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Eduard Zeller
Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte
im 19. Jahrhundert
Herausgegeben von
Gerald Hartung
De Gruyter
ISBN 978-3-11-020857-3
e-ISBN 978-3-11-021659-2
Eckart Schðtrumpf
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles . . . . . . . . . . . . . 275
Walter Leszl
Zeller in Italy. Rodolfo Mondolfo’s revision of Zeller’s History
of Greek Philosophy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
Eine Schatzkammer des Wissens
Leben und Werk des Gelehrten Eduard Zeller
Gerald Hartung
Eduard Zeller ist ein deutscher Gelehrter des 19. Jahrhunderts von in-
ternationalem Format. Er hat seine Zeit als Theologe, als Theologie-
historiker, als Geschichtsschreiber der griechischen Philosophie, als
Religionshistoriker und -philosoph und als Initiator und Organisator
wissenschaftlicher Projekte geprägt und über die Grenzen Deutschlands
bleibenden Einfluss gehabt. Die Beiträge in diesem Band zeichnen, ein
erstes Mal überhaupt, die Bedeutung dieses großen Gelehrten auf,
dessen Werk vielschichtig ist und dessen Wirkung sich weit über seine
Studien zur Philosophie und Kultur der Antike in wissenschaftsge-
schichtlichen Diskursen bis ins frühe 20. Jahrhundert nachzeichnen lässt.
Auch heute noch können wir, wenn auch eher in kritischer Distanz,
einiges aus dem Rückblick auf Zellers Werk im Kontext seiner Zeit
lernen.
2 Baur (1847).
3 Dilthey (1921), 443.
Eine Schatzkammer des Wissens 3
Nach der Rückkehr nimmt Zeller die Stelle eines Vikars an (1837),
publiziert 1839 seine Platon-Studien und habilitiert sich 1840 an der
Theologischen Fakultät in Tübingen, wo er seitdem als Privatdozent
lehrt. Mit der Gründung und Herausgabe der Theologischen Jahrbðcher ab
1842 entfaltet Zeller eine geradezu ungeheuerliche Produktivität.
Neben grundlegenden philologischen Arbeiten zur Theologie arbeitet
er an einer groß angelegten Geschichte der griechischen Philosophie,
die 1844 in erster Auflage als Konkurrenzunternehmen zu den Studien
des Hegel-Schülers Christian August Brandis und des Schleiermacher-
Schülers August Heinrich Ritter erschienen ist.
Zellers berufliche Laufbahn geriet in die Turbulenzen der Vormärz-
Zeit. Als Vertreter der Tübinger Schule erging es ihm nicht besser als
seinen Mitstreitern. Die Schüler Baurs in der Theologie sind allesamt
nicht in der Theologischen Fakultät angekommen. David Friedrich
Strauß, Albert Schwegler, Gottlieb Jakob Planck und Karl Reinhold
Köstlin wurden aus der Theologie ausgeschlossen. Die Berufung von
Strauß nach Zürich endete in einer Regierungskrise. Es ist wohl we-
nigen Universitätslehrern außer ihm gelungen, bereits vor ihrem
Amtsantritt pensioniert zu werden. Friedrich Theodor Vischer, der
1844 einen Lehrstuhl in der Philosophischen Fakultät erhielt, wurde
direkt im Anschluss an seine Antrittsrede aufgrund mehrfacher Anzeigen
seitens der Kirchenleitung, die allesamt den Vorwurf des „Atheismus“
zum Inhalt hatten, vom Ministerium für zwei Jahre vom Amt suspen-
diert.
Zeller hat sich in seinen Theologischen Jahrbðchern vehement gegen
diese Restriktionen gewehrt. In einem Artikel aus dem Jahre 1843
polemisiert er gegen „neuevangelische Zionswächter“, die im
„Branntweinrusch des Fanatismus“ einher stürmen. Sein Schüler Diels
vermerkt hierzu: „Ein prachtvoller Artikel, in dem sich seine überle-
gene Dialektik auf das glücklichste mit schwäbischem Humor und
schwäbischer Grobheit vereint.“4
Zellers Antrag auf eine außerordentliche Professur für Theologie
wurde, trotz seines großen Lehrerfolges, vom Ministerium abgelehnt.
Auch als der Senat der Universität versuchte, ihm 1846 ein Extraordi-
nariat für Philosophie – gemeint als Ausweichmanöver – zu verschaffen,
wurde dies von Amtswegen negativ beschieden. Als er 1847 einen Ruf
nach Bern erhielt und annahm, versuchte auch die dortige Orthodoxie
den „Atheisten“ Zeller von der Universität fernzuhalten. Es erschienen
aber so groß war selbst im Unterliegen die Macht des ermatteten und sich
selbst in so vielen Beziehungen untreu gewordenen griechischen Geistes,
daß die siegreiche Kirche die gleiche Philosophie, welche ihr den helle-
nischen Boden bis auf’s äußerste streitig gemacht hatte, noch während des
Kampfes in sich aufnahm.11
Das ist ein Hegelsches Szenario und Zeller betont denn auch (wie
Trendelenburg vor ihm und Dilthey nach ihm), dass es Hegels Ver-
dienst ist, erkannt zu haben, dass die Geschichte eine organische Einheit
einer in sich gegliederten Bewegung ist, deren Teile sich gegenseitig
voraussetzen und ergänzen. Diese Sichtweise unterscheidet ihn von
Schleiermacher und seinen Schülern Ritter und Brandis. Hegel hat die
großen Linien gezeichnet, aber er irrt nach Zellers Auffassung, wenn er
die geschichtliche Abfolge mit der logischen gleichsetzt. Dagegen
sprechen die geschichtlichen Tatsachen und die ihnen abgerungene
Erkenntnis, dass wir es – in der Philosophiegeschichte wie in jeder
Geschichtsform – nicht mit einfachen Wirkungsverhältnissen, sondern
komplexen Vermittlungsprozessen, die keineswegs determiniert sind, zu
tun haben.
Das ist als Arbeitshypothese formuliert das Forschungsprogramm der
großen Studie Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Ent-
wicklung, an der Zeller seit den 1840 Jahren bis an sein Lebensende
arbeitet. Das Werk ist einflussreich, gleichwohl gilt Zeller in der Platon-
Forschung heute nicht als prägende Gestalt.12 Doch ein Blick auf Zellers
Studien zu Platon und die Diskussionen, die sie entfacht haben, ergibt
eine anderes Bild. Als Ernst Hoffmann im Jahr 1922 den Stand der
Platon-Forschung resümiert, stellt er ein Zitat von Wilamowitz-Moel-
lendorff an den Anfang: „Alles tritt in Schatten von Eduard Zellers
großer Geschichte der Philosophie. […] Seine Wirkung ist gar nicht
abzuschätzen, hält auch da noch an, wo die Forschung sich von ihm
abwendet.“ Und Hoffmann fügt in eigenen Worten hinzu: „Die Pla-
tonforschung des letzten Menschenalters ist in grundlegenden Fragen zu
Ergebnissen gekommen, die denen Zellers entgegengesetzt sind“13
Tatsächlich ist die Platon-Forschung in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts ein Dickicht von erstaunlichem Ausmaß.14
19 Zeller (1889), 582 – 583; er beruft sich hier (in einer langen Fußnote) auf
Hegel, Geschichte der Philosophie Bd. II, 163 ff. Deuschle: Platonische
Sprachphilosophie, Susemihl: Genetische Entwicklung der platonischen Phi-
losophie und Steinhart. Vgl. auch Zeller (1886), 130: Hier vermerkt Zeller zur
Kosmogonie des Timäus, dass bei Platon das ganze Bild „eine so mythische
Haltung (artikuliert), dass es schwer ist, genau zu bestimmen, wie viel davon
Plato’s eigentliche wissenschaftliche Ueberzeugung ausdrückt.“
20 Zeller (1886), 128: Es gibt zwei Perspektiven auf das System Platons. Vom
einen Standpunkt ist es „monistisch“, d. h. reiner Idealismus, „die Dinge sind
den Ideen immanent“. Vom anderen Standpunkt ist es dualistisch, d. h. Ideen
und Dinge sind voneinander getrennt. „Aber in seiner Eigenthümlichkeit hat
man es nur dann begriffen, wenn man erkennt, wesshalb sich Plato weder der
einen noch der anderen Betrachtungsweise enthalten, und somit keine von
beiden rücksichtslos durchführen, ebensowenig aber auch beide wider-
spruchslos vereinigen konnte.“
12 Gerald Hartung
des Vaters der Welt selbst und dass die Welt nicht gottverlassen, sondern
durch Theilnahme an ihm eudämonisch, unsterblich und göttlich ist.28
Teichmüller formuliert in seiner Kritik an Zellers Darstellung der pla-
tonischen Philosophie zwei Grundsätze: Erstens sind Ideen und Seelen
nicht gänzlich vom Materiellen abzutrennen; zweitens haben Seelen
und Ideen keinerlei transzendente Existenz. Von diesen Grundsätzen
ausgehend fasst er das Hauptproblem der Platonischen Seelenlehre, die
Vorstellung von der unsterblichen Individualseele an, um es auszu-
schalten. Diese Vorstellung passt nämlich, so Teichmüller, mit den
wissenschaftlichen Prinzipien Platons nicht zusammen. Prinzipiell
spricht Platon nur dem Allgemeinen (Gattung, Volk usw.) Dauerhaf-
tigkeit zu; das Individuelle rechnet er dem Werden und Vergehen zu.
Statt Unsterblichkeit in einer jenseitigen Welt, kennt Platon nur Dau-
erhaftigkeit in dieser Welt.
Teichmüller trennt mithilfe seines Konzepts von Philosophie als
Wissenschaft des Wirklichen radikal zwischen dem Literaten und dem
Wissenschaftler Platon. Während der Literat die Lehre von der Un-
sterblichkeit der Individualseele in eine mythische Form kleidet, kennt
der „wissenschaftliche Platon“ eine solche Vorstellung überhaupt nicht.
Unsterblichkeit erfasst Platon, wie Teichmüller ausführt, nur als
Ewigkeit der Gattung durch Fortpflanzung und relative Fortdauer des
Individuellen durch beständige Erneuerung im Werden und in der
Form eines philosophischen Lebens, in dem wir durch sittliche und
intellektuelle Katharsis von der Sinnlichkeit abgetrennt werden und sich
uns das ewige Leben in einer zeitweiligen Erkenntnis des Ewigen dar-
bietet. „Eine andere Unsterblichkeit giebt es nicht im Platonischen
System.“29
Hier haben wir den Punkt freigelegt, wo sich die Differenz zu
Zellers Platon-Bild in aller Deutlichkeit zeigt. Die Uneinigkeit steckt
„in den massgebenden Fragen“. Nach Zellers Ansicht ist dies
der Punkt, dessen streng dogmatische Bedeutung am wenigsten bezweifelt
werden kann, (das) ist die Lehre von der Unsterblichkeit, die Plato nicht
blos im Phädo, sondern auch im Phädrus und in der Republik zum Ge-
genstand einer ausführlichen philosophischen Beweisführung gemacht hat.
Diese Beweisführung gründet sich aber unmittelbar auf den Begriff der
Seele, wie dieser durch den Zusammenhang des platonischen Systems
bestimmt wird. Die Seele ist ihrem Begriff nach dasjenige, zu dessen Wesen
es gehört, zu leben, sie kann also in keinem Augenblick als nichtlebend
gedacht werden – in diesen ontologischen Beweis für die Unsterblichkeit
laufen nicht blos alle die einzelnen Beweise des Phädo zusammen, sondern
derselbe wird auch schon im Phädrus vorgetragen.30
Nach Platon sind die Einzelseelen auch keine Emanationen der Welt-
seele, vielmehr bestehen sie in „selbständiger Eigenthümlichkeit“.
Dennoch müssen sie als wesensgleich unvergänglich gedacht werden. In
einer langen Fußnote zu diesen Überlegungen weist Zeller darauf hin,
dass er sich in Übereinstimmung mit der Platon-Forschung Schleier-
machers, Baurs, Steinharts befindet.31 Gegen ihn steht die Gruppe der
Aristoteliker, von Hegel bis zu Bonitz und Teichmüller. Zeller sieht in
der Trennung zwischen einem literarischen und wissenschaftlichen
Platon eine grobe Verkennung der geschichtlichen Tatsachen. Im Detail
erklärt er anhand von Platons Phaidon, dass die rationale und die my-
thische Beweisführung sich ergänzen und ein Gesamtbild ergeben.
Wenn nun doch die Widersprüche nicht gänzlich zu leugnen sind, so ist
es dem Betrachter doch darum zu tun, dem Autor Gerechtigkeit wi-
derfahren zu lassen und ihn nicht im Interesse der eigenen Zeit zu
vereinnahmen. „Mögen wir endlich noch so klar einsehen, dass es
Plato’s Beweisen für die persönliche Fortdauer nach dem Tode an
wirklicher Beweiskraft fehlt, so ist doch die nächste Frage für uns nur
die, ob er selbst diesen Glauben gehabt hat, oder nicht. Und hier hiesse
es Eulen nach Athen tragen […].“32
30 Zeller (1889), 825 – 826. Vgl. Zeller (1886), 132: Zur Struktur der Platonischen
Seelenlehre: die Seele ist einfacher und unkörperlicher Natur; durch ihre
Selbstbewegung ist sie der Grund der Bewegung für den Leib; „mit der Idee
des Lebens unzertrennlich verknüpft, hat sie weder ein Ende noch auch einen
Anfang ihres Daseins.“ (FN: Nach Phädr. 245 C f. Meno 86 A und der
Consequenz des Unsterblichkeitsbeweises im Phädo 102 ff.). „Die Seelen
kommen aus einer höheren Welt in den irdischen Leib herab und kehren nach
dem Tod in dieselbe zurück; besserungsbedürftige werden der Seelenwande-
rung unterworfen; Schau der Ideen in einem frühren Leben, Erinnerung
derselben in diesem anhand sinnlicher Abbilder“. Dennoch: „Über Wesen und
Struktur der Seele bleiben bei Plato viele Fragen offen.“ Zum Stand der Platon-
Forschung bei Erler (2007), 375 – 386.
31 Vgl. in Ueberweg (1880) die umfangreiche Bibliographie zum Thema.
32 Zeller (1889), 832 (dort Fußnote 1). Vgl. zur Unterstützung Zellers gegen die
Thesen Teichmüllers Bertram (1878), 195. Bertram fordert eine Unterordnung
philosophischer Betrachtung unter die philologische Exegese. Dies ist seiner
Ansicht nach die Bedingung geschichtlicher Erkenntnis. „Zeller’s Arbeit ist
16 Gerald Hartung
loren. […] wenn man mit mir Plato, den Denker, studieren will, dann
hat Zeller verloren.“35 Das ist die prägnanteste Zuspitzung des Streits
um Zellers Platon-Bild.
Die skizzierte Episode in der Platon-Forschung des 19. Jahrhunderts
zusammenfassend, bleibt zu fragen, um was es in diesem Streit um
Zellers Platon-Bild und in seiner polemischen Zuspitzung unter der
Oberfläche geht. Hinter dem Wortgeklingel, mit dem Teichmüller die
Auseinandersetzung mit Zeller führt, treten mehrere Schichten von
Sachproblemen zutage. Vordergründig geht es um die Frage, wie Platon
zu lesen ist. Das jedenfalls behaupten die Beteiligten. Hinter dieser
Fassade liegt jedoch die Frage, ob die Beschäftigung mit Platons Phi-
losophie lediglich eine geschichtliche Konstellation eröffnet oder viel-
mehr eine Problemlage des modernen Wissenschaftsverständnisses an-
zeigt. Das ist ein Punkt, auf den August Krohn in seiner Abhandlung
Die Platonische Frage. Sendschreiben an Herrn Professor Eduard Zeller (1878)
hingewiesen hat. Seiner Ansicht nach hat Teichmüller durchaus zurecht
hinter dem philologischen Zugriff auf Platon ein theologisches Motiv
vermutet; aber er hat zu Unrecht „mit reinen Gewaltmitteln der In-
terpretation – die in der Gegenwart geradezu beispiellos dastehen –
(dieses Motiv) zu vertreiben und durch die Gedanken eines modern
präjudicirten Plato zu ersetzen sucht.“36
Tatsächlich ist die Platon-Analyse des Baur-Schülers Zeller von
einem theologisch-dogmatischen Motiv geprägt. Die Pointe seiner
„interpretatio graeca“ des Christentums ist aber keineswegs reduktio-
nistisch. Sie liegt in einer Abfolge von mehreren Argumentations-
schritten: Erstens weist Zeller nach, dass Platon die Unsterblichkeit
behauptet hat und dass diese Behauptung die zentrale Achse seiner
philosophischen Lehre ist. Zweitens legt er dar, dass Platon dieses
Fundament seines Systems statt zu beweisen in mythische Bilder ein-
fassen musste. Hierdurch hat Platon drittens ein Problembewusstsein
artikuliert, auf das erst der christliche Glaube – wie Zeller darlegen kann
– eine angemessene Antwort gefunden hat. So kulminiert viertens die
geschichtliche Betrachtung dieser komplexen Wirkungsverhältnisse in
dem Nachweis, dass die christliche Dogmatik den Grundgedanken der
Platonischen Philosophie, ohne den weder Erkenntnistheorie noch ein
Konzept von Wissenschaft denkmöglich wäre, transportiert.
37 Die Tatsache, dass Zeller gegen eine moderne Adaption der Lehre Platons ist,
hat Diels (1911), 493 deutlich herausgestellt: „Die historische Vertikallinie ist
absichtlich nicht durchgezogen.“
38 Hartung (2006).
Eine Schatzkammer des Wissens 19
Der Fall Platon lehrt, dass es auf den Kontext ankommt, wenn wir uns
ein Bild von der Philosophiegeschichte des 19. Jahrhunderts machen
wollen. Dabei kommt es genauso darauf an, die Abgrenzung der Phi-
losophie von der Theologie ins Auge zu fassen wie die Auseinander-
setzung mit den aufstrebenden Naturwissenschaften. Zellers Gelehr-
samkeit gehört in eine Zeit des Übergangs. Noch ist die Idee eines
„Gesamtorganismus des Wissens“ wach, aber schon zeigt sich, dass das
in den Einzelwissenschaften fragmentierte Wissen von der außer-
menschlichen Natur und der Kultur des Menschen sich selbst genügt.
Noch ist in der Philosophie als Wissensdisziplin ein Interesse an der
eigenen Tradition vorhanden, das sich aber gleichsam verflüchtigt. Die
Schatzkammer des Wissens wird von den nachfolgenden Generationen
der Fachgelehrten – denn auch die Philosophie wird im 20. Jahrhundert
zu einer Fachdisziplin unter anderen – zu einer Rumpelkammer ge-
brauchter Ideen und Konzepte. Schon Wilhelm Dilthey hat deutlich
hervorgehoben, wie das alte Panorama neu auszuleuchten ist:
Wir blicken zurück auf ein unermeßliches Trümmerfeld religiöser Tradi-
tionen, metaphysischer Behauptungen, demonstrierter Systeme: Möglich-
keiten aller Art, den Zusammenhang der Dinge wissenschaftlich zu be-
gründen, dichterisch darzustellen oder religiös zu verkünden, hat der
Menschengeist durch viele Jahrhunderte versucht und durchgeprobt […].41
Literaturverzeichnis
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Scholtz (1979): Gunter Scholtz, „Zur Darstellung der griechischen Philosophie
bei den Schülern Hegels und Schleiermachers“, in: H. Flashar, K. Gründer
Eine Schatzkammer des Wissens 23
I. Einleitung
Aristoteles hält bekanntlich nicht nur die Welt im Ganzen für unge-
worden und unvergänglich, sondern, abgesehen von den beschränkten
Möglichkeiten der Artenkreuzung, auch die einzelnen Genera und
Species von Pflanzen und Tieren, die den sublunaren Teil der Welt
bevölkern.1 Den entgegengesetzten Standpunkt vertrat Charles Darwin
(1809 – 1882). In seinem Werk On the Origin of Species von 1859 stellt
Darwin zum einen die Behauptung auf, die Arten des Tierreichs seien
wandelbar („Mutability of Species“), und unternimmt es zum andern und
vor allem, diese Wandelbarkeit zu erklären. Seine Erklärung setzt auf
der Ebene des Individuums an, nämlich mit der beobachtbaren Tatsa-
che, dass sich zwischen zwei beliebig gewählten Individuen einer Art,
die sich sexuell reproduziert, fast ausnahmslos irgendwelche Unter-
schiede feststellen lassen werden („Variation“). Diese Variabilität der
Individuen setzt Darwin in Beziehung mit der gleichfalls beobachtbaren
Tatsache, dass die Ressourcen aller Art auf Erden zu knapp sind, um die
Versorgung aller Individuen aller species zu garantieren. Die Knappheit
1 Zur Artenkreuzung vgl. etwa die von Aristoteles referierte Erklärung des
Sprichwortes „Libyen brütet fortwährend etwas Neues aus“: An den wenigen
Wasserstellen, die im trockenen und heißen Libyen zu finden sind, geben sich
naturgemäß Tiere der verschiedensten Arten ein Stelldichein. Diese Wasser-
stellen bieten also besonders günstige Bedingungen für die Kreuzung von
Tieren verschiedener Arten untereinander, und eben deshalb sollen hier un-
gewöhnlich viele Hybrid-Wesen entstehen (De Generatione Animalium 2, 7;
746b7 – 11: k´cetai d³ ja· t¹ peq· t/r Kib¼gr paqoiliafºlemom ¢r !e¸ ti t/r
Kib¼gr tqevo¼sgr jaimºm, di± t¹ l¸cmushai ja· t± lµ blºvuka !kk¶koir
kewh/mai toOto7 di± c±q tµm sp²mim toO vdator !pamt_mta p²mta pq¹r ak¸-
cour tºpour to»r 5womtar m²lata l¸cmushai ja· t± lµ blocem/).
26 Oliver Primavesi
hat ein allgemeines Struggle for Life zur Folge, und diesem Überlebens-
kampf wiederum werden einige Individuen ein und derselben Art,
aufgrund der bei ihnen vorliegenden Zufalls-Variation, besser ge-
wachsen sein als andere. Damit wächst zugleich ihre Chance, sich zu
reproduzieren. Diejenigen Variationen, die sich im Struggle for Life be-
währen, vererben sich deshalb mit höherer Wahrscheinlichkeit als die
übrigen, im Überlebenskampf als minder tauglich erwiesenen Varia-
tionen („Natural Selection“). So stabilisieren sich die erfolgreichen Va-
rianten in unzähligen Generationen zu neuen Arten. Diese komplexe
These steckt in nuce bereits im vollständigen Titel der Erstausgabe von
Darwins Werk: ON THE ORIGIN OF SPECIES / BY MEANS OF
NATURAL SELECTION, / OR THE / PRESERVATION OF
FAVOURED RACES IN THE STRUGGLE / FOR LIFE.2
Der Gegensatz zu Aristoteles scheint kaum überbrückbar. Um so
bemerkenswerter ist das doppelte Paradoxon, das im Folgenden doku-
mentiert und aufgehellt werden soll: Was zum einen Darwin selbst
betrifft, so hielt er Aristoteles nicht etwa für seinen Antipoden, sondern
vielmehr für den einzigen nennenswerten Vorläufer seiner Theorie, den
er im gesamten klassischen Altertum finden konnte, ein Urteil, das der
schottische Philosoph James Stirling 1890 als Darwin’s greatest mistake
bezeichnen sollte. Eduard Zeller aber, der doch die Geschichte des
antiken Denkens so gut überblickte wie vielleicht kein zweiter vor oder
nach ihm, hat sich Darwins Urteil über Aristoteles in modifizierter
Form zueigen gemacht; er tat dies in der von der Darwin-Forschung
weithin ignorierten, am 25. Juli 1878 in der Kgl. Preussischen Akade-
mie der Wissenschaften gelesenen Abhandlung: ber die griechischen
Vorgnger Darwin’s. 3 Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist der Nach-
weis, dass Darwins Berufung auf Aristoteles in ihrer von Zeller modi-
fizierten Form ungleich plausibler ist als die weitverbreitete Gegenpo-
sition, der zufolge das von Darwin dem Aristoteles zugeschriebene
Verdienst in Wahrheit bereits dem klassischen Dichterphilosophen
Empedokles von Agrigent zukommt.
4 Vgl. Zeller (1879), 117: „Aristoteles wirft in seiner Physik II, 8 die Frage auf, ob
die Natur nach Zwecken, um des Besten willen, wirke, oder nur vermöge einer
blinden Nothwendigkeit; so dass es sich schliesslich mit allem so verhielte, wie
mit dem Regen, der zwar das Wachsen des Getreides zur Folge habe, aber nicht
um des Getreides willen, sondern lediglich desshalb eintrete, weil die aufstei-
genden Dünste in der Höhe sich abkühlen und dann als Wasser niederschla-
gen“.
28 Oliver Primavesi
blo¸yr d³ ja· eU tyi !pºkkutai b [22] und genauso, wenn einem Bauern das
s?tor 1m t/i ûkyi, Getreide infolge des Regens auf dem
Dreschplatz verdirbt:
oq to¼tou 6meja vei fpyr !pºkgtai, es regne nicht zu dem Zweck, dass das
!kk± [23] toOto sulb´bgjem. Getreide verderbe, sondern das Ver-
derben des Getreides sei die bloße
Nebenfolge?
5 Vgl. Zeller (1879), 117: „Warum könnte nun, fragt er, nicht dasselbe von allen
Naturerzeugnissen gelten? Warum könnte z. B. die Schärfe der Schneidezähne
und die Stumpfheit der Backzähne nicht etwas Zufälliges, der Dienst, den uns
beide beim Essen und Kauen leisten, eine nicht beabsichtigte Folge dieses
zufälligen Zusammentreffens sein? Ebenso, könnte man annehmen, verhalte es
sich überall, wo eine Zweckmässigkeit vorzuliegen scheint“.
Aristoteles oder Empedokles? 29
In diesem Fall würde allerdings damit zu rechnen sein, dass die Natur
sowohl zweckmäßige als auch zweckwidrige Kombinationen hervor-
bringt und man würde anzunehmen haben, dass die Organismen nur in
den Fällen überleben, in denen die Komposition von Körperteilen
zufällig so geartet ist, als ob sie für die Erfüllung bestimmter Funktionen
so geplant worden wäre. Wo dies aber nicht der Fall ist, wie bei den von
Empedokles beschriebenen monströsen Kombinationen aus beliebigen
Einzelgliedern, gingen und gehen sie wieder zugrunde (Aristoteles,
Physik II 8; 198b29 – 32):6
fpou l³m owm ûpamta sum´bg Wo nun alles sich zufällig so ergab, wie es
¦speq j#m eQ 6mej² tou 1c¸- auch ein zweckbestimmtes Werden her-
[30]meto, vorgebracht haben würde,
taOta l³m 1s¾hg !p¹ toO aqto- da habe es sich am Leben erhalten, da es
l²tou sust²mta 1pi-[31]tgde¸yr7 dank dem blinden Zufall einen zweck-
mäßigen Aufbau besessen habe.
fsa d³ lµ ovtyr, !p¾keto ja· Das übrige aber sei zugrunde gegangen
!pºkkutai, und gehe stets wieder zugrunde,
ja-[32]h²peq 9lpedojk/r k´cei t± so wie es Empedokles von den Rinds-
boucem/ !mdqºpqyiqa. wesen mit Menschenvorderteil sagt.
6 Zeller (1879), 117: „Diejenigen Wesen nun, bei denen sich alles so fügte, wie
wenn es um eines Zweckes willen gemacht worden wäre, haben sich erhalten,
da sie der Zufall zweckmässig gebildet hatte; diejenigen dagegen, bei denen
diess nicht der Fall war, seien zu Grunde gegangen und gehen fortwährend zu
Grunde, wie nach Empedokles die Stiere mit Menschengesichtern“.
7 Zeller (1879), 117 – 118.
8 Zeller (1879), 122.
9 Zeller (1879) 120 – 121: „Aristoteles selbst verneint diese Frage. Jene Erklärung,
bemerkt er a.a.O. (198, b, 33 ff.), wäre nur dann zulässig, wenn die Zweck-
mässigkeit der Naturerzeugnisse blos als Ausnahmefall vorkäme; wo man da-
30 Oliver Primavesi
vollziehe sich immer (!e¸) oder jedenfalls regelmßig (¢r 1p· t¹ pok¼) in
gleicher Weise, im Gegensatz zu Zufallsereignissen.10 Aus der beobacht-
baren Tatsache aber, dass die Natur regelmäßig etwas Zweckmßiges
entstehen lässt, meint Aristoteles unmittelbar schließen zu können, dass
die Natur auch durch Zwecke bestimmt ist: „Die Artnatur (physis) der
Lebewesen ist klarerweise in dem Sinne eine Ursache, dass sie das, was
sie verursacht, zur Erreichung eines Zwecks verursacht.“11 Der Gedanke
an ein Naturgesetz, das regelmäßig Zweckmäßiges entstehen lassen
könnte, ohne selbst unter Zwecken zu stehen, liegt ihm fern.12
Wodurch Aristoteles dazu veranlasst wurde, sich mit der nach seiner
Meinung verfehlten Hypothese einer rein zufälligen Zweckmäßigkeit
der Organismen überhaupt auseinanderzusetzen, gibt er selbst zu er-
kennen: Er illustriert nämlich die zufällige Hervorbringung und den
Untergang zweckwidrig aufgebauter Organismen mit einem Beispiel aus
dem Naturgedicht des vorsokratischen Dichterphilosophen Empedo-
kles: „[…] so wie Empedokles von rindsgestaltigen Wesen mit Men-
schenvorderteil spricht“.13 Aristoteles zitiert hier eine Stelle, die uns im
Umfang von vier Versen erhalten ist (Fragment B 61 Diels-Kranz). Dort
wird beschrieben, wie die isolierten Einzel-Gliedmaßen, die auf einer
ersten zoogonischen Stufe entstanden sind, sich auf der darauffolgenden
Stufe zu monströsen Fehlbildungen zusammenschließen wie z. B.
Durch das doxographische Handbuch des Aëtios ist für Empedokles die
Annahme einer Reihenfolge von vier verschiedenen zoogonischen
Stufen bezeugt, auf denen die Entstehung des Lebens in jeweils anderer
Weise vor sich geht und zu jeweils anderen Ergebnissen führt:17
9lpedojk/r (1) t±r pq¾tar cem´seir Empedokles (sagt), (1) die ersten Ge-
t_m f¾iym ja· vut_m lgdal_r bko- nerationen der Tiere und Pflanzen
jk¶qour cem´shai, !sulvu´si d³ to?r seien überhaupt keine vollständigen
loq¸oir diefeucl´mar, Wesen gewesen, sondern getrennte,
mit nicht zusammengewachsenen
Körperteilen;
(2) t±r d³ deut´qar sulvuol´mym t_m (2) die zweiten, bei denen die Teile
leq_m eQdykovame?r, zusammengewachsen seien, hätten
wie Trugbilder ausgesehen;
(3) t±r d³ tq¸tar t_m bkovu_m,18 (3) die dritten hätten aus den Ganz-
gewachsenen bestanden.
(4) t±r d³ tet²qtar oqj´ti 1j t_m (4) Die vierten seien nicht mehr (un-
blo¸ym oXom 1j c/r ja· vdator, !kk± dQ mittelbar) aus homogenen Materi-
!kk¶kym Edg, to?r l³m pujmyhe¸sgr alien, z. B. Erde und Feuer, entstan-
t/r tqov/r, to?r d³ ja· t/r eqloqv¸ar den, sondern durch gegenseitiges
t_m cumaij_m 1peqehisl¹m toO speq- Aufeinandereinwirken, da sich bei
latijoO jim¶lator 1lpoigs²sgr. den einen die Nahrung verdichtete,
und für die anderen zusätzlich auch
noch die schöne Gestalt der Weib-
chen eine Erhitzung der Samenbe-
wegung bewirkte.
es sich also auch insoweit bei dem in Physik II, 8 vorgetragenen anti-
teleologischen Gedankenexperiment erst um eine Konstruktion des
Aristoteles?
Das einzige Zeugnis, das in der Forschung als Beleg für einen größeren
Empedokleischen Anteil an dem Gedankenexperiment des Aristoteles
ins Feld geführt wurde, ist der Kommentar des neuplatonischen Ari-
stoteleserklärers Simplikios zu unserer Physik-Stelle:25
(a)
[371,33] ¦speq 9lpedojk/r jat± tµm So wie Empedokles sagt, dass unter
t/r vik¸ar !qw¶m vgsi [34] cem´shai der Herrschaft der Liebe zunächst (1.
¢r 5tuwe l´qg pq_tom t_m f¾iym, Stufe) beliebige Teile von Lebewesen
oXom jevak±r ja· we?qar ja· [35] pºdar, entstehen, wie z. B. Köpfe, Hände,
5peita sumi´mai taOta Füße, und dass diese Teile sich dann
(2. Stufe) vereinigen:
[372,1] boucem/ !mdqºpqyiqa, t± d( „[…] Rindswesen mit Menschenvor-
5lpakim 1namat´kkeim derteil, und umgekehrt andere auf-
tauchen“
[2] „!mdqocem/“ dgkomºti „bo¼pqy- d.h. Menschensprösslinge mit Rinds-
iqa“, tout´stim 1j bo¹r ja· köpfen, d. h. aus Rind und Mensch.
!mhq¾pou.
(b)
ja· fsa [3] l³m ovty sum´stg !kk¶- Und alle Glieder, die sich derart mit-
koir ¦ste d¼mashai tuwe?m sytgq¸ar, einander verbanden, dass sie einen
1c´meto f_ia [4] ja· 5leimem di± t¹ stabilen Zustand erreichen konnten,
!kk¶koir 1jpkgqoOm tµm wqe¸am, wurden zu Lebewesen und blieben
bestehen, da sie gegenseitig einander
die Bedürfnisse erfüllten,
to»r l³m adºmtar t´-[5]lmomt²r te ja· indem z. B. Zähne die Nahrung zer-
kea¸momtar tµm tqov¶m, tµm d³ schnitten und zermahlten, der Magen
cast´qa p´ttousam, t¹ d³ [6] Hpaq sie verdaute, die Leber sie zu Blut
1nailatoOm. umwandelte.
ja· B l³m toO !mhq¾pou jevakµ t_i Und wenn ein Menschenkopf mit
!mhqyp¸myi s¾-[7]lati sumekhoOsa einem Menschenrumpf zusammen-
s¾ifeshai poie? t¹ fkom, kommt, bewirkt er das Überdauern
des Ganzen;
t_i d³ toO bo¹r oq sumaqlºfei [8] ja· zu einem Rindsrumpf hingegen passt
diºkkutai7 er nicht und geht zugrunde.
fsa c±q lµ jat± t¹m oQje?om sum/khe Alle Glieder nämlich, die nicht gemäß
kºcom, 1vh²qg. der eigenen Bestimmung zusammen-
kamen, gingen zugrunde.
(c)
t¹m [9] aqt¹m d³ tqºpom ja· mOm In derselben Weise aber kommt auch
p²mta sulba¸mei. jetzt alles zustande.
ta¼tgr dojoOsi t/r dºngr [10] t_m l³m Dieser Meinung scheinen von den
!qwa¸ym vusij_m fsoi tµm rkijµm alten Naturphilosophen alle diejeni-
!m²cjgm aQt¸am eWmai t_m cimo- gen zu sein, die den in der Materie
[11]l´mym vas¸, t_m d³ rst´qym oR liegenden Zwang als Ursache des
9pijo¼qeioi. Werdens betrachten, von den Späte-
ren aber die Epikureer.
Simplikios unterscheidet in der Tat, genauso wie die von ihm hier
kommentierte Aristoteles-Stelle, zwischen lebensunfähigen und le-
bensfähigen Zufallskombinationen. Indessen hat man bei der quellen-
kritischen Auswertung dieser Unterscheidung Folgendes zu bedenken:
Zwar ist Simplikios ein hervorragender Kenner des Empedokleischen
Naturgedichts: Aristotelische Verweise auf Empedokles illustriert er
vielfach mit Originalzitaten, die er einem Exemplar des vollständigen
Gedicht-Textes entnimmt. Doch unbeschadet dessen ist der primäre
Referenztext eines Simplikianischen Aristoteles-Kommentars stets und
auch im vorliegenden Fall der kommentierte Aristotelestext selbst,
weswegen Angaben im Kommentar, die nicht nachweislich aus einer
anderen Quelle stammen, zunächst darauf zu prüfen sind, ob sie nicht
einfach dem Aristotelestext entnommen bzw. aus ihm entwickelt sein
können.26 Durchmustert man unsere Simplikios-Stelle unter diesem
doppelten Gesichtspunkt, dann ergibt sich dreierlei:
Zu (a) Eindeutig aus Empedokles geschçpft sind die Informationen, die
Simplikios im ersten Abschnitt (S. 371,33 – 372,2 Diels) beibringt, um
27 Anders O’Brien (1969), 215: „This was the principle which animated Empe-
docles’ beliefs and which he shared with others“.
38 Oliver Primavesi
28 O’Brien (1969), 211 – 212: „Simplicius says definitely that men and women
were formed from separate limbs … The difficulty is to know whether we can
trust Simplicius on this occasion“. Ebenso, und sogar ohne jeden Zweifel an der
Zuverlässigkeit des vermeintlichen Simplikios-Zeugnisses, Campbell (2000),
151: „Simplicius makes it clear that Empedocles is putting forward a scheme of
creation and adaptation by the chance assemblage of disparate parts of creatures,
with Love as a cohesive force. The assembly of the correct parts produces a
viable creature, while incorrect assembly ensures the immediate destruction of
the creature, and so adaptation is accounted for …“.
Aristoteles oder Empedokles? 39
29 O’Brien (1969), 215 mit Bezug auf Simplikios p. 372,8 Diels: „It is at this point
therefore, fsa c²q etc., that Simplicius starts to widen his view to include other
thinkers besides Empedocles“.
30 Vgl. den Überblick bei Peckham (1959), 11 – 25 und insbesondere die Tabelle
ebenda p. 24.
40 Oliver Primavesi
(1859 und 1860), geht Darwin auf seine Vorläufer überhaupt nicht ein.
Doch in der ersten Auflage der deutschen bersetzung, die von Heinrich
Georg Bronn erarbeitet wurde und im April 1860 erschien, stellt Dar-
win seiner „Einleitung“ noch eine „Vorrede des Verfassers“ voran, in
der er versucht, „eine kurze und sehr unvollkommene Skizze von der
Entwickelung der Meinungen über die Entstehung der Species zu
geben.“31 Das englische Original dieses Historical Sketch 32 wurde erstmals
in der ersten autorisierten amerikanischen Ausgabe vom Mai 1860 ab-
gedruckt und dann laufend überarbeitet, bis es in der vierten englischen
Ausgabe von 1866 seine endgültige Form gefunden hatte.33
Das Charakteristische an dem Historical Sketch war zunächst dies, dass
Darwin wissenschaftsgeschichtlich nicht weiter zurückging als bis zum
Anfang des 19. Jahrhunderts: Die Naturphilosophie der klassischen
Antike steht ihm ebenso fern wie selbst noch die beiden großen na-
turgeschichtlichen Werke des französischen 18. Jahrhunderts, der Tel-
liamed des Benoît de Maillet (1656 – 1738),34 und vor allem die monu-
mentale Histoire naturelle des Georges-Louis Leclerc de Buffon (1707 –
1788) 35 mit all ihren Fortsetzungswerken36 und Supplementen.37 Viel-
mehr lässt Darwin die eigentliche Geschichte der Erforschung des von
38 de Lamarck (1809).
39 Darwin, Bronn (1860), 1.
40 Darwin (1861), xiii. Wenn man „whose“ hier nicht auf „Buffon“ sondern auf
„authors“ bezieht, dann besagt dies, dass Darwin die einschlägige Literatur von
der Antike bis de Buffon überhaupt unbekannt ist. Auf dieser Auffassung basiert
z. B. die von Byl (1973), 520 zitierte französische Übersetzung von Clémence
Royer (3e édition Paris 1870): „Laissant de côté les anciens auteurs qui ont écrit
depuis les temps classiques jusqu’à Buffon, auteurs dont les ouvrages ne me sont pas
familiers […]“ (Hervorhebung von uns).
41 Darwin (1866), xiii.
42 Aristoteles, Physik II 8; 198b16 – 31.
43 Clair James Grece ist im Jahre 1874 als Übersetzer von Eduard Mätzners
„Englischer Grammatik“ ins Englische hervorgetreten. Zur Datierung seines
42 Oliver Primavesi
grow? For the uprising of the watery vapour, its cooling when thus /
raised, and its fall as rain when cooled, are all matters of necessity; and
though the rain / makes the corn grow, it no more occurs in order to cause
that growth, than a shower which / spoils the farmer’s crop at harvest-time
occurs in order to do that mischief. Now, why / may not this, which is true
of the rain, be true also of the parts of the body? Why, for / instance, may
not the teeth grow to be such as they are merely of necessity, and the fitness
/ of the front ones with their sharp edge for the comminution of the food,
and of the hind / ones with their flat surface for its mastication, be no more
than an accidental coincidence, / and not the cause that has determined
their development? And so with all the other / parts, wherever there is an
appearance of final causes? In short, whenever accident / caused all the
parts of the body to be developed spontaneously in this suitable manner, /
to be developed, that is, just as they would have been had design presided
over the / formation, the resulting wholes survived; but when this was not
the case they perished, / and still do perish, as Empedocles insists when
speaking of certain monstrosities.“/ The explanation suggested in this
passage will be found recurring in after-ages. A / similar hypothesis, for
instance, is started in Diderot’s „Letter on the Blind for the use / of those
who can See,“ where it is put in the mouth of the blind Sanderson. The
relation in / which the hypothesis stands to that of Darwin may thus be
expressed; the old philosopher / insists on the survival of the fit, Darwin on
the survival of the fittest.50 What a vast / difference underlies the apparent
similarity in the introduction of a single short syllable / scarcely needs to be
pointed out.51
Mit dem „alten Philosophen“, der auf dem „survival of the fit“ besteht,
kann Ogle, wie der weitere Zusammenhang seiner Introduction zeigt,
jedenfalls nicht Aristoteles meinen; es liegt nahe, dass er an Empedokles
denkt.
50 Das von Ogle hier als Äquivalent zu „natural selection“ erwähnte Konzept des
„survival of the fittest“ hat Herbert Spencer (1820 – 1903) im Jahre 1864 in die
Diskussion um Darwin eingeführt; vgl. Spencer (1864), 444 – 445: „This sur-
vival of the fittest, which I have here sought to express in mechanical terms, is
that which Mr Darwin has called ›natural selection, or the preservation of
favoured races in the struggle for life‹“. Darwin selbst hat sich den Begriff seit
der fünften Auflage seines Werkes zueigen gemacht; vgl. Darwin (1869), 72: „I
have called this principle, by which each slight variation, if useful, is preserved,
by the term Natural Selection, in order to mark its relation to man’s power of
selection. But the expression often used by Mr. Herbert Spencer of the Survival
of the Fittest is more accurate, and is sometimes equally convenient.“
51 Ogle (1882), ii note 2.
Aristoteles oder Empedokles? 45
52 Bei Ogle 1882 geht der eigentlichen Übersetzung von De partibus – abgesehen
von Vorwort (pp. V–VI) und Inhaltsverzeichnis (p. VII) – zunächst die Intro-
duction (pp. i–xix), dann eine Übersicht über The Main Groups of Animals (pp.
xxi–xxxiii) und schließlich eine Synopsis (pp. xxxv) voraus. Wenn Gotthelf
(1999), 8 – 9 von einer „35-page Introduction“ spricht, dann zieht er diese drei
Abschnitte zu einem zusammen.
