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Physiologie

der Neonatalperiode

Prof. Dr. M. Uhlemann


Systematik
1. Zeitskala für Schwangerschaft und
Säuglingsperiode
2. Definitionen
3. Klassifikation Neugeborener
4. Anpassungsvorgänge
5. Vitalitätsbeurteilung
6. Reifebestimmung
7. U-Untersuchungen - U1 bis U3
1. Zeitskala für Schwangerschaft und Säuglingsperiode
2. Definitionen
„ Gestationsalter
- 1. Tag der letzten Regelblutung bis zur Geburt
- normal ca. 280 Tage oder 40 Wochen

„ Neugeborenenperiode
- Geburt bis 28 Tage nach Geburt
frühe Neugeborenenperiode: 1.-7. Lebenstag
späte Neugeborenenperiode: 8.-28. Lebenstag
2. Definitionen
„ Lebendgeborenes
- mindestens ein Vitalitätszeichen
Herzschlag oder
Nabelschnurpulsationen oder
Atmung

„ Totgeborenes
- Vitalitätszeichen fehlen
3. Klassifikation
„ Reifes Neugeborenes
37 vollendete bis < 42 Schwangerschafts-
woche

„ Frühgeborenes
< 37 vollendete Schwangerschaftswochen

„ Übertragenes Neugeborenes
42 Schwangerschaftswochen und mehr
GEBURTSGEWICHT <37 vollend.SSW:
Frühgeborene

42 SSW und mehr:


Übertragene

37 vollend. bis <42 SSW:


Reifgeborene

GESTATIONSALTER (SSW)
* *

*
*
3. Klassifikation
„ Eutrophes Neugeborenes
- Appropriate for gestational age (AGA)
- Geburtsgewicht 10.-90. Perzentile der populations-
spezifischen intrauterinen Wachstumskurven

„ Hypotrophes Neugeborenes
- Small for gestational age (SGA)
- Geburtsgewicht <10. Perzentile

„ Hypertrophes Neugeborenes
- Large for gestational age (LGA)
- Geburtsgewicht >90. Perzentile
LGA : >90. Perzentile

AGA: 10.- 90. Perzentile

SGA: <10. Perzentile


3. Klassifikation
„ Untergewichtiges Neugeborenes
- Geburtsgewicht <2500 g
Low birth weight infant (LBW)

„ Sehr untergewichtiges Neugeborenes


- Geburtsgewicht <1500 g
Very low birth weight infant (VLBW)

„ Extrem untergewichtiges Neugeborenes


- Geburtsgewicht <1000 g
Extremely low birth weight infant (ELBW)
Terminologie
Low birth weight infants (LBW) <2500 g
- Frühgeborene
- SGA
Terminologie
Very low birth weight infant (VLBW) <1500 g
Extremely low birth weight infant ELBW <1000 g
Gesamtklassifikation
der Neugeborenen

SGA Frühgeborene
AGA x Reifgeborene
LGA Übertragene

Merke:
(3) x (3) = 9 Kombinationen
4. Anpassungsvorgänge
1. Lunge und Atmung
2. Herz und Kreislauf
3. Magen-Darm-Trakt
4. Leber
5. Niere
6. Sinnesorgane und ZNS
7. Haut und Hautanhangsorgane
8. Genitale
9. Energiehaushalt
10. Körpergewicht
1. Lunge und Atmung:
- Lungenreife ab 34 Gestationswochen
Ausreichende Bildung von Surfactant in Pneumozyten
Typ II

- Zwerchfellkontraktionen in utero
Folge: Austausch von in der Lunge produzierter
Flüssigkeit und Fruchtwasser

- Auspressen der Lunge bei vaginaler Geburt


Durchtritt des Thorax durch die Geburtswege

- Abtransport der Restflüssigkeit über Lymphwege und


Gefäße des Lungenkreislaufs
innerhalb der 1. Lebensstunde
Surfactant

Insert fig. 16.12


1. Lunge und Atmung:
- Einsetzen der Atmung innerhalb der ersten 20 Lebens-
sekunden
- Auslösen des ersten Schrei:
Kälte, Licht, mechanische Reize, O2-Mangel und
CO2-Anstieg
- Zunächst hochfrequente und unregelmäßige Atmung,
kurzes Schreien

- Nach Stabilisierung - gleichmäßige Ventilation


Atemfrequenz: 35 bis 40 Atemzügen pro Minute
2. Herz und Kreislauf
- Ersten Atemzug - Einstrom des Blutes in den sich
öffnenden Lungenkreislauf

- Verschluss des Foramen ovale (funktionell)


- innerhalb weniger Minuten
Absinken des Rechts-Links-Shunts innerhalb von ca.
6 Stunden

- Funktioneller Verschluss des Ductus arteriosus


- durch Erhöhung des pO2;
Vollständiger Verschluss allerdings erst nach Tagen bis
Wochen!
2. Herz und Kreislauf
Primär insuffiziente periphere Zirkulation mit zyanotischen
Händen und Füßen.
Herzfrequenz: Kurz nach der Geburt sehr variabel
zwischen 80-180/Min.
später rhythmisch bei 120/Min.
Frühgeborene in Abhängigkeit vom
Gestationsalter um 150/Min.

