei verschiedene Klangebenen zu.
Zum ersten Teil von Hesses Text gehört die Orgelmusik der alten
Meister aus Johann Sebastian Bachs Zeit, auf einer Kirchenorgel:
gespielt; der zweite Teil, swingend auf elektronischen Keyboards
gespielt, nach wie vor über das gleiche Thema, handelt von den
«anderen Klängen» und den «anderen Festen» der jungen Men-
schen von heute, und der dritte Teil hebt beides, Tradition und
Moderne, auf eine «zeitlose» Ebene. Wer Hamels Musik zu Her-
mann Hesses «Orgelspiel» hört, erlebt und erfährt diese drei Ebe-
nen — und das heißt: er erfährt dien Text -unmittelbarer, alses.
je beim bloßen Lesen möglich sein könnte. Hier einige Abschnitte
210
Orgelspiel

Seufzend durchs Gewölbe zieht, und wieder dröhnend,


Orgelspiel. Andächtige Gläubige hören,
Wie vielstimmig in verschlungenen Chören,
Sehnsucht, Trauer, Engelsfreude tönend,
Sich Musik aufbaut zu geistigen Räumen,
Sich verloren wiegt in seligen Träumen,
Firmamente baut aus tönenden Sternen,
Deren goldene Kugeln sich umkreisen,
Sich umwerben, nähern und entfernen,
Immer weiter schwingend sonnwärts reisen,
Bis es scheint, es sei die Welt durchlichtet,
Ein Kristall, in dessen klaren Netzen
Hundertfach nach reinlichsten Gesetzen
Gottes lichter Geist sich selber dichtet.
Daß aus Blättern voll von Notenzeichen
Solche weitgeschwungenen, geistdurchsonnten,
Solche Welt- und Sternenchöre werden konnten,
Daß ein Orgelpfeifenchor sie in sich banne,
Ist es nicht ein Wunder ohnegleichen?
' Daß ein Musikant am Manuale
Sie mit Eines Menschen Kraft umspanne?
Daß ein Volk von Hörern sie verstehe,
Mit erschwinge, töne, mit erstrahle,
Mit hinauf ins tönende Weltall wehe?
Arbeit war’s und Ernte langer Zeiten,
E* Zehn Geschlechter mußten daran bauen,
Hundert Meister fromm es zubereiten,
Viele tausend Schüler sie begleiten.
Den sie gründen halfen und are b
Denn derselbe Geist, der in den Fugen
Und Toccaten atmet, hat einst die besessen, |
Die des Münsters Maße ausgemessen,
Heiligenfiguren aus den Steinen schlugen ...
Auf dem Zauberpfad der Notenzeichen,
Dem Geäst der Schlüssel, Signaturen,
Auf dem Tastwerk, das die Füß’ und Hände
Eines Organisten bändigen, entweichen
Gottwärts, geistwärts alle höchsten Strebungen,
Strahlen, was an Leid sie je erfuhren,
Aus im Ton. In wohlgezählten Bebungen
Löst der Drang sich, steigt die Himmelsleiter,
Menschheit bricht die Not, wird Geist, wird heiter.
Denn zur Sonne zielen alle Erden
Und des Dunkels Traum ist: Licht zu werden ...

Doch indes die alten Klanggebäude


Weiter aus dem Pfeifenwalde streben,
Voll von Frömmigkeit, von Geist, von Freude,
Hat sich draußen dies und das begeben,
Was die Welt verändert und die Seelen.
Andre Menschen sind es, die jetzt kommen,
Eine andre Jugend wächst, ihr sind die frommen
Und verschlungenen Stimmen dieser Weisen
Nur noch halb vertraut, ihr klingt veraltet
Und verschnörkelt, was noch eben heilig
War und schön, in ihrer Seele waltet
Neuer Trieb, sie mag sich nicht mehr quälen
Mit den strengen Regeln dieser greisen
Musikanten, ihr Geschlecht ist eilig,
Krieg ist in der Welt, und Hunger wütet.
Kurz verweilen diese neuen Gäste \
Hier beim Orgelklang, zu wohlbehütet
Finden sie, zu priesterlich-gemessen
212

ve er 4 ud Du je an
Fühlen auch in halb Merschäinter Kae
Dieser reich gebauten, hoheitsvollen
Orgelchöre unwillkommene Mahnung,
Die so viel verlangt. Kurz ist das Leben,
Und es ist nicht Zeit, sich hinzugeben
So geduldig komplizierten Spielen ...
Manchmal aber bleibt ein Mensch beim Dome
Lauschend stehen, öffnet sacht die Pforte,
Horcht entrückt dem fernen Silberstrome
Der Musik, vernimmt aus Geistermunde
Heiter-ernster Väterweisheit Worte,
Geht davon mit klangberührtem Herzen,
Sucht den Freund auf, gibt ihm flüsternd Kunde
Vom Erlebnis der entrückten Stunde
Dort im Dom beim Duft erloschener Kerzen.
Und so fließt im unterirdisch Dunkeln
Ewig fort der heilige Strom, es funkeln |
Aus der Tiefe manchmal seine Töne;
Wer sie hört, spürt ein Geheimnis walten,
Sieht es fliehen, wünscht es festzuhalten,
Brennt vor Heimweh. Denn er ahnt das Schöne.

Das «Glasperlenspiel» — das «Spiel der Spiele», wie Hesse es


nannte - ist nicht denkbar ohne die Überzeugung, um die es in
diesem Buch geht: Die Welt ist Klang: «Zu allen Zeiten stand das
Spiel in engem Zusammenhang mit der Musik und verlief mei-
stens nach musikalischen oder mathematischen Regeln. Ein
Thema, zwei Themen, drei Themen wurden festgestellt, wurden‘
ausgeführt, wurden variiert und erlitten ein ganz ähnliches
Schicksal wie das Thema einer Fuge oder eines Konzertsatzes. Es
konnte ein Spiel zum Beispiel ausgehen von einer gegebenen
astronomischen Konfiguration oder vom Thema einer Bach-Fuge
oder von einem Satz des Leibniz oder der Upanischaden, und es
konnte von diesem Thema aus, jenach Absicht und Begabung des
Spielers, die wachgerufene Leitidee entweder weiterführen und
ausbauen oder auch durch Anklänge an verwandte Vorstellungen
ihren Ausdruck bereichern. War der Anfänger etwa fähig, durch
Könner und Mar das Spiel vom en frei bisin pe |
_ grenzte Kombinationen ... Es bedeutete eine erlesene, symbol-
hafte Form des Suchens nach dem Vollkommenen, eine sublime
Alchimie, ein Sichannähern an den über allen Bildern und Viel-
heiten in sich einigen Geist, also an Gott.»
Hermann Hesse nennt das «Glasperlenspiel» eine «Weltspra-
che, die aus allen Wissenschaften und Künsten gespeist war, sich
spielend und strebend dem Vollkommenen entgegen, dem reinen
Sein, der voll erfüllten Wirklichkeit».
«Was die Menschheit an Erkenntnissen, hohen Gedanken und
Kunstwerken in ihren schöpferischen Zeitaltern hervorgebracht
hat, was die nachfolgenden Perioden gelehrter Betrachtung auf Be-
griffe gebracht und zum intellektuellen Besitz gemacht haben,
dieses ganze ungeheure Material von geistigen Werten wird vom
Glasperlenspieler so gespielt wie eine Orgel vom Organisten, und.
diese Orgel ist von einer kaum auszudenkenden Vollkommen-
heit, ihre Manuale und Pedale tasten den ganzen geistigen Kos-
mos ab, ihre Register sind beinahe unzählig, theoretisch ließe mit
diesem Instrument der ganze geistige Weltinhalt sich im Spiele
reproduzieren.»
Und Volker Michels in seinem Essay «Zur Entstehung des Glas-
| perlenspiels»: «Am fruchtbarsten für die Entwicklung des Glas-
perlenspiels war schließlich die Integration der Mathematik und
Musik, äußerster Abstraktion mit unmittelbarster Sinnlichkeit,
die sich nicht mehr als unvereinbare Antagonismen, sondern als
verwandte Bereiche erwiesen. Erst durch sie erreichte das Spiel
eine Elastizität, welche die Ergebnisse fast aller übrigen Wissen-
schaften mit einbeziehen konnte und die zuletzt eine Versöhnung
der Wissenschaften nicht nur mit den Bereichen der Kunst, son-
dern am Ende sogar mit denen der Religion herbeigeführt hat...
Daß die Vision und Hypothese, der Hesse den Namen «Glasper-
lenspiel> gab, potentiell schon lange existiere, hat er immer wieder
betont. Gleich in der Einführung weist er darauf hin: «Wie jede
große Idee hat es eigentlich keinen Anfang, sondern ist der Idee
nach immer da gewesen.»
Vorgebildet als Ahnung findet man es bereits bei Pythagoras, in
den platonischen Akademien Griechenlands, in der Philosophie
des alten China, in hellenistisch-gnostischen Kreisen, zur Zeit der
Höhepunkte der arabisch-maurischen Kultur, der Scholastik und
des Humanismus, in den Mathematiker-Akademien des 17. und
214
‚wie Novali Geister wie ard, Leibniz und
haben ohne Zweifel den Traum gekannt, «das geistige Uni-
. versum in konzentrische Systeme einzufassen und die lebendige
Schönheit des Geistigen und der Kunst mit der magischen Formu-
lierkraft der exakten Wissenschaft zu vereinigen».»
Volker Michels erinnert auch an die Widmung zum Glasperlen-
spiel. Sie lautet [und Millionen junger Menschen haben sie wört-
lich genommen): «Den Morgenlandfahrern»: «Das ist die Chiffre
Hesses für alle Wissenschaftler, Künstler, Philosophen, für alle
Menschen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die unter-
einander darin verwandt sind, daß sie, unabhängig von den Moden
und Parolen des Tages, ihre eigene Veranlagung konsequent ver-
wirklichen, nicht aus Selbstzweck, sondern aus Notwendigkeit,
und somit beitragen zur Objektivierung des Geistes, der Wissen-
schaft und Humanisierung des Menschen, die über allen Be-
schränkungen der Geschichte, Nationalismen, Konfessionen und
Ideologien steht. Diese Menschen überleben ihre eigene Genera-
tion.»

«Glasperlenspiel-Musik» in einem gesteigerten Sinne machen die


Komponisten und Spieler der Minimal Music oder, wie man sie
gelegentlich auch nennt, der Periodischen Musik. In ihr vereinen
sich die Ströme der westlichen und der asiatischen Musik. Mini-
mal Music ist ebensosehr Musik für die Aura wie für die Ohren.
Oft hat man den Eindruck, als würden ständig die gleichen Tonbe-
wegungen wiederholt, aber im Zuge der Wiederholungen gesche-
hen kaum merkliche Veränderungen. Und am Ende eines Stückes
wird in minimalen Fortschreitungen — in einem Kreisen, das —
bewußt oder unbewußt - die Kategorie des Unendlichen assozi-
iert- etwas Neues, Anderes erreicht, ein anderes Ufer, eine andere
Welt. Die musikalischen Phrasen und Bewegungen der Minimal
Music, ihr Kreisen, entsprechen auf faszinierende Weise den Man-
tras der asiatischen Religiosität, die sich in der Meditation, kaum
spürbar für den Meditierenden, weiterentwickeln und nach eige-
nen Gesetzen zu wachsen und zu wirken beginnen.
Die ersten Komponisten von Minimal Music waren drei Ameri-
kaner: La Monte Young, Terry Riley und Steve Reich. Alle drei
haben Jazz-Musiker genannt, die sie entscheidend geprägt haben:
den Schlagzeuger Max Roach, den Trompeter Miles Davis und vor
- allem John Coltrane. Terry Riley, der seine Musik viel lieber «Ma-
'ximal Music» oder- ironisch — «Country ’n Eastern» genannt wis-
che Baleea von Tönen undL Linienausee Thea
keln können. Bei diesem Konzept bleiben die komponierten Teile
unverändert, aber der Musiker ist frei, sie in den Grenzen seiner
Imagination fortzuspinnen ... Wenn man diese Bedingungen ge-
genwärtig hat, steht es einem frei, über die allmähliche Auffäche-
rung eines musikalischen Universums zu meditieren ... |
Musik sollte der Ausdruck vornehmer spiritueller Objekte sein:
der Philosophie, des Wissens und der Wahrheit — der edelsten Fä-
higkeiten des Menschen. Um ihnen Raum zu geben, muß Musik —
muß der Musiker - notwendig Ruhe und Ausgeglichenheit besit-
zen.»
In Deutschland ist der bereitserwähnte PeterMichaelHamel der
hervorragende Vertreter dieser «neuen» Neuen Musik geworden.
Hamel schreibt in der Einleitung zu seinem Buch «Durch Musik
zum Selbst»: «Der geistig neuen Musik geht es darum, aus allen
Musiktraditionen zu lernen, vergessene Hintergründe aufzuspü-
ren und die ursprüngliche Funktion der Musik, ihre Bindung an
tiefste menschliche Erfahrungen, wieder ins Licht zurücken, ohne
dabei einem naiven Eklektizismus zu erliegen. Es herrscht gegen-
wärtig ein Drang, die verschütteten Urquellen der Musik freizule-
gen, die allein den Weg zu einem neuen, den Menschen in seiner
Ganzheit erfassenden Musik-Erleben weisen können ...
In der Avantgarde, im Jazz und in der Popmusik manifestiert
sich gleichermaßen eine Hinwendung zu mehr geistigen, nach in-
nen gewendeten Klängen. Das zunehmende Interesse der Öffent-
lichkeit an außereuropäischer und an dieser neu entstandenen
Musik... deutet darauf hin, daß auch bei uns Musik in Zukunft
nicht nur eine einseitige, au eine bestimmte Dimension des
Menschseins beschränkte Funktion haben wird.
Es handelt sich hierbei selten um Entdeckungen unserer Zeit,
vielmehr um eine Wiederentdeckung dessen, was alten Kulturen
und Völkern längst bewußt und durch die vorwiegend rationalisti-
sche Entwicklung des Abendlandes lediglich in Vergessenheit ge-
raten war. Es ist unsere Aufgabe ... diese Zusammenhänge neu zu
entdecken und auch in das Musikbewußtsein des zwanzigsten
Jahrhunderts zu integrieren.»
Hamel zitiert den Musikwissenschaftler Gerhard Nestler:
«Diese neue Musik erfordert ein «reines Hören», das heißt, ein Hö-
ren, welches von allen bisher gewohnten verstandes- und kekuhle.
präßiern Zutaten frei ist. In diesem reinen Hören des Tones und
216
f weil.sie Musik des een Seins des one ist.»
Minimal Music ist inzwischen «modisch» geworden und ge.
wann dadurch— wie so vieles, was die Vermarktungsmechanis-
men «in den Griff» bekommen - einen «haut goüt». Musiker, In-
terpreten, Dirigenten begannen Minimal Music zu «machen»,
auch wenn sie von dem spirituellen Bewußtsein, das diese Musik
trägt, keine Ahnung hatten. Sie spielen und dirigieren einfach Pe-
riodische Musik, weil sie wissen: Damit schaffen sie sich im Au-
genblick Erfolg. Musik aber hat mit Bewußtsein zu tun. Große
Interpreten werden eben deshalb «groß» genannt, weil sie nicht
nur in die Musik, sondern auch in die Denkweise, die geistige An-
schauung und oft genug — wenn man etwa an Johann Sebastian
Bach denkt - in die Religiosität der Meister eingedrungen sind,
deren Werke sie interpretieren. Wer Minimal Music ohne Spiri-
tualität spielt, macht Fingerübungen, spielt leere Musik.
Pandit Patekar, ein Meister der klassischen indischen Musik,
hat seinem Schüler Peter Michael Hamel einige «unbedingt not-
wendige Verhaltensregeln» gegeben. Hier sind sie:
«I. Löse dich mit deinen Gedanken zeitweise von derüblichen
Art des Denkens und konzentriere dich auf die höheren geistigen
Aspekte des Lebens. Musik liefert die beste Art zu solcher Kon-
zentration.
2. Stelle das Universelle in den Vordergrund deiner Betrachtun-
gen und versuche, die Gewohnheit, Teilaspekte zu betrachten, ab-
zulegen und zu vergessen.
3. Versenke dich in eine Stimmung der Meditation und Kon-
templation.
4. Stelle eine Verbindung her zu den übernatürlichen Aspekten
der Wirklichkeit.
5. Laß alle innere Voreingenommenheit beiseite.
6. Versuche dich in den Künstler einzufühlen, das heißt, versu-
che mit ihm zu fühlen und eins zu werden — mit Künstler und
Thema.
7. Sei still und vergeistigt - innerlich und äußerlich.»
Die Musik, von der hier die Rede ist — die klassische indische
Musik; die Musik John Coltranes und derer, die von ihm herkom-
men in Jazz und Rock; und die Minimal Music -, weistin die Rich-
tung einer Erfahrung, die in der Überlieferung des Ostens das
«Eins-Werden» genannt wird. Gewiß — diese Musik allein schafft
z ae ER, - ah

Weg darf dabei auch hier wie er soviel weiteren chin:


‘schen und japanischen Bedeutung verstanden werden: als tao
und als. do. Es ist eine Musik, in der Zeit auf eine nicht in Worte
R zu fassende Weise aufgehoben wird. Musik ist ja als «Die Kunst
in der Zeit» definiert worden, — und doch kann diese neue Musik
(die, wie wir wissen, eine ganz alte ist, mit Ahnherren auch in
unserem Raum - nämlich der Gregorianik) Zeit transzendieren.
Mehrfach haben wir vom Illusorischen unseres Zeitverhältnis-
ses gesprochen. Dieses Illusorische wird für den heutigen Men-
schen vor allem an zwei Stellen deutlich: in der Relativitätstheo-
rie und - unmittelbarer noch, sinnlicher - in dieser «neuen, al-
ten» Musik. Zeit ist — so ein Bild Hermann Hesses — der Fluß, der
gleichzeitig an seinem Anfang, in seiner Mitte und in seiner
Mündung einfach «der Fluß» ist. Es ist der Fluß, an dessen Ufern
Siddhartha jahrelang meditierend Erleuchtung gefunden hat. Le-
sen wir ruhig die ganze Stelle, weil sie - stärker als ein kurzer
Auszug es könnte - in der wunderbaren Sprache Hermann Hes-
ses das Zeitgefühl vermittelt, um das es uns geht: i
«Siddhartha blieb bei dem Fährmann und lernte das Boot be-
dienen, und wenn nichts an der Fähre zu tun war, arbeitete ermit
Vasudeva im Reisfelde, sammelte Holz, pflückte die Früchte der
Pisangbäume. Er lernte ein Ruder zimmern, und lernte das Boot
ausbessern, und Körbe flechten, und war fröhlich über alles, was
er lernte, und die Tage und Monate liefen schnell hinweg.
Hast dw, so fragte er einst den Fährmann, «hast auch du vom
Flusse jenes Geheime gelernt: daß es keine Zeit gibt? ...
Ja, Siddhartha», sprach er. «Es ist doch dieses, was du meinst:
daß der Fluß überall zugleich ist, am Ursprung und an der Mün-
dung, am Wasserfall, an der Fähre, an der Stromschnelle, im
Meer, im Gebirge, überall zugleich, und daß es für ihn nur Ge-
genwart gibt, nicht den Schatten Zukunft?»
Dies ist e», sagte Siddhartha. «Und als ich es gelernt hatte, da
sah ich mein Leben an, und es war auch ein Fluß, und es war der
Knabe Siddhartha vom Manne Siddhartha und vom Greis Sid-
dhartha nur durch Schatten getrennt, nicht durch Wirkliches. Es
waren auch Siddharthas frühere Geburten keine Vergangenheit,
und sein Tod und seine Rückkehr zu Brahma keine Zukunft.
Nichts war, nichts wird sein; alles ist, alles hat Wesen und Ge-
genwart....
Und wieder einmal, als eben der Fluß in der Regenzeit geschwol-

218
«Es ist so, nickte Vasudeva, Sale men de Geschöpfe end a
in seiner Stimme. -
«Und weißt dw, fuhr Siddhartha fort, «welches Wort er spricht,
se es dir gelingt, alle seine zehntausend Stimmen zugleich zu
ören?>
Glücklich lachte Vasudevas Gesicht, er neigte sich gegen Sid-
dhartha und sprach ihm das heilige OM ins Ohr. Und eben dies
war es, was auch Siddhartha gehört hatte.»
Es ist dieser Fluß-der nadi des OM-.nach dem eines der großen
Mondos des Zen fragt: «Der Meister: <Hörst du das Rauschen des
Flusses?» — Ja, Meister, antwortet der Schüler. Darauf der Mei-
ster: «Das ist der Weg!»
Es ist ein Weg, auf dem sich wiederholt, was geschah, als aus
dem nadi das nada wurde: die Weitung des Fluß-Rauschens zum
kosmischen Rauschen des Nada Brahma.
Der Fluß — und die Musik, von der hier die Rede ist — sind
JETZT. Sie können nicht auseinandergenommen, getrennt wer-
den: weder in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, noch- was
den Fluß betrifft - in Quelle, Bach, Fluß, Strom und Mündung,
noch— was die Musik betrifft - in Struktureinheiten, wie etwain
der klassischen Musik Exposition, Durchführung und Reprise.
Diese Musik «geschieht» so sehr im Raum wie in der Zeit, welch
letztere für sie — durchaus so wie für die theoretischen Physiker—
nur eine Dimension des Raumes ist. Es ist ein Raum, in dem man
«ist»: JETZT ist. Auffällig viele heutige Musiker sprechen von
räumlichen Vorstellungen, viel häufiger als Musiker der klassi-
schen und romantischen europäischen Musik. Paul Horn, ein aus
dem Jazz hervorgegangener Flötist, beschrieb das Raumerlebnis,
das er hatte, als er seine berühmt gewordenen Aufnahmen in der
Gruft des Tadj Mahal, des wunderbaren Mausoleums bei Agra in
Nordindien, machte, wie folgt: «Der Raum kam zu mir zurück
wie tausend Engelchöre. Was ich eigentlich tat, war: Ich saß da
unten in der Gruft und hörte dem Raum zu. Ich antwortete ihm.
Ich musizierte mit ihm. Viel mehr als meine Flöte war der Raum
das Instrument, auf dem ich musizierte.»
Auch im nada des nadi, im Rauschen des Flusses, ist der Klang
Raum geworden - ein Raum wie ein Tempel, wie eine Kathedrale.
Diesen «Raum-Tempel» betritt, wer Musik aus jener spirituellen
- Haltung heraus macht und hört, auf die es den Musikern, die ich
_ zitiert habe, ankommt.
219
ere Ro re Kunst. «
mann auf den Saiten spielte, kam des Herren Hand auf ihn ;
‚es in der Bibel von dem Propheten Elias im 2. Buch der Könige.
Und sogar die nüchterne Welt des Zen ist voller Musikbezüge. Die
in diesem Buch mehrfach zitierte Koan-Sammlung des Mönchs
und Zen-Meisters Genro aus dem Jahre 1783 heißt aufjapanisch
«Tetteki Tosui». Genro erläutert in seiner Vorrede, daß ein alter
chinesischer Einsiedler namens Ryu mit seinem Flötenklang Wol-
ken durchbohren und Felsen zerbrechen konnte, aber auch ein sol-
ches Spielen habe nur hörbare Töne. Erst wenn man die Flöte um-
gekehrt blasen würde, würde sie mit ihrem unhörbaren Klang die
Leere zerreißen. «Tetteki Tosui» heißt die «umgekehrt zu bla-
. sende eiserne Flöte» und ist — da niemand eine Flöte umgekehrt
blasen kann - ein Gleichnis der Absurdität der Welt. Sie ist selbst
ein Koan. Symbol einer unspielbaren, unhörbaren Musik, Symbol
jenes Klanges, der in der — auch hier wieder zu zitierenden -Zen-
Frage gemeint ist: %
*

«Wenn du auslöschst Sinn und Ton -—


was hörst du dann?»

Im Zen gibt es nicht nur die umgekehrt zu blasende, eiserne Flöte,


sondern auch eine «saitenlose Harfe», und es gibt ein Koan, das
dem Schüler die Aufgabe stellt, sich vorzustellen, welcher Klang
entstünde, wenn er «mit einer einzigen Hand in die Hand
klatscht». Ja, es gibt sogar einen Zen-Fachausdruck für die unhör-
bare Stimme der einen Hand: Sekishu.
Hsüeh Too, ein chinesischer Zen-Meister des 10. Jahrhunderts,
sagt: «Gewiß, eine alte Melodie kann dich zu Tränen rühren. Aber
Zen-Musik geht über das, was du hören und was du erfassen
kannst, hinaus. Mache deshalb keine Musik, bis du nicht den gro-
ßen Ton Lao-tses gefunden hast ...» — wozu bei Lao-tse in dessen
nüchterner Sprache nachzulesen ist: «Große Werkzeuge brauchen
viel Zeit zu ihrer Herstellung ... Der Große Ton ist der Ton, der
alle gewöhnlichen Vorstellungen übertrifft.»
Der Große Ton ist der Ton des Seins oder, wie die Inder sagen,
der Ton des Selbst, des Atma. Der Große Ton ist Nada Brahma —
der Ton, aus dem Gott die Welt geschaffen hat und der am Grunde
der Schöpfung weiterklingt und durch alles hindurchtönt. Hin-

220
Hehkeie- liegt eineae ling rn « dureh den
Ton». Wo nichts hindurchtönt aus dem Grunde des Seins, da ist
der Mensch allenfalls biologisch ein Mensch, per-son ist er
nicht. Denn er lebt nicht durch. den son — den Ton, den Sound -
lebt nicht durch den Klang. Er lebt nicht den Klang, der die Welt
ist.
Als Buddha nach seiner Erleuchtung zurück in die Realität des
' Alltags kam, sprach er als erstes über einen Klang. Buddha nannte
ihn «die Trommel der Unsterblichkeit». Auch hier wieder ist es
Hermann Hesse gewesen, der diese Erfahrung im Bereich unserer
Kultur in Worte gefaßt hat. In seiner Novelle «Klein und Wagner»
macht der «Held» im Moment des Todes — des Ertrinkens - die
folgende Erfahrung: «Aus dem Gesang der Seligen und aus dem
endlosen Qualschrei der Unseligen baute sich über den Weltströ-
men eine durchsichtige Kugel oder Kuppel aus Tönen, ein Dom
- von Musik, in dessen Mitte saß Gott, saß ein heller, vor Helle
unsichtbarer Glanzstern, ein Inbegriff von Licht, umbraust von
der Musik der Weltchöre, in ewiger Brandung ... Jetzt vernahm
Klein seine eigene Stimme. Er sang. Mit einer neuen gewaltigen,
hellen, hallenden Stimme sang er laut, sang er laut und hallend
Gottes Lob, Gottes Preis. Er sang in rasendem Dahinschwimmen,
inmitten der Millionen Geschöpfe, ein Prophet, ein Verkünder.
Laut schallte sein Lied, hoch stieg das Gewölbe der Töne auf,
strahlend saß Gott im Innern. Ungeheuer brausten die Ströme
dahin.»
i THE GENIUS OF RAVI SHANKAR — mit Chatur Lal, Ta 1 (i
867269)
RAVI SHANKAR AND ALI AKBAR KHAN IN CONCERT 1972- with
Alla Rakha, Tabla (Apple Records Sarpo 1002, 2 LPs)
InDıA’s MASTER MUSICIAN —RAVI SHANKAR — mit Chatur Lal,
Tabla (World Pacific Records st 1422] ’
Ravı SHANKAR AT THE MONTEREY INTERNATIONAL PoP FESTI-
vaL- mit Alla Rakha, Tabla (Liberty LBs 83 091)
Aıı AKBAR KHAN: RAGA CHANDRANANDAN und RAGA BHAI- N
RAvI (His Master’s Voice EALP. 1268]
L. SHANKAR: WHo’s To Know — mit Zakir Hussain u.a.
(ECM 1195)
L. SUBRAMANIAM: auf: STU GOLDBERG — SOLOS-DUOos-TRIOS —
mit Larry Coryell (MPS-Metronome 0068-202)
SHOMYOo-BUDDHIST RITUAL: SIEHE Ill. KAPITEL
PAnDIT PRANn NATH — InDIA’s . VocaLuıst (Shandar Re-
cords 83 514)
USTAD ALLA RAKHA: INDIAN DRUMS [Polydor 2480 117)
JoHN CoLTRANE: A LOVE SUPREME (Impulse Stereo A-77)
SANTANA: CARAVANSERAI[COBS s 65 299)
WAYNE SHORTER: ODYSSEY OF IskRA (Blue Note BST-84 363)
McCoy Tyner: SAHARA (Milestone MsPp 9039)
Don CHERRY: HUMUS — THE LirE ExPLORING FORCE (Wergo
IoIo)
Hesse BETWEEN Musıc, Texte von Hermann Hesse (darunter
«Orgelspiel» sowie Ausschnitte aus «Siddhartha» und «Klein und
Wagner»), gesprochen von Gert Westphal, Musik von Peter Mi-
chael Hamel und der Gruppe Between, zusammengestellt und
produziert von Joachim-Ernst Berendt (Wergo sm 1015)
LA MONTE YounG: THE THEATRE OF ETERNAL Musıc (Shan-
dar83 510)
TERRY Rırey: In C (Columbia ms 7178)
TERRY RILEY: SHRI CAMEL (CBS 73 929)
222

al ee
STEVE REICH: DRUMMING — MUSIC FOR MALLET INSTRUMENTS, 5
VoICES AND ORGAN, Sıx Pıanos (Deutsche Grammo-
fphona563 301/3/3;3 LPs)
_ STEVE REICH: Music FOR I8 Music1ans (ECM 1129)
\Steve REICH: Music FOR LARGE ORCHESTRA (ECM 1168)
PETER MICHAEL HamEL: BARDo (Kuckuck 048/ Teldec)
Fe: MICHAEL HAMEL: CoLouRs OF TIME (Kuckuck 046/Tel-
dec)
PETER MICHAEL HAMEL: AurA (Wergo Spectrum sM 1009)
_ PETER MICHAEL HAMEL: NADA (Wergo Spectrum sM 1013)
BETWEEN: SILENCE BEYOND TIME (Wergo Spectrum sM 1023)
Pau Horn: InsıDE - recorded live in Tadj Mahal (Kuckuck/Tel-
dec 062)
Pau Horn: INSIDE THE GREAT PyrAaMmıD-recorded live in Che-
ops Pyramid/Egypt (Kuckuck /Teldec 060/ 1, 2 LPs)
s je Völker Hab Eon immer
er. gewußt: Gott schuf die Welt
aus dem Klang |
|

g Hafiz, einer der großen Poeten des alten Persiens, berichtet die
P folgende Legende: «Gott machte eine Statue aus Ton. Er formte
den Ton nach seinem Bilde. Er wollte, daß die Seele in diese Statue
. eingehe. Aber die Seele wollte nicht gefangen sein. Denn es liegt
in ihrer Natur, daß sie fliegend ist und frei. Sie will nicht begrenzt
und gebunden sein. Der Körper ist ein Gefängnis, und die Seele
“4 wollte dieses Gefängnis nicht betreten. Da bat Gott seine Engel,
Musik zu spielen. Und als die Engel spielten, wurde die Seele
ekstatisch bewegt. Sie wollte die Musik noch klarer und unmittel-
barer erfahren, und deshalb betrat sie den Körper.» Hafiz sagt:
«Die Leute sagen, daß die Seele, als sie dieses Lied hörte, den Kör-
per betrat. Aber in Wirklichkeit war die Seele selbst das Lied.»
«Dies» — so Sufi Hazrat Inayat Khan - «ist eine wunderbare Le-
gende. Aber noch wunderbarer ist das, was sie bedeutet. Denn sie
erklärt uns zwei Gesetze. Das eine liegt darin, daß die Seele ihrer
Natur nach frei ist und daß die Tragödie des Lebens in der Abwe-
senheit dieser Freiheit liegt. Und die andere Bedeutung der alten
persischen Legende liegt darin, daß der einzige Grund, aus dem die
Seele den Körper aus Ton und toter Materie betrat, eben der war,
daß sie die Musik des Lebens erfahren wollte.»
| Immer wieder haben wir gefunden: Die Sprache «weiß» mehr,
als die, die sie sprechen. Die beiden ersten Sätze der Legende des
weisen Dichters Hafiz lauten:

«Gott machte eine Statue aus Ton.


Er formte den Ton nach seinem Bilde.»

