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Eduard Zeller

Eduard Zeller
Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte
im 19. Jahrhundert

Herausgegeben von
Gerald Hartung

De Gruyter
ISBN 978-3-11-020857-3
e-ISBN 978-3-11-021659-2

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쑔 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York


Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen
⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier
Printed in Germany
www.degruyter.com
Inhalt
Gerald Hartung
Eine Schatzkammer des Wissens. Leben und Werk des
Gelehrten Eduard Zeller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Oliver Primavesi
Aristoteles oder Empedokles? Charles Darwin und Eduard
Zeller über einen antiken Ansatz zur Evolutionstheorie . . . . . . 25
Dorothea Frede
Zellers Platon-Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
Stephen Menn
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics . . . . . . . . . 93
Hermut Lçhr
Zellers Sicht des Urchristentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Christoph Horn
Eduard Zeller und der Neuplatonismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Gerald Hartung
Zum Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften bei
Eduard Zeller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
Anton Friedrich Koch
Aristoteles und Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Kristian Kçchy
Aristoteles und Darwin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Stephan Schaede
Eduard Zeller als Theologe. Einige Beobachtungen – auch zu
seinem Verhältnis zu David-Friedrich Strauß . . . . . . . . . . . . . . 209
Wolfgang Bartuschat
Zeller und das „Archiv für Geschichte der Philosophie“ . . . . . 243
Wolfgang Rçsler
Eduard Zeller und Hermann Diels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
VI Inhalt

Eckart Schðtrumpf
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles . . . . . . . . . . . . . 275
Walter Leszl
Zeller in Italy. Rodolfo Mondolfo’s revision of Zeller’s History
of Greek Philosophy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
Eine Schatzkammer des Wissens
Leben und Werk des Gelehrten Eduard Zeller
Gerald Hartung

Eduard Zeller ist ein deutscher Gelehrter des 19. Jahrhunderts von in-
ternationalem Format. Er hat seine Zeit als Theologe, als Theologie-
historiker, als Geschichtsschreiber der griechischen Philosophie, als
Religionshistoriker und -philosoph und als Initiator und Organisator
wissenschaftlicher Projekte geprägt und über die Grenzen Deutschlands
bleibenden Einfluss gehabt. Die Beiträge in diesem Band zeichnen, ein
erstes Mal überhaupt, die Bedeutung dieses großen Gelehrten auf,
dessen Werk vielschichtig ist und dessen Wirkung sich weit über seine
Studien zur Philosophie und Kultur der Antike in wissenschaftsge-
schichtlichen Diskursen bis ins frühe 20. Jahrhundert nachzeichnen lässt.
Auch heute noch können wir, wenn auch eher in kritischer Distanz,
einiges aus dem Rückblick auf Zellers Werk im Kontext seiner Zeit
lernen.

I. Leben und Werk Zellers im Kontext seiner Zeit

Das Leben Eduard Zellers wurde in vorbildlicher Klarheit von seinem


Schüler Hermann Diels in einer Gedächtnisrede dargestellt, die dieser
am 02. Juli 1908 in der Leibnizsitzung der Königlich Preußischen
Akademie der Wissenschaften gehalten hat.1 Diels erinnert daran, dass
der am 22. Januar 1812 in der Nähe von Stuttgart geborene Zeller eine
geradezu exemplarische Laufbahn eines württembergischen Theologen
in seiner Zeit eingeschlagen hat. Als fünfzehnjähriger besucht er seit
1827 das Evangelische Seminar in Maulbronn, dann ab 1831 das Tü-
binger Stift. Er studiert Theologie und fasst sehr früh schon den Ent-
schluss, eine akademische Laufbahn einzuschlagen.
In Tübingen erlebt er in den 1830er Jahren die Avantgarde der
protestantischen Theologie. Sein Lehrer Ferdinand Christian Baur

1 Diels (1911), 465 – 511.


2 Gerald Hartung

mischt die philosophischen Einflüsse von Schleiermacher, Hegel und


Creuzer mit der philologischen Kritik von Boeckh, Wolff und anderen
zu einer radikalen Sicht auf die „kanonischen Evangelien“.2 Sein be-
rühmtester Schüler David Friedrich Strauß, der „wahrhaftigste“ unter
den Theologen seiner Zeit führt die Methode der kritische Philologie
konsequent in die Deutung der Evangelien ein, deren mythischen
Gehalte er freilegt; seine Abhandlung Das Leben Jesu erschien 1835,
dann in wenigen Jahren in Neu-Auflagen und war eines der großen
wissenschaftlichen Buchereignisse dieser Jahrzehnte.
Wer sich für die Dramatik der Debatte um Baur, Strauß und die
nach ihnen benannte „Tübinger Schule“ interessiert, kann auch heute
noch vieles aus Albert Schweitzers Von Reimarus zu Wrede. Eine Ge-
schichte der Leben-Jesu-Forschung (1906) lernen. Was wir, fast unschuldig
klingend, eine „geschichtliche Auffassung“ der Kultur der Antike, ins-
besondere der Stellung des Urchristentums in ihrer Mitte, nennen
können, hat hohe Wellen geschlagen, bevor die Relativierung des
kulturellen Sinnhorizonts unseres christlichen Abendlandes durchbrach.
Erst allmählich folgte auf die Toleranz gegenüber den Ansichten An-
derer – wie Nietzsche sagt – die Toleranz gegenüber den eigenen
Auffassungen. Noch setzte sich derjenige, der die Referenztexte des
christlichen Glaubens in einen kulturellen Kontext stellte – z. B. das
Dogma von der Unsterblichkeit der menschlichen Individualseele in
den Zusammenhang mit der Platonischen Seelenlehre – dem Vorwurf
des Betrugs, der Geisteskrankheit und der Blasphemie aus.
Das ist, ganz grob skizziert der Hintergrund, vor dem Zellers
Ausbildung in der Theologie, Philosophie und Philologie stattgefunden
hat. Strauß ist er schon im Jahre 1832 begegnet, als dieser als Repetent
ans Tübinger Stift kam. Zeller hört Baurs Vorlesungen über Kirchen-
geschichte, er erlebt die Entstehungsgeschichte von Straußens Buch und
die Reaktionen der kirchlichen Orthodoxie. Er promoviert mitten drin
am 25. August 1836 in Tübingen und begibt sich auf eine lange Stu-
dienreise, mit dem Ziel Berlin, wo er hofft, mit der Schülergeneration
von Schleiermacher und Hegel in Berührung zu kommen. Weil er
unter den Berlin aufsuchenden Schwaben der letzte war, der an der
neuen wissenschaftlichen Theologie mit Entschiedenheit festhielt, ver-
lieh der Hegelianer Wilhelm Vatke ihm den Ehrentitel des „letzten
Römers.“3

2 Baur (1847).
3 Dilthey (1921), 443.
Eine Schatzkammer des Wissens 3

Nach der Rückkehr nimmt Zeller die Stelle eines Vikars an (1837),
publiziert 1839 seine Platon-Studien und habilitiert sich 1840 an der
Theologischen Fakultät in Tübingen, wo er seitdem als Privatdozent
lehrt. Mit der Gründung und Herausgabe der Theologischen Jahrbðcher ab
1842 entfaltet Zeller eine geradezu ungeheuerliche Produktivität.
Neben grundlegenden philologischen Arbeiten zur Theologie arbeitet
er an einer groß angelegten Geschichte der griechischen Philosophie,
die 1844 in erster Auflage als Konkurrenzunternehmen zu den Studien
des Hegel-Schülers Christian August Brandis und des Schleiermacher-
Schülers August Heinrich Ritter erschienen ist.
Zellers berufliche Laufbahn geriet in die Turbulenzen der Vormärz-
Zeit. Als Vertreter der Tübinger Schule erging es ihm nicht besser als
seinen Mitstreitern. Die Schüler Baurs in der Theologie sind allesamt
nicht in der Theologischen Fakultät angekommen. David Friedrich
Strauß, Albert Schwegler, Gottlieb Jakob Planck und Karl Reinhold
Köstlin wurden aus der Theologie ausgeschlossen. Die Berufung von
Strauß nach Zürich endete in einer Regierungskrise. Es ist wohl we-
nigen Universitätslehrern außer ihm gelungen, bereits vor ihrem
Amtsantritt pensioniert zu werden. Friedrich Theodor Vischer, der
1844 einen Lehrstuhl in der Philosophischen Fakultät erhielt, wurde
direkt im Anschluss an seine Antrittsrede aufgrund mehrfacher Anzeigen
seitens der Kirchenleitung, die allesamt den Vorwurf des „Atheismus“
zum Inhalt hatten, vom Ministerium für zwei Jahre vom Amt suspen-
diert.
Zeller hat sich in seinen Theologischen Jahrbðchern vehement gegen
diese Restriktionen gewehrt. In einem Artikel aus dem Jahre 1843
polemisiert er gegen „neuevangelische Zionswächter“, die im
„Branntweinrusch des Fanatismus“ einher stürmen. Sein Schüler Diels
vermerkt hierzu: „Ein prachtvoller Artikel, in dem sich seine überle-
gene Dialektik auf das glücklichste mit schwäbischem Humor und
schwäbischer Grobheit vereint.“4
Zellers Antrag auf eine außerordentliche Professur für Theologie
wurde, trotz seines großen Lehrerfolges, vom Ministerium abgelehnt.
Auch als der Senat der Universität versuchte, ihm 1846 ein Extraordi-
nariat für Philosophie – gemeint als Ausweichmanöver – zu verschaffen,
wurde dies von Amtswegen negativ beschieden. Als er 1847 einen Ruf
nach Bern erhielt und annahm, versuchte auch die dortige Orthodoxie
den „Atheisten“ Zeller von der Universität fernzuhalten. Es erschienen

4 Diels (1911), 487.


4 Gerald Hartung

Flugschriften über „Zellersche Religionsgefahr“. Die Berner Episode ist


als so genannter „Zeller-Handel“ in die Theologiegeschichte des 19.
Jahrhunderts eingegangen.
Doch damit ist die Geschichte nicht beendet. Als 1849 aus Marburg
die Anfrage an Zeller erging, ob er an der Universität in die theologi-
sche Fakultät einzutreten gewillt sei und er diesen Ruf annahm, waren
bei seiner Ankunft in Marburg die Karten schon neu gemischt. Das
Ministerium Kurhessens hatte sich gegen die theologische Fakultät
durchgesetzt und Zeller den Eintritt verwehrt. Mit viel Geschick gelang
es den Kollegen vor Ort, den Zeller zugesagten Lehrstuhl in der phi-
losophischen Fakultät zu verorten. Damit hat schlussendlich auch Zeller
das Schicksal der Tübinger Schule ereilt. Ihm blieb während der Mar-
burger Jahre das Abhalten von Vorlesungen theologischen Inhalts vom
Ministerium Kurhessens strikt untersagt. Für die grundlegende These
der Schule, dass die Theologie als Wissenschaft den geschichtlichen Tat-
sachen gerecht werden muss, dass also auch die christlichen Dogmen –
wie alle anderen Kulturtatsachen – in entwicklungsgeschichtlicher
Perspektive zu behandeln sind, gab es um 1850 eben noch keine To-
leranz.

II. Der Weg aus der Theologie in die Philosophiegeschichte

Als Philosophiehistoriker hat Zeller viel für die Transformation der


Antike – ihrer Wissensbestände und kulturellen Leistungen – in die
Diskussionen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts geleistet. Doch ist
seine Stellung als Philosophiehistoriker ihm durch die äußeren Um-
stände seiner akademischen Laufbahn geradezu aufgezwungen worden.
Das aber tut ihrer Geltung und exzeptionellen Wirkung keinen Ab-
bruch. Es ist wahrscheinlich eher umgekehrt, hat doch das Bemühen
um eine Abgrenzung der Philosophiegeschichtsschreibung vom Zugriff
der Theologie gleichsam zu einer methodischen Präzisierung und in-
haltlichen Reife geführt.
In diesem Sinne hat Hermann Diels zum Stellenwert von Zellers
Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung angemerkt:
Auf keinem Gebiete unserer Geschichtswissenschaft gibt es wohl eine für
den Anhänger wie für den Meister gleich unentbehrliche Schatzkammer
des Wissens, wo Material und Kritik, Forschung und Darstellung in ein so
Eine Schatzkammer des Wissens 5

übersichtliches, harmonisches und in sich zusammenhängendes Ganzes


zusammengefügt wäre.5
Auch mehr als anderthalb Jahrhunderte nach ihrem Erscheinen in der
Fassung der ersten Auflage, da die methodischen Voraussetzungen und
der systematische Entwurf nicht mehr geteilt werden, kann dieses Werk
immer noch mit Fug und Recht eine Schatzkammer des Wissens genannt
werden.
Zeller hat sich in Marburg nicht vollständig zum Historiker der
antiken Philosophie gewandelt. Weiterhin hat er Studien zur Religi-
onsgeschichte betrieben und in vielen kleinen Abhandlungen und
Beiträgen für Zeitschriften die Theologiegeschichte seiner Zeit geprägt.
Nach dem Tod seines Lehrers Baur hat er seine Position 1860 in dem
programmatischen Aufsatz „Tübinger Schule“ (Vorträge und Abhand-
lungen I) zusammengefasst. Mit der Übersiedlung auf einen Lehrstuhl
nach Heidelberg (1862) hat er dann zusätzlich seine Rolle als syste-
matischer Philosoph gefunden. Die Heidelberger Antrittsrede Ueber
Bedeutung und Aufgabe der Erkenntnistheorie (1862) lanciert einen neuen
Funktionsbegriff der Philosophie, die sich nunmehr in den Auseinan-
dersetzungen mit den Einzelwissenschaften und deren eigenständiger
Methoden- und Begriffsapparatur auseinanderzusetzen hat. Die enge
Freundschaft mit dem Physiologen Helmholtz und ihr gemeinsames
Interesse, die Philosophie Kants als wissenschaftliche Methodenkritik zu
rehabilitieren, haben hier ihren Ausdruck gefunden. In den Heidel-
berger Jahren arbeitete Zeller in erster Linie an seiner Geschichte der
griechischen Philosophie, die von Auflage zu Auflage immer mehr zu
einer allgemeinen Kulturgeschichte der griechischen Antike wurde.
Darüber hinaus arbeitete er in Heidelberg im Auftrag der Münchner
Historischen Kommission an einer Geschichte der deutschen Philosophie seit
Leibniz. Als diese 1872 erschien, wechselte der bereits sechzigjährige
Zeller auf den Lehrstuhl Friedrich Adolph Trendelenburgs nach Berlin.6
Helmholtz führte hierfür im Namen der Philosophischen Fakultät der
Berliner Universität die Verhandlungen. Zellers Berliner Antrittsvorle-
sung ˜ber die gegenwrtige Stellung und Aufgabe der deutschen Philosophie ist
wiederum eine Abrechnung mit der Philosophie Hegels und die An-
lehnung an Trendelenburgs Bestimmung der Philosophie als Theorie
der Wissenschaften. Auch in der Lehre schließt er an seinen Vorgänger

5 Diels (1911), 492.


6 Vgl. Diels (1911), 498 ff..
6 Gerald Hartung

an und lehrt Geschichte der Philosophie und Psychologie (im Winter),


Logik und Erkenntnistheorie (im Sommer). Dazu durchgehend Semi-
narübungen zur Aristotelischen Philosophie, womit er eine Tradition
fortsetzt, die seit den 1830er Jahren Bestand hatte und mehrere Gene-
rationen von Gelehrten prägte.
Die Berliner Jahre enthalten sicherlich die Summe seines Lebens.
Hier hält Zeller zum Ende seines Rektoratsjahres (1879) eine Rede ˜ber
akademisches Leben und Lernen. Er spricht öffentlich, und nicht einmal
unmodern, ˜ber die Bedeutung der Sprache und des Sprachunterrichts fðr das
geistige Leben (1884). Mit dem Trendelenburg-Schüler Hermann Bonitz
begründet er 1874 als Akademieprojekt die Herausgabe der griechischen
Kommentatoren des Aristoteles (Commentaria in Aristotelem Graeca).
Insgesamt werden von 1881 an bis zum Todesjahr Zellers (1908) alle
veranschlagten 26 Bände erscheinen. Zeller begründet zudem mit an-
deren im Jahre 1888 das Archiv fðr Geschichte der Philosophie. In den
Berliner Jahren schließt sich auch ein Kreis: Zeller schreibt die Bio-
graphie seines Jugendfreundes David Friedrich Strauß und ediert dessen
Schriften wie auch seine ausgewählten Briefe.
Das Meisterstück ist sicherlich der nach Abschluss der großen Ge-
schichte der Griechischen Philosophie verfasste Grundriss der Geschichte
der griechischen Philosophie (1883). Nach dem Durchgang durch das große
Werk kehrt Zeller zur kleinen Form zurück – ein Meisterstück der
Philosophiegeschichtsschreibung. Zellers Bedeutung als systematischer
Philosoph einer Übergangszeit – nach den Systemen des philosophischen
Idealismus und vor ihrer scheinbar restlosen Verschmelzung in die
Horizonte der Natur-, Sozial- und Kulturwissenschaften – lässt sich an
zwei Abhandlungen der späteren Jahre studieren. Sie tragen die weg-
weisenden Titel ˜ber Metaphysik als Erfahrungswissenschaft (1895) und
˜ber Systeme und Systemsbildung (1899).
Wer allerdings verstehen will, auf welchem Gebiet Zeller seine Zeit
nachhaltig geprägt hat, der muss ihm auf das Gebiet der Philosophie-
geschichtsschreibung folgen. Hier genau hat ein Prozess stattgefunden,
den wir heute als „Transformation der Antike in der Moderne“ be-
zeichnen. Aus der Sicht des 19. Jahrhunderts hat sich dieser Zusam-
menhang allerdings anders dargestellt, nämlich als Ringen um eine ei-
gene kulturelle Position im Rückblick auf eine so verstandene Blüte der
menschlichen Kulturgeschichte und als Versuch, den Geltungsanspruch
der Philosophie gegenüber der Theologie und gegenüber den sich
ausdifferenzierenden Einzelwissenschaften herauszuarbeiten. Für beide
Eine Schatzkammer des Wissens 7

Stoßrichtungen bietet die Philosophie der Antike ein glänzendes Vor-


bild.

III. Philosophiegeschichtsschreibung in der Kritik: Der Fall


Platon

Ein Fallbeispiel soll diesen Prozess der philosophischen Selbstverstän-


digung im Angesicht ihrer eigenen Geschichte beleuchten. Zeller hat in
seiner Geschichte der Griechischen Philosophie einen bedeutenden Beitrag
zur Platon-Forschung seiner Zeit geliefert. Dieser Bereich war aber
nicht, wie rückblickend leicht zu vermuten ist, ein Terrain rein phi-
lologischer Tätigkeit und sklavischer Ausdeutung der literarischen
Quellen.7 Ganz im Gegenteil ging es hier um einen Prozess der
Selbstverständigung moderner Philosophie, der im 19. Jahrhundert ein
facettenreiches Bild der Übergänge und Wegmarken bietet, die nicht
linear einem vorgezeichneten Weg zugehören. Eine dieser Wegmarken
ist die Kontroverse über die „Platonische Frage“, die Zellers Studie zu
Platon ausgelöst und die ein Jahrzehnt lang die Gemüter bewegt hat.
Der Fall ist exemplarisch für das Selbstverständnis der Philosophie in
dieser Epoche.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass Zellers Beschäftigung mit der Phi-
losophie der Antike im Schatten der Arbeiten von Hegel und Schlei-
ermacher steht. Bei aller Unterscheidung in der Schwerpunktsetzung,
ob eher der Philosophie oder der Philologie das Vorrecht gebührt, eint
die ihnen nachfolgenden Gelehrten, von August Heinrich Ritter bis zu
Christian A. Brandis, dass sie Philosophie im Licht ihrer Geschichte
betreiben. Auch Zeller versucht, in seiner Betrachtung der griechischen
Philosophie systematische und historische Gesichtspunkte zu vereinen.8
Dabei ist im Zusammenhang des hier skizzierten akademischen
Lebenslaufs zu beachten, dass Zeller aus der Theologie gekommen ist
und seine Philosophiegeschichtsschreibung eine Abwehrbewegung
theologischer Einflussnahme zum Ausdruck bringt. Was Zeller als
Philosophiehistoriker auszeichnet, hat seine Grundlagen in der neutes-

7 Vgl. Nietzsche (1972), der in seiner Abhandlung Schopenhauer als Erzieher


(Unzeitgemässe Betrachtungen. Drittes Stück), ein verzerrtes Bild der wech-
selseitig anregenden Beziehung von Philologie und Philosophie in den Schulen
Schleiermachers und Hegels zeichnet.
8 Vgl. Scholtz (1979), 289 – 311.
8 Gerald Hartung

tamentarischen Kritik seines Lehrers Ferdinand Christian Baur, dessen


Vorlesungen zur Kirchengeschichte (1834) den jungen Studierenden in
Tübingen fesselten. In der Schule Baurs wird das innere Verhältnis der
griechischen Philosophie, vor allem der Platonischen Lehre, zum
Christentum herausgestellt. Das ist der gemeinsame Nenner der Ar-
beiten von Baur, Strauß und Schwegler, späterhin auch von Zeller. Das
Interesse an der griechischen Philosophie ist also mittelbar. Erst die
Annahme einer Abhängigkeit christlicher Dogmenbildung von der
Philosophie Platons führt zur intensiven Beschäftigung mit dieser. Über
die Frage, welches Gewicht dem durch die vorchristliche griechische
Philosophie bedingten metaphysischem Element im christlichen Dogma
zukommt, entbrannte in der protestantischen Theologie zwischen den
Positionen von Schleiermacher, Hegel und Baur einerseits und der
Theologie von Ritschl andererseits ein mitunter heftig geführter Streit.
Zeller verfolgt also, mindestens teilweise, theologische Interessen in
seinem Studium der antiken Philosophie. Sehr früh schon wendet er das
Verfahren der Textkritik, wie es in der Analyse der Evangelien erprobt
war, auf die Schriften Platons an. Seine Platonischen Studien (Tübingen
1839) behandeln u. a. die Frage nach dem Ursprung der Nomoi – mit
dem Ergebnis, dass diese Schrift seiner Auffassung nach nicht Platon
zugerechnet werden kann. Wenn Zeller hier auch irrt, so treibt ihn
doch seine grundlegende Überzeugung, „dass die griechische Philoso-
phie nicht nur an der Fortbildung, sondern auch an der Entstehung der
christlichen Religion einen viel größeren Anteil habe, als man ge-
wöhnlich annehme“,9 über diese frühen Irrtümer hinweg immer weiter
in die Beschäftigung mit der Philosophie der Antike hinein.
Es spricht einiges für die These von einer „interpretatio graeca“ des
Christentums bei Baur und seinem Schüler Zeller, vor allem angesichts
ihrer Bestimmung der geschichtlichen Wirkungsverhältnisse.10 So
skizziert Zeller zum Schluss der Abhandlung Die Entwicklung des Mo-
notheismus bei den Griechen (1862) den Kampf der vorchristlichen und
christlichen Weltansicht. Der Sieg des Christentums erscheint ihm
rückblickend selbstverständlich aufgrund seines klaren Wirklichkeits-
sinnes und seiner sittlichen Kraft,

9 Zitiert nach Diels (1911), 474.


10 Vgl. Scholtz (1979), 301: „Zellers ursprünglich theologisches Motiv für seine
Philosophiegeschichtsschreibung war die Absicht, die griechische Philosophie
als ein wichtiges positives Moment in der christlichen Dogmatik nachzuwei-
sen.“
Eine Schatzkammer des Wissens 9

aber so groß war selbst im Unterliegen die Macht des ermatteten und sich
selbst in so vielen Beziehungen untreu gewordenen griechischen Geistes,
daß die siegreiche Kirche die gleiche Philosophie, welche ihr den helle-
nischen Boden bis auf’s äußerste streitig gemacht hatte, noch während des
Kampfes in sich aufnahm.11
Das ist ein Hegelsches Szenario und Zeller betont denn auch (wie
Trendelenburg vor ihm und Dilthey nach ihm), dass es Hegels Ver-
dienst ist, erkannt zu haben, dass die Geschichte eine organische Einheit
einer in sich gegliederten Bewegung ist, deren Teile sich gegenseitig
voraussetzen und ergänzen. Diese Sichtweise unterscheidet ihn von
Schleiermacher und seinen Schülern Ritter und Brandis. Hegel hat die
großen Linien gezeichnet, aber er irrt nach Zellers Auffassung, wenn er
die geschichtliche Abfolge mit der logischen gleichsetzt. Dagegen
sprechen die geschichtlichen Tatsachen und die ihnen abgerungene
Erkenntnis, dass wir es – in der Philosophiegeschichte wie in jeder
Geschichtsform – nicht mit einfachen Wirkungsverhältnissen, sondern
komplexen Vermittlungsprozessen, die keineswegs determiniert sind, zu
tun haben.
Das ist als Arbeitshypothese formuliert das Forschungsprogramm der
großen Studie Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Ent-
wicklung, an der Zeller seit den 1840 Jahren bis an sein Lebensende
arbeitet. Das Werk ist einflussreich, gleichwohl gilt Zeller in der Platon-
Forschung heute nicht als prägende Gestalt.12 Doch ein Blick auf Zellers
Studien zu Platon und die Diskussionen, die sie entfacht haben, ergibt
eine anderes Bild. Als Ernst Hoffmann im Jahr 1922 den Stand der
Platon-Forschung resümiert, stellt er ein Zitat von Wilamowitz-Moel-
lendorff an den Anfang: „Alles tritt in Schatten von Eduard Zellers
großer Geschichte der Philosophie. […] Seine Wirkung ist gar nicht
abzuschätzen, hält auch da noch an, wo die Forschung sich von ihm
abwendet.“ Und Hoffmann fügt in eigenen Worten hinzu: „Die Pla-
tonforschung des letzten Menschenalters ist in grundlegenden Fragen zu
Ergebnissen gekommen, die denen Zellers entgegengesetzt sind“13
Tatsächlich ist die Platon-Forschung in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts ein Dickicht von erstaunlichem Ausmaß.14

11 Zeller (1865), 29.


12 Vgl. Erler (2007), 1 – 8.
13 Hoffmann (1922), 1051 – 1052.
14 Vgl. die Diskussion mitsamt Bibliographie zum Stand der Platon-Forschung in
Ueberweg (1880), 109 – 162.
10 Gerald Hartung

Auch Zeller bekennt im Vorwort zur vierten Auflage seiner großen


Philosophiegeschichte der Antike von 188915, wie schwer es ihm ge-
fallen sei, ein weiteres Mal die Literatur zur Platon-Forschung über-
haupt zur Kenntnis zu nehmen, da „die Zahl der Berufenen wie der
Unberufenen, die sich an ihr betheiligen, eine so grosse [ist], dass es
schwer ist, die hergehörige Literatur, auch nur der letzten Jahrzehende,
vollständig zu bewältigen.“16 In diesem Zusammenhang erwähnt er,
ohne den Namen zu nennen, den Tod eines Gelehrten, mit dem er sich
„ziemlich oft“ auseinandergesetzt hat. Gemeint ist Gustav Teichmüller
(1832 – 1888), der die „Platonische Frage“ an ihn gerichtet hat und
dessen Einwendungen er auch jetzt nicht anerkennen wird – „jedenfalls
in den massgebenden Fragen“.
Die maßgebenden Fragen zielen auf einen Streit um die Einheit der
Lehre Platons. Zeller sieht diese Einheit in der künstlerischen Darstel-
lung, die eng mit der Figur des Sokrates verknüpft ist. Wie vor ihm
Schleiermacher (˜ber den Wert des Sokrates als Philosophen. 1814/15) und
Baur (Sokrates und Christus) erscheint auch Zeller dieses Platonische
Motiv evident, da die wahre Philosophie nur am vollendeten Philoso-
phen zu veranschaulichen ist.17 Mit diesen Überlegungen einher geht
seine Deutung der Funktion des Mythos in Platons Lehre. Der Mythos
ist „nicht etwa nur ein Gewand, welches Gedanken umgeworfen
würde, die vorher schon in rein wissenschaftlicher Gestalt vorhanden
wären, sondern diese Darstellungsform ist ihm selbst noch in manchen
Fällen Bedürfnis.“ Platons Meisterschaft beruht nach Zellers Auffassung
darin, dass er ursprünglich „in Bildern denkt“.
Die platonischen Mythen deuten mit Einem Wort fast immer auf eine
Lücke der wissenschaftlichen Erkenntnis: sie treten da ein, wo etwas
dargestellt werden soll, was der Philosoph zwar als wirklich anerkennt,
dessen wissenschaftliche Feststellung aber über seine Mittel hinausgeht.18

15 Folgende Überlegungen beziehen sich auf die umfangreiche Darstellung der


Philosophie Platons in Zeller (1889).
16 Zeller (1889), Vorwort, Bd. III.
17 Zeller (1889), 579: „[…] da die Philosophie seiner Auffassung nach nicht blosse
Lehre, sondern die Vollendung des gesammten Geisteslebens, die Wissenschaft
nicht ein fertiges, abgelöst von der Person des Wissenden mittheilbares System,
sondern persönliche Thätigkeit und geistige Entwicklung ist, so lässt sich die
wahre Philosophie nur an dem vollendeten Philosophen, nur an der Persön-
lichkeit, den Reden und dem Verhalten des Sokrates darstellen.“
18 Zeller (1889), 580 – 581.
Eine Schatzkammer des Wissens 11

Die Lücken in der wissenschaftlichen Erkenntnis werden u. a. durch die


Mythen der Kosmogonie, von der Urgeschichte der Menschheit und
von der Seelenwanderung überbrückt. Dadurch wird ihre Funktion
gleichsam doppeldeutig.
Seine Mythen sind daher nicht blos ein Beweis seiner künstlerischen
Meisterschaft und eine Folge des innigen Zusammenhangs, welcher hier
noch zwischen der Philosophie und der Poesie stattfindet, sondern sie
verrathen zugleich auch die Schranken seines methodischen Denkens; so
bewundernswerth sie daher auch an sich selbst sind: sofern wir den wis-
senschaftlichen Masstab an sie anlegen, sind sie mehr ein Zeichen der
Schwäche als der Stärke: sie zeigen die Punkte an, wo es sich herausstellt,
dass er noch nicht ganz Philosoph sein kann, weil noch zu viel vom Dichter
in ihm ist.19
Zellers Platon-Bild ist zutiefst ambivalent. Einerseits ist Platon für ihn
der Meister der mythischen Formung seiner Grundgedanken. Nur das
Denken in Bildern garantiert ihm die Einheit seiner Lehre, denn ohne
dies wären die Lücken offensichtlich. Anders als bei Schleiermacher
erscheint bei Zeller die schriftstellerische Fertigkeit Platons als Kehrseite
eines Mangels an Wissenschaftlichkeit. Platon hat weder eine Er-
kenntnistheorie, noch eine Theorie der Wissenschaften oder gar ein
widerspruchsfreies philosophisches System geliefert.20 Die Zellersche
Ambivalenz in der Bestimmung der Funktion von Wissenschaft und
Mythos steht denn auch im Zentrum des Streits um sein Platon-Bild.
Gustav Teichmüller erkennt darin einen Widerspruch: „Bei allem
Einzelnen also erkennt Zeller deutlich das poetische Spiel und doch will
er dasselbe im Allgemeinen als lehrhaften Bestandteil des Systems gelten

19 Zeller (1889), 582 – 583; er beruft sich hier (in einer langen Fußnote) auf
Hegel, Geschichte der Philosophie Bd. II, 163 ff. Deuschle: Platonische
Sprachphilosophie, Susemihl: Genetische Entwicklung der platonischen Phi-
losophie und Steinhart. Vgl. auch Zeller (1886), 130: Hier vermerkt Zeller zur
Kosmogonie des Timäus, dass bei Platon das ganze Bild „eine so mythische
Haltung (artikuliert), dass es schwer ist, genau zu bestimmen, wie viel davon
Plato’s eigentliche wissenschaftliche Ueberzeugung ausdrückt.“
20 Zeller (1886), 128: Es gibt zwei Perspektiven auf das System Platons. Vom
einen Standpunkt ist es „monistisch“, d. h. reiner Idealismus, „die Dinge sind
den Ideen immanent“. Vom anderen Standpunkt ist es dualistisch, d. h. Ideen
und Dinge sind voneinander getrennt. „Aber in seiner Eigenthümlichkeit hat
man es nur dann begriffen, wenn man erkennt, wesshalb sich Plato weder der
einen noch der anderen Betrachtungsweise enthalten, und somit keine von
beiden rücksichtslos durchführen, ebensowenig aber auch beide wider-
spruchslos vereinigen konnte.“
12 Gerald Hartung

lassen.“21 Teichmüller, ein selbsternannter Aristoteliker reinsten Was-


sers, führt das Programm seines Lehrers Trendelenburg konsequent
durch: Platon wird durch die Brille des Aristoteles gelesen. Platonis de
ideis et numeris doctrina ex Aristotele illustrata (1826) lautet schon der Titel
der Dissertation Trendelenburgs. Bei Teichmüller geht es nicht nur um
Illustration, sondern vielmehr darum, die systematischen Inkonse-
quenzen der Lehre Platons im Licht ihrer Aufhebung durch Aristoteles
auszuräumen. Zeller hingegen, so der Vorwurf, habe die Wider-
sprüchlichkeiten bestehen lassen und damit Platon als einen ernstzu-
nehmenden systematischen Philosophen preisgegeben.22
Zugespitzt wird die Debatte über Zellers Platon-Bild in der Frage,
ob Platon tatsächlich die Unsterblichkeit der menschlichen Individual-
seele „bewiesen“ habe. Für eine „Interpretatio graeca“ der christlichen
Glaubenslehre im Sinne Baurs und Zellers hängt sehr viel an einer
positiven Beantwortung dieser Frage. Ebenso steht und fällt die
christliche Interpretation Platons mit diesem Beweis.23 Teichmüller hat
hierzu eine Richtlinie formuliert:
Es könnte scheinen, als wäre es für die Wissenschaft eine geringfügige
Sache, ob ein paar Gelehrte sich über die Auslegung Plato’s streiten. Es
handelt sich hier aber um mehr; denn es fragt sich nicht, ob diese oder jene
Stelle richtig oder unrichtig erklärt wird, sondern es dreht sich der Streit
um die Principien, um den ganzen Platonismus.24
Im Zentrum des Streits steht das Problem der Unsterblichkeit der
menschlichen Individualseele, aber es geht, wie sich bereits andeutet,
um viel mehr. Zeller bezieht daher auch eindeutig Stellung. Er erkennt
in Platons Seelenlehre das Fundament seiner Anthropologie und Er-
kenntnislehre.25 Die menschliche Seele ist abgeleitet von der Weltseele,
sie ist zugleich ein Teil dieses Ganzen und an einen Körper gebunden.
Strukturell ist sie der Weltseele gleich. Aufgrund dieser Teilhabe „ist es
[…] der Seele so wesentlich, an der Idee des Lebens theilzuhaben, dass
der Tod nicht in sie eindringen kann, weshalb sie auch geradezu als das
sich selbst Bewegende definiert wird“. Und Zeller fügt lapidar hinzu:

21 Teichmüller (1874), 209.


22 Vgl. auch Bonitz (1886), 303 – 311.
23 Vgl. zu diesem Thema die umfangreiche Bibliographie und die Darstellung der
Thematik in der sechsten Auflage von Friedrich Ueberwegs Grundriss der
Geschichte der Philosophie des Alterthums: Ueberweg (1880), 152 – 156.
24 Teichmüller (1876), Vorrede, V–VI. Dazu auch Krohn (1878).
25 Vgl. Zeller (1889), 817 ff.
Eine Schatzkammer des Wissens 13

„Genauere Erklärungen über den allgemeinen Begriff der Seele suchen


wir aber bei Plato vergebens.“26 Weitere Kriterien zu Bestimmung der
menschlichen Seele sammelt Zeller aus den einzelnen Dialogen: zur
Seelenwanderung im Timus, zur Vorstellung eines Präexistenzzustandes
der Seelen im Phdrus, über den Zustand der Seele nach dem Tod und
den Grundgedanken moralischer Vergeltung im Gorgias und im Phdon
und die Anamnesis als Konstitutionsprinzip der menschlichen Seele im
Phdrus und im Menon. Dabei kann Zeller allerdings keine einheitliche
Linienführung der Gedanken Platons oder gar einen kohärenten sys-
tematischen Zugriff erkennen.
Dass nun die obigen Schilderungen, so wie sie vorliegen, von Plato selbst
nicht als dogmatische, sondern nur als mythische Darstellungen betrachtet
werden, diess ist in den Widersprüchen derselben, welche sogar in einem
und demselben Gespräch hervortreten, in der märchenhaften Sorglosigkeit,
mit der historische und physikalische Abenteuerlichkeiten, die über alles
Wissen hinausliegen, in der dann und wann einfliessenden Ironie so un-
verkennbar ausgesprochen, dass es Plato’s ausdrücklicher Erklärungen […]
kaum noch bedurfte.27
Platons märchenhafte Sorglosigkeit bei der Entfaltung seiner Vorstel-
lungen führt dazu, dass keine klare Grenzlinie zwischen dem dogma-
tischen und dem mythischen Anteil seiner Lehre erkennbar ist. Zeller
beharrt auf Platons Bedürfnis, und gleichsam einer objektiven Not-
wendigkeit, die Lücken seines philosophischen Systems in mythischen
Bildern auszufüllen. An dieser Stelle setzt Teichmüllers vehementer
Einspruch ein. In seiner Abhandlung Die Platonische Frage. Eine Streit-
schrift gegen Zeller (1876) schreibt er Zeller einen „unphilosophischen“
Umgang mit den systematischen Schwächen der Lehre Platons zu.
Seiner Auffassung nach wäre es die Aufgabe Zellers, die Widersprüche
in einer „Prinzipienlehre ihren Wurzeln nach zentral zu beseitigen.“
Teichmüller nimmt sich selbst dieser Aufgabe an und sieht den wis-
senschaftlichen Platon gerechtfertigt, wenn man mit den mythischen
Bildern auch die fälschliche Vorstellung von der Transzendenz aus der
Ideenlehre austreibt. Platon ist ein Philosoph, der die wirkliche Welt
erklären will. Dazu taugen keine transzendenten Ideen,
sondern nur die Immanenz des Idealen, die Gemeinschaft des Göttlichen
mit der Welt; und nur dies ist Platonismus, dass unser Wesen das Wesen

26 Zeller (1889), 818.


27 Zeller (1889), 824.
14 Gerald Hartung

des Vaters der Welt selbst und dass die Welt nicht gottverlassen, sondern
durch Theilnahme an ihm eudämonisch, unsterblich und göttlich ist.28
Teichmüller formuliert in seiner Kritik an Zellers Darstellung der pla-
tonischen Philosophie zwei Grundsätze: Erstens sind Ideen und Seelen
nicht gänzlich vom Materiellen abzutrennen; zweitens haben Seelen
und Ideen keinerlei transzendente Existenz. Von diesen Grundsätzen
ausgehend fasst er das Hauptproblem der Platonischen Seelenlehre, die
Vorstellung von der unsterblichen Individualseele an, um es auszu-
schalten. Diese Vorstellung passt nämlich, so Teichmüller, mit den
wissenschaftlichen Prinzipien Platons nicht zusammen. Prinzipiell
spricht Platon nur dem Allgemeinen (Gattung, Volk usw.) Dauerhaf-
tigkeit zu; das Individuelle rechnet er dem Werden und Vergehen zu.
Statt Unsterblichkeit in einer jenseitigen Welt, kennt Platon nur Dau-
erhaftigkeit in dieser Welt.
Teichmüller trennt mithilfe seines Konzepts von Philosophie als
Wissenschaft des Wirklichen radikal zwischen dem Literaten und dem
Wissenschaftler Platon. Während der Literat die Lehre von der Un-
sterblichkeit der Individualseele in eine mythische Form kleidet, kennt
der „wissenschaftliche Platon“ eine solche Vorstellung überhaupt nicht.
Unsterblichkeit erfasst Platon, wie Teichmüller ausführt, nur als
Ewigkeit der Gattung durch Fortpflanzung und relative Fortdauer des
Individuellen durch beständige Erneuerung im Werden und in der
Form eines philosophischen Lebens, in dem wir durch sittliche und
intellektuelle Katharsis von der Sinnlichkeit abgetrennt werden und sich
uns das ewige Leben in einer zeitweiligen Erkenntnis des Ewigen dar-
bietet. „Eine andere Unsterblichkeit giebt es nicht im Platonischen
System.“29
Hier haben wir den Punkt freigelegt, wo sich die Differenz zu
Zellers Platon-Bild in aller Deutlichkeit zeigt. Die Uneinigkeit steckt
„in den massgebenden Fragen“. Nach Zellers Ansicht ist dies
der Punkt, dessen streng dogmatische Bedeutung am wenigsten bezweifelt
werden kann, (das) ist die Lehre von der Unsterblichkeit, die Plato nicht
blos im Phädo, sondern auch im Phädrus und in der Republik zum Ge-
genstand einer ausführlichen philosophischen Beweisführung gemacht hat.
Diese Beweisführung gründet sich aber unmittelbar auf den Begriff der
Seele, wie dieser durch den Zusammenhang des platonischen Systems

28 Teichmüller (1878), Vorrede, IX.


29 Teichmüller (1878), 6. Krohn (1878), 152, sieht die These von der Immanenz
des Idealen als Teichmüllers „Construction des Platonismus“ an.
Eine Schatzkammer des Wissens 15

bestimmt wird. Die Seele ist ihrem Begriff nach dasjenige, zu dessen Wesen
es gehört, zu leben, sie kann also in keinem Augenblick als nichtlebend
gedacht werden – in diesen ontologischen Beweis für die Unsterblichkeit
laufen nicht blos alle die einzelnen Beweise des Phädo zusammen, sondern
derselbe wird auch schon im Phädrus vorgetragen.30
Nach Platon sind die Einzelseelen auch keine Emanationen der Welt-
seele, vielmehr bestehen sie in „selbständiger Eigenthümlichkeit“.
Dennoch müssen sie als wesensgleich unvergänglich gedacht werden. In
einer langen Fußnote zu diesen Überlegungen weist Zeller darauf hin,
dass er sich in Übereinstimmung mit der Platon-Forschung Schleier-
machers, Baurs, Steinharts befindet.31 Gegen ihn steht die Gruppe der
Aristoteliker, von Hegel bis zu Bonitz und Teichmüller. Zeller sieht in
der Trennung zwischen einem literarischen und wissenschaftlichen
Platon eine grobe Verkennung der geschichtlichen Tatsachen. Im Detail
erklärt er anhand von Platons Phaidon, dass die rationale und die my-
thische Beweisführung sich ergänzen und ein Gesamtbild ergeben.
Wenn nun doch die Widersprüche nicht gänzlich zu leugnen sind, so ist
es dem Betrachter doch darum zu tun, dem Autor Gerechtigkeit wi-
derfahren zu lassen und ihn nicht im Interesse der eigenen Zeit zu
vereinnahmen. „Mögen wir endlich noch so klar einsehen, dass es
Plato’s Beweisen für die persönliche Fortdauer nach dem Tode an
wirklicher Beweiskraft fehlt, so ist doch die nächste Frage für uns nur
die, ob er selbst diesen Glauben gehabt hat, oder nicht. Und hier hiesse
es Eulen nach Athen tragen […].“32

30 Zeller (1889), 825 – 826. Vgl. Zeller (1886), 132: Zur Struktur der Platonischen
Seelenlehre: die Seele ist einfacher und unkörperlicher Natur; durch ihre
Selbstbewegung ist sie der Grund der Bewegung für den Leib; „mit der Idee
des Lebens unzertrennlich verknüpft, hat sie weder ein Ende noch auch einen
Anfang ihres Daseins.“ (FN: Nach Phädr. 245 C f. Meno 86 A und der
Consequenz des Unsterblichkeitsbeweises im Phädo 102 ff.). „Die Seelen
kommen aus einer höheren Welt in den irdischen Leib herab und kehren nach
dem Tod in dieselbe zurück; besserungsbedürftige werden der Seelenwande-
rung unterworfen; Schau der Ideen in einem frühren Leben, Erinnerung
derselben in diesem anhand sinnlicher Abbilder“. Dennoch: „Über Wesen und
Struktur der Seele bleiben bei Plato viele Fragen offen.“ Zum Stand der Platon-
Forschung bei Erler (2007), 375 – 386.
31 Vgl. in Ueberweg (1880) die umfangreiche Bibliographie zum Thema.
32 Zeller (1889), 832 (dort Fußnote 1). Vgl. zur Unterstützung Zellers gegen die
Thesen Teichmüllers Bertram (1878), 195. Bertram fordert eine Unterordnung
philosophischer Betrachtung unter die philologische Exegese. Dies ist seiner
Ansicht nach die Bedingung geschichtlicher Erkenntnis. „Zeller’s Arbeit ist
16 Gerald Hartung

Während Teichmüller die Überbrückung fehlender systematischer


Konsequenz durch eine Glaubenspräsumption in die „Raritätenkam-
mer“ der Geistesgeschichte verbannt, vermerkt Zeller sehr wohl, dass
Platons Argumentation zur Unsterblichkeit der Individualseele in
„mythischen Darstellungen gegeben [ist], von denen er selbst andeutet,
dass er ihren einzelnen vielfach voneinander abweichenden Zügen
keinen wissenschaftlichen Werth beilege.“ Dennoch hält Zeller daran
fest, dass gerade die mythischen Bilder Platons „wirkliche Ueberzeu-
gung“ ausdrücken.33 Das Platonische System, so resümiert Zeller seine
Überlegungen, ist aus wissenschaftlicher Beweisführung und bildhaftem
Ausdruck zusammengesetzt; sein Zentrum ist die Lehre von der Un-
sterblichkeit der Individualseele. Diese ergibt sich aus dem Gesamtzu-
sammenhang seines Systems und sie ist die wirksamste Stütze für seine
„Lösung des erkenntnistheoretischen Problems, die Lehre von der
Anamnesis bedingt, welche so tief in sein System eingreift, da er nur
durch sie die Möglichkeit des wissenschaftlichen, begrifflichen Erken-
nens zu retten weiss.“34
Teichmüller hält dagegen, dass ein philosophisches System, das
dieser Mittel bedarf, eben kein kohärentes System ist. Zumal der Glaube
an die Unsterblichkeit der Seele seiner Auffassung nach die Platonische
Immanenzlehre als einheitlicher Theorie der Wirklichkeitserkenntnis
unterläuft. So resümiert er seinen Disput mit Zeller in den Worten:
Wenn der benannte Widerspruch tatsächlich in Platons Lehre besteht,
„wenn Zeller mit dieser Behauptung durchdringt, dann habe ich ver-

weit entfernt ,Chronistenarbeit’ zu seyn und Zeller begnügt sich keineswegs


mit einer Aufzählung von Dogmen.“
33 Vgl. Zeller (1886), 132 – 133: „Dagegen nöthigt der Versuch, Plato die An-
nahme einer persönlichen Unsterblichkeit und Präexistenz abzusprechen (FN:
Teichmüller Studien zur Gesch. der Begriffe (1875), 107 ff. Die platonische
Frage 1876), nicht allein, die Erklärungen und Beweisführungen des Philoso-
phen in der unzulässigsten Weise umzudeuten, oder das, was er als seine ent-
schiedenste wissenschaftliche Ueberzeugung vorträgt, für eine blosse Metapher
oder Accomodation zu erklären; sondern er übersieht auch, wie eng der Un-
sterblichkeitsglaube bei Plato durch die Lehre von der Wiedererinnerung mit
seiner Erkenntnistheorie, durch die Annahme einer dereinstigen Vergeltung
mit seiner Ethik und Theologie, durch den Gegensatz zwischen dem geistigen,
das ewig, und dem Körperlichen, das vergänglich ist, mit seiner ganzen Me-
taphysik verknüpft ist.“
34 Zeller (1889), 833. Und er fügt Seite 834 hinzu: „Der Unsterblichkeitsglaube
ist daher nach allen Seiten durch die festesten Fäden mit seinem System ver-
knüpft.“
Eine Schatzkammer des Wissens 17

loren. […] wenn man mit mir Plato, den Denker, studieren will, dann
hat Zeller verloren.“35 Das ist die prägnanteste Zuspitzung des Streits
um Zellers Platon-Bild.
Die skizzierte Episode in der Platon-Forschung des 19. Jahrhunderts
zusammenfassend, bleibt zu fragen, um was es in diesem Streit um
Zellers Platon-Bild und in seiner polemischen Zuspitzung unter der
Oberfläche geht. Hinter dem Wortgeklingel, mit dem Teichmüller die
Auseinandersetzung mit Zeller führt, treten mehrere Schichten von
Sachproblemen zutage. Vordergründig geht es um die Frage, wie Platon
zu lesen ist. Das jedenfalls behaupten die Beteiligten. Hinter dieser
Fassade liegt jedoch die Frage, ob die Beschäftigung mit Platons Phi-
losophie lediglich eine geschichtliche Konstellation eröffnet oder viel-
mehr eine Problemlage des modernen Wissenschaftsverständnisses an-
zeigt. Das ist ein Punkt, auf den August Krohn in seiner Abhandlung
Die Platonische Frage. Sendschreiben an Herrn Professor Eduard Zeller (1878)
hingewiesen hat. Seiner Ansicht nach hat Teichmüller durchaus zurecht
hinter dem philologischen Zugriff auf Platon ein theologisches Motiv
vermutet; aber er hat zu Unrecht „mit reinen Gewaltmitteln der In-
terpretation – die in der Gegenwart geradezu beispiellos dastehen –
(dieses Motiv) zu vertreiben und durch die Gedanken eines modern
präjudicirten Plato zu ersetzen sucht.“36
Tatsächlich ist die Platon-Analyse des Baur-Schülers Zeller von
einem theologisch-dogmatischen Motiv geprägt. Die Pointe seiner
„interpretatio graeca“ des Christentums ist aber keineswegs reduktio-
nistisch. Sie liegt in einer Abfolge von mehreren Argumentations-
schritten: Erstens weist Zeller nach, dass Platon die Unsterblichkeit
behauptet hat und dass diese Behauptung die zentrale Achse seiner
philosophischen Lehre ist. Zweitens legt er dar, dass Platon dieses
Fundament seines Systems statt zu beweisen in mythische Bilder ein-
fassen musste. Hierdurch hat Platon drittens ein Problembewusstsein
artikuliert, auf das erst der christliche Glaube – wie Zeller darlegen kann
– eine angemessene Antwort gefunden hat. So kulminiert viertens die
geschichtliche Betrachtung dieser komplexen Wirkungsverhältnisse in
dem Nachweis, dass die christliche Dogmatik den Grundgedanken der
Platonischen Philosophie, ohne den weder Erkenntnistheorie noch ein
Konzept von Wissenschaft denkmöglich wäre, transportiert.