Blutdruck: NG - ca. 65/40 mm Hg, MAD 50 mm Hg


FG - ca. 45/25 mm Hg, MAD > 30 mm Hg

Blutvolumen: 80-100 ml/kg KM


(NG 80 ml/kg KM., FG 100 ml/kg KM)
3. Magen-Darm-Trakt
Schlucken von Fruchtwasser intrauterin ab ca. 20 SSW
Intestinale Reabsorption des Wassers
Mekonium - "schwarzes Kindspech", zäh, geruchlos:
FW-Bestandteile, Amnionzellen, Hautzellen und Lanugohaare
sowie Darmepithelien
Ausscheidung innerhalb der ersten 3-4 Lebenstage
Erster Mekoniumabgang unter der Geburt bzw.
innerhalb der ersten 48 Lebensstunden.
Stuhlhäufigkeit: bei gestillten Kindern mehrere Stühle/d
bis 1¯/Woche
bei künstlich ernährten Kindern 1-2 festere
Stühle/d.
3. Magen-Darm-Trakt
Erste Atemzüge:
ge
Belüftung des Gastrointestinaltrakt
Luft nach ca. 4 Stunden im Kolon

Uneingeschränkte Verdauung von Milchproteinen


durch suffiziente Proteasenaktivität

Eingeschränkte Verdauung von Kohlenhydraten und Fetten


Verminderte Aktivität von Disaccharidasen, Amylase
Verminderte Aktivierung von Lipasen im Dünndarm
4. Leber
Unvollständige Ausbildung der Enzymsysteme zur
Glukoneogenese, Proteinsyntese, Fettsäuresynthese

Insuffiziente Entgiftungsreaktionen
Medikamente
Bilirubin
Verminderte Aktivität der Glukuronyltransferase
Folge: Verminderte Konjugation des aus dem Erythrozytenabbau
anfallenden Bilirubins
Ikterus sichtbar ab ca. 85 µmol/l
Anstieg des Serumbilirubins ab dem 3. Lebenstag
auf 120 bis 170 µmol/l
Neugeborenen-Ikterus - Ikterus neonatorum
5. Nieren
Wichtigste Funktionen nach der Geburt:
- Regulierung des Wasser- und Elektrolythaushalts
- Ausscheidung harnpflichtiger Substanzen und
- Steuerung des Säuren-Basen-Haushalts

Erste Miktion häufig unbemerkt unter der Geburt

Einsetzen der Harnausscheidung in den ersten 24 Std.


- Geringe Filtrations- und Konzentrationsleistung
- Neigung zu Ödemen
6. Sinnesorgane und ZNS
Reifung und Differenzierung des Nervensystems
ab 20 SSW bis zum 2. Lebensjahr

Fähigkeit zum
Sehen, Hören und Greifen
7. Haut und Anhangsgebilde
Frühgeborene bei Geburt
- Vernix caseosa (sog. Käseschmiere)
- Lanugobehaarung
Reife Neugeborene
- noch vereinzelte Reste im Schulter-Nackenbereich

Turgorverlust in den ersten Lebenstagen

Neugeborenen-Schuppung
7. Haut und Anhangsgebilde
Häufig sog. Erythema neonatorum:
- unregelmäßige fleckige, leicht erhabene Rötung
zentrale gelbliche Knötchen
- Auftreten meist um den 2. Lebenstag,

- verblasst innerhalb der nächsten 48 Stunden

- Ursache unbekannt
Erythema neonatorum
Cutis marmorata
7. Haut und Anhangsgebilde
Milien:
- kleine Zysten in Talg- und Schweißdrüsen
- feine weiße Punkte hauptsächlich im Nasenbereich.
Gynäkomastie - Volumenzunahme des Brustdrüsenkörpers:
- schon intrauterin (ca. 33. Woche) durch mütterliche Hormone
- sichtbare Brustdrüsenschwellung auch bei Knaben
(über Wochen möglich)
Spontane Rückbildung
Infektionsgefahr, besonders bei einseitiger Schwellung
(Abszeß)!
Fingernägel erreichen um die 32. SSW die Fingerkuppe
8. Genitale
- Deszensus testis beidseitig
- Physiologische Phimose

- Große Labien überdecken die kleinen Labien.