Da ist es also auch hier wieder: das.Wort «Ton» - in seiner Viel-


deutigkeit. Der Töpfer formt den Ton — und es entsteht: eine Sta-
tue. Der Musiker formt den Ton — und es entsteht: Musik. Gott

224
nen: er emnung, ee Tövog,irn bedeutet auch:
Spannung. Im Anfang war der Ton. Der Ton als lögos. Wir haben
davon gesprochen: Das «Es werde» Gottes am Anfang derjüdisch-
christlichen Schöpfungsgeschichte war zuerst einmal Ton und
Klang. Die Sufis, die Mystiker des Islam, wissen: Gott schuf die
Welt aus dem Klang.
Sagen und Mythen, Legenden und Märchen, in denen die Welt
als Klang begann, gibt es bei vielen Völkern der Erde, bei Azteken
und Eskimos, bei Persern und Indern und Malayen - in solcher
Fülle, daß hier nur wenige genannt werden können (zumal einige
bereits in den vorausgehenden Kapiteln erwähnt wurden).
In Agypten war es die «singende Sonne», welche die Welt durch
ihren «Lichtschrei» schuf. In einem alten ägyptischen Text heißt
es, daß es «die Zunge des Schöpfers» gewesen ist, durch die «alle
Götter und alles, was ist, geboren wurden ... Atum und alles, was
göttlich ist, manifestieren sich selbst im Gedanken des Herzens
und im Laut derZunge...», wobei es aufschlußreich ist, daß in der
ägyptischen Hieroglyphen-Schrift das Zeichen für «Zunge» auch
«Wort» bedeutet. Die Zunge ist es ja, die den Klang formt, der
seinerseits wiederum das Wort trägt. Hier findet man sie also
schon in der Schrift: die fließenden Übergänge zwischen dem
mantrischen Klang und dem gesprochenen Wort, über die ich im
I. und III. Kapitel gesprochen habe. In einer anderen ägyptischen
Überlieferung war es Thoth, der Gott des Wortes und der Schrift,
des Tanzes und der Musik, welcher die Welt durch sein siebenmal
wiederholtes «lachendes Wort» schuf.
«Unhörbar und unbewegt - so sagt die Mythologie der Azteken
Mexikos — war der Schöpfer. Ein Eisberg! Stumm wie ein Stein.
Doch eines Tages warf er den Berg von sich, er brach sein Schwei-
gen, weil er seinem tiefsten Wunsch, Welt und Menschen zu er-
schaffen, nicht mehr widerstehen konnte. Da sang er: Diese Welt
soll sein! Und die Welt entstand» (Marius Schneider).
Bei fast allen Völkern der Erde stehen Musik und Göttliches in
engem Zusammenhang. Viele Ragas — die Skalen der indischen
Musik— haben einen religiösen Sinn, einige sind exakt auf be-
stimmte Götter und deren Wiederverkörperungen bezogen. Ähn-
‚lich ist es bei den Rhythmen der meisten afrikanischen Kulturen,
etwa denen der westafrikanischen Yorubas, deren Rituale in den
in Brasilien weitverbreiteten Macumba- und Candomble-Kulten
lebendig geblieben und deren Musik die Basis der brasilianischen
225
sogar solche, die in den Studios der Fernseh- und Run
tionen arbeiten —,welcher Rhythmus welchem «Gott» a
Diesen Ausdruck gebrauchen sie: Der Rhythmus «gehört» dem
Gott. Als ich Mitte der sechziger Jahre mit den brasilianischen
Perkussionisten Rubens und Georghingho Aufnahmen machte,
fingen die beiden mit einem Mal an, zu jedem der verschiedenen
Rhythmen, die sie gerade trommelten, den Namen des Gottes zu
rufen, der durch den betreffenden Rhythmus beschworen wird
(siehe Musik zum Hören dieses Kapitels): Zuerst Xango, den gro-
ßen Gott des Donners und des Krieges, den Wodan am Götterhim-
mel der Yorubas - dann Nana, die Göttin der Liebe (deren Name
von Georghingho mit besonderer Zärtlichkeit ausgesprochen
wurde) - darauf Ogum, den Gott des Dschungels und der Wälder-—
und zuletzt Omulu, den Gott der Kranken (von Rubens To-to ge-
nannt). Ich war erschrocken über die Intensität, mit der sie das
taten. Jeder im Studio spürte: das war ihnen jetzt wichtig. Das
mußte jetzt sein. Es war ein Ritual, wenn auch ein kleines: nur
noch gleichsam die Chiffre eines Macumba-Ritus, den sie — zu-
mindest als Chiffre — jetzt brauchten. Und danach machten sie,
professionelle Musiker, die sie sind, sachlich und zügig weiter,
wenngleich mit einer Gelöstheit, die sie vorher — so schien es
uns - in so spürbarer Weise nicht besessen hatten.
In Indien war Prayapati, der vedische Schöpfergott, letztlich
selbst Hymnus und Lied. «Die Rhythmen», so heißt es, «sind
seine Glieder», das heißt die Glieder des Gottes, der die Welt ge-
schaffen hat! «Die ersten Opfergaben und die ersten Götter waren
Metren, und auch die sieben Urväter der Menschheit waren
Rhythmen» (Marius Schneider). In der Aitareya-Upanischade
werden Rhythmen mit Pferden verglichen: Wie man auf Erden
mit Pferden und Ochsen reist, um sein Ziel zu erreichen, so
braucht man Rhythmen und Metren, um himmlische Ziele zu er-
reichen. Von Gott Brahma wird gesagt: «Er meditierte hundert-
tausend Jahre, und das Ergebnis der Meditation war die Erschaf-
fung von Klang und Musik.»
Der erste Schöpfungsakt also war die Erschaffung des Klanges.
Alles weitere folgte danach und dadurch.
In Platos berühmtem Dialog «Timaios» heißt es: Der Welt-
schöpfer habe die Weltseele - und das heißt bei Plato: die Idee des
Kosmos — nach musikalischen Zahlenfolgen und Proportionen
zusammengefügt. Und der göttliche Sänger Orpheus, der selbst
226
ur Mu
in en (und Form — das heißt für die Griechen: gestal
tete Schönheit). 2
Im polynesischen Raum — auf Samoa, Tahiti, Hawaii - gab es
ursprünglich — bevor all die anderen Gottheiten hinzukamen —
drei große Götter. Sie erschufen die Welt: Tane, Tu und Rongo
(beziehungsweise auf Hawaii Lono); auch hier eine Trinität—, alle
drei haben mit Klang zu tun. Tanes Sinnbild war das Horn, dasje-
nige Tus die Tritonmuschel, und Rongo war der eigentliche Gott
von Klang und Laut, der — eben deshalb! - Menschenopfer verab-
scheute und als der mildeste und beliebteste der Götter galt.
In der Vorstellung vieler Völker der Erde war es Gott- oder meh-
rere Götter —, die ursprünglich die Musik geschaffen und auf dem
einen oder anderen Wege an die Menschen weitergegeben haben,
meist durch einen besonders begnadeten Mittler. Für den afrikani-
schen Stamm der Ibuzo in Nigeria war dieser Mittler ein Sänger
namens Orgadie. Der hatte sich im Walde verirrt und hörte die
Klänge der Musik von den Geistern und Göttern der Bäume im
Dschungel. Sie machten Musik auf Zweigen und Ästen und Stäm-
men, in Halmen und Gräsern, im Laub und in Lianen. Orgadie
versteckte sich, hörte zu, versuchte nichts zu vergessen und
brachte alles mit in sein Dorf.
Theo Meier und Ernst Schlager haben nach der Erzählung eines
alten Brahmanen-Priesters die folgende balinesische Legende auf-
gezeichnet: «Gott Shiva saß einst auf dem Berge Mahameru ... Da
hörte er aus der Ferne sanfte Töne, wie sie ihm nie zuvor begegnet
waren. Er rief den Weisen Narada zu sich und sandte ihn nach den
Einsiedeleien des Himalaya mit dem Auftrag, zu erforschen, wo-
her die Töne kämen. Narada machte sich auf den Weg und kam
schließlich zur Einsiedelei des Weisen Dereda. Dort klangen die
Töne stärker. Ertrat ein. Der Einsiedler erklärteihm, daß die wun-
dersamen Töne in der Tat ihren Ursprung auf seinem Gelände hät-
ten. Die Einsiedelei sei von einem Bambushag umgeben. Er habe
die Bambusrohre durchlöchert und miteinander verbunden. Wenn
der Wind in die Löcher blase, erklängen die verschiedensten Töne.
Er sei so entzückt von seiner Entdeckung gewesen, daß er eine
ganze Reihe durchlöcherter Bambusrohre als sunari- als Äolshar-
fen-artige Klangkörper — auf einem Baum befestigt habe - zu kei-
nem anderen Zweck als dem, fortwährend Wohllaut zu erzeugen.
Narada kehrte zum Gott Shiva zurück und berichtete ihm, was
'er erfahren hatte. Shiva beschloß, daß diese Bambus-Klangkörper
die Grundlage der Musik auf Bali werden sollten. Durch sie werde

aia 227
_ vernahmen alle balinesischen Priester BR
Und während früher die Musik chaotisch ıwar, ee sie nun-
mehr durch den Gott Shiva in ein geordnetes System gebracht.»
Eine besonders bewegende Legende darüber, wie Klang, Musik
und Tanz das Chaos, das nach der Erschaffung der Welt eingetre-
ten war, wieder in Ordnung und Harmonie bringen, kommt aus
Japan. Sie erzählt, wie Amaterasu, die Göttin der Sonne, sich in
eine Höhle einschloß. Die Welt wurde dadurch immer kälter und
unwirtlicher, es gab kein Sonnenlicht mehr, alles schien in Chaos
zu versinken. Da nahm Gott sechs riesige Bögen, band sie zusam-
men und schuf auf diese Weise die erste Harfe. Auf ihr spielte er
wunderschöne Melodien. Von ihnen angelockt, erschien die rei-
zende Nymphe Ameno-Uzume. Hingerissen von der Harfenmu-
sik begann sie zu tanzen — und schließlich auch zu singen. Die
Sonnengöttin Amaterasu wollte die Musik, die von ferne zu ihr
drang, besser vernehmen. Deshalb schaute sie aus ihrer Höhle her-
vor, und im gleichen Moment erstrahlte die Welt im Licht. Die
Sonne wurde sichtbar und spürbar — und Blumen und Pflanzen
und Bäume begannen zu wachsen. Und Fische und Vögel, Tiere
Era
I
A
und Menschen betraten die von Licht erfüllte Erde. Die Götter
aber beschlossen, fortan Gesang und Tanz zu pflegen, damit die
Sonnengöttin nie mehr in ihre Höhle zurückkehre, denn sie wuß-
ten:
Es war zwar die Sonne, durch die das Leben begonnen hatte, aber
ohne die Harfenmusik der sechs großen Bögen und ohne den Ge-
sang der Nymphe Ameno-Uzume hätte sich Amaterasu, die Göt-
tin der Sonne, nie auf ihrem himmlischen Thron niedergelassen.
Sie wäre ewig in ihrer Höhle geblieben. Und also war es der Klang,
waren es Musik und Tanz, mit denen die Welt begann.
Weil Gott die Welt aus dem Klangerschaffen hat und weil Klang
und Musik den Menschen von Göttern gegeben wurden, ist esim-
mer wieder die Musik, in deren Klängen der Mensch Aufschluß
‚über den Willen Gottes und die tiefsten Geheimnisse der Schöp-
fung findet. In China gibt es die Geschichte des großen Taoisten
Huan Yi, der nicht nur ein erleuchteter Weiser, sondern auch ein
wunderbarer Flötenspieler war. Ein taoistischer Würdenträger
hatte erfahren, daß Huan Yi in seiner Nähe vorbeireisen würde,
und sandte einen Boten mit der Bitte, doch zu ihm zu kommen
und ihn an seiner Weisheit teilhaben zu lassen. Da «stieg Huan Yi
von seinem Wagen, setzte sich auf einen Stuhl und spielte dreimal
228
so Serichlet die Überlieferung-war von ni an
einSe
Es gibt auch eine Zen-Version dieser Geschichte. Als Kakua,
einer der frühen Pioniere des Buddhismus in Japan, aus China zu-
rückkehrte, bat ihn der Kaiser, ihm alles, was erin China an Weis-
heit erfahren habe, zu erzählen. Kakua holte seine Shakuhachi —
eine Bambus-Flöte — hervor, spielte eine Melodie, verneigte sich
höflich und ging davon. Der Kaiser aber hatte erfahren, was er wis-
sen wollte.
Im Islam gibt es bestimmte rituelle Zeremonien, die keinerlei
Musik zulassen. Sufi Hazrat Inayat Khan berichtet ein wunderba-
res Ereignis aus dem Leben des Heiligen Khwajas von Ajmir. Eines
Tages wurde der Heilige von Khwaja Abdul Kadr Gilani besucht,
auch er ein großer und geistig fortgeschrittener Meister, der aus
Bagdad nach Ajmir gereist war. Der Heilige hielt sehr genau auf
Einhaltung der religiösen Vorschriften, und sein Gast wollte diese
Vorschriften respektieren. Er verzichtete deshalb auf seine täg-
liche musikalische Übung. Aber er konnte nicht auf die tägliche
Meditation verzichten. Als jedoch die Zeit zum Meditieren kam,
erklang die Musik ganz von selbst, und der ganze Hof lauschte ihr.
So blieb es auch in den folgenden Tagen. Kadr Gilani griff kein
einziges Mal zu seinem Instrument, aber jedesmal, wenn er zu
meditieren begann, erklang die Musik. Denn, so kommentiert
Hazrat Inayat Khan die Geschichte, «Musik ist Meditation. Und
Meditation ist Musik. Und die Erleuchtung, die wirin der Medita-
tion finden, können wir auch in der Musik erfahren.»
Ähnlich eine andere Geschichte, die ebenfalls von Sufi Hazrat
Inayat Khan erzählt wird: «Eines Tages sagte Kaiser Akhbar, der
große Mogul-Herrscher, zu seinem nicht minder berühmten Hof-
musiker Tansen: «Sage mir, o großer Meister, wer war dein Leh-
rer?» Der antwortete: «Majestät, mein Lehrer ist ein sehr großer
Musiker, aber mehr als das: ich kann ihn nicht ‚Musiker’ nen-
nen, ich muß ihn ‚Musik’ nennen. Der Kaiser fragte weiter: «Kann
ich ihn singen hören?» Tansen erwiderte: «Vielleicht, ich werde es
versuchen. Aber Sie können nicht daran denken, ihn hier an den
Hof rufen zu lassen. — «Kann ich dorthin gehen, wo er ist? Der
Musiker sagte: «Sein Stolz mag sogar dort revoltieren, wenn er
denkt, daß er vor einem König singen soll.» — «So kann ich als dein
Diener gehen.» - Ja, dann gibt es eine Hoffnung, meinte Tansen.
So wanderten sie beide hinauf in den Himalaya, in die hohen
339...
ten der Natur lebend inHarmonie m. mL chen. Alssie
Eh

_ ankamen, war der Musiker auf dem Pferderücken, während Akh-


bar zu Fuß ging. Der Heilige sah, daß der Kaiser sich selbst ernied-
rigt hatte, um seine Musik zu hören, und willigte ein, für ihn zu
singen. Sein Gesang war groß. Es schien, als ob alle Bäume und
Pflanzen des Waldes vibrierten; es war der Gesang des Univer-
sums. Dertiefe Eindruck, den er auf Akhbar und Tansen machte,
war mehr, als sie ertragen konnten; sie gerieten in einen Zustand
des Friedens und der Erleuchtung. Und während sie sich noch in
ah diesem Zustand befanden, verließ der Meister die Höhle, und als
er
sie ihre Augen öffneten, war er nicht mehr da. Der Kaiser sagte:
«Was für ein seltsames Wunder! Wo ist der Meister hingegangen®»
\ Tansen erwiderte: «Sie werden ihn niemals in dieser Höhle wie-
‘ dersehen,; denn wenn ein Mensch einmal hiervon einen Ge-
schmack verspürt hat, wird er dem zu folgen versuchen, auch
wenn esihn sein Leben kostet. Es ist größer alsirgend etwas sonst
! im Leben.»
Nachdem sie heimgekommen waren, fragte der Kaiser den Mu-
siker eines Tages: «Sage mir, welcher Raga es war, den der Meister
sang” Tansen nannte ihm den Namen des Ragas und sang ihn für
ihn, aber der Kaiser war nicht zufrieden. Ja, es ist dieselbe Musik,
aber es ist nicht derselbe Geist. Warum ist das so?> Tansen erwi-
derte: <Der Grund liegt darin, daß ich für Euch, den Kaiser dieses
Landes, singe, während mein Meister für Gott singt; das ist der
Unterschied.»
«Meister des Tons» wurde ein weiser, alter Mann genannt, den
Alexandra David-Neel in einem abgelegenen Kloster, irgendwo
im chinesisch-tibetischen Grenzgebiet der Himalayas, traf. In
einem Tempel des Klosters spielte der Meister — er trug den Na-
men Bönpo - ein Tschang, das uralte tibetische Klangbecken mit
seinen nach oben gebogenen Rändern. Mit einem Mal «durchzit-
terte ein unirdischer Klang, einem verworrenen Geschrei ähnlich,
die Halle und bohrte sich mir ins Hirn». Die anwesenden Bauern
und die Begleiter der europäischen Reisenden schrien entsetzt auf
— und es gab keinen einzigen unter ihnen, der nicht ganz sicher
war, eine feurige Schlange gesehen zu haben: «Die Schlange ist
aus dem Tschang gekommen, als der Lama daraufschlug», sagte
einer von ihnen - und die anderen bestätigten dies. Hinterher er-
klärte der Lama den Reisenden: «Ich bin der Meister des Tons.
Durch den Ton kann ich Lebendes töten und Totes auferwek-
ken ... Alle Wesen, alle Dinge, selbst die unbelebt scheinenden,
230
|
A 8

Wer Bücher schenkt ...


rechen aiche, sie veralten nicht, und sie gleichen dem Kuct en”,
im Märchen, den man ißt und de nicht kleiner wird.
er Man könnte hinzufügen, etwas prosaischer: Und sie tragen
Zinsen wie ein klug angelegtes Kapital.
‘8 Wer Bücher schenkt, schenkt Wertpapiere.

2
=Sul
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Pfandhrief und
Kommunalohligation
Meistgekaufte deutsche Wertpapiere - hoher
Zinsertrag - schon ab 100 DM bei allen Banken
und Sparkassen
LUTZ
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Verbriefte: ;; Sicherheit
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18€ en ser
Y erechend den Gerschiellenen ständen durch die das Wesen
oder Ding, das ihn erzeugt, hindurchgeht. Wieso? Wesen und
Dinge sind Zusammenballungen kleinster Teilchen, sogenannter
rdul phra,; diese tanzen und bringen durch ihre Bewegungen die
Töne hervor.
Dies sagt die Lehre: Im Anfang war der Wind. Durch sein Wir-
beln bildete er die Gjatams, die Urformen und den Urgrund der
Welt. Dieser Wind tönte, und also war es der Ton, der den Stoff
geformt hat. Durch das Tönen dieser ersten Gjatams entstanden
weitere Formen, die ihrerseits kraft ihres Tönens neue Gestalten
hervorbrachten. Und das ist nicht etwa nur eine Mär aus vergange-
nen Tagen, es ist immer noch so. Der Ton bringt alle Formenund
alle Wesen hervor. Der Ton ist das, wodurch wir leben.»
Legenden und Mythen kommen für unsere Vorstellungen aus
fernen Zeiten. Aber sie kommen nur deshalb dorther, weil wir sie
dorthin verbannt haben. In Wirklichkeit sind sie jetzt. Sie entste-
hen, weil Menschen sie brauchen. Der Rationalist meint, er
könne auf Mythen verzichten. Er will.nicht verunsichert werden
in seinem «Glauben» daran, daß der Verstand alles kann. Aber
vielleicht gehört auch das zu der Bewußtseinswandlung, in der
wir stehen: Der heutige Mensch will wieder Mythos und Mythi-
sches. Ein Indiz dafür ist der Erfolg von J.R.R. Tolkien, Michael
Ende und anderer, ähnlicher Autoren, und die Begeisterung, mit
der junge Menschen ihre Bücher verschlingen. Ohne den gering-
sten Werbeaufwand sind sie zu Bestsellern geworden (die Werbung
begann nachweislich erst, als der Welterfolg schon da war, und die
Verleger zu ihrer eigenen Überraschung merkten, daß der Auf-
wand sich lohnte).
Sowohl bei Tolkien im «Silmarillion» wie auch bei Ende in
«Momo» gibt es zentrale Passagen, in denen Klang eine entschei-
dende Rolle spielt. Ich möchte hier nicht mißverstanden werden:
Die jungen Leute lesen diese Bücher gewiß nicht wegen dieser
Passagen, aber die betreffenden Stellen gehören auf selbstver-
ständliche Weise zu ihrem Lebensgefühl. Rock-Gruppen nennen
sich nach Titeln und Gestalten Tolkiens und Endes.
Bei Tolkien, gleich auf den ersten Seiten seines Mythos vom
«Silmarillion», beginnt die Welt mit dem «Lied». Als Urvater Ilü-
vatar den Ainur — den Elben und Urahnen der Menschen - die
«lichten Gefilde» der «Leere» zuweist, in denen sie wohnen sol-
len, sagt er: ««Sehet, dies ist euer Lied! ... Ausdem Thema, dasich
seläche Babe so Beide:euree Kräfte ad fahrermirrien Thema aus,
ein jeder nach seiner Art und Kunst, wie’s ihm beliebt. Ich aber
will sitzen und lauschen und froh sein, daß durch euch solche
Schönheit zum Liede erwacht.
Da begannen die Stimmen der Ainur zu erschallen wie Harfen
und Lauten, Flöten und Posaunen, Geigen und Orgeln, und sie
machten aus Ilüvatars Thema eine große Musik; und ein Klang
stieg auf von endlos ineinander spielenden Melodien, harmonisch
verwoben, und verlor sich in den Höhen und Tiefen jenseits allen
Gehörs, und die Räume, wo Ilüvatar wohnt, quollen über, und die
Musik und ihr Echo hallten hinaus in die Leere, und sie war nicht
mehr leer. Nie wieder haben seither die Ainur eine Musik gleich
dieser gespielt, doch heißt es, einenoch schönere solle vor Ilüvatar
nach dem Ende aller Tage erklingen, von den Chören der Ainur
und der Kinder Ilüvatars. Dann werden die Themen Ilüvatars
rechtens gespielt werden und das Sein erlangen in dem Augen-
blick, da sie erklingen, denn alle werden dann ganz verstanden
haben, welches für ihr Teil Ilüvatars Absicht ist, und jeder wird
wissen, was jeder weiß, und Ilüvatar wird ihren Gedanken das ge-
heime Feuer geben, und er wird sein Wohlgefallen haben.»
Auch das Böse manifestiert sich bei Tolkien zuerst musikalisch
- ja, letztlich ist es der musikalische Mißklang, der den Miß-
klang der Schöpfung schafft: «Jetzt aber saß Ilüvatar und lauschte,
und lange schien es ihm, daß es gut sei, denn die Musik war ohne
Fehl. Wie aber das Thema weiterging, kam es Melkor in den Sinn,
Töne einzuflechten, die er selbst erdacht hatte und die nicht zu
Ilüvatars Thema stimmten, denn er strebte nach mehr Glanz und
Macht für die ihm zugewiesene Stimme...
Manche von diesen Gedanken flocht er nun in sein Lied, und
Mißklang wuchs um ihn auf, und viele, die nahe bei ihm sangen,
wurden unmutig; ihre Gedanken verwirrten sich, und ihr Gesang
stockte; manche aber begannen sich auf ihn einzustimmen und
von ihrem ersten Gedanken abzuweichen. Nun breitete sich Mel-
kors Mißklang noch weiter aus, und die Melodien, die man zuvor
gehört, scheiterten in einem Meer wirrer Töne. Ilüvatar aber saß
und lauschte, bis daß es schien, ein Sturm dunkler Wassertobe um
seinen Thron, die in endlosem, unversöhnlichem Haß einander
bekriegten.»
Und in «Momo» gibt es die schöne Ga vom «Sternen-
pendel», das immer wieder neue Knospen und Blüten und Blumen
en, die aus der Kusel des nl &
"wölbes herniederstrahlt, eigentlich antreibt, das ist ein Klang:
«Anfangs war es wie ein Rauschen, so wie von Wind, den man fern a
in den Wipfeln der Bäume hört. Aber dann wurde das Brausen
mächtiger, bis es dem eines Wasserfalls glich oder dem Donnern
der Meereswogen gegen eine Felsenküste.
Und Momo vernahm immer deutlicher, daß dieses Tosen aus
unzähligen Klängen bestand, die sich untereinander ständig neu
ordneten, sich wandelten und immerfort andere Harmonien bil-
deten. Es war Musik und war doch zugleich etwas ganz anderes.
Und plötzlich erkannte Momo sie wieder: Es war die Musik, die
sie manchmal leise und wie von fern gehört hatte, wenn sie unter
dem funkelnden Sternenhimmel der Stille lauschte.
Aber nun wurden die Klänge immer klarer und strahlender.
Momo ahnte, daß dieses klingende Licht es war, das jede der Blü-
ten in anderer, jede in einmaliger und unwiederholbarer Gestalt
aus den Tiefen des dunklen Wassers hervorrief und bildete.
Je länger sie zuhörte, desto deutlicher konnte sie einzelne Stim-
men unterscheiden. Aber es waren keine menschlichen Stimmen,
sondern es klang, als ob Gold und Silber und alle anderen Metalle
sangen. Und dann tauchten, gleichsam dahinter, Stimmen ganz
anderer Art auf, Stimmen aus undenkbaren Fernen und von unbe-
schreibbarer Mächtigkeit. Immer deutlicher wurden sie, so daß
Momo nun nach und nach Worte hörte, Worte einer Sprache, die
sie noch nie vernommen hatte und die sie doch verstand. Es waren
Sonne und Mond und die Planeten und alle Sterne, die ihre eige-
nen, ihre wirklichen Namen offenbarten. Und in diesen Namen
lag beschlossen, was sie tun und wie sie alle zusammenwirken,
um jede einzelne dieser Stunden-Blumen entstehen und wieder
vergehen zu lassen.
Und.auf einmal begriff Momo, daß alle diese Worte an sie ge-
richtet waren! Die ganze Welt bis hinaus zu den fernsten Sternen
war ihr zugewandt wie ein einziges, unausdenkbar großes Ge-
sicht, das sie anblickte und zu ihr redete!»

Weil Gott die Welt durch den Klang schuf, deshalb weist alle Mu-
sik zurück auf Gott und die Götter. Deshalb ist alle Musik - zuerst
einmal-ein Lob Gottes. Auch dieser Gedanke durchzieht die Mu-
sikvorstellungen fast aller Völker der Erde.
Die altindische Mythologie sagt, daß «der Wagen der Sonne eine
Deichsel hätte, die nur aus Lobgesängen besteht». Und im Rig-

er
a
"Anfang christlicher und jüdischer Dichtung- und Musikt-steht:
der Psalmist. Vor drei Jahrtausenden dichtete erin den vier letzten
Gesängen der Psalmen —- vom 147. bis zum 150. - die folgenden
. Verse, die Musiker und Komponisten über die Jahrhunderte hin-
weg von Johann Sebastian Bach bis zu Duke Ellington - immer
wieder zu Lob-, Preis- und Dank-erfüllten Vertonungen inspiriert
haben:

«Singet dem Herrn ein neuesLied...


Sie sollen loben den Namen des Herrn in Tänzen.
Mit Pauken und Harfen sollen sie ihm spielen ...
Lobet den Herrn in seinem Heiligtum! ...
Lobet Ihn in seinen Taten!
Lobet Ihn in seiner großen Herrlichkeit!
Lobet Ihn mit Posaunen!
Lobet Ihn mit Psalter und Harfe!
Lobet Ihn mit Trommeln und Tänzen!
Lobet Ihn mit Saiten und Pfeifen!
Lobet Ihn mit hellen Becken!
Lobet Ihn mit wohlklingenden Cymbals!
Alles, was Odem hat, lobe den Herrn!
Halleluja!»
anischen en Rubensnd Georghingho Mes! a
tronome 15 102 ST)
JOHANN SEBASTIAN BACH: SINGET DEM HERRN EIN NEUES Liep
(Harmonia Mundi 2929 146-8)
DUkE ELLINGTON: «PRAISE GOD» aus SECOND SACRED ConN-
: CERT — mit der Ellington Big Band und Alice Babs (Sopran) (Bella-
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2_ phon-Fantasy BLST 6504, 2 LPs)
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Ein Freund — ein Amerikaner — kommt nach Japan, um in einem
Zen-Kloster zu meditieren. Nach vielerlei Irrwegen wird er an
einen Tempelam japanischen Meer westlich von Tokioverwiesen.
Dort spreche der Abt - der Zen-Meister — englisch. Dort würden
auch Ausländer angenommen. Im Kloster-Bezirk angekommen,
findet mein Freund zunächst nur einen einzigen Menschen. Der
arbeitetim Garten, karrt Mistineinem kleinen Wagen herum....Er
möchte gern den Meister sprechen, sagt der Ankömmling, ob sich
das wohl einrichten ließe? Der Gärtner: Man möchte ihm doch
bitte folgen. In der Vorhalle läßt man ihn warten. Länger als eine
Stunde. Dann bittet ein anderer Mönch ihn herein, mein Freund
sieht sich dem auf einem erhöhten Podest sitzenden Zen-Meister
gegenüber - und siehe: es ist der Mist-karrende Gärtner.
Das japanische Wort «Zen» kommt von dem chinesischen
ch’an, und dieses wiederum aus Indien: von dem Sanskrit-Wort
dhyäna, das «Lehre» und «Meditation» bedeutet.
Der Philosoph Jean Gebser weist auf die geheimnisvolle Weis-
heit der Sprache hin, in derBegriffe, diederrational denkende west-
liche Mensch als unvereinbare Gegensätze empfindet, auf die glei-
che Wurzel zurückzuführen sind. So gehen derart konträre Worte
wie «Stimme» und «Stumme», «Muße» und «Muß», «Hölle» und
«Heiligkeit», «Kälte» und das italienische Wort « calda » (das warm
bedeutet), «Logos» — das Wort und der Geist, die «im Anfang wa-
ren»—-und «Lüge», unser Wort «Teufel» und das französische Wort
«dieu» (vom Sanskrit «deva» = Gott, aber englisch «devil» = Teu-
fel) auf dieselben «Ur-Worte» zurück. In diesem Sinne gehören
auch Lehre und Leere zusammen. Was uns als «Zweiheit» er-
scheint, istin Wirklichkeit- so sagt Zen- «Nicht-Zweiheit». Und
esistnureine «leere» Übereinkunftder «Lehrer», die «Lehre» mith
und.die «Leere» mit Doppel-ezu schreiben. Wenn wiresauchnicht
mehrwissen, dieSprachehatesbewahrt: Beidesteckenin dhyäna-
und im Zen: die Fülle der Leere und die Lehre des Nichts.
"sich hin- in Gedanken oder auch laut psalmodierend, gegen Ende
langer Meditationen gar schreiend —, stundenlang, tagelang, wo-
. chenlang, um leer zu werden: leer von all dem Nichtigen, womit
wir Menschen uns anfüllen, damit Raum wird für dieeinzigeFülle,
£ die zählt - die Fülle des Seins, welche die Fülle des Nichts ist.
Die Lehre, die Leere will: auf rationale europäische Menschen
wirkt das absurd. Aber das gerade ist es: Zu Zen gehört Absurdi-
tät - und zum Absurden das Gelächter darüber. «Was ist das
Grundprinzip des Zen?» fragte ein Schüler den Zen-Meister Joshu.
Antwort: «Der Zypressenbaum im Hof.» Oder: «Die Göttin Kan-
non (die von den Japanern besonders geliebte Göttin der Barmher-
zigkeit) hat tausend Hände, und jede Hand hat ein Auge, welches
ist das wahre Auge? Nun sages mir schnell!» Eine berühmte Zen-
Übung: Morgens in die Berge zu gehen und die gegenüberliegende
Felswand dröhnend und schallend anzulachen. (Versuchen Sie’s
mal! Sie lachen innerlich weiter— den ganzen Tag - und alle Pro-
bleme werden unwichtig.)
Bereitsin der Bhagavadgita, einem der großen Bücher indischer
Weisheit aus der Zeit, lange bevor Zen nach Japan kam, wird vom
a Gelächter als der «Quelle der Meditation» gesprochen: Man solle
meditieren über das schallende Lachen, das Gott Vishnu hören
2 läßt und von dem man sich vorstellt, daß es in der Bauchhöhle des
Meditierenden weiterdröhne.
ER ei #

al

Im Norden Tokios werden wir in eine Fabrikhalle geführt. 3032


Arbeiterinnen (die genaue Zahl gehört dazu; in Europa hätte man
wohl gesagt: «mehr als dreitausend») setzen —- mit Lupen arbei-
tend — kleinste Teilchen in streichholzschachtelgroße Gehäuse
auf elektronische Druckschaltungen. Nach jeder Stunde ist fünf
Minuten Pause. Die 3032 weißbekittelten Frauen und Mädchen
erheben sich und machen - nach Anweisungen, die aus einem
Lautsprecher ertönen — Atemübungen: auf einen hellen Ton ein-
und auf einen dunklen Ton ausatmen. Danach verbeugen sie sich
und wünschen - im Chor sprechend - der Firma, für die sie arbei-
j
Zen er so wenig mit dem heutigen Than zutunhaben wiedie
Lehre Christi mit dem modernen Europa. Wer durch Japan reist,
findet in den Hotels, in denen er wohnt, in den Firmen, die er be-
sucht, unter den Menschen, denen er begegnet, kaum jemanden,
der etwas von Zen versteht. Und doch - Eshin Nishimura, Profes-
sor für Zen-Wissenschaften an der Hanazono-Universität in
Kyoto, weist darauf hin — «gab es wohl noch nie eine Zeit, in der
Zen so verbreitet war wie heute.» Ein Generalmanager, der jeden
Morgen seine Fahrt ins Büro in einem Zen-Kloster unterbricht
und dort eine Stunde meditiert, ist durchaus nichts Ungewöhn-
liches. 25 Minuten meditiert er im Za-Zen, im «Sitzen», dann
ro Minuten gehend, im sogenannten kinhin, langsam Fuß vor Fuß
setzend und dabei weitermeditierend, und dann noch einmal
25 Minuten sitzend. Danach fährt er in seine Firma und ist den
ganzen Tag über voller Konzentration und Genauigkeit, Schlag-
fertigkeit und Schnelligkeit, wie sie so auffällig im wirtschaft-
lichen und industriellen Leben Japans sind. Und der Manager ist
überzeugt: All diese Eigenschaften hat er vom Meditieren. Ein
Freund sagte mir: «Du ahnst gar nicht, wie viele das tun. Es sind
die Besten.»
Ein Haiku von Basho, dem Meister des japanischen Kurz-Ge-
dichtes im 18. Jahrhundert, lautet:

«Sieh genau hin,


Dann entdeckst Du die Nazuna-Blüte
Unter der Hecke.»