35 Teichmüller (1876), 26.


36 Krohn (1878), Vorwort, VI.
18 Gerald Hartung

Einerseits können wir durchaus feststellen, dass Zeller „vorsätzlich“


(Scholtz) in der christlichen Theologie das griechische Denken erkennt.
Andererseits tritt er damit in den Konflikt mit den Ansichten, die das
Ende dieser Wirkungsgeschichte vermerken (oder propagieren). Sieg
und Niederlage liegen hier nah beieinander und der Kampf um die
historische Perspektive wird nicht mit leichten Waffen geführt.
Teichmüller hat sehr wohl das theologische Motiv in Zellers Platon-
Bild erkannt und denunziert. Sein brachialer Versuch, dies durch die
Zurückweisung des Platonischen Beweises für die Unsterblichkeit der
Individualseele zu tun, konnte ihm keinen Erfolg bescheren, weil er
gegen die Regeln philologischer Redlichkeit verstoßen hat.
Unter diesem Gesichtspunkt hat Zeller den Disput eindeutig für sich
entschieden, weil er die richtige Seite einer Wirkungsgeschichte be-
schrieben hat: Gemeint ist der Sieg des christlichen Glaubens über die
griechische Welt der Antike bei gleichzeitiger Aufnahme ihrer an-
thropologischen Einsichten und philosophischen Systematik. Die Pointe
dieser Auslegung eines christlichen Platonismus ist die doppelte Absi-
cherung seiner Grundkonzepte; die Vorstellung von der Unsterblich-
keit der menschlichen Individualseele wird sowohl theologisch als auch
anthropologisch abgesichert. Gerade diese Leistung bezeugt in Zellers
Sicht eine unverzichtbare kulturelle Erbschaft der Antike. Er hat es
allerdings dabei belassen, diese geschichtliche Konstellation freizulegen
und hat darauf verzichtet, die „Vertikallinie“ durchzuziehen.37
Sieg und Niederlage liegen im Kampf um das Platon-Bild im späten
19. Jahrhundert nah beieinander. Die skizzierte Episode zur „Platoni-
schen Frage“ hat gezeigt, dass Zellers Profilierung eines gänzlich un-
modernen Platonismus sich noch gegen Teichmüllers Angriff behaupten
kann. Gegenüber den Strömungen eines Aristotelismus innerhalb der
Wissenschaftstheorie38 und den Anforderungen an eine Neubestim-
mung der Philosophie als Erkenntnistheorie, die über den Rückgang auf
Kant zu einem modernisierten Platonismus in der Marburger Schule
Hermann Cohens und Paul Natorps führt, hat Zellers geschichtlicher
Entwurf den Kürzeren gezogen. Ernst Hoffmann resümiert daher im
Jahr 1922 den gegenwärtigen Stand der Platon-Forschung zurecht mit
den Worten: „Die Platon-Forschung des letzten Menschenalters ist in

37 Die Tatsache, dass Zeller gegen eine moderne Adaption der Lehre Platons ist,
hat Diels (1911), 493 deutlich herausgestellt: „Die historische Vertikallinie ist
absichtlich nicht durchgezogen.“
38 Hartung (2006).
Eine Schatzkammer des Wissens 19

grundlegenden Fragen zu Ergebnissen gekommen, die denen Zellers


entgegengesetzt sind.“39 Zu den „grundlegenden Fragen“ gehört seit
dem frühen 20. Jahrhundert nicht mehr das Problem der Vereinbarkeit
eines christlichen und wissenschaftlichen Platon-Bildes. Diese Frage
wird nicht mehr im großen Entwurf verhandelt, geschweige denn
polemisch gewendet – wie bei Nietzsche und Teichmüller –, sie ist
vielmehr im Bereich der Sachfragen zur Textauslegung angekommen.40
Auch dies ist ein Verdienst der umfangreichen philologischen und
philosophiehistorischen Grundlagenarbeit Zellers.

IV. Zur vorliegenden Textsammlung zum Werk Eduard


Zellers

Der Fall Platon lehrt, dass es auf den Kontext ankommt, wenn wir uns
ein Bild von der Philosophiegeschichte des 19. Jahrhunderts machen
wollen. Dabei kommt es genauso darauf an, die Abgrenzung der Phi-
losophie von der Theologie ins Auge zu fassen wie die Auseinander-
setzung mit den aufstrebenden Naturwissenschaften. Zellers Gelehr-
samkeit gehört in eine Zeit des Übergangs. Noch ist die Idee eines
„Gesamtorganismus des Wissens“ wach, aber schon zeigt sich, dass das
in den Einzelwissenschaften fragmentierte Wissen von der außer-
menschlichen Natur und der Kultur des Menschen sich selbst genügt.
Noch ist in der Philosophie als Wissensdisziplin ein Interesse an der
eigenen Tradition vorhanden, das sich aber gleichsam verflüchtigt. Die
Schatzkammer des Wissens wird von den nachfolgenden Generationen
der Fachgelehrten – denn auch die Philosophie wird im 20. Jahrhundert
zu einer Fachdisziplin unter anderen – zu einer Rumpelkammer ge-
brauchter Ideen und Konzepte. Schon Wilhelm Dilthey hat deutlich
hervorgehoben, wie das alte Panorama neu auszuleuchten ist:
Wir blicken zurück auf ein unermeßliches Trümmerfeld religiöser Tradi-
tionen, metaphysischer Behauptungen, demonstrierter Systeme: Möglich-
keiten aller Art, den Zusammenhang der Dinge wissenschaftlich zu be-
gründen, dichterisch darzustellen oder religiös zu verkünden, hat der
Menschengeist durch viele Jahrhunderte versucht und durchgeprobt […].41

39 Hoffmann (1922), 1052.


40 Vgl. Kobusch u. Mojsisch (1997).
41 Dilthey (1968), 76.
20 Gerald Hartung

Diese Versuchsanordnungen waren allerdings, wie Dilthey hinzufügt,


äußerst anregend und sie markieren einen Standard philosophischen
Nachdenkens über die eigene Herkunftsgeschichte, der im Getöse einer
aneignenden Traditionsbestimmung bei Nietzsche und seinen Nach-
folgern verkannt wird – und gegen diese Tendenz behauptet werden
muss.
Der vorliegende Sammelband zum Werk Zellers und seiner
Nachwirkung geht auf eine Internationale Tagung zurück, die vom 12.
bis 14. März 2008 am Antike-Zentrum der Humboldt-Universität
Berlin unter der Leitung von Christof Rapp (Humboldt Universitt) und
Gerald Hartung (FEST) stattgefunden hat. Finanziert wurde die Ver-
anstaltung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die
Stiftung Preußische Seehandlung Berlin, sowie seitens der Berlin-Branden-
burgischen Akademie der Wissenschaften und des Walter de Gruyter Verlags in
Berlin.
Anlass der Tagung in einem engeren Sinne war der hundertste
Todestag des Gelehrten Eduard Zeller. In einem weiteren Verständnis
war die Konferenz von einem nachhaltigen Interesse an einer Freile-
gung der Philosophie- und Wissenschaftsgeschichtsschreibung im
19. Jahrhundert und ihrer zentralen Problemstellungen wie auch, ins-
besondere im Fall Zellers, an der Transformation der Philosophie der
Antike in einen Horizont des modernen Selbstverständnisses von Phi-
losophie als Wissensdisziplin geprägt. Dieses Interesse wird in den ein-
zelnen Beiträgen des Bandes dokumentiert. Neben den Arbeiten zur
Philosophie und Religion der Antike werden die Konstellationen in
Philosophie, Theologie und Wissenschaften des 19. Jahrhunderts be-
schrieben und zum Abschluss die Wirkungsgeschichten skizziert.
Die Beiträge des Bandes spiegeln den Befund, dass Zeller in vielerlei
Hinsicht ein zeitgemäßer und durchaus unzeitgemäßer Denker war. Als
Theologe, Religions- und Kirchenhistoriker, als Philosophie- und
Kulturhistoriker der Antike, als Philosoph des 19. Jahrhunderts, der sich
um das Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften bemüht hat, als
Organisator großer Akademieprojekte, als Wissenschaftspolitiker und als
Hochschullehrer, das letztere über fünf Jahrzehnte lang, war Zeller
ohne Zweifel einer der großen wirkungsmächtigen Gelehrten seiner
Zeit. Schweitzers berühmtes Diktum über den Zeitgenossen Zellers
„Man muss Strauß lieben, um ihn zu verstehen“ ist in seinem Fall
allerdings zu modifizieren. Treffender wäre zu sagen, „man muss Zeller
lesen, um ihn zu verstehen und zu schätzen“. Das entspricht eher dem
ausgleichenden Wesen des letzten Römers. Um es mit den Worten
Eine Schatzkammer des Wissens 21

Hermann Cohens, seinem späteren Nachfolger auf dem Marburger


Lehrstuhl zu sagen, der einen lesenswerten Nachruf zu seinem hun-
dertsten Geburtstag verfasst hat: „Zeller gehört zu den guten Geistern
der deutschen Wissenschaft, der deutschen Bildung und der deutschen
Philosophie.“42
Der Herausgeber dankt Christof Rapp für die schnörkellose Un-
terstützung. Ohne sein Engagement und die dadurch gewährleistete
institutionelle Anbindung an der Humboldt-Universitt zu Berlin wäre die
Tagung nicht ein solcher Erfolg geworden. Astrid Dostert vom Antike-
Zentrum der Universität gilt der Dank für die hervorragende Organi-
sation und kompetente Beratung. Dem Verlag Walter de Gruyter, na-
mentlich Sabine Vogt und Katrin Hofmann, ist für die Aufnahme des
Manuskripts in sein Verlagsprogramm und die Realisierung des Buches
zu danken. Zuguterletzt möchte ich den Beiträgern des Bandes für ihre
Geduld und meinen Mitarbeitern an der FEST, Thomas Renkert, für
seine Unterstützung bei der Herstellung einheitlicher Texte, und Er-
mylia Aichmalotidou, für ihre Beharrlichkeit in der Umsetzung der
editorischen Richtlinien und bei der wiederholten Korrekturarbeit,
nachdrücklich danken.

Heidelberg, im September 2009

42 Cohen (1928), 465.


22 Gerald Hartung

Literaturverzeichnis
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2., neu durchgesehene Aufl., Leipzig.
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Entwicklung Dargestellt von Dr. Eduard Zeller, Zweiter Theil, 1. Abtheilung
(Sokrates und die Sokratiker. Plato und die Alte Akademie), 4. Aufl.,
Leipzig.
Aristoteles oder Empedokles?
Charles Darwin und Eduard Zeller über einen antiken
Ansatz zur Evolutionstheorie
Oliver Primavesi

I. Einleitung

Aristoteles hält bekanntlich nicht nur die Welt im Ganzen für unge-
worden und unvergänglich, sondern, abgesehen von den beschränkten
Möglichkeiten der Artenkreuzung, auch die einzelnen Genera und
Species von Pflanzen und Tieren, die den sublunaren Teil der Welt
bevölkern.1 Den entgegengesetzten Standpunkt vertrat Charles Darwin
(1809 – 1882). In seinem Werk On the Origin of Species von 1859 stellt
Darwin zum einen die Behauptung auf, die Arten des Tierreichs seien
wandelbar („Mutability of Species“), und unternimmt es zum andern und
vor allem, diese Wandelbarkeit zu erklären. Seine Erklärung setzt auf
der Ebene des Individuums an, nämlich mit der beobachtbaren Tatsa-
che, dass sich zwischen zwei beliebig gewählten Individuen einer Art,
die sich sexuell reproduziert, fast ausnahmslos irgendwelche Unter-
schiede feststellen lassen werden („Variation“). Diese Variabilität der
Individuen setzt Darwin in Beziehung mit der gleichfalls beobachtbaren
Tatsache, dass die Ressourcen aller Art auf Erden zu knapp sind, um die
Versorgung aller Individuen aller species zu garantieren. Die Knappheit

1 Zur Artenkreuzung vgl. etwa die von Aristoteles referierte Erklärung des
Sprichwortes „Libyen brütet fortwährend etwas Neues aus“: An den wenigen
Wasserstellen, die im trockenen und heißen Libyen zu finden sind, geben sich
naturgemäß Tiere der verschiedensten Arten ein Stelldichein. Diese Wasser-
stellen bieten also besonders günstige Bedingungen für die Kreuzung von
Tieren verschiedener Arten untereinander, und eben deshalb sollen hier un-
gewöhnlich viele Hybrid-Wesen entstehen (De Generatione Animalium 2, 7;
746b7 – 11: k´cetai d³ ja· t¹ peq· t/r Kib¼gr paqoiliafºlemom ¢r !e¸ ti t/r
Kib¼gr tqevo¼sgr jaimºm, di± t¹ l¸cmushai ja· t± lµ blºvuka !kk¶koir
kewh/mai toOto7 di± c±q tµm sp²mim toO vdator !pamt_mta p²mta pq¹r ak¸-
cour tºpour to»r 5womtar m²lata l¸cmushai ja· t± lµ blocem/).
26 Oliver Primavesi

hat ein allgemeines Struggle for Life zur Folge, und diesem Überlebens-
kampf wiederum werden einige Individuen ein und derselben Art,
aufgrund der bei ihnen vorliegenden Zufalls-Variation, besser ge-
wachsen sein als andere. Damit wächst zugleich ihre Chance, sich zu
reproduzieren. Diejenigen Variationen, die sich im Struggle for Life be-
währen, vererben sich deshalb mit höherer Wahrscheinlichkeit als die
übrigen, im Überlebenskampf als minder tauglich erwiesenen Varia-
tionen („Natural Selection“). So stabilisieren sich die erfolgreichen Va-
rianten in unzähligen Generationen zu neuen Arten. Diese komplexe
These steckt in nuce bereits im vollständigen Titel der Erstausgabe von
Darwins Werk: ON THE ORIGIN OF SPECIES / BY MEANS OF
NATURAL SELECTION, / OR THE / PRESERVATION OF
FAVOURED RACES IN THE STRUGGLE / FOR LIFE.2
Der Gegensatz zu Aristoteles scheint kaum überbrückbar. Um so
bemerkenswerter ist das doppelte Paradoxon, das im Folgenden doku-
mentiert und aufgehellt werden soll: Was zum einen Darwin selbst
betrifft, so hielt er Aristoteles nicht etwa für seinen Antipoden, sondern
vielmehr für den einzigen nennenswerten Vorläufer seiner Theorie, den
er im gesamten klassischen Altertum finden konnte, ein Urteil, das der
schottische Philosoph James Stirling 1890 als Darwin’s greatest mistake
bezeichnen sollte. Eduard Zeller aber, der doch die Geschichte des
antiken Denkens so gut überblickte wie vielleicht kein zweiter vor oder
nach ihm, hat sich Darwins Urteil über Aristoteles in modifizierter
Form zueigen gemacht; er tat dies in der von der Darwin-Forschung
weithin ignorierten, am 25. Juli 1878 in der Kgl. Preussischen Akade-
mie der Wissenschaften gelesenen Abhandlung: ˜ber die griechischen
Vorgnger Darwin’s. 3 Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist der Nach-
weis, dass Darwins Berufung auf Aristoteles in ihrer von Zeller modi-
fizierten Form ungleich plausibler ist als die weitverbreitete Gegenpo-
sition, der zufolge das von Darwin dem Aristoteles zugeschriebene
Verdienst in Wahrheit bereits dem klassischen Dichterphilosophen
Empedokles von Agrigent zukommt.

2 Darwin (1859), Titelblatt.


3 Zeller (1879).
Aristoteles oder Empedokles? 27

II. Ein Aristotelisches Gedankenexperiment und


die Empedoklesüberlieferung

1. Aristoteles Physik II, 8

Einer der von Aristoteles im zweiten Buch der Physik unterschiedenen


vier Ursachentypen ist die Finalursache, d. h. die Zweckbestimmtheit
(6mej² tou) natürlicher Prozesse, bzw. ihr Worum-willen (ox 6meja) oder
Ziel (t´kor). Zur Sicherung der Annahme einer solchen Finalursache
versucht Aristoteles im achten Kapitel des zweiten Buches, die entge-
gengesetzte Annahme ad absurdum zu führen. In dieser Absicht stellt er
die antiteleologische Gegenthese zunächst ausführlich vor, d. h. er lässt
sich in einem Gedankenexperiment auf die Annahme ein, dass natür-
liche Prozesse durchweg kausal determiniert seien, und dass es stets reiner
Zufall sei, ob ihre Wirkungen aus menschlicher Sicht nützlich oder
schädlich seien – so wie es ja auch weder zu dem Zweck regne, das
Getreide wachsen zu machen, noch zu dem Zweck, das unter freiem
Himmel gedroschene Getreide wieder zu zerstören (Aristoteles, Physik
II 8; 198b16 – 23):4
5wei d( !poq¸am t¸ [17] jyk¼ei tµm Da tritt die Frage auf: Warum soll es
v¼sim lµ 6mej² tou poie?m lgd( fti denn undenkbar sein, dass die Natur
b´ktiom, ohne alle Finalität und Rücksicht auf
das Bessere arbeite,
!kk( [18] ¦speq vei b Fe»r, oqw fpyr sondern vielmehr so, wie Zeus es
t¹m s?tom aqn¶sgi, !kk( 1n [19] regnen lasse, nicht um das Getreide
!m²cjgr7 wachsen zu lassen, sondern aus Not-
wendigkeit –
t¹ c±q !mawh³m xuwgh/mai de?, ja· denn die aufgestiegene Luft müsse
t¹ xuwh³m [20] vdyq cemºlemom abkühlen und die abgekühlte Luft
jatekhe?m7 t¹ d( aqn²meshai to¼tou müsse, zu Wasser geworden, herun-
cemol´-[21]mou t¹m s?tom sulba¸mei. terfallen; sei es aber dazu gekommen,
so sei das Wachsen des Getreides bloß
eine Nebenfolge –,

4 Vgl. Zeller (1879), 117: „Aristoteles wirft in seiner Physik II, 8 die Frage auf, ob
die Natur nach Zwecken, um des Besten willen, wirke, oder nur vermöge einer
blinden Nothwendigkeit; so dass es sich schliesslich mit allem so verhielte, wie
mit dem Regen, der zwar das Wachsen des Getreides zur Folge habe, aber nicht
um des Getreides willen, sondern lediglich desshalb eintrete, weil die aufstei-
genden Dünste in der Höhe sich abkühlen und dann als Wasser niederschla-
gen“.
28 Oliver Primavesi

blo¸yr d³ ja· eU tyi !pºkkutai b [22] und genauso, wenn einem Bauern das
s?tor 1m t/i ûkyi, Getreide infolge des Regens auf dem
Dreschplatz verdirbt:
oq to¼tou 6meja vei fpyr !pºkgtai, es regne nicht zu dem Zweck, dass das
!kk± [23] toOto sulb´bgjem. Getreide verderbe, sondern das Ver-
derben des Getreides sei die bloße
Nebenfolge?

Diese Annahme überträgt Aristoteles sodann auf die Körperteile, wie


z. B. die Schneide- und die Backenzähne. Es sei vorstellbar, dass beide
Zahnarten ihre Form nicht zum Zweck der praktischen Arbeitsteilung
von Zertrennen und Zermalmen annähmen, sondern vielmehr unab-
hängig voneinander, lediglich aufgrund streng kausaler Determination,
ausgeformt würden. In diesem Fall würde es reiner Zufall sein, dass
beide Zahnarten die beiden aufeinander abgestimmten Funktionen des
Trennens und des Zermalmens erfüllen können; gleiches würde dann
auch für die anderen Organe gelten (Aristoteles, Physik II 8; 198b23 –
29):5
¦ste t¸ jyk¼ei ovty ja· t± l´qg 5weim Was soll demnach die Annahme un-
[24] 1m t/i v¼sei, möglich machen, dass die Dinge auch
bei der Gestaltung der Organe in der
Natur ebenso liegen,
oXom to»r adºmtar 1n !m²cjgr !mate?- dass z. B. die zum Schneiden der
kai to»r [25] l³m 1lpqosh¸our ane?r, Nahrung tauglichen Vorderzähne aus
1pitgde¸our pq¹r t¹ diaiqe?m, to»r d³ Notwendigkeit als scharfe Zähne, die
[26] colv¸our pkate?r ja· wqgs¸lour Backenzähne als breite und zum
pq¹r t¹ kea¸meim tµm tqov¶m, Mahlen der Nahrung zweckmäßige
Zähne hervorgekommen seien?
[27] 1pe· oq to¼tou 6meja cem´shai, Denn dies sei ja nicht etwa mit solcher
!kk± sulpese?m. Zwecksetzung geschehen, sondern es
habe sich beides eben so zusammen-
gefunden;
blo¸yr d³ [28] ja· peq· t_m %kkym und nicht anders lägen die Dinge bei
leq_m, 1m fsoir doje? rp²qweim t¹ den anderen Organen, bei denen zu-
6mej² [29] tou. nächst eine Zweckbestimmtheit (der
Gestaltung) vorzuliegen scheine.

5 Vgl. Zeller (1879), 117: „Warum könnte nun, fragt er, nicht dasselbe von allen
Naturerzeugnissen gelten? Warum könnte z. B. die Schärfe der Schneidezähne
und die Stumpfheit der Backzähne nicht etwas Zufälliges, der Dienst, den uns
beide beim Essen und Kauen leisten, eine nicht beabsichtigte Folge dieses
zufälligen Zusammentreffens sein? Ebenso, könnte man annehmen, verhalte es
sich überall, wo eine Zweckmässigkeit vorzuliegen scheint“.
Aristoteles oder Empedokles? 29

In diesem Fall würde allerdings damit zu rechnen sein, dass die Natur
sowohl zweckmäßige als auch zweckwidrige Kombinationen hervor-
bringt und man würde anzunehmen haben, dass die Organismen nur in
den Fällen überleben, in denen die Komposition von Körperteilen
zufällig so geartet ist, als ob sie für die Erfüllung bestimmter Funktionen
so geplant worden wäre. Wo dies aber nicht der Fall ist, wie bei den von
Empedokles beschriebenen monströsen Kombinationen aus beliebigen
Einzelgliedern, gingen und gehen sie wieder zugrunde (Aristoteles,
Physik II 8; 198b29 – 32):6
fpou l³m owm ûpamta sum´bg Wo nun alles sich zufällig so ergab, wie es
¦speq j#m eQ 6mej² tou 1c¸- auch ein zweckbestimmtes Werden her-
[30]meto, vorgebracht haben würde,
taOta l³m 1s¾hg !p¹ toO aqto- da habe es sich am Leben erhalten, da es
l²tou sust²mta 1pi-[31]tgde¸yr7 dank dem blinden Zufall einen zweck-
mäßigen Aufbau besessen habe.
fsa d³ lµ ovtyr, !p¾keto ja· Das übrige aber sei zugrunde gegangen
!pºkkutai, und gehe stets wieder zugrunde,
ja-[32]h²peq 9lpedojk/r k´cei t± so wie es Empedokles von den Rinds-
boucem/ !mdqºpqyiqa. wesen mit Menschenvorderteil sagt.

Die Affinität dieses Gedankenexperiments zu Darwins Konzept der


natural selection ist von Zeller mit Recht hervorgehoben worden:7
Hier wird allerdings der Gedanke ausgesprochen, die zweckmässige Be-
schaffenheit der Naturerzeugnisse könnte, ohne Mitwirkung einer
Zweckthätigkeit, lediglich davon herrühren, dass unter den mannigfaltigen
Wesen, welche durch das Zusammentreffen der naturnothwendigen
Wirkungen entstanden, nur die lebensfähigen sich erhielten.
Doch ebenso deutlich hat Zeller ausgesprochen, dass Aristoteles diesen
Gedanken „nur versuchsweise und nur zum Zweck seiner Widerle-
gung“ entwickelt.8 Und in der Tat folgt bei Aristoteles die Widerlegung
auf dem Fuß:9 Die natürliche Ausformung bestimmter Organismen

6 Zeller (1879), 117: „Diejenigen Wesen nun, bei denen sich alles so fügte, wie
wenn es um eines Zweckes willen gemacht worden wäre, haben sich erhalten,
da sie der Zufall zweckmässig gebildet hatte; diejenigen dagegen, bei denen
diess nicht der Fall war, seien zu Grunde gegangen und gehen fortwährend zu
Grunde, wie nach Empedokles die Stiere mit Menschengesichtern“.
7 Zeller (1879), 117 – 118.
8 Zeller (1879), 122.
9 Zeller (1879) 120 – 121: „Aristoteles selbst verneint diese Frage. Jene Erklärung,
bemerkt er a.a.O. (198, b, 33 ff.), wäre nur dann zulässig, wenn die Zweck-
mässigkeit der Naturerzeugnisse blos als Ausnahmefall vorkäme; wo man da-
30 Oliver Primavesi

vollziehe sich immer (!e¸) oder jedenfalls regelmßig (¢r 1p· t¹ pok¼) in
gleicher Weise, im Gegensatz zu Zufallsereignissen.10 Aus der beobacht-
baren Tatsache aber, dass die Natur regelmäßig etwas Zweckmßiges
entstehen lässt, meint Aristoteles unmittelbar schließen zu können, dass
die Natur auch durch Zwecke bestimmt ist: „Die Artnatur (physis) der
Lebewesen ist klarerweise in dem Sinne eine Ursache, dass sie das, was
sie verursacht, zur Erreichung eines Zwecks verursacht.“11 Der Gedanke
an ein Naturgesetz, das regelmäßig Zweckmäßiges entstehen lassen
könnte, ohne selbst unter Zwecken zu stehen, liegt ihm fern.12
Wodurch Aristoteles dazu veranlasst wurde, sich mit der nach seiner
Meinung verfehlten Hypothese einer rein zufälligen Zweckmäßigkeit
der Organismen überhaupt auseinanderzusetzen, gibt er selbst zu er-
kennen: Er illustriert nämlich die zufällige Hervorbringung und den
Untergang zweckwidrig aufgebauter Organismen mit einem Beispiel aus
dem Naturgedicht des vorsokratischen Dichterphilosophen Empedo-
kles: „[…] so wie Empedokles von rindsgestaltigen Wesen mit Men-
schenvorderteil spricht“.13 Aristoteles zitiert hier eine Stelle, die uns im
Umfang von vier Versen erhalten ist (Fragment B 61 Diels-Kranz). Dort
wird beschrieben, wie die isolierten Einzel-Gliedmaßen, die auf einer
ersten zoogonischen Stufe entstanden sind, sich auf der darauffolgenden
Stufe zu monströsen Fehlbildungen zusammenschließen wie z. B.

gegen eine ausnahmslose oder doch ganz überwiegende Regelmässigkeit der


Erscheinungen wahrnehme, könne man dieselbe nicht auf den Zufall zurück-
führen. Wenn in der Natur immer, falls kein Hinderniss eintritt, von einem
bestimmten Punkt aus in stetigem Verlaufe ein gewisses Ziel erreicht werde, so
lasse sich dieses nur als der Zweck der Thätigkeiten betrachten, durch die es
erreicht wird (a.a.O. 199, b, 14 ff., vgl. 199, a, 8 ff.). So wenig daher auch die
Natur über ihre Mittel und Zwecke mit sich zu Rathe gehe, so lasse sich doch
ihre Zweckthätigkeit nicht in Abrede ziehen“. Vgl. Cooper (1982): 221 – 222.
10 Aristoteles, Physik II 8; 198b34 – 36: „!d¼matom d³ toOtom 5weim t¹m tqºpom.
taOta [35] l³m c±q ja· p²mta t± v¼sei C !e· ovty c¸metai C ¢r 1p· [36] t¹
pok¼, t_m d( !p¹ t¼wgr ja· toO aqtol²tou oqd´m.“
11 Aristoteles, Physik II 8; 199b32 – 33: „fti l³m owm aQt¸a B v¼sir, ja· ovtyr ¢r
6mej² [33] tou, vameqºm.“
12 Wagner (1967), 479: „Dies, daß Zweckmäßiges in der Natur nicht etwa ver-
einzelt einmal, sondern in aller Regelmäßigkeit auftritt, ist nur durch ein
zweckbestimmtes Erzeugen und Gestalten der Natur erklärbar; Zweckmäßig-
keit als Regel ist nur auf Grund einer Zwecktätigkeit der Natur möglich.
Deutlich ist, was für diese Argumentation des Aristoteles unerläßliche Bedin-
gung ist: das Fehlen des Begriffs des Naturgesetzes“.
13 Aristoteles, Physik II 8; 198b31 – 32: „ja-[32]h²peq 9lpedojk/r k´cei t± bou-
cem/ !mdqºpqyiqa.“
Aristoteles oder Empedokles? 31

Stiermenschen („Da sollen viele Doppelgesichtler und Doppelbrüstler


wachsen, / Rindswesen mit Menschenvorderteil, und andere auftau-
chen / Als Menschensprösslinge mit Ochsenköpfen“),14 oder Herma-
phroditen („Mischwesen, hier von Männern, / dort nach Frauen Art
mit beschatteten Schamgliedern versehen“).15 Dieses Empedokleische
Lehrstück von der zufälligen Entstehung der Hybridwesen bildet of-
fenbar die unmittelbare Veranlassung für das Gedankenexperiment des
Aristoteles.16
Indessen gewährt die Physik-Stelle keinen Aufschluss darüber, in
welchem Umfang Aristoteles für sein Gedankenexperiment auf Empe-
dokles zurückgriff: Ist der Empedokleische Anteil an dieser Hypothese
auf das von Aristoteles abschließend zitierte Fragment B 61 beschränkt,
mit dem Aristoteles lediglich die zufällige Hervorbringung und den
Untergang monstrçser, d. h. zweckwidriger Lebewesen illustriert, oder
fand Aristoteles in demselben Empedokleischen Zusammenhang auch
die positive Hälfte der anti-teleologischen Hypothese vor: die zufällige
Entstehung zweckmßiger Kombinationen und deren ˜berleben? Die
Entscheidung dieser Frage wird durch die fragmentarische Überliefe-
rung des Empedokleischen Naturgedichts erschwert, aber, wie nun zu
zeigen ist, nicht unmöglich gemacht.

2. Aristoteles und Aëtios

Durch das doxographische Handbuch des Aëtios ist für Empedokles die
Annahme einer Reihenfolge von vier verschiedenen zoogonischen
Stufen bezeugt, auf denen die Entstehung des Lebens in jeweils anderer
Weise vor sich geht und zu jeweils anderen Ergebnissen führt:17

14 Empedokles B 61, 1 – 3a Diels-Kranz: „pokk± l³m !lvipqºsypa ja· !lv¸steqma


v¼eshai, / boucem/ !mdqºpqyiqa, t± d( 5lpakim 1namat´kkeim / !mdqovu/ bo¼-
jqama …“
15 Empedokles B 61 3b–4 Diels-Kranz: „… leleicl´ma t/i l³m !p( !mdq_m / t/i d³
cumaijovu/ sjieqo?r Asjgl´ma cu¸oir.“
16 So Zeller (1879), 120 unter zusätzlichem Hinweis auf die weiteren Empedo-
kles-Bezüge in Phys. II 8; 199 b 5 – 15.
17 Aëtios 5, 19, (5); Doxographi 430a21 – 431a5 Diels (Empedokles A 72, [1]
Diels-Kranz). Vgl. Zeller (1879), 116 Anm. 3.
32 Oliver Primavesi

9lpedojk/r (1) t±r pq¾tar cem´seir Empedokles (sagt), (1) die ersten Ge-
t_m f¾iym ja· vut_m lgdal_r bko- nerationen der Tiere und Pflanzen
jk¶qour cem´shai, !sulvu´si d³ to?r seien überhaupt keine vollständigen
loq¸oir diefeucl´mar, Wesen gewesen, sondern getrennte,
mit nicht zusammengewachsenen
Körperteilen;
(2) t±r d³ deut´qar sulvuol´mym t_m (2) die zweiten, bei denen die Teile
leq_m eQdykovame?r, zusammengewachsen seien, hätten
wie Trugbilder ausgesehen;
(3) t±r d³ tq¸tar t_m bkovu_m,18 (3) die dritten hätten aus den Ganz-
gewachsenen bestanden.
(4) t±r d³ tet²qtar oqj´ti 1j t_m (4) Die vierten seien nicht mehr (un-
blo¸ym oXom 1j c/r ja· vdator, !kk± dQ mittelbar) aus homogenen Materi-
!kk¶kym Edg, to?r l³m pujmyhe¸sgr alien, z. B. Erde und Feuer, entstan-
t/r tqov/r, to?r d³ ja· t/r eqloqv¸ar den, sondern durch gegenseitiges
t_m cumaij_m 1peqehisl¹m toO speq- Aufeinandereinwirken, da sich bei
latijoO jim¶lator 1lpoigs²sgr. den einen die Nahrung verdichtete,
und für die anderen zusätzlich auch
noch die schöne Gestalt der Weib-
chen eine Erhitzung der Samenbe-
wegung bewirkte.

Die einzelnen Stufen lassen sich weitgehend durch Zitate originalen


Empedokleischen Wortlauts illustrieren. Auf der „ersten“ Stufe ent-
standen einzelne Gliedmaßen, die unverbunden umherirrten: „Ihr (der
Erde) entsprossen viele Kinnbacken ohne Hälse / Nackte Arme irrten
hin und her sonder Schultern / Und Augen allein schweiften umher bar
der Stirnen.“19 Auf der „zweiten“ Stufe setzten sich diese Einzelglieder
zu zusammengesetzten Wesen zusammen, so wie es der Zufall gerade
wollte: „Doch als sich in größerem Maße vermischte Daimon mit
Daimon (d. h. die vier Elemente miteinander) / da fielen diese (Ein-
zelglieder) zueinander, wo sie sich gerade trafen, / und viele andere
entstanden sogleich in einem Stück.“20 Dabei entstehen monströse
Fehlbildungen, die teilweise an die Fabelwesen des Mythos erinnern:
Zu den bereits erwähnten Stiermenschen des Fragments B 61, die of-
fenbar nach dem Vorbild des Minotaurus imaginiert sind, kommen

18 bkovu_m Karsten; !kkgkovu_m die Überlieferung.


19 Empedokles B 57 Diels-Kranz: „Hi pokka· l³m jºqsai !ma¼wemer 1bk²stgsam /
culmo· d( 1pk²fomto bqaw¸omer eumider ¥lym / ellata t( oW( 1pkam÷to pemg-
te¼omta let¾pym.“
20 Empedokles B 59 Diels-Kranz: „aqt±q 1pe· jat± le?fom 1l¸sceto da¸lomi da¸-
lym, / taOt² te sulp¸ptesjom, fpgi sum´juqsem 6jasta, / %kka te pq¹r to?r
pokk± digmej/ 1nec´momto.“
Aristoteles oder Empedokles? 33

noch Hesiodeische Hunderthänder („Schleppfüßler, mit unzählig vielen


Händen“).21 Auf der „dritten“ Stufe kommt es zu einem Neuansatz. Aus
der Erde emporsteigendes Feuer bringt ganzheitlich-unartikulierte Le-
bewesen (oqkovue?r t¼poi) hervor:
Jetzt auf! Wie der viel beweinenswerten Männer und Frauen / nachtver-
hüllte Sprossen ans Licht brachte das sich abscheidende Feuer, darüber /
höre Folgendes! Denn die Rede ist nicht ziellos noch kenntnislos./
Rohgeballte Formen von Erde tauchten zunächst aus ihr auf,/ die von
beidem, Wasser und Wärme, ihren Anteil hatten. / Diese brachte das Feuer
in die Höhe, bestrebt, zu Seinesgleichen zu gelangen. / Die zeigten noch
nicht der Glieder liebliche Gestalt, / noch Stimme oder Schamglied, wie es
bei den Männern am Platz ist.22
Diese kugelförmigen Wesen vereinigen beide Geschlechter in sich, aus
ihnen werden später durch Aufspaltung in zwei Hälften Mann und Frau
geschaffen, – eine Vorstellung, die durch ihre Parodie in Platons Sym-
posion berühmt geworden ist.23 Das empirische Modell für diese ganz-
heitlichen Erdgeborenen sind die Pflanzen, die auch heute noch aus der
Erde wachsen und beide Geschlechter in sich vereinen:
Empedokles sagt, von den Lebewesen seien zuerst die Bäume aus der Erde
entsprossen, noch bevor die Sonne sich ringsum ausgebreitet hatte und
noch bevor es den Unterschied zwischen Tag und Nacht gab. Wegen der
Symmetrie ihrer Mischung seien sie zugleich männlich und weiblich.24
Auf der vierten Stufe, die unserer Gegenwart entspricht, pflanzt sich das
Leben im Durchgang durch Lebewesen der jeweils gleichen Art fort (di’ !kk¶-
kym), d. h. in der Weise, daß jedes Lebewesen bzw. der Keim dazu aus
einem anderen Exemplar der gleichen Art herauskommt: Säugetier-
weibchen gebären Junge, Vögel legen Eier, Bäume bringen Früchte
hervor.

21 Empedokles B 60 Diels-Kranz: „eRk¸pod( !jqitºweiqa.“


22 Empedokles B 62 Diels-Kranz: „mOm d( %c(, fpyr !mdq_m te pokujka¼tym te
cumaij_m / 1mmuw¸our fqpgjar !m¶cace jqimºlemom pOq, / t_mde jk¼(7 oq c±q
lOhor !pºsjopor oqd( !da¶lym. / oqkovue?r l³m pq_ta t¼poi whom¹r 1na-
m´tekkom, / !lvot´qym vdatºr te ja· eUdeor aWsam 5womter7/ to»r l³m pOq
!m´pelpe h´kom pq¹r blo?om Rj´shai, / oute t¸ py lek´ym 1qat¹m d´lar 1lva¸-
momtar/ out( 1mopµm oXºm t( 1piw¾qiom !mdq²si cu?om.“
23 Platon, Symposion 189d–193c.
24 Aëtios 5, 26, (4); Doxographi 438a 2 – 439a4 Diels (= Empedokles A 70, [1]
Diels-Kranz): „9lpedojk/r pq_ta t± d´mdqa t_m f¾iym 1j c/r !mavOma¸ vgsi,
pq·m t¹m Fkiom peqiapkyh/mai ja· pq·m Bl´qam ja· m¼jta diajqih/mai7 di± d³
sulletq¸ar t/r jq²seyr t¹m toO %qqemor ja· toO h¶keor peqi´weim kºcom.“
34 Oliver Primavesi

Über diese Empedokleische Stufenfolge geht nun die von Aristo-


teles in Physik II, 8 präsentierte Hypothese schon in dem Punkt hinaus,
dass sie auch für die Gegenwart mit der Entstehung und dem Zugrun-
degehen unzweckmäßiger Lebewesen rechnet (198b 31: fsa d³ lµ
ovtyr, !p¾keto j a · ! p º k k u t a i ), während bei Empedokles nach
dem Zeugnis des Aëtios die Zufallskombinationen aus Einzelgliedern
auf die zweite zoogonische Stufe beschränkt sind, die von der gegen-
wärtigen vierten Stufe aus betrachtet weit zurückliegt.
Will man dennoch den Versuch machen, die Empedokleische
Stufenfolge mit der Hypothese einer Artenentstehung durch natürliche
Selektion in Verbindung zu bringen, muss man zunächst die Voraus-
setzung machen, dass nach Empedokles auf der zweiten zoogonischen
Stufe neben nicht lebensfähigen Zufallskombinationen auch lebensfä-
hige entstanden sind, und sodann einen von zwei Wegen beschreiten:
– Entweder man lässt die Geltungsdauer der natürlichen Selektion auf
die zweite zoogonische Stufe beschränkt sein.
– Oder man betrachtet die lebensfähigen, geschlechtlich differenzierten
Wesen der vierten Stufe, die unserer Gegenwart entspricht, in ir-
gendeiner Weise als Resultat einer Auslese unter den Zufallskombi-
nationen der zweiten Stufe. Mit den besonderen Schwierigkeiten
dieses Weges hat sich Zeller 1879 auseinandergesetzt, und wir wer-
den abschließend, bei der Besprechung von Zellers Abhandlung,
darauf zurückkommen.
Schon die gemeinsame Voraussetzung beider Wege aber, d. h. die
Differenzung zwischen funktionalen und dysfunktionalen Zufallskom-
binationen auf der zweiten Stufe, scheint in der Überlieferung keine
Stütze zu finden: Bei Aëtios wird die zweite zoogonische Stufe des
Empedokles einzig und allein durch die trugbildhaften Monster-Kom-
binationen (cem´seir eQdykovame?r) repräsentiert, zwischen denen hin-
sichtlich ihrer jeweiligen Zweckmäßigkeit und Lebensfähigkeit gar kein
Unterschied gemacht wird; dazu stimmt, dass auch keines der von uns
vollständig angeführten Originalfragmente zu den Zufallskombinatio-
nen der zweiten Stufe den geringsten Hinweis auf deren unterschied-
liche Zweckmäßigkeit und Lebensfähigkeit gibt. Beide Befunde spre-
chen, sobald man sie zusammennimmt, entschieden dagegen, in der
zweiten zoogonischen Stufe des Empedokles ein, sei es auch zeitlich
begrenztes, Beispiel für die „Darwinistische“ Regel zu sehen, derzufolge
die unzweckmäßigen Zufallskombinationen untergehen, während die
zweckmäßigen überleben und sich weiter fortpflanzen können. Handelt
Aristoteles oder Empedokles? 35

es sich also auch insoweit bei dem in Physik II, 8 vorgetragenen anti-
teleologischen Gedankenexperiment erst um eine Konstruktion des
Aristoteles?

3. Aristoteles und Simplikios

Das einzige Zeugnis, das in der Forschung als Beleg für einen größeren
Empedokleischen Anteil an dem Gedankenexperiment des Aristoteles
ins Feld geführt wurde, ist der Kommentar des neuplatonischen Ari-
stoteleserklärers Simplikios zu unserer Physik-Stelle:25
(a)
[371,33] ¦speq 9lpedojk/r jat± tµm So wie Empedokles sagt, dass unter
t/r vik¸ar !qw¶m vgsi [34] cem´shai der Herrschaft der Liebe zunächst (1.
¢r 5tuwe l´qg pq_tom t_m f¾iym, Stufe) beliebige Teile von Lebewesen
oXom jevak±r ja· we?qar ja· [35] pºdar, entstehen, wie z. B. Köpfe, Hände,
5peita sumi´mai taOta Füße, und dass diese Teile sich dann
(2. Stufe) vereinigen:
[372,1] boucem/ !mdqºpqyiqa, t± d( „[…] Rindswesen mit Menschenvor-
5lpakim 1namat´kkeim derteil, und umgekehrt andere auf-
tauchen“
[2] „!mdqocem/“ dgkomºti „bo¼pqy- d.h. Menschensprösslinge mit Rinds-
iqa“, tout´stim 1j bo¹r ja· köpfen, d. h. aus Rind und Mensch.
!mhq¾pou.

(b)
ja· fsa [3] l³m ovty sum´stg !kk¶- Und alle Glieder, die sich derart mit-
koir ¦ste d¼mashai tuwe?m sytgq¸ar, einander verbanden, dass sie einen
1c´meto f_ia [4] ja· 5leimem di± t¹ stabilen Zustand erreichen konnten,
!kk¶koir 1jpkgqoOm tµm wqe¸am, wurden zu Lebewesen und blieben
bestehen, da sie gegenseitig einander
die Bedürfnisse erfüllten,
to»r l³m adºmtar t´-[5]lmomt²r te ja· indem z. B. Zähne die Nahrung zer-
kea¸momtar tµm tqov¶m, tµm d³ schnitten und zermahlten, der Magen
cast´qa p´ttousam, t¹ d³ [6] Hpaq sie verdaute, die Leber sie zu Blut
1nailatoOm. umwandelte.
ja· B l³m toO !mhq¾pou jevakµ t_i Und wenn ein Menschenkopf mit
!mhqyp¸myi s¾-[7]lati sumekhoOsa einem Menschenrumpf zusammen-
s¾ifeshai poie? t¹ fkom, kommt, bewirkt er das Überdauern
des Ganzen;
t_i d³ toO bo¹r oq sumaqlºfei [8] ja· zu einem Rindsrumpf hingegen passt
diºkkutai7 er nicht und geht zugrunde.