- Vaginalblutung für wenige Tage gegen Ende der ersten
Lebenswochen
- Schleimhautabstoßung durch mütterliche Hormone

- Physiologische Vulvovaginitis desquamativa


- Absonderung von grauweißem, klebrigem Schleim
9. Energiehaushalt
- Postnatal hoher Wärmeverlust
- Nässe, große Körperoberfläche

- Rasch Hypothermie ohne Schutz


- - primär Energiegewinnung durch Glykogenreserven
- sekundär durch braunes Fettgewebe
10. Körpersubstanz und Gewicht
Reduktion des Körpergewichts
- durch Verlust von Flüssigkeit
Perspiratio insensibilis
Abgang von Harn und Stuhl
- relativ geringe Nahrungsaufnahme

Gewichtsreduktion: 7 % bis (10 %)


- Minimum am 3. Lebenstag
- Wiedererreichen des Geburtsgewichts um den 10. Lebenstag
5. Vitalitätsbeurteilung

„ Apgar-Score
- zeigt akute Gefährdungssituation
- Verlaufsbeurteilung der Adaptation

„ Nabelarterien-pH
- zeigt längerfristige Gefährdung
- Ausmaß der Hypoxie während Geburt

„ Gleichzeitiges Auftreten von niedrigen Apgar-Werten


und schlechtem NApH-Wert:
Ausgeprägte neonatale Depression!
5. Vitalitätsbeurteilung
APGAR-Score
„ Vitalitätszeichen
„ Herzfrequenz
„ Atmung

„ Muskeltonus

„ Reaktionen auf Reize

„ Hautkolorit
5. Vitalitätsbeurteilung
APGAR-Score
„ Vergabe von Punkten
- jeweils 0 bis 2 für jedes Vitalitätszeichen
- Addieren der Punktzahl
- Dokumentation als Apgar-Note

„ Zeitpunkte der Beurteilung


- 1. Lebensminute
- 5. Lebensminute
- 10. Lebensminute
Virginia Apgar
Vitalitätsbeurteilung
APGAR-Score
APGAR- 0 1 2
Score
Herzfrequenz Asystolie <100 >100

Atmung Apnoe Schnappatmung Schreien

Muskeltonus Schlaff Gering Gut

Reaktionen Keine Grimassieren Schreien

Hautfarbe Zyanose, Akrozyanose Rosig


Blässe
Vitalitätsbeurteilung
APGAR-Score
„ 8-10 Punkte
- lebensfrisch
„ 6-7 Punkte
- mittelschwere Adaptationsstörung
„ 4-5 Punkte
- schwere Depression
„ 1-3 Punkte
- schwerste Depression
Vitalitätsbeurteilung
Nabelarterien-pH
„ Bestimmung unmittelbar postnatal
„ Pathologisch < 7,2
6. Reifebestimmung

„ Somatische Reifezeichen
„ Neuromuskuläre Reifezeichen
„ Zusammenfassung in Scores
- klinisch nach Finnström
- neurologisch nach Dubowitz, Ballard
„ Vorteil: präziser
„ Nachteil: unbrauchbar für beatmete Patienten
- <28 Schwangerschaftswochen ungenau
6. Reifebestimmung
Somatische Zeichen
„ Entwicklung des Ohrmuschelknorpels
- vollständiges Gerüst, Ohrform

„ Entwicklung der Brustdrüsen


- Durchmesser >10 mm
- Warzenhof über Hautniveau erhaben

„ Genitalentwicklung
- Mädchen: große Labien bedecken kleine
- Jungen: mindestens ein Hoden im Scrotum
Ohren
Ohrknorpel
Deszensus testis
6. Reifebestimmung
Somatische Zeichen
„ Hautdicke
- wenig große Venen in Unterhaut sichtbar

„ Fingernägel
- Fingerkuppen erreicht oder überragt

„ Fußsohlenfalten
- deutliche Falten auch auf der Ferse

„ Lanugobehaarung
- Reste an Schultern, im Gesicht
maximal 34. Schwangerschaftswoche
Fingernägel
Plantare Fußfältelung
Unreifezeichen
3. Lebenstag
Körperhaltung - Beugehaltung
Pathologische Körperhaltung

Hohes Risiko für


neurologische Störungen
7. U-Untersuchungen – U1 bis U3
Postnatal
3. bis 10. Lebenstag
4. bis 6. Lebenswoche

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