Die «Nazuna» ist eine sehr kleine Blume. Man übersieht sie
leicht, denn sie wächst versteckt in Hecken und Gräben, unter
Büschen und Steinen. Sie blüht immer nur wenige Tage lang. Man
muß wirklich genau hinschauen, um sie zu finden. Basho will
sagen: Das mühevolle Suchen nach der Nazuna-Blüte, die Auf-
merksamkeit, das genaue Hinsehen lohnen sich, denn die Nazuna
ist wunderschön.
Bashos Gedicht ist ganz und gar Zen. Aber es ist auch ganz und
gar: heutiges Japan. Ein japanischer Universitätsprofessor, mit
dem ich über die Lebensbedingungen in Tokio, der größten, laute-
sten, wirrsten, turbulentesten, unübersichtlichsten, hektischsten
Stadt der Welt, spreche, sagt: «Die zwölf Millionen Menschen, die
241
aus Pappmache leb en die kleinen Dinge: Ein
zelne Blume -oft nicht einmal das: einen dürren Zweig, viel ch
ein einzelnes Blatt daran, oder einen gemusterten Stein, eine aus
wenigen Strichen bestehende Tusch-Zeichnung, oft nur eineinzi-
ges chinesisches Schriftzeichen - in einem leeren Zimmer...Die
Blüte steht für den Frühling, der Zweig für den Wald, der Stein für
das Meer oder die Berge, das Schriftzeichen für die Weisheit der
Welt ... Diese Menschen können nur überleben in ihrer Stadt,
weil ihnen das Kleinste das symbolisiert, wasim täglichenLeben
den meisten von ihnen unerreichbar fern gerückt ist.» j
Tokio - ich weiß nicht, ob man sich im Westen vergegenwärti-
gen kann, was das bedeutet: 15 000 Menschen pro Quadratkilome-
ter, die größte Menschenansammlung der Welt, 0,4 Quadratmeter
Lebensraum im Durchschnitt pro Kopf — was doch heißt, daß die
Mehrheit noch viel weniger hat.
Kaum einer der Menschen, die in diesem «größten Elendsviertel
der Welt» (so die japanische Zeitung «Asahi») leben, weiß etwas
von Zen. Aber der Zweig in einem leeren, möbellosen Zimmer —
das ist Zen: die Schönheit der Leere - und die Lehre von dieser
Schönheit; die Lehre auch davon, daß das ganz Kleine für das ganz
Große steht: daß Kleines und Großes, Detail und Ganzes, letzt-
lich eines sind. Die Lehre der Leere.

II.
Wenn Christentum das bedeutet, was in der Bergpredigt steht,
dann sind nur ganz wenige Europäer Christen. Und doch: Was die-
ses Europa denkt und fühlt und tut, ist nicht denkbar, nicht ver-
ständlich ohne zweitausend Jahre Christentum. Ja, Philosophen
und Soziologen haben darauf hingewiesen, daß auch der Marxis-
mus eine christliche «Gegen-Welt» ist - nicht denkbar ohne
christliche Ideale und Grundsätze, die gerade in der Idee des Mar-
xismus ständig gegenwärtig sind — viel mehr als in der des Kapita-
lismus.
So auch — und in noch viel stärkerem Maß - ist Japan nicht
denkbar ohne Zen. Daisetz Suzuki, der japanische Schriftsteller |
und Philosoph des Buddhismus, sagte einmal: «Ob es dieJapaner
242
€ nen Spuren.» Und I j
e, der so viel für das Verständnis des Zen in Deutschland.
ER hat, schreibt in «Zen —Weg zur Erleuchtung»: «Es gab und
gibt aöch heute wohl kaum einen Japaner, der nicht in seinem
tiefsten Fühlen vom Zen beeinflußt ist.» Und dann sprichtervon
all den berühmten japanischen «Wegen», den sogenannten Dos:
dem «Weg des Tees», bekannt geworden in der Teezeremonie;
dem «Weg des Bogens», dem Kyü-dö der Bogenschützen; dem
«Weg des Schreibens» (Sho-dö, der alten japanischen Kunst der
Kalligraphie); dem «Weg der Blumen» (Ka-dö); dem «Weg des Rin-
gens» (Ju-dö) oder dem «Weg des Fechtens» (Ken-dö): «In all die-
.sen Wegen lebt ein Geist, und das ist der Geist des Zen.»
Die «Dos» — dazu haben die alten chinesischen und japanischen
Weisen sie erdacht - sind Wege des Zen in den Alltag. Man fahre
hinaus in eine der klassischen japanischen Landschaften - nach
Matsushima etwa, einen halben Tag nördlich von Tokio: ein In-
sel-Meer aus Hunderten von Fels-Eilanden in schillernden Farben,
auf jeder — oder fast jeder — gerade nur ein oder zwei von Wetter .
und Wind verbogene Fichten: der Archetyp einer japanischen
Landschaft. Tausende von Touristen strömen dorthin, auch Euro-
päer und Amerikaner, und doch liegt etwas anderes in der Art, wie
die Japaner das anschauen: in Versenkung, ja — in Verehrung.
Manchmal gibt eseinen, der sich verbeugt. Man hat das Gefühl: In
Gedanken verbeugen sich alle. Vor den Inseln. Vor den knorrigen
Fichten. Und im Frühling vor den Sakuras, den Kirschblüten ...
Indem ich dies schreibe, begehe ich eine der typisch europäischen
Ungenauigkeiten. Jeder Japaner weiß: Es gibt vier Sakura-Perio-
den. Jede hat ihren Namen, und jeder Japaner — auch der moderne,
gehetzte Großstadtmensch - verbindet mit jedem Kirschblüten-
Stadium genaue Vorstellungen: Ob die Blüte vier oder acht Blü-
tenblätter hat, welchen Farbschimmer sie besitzt, ob die Blätt-
chen durch den Wind fortgeblasen oder durch nachstoßende
Triebe abgestoßen werden, welche Form sie haben und- auch dies
ist wichtig — was alles dies symbolisiert. Ganze Bücher sind über
Kirschblüten geschrieben worden.
Kommt der westliche Gast am Abend nach Tokio zurück und
erzählt seinen japanischen Freunden, er sei zur Sakura draußen
auf dem Land gewesen, dann wird er gefragt: nach Anzahl und
Form und Schimmer der Blättchen, nach dem Blütenfall und den
Namen der Baumarten. Alles dies sind Themen für lange Gesprä-
che. Und wenn er darauf so ungenau antwortet, wie westliche
uns ei a
Denn daß man all dies -— wenn man es eckli ch Beach hab -
F
nicht mit Genauigkeit wahrnehme und sich merke, das können
sie sich nicht vorstellen.
Was ist es denn wirklich, wodurch die japanische Industrie so
erfolgreich ist? Ist es nicht auch hier die Liebe zum Detail? Die
Genauigkeit? Die Aufmerksamkeit? Die Sorgfalt in jeder einzel-
nen Kleinigkeit? In der «Tüfteligkeit», die dazu gehört, die
schwierigsten Konstruktionen und Schaltungen auf kleinstem
Raum zu realisieren: darin sind die Japaner Meister. Nicht um-
sonst wurden die «IC’s» — die «Chips», die integrierten Schaltele-
mente, die 100000(!)—- und bald noch mehr! - elektronische Funk-
tionen auf der Fläche eines halben Quadratzentimeters bewälti-
gen (und die in einem heute noch gar nicht zu ermessenden Maße
die Industriegesellschaften der Welt verändern werden) — zwar
nicht in Japan erfunden, aber dort schneller und entschlossener
weiterentwickelt und eingeführt als irgendwo sonst, und zwar
mit einer Begeisterung, als handle es sich um ein ureigenes japani-
sches Anliegen (wie vorher schon Transistoren, Druckschaltun-
gen, Quarzuhren etc., überhaupt alles, was technische Prozesse
auf kleinsten Raum konzentriert). Daß Kameras, Blitzlichtgeräte,
Kassettenspieler, Radios, optische und Haushaltsapparate immer
noch kleiner und handlicher und raffinierter werden — inzwi-
schen auch bei den Herstellern in der westlichen Welt—, das haben
die Japaner uns vorgemacht — mit ihrer ungeheuren Konzentra-
tionsfähigkeit auf Kleinstes und Allerkleinstes.
In jeder Kultur sind es die Frauen, die die Tradition bewahren.
Daß Genauigkeit und Liebe zum Detail zum großen Erbe Japans
gehören, bemerkt man nirgendwo überraschter, als wenn eine Ja-
panerin einen Kimono — zumal einen kostbaren, der zu festlichen
Anlässen getragen wird — anzieht. Für westliche Menschen
scheint ja nicht viel dazuzugehören: der eigentliche Kimono (der
nur das Oberkleid ist) und der Obi (der Gürtel). Ich habe einmal
gezählt: 38 — in Worten: achtunddreißig! — Teile, einschließlich
Schärpen, Bändern, Bändchen und Schnüren, Strümpfen und Sok-
ken, gehören zu einem Kimono. Wenn er billig ist, kostet er drei-
bis viertausend Mark. Es dauert zwei bis drei Stunden - oft län-
ger —, ihn kunstgerecht anzuziehen. Und immer wieder hält es die
Trägerin an irgendeiner Stelle für notwendig, für absolut unerläß-
lich, von neuem anzufangen; sie zieht fünf, sechs, sieben Teile.
wieder aus, weil sie irgendwo — angeblich — einen «Fehler» ge-

244
1auen w einem Bänc er Sch ‚fiele
es rt, von niemandem, auch von der Trägerin selbst nicht, ver-
mißt werden könnte, beim Legen einer Falte, die ohnehin von
einem halben Dutzend weiterer überdeckt et Und wenn sie
dann fertig ist - nach Stunden nicht etwa des Vor-sich-hin-Trö-
delns, sondern rastloser Aktivität —, dann kann sie keinesfalls
schon auf die Party oder den Empfang gehen, um deretwillen sie
ihren Kimono angelegt hat, denn sie ist so erschöpft, daß esnun
wirklich notwendig ist, sich erst einmal eine Stunde, mindestens
eine, auszuruhen. Es ist a hard day’s work, eine Tagesarbeit, den
Kimono anzulegen. Aber wenn sie ihn dann austrägt und einen
Abend langlächelt und lacht, redet und zwitschert undkkichert, ist
alles vergessen. Jede ihrer Eeschlechtssenossinnen.; in gleich we
chem anderen Land wäre nach solcher Tortur — wenn es denn
denkbar ist, sie ließe sich darauf ein— einen Abend lang grantig.
Bei einer japanischen Fernseh-Gesellschaft hatte ich eine Sen-
dung zu produzieren — als Co-Produktion mit dem Baden-Badener
Südwestfunk. Nachdem schon alles in tagelangen Besprechungen
_ und in typisch japanischer Detailfreudigkeit geklärt war, bat mich
der Regisseur noch zu einem weiteren Gespräch. Sein ganzer Stab
war dazu geladen. Thema: Wie soll diese Sendung von einer japa-
. nischen Ansagerin in Japanisch und von mir in Deutsch präsen-
tiert werden? Man weiß, in der westlichen Welt dauert so etwas
zehn bis fünfzehn Minuten. Das Gespräch in Japan über dieses
winzige Problem dauerte sieben Stunden. Nach drei Stunden
wurde ich müde, nach fünf Stunden war ich ärgerlich und gereizt,
nach sieben Stunden erschlagen. Es gab kein Detail, an das nicht
gedacht und das nicht beredet - und zerredet - worden wäre. Und
alle beteiligten sich daran, mehr als ein Dutzend Personen, jeder
in äußerster Ausführlichkeit und Genauigkeit. Viele machten
- kleine Zeichnungen und Skizzen, wie ja in Japan alles grafisch
. erfaßt wird.
Am nächsten Tag bat mich Domei-san — Herr Domei, so hieß
der Regisseur — erneut zu einer Besprechung, die wiederum als
«abschließend», und «leider unbedingt notwendig» bezeichnet
wurde. Ich kam widerwillig und ließ ihn das auch spüren. Es gab ja
nun wirklich nichts mehr zu besprechen. Nach einer Stunde ent-
schuldigte ich mich. Da wurde er seinerseits ärgerlich, auf jene
traditionell japanische Weise, die beherrscht bleibt und eben da-
- durch Ärger und Zorn auf viel wirksamere Weise ausstrahlt, als
dies in den Streitereien und Schreiereien der westlichen Welt ge-

245
,
0 r IC. a
1a

. Aber erst Jahre später, nachde 3:


gewesen war, verstand ich warum. Ich hatte die Form verl
Und zur Form gehört ein uraltes, in den meisten Japanern leben-
diges und wirksames Bewußtsein, daß Kleinigkeiten entschei-
dend sind. Dieses Bewußtsein hat mit derOrdnung der Dingeund
sie wiederum mit «Stil» zu tun: mit der Art, richtig zu leben. Des-
al
A

halb war Domei-san ärgerlich: weil er die Gefährdung der Ord-


nung empfand. Aber es ist möglich, daß ihm das selbst nicht be-
wußt wurde, denn er ist ein moderner, großstädtisch denkender E
Fernseh-Regisseur.

IV.

Kein Volk fotografiert so viel wie die Japaner. Wo immer sie sind,
tragen sie ihre Kameras mit sich und knipsen und knipsen ... Der
durchschnittliche Filmverbrauch ist viermal so hoch wie im We-
sten. Was aber machen sie nur mit all diesen Fotos? In einem Kreis
japanischer Freunde diskutierten wir einen Abend lang über die-
ses Thema. Ich, der Mann aus dem Westen, sage: Die Industrie
manipuliert die Menschen. Ich weise auf die gewaltigen Werbean-
strengungen der japanischen Foto- und Filmindustrie hin. Aber
meine Freunde haben schon recht: Die Manipulation durch die
Industrie, die Flut der Werbung gibt es auch im Westen. Nach lan-
gem Hin und Her erwägen wir Folgendes: Die Fotografie bewahrt
den Moment -.den einen, unwiederholbaren, keinem anderen ver-
gleichbaren Moment, der anderenfalls jetzt schon - jetzt! — verges-
sen wäre, für immer verloren ... Das Klick der Millionen von foto-
grafierenden Japanern überall in der Welt scheint ständig zu sagen:
Jetzt! Jetzt! Jetzt!
Das «Jetzt» ist für Zen ebenso wichtig wie das Nichts und die
Leere, das Mu und das Ku. Daß man alles tun soll, als ob man es
nur ein einziges Mal täte, mit äußerster Konzentration auf dieses
Tun in eben diesem jetzigen Moment — ohne Gedanken an die
Vergangenheit oder die Zukunft - ist praktische Zen-Weisheit. Ja,
mehr noch: Es ist aktives, alltägliches Meditieren. Daß Ewigkeit
«jetzt!» ist — nicht, wie die Christen meinen, etwas jenseits der
gerade noch vorstellbaren Zukunft und jenseits des Todes Liegen-
des, in das man irgendwann einmal eintreten mag -, ist tief ver-
246 EB NS
sangen, tig
St dach nicht da. Dr Mensch; ur nicht im E lebt, lebt nir-
‚gendwo.
' Im Garten des Moos-Tempels, des berühmten «Kokedera» in
Kyoto- aber auch in anderen Zen-Gärten überall in Japan - gibt es
an kleinen Bächen das Bambusrohr, das voll Wasser läuft, dann Ki
umkippt und sich entleert. Dabei entsteht ein Sound -ein hohler,
hölzerner Bambus-Klang, der weit hinweg tönt über den Zen-Gar-
ten und den Tempelbezirk - seit Jahrhunderten in ewigem Gleich-
en
re
Te
ea klang, der allenfalls durch den Wasserstand variiert wird. «Wissen
Sie, was der Bambus sagt, jedesmal wenn er klick macht?», fragte
52
ee
uns der Zen-Mönch, der uns durch den Garten führte, und beant-
wortete die Frage gleich selbst: «Jetzt! Jetzt! Jetzt!» Kaum nötig
hinzuzufügen, daß der Christ den Bambus-Ton ganz anders emp- |
findet: Uns, die Europäer, erinnert er an das Verrinnen der Zeit,
daran, daß wir älter werden und sterben müssen und vielleicht an
das Jenseits. Aber nicht an das «Jetzt»!
Immer wieder liest man in japanischen Zeitungen davon, daß
Liebende gemeinsam sterben — in einem Moment, in dem ihre
Liebe am größten ist. Sie betrachten etwa eine Landschaft- einen
Wasserfall, einen Fels im Meer, einen Vollmond-eine Nacht lang,
um dann nicht etwa zu sagen: Jetzt könnte ich sterben! Die-
ser Gedanke des «Zum-Sterben-schön» wäre Romantik, wäre
Eichendorff und Bettina, generationenlang als Volkslied gesun-
gen: «Ich möcht’ am liebsten sterben, dann wär’s auf einmal still»
— und doch stirbt niemand. Bei den Japanern ist es umgekehrt: Sie
sprechen — und singen erst recht — nicht darüber. Sie tun es. Sie
sterben. Als eine Möglichkeit, um das «Jetzt» zu bewahren. In der
Art, in der sie es tun, liegt etwas Alltägliches: «Es ist nicht der
Rede wert» - wozu auch die Bemühung gehört, anderen möglichst
wenig Umstände zu machen. Wenn sie etwas Schriftliches hinter-
lassen, dann allenfalls einen Zettel mit der Entschuldigung, daß
gewisse Umstände - das Abspülen des Blutes, das Fortbringen des
Leichnams - eben doch leider unvermeidlich seien ...
Westlichen Beobachtern wurde die japanische Bewahrung des
«Jetzt» eindringlich deutlich in Oshimas mit Recht immer wieder
gezeigtem Film «Nur wir» — so heißt erja eigentlich, und der deut-
2u
re
AO
sche Titel «Im Reich der Sinne» fügt der beschämenden Reihe
«eindeutschender» Filmtitel nur ein weiteres jämmerliches Bei-
Ze _ spiel hinzu. Das «Nur wir» — das «Jetzt!» — dieses Films kulmi-
_ niert im Schluß: als Tod im Augenblick des Orgasmus, damit das
247
ur
nenbiente als letzte genen eich
des einen über den anderen wurde erzielt, > der Sieg der
Liebe über die Zeit.» Botho Strauß, der dies in «Paare, Passanten»
- schreibt, hätte auch formulieren können: der Sieg des «Jetzt» über
die Zeit. Die Liebe ist immer das «Jetzt». Deshalb muß sie immer
wieder neu getan werden. Weil es um das «Jetzt» geht: deshalb vor
allem wirkt dieser Film so japanisch.
ie
2
LU
de
a
mS

Noch einmal: Mit der jahrhundertelangen Schulung, eine Sache


ganzundgarzutun-siejetzt zutun, mit äußerster Konzentration
auf dieses «Jetzt» —, hängen zusammen: Präzision, Hingabe, Aus-
dauer, Genauigkeit, der stoische Gleichmut, die Detail-Freude —
alles Eigenschaften, die Millionen von Arbeitern und Angestell-
ten der japanischen Industrie — die alle von Zen nichts wissen —
kennzeichnen und denen diese Industrie ihre Kraft, ihre Über-
legenheit und Krisenfestigkeit verdankt.
Denn das haben ja die Zen-Meister ihre Schüler jahrhunderte-
lang gelehrt: Tue eine Sache. Nur eine einzige. Immer wieder.
Ganz und gar. In jedem Augenblick. Denke an nichts anderes- an
nichts, was vorher war, und an nichts, was sein wird. Denke an:
Jetzt!
Wie sehr unterscheidet sich diese Lebensauffassung doch von
unserer abendländisch-europäischen, in der man ständig gehalten
ist, Verschiedenes gleichzeitig zu tun, ja um so «besser» ist, je
mehr Dinge man nebeneinander «erledigen» kann. In allem, was
wir tun, steckt ein Bewußtsein von Geschichte, von Vergangen-
heit und von Zukunft und von etwas Weiterem, das die betref-
fende Angelegenheit «außerdem noch» bedeuten mag ... Nicht
also das «Jetzt», sondern immer noch etwas anderes dazu.
Deshalb- weil es allein auf das «Jetzt!» und auf das «Immer-nur-
Eines-Tun» ankommt -ist Meditation das zentrale Zen-Anliegen:
Nirgendwo mehr als in ihr ist der Mensch so bedingungslos gefor-
dert, ganz «da» zu sein — «klar, offen, wolkenlos», wieesin einem
Gesang des chinesischen Zen-Patriarchen Seng-ts’ anheißt.
248
- a ur Ich he keinen Zweifel, daß dies der eigentlich
Grund ist für die ungeheure, faszinierende, ameisenhafte Aktivi-
tät der Japaner.
andee
Mb"
«Der Leib eines einzigen wahrhaften Menschen erschöpft die ee
A
zehn Richtungen des Alls», sagt Zen-Meister Dogen. Und Kakichi
a Kadowaki, ein zeitgenössischer japanischer Jesuit, fügt hinzu:
«Daraus ergibt sich, daß Leib und Geist, die vom absoluten Nichts
durchdrungen sind, von Aktivitäten überströmen ...» Und dann
erzählt er die Geschichte einer jungen katholischen Schwester,
die acht Tage lang täglich acht bis neun Stunden Zen-meditiert
hatte und darauf eine Reihe sportlicher Wettkämpfe, an denen sie
vorher nie wesentlich interessiert gewesen war, mit weitem Ab-
stand vor allen anderen gewann. Die Schwester: «Da ich Zen ge-
lernt hatte, konnte ich mich selbst vergessen und ohne Hemmun-
gen aktiv an den verschiedenen Wettbewerben teilnehmen.» Und
Kadowaki: «Die Schwester war im üblichen katholischen
Ordensleben aufgewachsen ... Aber bevor sie an dem Medita-
tionskurs teilnahm, hatte sie nichts von solch sprühender Leben-
digkeit erkennen lassen. Sie führte eher ein unauffälliges, solides
Leben, wie Schwestern christlicher Orden dies eben tun, undman
hatte kaum den Eindruck, daß sie aus vollen Kräften und mit gan-
zem Herzen lebte.»
Was Kadowaki hier schildert, ist das Erfolgsrezept der vielen
japanischen Sportarten, die mit Zen zusammenhängen: Bogen-
schießen, Judo, Karate, Aikido und die diversen Fecht- und
Schwertkampf-Techniken - auffälligerweise alles Sportarten, bei
denen man «ganz und gar eins» werden muß mit dem Ziel oder
dem Gegner, sich in das Ziel oder den Gegner hineinversetzend,
sich letztlich mit ihnen identifizierend.

VI.

Lassen Sie mich berichten, wie ich Anfang der sechziger Jahre auf
meiner ersten Japan-Reise — als ich von all diesen Dingen noch
nichts wußte — meine erste japanische Freundin kennenlernte. Es
war im Tempelbezirk von Nikko, nördlich von Tokio. Wir — die
249
uropäer daru
inaare- Stäbchen aus einem Gefäß. Auf jedem ea efaı
den sich ein paar Zeichen, aus denen der Mönch, der das Ge !
für uns schüttelte, die Zukunft deutete. In einer Gruppe, dieden
Mönch und seine Stäbchen-Gefäße umstand, war unmittelbar
vor mir eine junge Frau an der Reihe. Der Mönch sagte ihr, was |
das Stäbchen bedeutete. Sie lachte. Danach zog auch ich ein ;
"Stäbchen. Der Mönch sprach japanisch zu mir. Ich verstand !
nicht, sie übersetzte. Es hatte mit Frauen und mit Liebe zu tun. |
Bei ihr vorher offenbar mit Männern und Liebe. Wir mußten
beide lachen. So lernten wir uns kennen.
Wir redeten, gingen spazieren, tranken Tee, gingen wieder spa-
zieren, redeten weiter, hörten Musik an einem High-Fidelity-
Stand, gingen zum Essen und danach ins Kino - alles Dinge, die
auch junge Menschen im Westen tun würden. Danach allerdings
übernahm sie die Initiative — und die sah anders aus:
Eine ganze Nacht lang - ich präzisiere, weil es unglaublich
klingt: von elf Uhr abends, als das Kino vorbei war, bis morgens
um fünf oder halb sechs, als die Sonne aufging — saßen wir am
Chuzenji-See bei Nikko und sahen den Vollmond und eine vom
Licht des Mondes bestrahlte Felsinsel mit einer Zeder an: die
klassische japanische Moon Watching Party. Jeder saß auf einem
Stein, etwa anderthalb Meter vom anderen entfernt. Kein einzi-
ges Mal haben wir uns berührt. Ich wundere mich noch immer,
warum ich das mitgemacht habe. Vielleicht dachte ich, es sei
reizvoll, einmal etwas ganz und gar Japanisches zu erfahren. Wir
haben fast nichts gesprochen - sieben Stunden lang, nur immer
den Vollmond und den See und den Fels und die Zeder angese-
hen.
Gegen Morgen begriff ich: Das war ein Test. Vielleicht begriff
ich es mehr als die Japanerin selber, die einer Sitte folgte, ohne
groß darüber nachzudenken. Von da an war sie meine Freundin.
Und es ist offensichtlich, daß sie (obwohl sie von Zen nichts
wußte] mir einen Zen-Test auferlegt hatte. Schwieriger, ergiebi-
ger, genauer, erfüllender als das endlose Gerede, mit dem junge
Männer im Westen ihre Mädchen «bequatschen».
3 Natürlich war diese Nacht eine Tortur für mich, den Mann aus
: Europa. Aber je länger wir dort saßen, desto spürbarer trat etwas
anderes neben die Strapaze: Ich fühlte — und dieses Gefühl be-
gann schon nach ein, zwei Stunden und wuchs während der
Nacht -, wie der Mond mich erfüllte, wieich-sonurkanniches
VI.

Ich habe dafür Verständnis, wenn der eine oder andere sagt: Wasin
diesem Beitrag als Wirkungen von Zen dargestellt worden ist,
seien nur noch Reste. Es seien oft auch Entartungen und Verfall-
wie bei den japanischen Todesfliegern des Zweiten Weltkrieges,
sei — wie Jean Gebser das nennt — «defizient». Nur meine ich:
Wenn selbst die Defizienz noch so effizient ist, so stark Leben und
Lebensstil in all ihren Äußerungen durchdringend und so produk-
tiv: wie stark muß dann das Erbe des Zen auch heute noch sein!
Der Gedanke, daß dieses Erbe durch Japans «Schwenk zum We-
sten» verdrängt werde, ist naheliegend, hält aber keiner ernst-
haften Prüfung stand. Das Gegenteil ist der Fall. Wie ja überhaupt
die Vorstellung, Japan verliere durch die moderne Technologie
seine eigene Tradition, gar zu westlich empfunden ist. Japan ist
‚nicht nur eines der «modernsten», sondern gleichzeitigauch eines
der «konservativsten» Länder der Erde-im wahren und ursprüng-
lichen Sinn dieses Wortes «konservativ». Immer wieder bestätigt
sich der Eindruck, daß beides - die «Modernität» und die «Konser-
vativität» — sich aneinander steigern in einer Dialektik, die als
typisch «japanisch» bezeichnet werden darf (für die es jedenfalls
inder westlichen Welt keinen Vergleich gibt).
Kenner der japanischen Kunst- und Geistesgeschichte haben
darauf hingewiesen, daß Neuentdeckungen in der japanischen
Kulturgeschichte — etwa in der Glanzzeit der buddhistischen
- Skulptur von der Nara-Epoche bis zur Kamakura-Zeit — das Über-
lieferte niemals verdrängt, sondern es immer nur ergänzt und be-
reichert haben. Ähnliche Befunde lassen sich von der Entwick-
‚lung der japanischen Malerei und Literatur ablesen: Fast niemals
tritt - wie bei den Kunstentwicklungen Europas - das Neue an die
Stelle des Alten: fast stets wirkt das Neue im Sinne einer Öffnung
und Erweiterung.
Ähnlich war es bei den Begegnungen mit China und Korea. All
' das, was die Japaner mit seltener Adaptionsfähigkeit übernom-
men haben, diente letztlich nur dazu, eigene japanische Lösungen
ale ne Züge heraus: als steigere sic. |
japanische Element geradezu an den Einflüssen des Auslandes. So
FA

führte zum Beispiel die Sättigung mit chinesischer Bildung und


konfuzianischer Moral bei den Dichtern der Nara-Zeit (8.Jahr-
hundert) bereits zwei Generationen später-amHofinKyoto-zur
Destillation eines hochentwickelten Ästhetizismus, dersich von
allem Vergleichbaren, das es in China gegeben haben mag, grund-
legend unterscheidet. Noch offensichtlicher ist dies im Bereich
der großen japanischen Skulptur: Die Nara- und die frühe Heian-
Periode standen unter einem geradezu überwältigenden chinesi-
schen Einfluß, aber während der späteren Heian-Periode — um
940-begann das Pendelin die entgegengesetzte Richtungzuschla-
gen; bis- um ı185 - die Kamakura-Zeit begann, hatten die Künst-
ler die chinesischen Einflüsse so vollkommen absorbiert, daß sie
gerade noch als Anregungen spürbar blieben, ihre Kunst aber wie-
der «rein japanisch» wirkte. Auch in der Architektur findet man
Beispiele: zweimal gab es den chinesischen Schub - im 7. /8. Jahr-
hundert und dann wieder im 13. —, jedesmal mit dem gleichen
Ergebnis: unmittelbar darauf wurde der japanische Charakter um
so offensichtlicher...wobeinochnichtsüberdas-unvergleichlich
japanische — Element der Verfeinerung gesagt ist, das der Über-
nahme ausländischer Anregungen nicht erst folgte, sondern meist
mitihrparallellief(wasjaauch bei der Übernahme modernerwest-
licher Technologien durch die Japaner spürbar wird). Esist ein Ele-
ment, dasmitderFreiheit von «Botschaften» zusammenhängtund
das charakteristisch für die japanische Kunst ist.
Die chinesische Kunst tendiert dazu, eine «Botschaft» zu trans-
portieren: eine Moral, eine Lebensweisheit, eine zu beherzigende
Anweisung. Die japanische Kunst will nichts als sich selbst trans-
portieren. Kennzeichnend hierfür ist die Tee-Zeremonie, die Cha-
noyu. Fast alles, was zu ihr gehört, kam aus China, und doch ist
die Zeremonie, wie sie sich im 15. Jahrhundert unter dem Patro-
nat Yoshimaras herausgebildet hat, so sehr japanisch, daß ihre
chinesischen Quellen allenfalls noch historische Bedeutung
be-
sitzen. Worauf es nämlich ankommt - trotz allem, was kluge
Leute in sie hineindeuten — Wa (Friede), Kei (Respekt), Sei (Rein-
heit), Jaku (Einsamkeit) —, ist allein: die Zeremonie selbst. Auch
insofern wird die Zen- “Forderung deutlich, eine Sache um ihrer
selbst willen zu tun— nur diese eine Sache, aber sie ganz und gar.
Für «Botschaften» ist da kein Platz. (Ich weiß, auch diese en
252
Die Öffnung Japans gegenüber Portugiesen und Holländern im
. 16. Jahrhundert trug alle Charakteristika der Begeisterung- einer
scheinbar unbegrenzten Resorptionsbereitschaft. Aber wenige
nr
Jahre später folgte die Abkapselung und — damit zusammenhän-
‚gend — die um so stärkere Betonung «japanischer» Elemente. Es
| spielt keine Rolle, ob sich dieser Prozeß — wie im letzteren Bei-
spiel — bewußt abgespielt hat oder ob er sich — wie in den erstge-
nannten Beispielen — unbewußt vollzog. Im Gegenteil, die Tat-
sache, daß er manchmal in der japanischen Geschichte mehr
unbewußt ablief, während er in anderen Epochen bewußt in Gang
gesetzt wurde, läßt ihn um so elementarer erscheinen. Und es ist
wichtig zu sehen, daß es für eine derartige kulturgeschichtliche
Reaktionsweise in dieser Breite und Grundsätzlichkeit keinen
europäischen Vergleich gibt. Wer europäische Kunst- und Geistes-
geschichte betrachtet, darf durchaus davon ausgehen, daß zu
einem bestimmten Zeitpunkt und in einer bestimmten Gegend-
beispielsweise — die Gotik an die Stelle der Romanik oder das
Barock an die Stelle der Renaissance trat. Wer bei der Betrachtung
derjapanischen Entwicklungen von ähnlichen Vorstellungen aus-
. geht, macht sich schwerwiegender Vereinfachungen schuldig. Da-
nielle und Vadime Elisseeff resümieren in ihrem umfassenden
Werk über «Japan — Kunst und Kultur»: «Vielleicht muß man be-
sonders darin eine der Ursachen des außerordentlichen Reich-
tums der japanischen Kunst sehen: niemals hat man eine Manier
ausschließlich zugunsten der Einführung von Neuerungen aufge-
. geben. Die Erfindung bereichert, zerstört aber nichts.»
Y Es ist nicht plausibel, anzunehmen, daß eine solche Art und
Weise, geistesgeschichtlich zu reagieren, zumal sie sich über
einen so langen Zeitraum (gewiß nicht immer in der gleichen,
aber doch in vergleichbarer Weise) wiederholt hat - nämlich vom
6. bis zum 19. Jahrhundert! —, nun plötzlich, in unserem Jahrhun-
- dert, zum Stillstand gekommen sein soll. Das Phänomen, das mit
" Fug und Recht als «das» japanische par excellence bezeichnet
werden darf, bleibt auch spürbar und wirksam in der Begegnung
Japans mit dem Westen - und auch, das war ja unser Ausgangs-
punkt, im Aufeinandertreffen von Zen und westlicher Technolo-
- gie. Auch hier gibt es die japanische Dialektik des Sich-aneinan-
- der-Steigerns viel eher als die Verdrängung.
KA Tbaigens hat die Tatsache, daß der jeweils folgende Künstler
BR,
freilich auch mit Konfuzius) unmittelbar zusammenhängt. Die
Grund liegt im Giri. Ich zitiere wieder Danielle und Vadime Elis-
seeff: «Giri drückt den von Dankbarkeit begleiteten Respekt aus, a

ein gleichzeitig bereicherndes und zwingendes Gefühl, Wesen


auch des Bandes, das den Schüler mit dem Meister verbindet ...
Aufgrund des Giri kann der Schüler niemals ohne Unschicklich-
keit die Fertigkeiten des Meisters ignorieren...»
Girihatzuder «erstaunlichen Kontinuität» innerhalbderjapani-
schen Kunst geführt. Giri ist auch im heutigen Japan lebendig, —
sogar in der Art, indersich Fabrikarbeiter ihrem Vorarbeiter, Ange- E
I
E

stellte ihrem Chef, die amerikanisierten Musiker des japanischen


Jazz ihrem Bandleader voller Respekt verbunden fühlen. Giri sorgt
dafür, daß alle diese Bereiche - und zahllose andere —, selbst wenn
sieaufden oberflächlichen Beobachternoch so «verwestlicht» wir-
ken mögen, spürbar japanisch bleiben. Das Vorbild der Giri-Bezie-
hungist das Verhältnis des Schülers zu seinem Roshi, seinem Zen-
Meister. |

VII.