25 Simplicius, In Phys. 371,33 – 372,11 Diels.


36 Oliver Primavesi

fsa c±q lµ jat± t¹m oQje?om sum/khe Alle Glieder nämlich, die nicht gemäß
kºcom, 1vh²qg. der eigenen Bestimmung zusammen-
kamen, gingen zugrunde.

(c)
t¹m [9] aqt¹m d³ tqºpom ja· mOm In derselben Weise aber kommt auch
p²mta sulba¸mei. jetzt alles zustande.
ta¼tgr dojoOsi t/r dºngr [10] t_m l³m Dieser Meinung scheinen von den
!qwa¸ym vusij_m fsoi tµm rkijµm alten Naturphilosophen alle diejeni-
!m²cjgm aQt¸am eWmai t_m cimo- gen zu sein, die den in der Materie
[11]l´mym vas¸, t_m d³ rst´qym oR liegenden Zwang als Ursache des
9pijo¼qeioi. Werdens betrachten, von den Späte-
ren aber die Epikureer.

Simplikios unterscheidet in der Tat, genauso wie die von ihm hier
kommentierte Aristoteles-Stelle, zwischen lebensunfähigen und le-
bensfähigen Zufallskombinationen. Indessen hat man bei der quellen-
kritischen Auswertung dieser Unterscheidung Folgendes zu bedenken:
Zwar ist Simplikios ein hervorragender Kenner des Empedokleischen
Naturgedichts: Aristotelische Verweise auf Empedokles illustriert er
vielfach mit Originalzitaten, die er einem Exemplar des vollständigen
Gedicht-Textes entnimmt. Doch unbeschadet dessen ist der primäre
Referenztext eines Simplikianischen Aristoteles-Kommentars stets und
auch im vorliegenden Fall der kommentierte Aristotelestext selbst,
weswegen Angaben im Kommentar, die nicht nachweislich aus einer
anderen Quelle stammen, zunächst darauf zu prüfen sind, ob sie nicht
einfach dem Aristotelestext entnommen bzw. aus ihm entwickelt sein
können.26 Durchmustert man unsere Simplikios-Stelle unter diesem
doppelten Gesichtspunkt, dann ergibt sich dreierlei:
Zu (a) Eindeutig aus Empedokles geschçpft sind die Informationen, die
Simplikios im ersten Abschnitt (S. 371,33 – 372,2 Diels) beibringt, um

26 Die ausführliche Behandlung der Simplikios-Stelle bei O’Brien (1969), 211 –


216 leidet an dem Mangel, dass sie den Aristotelischen Bezugstext (den O’Brien
kurioserweise erst anschließend, p. 216 – 217, überhaupt anführt) weitgehend
ausblendet: Simplikios kommt hier von vornherein gar nicht als Aristoteles-
erklärer in den Blick, sondern nur als entweder treue oder untreue Quelle zu
Empedokles. Es geht aber nicht an, bestimmte Angaben des Simplikios um-
standslos auf Empedokles zurückzuführen, ohne zuvor die unabdingbare Ge-
genprobe zu machen, was davon einfach von der kommentierten Aristoteles-
Stelle abhängen kann. Keinen Ersatz für eine solche Gegenprobe bietet die
bloße Versicherung (O’Brien (1969), 213): „It would be difficult on the whole
to believe that on the present occasion Simplicius’ forthright statement is
merely embroidery on Aristotle“.
Aristoteles oder Empedokles? 37

das Aristotelische Empedokles-Zitat in seinen Empedokleischen Kon-


text zu stellen:
– Simplikios stellt klar, dass die Zufallskombinationen von Einzelglie-
dern auf einer zweiten zoogonischen Stufe (371,35 5peita) auftreten,
der eine „erste“ Stufe (371,34 pq_tom) vorangegangen ist, auf der
diese Einzelglieder allererst entstanden;
– er situiert diese beiden zoogonischen Stufen in dem Abschnitt des
kosmischen Zyklus, der unter der „Herrschaft der Liebe“ steht
(371,33 jat± tµm t/r vik¸ar !qw¶m), d. h. im Übergang von der
vollkommenen Elemententrennung zur All-Einheit;
– er zitiert über die beiden schon von Aristoteles selbst angeführten
Worte (Physik II 8; 198b32: boucem/ !mdqºpqyiqa) hinaus den
ganzen Vers B 61, 2 (Simplikios 372,1: boucem/ !mdqºpqyiqa, t± d(
5lpakim 1namat´kkeim) und paraphrasiert zudem, zur Erläuterung von
t± d( 5lpakim 1namat´kkeim, den Beginn des folgenden Verses B 61, 3
(!mdqovu/ bo¼jqama) mit den Worten (Simplikios 372,2): „!mdqo-
cem/“ dgkomºti „bo¼pqyiqa“.
Zu (c) Ebenso eindeutig nicht aus Empedokles, sondern vielmehr aus der
kommentierten Aristoteles-Stelle geschöpft ist der abschließende Satz
„In derselben Weise kommt auch jetzt alles zustande“ (S. 372,8 – 9
Diels: t¹m aqt¹m d³ tqºpom ja· mOm p²mta sulba¸mei): Zum einen hatten
wir die Übertragung der natürlichen Selektion auf die Gegenwart (vgl.
Physik II, 8; 198b 31: fsa d³ lµ ovtyr, !p¾keto j a · ! p º k k u t a i )
bereits als sekundäre Aristotelische Zutat zu Empedokles erwiesen, zum
andern schreibt auch Simplikios selbst diese Verallgemeinerung nicht
dem Empedokles zu, sondern – vermutungsweise – einer Gruppe von
Denkern, die er folgendermaßen charakterisiert:
Dieser Meinung scheinen von den alten Naturphilosophen alle diejenigen
(zu sein), die den in der Materie liegenden Zwang zur Ursache des Wer-
dens erklären, von den Späteren aber die Epikureer“ (Simplikios 372,9 –
11: ta¼tgr dojoOsi t/r dºngr t_m l³m !qwa¸ym vusij_m fsoi tµm rkijµm
!m²cjgm aQt¸am eWmai t_m cimol´mym vas¸, t_m d³ rst´qym oR 9pijo¼qeioi).
Zu dieser Gruppe kann Simplikios den Empedokles schwerlich gerechnet
haben, da das Wirken der Empedokleischen Mächte Liebe und Streit nicht
als „in der Materie liegender Zwang“ bezeichnet werden kann.27
Zu (b) Problematisch ist allein das Mittelstück (Simplikios 372,2 – 8).
Der Prozess natürlicher Selektion, den Aristoteles an der kommentier-

27 Anders O’Brien (1969), 215: „This was the principle which animated Empe-
docles’ beliefs and which he shared with others“.
38 Oliver Primavesi

ten Physik-Stelle konstruiert, wird in Abschnitt (b) von Simplikios


durch zwei Beispiele erläutert: durch einen zweckmäßig gebauten
Organismus, in dem Zähne, Magen, und Leber einander ergänzende
Funktionen bei der Nahrungsverwertung übernehmen, und durch die
von Aristoteles aus Empedokles zitierte monstrçse Kombination Rinds-
rumpf / Menschenkopf, der Simplikios kontrastierend die zweckmßige
Kombination Menschenrumpf / Menschenkopf voranstellt. Diese Er-
läuterung schließt unmittelbar an die Empedokles-Paraphrase des Ab-
schnitts (a) an; deshalb ist sie von O’Brien so verstanden worden, als
handele es sich (mindestens dem Anspruch nach) auch hier noch um die
doxographisch treue Wiedergabe eines – uns in diesem Fall andernorts
nicht bezeugten – Empedokleischen Lehrstücks.28
Doch O’Briens Deutung ist keinesfalls zwingend. Im ganzen Mit-
telstück (b) des Simplikios-Abschnitts steht nämlich nichts, was sich
nicht entweder schon in der kommentierten Aristoteles-Stelle findet
oder aber auf der Grundlage dieser Aristoteles-Stelle von Simplikios
ohne weiteres selbst entwickelt werden konnte: Die Annahme, er habe
hier auf zusätzliches (und uns unbekanntes) Empedokleisches Material
zurückgegriffen, ist nirgends notwendig. Es ist also mit der Möglichkeit
zu rechnen, dass Simplikios sich bei der Erklärung der Aristotelischen
Selektionshypothese doxographisch nicht im mindesten an Empedokles
gebunden fühlte, sondern dass er lediglich mittels geeigneter Beispiele
nachvollziehbar machen wollte, wie Aristoteles seine Hypothese in
freier Weise aus der zweiten zoogonischen Stufe des Empedokles her-
ausentwickelt. Zu diesem Zweck konnte Simplikios ganz nach Belieben
eigene Beispiele heranziehen (Gebiss / Magen / Leber), oder auf die
bereits von Aristoteles selbst evozierten monströsen Zufallskombina-
tionen des Empedokles zurückgreifen (Rindsrumpf / Menschenkopf),
oder schließlich zweckmäßige Gegenstücke zu den monströsen Kom-
binationen entwerfen (Menschenrumpf / Menschenkopf). Hieran auch
nur den Maßstab einer mehr oder weniger getreuen Empedokles-Dar-

28 O’Brien (1969), 211 – 212: „Simplicius says definitely that men and women
were formed from separate limbs … The difficulty is to know whether we can
trust Simplicius on this occasion“. Ebenso, und sogar ohne jeden Zweifel an der
Zuverlässigkeit des vermeintlichen Simplikios-Zeugnisses, Campbell (2000),
151: „Simplicius makes it clear that Empedocles is putting forward a scheme of
creation and adaptation by the chance assemblage of disparate parts of creatures,
with Love as a cohesive force. The assembly of the correct parts produces a
viable creature, while incorrect assembly ensures the immediate destruction of
the creature, and so adaptation is accounted for …“.
Aristoteles oder Empedokles? 39

stellung anzulegen, wäre dann verfehlt: Simplikios ist nicht Empedo-


kles-Doxograph, sondern Aristoteles-Kommentator.
Diese Deutung ist für sich betrachtet, wie gesagt, nur eine von zwei
Möglichkeiten. Wenn man diese Möglichkeit aber mit der bereits er-
wähnten Tatsache zusammennimmt, dass sowohl bei Aëtios als auch in
den uns erhaltenen einschlägigen Originalfragmenten die zweite zoo-
gonische Stufe einzig und allein durch die trugbildhaften Monster-
Kombinationen repräsentiert wird, dann scheint es kaum vertretbar, das
Mittelstück (b) des Simplikios-Abschnitts zur Gänze oder doch, mit
O’Brien, zum größten Teil29 als Empedokles-Referat zu betrachten.
Damit ist aber zugleich der einzige Beleg dafür entfallen, in die
Aristotelische Darstellung in Physik II, 8 mehr Empedokles hineinzu-
projizieren, als dort ausdrücklich zitiert wird: die monströsen Zufalls-
kombinationen des Fragments B 61. Vielmehr scheint es sich bei dem
von Aristoteles vorgeführten antiteleologischen Gedankenexperiment
um die Konstruktion einer möglichen Gegenposition durch Aristoteles
selbst zu handeln, für welche Empedokles nicht mehr bot als den
Ausgangspunkt.

III. Darwins Berufung auf Aristoteles Physik II, 8

Darwins Buch On the Origin of Species war ein großer buchhändlerischer


Erfolg. Die erste, am 26. November 1859 erschienene Auflage war
sofort ausverkauft, so dass bereits am 26. Dezember desselben Jahres
eine zweite Auflage herauskommen konnte; allein in England brachte es
das Buch noch zu Darwins Lebzeiten auf sechs Auflagen, deren sechste
1872 erschien.30 Dazu kommt die fast unmittelbar nach der ersten
englischen Auflage einsetzende Verbreitung des Buchs in vielen anderen
Ländern, vor allem in Deutschland und in den Vereinigen Staaten von
Amerika.
Durch all diese Auflagen hindurch hat Darwin seinen Text erweitert
und geändert. Dies betrifft auch die Behandlung der Forschungsgeschichte.
Zunächst, in den beiden ersten, in England erschienenen Auflagen

29 O’Brien (1969), 215 mit Bezug auf Simplikios p. 372,8 Diels: „It is at this point
therefore, fsa c²q etc., that Simplicius starts to widen his view to include other
thinkers besides Empedocles“.
30 Vgl. den Überblick bei Peckham (1959), 11 – 25 und insbesondere die Tabelle
ebenda p. 24.
40 Oliver Primavesi

(1859 und 1860), geht Darwin auf seine Vorläufer überhaupt nicht ein.
Doch in der ersten Auflage der deutschen ˜bersetzung, die von Heinrich
Georg Bronn erarbeitet wurde und im April 1860 erschien, stellt Dar-
win seiner „Einleitung“ noch eine „Vorrede des Verfassers“ voran, in
der er versucht, „eine kurze und sehr unvollkommene Skizze von der
Entwickelung der Meinungen über die Entstehung der Species zu
geben.“31 Das englische Original dieses Historical Sketch 32 wurde erstmals
in der ersten autorisierten amerikanischen Ausgabe vom Mai 1860 ab-
gedruckt und dann laufend überarbeitet, bis es in der vierten englischen
Ausgabe von 1866 seine endgültige Form gefunden hatte.33
Das Charakteristische an dem Historical Sketch war zunächst dies, dass
Darwin wissenschaftsgeschichtlich nicht weiter zurückging als bis zum
Anfang des 19. Jahrhunderts: Die Naturphilosophie der klassischen
Antike steht ihm ebenso fern wie selbst noch die beiden großen na-
turgeschichtlichen Werke des französischen 18. Jahrhunderts, der Tel-
liamed des Benoît de Maillet (1656 – 1738),34 und vor allem die monu-
mentale Histoire naturelle des Georges-Louis Leclerc de Buffon (1707 –
1788) 35 mit all ihren Fortsetzungswerken36 und Supplementen.37 Viel-
mehr lässt Darwin die eigentliche Geschichte der Erforschung des von

31 Darwin, Bronn (1860), 1 – 6.


32 Zur Vorgeschichte dieses Sketch vgl. Johnson (2007). Johnson zeigt, dass
Darwin schon vor der ersten Auflage seines Werkes (1859) mit dem Gedanken
umging, die Ergebnisse seiner Vorgänger zu resümieren, um seine eigene
Leistung davon abzuheben.
33 Darwin (1866), xiii–xxi: An Historical Sketch of the recent Progress of
Opinion on the Origin of Species. Vgl. Johnson (2007), 530 n. 1: „Although
the Sketch was prepared for the first authorized American edition, published in
May 1860, it actually appeared before that, in April 1860, as a preface to the first
German edition, translated by H.G.Bronn. The first English edition in which it
appeared was the third, published in 1861“; und ebenda n. 2: „Subsequent
changes to this essay … continued to be made by Darwin through the fourth
English edition …“.
34 de Maillet 1748: Telliamed, ou entretiens d’un philosophe Indien avec un missionaire
FranÅois. Sur la diminution de la Mer, la formation de la Terre, l’origine de l’Homme,
&c. Den Druck des Werkes wagte man erst zehn Jahre nach dem Tode seines
Autors, und auch dann nicht in dessen französischer Heimat, sondern in
Amsterdam.
35 de Buffon 1749 – 1767: Histoire naturelle g¤n¤rale et particuliºre in fünfzehn Bän-
den.
36 de Buffon 1770 – 1783: Histoire naturelle des oiseaux in neun Bänden; de Buffon
1783 – 1788: Histoire naturelle des min¤raux in fünf Bänden.
37 de Buffon 1774 – 1789: Suppl¤ment in sieben Bänden.
Aristoteles oder Empedokles? 41

ihm behandelten Problems erst mit der 1809 erschienenen Philosophie


zoologique des Jean-Baptiste de Lamarck (1744 – 1829) 38 beginnen. So
sagt er in der Vorrede zur deutschen Ausgabe von 1860: „Abgesehen
von den Schriftstellern der klassischen Periode, so wie von Demaillet
und Buffon, mit deren Schriften ich nicht vertraut bin, war Lamarck
der erste, dessen Meinung, dass Arten sich verändern, Aufsehen erreg-
te.“39 Noch freimütiger im Einräumen fehlender Literaturkenntnis gibt
sich die überarbeitete Fassung des Sketch in der dritten englischen
Ausgabe von 1861: „Passing over authors from the classical period to
that of Buffon, with whose writings I am not familiar, Lamarck was the
first man whose conclusions on this subject excited much attention“.40
Erst bei der letzten Überarbeitung des Sketch für die vierte englische
Ausgabe von 1866 ersetzt Darwin die pauschale praeteritio der Forschung
vor de Lamarck durch zwei punktuelle Bemerkungen, deren erste die
antike Naturphilosophie und deren zweite das Werk des Comte de
Buffon betrifft. Der letztere habe seine Meinung zu oft geändert, und zu
wenig begründet:
Passing over allusions to the subject in the classical writers, the first author
who in modern times has treated it in a scientific spirit was Buffon. But as
his opinions fluctuated greatly at different periods, and as he does not enter
on the causes or means of the transformation of species, I need not here
enter on details.41
Die Naturphilosophie der Antike aber wird nunmehr einer eigenen
Fußnote gewürdigt, die ganz der Auseinandersetzung mit der uns bereits
bekannten Stelle aus dem zweiten Buch der Aristotelischen Physik 42
gewidmet ist. Auf diese Stelle war Darwin im Jahre 1864 oder 1865
brieflich von Clair James Grece,43 aufmerksam gemacht worden, der

38 de Lamarck (1809).
39 Darwin, Bronn (1860), 1.
40 Darwin (1861), xiii. Wenn man „whose“ hier nicht auf „Buffon“ sondern auf
„authors“ bezieht, dann besagt dies, dass Darwin die einschlägige Literatur von
der Antike bis de Buffon überhaupt unbekannt ist. Auf dieser Auffassung basiert
z. B. die von Byl (1973), 520 zitierte französische Übersetzung von Clémence
Royer (3e édition Paris 1870): „Laissant de côté les anciens auteurs qui ont écrit
depuis les temps classiques jusqu’à Buffon, auteurs dont les ouvrages ne me sont pas
familiers […]“ (Hervorhebung von uns).
41 Darwin (1866), xiii.
42 Aristoteles, Physik II 8; 198b16 – 31.
43 Clair James Grece ist im Jahre 1874 als Übersetzer von Eduard Mätzners
„Englischer Grammatik“ ins Englische hervorgetreten. Zur Datierung seines
42 Oliver Primavesi

ihm auch eine englische Übersetzung davon zur Verfügung gestellt


hatte. Darwins Fußnote von 1866 hat nun folgenden Wortlaut:
Aristotle, in his Physicæ Auscultationes (lib. 2, cap. 8, s. 2), after / remarking
that rain does not fall in order to make the corn grow, any more / than it
falls to spoil the farmer’s corn when threshed out of doors, applies the /
same argument to organization; and adds (as translated by Mr Clair Grece,
/ who first pointed out the passage to me), „So what hinders the different
parts / [of the body] from having this merely accidental relation in nature?
as the teeth, / for example, grow by necessity, the front ones sharp, adapted
for dividing, and / the grinders flat, and serviceable for masticating the
food; since they were not / made for the sake of this, but it was the result of
accident. And in like manner / as to the other parts in which there appears
to exist an adaptation to an end. / Wheresoever, therefore, all things to-
gether (that is all the parts of one whole) / happened like as if they were
made for the sake of something, these were pre-/served, having been
appropriately constituted by an internal spontaneity; and / whatsoever
things were not thus constituted, perished, and still perish.“ We / here see
the principle of natural selection shadowed forth, but how little / Aristotle
fully comprehended the principle is shown by his remarks on the / for-
mation of the teeth.44
Der von C. J. Grece für Darwin abgegrenzte Textausschnitt erweckt
nun bei isolierter Betrachtung den Anschein, als lehre Aristoteles hier
das Zusammenspiel von zufälliger Variation und natürlicher Selektion in
eigenem Namen. Aus diesem Grund billigt Darwin zum Schluss der
Fußnote dem Aristoteles eine Vorahnung seines Prinzips der natürlichen
Selektion zu (aber eben nur eine Vorahnung: Die Bemerkung über die
Ausformung der Zähne zeige, dass Aristoteles das Prinzip der natürli-
chen Selektion noch längst nicht in vollem Umfang verstanden habe).
Doch was Darwin offenbar für eine wenn auch unvollkommene
Vorahnung hält, enthüllt sich, sobald man die Aristoteles-Stelle im
originalen Zusammenhang nachschlägt, als entschiedene Ablehnung.
Wie wir sahen, führt Aristoteles nämlich den Satz, dass die Zweckmä-
ßigkeit der natürlichen Organismen auf Zufall beruht, gerade nicht als
seine eigene Lehrmeinung ein, sondern vielmehr als eine verfehlte Hy-
pothese, die er widerlegen will. Auch der Umstand, dass Aristoteles bei

offenbar verschollenen Briefes an Darwin, der den Hinweis auf Physik II 8;


enthält, vgl. den bei Gotthelf (1999), 25, n. 3 ad p. 8 gegebenen Hinweis auf
einen späteren Brief, in dem sich Grece auf jenes frühere Schreiben bezieht:
„[…] in a November 1866 letter (Cal. 5276; DAR 165: 220), Grece re-in-
troduces himself as the person who „a year or two ago“ brought the Aristotle
passage to Darwin’s attention“.
44 Darwin (1866), xiii n. *.
Aristoteles oder Empedokles? 43

der Konstruktion dieser Hypothese offenbar von dem Empedokles-


Fragment B 61 ausgegangen ist, musste Darwin aufgrund der von C. J.
Grece vorgenommenen Textbegrenzung verborgen bleiben.
Demnach steht so viel fest, dass Darwin eine Hypothese als Ari-
stotelische Lehrmeinung präsentiert, die Aristoteles in Wahrheit nur
vorführt, um sie zu bekmpfen. 45 Man hat deshalb vermutet, dass Darwin
den Text von Physik II, 8 nur aus der Mitteilung von C. J. Grece
kannte,46 und dass seine Berufung auf Aristoteles womöglich auf einem
Missverständnis dieser Mitteilung beruht.47
Wie aber hätte Darwin reagiert, wenn man ihm den originalen
Kontext der Aristoteles-Stelle vorgelegt hätte? Um die Beantwortbar-
keit dieser Frage steht es besser als es zunächst scheint; denn sechzehn
Jahre nach der Erstveröffentlichung seiner Aristotelischen Fußnote
wurde Darwin in der Tat mit einer Übersetzung der seinerzeit von ihm
zitierten Physik-Stelle in ihrem originalen Zusammenhang konfrontiert.
William Ogle (1827 – 1912) übersandte ihm am 17. Januar 188248 seine
soeben erschienene Übersetzung von De partibus animalium,49 in deren
Einleitung auch wieder unsere Physik-Stelle wiedergegeben ist – und
zwar anders als bei Grece unter Einbeziehung des abschließenden
Hinweises auf Empedokles. Gleich auf der zweiten Seite von Ogles
Einleitung konnte Darwin die folgende Fußnote lesen, die zunächst
eine freie, aber sinngemäße Übersetzung von Physik II 8; 198b16 – 32
bringt, und sodann die dort von Aristoteles vorgeführte Hypothese des
„old philosopher“ ausdrücklich mit Darwins Theorie vergleicht:
Cf. Phys. ii. 8, 4, where is a remarkable passage in which A. thus states the
material-/istic view. „Why, however, it must be asked, should we look on
the operations of / Nature as dictated by a final cause, and intended to
realise some desirable end? Why / may they not be merely the results of
necessity, just as the rain falls of necessity, and not / that the corn may

45 Edelstein (1944), 149 Anm. 12: „ … Darwin ascribes to Aristotle an evolu-


tionary view, referring to Physics II 8, 198 b 18 ff. But here Aristotle is citing
this view only for the purpose of refuting it“; Byl (1973): 520: „ … il attribue
au Stagirite la théorie des mécanistes qu’Aristote a citée pour la réfuter …“.
46 Gotthelf (1999), 25, n. 3 ad p. 8: „there is no reason to think that Darwin
himself opened a text of the Physics“.
47 Engels (2007), 61: „Darwin […] scheint aber – möglicherweise durch ein
Mißverständnis in der Korrespondenz mit C. J. Greece [sic!] – anzunehmen,
daß dies Aristoteles’ eigene Position ist […]“.
48 Ogles Begleitbrief ist transkribiert bei Gotthelf (1999), 9 und reproduziert
ebenda p. 10 plate 2.
49 Ogle (1882).
44 Oliver Primavesi

grow? For the uprising of the watery vapour, its cooling when thus /
raised, and its fall as rain when cooled, are all matters of necessity; and
though the rain / makes the corn grow, it no more occurs in order to cause
that growth, than a shower which / spoils the farmer’s crop at harvest-time
occurs in order to do that mischief. Now, why / may not this, which is true
of the rain, be true also of the parts of the body? Why, for / instance, may
not the teeth grow to be such as they are merely of necessity, and the fitness
/ of the front ones with their sharp edge for the comminution of the food,
and of the hind / ones with their flat surface for its mastication, be no more
than an accidental coincidence, / and not the cause that has determined
their development? And so with all the other / parts, wherever there is an
appearance of final causes? In short, whenever accident / caused all the
parts of the body to be developed spontaneously in this suitable manner, /
to be developed, that is, just as they would have been had design presided
over the / formation, the resulting wholes survived; but when this was not
the case they perished, / and still do perish, as Empedocles insists when
speaking of certain monstrosities.“/ The explanation suggested in this
passage will be found recurring in after-ages. A / similar hypothesis, for
instance, is started in Diderot’s „Letter on the Blind for the use / of those
who can See,“ where it is put in the mouth of the blind Sanderson. The
relation in / which the hypothesis stands to that of Darwin may thus be
expressed; the old philosopher / insists on the survival of the fit, Darwin on
the survival of the fittest.50 What a vast / difference underlies the apparent
similarity in the introduction of a single short syllable / scarcely needs to be
pointed out.51
Mit dem „alten Philosophen“, der auf dem „survival of the fit“ besteht,
kann Ogle, wie der weitere Zusammenhang seiner Introduction zeigt,
jedenfalls nicht Aristoteles meinen; es liegt nahe, dass er an Empedokles
denkt.

50 Das von Ogle hier als Äquivalent zu „natural selection“ erwähnte Konzept des
„survival of the fittest“ hat Herbert Spencer (1820 – 1903) im Jahre 1864 in die
Diskussion um Darwin eingeführt; vgl. Spencer (1864), 444 – 445: „This sur-
vival of the fittest, which I have here sought to express in mechanical terms, is
that which Mr Darwin has called ›natural selection, or the preservation of
favoured races in the struggle for life‹“. Darwin selbst hat sich den Begriff seit
der fünften Auflage seines Werkes zueigen gemacht; vgl. Darwin (1869), 72: „I
have called this principle, by which each slight variation, if useful, is preserved,
by the term Natural Selection, in order to mark its relation to man’s power of
selection. But the expression often used by Mr. Herbert Spencer of the Survival
of the Fittest is more accurate, and is sometimes equally convenient.“
51 Ogle (1882), ii note 2.
Aristoteles oder Empedokles? 45

Dass Darwin die gerade einmal 19 Seiten der Introduction,52 in der


sich diese Fußnote findet, in der Tat aufmerksam durchgearbeitet hat,
ergibt sich aus einem begeisterten Brief, den er fünf Wochen später, am
22. Februar 1882, an Ogle schrieb. Er zieht dort aus Ogles Introduction
die seither vielzitierte Konsequenz, seine früheren Heroen in der bio-
logischen Wissenschaft, Carl Nilsson Linnæus und Georges Cuvier, zu
„mere school-boys to old Aristotle“ herabzustufen:
My dear Dr Ogle / You must let me thank you / for the pleasure which the
/ Introduction to the Aristotle / book has given me. I have / rarely read
anything which has / interested me more; though I / have not read as yet
more than / a quarter of the book proper. / From quotations which I had
seen / I had a high notion of / Aristotle’s merits, but I had / not the most
remote notion / what a wonderful man / he was. Linnæus & / Cuvier have
been my two / Gods, though in very / different ways, but they / were
mere school-boys / to old Aristotle. – / How very curious, also, his /
ignorance on some points / as on muscles as to means / of movement. – I
am glad / that you have explained in / so probable a manner some / of the
grossest mistakes attributed / to him. – I never realized / before reading
your book / to what an enormous / summation of labour we / owe even
our common / knowledge. I wish that / Aristotle could have known what
a / great Defender of the Faith he / has found in you. Believe me my dear
Dr Ogle / Yours very sincerely / Ch. Darwin.53
Wie weit die von Darwin hier zum Ausdruck gebrachte Verehrung für
den Biologen Aristoteles, wie ihn Ogle in seiner Introduction zeichnet,
sachlich ernst genommen werden darf, ist in der Forschung bereits
kontrovers diskutiert worden.54 Doch ist man in dieser Diskussion

52 Bei Ogle 1882 geht der eigentlichen Übersetzung von De partibus – abgesehen
von Vorwort (pp. V–VI) und Inhaltsverzeichnis (p. VII) – zunächst die Intro-
duction (pp. i–xix), dann eine Übersicht über The Main Groups of Animals (pp.
xxi–xxxiii) und schließlich eine Synopsis (pp. xxxv) voraus. Wenn Gotthelf
(1999), 8 – 9 von einer „35-page Introduction“ spricht, dann zieht er diese drei
Abschnitte zu einem zusammen.
53 Darwins Brief ist transkribiert bei Gotthelf (1999), 4 und reproduziert ebenda
pp. 5 – 7 plate 1.
54 Byl (1973), 520 sieht in dem Brief eine „lettre de remerc‚ments et de compliments“,
charakterisiert durch einen „caractºre dithyrambique“, basierend auf unzurei-
chenden Kenntnissen; letzteres ergebe sich nicht nur aus der Tatsache, dass
Darwin bei Abfassung des Briefes nach eigenem Bekunden erst ein Viertel der
eigentlichen Übersetzung von De partibus gelesen habe, sondern auch aus seiner
im Historical Sketch eingeräumten wissenschaftsgeschichtlichen Unkenntnis und
insbesondere aus dem Missverständnis in der Aristoteles-Fußnote von 1866. Byl
folgert ebenda p. 521: „Nous voyons ainsi que la célèbre citation de Darwin ne
mérite guère le crédit que les historiens des sciences, biologistes et philologues,
46 Oliver Primavesi

bisher gerade an dem Punkt vorbeigegangen, an dem der von Darwin so


hoch gelobte Ogle sich in direkten Widerspruch zu dem Aristotelesbild
setzt, das Darwin selbst am Anfang von On the Origin of Species ge-
zeichnet hat: Eben die Physik-Stelle, die Darwin in seinem Historical
Sketch seit 1866 als die eigene Lehrmeinung des Aristoteles präsentiert
hat, wird von Ogle, wie wir sahen, gleich zu Beginn seines Buchs als
Referat einer von Aristoteles selbst nicht geteilten „materialistischen“
bzw. Empedokleischen Gegenposition charakterisiert.55 Nun hat Darwin
bei der Lektüre von Ogles Introduction sicher nicht gerade diejenige
Stelle überlesen, in der er selbst erwähnt und dem „old philosopher“
gegenüberstellt wird. Ebensowenig wird er bei der Formulierung seines
brieflichen Bekenntnisses zu Aristoteles das, was er von Ogle über die
von ihm seit 1866 ins Feld geführte Aristoteles-Stelle hinzugelernt hatte,
bewusst ignoriert haben. Dann aber verbleibt nur folgende Möglichkeit:
Darwins positive Einschätzung des Aristoteles wurde durch die für ihn
neue Tatsache, dass Aristoteles die hypothetische Zurückführung einer
möglichen Arten-Entstehung auf das Prinzip „survival of the fit“56 in
Wahrheit abgelehnt hat, nicht ins Wanken gebracht. Vielmehr bewun-
derte er in Aristoteles nach wie vor den antiken Denker, der das Prinzip
präzise auf den Begriff gebracht hat – ganz zu schweigen von seinen
Leistungen auf dem Gebiet der biologischen Observation und Klassi-
fikation.

lui accordent“. Dagegen weist Gotthelf (1999), 15 mit Recht darauf hin, dass
Darwin einen eigentlichen Dankesbrief an Ogle bereits unmittelbar am Tag der
Zusendung, dem 17. Januar verfasst und abgesandt habe (transkribiert bei
Gotthelf (1999), 9; reproduziert ebenda p. 14 plate 3), während der Brief vom
22. Februar keine konventionelle Funktion erfülle, sondern als spontane Re-
aktion auf Darwins Eindrücke beim Lesen von Ogles Buch zu werten sei.
Darüber hinaus sucht Gotthelf Darwins Aristoteles-Lob sachlich zu rechtfer-
tigen, indem er, entgegen dem von Ogle in seiner Introduction unterstrichenen
Gegensatz zwischen Darwin und Aristoteles, Gründe für die Annahme eines
„isomorphism between Darwin’s biological theorizing and Aristotle’s“ (ebenda
p. 21) bzw. einer „deep underlying symmetry“ (ebenda p. 23) beibringt.
55 Gesehen von Stirling (1890), 133, der seine Beobachtung indessen, wie wir
noch zeigen werden, zu unsachlicher Polemik missbrauchte.
56 So charakterisiert Ogle (1882), ii note 2 treffend die von Aristoteles vorgeführte
Hypothese im Gegensatz zu Spencers „Survival of the Fittest“.
Aristoteles oder Empedokles? 47

IV. Die Gegenthese:


Empedokles als der wahre Vorläufer Darwins

1. Friedrich Albert Lange

Noch ohne Wissen um die im Juni 1866 veröffentlichte Berufung


Darwins auf Aristoteles (und um die damit verbundenen Probleme) fiel
man im gleichen Jahr in Deutschland in das entgegengesetzte Extrem:
Darwins Lehre von der „natural selection“ sei im Altertum durch
Empedokles vorweggenommen worden. Friedrich Albert Lange (1828 –
1875), der Verfasser der einflussreichen Geschichte des Materialismus,
schrieb in der 1866 erschienenen ersten Auflage dieses Werkes, im
Anschluss an eine ausführliche Behandlung von Darwins Theorie:
Was wir in der Entfaltung der Arten Z u f a l l nennen, ist natürlich kein
Zufall im Sinn der allgemeinen N a t u r g e s e t z e , deren grosses Getriebe
all jene Wirkungen hervorruft; es ist aber im strengsten Sinne des Wortes
Zufall, wenn wir diesen Ausdruck im Gegensatz zu den Folgen einer
m e n s c h e n ä h n l i c h b e r e c h n e n d e n I n t e l l i g e n z betrach-
ten; wo wir aber in den Organen der Thiere und Pflanzen Zweckmässiges
finden, da dürfen wir annehmen, dass in dem ewigen Mord des Schwachen
zahllose minder zweckmässige Formen vertilgt wurden, so dass auch hier
das, was sich erhält, nur der günstige Specialfall in dem Ocean von Geburt
und Untergang ist. Das wäre denn nun in der That ein Stück der viel
geschmähten Weltanschauung des E m p e d o k l e s , bestätigt durch das
endlose Material, welches allein die letzten Decennien der exakten For-
schung ans Licht gefördert haben.57
In der zweiten, nunmehr in zwei Bände geteilten Auflage der Geschichte
des Materialismus hat Lange diese These bekräftigt, und im 1873 er-
schienenen ersten Band, der die Geschichte des Materialismus bis auf
Kant behandelt, einen Abschnitt eingefügt, in dem Empedokles und
Darwin in einem Atemzug genannt werden:
Demokrit pries die Z w e c k m ä s s i g k e i t der organischen Gebilde,
vorab des menschlichen Leibes, mit der Bewunderung des denkenden
Naturforschers. Wir finden bei ihm keine Spur jener falschen Teleologie,
die man als den Erbfeind aller Naturforschung bezeichnen kann, aber wir
finden auch nirgend einen Versuch, die Entstehung des Zweckmässigen aus
dem blinden Walten der Naturnothwendigkeit zu erklären. Ob dies eine
Lücke in seinem System oder nur eine Lücke in der Ueberlieferung ist,
wissen wir nicht; wir wissen aber, dass auch dieser letzte Fundamentalsatz

57 Lange (1866), 404; im zweiten Band der zweiten vermehrten Auflage unver-
ändert beibehalten; vgl. Lange (1875), 247 – 248.
48 Oliver Primavesi

alles Materialismus, zwar in roher Form, aber in voller begrifflicher Schärfe,


dem philosophischen Denken der Hellenen entsprungen ist. Was D a r -
w i n , gestützt auf eine grosse Fülle positiver Kenntnisse, für die Gegenwart
geleistet hat, das bot den Denkern des Alterthums E m p e d o k l e s ; den
einfachen und durchschlagenden Gedanken: das Z w e c k m ä s s i g e ist
deshalb im Uebergewichte vorhanden, weil es in seinem Wesen liegt, s i c h
z u e r h a l t e n , während d a s U n z w e c k m ä s s i g e l ä n g s t v e r -
g a n g e n i s t .58

2. Die Einschmuggelung des Empedokles in die deutsche Übersetzung


der Fußnote

Ein Jahr nach Vollendung der zweiten Auflage von Langes Werk eti-
kettierte auch der Übersetzer von Darwins Fußnote ins Deutsche, der
Leipziger Zoologe Julius Victor Carus (1823 – 1903), das von Darwin
für eine Aristotelische Lehrmeinung gehaltene antiteleologische Ge-
dankenexperiment als Empedokleisch. Carus war seit 1867 damit betraut,
die zunächst von Heinrich Georg Bronn erarbeitete deutsche Über-
setzung von On the Origin of Species laufend an die von Darwin selbst
vorgenommenen Überarbeitungen des englischen Originaltexts anzu-
passen. Im Zuge dieser Tätigkeit hat Carus nun im Jahre 1876 die
Tatsache, dass Darwin die in Physik II, 8 entwickelte Hypothese als
Aristotelische Lehrmeinung verkannt hatte, nachgerade zu vertuschen
gesucht: In der sechsten deutschen Auflage änderte Carus den Text der
Fußnote stillschweigend dahingehend ab, dass einige der in Darwins
Originaltext dem Aristoteles zugeschriebenen Überlegungen nunmehr
als Empedokleische Lehrmeinungen erscheinen.59 Um den willkürlichen
Charakter dieses Eingriffs außer Zweifel zu stellen, muss man die von
Carus bearbeiteten Auflagen der deutschen Übersetzung gemäß der
folgenden Tabelle mit der jeweils zugrunde gelegten englischen Auflage
konfrontieren:

58 Lange (1873), 22 – 23.


59 Engels (2007), 61: „Die deutschen Übersetzer von Origin, J. Victor Carus wie
auch Carl W. Neumann, haben kommentarlos Darwins Text abgeändert“.
Aristoteles oder Empedokles? 49

Londoner Drucke des englischen Stuttgarter Drucke der deutschen


Textes 60 ˜bersetzung
Erste englische Auflage: –
November 1859
Zweite englische Auflage: ! Erste deutsche Auflage
Dezember 1859 1860. (Bronn).
Dritte englische Auflage: ! Zweite deutsche Auflage
April 1861 1863 (Bronn).
Vierte englische Auflage: !Dritte deutsche Auflage
Dezember 1866 1867 (Carus).
Fünfte englische Auflage: !Vierte deutsche Auflage
August 1869 1870 (Carus).
Sechste englische Auflage: ! a) Fünfte deutsche Auflage
Februar 1872 1872 (Carus).
! b) Sechste deutsche Auflage
1876 (Carus).

Die vierte englische Auflage von 1866 war, wie wir sahen, die erste, die
das „Historical Sketch“ in endgültiger Gestalt und insbesondere erstmals die
Fußnote ðber Aristoteles enthielt. Da auf dieser Auflage die dritte deutsche
Auflage von 1867 basiert, d. h. die erste, die laut Titelblatt bereits von
Carus „durchgesehen und berichtigt“ worden ist, stammt auch die
deutsche Übersetzung der Fußnote über Aristoteles von Anfang an von
Carus. Nun hat Carus zunächst, d. h. von der dritten deutschen Auflage
von 186761 bis zur fünften deutschen Auflage von 1872,62 die Fußnote
so wort- und sinngetreu übersetzt, dass Darwins Fehldeutung der Ari-
stotelesstelle hier genauso deutlich wird wie im englischen Original.
Ganz anders verfuhr Carus in der sechsten deutschen Auflage von 1876,
obwohl die englische Vorlage dieser Auflage dieselbe war wie bei der
fünften deutschen Auflage von 1872, nämlich in beiden Fällen die
sechste englische Auflage von 1872.63 Gleichwohl hat Carus in der

60 Die genauen Daten nach Peckham (1959), 24.


61 Darwin, Bronn, Carus (1867), 1 Anm. *.
62 Darwin, Bronn, Carus (1872), 1 Anm. *.
63 In der sechsten englischen Auflage ist der Wortlaut der Fußnote (Darwin
(1872), p. xiii note *) gegenüber dem der vierten englischen Auflage (Darwin
(1866), p. xiii note *) unverändert. Nach Peckham (1959), 59 – 60 wurde am
englischen Text der Fußnote überhaupt nie eine Veränderung vorgenommen.
50 Oliver Primavesi

sechsten deutschen Auflage von 1876 zweimal, nämlich sowohl zu


Anfang als auch gegen Ende der Fußnote, eigenmächtig den Namen des
Empedokles eingesetzt.64 Zur Verdeutlichung seien die beiden von Carus
publizierten Übersetzungen ein und desselben Fußnotentextes der
sechsten englischen Auflage einander gegenübergestellt, die treue von
1872 und die manipulierte von 1876; dabei haben wir die eigen-
mächtigen Zusätze von 1876, in Abweichung von der Typographie des
Originals, durch Sperrung hervorgehoben:
Treue ˜bersetzung durch Carus 1872 Manipulierte ˜bersetzung durch Carus
1876
„A r i s t o t e l e s bemerkt in den „Aristoteles f ü h r t in den ,Physicae
Physicae auscultationes (Buch 2, auscultationes‘ (Buch 2, Cap. 8) d i e
Cap. 8), Ansicht des Empedokles
an,
dass der Regen nicht niederfalle, um dasz der Regen nicht niederfalle, um
das Korn wachsen zu machen, eben- das Korn wachsen zu machen, eben-
sowenig wie er falle, um das Korn zu sowenig wie er falle, um das Korn zu
verderben, wenn es unter freiem verderben, wenn es unter freiem
Himmel gedroschen wird, Himmel gedroschen wird,
und wendet nun dieselbe Argumen- und wendet nun dieselbe Argumen-
tation auf die Organismen an. Er fügt tation auf die Organismen an. Er fügt
hinzu (Herr C l a i r G r e c e hat hinzu (Herr Clair Grece hat mich auf
mich auf diese Stelle aufmerksam ge- diese Stelle aufmerksam gemacht):
macht):
„Was demnach steht dem im Wege, „Was demnach steht dem im Wege,
dass auch die Theile [des Körpers] in dasz auch die Theile [des Körpers] in
der Natur sich ebenso (zufällig) ver- der Natur sich ebenso (zufällig) ver-
halten, halten,
dass z. B. die Zähne durch Noth- dasz z. B. die Zähne durch Noth-
wendigkeit hervorwachsen, nämlich wendigkeit hervorwachsen, nämlich
die vordern schneidig und tauglich die vordern schneidig und tauglich
zum Zertheilen, hingegen die Ba- zum Zertheilen, hingegen die Ba-
ckenzähne breit und brauchbar zum ckenzähne breit und brauchbar zum
Zermalmen der Nahrung, da sie ja Zermalmen der Nahrung, da sie ja
nicht um dessenwillen so werden, nicht um dessenwillen so werden,
sondern dies eben nebenbei erfolge: sondern dies eben nebenbei erfolgt:

64 Darwin, Bronn, Carus (1876), 1 Anm. *.


Aristoteles oder Empedokles? 51
und ebenso auch bei den übrigen und ebenso auch bei den übrigen
Theilen, bei welchen das um eines Theilen, bei welchen das um eines
Zweckes willen Wirkende vorhanden Zweckes willen Wirkende vorhanden
zu sein scheint; und die Dinge dann zu sein scheint; und die Dinge dann
nun, bei welchen alles Einzelne ge- nun, bei welchen alles Einzelne ge-
rade so sich ergab, als wenn es um rade so sich ergab, als wenn es um
eines Zweckes willen entstünde, diese eines Zweckes willen entstünde, diese
hätten sich, nachdem sie grundlos in hätten sich, nachdem sie grundlos in
tauglicher Weise sich gebildet hätten, tauglicher Weise sich gebildet hätten,
auch erhalten; bei welchen aber dies auch erhalten; bei welchen aber dies
nicht der Fall war, diese seien zu nicht der Fall war, diese seien zu
Grunde gegangen und giengen noch Grunde gegangen und giengen noch
zu Grunde.“ [Acht Bücher Physik. zu Grunde.“ [Acht Bücher Physik.
Uebersetzt von P r a n t l . S. 89.] Uebersetzt von Prantl. S. 89.]
Wir finden hier zwar eine dunkle Wir finden hier zwar eine dunkle
Ahnung des Princips der natürlichen Ahnung des Princips der natürlichen
Zuchtwahl; Zuchtwahl b e i E m p e d o k l e s ;
wie weit aber A r i s t o t e l e s davon wie weit aber Aristoteles s e l b s t
entfernt war, es völlig zu erfassen, davon entfernt war, es völlig zu er-
zeigen seine Bemerkungen über die fassen, zeigen seine Bemerkungen
Bildung der Zähne.“ über die Bildung der Zähne.“

Der Eingriff von Carus ist aus drei Gründen als verfehlt zu werten. Zum
einen lässt der Eingriff die dokumentarische Treue vermissen, die von
dem Übersetzer eines wissenschaftlichen Textes auch dann zu fordern
ist, wenn er selbst anderer Meinung ist als der Autor seiner Vorlage.
Zum zweiten ist der Eingriff handwerklich äußerst inkompetent aus-
geführt. In dem von Carus manipulierten Text wird nämlich nur die
These von der Zufälligkeit der Wirkungen von Regengðssen dem Em-
pedokles zugeschrieben („Aristoteles führt […] die Ansicht des Empe-
dokles an, dasz der Regen nicht niederfalle etc.“), die Übertragung
dieses Gedankens auf die Organismen hingegen, wie im Darwinschen
Original, dem Aristoteles („[…] und wendet nun dieselbe Argumen-
tation auf die Organismen an“); einzig und allein diese, auch bei Carus
dem Aristoteles zugeschriebene Übertragung wird dann mit dem Zitat
aus dem zweiten Buch der Physik illustriert. Deshalb bleibt bei Carus
vollkommen unklar, warum von dem Physik-Zitat abschließend be-
hauptet werden kann, es enthalte „eine dunkle Ahnung des Princips der
natürlichen Zuchtwahl bei Empedokles“. Zum dritten ist zweifelhaft, ob
Carus den Fehler Darwins, den er zu vertuschen sucht, überhaupt
korrekt diagnostiziert hat: Zwar steht außer Frage, dass die Hypothese,
die an der von C. J. Grece ausgehobenen Physik-Stelle entwickelt wird,
entgegen Darwins Meinung keine Aristotelische Lehrmeinung darstellt.
52 Oliver Primavesi

Doch ist es, wie wir sahen, eine offene Frage, wieviel von dieser Hy-
pothese aus Empedokles stammt und wieviel davon erst darauf zu-
rückgeht, dass Aristoteles auf Empedokleischer Grundlage einen mög-
lichen Einwand gegen sich selbst konstruiert hat, um diesen Einwand
dann zu entkräften: Der Schluss von „Aristoteles nicht in eigenem
Namen“ auf „nicht Aristoteles“ bzw. auf „Empedokles“ ist nicht
zwingend.