53 Darwins Brief ist transkribiert bei Gotthelf (1999), 4 und reproduziert ebenda
pp. 5 – 7 plate 1.
54 Byl (1973), 520 sieht in dem Brief eine „lettre de remercments et de compliments“,
charakterisiert durch einen „caractºre dithyrambique“, basierend auf unzurei-
chenden Kenntnissen; letzteres ergebe sich nicht nur aus der Tatsache, dass
Darwin bei Abfassung des Briefes nach eigenem Bekunden erst ein Viertel der
eigentlichen Übersetzung von De partibus gelesen habe, sondern auch aus seiner
im Historical Sketch eingeräumten wissenschaftsgeschichtlichen Unkenntnis und
insbesondere aus dem Missverständnis in der Aristoteles-Fußnote von 1866. Byl
folgert ebenda p. 521: „Nous voyons ainsi que la célèbre citation de Darwin ne
mérite guère le crédit que les historiens des sciences, biologistes et philologues,
46 Oliver Primavesi
lui accordent“. Dagegen weist Gotthelf (1999), 15 mit Recht darauf hin, dass
Darwin einen eigentlichen Dankesbrief an Ogle bereits unmittelbar am Tag der
Zusendung, dem 17. Januar verfasst und abgesandt habe (transkribiert bei
Gotthelf (1999), 9; reproduziert ebenda p. 14 plate 3), während der Brief vom
22. Februar keine konventionelle Funktion erfülle, sondern als spontane Re-
aktion auf Darwins Eindrücke beim Lesen von Ogles Buch zu werten sei.
Darüber hinaus sucht Gotthelf Darwins Aristoteles-Lob sachlich zu rechtfer-
tigen, indem er, entgegen dem von Ogle in seiner Introduction unterstrichenen
Gegensatz zwischen Darwin und Aristoteles, Gründe für die Annahme eines
„isomorphism between Darwin’s biological theorizing and Aristotle’s“ (ebenda
p. 21) bzw. einer „deep underlying symmetry“ (ebenda p. 23) beibringt.
55 Gesehen von Stirling (1890), 133, der seine Beobachtung indessen, wie wir
noch zeigen werden, zu unsachlicher Polemik missbrauchte.
56 So charakterisiert Ogle (1882), ii note 2 treffend die von Aristoteles vorgeführte
Hypothese im Gegensatz zu Spencers „Survival of the Fittest“.
Aristoteles oder Empedokles? 47
57 Lange (1866), 404; im zweiten Band der zweiten vermehrten Auflage unver-
ändert beibehalten; vgl. Lange (1875), 247 – 248.
48 Oliver Primavesi
Ein Jahr nach Vollendung der zweiten Auflage von Langes Werk eti-
kettierte auch der Übersetzer von Darwins Fußnote ins Deutsche, der
Leipziger Zoologe Julius Victor Carus (1823 – 1903), das von Darwin
für eine Aristotelische Lehrmeinung gehaltene antiteleologische Ge-
dankenexperiment als Empedokleisch. Carus war seit 1867 damit betraut,
die zunächst von Heinrich Georg Bronn erarbeitete deutsche Über-
setzung von On the Origin of Species laufend an die von Darwin selbst
vorgenommenen Überarbeitungen des englischen Originaltexts anzu-
passen. Im Zuge dieser Tätigkeit hat Carus nun im Jahre 1876 die
Tatsache, dass Darwin die in Physik II, 8 entwickelte Hypothese als
Aristotelische Lehrmeinung verkannt hatte, nachgerade zu vertuschen
gesucht: In der sechsten deutschen Auflage änderte Carus den Text der
Fußnote stillschweigend dahingehend ab, dass einige der in Darwins
Originaltext dem Aristoteles zugeschriebenen Überlegungen nunmehr
als Empedokleische Lehrmeinungen erscheinen.59 Um den willkürlichen
Charakter dieses Eingriffs außer Zweifel zu stellen, muss man die von
Carus bearbeiteten Auflagen der deutschen Übersetzung gemäß der
folgenden Tabelle mit der jeweils zugrunde gelegten englischen Auflage
konfrontieren:
Die vierte englische Auflage von 1866 war, wie wir sahen, die erste, die
das „Historical Sketch“ in endgültiger Gestalt und insbesondere erstmals die
Fußnote ðber Aristoteles enthielt. Da auf dieser Auflage die dritte deutsche
Auflage von 1867 basiert, d. h. die erste, die laut Titelblatt bereits von
Carus „durchgesehen und berichtigt“ worden ist, stammt auch die
deutsche Übersetzung der Fußnote über Aristoteles von Anfang an von
Carus. Nun hat Carus zunächst, d. h. von der dritten deutschen Auflage
von 186761 bis zur fünften deutschen Auflage von 1872,62 die Fußnote
so wort- und sinngetreu übersetzt, dass Darwins Fehldeutung der Ari-
stotelesstelle hier genauso deutlich wird wie im englischen Original.
Ganz anders verfuhr Carus in der sechsten deutschen Auflage von 1876,
obwohl die englische Vorlage dieser Auflage dieselbe war wie bei der
fünften deutschen Auflage von 1872, nämlich in beiden Fällen die
sechste englische Auflage von 1872.63 Gleichwohl hat Carus in der
Der Eingriff von Carus ist aus drei Gründen als verfehlt zu werten. Zum
einen lässt der Eingriff die dokumentarische Treue vermissen, die von
dem Übersetzer eines wissenschaftlichen Textes auch dann zu fordern
ist, wenn er selbst anderer Meinung ist als der Autor seiner Vorlage.
Zum zweiten ist der Eingriff handwerklich äußerst inkompetent aus-
geführt. In dem von Carus manipulierten Text wird nämlich nur die
These von der Zufälligkeit der Wirkungen von Regengðssen dem Em-
pedokles zugeschrieben („Aristoteles führt […] die Ansicht des Empe-
dokles an, dasz der Regen nicht niederfalle etc.“), die Übertragung
dieses Gedankens auf die Organismen hingegen, wie im Darwinschen
Original, dem Aristoteles („[…] und wendet nun dieselbe Argumen-
tation auf die Organismen an“); einzig und allein diese, auch bei Carus
dem Aristoteles zugeschriebene Übertragung wird dann mit dem Zitat
aus dem zweiten Buch der Physik illustriert. Deshalb bleibt bei Carus
vollkommen unklar, warum von dem Physik-Zitat abschließend be-
hauptet werden kann, es enthalte „eine dunkle Ahnung des Princips der
natürlichen Zuchtwahl bei Empedokles“. Zum dritten ist zweifelhaft, ob
Carus den Fehler Darwins, den er zu vertuschen sucht, überhaupt
korrekt diagnostiziert hat: Zwar steht außer Frage, dass die Hypothese,
die an der von C. J. Grece ausgehobenen Physik-Stelle entwickelt wird,
entgegen Darwins Meinung keine Aristotelische Lehrmeinung darstellt.
52 Oliver Primavesi
Doch ist es, wie wir sahen, eine offene Frage, wieviel von dieser Hy-
pothese aus Empedokles stammt und wieviel davon erst darauf zu-
rückgeht, dass Aristoteles auf Empedokleischer Grundlage einen mög-
lichen Einwand gegen sich selbst konstruiert hat, um diesen Einwand
dann zu entkräften: Der Schluss von „Aristoteles nicht in eigenem
Namen“ auf „nicht Aristoteles“ bzw. auf „Empedokles“ ist nicht
zwingend.
Darwins These von der natural selection der Arten hat eine anti-teleo-
logische Pointe, die sie in den Augen vieler – nicht aller – christlicher
Zeitgenossen als Gefahr für den Glauben an einen zielgerichteten
Schöpfungsplan erscheinen ließ.65 Das machte die Auseinandersetzung
mit Darwin zu einem dankbaren Thema für eine Vorlesungsreihe über
Natural Theology, die der schottische Oberrichter Adam Gifford (1820 –
1887) testamentarisch in der Überzeugung gestiftet hatte, „that the true
knowledge of God […] when really felt and acted on, is the means of
man’s highest well-being, and the security of his upward progress
[…].“66 Gleich der erste Gifford-lecturer, der schottische Hegelianer James
Stirling (1820 – 1909), zielte mit seinen 1889 – 1890 gehaltenen Vorle-
sungen über Philosophy and Theology geradezu auf eine Widerlegung
Darwins. Stirling, der mit der deutschen Philosophie und Philoso-
phiegeschichtsschreibung recht gut vertraut war,67 macht sich den von
Lange und Carus repräsentierten Diskussionsstand zueigen, um zwei
Ziele zu verfolgen: Aristoteles, den er als den Schutzpatron aller te-
leologischen Naturbetrachtung verehrt, möchte er gegen die Inan-
spruchnahme durch Darwin in Schutz nehmen, die These von der
natural selection aber möchte er statt dessen, genau wie Lange und Carus,
auf Empedokles zurückführen, den er ohnehin als Atheisten betrach-
68 Stirling (1890), 219: „Thales and the other Ionics are, as Hylozoists, nothing
but atheists; while to call the Eleatics and Heraclitus pantheists is tantamount,
for all that, to an admission, as their doctrines were, that they were atheists.
Empedocles was no better“.
69 Stirling (1890), 127 – 128.
70 Stirling (1890), 346. Stirling lässt sich ebenda p. 133 sogar zu der Behauptung
hinreißen, dass Darwins Irrtum nicht mit einer möglichen Unklarheit in C. J.
Greces Mitteilung entschuldigt werden könne, da Darwin nach eigenem Be-
kunden Ogles Übersetzung von Aristoteles De partibus animalium besessen und
gekannt habe, deren Einleitung eine korrekte Übersetzung des von Grece
mitgeteilten Passus aus Physik II, 8 enthalte: „ … no physical necessity, no
peculiarity of Mr. Grece’s translation, not even the questionable clause parti-
cularized, will excuse or condone that. Mr. Darwin tells us himself, he had Dr.
Ogle’s translation of the de Partibus, in which a note gives the correct version of
the entire passage rendered by Mr. Grece. That note occurs on the very second
page of Dr. Ogle’s book, and must have been seen by Mr. Darwin“. Die
Abwegigkeit dieses Vorwurfs ergibt sich aus der Chronologie: Darwins hier
kritisierte Fußnote wurde im Juni 1866 publiziert, Ogles Übersetzung von De
partibus hingegen erst im Januar 1882.
54 Oliver Primavesi
animal form; but all such as were incoherently and inconsistently con-
structed, perished—and the same process continues. That, surely, is to give
directest, precisest, and palpablest expression to this, Only the fittest sur-
vive! 71
Diese sorglose Zuweisung der gesamten von Aristoteles in Physik II, 8
vorgeführten Hypothese an Empedokles wird seit nunmehr 120 Jahren
bis in die jüngste Zeit stereotyp wiederholt.72 Indessen entsprach sie
bereits in den Jahren 1889 – 1890, als Stirling seine Gifford-Lectures hielt,
längst nicht mehr dem Stand der Forschung: Wie nun noch zu zeigen
ist, hatte Eduard Zeller, und damit ein besserer Kenner der antiken
Philosophie, als Lange, Carus und Stirling es waren, schon 1878 die
entgegengesetzte Ansicht begründet: Bei der in Physik II, 8 vorge-
stellten Hypothese handelt es sich weitgehend um eine Konstruktion,
die von Aristoteles selbst entworfen wurde, wenn auch lediglich in
kritisch-dialektischer Absicht.73
[…] wir begegnen nicht selten zu unserem Erstaunen dem einen und an-
dern von dem, was wir jüngsten Ursprungs glaubten, schon vor Jahrhun-
derten und Jahrtausenden, wir sehen die Alten dem, was in der Folge zur
durchschlagendsten Wirkung gelangte, oft so nahe kommen, dass wir uns
fragen müssen, wie die letzten, scheinbar so kleinen Schritte unterbleiben,
die Gedanken, deren Fruchtbarkeit uns in die Augen springt, von ihren
eigenen Urhebern nicht weiter verfolgt, von der Mitwelt übersehen, von
der Nachwelt vergessen werden konnten? Wenn wir genauer zusehen,
zeigt sich freilich in der Regel, dass die Verwandtschaft des Früheren mit
dem Späteren doch nicht so weit geht, als es beim ersten Anblick scheinen
mochte; dass zur Entwickelung des einen aus dem andern Zwischenglieder
nöthig waren, an denen es noch lange Zeit fehlte; dass manche bereits
gehobenen Schätze nur desshalb wieder verloren giengen und später neu
entdeckt werden mussten, weil ihr Werth von den ersten Entdeckern selbst
nicht erkannt wurde […].74
Anders, als diese skeptische Einleitung erwarten lassen könnte, besteht
das Ziel von Zellers Abhandlung nicht einfach darin, die Rede von
„griechischen Vorgängern Darwins“ durchweg als sinnlos zu erweisen.
In Wahrheit geht es ihm gar nicht primär um die Differenz Antike –
Neuzeit, als vielmehr um eine Differenzierung innerhalb der Geschichte
der antiken Philosophie. So weist Zeller zwar an zwei vorsokratischen
Philosophen, Anaximander und Empedokles, in der Tat den Abstand
auf, der ihre zunächst vielversprechenden Hypothesen bei näherem
Hinsehen von den Darwinschen Theoremen „Mutability of Species“
und „Natural Selection“ trennt. Doch das eigentliche Ziel seiner Ab-
handlung ist die Zurückführung des Satzes, „dass das Zweckmäßige
entstehen könne, indem aus einer grossen Anzahl zufälliger Stoffver-
bindungen nur die lebensfähigen sich erhalten“ auf Aristoteles.75 Die
Übereinstimmung mit Darwins Einschätzung des Aristoteles springt ins
Auge; es wird zu prüfen sein, wie Zeller seine Feststellung begründet.
t¹ pOq tµm vkgm, 1n Hr !m¶vhg, lgt´qa ja· pat´q’ owsam, Eshiem, ¢r b t¹m
J¶ujor c²lom eQr t± Jsiºdou paqelbak½m eUqgjem (Hesiod, J¶ujor c²lor,
Fr. 204 [e] Most), ovtyr b )man¸lamdqor t_m !mhq¾pym pat´qa ja· lgt´qa
joim¹m !pov¶mar t¹m QwhOm di´bakem pq¹r tµm bq_sim“.
80 Aristoteles, Historia animalium 6, 10; 565b1 – 5 (p. 285 Balme): „oR d³ jako¼lemoi
ke?oi t_m cake_m t± l³m ¡i± Uswousi letan» t_m rsteq_m blo¸yr to?r sjuk¸oir,
peqist²mta d³ taOta eQr 2jat´qam tµm dijqºam t/r rst´qar jataba¸mei, ja· t±
f_ia c¸metai t¹m alvak¹m 5womta pq¹r t/i rst´qai, ¦ste !makisjol´mym t_m
¡i_m blo¸yr 5weim t¹ 5lbquom to?r tetq²posim.“
81 Ps.Plutarch Strom. 2; Doxogr. 579,17 – 20 Diels (bei Eusebios, Praeparatio evan-
gelica 1, 8, 3): „5ti vgs¸m, fti jat( !qw±r 1n !kkoeid_m f¾iym b %mhqypor
1cemm¶hg 1j toO t± l³m %kka di’ 2aut_m taw» m´leshai, lºmom d³ t¹m %mhqypom
pokuwqom¸ou de?shai tihgm¶seyr7 di¹ ja· jat( !qw±r oqj %m pote toioOtom emta
diasyh/mai.“
58 Oliver Primavesi
fenfolge, die durch Aëtios bezeugt ist86 und die wir im zweiten Kapitel
mittels der einschlägigen Originalfragmente bereits illustriert haben:
I. STUFE: Umherirrende Einzelgliedmaßen
II. STUFE: Zusammenschluss der Einzelgliedmaßen zu monströsen
Zufallskombinationen
III. STUFE: Neuansatz. Hervorwachsen ungeschlechtlicher, unge-
gliederter Kugelwesen aus der Erde.
IV. STUFE: Aufspaltung der Kugelwesen zu den geschlechtlich
differenzierten Wesen unserer Gegenwart.
86 Aëtios 5, 19, (5); Doxographi 430a21 – 431a5 Diels (Empedokles A 72, [1]
Diels-Kranz).
87 Zeller (1879), 119: „Das Motiv seiner Darstellung scheint … in dem Ganzen
seines kosmologischen Systems zu liegen“.
88 Zeller (1879), 119: „Die Geschichte des Weltganzen bewegt sich ja seiner
Annahme zufolge in einem endlosen Wechsel zwischen zwei Punkten: der
vollkommenen Einigung aller Elemente im Sphairos und ihrer vollkommenen
Trennung durch den Hass“.
89 B 27 – 29 Diels-Kranz.
90 Physika I 232 – 233 Primavesi: tot³ l³m c±q 4m gqn¶hg lºmom eWmai / 1j pkeºmym.
91 Physika I 233 Primavesi : tot³ d( aw di´vu pk´om( 1n 2m¹r eWmai.
92 Physika I 238 Primavesi : %kkote l³m Vikºtgti sumeqwºlem( eQr 4m ûpamta.
60 Oliver Primavesi
Verbindungen und schließlich die eine große Verbindung her. Für die
Trennung der Grundstoffe voneinander ist die Kraft der Repulsion
verantwortlich, die Empedokles „Streit“ (Me?jor) nennt.93
In die Phase des kosmischen Vereinigungswirkens der Liebe setzt
Zeller nun sowohl die Weltbildung als auch smtliche vier zoogonischen
Stufen: 94
[…] bei der Schilderung der Weltbildung gieng er von der letztern Vor-
aussetzung [d.h. vom Zustand vollkommener Trennung] aus, und be-
schrieb dieselbe demnach als eine fortgesetzte Einigung des Getrennten
durch die Liebe. Nach dem gleichen Gesichtspunkt scheint er auch bei
seinen Annahmen über die Entstehung der lebenden Wesen verfahren zu
sein: er liess die Theile derselben erst vereinzelt entstehen, dann sich zwar
vereinigen, aber zu so unvollkommenen Verbindungen, dass diese sich
nicht erhalten konnten, und erst zuletzt, bei zunehmender Herrschaft der
Liebe, zu vollkommeneren und lebensfähigen Bildungen.
Nach der von Zeller hier vorausgesetzten Rekonstruktion des Kosmi-
schen Zyklus würde das kosmische Trennungswirken des Streites
demnach eine vollkommene Pulverisierung der Gesamtmasse aller vier
Grundstoffe bewirken: Sowohl die Zusammenfügung der homogenen
kosmischen Elementmassen (Erde, See, Luft, Sonne), als auch die Bil-
dung der Lebewesen wäre dann das Werk der Liebe. In diesem kon-
tinuierlichen Liebeswirken aber müssen die Zufallskombinationen der
zweiten zoogonischen Stufe ausnahmlos als Fehlschlag gewertet werden.
Nach der zweiten Stufe ist nämlich, mit den aus der Erde hervor-
kommenden Kugelwesen der dritten Stufe, ein gänzlicher Neuansatz
vonnöten, bevor die nach Zellers Meinung zunehmend erstarkende
Liebe schließlich, auf der vierten Stufe, die geschlechtlich differenzier-
ten Wesen unserer Gegenwart zu schaffen vermag. Dann aber kann von
einer Zurückführung der gegenwärtigen Lebewesen auf eine Selektion
unter den Zufallskombinationen der zweiten Stufe keine Rede sein:95
Da aber die letzteren nicht aus den ersteren selbst sich entwickeln, sondern
erst nach dem Untergang derselben aus der Erde hervorkommen sollten, so
kann der Philosoph bei seiner Schilderung nicht die Absicht gehabt haben,
die Entstehung der organischen Wesen im Sinne der heutigen Descen-
denztheorie durch eine stufenweise Umbildung primitiverer Formen in
höherstehende zu erklären.
Wie man sieht, geht Zeller auf die (von uns bereits im zweiten Kapitel
als unwahrscheinlich zurückgewiesene) Möglichkeit, dass Empedokles
eine auf die zweite zoogonische Stufe beschrnkte Phase natürlicher Se-
lektion angenommen haben könnte, gar nicht ein. Vielmehr steht oder
fällt für ihn die Charakterisierung des Empedokles als eines Darwin avant
la lettre einzig und allein mit der Frage, ob Empedokles die Lebewesen der
Gegenwart, d. h. der vierten Stufe des Empedokles, auf eine Selektion
unter den Zufallskombinationen der zweiten Stufe zurückgeführt hat
oder nicht. Dass diese Frage verneint werden muss, ergibt sich unmit-
telbar aus dem radikalen Neuansatz, den die dritte zoogonische Stufe
auch in Zellers Rekonstruktion des Kosmischen Zyklus mit sich bringt.
Zellers Bestreben, die zoogonische Stufenfolge des Empedokles mit
dem Kosmischen Zyklus zu synchronisieren, war grundsätzlich sinnvoll;
nur ist Zellers Rekonstruktion des Zyklus aus heutiger Sicht in zwei
wichtigen Punkten zu korrigieren. Aber durch diese Korrektur wird
sich die Kluft, die die vierte zoogonische Stufe von der zweiten trennt,
nur noch vertiefen, so dass Zellers Argument gegen einen vermeintli-
chen „Darwinismus“ des Empedokles daraus gestärkt hervorgeht.
Zum einen geht bei Empedokles das globale Trennungswirken des
Streites nach dem Zeugnis des Aristoteles zeitlich Hand in Hand mit der
Herausbildung vier reiner kosmischer Massen; d. h. der Erdkugel und
der drei sie konzentrisch umgebenden Kugelschalen von Wasser, Luft
und Feuer.96 Das, was Zeller als „Weltbildung“ bezeichnet, geht also
über die Bildung der recht kompromisshaften Welt, wie wir sie kennen,
hinaus bis zum Extremzustand chemisch reiner sphärischer Schichtung
der vier Elemente;97 und vor allem fällt dieser gesamte Vorgang in die
Zeit der Streitherrschaft, nicht, wie Zeller meinte, in die Zeit der
Liebesherrschaft.
Zum andern ist es unplausibel, alle vier zoogonischen Stufen mit
Zeller in das kosmische Vereinigungswirken der Liebe zu versetzen.
Zwar lässt sich am Übergang von Stufe 1 (isolierte Einzelglieder) zu
Stufe 2 (Zufallskombinationen dieser Einzelglieder) in der Tat eine
Zunahme der Vereinigungskraft ablesen. Aber beim Übergang von
Stufe 3 (ganzheitliche, erdgeborene Kugelwesen) zu Stufe 4 (Aufspal-
96 Metaphysik, A 4, 985a 25 – 29: ftam l³m c±q eQr t± stoiwe?a di¸stgtai t¹ p÷m
rp¹ toO me¸jour, tºte t¹ pOq eQr 4m sucjq¸metai ja· t_m %kkym stoiwe¸ym 6ja-
stom. Man beachte die durch die beiden durativen Verbformen unmissver-
ständlich zum Ausdruck gebrachte zeitliche Koextensivität.
97 Bezeugt von Plutarch, De facie 12, 926D–927A.
62 Oliver Primavesi
98 Vgl. Dümmler (1889), 217 – 221; Bignone (1916), 584; O’Brien (1969), 196 –
236.
99 Zeller (1879), 124.
Aristoteles oder Empedokles? 63
zukommt, nicht nur marginaler als bei Aristoteles, sondern auch mar-
ginaler als bei Darwin.
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durch / natðrliche Zuchtwahl / oder die / Erhaltung der begðnstigten Rassen im
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Nach der vierten englischen sehr vermehrten Auflage durchgesehen und
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/ von / Charles Darwin. / Aus dem Englischen übersetzt von H. G. Bronn. /
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Zellers Platon-Studien
Dorothea Frede
1 Die Umarbeitung manifestiert sich auch in der Umformulierung des Titels. Der
Titel der ersten Auflage: Die Philosophie der Griechen. Eine Untersuchung ðber
Charakter, Gang und Hauptmomente ihrer Entwicklung, wurde in der zweiten
Auflage ersetzt durch: Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Ent-
wicklung.
68 Dorothea Frede
len, sondern nur eine „Erörterung derjenigen Fragen, durch welche die
Einsicht in die Eigentümlichkeit und den Zusammenhang der Systeme
vorzugsweise bedingt ist“.2 Bei der Ausarbeitung ergab sich jedoch die
Notwendigkeit, mehr ins Einzelne zu gehen als zunächst beabsichtigt.3
Des sich so entstandenen Missverhältnisses zwischen dem ersten und
den beiden weiteren Teilen des Werkes wegen hat Zeller dann die
Anregung des Verlegers aufgegriffen, den ersten Teil neu zu bearbeiten.
So entstand dann eine ganz neue Arbeit, „die zwar den Inhalt der ersten
Auflage in sich enthält, soweit er einer erneuten Prüfung standhielt, aber
in seiner ganzen Anlage und Abzweckung von der ersten abwich, was
sich auch im Umfang niederschlug“.4 Zellers Hauptaugenmerk galt
zwar weiterhin dem System der einzelnen Philosophen, es sollten aber
auch die äußeren Umstände der Entwicklung der griechischen Philo-
sophie, die Geschichte der Schulen und ihrer Stifter Berücksichtigung
finden, sowie Fragen der Entstehung ihrer Philosophie und ihrer ge-
genseitigen Beeinflussung. Daher ging Zeller auch auf das kulturelle,
politische und religiöse Umfeld ein, in welchem sie lebten. Kurzum:
Aus einer Interpretation dessen, was Zeller als das Wesentliche der je-
weiligen Philosophen ansah, wurde eine enzyklopädische Darstellung
im weitesten Sinne.5
In seiner ersten Auflage geht Zeller Platon betreffend hingegen
umstandslos in medias res mit einer Charakterisierung seiner Philosophie,
insbesondere der Ideenlehre, als einer Fortentwicklung sokratischen
Fragens unter Einbeziehung herakliteischer, eleatischer und pythago-
reischer Gedanken. Auch Fußnoten halten sich dort in Grenzen,
während sich deren Anzahl und Länge in der zweiten Auflage ver-
vielfachen. Daher erweckt die erste Auflage noch nicht den Eindruck,
der sich heute jedem Leser als erstes beim Aufschlagen von Zellers
hoben, die Idee nicht mehr als blos das Ziel des wahren Wissens und
Princip des wahren Handelns, sondern auch als das objektive, substantielle
Wesen der Dinge behauptet. Andererseits ist noch der Mangel vorhanden,
dass das Denken nun eben bei dieser objektiven Anschauung der Ideen
stehen bleibt, statt dieselbe in ihrer konkreten Verwirklichung zu erkennen
[…]. Wie daher die objektive Fassung des Begriffs, in dem Sokrates den
alleinigen Gegenstand des Wissens erkannt hatte, die Platonische Philo-
sophie von der Sokratischen unterscheidet, so bildet umgekehrt das Ste-
henbleiben bei dieser objektiven Anschauung den Grundunterschied des
Platonischen Systems vom Aristotelischen.9
In seiner zweiten Auflage gestaltet Zeller den Vergleich nicht nur sehr
viel ausführlicher, vielmehr erinnert auch seine Ausdrucksweise kaum
mehr an Hegel.10 Der Sache nach ändert sich Zellers Urteil über die
Verhältnisse nicht. Zum Unterschied zwischen Platon und Aristoteles
bemerkt er dort:
(Platon) hypostasiert die Begriffe zu Ideen, aber indem er nun diese für das
allein Wirkliche, das Stoffliche als solches für das Wesenlose und Nicht-
seiende hält, macht er sich die Erklärung der Erscheinungswelt unmöglich.
Er führt die Begriffsphilosophie zum System aus, aber so tief in’s besondere
vorzudringen wie sein Nachfolger, findet er sich nicht getrieben; nur die
Idee gilt ihm als der wahre Gegenstand des Denkens, das einzelne der
Erscheinungswelt hat für ihn kein Interesse […].11
Ein Vergleich zwischen diesen beiden Texten liefe daher die Gefahr,
sich in bloßen Wortklaubereien zu verlieren. Hinzu kommt noch, dass
man sich angesichts des großen Umfangs und des Reichtums von
Zellers Ausführungen zu Platons Philosophie, die bereits seine erste
Auflage kennzeichnen, bei der Auswahl von Vergleichspunkten schwer
tun würde.
Ein Ausweg aus der Qual der Wahl hatte sich mir bereits während
der langwierigen Suche nach den beiden Auflagen in Form des „Ur-
Zeller“ geboten, den ich sonst vielleicht gar nicht berücksichtigt hätte,
nämlich Zellers Platonische Studien aus dem Jahr 1839. Bei näherer Be-
trachtung dieses Werkes erwies sich schnell, dass Zeller zu Platon eine
ganz eigene Beziehung hat, die sich bereits während seiner Studienzeit
entwickelte und von keiner besonderen Anhängerschaft an einen der
drei Essays der Studien sollen nun je für sich einer näheren Betrachtung
unterzogen werden.
Der Teil I der Platonischen Studien ist offensichtlich die Frucht von
Zellers Dissertation, die den Nomoi gewidmet war.12 Sein Bemühen in
diesem Essay gilt dem Nachweis der Unechtheit der Nomoi und daher
beginnt er mit einer Charakterisierung dieses Werks und seiner Gründe
dafür, es Platon abzusprechen. Diese Untersuchung zwingt einen dazu,
den Platon des „Ur-Zeller“ sozusagen im Rückwärtsgang zu rekon-
struieren, d. h. im Ausgang von Platons Alterswerk, da auch Zeller selbst
im Lauf seiner Untersuchung von den Nomoi ausgeht und andere
Dialoge unter dem Gesichtspunkt untersucht, inwiefern sich aus ihnen
Gründe für die Unechtheit der Nomoi ableiten lassen. Diesen Unter-
suchungen ist auch zu entnehmen, welche Aspekte Zeller als besonders
charakteristisch für Platons Philosophie überhaupt ansieht. Bei seiner
Echtheitskritik geht Zeller übrigens sehr gründlich vor, indem er die
Nomoi eingehend nach Form und Inhalt analysiert. Metaphysische
Fragen kommen ebenso zur Sprache wie stilistische, methodische,
dialogische, dialektische, ethische und politische. Der Tenor seiner
Beurteilung ist: „Platon kann diese Schrift nicht verfasst haben, weil…“
Dazu geht Zeller auf die wesentlichen Aspekte der Nomoi ein, da er
dieses Werk, schlicht gesagt, für zu schlecht hält, als dass man es Platon
zuschreiben könnte.
Zellers Gründe für seine Kritik an den Nomoi sind hier kurz zu-
sammenzufassen.13 Was die Komposition betrifft, weist er auf den
Mangel an Kohärenz dieses Werkes hin, eine Erfahrung, die viele Leser
mit ihm teilen dürften. Zwar hängt irgendwie alles mit allem zusam-
men, man müsste aber lügen, wenn man behaupten wollte, dass das
Gespräch zwischen drei alten Männern auf dem Weg zur Zeusgrotte auf
Kreta einem transparenten Plan folgt. Was Inhalt und Intention der
Nomoi angeht, so kann Zeller insbesondere die Notwendigkeit einer
Revision des politischen Idealbildes der Politeia nicht anerkennen.
Wozu sollte Platon eine weitere „Kopie“ der Idee des Staates vorstellen,
12 Ein Exemplar dieser Arbeit von 1836 konnte ich nicht auftreiben; es dürfte in
den Arkana der Tübinger Universität zu finden sein.
13 Vgl. dazu Zeller (1839), 117 – 118: eine Zusammenfassung in sieben Punkten.
Zellers Platon-Studien 73
eine Kopie, die nicht nur Kernpunkte aus der Politeia aufgibt, sondern
an deren Realisierbarkeit der Autor der Nomoi wiederum Zweifel äu-
ßert (745e)? 14
Was seine Methodik betrifft, ist in Zellers Augen, wie bereits oben
angedeutet, für Platon eine Mittelstellung zwischen dem „Sokratisch-
Epaktischen“ und dem „umfassend Systematischen bei Aristoteles“
charakteristisch, wobei beide Züge bei Platon durch die Ideen zusam-
mengehalten und überhöht werden. Hingegen stellt das bloße „Hin-
absteigen ins Empirische zum Nachteil des Begrifflichen“, welches
Zeller als typisch für die Nomoi ansieht, wie auch der Verzicht auf jede
Art von Ableitung des Einzelnen aus den Ideen eine gravierende Ab-
weichung von der platonischen Methodik dar. So werden auch die
Tugenden lediglich einzeln eingeführt und nicht methodisch stringent
auf ihren Zusammenhang und ihre Abhängigkeit von der obersten
Tugend, der Weisheit, hin untersucht. Was für die Tugenden gilt, gilt
auch für die politische Ordnung. Statt einer Dreiklassenordnung, die der
Harmonie der drei Seelenteile entspricht, sieht der Autor der Nomoi
einen Einklassenstaat vor, in dem die schwere Arbeit von Sklaven und
Ausländern verrichtet wird.15 So ist der Staat der Nomoi kein wohlge-
gliedertes Ganzes, sondern lediglich ein von Gesetzen und Verord-
nungen zusammengehaltenes Aggregat.
Als schlagendes Beweisstück für die Unechtheit betrachtet Zeller
jedoch die Tatsache, dass von der Ideenlehre in den Nomoi – anders als
in anderen Dialogen – nirgends auch nur eine Spur zu finden ist. Denn
die Ideen spielen weder eine Rolle in den Argumenten für die Un-
sterblichkeit der Seele, noch in der Erläuterung der Notwendigkeit des
Glaubens an eine sinnvolle, auf Vernunft beruhende Weltordnung,
noch auch werden sie als erforderlich für die Qualifizierung der poli-
tischen Elite behandelt, der Mitglieder des „Nächtlichen Rates“. Zum
Fehlen der Ideenlehre passt auch die Herabstufung der mathematischen
Kenntnisse, sowie das Fehlen eines pythagoreischen Hintergrundes der
Mathematik. Denn da die Mathematik den Bildungsvorschlägen der
Nomoi zufolge nur in dem Umfang gelehrt werden soll, in dem auch
gewöhnliche Bürger sie verstehen und als Basis einer rationalen Him-
melsordnung akzeptieren können, sieht Zeller hier keine Verwandt-
schaft zum Curriculum in der Politeia, welches gründliche Kenntnisse
Während Zellers Behandlung der Nomoi ein gutes Beispiel für sein
kritisches Urteil wie auch für seine Revisionsbereitschaft ist, repräsen-
tiert seine Interpretation des Parmenides in Teil II eine scharfsinnige
Analyse dieses Dialogs, die sich auch heute noch sehen lassen kann. Auf
diese Analyse weist Zeller in Zeller1 nur noch im Anhang in Form einer
Zusammenfassung und einer Auseinandersetzung mit der Literatur
hin.27 In Zeller2 begnügt er sich mit einem bloßen Verweis auf seine
odie auf die üblichen Grabreden halten lassen oder ihn auch nur dem Anschein
nach dafür plädieren lassen könnte, dass es besser ist absichtlich zu lügen als
unabsichtlich die Unwahrheit zu sagen, hält Zeller für unvereinbar mit Platons
sonstiger Einstellung; vor allem vermisst er deutliche Hinweise auf ironische
oder parodistische Absichten, die sich in unverkennbaren Übertreibungen
manifestieren müssten.
22 Zeller (1846), 317 – 332.
23 Zeller (1846), 329.
24 Zeller1(1846), 157 Anm. 3.
25 Zeller2 (1858), 638 – 41. Dazu dürfte auch die jüngere Platon-Literatur seiner
Zeit beigetragen haben, wie etwa Susemihl (1855).
26 Zeller (1858), 641.
27 Zeller (1846), 346 – 361.
76 Dorothea Frede
Studien in einer Fußnote.28 Das ist zwar angesichts des Umfangs ver-
ständlich, den eine Aufarbeitung seiner Interpretation des Parmenides
nicht nur schon für sich allein, sondern auch aufgrund der erforderli-
chen Auseinandersetzung mit der neusten Sekundärliteratur angenom-
men hätte. Da man aber diesen Verweis auf die frühere Arbeit in dem
Wust der Fußnoten leicht übersieht, entgeht einem etwas Wichtiges,
wenn man nur den späteren „Zeller“ kennt.
Aus diesem Grund sei nun in Kürze das Wesentliche an dieser In-
terpretation von Platons Parmenides zusammengefasst. Zeller moniert
zunächst an der Erklärung des Parmenides bei Schleiermacher, Ast und
anderen Autoren, dass sie zum einen keine befriedigende Deutung des
„dialektischen“ zweiten Teils des Dialogs liefern, zum anderen den
Zusammenhang des zweiten Teils mit der Ideenkritik im ersten Teil
nicht aufklären.29 Damit legt er seinen Finger genau auf den Punkt, der
Platon-Kennern bis heute Schwierigkeiten bereitet.30 Zellers liefert
daher eine Interpretation der acht Hypothesen im zweiten Teil des
Parmenides und eine Erklärung für ihren Zusammenhang mit der Ide-
enkritik im ersten Teil. Wie er plausibel macht, dienen die „Übungen“
des 2. Teils der notwendigen Klärung des fundierenden Verhältnisses
des Begriffs der Einheit zu den übrigen Allgemeinbegriffen,31 denn nur
die Einheit verleiht der Vielheit der Erscheinungen eine Identität. Und
eben dies, die Zusammenfassung der Vielheit zu einer Einheit ist Sache
der Dialektik. Das Eine ist daher als das formale Prinzip aller Ideen zu
verstehen. Die Folgerungen, die in den acht Hypothesen zuerst aus dem
Sein und dann aus dem Nichtsein des Einen gezogen werden, versteht
Zeller daher als eine „apagogische Darstellung“, d. h. eine reductio ad
absurdum. Zu den Widersprüchen in den vier positiven Hypothesen
kommt es, weil dem Einen zunächst jegliche Vielheit abgesprochen,
32 Ziel der Hypothesen ist also, zur kritischen Reflexion über die Angemessenheit
der Begriffe als solcher anzuregen.
78 Dorothea Frede
das einzige Mittel, sie zu erkennen, d. h. die Kunst der Sonderung und
Vereinigung der Begriffe.33
Mit seiner Deutung der Zusammengehörigkeit der beiden Teile des
Parmenides kann sich Zeller, wie schon angedeutet, auch heute noch
sehen lassen. Denn es gibt noch immer zwei Lager von Interpreten des
Parmenides, sofern sie sich überhaupt an die Entschlüsselung des zweiten
Teils machen. Das eine Lager versucht, den antinomischen Charakter
des zweiten Teils wegzuinterpretieren.34 Das andere Lager unterstellt,
ähnlich wie Zeller, der Lektion, die der alte Parmenides dem jungen
Sokrates mit seinem „mühsamen Spiel“ (Prm. 137b) erteilt, eine kriti-
sche Absicht im Umgang mit den Ideen im Allgemeinen. Freilich teilen
nicht alle Kommentatoren Zellers Standpunkt, dass es Parmenides um
den Nachweis der Notwendigkeit der Einheit geht, sofern sie diese
Möglichkeit überhaupt zur Kenntnis nehmen.35 Zu dieser Unkenntnis
hat Zeller, wie gesagt, dadurch beigetragen, als seine Abhandlung über
den Parmenides ab der zweiten Auflage nur noch ein Fußnotendasein
führt. Zwar stützt sich Zeller bei seiner Darstellung der Platonischen
Dialektik vielfach auf den Parmenides;36 da er jedoch auf Einzelanalysen
der Dialoge grundsätzlich verzichtet, geht er auch auf den Parmenides
nicht mit der Ausführlichkeit ein, die für ein tieferes Verständnis seiner
Interpretation der Aporien und der Hypothesen erforderlich wäre.
Stattdessen bietet er, nach der Darstellung von Platons Leben und seiner
Schriften, ihrer Entstehung und Reihenfolge, eine systematische Be-
handlung von dessen Lehre und geht dabei auf die einzelnen Dialoge
33 Zeller (1839), 183, nimmt damit in gewisser Weise eine Kernthese der Mo-
nographie von Wieland (1982) vorweg, wonach Ideenwissen ein „Ge-
brauchswissen“ ist; allerdings versteht Zeller unter Dialektik eine sprachlich
artikulierte systematische Disziplin, die Wieland als „propositionales“ Wissen
gerade ausschließt.
34 Der jüngste Versuch, die Hypothesen als in sich konsistent zu erweisen, stammt
von Meinwald (1991). Ihre Grundannahme, es gehe Platon um den Unter-
schied zwischen zwei Arten von Prädikaten, die von den Ideen (1) in Relation
zu selbst und (2) in Relation zu anderem gelten, ist jedoch nicht in allen Fällen
überzeugend und von ihr auch nur lückenhaft nachgewiesen. Zudem fragt sich,
warum Platon meint, diese einfache Grundunterscheidung durch eine ausge-
dehnte, antinomisch aufgebaute Übung erläutern zu müssen. Vgl. dazu die
Kritik von Krohs (1998).
35 Cornford (1939); Moravcsik (1982); Allen (1983); Hägler (1983) mit Hinweis
auf Zellers Philosophische Studien.
36 Zeller1(1846), 185 – 217; Zeller2(1858), 411 – 457.
Zellers Platon-Studien 79
nur soweit ein, als sie Belege für die Rekonstruktion dessen liefern, was
Platons Philosophie in Hinblick auf den jeweiligen Aspekt auszeichnet.
Da Zeller mit vielen anderen Interpreten in Platons Ideenlehre das
Kernstück seiner Philosophie sieht, ist nun auch auf seine Deutung der
Ideenlehre in den Studien noch näher einzugehen. Er äußert sich zu
dieser Frage vor allem im Zusammenhang mit Aristoteles’ Platon-Re-
zeption, dem Gegenstand seines dritten Essays.