Längst mag der eine oder andere fragen: Wie kommt es, daß man
immer wieder hört, die Japaner seien allem Religiösen abgeneigt?
Ich kann ziemlich genau sagen, woher das kommt, denn ich habe
ein paarmal miterlebt, wie diese Ansicht entsteht - zuletzt 1975
beim Besuch einer Gruppe protestantischer Kirchenleute aus den
USA, die Japan bereisten. Immer wieder wurden Japaner mit pein-
licher Direktheit befragt: Glauben Sie an Gott? Und fast immer
bekamen sie eine ausweichende Antwort-oderrundheraus: Nein.
KeinerderBesuchermachtesich klar, daß die Frage, obmanan Gott
glaube, doch eigentlich nur aus dem Blickwinkel dreier Weitre-
ligionen gestellt werden darf - der christlichen, der jüdischen und
des Islam — mit ihrer Fixiertheit auf den sogenannten «persön-
lichen Gott». Wer falsch fragt, bekommt falsche Antworten. Auch
der gläubigste Buddhist - und gerade er— kann auf die Frage nach
Gott nur indirekt antworten — oder rundheraus «nein» sagen.

254
er ) g ; eı I
rochen A in a Nirgendwo sonst haben so viele Menschen
das, was man eine «eigene Religion» nennen könnte.
Von dem Jazz-Gitarristen John McLaughlin habe ich einen groß-
artigen Ausspruch Vivekanandas gelernt: «Gott kommt auf die
' Erde, um eine neue Religion zu gründen, und sie ist wunderbar
und hilft vielen Menschen. Aber der Teufel kommt gleich hinter-
her und macht eine Kirche daraus.» Auch das ist zu sehen: Es gibt
— von zwei oder drei «New Religions» abgesehen — kaum eine
«Kirche» in Japan. Viele der westlichen Reisenden, die Religion
vermissen, verwechseln diese mit der Institution der Kirche — wie
sie das ja auch in ihren eigenen Ländern tun und dadurch ihre ei-
gene Religion, die christliche, immer weiter beschädigen. (Das ist
_ eines der größten Wunder an Jesus Christus: daß selbst noch der
Rest von ihm, der nach zwei Jahrtausenden des Mißbrauchs durch
u
A
=
die bestallten Vertreter der diversen christlichen Kirchen übrig ge-
a
blieben ist, so vielen Menschen hilft und in der ganzen Welt im-
_ mernoch Segen stiftet.)
Die Frage, ob einer an Gott glaube, hat etwas Indiskretes, Boh-
rendes, die Intimität Verletzendes. Fast so, als ob man fragt: Mit
wem haben Sie letzte Nacht geschlafen? Eine Gesellschaft, die das
- Private und Persönliche mit so viel Behutsamkeit schützt wie die
- japanische, ist diesbezüglich empfindlich.
Auch sind die Japaner ja wirklich ein «diesseitiges» Volk.
Nichts, wovon in diesem Beitrag die Rede war, widerspricht dem.
Auch nicht die zahlreichen sogenannten «New Religions» — die
- Neuen Religionen -, zu denen sich Millionen von Japanern beken-
nen — Millionen, die «gleichzeitig» auch noch Buddhisten oder
Shintoisten oder - oft genug — beides sind. Wir müssen begreifen,
daß das Wort «Religiosität», wie es in Europa verwendet wird, zu
sehr mit christlichen Vorstellungen befrachtet ist. Es ist nicht an-
gemessen für andere Weltgegenden. Deshalb wird es ja auch im-
mer mehr durch den Begriff «Spiritualität» ersetzt. Zen ist gewiß
1 keine Religion; aber Zen ist «spirituell».
E
| Fr scdiriben: Ken a,zum Pinsel und schrieb: Be
samkeit.» — «Ist das alles?» fragte der Mann. «Wollt Ihrnichtnoch
etwas hinzufügen?» Ikkyü schrieb daraufhin zweimal hinterein-
ander: «Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit.» — «Nun», meinte
der Mann ziemlich enttäuscht, «ich sehe wirklich nicht viel Tie
fes oder Geistreiches in dem, was Ihr da geschrieben habt.» Da
aufhin notierte Ikkyü das gleiche Wort dreimal hintereinan
«Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit.» Verär-
gert fragte der Mann: «Was bedeutet dies Wort überhaupt?» Ikkyü
antwortete sanft: «Aufmerksamkeit bedeutet Aufmerksamkeit.:
«Wer beweisen will,
ist nicht gut.
Die Gelehrten wissen nicht!»
Lao-tse

Zu sprechen ist über die Rolle, die die Wissenschaft in «Nada


4Brahma» spielt: eine Frage also des Verfahrens. Solche Fragen gehö-
rennichtin den Text, und zu «Nada Brahma» passen sie schon gar
h nicht. Dennoch beziehe ichmichständig-positivundnegativ-auf
' Ergebnisse der Wissenschaft. Ich nehme an, daß die Ambivalenz,
; die hier herrscht, dem aufmerksamen Leser bewüßt geworden ist.
Diese Ambivalenz muß geklärt werden.
3 Wir brauchen Wissenschaft. Wir bewundern viele ihrer Ergeb-
nisse. Wir können nicht leben ohne sie. Wir wollen nicht zurück-
fallen in einen vor-wissenschaftlichen Zustand. Aber der bereits
in der «Intro» zitierte Physiker und Mathematiker Claudio Hoff-
- mann hat unter dem hübschen Titel «Smog im Hirn» ein Buch
über die «notwendige Aufhebung der herrschenden Wissen-
schaft» gemacht. Hoffmann weist nach: Wissenschaft dient nicht
zur Verständigung, sondern zur Herrschaft. In der Physik verdop-
- pelt sich die Zahl der bisher in der Geschichte der abendländi-
schen Menschheit geschriebenen Veröffentlichungen alle drei-
zehn bis fünfzehn Jahre; die Forschungsintensität, die sich auf die
Vernichtung von Leben konzentriert, ist zehnmal intensiver als
diejenige, die auf die Erhaltung von Leben zielt: «Der Todestrieb,
Feinst von einem Wissenschaftler als theoretischer Begriff unter
kdas Volk gebracht, wird nun von Wissenschaftlern als reales Ver-
nichtungspotential über das Volk verhängt.»
Sogar ein Mann von so konservativem Zuschnitt wie Carl Fried-
_rich von Weizsäcker, selbst Atomphysiker, fragt, ob das, was die
Ewissenschaftier
“ «der Welt antun, nicht vielleicht obj ektiv verbre-
cherisch ist».
. Paul Feyerabend - einer der Begründer der modernen Wissen-
schaftskritik — weist darauf hin, daß die wichtigsten Entdeckun-
gen, die sich die Wissenschaft zugute hält, nicht von Wissen-
schaftlern, sondern «fast immer von Außenseitern gemacht»
257
einem Mythos oder einer Bichtwissenschaitiie :
' den Garaus zu machen. Die Argumente ... bestehen etwa in de
Bemerkung, daß die kritisierten Ideen nicht auf wissenschaftliche
Weise gewonnen wurden und daher unbrauchbar sind... DieBe-
hauptung der Wissenschaftler, allein brauchbare Methoden und
Erkenntnisse zu besitzen, erweist sich als ein Zeichen nicht nur
ihrer Einbildung, sondern auch ihrer Ignoranz.»
Der französische Biologe Joel de Rosnay zeigt in seinem Buch
«Das Makroskop», daß die Verfahrensweisen herkömmlicher
wissenschaftlicher Arbeit nicht geeignet sind, Wirklichkeit zuer-
fassen, sondern im Gegenteil zwangsläufig Wirklichkeit verzer-
ren. So lautet beispielsweise ein seit Generationen weiterge-
N)
BE
FEETI
ERE
EEi
schleppter, nie mehr durchdachter und gleichwohl immer noch
befolgter Grundsatz wissenschaftlichen Arbeitens — etwa in Me-
dizin und Chemie: «Die Bewertung der Tatsachen erfolgt durch
experimentellen Beweis im Rahmen einer Theorie.» De Rosnay
weistnach, daß dieser Satz längst schon durch den folgendenhätte
ersetzt werden müssen: «Die Bewertung der Tatsachen erfolgt
durch Vergleich der Funktion eines Modells mit der Realität.»
Weil analytisches Denken für die Wissenschaft wichtigeristals
vergleichendes, igelt sich Wissenschaft ein. Sie tendiert eher zu
Enge und Starrheit als zu Weite und Beweglichkeit. Deshalb hal-
ten die meisten Wissenschaftler sogar noch in einer Zeit, in der
uns Logistik und Kybernetik auf die größere Zweckmäßigkeit
nicht-aristotelischer logischer Systeme und auf unkausale De-
duktionsmöglichkeiten hinweisen, stur an der aristotelischen Lo-
gik und dem rationalistischen Kausaldenken fest (siehe hierzu
den Exkurs über die Logik am Ende des II. «Nada Brahma»-Kapi-
tels). Es ist diese Starrheit, die dazu geführt hat, daß Wissenschaft-
ler zwar jene Erkenntnisse, die ihrer eigenen Art zu denken ent-
sprossen sind, innerhalb weniger Jahre- oft in wenigen Monaten —
akzeptieren, daß sie aber an Erkenntnissen, dieihre schulmäßigen
Verfahrensweisen gefährden, etwa der Relativitätstheorie oder der
Unschärferelation, noch ein halbes Jahrhundert, nachdem sie ge-
macht wurden, vorübergehen, als ginge sie das alles nichts an
(siehe hierzu Kapitel VI).
Besonders offensichtlich wird das Versagen wissenschaftlicher |
Arbeit in der Medizin. Kaum eine einzige bahnbrechende medizi-
nische Entdeckung in den letzten hundertfünfzig Jahren, dienicht
von den beamteten Universitätsprofessoren als «unwissenschaft-
ren Widerstand seiner (Scande sscnösseh. be-
i jete) und Werner Forssmann (der 1929 die Herzkatheterisie-
rung erfand, an sich selbst erprobte und noch bis in die fünfziger
Jahre hinein als «Scharlatan» diskriminiert wurde) bis zu Luis
Pillemer (der das für das menschliche Immunsystem so wichtige
_ Properdin entdeckt hat und 1954, nachdem er jahrelang von sei-
nen Kollegen verteufelt worden war, in seinem Labor Selbstmord
beging; wenige Monate später - zu spät! — begann die «herr-
‚schende Wissenschaft» seine Forschungen zu akzeptieren).
Es gibt eine Straße der Scham und der Schande, auf der die medi-
zinische Wissenschaft sich spreizt und sich bläht, als schritte sie
_ auf einer Straße der Wahrheit. Und statt- nach den zahllosen Fäl-
ER len fälschlicher Diskriminierungen - endlich zu lernen, künftig
vorsichtig zu sein, überhebt sie sich immer noch weiter — sogar
' über das seit Jahrhunderten Bewährte dessen, was sich aus Angst
. vor der Wissenschaft und ihrem überheblichen Ton selbst mit
dem Ausdruck «Erfahrungsmedizin» disqualifizieren mußte (- als
ob nicht jede Medizin — auch also die Schulmedizin - zuallererst
Erfahrungsmedizin wäre!)
Die Aggressivität des abendländisch-westlichen Denkens, das
4 «Vereinfacherische» einer nur rationalen Auffassung biologi-
7 schen Geschehens spiegeln sich in den Behandlungsmethoden
einer Schulmedizin, für die sich die positiven Begriffe «Helfen»
4 und «Heilen» in wachsendem Maße auf die negativen Vorstellun-
gen von «Kämpfen» und «Krieg führen» gegen bestimmte Krank-
heiten, von «Ausrotten» und «Ausmerzen» bestimmter Krank-
- heitserreger reduziert haben. Wir haben eine Medizin— oder sagen
wir richtiger: eine Schulmedizin (denn es gibt ja auch andere me-
-dizinische Möglichkeiten, denen sich die von der etablierten Me-
- dizin im Stich gelassenen Menschen in wachsendem Maße zu-
wenden), diein diagnostischer Hinsicht zwar noch fortschreitet,
aber in dem Bereich, auf den es ankommt, im Therapeutischen
4 nämlich, mit den längst überholten Keulen eines derben, mate-
> zialistisch--chemischen Positivismus um sich schlägt - jenes Posi-
'tivismus, den Karl Popper schon vor fünfzig Jahren widerlegt hat;
dabei stiftet sie oft mehr Schaden als Heil, ja einen wirkliche
[eil-Begriff, wie ihn die großen schöpferischen Ärzte der Vergan-
genheit geschaffen haben — einen Begriff des Heilens, der mit
«heil» und «ganz» und «heil-ig» zusammenhängt—, hat sie unter
‚den Schutthalden ihres mechanistischen Denkens verschüttet.
259
'ganismen zu tun hat - nämlich die rare alarce
stand», den Menschen, immernochalseine «Maschine» -alsein
einzige große chemische Fabrik- betrachtet, während die Physik,
deren Erkenntnissen in der beginnenden Neuzeit sich die Erfin-
dung und Entwicklung von Maschinen verdankt, das mechanisti-
sche Denken in wachsendem Maße aufgibt und die Welt, sogar die
scheinbar «tote», als jenes System sich ständig verändernder Or-
ganismen ansieht, das die herrschende Medizin beim Menschen
als Basis einer ganzheitlich orientierten Behandlungsweise noch
immer nicht akzeptieren will.
Wir wissen aus Physik, Biologie und Kybernetik von der Bedeu-
tung finaler Prozesse, — was letztlich bedeutet: Wir wissen von der
Steuerungsmöglichkeit der Vergangenheit durch die Zukunft.
Trotzdem gibt es in der Schulmedizin noch nicht einmal Denkan-
sätze, in denen hieraus Konsequenzen gezogen werden. Und dies
trotz der Tatsache, daß in der Evolution des Menschen Finalität
besonders offensichtlich ist! |
Es ist soweit gekommen, daß das Wort «wissenschaftlich» —
nicht nur in der Medizin, dort freilich vor allem — nur noch das
Selbst- und stillschweigende Ein-Verständnis derer designiert, die
sich dieses Attribut zulegen - also nicht mehr ein Qualitäts-, son-
dern viel eher eine Art von « Vereinssignum» darstellt: diejenigen
dürfen sich damit schmücken, die so denken wie die Kaste. Was
«Vorurteil» ist: genauer könnte es nicht bezeichnet werden. Das
Wort «wissenschaftlich» ist damit jenen Termini ähnlich gewor-
den, mit denen sich Medizinmänner im Busch über die in ihren
Kreisen «zugelassenen» und «erklärbaren» Behandlungsmetho-
den verständigen.
Feyerabend folgert mit Recht: Für die Untersuchungen, auf die
es heute ankommt, ist niemand «besser geeignet als ein Außen-
stehender, das heißt ein kluger und lernwilliger Laie».
Besonders verheerend hat das positivistische Denken der Wis-
senschaft in der Evolutionslehre gewirkt. Dabei hatte schon deren
Begründer Charles Darwin 1859 gewarnt: «Sich vorzustellen, daß
das Auge mit all seinen einzigartigen Vorrichtungen zur Alkkoma-
dation, Adaptation, zur Korrektur der sphärischen und chromati-
schen Aberration durch «natürliche Auslese entstanden sein
könnte, scheint, wie ich frei gestehe, im höchsten Maße absurd.»
Robert Kaspar, der diesen Auspruch zitiert, gibt ein einfaches Bei-.
spiel: «Nehmen wir an, es soll ein Wirbeltierauge entstehen, und

260
L nabhängi g voneinander entwickeln.
. Nun wissen wir, daß eine Mutation etwa in jedem zehntausend-
sten (10*) Reproduktionsschritt auftritt und daß höchstens jede
hundertste (ro?) Mutation einen Erfolg bringt. Es sind daher im
Durchschnitt eine Million (ro°) Mutationen erforderlich, um eine
' Struktur zu «verbessern. Das gilt für ein Merkmal. Für zwei
Merkmale wären schon eine Billion (T0°x 10°=10"*) Mutatio-
nen notwendig usw. Wenn wir nun die großzügige Annahme
machen, daß für jede Teilstruktur des Auges nur eine einzige
(positive) Mutation erforderlich ist, so benötigte die Evolution,
um alle fünf Strukturen zusammen entstehen zu lassen,
_ 10°x ı0o°x ı0°x ı0°x 10°=10°° Versuche. Das wäre nur mög-
lich gewesen, wenn seit der Entstehung des Universums (vor etwa
10’ Sekunden) etwa jede Sekunde 10°3 Mutationen am Auge ge-
bastelt hätten.
Man muß sich klarmachen, daß diese Absurdität nichts anderes
als eine Konsequenz der in unseren Lehrbüchern dargestellten
Evolutionstheorie ist.»
Wir haben an früherer Stelle (gegen Ende des II. Kapitels von
«Nada Brahma») ausgeführt, daß das logisch-analytische Denken
und das Kausalgesetz, mit deren Hilfe Wissenschaftler zu derart
absurden Ergebnissen kommen, zwangsläufig zu Fehlleistungen
führen müssen. Bereits vor 50 Jahren nannte ein Schüler des gro-
ßen Physikers Ernst Mach, M.H. Baege, das Kausalgesetz «einen
Pharmazeutenstandpunkt, der nicht mehr aufrechtzuerhalten
ist». Den «Begriff der Ursache» bezeichnete er als einen «letzten
Überrest der animalisch-fetischistischen Denkweise des Ur-
menschen ... als «Gespensterglauben äußerster Verdünnung».
Daisetz Suzuki schlägt vor, endlich von der «Anti-Wissen-
schaftlichkeit» zur «Meta-Wissenschaftlichkeit» vorzudringen.
' Er schreibt: «Die wissenschaftliche Methode, die Wirklichkeit zu
_ untersuchen, besteht darin, einen Gegenstand vom sogenannten
objektiven Standpunkt aus zu betrachten. Nehmen wir beispiels-
' weise an, eine Blume hier auf dem Tisch sei Gegenstand wissen-
u schaftlicher Untersuchung. Die Wissenschaftler werden sie allen
möglichen botanischen, chemischen und physikalischen Analy-
sen unterziehen und uns mitteilen, was sie von diesen verschiede-
nen Blickwinkeln aus über die Blume gefunden haben, und sie
Das ee das die Bin eiieie der Wissenschaft zur
Wirklichkeit auszeichnet, besteht darin, daß sie einen Gegen-
stand beschreibt, über ihn spricht, um ihn herum geht... Aber es
bleibt immer noch die Frage offen: Ist wirklich der ganze Gegen-
stand im Netz gefangen?» Ich möchte sagen: «Keineswegs!> Denn
der Gegenstand, den wir glauben, gefangen zu haben, ist bloß eine
Summe von Abstraktionen und nicht der Gegenstand selbst...
Die wissenschaftliche Methode besteht darin, den Gegenstand
zu töten, den Leichnam zu sezieren, die Teile wieder zusammen- EB
BE
ER

zusetzen und so zu versuchen, den ursprünglichen lebendigen


Leib wieder herzustellen, was in Wirklichkeit unmöglich ist...» ua

Wissenschaft und Tabureaktionen müßten ein Widerspruch


sein, denn zu Wissenschaft sollte Offenheit gehören. In Wirklich-
keit sind die verschiedenen zeitgenössischen Wissenschaften ge-
schlossene Systeme, deren Vertreter mit Argusaugen darüber AR
N
ZN

wachen, daß nichts in sie eindringt, was sich aus Denk- und Erin-
nerungsprozessen herleitet, die ihren eigenen entgegengesetzt
sind, jaim Bereich der Schulmedizin ist die Voreingenommenheit
so groß, daß bereits die Tatsache, daß eine Therapie oder ein Medi-
kament in ihr fremden Denkprozessen entwickelt wurde, genügt,
um Therapie oder Medikament abzulehnen; die unvoreingenom-
mene Prüfung der betreffenden Therapie oder des Medikamentes
“wird in solchen Fällen als überflüssigempfunden.
Carl Friedrich von Weizsäcker weist darauf hin, daß es geradezu
«zu den methodischen Grundsätzen der Wissenschaft» gehört,
«daß man gewisse fundamentale Fragen nicht stellt». Um diese
fundamentalen Fragen ausschalten zu können, hat die Wissen-
schaft gar keine andere Möglichkeit, als mit Tabu-Reaktionen zu
arbeiten, die denen «primitiver» Gesellschaften ähneln. In der
mederiien Wissenschaftskritik findet sich immer wieder dieser
Gedanke: Was für einen afrikanischen Negerstamm eein Totem
ist, das ist für eine bestimmte Gruppe von Wissenschaftlern eine
«gesicherte Theorie». Die Wissenschaftler tanzen drum herum
wie um das Goldene Kalb. Beide, die afrikanischen Gesellschaften
und die Wissenschaftler, haben die Verhältnisse ihres Lebensbe-
reiches so manipuliert, daß belegt werden kann - scheinbar be-
legt: Totem oder Theorie «stimmen». In Wirklichkeit ist die
Theorie nicht «richtiger» als das Totem und ihrem Wesen nach —
«wissenschaftlich»! — auch nicht unterscheidbar von ihm. Beide

262
A
feh ta Det die Rolle, Sie en Zufall iim
_
Weltbild gewisser Evolutionspositivisten spielt. Wir wissen in-
"zwischen, was gegen ihn- und für die Gerichtetheit der Evolution
— spricht. Dutzende von Argumenten sind gesammelt worden.
Vorhin war vom Beispiel des Auges die Rede- und der Unmöglich-
keit, daß es sich- wie doch die Evolutionslehre impliziert-durch e
e5
q Mutationen hätte entwickeln können. Ein weiteres Beispiel bie-
# tet die Existenz des Enzyms Cytochrom c, ein aus 104 Aminosäu- e

_ Ten zusammengesetztes Kettenmolekül, ohne das Leben sich


’ nicht hätte entwickeln können. Anknüpfend an Einsteins be-
_ rühmten Ausspruch «Ich werde nie glauben, daß Gott mit der
- Welt Würfel spielt», weist sogar Hoimar von Ditfurth -also selbst
ein Mann des positivistischen Denkens — darauf hin, daß es im
4 ganzen Weltall kaum mehr als die Hälfte an Atomen gibt, wie
' der Zufall an «Würfelmöglichkeiten» benötigt hätte, um Cyto-
chrom c «zufällig» herstellen zu können. Selbst dann, wenn in
- jeder Sekunde einmal «gewürfelt» worden wäre, hätte in der Zeit,
die seitdem «Urknall» vergangen ist, überhaupt erst 10'7mal (dies
das Alter des Universums in Sekunden) «gewürfelt» werden kön-
nen, und das ist auch nicht annähernd genug, um ein Kettenmole-
kül, für das es 10"?° verschiedene Möglichkeiten gibt, durch Zu-
fall zu produzieren. Und trotzdem klammern sich weite Kreise der
Wissenschaft auch weiterhin an den «lieben Gott Zufall» — mit
einer Scheuklappen-Mentalität, die alle Charakteristika psychi-
scher Verkrampftheit besitzt.
Längst schon ist offensichtlich geworden, daß der «Zufall» ein
viel größerer Fetisch ist als — so glauben ja die Positivisten — der
_ «liebe Gott» für diejenigen, die an Gott glauben: ein Fetisch wie
2 das Totem, das der afrikanische Medizinmann hervorholt, um
seinen Leuten gewisse Dinge «verständlich» zu machen. Voll
solcher Totems und Fetische ist das ganze moderne Wissen-
' schaftsdenken. Mal heißt der Fetisch «Zufall», mal heißt er «Ra-
_ tionalität», mal ist es die «Ursache», mal die «Wirkung», mal sind
es «Zeit» und «Materie», mal ist es das «Experiment», mal das
«Nachvollziehbare» und «Verstehbare» (wer versteht was?), mal
ist es die «Zahl», mal sind es «Evolution» und «Mutation» undall
die anderen Begriffe, die Wissenschaftler täglich in die Debatten
werfen, als bewirke schon der Begriff eine Art «Zauber» — wie das
den Zauber bewirkende Strohbündel im Negerkral oder die Götter
und Geister des Medizinmannes.
263
Mellziner von eendeiner a bekanpte a8
senschaftlich», und, sobald diese Charakterisierung orale
als bewirke sie eine Art Zauber, glauben, sie hätten damit scho
irgendeine sachliche Aussage gemacht. Es ist mir wichtig, gerade
in diesen Zusammenhängen immer wieder Carl Friedrich von
Weizsäcker zu zitieren: Die Wissenschaftler seien «nicht genü-
gend selbstkritisch», sagt er; man könne nicht behaupten, daß sie
«sich ihrer Verantwortung bewußt geworden seien». Und Jakob
von Uexküll: «Mit dem Wort a, wird heutzutage ein
lächerlicher Fetischismus getrieben..
Fetisch und Totem bewirken in der Welt, der sie entstammen —
auf den Inseln der Südsee etwa oder in afrikanischen Negerkrals—
«Wunder». Stellen wir ruhigeinmal die Frage: Was macht die Wis-
senschaft mit dem Wunder? Und nehmen wir die Antwort voraus:
Der Maßstab der Wissenschaft ist ein unwissenschaftlicher: die
Gewöhnung. An gewisse Wunder hat man sich gewöhnt -einGe-
wöhnungsprozeß, der irgendwann in den Höhlen des Neanderta-
lers begann: Zeugung und Geburt neuen Lebens, der immerdar
wiederkehrende Rhythmus der Jahreszeiten, Donner und Blitz,
der gestirnte Himmel, Sonnen- und Mondfinsternisse ... (Men-
schen einfacherer Kulturen akzeptieren all dies auch heutenoch
als Wunder]. An andere Wunder hat man sich nicht gewöhnt: an
die Übertragung von Gedanken und Kräften, an bestimmte (mit
dem Wissen der Schulmedizin nicht erklärbare) Heilphänomene,
auch etwa an die Erfolge der philippinischen Logurgen, an gewisse
mikrophysikalische Prozesse, die allem vorher Errechneten wi-
dersprechen, an Telekinese und Materialisation und Demateriali-
sation, an überprüfbare Fälle von Reinkarnation, an das fließende
Sprechen niemals erlernter und nie zuvor gehörter Sprachen
durch bestimmte Medien, an das Ein- und Ausschalten von Lam-
pen und anderen elektrischen Geräten durch parapsychologische
Kräfte, an Kommunikation mit Verstorbenen, an das Vorausahnen
von Erdbeben, Waldbränden und anderen Katastrophen und an
zahlreiche wunderbare Ereignisse und Fähigkeiten, die aus allen
Kulturen und Zeitaltern der Menschheit übereinstimmend be-
richtet werden und damals wie heute stattfanden und weiterstatt-
finden werden. Auch viele der Phänomene, von denen in diesem
Buch die Rede war — etwa die ständige Präsenz von Dur-Tonlei-
tern und Tritoni in der Mikrostruktur der Atome und Moleküle,
die an der Entstehung des Lebens beteiligt sind —,können in die-
264
Ä inungen lediglich angedeutet werden konnte, gibt es nur
d ‚graduelle Verschiedenheiten, so daß der Bereich dessen, was
; «einfacheren» Menschen und was uns als Wunder - will sagen:
f als unerklärlich - gilt, bruchlos ineinander übergeht. Viele dieser
Wunder treten so selten auf, daß sie kaum je unter befriedigen-
; den Umständen «wissenschaftlich» beobachtet werden können.
Auch wird ihr Ablauf meist durch Beobachtung gestört — wie ge-
wisse Prozesse, für die die Heisenbergsche Unschärferelation
_ gilt. Die Anthropologie und Psychologie kennt zahlreiche sol-
cher Prozesse. Auf jeden Fall ist deutlich: Was wir oft beobachten
können, hört auf, Wunder zu sein — sei es so «wunder-bar», wie
es wolle. Vor zehn- oder fünfzigtausend Jahren hörte der Sonnen-
aufgang auf, «wunder-bar» zu sein (ist er es aber nicht nach wie
vor?), in unserer Generation wird wahrscheinlich das Tritonus-
azlen, Phänomen in der Photosynthese aufhören, «wunder-bar» zu sein,
si
ln
ma
Ze,
Jun
. wenn die Wissenschaft es erst einmal oft genug beobachtet und
diese Beobachtung akzeptiert hat. Die Wissenschaft mißt also
_ die Phänomene an ihren eigenen Gewöhnungszuständen. Ihr
Verhältnis zum Wunder ist genauso vor-wissenschaftlich wie das
- der Leute im Negerkral — wobei noch Folgendes hinzukommt:
Wissenschaftler schaffen es einfach nicht, Wunder als Wunder zu
' akzeptieren. Ihr «Weltbild» (auch dieses Wort ist ein Fetisch) läßt
' das nicht zu. Es widerspricht ihrem Hochmut und ihrem Selbst-
wertgefühl, auch ihrem Bildungsbewußtsein. Ihre Fähigkeit zu
staunen und sich zu wundern ist verkümmert. Für die Bewohner
des Negerkrals aber ist es kein Problem, im Wunder das Wunder
zu sehen: sie tun das täglich. Was ihr Verhältnis zum Wunder be-
trifft, sind also Wissenschaftler und Negerkralbewohner phäno-
menologisch in etwa gleich einzustufen; wie gesagt, nur der Ge-
wöhnungszustand unterscheidet sie. Moralisch aber stehen die
ersteren unter den letzteren, weil das Lebensgefühl der «einfa-
'_ cheren» Menschen nicht durch Hochmut und Selbstbewußtsein
H\getrübt ist. Und die moralische Kategorie ist wichtiger als die
phänomenologische, denn die Wissenschaft könnte bleiben, wie
sie ist - sie wäre ja wenigstens nützlich —, wenn sie nicht mora-
lisch immer wieder so völlig versagt hätte: Wissenschaftler sind
es gewesen, die das Vernichtungspotential der Welt erfunden ha-
ben. Wissenschaftler sind es, die ständig bereit sind zu machen,
& i R . ; j
was
;i
! immer machbar ist — sei es auch noch so verderblich. Wis-
265
2 R rgar n 1

esse der Bevölkerung once är loc ı


sie dadurch mehr Geld verdienen, und die = nach verbindlich

nen durchführen, wenn sie dafür gesondert bezahle a a


wenn die Operationen in ihr Pauschalhonorar eingeschlossen
sind. Wissenschaftler der Biogenetik und des bio-engineerin,
versündigen sich an den Gesetzen des Lebens, obwohl die beste 1
unter ihnen oft genug warnend erklärt haben, zu welchen Kata-
strophen das, was inzwischen weltweit betrieben wird, zwanes |
läufig führen muß.