3. Die Übernahme der Zuschreibung an Empedokles durch


die britische Darwin-Kritik

Darwins These von der natural selection der Arten hat eine anti-teleo-
logische Pointe, die sie in den Augen vieler – nicht aller – christlicher
Zeitgenossen als Gefahr für den Glauben an einen zielgerichteten
Schöpfungsplan erscheinen ließ.65 Das machte die Auseinandersetzung
mit Darwin zu einem dankbaren Thema für eine Vorlesungsreihe über
Natural Theology, die der schottische Oberrichter Adam Gifford (1820 –
1887) testamentarisch in der Überzeugung gestiftet hatte, „that the true
knowledge of God […] when really felt and acted on, is the means of
man’s highest well-being, and the security of his upward progress
[…].“66 Gleich der erste Gifford-lecturer, der schottische Hegelianer James
Stirling (1820 – 1909), zielte mit seinen 1889 – 1890 gehaltenen Vorle-
sungen über Philosophy and Theology geradezu auf eine Widerlegung
Darwins. Stirling, der mit der deutschen Philosophie und Philoso-
phiegeschichtsschreibung recht gut vertraut war,67 macht sich den von
Lange und Carus repräsentierten Diskussionsstand zueigen, um zwei
Ziele zu verfolgen: Aristoteles, den er als den Schutzpatron aller te-
leologischen Naturbetrachtung verehrt, möchte er gegen die Inan-
spruchnahme durch Darwin in Schutz nehmen, die These von der
natural selection aber möchte er statt dessen, genau wie Lange und Carus,
auf Empedokles zurückführen, den er ohnehin als Atheisten betrach-

65 Zur ablehnenden wie zur usurpierenden Spielart christlich-theologischer


Darwin-Rezeption vgl. Rohls 2007.
66 Stirling (1890), 5 – 6.
67 Stirling verfasste eine für die britische Hegel-Rezeption bahnbrechende Dar-
stellung des Hegelschen Systems (Stirling 1865) und eine Übersetzung von
Albert Schweglers Geschichte der Philosophie ins Englische (Schwegler, Stirling
1867).
Aristoteles oder Empedokles? 53

tet.68 So behauptet er zunächst, dass Darwin in seiner Fußnote die


einschlägige Meinung des Aristoteles geradezu in ihr Gegenteil verkehrt
habe: „It seems, however, from the very first note, almost on the very
first page, of the Origin of Species, that Mr. Darwin has allowed himself
to be misled into a literal inversion of Aristotle’s relative meaning“.69
Niemals habe Darwin einen größeren Fehler begangen als den, sich
durch den von C. J. Grece gewählten Textausschnitt zu einer Berufung
auf Aristoteles hinreißen zu lassen. In Wahrheit würde man dem Ari-
stoteles Spitznamen wie „Finalursache“ oder „Teleologie“ mit genauso
viel Recht nachgerufen haben wie dem Anaxagoras den Spitznamen
„Geist“:
Anaxagoras was, as we know, nicknamed moOr ; and with quite as much
reason the boys and girls of Athens might have cried after Aristotle, 6meja
ox, 6mej² tou, t´kor, t´kor, all of which words mean design. Darwin, I
repeat, never made a greater mistake in his life than when he allowed Mr.
Clair Grece’s translation to make him believe that Aristotle, like himself,
was above design and all for natural necessity on chance.70
Darwins antiker Vorgänger in der Annahme einer natural selection sei in
Wahrheit nicht Aristoteles, sondern Empedokles:
I will conclude now by pointing out how it has been the lot of Empe-
docles, as early as 444 years before Christ, to anticipate all, every, and any
theory that is built on the survival of the fittest. What Empedocles says is in
substance this: Nature brought forth and gave existence to every possible

68 Stirling (1890), 219: „Thales and the other Ionics are, as Hylozoists, nothing
but atheists; while to call the Eleatics and Heraclitus pantheists is tantamount,
for all that, to an admission, as their doctrines were, that they were atheists.
Empedocles was no better“.
69 Stirling (1890), 127 – 128.
70 Stirling (1890), 346. Stirling lässt sich ebenda p. 133 sogar zu der Behauptung
hinreißen, dass Darwins Irrtum nicht mit einer möglichen Unklarheit in C. J.
Greces Mitteilung entschuldigt werden könne, da Darwin nach eigenem Be-
kunden Ogles Übersetzung von Aristoteles De partibus animalium besessen und
gekannt habe, deren Einleitung eine korrekte Übersetzung des von Grece
mitgeteilten Passus aus Physik II, 8 enthalte: „ … no physical necessity, no
peculiarity of Mr. Grece’s translation, not even the questionable clause parti-
cularized, will excuse or condone that. Mr. Darwin tells us himself, he had Dr.
Ogle’s translation of the de Partibus, in which a note gives the correct version of
the entire passage rendered by Mr. Grece. That note occurs on the very second
page of Dr. Ogle’s book, and must have been seen by Mr. Darwin“. Die
Abwegigkeit dieses Vorwurfs ergibt sich aus der Chronologie: Darwins hier
kritisierte Fußnote wurde im Juni 1866 publiziert, Ogles Übersetzung von De
partibus hingegen erst im Januar 1882.
54 Oliver Primavesi

animal form; but all such as were incoherently and inconsistently con-
structed, perished—and the same process continues. That, surely, is to give
directest, precisest, and palpablest expression to this, Only the fittest sur-
vive! 71
Diese sorglose Zuweisung der gesamten von Aristoteles in Physik II, 8
vorgeführten Hypothese an Empedokles wird seit nunmehr 120 Jahren
bis in die jüngste Zeit stereotyp wiederholt.72 Indessen entsprach sie
bereits in den Jahren 1889 – 1890, als Stirling seine Gifford-Lectures hielt,
längst nicht mehr dem Stand der Forschung: Wie nun noch zu zeigen
ist, hatte Eduard Zeller, und damit ein besserer Kenner der antiken
Philosophie, als Lange, Carus und Stirling es waren, schon 1878 die
entgegengesetzte Ansicht begründet: Bei der in Physik II, 8 vorge-
stellten Hypothese handelt es sich weitgehend um eine Konstruktion,
die von Aristoteles selbst entworfen wurde, wenn auch lediglich in
kritisch-dialektischer Absicht.73

V. Eduard Zeller über Darwins antike Vorgänger

Die von Friedrich Albert Lange in seinem Materialismus-Buch vorge-


schlagene Zurückführung der Darwinschen natural selection-These auf
Empedokles unterzog Eduard Zeller in seiner nun schon mehrfach zi-
tierten Akademieabhandlung von 1878 einer kritischen Prüfung. An
den Anfang stellte er programmatisch die Mahnung, sich von überra-
schenden antiken Anklängen und Ähnlichkeiten nicht zu voreiligen
Gleichsetzungen mit neuzeitlichen Gedanken hinreißen zu lassen:

71 Stirling (1890), 133 – 134.


72 Gotthelf (1999), 25, n. 3 ad p. 8: „Darwin’s citation of the Empedocles passage
in the 4th edition footnote was supplied by a correspondent C.J. Grece, as
Darwin there indicates“; Engels (2007), 60 – 61: „Darwin bezieht sich hier auf
eine Passage aus Aristoteles’ Physik II 8 (198b23 – 31), wo dieser die Position des
Empedokles referiert […].“ Vorsichtiger formuliert Byl 1973: 520, der statt
Empedokles nur allgemein von „mécanistes“ spricht: „[…] il attribue au
Stagirite la théorie des mécanistes qu’Aristote a citée pour la réfuter …“. Aber
auch für Byl steht außer Zweifel, dass es sich bei Aristoteles um eine citation
handelt und nicht um das eigenständige Weiterdenken der Empedokleischen
bzw. „mechanistischen“ Position.
73 Edelstein (1944), 149 Anm. 12: „E. Zeller is of the opinion that Aristotle
outlines the theory as a mere experiment of thought, and that it cannot be
attributed even to the pre-Socratics“.
Aristoteles oder Empedokles? 55

[…] wir begegnen nicht selten zu unserem Erstaunen dem einen und an-
dern von dem, was wir jüngsten Ursprungs glaubten, schon vor Jahrhun-
derten und Jahrtausenden, wir sehen die Alten dem, was in der Folge zur
durchschlagendsten Wirkung gelangte, oft so nahe kommen, dass wir uns
fragen müssen, wie die letzten, scheinbar so kleinen Schritte unterbleiben,
die Gedanken, deren Fruchtbarkeit uns in die Augen springt, von ihren
eigenen Urhebern nicht weiter verfolgt, von der Mitwelt übersehen, von
der Nachwelt vergessen werden konnten? Wenn wir genauer zusehen,
zeigt sich freilich in der Regel, dass die Verwandtschaft des Früheren mit
dem Späteren doch nicht so weit geht, als es beim ersten Anblick scheinen
mochte; dass zur Entwickelung des einen aus dem andern Zwischenglieder
nöthig waren, an denen es noch lange Zeit fehlte; dass manche bereits
gehobenen Schätze nur desshalb wieder verloren giengen und später neu
entdeckt werden mussten, weil ihr Werth von den ersten Entdeckern selbst
nicht erkannt wurde […].74
Anders, als diese skeptische Einleitung erwarten lassen könnte, besteht
das Ziel von Zellers Abhandlung nicht einfach darin, die Rede von
„griechischen Vorgängern Darwins“ durchweg als sinnlos zu erweisen.
In Wahrheit geht es ihm gar nicht primär um die Differenz Antike –
Neuzeit, als vielmehr um eine Differenzierung innerhalb der Geschichte
der antiken Philosophie. So weist Zeller zwar an zwei vorsokratischen
Philosophen, Anaximander und Empedokles, in der Tat den Abstand
auf, der ihre zunächst vielversprechenden Hypothesen bei näherem
Hinsehen von den Darwinschen Theoremen „Mutability of Species“
und „Natural Selection“ trennt. Doch das eigentliche Ziel seiner Ab-
handlung ist die Zurückführung des Satzes, „dass das Zweckmäßige
entstehen könne, indem aus einer grossen Anzahl zufälliger Stoffver-
bindungen nur die lebensfähigen sich erhalten“ auf Aristoteles.75 Die
Übereinstimmung mit Darwins Einschätzung des Aristoteles springt ins
Auge; es wird zu prüfen sein, wie Zeller seine Feststellung begründet.

1. „Mutability of Species“ bei Anaximander? 76

Anaximander von Milet (Anfang 6. Jahrhundert v. Chr.) ist der erste


auch in einem Zitat originalen Wortlauts fassbare griechische Natur-
philosoph. Er nahm an, dass die Erde ursprünglich in flüssigem,
schlammartigem Zustand war und erst allmählich durch Austrocknung

74 Zeller (1879), 111.


75 Zeller (1879), 124.
76 Vgl. Zeller (1879), 112 – 114.
56 Oliver Primavesi

ihre jetzige Beschaffenheit annahm. Nach einem von Hippolytos be-


wahrten Zeugnis ließ Anaximander „auch die Lebewesen aus der
Feuchtigkeit entstehen, die durch die Sonnenwärme verdampft wird;
der Mensch aber sei einem anderen Lebewesen, nämlich dem Fisch, in
den Anfängen sehr ähnlich gewesen.“77
Die ursprüngliche Fischähnlichkeit des Menschen dürfte mit der
von Aëtios bezeugten Annahme Anaximanders zusammenhängen,
dass die ersten Lebewesen im Feuchten hervorgebracht wurden und von
stacheligen Rinden umgeben waren. In vorgerücktem Alter seien sie zum
Trockeneren gewandert und hätten, als ringsum ihre Rinde platzte, für
kurze Zeit eine andere Lebensweise angenommen.78
Plutarch schließlich bezeugt,
dass die Menschen nach Anaximander in Fischen entstanden seien; nach-
dem sie darinnen genährt worden seien wie die Haie und fähig geworden
seien, sich selbst zu helfen, seien sie ausgestiegen und hätten sich des
Festlands bemächtigt.
Abschließend fügt Plutarch hinzu, dass Anaximander „den Fisch,
nachdem er ihn als gemeinsamen Vater und Mutter der Menschen er-
wiesen habe, als Nahrungsmittel verworfen habe.“79

77 Hippolytos Ref. 1, 6, 6; Doxographi 560,6 – 8 Diels (65,20 – 22 Marcovich =


Anaximander A 11, [6] Diels-Kranz): „t± d³ f_ia c¸meshai ‹1n rcqoO› 1natli-
fol´mou rp¹ toO Bk¸ou. t¹m d³ %mhqypom 2t´qyi f¾iyi cecom´mai – tout´stim
Qwh¼i – paqapk¶siom jat( !qw²r.“ (Der Dativ 2t´qyi f¾iyi ist nicht, mit
Mansfeld, instrumental zu nehmen, sondern als echter Dativ zu paqapk¶siom
zu ziehen; vgl. LSJ s.v. paqapk¶sior 2)
78 Aëtios 5, 19, (4); Doxographi 430a 15 – 20 Diels (= Anaximander A 30, [1]
Diels-Kranz): „)man¸lamdqor 1m rcq_i cemmgh/mai t± pq_ta f_ia vkoio?r
peqiewºlema !jamh¾desi, pqobaimo¼sgr d³ t/r Bkij¸ar !poba¸meim 1p· t¹
ngqºteqom ja· peqiqqgcmul´mou toO vkoioO 1p( ak¸com wqºmom letabi_mai.“ In
der von Qusta ibn Luqa angefertigten arabischen Übersetzung des Ps.-Plutarch
hat der erste Satz folgenden Wortlaut (Aëtius Arabus V, 19, 4; Daiber 1980:
235): „Anaximandros glaubte, daß die ersten Lebewesen in der Feuchtigkeit
erzeugt wurden und sie Rinden wie die Schuppen des Fisches bedeckten.“
Demnach diente in der von Qusta benutzten griechischen Vorlage als Attribut
der Rinden nicht „!jamh¾desi“, wie in unserer direkten Überlieferung, son-
dern „kepidoe¸desi“; denn um einen bloßen Übersetzungsfehler, wie Daiber
(1986), 504 annimmt, dürfte es sich schwerlich handeln.
79 Plutarch, Quaestiones convivales 8, 8, 4; 730 E–F (IV 291 Hubert = Anaxi-
mander A 30, [3] Diels-Kranz): „[…] 1m Qwh¼sim 1ccem´shai t¹ pq_tom
!mhq¾pour !pova¸metai ja· tqav´mtar ¦speq oR cakeo· ja· cemol´mour Rjamo»r
2auto?r boghe?m (cakeo· Döhner, Adolf Emperius; pakaio· die Überl.; b²tqawoi
Zeller (1879), 113 Anm. 1) 1jb/mai tgmijaOta ja· c/r kab´shai. jah²peq owm
Aristoteles oder Empedokles? 57

Den hier gezogenen Vergleich mit bestimmten Haien fand Zeller in


seinem Plutarch-Text noch nicht vor, da an dieser Stelle der Wortlaut
verderbt war, und erst aufgrund einer Parallelstelle in der Historia Ani-
malium des Aristoteles überzeugend geheilt werden konnte: An der
Parallelstelle vermeldet Aristoteles das merkwürdige, aber im 19. Jahr-
hundert verifizierte Faktum, dass der sogenannte glatte Hai sich zwar,
wie jeder Fisch, durch Eierlegen vermehrt, dass aber seine Jungen noch
im Mutterleib aus den Eiern schlüpfen und sodann wie Säugetierjunge
in einer Art Gebärmutter ausgetragen werden.80 Ob aber der damit auch
für das Plutarch-Zeugnis gesicherte Hai-Vergleich bereits auf Anaxi-
mander zurückgeht, ist ganz unsicher.
Ein weiteres doxographisches Zeugnis gibt noch einen zweiten
Grund für Anaximanders Annahme einer Ichthyogenese des Menschen
an:
Während die anderen Lebewesen sich schnell selbständig ernähren können,
bedürfe allein der Mensch einer langwierigen Bemutterung. Deshalb hätte
er, so wie er nun einmal ist, auch in den Anfängen (ohne Bemutterung)
niemals überlebt.81
Nimmt man diese Zeugnisse zusammen, so ergibt sich, dass Anaxi-
mander die ersten Menschen von Fischen ausgetragen worden sein ließ,
und dass er dies damit begründete, dass das Überleben der allerersten
Menschengeneration angesichts der beobachtbaren Hinfälligkeit neu-
geborener Menschenbabys nicht ohne eine anfängliche Bemutterung
durch andere Wesen zu erklären sei. Dass aber Fische zu Menschen
geworden seien, dass der menschliche Organismus sich aus dem
Fischorganismus entwickelt habe, scheint Anaximander nicht gelehrt zu

t¹ pOq tµm vkgm, 1n Hr !m¶vhg, lgt´qa ja· pat´q’ owsam, Eshiem, ¢r b t¹m
J¶ujor c²lom eQr t± Jsiºdou paqelbak½m eUqgjem (Hesiod, J¶ujor c²lor,
Fr. 204 [e] Most), ovtyr b )man¸lamdqor t_m !mhq¾pym pat´qa ja· lgt´qa
joim¹m !pov¶mar t¹m QwhOm di´bakem pq¹r tµm bq_sim“.
80 Aristoteles, Historia animalium 6, 10; 565b1 – 5 (p. 285 Balme): „oR d³ jako¼lemoi
ke?oi t_m cake_m t± l³m ¡i± Uswousi letan» t_m rsteq_m blo¸yr to?r sjuk¸oir,
peqist²mta d³ taOta eQr 2jat´qam tµm dijqºam t/r rst´qar jataba¸mei, ja· t±
f_ia c¸metai t¹m alvak¹m 5womta pq¹r t/i rst´qai, ¦ste !makisjol´mym t_m
¡i_m blo¸yr 5weim t¹ 5lbquom to?r tetq²posim.“
81 Ps.Plutarch Strom. 2; Doxogr. 579,17 – 20 Diels (bei Eusebios, Praeparatio evan-
gelica 1, 8, 3): „5ti vgs¸m, fti jat( !qw±r 1n !kkoeid_m f¾iym b %mhqypor
1cemm¶hg 1j toO t± l³m %kka di’ 2aut_m taw» m´leshai, lºmom d³ t¹m %mhqypom
pokuwqom¸ou de?shai tihgm¶seyr7 di¹ ja· jat( !qw±r oqj %m pote toioOtom emta
diasyh/mai.“
58 Oliver Primavesi

haben: Weder die von Hippolytos für Anaximander bezeugte Annahme


einer Ähnlichkeit zwischen frühen Menschen und Fischen, noch die
von Plutarch bezeugte Bezeichnung des Fisches als „Vater und Mutter“
des Menschen kann im Sinne eines Übergangs von einer Species zur
anderen verstanden werden; letzteres bezieht sich eher auf die Dan-
kesschuld für das Austragen als auf eine Abstammung im vollen
Wortsinn. Demgemäß betont Zeller zu Recht die Kluft, die zwischen
Anaximander und der modernen Hypothese von der Wandelbarkeit der
Arten liegt:
Allein wenn auch Anaximander die Menschen anfangs in Gestalt von Fi-
schen im Wasser leben liess, scheint er doch dabei nicht an den vollstän-
digen Organismus der Fische gedacht zu haben, welcher sich erst in der
Folge in einen menschlichen umgebildet hätte; denn es ist nur von einer
Rinde die Rede, von der die ersten, im Wasser entstandenen Menschen
umgeben gewesen seien, und um sie zu Landthieren zu machen, ist nicht
mehr nöthig, als das Zerspringen der Rinde. Der Philosoph scheint also …
weniger an den inneren Bau als an die äußere Gestalt der Menschen und
Fische gedacht zu haben: jene sollten in dieser stecken, wie der Schmet-
terlingsleib in der Puppe oder die Schildkröte in ihrem Gehäuse.82

2. Natural Selection bei Empedokles? 83

In kritischer Wendung gegen Friedrich Albert Lange spricht Zeller dem


Empedokles die Hypothese einer natürlichen Selektion ab.84 Zur Be-
gründung verweist er, abgesehen von allgemeinen geistesgeschichtli-
chen Erwägungen,85 auf den Zusammenhang der zoogonischen Stu-

82 Zeller (1879), 113.


83 Vgl. Zeller (1879), 115 – 119. Empedokles wird im Folgenden wieder wie
schon im zweiten Kapitel in der Regel nach der Fragmentsammlung von Diels-
Kranz zitiert, doch für das mittels des Straßburger Empedokles-Papyrus wie-
dergewonnene größere Stück aus dem ersten Buch der Physika werden statt
dessen die Verszahlen nach Primavesi (2008) angegeben.
84 Zeller (1879), 117.
85 Zeller (1879), 118: „Alle allgemeineren Gründe sprechen ohnedem gegen diese
Annahme. Denn die Frage, ob die Zweckmässigkeit der Natureinrichtung sich
nicht ohne eine nach Zweckbegriffen wirkende Naturkraft erklären lasse –
diese Frage konnte doch nicht früher aufgeworfen werden, als nachdem man
auf die Zweckmässigkeit der Natureinrichtung aufmerksam geworden war
[…]“.
Aristoteles oder Empedokles? 59

fenfolge, die durch Aëtios bezeugt ist86 und die wir im zweiten Kapitel
mittels der einschlägigen Originalfragmente bereits illustriert haben:
I. STUFE: Umherirrende Einzelgliedmaßen
II. STUFE: Zusammenschluss der Einzelgliedmaßen zu monströsen
Zufallskombinationen
III. STUFE: Neuansatz. Hervorwachsen ungeschlechtlicher, unge-
gliederter Kugelwesen aus der Erde.
IV. STUFE: Aufspaltung der Kugelwesen zu den geschlechtlich
differenzierten Wesen unserer Gegenwart.

Das Motiv für die Annahme dieser eigentümlichen Stufenfolge sucht


Zeller in der Empedokleischen Theorie des kosmischen Geschehens im
Ganzen,87 d. h. im sogenannten „Kosmischen Zyklus“. Nach Empe-
dokles vollzieht sich die Geschichte des Universums als regelmäßige
zyklische Alternation zwischen zwei extremen Aggregatszuständen der
vier Grundstoffe Feuer, Wasser, Luft und Erde.88 In dem einen Ex-
tremzustand sind die vier Grundstoffe vollkommen voneinander ge-
trennt; im entgegengesetzten Extremzustand sind sie in ihrer Gesamt-
heit harmonisch zu einem einzigen Lebewesen in Kugelform verbun-
den, dem Sphairos. 89
Zwischen den beiden alternierenden Vollendungszuständen stehen
jeweils zwei ˜bergangsphasen: Ausgehend vom Trennungszustand der
Grundstoffe wird das Eine durch einen allmählichen Vermischungs-
und Verbindungsprozess geschaffen;90 vom Einen zurück zur anfängli-
chen Trennung führt ein Entmischungs- und Entbindungsprozess.91 Für
die Zusammenkunft der vier Grundstoffe zum Einen ist die Kraft der
Attraktion verantwortlich, die Empedokles „Liebe“ (Vikºtgr) nennt:92
Sie stellt zwischen den vier verschiedenen Elementen zunächst viele

86 Aëtios 5, 19, (5); Doxographi 430a21 – 431a5 Diels (Empedokles A 72, [1]
Diels-Kranz).
87 Zeller (1879), 119: „Das Motiv seiner Darstellung scheint … in dem Ganzen
seines kosmologischen Systems zu liegen“.
88 Zeller (1879), 119: „Die Geschichte des Weltganzen bewegt sich ja seiner
Annahme zufolge in einem endlosen Wechsel zwischen zwei Punkten: der
vollkommenen Einigung aller Elemente im Sphairos und ihrer vollkommenen
Trennung durch den Hass“.
89 B 27 – 29 Diels-Kranz.
90 Physika I 232 – 233 Primavesi: tot³ l³m c±q 4m gqn¶hg lºmom eWmai / 1j pkeºmym.
91 Physika I 233 Primavesi : tot³ d( aw di´vu pk´om( 1n 2m¹r eWmai.
92 Physika I 238 Primavesi : %kkote l³m Vikºtgti sumeqwºlem( eQr 4m ûpamta.
60 Oliver Primavesi

Verbindungen und schließlich die eine große Verbindung her. Für die
Trennung der Grundstoffe voneinander ist die Kraft der Repulsion
verantwortlich, die Empedokles „Streit“ (Me?jor) nennt.93
In die Phase des kosmischen Vereinigungswirkens der Liebe setzt
Zeller nun sowohl die Weltbildung als auch smtliche vier zoogonischen
Stufen: 94
[…] bei der Schilderung der Weltbildung gieng er von der letztern Vor-
aussetzung [d.h. vom Zustand vollkommener Trennung] aus, und be-
schrieb dieselbe demnach als eine fortgesetzte Einigung des Getrennten
durch die Liebe. Nach dem gleichen Gesichtspunkt scheint er auch bei
seinen Annahmen über die Entstehung der lebenden Wesen verfahren zu
sein: er liess die Theile derselben erst vereinzelt entstehen, dann sich zwar
vereinigen, aber zu so unvollkommenen Verbindungen, dass diese sich
nicht erhalten konnten, und erst zuletzt, bei zunehmender Herrschaft der
Liebe, zu vollkommeneren und lebensfähigen Bildungen.
Nach der von Zeller hier vorausgesetzten Rekonstruktion des Kosmi-
schen Zyklus würde das kosmische Trennungswirken des Streites
demnach eine vollkommene Pulverisierung der Gesamtmasse aller vier
Grundstoffe bewirken: Sowohl die Zusammenfügung der homogenen
kosmischen Elementmassen (Erde, See, Luft, Sonne), als auch die Bil-
dung der Lebewesen wäre dann das Werk der Liebe. In diesem kon-
tinuierlichen Liebeswirken aber müssen die Zufallskombinationen der
zweiten zoogonischen Stufe ausnahmlos als Fehlschlag gewertet werden.
Nach der zweiten Stufe ist nämlich, mit den aus der Erde hervor-
kommenden Kugelwesen der dritten Stufe, ein gänzlicher Neuansatz
vonnöten, bevor die nach Zellers Meinung zunehmend erstarkende
Liebe schließlich, auf der vierten Stufe, die geschlechtlich differenzier-
ten Wesen unserer Gegenwart zu schaffen vermag. Dann aber kann von
einer Zurückführung der gegenwärtigen Lebewesen auf eine Selektion
unter den Zufallskombinationen der zweiten Stufe keine Rede sein:95
Da aber die letzteren nicht aus den ersteren selbst sich entwickeln, sondern
erst nach dem Untergang derselben aus der Erde hervorkommen sollten, so
kann der Philosoph bei seiner Schilderung nicht die Absicht gehabt haben,
die Entstehung der organischen Wesen im Sinne der heutigen Descen-
denztheorie durch eine stufenweise Umbildung primitiverer Formen in
höherstehende zu erklären.

93 Physika I 239 Primavesi: %kkote d( aw d¸w( 6jasta voqe¼lema Me¸jeor 5whei.


94 Zeller (1879), 119.
95 Zeller (1879), 119.
Aristoteles oder Empedokles? 61

Wie man sieht, geht Zeller auf die (von uns bereits im zweiten Kapitel
als unwahrscheinlich zurückgewiesene) Möglichkeit, dass Empedokles
eine auf die zweite zoogonische Stufe beschrnkte Phase natürlicher Se-
lektion angenommen haben könnte, gar nicht ein. Vielmehr steht oder
fällt für ihn die Charakterisierung des Empedokles als eines Darwin avant
la lettre einzig und allein mit der Frage, ob Empedokles die Lebewesen der
Gegenwart, d. h. der vierten Stufe des Empedokles, auf eine Selektion
unter den Zufallskombinationen der zweiten Stufe zurückgeführt hat
oder nicht. Dass diese Frage verneint werden muss, ergibt sich unmit-
telbar aus dem radikalen Neuansatz, den die dritte zoogonische Stufe
auch in Zellers Rekonstruktion des Kosmischen Zyklus mit sich bringt.
Zellers Bestreben, die zoogonische Stufenfolge des Empedokles mit
dem Kosmischen Zyklus zu synchronisieren, war grundsätzlich sinnvoll;
nur ist Zellers Rekonstruktion des Zyklus aus heutiger Sicht in zwei
wichtigen Punkten zu korrigieren. Aber durch diese Korrektur wird
sich die Kluft, die die vierte zoogonische Stufe von der zweiten trennt,
nur noch vertiefen, so dass Zellers Argument gegen einen vermeintli-
chen „Darwinismus“ des Empedokles daraus gestärkt hervorgeht.
Zum einen geht bei Empedokles das globale Trennungswirken des
Streites nach dem Zeugnis des Aristoteles zeitlich Hand in Hand mit der
Herausbildung vier reiner kosmischer Massen; d. h. der Erdkugel und
der drei sie konzentrisch umgebenden Kugelschalen von Wasser, Luft
und Feuer.96 Das, was Zeller als „Weltbildung“ bezeichnet, geht also
über die Bildung der recht kompromisshaften Welt, wie wir sie kennen,
hinaus bis zum Extremzustand chemisch reiner sphärischer Schichtung
der vier Elemente;97 und vor allem fällt dieser gesamte Vorgang in die
Zeit der Streitherrschaft, nicht, wie Zeller meinte, in die Zeit der
Liebesherrschaft.
Zum andern ist es unplausibel, alle vier zoogonischen Stufen mit
Zeller in das kosmische Vereinigungswirken der Liebe zu versetzen.
Zwar lässt sich am Übergang von Stufe 1 (isolierte Einzelglieder) zu
Stufe 2 (Zufallskombinationen dieser Einzelglieder) in der Tat eine
Zunahme der Vereinigungskraft ablesen. Aber beim Übergang von
Stufe 3 (ganzheitliche, erdgeborene Kugelwesen) zu Stufe 4 (Aufspal-

96 Metaphysik, A 4, 985a 25 – 29: ftam l³m c±q eQr t± stoiwe?a di¸stgtai t¹ p÷m
rp¹ toO me¸jour, tºte t¹ pOq eQr 4m sucjq¸metai ja· t_m %kkym stoiwe¸ym 6ja-
stom. Man beachte die durch die beiden durativen Verbformen unmissver-
ständlich zum Ausdruck gebrachte zeitliche Koextensivität.
97 Bezeugt von Plutarch, De facie 12, 926D–927A.
62 Oliver Primavesi

tung dieser Kugelwesen und geschlechtliche Differenzierung) verhält es


sich gerade umgekehrt: Dieser Übergang beruht klarerweise auf einer
Zunahme der Spaltungskraft. Deshalb hat man die Stufen 1 – 2 zu einer
Zoogonie der von der Liebe dominierten Vereinigungsphase zusam-
menzufassen, die von den vier reinen Massen zum Sphairos führt,
während die Stufen 3 – 4 die Zoogonie der vom Streit dominierten
Trennungsphase darstellen, die vom Sphairos zu den vier reinen Massen
zurückführt.98 Daraus ergibt sich auch eine einfache Erklärung für den
von Zeller mit Recht hervorgehobenen Bruch zwischen der zweiten
und der dritten zoogonischen Stufe: Diese beiden Stufen sind durch den
kosmischen All-Einheitszustand des Sphairos voneinander getrennt.
Wie man sieht, ist bei dieser Rekonstruktion des Kosmischen Zy-
klus eine Deszendenz der Lebewesen der vierten Stufe von den ver-
meintlich lebensfähigen unter den Zufallskombinationen der zweiten
Stufe noch viel unplausibler als bei der seinerzeit von Zeller vertretenen
Rekonstruktion. Deshalb darf Zellers Endergebnis auch heute noch
Gültigkeit beanspruchen, solange man nur die von Darwin einst
übersehene, rein dialektisch-kritische Funktion der Aristotelischen Selek-
tions-Hypothese im Auge behält:99
[…] den Satz, dass das Zweckmässige entstehen könne, indem aus einer
grossen Anzahl zufälliger Stoffverbindungen nur die lebensfähigen sich
erhalten – auch diesen Gedanken hat […] Aristoteles zuerst ausgesprochen;
und wenn dieser eine Anregung zu demselben in der empedokleischen
Physik fand, so musste er hier gerade noch mehr, als in anderen Fällen, das,
„was Empedokles stammelt“ (Metaph. I, 4. 985, a, 5), um es für sich
verwenden zu können, erst auf klare Begriffe zurückführen und in die
Form allgemeiner Grundsätze erheben.
Nur darin wird man Zeller heute nicht mehr folgen können, dass er aus
seinem Ergebnis die Berechtigung ableitet, in die von Aristoteles aus
wissenschafts-teleologischer Perspektive formulierte Abwertung des
Empedokles einzustimmen: In Wahrheit wird durch Zellers berech-
tigten Einspruch gegen die Beziehung der zweiten zoogonischen Stufe
auf die Entstehung des Menschen lediglich die Illusionslosigkeit des
Empedokleischen Systems herausgestellt. Betrachtet man dieses System
einmal ohne die üblichen anthropozentrischen Scheuklappen, so ist die
Stellung, die dem Menschen und seiner so genannten „Welt“ darin

98 Vgl. Dümmler (1889), 217 – 221; Bignone (1916), 584; O’Brien (1969), 196 –
236.
99 Zeller (1879), 124.
Aristoteles oder Empedokles? 63

zukommt, nicht nur marginaler als bei Aristoteles, sondern auch mar-
ginaler als bei Darwin.

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Zellers Platon-Studien
Dorothea Frede

I. Vorwort: Auf den Spuren von Zellers Platon

Ursprünglich lag diesem Beitrag der ehrgeizige Plan zugrunde, einen


Vergleich von Zellers Platon-Darstellung in der ersten Auflage seiner
Philosophie der Griechen mit der in seiner zweiten „völlig umgearbeite-
ten“ Auflage liefern zu wollen.1 Dieser Plan beruhte auf der Hoffnung,
es ließe sich dabei auch etwas über die Zeller oft unterstellte Wende
„von Hegel zu Kant“ ausmachen; denn schon allein die Tatsache, dass
Zeller nur wenige Jahre nach dem Abschluss der ersten Auflage eine
umfassende Neubearbeitung dieses ungeheuren Unterfangens ins Auge
zu fassen bereit war, hätte ein Indiz für eine auch philosophisch gesehen
fundamentale Umbesinnung seinerseits sein können. Ein solcher Ver-
gleich erwies sich jedoch aus mehreren Gründen als untunlich. Zu-
nächst gab es äußere Hindernisse: Ein Exemplar der ersten Auflage
aufzutreiben ist äußerst schwierig, denn diese sind sehr rar und die
meisten Bibliotheken sind weder bereit sie auszuleihen, noch auch
Kopien anzufertigen. Nicht viel besser steht es um die zweite Auflage.
Viele Bibliotheken ersetzen Altes durch Neues, wobei man ihnen nicht
unterstellen will, dass sie ältere Auflagen wie Telefonbücher behandeln,
sondern dass es auch der Verschleiß ist, der zu ihrem Verlust führt.
Wie sich dann bei der Autopsie der beiden Auflagen schnell her-
ausstellte, lag der Neubearbeitung jedoch nicht die vermutete philoso-
phische Umbesinnung zugrunde. Im Vorwort des ersten Bandes der
zweiten Auflage äußert sich Zeller wie folgt zu den Gründen für die
Umarbeitung: In seiner ersten Fassung hatte er keine vollständige
Darstellung der Entwicklung der griechischen Philosophie geben wol-

1 Die Umarbeitung manifestiert sich auch in der Umformulierung des Titels. Der
Titel der ersten Auflage: Die Philosophie der Griechen. Eine Untersuchung ðber
Charakter, Gang und Hauptmomente ihrer Entwicklung, wurde in der zweiten
Auflage ersetzt durch: Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Ent-
wicklung.
68 Dorothea Frede

len, sondern nur eine „Erörterung derjenigen Fragen, durch welche die
Einsicht in die Eigentümlichkeit und den Zusammenhang der Systeme
vorzugsweise bedingt ist“.2 Bei der Ausarbeitung ergab sich jedoch die
Notwendigkeit, mehr ins Einzelne zu gehen als zunächst beabsichtigt.3
Des sich so entstandenen Missverhältnisses zwischen dem ersten und
den beiden weiteren Teilen des Werkes wegen hat Zeller dann die
Anregung des Verlegers aufgegriffen, den ersten Teil neu zu bearbeiten.
So entstand dann eine ganz neue Arbeit, „die zwar den Inhalt der ersten
Auflage in sich enthält, soweit er einer erneuten Prüfung standhielt, aber
in seiner ganzen Anlage und Abzweckung von der ersten abwich, was
sich auch im Umfang niederschlug“.4 Zellers Hauptaugenmerk galt
zwar weiterhin dem System der einzelnen Philosophen, es sollten aber
auch die äußeren Umstände der Entwicklung der griechischen Philo-
sophie, die Geschichte der Schulen und ihrer Stifter Berücksichtigung
finden, sowie Fragen der Entstehung ihrer Philosophie und ihrer ge-
genseitigen Beeinflussung. Daher ging Zeller auch auf das kulturelle,
politische und religiöse Umfeld ein, in welchem sie lebten. Kurzum:
Aus einer Interpretation dessen, was Zeller als das Wesentliche der je-
weiligen Philosophen ansah, wurde eine enzyklopädische Darstellung
im weitesten Sinne.5
In seiner ersten Auflage geht Zeller Platon betreffend hingegen
umstandslos in medias res mit einer Charakterisierung seiner Philosophie,
insbesondere der Ideenlehre, als einer Fortentwicklung sokratischen
Fragens unter Einbeziehung herakliteischer, eleatischer und pythago-
reischer Gedanken. Auch Fußnoten halten sich dort in Grenzen,
während sich deren Anzahl und Länge in der zweiten Auflage ver-
vielfachen. Daher erweckt die erste Auflage noch nicht den Eindruck,
der sich heute jedem Leser als erstes beim Aufschlagen von Zellers

2 Zeller (1856), VI.


3 Dies gilt insbesondere für die Philosophenschulen des Hellenismus, deren
Entstehungsgeschichte und biographischen Hintergründe nicht zu übergehen
sind, da sich sonst schwerlich ein Gesamtbild aus den verstreuten Textzeug-
nissen erstellen ließe.
4 Zeller (1856), VI.
5 Dies bestätigt schon ein Vergleich der Inhaltsverzeichnisse. So geben die Bände
der zweiten Auflage zunächst eine Einführung in die Geistesgeschichte und in
die politischen Verhältnisse der jeweiligen Epoche, um den Hintergrund der
Entwicklung der einzelnen Philosophen zu erhellen. Dieser Hintergrund
schließt auch die Werke von Dichtern und Historikern mit ein. In Zeller1 wird
Biographisches und dergl. dagegen bewusst ausgespart (151).
Zellers Platon-Studien 69

Philosophie der Griechen unmittelbar aufdrängt: dass man ein typisches


Exemplar deutscher Gelehrsamkeit des 19. Jahrhunderts vor sich hat.
Denn in diesem Werk werden oft nur wenige Zeilen Text von einer
Unmenge Fußnoten so überwuchert, dass es einige Mühe kostet, den
Faden der eigentlichen Darstellung im Auge zu behalten. Diese Dar-
stellungsweise ist, wie Zeller zur zweiten Auflage erklärt, seinem An-
liegen geschuldet, zwischen der gelehrten Forschung und der spekula-
tiven Geschichtsbetrachtung zu vermitteln, die Tatsachen aber weder
bloß empirisch zu sammeln, noch auch „von oben herab zu konstru-
ieren“, so dass auch eine kritische Sichtung der Überlieferungsge-
schichte erforderlich wurde.6 Eben diese Untersuchungen wurden
weitgehend in die Fußnoten verbannt und daraus erklärt sich deren
Länge und Ausführlichkeit. Hatte die Interpretation von Platon und der
älteren Akademie in der ersten Auflage 230 Seiten in Anspruch ge-
nommen, so sind es in der zweiten bereits 412. Das weitere Anwachsen
der Darstellung in den späteren Auflagen beruht fast ausschließlich auf
dem Bemühen um eine möglichst vollständige Erfassung der Sekun-
därliteratur.7 Während die Interpretation der antiken Philosophie in
Zellers Jugendzeit noch ein kleiner Bach war, wurde daraus alsbald ein
Fluss und schließlich ein breiter Strom.8
Die Suche nach einer „Wende von Hegel zu Kant“ erwies sich aber
auch aus anderen Gründen als unsinnig und dies vor allem deswegen,
weil die Bestimmung angemessener Kriterien für eine Auslegung Zel-
lers, die sich nicht in Klischees erschöpfen sollte, ein schwieriges Un-
terfangen wäre, zumal was eine „kantische“ Zugangsweise angeht. Zwar
finden sich in der ersten Auflage Bemerkungen, die stark an Hegel
erinnern. So beschreibt Zeller den Fortschritt, den das Denken von
Sokrates über Platon bis Aristoteles genommen hat, wie folgt:
Der Idealismus des Begriffs, welcher in Sokrates erst als subjektive Forde-
rung und Fertigkeit, als dialektischer Trieb und dialektische Kunst vor-
handen war, wird hier zum Princip der objektiven Weltanschauung er-

6 Zeller (1856), VII.


7 In der 3. Auflage von 1875 füllt dieser Abschnitt bereits 563 Seiten.
8 Vgl. dazu Zellers Aufsatz von 1843: Die Geschichte der alten Philosophie in den
letztverflossenen 50 Jahren. Dieser Überblick spiegelt zwar auf Hegel zurückge-
hende Vorstellungen wider, wonach philosophiegeschichtliche Untersuchun-
gen einer „leitenden Idee durch die Geschichte“ bedürfen und verweist dazu
ausdrücklich auf Hegel. In Zellers Arbeiten zu Platon finden sich von hegel-
scher Dialektik jedoch kaum Spuren; sie gehen von ganz anderen Vorausset-
zungen aus und sind ganz unabhängig in ihrem Urteil. Vgl. dazu Horn (2006).
70 Dorothea Frede

hoben, die Idee nicht mehr als blos das Ziel des wahren Wissens und
Princip des wahren Handelns, sondern auch als das objektive, substantielle
Wesen der Dinge behauptet. Andererseits ist noch der Mangel vorhanden,
dass das Denken nun eben bei dieser objektiven Anschauung der Ideen
stehen bleibt, statt dieselbe in ihrer konkreten Verwirklichung zu erkennen
[…]. Wie daher die objektive Fassung des Begriffs, in dem Sokrates den
alleinigen Gegenstand des Wissens erkannt hatte, die Platonische Philo-
sophie von der Sokratischen unterscheidet, so bildet umgekehrt das Ste-
henbleiben bei dieser objektiven Anschauung den Grundunterschied des
Platonischen Systems vom Aristotelischen.9
In seiner zweiten Auflage gestaltet Zeller den Vergleich nicht nur sehr
viel ausführlicher, vielmehr erinnert auch seine Ausdrucksweise kaum
mehr an Hegel.10 Der Sache nach ändert sich Zellers Urteil über die
Verhältnisse nicht. Zum Unterschied zwischen Platon und Aristoteles
bemerkt er dort:
(Platon) hypostasiert die Begriffe zu Ideen, aber indem er nun diese für das
allein Wirkliche, das Stoffliche als solches für das Wesenlose und Nicht-
seiende hält, macht er sich die Erklärung der Erscheinungswelt unmöglich.
Er führt die Begriffsphilosophie zum System aus, aber so tief in’s besondere
vorzudringen wie sein Nachfolger, findet er sich nicht getrieben; nur die
Idee gilt ihm als der wahre Gegenstand des Denkens, das einzelne der
Erscheinungswelt hat für ihn kein Interesse […].11
Ein Vergleich zwischen diesen beiden Texten liefe daher die Gefahr,
sich in bloßen Wortklaubereien zu verlieren. Hinzu kommt noch, dass
man sich angesichts des großen Umfangs und des Reichtums von
Zellers Ausführungen zu Platons Philosophie, die bereits seine erste
Auflage kennzeichnen, bei der Auswahl von Vergleichspunkten schwer
tun würde.
Ein Ausweg aus der Qual der Wahl hatte sich mir bereits während
der langwierigen Suche nach den beiden Auflagen in Form des „Ur-
Zeller“ geboten, den ich sonst vielleicht gar nicht berücksichtigt hätte,
nämlich Zellers Platonische Studien aus dem Jahr 1839. Bei näherer Be-
trachtung dieses Werkes erwies sich schnell, dass Zeller zu Platon eine
ganz eigene Beziehung hat, die sich bereits während seiner Studienzeit
entwickelte und von keiner besonderen Anhängerschaft an einen der

9 Zeller (1856), 134 – 5. Zellers Orthographie wird hier beibehalten.


10 Statt von „dem Begriff“ spricht Zeller von Begriffen und unterscheidet auch
deutlicher zwischen dem subjektiv Begriffenen und den begriffenen Gegen-
ständen. Ein tiefer gehender Unterschied als die Vermeidung von Missver-
ständlichkeiten dürfte darin aber nicht liegen.
11 Zeller (1856), 351.
Zellers Platon-Studien 71

Meister-Philosophen seiner Zeit geprägt ist. Vielmehr beruht sie auf


einer intensiven Auseinandersetzung mit Platons Texten selbst wie auch
mit anderen Philosophen der Antike und mit der relevanten Sekun-
därliteratur. Aus diesem Werk, welches Zeller im zarten Alter von 25
Jahren in Tübingen bei Osiander veröffentlicht hat, sollen hier einige
zentrale Punkte vorgestellt werden. Ergänzend wird noch kurz darge-
legt, was daraus im „Ein-Zeller“ und im „Zwei-Zeller“ geworden ist.
Zellers Platonische Studien enthalten drei Teile: I. Ueber den Ur-
sprung der Schrift von den Gesetzen. II. Ueber die Composition des
Parmenides und seine Stellung in der Reihe der platonischen Dialoge.
III. Die Darstellung der platonischen Philosophie bei Aristoteles. Was
sich nun zunächst wie ein Sammelband mit drei ganz unterschiedlichen
Essays ausnimmt, hat gleichwohl ein gemeinsames Thema, nämlich die
Bedeutung und Funktion der platonischen Ideenlehre. So führt Zeller
das Fehlen der Ideenlehre im ersten Essay als ein wesentliches Argument
gegen die Echtheit der Nomoi an. Im zweiten Essay arbeitet er heraus, in
welcher Hinsicht der platonische Parmenides eine Schlüsselrolle zum
Verständnis der Ideenlehre spielt. Der dritte Essay ist der Rezeption von
Platons Philosophie bei Aristoteles gewidmet. Auch hier steht die
Ideenlehre im Mittelpunkt, denn Zeller erörtert eingehend die „Ma-
thematisierung“ der Ideenlehre, die Aristoteles’ Kritik zugrunde liegt,
von der sich in Platons Dialogen bekanntlich nur Spuren finden.
Dass die Ideenlehre der gemeinsame Fokus der Platonischen Studien
ist, wird Lesern aus zwei Gründen erst im Nachhinein deutlich. Zum
einen weist Zeller darauf nicht eigens hin, zum anderen macht der
Detailreichtum der Essays eine ausdrückliche Reflexion auf ihren ei-
gentlichen Kern erforderlich. Dieses Reichtums an Details und der
Genauigkeit der Ausführungen wegen wirken Zellers Studien übrigens
durchaus nicht wie das Erstlingswerk eines erst 25-Jährigen, sondern
erwecken den Eindruck, als habe man es mit dem Urteil eines viel
Älteren zu tun, der über jahrelange Erfahrung verfügt. Das ist wohl auch
nicht falsch, denn Zeller hat sehr früh mit dem Studium der Alter-
tumswissenschaften begonnen. Bereits sein Vater soll ihm Unterricht in
den alten Sprachen erteilt haben, bevor er als Achtjähriger die Latein-
schule besuchte, mit 13 Jahren ins Maulbronner evangelische Seminar
überwechselte und mit 17 Jahren ins Tübinger Stift aufgenommen
wurde. Auch hat Zeller schon in ganz jungen Jahren viel Anerkennung
erfahren; seiner Dissertation liegt eine preisgekrönte Preisschrift von
1833 zugrunde, die Zeller also im Alter von 19 Jahren verfasst hat. Die
72 Dorothea Frede

drei Essays der Studien sollen nun je für sich einer näheren Betrachtung
unterzogen werden.