Auch Teil III der Platonischen Studien ist aus vielen Gründen von be-
sonderem Interesse, denn Zeller legt seiner Darstellung der Platonischen
Philosophie bei Aristoteles die Unterteilung in Dialektik, Physik, Ethik
zugrunde, eine Gliederung, die auch seine Interpretation in Zeller1 und
Zeller2 beibehält. Davon können hier nur seine Ausführungen zur
Rezeption der Ideenlehre aufgenommen werden, insbesondere aber zu
deren Mathematisierung. Wie Zeller feststellt, ist Aristoteles, was Pla-
tons Philosophie angeht, ein seltsamer Zeuge: Vieles bei Platon Her-
vorstechende übergeht er ganz, während er anderes, was sich bei Platon
allenfalls in Andeutungen findet, eingehend erörtert und kritisiert:
(S)o zeigt sich die merkwürdige Erscheinung, dass wir aus ihm ein ganz
anderes Bild derselben (sc. der platonischen Philosophie) bekommen, als
aus den Platonischen Werken. Vieles hier mit großem Nachdruck Vor-
getragene ist dort fast übergangen; Anderes, wovon sich hier kaum
schwache Anklänge zu finden scheinen, tritt bei Aristoteles in den Vor-
dergrund; einzelne Lehren, die schon im Ausdruck auffällig mit der Ari-
stotelischen Terminologie übereinstimmen, und die wir in Platon’s
Schriften vergeblich suchen, werden ihm zugeschrieben; das ganze System
erscheint uns des idealen Glanzes, den ihm Platon so gerne giebt, ent-
kleidet, und auf abstrakte Dogmen zurückgeführt.37
Aus solchen Gründen waren manche Zeitgenossen Zellers der Auffas-
sung, dass in Platons Dialogen nur „Exoterisches“ steht, weil er nur in
lebendiger Rede den Schülern gegenüber seine wahre Philosophie
vorgetragen hat.38 Von dieser Auffassung hält Zeller freilich gar nichts.
Wie sollten die Dialoge nur leere Schalen sein? Schon in ganz jungen
Jahren war Zeller also ein energischer Gegner der heute so genannten
„Tübinger Platondeutung“, die damals freilich noch nicht in seiner
geistiger Heimat angesiedelt war. Die Platondeutung im 19. Jahrhundert
stand also keineswegs unter der Dominanz von „Schleiermachers ro-
mantischem Platonbild“, wie es die späteren „Tübinger“ gern darstel-
len,39 denn Zeller argumentiert gegen diese Auffassung ganz unabhängig
von Schleiermacher. Er weist allerdings die Zeugnisse bei Aristoteles
nicht einfach zurück, behandelt sie aber, seiner sonstigen hohen
Wertschätzung zum Trotz, durchaus kritisch, weil er der Auffassung ist,
dass Aristoteles Platon in wichtigen Hinsichten missverstanden hat. Um
das Richtige vom Falschen zu trennen, durchmustert Zeller sehr ein-
gehend die Ausführungen zu Platon bei Aristoteles in Hinblick auf
dessen Metaphysik, Physik und Ethik. Davon können hier nur zwei
Punkte zur Metaphysik zur Sprache kommen: (1) Natur und Status der
Ideen überhaupt, (2) die Beziehung der Ideen zu den Zahlen. Beide
Punkte erörtert Zeller in enger Verknüpfung miteinander, weil sie sich
auch in den Zeugnissen bei Aristoteles nur schwer trennen lassen.
(1) Zu Aristoteles’ Auffassung über den Status der Ideen erklärt
Zeller, dieser betrachte die Ideen als für sich bestehende unräumliche
Substanzen, die das Wesen der Dinge ausmachen und zugleich die
Ursache ihres Seins und Werdens sind (216 – 228).40 Mit Hilfe einer
sorgfältigen Überprüfung der verschiedenen Stellen, an denen Aristo-
teles auf Platons Ideen eingeht, weist Zeller nach, dass Aristoteles die
platonischen Ideen zugleich als Gattungsbegriffe wie auch als Individuen
darstellt, welche für sich bestehend (choris) als paradeigmata das Beharr-
liche im Wechsel der Erscheinungen bedingen.41 Aus dieser Doppel-
funktion ergeben sich in der Tat gewisse Schwierigkeiten, die sich auch
in der „doppelten Darstellung der Lehre von den ersten Prinzipien“
widerspiegeln, indem dieselben bald mehr aus dem formal logischen,
bald mehr aus dem metaphysischen Gesichtspunkt betrachtet werden.“42
Dabei steht die Unterscheidung von Einheit und Vielheit, Selbigkeit
und Verschiedenheit auf der einen Seite, Grenze und Unbegrenztem
auf der anderen im Mittelpunkt, die in Platons späteren Dialogen eine
39 Vgl. Krämer (1959) und Gaiser (1968) und die zusammenfassende Darstellung
bei Reale (1993). Die so genannte „Tübinger Deutung“ stellt folglich keinen
dramatischen „Paradigmenwechsel“ dar, sondern das Wiederaufleben altver-
trauter Gedanken.
40 Zeller (1839), 216 – 228.
41 Zeller (1839), 230.
42 Zeller (1839), 248.
Zellers Platon-Studien 81
Begriffe wie des Selbigen und Verschiedenen oder von Grenze und
Unbegrenztheit bedienen. Eben deshalb hat Platon, wo es um eine
solche Vermittlung ging, gern auf die Mathematik zurückgegriffen:
Die mathematischen Gesetze, als die Logik des Raums und der Zeit, sind
zugleich die ewigen Formen der sinnlichen Erscheinung, und die Begriffe
oder Ideen in ihrer Beziehung auf die Erscheinungswelt; durch sie ließen
sich daher die zwei Extreme des Idealen und Sinnlichen einander näher
bringen, und eine solche Annäherung musste minder gewaltsam erschei-
nen, als die unmittelbare Beziehung des empirischen Stoffes auf die Ideen.50
Dass Platon in seiner Erklärung der Erscheinungswelt beim „bloß
Symbolischen“ stehen blieb, sieht Zeller freilich als entscheidenden
Mangel seiner Philosophie an. Dies schlägt sich auch in seiner Erklärung
der Bezugnahme auf Mathematisches nieder.
(2) Die Mathematisierung der Ideenlehre stellt für Zeller daher
keinen weiteren Schritt in der Entwicklung der Ideenlehre dar, sondern
ist die Konsequenz daraus, dass die Ideen als die einheitstiftenden
Formen der Vielheiten fungieren.51 Was nun Platons Umgang mit den
Zahlen im Allgemeinen angeht, so besteht Zeller auf der Beachtung von
Platons Unterscheidung zwischen der empirischen, mathematischen
und dialektischen Behandlung der Zahlen. Eben diesen Unterschied
habe Aristoteles in seiner Kritik nicht immer hinreichend berücksich-
tigt.52 Denn Zeller macht plausibel, dass Platon sehr wohl zwischen der
Einheit und Vielheit von sinnlichen Dingen, von mathematischen
Zahlen und von Ideen unterschieden hat. Zu der fraglichen Verwirrung
hat Platon in Zellers Augen freilich durch die Verwendung der gleichen
Bezeichnungen für die Verhältnisse auf den unterschiedlichen Ebenen
beigetragen. So spricht er vom Einen und der Zweiheit als dem Prinzip
der Vielheit sowohl im Zusammenhang mit den Sinnendingen wie auch
mit den Zahlen und mit den Ideen, freilich in einem ganz anderen Sinn.
(a) Bei den Sinnendingen verweist die unbestimmte Zweiheit – alias
„das Große und Kleine“ – auf die Möglichkeit des Mehr oder Weniger,
von der Platon auch in seiner Unterscheidung von Grenze und Un-
Auf das „Gespenst eines esoterischen Platon“ geht Zeller1 nur noch
insofern ein, als er zur Dialogform ausführt, sie sei die in Platons Augen
der Philosophie angemessene Kunstform (140 – 144).57 Zeller weist zwar
auf die „Esoterik“ hin, hält sie der Sache nach jedoch für abgetan, zumal
Aristoteles von einer Unterscheidung zwischen Exoterischem und
Esoterischem nichts gewusst hat.58 Zeller merkt dazu lediglich an, man
müsse sorgfältig zwischen der Möglichkeit von absichtlichem Ver-
schweigen und der Tatsache unterscheiden, dass Platon seine Meinung
„oft nur indirekt andeutet und mittelbar vorbereitet, statt sie geradehin
auszusprechen“ (325). Was die Interpretation von Platons Philosophie
angeht, so lassen sich zwar Unterschiede in der Ausführlichkeit der
Behandlung einzelner Fragestellungen wie auch in der Herangehens-
weise Zellers in den beiden Auflagen gegenüber den Studien feststellen,
von einer Neudeutung der Philosophie Platons kann jedoch keine Rede
sein. Wie in den Studien lässt Zeller1 sich von der Diagnose leiten, die
Eigenart der platonischen Philosophie bestehe darin, zunächst nach
sokratischer Manier epagogisch zu den Prinzipien (Ideen) hinzuführen,
59 Vgl. dazu Zeller1 (1846), 134 – 151; Zeller2 (1858), 412 – 457.
60 Diese Darstellung ist sowohl in Zeller1 (1846), § 19 (Die propädeutische Be-
gründung des platonischen Systems, 152 – 185, § 20: Die Platonische Dialektik
oder Ideenlehre, 185 – 217) wie auch Zeller2 (1858), enthalten: 5. Die propä-
deutische Begründung der platonischen Lehre, 368 – 412; 6. Die Dialektik oder
Ideenlehre, 412 – 45. Der weit größere Umfang von Zeller2 beruht nicht allein
darauf, dass der Systematik eine eingehende Darstellung von Platons Leben,
Fragen der Entstehung, Echtheit und Reihenfolge seiner Schriften vorangestellt
ist, sondern dass auch die Erörterungen zu Platons Physik und Ethik sehr viel
weiter ausgreifen.
61 Zeller1 (1846), 193.
86 Dorothea Frede
der Ideen geprägt, die er in den Studien als den Kernpunkt des Parme-
nides ausgewiesen und auch als wesentlich für die Platon-Rezeption bei
Aristoteles ausgemacht hat. So bemängelt Zeller1 weiterhin die Tatsa-
che, dass Platon den Ideen keinen metaphysischen Inhalt zu geben
vermochte, sondern sich auf die erforderliche formale Begrifflichkeit zu
ihrer Bestimmung beschränkt hat (Sein, Einheit, Selbigkeit, Verschie-
denheit…), während sich von einer apriorischen Ableitung der Ideen
keine Spur findet. Für Zeller ist daher „die Reinheit der begrifflichen
Behandlung getrübt, der Gedanke mit der Vorstellung vermischt, und
dem Anschein, als ob die Ideen den sinnlichen Dingen ähnliche Sub-
stanzen seien, Vorschub getan“.62 Und um eben diesen Mangel auszu-
gleichen, so spekuliert Zeller hier, habe Platon die Zahlen zur symbo-
lischen Darstellung herangezogen, eine Darstellung, die sich allerdings
nicht in seinen Dialogen, sondern nur in verschiedenen Berichten bei
Aristoteles findet. Daher erklärt Zeller diese Lehre als eine späte Zutat,
und wiederholt sehr verkürzt die Erklärung aus den Studien, Platon habe
mit den Zahlen anstelle des rein begrifflichen einen symbolischen
Ausdruck gesetzt, um verständlich zu machen, inwiefern die Ideen als
„das Bestimmende der Körperwelt“ fungieren können. Dass er dies für
keine glückliche Lösung hält, bringt Zeller hier noch deutlicher als in
den Studien zum Ausdruck. Er sieht in der Veranschaulichung durch
Zahlen ein Symptom für Platons Einsicht in die Unmöglichkeit einer
„begrifflichen Construction der Ideenwelt“ und zugleich auch für
dessen abnehmende dialektische Kraft.63 Im Übrigen vertritt Zeller die
Auffassung, dass Aristoteles’ Berichte in Metaphysik M und N im We-
sentlichen den Mitgliedern der Akademie gelten und diskutiert diese
Lehre daher in dem der Älteren Akademie gewidmeten Kapitel.64
Die Behandlung der Ideenlehre in Zeller2 kann hier nur noch kurz
gestreift werden. In der Anlage wie auch in der Schwerpunktsetzung
folgt sie im Wesentlichen Zeller1 und damit auch den Studien. Daraus
erklärt sich, dass „der Zeller“ keine „genetische“ Erklärung der
Ideenlehre liefert, indem er ihre Entwicklung von den frühen Dialogen
an verfolgt, sondern sich im Wesentlichen auf die Eigenarten der Er-
örterungen dieser Lehre in den heute für später gehaltenen Dialogen
konzentriert. Die Dialektik betreffend unterscheidet Zeller hier die
dialektische Methode, insbesondere das dihäretische Verfahren, von der
Für Platons ursprüngliches System kann sie keine oder doch nur eine ganz
untergeordnete Bedeutung gehabt haben […] Das Wesentliche war für ihn
nur der Gedanke, welche jener Zahlenlehre zu Grunde liegt, dass in dem
Wirklichen Einheit und Vielheit verknüpft sein müssen.71
Wem diese knappe Deutung von Platons Zahlenlehre angesichts der
Materialfülle im „Zeller“ entgangen ist, wie auch mir selbst beim frü-
heren Studium dieses Werkes, der muss sich nicht wundern. Dieser
Aspekt stellt hier nicht etwa die Spitze eines Eisbergs dar, sondern ist nur
noch ein kleiner Überrest des früheren Eisberges aus den Studien. Zwar
hat sich Zellers Deutung dieser Lehre als solche nicht geändert, er
verfeinert sie eher noch. Jedoch billigt er der Beziehung zwischen Ideen
und Zahlen nur noch eine untergeordnete Rolle zu. Seine spätere
Zurückhaltung in diesem Punkt beruht also nicht allein auf dem Um-
fang der für die Behandlung dieser Problematik eigentlich erforderli-
chen Diskussion, sondern auf seiner veränderten Einschätzung ihres
Stellenwertes für das Verständnis Platons.
Die Platonische Studien nehmen also wesentliche Elemente von
Zellers späterer Platondeutung vorweg, gehen mit der Konzentration
auf den Parmenides und der Behandlung der platonischen Philosophie
bei Aristoteles sogar darüber hinaus. Auf eine kritische Würdigung der
einzelnen Punkte aus heutiger Sicht ist hier zu verzichten. Eines ist
jedoch hervorzuheben: Diese frühe Arbeit zeugt von gründlichen
Kenntnissen aller relevanten Texte, einer bewundernswert klaren und
scharfen Urteilkraft und von ungeheurer Belesenheit. Zeller ist nicht
nur für seine jungen Jahre sehr selbstgewiss, sondern er hat alles gelesen,
alles bedacht und sich ein eigenes Urteil über alles gebildet, was mit den
angesprochenen Fragestellungen zusammenhängt. Damit erklärt sich
auch, wieso Zeller sich schon mit dreißig Jahren an das große Unter-
fangen einer umfassenden Darstellung der Philosophie der Griechen wagen
konnte – an ein Unterfangen, aus dem schließlich das Jahrhundertwerk
„des Zeller“ hervorging.
VI. Epilog
Nun noch ein Nachwort zu Hegel: Ihm dürfte sich Zellers Gewohnheit
verdanken, ,to hen’ statt mit „das Eine“ mit „das Eins“ wiederzugeben.
Bei Hegel ist diese Ausdrucksweise allerdings dort gerechtfertigt, wo er
„das Eins“ als Gegenbegriff zu „das Nichts“ verwendet und daher ge-
wissermaßen mit Gänsefüßchen versieht.72 Dass Zeller mit Schleier-
macher diese Redeweise nie aufgegeben hat, erklärt wohl, wieso sie sich
bis heute in der Platonliteratur erhalten hat. Es sollte aber auf der Hand
liegen, dass dieser Ausdruck nicht nur dem Deutschen Gewalt antut,
sondern darüber hinaus eine philosophische Unsitte darstellt, da so der
Unterschied zwischen der Eins, dem Einen und der Einheit verwischt
wird. Dass sich Zeller daran nicht gestoßen hat, ist um so verwunder-
licher, als er selbst wiederholt die Vermischung der Eins als der ma-
thematischen Zahl, mit deren idealem Prinzip, dem Einen, und mit der
Einheit eines jeden Dinges als Quelle von Fehlinterpretationen an-
prangert.73 Es ist um so bemerkenswerter, dass Zeller sich diese
Sprechweise nie abgewöhnt hat, als Hegel selbst in der Diskussion des
platonischen Parmenides in seinen Vorlesungen zur Philosophiege-
schichte to hen mit „das Eine“ wiedergibt.74 Zeller zitiert diese Stelle
zustimmend,75 obwohl er Hegels Schlussfolgerung nicht teilt, dass die
Ideen die Einheit der entgegengesetzten Bestimmungen sind, sondern
meint, dass es Platon gerade auf die Widersprüche ankomme (166).76
Hegels Übersetzung hätte ihn jedoch auf das Unpassende des Ausdruck
„das Eins“ im Zusammenhang mit Platons Philosophie aufmerksam
machen können.
72 Hegel (1807) II: Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung: „Das
Eins ist das Moment der Negation, wie es selbst auf eine einfache Weise sich auf
sich bezieht, und Anderes ausschließt; und wodurch die Dingheit als Ding be-
stimmt ist. An der Eigenschaft ist die Negation als Bestimmtheit, die unmittelbar
eins ist mit der Unmittelbarkeit des Seins, welche durch diese Einheit mit der
Negation, Allgemeinheit ist; als ,Eins‘ aber ist sie, wie sie von dieser Einheit mit
dem Gegenteil befreit, und an und für sich selbst ist.“
73 Zeller (1839), 222 – 223.
74 Hegel (1837): „Dass das Eine, es sey oder es sey nicht, es selbst sowohl als die
anderen Ideen (Seyn, Erscheinen, Werden, Ruhe, Bewegung, Entstehen,
Vergehen u.s.f.) sowohl für sich selbst als in Beziehung auf einander, – Alles
durchaus sowohl ist als nicht ist, erscheint und nicht erscheint.“
75 Zeller (1839), 165.
76 Zeller (1839), 166.
90 Dorothea Frede
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Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics
Stephen Menn
Zeller was not a great scholar of the Metaphysics in the mold of Brandis
or Bonitz. He did not edit or write a commentary on the text; he never
tried to think his way through all its details in sequence, and he did not
grapple deeply with the problem of its overall unity; it is understandable
that Jaeger in his Studien zur Entstehungsgeschichte der aristotelischen Meta-
physik of 1912 decided to pick up the investigation where Bonitz had
left it in 1849. But Zeller thought hard, if not exactly about the Meta-
physics as a text, at any rate about Aristotle’s metaphysics, about the con-
ceptual problems that Aristotle was dealing with in the Metaphysics, and
in particular about the problems that, as Zeller thought, Aristotle had
not adequately solved and none of his interpreters had solved for
him; it is to Zeller’s credit to have rejected too-easy solutions, and
some of the problems that troubled Zeller continue to trouble interpret-
ers now. But the context in which these issues arose for Zeller was very
different from the context in which they have arisen for scholars of the
twentieth and twenty-first centuries, and understanding Zeller on the
Metaphysics requires reconstructing his scholarly and philosophical con-
text, to see what people in the nineteenth century thought was contro-
versial about the Metaphysics, and why they thought it was important.
In the immediate controversial context of his time, Zeller’s main
personal contribution on the Metaphysics was his long controversy
with Brentano, fought largely in the footnotes to the third edition of
Die Philosophie der Griechen and in sundry supplemental publications.
Brentano wanted to defend a modernized Catholic reading of Aristotle
against what he saw as excesses of Protestant critique – that is, as exces-
sive attempts to separate the historical Aristotle from the interpretive tra-
dition. So Brentano maintained that Aristotle’s God is in some way a
creator – where the issue reduces to Brentano’s claim that God is a
cause of being to the other movers of the heavenly spheres, and to
the spheres themselves, since everyone agrees that God is (at least indi-
rectly) a cause of being to sublunar things. Brentano also maintained that
the agent intellect is part of the individual human soul, so that at least
part of the human soul is individually immortal. Zeller argued that
94 Stephen Menn
these theses are incompatible with Aristotle’s principles, and that if Ar-
istotle did say something like this, either he was speaking loosely; or he
said it only in youthful or popularizing exoteric works; or he was caught
in a contradiction and had no consistent doctrine. This dispute is now
rather lacking in excitement, mainly because Zeller was almost always
right and argued his case well; the dispute has also been well studied
in an article by Enrico Berti.1 So I will for the most part leave the Bren-
tano controversy aside, and will try to paint a broader picture of the dis-
putes about the Metaphysics, and to locate Zeller within them.
Zeller thought that the Metaphysics was crucially important in under-
standing Aristotle’s philosophy overall, but this can’t be taken for grant-
ed. If you look at the history of scholarship from the beginning, from
the Renaissance and the invention of printing down to about 1820,
you discover that most writers on the history of Greek philosophy (in-
cluding the most important pre-Kantian historian, Brucker) have a low
opinion of the Metaphysics and don’t give it a prominent place in their
treatments of Aristotle. We can distinguish two phases, from the begin-
ning to about 1780 and from about 1780 to 1820. Down to about 1780
writers are mainly concerned to assess various Renaissance criticisms of
Aristotle, focussed on the Metaphysics and to a lesser extent the Physics.
There are a number of such criticisms. Humanist writers such as Peter
Ramus in his Scholae Metaphysicae say that Aristotle is trying to construct
a substantive philosophy out of tautologies, by linguistic manipulations,
but that it remains empty: Ramus says the worst of it is that Aristotle
tries to construct a positive theology by this means, which winds up de-
priving God of most of his activity and all of his power; Ramus says that
if you want to learn about God, don’t read Aristotle, read the Bible. So
there are both logical-epistemological and religious criticisms of the
Metaphysics, both of which are taken up by the mechanical philosophers
of the seventeenth century like Descartes and Gassendi; and they build
on the logical-epistemological criticism by saying that Aristotle explains
through substantial forms, that is, by hypostatized abstractions, that is, by
these tautologies, what should be explained by the size, shape and mo-
tion of the parts of bodies. Writers on the Metaphysics down to the end
of the eighteenth century keep busy evaluating these accusations, agree-
ing with them or saying that they’re right only up to a point, or that
1 Berti (2001). I agree with Berti that Zeller went too far in denying that Aris-
totle’s god can be an efficient cause. Berti p.136, with the accompanying
notes, lists the writings on both sides of the Zeller-Brentano controversy.
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 95
they are fair only against scholastic Aristotelianism and not against the
real Aristotle, but they do not seem to have thought that the issues,
or the Metaphysics itself, were very interesting, in comparison with
other works of Aristotle.2 Interest in the Metaphysics increases with writ-
ers of the 1780’s and 90’s, influenced by Kant, in particular Buhle (the
editor of the Bipontine Greek-Latin edition of Aristotle, 1791 – 1800),
Tennemann, Tiedemann, and Fülleborn. But these writers too can be
astonishingly rude about the Metaphysics, mixing summaries with dismis-
sive criticism. They take the Metaphysics as a proto-version of the Wolf-
fian metaphysics that Kant criticized in the first Critique. Typically,
Buhle translates t¹ em in Aristotle as “das Ding” and t¹ cm Ø em as
“das Ding an sich”, and so he takes the beginning of C as announcing
a program for a science of things in themselves, precisely what Kant
is supposed to have shown is impossible.3 Connected with this, they
also take up Kant’s critique of Aristotle on the categories, which I
will say a bit more about below, and they make the justification of
the list of ten categories a central issue of Aristotelian metaphysics.
The first modern writer I know to treat the Metaphysics with proper
respect, and to make it the key to understanding Aristotle’s philosophy,
was Hegel in his Lectures on the History of Philosophy. Beginning in the
1820’s and especially in the 30’s and 40’s there is an explosion of edi-
tions, commentaries, and monographs on the Metaphysics, as well as de-
tailed and sympathetic accounts in larger histories of (ancient, or all) phi-
losophy: much of this was clearly influenced by Hegel, and even what
was not was influenced by other strands of post-Kantian idealism, which
win a more sympathetic reading for systematic anti-empiricist philoso-
phies (and encourage a more positive and systematic reading of Plato,
and a more anti-empiricist and Platonist reading of Aristotle). C. A.
Brandis produced the first critical text of the Metaphysics in 1823 (a fore-
runner of Bekker’s complete Aristotle of 1831, to which Brandis con-
tributed the scholia-volume in 1836), and then a series of important
monographs, above all the article “Über die Aristotelische Metaphysik”
in the proceedings of the Berlin Academy for 1834, which has contin-
ued to be fundamental; he also later writes a Handbuch der Geschichte der
griechisch-rçmischen Philosophie with an exemplary treatment of the Meta-
physics. 4 In the mid-1830’s Victor Cousin in Paris announces a prize-
essay competition on the Metaphysics, and the prize is split between
the monographs of Ravaisson and Michelet, published along with
Cousin’s official report.5 At the end of the 1840’s there are the editions
and commentaries on the Metaphysics by Schwegler and Bonitz, which
come out almost simultaneously; and, shortly before, again almost si-
multaneously, Schwegler’s Geschichte der Philosophie im Umriß and the
first edition of Zeller’s Philosophie der Griechen (Schwegler and Zeller
were friends and collaborators).6 Michelet was Hegel’s student and the
editor of his Lectures on the History of Philosophy, and Schwegler and Zel-
ler also started as Hegelians, students of the radical Hegelian New Testa-
ment theologian F. C. Baur (whose daughter Zeller married), although
Zeller moves away from Hegel, and covers up his dependence on Hegel
in later editions of the Philosophie der Griechen. (Ravaisson and Brandis
7 There is useful discussion of Ravaisson, and of much else about the nineteenth-
century reception of the Metaphysics (as well as of other treatises) in Thouard
(2004); on Ravaisson see especially Aubenque (2004) in that collection. Brandis
dedicated the Aristotle volume of his Handbuch to Schelling, and not long after
he wrote the obituary notice on Schelling for the Abhandlungen of the Berlin
Academy for 1855; he ends Brandis (1823b) (now reedited with an often
badly inaccurate English translation, Brandis 2005) with flattery of Schleier-
macher, although mainly on Plato (Schleiermacher hated Aristotle, while Bran-
dis professed his equal love for Plato and Aristotle, see below). Ritter edited
Schleiermacher’s posthumous Geschichte der Philosophie (Schleiermacher 1834),
which has an extremely hostile discussion of Aristotle, pp. 113 – 121, including
a paragraph on the Metaphysics pp. 116 – 117; Ritter himself wrote a twelve-
volume Geschichte der Philosophie starting in 1829, of which Ritter (1837) covers
Aristotle and Hellenistic philosophy. Ritter has much in common with our
other historians, but is responding largely to Schleiermacher, and so is much
more concerned than the others with accusations that Aristotle is unfair to
his predecessors and especially to Plato, that he unfairly selects individual asser-
tions for criticism without regard to their literary form or systematic connec-
tion, and indeed that he himself is hopelessly incompetent in both expression
and systematicity: Ritter partly defends Aristotle, but clearly has some sympathy
with Schleiermacher’s criticisms. Brandis in the preface to his edition of Aris-
totle’s and Theophrastus’ Metaphysics (Brandis 1823a – now quite rare, so I
will describe it in detail) speaks in strikingly personal terms of his equal love
for Plato and Aristotle, warning against what he sees as a recent enthusiasm
for Plato and disdain for Aristotle: he wants to show why a better knowledge
of Aristotle should encourage, rather than detract from, a love of Plato. He
maintains that Aristotle, like Plato, is anti-empiricist in epistemology, but
gives a more careful examination of particular concepts than Plato, proceeding
by a threefold “critical” method, examining the terminology and distinguishing
its different senses, examining the opinions of previous philosophers (thus
“tracking the footprints of the truth both in language and in history”), and rais-
ing aporiai and arguing on both sides. There are two methods in philosophy,
one proceeding from a first principle and trying to derive other things, the
other starting from the particular concepts and seeing what they entail: both
are legitimate, the former best learned from Plato and the latter from Aristotle,
but in our time the second is neglected in favor of the first, “indeque (est) ortus
ille in systemata irruendi fervor”. So the study of Aristotelian “critique” is an
antidote, and a good preparation for the study of modern philosophy, to be re-
commended especially to the young; which is why Brandis, since getting the
chair at Bonn, has been lecturing on Aristotle, and has found the Metaphysics,
which deals with concepts fundamental to all of philosophy, especially useful
98 Stephen Menn
at sharpening the intellect. Since his students couldn’t buy copies, he has set
about editing it, and tried to correct the recent editions out of the manuscripts
and the Greek commentators; but he has wound up admitting no readings that
could not be found in the manuscripts or the scholia or commentators. (Bran-
dis’ apparatus, unlike Bekker’s eight years later, merely notes when there is a
variant reading, not saying where it is found, but it is clear from his description
of the scholia that he draws especially on the Parisinus, E, and the Laurentianus,
Ab. Volume 2 attaches copious selections from what Brandis calls the “scholia”,
although many of these are his own extracts from the Greek commentators
rather than marginal notes from the manuscripts.) Note that although Brandis’
preface to Brandis and Hengstenberg (1824) promises a second volume which is
to contain Brandis’ Anmerkungen and Abhandlungen on the Metaphysics (and a
translation of Theophrastus’ Metaphysics), this never appeared; all we have is
Hengstenberg’s translation. (Hengstenberg later became notorious as a reaction-
ary opponent of biblical criticism.)
8 Hegel (1833 – 6), 315; cp. Hegel (1996), 66; on the Metaphysics, cp. Hegel
(1833 – 6), 318. I cite both Hegel (1833 – 6), Michelet’s first edition of Hegel’s
Lectures on the History of Philosophy, and Hegel (1996), the modern edition by
Pierre Garniron and Walter Jaeschke, which includes less material. Michelet’s
methods are questionable, but he had sources now lost, and he certainly does
not interfere with the text to the extent that he does in his second edition (Ber-
lin, 1840 – 44), which he updated notably with references to his own Examen
critique de l’ouvrage d’Aristote intitul¤ M¤taphysique (Michelet 1836), written
after Hegel’s death. This second edition is the basis for the English translation,
Hegel (1892 – 6), which should be used with caution.
9 Zeller (1879), 258. I will generally cite Zeller’s third edition, Zeller (1879), ex-
cept when I am specifically contrasting earlier with later editions. But note that
Tiedemann (1791), before Hegel, had started from the Metaphysics (but had not
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 99
had much more respect for it than Buhle or Tennemann, or Brucker before
them). Zeller in his first edition starts with a chapter “the formal presupposi-
tions of the Aristotelian system”, which after introductory sections on the “A-
ristotle and his relation to the Platonic philosophy” and “Aristotle on the con-
cept of philosophy” means logic, and then (after a transitional section on the
division of Aristotle’s system), turns to a chapter on metaphysics. (From the sec-
ond edition, Zeller (1862), this has been replaced by long scholarly chapters on
Aristotle’s life and on his writings, then a chapter on “Standpoint, method, and
parts of the Aristotelian philosophy” which roughly corresponds to these intro-
ductory and transitional sections of the first edition, then a full chapter on logic
and two on metaphysics.) Ritter begins with logic and metaphysics because he
thinks that for Aristotle first philosophy is first in the order of teaching and dif-
fers only in name from what Plato calls dialectic (Ritter (1837), 64 – 65 – its ob-
ject is the universal, the unhypothetical, the immaterial, the divine, the good);
he claims that first philosophy is identical with what Aristotle calls “logic”, and
that what Aristotle calls “dialectic” and “analytics” are more introductory dis-
ciplines (for all this see pp. 60 – 70). (Ritter (1837), p. 66 takes Metaphysics Z4
1029b13, “let us say some things about (the essence) kocij_r”, as implying
that logic deals with essences: there is a controversy about how far the “logical”
discussion is supposed to extend, but perhaps Ritter takes it to be all of Z.)
10 The relations between Zeller and Schwegler are not entirely clear: their treat-
ments of Aristotle have much in common. The first edition of this part of Zel-
ler was 1846, the first edition of Schwegler apparently in 1847, but Zeller’s ex-
pansions in later editions may be responding to Schwegler (who he does some-
times cite), or they may simply come out of the same Tübinger Hegelian back-
ground, including shared conversations. Schwegler and Zeller had known each
other since 1837, and either could have influenced the other, although Zeller
was older (Zeller born 1814, Schwegler 1819), and had already taken doctorates
in theology and philosophy and had a position preaching in the chapel of the
Tübinger Stift when Schwegler was a student there. Schwegler and Zeller
were cofounders of the Jahrbðcher der Gegenwart. Zeller wrote an (anonymous)
memoir of Schwegler (who died at age 37), prefaced to the posthumous third
volume of Schwegler’s Rçmische Geschichte (Schwegler, 1872).
100 Stephen Menn
did not finish revising these treatises for publication; Theophrastus was
supposed to publish them but didn’t, and so they wound up in Neleus’
cellar, and when Apellicon finally published them he published them
jumbled together. When E1 1026a29 – 32 says that first philosophy
also treats being qu being, Patrizi says this makes no sense unless we
say, with Plato but against Aristotle, that only divine immaterial things
are truly beings; and he concludes that this sentence must have been
added “by Apellicon or Tyrannion or the booksellers” to justify pub-
lishing the two treatises as one.11 The second challenge comes from Sa-
muel Petit in his Miscellanea of 1630. Petit isn’t worried about the on-
tology-and-theology problem: his problem is that the Metaphysics isn’t
listed in Diogenes Laertius’ catalogue of Aristotle’s works. (It is in the
parallel catalogue in the Anonymus Menagii – twice and with the
wrong number of books – but that was brought to light only some de-
cades later.) So Petit tries to find titles in Diogenes Laertius that might
be identified with single books or short book-sequences in the Metaphy-
sics, which Apellicon might have combined: most influentially, he iden-
tified the De Philosophia with KMN, or rather MNK (since M seems to
refer ahead, rather than back, to K, and since Cicero cites something
from De Philosophia Book III which at least vaguely resembles K). Sur-
prisingly, Petit has no objection in principle to combining these treatises
into one: he thinks there is a single correct order of all of Aristotle’s
metaphysical books, drawing no distinction between order of composi-
tion and logical or intended order. He just thinks Apellicon got the
order wrong, and he tries to reconstruct a different order from backward
and forward references, winding up (by very dubious methods) with
DIaCABEZHHMNKK.12 Building on Petit, Buhle in 1788 makes a
11 So Patrizi (1581), volume 1, 104 – 108 (and compare pp. 34 – 37 for the Neleus
story; p. 106 says that a belongs to physics, p. 23 that it probably isn’t by Aris-
totle). The discussion of E1 1026a29 – 32 is on p. 106. On pp. 107 – 108 it turns
out that even CDEZHHI are not entirely about the science of being, but contain
a number of interspersed chapters on logic (including about half of Z): so there
are three different sciences represented in the Metaphysics.
12 Petit (1630), Liber IV, pp.34 – 52. Guillaume DuVal in his complete edition of
Aristotle, DuVal (1619) (which Petit discusses, although without naming the
editor) had reordered the books AaBCDEFGHILMJK ; DuVal makes clear in
his introductory note to MNKK that he has no manuscript support and is put-
ting the books in the order he finds most reasonable. Although Bonitz in his
introduction to Bonitz (1848 – 9) cites various library catalogues as describing
manuscripts Ab, Bb, Eb and S (which Bonitz had not himself seen) as containing
the last four books in the order MNKK, in fact, as Pantelis Golitsis has con-
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 101
15 Tiedemann, however, says that Aristotle, in making his metaphysics not just
ontology (as it should have been according to Metaphysics C1) but also natural
theology, is misled by the ambiguity of the term “principle,” which covers
both principles of knowledge or demonstration, and principles or causes of
being, which would lead up to God (Tiedemann 1791, 220 – 21; some compa-
rable criticisms in Tennemann 1801, 70 – 71).
16 Titze (1826), 70 – 114 (the conclusion on the De Philosophia stated p.84). The
“adding”, like the replacement of K by BCE, is partly an expansion of an earlier
shorter text, expanding K1 – 5 into ZHH and A9 into MN; on Aristotle’s proc-
ess of revision and expansion, see pp.95 – 114. Buhle gives yet another variant
on the De Philosophia in Buhle 1804, which I have not yet seen; apparently for
Buhle the De Philosophia was the authentic core of the Metaphysics, a view still
maintained by Rose (1854).
17 Michelet (1836), 28 – 78, discusses the arguments about the De Philosophia, en-
dorsing Petit’s view that is (more or less) MNK. On pp. 227 – 241 he comes
back to reconstruct the stages of Aristotle’s revisions and expansions of the
Metaphysics, starting from its “first edition”, the De Philosophia = MNK ; the sec-
ond edition, still called De Philosophia, was AKK, with a as a preface to account
for the Anonymus Menagii’s four-book De Philosophia. Aristotle then produced
a third edition, incorporating a number of separate monobiblia and connecting
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 103
them with new material, AaBCDEZHHIKK ; this is what Apellicon and then
Andronicus published as it emerged from Neleus’ cellar. Then, sometime be-
tween Alexander and Syrianus, someone added at the end MN, the discarded
books of the De Philosophia (Michelet recommends putting them between K
and K instead). Michelet argues, pp. 222 – 227, that before Apellicon only the
smaller treatises, later incorporated into the Metaphysics, were in general circu-
lation, and that this is the state of affairs reflected in the Hellenistic catalogues;
nonetheless, Aristotle himself assembled the Metaphysics (almost) as we now
have it, Theophrastus and Eudemus had copies, and so it was transmitted to
Apellicon and Andronicus. Let me here note something else about Michelet:
in his paraphrase of E1 1026a13 – 16 (“La physique traite de la substance maté-
rielle et sensible qui existe pour soi, mais qui est soumise au principe du mouve-
ment et du changement. Les mathématiques s’occupent à la vérité des êtres im-
muables, mais qui ne sont pas pour soi ni indépendants de la matière. La phi-
losophie première a pour objet les substances immuables et indépendantes”,
p. 162), he apparently accepts Schwegler’s famous emendation of !w¾qista
into wyqist² in 1026a14 (“qui existe pour soi” in the first sentence must trans-
late wyqist²), without even flagging the emendation as controversial, more than
ten years before Schwegler proposed this emendation. At the moment I have no idea
how to explain this. (Brandis (1823a) prints the transmitted text here, as given
his conservative principles he must.)
18 In Brandis (1823b). But note that many of Brandis’ arguments turn on his iden-
tification (supported by some ancient testimony, but almost certainly mistaken)
of the De Philosophia with the On the Good; Brandis also accepts the mistaken
Aldine emendation of Cicero De Natura Deorum I,xiii,33 which would have
Aristotle “not dissenting” rather than “dissenting” from Plato in the De Philos-
ophia; and so Brandis proposes that the De Philosophia/On the Good was simply a
report, without criticism, of Plato’s oral teaching, in which case it would cer-
tainly be quite different from anything in the Metaphysics. For other nineteenth-
century scholars, the crucial point is rather that the De Philosophia is an “exo-
teric” work, distinct from the extant “acroamatic” works at least by its fuller
style; for some (following Alexander), Aristotle’s exoteric works are elabora-
tions of others’ views rather than of Aristotle’s own commitments. (Schleier-
macher doubts the authenticity of the “Plato-like” exoteric works on the
ground that Aristotle’s sense of Greek style is too appalling for him to have
been capable of such a thing, Schleiermacher 1834, 121). The issue whether
Aristotle was, or remained, fully committed to what he said in exoteric
works will be important for the Zeller-Brentano controversy. For the different
views about the exoteric works see Zeller (1879), 114 – 126.
104 Stephen Menn
this still leaves open both Petit’s proposal that later editors assembled the
Metaphysics out of smaller units, and Titze’s proposal that Aristotle him-
self had begun with a smaller treatise and rewrote it on a larger scale or
combined it with other materials: and indeed Jaeger’s view on which
the original Metaphysics, roughly contemporary with the De Philosophia,
was something like A, K, M9b-10, N, and then a positive part of which
K6 – 10 is an abrégé, remains strikingly close to Titze. Nineteenth-cen-
tury scholars almost all think that Aristotle intended to write a single
treatise on wisdom or first philosophy, whose program is laid out in
AB (or in an earlier version in AK), but they ask how many of the trans-
mitted books of the Metaphysics were intended to be parts of that trea-
tise, and, picking up a question of Petit and before him of DuVal, they
ask what order Aristotle intended – where their answers are supposed to
be advice to the next editor, which books to include and in what
order.19 On these questions Brandis’ ber die Aristotelische Metaphysik
(Brandis 1834) was extremely influential. Brandis argued that K1-K8a
was authentic, an earlier sketch of BCE; both K and B refer back to
A; and then the aporiai of B, and the discussion of the four senses of
being begun in E, can be used as guides to continue the main thread
of the books of the Metaphysics. Beyond ABCE, this includes for Brandis
ZHHK ; a and D do not belong to metaphysics, although they contain
some remarks which may be useful for metaphysics; I and MN belong
loosely to the project, but Aristotle never finished working them up and
connecting them with the main series, and certainly they do not belong
in their present places. Bonitz accepts Brandis’ methodology and also his
conclusions, with the important exception that he thinks K does not
take up aporiai from B or the investigation of EZHH, considering K
as an independent monobiblion covering the whole of metaphysics
rather than as a part of the larger treatise.20 Zeller explicitly defers to
19 Advice to the next editor: so explicitly Brandis (1834), 86 – 87, and Michelet
(1836), 237.
20 The conclusion of Brandis (1834), thus modified by Bonitz (1848 – 49), re-
mained the standard view until Jaeger (1912) modified it by arguing that the
closer connections of ABCE were with IMN rather than with ZHH. At this
time Jaeger thought that ZHH were not written as part of the Metaphysics
but were integrated into it by early Peripatetic editors, whereas in Jaeger
(1923) he thought that although they were not originally written as part of
the Metaphysics they were later integrated into it by Aristotle himself (and
that the current version of E arises from this process of fusion). Jaeger thus
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 105
Brandis and Bonitz on these issues,21 following Bonitz rather than Bran-
dis on K.22 But Zeller’s section on the Metaphysics pays little attention to
reconstructing Aristotle’s plan for the treatise, instead giving a continu-
ous synopsis of Aristotle’s doctrine by paraphrasing the relevant texts on
what Zeller takes to be the key issues, in the order that Zeller finds con-
venient; the philosophical concerns of his time, and the heritage of late
eighteenth- and early nineteenth-century interpreters of Aristotle, have
a heavy influence on what those issues and that order are.
winds up with an intended Metaphysics containing all the books except aDJK,
the same as Bonitz, and this is also the conclusion of Ross.
It is worth noting an oddity of Brandis on C : like many scholars, he sees C as
answering the first four aporiai of B (often called the “methodological” apor-
iai), and being led from the second aporia into a positive account of what Ar-
istotle calls the “principles of demonstration” by contrast with the “principles of
substance”, or what Brandis calls “formal” vs. “real” principles. But he also
claims, bizarrely to us, that C as we have it is incomplete, because it does not
treat, notably, the principle of sufficient reason (Brandis 1834, 76 – 77). What
lies behind this is Wolff’s treatment of Leibniz’ two great principles of non-
contradiction and sufficient reason in his Ontologia: scholars who read Aristotle
as a proto-Wolff find it natural that Aristotle should treat the principle of non-
contradiction in his ontology (they are of course taking the word “ontology”
from Wolff in the first place), but then they find the principle of sufficient rea-
son missing. In Brandis this judgment appears as an odd survival of Wolffian
expectations into the nineteenth century, and indeed Brandis partly retracts it
in his discussion of the completeness or incompleteness of C in Brandis
(1853), 551 – 555, concluding that while something is missing here, it is missing
from Aristotle’s system rather than from his exposition of that system in C.