Wir sollten endlich begreifen: Die Wissenschaft akzeptiert, wasin


ihr Weltbild paßt—und dies allein. Wir haben eine Weltanschau-
ungswissenschaft, die in genau dem Sinne konditioniert wird, in
dem auch das Wissen «einfacherer» Menschen- bleiben wir bei
dem Beispiel der Bewohner eines Negerkrals - eine Konditionih-
rer «Weltanschauung» ist (ein Wort, das für sie gleichbedeutend
mit «Religion» ist — einer Religion, die in der Tat auf eine be-
stimmte Art und Weise, «die Welt anzuschauen», hinausläuft).
Erst kommt die Weltanschauung, dann die Wissenschaft. Was der
herrschenden Weltanschauung nicht entspricht, hat keine
Chance - oder allenfalls bei den wenigen freien und unabhängigen
Geistern, die es natürlich auch gibt. Wo freilich die Wissen-
schaft und die Weltanschauung einander gegenseitig bestätigen,
n; da wird adäquate und oft genug hervorragende Arbeit geleistet: ee r
ch
; eine Arbeit, der wir unseren Lebensstandard verdanken und die
uns geholfen hat, immer wieder neu in Krisen, Seuchen, Gefahren
zu überleben, - eine Arbeit also, für die wir dankbar sein sollten,
aber doch eben nicht so dankbar, daß wir die Hypertrophie - und
nur um sie geht es! — des rationalistisch-mechanistischen Den-
kens, zu dem diese Arbeit geführt hat - die Einseitigkeit und die
Selbstüberhebung dieses Denkens —, nicht als das erkennen, was
sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hen ist: eine
Gefahr für unser Überleben. j
Längst hör’ ich den Einwand: Aber Ihr Denken gefährdet uns
u %
doch. Brauchen wir nicht geheizte Stuben und Strom, Zivilisation
und Komfort, Wohlstand und neue Medikamente und Ungeziefer-
Vertilgungsmittel? Wohl wahr, wenn auch - ich denke an Pflan-
zen-«Schutz»-mittel — mit Einschränkungen. Aber angesichts
dessen, was uns die Wissenschaft antut, ist zu sagen: Wir brau-
266
Vi enschaftier a Heneh va Schicksals ind und chnn A
er übelsten Sklaverei unterwerfen, wenn sie nur gut bezahlt
| werden und von Menschen umgeben sind, die ihre Bücher und
_ Aufsätze lesen und preisen. Griechenland entwickelte sich und
machte Fortschritte, weil es auf die Dienste unfreiwilliger Skla-
ven zurückgreifen konnte. Wir werden uns entwickeln und Fort-
schritte machen mit Hilfe der zahlreichen freiwilligen Skla-
ven in Universitäten und Laboratorien, die uns Pillen, Benzin,
elektrischen Strom, Atombomben, tiefgefrorene Lebensmittel
R und gelegentlich ein paar interessante Märchen liefern. Wir wer-
den diese Sklaven gut behandeln, wir werden ihnen sogar zuhö-
r ren, denn sie könnten etwas Interessantes zu sagen haben; aber
;wir werden nicht gestatten, daß sie ihre Ideologie unseren Kin-
dern im Gewande 4ortschrittlicherr Theorien aufoktroyieren.
3Wir werden ihnen nicht erlauben, die Fantasiegebilde der
Wissenschaft zu lehren, als wären sie die einzigen Tatsachenaus-
sagen, die es gibt ...» Darin liegt «unsere einzige Chance zur
Überwindung der brekeischen Barbarei unseres wissenschaftlich-
3 technischen Zeitalters und zur Verwirklichung einer Mensch-
3 lichkeit, zu der wir fähig sind, die aber nie völlig ausgebildet wor-
©. denist....
5 Freien wir ruhignoch einen Augenblick bei der moralischen
Kategorie. Immer deutlicher nämlich ist in den letzten Jahren ge-
worden, daß Zynismus und Egoismus der Gesellschaft sich nicht
etwa nur im Verhalten der Wissenschaftler abbilden, sondern
- durch die «Erkenntnisse» der Wissenschaft geradezu program-
| miert werden - eine Entwicklung, die besonders offensichtlich in
der Schulmedizin ist, wo Zynismus geradezu zum Berufsbild ge-
hört. Erich Jantsch, der bedeutende amerikanische (aus Wien
tammende] Astrophysiker und OECD-Berater, berichtet mit Ab-
scheu von dem Enthusiasmus, mit dem sich führende Wissen-
chaftler an der Universität Berkeley eine Entdeckung des eng-
schen Anthropologen Colin Turnbull zu eigen gemacht hatten:
- Turnbull hatte in einer abgelegenen Gebirgsregion von Uganda

lung» — mit der Reduktion aller menschlichen Beziehungen « sr


" krassesten Egoismus» reagiert hatte. Mütter verjagten ihre Kinder
vom wärmenden Feuer, alte Leute wurden ausgesetzt, um der Ge-
267
"sten Provenienz feierten die Untaten des ea als
Reduktion des Menschen auf seine «objektive Übiebes u
Ä tion» und eben dies als das wahre Ziel der Entwicklung der
» menschlichen Rasse. Perversion also wurde zum Vorbild. Jantsch i
e: resümiert: «Vom Abschaum zur Avantgarde der Evolution — da
kann man schon ein bißchen stolz werden auf seine Untaten ...
Die Parallele zwischen Wissenschaft, Raub und Mord blieb unwi-
dersprochen im Raum stehen ... Statt Entsetzen sahich glänzende
Augen und offene Münder ...» und er begriff, daß «der im akade-
mischen Bereich grassierende Reduktionismus nicht nur eine ab-.
strakte Denkschrumpfung, sondern ein auch in gesellschaftlicher
Hinsicht gemeingefährliches Phänomen ist».
Prägnant erklärt es Gottfried Benn: «Obschon die Wissenschaft
als Ganzes Unfug ist, ist sie lehrreich.»
Ich habe von «herrschender Wissenschaft» gesprochen — und
das Wort «herrschend» in einem doppelten Sinn verwendet: als
die jeweils herrschende Wissenschaft und als die Wissenschaft,
die über uns alle herrscht — stärker als es Politiker, ja stärker noch
als Diktatoren es tun. Ihr gilt meine Attacke. Es gibt aber auch die
Idee der «dienenden Wissenschaft». Auf sie beziehe ich mich, sie
meine ich, wenn ich Einstein und Heisenberg und Niels Bohr und
all die anderen, von denen in diesem Buch die Rede war, zitiere.
Denn sie besitzen jene Offenheit, welche Freiheit impliziert und
die das Gegenteil des zeitgenössischen Wissenschaftsphänomens
ist, das den besten seiner eigenen Vertreter als «objektiv verbre-
cherisch» und «ohne Verantwortung» (Weizsäcker), als «imperia-
listischer Angriff auf die Natur» und als «Rückschritt» (Erwin
Chargaff — der Entdecker und Entschlüsseler des genetischen
Codes) erscheint.
Die Kritiker der Wissenschaft, die ich zitiert habe — vorzugs-
weise solche, die dem Wissenschaftsbetrieb selbst entstammen
und in ihm glanzvoll gewirkt haben —, meinen nicht nur jene Wis-
senschaftler, die Atom- und Wasserstoff- und Neutronenbomben
erfinden, die Gen-Manipulation betreiben und Giftgase mischen,
die den Motor der Rüstungsspirale der Welt ankurbeln und die,
wann immer die Atom- oder die chemische Industrie sie benötigt,
im Auftrage derer, die sie bezahlen, bereit stehen, den Politikern
und den Gerichten zu bescheinigen, daß alles, was da geschicht,
garantiert ungefährlich sei.
Sie meinen nicht nur das Töten durch aka sondern
268
Wie ich zu Nada Brahma kam und
wem ich Dank schulde

L
!

Mein Leben lang schreibe ich über Jazz. Ein Hörer der Rundfunk-
sendungen, die diesem Buch zugrunde lagen, schrieb: «Warum
machen Sie so Sachen wie Nada Brahma? Bleiben Sie doch beim
Jazz.» Aber eine Hörerin meinte: «Warum haben Sie so etwas
nicht schon eher gemacht? Das ist jetzt Ihre Aufgabe, dasist wich-
tiger.» |
i Die beiden Briefausschnitte kennzeichnen die Situation, in der
ich mich finde, seit ich 1962 zum erstenmal nach Asien fuhr. (Ein
alter Brahmane aus Bali sagte damals: «Du warst vorher schon
hier. Ich weiß das genau.») Man könnte meinen, es sei die Situa-
tion eines Bruches - eines Schismas. Aber ich glaube, das wares
nur am Anfang. Neun Jahre, nachdem ich zum erstenmal nach
Asien gefahren war, begann ich — im April 1971 — zu meditieren.
Im Mai dieses gleichen Jahres besuchte ich meinen ersten Medita-
tionskurs. Im Juni legte ich die Leitung der Berliner Jazztage nie-
der. Ich habe damals gesagt: aus gesundheitlichen Gründen -was
ja nicht falsch war. Im Zusammenhang dieses Buches sollte ich °
aber doch sagen, warum ich wirklich aufgehört habe: Weilich es
als unmöglich empfand, im Mafia-Dschungel des Jazz-Businesszu
arbeiten und gleichzeitig Meditierender zu sein. Ä
Ich kannte Graf Dürckheim, den großen Meditationslehrer. Ich
fuhr zu ihm nach Rütte in den Hochschwarzwald und fragte ihn,
ob ich ganz mit dem Jazz aufhören solle. «Es ist viel wichtiger, daß
es überall Leute gibt, die denken wie wir», sagte Dürckheim. «G
rade auch im Rundfunk. Und im Jazz.» (Er wußte nicht, daß essie
dort ohnehin gibt.) Also: Ich begann, Meditationssendungen im
Südwestfunk zu machen. Ich regte Yogasendungen an - statt d
herkömmlichen Funk-Gymnastik. Mitte der siebziger Jal
N Dar

270 3
enartikel— De ne er a neue rm und u
Jahr später mein Buch «Ein Fenster aus Jazz» herauskam, setzte
‚ damit’s wirklich jeder merkte, diesen Aufsatz, der ein spiritu-
h ler war, als eine Art Programm an den Anfang.
1981 kamimS. Fischer Verlag «Mein Lesebuch» heraus. Monate-
lang hatte ich in meiner Bibliothek herumgestöbert, Beiträge aus-
"wählend, die wichtig waren in meinem Leben. Sie enthielt dieser
Band. Erst als ich sie ordnete, merkte ich, daß fast alle um zwei
Themen kreisten: Das der Unterdrückung und das der Spirituali-
_tät. Beides sind Jazzerfahrungen.
Die Unterdrückung ist eine Jazzerfahrung von Anfang an. Von
New Orleans, vom Blues, ja von Afrika her. Die Spiritualität ist et
S
Be
2
eine Jazzerfahrung spätestens seit John Coltrane, also seit den Ae

‚sechziger Jahren. Aber die alten schwarzen geistlichen Gesänge Eu.


£_

‚können ja nicht aus Zufall «Spirituals» genannt worden sein.


"Auch das also war von Anfang an im Jazz angelegt. Coltrane hat es
k
nur herausgebracht.
In meinem «Lesebuch» gibt es nur zwei Jazzbeiträge, — und
otzdem schrieb der Kritiker des Jazzpodiums: «Dies ist ein Jazz-
R uch.» Derhatte es begriffen. Immer mehr Menschen begriffen es.
Gewiß, in «Nada Brahma» geht es nicht um Jazz. Aber Nada
Brahmakkann auch eine Jazzerfahrung sein. Wenn jemand denkt,
_dieser Satz stehe im Widerspruch zu seiner Jazz-Vorstellung, dann
"stimmt die Vorstellungnicht. Ichbin nicht dereinzige, derden Weg
vom Jazz her gegangen ist. John Coltrane hat begonnen, ihn zu
‚gehen- jeder beginnt nur -, aber Alice, seine Frau, sagt: Wenn
Johnnicht so früh gestorben wäre, dann wäre er ihn weitergegan-
gen. Inzwischen sind ihn Tausende von Musikern gegangen.
Immer wieder, auf diesem ganzen Weg, hat mir die Musik gehol-
fen —und tut dies weiterhin. Sie ist der Weg. Deshalb -um ein
E epiel zu geben - habe ich meine Plattenreihe «Jazz Meets The
World» gemacht - und all die Konzerte und Veranstaltungen, die
mit zusammenhängen, bis hin zu meiner Konzertproduktion
azz & World Music» 1982 im Lincoln Center in New York. Was
wirklich einander begegnete, waren der Jazz und —nenne ich’s
hig: Nada Brahma. Ich mußte das selber erfahren, die Dinge
elber :zu tun, war für mich immer der beste Weg, sie zu erfahren.
irst dann fühlte ich mich wirklich befugt, über sie zu schreiben.
)as betrifft auch, was an diesem Buch erlesen ist. Jemand sagte:
. Gott, was müssen Sie gelesen haben!» Mir ist das gar nicht
271
pie-ne in San Francisco, die Bekanmschsiinmit viel
Menschen, die in diesem Buch zitiert sind; selbst was ich über
«Musik» in der alten venezianischen Malerei schreibe, habe ich
mir selber in den Kirchen und Museen Venedigs zusammen,
sucht. Das Lesen war immer nur eine Art «Gegen-Prüfung».
vinda: «Alles, was wir nur übernehmen, aber nicht unmittelb:
erlebt haben, nicht zu einem Bestandteil unseres Lebens.»

Es waren nicht nur musikalische, sondern auch politische, gesell-


schaftliche, aufklärerische— kurz: antifaschistische — Gesichts-
punkte, die mich 1945 den Kampf für den Jazz beginnen ließen
el
und mich ein Leben lang motiviert haben — Gesichtspunkte, die
für meine Generation auch mit dem Erleben der nationalsoziali-
stischen Barbarei zu tun haben. Aber sie haben auch zu tun mit
dem, was wir bei Karl Marx und später bei Adorno, bei Benjamin,
bei Horkheimer, bei Herbert Marcuse und all den anderen gelernt Re
haben. Das waren die Gedanken, die uns am ehesten geeignet
schienen, eine Wiederkehr der faschistischen Unmenschlichkeit
zu verhüten. Inzwischen dürfen wir nicht mehr so sicher sein. Wir
leben in einer Gesellschaft, die sich ohne Terror und ohne Um-
sturz, ohne Gewalt und Betrug, ohne «nationale Revolution» laut-
los, freiwilligund unmerklich einem neuen Faschismus entgegen
bewegt. Was dazumal Himmler, seine SS-Schergen und Gestapo-
Spitzel besorgt haben, in einem Prozeß, der die Welt erschütterte,
besorgt heute besser und wirkungsvoller die «immanente Faschi-
stoidität» unserer Psyche. I
Es wäre deshalb Selbstüberhebung, wenn irgend jemand noch
sicher wäre, daß der Kampf, den wir vierzig Jahre lang geführt ha-
ben, richtig geführt wurde. Wahrscheinlicher ist im Gegenteil
daß unsere Prämissen nicht stimmten. Die Prämissen waren auf
klärerische, neomarxistische, rationalistische, analysierende; si
haben wir hypertrophiert. Vielleicht waren die Prämissen nicht
272
Prämissen immer nach ausschließlich ee (wie cal
ich dies getan habe)—,der muß sich den Vorwurf der Naivitätge-
llen lassen. Denn gerade der Exzeß des Rationalismusistesja
ewesen, der unsere Welt dem politischen, gesellschaftlichen, :
ökonomischen, ökologischen Kollaps entgegengeführt hat. Vor Re
. diesem Kollaps stehen wir. Niemand weiß, ob er nicht morgen !
schon eintritt. PR
| Ich habe Wissenschaftler, Mediziner, Chemiker sagen hören:
Der Mensch hat schon andere Krisen überstanden, wir werden
auch diesmal mit heilerHaut davonkommen, und wenn uns wirk-
- lich nichts mehr hilft, wird uns im letzten Moment die Biologie,
die Natur mit einer neuen Mutation helfen. Man muß sich vor-
stellen, dies sagen Wissenschaftler, obwohl doch ihre ureigenste
Wissenschaft, die Evolutionslehre, längst herausgefunden hat,
daß allenfalls jede hundertste Mutation Erfolg bringt und daß im
Schnitt eine Million Mutationen erforderlich sind, um eine Struk-
_ turzu verbessern (siehe das Postskriptum über die Wissenschaft).
Nein, meine Herren, so viel Zeit haben wir nicht mehr.
Gerade wir, die wir ein Leben lang rationalistisch und aufkläre-
risch gedacht und gearbeitet und gekämpft haben — und die wir
a
a
fe
deshalb verständliche Schwierigkeiten hatten, umzudenken -,
sollten den Mut haben zu erkennen: Nur noch die radikale Um-
kehr kann uns retten. Radikale Umkehr heißt: Nicht mehr in er-
N
DENE ster Linie die Arbeit am anderen, an der Gesellschaft, sondern die
Arbeit am eigenen Selbst.
- Niemand sage mir also, ich scherte aus, ich verriete die Wegge-
_ fährten,—und indem ich dies sage, denke ich an viele, denen ich
- mich verbunden fühle (einige von ihnen weilen nicht mehr unter
den Lebenden): an Heinrich Strobel, den großen Vorkämpfer der
- «Neuen Musik», der mir zwanzig Jahre lang Vorbild war und der
‘das rationale Kausal-Denken sogar in der Musik etablieren wollte
- = und für ein paar Jahre wohl auch etabliert hat; an Alfred An-
- dersch, der - eher als irgendein Jazzmann - die politische Seite
meiner Arbeit verstanden und kommentiert hat; an Jean Amery,
‘der meine Warnungen vor der neuen Faschistoidität in Jazz und
- Rock schneller begriff als diejenigen, an die ich mich wandte; an
Jans Paeschke, Gründer und Herausgeber des «Merkur», vorbild-
lichster aller Redaktionschefs, für die ich arbeiten durfte, der
ch in den fünfziger Jahren zur Diskussion mit Adorno ermu-

273
bee er chen Musik» ee hat, Dutzend
Musikern befragend, aber so fixiert auf gesellschaftliche
bleme, daß er immer wieder vergaß, die Frage zu stellen, die die
meisten er Musiker noch viel a BORPELNnämlich «

Mythos ist).
Ihnen mehr noch als meinenser möchte ich sagen:
schere nicht aus. Ich tue, was ich mein Leben lang zu tun versu,
_ habe: Ich erweitere die Basis und ich tue, was ich bei Hegel und
Marx und Adorno gelernt habe: Ich denke dialektisch. Ich kann |
nicht verstehen, daß diejenigen, die ihr Leben lang von Dialektik
geredet und geschrieben haben, vor dieser Dialektik versagen.
Denn das tunssie doch, wenn sie uns «Eskapismus» vorwerfen.Ein
Eskapist ist jemand, der die Augen schließt. Die eigentlichen Es-
kapisten sind heute diejenigen, die immer noch rationalistisch,
analytisch, aufklärerisch glauben weitermachen zu können. Sie
schließen die Augen vor der Katastrophe, zu der ihr rationalisti-
sches, analytisches, aufklärerisches, gesellschaftsorientiertes
: Wirken geführt hat. hi

II.

Den Auftrag zu den Radio-Sendungen «Nada-Brahma», ohne die .


dieses Buch nicht entstanden wäre, hat mir der Kulturchef des
Südwestfunk-Hörfunks Bernhard Rübenach gegeben. Esliegtmir
am Herzen, seinen Namen zu nennen, denn erhat den Programm-
platz geschaffen undin einem ı sjährieen Kampf bewahrt-,an
dem derartige Sendungen überhaupt möglich sind: Samstags
abends in der «Soir&e» von 20.20 bis 23 Uhr.
Männer wie Rübenach sind dünn gesät in unserer Medienland- 4
schaft. Früher gab es sie überall, aber die Politiker und die von
ihnen Beauftragten, die nun schon zwanzig Jahre lang an einem
Rundfunksystem herumdoktern, das einmal als das beste der,Welt
galt und also kein «Doktern» nötig hatte, haben es ihnen so

274
danke deshab ches Röbenach. Gern würde ich Boch |
leren am Südwestfunk danken. Aber das Haus ist ein Moloch—
ym —- unpersönlich: ein «Betrieb», und die Soziologie (jeg-
r Richtung) hatjja gezeigt: Betrieben ist man entfremdet.
So danke ich denn einem Abstraktum: dem «Betrieb» Südwest-
k, dem ich mich schon deshalb verbunden fühle, weilichihn-
ht freilich als «Betrieb» und schon gar nicht als «Moloch» —
1945 mitbegründet habe. |Moloch- das Lexikon gibt zwei Bedeu-
tungen: «Hebräisches Schimpfwort im Alten Testament. Bezeich-
nung für eine heidnische Gottheit, der Menschenopfer darge-
racht werden, im übertragenen Sinn für alles, was Menschen ge-
hllos verschlingt: » Aber auch: «... harmlose Ehe aus der Fami-
lie er Agamen, stark mit Dornen bewehrt .. . frißt Ameisen.»)
‚Mein Dank gilt aber auch allen anderen, die mir geholfen haben.
Das sind zunächst die Menschen, die mich auf den Nada Brahma-
Weg gebracht haben - zu viele, um sie hier einzeln nennen zu kön-
en. Aber hervorheben muß ich Hans Kayser, den Begründer der
Harmonikalen Wissenschaft, der mir 1946 in seiner Wohnungin
Eern, in der man kaum treten konnte vor Manuskripten nd Ta-
bellen und Graphiken, einen Stoß seiner Werke in die Hand ge- A
ückt und mir damit auch im übertragenen Sinn einen «Stoß»
gegeben hat, der mich bis heute bewegt. Sodann die großen Musi-
ker, die für mich wichtig waren auf diesem Weg - John Coltrane, =
Don Cherry, Ali Akbar Khan, den Gusti Kliang des Gamelan Or- A
hesters in Bedulu auf Bali, Japans großen Koto-Maestro Shinichi 5
uize, und meine Meditationslehrer Karlfried Graf Dürckheim
d Pater Enomiya-Lassalle S]J...

IV. uN

fit Absicht habe ich Hinweise auf Literatur und Quellen an den
Schluß des Buches, Hinweise auf Schallplatten aberjeweils an den
chluß eines jeden Kapitels (sofern es sich auf Musik bezieht) ge-
setzt. Die Platten nämlich gehören zu den Kapiteln. Deshalb
habe ich die Hinweise auf sie überschrieben: Musık ZUM HÖREN
275
dies Ehinelin nurin Ausnahmefällen tun können. Man Be, :
an Spezial- und Importgeschäfte. Die Schnelligkeit und Bed.
kenlosigkeit, mit der die Plattenindustrie bedeutende Aufnah-
men aus ihren Katalogen tilgt und vom Markt verschwinden läßt,
die Unbefangenheit, mit der sie, meist nur aus bürokratisch
_ Gründen, Bestellnummern ändert, sind unverantwortlich.
Absicht gibt es deshalb im Text keine Hinweise auf Platte:
men.

Zum Schluß möchte ich noch etwas über die Seite sagen, mit der
dieses Buch beginnt- über die Motti.
Die Worte «Offene Weite — nichts von heilig!» stammen von
Bodhidharma, der im späten fünften oder frühen sechsten Jahr-
hundert aus dem Süden seiner Heimat Indien nach China gepil-
gert war, um das chinesische Zen zu begründen. Der Weise— ver-
armt, erh, ausgemergelt nach Jahren des Bettelns und Wan-
dems — wurde von Kaiser Wu in dessen Thronsaal empfangen. i
(Zwischenfrage: Warum empfangen Reagan, Kohl, Mitterrand,
Gorbatschow nicht solche Leute?) Der Kaiser fragte: «Was ist der |
tiefste Sinn der heiligen Wahrheit?» Darauf antwortete Bodhid- |
harma mit eben diesen fünf Worten: «Offene Weite— nichts von
heilig!» Der Kaiser bat um Erläuterung. Der Weise weigerte sich.
Wu verstand ihn nicht, und Bodhidharma, so wird berichtet, «zog.
über den Fluß nach Norden. Kaiser Wu aber dachte sein Leben \
lang über die Antwort des Wanderers nach und fand im hohen a |
ter Erleuchtung. Offen und weit. Nicht heilig.
Was das von Elias Canetti stammende Motto betrifft, so vd es
freilich ergänzt durch ein weiteres Canetti-Wort: «Es hatiimmer
etwas Anrüchiges, wenn man sich einem Glauben verschreibt,
den sehr viele vor einem schon geteilt haben. Es liegt darin mehr.
Resignation, als sich in menschliche Worte fassen läßt. Der i
Glaube ist eine Fähigkeit des Menschen, die sich erweitern |
b
276
‚daß ae etwas mit der ee Qualitä
hen zu tun» hat. Dogmen und alles Dogmatische -will
1 Religionen, die sich selbst festgeschrieben haben und
ı noch verändern _- sind nn, Sie bewegen sich Bi

veist kein Grund mehr zur Rede. Da ii jedoch eben gesagt


abe, daß alle Dinge eins sind, wie kann da Rede nicht wichtig
Intro

1; Bewußtwerdungsprozeß in dieser Generation: Nirgendwo finde ich die «Trans-


formation» des Menschen in unserer Generation - in allen Bereichen — umfas-
sender und systematischer dargestellt als in: Marilyn Ferguson: «Die Sanfte Ver-
a ‚schwörung» (Sphinx Verlag, Basel 1982) und in: Alfons Rosenberg: «Durchbruch
_ zur Zukunft -— Der Mensch im Wassermann-Zeitalter» (Turm-Verlag, Bietig-
heim).
2,3 Millionen Dollar: «Der Spiegel» 9/1983.
437000-1,4 Millionen biologischer Arten: «Global 2000» (Verlag 2001, Frank-
+ furt 1980).
Claudio Hoffmann: «Smog im Hirn» (Päd. Extra Buch Verlag, Bensheim 1980).
Moderne Wissenschaft: s. Postskriptum über die Wissenschaft S. 257 ff.
Umstellung auf «first strike capacity»: «Der Spiegel» 10/1983.
Hans Magnus Enzensberger: «Die Zeit» Nr. 9/1983.
Jean Charon. Physikerin Pasadena und Princeton: s. die Ausführungen im zwei-
ten Teil des IV. und gegen Ende des VI. Kapitels (S.goff. und S. ı58ff.). Ein
Mensch von 60kg Gewicht: s. Anm. zu S. 87ff. (Charon).
199ff.).
_ ı4ff. Hören, Ohr: Das Thema wird hier nur angerissen. Näheres über die Überlegen- .
heit des Ohres und das Verhältnis von Hören und Sehen s. den ganzen ersten Teil
Bi von Kapitel IX (S. 177ff.) und die Anmerkungen dazu.
19 Genro: «Die hundert Zen-Koans der Eisernen Flöte» (Origo Verlag, Zürich 1973).
Die Bedeutung des Wortes Koan wird später in diesem Buch deutlich - z.B. in
.. «Nada Brahma» Kap.II,S. 28ff.

Nada Brahma
I. Kapitel
23 _ Veden: Die ältesten Texte der indischen Überlieferung. Sanskrit-Titel: Veda. Das
Wort Veda ist dem deutschen Wort «Wissen» verwandt. Deutsche Übersetzung:
A.Hillebrandt: «Aus Brahmanas und Upanisaden» (Jena 1921].
23 Martin Buber: «Ekstase und Bekenntnis» aus «Rationalität und Mystik», heraus-
N. gegeben von Hans Dieter Zimmermann (Insel Verlag, Frankfurt a.M. 1981).
24 Lexikon: «Das Große Fischer-Lexikon» (Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt
i P-- a.M. 1976).
. Upanischaden: Bestandteil der Veden, der Heiligen Bücher des Hinduismus, aber
erst in nachchristlicher
Zeit zu einer Sammlung von Texten vereint. Sanskrit-
Titel: Upanisads, wörtlich übersetzt (von upa-ni-sad): Sich-dazu-hinsetzen. Will
"sagen: Mit diesen Texten setz’ dich hin und beschäftige dich damit. Deutsche
Übersetzung: «Upanischaden», Auswahl und Einleitung A. Hillebrandt (Eugen
_ Diederichs Verlag, Düsseldorf). Kleinere Auswahl: «Die Schönsten Upanischa-
» (Rascher Verlag, Zürich/Stuttgart 1962).

N
Dritte Ohr» (Rowohlt, Reinbek 1985

II. Kapitel
. Zen-Meister: «Aussprüche und Verse der Zen-Meister», gesammelt von Pet
ber-Schäfer (Insel-Bücherei Nr. 798, Frankfurt a.M. 1978).
«Wenn du auslöschst Sinn und Ton -»: Else Madelon Hooykaas die rt
beek: «Zazen» (Otto Wilhelm Barth Verlag, Weilheim/Obb. 1972).

Zen-Koans. Sie ist interessant für das Studium des Zen, aber dem Meditierer
bringt sie etwa genausoviel wie eine abgeschriebene Hausaufgabe unserer S
und Jugendzeit. Die Sammlung heißt: Yoel Hoffmann: «Der Ton der Ein.
Die erstmalige Veröffentlichung der überlieferten Antworten auf die Zen-K
(Otto Wilhelm Barth Verlag im Scherz Verlag, Bern/München/Wien 197:
die Einleitung zu diesem Buch («Zen-Die Taktik der Leere» von Ben-Ami
stein) beziehe ich mich mehrfach. Hi
tao: Über das tao heißt es im «Tao Te King» von Lao-tse: «Es allein beha:
wandelt sich nicht. Man darf es ansehen als der Welt Mutter. Ich kenne
seinen Namen. Bemüht, ihm einen Namen zu geben, nenne ich’s groß. D Me=
schen Richtmaß ist die Erde, der Erde Richtmaß der Himmel, des Himme c
maß das tao, des tao Richemaß sein Selbst.» Für das chinesische Wort «ta
sprünglich «Der (königliche) Weg», werden die verschiedensten Übersetz
vorgeschlagen - z.B. «Gott», «Vernunft», «Wort», «logos» etc. Richard
schlägt «Sinn» vor. Lao-tse: «Tao Te King- Vom Sinn und Leben», eingeleitet u
übersetzt von Richard Wilhelm (Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf/Köln
Hakuin: s. Anm. zu $. 28 («Der Ton der Einen Hand»).
Daisetz Suzuki, Erich Fromm, Richard de Martino: «Zen-Buddhismus. u
Psychoanalyse» Sehrkamp Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1980). is
Nichts Böses. Nichts Gutes: Eine sehr viel eindringlichere Darstellung eine
Koan-Erfahrung, die es, besser alsich das im folgenden tue, versteht, anda
sprechliche heransuktihren (aber natürlich ebenfalls dort, wo sie es err.
schweigen muß), gibt Lies Groening in ihrem Buch «Die Lautlose Stimme <
Einen Hand» (Econ Verlag, Düsseldorf 1983).
Tibetanisches Totenbuch: s. Anm. zu S. 41.
Jesaja: Jesaja 60,1. ‘ ‘
«Scheiße und pisse...»: s. Anm. zu S.28 («Der Ton der Einen Hand»),
Lao-tse: s. Anm. zu $.29.
Genro: s. Anm. zu $. 19.
Lies Groening: s. Anm. zu $. 30.
Psalmist: Psalm 91,4.
Lama Govinda: «Schöpferische Meditation und Multiäimensiänales Be
sein» (Aurum Verlag, Freiburgi.Br. 1977). Aus diesem Werk ee auch
weiteren a kurnronZitate.

—-undnun Be ganz neue — Kunst des a in dem a «Q


töne öffnen die Tür» in Joachim E. Berendt: «Das Dritte Rs Vom Hö n de
Welt» (Rowohlt, Reinbek 1985).
dem Ba im Dora: «Das Tibetanische Totenbuch oder die Nach-Tod-
rungen auf der Bardo-Stufe», herausgegeben von W. Y. Evans-Wentz miteiner
Einführung von C.G. Jung (Rascher Verlag, Zürich/ Stuttgart 1970).
‚Govinda: s. Anm. zu S. 37.
MU: s. das Kapitel «Zen und das Japan von heute» (S. 239ff.).
Joshu, die Hofdame Kasuga: s. Anm. zu S. 28 («Der Ton der Einen Hand»).
Wie alt ist Amida Buddha: s. Anm. zu $. 28 («Der Ton der Einen Hand»).
a - Wazifa, sowie die folgenden Ausführungen über Sufis, in: «Sifat», s. Anm. zu$. 39
_ sowie Heft VIII/ı von «Sifat». Dort auch das Zitat von Vilayat Indyat Khan.
Hazrat Inayat Khan: s. auch «Texte zum Nachdenken - Vom Glück der Harmo-
nie» (Herderbücherei, Freiburgi.Br. 1979), sowie den großen Text über Musik in
Kapitel X(S. 206ff.).
. Tantrische Liebeskunst: Arthur Avalon: «Tantra». A Translation from the Sans-
krit (London 1913), Ashley Thirleby: «Das Tantra der Liebe» (Ullstein, Frankfurt /
# Berlin/Wien 1982), Julius Evola: «Metaphysik des Sexus» (Klett, Stuttgart 1962).
Namu Amida Butsu: Daisetz T. Suzuki: «Amida -Der Buddha der Liebe» (Otto
"Wilhelm Barth Verlag im Scherz Verlag, Bern/München/Wien 1974).
Nichiren Shoshu Buddhismus: «World Tribune, A Journal of Nichiren Shoshu
4 Buddhism in America», Nov. Io, 1980; March 17, 1980; Febr. ı1, 1980 (Santa Mo-
nica, Calif.).
48 Vilayat Inayat Khan: a.a.O.
«Es werde»: 1.Mose 1,3.
— «Im Anfang war das Wort»: Ev. Johannes ı,1.
49 Tibetanisches Totenbuch: s. Anm. zu S.41.
50 Christian Morgenstern: u.a. in «Auf vielen Wegen», Gedichte von Chr. Morgen-
stern (Berlin 1897]. Weitere Erwähnungen von «Ur-Ton», «Ur-Wort» usw. auch in
N Morgensterns Gedichtsammlung «Stufen».
_— Upanischaden: s. Anm. zu S.25.
— Sufi Hazrat Inayat Khan: «Music» (The International Headquarters of the Sufi
Movement, Geneva 1959). Deutsche Version: Joachim E. Berendt: «Mein Lese-
buch» (Fischer Taschenbuch Verlag, Fraifkfurt a.M. 1981); s. auch Anm. zu S. 271.
Die Posaunen von Jericho... Ur-Klang: Fritz Stege (dem ich auch sonst für zahlrei-
che Anregungen und Zitate dankbar bin): «Musik —Magie -Mystik» (Otto Rei-
chel Verlag, Remagen 1961].
Emmanuel Jungclaussen: «Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers»,
herausgegeben und eingeleitet von Emmanuel Jungclaussen (Herder Verlag, Frei-
burg/Basel/Wien 1981).
sıf. Jakob Böhme: zitiert nach: Hans Kayser: «Grundriß eines Systems der Harmoni-
2 kalen Wertformen» (Max Niehans Verlag, Zürich/Leipzig 1938). Dort erinnert
Kayser auch daran, daß F. Chr. Oetinger schon vor 200 Jahren darauf hingewiesen
hat, daß Isaac Newton seine Gravitationstheorie nicht etwa «dem lächerlichen
fallenden Apfel» verdankte, sondern Jakob Böhme!
52 Dietrich Bonhoeffer: «Widerstand und Ergebung» (Christian Kaiser Verlag, Mün-
chen).
Paul Celan: «Atemwende» (Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1967).
Rainer Maria Rilke: «Duineser Elegien» (Insel Taschenbuch, Frankfurt a.M.
1980). Zu den verschiedenen Rilke-Zitaten in «Nada Brahma»: s. auch: Leopold
. Spitzer: «Das Harmonikale in der Musikauffassung R.M. Rilkes» (Verlag Elisa-
beth Lafite, Wien).
zen Zimmer: s. Anm. zu. 25 (Brahma).
tra» öns Wilhelm BarthVerlag, ben und München
—- Govinda; s. Anm. zu $. 37.
56f. Suzuki: s. Anm. zu $. 30. i W%
58 Dschuang-tse, zitiert nach: Tschuang-Tse: «Reden und Gleichnissen,
Auswahl von Martin Buber a. Verlag, 195 ar:
Erich Fromm: S. zuS.3o0.

Miinchen
59 Hakuin: s. Anm. zu $. 28 («Der Ton der Einen Hand»).
— Govinda: s. Anm. zu $. 37. ;
60 C.Rv. Weizsäcker: s. Anm. zu. 58. Dort findet sich zu unserem Them
sante Dialog zwischen dem «Giganten» und dem «Ideenfreund». Der
«Gebt Ihr zu, daß die bisherige abendländische Logik kulturbedingt i
Ideenfreund: «Kulturbedingt, aber wahr.» Der Gigant: «Rund, aber vier
Der Ideenfreund: «Kulturbedingt in dem Sinne, daß sie in dieser Kultur un
che leichter gefunden werden konnte als in anderen ...» Der Gigant: «Ihr wollt
Ernst behaupten, daß die en en besser befähigt, Wahrheiten Z

Aula», Südwestfunk Baden-Baden, 18.1.1976.


.63f. Frederic Vester: «Neuland des Denkens. Vom technokratischen zum k
schen Zeitalter» (Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1980).
65 «Die Quantenmechanik ist ...»:s. Anm. zuS.ı35ff.(F. Capra).