II. Zeller über Platons Gesetze

Der Teil I der Platonischen Studien ist offensichtlich die Frucht von
Zellers Dissertation, die den Nomoi gewidmet war.12 Sein Bemühen in
diesem Essay gilt dem Nachweis der Unechtheit der Nomoi und daher
beginnt er mit einer Charakterisierung dieses Werks und seiner Gründe
dafür, es Platon abzusprechen. Diese Untersuchung zwingt einen dazu,
den Platon des „Ur-Zeller“ sozusagen im Rückwärtsgang zu rekon-
struieren, d. h. im Ausgang von Platons Alterswerk, da auch Zeller selbst
im Lauf seiner Untersuchung von den Nomoi ausgeht und andere
Dialoge unter dem Gesichtspunkt untersucht, inwiefern sich aus ihnen
Gründe für die Unechtheit der Nomoi ableiten lassen. Diesen Unter-
suchungen ist auch zu entnehmen, welche Aspekte Zeller als besonders
charakteristisch für Platons Philosophie überhaupt ansieht. Bei seiner
Echtheitskritik geht Zeller übrigens sehr gründlich vor, indem er die
Nomoi eingehend nach Form und Inhalt analysiert. Metaphysische
Fragen kommen ebenso zur Sprache wie stilistische, methodische,
dialogische, dialektische, ethische und politische. Der Tenor seiner
Beurteilung ist: „Platon kann diese Schrift nicht verfasst haben, weil…“
Dazu geht Zeller auf die wesentlichen Aspekte der Nomoi ein, da er
dieses Werk, schlicht gesagt, für zu schlecht hält, als dass man es Platon
zuschreiben könnte.
Zellers Gründe für seine Kritik an den Nomoi sind hier kurz zu-
sammenzufassen.13 Was die Komposition betrifft, weist er auf den
Mangel an Kohärenz dieses Werkes hin, eine Erfahrung, die viele Leser
mit ihm teilen dürften. Zwar hängt irgendwie alles mit allem zusam-
men, man müsste aber lügen, wenn man behaupten wollte, dass das
Gespräch zwischen drei alten Männern auf dem Weg zur Zeusgrotte auf
Kreta einem transparenten Plan folgt. Was Inhalt und Intention der
Nomoi angeht, so kann Zeller insbesondere die Notwendigkeit einer
Revision des politischen Idealbildes der Politeia nicht anerkennen.
Wozu sollte Platon eine weitere „Kopie“ der Idee des Staates vorstellen,

12 Ein Exemplar dieser Arbeit von 1836 konnte ich nicht auftreiben; es dürfte in
den Arkana der Tübinger Universität zu finden sein.
13 Vgl. dazu Zeller (1839), 117 – 118: eine Zusammenfassung in sieben Punkten.
Zellers Platon-Studien 73

eine Kopie, die nicht nur Kernpunkte aus der Politeia aufgibt, sondern
an deren Realisierbarkeit der Autor der Nomoi wiederum Zweifel äu-
ßert (745e)? 14
Was seine Methodik betrifft, ist in Zellers Augen, wie bereits oben
angedeutet, für Platon eine Mittelstellung zwischen dem „Sokratisch-
Epaktischen“ und dem „umfassend Systematischen bei Aristoteles“
charakteristisch, wobei beide Züge bei Platon durch die Ideen zusam-
mengehalten und überhöht werden. Hingegen stellt das bloße „Hin-
absteigen ins Empirische zum Nachteil des Begrifflichen“, welches
Zeller als typisch für die Nomoi ansieht, wie auch der Verzicht auf jede
Art von Ableitung des Einzelnen aus den Ideen eine gravierende Ab-
weichung von der platonischen Methodik dar. So werden auch die
Tugenden lediglich einzeln eingeführt und nicht methodisch stringent
auf ihren Zusammenhang und ihre Abhängigkeit von der obersten
Tugend, der Weisheit, hin untersucht. Was für die Tugenden gilt, gilt
auch für die politische Ordnung. Statt einer Dreiklassenordnung, die der
Harmonie der drei Seelenteile entspricht, sieht der Autor der Nomoi
einen Einklassenstaat vor, in dem die schwere Arbeit von Sklaven und
Ausländern verrichtet wird.15 So ist der Staat der Nomoi kein wohlge-
gliedertes Ganzes, sondern lediglich ein von Gesetzen und Verord-
nungen zusammengehaltenes Aggregat.
Als schlagendes Beweisstück für die Unechtheit betrachtet Zeller
jedoch die Tatsache, dass von der Ideenlehre in den Nomoi – anders als
in anderen Dialogen – nirgends auch nur eine Spur zu finden ist. Denn
die Ideen spielen weder eine Rolle in den Argumenten für die Un-
sterblichkeit der Seele, noch in der Erläuterung der Notwendigkeit des
Glaubens an eine sinnvolle, auf Vernunft beruhende Weltordnung,
noch auch werden sie als erforderlich für die Qualifizierung der poli-
tischen Elite behandelt, der Mitglieder des „Nächtlichen Rates“. Zum
Fehlen der Ideenlehre passt auch die Herabstufung der mathematischen
Kenntnisse, sowie das Fehlen eines pythagoreischen Hintergrundes der
Mathematik. Denn da die Mathematik den Bildungsvorschlägen der
Nomoi zufolge nur in dem Umfang gelehrt werden soll, in dem auch
gewöhnliche Bürger sie verstehen und als Basis einer rationalen Him-
melsordnung akzeptieren können, sieht Zeller hier keine Verwandt-
schaft zum Curriculum in der Politeia, welches gründliche Kenntnisse

14 Zeller (1839), 22, mit Verweis auf Lg. V 745e.


15 Zeller (1835), 36 – 37.
74 Dorothea Frede

der höheren Mathematik als Basis des Verständnisses der unsichtbaren,


nicht aber der sichtbaren Weltordnung vorsieht.16
Auch die dialogische und sprachliche Form der Nomoi, wen wun-
dert es, findet vor Zellers Augen keine Gnade. Es gehört ja auch einiges
dazu, ein Nomoi-Fan zu sein. So moniert Zeller die Eintönigkeit und
Unlebendigkeit der Unterredung sowie das Fehlen aller individueller
Züge der Diskutanten. Das Gehabe des Atheners wirkt unangenehm
autoritär und überheblich, die beiden Dorer, der Kreter Kleinias und
der Spartaner Megillus, verhalten sich steif und ungeschickt. Die Aus-
drucksweise ist geziert und auch die vielen Wiederholungen sind nicht
geeignet, den mangelnden Zusammenhang zu kaschieren.17 Die Zu-
sammenstellung einer langen Liste von hapax legomena und von sonst bei
Platon nicht üblichen sprachlichen Wendungen soll belegen, dass die
Nomoi auch in der sprachlichen Form von den anderen Dialogen weit
abweichten.18
Aus all diesen Gründen schließt Zeller, dass Platon nicht der Ver-
fasser dieser Schrift gewesen sein kann. Die Nomoi wären sonst ein
Zeichen dafür, dass ihm im Alter seine eigene Philosophie fremd ge-
worden ist. Vielmehr muss es sich um die Arbeit eines Schülers handeln,
der Stücke aus dem Nachlass Platons ungeschickt und ohne tieferes
Verständnis zusammengefügt, wie auch in Nachahmungen auf andere
Dialoge Platons zurückgegriffen hat.19 Selbst das Zeugnis des Aristoteles,
der sich unleugbar auf die Nomoi bezieht, richtet in Zellers Augen gegen
dieses Verdikt nichts aus.20 Vielmehr meint Zeller, dass Aristoteles –
aufgrund seiner Abwesenheit in Athen nach Platons Tod – von der
falschen Zuschreibung nichts wusste und sich später nicht mehr darum
gekümmert hat, ob dieses Werk tatsächlich von Platon stammt. Au-
ßerdem wirft Zeller Aristoteles vor, dass er den Menexenos und den
Hippias Minor gleichfalls für echt gehalten hat: Irrt Aristoteles sich im
Kleinen, so kann er sich auch im Großen irren.21 Und was für Aristo-
teles gilt, gilt erst recht für die Autoren der späteren Antike.

16 Zeller (1839), 42 – 49.


17 Zeller (1839), 57 – 84.
18 Zeller (1839), 84 – 100.
19 Zeller (1839), 100 – 117.
20 Zeller (1839), 128 – 135.
21 Zeller (1839), 132 – 3. Auf seine Gründe für die Athetese dieser beiden Dialoge
geht Zeller eigens in einem Anhang und in Auseinandersetzung mit deren
zeitgenössischen Verteidigern, Ast (1816), Dilthey (1820), Socher (1820),
Hermann (1839) näher ein (144 – 156). Dass Platon seinen Sokrates eine Par-
Zellers Platon-Studien 75

Von dieser Verurteilung der Nomoi ist Zeller später abgerückt. In


der ersten Auflage seiner „Philosophie der Griechen“22 bekennt er,
wohl auch angesichts von kritischen Stimmen zu seinen Studien, dass für
ihn die Unechtheit „nicht mehr so feststeht wie früher“.23 Vor allem
will der das Zeugnis des Aristoteles nicht mehr beiseite schieben; von
der Unechtheit des Hippias Minor ist er gleichfalls stillschweigend ab-
gerückt.24 In der zweiten Auflage spricht er gar nur noch von früheren
„Zweifeln“ über die Nomoi. 25 Dazu ist freilich zu sagen: Wenn das
bloße Zweifel waren, würde man sich einer wirklichen Verurteilung
durch Zeller nicht gern ausgesetzt sehen. Jedenfalls ist er nun bereit,
angesichts von Platons hohem Alter und dem Umstand, dass dieser an
sein Werk nicht mehr die „letzte Feile“26anzulegen vermochte, das
Werk insgesamt als platonisch anzuerkennen. Fehlerhafte und verzer-
rende Ergänzungen schreibt er jedoch weiterhin dem Bearbeiter und
Herausgeber von Platons postumem Werk zu, den er mit anderen in
Philipp von Opos vermutet.

III. Zeller über Platons Parmenides

Während Zellers Behandlung der Nomoi ein gutes Beispiel für sein
kritisches Urteil wie auch für seine Revisionsbereitschaft ist, repräsen-
tiert seine Interpretation des Parmenides in Teil II eine scharfsinnige
Analyse dieses Dialogs, die sich auch heute noch sehen lassen kann. Auf
diese Analyse weist Zeller in Zeller1 nur noch im Anhang in Form einer
Zusammenfassung und einer Auseinandersetzung mit der Literatur
hin.27 In Zeller2 begnügt er sich mit einem bloßen Verweis auf seine

odie auf die üblichen Grabreden halten lassen oder ihn auch nur dem Anschein
nach dafür plädieren lassen könnte, dass es besser ist absichtlich zu lügen als
unabsichtlich die Unwahrheit zu sagen, hält Zeller für unvereinbar mit Platons
sonstiger Einstellung; vor allem vermisst er deutliche Hinweise auf ironische
oder parodistische Absichten, die sich in unverkennbaren Übertreibungen
manifestieren müssten.
22 Zeller (1846), 317 – 332.
23 Zeller (1846), 329.
24 Zeller1(1846), 157 Anm. 3.
25 Zeller2 (1858), 638 – 41. Dazu dürfte auch die jüngere Platon-Literatur seiner
Zeit beigetragen haben, wie etwa Susemihl (1855).
26 Zeller (1858), 641.
27 Zeller (1846), 346 – 361.
76 Dorothea Frede

Studien in einer Fußnote.28 Das ist zwar angesichts des Umfangs ver-
ständlich, den eine Aufarbeitung seiner Interpretation des Parmenides
nicht nur schon für sich allein, sondern auch aufgrund der erforderli-
chen Auseinandersetzung mit der neusten Sekundärliteratur angenom-
men hätte. Da man aber diesen Verweis auf die frühere Arbeit in dem
Wust der Fußnoten leicht übersieht, entgeht einem etwas Wichtiges,
wenn man nur den späteren „Zeller“ kennt.
Aus diesem Grund sei nun in Kürze das Wesentliche an dieser In-
terpretation von Platons Parmenides zusammengefasst. Zeller moniert
zunächst an der Erklärung des Parmenides bei Schleiermacher, Ast und
anderen Autoren, dass sie zum einen keine befriedigende Deutung des
„dialektischen“ zweiten Teils des Dialogs liefern, zum anderen den
Zusammenhang des zweiten Teils mit der Ideenkritik im ersten Teil
nicht aufklären.29 Damit legt er seinen Finger genau auf den Punkt, der
Platon-Kennern bis heute Schwierigkeiten bereitet.30 Zellers liefert
daher eine Interpretation der acht Hypothesen im zweiten Teil des
Parmenides und eine Erklärung für ihren Zusammenhang mit der Ide-
enkritik im ersten Teil. Wie er plausibel macht, dienen die „Übungen“
des 2. Teils der notwendigen Klärung des fundierenden Verhältnisses
des Begriffs der Einheit zu den übrigen Allgemeinbegriffen,31 denn nur
die Einheit verleiht der Vielheit der Erscheinungen eine Identität. Und
eben dies, die Zusammenfassung der Vielheit zu einer Einheit ist Sache
der Dialektik. Das Eine ist daher als das formale Prinzip aller Ideen zu
verstehen. Die Folgerungen, die in den acht Hypothesen zuerst aus dem
Sein und dann aus dem Nichtsein des Einen gezogen werden, versteht
Zeller daher als eine „apagogische Darstellung“, d. h. eine reductio ad
absurdum. Zu den Widersprüchen in den vier positiven Hypothesen
kommt es, weil dem Einen zunächst jegliche Vielheit abgesprochen,

28 Zeller (1858), 415 A 4.


29 Zeller (1839), 159 – 164. Schleiermacher (1817) I, 2, 86 f.; Ast (1816), 243 f.
30 Seit G. Vlastos’ bahnbrechendem Aufsatz (1954) hat diese Problematik auch die
Aufmerksamkeit vieler Angehöriger der analytischen Philosophie auf sich ge-
zogen. Eine allseitig befriedigende Interpretation des platonischen Parmenides als
Ganzem steht bis heute aus.
31 Die Auswahl der übrigen Begriffe (Prm. 136c) schwankt im Lauf der Unter-
suchung. In der ersten Hypothese geht es um eine Gegenüberstellung des Einen
mit Vielem, Teil, Ganzem, Grenze, Gestalt, Ort, Bewegung und Stillstand,
Selbigkeit, Verschiedenheit, Ähnlichkeit, Unähnlichkeit, Gleichheit und Ver-
schiedenheit der Größe und der Zeit nach (Prm. 137c–142a). Der Katalog der
Begriffe schwankt jedoch im Durchgang durch die verschiedenen Hypothesen.
Zellers Platon-Studien 77

dann wiederum jede Art von Vielheit zugeschrieben wird, einschließ-


lich räumlicher und zeitlicher Bestimmungen. Letztere passen nun, wie
Zeller richtig diagnostiziert, zwar zu raum-zeitlich verfassten Dingen,
nicht aber zu Ideen.32 In den vier negativen Hypothesen ergeben sich
Zeller zufolge zu Recht nur Antinomien, weil sich unter der Voraus-
setzung des Nichtseins des Einen weder über das Eine selbst noch über
die anderen Begriffe irgendetwas Bestimmtes behaupten oder auch
ausschließen lässt. Daraus schließt Zeller, dass es Platon im zweiten Teil
des Dialogs um den Nachweis geht, dass die Ideen sich zwar in der
Vielheit der Erscheinungen manifestieren, ohne jedoch selbst Vielheiten
zu sein.
In eben dieser Einsicht sieht Zeller den Schlüssel zur Lösung der
Schwierigkeiten des ersten Teils des Parmenides. Als einheitstiftende
Prinzipien verstanden sind die Ideen jeweils weder als Ganzes noch auch
als Teil in den Dingen enthalten. Damit erweist sich die erste Aporie als
gegenstandslos, mit der Parmenides den jungen Sokrates konfrontiert
(Prm. 130e–131e). Des Weiteren muss man kein Drittes fordern, was
zwischen den Ideen und ihren Teilhabern vermittelt. Folglich kann das
Problem des „Dritten Menschen“ gar nicht auftreten (132a–b). Ferner
kann auch keine Rede davon sein, dass zwischen den Ideen die gleichen
Beziehungen bestehen wie zwischen den vielen veränderlichen Dingen.
Damit scheidet die Aporie aus, die sich aus der Konzeption der Ähn-
lichkeit zwischen den Ideen als Urbildern und den Einzeldingen als
Abbildern in einem nicht-metaphorischen Sinn ergibt (132d–133a), so
wie auch die Aporie der angeblichen Unerkennbarkeit der Ideen
(133c–134a). Mit anderen Worten, für Zeller enthält der erste Teil des
Parmenides Scheinprobleme, welche die Unzulänglichkeit einer naiven
Auffassung über den Status der Ideen und ihr Verhältnis zur Vielheit
demonstrieren sollen. Zu einem besseren Verständnis der fraglichen
Voraussetzungen sollen die Übungen im zweiten Teil die Grundlage
liefern. Zellers Darstellung zufolge sind Ideen keine abstrakten Ge-
genstände, sondern sie konstituieren die Einheit der Mannigfaltigkeit in
der Erscheinungswelt. Die einzige Möglichkeit, die Ideen zu verstehen,
liegt für Zeller daher in ihrem dialektischen Gebrauch:
(D)ie Ideen, so stark (Platon) sich über ihre objektive Realität ausspricht,
sind doch nicht, wie ein in neuerer Zeit gang und gäbe gewordenes
Vorurtheil meint, Gegenstand einer intellektuellen Anschauung, sondern

32 Ziel der Hypothesen ist also, zur kritischen Reflexion über die Angemessenheit
der Begriffe als solcher anzuregen.
78 Dorothea Frede

das einzige Mittel, sie zu erkennen, d. h. die Kunst der Sonderung und
Vereinigung der Begriffe.33
Mit seiner Deutung der Zusammengehörigkeit der beiden Teile des
Parmenides kann sich Zeller, wie schon angedeutet, auch heute noch
sehen lassen. Denn es gibt noch immer zwei Lager von Interpreten des
Parmenides, sofern sie sich überhaupt an die Entschlüsselung des zweiten
Teils machen. Das eine Lager versucht, den antinomischen Charakter
des zweiten Teils wegzuinterpretieren.34 Das andere Lager unterstellt,
ähnlich wie Zeller, der Lektion, die der alte Parmenides dem jungen
Sokrates mit seinem „mühsamen Spiel“ (Prm. 137b) erteilt, eine kriti-
sche Absicht im Umgang mit den Ideen im Allgemeinen. Freilich teilen
nicht alle Kommentatoren Zellers Standpunkt, dass es Parmenides um
den Nachweis der Notwendigkeit der Einheit geht, sofern sie diese
Möglichkeit überhaupt zur Kenntnis nehmen.35 Zu dieser Unkenntnis
hat Zeller, wie gesagt, dadurch beigetragen, als seine Abhandlung über
den Parmenides ab der zweiten Auflage nur noch ein Fußnotendasein
führt. Zwar stützt sich Zeller bei seiner Darstellung der Platonischen
Dialektik vielfach auf den Parmenides;36 da er jedoch auf Einzelanalysen
der Dialoge grundsätzlich verzichtet, geht er auch auf den Parmenides
nicht mit der Ausführlichkeit ein, die für ein tieferes Verständnis seiner
Interpretation der Aporien und der Hypothesen erforderlich wäre.
Stattdessen bietet er, nach der Darstellung von Platons Leben und seiner
Schriften, ihrer Entstehung und Reihenfolge, eine systematische Be-
handlung von dessen Lehre und geht dabei auf die einzelnen Dialoge

33 Zeller (1839), 183, nimmt damit in gewisser Weise eine Kernthese der Mo-
nographie von Wieland (1982) vorweg, wonach Ideenwissen ein „Ge-
brauchswissen“ ist; allerdings versteht Zeller unter Dialektik eine sprachlich
artikulierte systematische Disziplin, die Wieland als „propositionales“ Wissen
gerade ausschließt.
34 Der jüngste Versuch, die Hypothesen als in sich konsistent zu erweisen, stammt
von Meinwald (1991). Ihre Grundannahme, es gehe Platon um den Unter-
schied zwischen zwei Arten von Prädikaten, die von den Ideen (1) in Relation
zu selbst und (2) in Relation zu anderem gelten, ist jedoch nicht in allen Fällen
überzeugend und von ihr auch nur lückenhaft nachgewiesen. Zudem fragt sich,
warum Platon meint, diese einfache Grundunterscheidung durch eine ausge-
dehnte, antinomisch aufgebaute Übung erläutern zu müssen. Vgl. dazu die
Kritik von Krohs (1998).
35 Cornford (1939); Moravcsik (1982); Allen (1983); Hägler (1983) mit Hinweis
auf Zellers Philosophische Studien.
36 Zeller1(1846), 185 – 217; Zeller2(1858), 411 – 457.
Zellers Platon-Studien 79

nur soweit ein, als sie Belege für die Rekonstruktion dessen liefern, was
Platons Philosophie in Hinblick auf den jeweiligen Aspekt auszeichnet.
Da Zeller mit vielen anderen Interpreten in Platons Ideenlehre das
Kernstück seiner Philosophie sieht, ist nun auch auf seine Deutung der
Ideenlehre in den Studien noch näher einzugehen. Er äußert sich zu
dieser Frage vor allem im Zusammenhang mit Aristoteles’ Platon-Re-
zeption, dem Gegenstand seines dritten Essays.

IV. Zeller über die Ideen-Kritik des Aristoteles

Auch Teil III der Platonischen Studien ist aus vielen Gründen von be-
sonderem Interesse, denn Zeller legt seiner Darstellung der Platonischen
Philosophie bei Aristoteles die Unterteilung in Dialektik, Physik, Ethik
zugrunde, eine Gliederung, die auch seine Interpretation in Zeller1 und
Zeller2 beibehält. Davon können hier nur seine Ausführungen zur
Rezeption der Ideenlehre aufgenommen werden, insbesondere aber zu
deren Mathematisierung. Wie Zeller feststellt, ist Aristoteles, was Pla-
tons Philosophie angeht, ein seltsamer Zeuge: Vieles bei Platon Her-
vorstechende übergeht er ganz, während er anderes, was sich bei Platon
allenfalls in Andeutungen findet, eingehend erörtert und kritisiert:
(S)o zeigt sich die merkwürdige Erscheinung, dass wir aus ihm ein ganz
anderes Bild derselben (sc. der platonischen Philosophie) bekommen, als
aus den Platonischen Werken. Vieles hier mit großem Nachdruck Vor-
getragene ist dort fast übergangen; Anderes, wovon sich hier kaum
schwache Anklänge zu finden scheinen, tritt bei Aristoteles in den Vor-
dergrund; einzelne Lehren, die schon im Ausdruck auffällig mit der Ari-
stotelischen Terminologie übereinstimmen, und die wir in Platon’s
Schriften vergeblich suchen, werden ihm zugeschrieben; das ganze System
erscheint uns des idealen Glanzes, den ihm Platon so gerne giebt, ent-
kleidet, und auf abstrakte Dogmen zurückgeführt.37
Aus solchen Gründen waren manche Zeitgenossen Zellers der Auffas-
sung, dass in Platons Dialogen nur „Exoterisches“ steht, weil er nur in
lebendiger Rede den Schülern gegenüber seine wahre Philosophie
vorgetragen hat.38 Von dieser Auffassung hält Zeller freilich gar nichts.
Wie sollten die Dialoge nur leere Schalen sein? Schon in ganz jungen

37 Zeller (1839), 199.


38 Zeller (1839), 199 – 200. Während in den Studien die „Esoteriker“ anonym
bleiben, rechnet Zeller2 (1858), 323 – 326 dazu Brucker, Tennemann, Ast,
Weiße (1829) und in gewissem Umfang auch K. Fr. Hermann.
80 Dorothea Frede

Jahren war Zeller also ein energischer Gegner der heute so genannten
„Tübinger Platondeutung“, die damals freilich noch nicht in seiner
geistiger Heimat angesiedelt war. Die Platondeutung im 19. Jahrhundert
stand also keineswegs unter der Dominanz von „Schleiermachers ro-
mantischem Platonbild“, wie es die späteren „Tübinger“ gern darstel-
len,39 denn Zeller argumentiert gegen diese Auffassung ganz unabhängig
von Schleiermacher. Er weist allerdings die Zeugnisse bei Aristoteles
nicht einfach zurück, behandelt sie aber, seiner sonstigen hohen
Wertschätzung zum Trotz, durchaus kritisch, weil er der Auffassung ist,
dass Aristoteles Platon in wichtigen Hinsichten missverstanden hat. Um
das Richtige vom Falschen zu trennen, durchmustert Zeller sehr ein-
gehend die Ausführungen zu Platon bei Aristoteles in Hinblick auf
dessen Metaphysik, Physik und Ethik. Davon können hier nur zwei
Punkte zur Metaphysik zur Sprache kommen: (1) Natur und Status der
Ideen überhaupt, (2) die Beziehung der Ideen zu den Zahlen. Beide
Punkte erörtert Zeller in enger Verknüpfung miteinander, weil sie sich
auch in den Zeugnissen bei Aristoteles nur schwer trennen lassen.
(1) Zu Aristoteles’ Auffassung über den Status der Ideen erklärt
Zeller, dieser betrachte die Ideen als für sich bestehende unräumliche
Substanzen, die das Wesen der Dinge ausmachen und zugleich die
Ursache ihres Seins und Werdens sind (216 – 228).40 Mit Hilfe einer
sorgfältigen Überprüfung der verschiedenen Stellen, an denen Aristo-
teles auf Platons Ideen eingeht, weist Zeller nach, dass Aristoteles die
platonischen Ideen zugleich als Gattungsbegriffe wie auch als Individuen
darstellt, welche für sich bestehend (choris) als paradeigmata das Beharr-
liche im Wechsel der Erscheinungen bedingen.41 Aus dieser Doppel-
funktion ergeben sich in der Tat gewisse Schwierigkeiten, die sich auch
in der „doppelten Darstellung der Lehre von den ersten Prinzipien“
widerspiegeln, indem dieselben bald mehr aus dem formal logischen,
bald mehr aus dem metaphysischen Gesichtspunkt betrachtet werden.“42
Dabei steht die Unterscheidung von Einheit und Vielheit, Selbigkeit
und Verschiedenheit auf der einen Seite, Grenze und Unbegrenztem
auf der anderen im Mittelpunkt, die in Platons späteren Dialogen eine

39 Vgl. Krämer (1959) und Gaiser (1968) und die zusammenfassende Darstellung
bei Reale (1993). Die so genannte „Tübinger Deutung“ stellt folglich keinen
dramatischen „Paradigmenwechsel“ dar, sondern das Wiederaufleben altver-
trauter Gedanken.
40 Zeller (1839), 216 – 228.
41 Zeller (1839), 230.
42 Zeller (1839), 248.
Zellers Platon-Studien 81

prominente Rolle spielen.43 Da beide Aspekte auch in Zusammenhang


mit Zahlverhältnissen gebracht werden, sind die Aspekte nicht immer
leicht auseinander zu halten, zumal Zeller vermutet, dass auch Platon
diesen Unterschied „im Ausdruck nicht immer scharf geschieden hat“.44
Wenn Aristoteles die Ideen zugleich als Substanzen und als nume-
rische Einheiten behandelt, so tut er Platon Zeller zufolge damit zwar
kein Unrecht, wohl aber damit, dass er von einer völligen Trennung
zwischen Ideen und Einzeldingen ausgeht, wie insbesondere seine Be-
rufung auf des Argumentes vom „Dritten Menschen“ zeigt.45 Anders als
Aristoteles weist Zeller Platons Ideen und Erscheinungen nicht zwei
getrennt für sich bestehenden Bereichen zu. Zeller bestreitet dabei al-
lerdings weniger die „Abtrennung“ der Ideen vom Sinnlichen als
vielmehr die Abtrennbarkeit des Sinnlichen (wie auch der Zahlen) von
den Ideen. Denn die Ideen sind für ihn dasjenige, was die Vielheit der
Erscheinungen in sich begreift, während Vielheiten bloß die „Ab-
schattungen (eidüla) der Ideen in der Räumlichkeit“ sind.46 Die Ideen
sind daher auch kein „idealer Widerpart“ der sinnlichen Dinge, sondern
sind die „Gesetze der Sinnenwelt“.47 Wenn Ideen aber nichts völlig
anderes sind, sondern vielmehr das Wesen der sinnlichen Dinge „unter
der Form der Unveränderlichkeit“ darstellen,48 dann sind sie als die
Formen der Erscheinungswelt zu versehen. Da Platon aber laut Zeller
die Ideen als „das allein Wirkliche“ betrachtet, das als solche etwas
Geistiges ist, und somit einerseits als das Ideale frei von der Erschei-
nungswelt sein sollte, andererseits aber einen „alles Wirkliche umfas-
senden Inhalt“ haben sollte, konnte er, wie Zeller feststellt, den Ideen
selbst keinen konkreten Inhalt geben.49 Dieses Manko wird auch nicht
durch dialektische Begriffserklärungen wettgemacht, die sich formaler

43 Einheit und Vielheit, Selbigkeit und Verschiedenheit usw. werden im Theaitetos


als koina bezeichnet (Tht. 185a–e); ähnliche Kataloge findet sich in
Prm. 129d–e; 136a–c; Sph. 251d–252b; Phlb. 19b. Im Timaios sind Sein, Sel-
bigkeit und Verschiedenheit die Elemente, aus denen die Weltseele besteht
(Ti. 35a–b). Zu Grenze und Unbegrenztem als Grundkategorien des Seienden
vgl. Phlb. 23b–27c.
44 Zeller (1839), 253.
45 Zeller (1839), 257 erklärt dazu: „es lässt sich nicht annehmen, dass sie Platon
dort vorgetragen haben würde, wenn er nicht überzeugt war, dass seine Lehre
von den Ideen dadurch nicht betroffen war“.
46 Zeller (1839), 258.
47 Zeller (1839), 259.
48 Zeller (1839), 291.
49 Zeller (1839), 296 – 7.
82 Dorothea Frede

Begriffe wie des Selbigen und Verschiedenen oder von Grenze und
Unbegrenztheit bedienen. Eben deshalb hat Platon, wo es um eine
solche Vermittlung ging, gern auf die Mathematik zurückgegriffen:
Die mathematischen Gesetze, als die Logik des Raums und der Zeit, sind
zugleich die ewigen Formen der sinnlichen Erscheinung, und die Begriffe
oder Ideen in ihrer Beziehung auf die Erscheinungswelt; durch sie ließen
sich daher die zwei Extreme des Idealen und Sinnlichen einander näher
bringen, und eine solche Annäherung musste minder gewaltsam erschei-
nen, als die unmittelbare Beziehung des empirischen Stoffes auf die Ideen.50
Dass Platon in seiner Erklärung der Erscheinungswelt beim „bloß
Symbolischen“ stehen blieb, sieht Zeller freilich als entscheidenden
Mangel seiner Philosophie an. Dies schlägt sich auch in seiner Erklärung
der Bezugnahme auf Mathematisches nieder.
(2) Die Mathematisierung der Ideenlehre stellt für Zeller daher
keinen weiteren Schritt in der Entwicklung der Ideenlehre dar, sondern
ist die Konsequenz daraus, dass die Ideen als die einheitstiftenden
Formen der Vielheiten fungieren.51 Was nun Platons Umgang mit den
Zahlen im Allgemeinen angeht, so besteht Zeller auf der Beachtung von
Platons Unterscheidung zwischen der empirischen, mathematischen
und dialektischen Behandlung der Zahlen. Eben diesen Unterschied
habe Aristoteles in seiner Kritik nicht immer hinreichend berücksich-
tigt.52 Denn Zeller macht plausibel, dass Platon sehr wohl zwischen der
Einheit und Vielheit von sinnlichen Dingen, von mathematischen
Zahlen und von Ideen unterschieden hat. Zu der fraglichen Verwirrung
hat Platon in Zellers Augen freilich durch die Verwendung der gleichen
Bezeichnungen für die Verhältnisse auf den unterschiedlichen Ebenen
beigetragen. So spricht er vom Einen und der Zweiheit als dem Prinzip
der Vielheit sowohl im Zusammenhang mit den Sinnendingen wie auch
mit den Zahlen und mit den Ideen, freilich in einem ganz anderen Sinn.
(a) Bei den Sinnendingen verweist die unbestimmte Zweiheit – alias
„das Große und Kleine“ – auf die Möglichkeit des Mehr oder Weniger,
von der Platon auch in seiner Unterscheidung von Grenze und Un-

50 Zeller (1839), 297.


51 Zeller (1839), 234 – 248.
52 Quellen der Aristoteles-Kritik an Platons Ideen als Zahlen sind die auch heute
noch kontrovers diskutierten Kapitel 6 und 9 von Metaphysik A, vgl. Ross
(1924), Introduction II sowie die entsprechenden Kapitel von Metaphysik M
und N; zu letzteren vgl. Annas (1976).
Zellers Platon-Studien 83

begrenztem im Philebos ausgeht.53 (b) Bei den Zahlen betreffen Einheit


und Vielheit das Verhältnis der Zahlen untereinander. (c) Bei den Ideen
hingegen drückt Platon mit Einheit und unbestimmter Zweiheit die
durch Zahlen symbolisierten Strukturen der Ideen aus. Aus diesem
Grund ist aber zwischen den Zahlen der Mathematik und den Ideen-
Zahlen streng zu unterscheiden. Auf die Einzelheiten von Platons un-
terschiedlichem Umgang mit Zahlen ist hier nicht einzugehen; sie
würden eine Abhandlung für sich erfordern. Zeller nimmt sich dieses
Fragenkomplexes jedenfalls mit großer Akribie an. Er erläutert dazu
eingehend die relevanten Textstellen bei Aristoteles und den antiken
Kommentatoren, insbesondere den Metaphysikkommentar von Alex-
ander von Aphrodisias mit dessen Exzerpt aus der verlorenen Früh-
schrift des Aristoteles Peri Ideon. 54
Das Obskure an Platons Umgang mit Zahlen stellt Zeller übrigens
nicht in Abrede. Auch räumt er ein, dass Platon in seinen mündlichen
Vorträgen Zahlensymbole und mathematische Formeln häufiger ver-
wendet haben dürfte als in seinen Dialogen, in denen sich von dieser
Lehre kaum Spuren finden. Die grundsätzliche Schwierigkeit, Aristo-
teles’ Berichte über Platons Umgang mit Zahlen und ihrer Beziehung
zu den Ideen mit der Ideenlehre in Übereinstimmung zu bringen, führt
Zeller jedoch auf die unterschiedliche philosophische Einstellung der
beiden Philosophen zurück:
(Platon) sind die Ideen das Erste und die Zahlen das Abgeleitete; Aristo-
teles, nach seiner durchgängigen Richtung auf konkrete Bestimmtheit,
geht von den Zahlen als dem Bekannteren aus; dem Einen sind die Zahlen
depontenzirte Ideen, dem anderen die Ideen sublimierte Zahlen.55
Aus diesem Grund konnte, wie Zeller in seiner abschließenden Be-
trachtung von Aristoteles’ Behandlung der platonischen Philosophie
feststellt, Aristoteles Platons „Zahlenlehre“ nicht als das auffassen, was
sie sein wollte: eine symbolische Darstellung. Aristoteles hingegen un-
terlegt ihr einen dogmatischen Sinn und konnte daher keinen Sinn darin

53 Vgl. Phlb. 23b–27c. Zur Interpretation dieser ontologischen Einteilung vgl.


Frede (1997),184 – 211, sowie Appendix III: Peras, Apeiron und der „esoterische
Platon“.
54 Dieses Fragment steht vor allem seit Cherniss’ Aristoteles-Kritik (1944) in den
letzten Jahrzehnten immer wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit der Pla-
tonforschung. Vgl. dazu die umfassende Darstellung bei Fine (1993). In der
Bibliographie der an sich polyglotten Autorin taucht Zellers Name nicht auf.
55 Zeller (1839), 263.
84 Dorothea Frede

sehen, dass Zahlenverhältnisse als die Strukturen der wirklichen Dinge


gelten sollten. Eben dies diagnostiziert Zeller, wohl nicht zu Unrecht,
als den Schlüssel zu den Differenzen zwischen der platonischen Philo-
sophie der Dialoge und ihrer Rezeption bei Aristoteles. Dasselbe Un-
verständnis unterstellt Zeller auch den esoterischen Platonexegeten
seiner eigenen Zeit. Daher schließt er seine Darlegung mit dem Aus-
druck der Hoffnung ab: „[…] sollte sie dazu beigetragen haben, das
Gespenst eines esoterischen Platonismus verscheuchen’ so würde dies
ein nicht zu verachtender Gewinn seyn“.56

V. Ausblick auf Zeller1 und Zeller2

Auf das „Gespenst eines esoterischen Platon“ geht Zeller1 nur noch
insofern ein, als er zur Dialogform ausführt, sie sei die in Platons Augen
der Philosophie angemessene Kunstform (140 – 144).57 Zeller weist zwar
auf die „Esoterik“ hin, hält sie der Sache nach jedoch für abgetan, zumal
Aristoteles von einer Unterscheidung zwischen Exoterischem und
Esoterischem nichts gewusst hat.58 Zeller merkt dazu lediglich an, man
müsse sorgfältig zwischen der Möglichkeit von absichtlichem Ver-
schweigen und der Tatsache unterscheiden, dass Platon seine Meinung
„oft nur indirekt andeutet und mittelbar vorbereitet, statt sie geradehin
auszusprechen“ (325). Was die Interpretation von Platons Philosophie
angeht, so lassen sich zwar Unterschiede in der Ausführlichkeit der
Behandlung einzelner Fragestellungen wie auch in der Herangehens-
weise Zellers in den beiden Auflagen gegenüber den Studien feststellen,
von einer Neudeutung der Philosophie Platons kann jedoch keine Rede
sein. Wie in den Studien lässt Zeller1 sich von der Diagnose leiten, die
Eigenart der platonischen Philosophie bestehe darin, zunächst nach
sokratischer Manier epagogisch zu den Prinzipien (Ideen) hinzuführen,

56 Zeller (1839), 300.


57 Dazu nur die Bemerkung in Zeller1 (1846), 142: „(N)och unglaublicher aber ist
es, dass eine Kunstform, deren Entwicklung auch im Einzelnen mit der Me-
thode gleichen Schritt hält, mit dieser in keinem inhaltlichen Zusammenhang
stehen sollte.“ Statt mit der Esoterik setzt sich Zeller1 (1846) kritisch mit der
Auffassung auseinander, die Ideen seien Gedanken der menschlichen oder der
göttlichen Vernunft (197 – 199).
58 Vgl. Zeller2 (1858), 323 – 326. Er bemerkt dazu, Schleiermacher (1817), I, 1,
11 ff., Ritter (1837), Bd. 2, 178 ff und Socher (1820), 392 ff. hätten in dieser
Hinsicht das Nötige gesagt.
Zellers Platon-Studien 85

um dann wiederum von diesen ausgehend konstruktiv die Wirklichkeit


zu erklären; wie sich diese Prinzipien jeweils manifestieren erläutert er
der Einteilung der platonischen Philosophie in Dialektik, Physik und
Ethik folgend. Wie in den Studien so vertritt Zeller auch hier die
Auffassung, dass der „konstruktive Abstieg“ vom Allgemeinen zum
Besonderen Platon nicht wirklich geglückt sei, da er es nicht vermocht
habe, das Verhältnis des Sinnlichen zu den Ideen zu klären. So steht
Platon für Zeller zwischen Sokrates, dem er das epagogische Verfahren
zu allgemeinen Begriffen hin verdankt, und Aristoteles, dessen Philo-
sophie das Manko der platonischen insofern überwunden hat, als ihm
der „Rückweg“ vom Allgemeinen zum Besonderen gelungen ist.59 Aus
diesem Grund gibt Zeller zunächst eine „propädeutische Begründung“
des platonischen Systems, das im Wesentlichen die Wege zur Philoso-
phie hin charakterisiert, worunter er nicht allein die Einsicht in das
eigene Nichtwissen, sondern auch die verschiedenen „Aufwege“ aus
der Vielfalt des Sinnlichen zum wahren bzw. schönen Allgemeinen
versteht, sondern auch die methodischen Anleitungen durch Zusam-
menfassung und Aufteilung, auf der die echte Dialektik oder Ideenlehre
beruht.60
Die Natur der Ideen betreffend geht Zeller weiterhin davon aus,
dass Platon sie als unvergängliche, nicht den Sinnen, sondern nur dem
Denken zugängliche Wesenheiten der Dinge ansieht, als „das Beharr-
liche im Wechsel der Erscheinung, das Eine und sich selbst gleiche in
der Mannigfaltigkeit und den Gegensätzen des Daseins“61 (Zeller1 193).
Im Unterschied zu den Studien betont er hier jedoch die Trennung
zwischen Ideen und ihren sinnlichen Teilhabern, unter ausdrücklicher
Berufung auf Aristoteles. Die Kennzeichnung der Ideenlehre und des
platonischen ,Systems’ ist aber weiterhin von seiner Konzentration auf
die Behandlung der formalen und zahlen-symbolischen Bestimmungen

59 Vgl. dazu Zeller1 (1846), 134 – 151; Zeller2 (1858), 412 – 457.
60 Diese Darstellung ist sowohl in Zeller1 (1846), § 19 (Die propädeutische Be-
gründung des platonischen Systems, 152 – 185, § 20: Die Platonische Dialektik
oder Ideenlehre, 185 – 217) wie auch Zeller2 (1858), enthalten: 5. Die propä-
deutische Begründung der platonischen Lehre, 368 – 412; 6. Die Dialektik oder
Ideenlehre, 412 – 45. Der weit größere Umfang von Zeller2 beruht nicht allein
darauf, dass der Systematik eine eingehende Darstellung von Platons Leben,
Fragen der Entstehung, Echtheit und Reihenfolge seiner Schriften vorangestellt
ist, sondern dass auch die Erörterungen zu Platons Physik und Ethik sehr viel
weiter ausgreifen.
61 Zeller1 (1846), 193.
86 Dorothea Frede

der Ideen geprägt, die er in den Studien als den Kernpunkt des Parme-
nides ausgewiesen und auch als wesentlich für die Platon-Rezeption bei
Aristoteles ausgemacht hat. So bemängelt Zeller1 weiterhin die Tatsa-
che, dass Platon den Ideen keinen metaphysischen Inhalt zu geben
vermochte, sondern sich auf die erforderliche formale Begrifflichkeit zu
ihrer Bestimmung beschränkt hat (Sein, Einheit, Selbigkeit, Verschie-
denheit…), während sich von einer apriorischen Ableitung der Ideen
keine Spur findet. Für Zeller ist daher „die Reinheit der begrifflichen
Behandlung getrübt, der Gedanke mit der Vorstellung vermischt, und
dem Anschein, als ob die Ideen den sinnlichen Dingen ähnliche Sub-
stanzen seien, Vorschub getan“.62 Und um eben diesen Mangel auszu-
gleichen, so spekuliert Zeller hier, habe Platon die Zahlen zur symbo-
lischen Darstellung herangezogen, eine Darstellung, die sich allerdings
nicht in seinen Dialogen, sondern nur in verschiedenen Berichten bei
Aristoteles findet. Daher erklärt Zeller diese Lehre als eine späte Zutat,
und wiederholt sehr verkürzt die Erklärung aus den Studien, Platon habe
mit den Zahlen anstelle des rein begrifflichen einen symbolischen
Ausdruck gesetzt, um verständlich zu machen, inwiefern die Ideen als
„das Bestimmende der Körperwelt“ fungieren können. Dass er dies für
keine glückliche Lösung hält, bringt Zeller hier noch deutlicher als in
den Studien zum Ausdruck. Er sieht in der Veranschaulichung durch
Zahlen ein Symptom für Platons Einsicht in die Unmöglichkeit einer
„begrifflichen Construction der Ideenwelt“ und zugleich auch für
dessen abnehmende dialektische Kraft.63 Im Übrigen vertritt Zeller die
Auffassung, dass Aristoteles’ Berichte in Metaphysik M und N im We-
sentlichen den Mitgliedern der Akademie gelten und diskutiert diese
Lehre daher in dem der Älteren Akademie gewidmeten Kapitel.64
Die Behandlung der Ideenlehre in Zeller2 kann hier nur noch kurz
gestreift werden. In der Anlage wie auch in der Schwerpunktsetzung
folgt sie im Wesentlichen Zeller1 und damit auch den Studien. Daraus
erklärt sich, dass „der Zeller“ keine „genetische“ Erklärung der
Ideenlehre liefert, indem er ihre Entwicklung von den frühen Dialogen
an verfolgt, sondern sich im Wesentlichen auf die Eigenarten der Er-
örterungen dieser Lehre in den heute für später gehaltenen Dialogen
konzentriert. Die Dialektik betreffend unterscheidet Zeller hier die
dialektische Methode, insbesondere das dihäretische Verfahren, von der

62 Zeller1 (1846), 210.


63 Zeller (1846), 217.
64 Zeller (1846), 332 – 339.
Zellers Platon-Studien 87

Dialektik im eigentlichen Sinne, d. h. von der Ideenlehre. Zwar stellt er


den engen Zusammenhang zwischen beidem nicht in Abrede, da die
systematische Untersuchung von Begriffen die unerlässliche Vorbedin-
gung für das Erfassen des Wesens der Dinge ist, will jedoch zwischen
Methodik und Metaphysik wohl unterschieden wissen. Die Konzen-
tration auf die formalen Kriterien zur Bestimmung der Ideen im Sinne
von Einheit, Vielheit, Selbigkeit, Verschiedenheit usw. in Platons spä-
teren Werken erfährt in Zeller2 eine positivere Bewertung als in Zeller1,
da sie hier als die strukturellen Grundlagen der veränderlichen Welt
gedeutet werden und eben diese Deutung auch der Verknüpfung von
Ideen und Zahlen zugrunde gelegt wird.65 Die Ideen fasst Zeller zwar
weiterhin als „das Beharrliche im Wechsel der Erscheinungen, das eine
und sich selbst Gleiche in der Mannigfaltigkeit und den Gegensätzen des
Daseins“, betont jedoch, dass Platon sie für „das Allgemeine oder die
Gattung“ hält.66 Auch vertritt Zeller mit noch mehr Nachdruck das
„Fürsichsein“ der Ideen, mit Verweis auf den überweltlichen Ort,67
lehnt jedoch die Annahme einer Zweiweltenlehre weiterhin mit
Nachdruck ab und erklärt diese für eine Verkennung von Platons
metaphorischer Redeweise von „Urbildern“ und „Abbildern“:
(I)n Wahrheit will er damit doch nur die qualitative Verschiedenheit des
substanziellen Seins von dem der Erscheinung, den metaphysischen Un-
terschied der Ideen- und der Erscheinungswelt, nicht aber ein reales
Auseinander beider ausdrücken […], es ist Ein und dasselbe Sein, welches
rein und ganz in der Idee, unvollständig und getrübt in der sinnlichen
Erscheinung angeschaut wird […].68
Daher verortet Zeller auch hier eine entscheidende Schwäche der
Philosophie Platons in der fehlenden Ableitung des Sinnlichen vom
Ideellen, für die auch die Analogie der Strukturen von Grenze und
Unbegrenztem auf beiden Seiten, von der im Philebos (16c–18c;
23b–27c) die Rede ist, keine echte Lösung bietet.69 Auch entsprechende
Deutungsversuche der Ideenlehre bei Aristoteles hält er daher für eine
Missdeutung auf dessen Seite.70 Die Mathematisierung der Ideenlehre
erklärt Zeller schließlich zu einer in der Akademie beliebten Lehrform:

65 Zeller (1858), 427 – 436.


66 Zeller (1858), 420 – 421.
67 Zeller (1858), 423 – 426.
68 Zeller (1858), 473.
69 Zeller (1858), 474 – 490.
70 Zeller (1858), 483.
88 Dorothea Frede

Für Platons ursprüngliches System kann sie keine oder doch nur eine ganz
untergeordnete Bedeutung gehabt haben […] Das Wesentliche war für ihn
nur der Gedanke, welche jener Zahlenlehre zu Grunde liegt, dass in dem
Wirklichen Einheit und Vielheit verknüpft sein müssen.71
Wem diese knappe Deutung von Platons Zahlenlehre angesichts der
Materialfülle im „Zeller“ entgangen ist, wie auch mir selbst beim frü-
heren Studium dieses Werkes, der muss sich nicht wundern. Dieser
Aspekt stellt hier nicht etwa die Spitze eines Eisbergs dar, sondern ist nur
noch ein kleiner Überrest des früheren Eisberges aus den Studien. Zwar
hat sich Zellers Deutung dieser Lehre als solche nicht geändert, er
verfeinert sie eher noch. Jedoch billigt er der Beziehung zwischen Ideen
und Zahlen nur noch eine untergeordnete Rolle zu. Seine spätere
Zurückhaltung in diesem Punkt beruht also nicht allein auf dem Um-
fang der für die Behandlung dieser Problematik eigentlich erforderli-
chen Diskussion, sondern auf seiner veränderten Einschätzung ihres
Stellenwertes für das Verständnis Platons.
Die Platonische Studien nehmen also wesentliche Elemente von
Zellers späterer Platondeutung vorweg, gehen mit der Konzentration
auf den Parmenides und der Behandlung der platonischen Philosophie
bei Aristoteles sogar darüber hinaus. Auf eine kritische Würdigung der
einzelnen Punkte aus heutiger Sicht ist hier zu verzichten. Eines ist
jedoch hervorzuheben: Diese frühe Arbeit zeugt von gründlichen
Kenntnissen aller relevanten Texte, einer bewundernswert klaren und
scharfen Urteilkraft und von ungeheurer Belesenheit. Zeller ist nicht
nur für seine jungen Jahre sehr selbstgewiss, sondern er hat alles gelesen,
alles bedacht und sich ein eigenes Urteil über alles gebildet, was mit den
angesprochenen Fragestellungen zusammenhängt. Damit erklärt sich
auch, wieso Zeller sich schon mit dreißig Jahren an das große Unter-
fangen einer umfassenden Darstellung der Philosophie der Griechen wagen
konnte – an ein Unterfangen, aus dem schließlich das Jahrhundertwerk
„des Zeller“ hervorging.