21 Zeller (1879), 80 – 83 n 2.
22 Although Zeller thinks (in the note cited) that Aristotle intended to incorporate
D in the Metaphysics (but never got around to it); he denies the authenticity of a
(Brandis thought it was authentic, Bonitz doubted it); and he conjectures (like
Michelet) that Aristotle’s final intention was to exclude MN from the Metaphy-
sics. Zeller also has a separate article “Über die Benützung der aristotelischen
Metaphysik in den Schriften der älteren Peripatetiker” (Zeller 1877), in
which he tries to draw inferences for the text-history of the Metaphysics, con-
cluding that except for a, the second half of K, and perhaps D, all of the Meta-
physics had been assembled, out of the main torso that Aristotle had composed
and out of the rest of his metaphysical Nachlass, long before the supposed re-
covery of his writings from Neleus’cellar (pp. 165 – 7). Zeller’s adherence to
Bonitz’ view that K is a separate monobiblion depends crucially on his assump-
tion that the De Motu Animalium (which refers apparently to K as 1m to?r peq·
t/r pq¾tgr vikosov¸ar 700b7 – 9) is Peripatetic rather than Aristotelian, an as-
sumption which no longer has defenders.
106 Stephen Menn
24 Lack of a Leitfaden for the discovery of the most universal and necessary con-
cepts or categories, e. g. Tennemann (1801), 214 and 225 – 227 (and compare
Tennemann’s contemptuous paragraph on the Metaphysics in the shorter Ten-
nemann 1816, 107); the word “Leitfaden” comes from Kant, Kritik der reinen
Vernunft, A 66 ff/ B 91 ff (Kant’s critique of Aristotle is at A 81/B 107). Tren-
delenburg’s Geschichte der Kategorienlehre (Trendelenburg 1846; in two essays, of
which the first, pp. 1 – 195, is on Aristotle), finds a Leitfaden for the list of cat-
egories in the distinction of the parts of speech, arising from analyzing a judg-
ment into its simple constituents, but he admits difficulties in deriving Aristo-
tle’s precise list, and in showing why this method should lead to a division of
beings and not merely of our concepts. Brentano’s Von der mannigfachen Bedeu-
tung des Seienden nach Aristoteles (Brentano 1862), despite the dedication to his
“most honored teacher” Trendelenburg, rejects this merely grammatical deriva-
tion and tries to give a more properly ontological derivation from the possible
relations of an attribute to a primary substance, culminating in a “deduction” by
exhaustive division at least of the eight-category scheme without 5weim and je?-
shai, with some hope of fitting these in too (see his summary pp. 174 – 178).
25 Zeller (1879), 263 – 267.
26 Zeller (1879), 292.
27 Zeller (1879), 161.
28 Zeller (1879), 293.
29 Writers of this time often interpret Aristotle’s critique of Platonic ideas in a way
that assimilates it to Kant’s critique of dogmatic metaphysics: if the ideas are in-
dividuals, then they could be known only through intellectual intuition. But
“intellectual intuition” is just a projection onto the intelligible realm of our sen-
sory means of cognition, and claims of intellectual intuition may also involve a
108 Stephen Menn
nachdem nicht blos HEGEL den speculativen Gehalt und die Gedankentiefe
des ihm am Nächsten verwandten unter den griechischen Denkern nach Ver-
dienst gewürdigt, sondern auch die gelehrte Forschung den Aristotelischen
Schriften und ihrem Inhalt grössere Aufmerksamkeit zuzuwenden angefangen
hat, und so werden auch wir die Vertheidigung des Aristoteles unserer weiteren
Entwicklung selbst überlassen und ungesäumt zur Darstellung seines Systems
schreiten dürfen” (Zeller 1846, 363). This brings out, not only Zeller’s indebt-
edness to Hegel, and his acceptance of a close kinship between Aristotle and
Hegel, but also that until very recently an account of Aristotle had had to be
in the first place a defense of Aristotle against a list of old accusations. In the
second edition, Aristotle’s relationship to Plato and the character of his philo-
sophical method are discussed in the section “Standpoint, method, and parts of
the Aristotelian philosophy” (Zeller 1862, 108 – 130); the criticism of Schleier-
macher now turns up on p. 118 n 1, and that of Braniss on p. 121 n 1, but the
attitude is not defensive but triumphal (and contemptuous toward Schleier-
macher and Braniss), and of course there is no mention of Hegel.
35 Hegel (1996), 59 – 60; cp. Hegel (1833 – 36), 299.
36 Hegel (1833 – 36), 318.
37 Hegel (1833 – 36), 315 – 16.
38 Hegel (1833 – 36), 318.
110 Stephen Menn
39 As Hegel puts it, Hegel (1833 – 36), 330: God as the concept or principium co-
gnoscendi is also the mover or principium essendi. Hegel expresses disappointment
with Aristotle for thinking of God (in whom concept and individual, actuality
and potentiality, knower and known, etc., are perfectly united) as one individ-
ual among others, separate from the material world, but he is clear that this is
indeed what Aristotle thinks. Hegel always rejects thinking of “spirit” as a
count-noun, so that there would be many individual finite spirits and one in-
finite spirit (as e. g. Wolff expresses it): he speaks instead of spirit manifesting
itself in finite and infinite forms.
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 111
40 Schwegler (1863), 77. There are similar complaints in Ritter (1837), 131 – 211,
esp. 197 – 211. Ritter seems particularly indignant that Aristotle posits matter as
an in principle limit on the intelligibility of the world, rather than as a function
of our presently limited understanding which it is our task to overcome. Matter
as a limit on intelligibility, and a source of arbitrary necessity, is also a limit on
the causal power and explanatory adequacy of God; Ritter commends the idea
that the duality of matter and form or of d¼malir and 1m´qceia should be held
together by the moving cause and ultimately by God, and he commends Aris-
totle’s attempt (unlike Plato) to grasp God conceptually, but, like Schwegler, he
finds Aristotle’s account of God and his relation to the world sadly inadequate.
Ritter identifies God with the poigtij¹r moOr (Vernunft), but is less interested
than Schwegler in the Hegelian metaphysics of God as the concept-as-activity.
41 Zeller (1879), 309.
112 Stephen Menn
work, and the individual will wind up unknowable. Aristotle thinks he can re-
solve this if knowledge of the individual is an application or actualization of
universal knowledge. The knowledge of a universal type might consist in an
ability to recognize individuals as falling under that type, when appropriately
triggered by sensation: there is no need for anything like a syllogistic deduction
of the knowledge of the individual from the knowledge of the universal. This
seems an adequate answer to Zeller’s complaints at Zeller (1879), 310.
47 Zeller (1879), 345.
48 Zeller (1879), 346 – 347.
49 Zeller (1879), 309 – 310.
50 Brandis takes a rather similar view, for which see below.
51 Hertling’s personal story, at one time famous, seems no longer to be widely
known. He was a younger relative of Brentano, who studied under Brentano
and under Brentano’s teacher Trendelenburg (he speaks of Brentano in exalted
tones). Being a cousin of Brentano’s, he was of course Catholic (unlike Bren-
tano he remained loyal to Rome after 1870, and endured personal and profes-
sional difficulties during the Kulturkampf), and he became a professor not of
philosophy but of Catholic theology, at Bonn and then at München. He was
active both in Bavarian and in Reich-level politics for the Catholic Zentrums-
114 Stephen Menn
form is only potential and so not most truly form, Hertling says that
“eWdor” has two entirely different meanings, the “concrete” meaning
“form” and the “abstract” or “conceptual” meaning “species”: the
form of the individual horse Bucephalus is whatever is present in Buce-
phalus that causes Bucephalus to have the species-predicate horse and
the other essential predicates that this entails. It does not make sense
for a universal predicate, a concept, to be in a concrete individual, or
to be a cause: the eWdor in the sense of “form” is thus an individual,
and there is no reason why it cannot be a substance. Hertling admits
that Aristotle does not explicitly distinguish these two senses of
“eWdor”, leaving us to infer from context which of the two he means.
But he thinks some passages decisively imply such a distinction, above
all Metaphysics K5 1071a18 – 29, ending “[the principles and causes] of
things in the same eWdor are different, not in eWdor, but in that [the prin-
ciples and causes of different] individuals are different, your matter and
eWdor and mover and mine, but the same in universal kºcor.” Here it
seems we must translate eWdor in two different ways, “species” and
“form”, and say that there are many numerically distinct forms which
are the same in species.52 Zeller, engaged in a long polemic with Bren-
tano, may well have regarded Hertling as an extension of his teacher and
older relative Brentano (although I am not sure how many of Hertling’s
distinctive views Brentano actually shared). Surely one reason Hertling
has for insisting on individual forms is that different animals of the same
species don’t share the same soul; and if souls are individual forms, it
seems possible that in some cases they can be individually immortal
(the souls of irrational animals presumably are not, but “form” is a causal
role which could be filled by things of different ontological types, some
whose existence depends on matter and some which are independent).
partei; in 1912 he was named prime minister of Bavaria, and in 1917 he was
brought in, as a neutral and largely powerless non-Prussian outsider, as the
next-to-last chancellor of the Kaiserreich. Hertling resisted the introduction
of ministerial responsibility to parliament at Reich level, on the ground that
it would weaken Bavarian autonomy and thus the position of the Church,
and so had no power-base to resist the generals who were pushing, against
the wishes of much of the Reichstag, for final victory rather than a negotiated
settlement. When the Kaiser finally agreed to the principle of responsible gov-
ernment, Hertling resigned; everything collapsed a month later, and Hertling
responded, as many of those deeply committed to the old order seem to
have done, by dying almost immediately.
52 Hertling (1871), 48 – 58.
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 115
rivative being the greater reality rests on the side of the individual, the
greater knowability on the side of the universal”55, there remains a con-
tradiction within the domain of sensible things, if reality and knowabil-
ity must “keep pace”.56 We might however say that, although in sensi-
ble things only the eternal universal form is an object of scientific
knowledge in itself, the temporal matter-form composite becomes an
object of science when it is considered as part of a network of efficient
causes; God as first cause, being eternal and necessarily unique in his
species, is intelligible in himself, and gives intelligibility to all the
other individuals insofar as he directly or indirectly produces and actu-
alizes them. This again sounds like a “deduction”: the applicability of
the concept of substance requires both form and matter, but the intelli-
gibility of the form-matter composite requires the actualization of the
matter through motion, and the intelligibility of this motion requires
a moving cause, and ultimately an immaterial moving cause. And Zeller
agrees that thinking through the concepts of substance, individual and
universal, matter and form, does logically lead to the concepts of mo-
tion, the moving cause, and specifically God as first moving cause;
and this deduction of God leads Aristotle to “the first scientific justifi-
cation/foundation for theism”.57 But the determination of God, like the
determination of substance, requires reconciling conflicting demands, in
this case God’s personhood and his essential difference from finite be-
ings, and, once again, Zeller is not convinced that Aristotle’s solution
is adequate. Part of the objection is that Aristotle does not succeed in
preserving God’s personhood; this might seem like a purely religious
objection (like Tiedemann’s worries about whether Aristotle falls into
Spinozist pantheism),58 but Zeller’s fundamental point is that Aristotle
does not give sufficient concrete content to the concept of God, in par-
ticular, not sufficient to explain how God can be a cause of the world
and thus how the world can be “the work of reason”.59 Brentano of
course had laid great stress on texts where Aristotle seems to say that
God is the single first principle of the world, from which everything
else must be derived, and Zeller agrees that Aristotle is committed to
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Zellers Sicht des Urchristentums
Hermut Lçhr
Aus heutiger Sicht hat Eduard Zeller für mein Fach, das „Neue Tes-
tament“, oder sagen wir es ein wenig interdisziplinärer: für die Erfor-
schung der Anfänge des Christentums und seiner Literatur, keine der
Philosophiegeschichte vergleichbare Bedeutung. Zeller kommt in den
Arbeiten der „Zunft“, wenn überhaupt, nur in Fußnoten vor. Sein
Name steht in der Geschichte des Faches nicht für eine entscheidende
Weichenstellung oder einen Neuanfang, nicht für eine bahnbrechende
Neuentdeckung von Quellen oder eine methodische Innovation.
Weder gehört er zu der eindrucksvollen Reihe von Gestalten, welche
die Leben-Jesu-Forschung des 18. und 19. Jahrhunderts geprägt haben,1
noch hat er auf dem anderen großen Gebiet, der Suche nach einer
Lösung des synoptischen Problems, tiefe Spuren hinterlassen.
Seine Sicht der Entstehung der drei synoptischen Evangelien (Mt,
Mk, Lk), die er bis zum Lebensende beibehalten hat, sah – mit der Alten
Kirche – das erste als das älteste, darauf Lukas, und als letztes Mk, von
den beiden anderen abhängig.2 Von der schon um 1835 – aus heutiger
Sicht überzeugend – nachgewiesenen „Markus-Priorität“ hielt er
nichts;3 und die postulierte, heute allerdings vermehrt wieder in Frage
gestellte Quelle Q (bzw. „Logienquelle“4), hat er, bei dieser Sicht der
Dinge konsequent, nicht angenommen. Etwa in dem magistralen
Lehrbuch der neutestamentlichen Wissenschaft des 19. Jahrhunderts, in
Heinrich Julius Holtzmanns zweibändigem Lehrbuch der Neutestamentli-
1 Ihre Würdigung und Kanonisierung bis in die Gegenwart wurde geleistet von
Schweitzer (1984), 108.
2 Vgl. etwa Zeller (1865c), 385.
3 Noch in seinem Brief an Hermann Usener vom 15. 12. 1888; in: Ehlers (1992),
II 407, polemisiert Zeller gegen die „Markuslöwen“, ohne allerdings die
Möglichkeit zu einer vertieften Auseinandersetzung zu sehen.
4 Zur Geschichte der Bezeichnungen vgl. die Hinweise bei Neirynck (1982),
683 – 689.
124 Hermut Löhr
Leben lang nicht vergessen;10 dieser Weg hat ihn zwar in seiner Par-
teinahme für bestimmte und gegen andere theologische und kirchliche
Positionen und Parteiungen bestärkt, er hat bei ihm aber – und das
scheint mir wichtig zu notieren – nicht zu einem völligen Bruch mit
Kirche und Theologie geführt.
Denn zweitens ist – schon angesichts der Publikationen Zellers –
festzustellen, dass ihn das Thema Urchristentum nie gänzlich losgelassen
hat; bis ins hohe Alter hinein hat er kleinere und größere Beiträge zur
fachwissenschaftlichen Diskussion beigesteuert.11 Durchgängig sah er
dabei seine Aufgabe darin, sich in kritischem historischen Zugriff
Texten und Problem zuzuwenden, die von der Theologie klassischer-
weise traktiert wurden und werden. Dabei war die Pointe der Aus-
führungen Zellers offensichtlich nicht, etwa wieder die unsinnige Un-
terscheidung von theologischen und historischen, philologischen und
philosophischen Themen oder Quellen zu affirmieren, indem er als
genuin theologisch Erachtetes aus philosophischer Sicht erarbeitete.
Vielmehr sind der methodische Zugriff, das Interesse und der Anspruch,
so macht es den Eindruck, in den letzten Arbeiten Zellers keine anderen
als in den ersten. Eine Tatsache, die natürlich auch viel über Zellers
Wahrnehmung seiner theologischen Aufgabe verrät.
Die Wahrnehmung solcher Kontinuität im wissenschaftlichen Werk
Zellers über wissenschaftsbiographische Brüche hinweg12 hilft nun
drittens auch, sein philosophiehistorisches Hauptwerk in Kontinuität zu
dem theologischen Denken Zellers, und nicht im Widerspruch zu ihm,
zu verstehen. Wie Zeller wiederholt dargelegt hat, und wie insbeson-
dere Wilhelm Dilthey in seiner Skizze der frühen Jahre Zellers her-
ausgestellt hat,13 gründet das Projekt der Geschichte der griechischen
Philosophie in dem Bestreben, die geistigen Voraussetzungen des
Christentums in der griechischen Philosophie darzustellen und so einen
Beitrag nun nicht zu einer spezifisch kirchlich-verkündigenden Theo-
logie, wohl aber zu einem historischen Verstehen des Christentums als
10 Vgl. die Briefe an Hermann Diels vom 24. 10. 1899 (Ehlers Bd. 2, 251) und
vom 3. 1. 1908 (überhaupt der letzte Brief an Diels; Ehlers Bd. 2, 394).
11 Die letzte Publikation zu einem Thema, das man dem Bereich „Neues Tes-
tament“ zuordnen könnte, stammt aus dem Jahre 1899: Zeller (1899) = Zeller
(1911a).
12 Man beachte, wie Zeller im Vorwort („Marburg, den 19. November 1851“)
zum dritten Teil seiner Philosophiegeschichte den biographischen Bruch zu
überspielen versteht; vgl. Zeller (1852), Bd. 3 – 5.
13 Vgl. Dilthey (1959), 449 f.
126 Hermut Löhr
Glauben ohne Werke zwar nach Zellers Ansicht gegen das paulinische
Christentum gerichtet, aber doch so, dass gar nicht mehr die „Werke
des Gesetzes“ im Blickpunkt stehen, sondern die „Werke“ allgemein.21
Damit ist der historische und theologische Kompromiss schon ange-
deutet: „[…] wie so der praktische Vereinigungspunkt für die Kirche in
der Sittenlehre ihres Stifters gefunden wurde, so lag ihr dogmatischer
Einheitspunkt in der Verehrung seiner Person.“22
Einen wesentlichen Einschnitt in die Entwicklung stellt das Auf-
kommen der Gnosis innerhalb des Christentums dar; die Kirche gelangt
durch die Abgrenzung und Aussonderung der Häresie zur Klärung der
eigenen Position und Organisation. Den Höhepunkt dieser theologi-
schen Entwicklung sieht Zeller innerhalb des neutestamentlichen
Schrifttums im Johannes-Evangelium erreicht, das er mit Baur und
Strauß in die Zeit um 160 bis 170 n. Chr. datiert23 (und das damit für ein
getreues Bild des historischen Jesus in den Augen der Tübinger Schule
völlig ausfällt). Im Joh bilden sich wesentliche Auseinandersetzungen
der Kirchengeschichte des 2. Jahrhundert ab: neben der Gnosis der
Montanismus und der Passa-Streit. In ihm kommt die frühe Lehrbil-
dung – in Bezug auf die Christologie durch die Integration der Logos-
Lehre, in der Ethik durch die Zuspitzung auf das Liebesgebot –, zum
Abschluss: „Die Geschichte des Urchristenthums ist zu Ende, die des
Katholicismus beginnt.“24
Die verwendete Kategorie des „Urchristenthums“ darf nicht zu dem
Fehlschluss verleiten, man habe an ein einheitliches historisches Phä-
nomen zu denken:
Es giebt ja nicht blos einerlei Lehre im neuen Testament, sondern ver-
schiedene Lehrweisen, die sich mehr oder weniger ausschließen, nicht blos
Ein Urchristenthum, sondern eine ganze Reihe altchristlicher Entwick-
lungsformen.25
Die Einsicht aber in die geschichtliche Vielfalt und Entwicklung des
Christentums und seiner Dogmen seit den Anfängen hilft zum Ver-
ständnis des Wesens des Christentums: „Das Christenthum ist ein ge-
schichtliches Princip, dessen Wesen daher auch nur aus dem Ganzen
seiner geschichtlichen Erscheinung erkannt werden kann“.26
Solche Einsicht gäbe dann aber nicht zuletzt auch der zeitgenössi-
schen Theologie die Freiheit, sich von traditionellen Glaubensvorstel-
lungen (wie der Erwartung der Wiederkunft Christi oder der leiblichen
Auferstehung) zu lösen. An die Stelle der religionspsychologischen
Dekonstruktion des Dogmas tritt die historische.27
30 Vgl. Zeller (1854a), 297 – 315: „Die Lehre und der öffentliche Charakter des
Paulus nach der Darstellung der Apostelgeschichte“.
Zellers Sicht des Urchristentums 131
weis zu führen versucht, dass die Darstellung speziell auf die römische
Gemeinde zielt, Paulus als den Gründer derselben herauszustellen sucht
und überhaupt seinen Übergang zum Heidenapostolat erst mit der rö-
mischen Gemeindegründung als vollzogen wissen will, entsteht ein
Bild, dass die Versöhnung zwischen Juden- und Heidenchristentum als
Anliegen römischen Christentums des 2. Jahrhunderts zu verstehen gibt,
eines Christentums also, welches die abendländische Tradition geprägt
hat. Die Tendenzkritik kann so die Einsichten in die geschichtliche
Entwicklung insgesamt bestätigen.
36 Noch die Darstellung der Gütergemeinschaft der ersten Christen nach Apg
2,42 – 47 soll auf neupythagoräische Vorbilder zurückweisen; vgl. Zeller
(1854a), 503 f.; vgl. ferner ders. (1856), 401 – 433; ders. (1899) = ders. (1911a).
Aufnahme und Ablehnung der Thesen Zellers finden sich prominent ausge-
arbeitet bei Bousset (1903), 434 – 436 mit Anm.
37 Vgl. z. B. Hengel (1996), 258 – 294.
134 Hermut Löhr
V. Fazit
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136 Hermut Löhr
1 Eine der seltenen Ausnahmen stellt Zellers Äußerung dar, Proklos habe ein
Weltbild entworfen, „welches mit seiner himmlischen Hierarchie ein würdiges
Gegenstück zu der Beamtenhierarchie des byzantinischen Staatswesens bildet“
(851). Weder der lockere Vergleich noch der Anflug von Ironie sind für Zeller
typisch.
2 Irritierend wirkt allerdings, dass Zeller die christlichen Kirchenväter zur Gänze
auslässt, obwohl deren enge Verbindungen mit dem Neuplatonismus auch für
ihn evident waren; auf diese Weise gibt es bei ihm keine philosophiehistori-
schen Rekonstruktionen zu Clemens von Alexandrien, Origenes, Marius
Victorinus oder Augustinus. Zwar behandelt Zeller Boethius; aber dieser ist
zumindest in der Consolatio nicht als Christ identifizierbar. Zellers Erfahrungen
mit der rigiden Kirchenpolitik seiner Zeit motivierten ihn offenbar, christliche
Autoren auszusparen.
138 Christoph Horn
Zeller warnt sowohl vor einer Abwertung als auch vor einer Über-
schätzung des Neuplatonismus, wenn er schreibt:
Mochte auch die herkömmliche Geringschätzung der neuplatonischen
Philosophie und ihrer geschichtlichen Bedeutung, das oberflächliche Ge-
rede über den „alexandrinischen Eklektizismus“, die sichtbare Ungunst,
mit der auch noch Ritter die Neuplatoniker behandelt, das entgegenge-
setzte Extrem einer einseitigen Bewunderung gewissermaßen herausfor-
dern, so wird doch damit nicht allein der Werth der neuplatonischen
Wissenschaft überschätzt, sondern auch ihre geschichtliche Eigenthüm-
lichkeit verkannt.3
Der Neuplatonismus hat gerade unter deutschen Philosophiehistorikern
des 18., 19., und 20. Jahrhunderts äußerst unterschiedliche Interpreta-
tionen und Bewertungen erfahren. In der Linie der Philosophiege-
schichten von Jakob Brucker, Dietrich Tiedemann und Wilhelm
Gottlieb Tennemann gab es ganze Historikergenerationen, für die der
Neuplatonismus mit dem Odium des Nachklassischen, Epigonalen,
Orientalischen, des religiösen Enthusiasmus und des sterilen Kom-
mentierens behaftet war. Typische Vorwürfe, die im 19. Jahrhundert
gegen den Neuplatonismus vorgebracht wurden, lauteten, es handle sich
um eine „Schwärmerei“ (d. h. um eine dem religiösen Gefühl ent-
stammende, pseudo-rationale und nicht-argumentative Philosophie),
sodann der Vorwurf, Neuplatonismus sei ein kulturfremdes, nicht
griechisches, sondern orientalisches Phänomen, und schließlich, der
Neuplatonismus stelle einen fragwürdigen Pantheismus dar. Zellers
Anspielung auf den „alexandrinischen Eklektizismus“ richtet sich spe-
ziell gegen Brucker, und unter den Zeitgenossen waren es Zeller zu-
folge Heinrich Ritter und Carl v. Prantl, die dem Neuplatonismus eine
wenig reflektierte Verachtung entgegenbrachten.
Was die Kontroverse um den philosophischen Wert des Neupla-
tonismus im 19. Jh. zusätzlich anheizte, war der Streit um die ange-
messene Lesart Platons. Die Zurückweisung einer neuplatonischen
4 Zur Deutung des Platonismus in der Philosophie des Deutschen Idealismus vgl.
bes. Beierwaltes (2004) und Mojsisch und Summerell (2003).
140 Christoph Horn
Archiv fðr Geschichte der Philosophie eröffnet hat, bekennt er sich zu stark
positivistischen wissenschaftlichen Grundsätzen und weist die Bedeu-
tung Hegels für die Philosophiegeschichte nunmehr deutlich in die
Schranken:
Es ist Hegel’s bleibendes Verdienst, dass er nachdrücklicher, als irgend ein
anderer vor ihm, auf den gesetzmässigen Zusammenhang der geschichtli-
chen Erscheinungen hingewiesen und namentlich auch die Geschichte der
Philosophie aus diesem Gesichtspunkt behandelt hat; so verfehlt und ir-
reführend es auch war, wenn jener Zusammenhang als ein rein logischer
aufgefasst und der Grundsatz ausgesprochen wurde, die Aufeinanderfolge
der philosophischen Systeme sei die gleiche, wie die der logischen Kate-
gorieen, und sie lasse sich ebenso, wie diese, durch dialektische Con-
struction finden. Unsere heutige Geschichtsschreibung hat sich, auch so-
weit sie die Philosophie zu ihrem Gegenstand hat, von diesem Missver-
ständnis befreit. Sie weiss, dass nicht blos geschichtliche Erscheinungen sich
nicht construiren lassen, sondern dass auch der Zusammenhang derselben
nur ihnen selbst entnommen werden kann; dass wir daher das richtige Bild
einer geschichtlichen Entwicklung, auf welchem Gebiet es auch sei, nur
durch Untersuchung des thatsächlichen Causalzusammenhangs, nicht
durch ein teleologisches Postulat gewinnen können […].10
Es gibt Kausalität in der Philosophiegeschichte, und diese kann – so
gesteht Zeller dem Hegelschen Vorgehen zu – gesetzmäßig ausfallen.
Nur handelt es sich bei dieser gesetzesförmigen Abfolge nicht um eine
logisch-dialektisch konstruierbare Sequenz. Entsprechend lassen sich
keine teleologischen Schlüsse aus dieser Abfolge ziehen. In einer sach-
angemessenen Philosophiehistorie sind alle Methoden auszuschließen,
die fremde Perspektiven an das historische Material herantragen. Die
Deutungsprinzipien müssen vielmehr in einem Akt historischer Sensi-
tivität den zu behandelnden Positionen selbst entnommen sein.
Soweit Zellers später Anti-Hegelianismus, der nüchterne positivis-
tische Kausalanalysen an die Stelle einer spekulativen Geschichtskon-
struktion setzt. Auch in Bezug auf den Neuplatonismus widerspricht
Zeller der Einschätzung Hegels – wenn auch ohne direkte Namens-
nennung – ziemlich explizit, wenn er in seinem Hauptwerk schreibt:
Es ist also nicht ein neues, die unvollkommenen Principien der früheren
zur Totalität verknüpfendes System, das unsere Philosophen anstreben,
sondern nur eine Wiederherstellung des reinen Platonismus; sie wollen
Platoniker sein und heissen, sie sind überzeugt, dass im Platonismus alle
Wahrheit enthalten sei, welche die hellenische Philosophie, in ihren
edelsten Vertretern wesentlich übereinstimmend, entdeckt habe, und wo
Dass Plotin auch mit andern orientalischen Lehren bekannt war, ist mög-
lich, ob sie aber auf sein System erheblich eingewirkt haben, möchte ich
bezweifeln. Die Meinung, dass es einen wesentlich orientalischen Cha-
rakter trage, scheint jedenfalls unrichtig. Diese Meinung gründet sich weit
weniger auf geschichtliche Spuren eines Einflusses, welchen die Stifter der
neuplatonischen Lehre von Seiten orientalischer Spekulation erfahren
hätten, als auf die innere Aehnlichkeit der beiderseitigen Lehren. Allein
diese Aehnlichkeit scheint um vieles geringer, wenn wir beide in ihrer
vollen Bestimmtheit fassen, statt uns mit allgemeinen Vergleichspunkten
und unsichern Vorstellungen über orientalische Philosophie zu begnügen.
Man findet jene Verwandtschaft hauptsächlich in der Emanationslehre.
Aber strenggenommen ist der Neuplatonismus, wie wir finden werden, gar
kein Emanationssystem, da er nur eine dynamische Mittheilung der
Gottheit an’s Endliche behauptet, die substantielle dagegen grundsätzlich
ausschliesst.14
Die Möglichkeit eines orientalischen Einflusses auf Plotin erschien im
19. Jh. besonders mit Blick auf Porphyrios‘ Information glaubwürdig,
Plotin habe als junger Mann den Plan gefasst, Kaiser Gordian. III auf
seinem Feldzug nach Osten zu begleiten, um die „bei den Persern und
Indern gebräuchliche und angesehene Philosophie kennen zu lernen“.15
Aber der Feldzug schlug fehl, und Porphyrios weiß abgesehen von
Plotins Absicht nichts von einem tatsächlichen Kontakt mit persischer
oder indischer Philosophie zu berichten. Insbesondere aber enthalten
die plotinischen Traktate nichts, was sich nicht aus der griechischen
philosophischen Tradition erklären ließe: aus platonischen, aristoteli-
schen, stoischen, skeptischen und weiteren Quellen. Zeller bemerkt
korrekt:
Wir finden so auf allen Punkten des neuplatonischen Systems die Spuren
seiner griechischen Abkunft; aber wie viel es auch von anderen entlehnt
hat, es hat das fremde in eigenthümlicher Weise verschmolzen und um-
gestaltet: es entnimmt allen seinen Vorgängern sein Material, aber sein
Princip und dessen systematische Ausführung gehört doch nur ihm selbst
an.16
Es handelt sich beim Begründer des Neuplatonismus um einen Philo-
sophen, der genuin griechische Motive der Tradition aufgreift, aber sie
17 In einer relevanten Hinsicht sieht Zeller Plotin aber doch als orientalisch be-
einflusst an: beim Thema der „mystischen Ekstase“. Zeller schreibt: „Dagegen
steht es mit der ganzen Richtung des klassischen Denkens im Widerspruch, und
es ist eine entschiedene Annäherung an die orientalische Geistesweise, wenn
Plotin nach dem Vorgang eines Philo das letzte Ziel der Philosophie nur in
einer solchen Anschauung des Göttlichen zu finden weiss, bei welcher alle
Bestimmtheit des Denkens und alle Klarheit des Selbstbewusstseins in mysti-
scher Ekstase verschwindet“ (Bd. 3 Teil 2, 666 f.).
18 Zeller (2006), Bd. 3. Teil 2, 560.
148 Christoph Horn
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Zum Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften
bei Eduard Zeller
Gerald Hartung
Eduard Zeller hat sich nicht nur als Theologe, Geschichtsschreiber der
Theologie und Philosophiehistoriker profiliert. Er hat erkannt, dass der
Einbruch der Geschichtlichkeit in die Ordnung des Wissens in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine ganze Reihe dramatischer
Wirkungen haben wird. Und er hat den Prozess der Ablösung von
Theologie und Philosophie als Leitdisziplinen miterlebt und ihn, wie im
Fall der Theologie, gleichsam befördert. Dabei hat er gesehen, dass der
auf zwei Linien verlaufende Bruch im Wissenschaftsdiskurs, der neben
einer Individualisierung des Denkens auch eine Fragmentierung der
Denkinhalte impliziert, für die wissenschaftliche Philosophie verhee-
rende Konsequenzen haben kann.1 Die Ablösung der Philosophie als
erster Wissenschaft könnte in letzter Instanz ihren Ausschluss aus dem
Gefüge der Wissenschaften bedeuten. Die Fallhöhe erschien ihm als
Vertreter einer ehemaligen Königsdisziplin enorm, die Beschleunigung
der Ablösungsbewegung gleichsam rasant. Auf diese Herausforderung
musste eine Antwort gefunden werden – das hat Zeller unmissver-
ständlich zum Ausdruck gebracht. Seinen Zeitgenossen ist er daher als
Streiter für eine Ordnung des Wissens, als Kämpfer für eine tragende
Funktion der Philosophie, auch in ihrer nachidealistischen Epoche, und
als Reorganisator der wissenschaftlichen Philosophie unter der Bedin-
gung sich ausdifferenzierender Einzelwissenschaften bekannt gewesen.2
Zeller hat immer wieder betont, dass es darauf ankommen wird, die
Konstellation von Philosophie und Wissenschaften genau in den Blick
zu nehmen, um die veränderten Bedingungen zu begreifen und dem
menhangs produzieren, aber nie das ganze Bild, nicht einmal als Hy-
pothese, in den Blick bekommen. Deshalb folgert Zeller „kann die
Philosophie (zugunsten der anderen Wissenschaften) auf die Forderung
einer systematischen Verknüpfung alles Wissens nicht verzichten.“21
diese Weise die prekäre Lage der Philosophie als Wissenschaft hervor-
gerufen haben, stehen wir nach Zellers Auffassung am Übergang einer
Stufe der Konfrontation. Von Seiten der Philosophie wird die Einsicht
in die Notwendigkeit der Kooperation verlangt, denn nur so wird „das
Bestreben hervorgerufen, die philosophischen Sätze und Methoden,
unter Benutzung alles dessen, was die Erfahrungswissenschaft darbot, so
umzubilden, daß jener Widerspruch verstummen müsse.“25
Durchaus hegelianisch in der Beschreibung, aber ohne dessen
Willen zur letzten Synthesebildung, stellt sich für Zeller die neuere
Wissenschaftsgeschichte als ein Auseinanderfallen von Philosophie und
Naturwissenschaften (Thesis, Antithesis) und ein neuerliches Aufein-
anderzugehen (Synthesis) dar. Diesem Befund liegt die wissenschafts-
theoretische Hypothese zugrunde, dass Philosophie und Wissenschaften
eine gemeinsame Erfahrungsgrundlage haben. Die „Eigenthümlichkeit“
der Philosophie rührt nicht daher, dass sie einen eigenen Gegen-
standsbereich, sondern daher, dass sie eine eigene Verfahrensweise hat.
Sie generiert nicht ihren eigenen Gegenstandsbereich, sondern sucht die
allgemeinen Grundlagen und den Zusammenhang unseres Wissens, das
von den Erfahrungswissenschaften vorgeprägt wird.26 Allein auf diese
Weise garantiert sie die methodische Eigenständigkeit der Wissen-
schaften, um sie zugleich im Hinblick auf ein hypothetisches Ganzes zu
relativieren.
Zwar ist die Philosophie nicht mehr unabhängig von den For-
schungsergebnissen in den Wissenschaften, wie ja schon die semantische
Verschiebung im Begriff der Logik bei Trendelenburg angezeigt hat,
dennoch bleibt ihre vornehmste Aufgabe die Verknüpfung des frag-
mentierten Wissens zu einem Gesamtzusammenhang:
Die allgemeinen Bedingungen des Erkennens, der Ursprung und die
Wahrheit unserer Vorstellungen müssen untersucht, die Methoden und die
Begriffe, deren die verschiedensten Disciplinen sich gemeinschaftlich be-
dienen, müssen wissenschaftlich begründet werden; zwischen den beson-
deren Fächern muss ein systematischer Zusammenhang hergestellt, ihre
Voraussetzungen geprüft, ihre Ergebnisse zu einem umfassenderen Ganzen
verknüpft werden.27
Die Philosophie verbindet a posteriori die Elemente des Wissens und
konstruiert nicht a priori. Sie liefert damit eine Methodenreflexion und
28 Zeller (1873), 914. Vgl. Helmholtz (1903), über das Verhältnis von Wissen-
schaft und Philosophie und „die Fortschritte der Naturwissenschaft“.
29 Vgl. Schiemann (1997).
30 Zeller (1877a), 465.
Zum Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften bei Eduard Zeller 163
In seiner Abhandlung Ueber die Grðnde unseres Glaubens an die Realitt der
Aussenwelt (1884) hat er diese Argumentation pointiert dargestellt und
seinen erkenntnistheoretischen Kritizismus zu einem kritischen Rea-
lismus erweitert. Sein Argument gegen die Beweisführung der trans-
zendentalen Ästhetik Kants ist anthropologisch motiviert und entspricht
ähnlich lautenden Formulierungen in Peirce’ Pragmatismus: „Nichts
liegt dem Menschen von Hause aus ferner als der Zweifel an der
Wirklichkeit der Dinge“.38 Zeller geht es ebenfalls nicht darum, den
Erscheinungscharakter der Dinge der Außenwelt für uns zu bezweifeln,
denn alles, was wir wahrnehmen, nehmen wir unter den strukturellen
Bedingungen unseres Wahrnehmungsapparates wahr. Aber etwas „für-
wahr-nehmen“ impliziert auch die Wirklichkeit der Dinge außer uns.
So weit so gut auch für einen Kantianer. Aber: nehmen wir die Dinge
der Außenwelt auch in einer „den Thatsachen entsprechenden Weise“
wahr? 39 Gibt es eine Entsprechung von Außenwelt und Bewusstseins-
inhalt? Diese Fragen zu bejahen, das ist die Position des kritischen
Realismus in der Erkenntnistheorie.
Zeller entscheidet sich für den erkenntnistheoretischen Realismus.
Er selbst spricht von einem „gesunden Realismus“.40 Dieser Denkansatz
wird von ihm nicht weiter ausgeführt, aber es deutet sich eine mögliche
Richtung der Weiterentwicklung an, wenn Zeller den Raum nicht
bloß wie bei Kant als eine Form unserer äußeren Anschauung, sondern
als „die Form unseres äußeren Daseins, ein Verhältniss, in welches das
vorstellende Wesen durch seine Verbindung mit andern, zunächst also
durch seine Verbindung mit seinem Leibe, von Hause aus hineingestellt
ist“, begreift.41 Hier zeichnet sich der Umriss einer Theorie vom
Handlungsraum, wie er im amerikanischen Pragmatismus formuliert
Suche nach den Grundlagen der Erfahrung, dann bleibt sie im Wis-
senschaftsdiskurs ein zentrales Thema, denn „es gibt vielmehr keine
Wissenschaft und keinen wissenschaftlichen Standpunkt, denen es ge-
lungen wäre oder gelingen könnte, sich aller metaphysischen Annah-
men wirklich zu enthalten.“45
Gegen einen naiven Empirismus behauptet Zeller eine Einsicht, die
weder neu noch umwerfend ist, die aber immer wieder gegen den
Anspruch einer „absoluten Physik“ gewendet werden muss: es gibt
keine reine Beschreibung der Erscheinungswelt. Jede Beschreibung
impliziert eine Deutung, jede Beschreibung geht von Vorannahmen
aus, die sie in der Beschreibung ihres Gegenstandes nicht einlösen kann.
Dies bezieht sich auf die Vorannahmen der Ganzheit einer Erscheinung,
des kausalen Zusammenhangs, der Entwicklungsrichtung in der orga-
nischen Welt usw. „Metaphysisch“ ist hier schon jedes Bestreben, die
singulären Ereignisse natürlichen Geschehens in einen Gesamtzusam-
menhang zu bringen. In diesem Sinne gibt es keinen starren Gegensatz
zwischen den Erfahrungswissenschaften und der Metaphysik.
Die Metaphysik unterscheidet sich somit von den gewöhnlich so ge-
nannten Erfahrungswissenschaften nicht dadurch, dass sie es mit Gegen-
ständen zu thun hat, die unabhängig von der Erfahrung erkannt werden
können oder deren Kenntnis ihrerseits für die des empirisch Gegebenen
entbehrlich ist, sondern lediglich dadurch, dass sie in der Zergliederung und
Erklärung des Gegebenen einen Schritt weiter geht als jene, dass Begriffe
und Sätze, die sie einfach voraussetzen, von ihr auf ihre Herkunft und
Geltung geprüft werden, für die Ursachen, aus denen sie die Erschei-
nungen erklären, wieder eine Erklärung gesucht wird. Wollen wir daher
diejenigen Wissenschaften Erfahrungswissenschaften nennen, deren Aus-
gangspunkt die Thatsachen der Erfahrung sind und deren Ziel die Erklä-
rung dieser Thatsachen ist, so gehört auch die Metaphysik zu den Erfah-
rungswissenschaften.46
Die Trennung zwischen der Philosophie und den Wissenschaften wird
dadurch aufgehoben, dass ersterer kein gesonderter Gegenstandsbereich
zugewiesen wird. Auch die Philosophie hat es mit Gegenständen zu tun,
die ihr von der Erfahrung gegeben werden; sie folgt daher den beob-
achtenden und analytischen Wissenschaften und geht „in der Zerglie-
derung und Erklärung des Gegebenen lediglich einen Schritt weiter“,
indem sie nach den leitenden Forschungshypothesen fragt und die
Kategorien im einzelwissenschaftlichen Gebrauch auf ihren allgemeinen
Zeller betont, dass für die Ansicht des Aristoteles die Erfahrung der
Menschen und ihr gesunder Menschenverstand sprechen. Die Leistung
dieser Hypothese ist kaum zu überschätzen, sie erfüllt alle Kriterien
einer „Komplexitätsreduktion“ im Sinne Luhmanns. Wir brauchen
keine Vermutungen mehr über einen Anfang der Welt oder ein Ende
der Welt in der Zeit anzustellen.48 „Der Glaube an die Unveränder-
lichkeit und die unbedingte Geltung der Naturgesetze, der Grundsatz
einer durchaus natürlichen Erklärung der Dinge kommt in der Lehre
von der Anfangs- und Endlosigkeit des Weltganzen zu seinem stärksten
Ausdruck.“ So leistet die Lehre von Ewigkeit der Welt für Aristoteles
„die erheblichsten Dienste“.49
Zeller skizziert die Wirkungsgeschichte der Aristotelischen Hypo-
these. Ihr geschichtlicher Erfolg war durchschlagend, trotz der zeit-
weiligen Herrschaft des christlichen Dogmas. Im Mittelalter ist die
Hypothese ständig präsent, kehrt in der Renaissance ins Licht zurück,
wird durch Spinoza in der Weltanschauung der Neuzeit verankert und
dann mit Schleiermacher sogar für die christliche Dogmatik hoffähig.50
Am Ende dieser Herkunftsgeschichte zieht Zeller das Fazit, dass dieje-
nigen über die Jahrhunderte hinweg, welche die entgegen gesetzte
These von der Entstehung des Weltganzen vertreten, „die unerlässli-
chen Bedingungen jeder wissenschaftlichen Welterklärung […] verlet-
zen.“51 Der Widerspruch liegt da, wo man eine Ursache behauptet, die
nicht immer wirkt, und wo man eine Wirksamkeit als anfangs- und
zeitlos setzt, aber ihr Erzeugnis als in der Zeit entstehend und vergehend
setzt.