III. Kapitel
67 _FRließende Übergänge zwischen mantrischem Klang und Wort: s. auchKapi [X
$.225 (Ägyptische Legenden und Hieroglyphen).
— Wassily Kandinsky: «Über das Geistige in der Kunst»
in: «Rationalität und
stik», herausgegeben von Hans Dieter Zimmermann (Insel Verlag Frankfurt a.M.
1981 )
— Jean Gebser: «Ursprung und Gegenwart» 1., 2. und 3. Teil [Deutscher Tas hen
buch Verlag, München 1973). Dieses Werk ist von entscheidender Bedeutt 1
die Kristallisation des Neuen Bewußtseins im deutschsprachigen Raum.
sü — Hauptquelle für dieses Kapitel: Arnold Wadler: «Der Turm von BabelSte
-— mei:
; schaft der Sprachen» (Fourier Verlag, Wiesbaden). $
68 Le-g und r-e-g-h: Der Paläolinguist Richard Fester en Werke ichnoch r

steht sich, daß die er von Licht und Laut, Recht und rex, Anfang
Lüge, Hall und Schall auf Weibliches von großer Bedeutung ist. Die hierange
nen Gedanken werden weitergeführt und präzisiert in den Kapiteln «D
istweiblich» und «Warum die Frauen die höheren Stimmen Haareinn
Colegrave: «Yin und Yang» (Otto Wilhelm Barth Verlag, Bern undMünchen
1979).
69. Schamanen: «Die Rückkehr des Imaginären», herausgegeben von Christian
Thurn und Herbert Röttgen. Hier: Gerhard Kunze: «Ihr baut die Windmühlen und
wir holen den Wind» (Dianus-Trikont Buchverlag, München 1981).
70 C.F v. Weizsäcker: s. Anm. zuS. 58.
if. Arnold Wadler: s. Anm. zu S. 67.

IV. Kapitel
74 Professor Dr. Kippenhahn: zitiert nach einem im persönlichen Schriftwechsel
übersandten Vortragsauszug.
74ff. Pulsare: s. Asimov, Anm. zu S. 75f.
75 Jeff Lichtman and Robert M. Sickels: «Amateur Radio Astronomer’s Notebook»
(Private Publ. Copr. 1975) [übers. J. E.B.).
758. Isaac Asimov: «Die Schwarzen Löcher» (Kiepenheuer & Witsch, Köln 1979).
75; Tunguska-Region: s. Asimoy, a.a.O.
Ye Johannes Kepler: «Gesammelte Werke» (Beck, München 1938).
77£. Die Obertonreihe entspricht bestimmten Verhältnissen in den Umlaufbahnen
der Planeten: Die Beziehungen gehen zwar aus dem Werk Keplers hervor, aber
exakt nachgewiesen hat sie erst Prof. Rudolf Haase in seinem Werk «Der meßbare
Einklang» (s. die folgenden Anmerkungen).
78/ Obertonreihe, Intervallproportionen, Hans Kayser: Den harmonikalen Ausfüh-
8off. rungen in «Nada Brahma» liegen die Werke von Hans Kayser, dem eigentlichen
Begründer der harmonikalen Wissenschaft, und von Rudolf Haase zugrunde. Es
kam mir darauf an, die harmonikalen Befunde so einfach und übersichtlich wie
möglich darzustellen. Gewisse Vereinfachungen waren dabei unvermeidlich. Ver-
zichtet werden mußte auf die zahlreichen «Theoreme», «Axiome» und Berech-
nungen, mit denen die Fachleute der harmonikalen Wissenschaft ihr Werk (verse-
hen mit einem detaillierten Aufwand an Tabellen und Graphiken) begleiten. Vor
allem die folgenden Werke wurden verwendet:
Hans Kayser: «Akröasis» (Benno Schwabe Verlag, Basel 1946), «Vom Klang der
Welt» (Max Niehans Verlag, Zürich /Leipzig 1937), «Grundriß eines Systems der
Harmonikalen Wertformen» (Max Niehans Verlag, Zürich/Leipzig 1938), «Ab-
handlungen zur Ektypik Harmonikaler Wertformen» (Max Niehans Verlag, Zü-
rich/Leipzig 1938).
Prof. Rudolf Haase hat in Wien das Hans-Kayser-Institut gegründet und Kaysers
Werk kongenial weitergeführt. Literatur: Rudolf Haase: «Geschichte des harmo-
nikalen Pythagoreismus», Publikationen der Wiener Musikhochschule, Band 3
(Verlag Elisabeth Lafite, Wien 1969), Rudolf und Ursula Haase: Literatur zur har-
monikalen Grundlagenforschung I, I, II, IV, V (Lafite, Wien 1969-1983), Rudolf
Haase: «Die harmonikalen Wurzeln der Musik» (Lafite, Wien 1969), Rudolf
Haase: «Der meßbare Einklang, Grundzüge einer empirischen Weltharmonik»
(Edition Alpha, Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1976), Rudolf Haase: «Über das dispo-
nierte Gehör», Fragmente Heft 4 (Verlag Doblinger, Wien /München 1977), Rudolf
Haase: «Leitfaden einer harmonikalen Erkenntnislehre» (Ora, München 1970),
Rudolf Haase: «Harmonikale Synthese» (Lafite, Wien 1980).
Jedem, der tiefer in die in «Nada Brahma» angeschnittenen Zusammenhänge ein-
dringen will, wird das Studium zumindest einiger der genannten Veröffent-
lichungen dringend empfohlen.
79f. Lambdoma: Hans Kayser: «Lehrbuch der Harmonik» (Zürich 1950), Rudolf Haase:
«Das pythagoreische Lambdoma» und «Lambdoma, IGingund Genetischer Code»
(beide in: «Grenzgebiete der Wissenschaft», Resch-Verlag, Innsbruck).

283
Francis We
klang» (s. Anm. zu $.78/8off.).
Thomas Michael Schmidt: «Musik und Kosmos alsSchöpfungswvun
Verlag, Frankfurt a.M. 1970).
Johannes Kepler: s. Anm. zu S. 77.
Zitate (Blaesing, Morgenstern, Plotin, Keyserling)nach Thomas MichaelS
s. Anm. oben (Schmidt). E
Willie Ruff: «American Scientist» (Volume 6/No. 3, May/ Tune 1970).
Planetenklänge: Weitere Informationen in dem Kapitel «Der hörbare und«
hörbare Klang» meines später entstandenen Buches «Das Dritte Ohr» [R«
Reinbek 1985).
87ff. Wilfried Krüger: «Das Universum singt» (Editionstrevese. V., Trier I 98 h
von Krügers Buch erst Kenntnis erhalten, nachdem das Manuskript von « Na
Brahma» beim Verlag abgeliefert war. Die Ausführungen über Krügers Entdeck
gen und Forschungen wurden nachträglich eingefügt. Fürgewisse Vereinfachu
und Kürzungen, die dabei unvermeidlich waren, bitte ich um Entschuld
Interessenten seien auf das obengenannte Werk hingewiesen. \
Jean E. Charon: «Der Geist der Materie» (Ullstein Sachbuch, Panzer
Wien 1982).
88 Govinda: s. Anm. zu S. 37.
89 Periodisches System der Elemente: Beispiele der Oktav-Verwandtschaft bilden«
Reihe der Edelgase Helium (2)- Neon (ro)- Argon (r8)-danach doppelter Oktavab-
stand zum Krypton (36) oder die Reihe Lithium (3) — Natrium (rr)— Kalium (ı
Oder: Bor (5)— Aluminium (13) etc. ... (nachW. Krüger, s. Anm. zu S. g7äk, :
8gf. Haase: «Der meßbare Einklang», s. Anm. zu $.78/8off. BE
18,
L. Wolf: «Symmetrie, Harmonie und Bauplan in Mathematik und Natardı ;en-
schaft»,in: «Beiträge zur christlichen Philosophie», Heft 3 (Mainz 1948)|
Haase, a.a.O.). f
90 Plancksches Wirkungsquantum: Die Physiker definieren es als eine im Raum
lokalisierbare Energie, multipliziert mit ihrer in der Zeit abgrenzbaren Dauer
AH
a
6.6262 : 10°* Js. Yu

Anm. zu S.78/8off.
92 Schwarzes Loch: nach Charon, s. Anm. zu S.87ff. ve Asimov, s. Anm. zu
Elektron: seine unvorstellbare Kleinheit wird mit einem Radius von 2-ı
angegeben. :
93 Elementarteilchen, die nicht zerfallen: Nur Protonen, Neutronen, Elektr.

Dauer des Universums heran, es sei denn, sie fallen «Unfällen» zum Opfe
durch zum Beispiel, daß sie mit sehrhoher Energie aufeinander prallen. Dann lc
sie sich in instabile Teilchen auf, deren Lebensdauer oft nur Bruchteile von Se
den beträgt und aus denen wiederum stabile Teilchen entstehen können.
Pauli-Prinzip:nach F. Vester, s. Anm. zu S. 63f.
94 Oscar Ichazo: zitiertnach: Anand Margo: «Tantra-Der Weg der Ekstase »(S:
Verlag, Meinhard-Schwebda 1982).
95 «Esistbishernochnichtgelungen...»: zitiertnach Brockhaus Enzyklopädie, Sti
wort «Elektron» (Wiesbaden 1968).
C. R.v. Weizsäcker: s. Anm. zuS. 58.
96 Solie: zitiert nach J. Charon, s. Anm. zu S. 87ff.
97 Max Planck: zitiert nach «Sifat» XI/4 (Genf 1982).
g7f. Klänge von DNA, Erdmagnetismus, Sonnenwinden: Nähere Information
Anm. zu S.84f. (Planetenklänge).

284
ER j N er =
Kae K MER
V. Kapitel
Knurrhähne, Umbernfische .:. etc.: nach Informationen des Instituts für Meeres-
kunde der Universität Kiel.
Cetacea: nach Forschungen der Section Pacific Studies am Canterbury Museum,
Christchurch, Neuseeland.
He Joan Melntyre: «Der Geist in den Wassern» (Verlag 2001, Frankfurt a.M.
1982).
R. Haase: «Der meßbare Einklang», s. Anm. zu S. 78 / 8off.
David Cahen, Dr. Gordon Kirkbright: «Listening to Life» (Dr. Bernhard Dixon in
Omni, 1980).
«Pflanzen sprechen ...»: zitiert - wie auch das Folgende - nach Peter Tompkins/
Christopher Bird: «Das geheime Leben der Pflanzen» (Fischer Taschenbuch,
Frankfurt a.M. 1977).
Christopher Bird/ Peter Tompkins: s. Anm. zu S. ıo1.
Prof. Dr. Rudolf Haase: «Kosmos, Mensch, Musik» in «Grenzgebiete der Wissen-
rn schaft» (GWII/76, Resch-Verlag, Innsbruck).
104f. Hans Kayser: s. Anm. zu S.78/8off. («Vom Klang der Welt»).
" 105 «Harmonia Plantarum»: nach R. Haase: «Der meßbare Einklang» und «Über das
En disponierte Gehör», s. Anm. zu S.78/8off., sowie H. Kayser: «Harmonia Plan-
j tarum» (Basel 1943).
105f. «Goldener Schnitt ...»: «Das Große Fischer Lexikon» (Fischer Taschenbuch Ver-
i lag, Frankfurt a.M. 1976).
Über Abweichungen und Differenzen zwischen Goldenem Schnitt und harmoni-
kalen Gesetzen siehe die Ausführungen über «Abweichungen» auf S. ıııff. und
den Anhang («Der mißverstandene Goldene Schnitt») in: Rudolf Haase: «Der
meßbare Einklang», s. Anm. zu S.78/8off. Die Ausführungen über den Golde-
nen Schnitt habe ich differenziert im harmonikalen Kapitel meines Buches «Das
Dritte Ohr» (Rowohlt, Reinbek 1985).
— «Harmonologia Musica» und T.M. Schmidt: zitiert nach Thomas Michael
Schmidt: s. Anm. zu S. 83.
106 Moderne Musiktherapie ...: «Neue Wege der Musiktherapie» (Econ Verlag, Düs-
seldorf 1974).
— _ Agrippa von Nettesheim, Kepler, Novalis: zitiert nach T.M. Schmidt, s. Anm. zu
{ S.83.
107 Hans Kayser: s. Anm. zu S. 78/8off. («Vom Klang der Welt»).
= Indische, afrikanische Musik, China:nach R. Haase: «Der meßbare Einklang», s.
Anm. zu S.78/8off. Auch der bedeutende Musikwissenschaftler und Kenner der
asiatischen Musikkulturen A. Danielou hat auf die erstaunlichen Übereinstim-
2 mungen zwischen den Musikkulturen der Welt hingewiesen.
"107ff. Sexualität, Terzen, Sexten: Dem geheimnisvollen Zusammenhang zwischen Se-
xualität und Musik ist in meinem Buch «Das Dritte Ohr» (Rowohlt, Reinbek
1985) ein ganzes Kapitel gewidmet («Sex, Sexte, Terz und Fünf»).
1Io «als eine verborgene, verschlüsselte Notenschrift»: Marius Schneider: «Sin-
ä gende Steine» und Dieter Rudloff: «Romanische Kreuzgänge und Singende
Steine» in: «Die Kommenden», März 1982 (Kassel/Basel 1955).
ırof. Hans Kayser: s. Anm. zu S.78/8off. Die Zitate stammen aus «Vom Klang der
Welt». Aus diesem Werk stammt auch Kaysers Notierung der harmonikalen
/ Struktur von Bergkristallen.
ıı3f. «Zurechthörbereiche»: R. Haase: «Der meßbare Einklang», s. Anm. zu $.78/
; off.
"114 Theodor Lipps: «Das Wesen der musikalischen Konsonanz ...» in: «Psychologi-
| sche Studien» (Leipzig 1905).
125 George Leonard: «Der Rhythmus des Kosmos» (Scherz Verlag, Bern und Mün-
® chen 1980).

| 285
yx

VI. Kapitel
118 Lyall Watson: «Geheimes Wissen» (Fischer Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1978).
120 Hans Kayser: s. Anm. zu S. 78/8off. (Zitat aus «Vom Klang der Welt»).
Bernhard Riemann, Dobbs: nach: Marie-Louise von Franz: «Zeit — Strömen und
Stille» (Insel Verlag, Frankfurt a.M. 1981).
Sir Arthur Stanley Eddington: «Das Weltbild der Physik» (Jena 1931).
120f. P.D. Ouspensky: «Tertium Organum» (Otto Wilhelm Barth Verlag, Weilheim/
Obb. 1973).
122 Govinda: s. Anm. zu $. 37.
1221: Jean Gebser: s. Anm. zu S. 67.
123 Auf die Makrophysik durchschlagende Prozesse der Mikrowelt: Ein von den
Wissenschaftlern gern gebrauchtes Beispiel für dieses «Durchschlagen» bildet -
im Grenzbereich zwischen Makro- und Mikrophysik — das «Spuken» in der mit
Mikrochips vollgepfropften Bordelektronik moderner Flugzeuge, etwa des Kurz-
strecken-Jet Boeing 737-200. Eingeweihte sprechen von «Phantom-Erscheinun-
gen», auch von «Monotrons» und «gremlins». Die angeblich menschenfreund-
liche Elektronik - so zitiert der «Spiegel» einen Lufthansa-Kapitän — «ermittelt
richtige Daten und zieht daraus Resultate, nach denen du dich nicht richten
darfst, denn sie sind irreführend». Bereits 1980 hatten 232 deutsche Flugzeugfüh-
rer, darunter 221 Lufthansa-Angestellte, derartige «Phantom-Erlebnisse» beob-
achtet. Gewiß würde es in einem einzigen Chip mit seinen 64.000 Speicherstel-
len erst nach ı17 Jahren zu einem «Phantom» kommen, bei einem Paket von
tausend Chips aber ereignet sich das «Phantom» alle sechs Wochen, und da mo-
derne Flugzeuge mit noch viel mehr als tausend Chips ausgerüstet sind, vergeht
kaum ein Flug mehr ohne derartige «gremlins». Der Absturz einer Lufthansa-
Maschine bei Nairobi und das Zerschellen einer DC-10 der Air New Zealand an
einem eisbedeckten Berg der Antarktis werden auf sie zurückgeführt. Ein leiten-
der Mann der amerikanischen Luftfahrtbehörde kommentierte: «Die Aussicht,
solche Schaltkreise zuverlässig zu prüfen, ist beinahe gleich Null.» Die Kapitäne
selbst sagen: «Von den meisten von uns werden Phantom-Erlebnisse erst einmal
weggeschoben und verdrängt» (laut «Spiegel» 8/1983).
Ilya Prigogine hat hierfür ...: nach Hoimar v. Ditfurth: «Wir sind nicht nur von
dieser Welt» (Hoffmann und Campe, Hamburg 1981].
von Heisenberg wissen wir ...: zitiert nach George Leonard: s. Anm. zu $. 115.
124 Jean Gebser: s. Anm. zu S. 67.
Govinda: s. Anm. zu $. 37.
Dogen: zitiert nach D. T. Suzuki, s. folgende Anm. a
124f. Daisetz T. Suzuki: «Der westliche und der östliche Weg» (Ullsteinbuch, Frank-
furt/Berlin/Wien 1974).
125 Einstein: zitiert nach Suzuki, s. vorsteh. Anm.
Saichi: zitiert nach Daisetz T. Suzuki: s. vorsteh. Anm. N
Buddhismus ...: Zitat nach Erich Fromm: «Haben oder Sein» (Deutsche Verlags-
Anstalt, Stuttgart 1976). R\
Meister Eckehart: «Predigten und Traktate», herausgegeben von Josef Quint
(München 1955).
Jakob Böhme: nach: Julius Evola, s. Anm. zu S. 195. $
Angelus Silesius: «Von Gottes und des Menschen Wesen» (Hyperion-Verlag, Frei-
burgi. Br.). R'
Franz Kafka: «Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg»
in: «Rationalität und Mystik», herausgegeben von Hans Dieter Zimmermann
(Insel Verlag, Frankfurt a.M. 1981). N
127 Professor Gorbach: siehe Genro, Anm. zu S.19. Daisetz T. Suzuki vergleicht in °
seinem Büchlein «Der westliche und der östliche Weg» (Ullstein, Frankfurt/Ber-
lin/Wien 1974) den deutschen Mystiker Meister Eckehart und den Buddhismus

286
und kommt dabei zu überraschenden Gemeinsamkeiten (vor deren Hintergrund
‚ die Unterschiede freilich um so aufschlußreicher werden).
Kämpfer der französischen Revolution 1789: Das Ereignis wird von verschie-
denen Autoren berichtet, zum Beispiel Walter Benjamin: Gesammelte Schrif-
ten, Band I (Frankfurt 1974), oder Uwe Schweikert: «Über die Sprache der Ver-
rücktheit» (Neue Rundschau, 93.Jahrgang, Heft ı, S. Fischer, Frankfurt a.M.
1982).
Uhren im Mittelalter: Detailangaben nach: Anton Lübke: “ne Uhr> (VDI-Verlag,
Düsseldorf 1958).
129 Muezzin: Gebetsrufer des Islam, läßt im allgemeinen fünfmal täglich seinen Ruf
ertönen.
das Fangnetz der Zeit über Europa ...: Der Schweizer Jazzkomponist Mathias
Rüegg machte, als wir diese Stelle gemeinsam lasen, darauf aufmerksam, daß es
gewiß nicht der Ironie, wohl auch nicht tieferer Bedeutung entbehre, daß gerade
das Land, in dem die Herrschaft der Kirche am schnellsten und konsequentesten
in die des Kapitals umgeschlagen ist, nämlich die Schweiz, generationenlangzum
emsigsten Uhrenfabrikanten der Welt wurde.
«Tausend Jahre sind... und wie eine Nachtwache»: Psalm 90,4.
Manfred Hausmann: «Hinter den Dingen» (Lometsch Verlag, Kassel).
\ 130 P. Shuttle/P. Redgrove: «Die weiße Wunde Menstruation» (S. Fischer/Goverts,
Frankfurt a.M. 1980).
131/ Tohus und Wohus: sie sind nicht mehr die «neuesten» Teilchen, seit im Januar
134 und Juni 1983 im Kemforschungszentrum Cern bei Genf die W-Bosonen (oder
auch «Weakonen» (von engl. weak = schwach), und die Z-Teilchen [von zero =
null) entdeckt wurden. (Siehe auch Anm. zu S. 159 über «materieabhängige Wech-
selwirkungen».)
NIE32 «Der Rhythmus des Kosmos» von George Leonard: s. Anm. zu S. 115.
133 Lao-tse: «Tao Te King» (Irisiana Verlag, Haldenwang 1972).
das riesige Empire State Building ....: nach George Leonard: s. Anm. zu S. 115.
133 Preßten wir einen Menschen zusammen: s. Anm. zu S.75f.
134f. Isaac Asimov: s. Anm. zu. 8. 75f.
134 Atom harmonikal verstanden: s. R. Haase: «Der meßbare Einklang», Anm. zu
S.78/8off.
135ff. Fritjof Capra: «Der kosmische Reigen — Physik und östliche Mystik - ein zeitge-
mäßes Weltbild» (Otto Wilhelm Barth Verlag, Bern/München/Wien 1977).
| 135f. Niels Bohr: zitiert nach Fritjof Capra: s. vorsteh. Anm.
135 Shikisokuseku: s. «Der Ton der Einen Hand», Anm. zu S. 28.
136 akasa: nach Govinda, s. Anm. zu S. 37.
Niels Bohrs dänisches Familienwappen: nach Fritjof Capra: s. Anm. zu S. 135 ff.
Fritjof Capra: s. Anm. zu S. 135 ff.
E37 Sir James Hopwood Jeans: zitiert nach Emil Heinz Schmitz: «Das Zeiträtsel-Die
erweiterte Gegenwart der Psyche» (Ariston Verlag, Genf 1979).
Sir Arthur Stanley Eddington: s. Anm. zu S. 120.
138 «getrennte Ereignisse voneinander unabhängig sind»: zitiert nach George Leo-
nard, s. Anm. zuS.ı15.
Ilya Prigogine und Isabelle Stengers: «Dialog mit der Natur» (Piper, München
1981).
Ch’an-sha Ching-ts’en: nach «Der Ton der Einen Hand», Anm. $.28.
139 Sätze der «Bootstraper»: zitiert nach Fritjof Capra, s. Anm. zu S. 135 ff.
I4I Capra, F.: «Wendezeit» (Scherz Verlag, 1983).
143 Wolfgang Büchel: zitiert nach Emil Heinz Schmitz: s. Anm. Jeans, zu S. 137.
144 «Wenn du auslöschst Sinn und Ton ...»: s. Anm. zu $. 28ff.

287
VII. Kapitel
146 György Ligeti: Begleittext zur Platte Deutsche Grammophon DGG 137 003. RE

ı47f. Richard Norton: «Musik als tonale Geste» in: Hans Werner Henze (Herausgeber]:
«Die Zeichen - Neue Aspekte der musikalischen Ästhetik I» (Fischer Taschen-
buch, Frankfurt a.M. 1981].
147 Dane Rudhyar: «The Magic of Tone» (Shambhala, Boulder 1982). EE
A
148 R. Haase: s. Anm. zu S. 78/ 8off. («Der meßbare Einklang»).
148f. Hans Kayser: s. Anm. zu $. 78/8off. («Vom Klang der Welt», darin auch das Zitat
von Max Planck).
149 Wilfried Krüger: s. Anm. zu S. 87ff.
149ff. George Leonard: s. Anm. zu S. 115.
150f. Dr. William Condon: zitiert nach George Leonard, s.o.
BESTE Dr. Paul Beyers: zitiert nach George Leonard, s.o.
152 Brian L. Partridge: zitiert nach «Der Spiegel», Nr. 30/82 (Juli 1982).
153 Gunther Hildebrandt: zitiert nach R. Haase «Der meßbare Einklang», s. Anm. zu
S.78/8off.
153£. R. Haase: s. Anm. zu S.78/8off. («Der meßbare Einklang»).
ı58ff. Auch diese Ausführungen basieren — wie diejenigen im zweiten Teil des IV. Kapi-
tels S. goff.- auf Jean E. Charon, s. Anm. zu S.87ff.
159 Vier materieabhängige Wechselwirkungen: Seit durch die Entdeckung der W-und
Z-Teilchen im Januar und Juni 1983 im Kernforschungszentrum Cern bei Genf
«die elektromagnetische Kraft und die schwache Kraft nur als zwei verschiedene
Aspekte einer Grundkraft» erscheinen, «haben wir von jetzt abnicht mehr vier
Kräfte in der Natur, sondern nur noch drei» (Cern-Direktor Herwig Franz Schop-
per, «Spiegel» Nr. 24/1983).
I6I Elektronen - unvorstellbar klein: s. Anm. zu S.92.
163 Schwarzes Loch als «Embryo» eines neuen Universums: nach Asimov, s. Anm. zu
S.75f.
165 Upanischaden: zitiert nach Anand Margo, s. Anm. zu S.94.

VII. Kapitel
168 Gruppen-Sound: Auffällig, daß — parallel zur Entdeckung des Gruppen-Sound in H
der Rock-Musik — nun auch in der «Klassischen» Musik gelegentlich «Grup-
pen-Sound» eine Rolle spielt - in den historisierenden «Consorts», den Produk-
tionen Harnoncourts etc. —, eine Entwicklung die sich immer mehr ausweitet
und die den aufgezeigten Befund nicht widerlegt, sondern ergänzt und - als un-
serer Zeit entsprechend — bestätigt. Sogar in ihren Kompositionen werden ein-
zelne Komponisten der modernen Konzertmusik nun plötzlich in einem Maße
soundbewußt, wie man es bisher nur aus dem Jazz kannte. In einem Interview
sagte Wolfgang Rihm, der 1952 geborene Karlsruher Komponist, der so überra-
schend schnell in die erste Reihe zeitgenössischer Komponisten gelangte: «Ich
habe eine Utopie -— daß ich den Klang anfassen kann, daß ich, während ich
komponiere, der Klang fast selber bin ...» — ein Ausspruch also, der exakt dem
Sound-Bewußtsein der Jazzmusiker und der Rock-Gruppen entspricht («Die
Zeit», I0.Dez. 1982).
169ff. Arnold Wadler: s. Anm. zu S. 67.
170 ... daß beide Sprachreihen zusammengehören: exakt dies hat Richard Fester-der
Begründer der Paläolinguistik — nachgewiesen; s. Anm. zu $.68, bes. das dort er- ES
u
WE
u
Ne
a
En
Lunge"

wähnte Kapitel «Das Hören ist weiblich».


171 Shoichi Yui: unveröffentlichte Schallplatten-liner notes. 2eg
g
e

288
Rudolf Steiner: «Das Wesen des Musikalischen» (Steiner Verlag, Dornach/
a Schweiz 1981).
Perry Robinson: im Interview anläßlich des New Jazz Meetings Baden-Baden,
Südwestfunk November 1978.
172 Karlfried Graf Dürckheim: «Hara - Die Erdmitte des Menschen» (Otto Wilhelm
Barth Verlag, Weilheim/Obb. 1970).
173 schwingen nicht nur Brust und Magen ...: Besonders hervorgehoben wird die Wir-
kung des OM-Sagens und -Singens auf Zirbeldrüse und Hypophyse, die ihrerseits
die Vibrationen an das innersekretorische Drüsensystem — und damit auch auf
diesem Wege an den gesamten Organismus — weitergeben (und im Drüsensystem
Ordnung und bessere Funktion schaffen).
Arnold Wadler: s. Anm. zu S. 67.
174 OM und Amen: In den Rundfunksendungen, die diesem Buch vorausgingen, habe
ich ein OM, von tibetischen Mönchen mehrstimmig gesungen, in einem graduel-
2Zr
ri
len Prozeß in das berühmteste «Amen» der Christenheit, dasjenige aus Händels
«Messias», in Form einer Band-Montage elektronisch überführt. Der «Weg», von
dem hier die Rede ist, wurde dabei völlig unintellektuell, in eindrücklicher Emo-
tionalität deutlich. Es war, als folge man diesem über die Jahrtausende hinweg
begangenen «Wege» in der gerafften Zeit, die für eine derartige elektronische Mon-
tage zwangsläufig nur zur Verfügung stehen kann. Die Entwicklung vom OM zum
Amen ist dann nicht mehr nur eine interessante «Info» für Intellektuelle, der Weg
wird, soweit dies überhaupt für westliche Menschen möglich ist, nachvollzogen,
miterlebt und mit-erfahren. Es ist, als ob die Gene- Jean Charons Elektronen - auf
diese Weise noch einmal an den «Weg» erinnert würden, den sie selber gegangen
sind. Nur so läßt sich die starke emotionelle Wirkung dieser Montage, von der
zahlreiche Hörer dem Südwestfunk geschrieben haben, erklären. Ein Hörer
schrieb: «Ich mußte so weinen, daß ich lange nicht mehr zuhören konnte. Ich
hoffe, ich habe nichts verpaßt.» (Er hat nicht, denn die persönliche Erfahrung ist
wichtiger als alle verstandesmäßige Information.) Die Wandlung des OM zum
Amen ist auch auf derin der «Intro» (V.) erwähnten Wergo-Doppelkassette enthal-
ten.
«Wenn du auslöschst Sinn und Ton —»: s. Anm. zu S. 28ff.
175 Silvia Ostertag ist Schülerin von Graf Dürckheim (s. Anm. zu S. 172). Für die
Dauer eines Kurses bin ich selbst einmal ihr Schüler gewesen. Ihr Buch heißt:
«Eins-Werden mit sich selbst - Ein Weg der Erfahrung durch meditative Übung»
(Kösel Verlag, München 1981). Das Zitat von Frau Ostertag gewinnt dadurch be-
sonderes Gewicht, daß die Autorin selbst nicht nur Psychologin, sondern auch
Musikerin ist.

IX. Kapitel
W877 Tempel im Ohr: Wie bereits in der «Intro» angedeutet, bildet dieses Kapitel das
«Sprungbrett» zu meinem darauffolgenden Buch «Das Dritte Ohr» (Rowohlt,
Reinbek 1985). Hier sind fast alle Themen, die ich in «Tempel im Ohr» ange-
schnitten habe, ausführlicher dargestellt, präzisiert und belegt — etwa die Diffe-
renzierung von Auge und Ohr, die Unabhängigkeit des Ohres gegenüber der Di-
mensionalität der Welt, die Aggressivität des Auges, die Feminität des Ohres, die
Probleme von Radio und TV etc.
#177 George Leonard: s. Anm. zu S. 115.
Hans Kayser: s. Anm. zu $. 78/ 8off. («Vom Klang der Welt»).
179 Jacques Lusseyran: «Das wiedergefundene Licht» (Siebenstern-Taschenbuch,
‚Hamburg 1972). Die Zitate von Lusseyran gewinnen um so mehr Gewicht, wenn

289
#
.“

man erfährt, daß sie persönlich erfahren sind. Der Autor, in Frankreich geboren,
S
erblindete mit sieben Jahren, war gleichwohl aktiv verwickelt in die resistance
des 2. Weltkrieges und inhaftiert in einem deutschen Konzentrationslager. Er ist
heute Universitätsprofessor in den USA.
Sprachbild für Vages im Bereich des Akustischen: Gegenüber dem «Schein» des
Optischen suggerieren Worte, die aus dem akustischen Bereich kommen, deutli-
che Bezüge: «gehorchen», «gehören», erhören». Nach allem, was in die-
sem Buch - und vor allem in diesem Kapitel — über die «Dimension des Ohres»
gesagt wird, ist klar, wem da gehorcht und gehört werden soll - dem nämlich,
worauf alles Zu-Hörende hinausläuft: dem Kosmischen, Göttlichen, dem Ur-
Klang - letztlich dem Nada Brahma.
Doch machen gerade die genannten Zeitworte deutlich: Auch das Ohr kann miß-
braucht werden - zur Unterwerfung, was im neutestamentlichen Griechisch,
wörtlich übersetzt, «Unter-Hörung» bedeutet und bei Paulus vorkommt, kenn-
zeichnenderweise aber nicht in den Evangelien. Für Paulus — den sexuell ver-
klemmten Eiferer, der 84% seiner Mahnworte an die Sklaven richtet (nur 16% an
die Herren, und natürlich merklich höflicher, kaum je fordernd, gewiß nicht — wie
von den Sklaven - «Furcht und Zittern» verlangend) ... für Paulus sind die Worte
gehorchen und Gehorsam (hypakouein, hypotasesthai, hypakoe, hypotage) Lieb-
lingsworte. In seinen Briefen kommen sie 49 (!) mal vor, während in allen Evange-
lien zusammengenommen «gehorchen» nur 8 mal und «Gehorsam» überhaupt
nicht vorkommt. Das i-Tüpfelchen liegt freilich darin: Paulus gebraucht kaum
das Wort «Ohr»! «Nicht das Hören, sondern der Gehorsam interessiert ihn» (nach
Anton Mayer: «Der zensierte Jesus», Walter-Verlag 1983). Menschen wie Paulus
sind an dem interessiert, was Jean Gebser die «Defizienz» des Ohres nennen
würde: das «Unter-hören», die Unterwerfung. Hier liegt - Paulus ist danur ein
Beispiel unter vielen - die Gefahr des Ohres.
180 «Die im Fernsehen machen doch das auch so»: ein de facto gefallener Ausspruch
eines ı2jährigen Jungen, der einen 13jährigen Spielkameraden erhängt hatte (Badi-
sche Neueste Nachrichten, Karlsruhe, vom 15.Januar 1983).
I8I Botho Strauß: «Paare, Passanten» (Hanser Verlag, München/Wien 1981).
183 Stefan Zweig: «Die Monotonisierung der Welt» (Bibliothek Suhrkamp, Frankfurt
a.M. 1976).
184 Bhagwan ...: nach: Bhagwan Shree Rajneesh: s. Anm. zu S. 58.
185 Robert May: «Sex and Fantasy, Patterns of Male and Female Development» (Wide-
view Books, 1981).
Anneliese Korner: «Sex Differences in Newborn with Special Reference to Diffe-
rences in the Organization of Oral Behavior», in: «Journal of Child Psychology and
Psychiatry» 14, 1973. Zum gleichen Sachverhalt: Jerome Kagan und Michael Lew-
is: «Studies of Attention intheHuman Infant» (Merrill-PalmerQuarterly 1,1965).
186 Camilla Persson Benbow und Julian C. Stanley: zitiert nach «Typisch Mann —
typisch Frau» von Jo Durden-Smith und Diane De Simone (Das Beste, Januar 1983 ).
188 Lusseyran: s. Anm. zu $. 179.
189 Wilfried Fischer: «Kinder im Reizfeld technischer Medien — Fernsehen bedroht
die Wahrnehmungsfähigkeit» (Neue Musikzeitung, Regensburg, Okt./Nov.
1982).
«Fähigkeit zur akustischen Analyse vernachlässigt ...»: Der Tatbestand spiegelt
sich auf ironische Weise im physiologischen Bereich. Nach der jährlichen Stati-
stik der deutschen Krankenkassen nehmen Ohrenkrankheiten rapide zu, während
andererseits Augenkrankheiten abnehmen und - vor allem- immer besser geheilt
werden können. Gegenbewegung: s. auch hierzu die wichtigen Bücher von Mari-
lyn Ferguson und Alfons Rosenberg, s. Anm. zu S.9.
190 Louise Goepfert-March: s. «Das Tibetanische Totenbuch»: Anm. zu S. ar.
Martin Buber: «Ekstase und Bekenntnis»: s. Anm. zu $. 23.
190f. Lotussitz: Die Annäherung über den «Schneidersitz» ist erlaubt. Unter den vielen

290
Beschreibungen des Lotussitzes ist die von Kosho Uchiyama Roshi, dem Abt des
Zen-Klosters Antai-ji bei Kyoto, die adäquateste: «Setzt euch auf ein Sitzkissen
oder eine zusammengerollte Decke, legt eine etwas größere Unterlage - zum Bei-
spiel eine weitere Decke - darunter und kreuzt die Beine: Der rechte Fuß ruht auf
dem linken Schenkel und umgekehrt. Dies nennt man die volle Lotus-Stellung.
Wenn ihr die Beine nicht in dieser Weise kreuzen könnt, so legtnur den linken Fuß
auf den rechten Schenkel. Dies ist die halbe Lotus-Stellung. Setzt euch nicht mit-
ten auf das Sitzkissen oder die zusammengerollte Decke. Benutzt nur seinen
Rand. Eure Knie sollen fest auf der Unterlage liegen. Das Gewicht des Körpersruht
auf drei Stellen: auf eurem Gesäß am Rand des Sitzkissens und rechts und links
auf den Seiten der aufliegenden Knie. Setzt euch gerade und streckt den Rücken,
als wolltetihrdas Gesäß tief in das Sitzkissen stoßen. Haltet euren Nacken gerade
und nehmt das Kinn zurück! Stoßt euren Kopf nach oben, als wolltet ihr die Zim-
merdecke eindrücken. Die Daumen begegnen einander oberhalb der nach oben
offenen, vor dem Bauch liegenden Hände, die Unterseite der linken, der passiven
Hand, die Innenseite der rechten, der aktiven Hand, abdeckend. Sobald ihr diese
Stellung eingenommen habt, öffnet den Mund und atmet tief aus. Dadurch ändert
ihr eure ganze Stimmung. Um die Steife in den Gelenken und Muskeln loszuwer-
den, wiegt euch langsam zwei- oder dreimal nach rechts und nach links, erst dann
nehmt eure unbewegte Stellung ein. Von nun an bewegt euch nicht mehr. Auch
wenn es euch juckt, kratzt euch nicht. Beachtet den Juckreiz nicht. Er verschwin-
det dann von allein. Atmet ruhig durch die Nase. Der Atem geht in den Unterleib
... Diese Haltung kann als eine einzigartige Entdeckung des Ostens bezeichnet
werden, da sie die wirkungsvollste ist, um unsere persönlichen, menschlichen
Gedanken aus uns zu entfernen. Man versteht dies sofort, wenn man diese Hal-
tung mit Rodins Skulptur «Der Denker: vergleicht. Die Bezeichnung «Denker:
klingt schön, aber die Haltung dieses Denkers ist die eines Mannes, der seinen
Illusionen nachträumt: der Oberleib vornübergebeugt, Arme und Finger ge-
krümmt, sogar die Zehen sind krumm ...» (Zitiert und um der Verständlichkeit
willen - leicht verändert nach: Kosho Uchiyama Roshi: «Weg zum Selbst», O.W.
Barth, Weilheim/Obb. 1973.)
192 John Blofeld: «Selbstheilung durch die Kraft der Stille» (Scherz Verlag, Bern/Mün-
chen 1980).
193 Rainer Maria Rilke: «Die Sonette an Orpheus» (Insel Taschenbuch, Frankfurt
a.M. 1980).
Es ist mir wichtig, hier das ganze Sonett wiederzugeben, denn es ist ein «harmoni-
kales Gedicht»:
«Da stieg ein Baum. O reine Übersteigung!
O Orpheus singt! O hoher Baum im Ohr!
Und alles schwieg. Doch selbst in der Verschweigung
ging neuer Anfang, Wink und Wandlung vor.
Tiere aus Stille drangen aus dem klaren
gelösten Wald von Lager und Genist;
und da ergab sich, daß sie nicht aus List
und nicht aus Angst in sich so leise waren,
sondern aus Hören. Brüllen, Schrei, Geröhr
schien klein in ihren Herzen. Und wo eben
kaum eine Hütte war, dies zu empfangen,
ein Unterschlupf aus dunkelstem Verlangen
mit einem Zugang, dessen Pfosten beben, —
da schufst du ihnen Tempel im Gehör.»