VI. Epilog

Nun noch ein Nachwort zu Hegel: Ihm dürfte sich Zellers Gewohnheit
verdanken, ,to hen’ statt mit „das Eine“ mit „das Eins“ wiederzugeben.
Bei Hegel ist diese Ausdrucksweise allerdings dort gerechtfertigt, wo er

71 Zeller (1858), 430 – 436.


Zellers Platon-Studien 89

„das Eins“ als Gegenbegriff zu „das Nichts“ verwendet und daher ge-
wissermaßen mit Gänsefüßchen versieht.72 Dass Zeller mit Schleier-
macher diese Redeweise nie aufgegeben hat, erklärt wohl, wieso sie sich
bis heute in der Platonliteratur erhalten hat. Es sollte aber auf der Hand
liegen, dass dieser Ausdruck nicht nur dem Deutschen Gewalt antut,
sondern darüber hinaus eine philosophische Unsitte darstellt, da so der
Unterschied zwischen der Eins, dem Einen und der Einheit verwischt
wird. Dass sich Zeller daran nicht gestoßen hat, ist um so verwunder-
licher, als er selbst wiederholt die Vermischung der Eins als der ma-
thematischen Zahl, mit deren idealem Prinzip, dem Einen, und mit der
Einheit eines jeden Dinges als Quelle von Fehlinterpretationen an-
prangert.73 Es ist um so bemerkenswerter, dass Zeller sich diese
Sprechweise nie abgewöhnt hat, als Hegel selbst in der Diskussion des
platonischen Parmenides in seinen Vorlesungen zur Philosophiege-
schichte to hen mit „das Eine“ wiedergibt.74 Zeller zitiert diese Stelle
zustimmend,75 obwohl er Hegels Schlussfolgerung nicht teilt, dass die
Ideen die Einheit der entgegengesetzten Bestimmungen sind, sondern
meint, dass es Platon gerade auf die Widersprüche ankomme (166).76
Hegels Übersetzung hätte ihn jedoch auf das Unpassende des Ausdruck
„das Eins“ im Zusammenhang mit Platons Philosophie aufmerksam
machen können.

72 Hegel (1807) II: Die Wahrnehmung; oder das Ding, und die Täuschung: „Das
Eins ist das Moment der Negation, wie es selbst auf eine einfache Weise sich auf
sich bezieht, und Anderes ausschließt; und wodurch die Dingheit als Ding be-
stimmt ist. An der Eigenschaft ist die Negation als Bestimmtheit, die unmittelbar
eins ist mit der Unmittelbarkeit des Seins, welche durch diese Einheit mit der
Negation, Allgemeinheit ist; als ,Eins‘ aber ist sie, wie sie von dieser Einheit mit
dem Gegenteil befreit, und an und für sich selbst ist.“
73 Zeller (1839), 222 – 223.
74 Hegel (1837): „Dass das Eine, es sey oder es sey nicht, es selbst sowohl als die
anderen Ideen (Seyn, Erscheinen, Werden, Ruhe, Bewegung, Entstehen,
Vergehen u.s.f.) sowohl für sich selbst als in Beziehung auf einander, – Alles
durchaus sowohl ist als nicht ist, erscheint und nicht erscheint.“
75 Zeller (1839), 165.
76 Zeller (1839), 166.
90 Dorothea Frede

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Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics
Stephen Menn

Zeller was not a great scholar of the Metaphysics in the mold of Brandis
or Bonitz. He did not edit or write a commentary on the text; he never
tried to think his way through all its details in sequence, and he did not
grapple deeply with the problem of its overall unity; it is understandable
that Jaeger in his Studien zur Entstehungsgeschichte der aristotelischen Meta-
physik of 1912 decided to pick up the investigation where Bonitz had
left it in 1849. But Zeller thought hard, if not exactly about the Meta-
physics as a text, at any rate about Aristotle’s metaphysics, about the con-
ceptual problems that Aristotle was dealing with in the Metaphysics, and
in particular about the problems that, as Zeller thought, Aristotle had
not adequately solved and none of his interpreters had solved for
him; it is to Zeller’s credit to have rejected too-easy solutions, and
some of the problems that troubled Zeller continue to trouble interpret-
ers now. But the context in which these issues arose for Zeller was very
different from the context in which they have arisen for scholars of the
twentieth and twenty-first centuries, and understanding Zeller on the
Metaphysics requires reconstructing his scholarly and philosophical con-
text, to see what people in the nineteenth century thought was contro-
versial about the Metaphysics, and why they thought it was important.
In the immediate controversial context of his time, Zeller’s main
personal contribution on the Metaphysics was his long controversy
with Brentano, fought largely in the footnotes to the third edition of
Die Philosophie der Griechen and in sundry supplemental publications.
Brentano wanted to defend a modernized Catholic reading of Aristotle
against what he saw as excesses of Protestant critique – that is, as exces-
sive attempts to separate the historical Aristotle from the interpretive tra-
dition. So Brentano maintained that Aristotle’s God is in some way a
creator – where the issue reduces to Brentano’s claim that God is a
cause of being to the other movers of the heavenly spheres, and to
the spheres themselves, since everyone agrees that God is (at least indi-
rectly) a cause of being to sublunar things. Brentano also maintained that
the agent intellect is part of the individual human soul, so that at least
part of the human soul is individually immortal. Zeller argued that
94 Stephen Menn

these theses are incompatible with Aristotle’s principles, and that if Ar-
istotle did say something like this, either he was speaking loosely; or he
said it only in youthful or popularizing exoteric works; or he was caught
in a contradiction and had no consistent doctrine. This dispute is now
rather lacking in excitement, mainly because Zeller was almost always
right and argued his case well; the dispute has also been well studied
in an article by Enrico Berti.1 So I will for the most part leave the Bren-
tano controversy aside, and will try to paint a broader picture of the dis-
putes about the Metaphysics, and to locate Zeller within them.
Zeller thought that the Metaphysics was crucially important in under-
standing Aristotle’s philosophy overall, but this can’t be taken for grant-
ed. If you look at the history of scholarship from the beginning, from
the Renaissance and the invention of printing down to about 1820,
you discover that most writers on the history of Greek philosophy (in-
cluding the most important pre-Kantian historian, Brucker) have a low
opinion of the Metaphysics and don’t give it a prominent place in their
treatments of Aristotle. We can distinguish two phases, from the begin-
ning to about 1780 and from about 1780 to 1820. Down to about 1780
writers are mainly concerned to assess various Renaissance criticisms of
Aristotle, focussed on the Metaphysics and to a lesser extent the Physics.
There are a number of such criticisms. Humanist writers such as Peter
Ramus in his Scholae Metaphysicae say that Aristotle is trying to construct
a substantive philosophy out of tautologies, by linguistic manipulations,
but that it remains empty: Ramus says the worst of it is that Aristotle
tries to construct a positive theology by this means, which winds up de-
priving God of most of his activity and all of his power; Ramus says that
if you want to learn about God, don’t read Aristotle, read the Bible. So
there are both logical-epistemological and religious criticisms of the
Metaphysics, both of which are taken up by the mechanical philosophers
of the seventeenth century like Descartes and Gassendi; and they build
on the logical-epistemological criticism by saying that Aristotle explains
through substantial forms, that is, by hypostatized abstractions, that is, by
these tautologies, what should be explained by the size, shape and mo-
tion of the parts of bodies. Writers on the Metaphysics down to the end
of the eighteenth century keep busy evaluating these accusations, agree-
ing with them or saying that they’re right only up to a point, or that

1 Berti (2001). I agree with Berti that Zeller went too far in denying that Aris-
totle’s god can be an efficient cause. Berti p.136, with the accompanying
notes, lists the writings on both sides of the Zeller-Brentano controversy.
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 95

they are fair only against scholastic Aristotelianism and not against the
real Aristotle, but they do not seem to have thought that the issues,
or the Metaphysics itself, were very interesting, in comparison with
other works of Aristotle.2 Interest in the Metaphysics increases with writ-
ers of the 1780’s and 90’s, influenced by Kant, in particular Buhle (the
editor of the Bipontine Greek-Latin edition of Aristotle, 1791 – 1800),
Tennemann, Tiedemann, and Fülleborn. But these writers too can be
astonishingly rude about the Metaphysics, mixing summaries with dismis-
sive criticism. They take the Metaphysics as a proto-version of the Wolf-
fian metaphysics that Kant criticized in the first Critique. Typically,
Buhle translates t¹ em in Aristotle as “das Ding” and t¹ cm Ø em as
“das Ding an sich”, and so he takes the beginning of C as announcing
a program for a science of things in themselves, precisely what Kant
is supposed to have shown is impossible.3 Connected with this, they
also take up Kant’s critique of Aristotle on the categories, which I
will say a bit more about below, and they make the justification of
the list of ten categories a central issue of Aristotelian metaphysics.
The first modern writer I know to treat the Metaphysics with proper
respect, and to make it the key to understanding Aristotle’s philosophy,
was Hegel in his Lectures on the History of Philosophy. Beginning in the

2 On Renaissance criticisms of Aristotle and their relation to the mechanical phi-


losophy, see Menn (1997) and references therein. The Ramus text is Ramus
(1583). Brucker’s treatment of Aristotle is in Brucker (1742), 776 – 839 (the
treatment of Aristotle’s philosophy, rather than his life etc., begins only on
p.800). Brucker has a low opinion of Aristotle in general (although “we should
not deny all value to Aristotle’s philosophy”, Brucker (1742), 805), but his met-
aphysics is especially obscure, not just in terminology, but because of the under-
lying lack of “clear and distinct ideas” (p.827). Brucker objects above all to Ar-
istotle’s theology, which deprives God of all real freedom and power and makes
matter and motion coeternal and co-necessary with him; Aristotle’s description
of how God moves the heavens, based on taking our obscure notion of how the
human mind moves the body and transferring it to God, is a cover for ignorance
(although an ignorance we all share); Brucker warns against attempts to “save”
Aristotle for doctrines of creation or providence by syncretizing him with Pla-
tonism (as Simplicius did) or with Christianity (all pp. 829 – 835).
3 So Buhle (1800), 263 and 334 – 336; likewise Fülleborn (1795), 209 – 210; and
Tiedemann (1791), 226 – 228. Rather similarly Tennemann (1801), 220, “das
Ding als Ding,” or considered only as an object, that is, as something intelligi-
ble, abstracted from all accidental and changeable attributes (cp. p. 222, and p.
231, where Aristotle, unlike Plato – and Kant – thinks that the knowable sub-
stances are Dinge an sich and not mere appearances). I have not seen Fülleborn
be rude to Aristotle in the way that the others are.
96 Stephen Menn

1820’s and especially in the 30’s and 40’s there is an explosion of edi-
tions, commentaries, and monographs on the Metaphysics, as well as de-
tailed and sympathetic accounts in larger histories of (ancient, or all) phi-
losophy: much of this was clearly influenced by Hegel, and even what
was not was influenced by other strands of post-Kantian idealism, which
win a more sympathetic reading for systematic anti-empiricist philoso-
phies (and encourage a more positive and systematic reading of Plato,
and a more anti-empiricist and Platonist reading of Aristotle). C. A.
Brandis produced the first critical text of the Metaphysics in 1823 (a fore-
runner of Bekker’s complete Aristotle of 1831, to which Brandis con-
tributed the scholia-volume in 1836), and then a series of important
monographs, above all the article “Über die Aristotelische Metaphysik”
in the proceedings of the Berlin Academy for 1834, which has contin-
ued to be fundamental; he also later writes a Handbuch der Geschichte der
griechisch-rçmischen Philosophie with an exemplary treatment of the Meta-
physics. 4 In the mid-1830’s Victor Cousin in Paris announces a prize-
essay competition on the Metaphysics, and the prize is split between
the monographs of Ravaisson and Michelet, published along with
Cousin’s official report.5 At the end of the 1840’s there are the editions
and commentaries on the Metaphysics by Schwegler and Bonitz, which
come out almost simultaneously; and, shortly before, again almost si-
multaneously, Schwegler’s Geschichte der Philosophie im Umriß and the
first edition of Zeller’s Philosophie der Griechen (Schwegler and Zeller
were friends and collaborators).6 Michelet was Hegel’s student and the
editor of his Lectures on the History of Philosophy, and Schwegler and Zel-
ler also started as Hegelians, students of the radical Hegelian New Testa-
ment theologian F. C. Baur (whose daughter Zeller married), although
Zeller moves away from Hegel, and covers up his dependence on Hegel
in later editions of the Philosophie der Griechen. (Ravaisson and Brandis

4 Brandis (1853); the Metaphysics is discussed pp. 435 – 589.


5 Michelet (1836); Ravaisson (1837 – 1846), newly edited as Ravaisson (2007);
Cousin (1838).
6 Schwegler (1847 – 1848); Bonitz (1848 – 1849). Zeller (1846); Schwegler
(1863), apparently first published in 1847 in an Encyclopdie der Wissenschaften
und Kðnste which I have been unable to find. Let me here note, simply because
it is otherwise in danger of being entirely forgotten, one Anglophone contribu-
tion, M’Mahon (1857). M’Mahon seems to read Aristotle largely through Sir
William Hamilton, but is quite aware of German scholarship; for M’Mahon
as for Cousin, Aristotle is an alternative to empiricist-associationist epistemolo-
gy.
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 97

are influenced by Schelling, Brandis and the historian of philosophy


Heinrich Ritter also by Schleiermacher, rather than by Hegel; but
Schelling apparently never wrote about the Metaphysics in particular,
and Schleiermacher is hostile to it, as to Aristotle in general.) 7 The dif-

7 There is useful discussion of Ravaisson, and of much else about the nineteenth-
century reception of the Metaphysics (as well as of other treatises) in Thouard
(2004); on Ravaisson see especially Aubenque (2004) in that collection. Brandis
dedicated the Aristotle volume of his Handbuch to Schelling, and not long after
he wrote the obituary notice on Schelling for the Abhandlungen of the Berlin
Academy for 1855; he ends Brandis (1823b) (now reedited with an often
badly inaccurate English translation, Brandis 2005) with flattery of Schleier-
macher, although mainly on Plato (Schleiermacher hated Aristotle, while Bran-
dis professed his equal love for Plato and Aristotle, see below). Ritter edited
Schleiermacher’s posthumous Geschichte der Philosophie (Schleiermacher 1834),
which has an extremely hostile discussion of Aristotle, pp. 113 – 121, including
a paragraph on the Metaphysics pp. 116 – 117; Ritter himself wrote a twelve-
volume Geschichte der Philosophie starting in 1829, of which Ritter (1837) covers
Aristotle and Hellenistic philosophy. Ritter has much in common with our
other historians, but is responding largely to Schleiermacher, and so is much
more concerned than the others with accusations that Aristotle is unfair to
his predecessors and especially to Plato, that he unfairly selects individual asser-
tions for criticism without regard to their literary form or systematic connec-
tion, and indeed that he himself is hopelessly incompetent in both expression
and systematicity: Ritter partly defends Aristotle, but clearly has some sympathy
with Schleiermacher’s criticisms. Brandis in the preface to his edition of Aris-
totle’s and Theophrastus’ Metaphysics (Brandis 1823a – now quite rare, so I
will describe it in detail) speaks in strikingly personal terms of his equal love
for Plato and Aristotle, warning against what he sees as a recent enthusiasm
for Plato and disdain for Aristotle: he wants to show why a better knowledge
of Aristotle should encourage, rather than detract from, a love of Plato. He
maintains that Aristotle, like Plato, is anti-empiricist in epistemology, but
gives a more careful examination of particular concepts than Plato, proceeding
by a threefold “critical” method, examining the terminology and distinguishing
its different senses, examining the opinions of previous philosophers (thus
“tracking the footprints of the truth both in language and in history”), and rais-
ing aporiai and arguing on both sides. There are two methods in philosophy,
one proceeding from a first principle and trying to derive other things, the
other starting from the particular concepts and seeing what they entail: both
are legitimate, the former best learned from Plato and the latter from Aristotle,
but in our time the second is neglected in favor of the first, “indeque (est) ortus
ille in systemata irruendi fervor”. So the study of Aristotelian “critique” is an
antidote, and a good preparation for the study of modern philosophy, to be re-
commended especially to the young; which is why Brandis, since getting the
chair at Bonn, has been lecturing on Aristotle, and has found the Metaphysics,
which deals with concepts fundamental to all of philosophy, especially useful
98 Stephen Menn

ference between post-Hegel and pre-Hegel scholarship also shows up in


the orders in which different scholars treat Aristotle’s works: while earlier
writers generally treat the Metaphysics at the end of the physical works, as
almost an appendix, Hegel takes the Metaphysics as containing the “idea”
of Aristotle’s philosophy (“the Aristotelian idea”8), i. e., roughly, his
ideal of knowledge, or his determination of what a completely know-
able thing must be; and so Hegel begins with the Metaphysics, as giving
us the conceptual orientation needed to understand Aristotle’s other
works. And this approach is broadly shared by Brandis, Ritter, Schwe-
gler, and Zeller, in their histories of Greek philosophy: they all begin
with Aristotle’s logic, then turn to metaphysics as making the transition
from the account of concepts to the account of reality, generally taking
the doctrine of categories as “the real connecting link between the logic
and the metaphysics”9 and using the logic and metaphysics as the key to
understanding physics and the other Aristotelian sciences.10

at sharpening the intellect. Since his students couldn’t buy copies, he has set
about editing it, and tried to correct the recent editions out of the manuscripts
and the Greek commentators; but he has wound up admitting no readings that
could not be found in the manuscripts or the scholia or commentators. (Bran-
dis’ apparatus, unlike Bekker’s eight years later, merely notes when there is a
variant reading, not saying where it is found, but it is clear from his description
of the scholia that he draws especially on the Parisinus, E, and the Laurentianus,
Ab. Volume 2 attaches copious selections from what Brandis calls the “scholia”,
although many of these are his own extracts from the Greek commentators
rather than marginal notes from the manuscripts.) Note that although Brandis’
preface to Brandis and Hengstenberg (1824) promises a second volume which is
to contain Brandis’ Anmerkungen and Abhandlungen on the Metaphysics (and a
translation of Theophrastus’ Metaphysics), this never appeared; all we have is
Hengstenberg’s translation. (Hengstenberg later became notorious as a reaction-
ary opponent of biblical criticism.)
8 Hegel (1833 – 6), 315; cp. Hegel (1996), 66; on the Metaphysics, cp. Hegel
(1833 – 6), 318. I cite both Hegel (1833 – 6), Michelet’s first edition of Hegel’s
Lectures on the History of Philosophy, and Hegel (1996), the modern edition by
Pierre Garniron and Walter Jaeschke, which includes less material. Michelet’s
methods are questionable, but he had sources now lost, and he certainly does
not interfere with the text to the extent that he does in his second edition (Ber-
lin, 1840 – 44), which he updated notably with references to his own Examen
critique de l’ouvrage d’Aristote intitul¤ M¤taphysique (Michelet 1836), written
after Hegel’s death. This second edition is the basis for the English translation,
Hegel (1892 – 6), which should be used with caution.
9 Zeller (1879), 258. I will generally cite Zeller’s third edition, Zeller (1879), ex-
cept when I am specifically contrasting earlier with later editions. But note that
Tiedemann (1791), before Hegel, had started from the Metaphysics (but had not
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 99

Anyone who wants to draw overall lessons from the Metaphysics


must confront the issue of the unity or non-unity of the Metaphysics,
and our authors are well aware of the issue. Here again the discussion
begins from two Renaissance attacks on the Metaphysics, which are rou-
tinely cited as current literature until past 1800. Francesco Patrizi in his
Discussiones Peripateticae of 1581 argues that the Metaphysics is not one
treatise but two Aristotelian treatises intermixed, ABKKMN on “wis-
dom” or “first philosophy” or “theology” and CDEZHHI on the univer-
sal science of being, what later writers will call ontology (plus a, which
Patrizi says belongs to physics and may not be by Aristotle anyway).
Drawing on the stories in Plutarch and Strabo, Patrizi says that Aristotle

had much more respect for it than Buhle or Tennemann, or Brucker before
them). Zeller in his first edition starts with a chapter “the formal presupposi-
tions of the Aristotelian system”, which after introductory sections on the “A-
ristotle and his relation to the Platonic philosophy” and “Aristotle on the con-
cept of philosophy” means logic, and then (after a transitional section on the
division of Aristotle’s system), turns to a chapter on metaphysics. (From the sec-
ond edition, Zeller (1862), this has been replaced by long scholarly chapters on
Aristotle’s life and on his writings, then a chapter on “Standpoint, method, and
parts of the Aristotelian philosophy” which roughly corresponds to these intro-
ductory and transitional sections of the first edition, then a full chapter on logic
and two on metaphysics.) Ritter begins with logic and metaphysics because he
thinks that for Aristotle first philosophy is first in the order of teaching and dif-
fers only in name from what Plato calls dialectic (Ritter (1837), 64 – 65 – its ob-
ject is the universal, the unhypothetical, the immaterial, the divine, the good);
he claims that first philosophy is identical with what Aristotle calls “logic”, and
that what Aristotle calls “dialectic” and “analytics” are more introductory dis-
ciplines (for all this see pp. 60 – 70). (Ritter (1837), p. 66 takes Metaphysics Z4
1029b13, “let us say some things about (the essence) kocij_r”, as implying
that logic deals with essences: there is a controversy about how far the “logical”
discussion is supposed to extend, but perhaps Ritter takes it to be all of Z.)
10 The relations between Zeller and Schwegler are not entirely clear: their treat-
ments of Aristotle have much in common. The first edition of this part of Zel-
ler was 1846, the first edition of Schwegler apparently in 1847, but Zeller’s ex-
pansions in later editions may be responding to Schwegler (who he does some-
times cite), or they may simply come out of the same Tübinger Hegelian back-
ground, including shared conversations. Schwegler and Zeller had known each
other since 1837, and either could have influenced the other, although Zeller
was older (Zeller born 1814, Schwegler 1819), and had already taken doctorates
in theology and philosophy and had a position preaching in the chapel of the
Tübinger Stift when Schwegler was a student there. Schwegler and Zeller
were cofounders of the Jahrbðcher der Gegenwart. Zeller wrote an (anonymous)
memoir of Schwegler (who died at age 37), prefaced to the posthumous third
volume of Schwegler’s Rçmische Geschichte (Schwegler, 1872).
100 Stephen Menn

did not finish revising these treatises for publication; Theophrastus was
supposed to publish them but didn’t, and so they wound up in Neleus’
cellar, and when Apellicon finally published them he published them
jumbled together. When E1 1026a29 – 32 says that first philosophy
also treats being qu’ being, Patrizi says this makes no sense unless we
say, with Plato but against Aristotle, that only divine immaterial things
are truly beings; and he concludes that this sentence must have been
added “by Apellicon or Tyrannion or the booksellers” to justify pub-
lishing the two treatises as one.11 The second challenge comes from Sa-
muel Petit in his Miscellanea of 1630. Petit isn’t worried about the on-
tology-and-theology problem: his problem is that the Metaphysics isn’t
listed in Diogenes Laertius’ catalogue of Aristotle’s works. (It is in the
parallel catalogue in the Anonymus Menagii – twice and with the
wrong number of books – but that was brought to light only some de-
cades later.) So Petit tries to find titles in Diogenes Laertius that might
be identified with single books or short book-sequences in the Metaphy-
sics, which Apellicon might have combined: most influentially, he iden-
tified the De Philosophia with KMN, or rather MNK (since M seems to
refer ahead, rather than back, to K, and since Cicero cites something
from De Philosophia Book III which at least vaguely resembles K). Sur-
prisingly, Petit has no objection in principle to combining these treatises
into one: he thinks there is a single correct order of all of Aristotle’s
metaphysical books, drawing no distinction between order of composi-
tion and logical or intended order. He just thinks Apellicon got the
order wrong, and he tries to reconstruct a different order from backward
and forward references, winding up (by very dubious methods) with
DIaCABEZHHMNKK.12 Building on Petit, Buhle in 1788 makes a

11 So Patrizi (1581), volume 1, 104 – 108 (and compare pp. 34 – 37 for the Neleus
story; p. 106 says that a belongs to physics, p. 23 that it probably isn’t by Aris-
totle). The discussion of E1 1026a29 – 32 is on p. 106. On pp. 107 – 108 it turns
out that even CDEZHHI are not entirely about the science of being, but contain
a number of interspersed chapters on logic (including about half of Z): so there
are three different sciences represented in the Metaphysics.
12 Petit (1630), Liber IV, pp.34 – 52. Guillaume DuVal in his complete edition of
Aristotle, DuVal (1619) (which Petit discusses, although without naming the
editor) had reordered the books AaBCDEFGHILMJK ; DuVal makes clear in
his introductory note to MNKK that he has no manuscript support and is put-
ting the books in the order he finds most reasonable. Although Bonitz in his
introduction to Bonitz (1848 – 9) cites various library catalogues as describing
manuscripts Ab, Bb, Eb and S (which Bonitz had not himself seen) as containing
the last four books in the order MNKK, in fact, as Pantelis Golitsis has con-
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 101

sceptical attack on the authenticity of the Metaphysics, admitting that A-


ristotle wrote a treatise on first philosophy but denying its identity with
the text we have: he gives short and amazingly highhanded discussions
of each book, arguing that AaBDJK, though perhaps by Aristotle, are
not intended as parts of the treatise on first philosophy, which begins
with the announcement of a “science of being qu’ being” in CE.13
All of our authors try to reply in one way or another to Petit and
Buhle. Surprisingly, they are almost completely untroubled by Patrizi’s
problem about ontology and theology, which becomes a major concern
again with Natorp in 1888,14 and has dominated scholarship on the Met-
aphysics ever since. Buhle and Fülleborn and Tennemann and Tiede-
mann assimilate Aristotle to Wolff, for whom ontology and natural the-
ology (and rational psychology and general cosmology) are parts of
metaphysics, and they assume that Aristotle too means that theology is
a part of metaphysics, rather than that it is metaphysics; and since they
take the 1pist¶lg toO emtor Ø em to be the science of the “Ding an
sich”, they can take metaphysics to be universal without being disturbed
if Aristotle says that it is about eternal things separate from matter (since

firmed at the Aristoteles-Archiv in Berlin, these manuscripts have these books


in the usual order KKMN. The explanation is that the catalogues were noting a
deviation from DuVal’s order, which they take as the norm (I have found no
editions, except reprints of DuVal, between DuVal 1619 and Brandis 1823a
– Buhle’s allegedly complete Aristotle, Buhle 1791 – 1800, never reached the
Metaphysics): in saying that the last four books are in the order MNKK, they
mean that they are in what we would call the order KKMN – like, in fact,
all the other manuscripts. Bonitz does not realize that the catalogues are taking
DuVal’s order as their norm, and assumes that they are supporting DuVal’s order,
which in fact has no manuscript support whatever. On the ancient catalogues of
Aristotle’s works, see Moraux (1951); and, for texts of the extant Greek cata-
logues, Düring (1957) and, for text and translation of the catalogue of Ptolemy
al-Gharîb, Hein (1985), 414 – 439. For what is known about the editorial activ-
ity of Apellicon and (the nowadays more often cited) Andronicus, see the right-
ly sceptical treatment of Barnes (1997).
13 Buhle (1788). Buhle tries to split the difference on Iota, p. 38: some of it is gen-
uine, but some of it, like all of K and A (compare pp. 26 – 30) consists of post-
Aristotelian extracts from or explications of other texts of Aristotle. Fülleborn,
defends the sequence of the books of the Metaphysics (with some qualifications,
and leaving out a) against Buhle, making cheerful use of the Kantian table of
categories to explain the sequence of books which treat substance with respect
to its quantity (H), its quality (H), its relation (Iota), and its modality (KK),
Fülleborn (1795), 214 – 215.
14 Natorp (1888).
102 Stephen Menn

things-in-themselves won’t be subject to the conditions of time and


space), or if he says that it is about the first causes (since the thing-in-
itself is the first cause of appearances).15 As for whether we have one
or several treatises on metaphysics, Titze in 1826 gives an updated ver-
sion of a theme from Petit, identifying the De Philosophia not with
MNK but with AKK : this is more interesting than Petit’s view, because
for Titze the Metaphysics results not from later editors stringing together
Aristotle’s different publications on first philosophy, but from Aristotle
himself rewriting and expanding his early De Philosophia, replacing K
with BCE and adding ZHH and I and MN.16 Michelet, who sees his
main task as defending the unity and sequence of the transmitted Meta-
physics, manages to reconcile Petit and Titze on the De Philosophia: the
original De Philosophia was MNK, but then Aristotle decided that it was
important that his introduction to K should not give a history of and
aporiai against only Pythagorean and Platonic philosophy, but all earlier
philosophy, and so he replaced MN with AK, yielding a new De Philos-
ophia AKK. Michelet agrees with Petit that Aristotle originally wrote the
Metaphysics as a set of short treatises, and that it was these that were
known to Hellenistic editors and are reflected in Diogenes Laertius’ca-
talogue; but unlike Petit he thinks that it was Aristotle himself who as-
sembled them into a single Metaphysics, which remained unpublished as
such in Aristotle’s lifetime but reemerged whole from Neleus’ cellar.17

15 Tiedemann, however, says that Aristotle, in making his metaphysics not just
ontology (as it should have been according to Metaphysics C1) but also natural
theology, is misled by the ambiguity of the term “principle,” which covers
both principles of knowledge or demonstration, and principles or causes of
being, which would lead up to God (Tiedemann 1791, 220 – 21; some compa-
rable criticisms in Tennemann 1801, 70 – 71).
16 Titze (1826), 70 – 114 (the conclusion on the De Philosophia stated p.84). The
“adding”, like the replacement of K by BCE, is partly an expansion of an earlier
shorter text, expanding K1 – 5 into ZHH and A9 into MN; on Aristotle’s proc-
ess of revision and expansion, see pp.95 – 114. Buhle gives yet another variant
on the De Philosophia in Buhle 1804, which I have not yet seen; apparently for
Buhle the De Philosophia was the authentic core of the Metaphysics, a view still
maintained by Rose (1854).
17 Michelet (1836), 28 – 78, discusses the arguments about the De Philosophia, en-
dorsing Petit’s view that is (more or less) MNK. On pp. 227 – 241 he comes
back to reconstruct the stages of Aristotle’s revisions and expansions of the
Metaphysics, starting from its “first edition”, the De Philosophia = MNK ; the sec-
ond edition, still called De Philosophia, was AKK, with a as a preface to account
for the Anonymus Menagii’s four-book De Philosophia. Aristotle then produced
a third edition, incorporating a number of separate monobiblia and connecting
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 103

Petit’s and Buhle’s and Titze’s attempts to identify the De Philosophia


with part of the extant Metaphysics did not have much of a future: Bran-
dis had argued already in 1823, mainly on the basis of citations in
Alexander’s commentary on the Metaphysics, that the De Philosophia
(which he wrongly identified with the On the Good) was a distinct
lost work, and this was accepted by most subsequent scholars.18 But

them with new material, AaBCDEZHHIKK ; this is what Apellicon and then
Andronicus published as it emerged from Neleus’ cellar. Then, sometime be-
tween Alexander and Syrianus, someone added at the end MN, the discarded
books of the De Philosophia (Michelet recommends putting them between K
and K instead). Michelet argues, pp. 222 – 227, that before Apellicon only the
smaller treatises, later incorporated into the Metaphysics, were in general circu-
lation, and that this is the state of affairs reflected in the Hellenistic catalogues;
nonetheless, Aristotle himself assembled the Metaphysics (almost) as we now
have it, Theophrastus and Eudemus had copies, and so it was transmitted to
Apellicon and Andronicus. Let me here note something else about Michelet:
in his paraphrase of E1 1026a13 – 16 (“La physique traite de la substance maté-
rielle et sensible qui existe pour soi, mais qui est soumise au principe du mouve-
ment et du changement. Les mathématiques s’occupent à la vérité des êtres im-
muables, mais qui ne sont pas pour soi ni indépendants de la matière. La phi-
losophie première a pour objet les substances immuables et indépendantes”,
p. 162), he apparently accepts Schwegler’s famous emendation of !w¾qista
into wyqist² in 1026a14 (“qui existe pour soi” in the first sentence must trans-
late wyqist²), without even flagging the emendation as controversial, more than
ten years before Schwegler proposed this emendation. At the moment I have no idea
how to explain this. (Brandis (1823a) prints the transmitted text here, as given
his conservative principles he must.)
18 In Brandis (1823b). But note that many of Brandis’ arguments turn on his iden-
tification (supported by some ancient testimony, but almost certainly mistaken)
of the De Philosophia with the On the Good; Brandis also accepts the mistaken
Aldine emendation of Cicero De Natura Deorum I,xiii,33 which would have
Aristotle “not dissenting” rather than “dissenting” from Plato in the De Philos-
ophia; and so Brandis proposes that the De Philosophia/On the Good was simply a
report, without criticism, of Plato’s oral teaching, in which case it would cer-
tainly be quite different from anything in the Metaphysics. For other nineteenth-
century scholars, the crucial point is rather that the De Philosophia is an “exo-
teric” work, distinct from the extant “acroamatic” works at least by its fuller
style; for some (following Alexander), Aristotle’s exoteric works are elabora-
tions of others’ views rather than of Aristotle’s own commitments. (Schleier-
macher doubts the authenticity of the “Plato-like” exoteric works on the
ground that Aristotle’s sense of Greek style is too appalling for him to have
been capable of such a thing, Schleiermacher 1834, 121). The issue whether
Aristotle was, or remained, fully committed to what he said in exoteric
works will be important for the Zeller-Brentano controversy. For the different
views about the exoteric works see Zeller (1879), 114 – 126.
104 Stephen Menn

this still leaves open both Petit’s proposal that later editors assembled the
Metaphysics out of smaller units, and Titze’s proposal that Aristotle him-
self had begun with a smaller treatise and rewrote it on a larger scale or
combined it with other materials: and indeed Jaeger’s view on which
the original Metaphysics, roughly contemporary with the De Philosophia,
was something like A, K, M9b-10, N, and then a positive part of which
K6 – 10 is an abrégé, remains strikingly close to Titze. Nineteenth-cen-
tury scholars almost all think that Aristotle intended to write a single
treatise on wisdom or first philosophy, whose program is laid out in
AB (or in an earlier version in AK), but they ask how many of the trans-
mitted books of the Metaphysics were intended to be parts of that trea-
tise, and, picking up a question of Petit and before him of DuVal, they
ask what order Aristotle intended – where their answers are supposed to
be advice to the next editor, which books to include and in what
order.19 On these questions Brandis’ ˜ber die Aristotelische Metaphysik
(Brandis 1834) was extremely influential. Brandis argued that K1-K8a
was authentic, an earlier sketch of BCE; both K and B refer back to
A; and then the aporiai of B, and the discussion of the four senses of
being begun in E, can be used as guides to continue the main thread
of the books of the Metaphysics. Beyond ABCE, this includes for Brandis
ZHHK ; a and D do not belong to metaphysics, although they contain
some remarks which may be useful for metaphysics; I and MN belong
loosely to the project, but Aristotle never finished working them up and
connecting them with the main series, and certainly they do not belong
in their present places. Bonitz accepts Brandis’ methodology and also his
conclusions, with the important exception that he thinks K does not
take up aporiai from B or the investigation of EZHH, considering K
as an independent monobiblion covering the whole of metaphysics
rather than as a part of the larger treatise.20 Zeller explicitly defers to

19 Advice to the next editor: so explicitly Brandis (1834), 86 – 87, and Michelet
(1836), 237.
20 The conclusion of Brandis (1834), thus modified by Bonitz (1848 – 49), re-
mained the standard view until Jaeger (1912) modified it by arguing that the
closer connections of ABCE were with IMN rather than with ZHH. At this
time Jaeger thought that ZHH were not written as part of the Metaphysics
but were integrated into it by early Peripatetic editors, whereas in Jaeger
(1923) he thought that although they were not originally written as part of
the Metaphysics they were later integrated into it by Aristotle himself (and
that the current version of E arises from this process of fusion). Jaeger thus
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 105

Brandis and Bonitz on these issues,21 following Bonitz rather than Bran-
dis on K.22 But Zeller’s section on the Metaphysics pays little attention to
reconstructing Aristotle’s plan for the treatise, instead giving a continu-
ous synopsis of Aristotle’s doctrine by paraphrasing the relevant texts on
what Zeller takes to be the key issues, in the order that Zeller finds con-
venient; the philosophical concerns of his time, and the heritage of late
eighteenth- and early nineteenth-century interpreters of Aristotle, have
a heavy influence on what those issues and that order are.

winds up with an intended Metaphysics containing all the books except aDJK,
the same as Bonitz, and this is also the conclusion of Ross.
It is worth noting an oddity of Brandis on C : like many scholars, he sees C as
answering the first four aporiai of B (often called the “methodological” apor-
iai), and being led from the second aporia into a positive account of what Ar-
istotle calls the “principles of demonstration” by contrast with the “principles of
substance”, or what Brandis calls “formal” vs. “real” principles. But he also
claims, bizarrely to us, that C as we have it is incomplete, because it does not
treat, notably, the principle of sufficient reason (Brandis 1834, 76 – 77). What
lies behind this is Wolff’s treatment of Leibniz’ two great principles of non-
contradiction and sufficient reason in his Ontologia: scholars who read Aristotle
as a proto-Wolff find it natural that Aristotle should treat the principle of non-
contradiction in his ontology (they are of course taking the word “ontology”
from Wolff in the first place), but then they find the principle of sufficient rea-
son missing. In Brandis this judgment appears as an odd survival of Wolffian
expectations into the nineteenth century, and indeed Brandis partly retracts it
in his discussion of the completeness or incompleteness of C in Brandis
(1853), 551 – 555, concluding that while something is missing here, it is missing
from Aristotle’s system rather than from his exposition of that system in C.
21 Zeller (1879), 80 – 83 n 2.
22 Although Zeller thinks (in the note cited) that Aristotle intended to incorporate
D in the Metaphysics (but never got around to it); he denies the authenticity of a
(Brandis thought it was authentic, Bonitz doubted it); and he conjectures (like
Michelet) that Aristotle’s final intention was to exclude MN from the Metaphy-
sics. Zeller also has a separate article “Über die Benützung der aristotelischen
Metaphysik in den Schriften der älteren Peripatetiker” (Zeller 1877), in
which he tries to draw inferences for the text-history of the Metaphysics, con-
cluding that except for a, the second half of K, and perhaps D, all of the Meta-
physics had been assembled, out of the main torso that Aristotle had composed
and out of the rest of his metaphysical Nachlass, long before the supposed re-
covery of his writings from Neleus’cellar (pp. 165 – 7). Zeller’s adherence to
Bonitz’ view that K is a separate monobiblion depends crucially on his assump-
tion that the De Motu Animalium (which refers apparently to K as 1m to?r peq·
t/r pq¾tgr vikosov¸ar 700b7 – 9) is Peripatetic rather than Aristotelian, an as-
sumption which no longer has defenders.
106 Stephen Menn

One aspect of Kant’s influence on the reception of the Metaphysics is


that writers of especially the period 1780 – 1820, but even after, give
what now seems a highly exaggerated importance to the theory of cate-
gories. Kant takes Aristotle’s categories, like his own, to be intended as a
list of pure concepts of the understanding, which could be applied to
objects universally and a priori, independent of the particular ways that
the objects affect our senses. Indeed, Kant contrasts Aristotle as the phi-
losopher of the categories with Plato as the philosopher of the ideas or
pure concepts of reason, whose validity does not depend on their applic-
ability to objects. So Aristotle, unlike Plato, has the problem of explain-
ing how we can apply to objects concepts which we have not taken
from the objects; but, Kant thinks, he fails to give a deduction either
of the completeness of his list of ten categories or of their applicability
to objects (and Kant thinks he could have done the latter only if he had
restricted them to the domain of objects of sensory experience). Our au-
thors’ evaluation of Aristotle’s metaphysics turns largely on whether he
has a reply to this Kantian challenge. The truth is that, while Aristotle
may be aware that he has a problem about the objective applicability
of the concept of substance, he shows no concern with justifying the
ten-category scheme as such, which he mentions only two times in
the corpus, neither of them in the Metaphysics. By contrast, for Buhle
or Tennemann, the ten-category scheme supplies the fundamental con-
tent of Aristotelian metaphysics. They take Aristotle to be trying to give
a conceptual determination of being in general, independent of our ex-
perience of particular beings. When Aristotle says “there is a science that
studies being qu’ being and its per se attributes”,he means a science that
examines the causes, to the things that are (in all categories) of the facts
that they are, are each one, are severally many, different, contrary and so
on: these trans-categorial attributes of being are roughly what medieval
philosophers call the “transcendentals”. But Buhle etc. take “being qu’
being” to mean substance (this identification even in Zeller 1879, 273),
and the attributes of being qu’ being to be the other categories: Aristotle
would be asserting, as the theorems of his science, that substance as such
has a list of conceptual determinations, namely quantity, quality, relation
and so on.23 Following Kant, they claim that Aristotle cannot fully suc-
ceed, because he collects these conceptual determinations haphazardly,
missing some and including some that depend on sense-experience,
and because he fails to restrict them to the domain of objects of possible

23 So Buhle (1800), 334–335; Tennemann (1801), 224.


Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 107

experience; Trendelenburg and then Brentano will reply by trying to


construct deductions of the ten-category scheme on Aristotle’s behalf.24
Zeller is less obsessed by the categories than some earlier writers (and
not much interested in the tenfold scheme as such) 25, but he too thinks
that the basic problem of the Metaphysics is the relatability of concepts to
objects or of universals to individuals, and that Aristotle finds himself
with this problem as a result of his criticism of Plato. As Zeller says,26
Aristotle’s system developed out of Plato’s, and only through criticizing
Plato could he establish his own philosophical individuality – in parti-
cular, this explain why the Metaphysics begins with the historical retro-
spect of A and the aporiai of B, directed against the pre-Socratics but
above all against Plato. Aristotle agrees with Plato on far more than
he disagrees,27 and in particular he agrees that the object of philosophical
knowledge is “only being as such, only essence, and more precisely the
universal essence of the real (wirklich)”28 ; but of course he denies Plato’s
thesis that the universal is something substantial in itself, beyond (“aus-
ser”) the phenomena.29 For Zeller, this combination of commitment to a

24 Lack of a Leitfaden for the discovery of the most universal and necessary con-
cepts or categories, e. g. Tennemann (1801), 214 and 225 – 227 (and compare
Tennemann’s contemptuous paragraph on the Metaphysics in the shorter Ten-
nemann 1816, 107); the word “Leitfaden” comes from Kant, Kritik der reinen
Vernunft, A 66 ff/ B 91 ff (Kant’s critique of Aristotle is at A 81/B 107). Tren-
delenburg’s Geschichte der Kategorienlehre (Trendelenburg 1846; in two essays, of
which the first, pp. 1 – 195, is on Aristotle), finds a Leitfaden for the list of cat-
egories in the distinction of the parts of speech, arising from analyzing a judg-
ment into its simple constituents, but he admits difficulties in deriving Aristo-
tle’s precise list, and in showing why this method should lead to a division of
beings and not merely of our concepts. Brentano’s Von der mannigfachen Bedeu-
tung des Seienden nach Aristoteles (Brentano 1862), despite the dedication to his
“most honored teacher” Trendelenburg, rejects this merely grammatical deriva-
tion and tries to give a more properly ontological derivation from the possible
relations of an attribute to a primary substance, culminating in a “deduction” by
exhaustive division at least of the eight-category scheme without 5weim and je?-
shai, with some hope of fitting these in too (see his summary pp. 174 – 178).
25 Zeller (1879), 263 – 267.
26 Zeller (1879), 292.
27 Zeller (1879), 161.
28 Zeller (1879), 293.
29 Writers of this time often interpret Aristotle’s critique of Platonic ideas in a way
that assimilates it to Kant’s critique of dogmatic metaphysics: if the ideas are in-
dividuals, then they could be known only through intellectual intuition. But
“intellectual intuition” is just a projection onto the intelligible realm of our sen-
sory means of cognition, and claims of intellectual intuition may also involve a
108 Stephen Menn