Dieser Widerspruch wird vor allem im Widerstreit einer mechani-
schen und teleologischen Welterklärung offensichtlich. Zeller entschärft
gleichsam durch die Übernahme der Aristotelischen Hypothese den
Streit zwischen einer mechanischen und teleologischen Naturerklärung,
die in neueren Forschungen zur Geologie, Paläontologie, Biologie und
deren theologischer Gegnerschaft ausgetragen wird. Bringt man näm-
lich mit Aristoteles die Hypothese von der Ewigkeit der Welt ins Spiel,
so wandelt sich die Problematik und es geht nur noch um die Frage, wie
wir uns die letzten Ursachen der Erscheinungen zu denken haben, um
das Ganze dieser Erscheinungen seinen unveränderlichen Grundzügen
nach erklären zu können.
Gesucht werden also „immanente“ Ursachen, die ihren Wirkungen
gleichzeitig sind.52 Zellers konsequente Anwendung der „Aristoteli-
schen Immanenzlehre“ (Ernst Hoffmann) führt dazu, dass er sowohl die
mechanische als auch die teleologische Welterklrung entkräftet und sie
auf den Status zweier Beschreibungsmuster zurückfährt, denn „wird das
Ganze als das Produkt seiner sämmtlichen Bestandtheile betrachtet, so
ergibt sich die causale, werden die Theile als die Bedingungen des
Ganzen betrachtet, so ergibt sich die teleologische Weltansicht.“53 Beide
sind dadurch gewissermaßen gerechtfertigt, aber sie lassen sich als Er-
klärungen eben nicht auf das Weltganze anwenden.
Die Frage ist nun, warum wir es mit diesen Mustern der Natur-
beschreibung zu tun haben, die wir fälschlich als Erklärungsmodelle
gebrauchen. Zeller gibt eine gleichsam kulturanthropologische Ant-
wort, insofern er auf eine Erbschaft der Anfänge menschlicher Kul-
turgeschichte rekurriert, in denen sich schon die Frage nach dem
„Warum?“ aufdrängte und der Mensch Kausalbegriffe bildete, die ihm
als Leitfaden der Weltorientierung dienten. Dabei hat ihn anfänglich
„durchweg die Analogie seines eigenen Wollens und Thuns“ den Weg
gewiesen.54 Aristoteles’ Hypothese von der Anfangslosigkeit der Welt
leistet einen unüberschätzbaren Beitrag für die wissenschaftliche Auf-
klärung, weil sie diese Analogie außer Kraft setzt. Sie entzaubert eine
vermeintliche Selbstverständlichkeit, die in der Gestalt eines wissen-
schaftlichen Anthropomorphismus daher kommt – und setzt an deren
Stelle eine Arbeitshypothese, die es erlaubt, die letzten Ursachen der
Erscheinungen und das Ganze dieser Erscheinungen nach gesetzmäßi-
gen Wirkungszusammenhängen zu erforschen.
Mit diesen Erörterungen zur Aristotelischen Wissenschaftsauffassung
und ihrer Wirkungsgeschichte geht bei Zeller die Polemik gegen
theologische Lehrmeinungen einher, die den Widerspruch von An-
fangslosigkeit und Entwicklung der Welt in den Gottesbegriff verlegen
und sich – wie es bei Schelling geschieht – zur Absurdität eines sich
vermittels der Weltschöpfung entwickelnden Gottes und – wie bei
VI. Zusammenfassung
tismus (190160) eine Formel geprägt und den Kampf der „Erkenntnis-
theorie“ gegen den naturwissenschaftlichen Dogmatismus ausgerufen.
Der Anlass für Adickes’ Streitschrift war der große Erfolg der Hae-
ckelschen Weltrtsel, einer kleinen Broschüre, die mit der Lösung der
großen Menschheitsfragen aufwartet.61 Adickes führt diesen Erfolg auf
mehrere Momente zurück. 1. eine Überschätzung der Naturwissen-
schaften, 2. eine unbewusste philosophische Tendenz zur Selbstver-
kleinerung, 3. einen übertriebenen Radikalismus gegenüber den Be-
dürfnissen des menschlichen Gemüts und 4. eine anti-christliche Zeit-
strömung. Zusammengerechnet entsteht hier ein weltanschauliches
Vakuum, in das Haeckel mit seinem anmaßenden Anspruch eindringt.
Adickes resümiert seine kritische Analyse der Situation mit einer po-
lemischen Zuspitzung: „Es klingt freilich sonderbar: Haeckel, die
philosophische Null, als Stiller philosophischer Bedürfnisse.“
Der kleine Exkurs zu Adickes und Haeckel lässt erahnen, was in der
Diskussion auf dem Spiel steht. Zeller hat gesehen, dass die Philosophie
in das Fahrwasser weltanschaulicher Streitigkeiten gerät, wenn sie ihre
methodische Klarheit verliert und ihren Anspruch, eine Wissenschaft
unter Wissenschaften zu sein, aufgibt. Die Abgrenzung von Philosophie
und bloßer Weltanschauungslehre – und der damit einhergehende
Status ihrer jeweiligen Hypothesenbildung – gelingen nur auf dem Weg
erkenntnistheoretischer Klärung. Weil diese Einsicht für Zeller unum-
stößlich ist, weicht er auch kein Jota von seinen Grundsätzen ab, dass die
Erkenntnistheorie die methodische Brücke zwischen der Philosophie
und den Wissenschaften bildet (1), dass Philosophie und Wissenschaften
gleichermaßen von inneren und äußeren Erfahrungstatsachen anheben
(2) und dass die Metaphysik andere Erfahrungswissenschaften in der
Erklärung des Tatsachenwerts ihrer Erfahrungsdaten ergänzt (3).
In wissenschaftstheoretischer Hinsicht ist Zeller der Vertreter einer
Generation von Gelehrten, die vor allem im Kontext der angelsächsi-
schen (Pragmatismus, Logik und Analytik) und, was weniger bekannt
ist, der deutschen Philosophie an ihrer Rehabilitierung als Wissenschaft
arbeiten. Eine Geschichte der Philosophie in ihrer nach-idealistischen
Phase, die in einem spannungsreichen Verhältnis zu den Naturwissen-
schaften, späterhin zu den Sozial- und Kulturwissenschaften steht, und
sich als „Metaphysik als Erfahrungswissenschaft“ versteht, ist bisher
noch nicht geschrieben worden. In dieser Geschichte wird Eduard
60 Adickes (1901).
61 Haeckel (1909).
174 Gerald Hartung
Zeller eine Gestalt des Übergangs sein – ein großer Vermittler der
Wissenstraditionen und ein unermüdlicher Verteidiger der Philosophie
als Wissenschaft.
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Aristoteles und Hegel
Anton Friedrich Koch
sublunaren Substanzen gelten, die das Thema des Z bilden und die nur
existieren können, indem sie sich in Materie vervielfältigen und durch
diese multiple Selbstklonierung in den erwähnten Artprozess eintreten,
in dem sie, die individuellen Formen, selbst von endlicher Dauer und
nur die Arten ewig sind. – Soweit in allergröbsten Zügen das Grund-
gerüst der Aristotelischen Metaphysik.
Die Negativität aber war bekanntlich schon für Parmenides die Quelle
der Pluralität und Prozessualität, also des Kosmos. Freilich blieb sie bei
Parmenides streng vom Sein getrennt und konnte nur im Modus des
Scheins bestehen. Hegel hingegen sieht Sein und Negativität im reinen
Sein innig amalgamiert. Die Inkonsistenz gehört insofern zum Wesen
des Satzes und zum Wesen der Welt, zum Denken und zum Sein. Aber
Denken und Sein sind vom Widerspruch nicht statisch geprägt, sondern
vielmehr getrieben; denn Hegel hält am Nichtwiderspruchsprinzip fest.
Angesichts der Faktizität des Widerspruchs besitzt es allerdings den
Status eines bloß regulativen Prinzips, einer Norm, die das inkonsistente
Denken und Sein des Anfangs in einen Prozess der Selbstkorrektur
zwingt, der die Evolution des logischen Raumes hin zur Wider-
spruchsfreiheit bildet, die in der Wissenschaft der Logik nachgezeichnet
und dadurch vollendet wird.
Auch hier übrigens trägt Zeller Kritik vor: Wenn Hegel den Wi-
derspruch als „die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit“ und die
Bewegung als den „daseiende(n) Widerspruch“ auffasse, so verwechsle
er „den Widerspruch mit dem Gegensatz“.4 Doch die Antinomie des
Lügners belehrt uns, dass die Negation-ihrer-selbst, dass somit der reine
Widerspruch zum Wesen des Denkens gehört und dass der Satz vom zu
vermeidenden Widerspruch nicht selbstverständlich, sondern eine he-
roische Absichtserklärung der Vernunft ist. Man kann Hegel allenfalls
vorwerfen, dass er die Macht der Vernunft, nicht dass er die Macht des
Widerspruchs überschätzt.
Den verschiedenen Entwicklungsstufen des logischen Raumes, um
zu dessen Evolution zurückzukehren, entsprechen verschiedene kate-
goriale Konzeptionen des Realen, die im Lauf der Philosophiege-
schichte in konkurrierenden metaphysischen Theorien ausgearbeitet
worden sind. Aber nicht wir Philosophen sind die Urheber einseitiger,
inkonsistenter Theoriebildung, sondern das Reale selber ergeht sich in
schlechter Metaphysik und spielt sie uns zu, wenn wir philosophieren.
In einer bestimmten Phase seiner logischen Evolution besteht das Reale
zum Beispiel aus Dingen mit Eigenschaften, näher fürs erste aus baren
Partikularien, an die sich allgemeine Eigenschaften heften, dann aber,
nach dem Scheitern der Partikularien, aus Bündeln von Universalien.
Konkurrierende metaphysische Theorien können also durchaus zu-
treffen und werden dann jeweils wahr gemacht durch eine kategoriale
Auftrittsform des Realen. Aber jede metaphysische Theorie ist in einem
tieferen Sinn unwahr, weil die Auftrittsform, die ihren Gegenstand und
Wahrmacher bildet, nicht haltbar ist, sondern sich alsbald zugunsten
eines logischen Nachfolgers auflöst, der eine konkurrierende Meta-
physik wahr macht, so lange, bis alle möglichen kategorialen oder
metaphysischen Formen aufgebraucht sind und die Evolution des lo-
gischen Raumes einen Haltepunkt erreicht hat, an dem die Spannung
zwischen Sein und Negativität nicht mehr inkonsistent, sondern voll-
kommen harmonisch sein soll. Der Haltepunkt – Hegel nennt ihn die
absolute Idee bzw. den absoluten Geist – soll indes keine weitere, nur
eben triumphale kategoriale Form bzw. metaphysische Theorie mehr
sein, sondern das dynamische Ensemble aller kategorialen Formen. Im
logischen Haltepunkt sind demnach alle Denk- und Seinsformen zu
flüssigen Momenten einer prozessualen Totalität herabgesetzt, die Hegel
mit dem organischen Prozess einer Pflanze vergleicht: Deren Formen –
Knospe, Blüte, Frucht usw. –
unterscheiden sich nicht nur, sondern verdrängen sich auch als unver-
träglich miteinander. Aber ihre flüssige Natur macht sie zugleich zu Mo-
menten der organischen Einheit, worin sie sich nicht nur nicht wider-
streiten, sondern eins so notwendig als das andere ist, und diese gleiche
Notwendigkeit macht erst das Leben des Ganzen aus.5
Hegel will also den Schatz der kategorialen Formen des Realen nicht
um eine weitere vermehren, sondern das Spiel der konkurrierenden
metaphysischen Theorien als das Wesen des Satzes und der Welt (bzw.
des Denkens und des Seins) darstellen und anerkennen.
unter anderem auf Aristoteles zurück, der „die Natur als das zweck-
mäßige Tun“ bestimme.7 Die Form nämlich fungiert bei Aristoteles
zugleich als immanentes Telos, Zielursache, und die Zielursache mit-
unter, so im Fall des ersten Bewegers, als Wirkursache; denn, selbst
unbewegt, kann der Gott anderes nur bewegen hüs eroumenon, wie ein
Geliebtes, auf welches hin anderes sich in Bewegung setzt.
Im Hegelschen Kontext ist der Zweck kein äußeres Ziel, auf das hin
sich etwas Anderes bewegt, sondern das immanente Ziel der Evolution
des logischen und des physikalischen Raumes. Und Hegels Pointe ist es,
dass das erreichte und verwirklichte Ziel keine besondere letzte Ent-
wicklungsstufe ist, die über alle Vorgänger triumphiert und demgemäß
in einer metaphysica triumphans darzustellen wäre, sondern das Ziel ist
die Einsicht, dass alle Entwicklungsstufen unverzichtbar sind und alle
Metaphysiken ihr Wahrheitsmoment haben. Die ganze Entwicklung,
die zuvor an sich verlief, wird am Ende fðr sich und repräsentiert sich in
sich selbst.
Das aber spricht dafür, die Rede vom absoluten Geist deflationär zu
interpretieren. Er ist offenbar keine besondere, letzte, umfassende En-
tität. Er ist überhaupt keine Entität, kein Gegenstand irgendeiner re-
visionären Metaphysik. Er ist eine façon de parler, die zum Ausdruck
bringt, dass wir Menschen und unser Philosophieren kein Zufall sind,
sondern dass schon der Urknall nur stattfinden konnte und nur sein
konnte, was er war, weil eines Tages unsereins existieren und in He-
gelscher Manier philosophieren würde. Man kann diese Lehre auch so
formulieren: In jeder möglichen Welt gibt es endliche Subjekte, die
früher oder später zu philosophieren beginnen. Kühn ist diese These
zwar auch, aber nicht widerspruchsvoll, jedenfalls nicht in der von
Zeller gerügten Weise.
Diesem bliebe somit das Verdienst, durch die Diagnose eines Wi-
derspruchs in der Lehre vom absoluten Geist diese diskreditiert zu
haben, aber, anders als er glaubte, diskreditiert als Instrument der Hegel-
Interpretation. Zwar wird, dass Hegel diese Lehre vertreten habe, durch
viele seiner erläuternden und zusammenfassenden Redensarten nahe-
gelegt und ist die Standardinterpretation. Aber eine ontologisch ver-
pflichtende Rede vom absoluten Geist würde schlecht zur doktrinalen
und argumentativen Substanz von Hegels Lehre passen und ihn vor
allem, wie Zeller sah, in einen Widerspruch verwickeln. Der Gefahr
dieses Widerspruchs war Hegel sich aber wohlbewusst und auch dessen,
sie gebannt zu haben. Verabschieden wir uns also von der Vorstellung,
dass Hegel revisionäre Metaphysik betreibe und dass er insbesondere
eine Metaphysik des absoluten Geistes lehre. Damit ziehen wir die
angemessene Konsequenz aus Zellers Kritik.
Platon und Aristoteles haben mit ihren nah verwandten und zugleich
weit divergierenden Reaktionen auf Elea die Philosophie auf den Weg
oder vielmehr auf zwei Hauptwege gebracht, zwischen denen es stets
Querverbindungen und periodische Annäherungen gab, die aber erst
Hegel endgültig in der goldenen Mitte wieder zusammenführen wollte.
Insofern kommt in ihm weniger die kurze Entwicklung des deutschen
Idealismus als die lange Entwicklung der Metaphysik zum Abschluss.
Tatsächlich hat die metaphysische Theoriebildung seither kaum
grundsätzlich Neues erbracht, ausgenommen den Versuch Russells und
vor allem Wittgensteins, im Anschluss an Frege die apriorische Semantik
in den Rang der Ersten Philosophie zu erheben. Aber die gegenwärtige
analytische Metaphysik bewegt sich mit ihren begrifflich präzise ge-
fassten Universalien- und Wahrmachertheorien doch wieder in ver-
trauten metaphysischen Fahrwassern, und im Übrigen dominiert der
philosophische Naturalismus: die pragmatisch inkonsistente Metaphysik
der Metaphysiklosigkeit. Nichts Neues also unter der Sonne, möchte
man sagen, abgesehen von wissenschaftlich fragwürdigen (aber vielleicht
zukunftsträchtigen) Bestrebungen, hinter die Metaphysik zurückzuge-
hen und einen anderen Anfang des Denkens vorzubereiten.
Über die konstitutive Bifurkation der Metaphysik, über Aristoteles’
Verhältnis zu Platon, schreibt Zeller:
[Bei Aristoteles] wird zwar die allgemeine Grundlage des platonischen
Idealismus festgehalten, aber die nähere Bestimmtheit, welche er in der
Ideenlehre erhält, wird aufgegeben: die Idee, welche Plato als jenseitige
und ausserweltliche gefasst hatte, wird als gestaltende und bewegende Kraft
in die Erscheinungswelt eingeführt […]. Die aristotelische Lehre kann
insofern gleichsehr als die Vollendung und als die Widerlegung der pla-
tonischen bezeichnet werden: sie widerlegt dieselbe in der Fassung, welche
ihr Plato gegeben hatte, aber ihren Grundgedanken führt sie noch reiner
und vollständiger, als Plato selbst, durch, denn sie legt der Form […] auch
die schöpferische Kraft bei, alle Wirklichkeit ausser sich zu erzeugen, und
186 Anton Friedrich Koch
sie verfolgt diese ihre Wirksamkeit […] durch das ganze Gebiet der Er-
scheinung.8
Dazu zwei Schlussbemerkungen.
1) Hegel fasst die Idee – bei ihm ein Singularetantum – als inner-
weltliche und ist insofern Aristoteliker. Aber da er den Widerspruch als
reale Macht anerkennt, kann er zugleich mit dem Einzelnen auch, wie
Platon, das Gattungsallgemeine als substantiell und die Dialektik als die
Diskursform der Ersten Philosophie anerkennen. Über allem aber steht
bei ihm der transitorische Charakter jeder metaphysischen Theoriebil-
dung. Alles Kontraintuitive seiner Lehre dient, wie übrigens auch bei
Kant, Fichte und Schelling, zuletzt der Rechtfertigung des natürlichen,
vormetaphysischen Weltbildes, das aber (wie schon Kant lehrte) in sich
begrifflich instabil ist und unwiderstehlich zu revisionärer Metaphysik
einlädt, deren vollständiges Formenspiel Hegel erschöpfend darstellen
und ipso facto depotenzieren wollte. Insofern kann man nicht sagen,
dass Hegel den deutschen Idealismus auf ähnliche Weise abschließt wie
Aristoteles die Sokratisch-Platonische Philosophie. Hegel schließt die
Metaphysik ab, indem er Platon und Aristoteles zusammenführt; und
Kant, Fichte, Schelling stehen als nahe Alternativen zu seiner Seite.
2) Zeller charakterisiert die Aristotelische Philosophie in ihrem
Verhältnis zur Sokratisch-Platonischen als eine Vollendung, die zugleich
Widerlegung ist. Wie kann eine Vollendung zugleich widerlegen?
Zeller sagt: als kritische Vertiefung, und das trifft im gegebenen Fall
sicher zu. Aber es trifft auch zu, dass Aristoteles den Platonismus in dem
Sinne widerlegt und vollendet, dass er dessen Einseitigkeit eine ge-
genläufige Einseitigkeit zur Seite stellt. Platon fasste das Substantielle als
allgemein, Aristoteles vollendet das Spektrum der theoretischen Mög-
lichkeiten, indem er das Substantielle als individuell fasst. Ähnliches
könnte, wenn auch bei gewandeltem Theoriespektrum, für Hegel und
seine Vorgänger gelten. Ihnen konnte es nicht mehr darum zu tun sein,
der Metaphysik eine Grundalternative zu eröffnen; sondern sie arbei-
teten daran, die Metaphysik durch eine Selbstaufklärung und Selbst-
begrenzung abzuschließen, aus der zugleich eine Rechtfertigung des
natürlichen Weltbildes hervorginge, also jenes fragilen Begriffssystems,
das Peter Strawson in deskriptiver Metaphysik nur explizit machen
wollte, ohne es rechtfertigen zu können. Das Programm einer Recht-
fertigung des natürlichen Weltbildes aus einer sich selbst transparent
Bibliographie
Hegel (1970): Georg Wilhelm Friedrich Hegel, „Phänomenologie des Geistes“,
in: Werke Bd. 3, Frankfurt/M.
Zeller (1875): Eduard Zeller, Geschichte der deutschen Philosophie seit Leibniz,
München.
Zeller (1862): Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen
Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung. Aristoteles und die alten
Peripatetiker, Tübingen.
Aristoteles und Darwin1
Kristian Kçchy
Aristoteles und Darwin gelten gemeinhin als Antipoden. Auf der einen
Seite der spekulative Metaphysiker, dessen philosophische Reflexionen
lediglich einen „Hemmschuh für die Entwicklung der Biologie“2 dar-
stellten. Auf der anderen Seite der empirische Wissenschaftler, dessen
Evolutionstheorie die Grundlage für eine wirkliche Wissenschaft vom
Leben legte.3 Aus dieser Perspektive betrachtet, besteht das primäre
Anliegen Darwins darin, die aristotelische Lehre der Zweckmäßigkeit
des Organischen zu widerlegen4 und durch eine kausal-mechanische
Erklärung zu ersetzen. Aristoteles’ Reflexionen bilden dann umgekehrt
die historische Wurzel aller finalistischen Lebenskonzepte und markie-
ren den Anfang des Vitalismus.5 In diesem Sinne geht Jacques Monod in
seinem Buch Zufall und Notwendigkeit 6 davon aus, dass Darwins Selek-
tionstheorie Zweckmäßigkeit zu einer sekundären Eigenschaft erklärt
und sie auf eine ursprüngliche, zufällig entstandene Invarianz und das
Spiel der natürlichen Selektion zurückführt. Damit ergibt sich dann der
Wissenschaftscharakter naturwissenschaftlicher Disziplinen gerade
durch die systematische Ausklammerung von Erklärungen mittels
Endursachen und die moderne Naturwissenschaft bedingt eine end-
gültige Verabschiedung der aristotelischen Physik.7
Der Blick auf die historischen Realitäten lässt allerdings Zweifel an
dieser karikaturhaften Gegenüberstellung aufkommen:8 Das reale Ver-
hältnis ist durchaus facettenreicher und zum Teil verworrener, spricht
aber letztlich wohl gegen die These einer absoluten Gegnerschaft von
Darwin und Aristoteles. Setzen wir bei Darwin an, dann äußert sich
dieser in seinen überlieferten Schriften und Briefen keinesfalls durchweg
ablehnend zu Aristoteles. Der berühmte Brief an den Aristoteles-
Übersetzer William Ogle vom 22. Februar 1882, in dem sich Darwin
für die Übersendung der englischen Übersetzung von De Partibus ani-
malium bedankt, zeichnet vielmehr das genau entgegen gesetzte Bild.
Hier heißt es: „[…] I had a high notion of Aristotle’s merits, but I had
not the most remote notion what wonderful man he was.“ Und weiter:
„Linnaeus and Cuvier have been my two gods, though in very different
ways, but they were mere schoolboys to old Aristotle.“9 Der Auffassung
von Simon Byl,10 es handele sich bei diesen Äußerungen lediglich um
Höflichkeitsfloskeln, widerspricht Allan Gotthelf in seiner Analyse des
Briefwechsels zwischen Darwin und Ogle vehement.11 Gotthelf kommt
vielmehr zu der begründeten Vermutung, Darwins Äußerungen
brächten ein überlegtes und sachlich fundiertes Lob des Aristoteles zum
Ausdruck. Ja, Gotthelf konstatiert gar einen Isomorphismus zwischen
Betrachtet man umgekehrt die Lehre des Aristoteles, dann kann man
sie zwar nicht – wie Darwin vermutete – uneingeschränkt als Vorläu-
ferkonzeption der Evolutionstheorie verstehen, sondern man muss –
gerade bei Berücksichtigung der genannten Textpassage aus der Physik –
zu der Einsicht gelangen, dass Aristoteles’ Lehre gegen bestimmte As-
pekte einer Evolutionstheorie in Darwins Sinne gerichtet ist. Allerdings
eröffnen sich gerade bei einer genaueren Lektüre dieser Textstelle die
Gründe für die Aristotelische Ablehnung, die einerseits auf einem
nichtdarwinschen Verständnis der Natur biologischer Bildungen beru-
hen, die aber andererseits mit Darwin geteilte Ideale der Wissen-
schaftlichkeit zum Ausdruck bringen. Angesichts dieser wissenschaftli-
chen Ideale und deren Umsetzung in der Biologie werden dann im Fall
von Aristoteles die Grundzüge einer Philosophie und Theorie der
Biologie deutlich und im Fall von Darwin die Abstriche, die man bei
Anlegung eines an der Physik gebildeten Maßstabs im Bereich der
Biologie machen muss. Diese Berücksichtigung zeigt dann auch andere
Gemeinsamkeiten, respektive führt zur Aufhebung verbreiteter Vor-
urteile. Provokant formuliert muss man zur Einsicht gelangen, dass
Darwin Teleologe16 war, während Aristoteles umgekehrt nur eine be-
stimmte Form der internen Finalität postulierte.17
16 Lennox (1993).
17 Kullmann (1979), 16 ff., vor allem 17.
18 Ballauff (1954), Bd. 1, 39; Judson (2005).
Aristoteles und Darwin 193
26 Ich klammere hier den vor allem von Kullmann (2007), 181 ff. stark gemachten
gemeinsamen Aspekt der Anpassung aus und konzentriere mich auf den Aspekt
der Gesetzmäßigkeit. Die Anpassung kommt im Folgenden unter dem Ge-
sichtspunkt der Zweckmäßigkeit zur Sprache. Zur Anpassung bei Aristoteles
und Darwin vgl. auch Depew (1997).
27 Cooper (2004).
28 Dabei ist zu bedenken, dass auch bei Aristoteles angesichts des Reprodukti-
onszusammenhanges zwischen einzelnen Lebewesen letztlich eine über das
Individuum und seine Entwicklung hinausgehende tiefere Dimension des Le-
bens insgesamt thematisiert wird. Darauf verweist u. a. Depew (1997), 215 f.
Demnach wird die individuelle Entwicklung zu einem Nexus in einer fort-
laufenden Abstammungslinie. Rensch (1968), 42 spricht diesbezüglich von
einem umfassenden „Lebensstrom“ und formuliert: „In jeder Ahnenreihe eines
Lebewesens wird die Kontinuität durch einen solchen ,Lebensfaden‘ sicher-
gestellt, und alle zu einer Spezies gehörigen ,Lebensfäden’ führen – zum Teil
miteinander durch verwandtschaftliche Beziehungen vernetzt – ohne Unter-
brechung auf anders gestaltete Stammformen zurück […].“ Das metaphysische
Pendant dieser Überlegung formuliert Whitehead (1979), 20 f., indem er die
Aristoteles und Darwin 197
Whewell und John Stuart Mill31 sowie, durch diese vermittelt, der
Einfluss der Methodenlehre von Francis Bacon. Darwin ist seinem
Selbstverständnis nach beim „geduldigen Sammeln und Erwägen aller
Arten von Thatsachen“32 „streng nach Baconschen Prinzipien“33 ver-
fahren. Schon Michael Ruse hat allerdings gezeigt, dass bereits die als
Leitbilder gewählten Methodologien von Herschel und Whewell eher
hypothetisch-deduktiv denn induktiv ausgerichtet waren.34 David Hull
konnte zudem belegen, wie sehr auch bei Darwin selbst der bewusste
Einsatz des hypothetischen Moments vorherrschte.35 Darwin war somit
überzeugt davon, dass die Theorie die Beobachtung leiten solle und er
ging weiter davon aus, dass sich Hypothesen durch Nachweis ihrer
Erklärungskraft letztlich in wissenschaftliche Theorien überführen las-
sen.36
Gerade angesichts dieser wissenschaftsphilosophischen und metho-
dologischen Hintergründe werden nochmals die Gemeinsamkeiten aber
auch die Unterschiede zwischen Darwin und Aristoteles deutlich: Eine
der Vorgaben, die Darwin aus den Schriften der Philosophen über-
nahm, ist deren Suche nach einer Form von Erklärung, die der Ord-
nung und Gesetzmäßigkeit des Naturgeschehens angemessen ist. Umso
stärker musste er sich deshalb getroffen fühlen, als Herschels erstes Urteil
nach der Lektüre von Origin of Species lautet, hier werde das Gesetz des
kunterbunten Durcheinanders (law of higgledy-piggledy) präsentiert.37
Nicht nur, dass damit Darwins Selbstverständnis frustriert wird, er habe
der Methodologie der Wissenschaftsphilosophen gemäß gearbeitet,
diese Debatte um den wissenschaftlichen Status von Darwins Überle-
gungen zeigt mehr: Herschel nämlich wendet in seinem Buch Physical
Geography of the Globe (1861) just die Argumente gegen Darwin, die
Aristoteles gegen Empedokles vorbrachte:
Wir können das Prinzip der willkürlichen und zufälligen Variation und
natürlichen Selektion als solches nicht mehr als hinreichende Erklärung für
die gegenwärtige und vergangene organische Welt annehmen, als wir die
Laputasche Methode des Verfassens von Büchern (per Zufallsmechanismus
31 Hull (1995).
32 Darwin (1872), 11: „[…] by patiently accumulating and reflecting on all sorts of
facts […].“
33 Darwin (1887), Bd. 1, 68.
34 Ruse (1975).
35 Hull (1995), 85.
36 Engels (2007), 117.
37 Hull (1995), 87; Engels (2007), 114 ff..
Aristoteles und Darwin 199
K.K.) […] als hinreichende Erklärung für die Entstehung von Shakespeare
und der Principia annehmen können.38
Herschel setzt deshalb – in dieser Hinsicht durchaus anthropomorpher
als Aristoteles – auf eine zweckgerichtete Intelligenz, die der Verän-
derung ihre Richtung vorgeben müsse. Gegen dieses argument from de-
sign jedoch hatte Darwin seine ganze wissenschaftliche Erklärungskraft
aufgeboten – interessanterweise in einem Fall dadurch, dass er (bewusst
oder nicht) ein Beispiel des Aristoteles verwendet, um dieses Argument
ad absurdum zu führen. Darwins Frage, ob etwa dann alle winzigen
Details eines Organismus vom Schöpfer geplant seien, findet an seinen
Freund Asa Gray gerichtet, die Fassung, ob auch die Stupsnase ein
intelligent design sei.39 Damit greift Darwin das Beispiel auf, das Aristo-
teles in der Physik (Aristoteles, Phys. 194a13) für seine Unterscheidung
zwischen der materialgebundenen Vorgehensweise des Naturwissen-
schaftlers und der rein formalen Betrachtung des Mathematikers (und
gegen die platonische Ideenlehre) verwendet hatte.
Die zeitgenössische Debatte um die Ordnung der Natur – und
gegen Darwins Evolutionstheorie – verrät jedoch noch mehr. John
Stuart Mill etwa, der sich in seinem System of Logic positiv zu Darwins
legitimen Hypothesen äußert,40 geht letztlich von einem Verständnis
von „natürlichen Arten“ im Sinne einer auf Aristoteles zurück gehen-
den Tradition aus. Arten sind für Mill Klassen, die voneinander durch
eine prinzipielle Grenze getrennt sind.41 Diese logischen Einheiten sind
nicht auseinander ableitbar und deren reale Entsprechungen – als
Musterbeispiel gelten die biologischen Arten – sind es eben so wenig.
Eine Entwicklung der Arten ist nach diesem essentialistischen Ver-
ständnis unmöglich.42 Man sieht also, dass auch aus der Perspektive einer
durchaus physikalistisch argumentierenden Wissenschaftsphilosophie zu
Zeiten Darwins die gleiche Opposition gegen die Evolutionstheorie
entsteht, wie sie Aristoteles’ Einwände gegen Empedokles repräsentie-
ren. Wieder stehen sich gegenüber: naturgesetzmäßige Ordnung versus
kunterbuntes Durcheinander respektive geplante Zweckmäßigkeit
versus zufällige Strukturen. Dabei argumentieren die viktorianischen
38 Herschel in Physical Geography of the Globe (1861), 12, zitiert nach Hull (1995),
88.
39 Engels (2007), 118; Burkhardt, Smith (1985) ff., Bd.9, 369.
40 Engels (2007), 117; Hull (1995), 94.
41 Hull (1995), 97 f..
42 Mayr (2002), 73 ff. und 204 ff.; Charles (1997).
200 Kristian Köchy
43 Darwin (1872), 101: „I have hitherto sometimes spoken as if the variations […]
were due to chance. This, of course, is a wholly incorrect expression, but it
serves to acknowledge plainly our ignorance of the cause of each particular
variation.“; vgl. auch Engels (2007), 102.
44 Barrett et al. (1987), 167 – 236, Darwins Angabe: Darwin (1837 – 1838), 122 f.
[URL: http://darwin-online.org.uk/content/frameset ?itemID=CUL-DAR
121. -&viewtype=image&pageseq=1 01.10.2008], 122, 123e.
45 Engels (2007), 94.
46 Kritisch dazu Jonas (1973), 60 ff.
47 Engels (2007), 101.
Aristoteles und Darwin 201
48 Kullmann (1979).
49 Nussbaum (1979), 60.
50 Nur unter dieser Einschränkung gilt Mayrs (2002), 74 Äußerung: „Demzufolge
haben für Aristoteles alle Strukturen und biologischen Tätigkeiten einen bio-
logischen Sinn oder, wie wir heute sagen würden, eine adaptive Bedeutung.“
Mayr überbetont im Folgenden allerdings die vermeintliche Einheitskonzep-
tion des Aristoteles, indem er gerade die neuzeitliche Überlegung, Makro- und
Mikrokosmos unterlägen einheitlichen Gesetzen und könnten folglich in
gleicher Weise wissenschaftlich behandelt werden, auf Aristoteles’ Teleologie
anwendet.
51 Zeller (1862), 2/2, 322: „Indem die Natur als ein lebendiges Ganzes betrachtet
[…] wird, […] ergiebt sich für Aristoteles […] mit Nothwendigkeit eine te-
leologische Naturansicht.“, vgl. auch Nussbaum (1979), 60.
202 Kristian Köchy
IV. Zusammenfassung
Bibliographie
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Wolfgang Kullmann, Aristoteles Werke in deutscher Übersetzung, Bd. 17,
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DAR121.–&viewtype=image&pageseq=1 zuletzt eingesehen am 01. 10.
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lische Biologie. Intentionen. Methoden. Ergebnisse, Stuttgart, 27 – 42.
63 Gould (1996).
206 Kristian Köchy
David Friedrich Strauß und Eduard Zeller, das sind zwei herausragende
akademische Stilisten und schwäbische Freunde des 19. Jahrhunderts
und damit Bewohner und Vertreter eines sehr eigensinnigen und ei-
genwilligen Biotops – philosophisch, theologisch und politisch. Das
macht schon die evangelische Imprägnierung der Schul- und Studien-
zeit deutlich. Zeller durchlief die spezifisch schwäbischen Kader-
schmieden der Theologie, war ab 1827 Seminarist in Maulbronn, dann
1831 „Stiftler“ am Evangelischen Stift zu Tübingen. Dort stieß er auf
Strauß als Stiftsrepetenten, der vor ihm eine analoge Ausbildung ab-
solviert hatte. Nicht von ungefähr haben beide Ferdinand Christian
Baur zum Lehrer. Baur hat Zeller nicht nur 1836 promoviert. Er wurde
Zellers Schwiegervater und über die Theorieebene hinaus Gegenstand
seiner Publikationstätigkeit. Baur war „nicht nur ein einflussreicher und
umstrittener Theologe und Historiker, sondern auch […] Frühprediger
an der Tübinger Stiftskirche“1. Als solcher saß er jedem in den Na-
turwissenschaften kursierenden Klischee über den Biorhythmus von
Geisteswissenschaftlern zum Trotz spätestens um fünf am Schreibtisch –
morgens um fünf! Auch dieses Arbeitsethos sprang auf die Schüler über.
So sehr die drei genannten Gestalten Schwaben waren, so sehr
wurden sie wiederum von exzessiv christlich gesinnten Schwaben heftig
kritisiert. Denn obwohl oder am Ende, eben weil sie alle drei über
theologiegeschichtliche Zusammenhänge informiert und bewandert
waren wie sonst kaum jemand ihrer theologischen Zeitgenossen, hielt
man ihnen vor, Gegner des Christentums zu sein.
Die Evangelische Kirchenzeitung titelte im Jahr 1843, Württemberg sei
„das in christlicher Hinsicht gesegnetste Land […] Deutschlands, ob-
wohl von diesem merkwürdigen Lande neuerdings die talentvollsten
Gegner des Christenthums, wie Baur, Strauß“ und „Zeller ausgegangen
sind“.2 Das Tübinger Stift sei „seit einigen Jahren ein wahres Nest der
Hegelei“.3 Ist dieses Urteil sachlich belastbar? Wohl ist wahr, dass Søren
Kierkegaard mit ganz anderen Motiven in antihegelianischem Affekt
eine noch so im Namen „des“ Geistes daherkommende und gelehrte
geschichtliche Rekonstruktion christlicher Lehrentwicklungen kritisiert
und geurteilt hatte, die „weltliche Kunde der Weltgeschichte oder
Kirchengeschichte über Christus“ habe ihn „lediglich […] verfälscht“.4
„Die Christenheit“ habe das „Christentum abgeschafft, ohne es selber
richtig zu merken“. Es sei an der Zeit, „das Christentum wieder in die
Christenheit einzuführen“.5 Allerdings stellt sich die Frage: Wo ver-
laufen hier die Fronten der Kritik? Die schwäbische Binnenkritik hatte
sehr andere Motive als der dänische Religionsphilosoph. Immer aber
ging es um eine wahrheitsambitionierte Klärung dessen, was den
christlichen Glauben ausmache, was an ihm substantiell dran sei und mit
welcher Geisteshaltung ihm gerecht zu werden sei. Dieser Streit hing
Mitte des 19. Jahrhunderts stark in der Luft. Strauß und Zeller stritten
entschieden mit.
Dabei waren Strauß und Zeller ohne jeden Zweifel als „Kritiker des
Christentums“ spezifisch schwäbischer Provenienz ebenso spezifisch
schwäbisch religiös höchstambitionierte Menschen. Eben diese fromme
Ambition, die es im Blick auf Gott und Jesus Christus wissen wollte,
führte zu jener eigenwilligen Konstellation, die Eduard Zeller im Blick
auf Baur im Grunde zugleich für Strauß und sich selbst mitformulierte:
Während er die einschneidensten kritischen Operationen mit wissen-
schaftlicher Kaltblütigkeit vornahm, konnte er zugleich […] mit voller
Ueberzeugungstreue kirchliche Vorträge halten, […] welche […] durch die
Wärme des religiösen Gefühls und den Ernst der sittlichen Weltansicht […]
auch bei minder gebildeten Zuhörern eines bedeutenden Eindrucks nicht
verfehlten6
Wie aber ist bei gleichem Vergnügen an kaltblütiger wissenschaftlicher
Kritik das theologische Gewicht von Strauß und Zeller ins Verhältnis zu
setzen?
Albert Schweitzer meinte von Strauß: „Man muß Strauß lieben, um
ihn zu verstehen. Er war nicht der größte und nicht der tieffste unter
den Theologen, aber der wahrhaftigste“.7 Das ist sicher ungerecht. Aber
bemerkenswert bleibt, dass Schweitzer zu Zeller vollkommen schweigt.
Muss man Zeller am Ende lieber erst gar nicht verstehen wollen, um ihn
zu lieben, weil es so viel nicht zu verstehen gibt?
Eduard Zeller, so könnte man urteilen, war ein bienenfleißiger,
akribischer Langeweiler, ein kreuzsympathischer Buchhalter höherer
Ordnung, der in emsiger Verbissenheit eine Abhandlung nach der an-
deren publizierte, und etwa ausgerechnet über den sprödesten aller
Reformatoren, Huldrych Zwingli, eine 250 Seiten lange Abhandlung
über vier Teillieferungen einer Zeitschrift hindehnte, die nur deshalb
dort erscheinen konnte, weil er sie selbst herausgab. Als Frucht müh-
samer Kleinarbeit publizierte er im selben Organ über 100 Seiten hin-
weg „den gesamten Wortvorrath des NT“ in einer „vergleichenden
Uebersicht“. Das ist, wie der Titel schon andeutet, eher eine Speise-
kammer, denn eine Schatzkammer des Wissens.8 Zeller füllt seitenlang
Tabellen über Tabellen, obgleich er selbstkritisch einräumt, dass der
„eigenthümliche Sprachcharakter […] weniger in dem Gebrauch“ der
Wörter, als im „Redetypus, der Satzkonstruktion und dem Perioden-
bau“ liege.9 Das waren keine Werke, mit denen eine theologische
Persönlichkeit epochemachende theologische Thesen in den Religi-
onsmuff seiner Zeit setzten konnte.
Zeller, der 1836 in Berlin als „letzter Römer“ galt, weil er die
Methoden der „neueren wissenschaftlichen Theologie“ Tübinger
Provenienz hochhielt und sich 1840 wieder in Schwaben habilitierte,
war immerhin nicht der immerwährende Privatdozent der Theologie.
Er hätte sich auch schwerlich mit der Sottise Kierkegaards trösten
können, dass Christus schließlich auch nicht „Professor gewesen wäre
und die Apostel“ keine „kleine gelehrte Gesellschaft der Wissenschaften
gebildet hätten“.10 Als Professor der Theologie aber hatte er keine
bleibende Statt. Ihm wurde übel zugesetzt. In Tübingen durfte er nicht
einmal als Extraodinarius an der philosophischen Fakultät lehren. Der
Ruf nach Bern im Jahre 1847 wurde mit einer Flugschriftenaktion, die
von Zeller als Religionsgefahr spricht, unterminiert. 1849 wurde er
nach Marburg berufen. Dort ereilte ihn zwar nicht das Schicksal seines
Freundes Strauß, der in Zürich aufgrund unlauterer selbstgerechter
19 Zeller (1846b), 2.
20 Zeller (1846b), 3.
21 Zeller (1846b), 4.
22 Zeller (1846b), 4.
23 Zeller (1846b), 19.
Eduard Zeller als Theologe 215
Pokal“? 24 – Nein, so einfach liegen die Dinge für Zeller nicht. Er will
nicht als Exponent einer gängigen Hegelschule begriffen werden. Sein
theologischer spiritus rector einer sachgerechten spekulativen Theologie
ist David Friedrich Strauß25, nicht Hegel. So führt Zeller aus: Während
„die Berliner Hegelianer zu seiner Feier Medaillen schlugen“, habe
Strauß den Scheinfrieden zwischen Philosophie und Religion, den
Hegel selber eingeläutet hatte, empfindlich gestört. Er habe damit
„richtiger“ als Hegel selbst die „Consequenz der Hegel’schen Philoso-
phie“ ausgesprochen. Das wiederum habe eine kirchliche „Pektoral-
theologie“ auf den Plan gerufen. Sie habe sich ihr methodisches In-
ventar „aus den Rüstkammern der neuesten Systeme“ geholt, und jene
„symbolische Kirchlichkeit gebildet, die in der Sache antik sein will, in
der Form modern.“ Die Pointe dieser „mit dem Zeitgeist kokettie-
renden Altgläubigkeit“26 sei folgende: „die Wissenschaft soll selbständig
forschen, aber sie soll kein Resultat liefern, das gewissen vorher fest-
stehenden Ueberzeugungen widerspricht“.27
Damit hat Zeller bereits 1846 einen forschungspolitischen Satz
formuliert, der heute noch brandaktuell klingt. Gegen jene Haltung
haben Strauß und Feuerbach in einer „Rücksichtslosigkeit“ protestiert,
die Zeller zeitlebens imponiert hat.28 Seit Strauß’ „Leben Jesu“ und
Feuerbachs „Wesen des Christentums“ sei die Disziplin der „Kritik“29
weltläufig geworden. Beiden widmet Zeller im Theologischen Jahrbuch
programmatische Rezensionen, die es in sich haben. Was Zeller dort
notiert, ist aufschlussreich für seine theologische Ambition.