(s. auch Anm. zu S. 52).

291
Tullus‘Evola: ysik
auch die zitierten Stellen aus Platosessanahl-

X. Kapitel
197 Adorno: «Philosophieder Neuen Musik» (Suhrkamp Verlag, Frankfurta.M
198 Hermann Graf Keyserling: «Das Reisetagebuch eines Philosophen» (Otto
Verlag, Darmstadt 1921, 2 Bde.). -
199 Ravi Shankar: «Meine Musik - mein Leben» |Nymphenburger Verlagsh
München 1968).
- Gerhard Nestler: «DieForminder Musik» (Atlantis Verlag, Freiburg/Zü
200 _Irdische Musik als Ausschnitt aus einer ewigen Musik: Wunderbar in diesem
sammenhang ein Gedanke Rudolf Steiners: «Die Instrumente sind a
geistigen Welt herausgeholt...DerMensch hateinfach, indemerphysisch
instrumente gemacht hat, die leeren Plätze ausgefüllt, diedadurch gebliebensit1
daß ernicht mehr das Spirituellesah. Dahaterdiephysischen Instrumentehinein
gestellt.» (Aus Rudolf Steiner: «Das Wesen des Musikalischen», Rudolf:
Verlag, Dornach /Schweiz 1981).
2ooff. Allauddin Khan: zitiertnach einer Sendungvon PeterMüller: «DieErben de
Khan» (RIAS Berlin, 1978).
201 «Zeremonie des Bindens der Ganda»: zitiert nach einer a von Peter]
s. Anm. oben. F
— «Manchmal band ich beim Üben ...»: Ravi Shankar, s. Anm. zuS. 199.
— RaviShankar: s. Anm. zuS.199.

emotionale Schwierigkeiten, sich als Komponisten eines Ragas zu bez


Denn ein Raga wird eigentlich nicht komponiert; er wird «entdeckt, wie e

F i musikalischer Buchen
Theoretisch ist die Zahl der Ragas unbegrenzt. Allein in Südindien gibtess5831mii
f Namen benannte Ragas. Ein auch nur durchschnittlicher Musiker sollte mind
stens 70 bis 80 beherrschen. Dieses Wort «beherrschen» impliziert eine jahre
5 Schulung, die weit hinausgeht über die damit vergleichbaren Tonleiter-
R den-Studien westlicher Musiker. Jedes Intervall - jeder einzelne Ton- ist voll;
packt mit Inhalt, Ausdruck und Individualität, - schon in den Vorstellunge:
mit ihm verbunden werden: Die Oktave ist der Pfau (der sich spreizt!), die groß
Sekunde der Stier, die Terz das Schaf, die Quarte der Kranich, die Quinted
kuck, die Sexte das Pferd-für manche auch der Frosch—‚dieSeptime der El.
Andere beziehen die sieben Haupttöne- indisch SA, RI, CA, MA,PA, DHA NI
auf den Menschen: SA, die Tonika, ist die Seele, ihr folgen der Reihe nach: F
(die Direktive durch die Sekunde!) — Arme (Terz) Brust (Quarte)- Hals (Q:
Hüfte (Sexte) — Füße (Septime).
Spaziergänge mit Ali Akbar Khan: Man beachte, daß Ravi Shankar Hindu und
fangen haben: der eine, Ravi Shänkar, als Hindu, der andere, Akbar Khan, als Mos-
lem — beide in einer Moslem-Familie in dem bengalischen Hindu-Dorf Maihar, wo
der weise Ustad — der Moslem-Guru — von den Hindus als «Heiliger Mann» fast
noch mehr verehrt wurde als von seinen Moslem-Brüdern (die in ihm letztlich
«nur» den großen Musiker sahen) wie esüberhaupt vor der heutigen Fanatisie-
rung die Regel war, daß Moslems auch die heiligen Hindu-Brahmanen ihres Dorfes
oder ihrer Stadt achteten und ehrten und die Hindus umgekehrt die weisen und
heiligen Moslem-Männer respektierten.
Überraschend viele der großen indischen Musiker sind nicht - wie man anneh-
men sollte— Hindus, sondern Moslems - so Ustad Bismillah Khan (der bedeutend-
ste aller Shenai-Bläser); Sheikh Chinna Maulana Sahib, der große Nagaswaram-
Spieler, der noch dazu aus dem so viel stärker hinduistischen Südindien stammt
(am liebsten spielt er denn auch in Hindu-Tempeln; in Moslem-Moscheen gibt es
ohnehin keine Musik), und Ustad Vilayat Khan, den viele als Sitar-Spieler höher
bewerten als Ravi Shankar. Der «authentischste» aller indischen Gesangsstile,
das sogenannte Dhrupad Dhamar, das bereits Jahrhunderte, bevor die Moslems
nach Indien kamen, gepflegt wurde und Vorläufer späterer Stile wie Khyal und
Thumri war, wird heute fast nur noch von den Dagar Brothers — der Moslem-
Familie der Dagars (!\— gesungen. Und all diese großen Moslem-Musiker besitzen
eine besondere Art emotionaler Kraft, die die Hindus Bhaw nennen und die in
mancher Hinsicht dem entspricht, was für die Jazzleute soul ist. Peter Michael
Hamel übersetzt Bhaw mit «hingebende Religiosität, spirituelle Kraft, musikali-
sche Magie». Bhaw ist nicht möglich ohne den Brahma-Klang: ohne Nada
Brahma. Bhaw ist Hindu — aber Fachleute meinen, daß es heute mehr Moslem-
Musiker gibt, die mit Bhaw spielen, als Hindus.
Viele der großen indischen Musiker-Familien (die insofern eine wichtige Rolle
spielen, als sie ihre Spielweisen, Techniken und Traditionen von Generation zu
Generation weitergeben) sind deshalb Moslems geworden, weil die Mogul-Herr-
scher über Jahrhunderte (!) hinweg- vom 16. bis zum 19. Jahrhundert - die besten
Künstler Indiens nach Delhi und überhaupt in ihre Hauptstädte und Paläste gezo-
gen haben. Diese Herrscher hatten Indien erobert, aber Indien eroberte auch sie —
mit dem ganzen Reichtum seiner Kunst und seines Geistes. Besonders deutlich
wird dies bei dem größten von ihnen: Kaiser Akhbar (1556-1605), unter dessen
Förderung der Hindu-Stil des Dhrupad-Gesanges seine höchste Blüte erreichte.
Aber auch vier Jahrhunderte später noch fand der Vater von Ali Akbar Khan - der
große Allauddin Khan —, nachdem er jahrelang in Hindu-Städten auf der Straße
und in Hindu-Dörfern in Ställen geschlafen hatte, zum erstenmal in seinem Le-
ben am Hof eines Moslem-Fürsten, des Nawab von Rampur, eine menschliche
Bleibe. Der hatte in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts 500 (!)
Künstler an seinen Hof gezogen: er legte Wert darauf, daß er für jedes Instrument
==
Veena, Sitar, Rabab, Surbahar, Sarangi, Shenai, Tabla etc. — den jeweils maßge-
benden Musiker in seinem Palast hatte.
Seit die Araberim rı. Jahrhundert in Indien eingefallen waren, hat es viele Kämpfe
und blutige Auseinandersetzungen zwischen Moslems und Hindus gegeben, —
und diese Auseinandersetzungen hielten auch nach dem historischen Sieg des Is-
lam von 1192 an. Und doch ging die Entwicklung, nachdem einmal das Mogul-
Reich etabliert war, in Richtung der Toleranz und des Einander-Akzeptierens. Im
eigentlichen Mogul-Reich (1526-1748) brauchte kein Hindu-Künstler und -Mu-
siker je mit Gewalt zum Islam bekehrt zu werden. Die Großmut und Güte der
Mogul-Kaiser, -Könige und -Fürsten genügte, um gerade die Gebildeten und Hö-
herstehenden in Scharen zum Moslem-Glauben zu treiben. Einige dieser Herr-
scher setzten ihren Untertanen ein Zeichen, das jeder verstand: Sie hatten drei
oder vier [Lieblings-Frauen — eine Islamin, eine Hindu-Frau, eine Europäerin, ja
einer sogar eine Schwarze aus Afrika —, und sie ließen keinen Zweifel, daß ihnen
alle gleich lieb waren. Kaiser Akhbar hatte 1580 offiziell den Islam aufgegeben und

293
Jes e
setzt hat, so Kaben doch er alleSe Kais
Signal als bleibende Verpflichtung empfunden.
Als ich Anfang der siebziger Jahre zum erstenmal mit Ali Akb Kh
produzierte, kam ich zunächst gar nicht auf den Gedanken, «Kha
könnte ein Moslem sein, er sprach ständig von Hindu-Göttern und Hindı
tionen. Das tun auch die anderen Moslem-Künstler Indiens. Sie spielen uY

B.; Besingen von Hindu-Gottheiten im Radio verboten ist, wissen die Mos em-S
% j ger sich in ihren jahrhundertealten musikalischen Traditionen nicht ander
% zudrücken, als indem sie von Shiva und Krishna und Rama singen- sei’
= Sa heimlich. ;
202 «sah er viele Männer und Frauen ...»: Ravi Shankar, s. Anm. zu S. 199.
2o4ff. John Coltrane (Don Cherry u.a.): Informationen über Coltrane, seine
sche und geistige Haltung enthält auch das Kapitel über John Coltrane L
nette Coleman in: «Das Große Jazzbuch —Von New Orleans bis Jazz
Er
i +Er
KUER«
Joachim E. Berendt (Fischer Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1982). .
Informationen über die Thematik der Spiritualität in der zeitgenössisc.
musik vermittelt das Essay: «Der Jazz und die Neue Religiosität» in: «Ei Fen
aus Jazz» von Joachim E. Berendt (Fischer Taschenbuch, Frankfurt a. M. R ei
m. 206 Nathan Davis: International Conference «The United States in the
er Washington D.C. 1976, Panel Discussion. €
% | Santana ist auf Sanskrit «der ewig fließende Strom des Werdens, der weder du
De Geburt noch Tod begrenzt ist» (Govinda).
I Sufi Hazrat Inayat Khan: s. Anm. zuS. 5o.
Gen 209ff. Hermann Hesse: «Gesammelte Werke» (Werkausgabe edition sub
ui
furta.M. 1972).
210 . Peter Michael Hamel: «Durch Musik zum Selbst - wie man Musik neu erl
N und erfassen kann» (dtv Bärenreiter, München 1980).
21of. «Orgelspiel» von Hermann Hesse: «Musik» (Suhrkamp Verlag, Prankfurea
1976). 5
210/ «Glasperlenspiel» — Hermann Hesse: «Von Wesen und Herkunft des Glas
213ff. spiels», herausgegeben und mit einem Essay versehen von Volker Michel,
kamp Verlag. Frankfurt a.M. 1977). »
214f. Volker Michels: s. vorsteh. Anm.
216f. Peter Michael Hamel: s. Anm. zu S.210.
“ 216 Gerhard Nestler: s. Anm. zu S. 199.
} 217 Pandit Patekar: s. Peter Michael Hamel, Anm. zu S.21o.
218f. «Siddhartha» — Hermann Hesse (Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M.).
219 _«Dasist der Weg»: s. «Wenn du auslöschst ....», Anm. zu S. 28 ff.
— _ nada:s. «Nada Brahma», Kapitel I, S. 23 ff.
220 Genro:s. Anm.zuS.1g.
— «Wenn du auslöschst Sinn und Ton —»: s. Anm. zu S. 28ff.
— Hsüeh Too: s. Genro, Anm. zu $. 19.
— Lao-tse: «Tao Te King», s. Anm. zu S. 133.
221 Person: Die Sprachwissenschaft deutet das Wort auf zweierlei Weise. Zum
wie im Text angegeben, als per-sona: durch den Klang. Zum anderen führt
auf das etruskische phersu zurück, das Maske bedeutet (griech. prösopon
Deutungen ergänzen einander. Die Maske der Schauspieler in den Theat
Antike trug eine trichterförmige Mundöffnung, durch die die Stimme v stä
wurde. Diein den ‚riesigen an, entfernt Sitzenden konn

294
— als durch ihr Aussehen erkennen. Später wurde die Identifizierung «per-sona»,
«durch den Klang», vom Schauspieler auf «die Person» schlechthin übertragen.
(Nach Jacob und Wilhelm Grimm: «Deutsches Wörterbuch», Leipzig 1889, und
er Betz: «Woher? Ableitendes Wörterbuch der deutschen Sprache», Bonn
1963.
Hermann Hesse: «Klein und Wagner» in «Gesammelte Werke» (Werkausgabe edi-
tion suhrkamp, Frankfurt a.M. 1972).

XI. Kapitel
224 Hafiz—erzählt von Sufi Inayat Khan: s. Anm. zu S. 5o.
Sufi Inayat Khan: s. Anm. zu SS. so.
2225 Sagen ... Legenden: zitiert zum Teil nach Fritz Stege: «Musik — Magie - Mystik»,
s. Anm. zu S.s;o.
Bansf. Marius Schneider: «Klangsymbolik in fremden Kulturen» in: «Beiträge zur har-
monikalen Grundlagenforschung» (Wien 1979).
226 Upanischaden: s. Anm. zu $.25
227 ... beliebteste der Götter galt: Nach Wolfgang Laade: «Musik der Götter, Geister
und Menschen» (Verlag Valentin Koerner, Baden-Baden 1976).
Theo Meier: Es ist mir an dieser Stelle ein Bedürfnis, dem Schweizer Maler Theo
Meier, der Jahrzehnte auf Bali und in Thailand gelebt hat, zu danken. Er ist es
gewesen, der mich bei meiner ersten Bali-Reise 1962 auf wochenlangen Streifzü-
gen kreuz und quer durch die Insel in das Phänomen «Bali» eingeführt hat.
Ernst Schlager: «Rituelle Siebenton-Musik auf Bali», herausgegeben von Hans
Oesch (Forum Ethnomusicologicum, Francke Verlag, Bern 1976).
228 Amaterasu: nach Fritz Stege, s. Anm. zu S. 50.
Huan Yi: nach «Der Ton der Einen Hand», s. Anm. zu S. 28.
229 Sufi Hazrat Inayat Khan: s. Anm. zu S.44f. («Texte zum Nachdenken»). (Beide
Geschichten stammen aus dieser kleinen Sammlung von Sufi-Texten und -Legen-
den).
230 Alexandra David-Neel: «Mönche und Strauchritter» (Brockhaus, Leipzig 1931).
azıff. J. R. R. Tolkien: «Das Silmarillion» (Hobbit Presse, Klett-Cotta, Stuttgart 1979).
Michael Ende: «Momo- ein Märchen-Roman» (K. Thienemanns Verlag, Stuttgart
1973).
233 Altindische Mythologie: nach Marius Schneider, s. Anm. zu $. 225.

Anhang
Zen und das Japan von heute
239ff. Zen und das Japan von heute: Der Beitrag entstand im Auftrag von Westermanns
Monatsheften, wurde aber für dieses Buch umgeschrieben und wesentlich erwei-
tert. Einige Ausführungen in diesem Beitrag- etwa über «MU» und über das Medi-
tieren eines Koans — werden ergänzt durch das II. Kapitel von «Nada Brahma»,
S.28ff. Deshalb wurde hier darauf verzichtet, die dort bereits eingeführten Begriffe
zu erklären.
239 Jean Gebser: s. Anm. zu S. 67.
240 Bhagavadgita: = «Gesang des Erhabenen», indisches philosophisch-religiöses
Lehrgedicht, zurückgehend auf das 3. Jahrhundert v. Chr. Gott Krishna spricht in
der Gestalt des Helden und Wagenlenkers Ardschuna. «Was du auch tust, ob du

295
u.

ißt, arbeitest, gibst oder nimmst, welche Übungen du auch befolgst, tue es im
Bewußtsein, daß es in Wirklichkeit der Geist ist, der es durch dich bewirkt.» «Es
ist besser, die eigene Bestimmung unvollkommen zu erfüllen, als erfolgreich die
Lebensweise eines anderen nachzuahmen.» (Roy Eugene Davis: «Bhagavadgita»,
eine göttliche Offenbarung, Einführung und Kommentar, Verlag CSA, Friedrichs-
dorf 1981.) F
a

241 Haiku von Basho: zitiert nach D. T. Suzuki: «Die große Befreiung- Einführung in
den Zen-Buddhismus - Mit einem Geleitwort von C.G. Jung» (Fischer Taschen-
buch, Frankfurt a.M. 1975).
242 Daisetz T, Suzuki: s. Anm. zu $. 124f. und oben.
243 Enomiya-Lassalle: «Zen - Weg zur Erleuchtung — Einführung in die Meditation»
(Herder, Wien/Freiburg/Basel 1973].
245 redet und zwitschert und kichert: Ihr Zwitschern ist die ästhetisierte, geradezu
: «musikalisierte» Verdrängung der Antwort, die ihr jedes Kimono-Anlegen gibt —
auf die Frage: Wie fessele ich mich selbst, ohne es zu merken? Und wie schaffeich
es, beides zu genießen: daß ich die Fessel nicht bemerke und daß sie dennoch
TE
7
az
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Fessel ist? Die schönste Pessel der Welt.
Der Kimono ist die Sublimierung jenes zutiefst japanischen sadomasochistischen
Geschlechtsverhältnisses, das jeder Zeitschriftenstand in Japan verifiziert-durch
die Fülle pornographischer Zeitschriften, in denen - in unerschöpflichen, furcht-
baren Variationen - Fesselungen zu sehen sind. Japan ist das einzige Land derErde, leu

in dem zahlreiche sadomasochistische Porno-Zeitschriften sechsstellige Aufla-


gen erzielen. Einige dieser Zeitschriften sind, was die Qualität von Fotos und a
layout betrifft, so gut gemacht, daß sie ihrerseits das sind, was der Kimono ist: eine
Ästhetisierung von Quälerei — nur eine derbere, gemeinere, weniger sublime, da-
für eine zeitgemäßere. Viele der gefesselten Frauen und Mädchen [und Kinder!),
wenn sie nicht nackt sind, tragen Kimonos: der Pleonasmus der Fessel als deren
Potenzierung. :
Ich trage diese Gedanken als Anmerkung nach, weil sie mit Zen nichts zu tun
haben. Oder doch? Gibt esin der Qual des Za-Zens, des stundenlangen, tagelangen
Sitzens, ein masochistisches Element? Hat dieses Element so prägend gewirkt,
daß es auf die Geschlechterbeziehung projiziert wurde? namLa
ma
DT
tn
un
Abu
nanm
sh
Wir fragen wieder die Sprache: Mono heißt «das Ding», Ki heißt «anziehen». Zu-
nächst einmal ist offensichtlich: Der Name «das Ding anziehen» hätte nie entste-
hen können, wenn der Kimono wirklich nur all das Schöne, Charmante, Grazile,
Kostbare, Erotische wäre, was man sich gemeinhin darunter vorstellt. Wann sagen
Menschen «das Ding»? Offensichtlich wenn sie etwas nicht ganz so genau benen-
nen wollen, wie sie es vielleicht könnten. Vor Jahren gab es einen furchterwecken-
den amerikanischen Science-fiction-Film «Das Ding», und dieses war da ein die
Menschen bedrohendes, unbenennbares Ungeheuer. Je näher uns etwas ist, je
mehr wir es lieben, desto genauer benennen wir es. Wenn also der Kimono nur all
das Schöne wäre, was man damit verbindet, würde man ihn nicht ein «Ding»
nennen. «Das Ding» aber geht einem leicht von den Lippen, wenn es sich um heennD
EeFu
St

etwas handelt, das die Sitte oder die Gesellschaft (oder das Unterbewußtsein!)uns
anzulegen zwingen. «Gib mir das Ding», hätte de Sade einen seiner folternden
Herren zu Justine sagen lassen können, und diese — ohne einen Augenblick zu
zweifeln — hätte ihm die siebenstriemige Peitsche mit ihren goldenen Dornen '
gereicht - und noch Tage später, beim Anblick ihrer blutigen Striemen, hätte sie
schaudernd gedacht: «Das Ding!» «Das Ding» ist eine Projektion dessen, der wirk-
lich «ein Ding» hat: des Mannes, dessen Penis bei uns wie in Japan in den Vorstel-
lungen pubertierender Töchter «das Ding» ist gleichermaßen gefürchtet wie er-
sehnt und im übrigen unbenennbar.
Nomen est omen: Kimono = Das Ding anziehen. Ich denke, es ist deutlich: die
Trägerin spricht nicht gern aus, was sie sich wirklich anzieht, wenn sie den Ki-
mono anlegt, aber: sie weiß es, zumindest: sie ahnt es.

296

>>ei
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Botho Strauß: s. Anm. zuS. 181.
Kakichi Kadowaki: in: «Munen Muso — Ungegenständliche Meditation — Fest-
schrift für Pater Hugo M. Enomiya-Lassalle S] zum 80. Geburtstag» (Matthias
Grünewald Verlag, Mainz 1978).
Sg und Vadime Elisseeff: «Japan - Kunst und Kultur» (Herder, Freiburg
1980).
Elias Canetti: «Die Provinz des Menschen — Aufzeichnungen 1942-1972»
(Fischer Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1976).
Vivekananda: in: «Das Große Jazzbuch» (John McLaughlin-Interview) von Jo-
achim E. Berendt (Krüger Verlag, Frankfurt a.M. 1981, und Fischer Taschenbuch,
Frankfurt a.M. 1982).
En Kapleau: «Die drei Pfeiler des Zen» (Otto Wilhelm Barth Verlag, Weilheim/
Obb.).
Weitere Literatur zu diesem Kapitel:
Eugen Herrigel: «Der Zen-Weg» (Otto Wilhelm Barth Verlag, München 1958).
Eugen Herrigel: «Zen in der Kunst des Bogenschießens» (Otto Wilhelm Barth Ver-
lag, Weilheim/Obb.),
sowie ein Teil der zu «Nada Brahma», Kapitel IT angeführten Literatur.

Postskriptum über die Wissenschaft


‚257 Lao-tse: s. Anm. zu $. 133.
Claudio Hoffmann: s. Anm. zu S. ıı.
Carl Friedrich von Weizsäcker: «Im Garten des Menschlichen» (Carl Hanser Ver-
lag, München /Wien 1977).
as r7f. Paul Feyerabend: «Wider den Methodenzwang» (Suhrkamp Verlag, Frankfurt
a.M. 1977).
258 de Rosnay: nach Frederic Vester, s. Anm. zu S. 63 f.
Siehe hierzu auch die Ausführungen über die Logik und das Analogiedenken am
Schluß des II. Kapitels (S. 57£f.).
260 Robert Kaspar: «Die Evolution des Lebendigen als Erkenntnisvorgang» (Umschau
80, 1980, Heft 16).
261 M.H. Baege: nach: Frederic Vester: «Ernst Mach» in: «Die Großen der Weltge-
schichte», herausgegeben von Kurt Fassmann, Bd. 8 (Kindler, Zürich 1977).
Daisetz Suzuki: s. Anm. zu S. 30.
262 C. F.v. Weizsäcker: s. Anm. zu. 58.
Tabu-Reaktionen, die denen «primitiver» Gesellschaften ähneln: Hierzu gehört
auch der Verhaltenskodex von Wissenschaftlern untereinander, besonders offen-
sichtlich in der Medizin, wo Vertreter der gleichen Richtung- etwa im Bereich der
Schulmedizin — unter keinen Umständen belastet werden dürfen, auch dann
nicht, wenn sie eindeutig Fehler gemacht haben, während Vertreter anderer
medizinischer Richtungen mit immer den gleichen Ausdrücken («Scharlatan»,
«Nichts-Könner», «unwissenschaftlich» etc.) attackiert werden. Auch die For-
melhaftigkeit der Kommunikation von Medizinern untereinander, die einver-
ständnisheischende Kumpelhaftigkeit ihrer Fachsprache deutet in diese Rich-
tung. Die Sprache der Mediziner ist ja nicht — wie etwa die der theoretischen Phy-
siker — notwendig, weil komplizierte Vorgänge ohne sie nicht angemessen darge-
stellt werden können; letztlich werden in ihr nur Worte der Umgangssprache in
Ausdrücke, die aus dem Lateinischen und Griechischen abgeleitet sind, übersetzt;
es handelt sich also um eine Sprache, die nicht etwa Kommunikation, sondern
Camouflage herstellt. In alledem werden Verhaltensmuster deutlich, die in der
Tat denen «primitiver» Gesellschaften ähneln.

297
263 Hoimar von Ditfurth: «Wir sind nicht nur von dieser Welt» (Hoffmann und
Campe, Hamburg 1981).
264 Carl Friedrich von Weizsäcker: s. Anm. zu S. 58.
Logurge: Geistheiler auf den Philippinen. i
266 Brustkrebsoperationen: Christian Bachmann: «Die Krebsmafia» (Editions To- j
mek, Monaco 1981].
267 Feyerabend: s. Anm. zu S. 257.
Jantsch, Erich: «Die Selbstorganisation des Universums. Vom Urknall zum
‚menschlichen Geist» (dtv, München 1982).
268 Gottfried Benn: «Lyrik und Prosa, Briefe und Dokumente» (Wiesbaden 1962).
C. F.v. Weizsäcker: s. Anm. zu S. 257.
Erwin Chargaff: «Warnungstafeln» (Klett-Cotta, Stuttgart 1982).
269 Gottfried Benn: s. Anm. oben.

Nachwort
271 «Mein Lesebuch» von Joachim E. Berendt mit Beiträgen von Bernward Vesper,
Probst Heinrich Grüber, A. u, M. Mitscherlich, Alfred Andersch, Fritz J. Raddatz,
James Baldwin, Jean Amery, Czeslaw Milosz, Heinrich Heine, Robert M. Pirsig, °
Jean Gebser, Daisetz T. Suzuki, Frangois Viallet, Eugen Herrigel, Hermann Hesse,
aus dem Tibetanischen Totenbuch, Sufi Hazrat Inayat Khan, Hans Kayser, Hein-
rich Strobel, Gottfried Benn, Matthias Claudius, Bert Brecht, dem Psalmistenu.a.
(Fischer Taschenbuch, Frankfurt a.M. 1981).
272 Govinda: s. Anm. zu S. 37.
274 Ekkehard Jost: «Jazzmusiker - Materialien zur Soziologie der afroamerikanischen
Musik» (Ullstein, Frankfurt/Berlin/Wien 1982), «Free Jazz» (Schott, Mainz
1975), «Sozialgeschichte des Jazz in den USA» (Fischer Taschenbuch, Frankfurt
1982).
275 Moloch - «Das Große Fischer-Lexikon» (Frankfurt a.M. 1976).
276 Elias Canetti: s. Anm. zu S.255 (diesem Buch entstammt auch das Canetti- \
Motto).

E
E
Namen- und Sachregister

\ Hinweis zum Gebrauch des Registers: Kursiv gesetzte Seitenzahlen weisen


auf Schallplatteneinspielungen hin, Zahlen in Klammern beziehen sich auf
y den Anmerkungsteil (Worterklärungen, Quellenangaben etc.).