Platonic ideal of knowledge with rejection of Plato’s ontology is what


mainly generates the project of the Metaphysics. In particular, what Zel-
ler takes to be the most important aporiai of B arise from the problem of
reconciling these apparently contradictory epistemological and ontolo-
gical constraints on what the ideal knowledge must be like: it seems
that what is most fully knowledge must be of what is most fully real,
that only the universal is fully knowable, and yet only the individual
is fully real.30 So Zeller says that first philosophy must begin with the
inquiry “into the original essence of the real (wirklich), into the concept
of substance” and this is identical (!) with the inquiry “into the relation
between the individual and the universal”.31 Since full reality (Wirklich-
keit) now belongs to the individual, the form is no longer (as for Plato)
identified with the universal: the form is the determinate, fully actual
essence, and the indeterminate universal, which is the mere possibility
of such a determinate being, stands to it as its matter.32 So after the in-
dividual/universal relation, the form/matter relation is the second major
topic of metaphysics; and since the determination of matter by form de-
pends on motion, and motion on the moving cause, motion/mover are
the third fundamental pair of concepts which metaphysics must con-
sider.33
In all this Zeller is, directly or indirectly, following Hegel.34 In par-
ticular, Hegel too says that Aristotle agrees with Plato on far more than

surreptitious projection of sensory content; claims of intellectual intuition allow


no possibility of “deduction” and thus of sorting genuine from spurious claims
of knowledge. So notably Schwegler (1863), 71 – 72. This way of reading Ar-
istotle’s critique of Plato runs into some difficulty if Aristotle’s God is an indi-
vidual.
30 Zeller (1879), 312 – 313, where he says that Aristotle is in fact stuck in a contra-
diction here (cp. 348).
31 Zeller (1879), 303 – 304.
32 Zeller (1879), 304.
33 Zeller (1879), 303 – 304.
34 By the second edition Zeller (1862) avoids mentioning Hegel, although the
Hegelian substructure of his work persists: presumably he regards him as not
a publicly respectable historian, and he has increasingly moved away from
Hegel in his conception of philosophy. But in the first edition, at the end of
the first paragraph of his chapter on Aristotle, after mentioning those who
have made Aristotle a mere empiricist (including, as he notes, Schleiermacher
1834, whose chapter on Aristotle is an eight-page burst of aggression coming
mainly from defensiveness toward Plato), and those who have made him a
mere systematizer of Plato (like, he says, Braniss [not Brandis!] 1842), Zeller
says: “Im Ganzen jedoch ist diese Ansicht bereits im Verschwinden begriffen,
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 109

he disagrees (against what he thinks is the common view that there is a


fundamental opposition, and that Aristotle is an empiricist35), but that his
fundamental claim against Plato is that only the individual is real or ac-
tual (wirklich). More broadly, Hegel thinks the main problem of ancient
philosophy after Plato was the relation of concepts to objects. For the
Hellenistic philosophers (although Hegel doesn’t have this word), con-
cepts are something in the soul, so there is a problem of how they can be
applied to the external world, and this is why the problem of the jqit¶-
qiom is fundamental for Hellenistic philosophy; indeed, Hegel thinks that
given the psychological interpretation of concepts the problem is un-
solvable, and leads necessarily to scepticism. Aristotle is not so badly
off, since for him concepts (that is, universals) are still something objec-
tive, not something that needs to be brought into relation with reality:
but he still has a problem that Plato doesn’t, because for him the con-
cept/universal is a merely potential reality. Hegel says that Aristotelian
philosophy is always about an individual,36 i. e. that the ideal of know-
ledge, knowledge of what is most knowable (“the rational”, or the first
causes and principles as described in Metaphysics A1 – 237) is knowledge
of an individual–even God for Aristotle is one individual among oth-
ers.38 Here I take it Hegel is implicitly relying on Metaphysics M10,
which, taking up the aporia from B whether the first principles are in-
dividual or universal, replies to the argument that knowability requires

nachdem nicht blos HEGEL den speculativen Gehalt und die Gedankentiefe
des ihm am Nächsten verwandten unter den griechischen Denkern nach Ver-
dienst gewürdigt, sondern auch die gelehrte Forschung den Aristotelischen
Schriften und ihrem Inhalt grössere Aufmerksamkeit zuzuwenden angefangen
hat, und so werden auch wir die Vertheidigung des Aristoteles unserer weiteren
Entwicklung selbst überlassen und ungesäumt zur Darstellung seines Systems
schreiten dürfen” (Zeller 1846, 363). This brings out, not only Zeller’s indebt-
edness to Hegel, and his acceptance of a close kinship between Aristotle and
Hegel, but also that until very recently an account of Aristotle had had to be
in the first place a defense of Aristotle against a list of old accusations. In the
second edition, Aristotle’s relationship to Plato and the character of his philo-
sophical method are discussed in the section “Standpoint, method, and parts of
the Aristotelian philosophy” (Zeller 1862, 108 – 130); the criticism of Schleier-
macher now turns up on p. 118 n 1, and that of Braniss on p. 121 n 1, but the
attitude is not defensive but triumphal (and contemptuous toward Schleier-
macher and Braniss), and of course there is no mention of Hegel.
35 Hegel (1996), 59 – 60; cp. Hegel (1833 – 36), 299.
36 Hegel (1833 – 36), 318.
37 Hegel (1833 – 36), 315 – 16.
38 Hegel (1833 – 36), 318.
110 Stephen Menn

universality by saying that while potential knowledge is of a universal, ac-


tual knowledge actualizes the knowledge of the universal by applying it
to an individual and recognizing that individual as falling under the uni-
versal. So for Hegel’s Aristotle, while the reality of an object is propor-
tionate to its knowability and only the individual is fully real, the diffi-
culty is resolved because the individual rather than the universal is the
object of the ideal knowledge. The only problem is to understand the
different relations between universality-determinability-matter and indi-
viduality-determination-form which constitute the different kinds of
substances. We cannot explain, starting from an indeterminate universal,
why it should determine/individuate itself in this particular way, but the
problem is solved if God is already essentially individual/determinate,
and can be the source of individuality/determination to other things.39
Schwegler and Zeller take over from Hegel the convictions that A-
ristotle’s project in the Metaphysics arises from his criticism of Plato on
the ontological status of concepts, that therefore the problem that drives
the Metaphysics is the relation between individuals and universals, that
Aristotle’s problem about substance is fundamentally the problem
about whether individuals or universals are prior, and that the rest of
his ontological conceptions (form and matter, actuality and potentiality
and so on) emerge from thinking through the individual-universal rela-
tionship. But they are less convinced than Hegel that Aristotle really sol-
ves the problems that he has brought on himself by rejecting the sub-
stantiality of the universal while retaining other Platonic commitments.
The main lesson of Schwegler’s briefer treatment is that Aristotle has an
unresolved problem about the relation between matter and form. An as-
pect of an object can be material under one description, formal under
another description, and the object becomes fully intelligible (as it
must, to be a substance) only when all its characteristic attributes are
considered as formal, that is, are deduced from its concept rather than
treated as merely accidental. But in fact no individual object can be de-

39 As Hegel puts it, Hegel (1833 – 36), 330: God as the concept or principium co-
gnoscendi is also the mover or principium essendi. Hegel expresses disappointment
with Aristotle for thinking of God (in whom concept and individual, actuality
and potentiality, knower and known, etc., are perfectly united) as one individ-
ual among others, separate from the material world, but he is clear that this is
indeed what Aristotle thinks. Hegel always rejects thinking of “spirit” as a
count-noun, so that there would be many individual finite spirits and one in-
finite spirit (as e. g. Wolff expresses it): he speaks instead of spirit manifesting
itself in finite and infinite forms.
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 111

duced in this way: it will always have an unexplained, merely given,


material aspect. Aristotle tries to make the matter intelligible by rethink-
ing it as the d¼malir for the 1m´qceia of the thing; but why, and under
what conditions, is the d¼malir actualized? This cannot be explained
from below, but only by beginning with a first mover which is pure
1m´qceia prior to all d¼malir. This first mover is absolute spirit, i. e. a
unity of thinking subject and thought object; that is to say, it is the con-
cept reconceived as activity. As concept it is a formal cause of the world,
and as activity it is an efficient cause of the world. All this is Hegelian,
but where Hegel praises the speculative perfection of Metaphysics K,
Schwegler complains that Aristotle merely asserts all this in K, without
properly developing it or arguing for it, and in particular gives no deter-
mination of the relation between God and the world: we cannot under-
stand how a being as free from all negation, and from all determinate
description, as Aristotle’s God, could cause the world. Instead of a dual-
ism of form and matter this leaves an unbridgeable dualism between
God and the world, and thus no way of understanding the real existence
of the world: we would need an immanent or practically directed God,
instead of Aristotle’s separate theorizing God, to make this intelligible.40
Zeller’s concerns are similar, but spelled out at greater length, and
focussed more precisely on the problems of individuality and universal-
ity. The universal does not subsist by itself, it is a predicate rather than a
subject, and so it cannot be substance. But Aristotle is equally insistent
that substance must be the primary content of knowledge (“knowledge
is recognition of essence … [and] must relate primarily to the essential
being, the substance of things”),41 and individual things are not intelli-
gible in this way. Zeller knows that many solutions have been proposed
to this difficulty, but he thinks that they all run counter to texts, and in-

40 Schwegler (1863), 77. There are similar complaints in Ritter (1837), 131 – 211,
esp. 197 – 211. Ritter seems particularly indignant that Aristotle posits matter as
an in principle limit on the intelligibility of the world, rather than as a function
of our presently limited understanding which it is our task to overcome. Matter
as a limit on intelligibility, and a source of arbitrary necessity, is also a limit on
the causal power and explanatory adequacy of God; Ritter commends the idea
that the duality of matter and form or of d¼malir and 1m´qceia should be held
together by the moving cause and ultimately by God, and he commends Aris-
totle’s attempt (unlike Plato) to grasp God conceptually, but, like Schwegler, he
finds Aristotle’s account of God and his relation to the world sadly inadequate.
Ritter identifies God with the poigtij¹r moOr (Vernunft), but is less interested
than Schwegler in the Hegelian metaphysics of God as the concept-as-activity.
41 Zeller (1879), 309.
112 Stephen Menn

deed to important commitments, of Aristotle. Are universals more real


in themselves, just less real from our point of view? 42 No, Aristotle in-
sists that individuals are most real absolutely, not just for us. Or perhaps
the individual is unknowable to us (e. g. because of its infinite complex-
ity), but knowable in itself ? 43 On the contrary, Aristotle says that uni-
versals are most knowable in themselves, although difficult for us to
know. Or perhaps (Hegel’s solution, although Zeller as usual does not
name him), we should follow Metaphysics M10 and say that potential
knowledge is indeterminate and directed toward a universal, but that
its actualization is directed toward something determinate.44 But Zeller
is not satisfied: “the knowledge of the particular arises only through ap-
plication of general propositions, on whose certainty its depends”, and
furthermore the knowledge of the individual “does not have the indi-
vidual as such as its object, rather even the individual is known only
in the form of universality” (here Zeller cites Metaphysics Z10, where
the individual composite is “known through the universal kºcor,”
1036a8); whereas if the individual is “the originally real”, it must be
“the true object of knowledge”, and “the knowledge of the universal
must depend upon it with regard to its truth and certainty”, contradict-
ing Aristotelian commitments.
I don’t find it obvious that Aristotle is committed, as Zeller says, to
the presupposition “that the truth of knowledge keeps pace with the re-
ality (Wirklichkeit) of its object”,45 i. e. that as Hegel says the rational is
real and the real is rational. Aristotle does say that substances are more
knowable than non-substances, but there seems no reason why universal
substances (which are secondarily or potentially substances) should not
be more knowable, although less real or actual, than individual substan-
ces.46 Zeller is aware of solutions that would distinguish senses of sub-
stance, and he does not like them:

42 Zeller (1879), 310 – 311.


43 Zeller (1879), 312.
44 Zeller (1879), 310.
45 Zeller (1879), 313.
46 Why then does Aristotle insist in Metaphysics M10, in defending the claim that
the !qwa¸ are individual, that individuals are also the objects of the strictest kind
of knowledge, namely actual knowledge? Perhaps partly as a “tour de force”,
just to show he can take even the epistemological argument away from the pro-
ponent of the priority of universals. But Aristotle also thinks there’s a genuine
problem if the knowledge of the individual must be derived from the knowl-
edge of the universal, since there seems no way that such a derivation could
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 113

it is not sufficient to recall the different meanings in which the concept of


substance (oqs¸a) is used, for it is a question here not just about designation
in speech but about what should be held to be real (Wirkliches) in the full
and strict sense, whether it is the individual things as such or only their con-
ceptual essence, their form which remains unalterably the same, untouched
by the flux of individual existence.47
Zeller48 of course knows that Aristotle says that the form is the substance
of the composite, or simply that it is substance, but he says Aristotle has
not explained how this can be, if the form is always universal: “the same
difficulty (about individuality and universality) repeats itself in the deter-
mination of this concept (sc. Form) that is currently occupying us in re-
gard to substance”.49 We might think that, if neither a universal nor a
material individual can properly be substance, this would allow us to
“deduce” the concept of form as what is individual without being ma-
terial, and can therefore be truly substance. Indeed, Hegel probably
thinks something like this, since he thinks that the universal for Aristotle
is always potential and therefore material, and that what is most properly
actual and individual is spirit – in Aristotelian terms, some sort of soul or
especially moOr, which is presumably an individual form (recall Hegel
saying that for Aristotle even God is an individual).50
Zeller however, in his third edition, addresses a somewhat different
version of this idea, from Georg von Hertling’s Materie und Form und die
Definition der Seele bei Aristoteles. 51 Instead of saying that the universal

work, and the individual will wind up unknowable. Aristotle thinks he can re-
solve this if knowledge of the individual is an application or actualization of
universal knowledge. The knowledge of a universal type might consist in an
ability to recognize individuals as falling under that type, when appropriately
triggered by sensation: there is no need for anything like a syllogistic deduction
of the knowledge of the individual from the knowledge of the universal. This
seems an adequate answer to Zeller’s complaints at Zeller (1879), 310.
47 Zeller (1879), 345.
48 Zeller (1879), 346 – 347.
49 Zeller (1879), 309 – 310.
50 Brandis takes a rather similar view, for which see below.
51 Hertling’s personal story, at one time famous, seems no longer to be widely
known. He was a younger relative of Brentano, who studied under Brentano
and under Brentano’s teacher Trendelenburg (he speaks of Brentano in exalted
tones). Being a cousin of Brentano’s, he was of course Catholic (unlike Bren-
tano he remained loyal to Rome after 1870, and endured personal and profes-
sional difficulties during the Kulturkampf), and he became a professor not of
philosophy but of Catholic theology, at Bonn and then at München. He was
active both in Bavarian and in Reich-level politics for the Catholic Zentrums-
114 Stephen Menn

form is only potential and so not most truly form, Hertling says that
“eWdor” has two entirely different meanings, the “concrete” meaning
“form” and the “abstract” or “conceptual” meaning “species”: the
form of the individual horse Bucephalus is whatever is present in Buce-
phalus that causes Bucephalus to have the species-predicate horse and
the other essential predicates that this entails. It does not make sense
for a universal predicate, a concept, to be in a concrete individual, or
to be a cause: the eWdor in the sense of “form” is thus an individual,
and there is no reason why it cannot be a substance. Hertling admits
that Aristotle does not explicitly distinguish these two senses of
“eWdor”, leaving us to infer from context which of the two he means.
But he thinks some passages decisively imply such a distinction, above
all Metaphysics K5 1071a18 – 29, ending “[the principles and causes] of
things in the same eWdor are different, not in eWdor, but in that [the prin-
ciples and causes of different] individuals are different, your matter and
eWdor and mover and mine, but the same in universal kºcor.” Here it
seems we must translate eWdor in two different ways, “species” and
“form”, and say that there are many numerically distinct forms which
are the same in species.52 Zeller, engaged in a long polemic with Bren-
tano, may well have regarded Hertling as an extension of his teacher and
older relative Brentano (although I am not sure how many of Hertling’s
distinctive views Brentano actually shared). Surely one reason Hertling
has for insisting on individual forms is that different animals of the same
species don’t share the same soul; and if souls are individual forms, it
seems possible that in some cases they can be individually immortal
(the souls of irrational animals presumably are not, but “form” is a causal
role which could be filled by things of different ontological types, some
whose existence depends on matter and some which are independent).

partei; in 1912 he was named prime minister of Bavaria, and in 1917 he was
brought in, as a neutral and largely powerless non-Prussian outsider, as the
next-to-last chancellor of the Kaiserreich. Hertling resisted the introduction
of ministerial responsibility to parliament at Reich level, on the ground that
it would weaken Bavarian autonomy and thus the position of the Church,
and so had no power-base to resist the generals who were pushing, against
the wishes of much of the Reichstag, for final victory rather than a negotiated
settlement. When the Kaiser finally agreed to the principle of responsible gov-
ernment, Hertling resigned; everything collapsed a month later, and Hertling
responded, as many of those deeply committed to the old order seem to
have done, by dying almost immediately.
52 Hertling (1871), 48 – 58.
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 115

In any case Zeller, in two long footnotes against Hertling (occupying


four pages, Zeller 1879, 340 – 343, with almost no main text above), ar-
gues that “(Aristotle’s) system leaves no room for individual forms of
sensible things” and even that “every individual being has matter in it-
self”53 (the last claim is curious, since Zeller has said that Aristotle’s God
is an individual). At one point Zeller actually denies that the Metaphysics
K5 passage means, as Hertling says it does, “that the form, like all prin-
ciples, must be an individual”54, although I would say this is pretty ob-
viously what the text does mean, and Zeller gives no hint of how else to
construe the Greek. But sometimes Zeller seems to hold the weaker
view that form becomes individual only through its connection with
matter, and is not intrinsically individuated (which would presumably
be enough to show that souls are not individually immortal); and some-
times he says that while Aristotle may say things that support Hertling’s
view, this is because Aristotle’s theory cannot be consistently worked
out, and he is forced to say contradictory things in different contexts
“by the facts themselves.” (Zeller is certainly right against Hertling
that Aristotle identifies form and t¸ Gm eWmai, although Hertling insists
that form is concrete and t¸ Gm eWmai is abstract: more generally, concrete
vs. abstract or conceptual just seems not to correspond to any Aristote-
lian distinction.) But Zeller’s main point is that no definition or scien-
tific knowledge of a form can distinguish it from another form of the
same species: if the same things must be most real and also must be
the contents of the highest kind of knowledge, then it does no good
to say that these things are form, since you will still be forced by onto-
logical considerations to say that they are individual and by epistemolog-
ical considerations to say that they are universal.
This might serve as a further step in a “deduction”: first, by reflect-
ing on the concept of substance and the apparently contradictory con-
ditions which something would have to meet to fall under this concept,
we derive the concept of form; then by further reflections on the con-
cept of form and the conditions it would have to meet in order to re-
solve the contradiction, we derive the concept of God (or many gods
each one-per-species), who can meet both ontological and epistemo-
logical conditions to be substance. Once again, Zeller is unsatisfied: if
we say that “in God as the highest principle absolute certainty for
thought coincides with absolute reality (Wirklichkeit) of being, but in de-

53 Zeller (1879), 340 – 343.


54 Zeller (1879), 342 n 6, quoting Hertling (1871), 57.
116 Stephen Menn

rivative being the greater reality rests on the side of the individual, the
greater knowability on the side of the universal”55, there remains a con-
tradiction within the domain of sensible things, if reality and knowabil-
ity must “keep pace”.56 We might however say that, although in sensi-
ble things only the eternal universal form is an object of scientific
knowledge in itself, the temporal matter-form composite becomes an
object of science when it is considered as part of a network of efficient
causes; God as first cause, being eternal and necessarily unique in his
species, is intelligible in himself, and gives intelligibility to all the
other individuals insofar as he directly or indirectly produces and actu-
alizes them. This again sounds like a “deduction”: the applicability of
the concept of substance requires both form and matter, but the intelli-
gibility of the form-matter composite requires the actualization of the
matter through motion, and the intelligibility of this motion requires
a moving cause, and ultimately an immaterial moving cause. And Zeller
agrees that thinking through the concepts of substance, individual and
universal, matter and form, does logically lead to the concepts of mo-
tion, the moving cause, and specifically God as first moving cause;
and this deduction of God leads Aristotle to “the first scientific justifi-
cation/foundation for theism”.57 But the determination of God, like the
determination of substance, requires reconciling conflicting demands, in
this case God’s personhood and his essential difference from finite be-
ings, and, once again, Zeller is not convinced that Aristotle’s solution
is adequate. Part of the objection is that Aristotle does not succeed in
preserving God’s personhood; this might seem like a purely religious
objection (like Tiedemann’s worries about whether Aristotle falls into
Spinozist pantheism),58 but Zeller’s fundamental point is that Aristotle
does not give sufficient concrete content to the concept of God, in par-
ticular, not sufficient to explain how God can be a cause of the world
and thus how the world can be “the work of reason”.59 Brentano of
course had laid great stress on texts where Aristotle seems to say that
God is the single first principle of the world, from which everything
else must be derived, and Zeller agrees that Aristotle is committed to

55 Zeller (1879), 311.


56 Zeller (1879), 311 – 313.
57 Zeller (1879), 368, where Zeller is contrasting conceptual determination/deri-
vation with mere “religious Vorstellung”.
58 Tiedemann (1791), 297 – 299 and 324 – 328.
59 Zeller (1879), 372.
Zeller and the Debates about Aristotle’s Metaphysics 117

this, but Zeller thinks that, given Aristotle’s other commitments, he


cannot make this intelligible. Above all, Aristotle cannot explain “the
richness of finite being”60 starting from a single simple God. Aristotle ex-
plicitly recognizes the problem in the case of the plurality of heavenly
motions, which is why he posits a plurality of eternal unmoved movers:
this would be all right if he could then derive this plurality of immaterial
things from a single God, but, as Zeller argues against Brentano, he can-
not. Further, the motion of the sun in the ecliptic, which Aristotle cites
to explain generation and corruption, is too general a cause to explain
the effect, and cannot account for the plurality of sublunar species.
Brandis had reconstructed on Aristotle’s behalf an alternative account,
where God’s causality on the sublunar world is not mediated only by
the heavens, but also by a plurality of eternal forms, taken as God’s
thoughts, striving to develop themselves in matter when the conditions
of matter allow them to be embodied in it. But such a development
from “idea” to “nature”, much desired by German idealism, is impos-
sible for Aristotle, and Zeller has no trouble shooting it down (God
doesn’t think about material things, and his thoughts don’t develop).61
Both Brandis’ wild hypothesis (an odd departure from his usual sobriety,
placed as a kind of postscript to his treatment of the Metaphysics) 62 and
Zeller’s despair show that the Metaphysics could not bear the weight
that German idealism wanted it to bear. What in Hegel’s lectures on

60 Zeller (1879), 378.


61 Zeller (1879), 381 – 384.
62 Brandis (1853), 566 – 581. Brandis offers all this as a solution to the aporia posed
by the ontic priority of individuals and the epistemic priority of universals: Ar-
istotle must have thought that he could somehow overcome this aporia, “wie
aber der scheinbare Widerspruch sich beseitigen lasse, darüber hat Aristoteles
sich nicht ausgesprochen und wir müssen versuchen das Fehlende aus Andeu-
tungen, im Einklang mit seinen Grundlehren, zu ergänzen” (p. 566). The foun-
dations for both the being and the knowability of material things are the 1m´q-
ceiai which realize themselves in them; an individual 1m´qceia presupposes a set
of universal quantitative and qualitative determinations in the matter in order to
realize itself as a form in that matter, but it is not exhausted by these universal
determinations, which attain complete determination and individualization
only through that 1m´qceia. Brandis notes that (according to Metaphysics Z8
and K3) the individual forms or 1m´qceiai of things are not generated, and con-
cludes wrongly that they must have existed before the composite, as God’s
thoughts, in such a way that the development of the thought is or grounds
the development of the concrete thing (Brandis describes this as an anticipation
of Leibniz’ monadology, pp. 575 – 576). Note especially Brandis’ long footnote
437 (pp. 568 – 71), ending with an explicit confrontation with Zeller.
118 Stephen Menn

the Metaphysics is a demonstration of the inadequacy of all other concep-


tions of reality and knowledge and a deduction of absolute spirit yields
in Schwegler and Zeller to doubt and to a demonstration of the inade-
quacy of this concept too, at least as Aristotle develops it. This might be
a doubt about whether philosophy can achieve the goal that the idealists
had set for it, or only about whether Aristotle achieved that goal. For-
tunately the history of philosophy did not end with Aristotle, and nei-
ther does Zeller’s Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen En-
twicklung.

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Zellers Sicht des Urchristentums
Hermut Lçhr

I. Theologie und Philosophie bei Eduard Zeller

Aus heutiger Sicht hat Eduard Zeller für mein Fach, das „Neue Tes-
tament“, oder sagen wir es ein wenig interdisziplinärer: für die Erfor-
schung der Anfänge des Christentums und seiner Literatur, keine der
Philosophiegeschichte vergleichbare Bedeutung. Zeller kommt in den
Arbeiten der „Zunft“, wenn überhaupt, nur in Fußnoten vor. Sein
Name steht in der Geschichte des Faches nicht für eine entscheidende
Weichenstellung oder einen Neuanfang, nicht für eine bahnbrechende
Neuentdeckung von Quellen oder eine methodische Innovation.
Weder gehört er zu der eindrucksvollen Reihe von Gestalten, welche
die Leben-Jesu-Forschung des 18. und 19. Jahrhunderts geprägt haben,1
noch hat er auf dem anderen großen Gebiet, der Suche nach einer
Lösung des synoptischen Problems, tiefe Spuren hinterlassen.
Seine Sicht der Entstehung der drei synoptischen Evangelien (Mt,
Mk, Lk), die er bis zum Lebensende beibehalten hat, sah – mit der Alten
Kirche – das erste als das älteste, darauf Lukas, und als letztes Mk, von
den beiden anderen abhängig.2 Von der schon um 1835 – aus heutiger
Sicht überzeugend – nachgewiesenen „Markus-Priorität“ hielt er
nichts;3 und die postulierte, heute allerdings vermehrt wieder in Frage
gestellte Quelle Q (bzw. „Logienquelle“4), hat er, bei dieser Sicht der
Dinge konsequent, nicht angenommen. Etwa in dem magistralen
Lehrbuch der neutestamentlichen Wissenschaft des 19. Jahrhunderts, in
Heinrich Julius Holtzmanns zweibändigem Lehrbuch der Neutestamentli-

1 Ihre Würdigung und Kanonisierung bis in die Gegenwart wurde geleistet von
Schweitzer (1984), 108.
2 Vgl. etwa Zeller (1865c), 385.
3 Noch in seinem Brief an Hermann Usener vom 15. 12. 1888; in: Ehlers (1992),
II 407, polemisiert Zeller gegen die „Markuslöwen“, ohne allerdings die
Möglichkeit zu einer vertieften Auseinandersetzung zu sehen.
4 Zur Geschichte der Bezeichnungen vgl. die Hinweise bei Neirynck (1982),
683 – 689.
124 Hermut Löhr

chen Theologie 5, kommt er kaum in ein paar Anmerkungen vor; und


auch der aus der Perspektive der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
verfasste Forschungsbericht von Werner Georg Kümmel6 kann sich
damit begnügen, Zeller einen kurzen Absatz zu widmen.7
Und es wäre gewiss nicht sachgerecht, der vielleicht in einem Ju-
biläumsjahr nahe liegenden Rhetorik des „Dennoch“ zu erliegen, die
sich nun zu bemühen hätte, einen zu Unrecht Vergessenen in seiner
wahren Bedeutung herauszuarbeiten. Ohne Zweifel, es gibt bedeu-
tendere – und gleichermaßen oder sogar noch mehr übersehene –
Neutestamentler des 19. Jahrhunderts als Eduard Zeller.
Gleichwohl sollte bei einem Zeller-Gedenken eine Würdigung des
Neutestamentlers nicht fehlen. Ich nenne dafür drei Gründe:
Erstens wird man nur dadurch, dass man auch des Neutestamentlers
und Theologen Zeller gedenkt, der wissenschaftlichen Gesamtpersön-
lichkeit Zellers gerecht. Zeller hat ein volles Theologiestudium absol-
viert – ja, er ist den für Württemberger eines bestimmten protestanti-
schen Milieus klassischen Weg vom Gymnasium (in Backnang und
Stuttgart) über das evangelische Seminar Maulbronn in das Tübinger
Stift gegangen.8 Und er hat auf diesem Weg Prägungen erfahren und
Freundschaften geschlossen, die ihm ein Leben lang wichtig waren. Er
war Privatdozent der Theologie und hat Vorlesungen über Schriften des
Neuen Testaments gehalten,9 und um ein Haar wäre er Theologie-
professor in Marburg geworden. Dass er es nicht wurde – und die
Umstände seines Übergangs zur philosophischen Fakultät –, hat er ein

5 Vgl. Holtzmann (1911), 350 (Anm. 5 auf S. 531).


6 Vgl. Kümmel (1970), 177.
7 Berücksichtigung findet Zeller hingegen gelegentlich bei Alkier (1993); vgl.
S. 174 Anm. 1 zur Begründung, warum Zeller kein eigener Abschnitt gewid-
met ist.
8 Vgl. die Angaben bei Diels (1911), 468 f.
9 Als neutestamentliche Vorlesungen sind zu nennen: „Acta Apostolorum“ (WS
1841/42); „In apocalypsin“ (WS 1841/42); „Erklärung des Römerbriefs mit
vorangeschickter Einleitung in den paulinischen Lehrbegriff“ (SS 1842; WS
1843/44; WS 1845/46; SS 1847; WS 1848/49; SS 1850); „Erklärung des 1.
Korintherbriefs“ (SS 1848); „Erklärung des 2. Korintherbriefs“ (SS 1849). Alle
Angaben nach: „Chronologisches Verzeichnis aller literarischen Arbeiten
Eduard Zellers“, in: Zeller (1911b), 513 – 558, das von Otto Leuze besorgt
wurde. Die Manuskripte der Vorlesungen befinden sich im Zeller-Nachlass in
der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Man
hat dort für mich freundlicherweise die Vorlesungen gescannt.
Zellers Sicht des Urchristentums 125

Leben lang nicht vergessen;10 dieser Weg hat ihn zwar in seiner Par-
teinahme für bestimmte und gegen andere theologische und kirchliche
Positionen und Parteiungen bestärkt, er hat bei ihm aber – und das
scheint mir wichtig zu notieren – nicht zu einem völligen Bruch mit
Kirche und Theologie geführt.
Denn zweitens ist – schon angesichts der Publikationen Zellers –
festzustellen, dass ihn das Thema Urchristentum nie gänzlich losgelassen
hat; bis ins hohe Alter hinein hat er kleinere und größere Beiträge zur
fachwissenschaftlichen Diskussion beigesteuert.11 Durchgängig sah er
dabei seine Aufgabe darin, sich in kritischem historischen Zugriff
Texten und Problem zuzuwenden, die von der Theologie klassischer-
weise traktiert wurden und werden. Dabei war die Pointe der Aus-
führungen Zellers offensichtlich nicht, etwa wieder die unsinnige Un-
terscheidung von theologischen und historischen, philologischen und
philosophischen Themen oder Quellen zu affirmieren, indem er als
genuin theologisch Erachtetes aus philosophischer Sicht erarbeitete.
Vielmehr sind der methodische Zugriff, das Interesse und der Anspruch,
so macht es den Eindruck, in den letzten Arbeiten Zellers keine anderen
als in den ersten. Eine Tatsache, die natürlich auch viel über Zellers
Wahrnehmung seiner theologischen Aufgabe verrät.
Die Wahrnehmung solcher Kontinuität im wissenschaftlichen Werk
Zellers über wissenschaftsbiographische Brüche hinweg12 hilft nun
drittens auch, sein philosophiehistorisches Hauptwerk in Kontinuität zu
dem theologischen Denken Zellers, und nicht im Widerspruch zu ihm,
zu verstehen. Wie Zeller wiederholt dargelegt hat, und wie insbeson-
dere Wilhelm Dilthey in seiner Skizze der frühen Jahre Zellers her-
ausgestellt hat,13 gründet das Projekt der Geschichte der griechischen
Philosophie in dem Bestreben, die geistigen Voraussetzungen des
Christentums in der griechischen Philosophie darzustellen und so einen
Beitrag nun nicht zu einer spezifisch kirchlich-verkündigenden Theo-
logie, wohl aber zu einem historischen Verstehen des Christentums als

10 Vgl. die Briefe an Hermann Diels vom 24. 10. 1899 (Ehlers Bd. 2, 251) und
vom 3. 1. 1908 (überhaupt der letzte Brief an Diels; Ehlers Bd. 2, 394).
11 Die letzte Publikation zu einem Thema, das man dem Bereich „Neues Tes-
tament“ zuordnen könnte, stammt aus dem Jahre 1899: Zeller (1899) = Zeller
(1911a).
12 Man beachte, wie Zeller im Vorwort („Marburg, den 19. November 1851“)
zum dritten Teil seiner Philosophiegeschichte den biographischen Bruch zu
überspielen versteht; vgl. Zeller (1852), Bd. 3 – 5.
13 Vgl. Dilthey (1959), 449 f.
126 Hermut Löhr

einer die abendländische Kultur bis in die Gegenwart prägenden Kraft


zu leisten. Mit anderen Worten: Das Unternehmen seiner „Philosophie
der Griechen“, die Auswahl der behandelten Persönlichkeiten und
Strömungen, auch die Auslassungen und damit ihr Aufriss sind ohne
Einsicht in dieses übergreifende, Theologie und Philosophie umfassende
Projekt nicht vollständig – und das heißt doch: gar nicht – zu verstehen.
Zeller hat genug theologische und philosophische Luft seiner Zeit ge-
atmet, um zu wissen, dass beide Disziplinen nicht einfach eines Geistes
sind. Er hatte einen deutlichen Sinn für den Unterschied zwischen
einem genuin philosophischen und einem religiös bestimmten Denken;
ein schroffer Gegensatz hat sich daraus für ihn, sowohl in seinem per-
sönlichen Denken wie in seiner Wahrnehmung der Quellen und ihrer
Themen, offenbar jedoch nicht ergeben. Noch 1875 kann er im Vor-
wort zur Neuausgabe der „Drei Abhandlungen“ von Baur als Desiderat
formulieren:
Es wäre eine dankbare Aufgabe, die Untersuchung, welche Baur an ein-
zelnen hervorragenden Erscheinungen aus dem Gebiete der alten Philo-
sophie geführt hat, auf das Ganze derselben auszudehnen, das Verhältniss,
in welchem die griechische Wissenschaft und ihre bedeutendsten Vertreter
zum Christenthum stehen […]. Eine leichte Aufgabe wäre es allerdings
nicht. Sie könnte in genügender Weise nur von einem solchen gelöst
werden, der sich durch gründliches Quellenstudium sowohl mit der grie-
chischen Philosophie als mit der altchristlichen Literatur und den von ihr
beurkundeten Zuständen und Vorgängen vertraut gemacht hätte […] wer
es mit der hinreichen wissenschaftlichen Ausrüstung unternähme, sie zu
lösen, der könnte sich ein grosses Verdienst um die genauere Erforschung
von Erscheinungen und Vorgängen erwerben, die zu den wichtigsten in
der Geschichte der Menschheit gehören.14

II. Das Urchristenthum (1844/1865)

In der 1865 in den Vortrgen und Abhandlungen erschienenen Studie Das


Urchristenthum (erstmals 1844 unter dem Titel Aphorismen ðber Chris-
thentum, Urchristhentum und Unchristenthum veröffentlicht) 15 gibt Zeller
einen skizzenartigen Überblick über das Urchristentum und seine
theologische Entwicklung, in der er als treuer Adept der „Tübinger
historischen Schule“ erscheint und damit einer Sicht der Geschichte des

14 Zeller (1978), VIIIf.


15 Zeller (1865a), 202 – 266; zuvor in den Jahrbüchern der Gegenwart 1844, 491 –
528.
Zellers Sicht des Urchristentums 127

frühesten Christentums folgt, die innerhalb der neutestamentlichen


Wissenschaft des 19. Jahrhunderts erst der Baur-Schüler Albrecht Ritschl
wirksam zu korrigieren vermochte. Hinter der geschichtlichen Be-
trachtung steht die Überzeugung, dass das „Wesen des Christentums“
nicht ohne die Kenntnis seiner Geschichte, und d. h. besonders auch,
seiner Anfänge, zu erfassen sei.16
Wesentlich ist dieser Sicht die Einsicht in den grundlegenden
Antagonismus zwischen Judenchristentum und Heidenchristentum im
frühesten Christentum, der z. T. in der Sprache Hegels Ausdruck fin-
det.17 Ursprünglich war das Christentum nichts anderes als messianisches
Judentum: Jesus ist der gekommene, auferstandene und zur Wieder-
kunft erwartete Messias. Liegt darin schon eine wesentliche Modifika-
tion der jüdischen Messiaserwartung,18 so beginnt doch mit dem Völ-
kerapostel Paulus noch einmal etwas ganz Neues – die Bedeutung des
Hellenisten Stephanus ist in der sogleich zu erwähnenden Arbeit zur
Apostelgeschichte betont –; das Christentum erkennt durch Paulus seine
„universelle“19 Bestimmung, die sich später in der Überzeugung einer
Juden und Heiden umfassenden Kirche ausdrücken wird und die zu-
nächst, durch die Alternative Mose und das Gesetz oder Christus, den
Gegensatz zum Judenchristentum provoziert: „Die erste und wichtigste
von diesen Veränderungen war die Losreißung des Christenthums vom
Judenthum, und der, welcher dieselbe bewirkt hat, war der Apostel
Paulus.“20
Zeller geht den Spuren dieses Kampfes, der als Kampf zwischen
einer paulinischen und einer petrinischen Partei verstanden werden
kann, in der frühesten christlichen Literatur, in der Apostelgeschichte, in
der Apokalypse, die als Zeugnis des Judenchristentums von einem
Schüler Jesu verfasst worden sein soll, in den – mit Baur – vier als zentral
anerkannten Paulus-Briefen und in weiteren neutestamentlichen und
frühchristlichen Schriften nach. Der Kanon, so könnte man sagen, wird
als theologischer Dialog zwischen verschiedenen geschichtlichen
Gruppen und Kräften gelesen, ein bis heute historisch durchaus plau-
sibles Verfahren. So ist der Jakobus-Brief mit seiner Kritik an einem

16 Vgl. Zeller (1865a), 202, (s. Anm. 15).


17 Vgl. Zeller (1865a), 220, (s. Anm. 15): „der tiefe Zwiespalt des Geistes mit sich
selbst“.
18 Vgl. Zeller (1865a), 219 – 221.
19 Vgl. Zeller (1865a), 203.
20 Zeller (1865a), 228.
128 Hermut Löhr

Glauben ohne Werke zwar nach Zellers Ansicht gegen das paulinische
Christentum gerichtet, aber doch so, dass gar nicht mehr die „Werke
des Gesetzes“ im Blickpunkt stehen, sondern die „Werke“ allgemein.21
Damit ist der historische und theologische Kompromiss schon ange-
deutet: „[…] wie so der praktische Vereinigungspunkt für die Kirche in
der Sittenlehre ihres Stifters gefunden wurde, so lag ihr dogmatischer
Einheitspunkt in der Verehrung seiner Person.“22
Einen wesentlichen Einschnitt in die Entwicklung stellt das Auf-
kommen der Gnosis innerhalb des Christentums dar; die Kirche gelangt
durch die Abgrenzung und Aussonderung der Häresie zur Klärung der
eigenen Position und Organisation. Den Höhepunkt dieser theologi-
schen Entwicklung sieht Zeller innerhalb des neutestamentlichen
Schrifttums im Johannes-Evangelium erreicht, das er mit Baur und
Strauß in die Zeit um 160 bis 170 n. Chr. datiert23 (und das damit für ein
getreues Bild des historischen Jesus in den Augen der Tübinger Schule
völlig ausfällt). Im Joh bilden sich wesentliche Auseinandersetzungen
der Kirchengeschichte des 2. Jahrhundert ab: neben der Gnosis der
Montanismus und der Passa-Streit. In ihm kommt die frühe Lehrbil-
dung – in Bezug auf die Christologie durch die Integration der Logos-
Lehre, in der Ethik durch die Zuspitzung auf das Liebesgebot –, zum
Abschluss: „Die Geschichte des Urchristenthums ist zu Ende, die des
Katholicismus beginnt.“24
Die verwendete Kategorie des „Urchristenthums“ darf nicht zu dem
Fehlschluss verleiten, man habe an ein einheitliches historisches Phä-
nomen zu denken:
Es giebt ja nicht blos einerlei Lehre im neuen Testament, sondern ver-
schiedene Lehrweisen, die sich mehr oder weniger ausschließen, nicht blos
Ein Urchristenthum, sondern eine ganze Reihe altchristlicher Entwick-
lungsformen.25
Die Einsicht aber in die geschichtliche Vielfalt und Entwicklung des
Christentums und seiner Dogmen seit den Anfängen hilft zum Ver-
ständnis des Wesens des Christentums: „Das Christenthum ist ein ge-

21 Vgl. Zeller, (1865a), 248.


22 Zeller, (1865a), 248.
23 Vgl. Zeller, (1865a), 255.
24 Zeller, (1865a), 256.
25 Zeller, (1865a), 257.
Zellers Sicht des Urchristentums 129

schichtliches Princip, dessen Wesen daher auch nur aus dem Ganzen
seiner geschichtlichen Erscheinung erkannt werden kann“.26
Solche Einsicht gäbe dann aber nicht zuletzt auch der zeitgenössi-
schen Theologie die Freiheit, sich von traditionellen Glaubensvorstel-
lungen (wie der Erwartung der Wiederkunft Christi oder der leiblichen
Auferstehung) zu lösen. An die Stelle der religionspsychologischen
Dekonstruktion des Dogmas tritt die historische.27

III. Die Apostelgeschichte nach ihrem Inhalt und Ursprung kritisch


untersucht (1854)

Zellers exegetisches Hauptwerk – und überhaupt die einzige exegeti-


sche Monographie, die er hinterlassen hat –, ist die umfassende Un-
tersuchung zur Apostelgeschichte, deren Vorwort die Unterschrift
„Marburg, 27. Juli 1854“ trägt,28 also zu einem Zeitpunkt herausgege-
ben wurde, als ihr Autor längst von der theologischen zur philosophi-
schen Fakultät übergewechselt war. Die Darstellung fasst freilich z. T.
viel ältere und schon zuvor veröffentlichte Untersuchungen zum
Thema zusammen, verbindet und vertieft sie. Auf über 500 Seiten
widmet sich der Autor darin einer eingehenden Untersuchung dieses
Werkes, das ausweislich der Prologe mit dem dritten Evangelium zu-
sammengehört und der kirchlichen Tradition und den (sekundären)
Überschriften nach vom Paulus-Begleiter Lukas stammen soll. Dass
diese Zuschreibung ursprünglich sei, nimmt Zeller an; aufgrund seiner
Spätdatierung beider Werke hält er die tatsächliche lukanische Verfas-
serschaft jedoch für ausgeschlossen. Beide Werke sind also pseudepi-
graphisch.29
Die Untersuchung ist ganz literaturgeschichtlich angelegt und in
drei Hauptteile gegliedert: Zunächst (6 – 75) widmet sich der Verfasser
den externen Zeugnissen (d. h. der Frage nach der Benutzung durch
andere Schriftsteller – die Beachtung der handschriftlichen Bezeugung,

26 Zeller (1865a), 265.


27 Vgl. dazu die Bemerkungen Zellers zum Verhältnis von Baur zu Schleierma-
cher, in: Zeller (1865d), 394.
28 Zeller (1854a). Das nicht mehr nachgedruckte Werk ist im Internet leicht
zugänglich.
29 Dem antiken Phänomen der Pseudepigraphie widmet Zeller eine kostbare
Anmerkung; ders. (1854a), 461. Vgl. auch die Überlegungen bei Zeller
(1865b), 307 – 312.
130 Hermut Löhr

welche der neutestamentlichen Wissenschaft im 20. Jahrhundert zu


genaueren und früheren Datierungen der Quellen geholfen hat, bleibt
dagegen, wie bei Zeller üblich, ganz ausgespart). Die Analyse kommt zu
einem terminus ante quem von 170 n. Chr. Der zweite Teil (76 – 315)
bietet dann, in Form eines Durchgangs durch den Text, eine kritische
Untersuchung des Quellenwerts der Apostelgeschichte. Schon die
Gliederung dieses Textdurchganges (76 – 145: „Die Urapostel und die
Gemeinde zu Jerusalem“; 146 – 190: „Die Vorläufer des Paulus“; 191 –
315: „Paulus“) macht deutlich, worin Zeller den Schwerpunkt des
Gesamtwerkes und seine Intention vermutet. Die gebotenen Einzel-
untersuchungen, z. T. mit langen und informativen Fußnoten versehen
sowie seitenlange Darstellungen der Wort- und Phrasenstatistik ent-
haltend, zeigen Zeller als einen gewissenhaft beobachtenden Leser sei-
ner Quelle. Sie legen das Fundament für die Auswertung, die ab-
schließend geboten wird:30
Die Apostelgeschichte ist nicht die erste christliche Kirchenge-
schichte, für die sie oft zuversichtlich gehalten wurde. Sie ist vielmehr
eine Tendenzschrift aus der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts, noch
vor der gnostischen Krise des frühen Christentums, welche in paulini-
scher Tradition steht und das paulinische Programm einer gesetzesfreien
Heidenmission gegenüber judenchristlichen Strömungen des frühen
Christentums verteidigen will. Doch ist sie nicht nur eine nach außen,
d. h. an die Judenchristen, gerichtete Apologie der paulinischen Partei
des Urchristentums, sondern auch eine nach innen gerichtete Darstel-
lung in konziliatorischer Absicht: Wichtige Positionen des echten
Paulinismus werden in der Apostelgeschichte geräumt, um das pauli-
nische Heidenchristentum für das Judenchristentum akzeptabel zu ma-
chen. Paulus ist als „treuer Anhänger des Judenthums“ (308) gezeichnet.
Gegenüber dieser Tendenz tritt das eigentlich theologische Interesse
der Apg an Paulus ganz zurück; seine Gesetzeskritik oder seine
Rechtfertigungslehre etwa kommen nicht vor.
Dass bei solcher Sicht der Dinge weder für die Theologie der
Apostelgeschichte genügend Raum bleibt – etwa an dem „Kerygma“
des Werkes, an der Herausarbeitung und Systematisierung theologischer
Grundgedanken ist Zeller nicht interessiert –, noch für ihren Ge-
schichtswert, versteht sich. Wohl erkennt der Exeget einzelnes Histo-
risches an, einzelne Episoden, besonders die wichtige Rolle, die dem

30 Vgl. Zeller (1854a), 297 – 315: „Die Lehre und der öffentliche Charakter des
Paulus nach der Darstellung der Apostelgeschichte“.
Zellers Sicht des Urchristentums 131

ersten Märtyrer Stephanus für die Entwicklung des Christentums über


die Grenzen des Judentums hinaus zukommt. Im Ganzen überwiegt
aber die sehr kritische Beurteilung ihrer historischen Zuverlässigkeit.
Ein getreues Bild der Verhältnisse des entstehenden Christentums ist
also nicht zu gewinnen.
In einem letzten Teil (316 – 524) wird schließlich die Frage nach den
Quellen der Apostelgeschichte erörtert, auch hier übrigens vorzugs-
weise mit Hilfe der „Tendenzkritik“, während im engeren Sinne lite-
rarkritische Überlegungen zuletzt eher heuristischen Wert besitzen.
Solche Quellenschriften werden noch anerkannt (hier ist letztlich noch
der Einfluss der Untersuchungen Schleiermachers zu bemerken),31 doch
retten sie den Geschichtswert nicht: Denn der Autor – wir würden
vielleicht in dieser Hinsicht vom „Redaktor“ sprechen – überarbeitet
seine Quellen stark, um sie seinen Absichten dienstbar zu machen.
Während sich das Vorgehen Zellers neben philologischen und
wortstatistischen Untersuchungen auf allgemeine Überlegungen zu
historischen Plausibilitäten sowie, was Paulus angeht, auf den Vergleich
insbesondere mit dem Galaterbrief stützt (die Selbstdarstellung des
Apostels wird durchgehend als zuverlässiger anerkannt),32 ist das hinter
den Rekonstruktionen Zellers stehende Geschichtsbild nicht weniger
deutlich: Es ist die von seinem theologisch-exegetischen Lehrer Baur
übernommene Sicht des Urchristentums, dessen Entwicklung durch
den Gegensatz zwischen Juden- und Heidenchristentum bestimmt ge-
wesen sei. Dieser Gegensatz sei, so der Autor, in der Apostelgeschichte
bereits zurückgetreten; die geschichtliche Versöhnung beider ist in
diesem Werk als bewusste Arbeit eines frühchristlichen Verfassers zu
greifen, eine Einsicht, die sich ebenfalls schon bei Baur findet.33
Die entscheidende Pointe, und damit der Schritt über die Skizze des
Urchristentums hinaus, ist damit freilich noch nicht erreicht. Denn was
zunächst wie ein recht scharfsinniger Beitrag zu den klassischen Ein-
leitungsfragen neutestamentlicher Schriften aussieht: die Frage nach
dem Ort von Verfasser und Adressaten der Apostelgeschichte, erweist
sich bei genauerer Betrachtung als der entscheidende historische Ge-
winn zum Verstehen des Werkes insgesamt. Indem Zeller den Nach-

31 Vgl. Schleiermacher (1845), 344 – 367.


32 Die Widersprüche zwischen Gal 2 und Apg 15 waren schon dem Studenten der
Theologie gegenüber seinem Lehrer Baur aufgefallen, vgl. Diels (1911), 472;
Barnikol (1961), 288.310 f.
33 Vgl. Baur (1838), 123.141 – 143.
132 Hermut Löhr

weis zu führen versucht, dass die Darstellung speziell auf die römische
Gemeinde zielt, Paulus als den Gründer derselben herauszustellen sucht
und überhaupt seinen Übergang zum Heidenapostolat erst mit der rö-
mischen Gemeindegründung als vollzogen wissen will, entsteht ein
Bild, dass die Versöhnung zwischen Juden- und Heidenchristentum als
Anliegen römischen Christentums des 2. Jahrhunderts zu verstehen gibt,
eines Christentums also, welches die abendländische Tradition geprägt
hat. Die Tendenzkritik kann so die Einsichten in die geschichtliche
Entwicklung insgesamt bestätigen.