„Feuerbach und Strauß“, nach dem Urteil Zellers „beide in der Schule
der Hegel’schen Philosophie gebildet, beide mit seltenem Geist und
Talent gerüstet, von durchschlagendem Scharfsinn, gründlich gelehrt,
Meister der Sprache und Darstellung, beide endlich erfüllt mit der
feriert: „der größere Theil der evangelischen Berichte“ habe „theils gar
keine, theils nur eine bis zur Unkenntlichkeit entstellte Geschichte“.
Eine historisch bereinigte Sichtung der Erzählstoffe müsse zu dem Er-
gebnis kommen: Keine Himmelfahrt, keine Geburts- und Kindheits-
geschichte, keine Wunder. Nun, das wäre nach Zeller „für das Chris-
tenthum unserer Tage an und für sich genommen“ ohne „tiefere Be-
deutung“. Aber dass Strauß nun gleich auch noch von den geliebten
„Reden des johanneischen Christus“ behauptete, sie seien die „höchste
Stufe andächtiger Verschönerung“, ging zu weit. Damit entlarvte er das
im 19. Jahrhundert über alles geliebte und in den Augen etwa eines
Schleiermacher wahrheitsträchtigste Evangelium als Spätwerk und
fortgeschrittene Stufe der Mythenbildung. Bald noch schlimmer war,
überhaupt der „Auferstehung“ ihr historisches Recht streitig gemacht37
und behauptet zu haben, dies sei einer der theologisch wohlkalkulier-
testen Mythen. „Der neue Standpunkt ist … der mythische“, schrieb
Strauß entsprechend in der Vorrede zum I. Band der „kritischen Be-
arbeitung des Leben Jesu“. Wie Friedrich Wilhelm Graf notiert hat,
stehe „seitdem“, wo in der Theologie „vom Mythos die Rede“ sei,
„immer auch das Recht jenes ,mythischen Standpunktes‘ zur Debatte“38
Mythisches in der Bibel, das war nun weiß Gott keine neue Be-
hauptung. Aber die Mythenbildung so derart unschüchtern auf zentrale
Gehalte des Glaubensbekenntnisses zu beziehen, das war für viele
fromme Gemüter nicht zu fassen.
Demgegenüber war selbst Hegels religionsphilosophische Überbie-
tung der Vorstellung durch den Begriff 39 vergleichsweise harmlos.
Auch die hatte Strauß kritisiert. Nur nicht so, wie zu hoffen war, dass er
die Vorstellungsebene etwa der klassischen Christologie hofierte. Im
Gegenteil! Er schien Hegels Übergang von der Vorstellung zum Begriff
mit einem christologisch viel destruktiverem Vorhaben zu kritisieren.
Denn er behauptete, die „Idee … pflege nicht in Ein Exemplar ihre
ganze Fülle auszuschütten und gegen alle andern zu geizen […] Die
Menschheit allein sei der menschgewordene Gott“. Die ontologische
Sonderstellung Jesu, wie sie auch Schleiermacher mit seiner Behaup-
tung, Jesus sei das mit dem Geschichtlichen synthetisierte Urbildliche,
stark gemacht habe, sei unhaltbar.40
Volk geschrieben hat, sei dahingestellt. Zum jungen Strauß hat Zeller
jedenfalls Interessierendes zu sagen gehabt. Besonders aufschlussreich ist
Zellers Beurteilung der 1840 und 41 erschienenen Glaubenslehre von
Strauß, neben Schleiermachers Glaubenslehre die vielleicht wichtigste
dogmatische Abhandlung des 19. Jahrhunderts.48 Denn hier zeigt sich,
wie Zeller im Unterschied zu Strauß das theologische Geschäft und die
Funktion der theologischen Kritik begriffen hat. Ihr hat Zeller, der sich
ungern kurz fasste, eine 50seitige Besprechung gewidmet. Keine
Dogmatik „im eigentlichten Sinne“ habe Strauß vorgelegt. Das sei
ungenau. Der Leser bekomme es mit einer „Uebersicht über den
dogmatischen Besitzstand der Zeit“ zu tun. Strauß wolle bilanzieren, auf
sachliche Belastbarkeit testen. Damit liege also nicht eine Dogmatik
selbst, sondern eine „kritische Grundlegung für jede künftige Dogma-
tik“49vor.
Rekonstruiert man systematisch die Rezension, so hat die Glau-
benslehre für Zeller eine besondere methodische und eine besondere
religionsphilosophische Pointe.
Zeller stellt, um zum ersten Punkt zu kommen, zunächst fest, me-
thodisch habe Strauß die „im Leben Jesu befolgte Methode“ gesteigert.
Es gehe um „die Methode […], wo möglich Andere für sich reden zu
lassen, ,nichts Eigenes zu geben, sondern nur Gegebenes zusammen-
zufassen’.“50 Das klingt zunächst erasmisch: „CONTULI. Penes alios
esto iudicium.“51 Ich habe zusammengestellt. Bei anderen liege das
Urteil … Zeller hat deshalb später einmal auch Strauß als eine theolo-
gische Persönlichkeit charakterisiert, die nie „selbst auf dem Schlachtfeld
erscheinen“ würde, „so lange“ sie „einen Bundesgenossen vorschieben“
könne52. Strauß will sich allerdings mit seinen Zusammenstellungen
nicht des Urteils enthalten. Vielmehr soll die Komposition des Materials
vor Augen führen, dass die Kritik am Dogma nicht subjektiv prätentiös
48 Graf, (1982), 215 urteilt entsprechend, „von seiner (scil. Strauß’) Konzeption
der Enzyklopädie aus betrachtet, können seine beiden Hauptwerke […] nicht
als systematisch gleichgewichtig behauptet werden. Hinsichtlich seiner pro-
grammatischen Äußerung zum Verhältnis der theologischen Disziplinen muß
die G[laubens]L[ehr e] als die Arbeit verstanden werden, die sachlich not-
wendig an das L[eben] J[esu] anschließt und diesem von seiner systematischen
Stellung her gesehen übergeordnet ist.“
49 Zeller (1843b), 96 – 146, 96 f.
50 Zeller (1843b), 98.
51 Erasmus von Rotterdam (1969), 194.
52 Zeller (1843a), 94.
220 Stephan Schaede
ist. Das Vielmehr macht es deutlich. Das kritische Urteil hat „die Ge-
schichte und das Bewusstsein der Gegenwart schon vor ihm gefällt“.53
Strauß wolle also „dem Geschworenengericht der öffentlichen Meinung
das Resúme des Zeugenverhörs“ vorlegen, und wage nur „ausnahms-
weise durch eigene Bemerkungen sein Urtheil zu bestimmen“.54 Das
Urteil, das Strauß selbst deutlich sehe, müsse einer verständigen Leser-
schaft von selbst in den hermeneutischen Schoß fallen.
Zeller selbst, der es als ein akribischer Zusammensteller von Quellen
wissen muss, warnt schon hier. Strauß übernehme sich mit diesem Ziel
methodisch hoffnungslos. Schon ein „möglichst vollständiges Zeugen-
verhör, wenigstens mit den Stimmführern der Partheien“ provoziere ein
derart umständlichen Verfahren, dass das die Abhandlungen unlesbar
mache oder aber zu „Lücken“ im „geschichtlichen Beweisverfahren“
führe. Die von Strauß gewählte Methode erzeuge bei Persönlichkeiten
mit einem schwächer angerührten Verstand einen „so weite(n) Tum-
melplatz für den Scharfsinn eines unfreien Denkens, dass auf diesem
Wege wohl noch weniger, als auf dem der unmittelbaren dogmatischen
Erörterung zu gewinnen“ sei55. Strauß beherrsche zwar die von ihm
gewählte Methode im Prinzip virtuos. Aber sie führe, weil sie nicht
allen gegeben sei, zu gefährlichen Missverständnissen.56
Religionsphilosophisch, und das ist für Zeller der zweite zentrale
Punkt, distanziere sich Strauß ebenso von Hegel wie von Feuerbach.
Das System des Christentums sei weder, wie Hegel behauptet habe, ein
dualistisch mit der Transzendenz liebäugelndes System, noch ein mo-
nistisches rein immanentes System. Dualistisch sei das Judentum schon
vor Christus gewesen. Erst die „Person Christi“ habe „beide Seiten“
verbunden und so „neues geistiges Leben erzeugt“. Man dürfe sich
dabei nicht an christologisch paradoxen Figuren der Gottmenschlichkeit
aufhalten. Vielmehr liege der Erfolg des Christentums darin, dass es eine
bestimmte praktische Lebensbestimmtheit generiere. Christliches Be-
wusstsein sei wesentlich Bewusstsein einer „,vollbrachten‘ Erlösung“.57
Man dürfe nicht bei der von Hegel insinuierten Position verharren,
Religion wirke durch und beruhe auf religiösen Vorstellungen.
Zeller liest Strauß so, dass sich bei ihm „die Theologie selbst in ihren
Konsequenzen […] zur Philosophie aufhebe“, während bei Feuerbach
„die konsequente Theologie Allem, was die Philosophie und Vernunft“
erfordere, diametral widerspreche59. Beide Positionen hält er wie gesagt
für falsch. Um dies zu zeigen, geht Zeller interessanterweise auf eine
anthropologische Grundlagenfrage zunächst jenseits religionsphiloso-
phischer Spezialargumentationen ein.
Denn er kombiniert die von Aristoteles in seiner Schrift De anima
vorgeführte Seelenlehre mit Momenten hegelscher Religionstheorie.
Aristoteles hatte behauptet, dass die Seelenvermögen aufeinander auf-
ruhen und komplexere Seelenvermögen ohne die elementaren nicht
bestehen können. Nun gab es in der Rezeptionsgeschichte von De
anima einen bis heute nicht enden wollenden Streit um die Eigen-
ständigkeit des intellektuellen Vermögens. Zeller entscheidet ihn für
sich und plädiert organologisch längst aufgeklärt für eine strikte wech-
selseitige hirnphysiologisch bedingte Bindung des Denkens an die
Vorstellungskraft (und umgekehrt): Denken kann Glauben nicht ent-
behrlich machen. Glauben provoziert umgekehrt Denken.
Die höhere Stufe hat nicht blos das Gewesensein, sondern ebenso auch das
Sein der vorangehenden zur Voraussetzung, und wäre ohne sie so un-
möglich als Geist ohne Natur; keine Stufe geht in der folgenden ganz auf
[…] dass die verschiedenen Lebensgebiete fortwährend in Spannung gegen
einander sind, die folgenden beständig ebenso von den vorangehenden
zehren, als durch sich selbst leben, eben diess macht den Pulsschlag seines
Lebens aus.60
Zeller verspricht sich von der Anwendung dieser allgemeinanthropo-
logischen Bemerkung auf das „religiöse Gebiet … fruchtbare Resulta-
te“.61 Sie erlaube ihm, sich im Verhältnis zu Strauß und Feuerbach zu
positionieren. Dabei verknüpft Zeller inspiriert durch die Biologie eine
Art streng aufeinander bezogene religiöse Onto- und Philogenese.
Nicht nur bei der Entwicklung einzelner Menschen sei die Ebene der
Vorstellung in religiöser Perspektive ein notwendiger Entwicklungs-
schritt, der dann nie mehr hinter sich gelassen werden könne und das
religiöse Denken fundiere. Auch „die Menschheit im Ganzen“ könne
„nicht blos […] Jahrtausende lang sich“ irrtümlich Vorstellungen hin-
gegeben haben, „denen heute noch weit die Mehrzahl der Menschen“
anhängen und dabei „jeden Versuch, ihren inneren Gehalt von der
Form loszuschälen, als einen Frevel“ verabscheuen. Ohne die Frage zu
beantworten, weshalb die Menschheit hier nicht grosso modo geirrt
haben könne – schließlich war für sie die Erde auch für eine nicht ganz
kurze Zeit eine Scheibe, schließt Zeller seine Schlüsse: Auf „keiner
Stufe seines Lebens“ könne das Individuum wie die Menschheit im
Ganzen die religiöse „Unmittelbarkeit entbehren, und neue Kräfte“ aus
ihr ziehen.62
Glauben lasse sich nicht durch Denken substituieren. Umgekehrt
dürfe sich der Glaube und die „dogmatische Reflexion […] gegen das
Denken“ nicht „verpallisadiren“63. Das sei der schwere Fehler der Of-
fenbarungsfrömmigkeit, mit der die kritische Theologie zu Tübingen zu
tun bekommen habe. Diese Frömmigkeit litt unter der „pathologischen
Erscheinung […], den Begriff vom Glauben nur als einen Angriff auf
den Glauben, und das wissenschaftliche Denken überhaupt nur als
freibeuterischen Eingriff in den […] Besitzstand des nichtsdenkenden
Bürgers“ zu betrachten. Zeller redet hier Klartext: „Das Denken“ müsse
den Glauben „aus dem Schlaf aufrütteln […], in den unsere neuevan-
streitet, Persönlichkeit zu sein. Person sei nun einmal „kurz definiert der
Geist als existierender, d. h. endlicher“.70 Auf Hegel können die beiden
sich jedenfalls dafür nicht berufen, sprach der doch schon von „der
absoluten Persönlichkeit Gottes“.71 Mit der Frage, ob nun gut zu heißen
sei, dass Hegel vielleicht in einer Art vorweg genommenen Prozess-
theologie die „Entwicklung Gottes“ lehre, scheint Zeller überfordert zu
sein. Zeller fragt: Ist das mit der „geschichtlichen Entwicklung des
Weltgeistes“72, wie Hegel sie in seiner Naturphilosophie formuliert,
gemeint? So spektakulär ist diese vom Deismus bisweilen geradezu
programmatisch vertretene Position nicht. Die Frage ist nur, ob eine
glaubend denkende, und denkend glaubende Religionsphilosophie sie
behaupten muss oder nicht. Indirekt ringt Zeller sich dann doch zu
einer Position durch. Womöglich abgehärtet durch Aristoteles und die
aristotelische Rezeptionsgeschichte hat Zeller jedenfalls keinerlei
Schwierigkeiten, den Gedanken einer „willkührlichen“ und zeitlichen
Weltschöpfung ad acta zu legen und stattdessen von einer „ewigen und
nothwendigen Verwirklichung Gottes in einer Welt“ zu sprechen73.
Fromm wird er hingegen, wo seine Darstellung das Gebiet der An-
thropologie betritt. Die Naturwissenschaft verfüge über keinerlei Ur-
teilskraft in der Frage, ob „wir uns die Entstehung des Menschen als
unmittelbare göttliche Wirkung, oder als das Ergebnis eines natürlichen
Prozesses zu denken haben“. Heuristisch gehe sie zwar von einem na-
türlichen Prozess aus. Aber auch dieser Prozess habe „Kräfte“ zur
Voraussetzung, die „außerhalb der Erfahrung liegen“. Die Entstehung
sei damit nicht schon ein Wunder. Denn Wunder gebe es nicht, wie er
in gängiger Berufung auf John Locke und David Hume versichert.
Physiologie und Theologie müssten an dieser Stelle die Waffen stre-
cken. Die philosophische Kritik habe in diesem Sachzusammenhang für
aufgeklärtes Nichtwissen zu sorgen.74
Nur bei Jesus geht Strauß für Zellers Gefühl zu weit, wenn er ihm
abspreche, die „erhabenste und vollkommenste Gestalt in der ganzen
Geschichte“ zu sein. Zwar sei trivial, dass niemand den informierten
Überblick habe, eine solche Behauptung empirisch zu härten. Aber
Zellers Waffe ist die „positive“ Kritik.83 Dieses Konzept einer po-
sitiven Kritik hatte allerdings, wie Zeller einräumt, vor ihm Ferdinand
Christian Baur entwickelt. Der war bei seinem Schüler Strauß in die
Lehre gegangen und hatte entsprechende Kritikmodelle konzipiert. Um
nur ein Beispiel zu nennen, hatte er die johanneische Frage zum
Schlüssel seiner Evangelienkritik gemacht.84 Ziel der positiven Kritik
war, durch das in den biblischen Dokumenten niedergelegte Geflecht
von Vorstellungen und Auffassungen hindurch den Tatsachen nahe zu
kommen. Wie aber geht das? Zeller gibt zu verstehen, dass die Aus-
gangssituation für ein solch kritisch-konstruktives Unterfangen
schwierig sei. Denn er staunt selbst: „eine reine Empirie“ sei „gar nicht
so häufig, als man wohl glaubt“. Zeller meint, die Empirie müsse isoliert
werden. Als Mittel der Isolierung zählt er – darin erkenntnistheoretisch
nicht eben tiefsinnig – eine Reihe hermeneutischer Tugenden auf, die
den „meisten“ fehle: „Aufmerksamkeit auf sich selbst, Unbefangenheit,
Klarheit des Bewusstseins, Uebung im Beobachten“…85 Mit diesem
hermeneutischen Tugendinstrumentarium angewendet gewinne die
Kritik für den Historiker die gleiche Funktion und Erkenntnisleistung
wie für den Naturwissenschaftler das Experiment. Ihre Funktion sei:
Isolierung fremder Einflüsse, Scheidung fremder ungeschichtlicher
Überlieferungen von den Tatsachen.
Bei der Überlieferung historischer Tatsachen wirke erschwerend,
dass sie von den, wie Zeller sich vornehm ausdrückt, „praktischen In-
teressen“ der Überliefernden dominiert seien.
Es handele sich oftmals um Tendenzberichterstattung. Es sei nicht
wahr, dass aufgrund der enormen Bedeutung der Figur Jesus Christus
das Gesagte umso skrupulöser und gewissenhafter geprüft worden sei.
Diesen Einwand der Apologetik lässt Zeller für das Christentum nicht
gelten. Vielmehr gelte im Gegenteil das Gesetz: Je höher das dogma-
tische und praktische Interesse sei, desto stärker trete bei den Überlie-
fernden der kritische Sinn zurück. Das habe Folgen für die kritische
Rezeption. Unbefangen historisch prüfen könne nur der, bei dem die
„persönliche Betheiligung an den Ereignissen“ aufhöre.86
83 Zeller (1846a), 343, wo Zeller zu verstehen gibt, das, was er mache, sei ei-
gentlich nichts anderes als die „positive Ergänzung der Straußischen, blos ne-
gativen Kritik“.
84 Zeller (1846a), 314 f.
85 Zeller (1846a), 291 f.
86 Zeller (1846a), 293.
228 Stephan Schaede
V. Zellers Religionstheorie
ziehe.111 Weil Religion wissen wolle, wie sich Gott zum Menschen und
der Mensch sich zu Gott verhalten könne, sei deshalb Ausgangspunkt
aller Überlegungen die „Bestimmung des ,persönlichen‘ Verhältnisses“
zu Gott.112 Religion sei in erster Linie, wie Zeller terminologisch ei-
gensinnig formuliert, pathologisch ambitioniert, und erst in zweiter
Linie auch theoretisch und praktisch. Pathologisch, das meine: In der
Religion sei Pathos, Leidenschaft, „persönlich gemüthliches“ im
Spiel.113 Und dieses Pathos habe seinen Sitz in einem „Verhältnis der
Person zur Person, des endlichen Subjekts zum absoluten Subjekt“.114
Damit nicht genug. Gegen religionswissenschaftlich zimperliche Be-
denkenträger hält Zeller dafür, das persönliche Verhältnis müsse ein
„Verhältnis des Menschen zur Gottheit“ sein. Religion thematisiere
„Gottesbewusstsein“ oder sie sei keine Religion. Das habe der „Fe-
tischdiener, welcher den bunten Stein“ anbete, durchaus schon reali-
siert. Er verehre zwar nicht das „wirkliche Göttliche, aber er“ meine „es
doch zu verehren“. Es gelte also: Keine Religion ohne Gott. Dieser aus
einer christlichen Binnenperspektive geformte Religionsbegriff würde
allein schon deshalb, weil er die Bestimmung Gott für Religion kon-
stitutiv hält – wie übrigens viele der von christlichen Theologen im
19. Jahrhundert entwickelten Religionsbegriffe – trotz ihres metaphy-
sikkritischen Impetus an einer religionstheoretisch und religionswis-
senschaftlich aufgeklärten Sicht der Dinge zerschellen.
Neben dem Gottesmerkmal ist Zeller nicht verlegen, gleich auch
noch ein teleologisches Merkmal von Religionen nennen zu können:
„Die Seligkeit ist das Ziel aller Religion“115. Was Seligkeit sei, wird in
nominallastigem Stil sogleich ausgeführt. Seligkeit sei die „Vollendung
des persönlichen Lebenszustands, die ungetrübte Heiterkeit und man-
gellose Vollkommenheit des Selbstgefühls, der absolute Genuss der in
sich befriedigten Subjektivität“.116 Gottes- und teleologisches Merkmal
werden schließlich wie folgt verknüpft. Die Religion sei „mit Einem
Wort das Leben des Subjekts in Gott und sie“ sei „,nur‘ dieses“.117
Vor diesem Hintergrund sind jene Religionen besonders raffiniert,
die diese Lebenszustände durch die Religionsausübung selbst realisieren
und sich dadurch zum Selbstzweck machen. Damit scheint Zeller vor
allem durch die „pathische“ Zentralbestimmung von Religion nach den
oben erwähnten Abgrenzungsbemühungen in größere sachliche Nähe
zu Schleiermacher zu geraten als ihm lieb ist.118 Worin, abgesehen
davon, dass Zeller die Dinge weniger gründlich durchräsoniert als
Schleiermacher, der deutliche Unterschied in Sachen Religionskon-
zeption besteht, macht ein Blick auf die zweite religionstheoretisch
wichtige Frage deutlich.
Bei der Beantwortung der genetischen Frage, wie nun Religion allge-
mein aus dem Leben des Geistes entsteht, kommt Hegel wie gesagt
mehr ins Spiel als Zeller selbst meint. Eben darin liegt eine deutliche
Differenz zu Schleiermacher. Zeller markiert das unmißverständlich:
„Dass der Mensch überhaupt Religion hat“, habe „seinen Grund in der
denkenden Natur des Geistes“119. Dabei müsse dem „denkenden Be-
wusstsein des Absoluten nothwendig die innere Erfahrung von dem-
selben vorangehen“. Klugerweise hat hier Zeller nicht behauptet, dass
aus dem Meer empirischer Spiritualität das Wesen der Religion gene-
riert werden könne. Nur kommt es daraufhin zu merkwürdigen Zu-
ordnungen. Der „apriorische Grund und die allgemeine Nothwendig-
keit des Gottesbewusstseins“ liegen „im Denken“. Nur dessen „empi-
rische Quelle“ sei im „Gefühl“ und habe als „erste Form seiner Er-
scheinung“ die Religion.120 Man dürfe dabei eben nicht, das „solli-
citirende […] Moment“ und die „empirische Bedingung“ des Entste-
hens mit dem „inneren und einzigen Grund der Religion“ verwech-
118 Es verblüfft dann erheblich, wenn Zeller, behauptet, das „religiöse Gefühl“
erzeuge nach der einen Seite „die Vorstellung des Göttlichen“, wie es nach der
anderen „die Quelle eines eigenthümlichen Handelns“ sei (Vgl. Zeller 1845,
410). Das klingt wie eine vulgärtheoretische Repetition Schleiermacherscher
Überlegungen. Und was dann an Zellers Impetus, die, wie er schreibt,
„schwierige Mittelstrasse zwischen Intoleranz“, die sich an „dogmatischen
Unterschiede[n]“ allzu sehr aufhält, und dem „Indifferentismus“, dem nur an
der Erzeugung guter sittlicher Handlungen liegt, „zu finden“ (vgl. Zeller 1845,
417), im Vergleich zu Schleiermacher weniger liberal vermittelnd sein soll, das
bleibt unklar.
119 Zeller (1845), 403.
120 Zeller (1845), 406.
Eduard Zeller als Theologe 235
seln.121 Hier lässt von Ferne Hegels Lehre vom absoluten Geist grüßen.
Entsprechend bekommt Schleiermachers Religionstheorie einen hege-
lianisierenden Tritt versetzt. Es sei nun eben so, dass „in der religiösen
Vorstellung eine Unangemessenheit der Form gegen den Inhalt“ bleibe,
die „sich an ihr selbst in den Widersprüchen der einzelnen Vorstel-
lungen zur Erscheinung“ bringe122. Ob diese reichlich viereckig wir-
kenden Zuordnungen von konsistentem intellektuellem inneren Grund
und empirischen Gefühls-Bedingungen religionstheoretisch und ge-
schichtstheoretisch belastbar sind, darf gefragt werden. Um nur ein
Problem zu benennen: Das Denken wird schwerlich als innerer Grund
über den historistischen Genesewassern des Gefühls schweben. Das ist
eine etwas matte Religionstheoriebildung für den politisch-historisch
klug und vehement agierenden Zeller. Für die letztgenannte Dimension
seines Handelns steht ein äußerst bemerkenswerter Text aus seiner
Feder gut, den er im Revolutionsjahr 1848 raffiniert platzierte.
Es war die Kirchenkritik von David Friedrich Strauß, die Zeller maß-
geblich inspirierte. Dass Strauß gleich die „Möglichkeit einer Kirche in
unserer Zeit … in Frage“ gestellt hat, hat Zeller seinerzeit elektrisiert.
Nicht nur, wie die Kirche sach- und zeitgemäß zu gestalten sei, sei die
Frage. Fraglich sei vielmehr, ob es überhaupt eine geben müsse und
solle. Den entsprechenden sehr knapp gehaltenen Abschnitt der
Straußschen Glaubenslehre hat Zeller für „den allerbedeutensten des
ganzen Werkes“ gehalten. In jenem Passus urteilt Strauß: „Absolute
Trennung von Kirche und Staat“ sei die Forderung, der Zerfall der
Kirche die Konsequenz. Wer nicht „bei einer Kirche als Himmels-
bürger eingeschrieben“ sei, vermöge dennoch „ein guter Staatsbürger“
zu sein. Der „moderne Staat“ sei durch seine bloße Existenz eine
„Protestation gegen die Berechtigung der Kirche“. Diese Argumenta-
tion beeindruckte Zeller. Er teilte allerdings nicht die Behauptung, das
Ende der Institution Kirche sei unausweichlich. Zwingend ist für ihn
nur eins: Die Religion müsse „im freien Geist der Zeit umgestaltet und
auf ihre wahre … praktische“ Bedeutung zurückgeführt werden. Wer
„System, sondern eine ganze Reihe von Systemen“ und werde niemals
über die Betriebsgröße einer „einzelnen Landeskirche“ hinauskommen.
Diese „Bürgschaften“ seien jedoch zu schwach, um die „Freiheit der
Forschung“, die doch „sosehr im protestantischen Princip“ liege, zu
garantieren. Das mag für Argumentationsfiguren dieser Tage ein be-
merkenswertes Urteil sein. Für Zeller drückt sich evangelischer Geist in
der Forschungsfreiheit aus. Diesem politisch liberal tönenden Ansinnen
korrespondiert nun nicht etwa wie bei Schleiermacher ein dem evan-
gelischen Prinzip des Priestertums aller Glaubenden korrespondierendes
Plädoyer für eine Synodalverfassung.128 Zeller sieht das aus Angst vor
tumultarischer ekklesiogener theologischer Inkompetenz ganz anders.
Eine württembergische Synode, in der das Urteil kleingeistiger
Frömmler zähle, sei nicht das richtige Entscheidungs- und Leitungsor-
gan. Fehlende Hierarchie sorge überhaupt nicht schon für For-
schungsfreiheit. Äußerst kritisch gegenüber einer Partizipationstheorie
beklagt Zeller, es sei hohe Mode geworden, „die Hauptstimme in
kirchlichen Dingen in die Hand der Gemeinde zu legen“. Das aber sei
ein schwerer Fehler. Denn dann werde „die theologische Wissenschaft
… ihre Richtung von der Masse der Gemeindemitglieder erhalten“.
Und die „unwissenschaftliche Menge“ werde so „über die Wissenschaft
zu Gericht sitzen“.129 Das ist für Zeller offenbar ein Katastrophensze-
nario wahrhaft apokalyptischen Ausmaßes. Denn dann werde das
„kirchliche Bewusstsein, mit Einem Wort die Vorstellungsweise der
Menge zum Schreckbild der fortschreitenden Theologie“ und „zum
Maasstab des in der Kirche Zulässigen gemacht“.130 Das könne nicht
angehen. Die „Mehrheit der protestantischen Bevölkerung in
Deutschland“ stehe nun einmal nicht „auf der Bildungsstufe …, um
eine freie theologische Wissenschaft begreifen und ertragen zu kön-
nen.“131 Zeller fragt erregt: „Welches Heil kann aber hieraus für die
Wissenschaft hervorgehen“? 132 Niemals dürften „die Volksvorstellun-
gen in dieser ihrer Unmittelbarkeit die Norm für Wissenschaft“ abge-
ben. Das sei so absurd wie Astronomen zu nötigen, über ihre For-
schungsergebnisse Bauern und Hirten Gericht sitzen zu lassen. Sei es
VII. Schlussbemerkung
Was stellt Zeller in der theologischen Landschaft des 19. Jahrhunderts als
,Theologe‘ dar? Sehr viel weniger, so wird man sagen müssen, als er als
Altphilologe und Philosophiehistoriker darstellen würde. War er als
Theologe wirklich der letzte Römer? Sein religionsphilosophischer und
historischer Impetus in jüngeren Jahren ist eigentlich ganz unrömisch. –
Da waren Feuerbach und Strauß in ihrer Mentalität viel römischer.
Haben Feuerbach und Strauß jeder auf seine Weise wie eine römische
Fernstrasse es mit den Hindernissen aufgenommen, sie schnurgerade
überwunden und durchkreuzt, so verfährt Zeller bei aller rhetorischen
Schärfe zuletzt doch wie ein mittelalterlicher Fernweg, der die Hin-
dernisse umgeht und vermittelt, sich den neuen Strömungen nicht in
den Weg stellt, nach dem Mittleren sucht, immer auch hier und da den
Positionen in bemerkenswerter Umständlichkeit Wahres abgewinnen
kann und jeden Ort, der sich nur haben lässt, auf seinem Argumenta-
tionsweg mitnimmt, also auch Gefühl, auch Rationalität, auch Kritik,
auch Kirchenschelte, auch Kirche, auch Pastoraltheologie; ein bisschen
Schleiermacher – mehr als freilich zugegeben, entschieden mehr Strauß,
ein wenig Feuerbach, Kritik negativ nicht nur, sondern positiv zugleich,
das aber mit seinem Lehrer Baur im Rücken. Er will historisch pur
arbeiten, nimmt zugleich aber religionsphilosophische Anleihen bei
Hegel und Schleiermacher; Zeller, dieser polemische Ireniker, war ein
Literaturhinweise
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Schleiermacher (1977): Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Hermeneutik und
Kritik. Mit einem Anhang sprachphilosophischer Texte Schleiermachers,
hg. von M. Frank, Frankfurt/M.
I.
Im Jahre 1895 erscheint der erste Band des „Archiv für systematische
Philosophie. In Gemeinschaft mit Wilhelm Dilthey, Benno Erdmann,
Christoph Sigwart, Ludwig Stein und Eduard Zeller herausgegeben von
Paul Natorp“. Eduard Zeller leitet diesen Band mit einem Aufsatz ein,
der den Titel trägt Metaphysik als Erfahrungswissenschaft. Es sollte Zellers
einziger Beitrag in dieser Zeitschrift bleiben, ein Beitrag, den heute
wohl kaum einer kennt und auf den, soweit ich sehe, in der späteren
Diskussion auch nicht Bezug genommen wird, und das wohl zu Recht.
Die Begriffe der Metaphysik, schreibt der Kenner Platons und auch
Kants, seien nur allgemeinste Abstraktionen aus der Erfahrung. Über
deren Status sich klar zu werden bedeute, sie als bloße Hypothesen zu
verstehen, die sich in der empirischen Erfahrung zu bewähren haben,
mit der als einem, wie Zeller sagt, „gesicherten Tatbestand“ das aus
ihnen Gefolgerte „übereinstimmen müsste“.1 Einen unverhohlenen
Positivismus haben wir hier.
Sieben Jahre zuvor, im Jahre 1888, war der erste Band des Archiv fðr
Geschichte der Philosophie erschienen, „in Gemeinschaft mit Hermann
Diels, Wilhelm Dilthey, Benno Erdmann und Eduard Zeller heraus-
gegeben von Ludwig Stein“. Auch diese Zeitschrift hat Zeller mit
einem Aufsatz eröffnet, der den Titel trägt: Die Geschichte der Philosophie,
ihre Ziele und Wege. Es ist nahezu dasselbe Herausgebergremium, nur
dass im „Archiv für systematische Philosophie“ der Philologe Diels
durch den Systematiker Sigwart ersetzt worden ist und der federfüh-
rende Herausgeber Ludwig Stein, ein Schüler Zellers, in das Heraus-
II.
III.
entwickeln, die nicht Rückkehr zu den Alten sein kann und die der
Historiker nüchtern in deren Differenz zu beschreiben hat.
Dass der Historiker der Philosophie im Aufzeigen von Zusam-
menhängen sachorientiert bleiben muss und die Eigenständigkeit einer
jeweiligen Theorie herauszuarbeiten hat, hat Zeller, mein dritter Punkt,
sehr schön gezeigt an der Erörterung des Verhältnisses von Leibniz zu
Geulincx in seinem 1884 veröffentlichte Aufsatz ber die erste Ausgabe
von Geulincx’ Ethik und Leibniz’ Verhltnis zu Geulincx’ Occasionalismus. 19
Mit ihm greift er in eine Debatte ein, die darum kreiste, Leibniz vor
einem Plagiatsvorwurf zu bewahren. Leibniz habe, so lautete der
Vorwurf, sein berühmtes Gleichnis von den beiden gleichlaufenden
Uhren, die weder einen Kausaleinfluss aufeinander haben noch eines sie
reparierenden Uhrmachers bedürfen, mit dem er sein System einer
prästabilierten Harmonie illustriert hat, der „Ethik“ des niederländi-
schen Occasionalisten Geulincx entnommen, ohne dies anzugeben.
Nun ist das Werk Ethik erst nach dem Tode seines Verfassers erschie-
nen, der zu Lebzeiten nur deren erstes, allerdings wichtigstes Buch unter
dem Titel De virtute veröffentlicht hat. Weil dort das Uhrengleichnis
noch nicht genannt wird, gab es Versuche, Leibniz vom Vorwurf des
Plagiats so rein zu waschen, dass man unterstellte, er habe nur den
Traktat über die Tugend gelesen, das später veröffentlichte ganze Werk
aber nicht und deshalb das Uhrengleichnis gar nicht kennen können. In
diese Debatte greift Zeller in der Weise ein, dass er nicht die möglichen
oder wahrscheinlichen subjektiven Quellen von Rezeption untersucht,
sondern auf die Sache selbst eingeht, indem er darlegt, was Geulincx auf
der Basis seiner Philosophie mit seinem Uhrengleichnis überhaupt hat
illustrieren können. Und er kommt zu dem überzeugenden Ergebnis,
dass mit ihm ein Sachverhalt illustriert wird, der sich von Leibnizens
Theorie des Verhältnisses von Seele und Körper, in Bezug worauf
Leibniz das Uhrengleichnis heranzieht, grundlegend unterscheidet, und
dass Leibniz deshalb von der Sache her, subjektive Kenntnis der Quelle
hin oder her, auf Geulincx gar nicht hat Bezug nehmen müssen. Das ist
Sachanalyse, die die Analyse einer historischen Position nicht unter die
Idee eines Einheit stiftenden organischen Zusammenhangs zwingt und
auch nicht von der Idee eines einheitlichen menschlichen Geistes Ge-
brauch macht.
Erwähnt sei noch, dass Zellers Schüler Stein, der Herausgeber des
Archiv fðr Geschichte der Philosophie, in Band 1 und 2 dieser Zeitschrift
IV.
Worum es dem späten Zeller unverändert geht, ist der Aufweis histo-
rischer Zusammenhänge in der Vielfalt hier greifender Einzelheiten, die
einen Zusammenhang haben, ohne dass man ihn von einem Telos her
denken müsste. Aufgabe des Philosophiehistorikers ist es, schreibt Zeller
zu Beginn seines Einleitungsaufsatzes,20 nicht nur über das Geschehene
zu berichten, sondern es auch zu erklren. Erklären bedeutet über das
bloße Berichten hinaus, dass man den Ursachen21 des Geschehens
nachgeht und „durch die Erkenntnis [dieser Ursachen] das Einzelne in
einen umfassenderen Zusammenhang einreiht“.22 Ursachen, die unab-
hängig von dem Historiker bestehen, zu erkennen, um kraft des Er-
kennens das Einzelne zu erklären, verlangt aber eine Vielfalt möglicher
Ursachen anzuerkennen, die im Erkennen nicht aus dem Blick geraten
dürfen. Ursache einer philosophischen Theorie, die der Historiker über
einen bloßen Bericht hinaus zu erklären hat, ist zunächst, so sollte man
meinen, der Autor, der sie verfasst hat. Diese Ursache zu erforschen,
etwa über das uns überlieferte Selbstverständnis des Autors, wie er zu
seiner Theorie gekommen ist, was ihn sonst noch beeinflusst hat, was er
mit seiner Theorie hat zeigen wollen und schließlich wie sie dem
Selbstverständnis des Autors nach zu lesen ist, das ist für Zeller aber nur
Psychologie. Ein solcher „biographisch-psychologische[r] Pragmatis-
mus“, wie er sagt, helfe nicht sehr weit, kann er doch „immer nur über
die nächsten Entstehungsgründe der Systeme belehren“, während „die
entfernteren und allgemeineren […] ununtersucht“ blieben.23 Was soll,
so ließe sich fragen, eine solche Form von Ursachenerforschung, die auf
das weiter entfernt Gelegene abstellt? Hume hat mich aus dem dog-
matischen Schlummer erweckt, sagt Kant, und die Lektüre von
Rousseau hat mich zurechtgerückt und von einem Dünkel befreit, sagt
er ebenfalls. Aber, nehmen wir nur Hume, hinter Hume steht Berkeley,
hinter Berkeley Locke, und hinter diesem Descartes, hinter dem die
Scholastik steht und somit irgendwie auch Aristoteles in christlicher
oder arabisierter Form. Sollen wir das alles erforschen, um die kantische
Theorie nicht nur zu referieren, sondern auch sachgerecht erklären zu
können? Das meint Zeller natürlich nicht.
Worauf er abhebt, ist, die Geschichte der Philosophie nicht nur als
eine „Geschichte der Philosophen“ anzusehen,24 sondern in den un-
terschiedlichen Systemen, die in Fragestellung und Durchführung ihres
Programms zum Teil ganz verschieden sind, ein Gemeinsames zu sehen,
das es erlaubt, bei allen Unterschieden von einer Geschichte der Phi-
losophie zu sprechen, die nur eine ist, weil sie in der geschichtlichen
Kontinuität eine Einheit hat. Hegel hat Locke für einen Unphilosophen
gehalten, was dieser unter Idee (idea) versteht, sei Barbarei; die wenigen
Transzendentalphilosophen heute halten Wittgenstein für die Verab-
schiedung von Philosophie; Analytiker machen sich lustig über Ver-
suche philosophischer Letztbegründung. Demgegenüber versucht Zeller
die unterschiedlichen Philosophien als eine Einheit historisch zu retten.
Seinem Programm der Philosophiegeschichtsschreibung legt er deshalb
zu Grunde, „dass alles, was die Einzelnen gedacht, versucht und geleistet
haben, so mannigfaltig es ist und so vielfach es sich im besonderen
widerstreiten mag, doch eine geschichtliche Einheit bilde“. Und er fährt
fort:
diese Einheit ist keine bloß ideelle […], sondern es stellt sich durch die
Einwirkung der Einzelnen auf einander unter ihnen ein realer Zusam-
menhang her […]; was bei oberflächlicher Betrachtung nur ein Gewirre
einzelner Personen und Meinungen zu sein schien, zeigt sich bei genauerer
Bibliographie
Leuze (1910): Otto Leuze (Hg.), Eduard Zellers Kleine Schriften, 3 Bde., Berlin.
Ehrhardt (1967): Walter E. Ehrhardt, Philosophiegeschichte und geschichtlicher
Skeptizismus, Bern.
Schneider (2007): Helmut Schneider, „System und Geschichte der Philosophie
bei Hegel“, in: D. Heidemann u. C. Krijnen (Hgg.), Hegel und die Ge-
schichte der Philosophie, Darmstadt.
Geldsetzer (1968): Lutz Geldsetzer, Die Philosophiegeschichte im 19. Jahrhundert,
Meisenheim.
Zeller (1910a): Eduard Zeller, „Die Geschichte der alten Philosophie in den
letztverflossenen 50 Jahren“, in: Otto Leuze (Hg.), Kleine Schriften, Bd.1,
Berlin, 1 – 85.
Zeller (1910b): Eduard Zeller, „Wie soll man Geschichte der Philosophie
schreiben?“, in: Kleine Schriften, Bd.1, Berlin, 86 – 99.
Zeller (1910c): Eduard Zeller, „Zum Jubiläum der Kritik der reinen Vernunft“,
in: Kleine Schriften, Bd.1, 239 – 251.
260 Wolfgang Bartuschat
Zeller (1910d): Eduard Zeller, „Über die erste Ausgabe von Geulincx’ Ethik
und Leibniz’ Verhältnis zu Geulincx’ Occasionalismus“, in: Kleine Schriften,
Bd.1, 299 – 327.
Zeller (1910e): Eduard Zeller, „Die Geschichte der Philosophie, ihre Ziele und
Wege“, in: Kleine Schriften, Bd.1, 410 – 418.
Zeller (1910 f): Eduard Zeller, „Über Metaphysik als Erfahrungswissenschaft“,
in: Kleine Schriften, Bd. 2, Berlin, 553 – 565.