A Atum 225
Aufmerksamkeit 241, 256
Absurdität 56, 65
Auge ı4ff, 48, 68, ı77ff, ı84ff,
- Abweichungen (von harmonikalen
261
Strukturen) ıı1ff, (285)
Aurilac, Gerbert von 128
- Achternbusch, Herbert 62
Ausbeutung 140
-Adler 32
Ave Maria 4gf
Adlerblick 14, 184
_ Adorno 197, 272, (292)
- Agrippa von Nettesheim 105, 106
- AH (Ur-Mantra) 4of
B
Akhbar 229f
" Akkord 37f, 67f, 83, 95, 101, 107£, Bach, Johann Sebastian 20, 55f, 66,
© 1r0f I00, 103, IO9, 146, 176, 235
«Akroasis» (Kayser) 80 Backster, Cleve 102
«A Love Supreme» (Coltrane) 204f, Backster-Effekt 102
222 Baege, M.H. 261, (297)
Amaterasu 228, (295) Bali 26, 227
Amen sof, ı73ff, 289 Barenboim, Daniel 197f
. Ameno-Uzume 228 Basho 241, (296)
Ame£ry, Jean 273 Bauch ı71ff
. Ananke 132 Bavare, Bajiu 199
- Andersch, Alfred 273 Bebop 88
Androgynie 195 ff Beethoven 103, 146
Antike 12, 115 Bell, J.S. 138
Anti-Materie 135 Bell’s Theorem 138
Apsara ı08f Benjamin 272
Architektur rogf Benn, Gottfried 268, (298)
'Aristoteles 177 Berger, Karl 205
«Aristotelitis» 58 Bergpredigt 242
Armstrong, Louis 104 Bettina 247
Asimov, Isaac 76, (283) «Between» (Gruppe) 222f
Atem40,44,19I Bewußtsein ııff, 55 ff
Atma 40 Bewußtsein, Neues 12f, 16, (279)
' Atom 86ff, 93, 96, 99, 133ff Beyers, Paul ıs5ı
Atomphysik 86 ff Bhagavadgit 240, (295 f)

299
N

Bhagwan Shree Rajneesh 58, 184, Chlorophyll 88 wB


(282) Christentum 24, 35, 44, 55, 57, 194,
Bibel 31, 96, 220 242 |
Bird, Christopher ıo2f, (285) Christus s. Jesus Christus
Birkhoff 58 Chromatik 107, 146
Blaesing, David 83, (284) Chronos 130ff
Blattform 99, 104f Churchill, Winston 269
Blofeld, John 55, 192, (282), (291) Cluster 146
Bodhidharma 7, 276 Colegrave, Sukie 69, (283)
Böhme, Jakob 5ıf, 126, 195, (281) Coltrane, Alice 271
Bohr, Niels 9, 135 f Coltrane, John 9, 17, 20, 204ff, 222,
Bohr’sches Atommodell 86 (294)
Bonhoeffer, Dietrich 52, (281) Condon, William ı50f |
Bootstrap-Physik 13, 38, 139, 142 Cusanus, Nikolaus 215
Borneman, Ernest 273 Cytochrom c 263
Brahma 24ff, 37, 39, 50, 71
Brahman 25, 37, 39, 71 D
Brahms 103
Brecht, Bert 172 Dali, Salvador 128
Brentano 52 Danielou, Alain 198, (285)
Brodowski, Pavel 275 Darwin, Charles 260
de Broglie 143 David-Neel, Alexandra 230, (295)
Buber, Martin 23, 190, (279) Davis, Nathan 206, (294)
Büchel, Wolfgang 143, (287) Debussy 146
Buddha 13, 42f, 47, 55, 70, 135f, 194, Dereda 227
200 Dimensionalität ııgff
Buddhismus 47f, 56£f, 59, 70, ı25ff, Dissonanz 78f
135, 194, 242 Ditfurth, Hoimar von 263, (298)
DNS 86ff
do 29 -
Dobbs, Adrian 120, (286)
c
Dogen 249
Cahen, David ıo1, (285) Dolphy, Eric ı7ı
Candomble-Kultur 225 Domei-san 245 f
Canetti, Elias 7, 255, 276, (297) «Drei-Groschen-Oper» (Brecht) 172
cantare 69 Dschuang-tse 7, 58, 144, 277, (282)
Capra, Fritjof 135 ff, 141, (287) Dur 79, ı07f
«Caravanserai» 206, 222 -Akkord 82, 107
Casals, Pablo ı75f -Dominanz 90, 107
Cäsar, Julius 162 -Tonleiter 82, 87, 89
Celan, Paul 52, (281) Dürckheim, Karlfried Graf 83, 172,
Ch’an-sha Chin-ts’en 138 270f, (289)
Chargaff, Erwin 268, (298)
Charon, Jean E. 13, 87, 90f, 114, ı15,
E
158ff, (279), (284)
Cherry, Don 209, 222 Echo 168 |
Ch’i 136f Edda 70
Chirico 146 Eddington, Sir Arthur Stanley 120,
Chladnische Klangfiguren 116 1376, (287)
300
Eichendorff 52,247 Gehör 82, 107
Eichmann 162 Gehorchen, Gehorsam 184, (290)
_ Einheit 6off Genesis 195
. Eins-Sein 47, 62, 196, 209 Genro 16, 35, 220, (280)
ac
EN
. Einstein gıf, 118, 125, 136, 143 Georghingho 226, 235
. Ekstase 196 . Giri 254
- Elektronen 13, 86f, 90, 92ff, 99, 115, Gilani, Abdul Kadr 229
15gff «Glasperlenspiel» (Hesse) 210, 2ı13ff,
‚Elementarteilchen 86, 99, 134 (294)
" Elias 220 Glaubeln) 35, 58, 254f
Elisseeff, Danielle u. Vadime 253, Gleason, Ralph 205
(297) Goepfert-March, Louise 190, (290)
Ellington, Duke 104, 235 Goethe 7, 40, 49, 69, 77, 115
Ende, Michael 23 1ff, (295) Gogen 124, (286)
Enomiya-Lassalle, Pater Hugo M. Goldener Schnitt 105 f, 113, (285)
3N 243, (296) Goodman, Benny ı7ıf
Entropie ı58ff Gorbach 127, (286)
- Enzensberger, H.M. 12, (279) Gott/Göttin ısf, 24ff, 45, 48£, 52,
Erde (harmonikale Struktur) 99, ııof 67, 71, 75, 77, 81, 83, 96f, ı25{£,
EEE
Euklid ı14 142, 194ff, 224ff, 254f
Evola, Julius 195, (281), (292) Govinda, Lama Anagarika 37, 4off,
- Evolutionstheorie 260f 55, 59, 88, 122, 124, 272, (280),
(284)
Gregorianische Musik 87, 218
Groening, Lies 36, (280)
r Guru 201
Ferguson, Marilyn (279) Gusti Kliang 170
Fernsehen 14
Feyerabend, Paul 257, 260, 267, (298)
- Finalität 156ff, 260
H
Fische (Klänge der) goff
Fischer, Wilfried 189, (290) Haase, Rudolf 79f, 89f, 100, 104, 107,
- Flöte 108ff ı13f, 148, (284), (288)
-Forssmann, Werner 259
Ne) Haiku 241, (296)
Freud 32, 58 Hakuin 9, 29, 59, (282)
Fromm, Erich 12, 32, 58, 125, [282], «Hall» (bei Jakob Böhme) sıf
(286) Halleluja zof, 55
Fusion Music s. Rock-Jazz Hamel, Peter Michael 66, 210, 216f,
222,294)
Händel 20, 174, 176, (289)
Haptik ı4ff, 188
©G Hara ı71ff
Galilei 136 Haridas, Swami 199
Gamelang 170 Harmonie 145ff, 165 ff
Ganda 201 Harmonik 81, 165 ff
| Gebet 47, 49£f, 55 Harmonikale Beziehungen 95
Gebser, Jean 14, 67f, 122, 128, 170, Harmonikale Lehre 8off, 104, (283)
239, (282), (286) Harmonikale Progressionen 93, 95,
Gegenwart ı18ff 164ff

301
..

harmonikale Strukturen (im Atom) J e

86ff Jantsch, Erich 267, (298)


Harmonisierung ı55 ff
Hatha Yoga 199
Japan 239ff
Jazz 88f, 104, 167ff
Hausmann, Manfred 129, (287) «Jazzpodium» (Zeitschrift) 271
Hawkins, Coleman 176 Jean Paul 52
Haydn, Joseph 67, 73, 103 Jeans, Sir James Hopwood 137, (287)
Hegel 58, 215
Heisenberg 9, 59, 123, 139, (286)
Jesaja 33, (280)
Jesus Christus 13, 5I, 109, 162, I94,
Hekhaloth 45
Heraklit 58
255
Herder 53, (282)
Jetzt 30, 33, 43, 48, 125f, 128, 219,
246ff
Hesse, Hermann 9, 12, 209ff, 221[f,
Johannes-Evangelium 44, 48, 51, 67
(294) Jordan 143
Hexachord 87
Joshu 42£, 240, (281)
Hildebrandt, Gunther 153, (288)
Jost, Ekkehard 274, (298)
Himmler 162, 272
Hindemith 85, 146 Jung, C.G. 32, 194
Jungclaussen, Emmanuel 5o, (281)
Hinduismus 24, 44, 46, 59, 108, 135
Hindu-Philosophie 119
Hindulstani)-Musik s. nordindische
K
Musik
Hinze, Chris 66 Kabbala 89
Hippius, Maria 277 Kadowaki, Kakichi 249, (297)
Hirschau, Wilhelm von 128 Kafka, Franz 126, (286)
Hitler 162 Kairos ı30ff
Hodges, Johnny 171, 176 Kakua 229
Hoffmann, Claudio 11, 257, (279) Kamalesh Maitra 20
- Hoffmann, E.T. A. 52 Kambodscha 108, 180
Holographie 142 Kanalisierungsmantra 46ff
Hören 15 f, 80, 177ff, (289) Kandinsky 67, 115, (282)
Horkheimer 272 Kannon 240
Horn, Paul 219, 222 Kapitalismus 140, 242
HRIH (Mantra) 40f Kapleau, Philip 256, (297)
Hsüeh Too 220 Karma 38
Huan Yi 228 Kaspar, Robert 260, (297)
HUM (Ur-Mantra) goff Kassiopeia 76, 119
Huygens, Christian 149 Kasuga 42f, (281)
Kathedrale 99
Kawabata 43
I Kayser, Hans 8off, 105, 107ff, 120,
148f, 177, 197, (283), (285), (286)
Ichazo, Oscar 94, (284) Kepler, Johann 41, 77, 80f, 83ff, go,
«Im Reich der Sinne» (Film) 247 97, 104, 106, (283)
Indra 138 Keyserling, Hermann Graf 84, 198,
«Inside» (Horn) 222 (284), (292)
Intervall 78f, 106, 107f Khan, Ali Akbar 197, 200f, 222
Intervallproportionen 78ff, (283) Khan, Allauddin 200ff, (292)
Islam 44, 5o Khan, Hafiz Ali 200

302
}Khan, Hazrat Inayat 44f, zo, 206f, Leibniz, Gottfried Wilhelm 86, 138,
224,229, (281) 213f
_ Khan, Vilayat Inayat 45, 48, 54, (281) Leonard, George 115, 132, 138, 149ff,
_ Kimono 244f, (296) (285)
King, Martin Luther 151 Licht 31, 33 ff, 67 £f, 95 £, 99, 170
' Kippenhahn 74, (283) Lichtjahr ııgf
" Kirkbright, Gordon ıo01, (285) Lichtman, Jeff 75, 97, (283)
Kirschblüte (Sakura) 243 Liebe 93 ff, 108f, 160f, 185, 196f, 244,
Klang 23ff, 34f, 36, 39, 42, 44ff, 47ff, 247f
67, 69, 74£f, 82ff, ggff, 167 ff, 224ff Ligeti, György 146, (288)
Koan 38ff, 34ff, 42ff, 56ff, 65, 137, Lipp, Ernie 182
220f Lipps, Theodor 114, (285)
Koch, Robert 259 Li Pu We 194, (292)
; Koller, Hans 175 Logik 57ff
Konfuzianismus 56, 57 Logik, aristotelische 57 ff, 63, 258
f Konfuzius 69, 71 indische 59
- König, Karl 53, (282) paradoxe 58f
- Konsonanz 78f, 104 Logos 40, 67ff, 96, 170
Kontrollmantra 46 ff Logurge 264
" Kopernikus 84 Lono 227
Korner, Anneliese 185 f, (290) Lotosblume 41, 47
_ Körper, männlicher 99, ı07f Lotussitz 190, (290f)
Körper, menschlicher 105 ff «Love Supreme» (Coltrane) 204f, 222
- Körper, weiblicher 99, 107 ff Lübke, Anton 128, (287)
Kosmos 24ff, 75 ff, 84, 92ff, 100, 105, Lukas 49
ı13ff, 119 Lusseyran, Jacques 179, 188, (290)
Krankheit 106 Luther 35, ı94f
" Krebs (Krankheitssymptom) ı54ff
Kreuzgang 99, IIO
Kristall(e) 99, 104, 107, ıııf
M
Krüger, Wilfried 87 ff, 149, (284)
" Kumari, Gouri 102 Mach, Ernst 261
Kunst, japanische 25 1ff Macumba 225 f
Kyoart, 52 Makrokosmos 74ff, 78ff, 83, 95, 99
- Kyrie Eleison 5of Mantra 36ff, 44ff, 69
Manyoshu 61
Tr
Maria 5ı
Marcuse, Herbert 272
Er. Marsalis, Wynton 167
\Lachen 169f, 194 Marx, Karl 58, 272
Lambdoma 79f, (283 f) Marxismus 242
- La Monte Young 215, 222 Materie ıı8ff, 132 ff
Laneri, Roberto 20 Matrix ı60ff
Lao-tse 9, 13, 35, 133, 220, 257, (280), May, Robert 185 f, (290)
(287) McGarney, William 102
‚Laut agf, 53, 67ff, 170 McLuhan 182
Lee g9ı Meditation 28f, 32f, 35£, aıff, 47,
" Leere 40, 43, 133ff,239£ ıgıff, 229, 240ff, 248f
Lehre 16, 239f Medizin 258ff

303
Meier, Theo 227, (295) N
Meister Ekkehart 125, 194, (286)
Memnon 99, 115 nada 23, 26, 36, 167f, 174, 219f \
Mendelejeff, Dimitrij 89 Nada Brahma ı6ff, 20 (Platte), 23 ff,
Messiaen Io1, 117 48ff, 99, 113, 166, 200 /
«Messias» (Händel) 176 Nada Yoga 5o
Meyer, Lothar 89 nadi 23, 67
Mian Tan Sen 199 Nagaswaram 38
Michels, Volker 214f, 257, (294) Name 51, 70
Mikrokosmos 59, 74, 79f, goff, 96, Namu Amida Butsu 47, 51, (281)
Nana 226
99, 100
Mikroton 203 Narada 202, 227
Minimal Music (= Periodische Mu- Nath, Pandit Pran 197, 200, 222
sik] 85, 215 ff Nazuna 241
modalle Musik) 205 f Negentropie ı58f
Mohammed 13, 5o Nembutsu (jap. Buddhismus) 70
«Momo» (Ende) 23 1ff, (295) Nestler, Gerhard 199, 216, (292)
Neumann, J. v. 58
Mondo 43, 47f, 56, 127
Monochord 77£, 80, 90, 148f Neumann, Michael 275
Monteverdi, Claudio 117 Neutronenstern s. Pulsar
Morgenstern, Christian 84, (281], New Jazz Meeting 209
(284) Newton, John 89
Moses 49, 195 Nichiren Shoshu Buddhismus 47,
Moslem 44 (281)
Mozart 202 Nichts 32 ff, 42, 134
Mu 33, 42ff, 48, 240 Nietzsche 60
Mudra 55 Nishimura, Esnin 241
Muezzin 129, (287) Norton, Richard 147ff,(288)
Musik 44, 49f, 52, 56, 74, 77ff, 83 ff, Novalis 52, 106f, 215
95f, 99ff, 10gff, 145 ff, 224ff Null ı35
Musik, afrikanische 274, (298) Nun [bei Meister Ekkehart) 125
asiatische 197 ff, 204
indische 102, 107, ıg7ff
nordindische (= Hindustani-Mu- O
sik) 44 Oberton 38
klassische 103, 202 ff Obertonreihe 38, 77ff, 89£, 95, ıro
klassische indische 23, 103,197 ff, Odysseus 132, 206
216 Ogum 226
japanische 66 Ohr ı4ff, 48, 79ff, 113, 147, ı77£,
südindische (s. Musik, karmnati-
sche)
(279), (289)
Okochi, Ryogo 61f, (282)
tibetische 65 f Oktave 37, 78ff, 85, 88ff, 104, Iııf,
Musiker/in 197 ff
(284) En
Mutation 261, 263 OM (Mantra) 37 ff, 48, 67, 173,219,
«My Favorite Things» 3
(Coltrane) 210 (289)
Mystik, jüdische 44 «OM» (Platte) 65
deutsche 5ı Omar 208f
indische 41 Omulu 226
Mythos 80, 195 Orgadie 227

304
R) Orgasmus 46f, 247
Pulsare) 74ff, 92, 97, 99, (283)
y «Orgelspiel» (Hesse) 210ff, (294) Pythagoras 9, 77, 84, 86, 105, 115
Orpheus 226f
' Osanna so, 55
iOshima 247
Ostertag, Silvia 175, (289) Q
AP,‚Otto, Walter F. 194
Pu
Quanten 80, 99
Ouspensky, P.D. 120f, (286) Quantenmechanik (= Quantentheo-
TEN rie) 59, 65, 80, 90f, 97, 123, 143,
149
pP Quarks 133
Quarte 37, 78, 88, 90
Paeschke, Hans 273 Quasarle) 76
Pan 108 Quast, Jochen 45
Pandit 201 Quinte 37, 78f, 88f, 90, 104
- Partridge, BrianL. 152, (288)
- Patekar, Pandit 217
Pauli, Wolfgang 43, 143
Pauli-Prinzip 43, (284) R
- Paulus 34, (290) Ra 68
Peace Corps ıı Raga 102, 199, 225, 237
Penderecki 146 Rakha, Alla 197, 222
Periodische Musik s. Minimal Music Ranke 195
- Periodensystem der Elemente 86, 89, ratio 35, 58
(284) Rationalität 56ff
Perls, Fritz 32 Raum g2ff, ııgff
Person 221, (294) Redgrove, Peter 130, (287)
Persson Benbow, Camilla 186, (290) Reich 32
Pflanze(n) 99, rooff, 104f Reich, Steve 215, 222
- Photonen goff, 99, 115, ı5gff Relativitätstheorie 59, 96, 118, 163
- Photosynthese 89 Relativitätstheorie, komplexe (Cha-
Pillemer, Louis 259 ron) 13, 163f
Pink Floyd 176 Religion 24, 68, 255
"Planck, Max gof, 97, 143, 149, (284) Religiosität 142, 206, 255
- Plancksches Wirkungsquantum 90, Retallack, Dorothy 103f
(284) Resonanz ı5off
Planet(en) 40, 75 ff, 99, 106, 174 Rhythmus 74, 76, 84ff, 95, 133, 150,
- Plato 80, 105, 195 ff, 226, (292) 153, 226ff
_ Plotin 84, (284) Riemann, Bernhard 120, (286)
-Polarität 30f, 79, 195ff Rigveda 23, 233f
- Polyrhythmen 85, 203 Rihm, Wolfgang (288)
-Popper, Karl 259 Riley, Terry 215, 222
Popmusik 168 Rilke, Rainer Maria 52, 72, 193, (281),
- Positivismus 259 (291)
' Prayapati 226 Roach, Max 215
_ Prigogine, Ilya 123, 138, (286), (287) Robbia, Luca della 109
Psalmist 9, 37, 234, (280) Robinson, Perry 171, (289)
- Psi-Phänomen 124, 143 Rock{musik) 103, 167f
Ptolemäus, Claudius 77 Rodgers, John 84f, 97

305
1

Rose 41, 71f, 100 Shuttle, Penelope 130, (287)


Röshi s. Zen-Meister Sickels, RobertM. 75, 97, (283)
de Rosnay, Joel 258 «Siddhartha» (Hesse) 209, 218£, (294)
Rosbaud, Hans 178 «Siddhartha» (Don Cherry) 209
Rübenach, Bernhard 274 Silesius, Angelus 126, (286)
Rubens 226, 235 «Silmarillion» (Tolkien) 231ff, 295)
Rudhyar, Dane 147, (288) Singh, T.C. ı02f
Ruff, Willie 84ff, 97, (284) Sitar 38, 103
Rumi, Jelaluddin 44 Sokrates 12, 32
Solie, Pierre 96f, (284)
Sonne 68, 74ff, 82, 86, 88f, 115f,228
Sound 47f, 67, 75£f, Se Tor (288)
S Spiegelwurzel 68
Saichi 125, (286) spin 86ff, 99, 115, 160ff
Saite 37, 53, 78, 119 Spinoza 138
sakura s. Kirschblüte Spiritual 271
Salome 114 Spiritualität 41, 57, 64, 142, 108,
Santana 206, 222, (294) 204ff, 271
Sarasvati, Swami Sivananda 39, (281) Sprache 23ff, 37, 48ff, 6off, 93, 108,
Sarod 38 126f, 167ff, 179, 239f
Schamane 38, 69, (283) Stalin 162
Schelling 71 Stanley, Julian C. 186, (290)
Schlager, Ernst 227, (295) Stege, Fritz 107
Schlegel, A.W. 52 Steiner, Rudolf 171
TR
Rn
N
A
N
Schmidt, Thomas Michael 83, (284) Stengers, Isabelle (287)
Schneider, Marius 109, 225f, 234, Stern(e) 74ff, 84, 92, 99
(285), (295) Stille 36, 55, 100, ıg0ff
Schrödinger 143 Stillen 193
Schubert, Franz 88, 103, 202 Stimme 37,44, 47f
Schwarzes Loch 92, 95, 159, (284) Stimmung, temperierte 149
Schwingung 41, 54, 78, 94, 100, IOI, Strauß, Botho 181, 248, (297)
107 Strauss, Richard ı14
Seele 44, 86, 105f Subramaniam, L. 197, 222
Sekunde (Intervall) 79, 88, 146 Sufi 44ff, 50, (281)
Semmelweis 259 Sung-Meister 56
Seng-ts’an 248 Supernova 76
Septime 79 Surbahar 38
Septuaginta 195 Sutra 47f, 139
Seshin 32, 62 Suzuki, Daisetz T. 30, 47, 57, 124,
Sexte 37, 79, 90, 105, 108 242, 261, (280), (286), (296)
Sexualität 46ff, 99, ro7ff symbdlein 24
Shakespeare 95 Symbol 14, 24, 41, 49ff, 62
Shakti 46, 108
Shakuhachi 171
Shankar, L. 197, 222
Shankar, Ravi 104, 197£f, 201ff, 221 T
Shenai 38 Tadj Mahal 110, 219, 222 !
Shiva 24, 46, 108f, 136, 227 täla 203
Shorter, Wayne 206, 222 Tansen 229

306
Tantra 46ff, 199, (281) -Musik 5o
Tantra-Buddhismus 38 -Polarität 30, 79
Tantrische Liebeskunst 46ff, 109, -Töne (Kassette) 20
(281) -Ton 49ff, (281)
tao 29, 35, 55, (280) Wort 53, 71, 72, (281)
. Taoismus 57 -Wurzel 68, 72
Y Taoist 46 Ustad 200
- «Tao Te King» (Lao-tse) (280)
- Teilhard de Chardin 164
' Teleologie 64, 156
Tempel 193 V
Temperatur, gleichschwebende 149 Vasudeva 2ı8f
Terz 37, 79, 81f, 90, 104, ı07f Vedanta-Philosophie 44
Tetraktys, pythagoräische 88 Veden 23, 25, 50, (279)
- Thiel, Bernward 83 Veena 38, 103
Thirring, Walter 137 Verdi 202
Tibet 39 Vergangenheit 63, 92, ıı8ff
Tibetanisches Totenbuch 33, 49, 182, Vester, Frederic 63 f, (282)
190, (280) Vishnu 24, 202
Tieck 52 Vivekananda 255, (297)
«Timaios» (Plato) 226 Vokale 4of
' Tokio 240ff «Volumina» (Ligeti) 146
- Tolkien, J.R.R. 231ff, (295)
Tompkins, Peter 1o2ff, (285)
Ton 36ff, 49f, 53, 78, 83ff, 103, 106, W
145 ff, 177ff, 220ff, 224f
- Tonalität 148 Wachheit 193 ff
- Tonleiter 38, 78, 80, 87, 89 Wadler, Arnold 67, 71ıff, 169f, (283)
‚tönos 53 Wagner, Richard 146
tonus 53 Wahrnehmungsmantra 46
. To-to 226 Wal 99, (285)
Tozan 48 Warrain, Francis 82, (284)
- Trinität 24 Watson, Lyall 118, (286)
-Tritonus 79, 88f, 146 Wazifa 44, 47, 49, 281)
Tschwertkow, V. 101 Webster, Ben 176
- Turnbull, Colin 267f Weg 29, 31, 34
- Tyner, McCoy 206, 222 Wege, japanische (Dos) 243
Weizsäcker, Carl Friedrich von s8ff,

u
70, 95, 257, 264, (282), (298)
Werckmeister, Andreas 105
Westphal, Gert 20
- Uexküll, Jakob von 264 Whitehead 138
‚Uhr ı28ff Williams, Cootie 171
"Unschärferelation 59, 139 ff Wissenschaft 53 £, 64f, 81, 95 ff, 257 ff
" Upanischadeln) 25, 38£, 50, 165, 226, Wissenschaftskritik 257 ff
(279) Wodan 226
Ur-Klang 39, 44, 48ff, 67 «Wohltemperiertes Klavier» (Bach)
-Laut 37, 49, 52, 69 109
-Mantra 4off, 48ff Wolf, Christa 10

307
Wolf, L. 89, (284) Z
Wort 40, 44ff, 67 ff
Wunder 264ff Zarathustra 44 R
Wurzel (Sprach-) 67 ff, 169 Za-Zen 241, (280) i
Zeit 92f, ıı8ff ö
X Zen 28ff, 42ff, 48, 56ff, 62, 127, 137,
193 ff, 200, 220, 229, 239ff, (280) \
Xango 226 «Zen» (Platte) 66 4
Zen-Meister (= Röshi) 28ff, 4ıff, 48,
y 56, 128, 194, 220, 239 |
Zeus 130f F
Yang 14f, 46, 79, (283) Ziel ı56ff ;
Yang (Physiker) 9ı Zimmer, Heinrich 53, 194, i
Yesudian, Selvarajan 173 (281) 3
Yin 15, 46, 79, (283) Zimmermann, Bernd-Alois 222 i
Yogi 45 Zufall 71, 82, 263
Yoruba 225 Zukunft 63, 92, ıı8ff |
Yoshimasa 252 Zurechthörbereich 113
Yui, Shoichi 171, (288) Zweig, Stefan 183, (290)

308
«Wir verstehen nur die
Hälfte der Welt, wenn
wir sie nur sehend
begreifen wollen.»

Vom Hören derWelt

Rowohlt

544 Seiten. Gebunden

«Dieses Buch ist ein Trip: die Reise eines hörenden Menschen in
andere Zonen der Wahrnehmung. Das Vehikel, das uns
transportiert, ist das Ohr.
Wir vergleichen Auge und Ohr. Aber wir tun dies nicht im
Sinne einer Alternative. Wir tun es im Sinne des Ausgleichs
gegen die jahrhundertelange Sehbevorzugung in der
abendländischen Tradition. Wir lieben alle unsere Sinne. Wir
wollen nicht weniger, sondern mehr und intensiver erfahren
und leben und lieben.»
BuaScES
BES/ESeorer Eee III wie

i»Der Schlaf der Vernunft |


7.7
IATIETE
igebiert Ungeheuer. ..<

Jan Potocki
Die Handschrift
von Saragossa
it 139. 2 Bände. 876 Seiten. DM 28,-

..galanten Szenen, die


Lust am Okkultismus, die
lächelnde und intelli-
gente Immoralität...
In allen Buchhandlungen$
> >23 mgeneeee
Opern Er
=
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Rre

Lexikon

K-Z

000
handbuch

6286 6287

Operntitel, Komponisten, Librettisten, Opern-


sänger, Dirigenten, Regisseure, Bühnenbildner,
Opernfiguren, Textanfänge, Notenbeispiele,
Opernbühnen und nahezu alle Fachbegriffe aus
dem Bereich der Oper
Hier «ist nun wirklich alles über die Oper zu
finden), urteilte die Frankfurter Rundschau bei
Erscheinen der westdeutschen Erstausgabe.

2019/1
Alan Watts
Dies ist Es
Über Zen und spirituelle Erfahrungen
(7908)
Bruno Martin
Handbuch der spirituellen Wege
überarbeitete Neuausgabe (7909)

ation Gary Zukav


Die tanzenden Wu-Li Meister
Der östliche Pfad zum Verständnis der
modernen Physik: vom Quantensprung
zum Schwarzen Loch (7910)

Theodore Roszak
Das unvollendete Tier
Eine neue Stufe in der Entwicklung des
Menschen (7913)

form

E
Norbert A. Eichler
Das Buch der Wirklichkeit
0 I Ging für das Wassermann-Zeitalter
7921)

Janwillem van de Wetering


Ein Blick ins Nichts
Erfahrungen in einer amerikanischen
Zen-Gemeinde (7936)

Morris Berman
Wiederverzauberung der Welt
Am Ende des Newtonschen Zeitalters
(7941)

Joachim-Ernst Berendt
Nada Brahma - die Welt ist Klang

}
(7949)

sro Paul Hawken


For)ge) Der Zauber von Findhorn
wransformatio,
Ein Bericht (7953)

C 2170/2
Luc-Andre Marcel Hans Christoph Worbs
Johann Sebastian Bach Felix Mendelssohn
(83) Bartholdy (215)

Everett Helm Heinz Becker


Bela Bartok (107) Giacomo Meyerbeer
(288)
Fritz Zobeley
Aloys Greither
Wolfgang Amade
Mozart (77)
Volker Scherliess
Alban Berg (225) Hans Christian Worbs
Modest P. Mussorgsky
Wolfgang Dömling (247)
Hector Berlioz (254)
P. Walter Jacob
Hans A. Neunzig Jacques Offenbach
Johannes B (155)
(197)
Lilo Gersdorf
Karl Grebe Carl Orff (293)
Anton Bruckner (190)
Clemens Höslinger
Camille Bourniquel Giacomo Puccini (325)
Frederic Chopin (25)
Vladimir Jankelevitch
Jean Barraque Maurice Ravel (13)
Claude Debussy (92)
Helmut Wirth
Kurt Honolka Max Reger (206)
Antonin Dvoräk (220)
Eberhard Freitag
Richard Friedenthal Arnold Schönberg
Georg Friedrich (202)
Händel (36)
Detlef Gojowy
Dimitri
Pierre Barbaud
Joseph Haydn (49) Schostakowitsch (320)

#bildmonographien
rowohlts
Giselher Schubert
Paul Hindemith (299)

Everett Helm
Marcel Schneider
Franz Schubert (19)

Andre Boucourechliev
Franz Liszt (185) Robert Schumann
(6)
Hans Christoph Worbs
Albert Lortzing (281) Kurt Honolka
Bedrich Smetana (265)
Wolfgang Schreiber
Gustav Mahler (131) Walter Deppisch
Richard Strauss (146)

C 2055/4
Norbert Linke
Johann Strauß (304)

Wolfgang Dömling
Igor Strawinsky (302)

Karl Grebe
Georg Philipp
Telemann (170)

Everett Helm
Peter I. Tschaikosky
(243)

Hans Kühner
Giuseppe Verdi (64)

Michael Stegemann
Antonio Vivaldi (338)

Hans Mayer
Richard Wagner (29)

Michael Leinert
Carl Maria von Weber
(268)

Hanspeter Krellmann
Anton Webern (229)

Andreas Dorschel
Hugo Wolf (344)

{!
rowohlts
bildmonographien

C 2055/4a
Sri Aurobindo
Der intregrale Yoga (rk 24)

Julius Fast
Das Körper-Programm (7786)

Julius Fast/Meredith Bernstein


Körpersignale der Liebe (7826)

Dr. M. Friedmann/Dr. R. H. Rosenman


Rette deinHerz
Wie Streßgeplagte umlernen und das
Infarktrisiko verringern können (7932)

Dietlinde Karkutli
Das Bauchtanz-Buch (7762)

Frederick Leboyer
Weg des Lichts
Yoga für Schwangere - Texte und
Übungen (7855)

Else Müller
Hilfe gegen Schulstreß
Übungsanleitungen zu Autogenem
Training. Atemgymnastik und Meditation
für Kinder und Jugendliche (7877)
Bewußter Leben durch Autogenes
Training und richtiges Atmen
Übungsanleitungen zu AT, Atemtraining
und meditative Übungen durch gelenkte
Phantasien (7753)

Deenbandhu Yogi (Detlef Uhle)


verrororo Yoga-Buch für Anfänger
871)
Das rororo Yoga-Buch für
Fortgeschrittene (7887)

C2163/2
Peter Dannenberg
Das kleine Schumann-Buch (5187)

Franz Grasberger
Das kleine Brahms-Buch (4517)

Martin Gregor-Dellin
Das kleine Wagner-Buch (4915)

H. C. Robbins Landon
Das kleine Haydn-Buch (4322)
Das kleine Verdi-Buch (5046)

Franz Mailer
Daskleine Johann-Strauß-Buch (4479)

Werner Neumann
Das kleine Bach-Buch (4289)

Elisabeth Pable
Das kleine Schubert-Buch (4606)
Bernhard Paumgartner
Das kleine Beethoven-Buch (4412)

G6za Rech
Das Salzburger Mozart-Buch (4380)

Karl Schumann
Das kleine Liszt-Buch (4804)
Das kleine Richard-Strauss-Buch (4711)
Das kleine Gustav-Mahler-Buch (4977)

Kleine
Musikbücher
ro
ro
ro

C2122/1
Joachim-Ernst Berendt (Herausgeber)
Die Story des Jazz
Vom New Orleans zum Rock Jazz (7121)

Burghard König (Herausgeber)


Jazzrock
Tendenzen einer modernen Musik (7766)

Bert Noglik
Jazz-Werkstatt international
(7791)

Dallas/Denselow/Laing/Shelton
Folksong
Von den Volksliedern zum Folkrock (7151)

Kaarel Siniveer
Folk Lexikon
(handbuch 6275)

K. Frederking/K. Humann (Herausgeber)


Rock Session 7
Schwarze Musik (7687)

Klaus Frederking (Hg)


Rock Session 8
Sound und Vision (7879)

Helmut Salzinger
Black Power
oder Wie musikalisch ist die Revolution
(7470)

Diederichsen/Hebdige/Marx
Schocker
Stile und Moden der Subkultur (7731)

Wolfgang J. Fuchs/Reinhold Reitenberger


Comics-Handbuch
(handbuch 6215)

C2176/2
Di ist leise, um das Ohr zu öffnen, das fürihn das
Tor zur Seele ist. Wenn wir nicht wieder lernen zu hören,
sagt er, haben wir dem alles zerstörenden mechanisti-
schen und rationalistischen Denken gegenüber keine
Chance mehr. Der «Jazz-Professor> auf Abwegen? Nein, :
es ist immer derselbe Weg, den Berendt gegangen istund
der seinen Sendungen und Büchern in Millionen-Auf-
lage diese Intensität gibt: die Suche nach der Harmonie
zwischen Wissenschaftlern, Künstlern und Religionen.»
Elke Heidenreich (Westdeutscher Rundfunk)
«Wer auf wirkliche und wesentliche Informationen über
diese Welt aus ist, wird mit diesem Buch gute Erfahrun-
gen machen... Es wendet sich an all jene, die bereit sind,
angesichts. dessen, was sich täglich vor unseren Augen
abspielt, neue, andere Fragen zu stellen und sich nicht
mehr mit den ewig alten, abgestandenen Antworten zu _
begnügen.» umw® Ire Ratti (Baseler AZ)
Für die Takdhenbiri E [m] achim-ErnstBerendt
den Text noch einn : & durchgesehen, korri-
. giert und ergänzt. . ö vieler Leser hat der
Autor die beiden K: [m]: [=] siker als Weltbürger»
und «Indien und der Jazz» weggelassen, die ja auch in
Peandereım Maße spezialisiert sind.

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