Eduard Zeller und Hermann Diels
Wolfgang Rçsler
Ich beginne mit zwei Zitaten. Beide sind Vorworten Zellers zu seiner
Geschichte der griechischen Philosophie entnommen. Das erste Zitat findet
sich im Vorwort zum ersten Halbband des ersten, den Vorsokratikern
gewidmeten Teils, und zwar in der fünften, der letzten von Zeller selbst
besorgten Auflage (1892; das Vorwort ist von 1891):1
In den fünfzehn Jahren, die seit dem letzten Erscheinen dieses Bandes
verflossen sind, hat die wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiete der
vorsokratischen Philosophie nicht geruht; und es ist kein Teil desselben,
auf dem man sich nicht, bald in weiterem, bald in beschränkterem Umfang,
bemüht hätte, neues Quellenmaterial nutzbar zu machen oder dem längst
benützten neue Ergebnisse und Gesichtspunkte abzugewinnen. Mir würde
schon die E i n e bahnbrechende Untersuchung der Dielsschen Doxogra-
phie die Verpflichtung auferlegt haben, in allen den Fällen, in denen wir
auf die alten Doxographen und die von ihnen abhängigen Berichte an-
gewiesen sind, sorgfältig zu untersuchen, ob und inwiefern die durch
dieselbe gewonnene Einsicht in den Ursprung und Charakter jener Be-
richte meinen bisherigen Annahmen zur Berichtigung, Bestätigung oder
Vervollständigung zu dienen geeignet sei.
Das zweite Zitat stammt aus dem Vorwort zum zweiten Halbband des
dritten Teils, in dem die zweite Hälfte der nacharistotelischen Philo-
sophie, vor allem der Neuplatonismus, dargestellt wird; hier handelt es
sich um die überhaupt letzte, die vierte Auflage von 1903 (das Vorwort
ist von 1902):2
Es sind jetzt gerade fünfzig Jahre verflossen, seit meine Geschichte der
griechischen Philosophie in ihrer ersten Auflage durch das Erscheinen des
letzten Bandes zum Abschluss kam. Wenn mir damals jemand gesagt hätte,
dass ich nach einer so langen Zeit nicht allein immer noch unter den
Lebenden weilen, sondern auch den eben erst fertig gewordenen Theil
meines Werkes noch einmal zu bearbeiten haben werde, so wäre ich ohne
Zweifel sehr geneigt gewesen, ihn für einen falschen Propheten zu halten.
Da nun aber dieser unwahrscheinliche Fall doch eingetreten ist, habe ich
mich selbstverständlich bemüht, das Buch, dessen dritte Auflage vor
6 Diese sind verloren, lagen aber Diels’ Biographen Otto Kern vor, der ver-
schiedentlich daraus zitiert. Das Folgende bei Kern (1927), 37.
7 Diels (1908), 27.
8 Zum Folgenden vgl. Rösler (2009). Die dort gegebene Darstellung der Schul-
und Studienzeit von Diels sowie der Arbeit an den Doxographi ist hier zugrunde
gelegt.
264 Wolfgang Rösler
herauszugeben. Jener habe den Diogenes übernommen und die dazu ge-
hörigen Kollationen bereits in Italien beschafft; er selbst habe die Bear-
beitung der Placita angefangen und die Kollationen zu Galen, Stobäus und
Johannes Damascenus, die Wachsmuth ebenfalls besorgt, hier liegen. ,Ich
selbst,‘ fuhr er fort, ,bin mit anderen Dingen noch auf Jahre beschäftigt.
Wollen Sie vielleicht die Bearbeitung der Quellenfrage übernehmen, wie
sich die drei Placitasammlungen Plutarch, Stobäus (Damascenus) und Galen
zueinander verhalten?‘ Ich war zunächst betroffen. Dann sagte ich: ,Wenn
Sie mir dies zutrauen, dann bin ich bereit, die Sache zu versuchen.‘ So
packte er mir die Stobäuskollationen ein. Ich zog hochbeglückt nach
Hause. Die Geburtsstunde der Doxographi war erschienen!
Worum es hierbei geht, lässt sich am besten in der Weise erläutern, dass
die Ergebnisse mit einbezogen werden, die Diels dann bei der Wei-
terarbeit an diesem Material erzielte, und zwar zunächst vorläufig bei
der Bearbeitung einer entsprechenden, von der Bonner Philosophischen
Fakultät gestellten Preisaufgabe, die Usener mit Blick auf Diels initiiert
hatte, und dann in dem monumentalen daraus hervorgegangenen Werk,
den 1877 abgeschlossenen und 1879 erschienenen Doxographi Graeci. Es
geht dabei um etwas, was uns Heutigen unmittelbar plausibel ist: dass
eine immer unübersichtlicher werdende Buchkultur dahin tendiert,
Einführungen und Kompendien hervorzubringen, in denen knapp zu-
sammengefasst wird, was sich sonst der Einzelne in zeitraubender
Lektüre der Originalwerke erarbeiten müsste. Die (mit griechischer
Bezeichnung) areskonta, (mit lateinischer) placita sind die kondensierten
Lehrmeinungen der Philosophen (in wörtlicher Übersetzung: „das, was
ihnen gefiel“). Es gibt nun aus der Antike, vor allem der Spätantike,
eine Reihe solcher Sammlungen, und aus Diels’ Referat der Vorlesung
Useners geht bereits hervor, dass Usener in einem Punkt vorwegnahm,
was Diels dann ausarbeitete: dass diese Tradition auf ein Werk des
Aristoteles-Schülers Theophrast (ca. 371 – ca. 287) zurückzuführen ist,
die „Meinungen der Naturphilosophen“ (Physikon doxai). Auch brachte
Usener bereits „die drei Placitasammlungen Plutarch, Stobäus (Da-
mascenus) und Galen“ in einen Zusammenhang. Doch erst Diels
konnte zeigen, dass die Epitome im Corpus von Plutarchs Moralia (2. Jh.
n. Chr.) und die Eclogae physicae des Johannes Stobaios (5. Jh. n. Chr.) auf
ein und dieselbe Quelle zurückgehen. Diese Schrift, als deren Autor
Diels einen gewissen Aetios erschloss, ließ sich solchermaßen rekon-
struieren und edieren. Die Edition ist das Herzstück der Doxographi
Graeci. Johannes Damascenus, den Usener in der Vorlesung mit Ni-
kolaos Damascenus verwechselt hatte, taucht unter den genannten
Autoren nur deswegen auf, weil ein Teil der Eclogae des Stobaios
266 Wolfgang Rösler
11 Näheres bei Gerhardt, Mehring u. Rindert (1999), 95 ff. Vgl. Diels (1908), 33.
12 Weniger scheint direkter Kontakt mit Usener in Betracht zu kommen. Der
erhaltene Briefwechsel zwischen Usener und Zeller setzt erst 1879 ein (Ehlers
1992, II 399), wobei die Briefe bei aller Freundlichkeit sehr förmlich sind; der
erste Brief Useners schließt im Grunde aus, dass ein persönlicher Kontakt
vorausgegangen war.
13 Die Aufgabenstellung im Wortlaut bei Kern (1927), 54: „Plutarchi qui feruntur
libri peq· t_m !qesjºmtym to?r vikosºvoir quomodo et quando scripti sint,
inquiratur, quae ratio inter eam compilationem similesque alias intercedat,
exponatur, qui auctores qua ratione a compilatore adhibiti sint, determinetur.“
268 Wolfgang Rösler
Bibliographie
Diels (1904): Hermann Diels, [Ansprache], in: Vom neunzigsten Geburtstag
Eduard Zellers. 22. Januar 1904 (Privatdruck), Stuttgart, 12 – 13.
Diels (1908): Hermann Diels, Gedchtnisrede auf Eduard Zeller (Abhandlungen
der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-
Historische Classe. 1908), Berlin.
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Gerhardt, Mehring u. Rindert (1999): Volker Gerhardt, Reinhard Mehring u.
Jana Rindert, Berliner Geist. Eine Geschichte der Berliner Universittsphilosophie
bis 1946, Berlin.
Kern (1927): Otto Kern, Hermann Diels und Carl Robert ( Jahresbericht über die
Fortschritte der Klassischen Altertumswissenschaft, Supplementbd. 215),
Leipzig.
Nietzsche (1975): Friedrich Nietzsche, Briefe. September 1864 – April 1869
(Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino
Montinari, 1. Abt., 2. Bd.), Berlin u. New York.
Rösler (1999): Wolfgang Rösler, „Hermann Diels und Albert Einstein: die
Lukrez-Ausgabe von 1923/24“, in: Hermann Diels (1848 – 1922) et la science
de l’antiquit¤ (Entretiens sur l’Antiquité Classique, Bd. 45), Genève, 261 –
294.
Rösler (2009): Wolfgang Rösler, „Hermann Diels und die Fragmente der
Vorsokratiker“, in: Annette M. Baertschi u. Colin G. King (Hgg.), Die
modernen Vter der Antike. Die Entwicklung der Altertumswissenschaften an
Akademie und Universitt im Berlin des 19. Jahrhunderts (Transformationen der
Antike, Bd. 3), Berlin u. New York [im Erscheinen].
Torstrik (1871): Adolf Torstrik, Zur Frage des Nachmittags-Unterrichtes, Bremen.
Zeller (1878): Eduard Zeller, „Mittheilungen über die von der Kgl. Akademie
unternommene Ausgabe der griechischen Commentare zu den aristoteli-
schen Schriften“, in: Monatsberichte der Kçniglich-Preussischen Akademie der
Wissenschaften zu Berlin 1878 (1879), 404 – 406.
Zeller (1903): Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen
Entwicklung, 3. Teil, 2. Abteilung: Die nacharistotelische Philosophie, 2.
Hälfte, 4. Aufl., Leipzig.
Zeller (1919): Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen
Entwicklung, 1. Teil, 1. Abteilung: Allgemeine Einleitung. Vorsokratische
Philosophie, 1. Hälfte, 6. Aufl., Leipzig.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles
Eckart Schðtrumpf
1 Zeller (1856 – 68). Die einzelnen Bände dieses Werks wurden von Zeller für
mehrere Neuauflagen überarbeitet.
2 Jaeger (1923). Die zweite Auflage von 1955 unterscheidet sich von der ersten
nur in einigen der englischen Übersetzung entnommenen Nachträgen. Ich
werde nach der 1. Auflage zitieren.
3 Jaeger (1912), 9 Anm. 3 und öfter.
4 Die Verbindung von „Philosophie“ mit dem Adjektiv „geschichtlich“ im Titel
von Zellers Werk scheint unbedenklich, und doch war die Zusammenziehung
beider zu dem einen Wort „philosophiegeschichtlich“ ein mutiger Schritt. In
dem Beitrag Zellers, mit dem er im Jahre 1888 den 1. Band des neugegründeten
Archiv fðr Geschichte der Philosophie eröffnete („Die Geschichte der Philosophie,
ihre Ziele und Wege“), sprach er von der „Verknüpfung von philologischer
und philosophiegeschichtlicher Forschung“ und bittet in einer Fußnote: „Man
verzeihe das ungebräuchliche Wort (d. i. philosophiegeschichtlich, Anmerkung
E.S.), dessen Fehlen sehr unbequem ist, und das der Sprachanalogie nicht
weniger entspricht als „kunstgeschichtlich,“ „literaturgeschichtlich,“ „kir-
chengeschichtlich“ u. s. w.“: (1888), 6 mit Anm. 1.
5 So Zeller (1892), Bd. 1, Teil 1, 21.
276 Eckart Schütrumpf
Ausläufern mehr noch ihrer inneren Erschöpfung als der äusseren Ge-
walt“ erlag,6 also „Geschichte“ der Philosophie in diesem weiten
Rahmen, den sich Zeller setzte, macht Sinn. Ebenso könnte man sich
für Jaegers im Thema sehr viel begrenztere Studie sehr gut als Titel etwa
„Aristoteles. Darstellung seiner Entwicklung“ denken. Aber ist „Ge-
schichte“ angewandt auf den individuellen Werdegang einer Person,
wie in dem Titel Jaegers, dann nicht doch etwas hochgegriffen oder
etwas zu dramatisch? Unsere Untersuchung wird zeigen, dass dieser
Verdacht in die falsche Richtung geht. Es wird aber auch deutlich
werden, dass schon Zeller die beiden Konzeptionen, die in den un-
terschiedlichen Titeln zum Ausdruck kommen, nämlich die „Ge-
schichte der Philosophie“ und „Geschichte eines bestimmten Philoso-
phen“ gegenübergestellt und in ihrer Bedeutung für das Verständnis von
Philosophie unterschiedlich bewertet hat.
Jedenfalls ist der Unterschied in dem, was sich hinter den beiden
Titeln verbirgt, bezeichnend. In Zellers Darstellung der Philosophie der
Griechen in ihrer Geschichtlichen Entwicklung ist die zweite Abteilung des
zweiten Teils Aristoteles und den alten Peripatetikern gewidmet.7 Zeller
meint, dass das, was uns von Aristoteles erhalten ist, während des
zweiten Aufenthalts des Aristoteles in Athen wenn nicht verfasst, so
doch überarbeitet wurde.8 Wenn es je eine Entwicklung des Aristoteles
gegeben hat, so ist sie uns in Zellers Verständnis der Entstehung des
aristotelischen Corpus eigentlich nicht mehr fassbar, da wir von Ari-
stoteles nur das besitzen, was das „telos“ seiner Entwicklung darstellt,
und nichts scheint doch aristotelischer Philosophie mehr gerecht zu
werden als eben dieser Zustand der Dinge, bei dem uns nur das Werk
der Reifezeit erhalten ist.9 Das Gegenteil trifft bekanntlich für W.
Jaegers Aristotelesdeutung zu, in dessen Buch von 1923 einzelne Kapitel
die Überschriften tragen: Die Jugendwerke 10 oder Die Urmetaphysik 11 oder
Die Urethik 12 oder Die Urpolitik. 13 Von den 434 Seiten des Jaegerschen
Werkes sind gerade 61, d. h. weniger als ein Siebtel, der, wie Jaeger sich
ausdrückt,14 „Meisterzeit“ gewidmet, der Hauptteil gilt dem Aristoteles,
von dem nach Zeller keine Quellen überliefert sind. Beabsichtigt oder
nicht – die Darstellung der Philosophie des Aristoteles in Zellers Werk,
das Geschichtliche Entwicklung im Titel trägt, erfährt in Jaegers Geschichte
der Entwicklung eine Kehrtwendung um 180 Grad. Jaegers Bild des
Aristoteles könnte aus diesem und aus anderen Gründen der „Anti-
Zeller“ genannt werden.
Nach dem Erscheinen des II. Teils, 2. Abteilung, von Zellers Werk
in 2. Auflage 1862, der Aristoteles und die alten Peripatetikern be-
handelt, und lange vor Jaegers Aristotelesbuch von 1923 hat es in der
Forschung zur antiken Philosophie Entwicklungen gegeben, die für das
Verständnis und die Deutung von Aristoteles wichtig sind und die
manche von Zellers Auffassungen obsolet machten.
1. Die Sprachstatistik in ihrer Anwendung zur Datierung platonischer
Schriften15
2. Die Identifizierung längerer Abschnitte in Jamblichs Protreptikos als
Exzerpte aus Aristoteles’ Protreptikos durch Ingram Bywater im Jahre
186916
3. Im Hinblick auf die Politik: die Veröffentlichung des Papyrus der
Ath. Pol. in 189117
4. Die Forschungen (P. v.d. Mühll;18 E. Kapp19), die nicht nur die
Eudemische Ethik (EE) Aristoteles zurückgaben, sondern sie als eine
frühe, der Nikomachischen Ethik (EN) vorausgehende Schrift chro-
nologisch einordneten.20
Zwar hat Zeller die einzelnen Ausgaben seines Werkes erheblich
überarbeitet, aber selber eingeräumt, dass dies immer nur begrenzt sein
konnte.21 In unterschiedlichem Zusammenhang spielen alle genannten
Entdeckungen oder Erkenntnisse eine Rolle für die Art und Weise, in
der Jaeger zu den Vorgängern, besonders zu Zeller, Stellung bezog.
In diesem Beitrag werde ich zunächst die Verweise auf Zeller, die
sich in Jaegers Aristotelesmonographie von 1923 finden, besprechen. In
einem zweiten Teil werde ich programmatische Bemerkungen Zellers
zur Darstellung des Denkens von Philosophen aus dem Jahre 1888
denjenigen Jaegers in der Einleitung zu seinem Aristotelesbuch von
1923 und den Grundsätzen, denen er in diesem Buch folgte, gegen-
überstellen.
Ich beginne mit EE: In dem Kapitel „Die Urethik“, in einem
Rückblick über die Entwicklung der Forschung zu EE, erwähnt Jae-
ger22 zuerst die These Ed. Spengels, dass Eudemos von Rhodos die EE
nicht etwa nur herausgegeben, sondern sie auch in enger Anlehnung an
EN verfasst habe.23 Jaeger verweist darauf, dass man als Unterschied
zwischen den beiden Ethiken auch die theologische Ausrichtung in EE
notierte. Er bemerkt: „Vor allem aber fand man die theologische Be-
gründung der Moral in der Eudemischen Ethik nicht vereinbar mit dem
Bild, das man sich von Aristoteles machte.“24 Hinter dem unbestimmten
Pronomen „man“ verbirgt sich, wie die Anm. 1 verrät, Zeller, der nun
die EE nicht etwa in seinem Kapitel über Aristoteles behandelt hatte,
sondern dem über Eudemos,25 den er, wie zuvor Spengel, für den
Verfasser von EE ansah. Jaeger äußert im Text berechtigte Zweifel, ob
mir unmöglich, die neue Auflage desselben früher erscheinen zu lassen. Auch
jetzt war mir aber die Zeit nicht so reichlich zugemessen, als für die erschöp-
fende Bewältigung meiner Aufgabe zu wünschen gewesen wäre. Die aristo-
telischen Schriften und Lehren bieten nicht allein an sich selbst, so oft man
wieder auf sie zurückkommt, immer neuen Anlass zu Fragen, auf welche die
Antwort oft schwer zu finden ist; sondern sie haben auch in den siebzehn
Jahren, welche seit dem Erscheinen meiner zweiten Auflage verflossen sind, so
viele and theilweise so werthvolle Erörterungen hervorgerufen, dass ich mir das
wiederholte Studium dieser Literatur zwar selbstverständlich zur Pflicht machen
musste, dass aber eine vollständige Berücksichtigung derselben weit über die
Grenzen hinausgeführt hätte, die ich meiner Arbeit zu stecken genöthigt war.
So weit Raum und Zeit es erlaubten, habe ich mich bemüht, für sie zu be-
nützen, was zu ihrer Ergänzung, Berichtigung und Erläuterung dienen konn-
te.“
22 Jaeger (1923), 237.
23 Die Überlegenheit der EN liess nur den Schluss zu, dass Aristoteles nicht auch
der Autor auch der EE sein konnte. „Die Verschechterung hatte also der
Schüler verschuldet“, Jaeger (1923), 238.
24 Jaeger (1923), 238.
25 Zeller (1963), Bd. 2, Teil 2, 874 – 881.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 279
denn die Religiosität des Eudemos so gut bezeugt ist. Er stellt Eudemos’
mutmaßliches Werk über die Theologie in eine Reihe mit seinen Ar-
beiten zur „Geschichte26 der Mathematik und Astronomie“, den Cey-
letqija· bzw. )stqokocija· Zstoq¸ai, und statt die antiken Belege zu
geben, beruft sich Jaeger einfach auf eine Fußnote bei Zeller.27 In der
Aufarbeitung der antiken Quellen zur Zusammenstellung der Werktitel
des Eudemos ist für Jaeger Zeller immer noch eine verlässliche Quelle.28
Bei Jaeger hat das Kapitel Die Urethik einen Unterabschnitt: Die
Eudemische Ethik und das Problem der exoterischen Schriften. 29 Am Eingang
des 2. Buches der Eudemischen Ethik wird eine Unterteilung von Gütern
entwickelt und dann wird hinzugefügt: „wie wir auch in den exoterischen
logoi die Unterscheidung vornehmen.“30 Jaeger31 gibt die komplizierte
Deutung, die Zeller in einem Aufsatz im Hermes 32 vorgelegt hatte,
wieder und bemerkt trocken: „Wie Eudemos aber dazu kommen sollte,
in der ersten Person (diaiqo}leha) von einer Schrift des Aristoteles (den
exoterikoi logoi, E.S.) zu sprechen, bleibt bei dieser Auffassung unklar“
(259). Er sieht einen „unlösbaren Widerspruch“ darin, dass in dem Zitat
von EE 2.1 für eine auch anderswo von Aristoteles vorgetragene
Auffassung die auch bei ihm gebräuchliche Form des „wir erklären
(oder Ähnliches) in den exoterischen Schriften“ benutzt wird, aber diese
Schrift von Zeller einem von Aristoteles verschiedenen Autor zuge-
schrieben wird. Die Schwierigkeit für Zeller war in der Tat, dass er EE
als Werk eines Schülers des Aristoteles ansah, der nun auch exoterikoi
logoi verfasst haben soll. Die Originalität seiner eigenen Methode sieht
Jaeger darin, dass er für die Identifizierung des Menschen und das
Verhältnis der beiden Ethiken den Protreptikos als ein „unverrückbares
Kriterium […] der früharistotelischen Ethik […] in Betracht“ zieht.33
Im Übrigen meine ich aber ein Grundmuster in Jaegers Art und
Weise, in seinem Buch von 1923 auf Zellers Philosophie der Griechen zu
verweisen, festgestellt zu haben: wenn Zeller überhaupt in einem Ka-
pitel erwähnt wird, dann meistens gleich am Anfang, häufig nur in einer
Anmerkung, und jeweils nur einmal, um die alte „noch“ von Zeller
befolgte und die neue Methode, die Jaeger anwendet, zu kontrastieren.
Zellers Auffassungen werden als überholt und seine Vorgehensweise als
rückständig hingestellt.
Im ersten Kapitel, „Die Akademie beim Eintritt des Aristoteles“34,
schreibt Jaeger: den Sophistes, „wie de(n) dazugehörige(n) Politikos […]
wird heute niemand mehr als ,elementaren‘ Dialog an den Anfang der
Entwicklung Platons setzen, wie noch Zeller es tat.“ Jaeger beruft sich
dann auf die „grundlegenden Forschungen Campbells“ zur Datierung
des Politikos. Einmal ist typisch für Jaeger das Setzen einer Distanz
zwischen „heute“ und früher, als Zeller „noch“ bestimmte Auffassun-
gen vertrat, also „ein sich Absetzen“. Aber warum hat Jaeger Zeller
überhaupt erwähnt, denn nicht er hat die Frühdatierung des Sophistes
eingeführt, sie war schon von Schleiermacher und Karl Friedrich
Hermann35 begründet worden? Jaeger könnte Zeller vielleicht deswe-
gen erwähnt haben, weil dieser sich besonders, man darf vielleicht
sagen, hartnäckig dem Umdenken, das in der Folge der sprachstatisti-
schen Arbeiten einsetzte, entgegenstellte. In der 4. Auflage des Bandes
seiner Philosophiegeschichte, der Platon gewidmet ist,36 hatte Zeller
sich schon kurz ablehnend dazu geäußert. In seinen Besprechungen zur
Literatur zur antiken Philosophie, die Zeller seit dem 1. Jahrgang des
Archivs fðr Geschichte der Philosophie (1888) Jahr für Jahr lieferte, zum
letzten Male im 13. Band des Jahres 1900, als Zeller das 75. Lebensjahr
überschritten hatte, in diesen Bänden des „Archivs“ hat Zeller dann
sich um Platons Gesetze und die Epinomis nicht genug kümmerte und
Zellers Athetese der Gesetze noch nachwirkte.“43
Zeller hatte in seiner Dissertation von183944 die Gesetze für unecht
erweisen wollen.45 Es ist erstaunlich, dass Jaeger einem so unabhängigen
Geist wie J. Bernays fast 25 Jahre nach Erscheinen der Dissertation eines
jungen Forschers anlastet, er habe sich noch nicht von Zellers Ergeb-
nissen freimachen können. Im Übrigen hat Zeller seine Auffassung dann
doch revidiert.
Bei seiner Behandlung der Gesetze in der 2. Auflage der Philosophie
der Griechen von 185946, also vier Jahre vor Bernays’ Studie zu den
Dialogen, erklärte er diese Schrift für echt,47 ihre Echtheit steht nicht
mehr in Frage.48 Plato habe, so Zeller, die Untersuchung des Ideal-
staates, die er mit dem Kritias begann, abgebrochen, um in den Gesetzen
die Mittel zu untersuchen, deren der Philosoph sich bei seiner Wirk-
samkeit „unter gegebenen Verhältnissen zu bedienen hätte.“49 Später
äußerte er sich zu dieser Frage im Archiv fðr Geschichte der Philosophie
(AGPh 2) 50 : die Gesetze seien nicht von Plato selbst herausgegeben; der
von Plato hinterlassene Entwurf dieses Werkes sei uns nicht unverändert
überliefert.
Im Kapitel über „Die Urpolitik“ sieht Jaeger in der Anspielung auf
die Ermordung König Philipps II von Makedonien im Jahre 336
v. Chr.51 die Bestätigung, „daß D – Z erst in der zweiten athenischen
Epoche geschrieben sind“52 und in der zugehörigen Fußnote verweist er
43 Jaeger (1923), 156 Anm. 2.– Zur Unechtheit der Epinomis, s. Zeller (1963),
Bd. 2, Teil 1, 483. Die Epinomis war in der Tat ein Forschungsinteresse Jaegers,
sein Schüler Fr. Müller verfasste darüber seine Dissertation: Müller (1928).
44 Zeller (1839).
45 Zeller (1839), 134: „Für uns ist sie (die Schrift Gesetze, E.S.) jedenfalls ihrem
ganzen Inhalte nach das Werk eines Andern (als Platon, E.S.).“ Vgl. in diesem
Band den Beitrag von D. Frede.
46 Zeller (1859), Bd.2, Teil 1, 615 – 641.
47 Zeller (1862), Bd. 2, Teil 1, 638 – 641.
48 Zeller (1889), 470 f. führt er als zusätzliches Argument an, dass die Bezeugung
durch Aristoteles die Echtheit der Gesetze bezeuge. Ebd. 461 benutzt Zeller die
Tatsache, dass der Politikos in den Gesetzen „unverkennbar berücksichtigt wird“, als
Argument für die Echtheit dieses Dialogs.
49 Zeller (1859), Bd. 2, Teil 1, 348; dann 619 ff.
50 Zeller (1889), 684.
51 Pol. 5. 10 1311b1 – 3.
52 Jaeger (1923), 279 mit Anm. 2.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 283
auf Zeller,53 der sich u. a. auf dieser Stelle der Politik für seinen Schluss,
dass „die uns erhaltenen Schriften […] alle dem zweiten athenischen
Aufenthalt anzugehören“ scheinen, berufen hatte. Jaeger wendet, m. E.
zu Recht, ein, dass die Frage vielmehr sei, „wie weit die aus ihr zu
ziehende chronologische Folgerung ausgedehnt werden darf.“ Er meint,
nur die Bücher D – Z seien „sicher dem letzten athenischen Aufenthalt
zuzuweisen.“ Jaeger verspricht, dass seine „weitere Untersuchung po-
sitiv erweisen“ werde, „daß das übrige früher entstanden ist.“ Der
Hinweis auf Zeller kennzeichnet eine Methode, die für Jaeger zu un-
differenziert ist, da sie ein Ganzes postuliert, das so nicht existierte.
Jaeger will seinerseits „untersuchen, wie weit sich alte und jüngere
Schichten noch scheiden lassen“54 und, wieder in einer Fußnote,55
bezieht er sich auf einen Gelehrten, der ihm darin vorausgegangen ist:
„der erste, der die Vermutung ausgesprochen hat, dass in der Politik
Schichten verschiedenen Alters übereinander gelagert sind, ist Wi-
lamowitz […], dessen historischer Scharfblick überhaupt zum ersten
Male den Menschen und Politiker Aristoteles in die Entwicklung des 4.
Jahrh. hineingestellt hat.“ Dies bezieht sich auf Wilamowitz’s Buch
Aristoteles und Athen. 56 In doppelter Hinsicht wird Wilamowitz die
bahnbrechende Rolle zugeschrieben, als erster eine Entwicklung verfolgt
zu haben, einmal ist dies die Entwicklung des Autors Aristoteles und
zweitens die des 4. Jahrhunderts, in dem nun der „Mensch und Poli-
tiker“ Aristoteles sichtbar wird. Als Folie, wohlgemerkt, diente Zeller,
der dies noch ignoriert hatte.
Man darf die Leistung, die Jaeger Wilamowitz zuerkennt, nicht zu
gering ansetzen. In seiner Vorrede zu seiner Aristotelesmonographie
von 1923, die den Titel „Das Problem“ trägt, macht Jaeger den Tra-
ditionalismus der Aristotelesdeutung für den Verlust der Dialoge und
Briefe verantwortlich, sodass auch „der Zugang zu seiner menschlichen
Persönlichkeit verschüttet“ wurde.57 Wilamowitz hatte dagegen den
„Menschen“ Aristoteles wieder zugänglich gemacht. Jaeger spricht dort
auch von dem Widerspruch, dass „über Platons Werdegang eine ganze
Literatur zusammengeschrieben ist, (während) von der Entwicklung des
Aristoteles kaum jemand redet und jedenfalls fast niemand etwas
58 Jaeger (1923), 2.
59 Zeller (1896), 538. Vgl. auch ebd. 540 – 543. Zellers Rezension der Veröf-
fentlichung von Zahlfleisch, in der Zeller erwägt, dass „die unfertige Ab-
handlung über den besten Staat“ einfach angehängt wurde. Dies ist richtiger als
Jaegers Auffassung, wonach der Aufbau von Pol. „in dem Entwurf eines Ide-
alstaats […] gipfelt“ und alles sich diesem „krönenden Ziel zu(bewegt)“, (1923),
275 f. Nach EN X 10 1181b20 soll die Behandlung des besten Staates derje-
nigen der einzelnen Verfassungen vorausgehen. Jaeger paraphasiert Wilamowitz
(1893), Bd. 1, 64: „cyclus von vorträgen, der in dem entwurfe eines idealstaates
gipfeln sollte“, ohne seine Quelle zu nennen.
60 Zeller (1893), 404 versteht, dass Ath. Pol. „auch für die Würdigung des Ari-
stoteles als Schriftsteller und Forscher von unschätzbarem Werth ist, aber mit
seiner philosophischen Theorie nur in entfernterem Zusammenhang steht.“
61 Jaeger (1923), 273.
62 Jaeger (1923), 309.
63 Jaeger (1923), 308.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 285
69 Zitat Jaeger (1923), 156 Anm. 2 zum „Fehlurteil“ bei Bernays, das sich daraus
erklärt, dass „Zellers Athetese der Gesetze noch nachwirkte.“
70 Jaeger scheint sich dieses Problems bewusst gewesen zu sein, denn bei Pol. hält
er eine Überarbeitung des ganzen Werks für unwahrscheinlich und fährt fort:
„Wir müssen also untersuchen, wie weit sich alte und jüngere Schichten noch
scheiden lassen“, (1923), 279. Nur ein Werk, in das frühe Abschnitte ohne
Überarbeitung eingegliedert wurden, erlaubt eine solche genetische Analyse.
Ich glaube selber, dass in den 8 Büchern der Politik sich frühe und spätere
Bücher unterscheiden lassen, aber ich operiere nicht mit der Hypothese einer
Überarbeitung dieses Werkes.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 287
* *
*
des Philosophen.“ Die Gegenstände, für die sich Aristoteles auf Platos Dialoge
bezieht, seien „die Naturerklärung und die Staatseinrichtungen […]; und daher
wohl die zahlreichen Anführungen der Republik, der Gesetze und des Ti-
mäus.“ Dagegen: „Von den vielen Stellen platonischer Schriften, denen wir
unsere Kenntnis der Ideenlehre entnehmen, führt Aristoteles nur eine einzige
an.“ Vgl. damit Jaeger (1912), 140 f.: „Wir vergessen mit Unrecht, daß es doch
stets bloßer Notbehelf bleibt, wenn wir aus Mangel an anderen Quellen etwa
über Platons Ideenlehre oder Zahlenlehre aus seinen Dialogen Auskunft
schöpfen. Aristoteles zitiert für des Meisters pädagogische oder sozialpolitische
Gedanken stets die Politeia und die Nomoi, aber es ist ihm nie eingefallen
(Einzelheiten ausgenommen), für die Ideenlehre und ihre Begründung sich auf
Politeia VI oder auf das Symposion zu berufen […] Platons Vorlesungen und
Diskussionen in der Akademie sind die Quellen des Aristoteles gewesen überall,
wo er über ihn redet.“ Jaeger übernimmt Zellers Argumente bis in Einzelheiten
der Formulierung, ohne diesen zu zitieren. Konnte Jaeger nicht zugeben, dass
Zeller Entscheidendes richtig gesehen hatte? Für einen anderen Fall, wo Jaeger
seine Quelle nicht nennt, s. o. Anm. 56.
76 Jaeger (1923), 2.
77 Jaeger (1923), 2.
78 Jaeger (1923), 3.
79 Jaeger (1923), 3.
80 Hoffmann (1922), 1051 zitiert eine Chrakerisierung von Zellers Gesamtwerk
der Philosophie der Griechen in ihrer Geschichtlichen Entwicklung durch Wilamowitz,
der als seine Leistung angab, „eine geistige Bewegung durch die Personen der
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 289
Beitrag mit dem Titel „Die Geschichte der Philosophie, ihre Ziele und
Wege“, mit dem er den 1. Band des neugegründeten Archiv fðr Ge-
schichte der Philosophie 1888 eröffnete,81 sicherlich zu den Prinzipien
geäußert, denen sich die neugegründete Zeitschrift verpflichten wollte.
Zugleich bietet dieser Aufsatz aber auch die Darstellung seiner eigenen
Vorstellung von den Aufgaben der Geschichte der Philosophie, nämlich
zu „berichten“ und zu „erklären“.82 Den Gegenstand der Geschichte
der Philosophie „bilden … im allgemeinen die Versuche, eine ein-
heitliche wissenschaftliche Ansicht über die Welt und über die Aufgabe
des Menschen zu gewinnen“.83 Diese müssten dann „in ihrer ge-
schichtlichen Entwicklung und ihrem geschichtlichen Zusammenhang
dargestellt werden“.84 Im Hinblick auf die Auffassungen der einzelnen
Philosophen genüge es nicht, einzelne Äußerungen zu vergleichen,
„sondern man muss die ganze Denkart und Vorstellungsweise eines
Philosophen in’s Auge fassen, sich in den Mittelpunkt seines Systems
versetzen, die Fäden, welche alles übrige mit diesem verknüpfen, ver-
folgen“.85 Die Vorstellung des Systems der Philosophie eines Denkers
tritt hier ins Zentrum,86 von einer „geschichtlichen Entwicklung“
spricht auch Zeller, aber hier nicht, sofern es das Werk eines einzelnen
Philosophen angeht, sondern um ein Verhältnis zwischen den Versu-
chen individueller Denker, eine Ansicht über die Welt und die Men-
schen zu bilden, anzugeben.
Wenn dies die Zellersche Position erschöpfen würde, dann ließe
sich gut verstehen, dass Jaeger und seine ersten Anhänger wie W.D.
Ross und E. Barker das Neue des Jaegerschen Ansatzes in der Über-
87 W.D. Ross, in: OCD 1Oxford 1949, 95 – 96 (21970, 117) legt dar, dass bis vor
Kurzem („till recently“) Aristoteles’ Werk „has been treated as a closed system“,
ganz ähnlich wie zuvor E. Barker seinen Aufsatz (1931), 163, beginnt: „it
became important (…) to substitute the genetic Aristotle (…) for the systematic
Aristotle of the self-consistent corpus of doctrine“. Ross schrieb T. Case (Art.
„Aristotle“, in: Encyclopedia Britannica, 111910, Bd. 2, 501 – 22) und W. Jaeger
das Verdienst zu, gezeigt zu haben, „that there is a great deal more development
in his (i. e. Aristotle’s, E.S.) doctrine than has hitherto been recognized. As Prof.
Jaeger has shown, the general tendency is from Platonic otherworldliness to a
growing interest in the phenomena of the world around us“ (OCD 197; 2117).
88 Vgl. die Gegenüberstellung von Jaegers Fragestellung nach der „Entwicklung
der aristotelischen Lehre“ und der von anderen vorgenommenen Reduzierung
auf „das System“: (1923), 2.
89 Zeller (1888), 6 f.
90 Zeller (1963), Bd. 2, Teil 2, 59 Anm. 1 (auf S. 60) erklärt, dass gewisse Vor-
stellungen im Dialog Eudemos „ganz in Plato’s Sinn“ seien, und fährt fort:
„Selbständiger trat Arist. in den Büchern ðber die Philosophie der platonischen
Lehre genüber.“ Schon er hat also eine zunehmende Entfernung des frühen
Aristoteles von Plato erkannt.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 291
91 Zeller (1888), 7.
92 Zeller (1888), 7.
93 Aristoteles Poet. 9 1451a36–b11. Ähnlich Zeller, „Ueber Metaphysik als Er-
fahrungswissenschaft“, Archiv fðr systematische Philosophie 1 (1895), 6: „Handelt
es sich vollends nicht bloss, wie in der Geschichte, um die Kenntnis einmaliger
292 Eckart Schütrumpf
98 Jaeger (1923), 2.
99 Die Vorstellung war auch Zeller nicht fremd, wenn er (1888), 5 „bei reichen
und schöpferischen Geistern“ die Möglichkeit sah, Gedanken zu entwickeln,
die sich nicht in jeder Beziehung in das philosophische System einfügen.
100 Jaeger (1923), 3.
101 Jaeger (1923), 3, das wörtliche Zitat ebd. S. 2.
102 Jaeger (1923), 2.
294 Eckart Schütrumpf
Pol. behauptet er, dass „die letzte Erweiterung (scil. der politischen
Theorie, Anmerkung E.S.) nicht organisch aus der älteren Politik her-
vorwächst“.103
Jaeger charakterisiert Aristoteles’ philosophische Methode durch die
Vereinigung von eigentlich Gegensätzlichem, das „eigenartige(.) Zu-
sammenspiel bohrender, abstrakter Apodiktik und anschaulichen, or-
ganischen Formensinns“104oder: „Der Spiritualismus des Aristoteles ist
mit Anschauung und Realität gesättigt“.105 So ist der bald einsetzende
Niedergang im Verständnis der Philosophie des Aristoteles eben „in der
Loslösung der im engeren Sinne philosophischen Teile der aristoteli-
schen Lehre, der Logik und Metaphysik, von der empirischen Wirk-
lichkeitsforschung“106 begründet. Entsprechend fehle dem Traditiona-
lismus der Aristoteleserklärung, die von Andronikos von Rhodos aus-
ging, „jene fruchtbare Wechselwirkung von Erfahrung und Begriffs-
bildung, aus der die spekulativen Ideen des Aristoteles ihre Geschmei-
digkeit und biegsame Kraft sogen“.107 Dieser Traditionalismus ist dann
auch für den Verlust der Dialoge und Briefe des Aristoteles verant-
wortlich, sodass auch „der Zugang zu seiner menschlichen Persön-
lichkeit verschüttet“ wurde.108
Der Humanismus hat nach Jaeger keine Neubelebung des Interesses
an Aristoteles gebracht. Jaeger erlaubt sich hier ein gesuchtes rhetori-
sches Paradox, wenn er über diese Epoche schreibt: „Von allen großen
Menschen der antiken Philosophie und Literatur hat Aristoteles allein
118 Barker (1931), 167, vgl. 172: „He had too many interests, and too little time,
for that great effort“ (scil. Pol. zu überarbeiten, sodass es ein in sich einheitliches
Werk wurde).
119 Jaeger (1923), 1.
120 Jaeger (1923), 1, vgl. die Kritik, dass man nicht imstande war, „seine Philo-
sophie als das Produkt seines besonderen Genies mit der geschichtlich gege-
benen Problemlage seiner Zeit zu begreifen“ (S. 3).
121 Zeller (1888), 6 – 9.
122 Zeller (1888), 7.
298 Eckart Schütrumpf
Systeme auf die späteren, der Einfluss der allgemeinen politischen und
Kulturzustände vereinigen sich, um ihren Verlauf zu bestimmen.“123
Dem hätte Jaeger eigentlich zustimmen müssen. Zeller drückt sich zwar
reservierter, nüchterner und weniger enkomiastisch aus, wenn er nicht
von dem „besonderen Genie“ spricht, sondern nur der „Persönlichkeit
des Philosophen“, aber das macht Sinn, da er ja die Geschichte der
Philosophie charakterisieren will und nicht eine einzige besonders
herausragende Gestalt in ihr.
Wie Zellers Kritik an Hegel zeigt, ist für ihn „die Einwirkung der
früheren Systeme auf die späteren“ nicht logisch oder dialektisch de-
terminiert, da diese Theorie die „Persönlichkeit des Philosophen“
ignoriert – unter den vielen Bedingungen, die die Entwicklung der
Philosophie erklären, ist diese an erster Stelle genannt. Es erweist sich,
dass dieser Exkurs, in dem Zeller für die Geschichte der Philosophie die
Hegelsche Konzeption von Geschichte zurückweist, dazu dient, Zellers
Ausgangsposition zu bestätigen. Dort bezog er sich auf den geschicht-
lichen Zusammenhang der Lehren und Systeme der Philosophen, also
den Aspekt der Hegelschen Theorie, den Zeller später ansprechen wird.
Er beginnt mit der Feststellung: „Eine wissenschaftliche Theorie ist
zunächst das Werk dieses bestimmten Individuums,“ das wiederum
seine bestimmte „geistige Eigenthümlichkeit“124 besitzt. Es hätte nun
eine Vielzahl von Möglichkeiten gegeben, die spezifische Ausbildung
der Lehre eines bestimmten Philosophen zu erklären. Es ist bezeich-
nend, dass Zeller den Aspekt der „Entstehung“ wählt. Und um diese zu
begreifen, „müssen wir uns, so weit dies möglich ist, davon Rechen-
schaft geben, in welcher Art, welcher Reihenfolge, welchem Zusam-
menhang sich ihrem Urheber die Gedanken gebildet haben“. Die
„Reihenfolge“ ist nichts anderes als der „Entwicklungsgang“ des
Denkers, ergänzt um „die Erfahrungen, die er gemacht, die Kenntnisse,
die er sich erworben, die Anregungen und Belehrungen, die er von
andern empfangen hat.“125 Zeller hätte auch sagen können, dass die
bestimmte Lehre eines Philosophen „das Produkt der Begegnung einer
schöpferischen Originalität mit jenen geschichtlichen Einflüssen“ sei,
wie das dann die Formulierung Jaegers zu Beginn seiner Bemerkungen
unter „Das Problem“126 sein wird.
Wenn Zeller hier die „Erfahrungen“ nannte, die ein Denker ge-
macht hat, die „Anregungen […], die er von anderen empfangen hat“
oder den „Einfluss der allgemeinen politischen und Kulturzustände“127,
so sind dies die Gesichtspunkte, die Jaeger an Wilamowitzens Aristoteles
Buch rühmt und die er selber untersucht. So soll nach Jaeger Aristoteles
am Hofe des Hermias von Atarneus in der politischen Theorie auf die
Wirklichkeit der Probleme der Staatsregierung gestoßen worden sein:
So spiegelt sich die Lokalatmosphäre von Atarneus im alten Idealstaats-
entwurfe […] Wir glauben hier noch seine Gespräche mit Hermias zu
hören, der den aller Wirklichkeit offnen Blick des Platonikers von den
Idealen auf die Tatsachen hinlenkte.128
Solche Argumente fanden gleich nach dem Erscheinen von Jaegers
Buch starken Nachhall, etwa bei Sir Ernest Barker, der die verschie-
denen Stadien der politischen Theorie des Aristoteles als eine Antwort
auf die verschiedenen historischen und biographischen Umstände, unter
denen Aristoteles lebte, und die Anregungen, die er erhielt, zurück-
führte. Auch Barker spekulierte über den Einfluss von Hermias auf
Aristoteles’ politische Theorie. So könnten die Unterhaltungen mit dem
früheren Sklaven Hermias Aristoteles’ Interesse an Sklaverei geweckt
haben.129 Umgekehrt vermisste Barker, der zu dieser Zeit ein gläubiger
Schüler von Jaegers genetischem Ansatz war, in von Arnims Analyse
von Aristoteles’ Pol. 130 einen „account of the facts of Aristotle’s life and
the environment of his mental growth.“131
Da Jaeger seine Darstellung der Entwicklung des Aristoteles als
Gegenstück zu den Darstellungen der geistigen Entwicklung Platons
verstehen wollte, ist es kein Zufall, dass die Kategorien seiner Be-
trachtung schon in den Bemühungen um die Erklärung der Entwick-
lung Platons vorgegeben sind. Zeller selber hatte Schleiermachers Er-
klärung der Reihenfolge der platonischen Schriften mit derjenigen K.
Fr. Hermanns kontrastiert. Ihre Abfolge erkläre sich nicht aus pädago-
gischer Absicht, sondern „in der eigenen geistigen Verfassung ihres
Urhebers; sie ist […] eine unmittelbare Folge von Plato’s Selbstent-
wicklung.“132 Neben der „Selbstentwicklung“ hatte Hermann auch
ußere Einflüsse wie den Tod des Sokrates, Platos Aufenthalt in Megara,
die Reisen nach Sizilien und die Rückkehr nach Athen für die unter-
schiedlichen Stadien seiner schriftstellerischen Tätigkeit verantwortlich
machen wollen. Zeller ist allerdings kritisch gegenüber Einzelheiten und
nennt eine der Annahmen Hermanns „eine merkwürdige Einwirkung
der äußeren Umgebung auf einen Geist, wie Plato.“133
Die Subjektivität solcher Annahmen erklärt wohl auch, dass Zeller,
der doch selber schon die Vorstellung ausgesprochen hat, dass der
Philosophiehistoriker nicht nur die Entwicklung des Denkens des
Philosophen, den er untersucht, sondern auch die äußeren Bedingun-
gen, die ihn prägten, darstellen soll, dann Aristoteles nicht so behandelt,
wie es Jaeger später tun wird. Einmal verweist Zeller auf die Schwie-
rigkeiten, die allein schon die Überlieferungslage und der Informati-
onsstand einer solchen Betrachtung entgegenstellen. Man könne nur
verhältnissmässig selten „die Entstehung der philosophischen Systeme
aus ihrer nächsten Quelle […] erklären […] weil wir in den meisten
Fallen über die Persönlichkeit und den Entwicklungsgang der Philo-
sophen zu unvollkommen unterrichtet sind.“134 „Persönlichkeit“ und
„Entwicklungsgang“ sind die Schlüsselbegriffe des Interesses von Jaeger,
und er bezog sich mit beidem auf den großen Wilamowitz, der dem
schon bei seiner Erforschung des Aristoteles Aufmerksamkeit geschenkt
habe. Aber Zeller beließ es nicht bei allgemeinen Begriffen wie „Per-
sönlichkeit“, sondern führt im Einzelnen aus, welche Schwierigkeiten
sich stellen, nämlich dass wir
gerade bei der Frage, welche für uns das grösste Interesse hätte, der nach den
inneren Vorgängen und den Motiven, welche die Bildung eines Systems
bedingten, auf Lücken (stossen), welche durch Rückschlüsse aus dem
fertigen System nur ungenügend ausgefüllt werden können.135
Zeller führt dies schon in 1888 im Einzelnen für Plato aus.136 In der Tat,
konnte Jaeger nur über Gründe spekulieren, die Aristoteles zur Ände-
rung seiner Auffassung geführt haben könnten, Aristoteles selber hat
diese Gründe ja nicht genannt.
Jaeger vorgelegt hat, und damit seine Darstellung der geistigen Ent-
wicklung des Aristoteles für nicht überzeugend.152
Gleich zu Beginn seiner Monographie über Aristoteles schrieb
Jaeger von der „fast unbegreiflichen Paradoxie“, dass „in einer Zeit, wo
über Platons Werdegang eine ganze Literatur zusammengeschrieben ist,
von der Entwicklung des Aristoteles kaum jemand redet und jedenfalls
fast niemand etwas weiß“.153 Aber war es um 1920 noch erstrebenswert,
hier gleichzuziehen und den Darstellungen zur Entwicklung der pla-
tonischen Philosophie eine solche zur aristotelischen zur Seite zu stel-
len? Man kann hier Zweifel anmelden. Als Anhang zur 5. Auflage der
Zellerschen Philosophie der Griechen, Bd. 2, Teil 1 von 1922, dem Band,
der Platon enthält, schrieb E. Hoffmann einen Beitrag „Der gegen-
wärtige Stand der Platonforschung.“ Teil III (S. 1059 – 1067) trägt den
Titel „Zu der Frage nach „System“ und „Entwicklung“ der platoni-
schen Philosophie“, wobei „System“ und „Entwicklung“ die beiden
zentralen Aspekte der Erörterung von Zellers Beitrag in AGPh 1 (1888)
waren. Hoffmann erklärt die Tatsache, dass das Konzept des Systems
fragwürdig wurde, u. a. aus „dem Wahne des Nietzscheschen Zeitalters,
daß ,der Wille zum System ein Mangel an Rechtschaffenheit’ sei“.154
Hoffmann fährt fort:
Man schrieb deshalb lieber Bücher über „Geschichte“, „Entwicklung“,
„Genetische Entwicklung“, „Philosophische Entwicklung“ Platons oder
seiner Lehre und spielte lange, in merkwürdiger Verirrung, die Evolution
gegen das System aus.
Und weiter:
Aber keine Chronologie der Dialoge, keine Untersuchung des Verhält-
nisses Platons zu anderen Philosophen, nicht einmal die Verfolgung der
philosophischen Motive in der Schriftenfolge gibt uns und kann uns geben
ein Material, das als wissenschaftlich unbedingt sicher und zuverlässig
gelten kann, um den persönlichen philosophischen Geist des Denkers
Platon in seiner Entwicklung zu fassen, der hinter diesen Schriften als ihr
Schöpfer steht.
Zeller hatte im Jahre 1888 schon ähnliche Kritik geäußert, er hatte auch
eine unterscheidende Wertung von „nächsten“ bzw. „entfernteren und
152 S. die detaillierte Kritik Schütrumpf (1980), 288 – 298. Vgl. Düring (1966),
476: „Eine ,Urpolitik‘ zu eruieren hat keinen Sinn; es ist besser, diesen Begriff
ad acta zu legen.“
153 Jaeger (1923), 2.
154 Hoffmann (1922), 1059.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 305
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Zeller in Italy. Rodolfo Mondolfo’s revision
of Zeller’s History of Greek Philosophy
Walter Leszl
I. Zeller in Italy
1 With the title Compendio di storia della filosofia greca. It was reprinted in 1975
with the addition of a general introduction by Mondolfo under the title Eduard
Zeller e la storia della filosofia, and with an annotated bibliography compiled by
him.
310 Walter Leszl
This work was based on the fifth edition of the German original and
started in 1932 with three volumes (the first including the introduction
and the part on the origins of Greek philosophy; the second being on
the Pre-Socratics in general, on the Ionians and Pythagoreans; and
the third being on Heraclitus) edited by Mondolfo himself and contin-
ued with further volumes edited by other scholars: the volume on the
Eleatics was edited by Giovanni Reale, that on Empedocles, the atomists
and Anaxagoras by Antonio Capizzi; and this completes the Pre-Socrat-
ics. There follows what was meant to be the second part on Plato (con-
cerning his physics, ethics and politics) and the Academy, in 2 volumes,
edited by Isnardi Parente, the part on the practical philosophy, rhetoric,
poetics, etc. of Aristotle and on the earlier Peripatetics, in one volume,
edited by Armando Plebe, a volume on the Forerunners of Neoplaton-
ism3 edited by Raffaello Del Re and, finally, a volume on Jamblichus
and the school of Athens (i. e. the second half of the part on the Neo-
platonists) edited by Giuseppe Martano. One can see that the total of 10
volumes which were published amounts to about one third of the orig-
inal to be published in Italian translation and that with the volume on
the Forerunners of Neoplatonism the enterprise stopped.4
I can add some information on this point, partly drawing on person-
al experience. Mondolfo, who did his teaching at the University of Bo-
logna, had to emigrate in 1940 to avoid racial persecution and went to
Argentina. From there it was difficult to follow the enterprise, but at
some stage he asked Vittorio Enzo Alfieri to do so more directly. I
can remember that around the year 1970 Alfieri asked some of us schol-
ars who were known to be working on Aristotle to meet at his home in
Milan and accept his invitation to contribute to the completion of the
part on Aristotle. On that occasion he told us that Mondolfo would
write frequent letters to him in which he expressed his worry that he
would die before the enterprise initiated by him was completed. Alfieri
also put some pressure on each of us, always recalling Mondolfo’s con-
cern in those letters. What happened is that Mondolfo died in 1976, lit-
tle short of a hundred years old,5 but that his efforts to live as long as
possible were not sufficient for him to see substantial progress in the
work. After his death the pressure on us scholars was relaxed, partly be-
cause Alfieri himself was getting rather old, and in addition the publish-
ing house ran into economic trouble, so that they become reluctant to
spend money on this publication. Hence the enterprise was abandoned,
to the relief of those of us who were committed to preparing the up-
dates.
Concerning the nature of this enterprise, one has to keep distinct
the contributions by other scholars from those of Mondolfo himself.
The other scholars would make updates that were intended just to
give a survey of the main publications that had appeared after Zeller’s
work, and, though of course their personal preferences played a part,
they attempted to avoid taking a position on controversial issues and ad-
vancing criticism of Zeller’s own approach. Even though they were se-
lective, the reader cannot fail to be impressed by the length of the notes
which were added to the notes in the original, which, as we know, are
often very long. Mondolfo himself made even longer notes, in which he
did not limit himself to giving that sort of survey, but commented on
Zeller’s approach, from which it is clear that his disagreements with
him were not just over matters of detail.
In what follows I illustrate these disagreements, drawing not only on
those notes but also on other publications by Mondolfo, and giving at-
tention to general issues concerning the approach to be adopted in the
history of philosophy, for these seem to me more susceptible of discus-
sion at a meeting and of greater interest for non-specialists.
sion. Actually Zeller is even willing to admit that some sort of “historical
necessity” is operating in the history of philosophy.12 He also shows ap-
proval of the succession dogmatism, scepticism, and then a third, supe-
rior, position, which Hegel exploits in doing history of philosophy and
which manifestly goes back to Kant, who regarded his own criticism as
that superior position.13
In another chapter of the quoted book, where there is no intention
to explicitly criticize Hegel, Mondolfo makes the suggestion that, at a
certain stage of the history of philosophy, a theory may emerge that is
not fully developed at that stage, but will be taken up at a later stage
of the history of philosophy, perhaps after a long lapse of time. An ex-
ample of this is given by the synthetic capacity of consciousness, which
was already recognized by ancient authors like Plato, Aristotle and Plo-
tinus (Aristotle would attribute it to a common sense, Plato and Plotinus
would attribute it directly to the soul in its intellectual capacity), but
which was developed into a fully-fledged theory only in modern
times by Kant.14 This suggestion leads to the prescription that, in
doing history of philosophy, we should take into account the
“germs”, which in the course of the historical process have fallen with-
out being fertilized immediately, but which possess a vitality that be-
comes evident later.15 As the illustration given by Mondolfo himself
shows, this may concern the relationship between ancient and modern
philosophy. As we shall see below, this is precisely one of the points in
which Mondolfo turns out to be in explicit disagreement with Zeller,
whose organicist conception of each main stage in the history of philos-
ophy tended to exclude this sort of possibility.
16 See Zeller (1963), Bd. I, Teil 1, Absch. 1, 6: “… dass wir unserer Darstellung
eine möglichst richtige und erschöpfende Ansicht vom Wesen der Philosophie
zu Grunde legen sollen”.
17 See his comment in Zeller (1963), Bd. 3, Teil 1, 775, in discussing Epictetus’
position (a comment which is instructive about Zeller’s conception of philos-
ophy): it is theoretical not in the sense that it excludes the world of practice,
but in the sense that it provides a scientific foundation for the Sittenlehre.
18 It is already present in Kant, including the preference for the subdivision into
three main branches, cf. e. g. Grundlegung der Metaphysik der Sitten, beginning
of the Vorrede.
19 See Zeller (1883), § 41, and Zeller (1963) Bd. 2, Teil 1, 583 ff..
316 Walter Leszl
20 See Hegel (1969), Bd. 19, 133 and 244 (= Vorlesungen ðber die Geschichte der Phi-
losophie, Teil 1, Abschn. I, Kap. 3, B), and see a discussion of the issue in Fer-
rarin (2001), 82 – 89.
21 See Hegel (1969), Bd. 19, 246 – 48, and 257 (= Vorlesungen ðber die Geschichte
der Philosophie, Teil 1, Abschn. 2), where Zeno’s main concern is said to be
“die Philosophie in ein Ganzes zu vereinigen”.
22 Zeller (1963), Bd. 2, Teil 2, 801, where (at the conclusion of his exposition in
the Philosophie der Griechen), he gives the following appreciation of Aristotle’s
system: “Schon dieser kurze Ueberblick zeigt uns in dem aristotelischen System
ein wohlgegliedertes, nach Einem Grundgedanken mit sicherer Hand entwor-
fenes Lehrgebäude. Wie sorgfaltig und folgerichtig dasselbe auch weiter bis in’s
einzelste ausgeführt ist, wird aus unserer bisherigen Darstellung hervorgehen.”
(A similar appreciation is to be found at p. 156.) But in what follows he qualifies
these assertions by remarking that “nicht alle Fügen dieses Gebäudes gleich fest
sind” and that “[es] lässt nicht verkennen, das es Aristoteles nicht gelungen ist,
die leitenden Gesichtspunkte seines Systems in widerspruchloser Weise zu ver-
knüpfen”.
23 Cf. Zeller (1963), Bd. 2, Teil 2, Kap. 17: Rðckblick auf das aristotelische System.
Zeller in Italy 317
For Mondolfo all these problems disappear, because he does not share
this conception of philosophy. He never claims that philosophy is a sci-
ence in the strict sense or that it is a purely theoretical enterprise, and he
gives up the view that it must be systematic. And he certainly does not
advance the requirement that we have to come to the history of philos-
ophy with some definite conception of what philosophy is. It may be
noticed that he is quite willing to regard as philosophers thinkers like
Giordano Bruno, Giambattista Vico, Ludwig Feuerbach, Friedrich En-
gels and Friedrich Nietzsche, who are far from systematic, as is clear
from his writings directly on them or containing references to them.
In the case of those philosophers who are systematic he considers the
system elaborated by them as a quite temporary or provisional achieve-
ment which has to be abandoned with the further development of phi-
losophy. (There is an early paper by him entitled La vitalit della filosofia
nella caducit dei sistemi: “the vitality of philosophy in the caducity of the
systems”.) The system is a sort of envelope (involucro) which has to be
broken by the expansion of philosophy in its vital impulse.
Actually this account is not very far from what Zeller himself states
in his, rather late, paper entitled Systeme und Systemsbildung, in which he
recognizes that no philosophical system can be definitive for it will be
replaced by the results obtained by successive philosophers. Yet he
does not abandon the requirement, for the historian of philosophy, to
come to understand and expound the thought of a philosopher in its
conceptual articulation. This approach is evident in his treatment of Pla-
to’s philosophy, for he is aware of the fact that one may try to expound
it by following its genesis and development, but thinks that this proce-
dure, even if we could be successful in determining the chronology of
the dialogues, is not satisfactory, for it leaves out the “internal connec-
tion” (innerer Zusammenhang) of his thoughts.24 In Aristotle’s case he ad-
mits the possibility that in some early published writings his position was
close to that of Plato, but does not think that this can be reconstructed
in detail, and even comes to the supposition that all the principal works
reflect in the main the same position and were written in the last 12
years of his life, anyhow in the period of his second sojourn in Athens.25
politics (“law and state”), there is a change in outlook between the Re-
public and the Laws.
The treatment of Aristotle’s works is rather similar, though the de-
velopment of his thought is not envisaged just in considering one of the
parts of the system. He supposes that his thought passed through two
“preparatory phases”, that of “mystical Platonism” and that of transition
(in which criticism of the theory of the Ideas was accompanied by the
adoption of a form of astral theology), leading to the main phase, that of
the “mature system”. Once he passes to the exposition of the system, he
adopts a subdivision in parts (the following ones: 1. Science and philos-
ophy, 2. Being, 3. Nature, 4. Soul, 5. Goodness and virtue, 6. Society
and state) and gives up any attempt to introduce a distinction of phases.
29 In the Introduction there is a chapter entitled Abscheidung der Philosophie von der
Populrphilosophie. (That philosophy cannot be popular had already been assert-
ed by him in his Ueber das Wesen der philosophischen Kritik ðberhaupt, where he
regards it as being in antithesis with der gesunder Menschenverstand, see Hegel
(1969), Bd. 2, 182.)
30 Cf. Hegel (1969), Bd. 18, 114 – 115, and Bd. 20, 16 – 17.
320 Walter Leszl
this way is that they are not original works, but offer a divulgation of
Greek philosophical thought; another, connected reason, is that he
makes appeal to the consensus gentium. 31 Hegel however is willing to
admit that the thoughts which they contain also reflect Cicero’s personal
experience, but this in his view is not enough for them to be regarded as
genuine philosophical works. Another claim he makes about ancient
thought is that, with the passing of time (and especially in Cicero’s
own time), Peripateticism loses its interest from a philosophical point
of view or (what must be the same) abandons its Aristotelian spirit
and becomes more and more a Populrphilosophie. 32 Concerning mod-
ernity, Populrphilosophie is identified by Hegel first of all with a current
of German philosophy which is represented by followers of Christian
Wolff. But of Wolff’s own philosophy he explicitly says that one
would only need to free it of its rigid form to recognize that, in its con-
tents, it is already Populrphilosophie, for it takes our common conscious-
ness as its criterion.33
Another example of Populrphilosophie, of a different type, is Pascal’s
Pens¤es and other writings of his.34 Hegel does not deny that these writ-
ings contain some deep insights. What prevents them from being strict
philosophy is that they present a mystical side or that they reflect some
form of Schwrmerei. 35 A further similar example of popular philosophy
as he intends it is constituted by part at least of the contents of Plato’s
Phaedo. 36 One could raise the question whether Hegel is consistent in
his approach. He does no doubt leave out Pascal in his Lectures on the
history of philosophy, but he gives much space to Jakob Boehme who,
in matters of Schwrmerei and mysticism, goes well beyond Pascal. But
here we are not to discuss Hegel’s consistency, but whether he formu-
lates an approach which influences the works of his successors.
37 Cf. Hegel (1969), Bd. 20, 48 (= Vorlesungen ðber die Geschichte der Philosophie,
Teil 2, Abschn. 3).
38 Notice that Hegel supposes that certain general views – allgemeine Vorstellungen –
which are to be found in science belong to Bildung, cf. Hegel (1969), Bd. 20,
485, and Bd. 18, 76 ff. There, at 78, he remarks that a mixture of philosophy
and general culture can easily be found in the early stage of Bildung.
39 Cf. Zeller (1843), 61.
40 Cf. Tennemann (1799), 3 (“Sokrates … als populärer Philosoph, den es mehr
um die Besserung der Menschheit, um die Anwendung der philosophie im
Practischen, als um die Wissenschaft zu thun war …”), 78 (“Sokrates hat also
kein philosophisches System in strengen Sinne gehabt …”), and passim.
41 Cf. Zeller (1910a), 11.
322 Walter Leszl
ment of one term with another, since Zeller has the tendency to treat
eclecticism as a philosophical orientation of its own, which on this
ground must be put aside with, for instance, stoicism and scepticism.
Eclecticism as a classificatory category has a remarkably large place in
Zeller’s History of Greek philosophy, for it includes all later Stoics, both
Greek and Roman, all later Peripatetics, Cicero, some Platonists and
Academics (e. g. Plutarch), and even some later cynics (e. g. Oenomaus).
In fact his procedure has been criticized for having given too large a
place to it, by classifying in this way a large number and variety of phil-
osophical positions without clarifying the very notion of “eclecti-
cism”.48 For a period however Zeller’s use of the category of eclecticism
in his work was very successful, for it was taken up by many scholars,
albeit at times with restrictions in its application.
One scholar who follows Zeller on this point is Rodolfo Mondolfo.
Here he shows none of the reservations he expresses about other inter-
pretations by Zeller, though he adopts some tacit restrictions. In the
handbook mentioned he follows Zeller’s exposition of eclecticism fairly
closely, as a sort of current which is to be kept distinct from Epicurean-
ism, Stoicism and scepticism, but which arises as an attempt to over-
come the differences presented by those schools, and which is represent-
ed by some later Stoics (especially Panetius and Posidonius), by Cicero
and by some later Peripatetics. He tacitly diverges from Zeller in not
considering the main representatives of Roman Stoicism under the
heading of eclecticism but as thinkers whose position reflects the incom-
ing predominance of the religious problem. The same approach is
adopted for certain Platonists like Plutarch. Yet this divergence is not
very great, for already Zeller had pointed out that religion takes on in-
creasing importance for these thinkers. Still, there is a divergence, and in
this connection some significance is probably to be attributed to a
change of title by Mondolfo: his is not a history of Greek philosophy,
but a history of Greco-Roman philosophy,49 for this avoids the implicit
depreciation of the Roman authors by Zeller.
The question remains open whether Mondolfo’s use of the category
of eclecticism, though clearly close to the use which was made by Zel-
48 See The Question of “Eclecticism”. Studies in Later Greek Philosophy, ed. J. M. Dil-
lon and A. A. Long, Berkeley 1988 (esp. the contribution by P. Donini on The
history of the concept of eclecticism, which contains a criticism of Zeller’s use of the
category).
49 Mondolfo (1961), subtitle: Storia della filosofia Greco-romana.
Zeller in Italy 325
ler, reflects the same underlying value judgement that is the result of the
replacement of popular philosophy by this other category. The hand-
book on which I am drawing does not offer many clues on this
point, but on the whole I think it is likely that the absence of negative
judgements by Mondolfo reflects a more neutral attitude, to be put into
relationship with his more ‘ecumenical’ conception of philosophy (as
emerges from the indications given above and to be given below). Prob-
ably, his tacit restrictions in the application of the category also reveal his
intention to use it in a classificatory rather than an evaluative sense.
50 Bildung is defined in the Einleitung to Zeller (1963), Bd. 1, 126, as the product
of the “Wechselwirkung des Innern und des Aeussern, der Selbstthätigkeit und
der Empfänglichkeit, des Geistes und der Natur”. In what follows he expounds
what characterizes Greek Bildung from this point of view.
51 Cf. Mondolfo (1952), 89.
326 Walter Leszl
52 In Mondolfo (1958) Lovejoy is mentioned for the book edited by him with
Boas on Primitivism and Related Ideas in Antiquity, cf. 635, n., but not for his es-
says on the history of ideas. He is not mentioned at all in Mondolfo (1952).
53 Mondolfo (1956a): ch. III is entitled “L’elemento dionisiaco contro l’apolli-
neo”.
Zeller in Italy 327
tinuity between this adhesion to Marxism and his later adhesion to what
was called philosophy of culture. An element of continuity is given by
the importance attributed to praxis, which implies that man knows best
what he himself does or makes (a view which, as Mondolfo himself
stresses, goes back to Vico). In this connection he states a principle
which he regards as being formulated not only by Marx but also by
Feuerbach and (in Italy) by Carlo Cattaneo, namely that of the social
origin of all knowledge.54 There is here an evident change of outlook
with respect to Zeller, who stressed the theoretical nature of philosophy.
Moreover, he is more willing than either Hegel or Zeller to admit
that the concrete historical circumstances to which the typical Marxist
approach draws attention, like social relations and the form of economic
production, are a condition of philosophical thought in the sense of
making a difference to its shape.55 For instance, he draws a connection
between the study of nature by the Pre-Socratic thinkers and the devel-
opment of activities like agriculture, trade, navigation and colonization,
which led to the observation of the skies and to geographical explora-
tion. This attitude of his explains his great interest in such phenomena
as work or labour with attention not only for the evaluation which is
given of it but also the development of the techniques involved in its
realization.56 But he does not accept any form of economic determinism
and is not at all willing to reduce philosophical thought to the ideology
of a certain society.
54 See Mondolfo (1956b), 10, where he states that these thinkers had demonstrat-
ed “l’origine e la formazione sociale di tutte le conoscenze umane, compresa
quella della natura”.
55 See e. g. Mondolfo (1952), 82 – 83.
56 See Mondolfo (1958), part IV, ch. 2, and cf. his collection of papers entitled
Polis, lavoro e tecnica, ed. M. Venturi Ferriolo, Milano 1982.
57 In Zeller (1883), 24, this scholar states that, as to the object (Gegenstand) of early
Greek philosophy, it must be stated that it is Naturphilosophie, “denn ihr wesent-
liches Interesse gilt der Frage nach der Entstehung und den Gründen des Welt-
ganzen, die nach der Natur and der Aufgabe des Menschen wird nur vereinzelt
328 Walter Leszl
agrees in part with Hegel, who manages to find a good deal of his own
speculative logic, which in fact is a sort of metaphysics or ontology, in
thinkers like Parmenides and Heraclitus. But Mondolfo does not in any
way hark back to Hegel, for he shows no interest at all in his speculative
logic. His concern is rather with showing that some at least of the Pre-
Socratics had an interest in the human world that is not recognized by
Zeller when he makes them pure naturalists. He thinks that Zeller is the
prisoner of an alternative which is too restrictive: there is either a study
of objective nature or a study of man considered in his subjectivity. This
leaves out the study of man in his social dimension – a dimension that
for Mondolfo is at the origin of all human culture. Here of course a
problem emerges, for one cannot claim that thinkers like Anaximander,
Heraclitus and Empedocles, who receive most attention from Mondol-
fo, left much in their sayings or verses that counts as contributing to the
study of man in his social dimension. Mondolfo has to claim, in agree-
ment with Jaeger’s approach in his Paideia, that there is a continuity be-
tween the contributions of poets like Hesiod and Solon, and those of
these philosophers, and that the philosophers projected onto the
world of nature laws or regularities which were recognized as operative
in human society.
Here I suspend my exposition to make a few critical observations. In
the first place, I think that Mondolfo is right in criticizing Zeller’s asser-
tion that, at the origins of philosophy and science, knowledge started
with the world of nature because there patterns could be found that can-
not be found in the human world.58 To regard the physical world as a
world, i. e. as an ordered whole, goes a good deal beyond what any ob-
servation can offer. And the recognition of some regularities in nature
(e. g. the succession of the seasons) is not sufficient to lead to the idea of
a general law, for it is not even sufficient to come to the recognition of
regularities in a large field (it took a lot of time for astronomy to come
to the conclusion that even planets follow regular trajectories). It is not
obvious either that the human world must present itself to a naïve ob-
server as wholly disordered, since any organization of a society through
the adoption of some leadership assumes that men have some sense of
order and common interest, however often they show disregard for
them. Further, Zeller’s tendency to make the naturalism he attributes
to the Pre-Socratics descend from their exclusive interest in the object,
as a consequence of their lack of any sense of subjectivity (as shown by
the fact that we miss in them any idea of spirit [Geist]) and that they do
not develop any independent reflection – independent of the object
considered – on the limits of human knowledge) appears rather restric-
tive.59 What, for instance, of Heraclitus’ assertion that we cannot know
the limits of our soul, given the profundity of its logos (DK 22 B 45)?
And of Democritus’ recognition of the relativity of our knowledge?
Yet, once it is conceded that Mondolfo’s criticism has some justifi-
cation, one has also to see that his positive claims about our knowledge
of nature through some knowledge of society present problems. In the
first place, he does not keep distinct the claim quoted above about the
social origin of all knowledge from the claim that knowledge of human
society precedes knowledge of nature. The second claim, on the basis of
Mondolfo’s own quotations, has its exclusive declared origin in Feuer-
bach, with reference to his Wesen des Christentums. 60 It is one thing to
59 For this tendency see Zeller (1963), Bd. 1, Teil 1 (Erste Periode: Die vorsokra-
tische Philosophie), 170 – 171.
60 Especially chapter IX, which is quoted in Mondolfo (1956b), 10 – 11, and 23.
The main passage is the following: “Der andere Mensch ist das Band zwischen
mir und der Welt. Ich bin und fühle mich abhängig von der Welt, weil ich
zuerst von anderen Menschen mich abhängig fühle. Bedürfte ich nicht des
Menschen, so bedürfte ich auch nicht der Welt. Ich versöhne, ich befreunde
mich mit der Welt nur durch den anderen Menschen. Ohne den Andern
wäre die Welt für mich nicht nur tot und leer, sondern auch sinn- und ver-
standlos. Nur an dem Andern wird der Mensch sich klar und selbstbewusst;
aber erst, wenn ich mir selbst klar, wird mir die Welt klar. Ein ganz für sich
allein existierender Mensch würde sich selbstlos und unterschiedslos in dem
Ozean der Natur verlieren; er würde weder sich als Menschen noch die
Natur als Natur erfassen. Der erste Gegenstand des Menschen ist der Mensch.
Der Sinn für die Natur, der uns das Bewusstsein der Welt als Welt erschliesst,
ist ein späteres Erzeugnis; denn er entsteht erst durch das Akt der Absonderung
330 Walter Leszl
claim that our knowledge of nature is never wholly immediate, since for
instance it takes place by means of categories (like that of causality)
which are embedded in the language we use currently. It is quite an-
other thing to claim that we cannot have knowledge of nature before
we have reached a certain stage of knowledge of society. The first
claim is not at all incompatible with the assertion that our knowledge
has nature as its primary object, for it is in this field that we make use
of the category of causality. The second claim is clearly incompatible
with it. But it is a claim that is hard to defend. And it may be doubted
(but this is a point of interpretation I cannot discuss) that Feuerbach
wanted to suggest this rather than suggesting that our awareness of
other men (individual men or groups of them, not society above
them) as subjects distinct from us is a condition of our awareness of na-
ture as a distinct object. It is one thing to claim that a relatively scientific
or objective study of nature cannot take place before we reach some
(wholly non-scientific) awareness of the human world, quite another
to claim that it cannot take place until we reach the idea of society as
a whole ordered according to certain laws.
Mondolfo himself seems to be concerned with the formulation of
some general laws by some of the Pre-Socratics (starting with the
well-known dictum of Anaximander) and to be convinced that they
could not be formulated by them without some consideration of
what takes place in society. To justify this suggestion he has to go
back to poets like Solon. Now it is true that Solon claimed that all
crimes will be punished in the long run, if not in the case of those
who committed them, then in the case of their successors. But this is
a matter of faith in justice and of religious belief (he expects Zeus to in-
tervene), and certainly not the result of any study of human society.
Mondolfo tries to show that the adoption of an idea of fate (moira) in-
volves that of justice. This passage is already open to doubt, but in any
case here again it is a matter of faith in justice and of religious belief,
which does not require any study of society.61 It could also be pointed
des Menschen von sich. Den Naturphilosophen Griechenlands gehen die so-
gennanten sieben Weisen voran, deren Weisheit sich unmittelbar nur auf das
menschliche Leben bezog.” (From the Ausgabe edited by W. Schüffenhauer,
Akademie-Verlag, Berlin 1956, 147 – 48.).
61 An account of the origins of Greek thought which presents some parallels with
that adopted by Mondolfo, but which relies on the idea of collective representations
which are of social origin but not the result of a conscious study of society, is to
be found in Cornford (1912). Mondolfo however gives some limited attention
Zeller in Italy 331
out that Solon is not concerned with making a distinction between the
human world and nature, at least from this point of view, for he talks of
the thunderstorms which are collected by Zeus with the intent of pun-
ishing men (cf. fr. 1 Diehl). The same attitude seems to prevail in the
mythical vision which we find in Homer and in Hesiod. The latter,
for instance, offers us a theogony that is also a cosmogony, and so con-
cerns the whole of nature, considering man a part of it. It is an attitude
which is to be found among the Pre-Socratics as well, for it would be
mistaken to assume that their concern for nature excludes concern for
man (only that of course man is taken to be a part of nature and not
as a moral subject, which is what happens with Socrates).
With all these qualifications one can certainly admit that the views
now briefly illustrated constitute a background for Anaximander’s theo-
ry that a ,law’ of justice is operating in the physical world. But this much
could probably have been accepted by Zeller as well, for he shows
awareness of the fact that the world of nature is understood by the
Pre-Socratics in the light of what belongs to the human world. He
makes the following declaration:
Andererseits aber warden, gerade weil man zwischen der Aussenwelt und
der Welt des Bewusstseins noch nicht genau unterscheidet, den körperli-
chen Stoffen und Formen auch wieder Eigenschaften beigelegt und Wir-
kungen von ihnen erwartet, wie sie in Wahrheit nur geisteigen Wesen zu-
kommen. Diese Züge bezeichnen die griechische Philosophie bis auf
Anaxagoras herab. Das philosophische Interesse beschränkt sich hier in
der Hauptsache auf die Betrachtung der Natur und auf Vermuthungen
über die Gründe der Naturerscheinungen; die Thatsachen des Bewusstseins
werden noch nicht in ihrer Eigenthümlichkeit erkannt und untersucht.62
He had also pointed out, on p. 135, that this is true to some extent even
of the speculation about nature which takes place after the Pre-Socra-
tics, e. g. with the admission of the world-soul by Plato, the Stoics,
and the Neoplatonists, and also with their recourse to teleological ex-
planations. Elsewhere, in the case of the Neoplatonists, he asserts that
the way in which they consider human nature determines the way in
to this work, but stressing the criticism to which it was subjected by Bréhier
(1913) rather than the points of contact with his own approach, cf. Zeller-
Mondolfo (1932), 70 and 157.
62 Zeller (1963), Bd. 1, Teil 1 (Einleitung), 137.
332 Walter Leszl
which they consider the whole world,63 and even advances the sugges-
tion that Proclus’ system reflects the organization of Byzantine society.64
In fact a sufficiently developed study of the human world would have
recognized its difference from the world of nature. As we shall see,
Mondolfo himself still admits that the main interest of the Pre-Socratics
was in the world of nature, and that the problems which were raised
concerned this world.
63 Zeller (1963), Bd. 3, Teil 2, 483: “Die Betrachtung der menschlichen Natur ist
für die Beschreibung des Weltganzes massgebend, sie bildet auch den Schluss-
stein der theoretischen Untersuchungen.”
64 “… und er [scil. Proklus] hat so ein alles Unsichtbare und alles Sichtbare umfas-
sendes, einheitliches und nach einem und demselben Schema gegliedertes
Weltbild entworfen, welches mit seiner himmlischen Hierarchie ein würdiges
Gegenstück zu der Beamtenhierarchie des byzantinischen Staatswesens bildet
…” (op. cit., 851).
65 See Zeller (1963), Bd. 3, Teil 2 (Schluss), 931.
66 See Zeller (1963), Bd. 1, Teil 1 (Einleitung), 129 – 130. (Certain statements Zel-
ler makes in this part are close to what we find in Hegel, for instance in the
following passage: “Die orientalische masslose Kraft der Substanz ist durch
den griechischen Geist zum Masse gebracht und in die Enge gezogen worden.
Er ist Mass, Klarheit, Ziel, Beschränkung der Gestaltungen, Reduktion des Un-
ermesslichen, des unendlich Prächtigen und Reichen auf Bestimmtheit und In-
dividualität.” [Hegel (1969), Bd. 18, 177.])
67 See Zeller (1963), Bd. 1, Teil 1, 126 – 127 and passim.
Zeller in Italy 333
ual as parts of this world but a collective injustice committed by all indi-
viduals towards the Infinite (apeiron) as a consequence of the inevitable
conflicts which arise between them. Reparation is obtained by the ab-
sorption of all of them into the Infinite. A similar interpretation is given
of Heraclitus’ position, for he is supposed to have admitted a world-fire
(ekpurosis) and to have regarded it as having a cathartic function. In Em-
pedocles’ case the presence of a mystical side in his thought needs no
particular stressing. But Mondolfo gives the impression that the same
can be said of Parmenides, in view of the contents of the proem and
the second part of his poem.71 In adopting these interpretations he
shows much appreciation for Joël’s works on Pre-Socratic philosophy,
while not ignoring that Joël was critical of Zeller’s position.72 Here
we have then an explicit point of dissent with Zeller, who regarded
mysticism as a minority phenomenon which mainly concerned the Py-
thagoreans and one side of Empedocles’ thought (that represented by his
Katharmoi, which is supposed to be in contrast with what he find in the
Peri physeos).73 While it should be conceded that some conception hav-
ing to do with mysticism, like metempsychosis, was accepted by some
other philosophers like, perhaps, Heraclitus, this is not an essential
part of his philosophical system.74
typical from this point of view. As for Socrates, since admittedly he was
not a systematic thinker, he is regarded mainly as preparing Plato’s po-
sition and, anyhow, as being concerned with the concept that is objec-
tively true, to the exclusion of any form of individualism and subjecti-
vism.75 The positions of Plato and Aristotle remain close to those of the
Pre-Socratics when they deal with nature and the cosmos. But even the
postulation of a world of forms by Plato does not involve a change in
attitude, for this in a way replaces the natural world of the Pre-Socratics
as the objective reality which has to be known. In spite of the adoption
of a sort of interiorized ethics by the Stoics, this still involves the re-
quirement of conformity to nature. The Neoplatonists go back to the
positions adopted by Plato and Aristotle. And so forth. We miss, com-
pletely or nearly so, certain concerns of modern philosophy like deter-
mining the faculties we possess for knowledge and their limits. We
equally miss the recognition that the spirit (or mind: Geist) has infinite
creative powers which make it superior to nature. This interest in the
spirit as such only comes with its separation from nature which takes
place with the advent of Christianity, whose conception of man entails
putting him in a direct relationship with God (conceived as the absolute
spirit), instead of conceiving him as a part of the physical world.
Mondolfo thinks that this account is influenced by the Hegelian ap-
proach to history. This involves the supposition that the history of a
people like the Greeks is comparable to that of an organism, which
has a beginning, a maximum of fulfilment and an end. As with an or-
ganism, there must be some unifying principle in a people which
makes it different from any other people. If among the Greeks there
is the prevalence of an objective attitude involving a dependence of
the spirit on nature, there cannot be any space for attitudes which reflect
the principles which are evident among peoples who came later. Mon-
dolfo does not share this approach to history and thus thinks that the
prevalence of a certain attitude among a people like the Greeks is
only relative. He envisages the possibility (as pointed out above) that
certain views were already present in Greek authors but did not reach
complete development and articulation.
Thus he tries to show that ancient philosophy contains anticipations
of what is regarded as typical of modern philosophy, for instance doubts
about the objectivity of human knowledge and reflection on its criteria,
a discovery of moral consciousness accompanied by an awareness of sin,
76 In the light of what was said above it can be seen that the title adopted for the
Italian version of this book, with its reference to classical antiquity, does not re-
spect Mondolfo’s intentions (the title of the Spanish original was different: La
comprensiýn del sujeto humano en la cultura antigua).
77 On the issue of the recognition of the idea of progress I took up a position in
my introduction to the Italian version of Edelstein’s Idea of Progress in Classical
Antiquity (L’idea del progresso nell’antichit classica, Bologna: il Mulino, 1987),
where I point out certain limits that this recognition has compared to what hap-
pens in modern times. On the issue of the recognition of infinity I think that
the interpretation provided by Furley (1987), which involves the recognition of
two distinct trends, one (represented for instance by the atomists) in its favour
and one (represented for instance by Plato and Aristotle) against it, is more per-
suasive than Mondolfo’s tendency to find this recognition everywhere.
Zeller in Italy 337
Sintesi storica del pensiero antico, from p. 539 to p. 603). Clearly the work
is meant to be a handbook for the use of university or high-school
teachers (comparable in some ways to Zeller’s Grundriss), so that, in re-
ferring to it, we must be aware of the limits which this work presents:
certain details which could have revealed significant differences of inter-
pretation are left out. Further, it does not seem that Mondolfo had the
opportunity of revising the work between its first edition (which pre-
cedes his Problemi e metodi di ricerca nella storia della filosofia by some twen-
ty years, but only by a few years the first volume of the Zeller-Mondol-
fo series) and its second edition. All the same, the overall interpretation
emerges with sufficient clarity, and allows a comparison with Zeller’s
approach.
One point of partial convergence has already been touched on: it
lies in the place attributed to eclecticism. But this should be linked
with the main distinctions in periods that are adopted by Mondolfo,
and that are close to those adopted by Zeller for the whole of philoso-
phy starting with Plato. Eclecticism is supposed to come at the close of a
period (that of Hellenistic philosophy) in which a concern with ethics
or practical philosophy prevailed and to offer a transition to the new pe-
riod in which a concern with religion prevailed. The part which pre-
cedes these parts is represented by the “great systems” elaborated by
Plato and Aristotle. Here, as we have seen above, there is a partial con-
vergence with the account adopted by Zeller.
Some more significant divergences are noticeable in the philosophy
that precedes Plato. Mondolfo puts the sophists, Socrates and the minor
Socratics all together in a period he regards as qualified by the predom-
inance of the anthropological problem (“Il predominio del problema
antropologico” is the title of the chapter). This way of handling the so-
phists together with Socrates, and the attenuation of the continuity be-
tween Socrates and Plato, is closer to Hegel’s than to Zeller’s ap-
proach.78 In the case of the Pre-Socratics (without the sophists), howev-
er, Zeller remains too close to Hegel for Mondolfo’s comfort. For this
period Zeller adopts a distinction into two main phases, the first, in
which what prevails is concern with the postulation of an immutable
substance (or with “being”, as Hegel wanted) and the second, in
79 Some of the arguments which Zeller (1963), Bd. 1, Abt. 2, 1264 – 1265, addu-
ces to prove that Anaxagoras must have reacted to Leucippus’ atomistic system
(his rejection of the void, etc.) have been questioned by other scholars, for in-
stance by Burnet (1930), pp. 332 – 333.
80 Cf. Zeller-Mondolfo (1938), 72 – 73, where Mondolfo takes sides with
Schleiermacher against Zeller.
Zeller in Italy 339
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Namenregister 345