IV. Die Philosophie der Griechen und das Christentum:


Essenismus, Philo – und Paulus?

In der Philosophie der Griechen kommt das Christentum bekanntlich nicht


vor. Dies ist, wir betonten es bereits, kein Beleg für eine grundsätzliche
Abwendung von Quellen und Themen, die theologisch als besonders
interessant galten. Es ist dies vielmehr Ausdruck der Selbstbeschränkung
des Zellerschen Projekts, das eben die pagan-antike Philosophie dar-
stellen sollte, und nicht mehr; eine „Geschichte der christlichen Wis-
senschaft“34 ist ein anderes Thema. Und so klafft dort, wo das entste-
hende Christentum, und zumindest ein Denker wie Paulus, vielleicht
seinen Platz gehabt hätte, eine merkliche Lücke: Von der ausführlichen
Würdigung Philos von Alexandrien (385 – 467) geht Zeller unmittelbar
zum Neuplatonismus, dem Zielpunkt der ganzen Darstellung, über. Die
so bezeichnete Lücke tritt darum so deutlich hervor, weil die Darstel-
lung ja insgesamt nicht einfach chronologisch fortschreitend angelegt ist.
Unter der Überschrift „Die Vorläufer des Neuplatonismus“ folgt die
Darstellung Philos nämlich auf diejenige der Neupythagoräer und
„pythagorisierenden Platoniker“ (hier bezieht Zeller sogar das herme-
tische Schrifttum mit ein, das nach seiner eigenen Ansicht in das 3. Jh.
n. Chr. gehört) 35 sowie der „platonisierenden Stoiker“ (Posidonius,
Seneca, Epiktet, Marc Aurel) innerhalb einer Darstellung der „jüdisch-
griechischen Philosophie“. Deren erster Teil – „Die alexandrinische
Philosophie vor Philo“ – bespricht neben den Fragmenten der jüdisch-
hellenistischen Literatur aus der Zeit des Zweiten Tempels auch die
Übersetzung der hebräischen Bibel ins Griechische, die Septuaginta,

34 Vgl. Zeller (2006), 92.


35 Vgl. Zeller (2006), 244.
Zellers Sicht des Urchristentums 133

und eine in römisch-katholischer Tradition als „deuterokanonisch“


angesehene Schrift wie die Weisheit Salomos (Sapientia). Es ist also, das
wird durch diese Disposition deutlich, nicht die Scheu vor religiöser
Literatur überhaupt, die Zeller bestimmt.
Daran schließt sich eine sehr breite Darstellung des Buches Koheleth
(Prediger Salomos) sowie besonders der Essener (bzw. „Essäer“) an, die
für Zeller die eigentliche und direkte Brücke zwischen christlicher und
griechisch-philosophischer Tradition schlagen. Denn so wie das zuvor
dargestellte hellenistische Judentum, zumal Alexandrias, die Verbindung
hebräischen und griechischen Denkens in der Diaspora repräsentiert, so
sind die Essener die Zeugen einer entsprechenden, freilich ganz anders
ausgeformten Synthese im Land Israel. Denn, wie Zeller ausführlich und
in Auseinandersetzung mit abweichenden Forschungsmeinungen etwa
Adolf Hilgenfelds oder Paul Ernest Lucius’ zu zeigen versucht: Der
eigentliche Wurzelgrund der essenischen Tradition liegt nicht im Ju-
dentum selbst, sondern im Griechentum, genauer in der neupytha-
goräischen Bewegung und orphischen Einflüssen.36 Uns Heutigen ist
diese Herleitung nicht mehr möglich, zum einen, weil wir insbesondere
das Vertrauen in den Bericht des Flavius Josephus nicht mehr teilen, das
Zeller hatte, und natürlich auch deshalb, weil wir durch die Textfunde
vom Toten Meer ganz andere und originale Einblicke in die Gedan-
kenwelt und die Lebenspraxis einer bestimmten Gruppe von Essenern
gewonnen haben. Doch wird man ja einerseits sagen müssen, dass das
mit den Essener-Berichten gegebene religionsgeschichtliche Problem
auch durch die Qumran-Texte noch keineswegs befriedigend gelöst
und jedenfalls hellenistischer Einfluss auf diese Texte keineswegs aus-
zuschließen ist.37 Und zum anderen hat Zeller darin gewiss recht, dass
die Darstellung der Essener durch Josephus, auf die er sich wesentlich
stützt, nicht einfach als interpretatio Graeca einer jüdischen Glaubens-
richtung ohne Berührung mit dem Hellenismus abzutun ist. Flavius
Josephus selbst muss jedenfalls an die Konvergenz jüdischen und grie-
chischen Hoffens und Handelns geglaubt haben.

36 Noch die Darstellung der Gütergemeinschaft der ersten Christen nach Apg
2,42 – 47 soll auf neupythagoräische Vorbilder zurückweisen; vgl. Zeller
(1854a), 503 f.; vgl. ferner ders. (1856), 401 – 433; ders. (1899) = ders. (1911a).
Aufnahme und Ablehnung der Thesen Zellers finden sich prominent ausge-
arbeitet bei Bousset (1903), 434 – 436 mit Anm.
37 Vgl. z. B. Hengel (1996), 258 – 294.
134 Hermut Löhr

Die systematische und in den Fußnoten reich dokumentierte Dar-


stellung der Gedankenwelt Philos, seiner Öffnung zur griechischen
Religiosität und Philosophie insbesondere „platonisch-pythagorä-
ischer“38 Prägung, stellt den Höhepunkt des Kapitels dar. Bei Philo wird
das zuvor Angelegte zum Abschluss geführt, er ist der Hauptvertreter
des jüdischen Alexandrinismus, der, so dürfen wir ergänzen, dem
christlichen Alexandrinismus vorarbeitet. Freilich:
Je grösser aber hiernach die Anerkennung war, welche Philo dem Grie-
chenthum zollte, und der Einfluss, den er selbst von ihm erfuhr, um so
begieriger musste er auch die Hülfsmittel ergreifen, mit denen griechisch
gebildeten Juden den inneren Widerspruch ihres Standpunkts sich selbst zu
verbergen schon längst gewusst hatten. Diese Hülfsmittel waren: einerseits
die Voraussetzung, dass die griechische Weisheit selbst aus der jüdischen
Offenbarung geflossen sei, andererseits die allegorische Umdeutung der
biblischen Aussprüche.39
Die Aufhebung des Gegensatzes von Judentum und Griechentum ist bei
Philo also noch nicht erreicht. Doch ist er in seinem Hinausgehen über
Platoniker und Pythagoräer für Zeller schon Vorbild der Neuplatoniker.
Gehen wir zu weit, wenn wir in der Beschreibung des Essenismus
im Lande Israel einerseits, des jüdischen Denkens in der Diaspora
Alexandriens andererseits, die Konstellation Jesus-Paulus angedeutet
finden? Immerhin hat Zeller die Nähe Philos zu Paulus hinsichtlich
Anthropologie und Ethik selbst gelegentlich erwähnt;40 und die Aus-
führungen zu Philos Vorstellungen von der Sinnlichkeit und allgemei-
nen Sündhaftigkeit sowie zur Ethik41 erinnern an Zellers oben genannte
Darstellung paulinischer Gedanken.

V. Fazit

Eduard Zellers Sicht auf das Urchristentum wurde während seiner


theologischen Lehrjahre, seinem Austausch mit Ferdinand Christian
Baur und David Friedrich Strauß, geprägt. Vielleicht darf man in ihm in
dieser Hinsicht den treuesten Schüler Baurs sehen. Doch verstellte ihm
seine Auffassung der Geschichte des Christentums, seine Suche nach

38 Zeller (2006), 387.


39 Zeller, ebd., 393.
40 Vgl. Zeller (1854b), 295 – 317: 301 (Anm. 1 auf S. 302).
41 Vgl. Zeller (2006), 447 – 455.
Zellers Sicht des Urchristentums 135

dem Wesen des Christentums in der historischen Erstreckung und


Entwicklung, nicht den Blick auf die Befunde der Quellen.
Das Geschichtsschema vermittelt Entdeckungszusammenhänge, es
verhindert nicht Entdeckungen. Seine Auffassung, dass Judentum und
Griechentum historisch keine einander ausschließenden Antagonismen
darstellen, bleibt gültig, auch wenn er z. B. die historische Bedeutung
der makkabäischen Krise im 2. Jahrhundert v. Chr. weit unterschätzt
hat. Seine wissenschaftliche Haltung, die eine durchaus auch für die
zeitgenössische Religionspraxis relevante Theologie und Philosophie
zusammenzudenken vermochte, ist anrührend; sie hat leider zu wenig
Nachahmer gefunden. Den geistigen Vatermord hatte Zeller nicht
nötig. Sein im schon zitierten Vorwort von Baurs „Abhandlungen“
skizziertes Programm ist noch unerfüllt.
Vertiefender und präzisierender Epigone auf dem einen Gebiet,
epochaler Meister auf dem anderen – nur so und bestenfalls, wie es
Eduard Zeller in seinem wissenschaftlichen Werk dargestellt hat, ist
Interdisziplinarität von einem allein wohl zu leisten.

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Eduard Zeller und der Neuplatonismus
Christoph Horn

Eduard Zellers Hauptwerk Die Philosophie der Griechen in ihrer geschicht-


lichen Entwicklung (Erstauflage 1844 – 1852) ist allein schon deswegen ein
bemerkenswertes Stück Philosophiehistorie, weil es fast im Vergleich zu
den Konkurrenzwerken des 19. Jahrhunderts weitgehend sachorientiert
bleibt und fast überall faktenbasiert argumentiert. Der Autor verhält sich
in seinen Einschätzungen zumeist defensiv, oft auch skeptisch, und gibt,
wo immer es um kontroverse Interpretationsfragen geht, vernünftig-
zurückhaltenden Lesarten den Vorzug gegenüber reduktionistischen
(z. B. sozialgeschichtlichen oder ideologiekritischen) Deutungen und
umgekehrt ebenso gegenüber spekulativen und exzentrischen Inter-
pretationen.1 Besonders positiv fällt dies im Bereich der Vorsokratiker-
Deutung auf sowie im Feld der Platon- und Aristoteles-Forschung, wo
Zellers Interpretationen im Vergleich zu den ambitionierten Deutun-
gen, die in den Jahren zwischen 1850 und 1950 in Deutschland ver-
treten worden sind, auf uns wohltuend unaufgeregt wirken. Ein anderes
Feld, auf dem sich Zellers Sachlichkeit vielleicht noch vernünftiger
ausnimmt, ist das der Bewertung des Neuplatonismus; denn bei diesem
Thema handelt es sich ebenfalls um ein heißes Eisen der älteren
deutschsprachigen Philosophiegeschichtsschreibung.2

1 Eine der seltenen Ausnahmen stellt Zellers Äußerung dar, Proklos habe ein
Weltbild entworfen, „welches mit seiner himmlischen Hierarchie ein würdiges
Gegenstück zu der Beamtenhierarchie des byzantinischen Staatswesens bildet“
(851). Weder der lockere Vergleich noch der Anflug von Ironie sind für Zeller
typisch.
2 Irritierend wirkt allerdings, dass Zeller die christlichen Kirchenväter zur Gänze
auslässt, obwohl deren enge Verbindungen mit dem Neuplatonismus auch für
ihn evident waren; auf diese Weise gibt es bei ihm keine philosophiehistori-
schen Rekonstruktionen zu Clemens von Alexandrien, Origenes, Marius
Victorinus oder Augustinus. Zwar behandelt Zeller Boethius; aber dieser ist
zumindest in der Consolatio nicht als Christ identifizierbar. Zellers Erfahrungen
mit der rigiden Kirchenpolitik seiner Zeit motivierten ihn offenbar, christliche
Autoren auszusparen.
138 Christoph Horn

Im Folgenden behandle ich zunächst Zellers allgemeine Position zur


philosophiehistorischen Stellung des Neuplatonismus (I.), ehe ich mich
einer Reihe von Einzelaspekten seiner Interpretation zuwende (II.).

I. Die philosophiehistorische Stellung des Neuplatonismus

Zeller warnt sowohl vor einer Abwertung als auch vor einer Über-
schätzung des Neuplatonismus, wenn er schreibt:
Mochte auch die herkömmliche Geringschätzung der neuplatonischen
Philosophie und ihrer geschichtlichen Bedeutung, das oberflächliche Ge-
rede über den „alexandrinischen Eklektizismus“, die sichtbare Ungunst,
mit der auch noch Ritter die Neuplatoniker behandelt, das entgegenge-
setzte Extrem einer einseitigen Bewunderung gewissermaßen herausfor-
dern, so wird doch damit nicht allein der Werth der neuplatonischen
Wissenschaft überschätzt, sondern auch ihre geschichtliche Eigenthüm-
lichkeit verkannt.3
Der Neuplatonismus hat gerade unter deutschen Philosophiehistorikern
des 18., 19., und 20. Jahrhunderts äußerst unterschiedliche Interpreta-
tionen und Bewertungen erfahren. In der Linie der Philosophiege-
schichten von Jakob Brucker, Dietrich Tiedemann und Wilhelm
Gottlieb Tennemann gab es ganze Historikergenerationen, für die der
Neuplatonismus mit dem Odium des Nachklassischen, Epigonalen,
Orientalischen, des religiösen Enthusiasmus und des sterilen Kom-
mentierens behaftet war. Typische Vorwürfe, die im 19. Jahrhundert
gegen den Neuplatonismus vorgebracht wurden, lauteten, es handle sich
um eine „Schwärmerei“ (d. h. um eine dem religiösen Gefühl ent-
stammende, pseudo-rationale und nicht-argumentative Philosophie),
sodann der Vorwurf, Neuplatonismus sei ein kulturfremdes, nicht
griechisches, sondern orientalisches Phänomen, und schließlich, der
Neuplatonismus stelle einen fragwürdigen Pantheismus dar. Zellers
Anspielung auf den „alexandrinischen Eklektizismus“ richtet sich spe-
ziell gegen Brucker, und unter den Zeitgenossen waren es Zeller zu-
folge Heinrich Ritter und Carl v. Prantl, die dem Neuplatonismus eine
wenig reflektierte Verachtung entgegenbrachten.
Was die Kontroverse um den philosophischen Wert des Neupla-
tonismus im 19. Jh. zusätzlich anheizte, war der Streit um die ange-
messene Lesart Platons. Die Zurückweisung einer neuplatonischen

3 Zeller (2006), Bd. III. Teil 2, 472 f.


Eduard Zeller und der Neuplatonismus 139

Lesart Platons wurde insbesondere durch Schleiermachers Einleitung in


seine Platon-Übersetzung (1804) heraufbeschworen, auch wenn E. N.
Tigerstedt (1974) damit recht haben dürfte, dass die neuplatonische
Platon-Lesart bereits wesentlich früher (nämlich schon bei Johannes
Serranus) attackiert worden ist; wirkungsmächtig, zumal in Deutsch-
land, war aber erst Schleiermacher. Im 20. Jahrhundert finden sich
scharfe Ablehnungen des Neuplatonismus beispielsweise bei Franz
Brentano, bei Heidegger und bei dessen Schüler Walter Bröcker.
Bröcker (1966) attackierte Plotin, indem er ihm vorwarf, einen „Pla-
tonismus ohne Sokrates“ entwickelt zu haben; Plotin habe das sokra-
tische Nichtwissen zugunsten einer vagen metaphysischen Alleswisserei
oder Besserwisserei preisgegeben. Dabei identifiziert Bröcker die Figur
des Sokrates mit jener Art von Wissenskritik, die statt einer skeptischen
Destruktion eine kritisch-konstruktive Erkenntnissicherung zum Ziel
hat; diese Intention des Sokrates soll jedoch mit dem metaphysischen
Systemanspruch der Neuplatoniker unvereinbar sein.
Wie Zeller herausstellt, konnte man als Verteidiger des Neuplato-
nismus leicht auf die entgegengesetzte Zuspitzung verfallen, dieser habe
alle Wahrheitsmomente und Teilaspekte der griechischen Philosophie
in einer umfassenden Synthese zusammengefasst und auf die eine
Wahrheit Platons bezogen. Es waren – neben der vorübergehenden
Begeisterung Goethes für Plotin – besonders Schelling und Hegel, die
die spekulative Tiefgründigkeit des Neuplatonismus hervorhoben und
den Versuch rühmten, die ältere Philosophiegeschichte und das gesamte
Wissen ihrer Epoche zu einem umfassenden systematischen Ganzen zu
verbunden zu haben.4 Diese Sicht der Neuplatoniker weist Zeller
ebenso zurück wie ihre Geringschätzung; er kommentiert sie wie folgt:
Der Neuplatonismus bildet allerdings den geschichtlichen Schlusspunkt der
griechischen Philosophie, er hat alle Schulen, die er vorfand, aufgezehrt, er
hat die ganze hellenische Wissenschaft seiner Zeit, die er vorfand, zu-
sammengefasst; aber diese Stellung beruht nicht darauf, dass er die Prin-
cipien aller früheren Philosophen in einem höheren Princip aufhob, alle
ihre Systeme in einem umfassenderen System vereinigte, sondern nur
darauf, dass er sie alle im Sinn seiner Zeit benützt, den Bedürfnissen und
Anschauungen dieser Zeit anbequemt hat.
Gegen die abschätzige Behandlung der Neuplatoniker in den Philoso-
phiegeschichten von Brucker, Tiedemann und Tennemann hatte sich

4 Zur Deutung des Platonismus in der Philosophie des Deutschen Idealismus vgl.
bes. Beierwaltes (2004) und Mojsisch und Summerell (2003).
140 Christoph Horn

Hegel gewandt, auf den Zeller hier augenscheinlich anspielt. Besonders


in seinen Vorlesungen ðber die Geschichte der Philosophie schenkte er den
Neuplatonikern breite Aufmerksamkeit und gestand ihnen einen be-
achtlichen systematischen Rang zu. Dabei verfuhr er allerdings in ge-
wohnter Weise: nämlich brachial, rigide, ironiefrei und sämtliche De-
tails und feineren Linien ignorierend. Zeller stellt daher mit Recht
heraus, dass Hegel im Grunde nicht weniger deutlich danebenliegt als
die erwähnten Anti-Neuplatoniker. Durch die beiden genannten Par-
teien – durch die Verächter des Neuplatonismus ebenso wie durch
Hegel – ist eine unglückliche und unnötige Frontlinie für die gesamte
weitere Diskussion eröffnet worden: Entweder sah man im Neuplato-
nismus eine religionsähnlich-dogmatische Form von Pseudo-Philoso-
phie oder aber eine spekulative Vollendungsgestalt der abendländischen
Metaphysik – was beides natürlich Unsinn ist. Zeller fährt an derselben
Stelle fort, indem er begründet, warum er Hegels Sichtweise für verfehlt
hält:
Die Neuplatoniker selbst stellen sich gar nicht die Aufgabe, deren Lösung
man ihnen zuschreibt. Sie suchen wohl etwa zu zeigen, dass Aristoteles,
Pythagoras, Parmenides, Empedokles und andere alte Philosophen mit
Plato übereinstimmen, aber nicht in dem Sinn, als ob jeder von diesen nur
ein einseitiges Princip hätte, das erst der Ergänzung durch andere, der
Fortbildung zu einem höheren Princip bedürfte, sondern in dem entge-
gengesetzten, dass sie alle dieselbe wahre Philosophie haben und nur im
Ausdruck voneinander abweichen. Sofern aber diese Voraussetzung nicht
ausreicht, gilt das platonische System durchaus als die Norm, an welcher die
Wahrheit aller andern gemessen wird.
Die Neuplatoniker besaßen nach Zeller keinerlei dialektisches Ver-
ständnis der Philosophiegeschichte. Sie betrachteten die älteren Autoren
nicht als Einzelstimmen in einem polyphonen Chor, in dem jeder einen
wertvollen Teil zum Ganzen beiträgt. Vielmehr reduzierten sie alle
Positionen auf einen dogmatischen Bezugspunkt, den sie aus Platon
herleiteten. Immerhin wird man Hegel bescheinigen können, dass er
keineswegs die neuplatonische Interpretation Platons gutgeheißen hat;
für Hegels Bild des Neuplatonismus ist es eher charakteristisch, dass die
Neuplatoniker – innerhalb einer aus drei Schritten bestehenden histo-
rischen Abfolge – den Punkt markieren, an dem sich die Vernunft zu
einer vollständigen Negation der äußeren Welt genötigt sieht. Laut
Hegel liegt der Eigenbeitrag der Neuplatoniker nicht in einer Er-
neuerung Platons (der ihnen nach Hegel in Wahrheit fremd bleibt),
sondern in dem aus seiner Perspektive besonders wertvollen Motiv eines
Eduard Zeller und der Neuplatonismus 141

kompletten Rückzugs des Individuums vom Körperlichen zum Ver-


nünftigen. Hegel deutet Plotins Rolle in der Philosophiegeschichte wie
folgt:
Gleich dies hat dem Plotin den Vorwurf der Schwärmerei zugezogen, wie
er das Verhältnis des einzelnen Bewusstseins zur Erkenntnis des absoluten
Wesens bestimmt oder beschreibt: dass die Seele, die sich von dem Kör-
perlichen zurückziehe und alle Vorstellungen verliere außer der Vorstel-
lung des reinen Wesens, sich der Gottheit nähere. Das Prinzip der Ploti-
nischen Philosophie ist die Vernunft, die in und für sich selbst ist. […] Es ist
also ruhiges Verhalten ohne Aufwallung des Blutes, der Einbildungskraft.
Und Ekstase ist ja nicht bloß Entzückung der Empfindung und Phantasie,
sondern vielmehr ein Heraustreten aus dem Inhalt des sinnlichen Be-
wusstseins; es ist reines Denken, das bei sich selbst ist, sich zum Gegenstand
hat.5
Nach Hegel ist Plotin keineswegs ein Schwärmer; vielmehr bezeichnet
die plotinische Position einen notwendigen Schritt innerhalb der phi-
losophiehistorischen Entwicklung: nämlich eine – vielleicht irgendwie
einseitige, aber doch genuin philosophische – Betonung des Ver-
nunftprinzips.6 Ganz zum Schluss seiner Ausführungen über die Rolle,
welche die Neuplatoniker in der Philosophiegeschichte spielen, fügt
Hegel in seinen Vorlesungen noch eine Reflexion an, mit der er be-
kräftigen will, dass Philosophiegeschichte so etwas wie ein über-indi-
vidueller Prozess ist, der dem beliebigen Für-wahr-halten von Indivi-
duen entzogen sei. Hegel schreibt:
Dies (sc. die Entwicklung der antiken Philosophie, die im Neuplatonismus
ihren Abschluss findet: Anmerkung C.H.) ist nicht so ein Einfall der Phi-
losophie, sondern ein Ruck des Menschengeistes, der Welt, des Welt-
geistes. Die Offenbarung Gottes ist nicht als ihm von einem Fremden
geschehen. Was wir so trocken, abstrakt hier betrachten, ist konkret.
Solches Zeug, die Abstraktionen, die wir betrachten, wenn wir so in un-
serem Kabinett die Philosophen sich zanken und streiten lassen und es so
oder so ausmachen, sind nicht Wort-Abstraktionen. – Nein! Nein! Es sind
Taten des Weltgeistes, meine Herren, und darum des Schicksals.7

5 Hegel (1971), 19, 442 f.


6 Eine ausführliche Darstellung von Hegels Deutung der geschichtlichen Stellung
des Neuplatonismus bietet Halfwassen (1999), Kap. 2. Auf dieser Basis wird
man urteilen können: Hegel hebt zum einen die nous-Konzeption zu stark
hervor und missachtet die Henologie; zum anderen moniert er ein fehlendes
Bewusstsein für Geschichtlichkeit, was selbst ein unhistorischer Vorwurf ist.
7 Hegel (1971), 19, 488 f.
142 Christoph Horn

Natürlich sind dies eher abenteuerliche Bekräftigungen als ein seriöser


philosophiehistorischer Standpunkt. Umso deutlicher wird im Kontrast
dazu die Leistung der Historikergeneration von Eduard Zeller, Christian
August Brandis, Albert Schwegler oder Friedrich Ueberweg, unter
denen Zeller nochmals für seine besondere Gründlichkeit zu rühmen
ist. Wie bereits eingangs gesagt, handelt es sich bei Eduard Zellers
ca. 450 Seiten starker Darstellung des Neuplatonismus innerhalb seines
Werks Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung um
die sorgfältigste und adäquateste Auseinandersetzung mit dem Phäno-
men im 19. Jahrhundert und sogar bis hin zu Karl Praechter – zumindest
in deutscher Sprache. Zwar finden sich um Objektivität bemühte Re-
konstruktionen etwa auch bei Friedrich Ueberweg sowie bei dessen
Nachfolger Max Heinze, doch handelt es sich dabei um vergleichsweise
knappe, abrissartige Überblicksdarstellungen. Bedenkt man, dass Zeller
kaum auf Forschungsliteratur zurückgreifen konnte,8 sondern sich im
Wesentlichen direkt mit den Quellen auseinandergesetzt hat, die
überdies meist unzulänglich ediert vorlagen, so muss man mit Respekt
anerkennen, dass er zu einem äußerst differenzierten und vielfach sehr
treffenden Bild des Neuplatonismus gelangte.9
Angesichts des pointierten Kontrasts, der zwischen den philoso-
phiehistorischen Deutungsmustern bei Hegel und Zeller besteht, muss
man sich klarmachen, wie stark Eduard Zellers früheste Konzeption von
Philosophiegeschichte noch von Hegel geprägt war. Hegels Einfluss ist
besonders gut greifbar in dem 1843 erschienenen Aufsatz Die Geschichte
der alten Philosophie in den letztverflossenen fðnfzig Jahren; in diesem Text
betrachtet Zeller die antike Philosophie als eine Art Jugendblüte der
okzidentalen Rationalität, also nach einem biographisch-teleologischen
Muster. Doch seine Einstellung zur Akzentuierung teleologischer Li-
nien in der Philosophiehistorie änderte sich im Verlauf seiner genaueren
Auseinandersetzung mit den antiken Textcorpora ganz markant. In
einem späten Aufsatz, nämlich in der programmatischen Abhandlung
Die Geschichte der Philosophie, ihre Ziele und Wege (1888), mit der Zeller
das von ihm selbst und seinem Schüler Ludwig Stein neu gegründete

8 Eine Ausnahme bildet hier Steinharts Artikel Platonische Philosophie (Neoplat.),


dessen sich Zeller ausgiebig bedient hat; dazu Beierwaltes (1989), 1190.
9 Kritischer fällt das Urteil von Beierwaltes (1989) aus. Beierwaltes weist darauf
hin, dass sich Zeller gar nicht philosophisch-spekulativ mit der neuplatonischen
Metaphysik befasst und darum ihre Bedeutung verkennt. Andererseits scheint
Zeller dies nicht als seine Aufgabe angesehen zu haben.
Eduard Zeller und der Neuplatonismus 143

Archiv fðr Geschichte der Philosophie eröffnet hat, bekennt er sich zu stark
positivistischen wissenschaftlichen Grundsätzen und weist die Bedeu-
tung Hegels für die Philosophiegeschichte nunmehr deutlich in die
Schranken:
Es ist Hegel’s bleibendes Verdienst, dass er nachdrücklicher, als irgend ein
anderer vor ihm, auf den gesetzmässigen Zusammenhang der geschichtli-
chen Erscheinungen hingewiesen und namentlich auch die Geschichte der
Philosophie aus diesem Gesichtspunkt behandelt hat; so verfehlt und ir-
reführend es auch war, wenn jener Zusammenhang als ein rein logischer
aufgefasst und der Grundsatz ausgesprochen wurde, die Aufeinanderfolge
der philosophischen Systeme sei die gleiche, wie die der logischen Kate-
gorieen, und sie lasse sich ebenso, wie diese, durch dialektische Con-
struction finden. Unsere heutige Geschichtsschreibung hat sich, auch so-
weit sie die Philosophie zu ihrem Gegenstand hat, von diesem Missver-
ständnis befreit. Sie weiss, dass nicht blos geschichtliche Erscheinungen sich
nicht construiren lassen, sondern dass auch der Zusammenhang derselben
nur ihnen selbst entnommen werden kann; dass wir daher das richtige Bild
einer geschichtlichen Entwicklung, auf welchem Gebiet es auch sei, nur
durch Untersuchung des thatsächlichen Causalzusammenhangs, nicht
durch ein teleologisches Postulat gewinnen können […].10
Es gibt Kausalität in der Philosophiegeschichte, und diese kann – so
gesteht Zeller dem Hegelschen Vorgehen zu – gesetzmäßig ausfallen.
Nur handelt es sich bei dieser gesetzesförmigen Abfolge nicht um eine
logisch-dialektisch konstruierbare Sequenz. Entsprechend lassen sich
keine teleologischen Schlüsse aus dieser Abfolge ziehen. In einer sach-
angemessenen Philosophiehistorie sind alle Methoden auszuschließen,
die fremde Perspektiven an das historische Material herantragen. Die
Deutungsprinzipien müssen vielmehr in einem Akt historischer Sensi-
tivität den zu behandelnden Positionen selbst entnommen sein.
Soweit Zellers später Anti-Hegelianismus, der nüchterne positivis-
tische Kausalanalysen an die Stelle einer spekulativen Geschichtskon-
struktion setzt. Auch in Bezug auf den Neuplatonismus widerspricht
Zeller der Einschätzung Hegels – wenn auch ohne direkte Namens-
nennung – ziemlich explizit, wenn er in seinem Hauptwerk schreibt:
Es ist also nicht ein neues, die unvollkommenen Principien der früheren
zur Totalität verknüpfendes System, das unsere Philosophen anstreben,
sondern nur eine Wiederherstellung des reinen Platonismus; sie wollen
Platoniker sein und heissen, sie sind überzeugt, dass im Platonismus alle
Wahrheit enthalten sei, welche die hellenische Philosophie, in ihren
edelsten Vertretern wesentlich übereinstimmend, entdeckt habe, und wo

10 Zeller (1888), 416 f.


144 Christoph Horn

ihnen eine wirkliche Abweichung von der platonischen Lehre vorzuliegen


scheint, da treten sie derselben mit aller Bestimmtheit entgegen. In der
Wirklichkeit sind sie freilich vom ursprünglichen Platonismus weit ent-
fernt; aber diese Abweichung besteht nicht darin, dass sie die Einseitig-
keiten des platonischen Standpunkts ergänzt und die Lehren aller ihrer
Vorgänger mit einander wissenschaftlich vermittelt haben, sondern nur
darin, dass sie sich in einer andern, im Vergleich mit Plato und Aristoteles
weit einseitigeren und wissenschaftlich weniger haltbaren Richtung be-
wegen.11
Zeller vertritt somit fünf Interpretationsthesen zum Neuplatonismus:
(i) Die Neuplatoniker verfügen nicht über einen inklusiven oder
komprehensiven Standpunkt, der von der Absicht bestimmt wäre, die
älteren Philosophen als Teilmomente der einen Wahrheit erscheinen zu
lassen. Sie verfügen nicht einmal über den Gedanken einer philoso-
phiehistorischen Einheit, die sich aus gegensätzlichen Wahrheitsmo-
menten zusammensetzen würde.
(ii) Die Neuplatoniker behaupten vielmehr einfach die grundsätz-
liche Übereinstimmung aller bedeutender Philosophen der Vergan-
genheit.
(iii) Wo sie gleichwohl noch Restbestände an Dissonanzen identi-
fizieren, kritisieren sie diese aus einer dogmatisierten platonischen
Perspektive.
(iv) Sie vereinseitigen die Leistungen ihrer Vorgänger.
(v) Sie stehen dem historischen Platon nicht eben nahe, sondern sind
von ihm im Grunde „weit entfernt“. Insbesondere bleiben sie hinter
dem philosophischen Niveau von Platon und Aristoteles deutlich zu-
rück.
Natürlich wäre hierzu vieles anzumerken. Ich denke, man muss den
Zellerschen Thesen (i)-(iii) besonders mit Blick auf Plotin recht geben.
Plotin treibt einen recht laxen Umgang mit seinen philosophischen
Quellen: Gewöhnlich zitiert er ältere Autoren, darunter auch Platon
und Aristoteles, einfach für bestimmte Formeln, und auch dies tut er
lediglich vage und aus dem Gedächtnis; dabei verfährt er tendenziell
rigoros und schematisch.12 Deswegen existieren bei Plotin kaum
doxographische Passagen, die einfach einem philosophiehistorischen
Interesse entspringen würden und die für uns einen hohen Quellenwert
besäßen. Vielmehr zieht er Quellen und fremde Positionen in der Regel
nur heran, um damit Licht auf seine eigenen Fragestellungen zu werfen.

11 Hegel (1971), III. 2,475.


12 Dazu genauer Szlezák (1979).
Eduard Zeller und der Neuplatonismus 145

Mit Recht hat beispielsweise Hermann Diels in seiner Sammlung der


Fragmente und Testimonien nur einen äußerst zurückhaltenden Ge-
brauch von plotinischen Zitaten oder Referaten gemacht. Teil der
verbreiteten Skepsis gegenüber der plotinischen Lektüre speziell der
Vorsokratiker ist auch, dass man meint, Autoren vor Platon könnten für
Plotin keine besondere Wichtigkeit erlangt haben; denn in der ploti-
nischen Sicht der Philosophiegeschichte gebührt bekanntlich Platon (bei
aller impliziten Präsenz aristotelischer und stoischer Motive) ein so
akzentuierter Vorrang, dass für die älteren Philosophen wenig Sympa-
thie übrig bleibt. Immerhin erhalten aber Parmenides, Heraklit und
Anaxagoras eine gewisse Bedeutung für Plotin, wenn auch hauptsäch-
lich für bestimmte Formeln, die er als Versatzstücke ins eigene Denken
integriert.13

II. Einzelaspekte der Deutung Zellers


Damit komme ich zu einigen Einzelproblemen, die für Zellers Deutung
der neuplatonischen Philosophie aussagekräftig sind. Zunächst ist es
interessant zu sehen, wie er sich mit der Frage von Tradition und In-
novation im Neuplatonismus auseinandersetzt. Handelt es sich beim
spätantiken Neuplatonismus um ein wesentlich traditionsbasiertes oder
um ein originelles Phänomen? Es liegt für Zeller auf der Hand, dass sich
der Neuplatonismus, wie wir ihn aus den Texten kennen, erheblich von
Platons philosophischer Position unterscheidet, aber auch deutlich vom
Mittelplatonismus, also den Autoren zwischen Antiochos von Askalon
und Numenios. Dabei sieht Zeller Philon von Alexandrien als eine
Ausnahme an; er schätzt ihn als echten Vorläufer Plotins ein. Die durch
Porphyrios für Longinos bezeugte Behauptung, Plotin habe Numenios
plagiiert, erklärt Zeller dagegen für abwegig. Die Differenzen zwischen
Numenios und Plotin reichten vielmehr tief. Zwei Anschlussfragen
widmet Zeller sodann eine breitere Aufmerksamkeit, zum einen der
Frage, ob der Neuplatonismus auf orientalische Wurzeln zurückgeht
oder aber ganz aus griechisch-philosophischen Denkmotiven zu erklä-
ren ist, und zum anderen, in welchem Sinn es sich beim Standpunkt der
Neuplatoniker um ein „Emanationsmodell“ handelt. Zur Frage eines
möglichen orientalischen Einflusses auf Plotins Denken meint Zeller:

13 Vgl. dafür neuerdings Stamatellos (2007).


146 Christoph Horn

Dass Plotin auch mit andern orientalischen Lehren bekannt war, ist mög-
lich, ob sie aber auf sein System erheblich eingewirkt haben, möchte ich
bezweifeln. Die Meinung, dass es einen wesentlich orientalischen Cha-
rakter trage, scheint jedenfalls unrichtig. Diese Meinung gründet sich weit
weniger auf geschichtliche Spuren eines Einflusses, welchen die Stifter der
neuplatonischen Lehre von Seiten orientalischer Spekulation erfahren
hätten, als auf die innere Aehnlichkeit der beiderseitigen Lehren. Allein
diese Aehnlichkeit scheint um vieles geringer, wenn wir beide in ihrer
vollen Bestimmtheit fassen, statt uns mit allgemeinen Vergleichspunkten
und unsichern Vorstellungen über orientalische Philosophie zu begnügen.
Man findet jene Verwandtschaft hauptsächlich in der Emanationslehre.
Aber strenggenommen ist der Neuplatonismus, wie wir finden werden, gar
kein Emanationssystem, da er nur eine dynamische Mittheilung der
Gottheit an’s Endliche behauptet, die substantielle dagegen grundsätzlich
ausschliesst.14
Die Möglichkeit eines orientalischen Einflusses auf Plotin erschien im
19. Jh. besonders mit Blick auf Porphyrios‘ Information glaubwürdig,
Plotin habe als junger Mann den Plan gefasst, Kaiser Gordian. III auf
seinem Feldzug nach Osten zu begleiten, um die „bei den Persern und
Indern gebräuchliche und angesehene Philosophie kennen zu lernen“.15
Aber der Feldzug schlug fehl, und Porphyrios weiß abgesehen von
Plotins Absicht nichts von einem tatsächlichen Kontakt mit persischer
oder indischer Philosophie zu berichten. Insbesondere aber enthalten
die plotinischen Traktate nichts, was sich nicht aus der griechischen
philosophischen Tradition erklären ließe: aus platonischen, aristoteli-
schen, stoischen, skeptischen und weiteren Quellen. Zeller bemerkt
korrekt:
Wir finden so auf allen Punkten des neuplatonischen Systems die Spuren
seiner griechischen Abkunft; aber wie viel es auch von anderen entlehnt
hat, es hat das fremde in eigenthümlicher Weise verschmolzen und um-
gestaltet: es entnimmt allen seinen Vorgängern sein Material, aber sein
Princip und dessen systematische Ausführung gehört doch nur ihm selbst
an.16
Es handelt sich beim Begründer des Neuplatonismus um einen Philo-
sophen, der genuin griechische Motive der Tradition aufgreift, aber sie

14 Zeller (2006), Bd. 3. Teil 2, 486.


15 Vita Plotini 3.
16 Zeller (2006), Bd. 3. Teil 2, 498.
Eduard Zeller und der Neuplatonismus 147

zu einem neuartigen Ganzen umformt. Dies richtig gesehen zu haben,


ist ein erhebliches Verdienst Zellers.17
Auch in der Frage nach der „Emanation“, die im letzten Zitat ja
bereits anklingt, erweist sich Zeller als nüchterner Historiker mit einem
sorgfältigen Blick. Zeller meint zu diesem Problem:
Hieraus wird nun erhellen, mit welchem Recht Plotin’s System ein
Emanationssystem genannt wird. Nimmt man diesen Ausdruck im strengen
Sinn und versteht man unter Emanation eine solche Ausbreitung des Ab-
soluten in’s Endliche, wodurch jenes einen Theil seiner Substanz an dieses
mittheilt, so hat nicht allein unser Philosoph selbst dieser Vorstellung auf’s
bestimmteste widersprochen, sondern sie ist auch mit seinen ersten Vor-
aussetzungen unverträglich. Sein Urwesen ist so in sich beschlossen, dass es
schlechthin nicht aus sich herausgehen kann, und von allem anderen so
verschieden, dass es sich geradehin als das nichtmittheilbare bezeichnen
lässt. Die Emanationslehre in diesem Sinn liegt ihm daher ferne, wenn auch
manche seiner Vergleichungen streng genommen zu ihr hinführen wür-
den.18
Was Zeller hier formuliert, gilt ebenfalls seit langem als Standardauf-
fassung in der Plotin-Forschung: Trotz der in oberflächlichen Darstel-
lungen noch immer verbreiteten Rede von einem Emanationsmodell
kann man bei Plotin selbst keine Hinweise auf eine solche Konzeption
finden (einmal abgesehen davon, dass er gelegentlich die Metaphorik
des Überfließens verwendet, um die Derivation unterer Entitäten aus
höheren zu beschreiben). Der Übergang zwischen einer höher- und
einer tieferstehenden Realität geht nicht, auch das sieht Zeller richtig,
auf „einen Willens- oder Denkakt“ zurück und wird auch nicht durch
eine „logische Nothwendigkeit“ bewirkt. Der Begriff der Emanation
trifft also Plotins Derivationsmodell allenfalls in dem Sinn, dass es eine

17 In einer relevanten Hinsicht sieht Zeller Plotin aber doch als orientalisch be-
einflusst an: beim Thema der „mystischen Ekstase“. Zeller schreibt: „Dagegen
steht es mit der ganzen Richtung des klassischen Denkens im Widerspruch, und
es ist eine entschiedene Annäherung an die orientalische Geistesweise, wenn
Plotin nach dem Vorgang eines Philo das letzte Ziel der Philosophie nur in
einer solchen Anschauung des Göttlichen zu finden weiss, bei welcher alle
Bestimmtheit des Denkens und alle Klarheit des Selbstbewusstseins in mysti-
scher Ekstase verschwindet“ (Bd. 3 Teil 2, 666 f.).
18 Zeller (2006), Bd. 3. Teil 2, 560.
148 Christoph Horn

„Mittheilung der Kraft“ annimmt, aber gerade nicht eine „Mittheilung


des Wesens“.19
Es sind im Wesentlichen zwei Punkte, für die Zeller heftige Kritik
an Plotin übt: Plotins angeblich exzessiver Bildgebrauch und sein in
Zellers Augen verunglückter ontologischer Monismus. Zum Thema der
plotinischen Verwendung von Bildern und Metaphern findet sich bei
Zeller eine relativ harsche Polemik:
Dass freilich diese Bestimmung nicht ohne Schwierigkeit ist, erhellt schon
aus der Bildersprache, deren sich unser Philosoph gerade hier zu bedienen
pflegt. Dieses Bedürfnis des bildlichen Ausdrucks weist immer eine Un-
klarheit des Gedankens, es zeigt, dass der sprechende seine Idee eben nur in
und an dem Bilde, daher mehr oder weniger unbestimmt ergriffen hat, und
diess wird in neun Fällen unter zehen darin seinen Grund haben, dass die
Unbestimmtheit das einzige Mittel ist, einen Widerspruch zu verdecken.
Im vorliegenden Fall beruht dieser Widerspruch darauf, dass das Erste ei-
nerseits zwar die Ursache des Abgeleiteten, andererseits aber schlechthin in
sich beschlossen, und keiner Ergänzung bedürftig sein soll. […] Nament-
lich das Bild des Lichts hat hier diese Bedeutung. Wer so, wie Plotin, das
Licht für etwas unkörperliches erklärt, dem mag wohl auch die Anschau-
ung des Lichtprocesses als eine so angemessene Beschreibung eines meta-
physischen Vorgangs erscheinen, dass er sich bei dieser Anschauung statt
des Begriff begnügt.20
Plotins Gebrauch von Bildern und Metaphern belegt für Zeller – auch
im Fall der berühmten Lichtmetaphorik, welche in den plotinischen
Schriften in breitem Umfang erscheint – eine substantielle Unklarheit
des Denkens. Weder lässt Zeller gelten, dass es vielfach einen guten Sinn
macht, Bilder illustrativ zu verwenden, ohne dass sie die begrifflich-
argumentative Denkform ersetzen sollen, noch akzeptiert er den Ge-
danken einer „absoluten Metapher“, dem zufolge bestimmte Inhalte gar
nicht unabhängig von einem bildhaften Sprachgebrauch ausdrückbar
sind. Für die Beschreibung des Kognitiven scheint das Wahrnehmen,
einschließlich der Lichtphänomene, aber eine solche absolute Metapher
zu bilden.
Der zweite zentrale Kritikpunkt an Plotin betrifft dessen Herleitung
der Materie aus dem Einen, ein Bedenken, das auf den Vorwurf hin-
ausläuft, Plotin vertrete einen misslungenen Monismus oder einen
versteckten Dualismus:

19 Zeller (2006) Bd. 2, 561. In der Zurückweisung des Emanationsbegriffs – wie


auch in der Ablehnung des häufig gegen Plotin gerichteten Pantheismusvor-
wurfs – sieht auch Beierwaltes (1989) die entscheidenden Leistungen Zellers.
20 Zeller (2006), Bd. 3, Teil 2, 552 f.
Eduard Zeller und der Neuplatonismus 149

In diesem Herabsteigen musste, wie er glaubt, am Ende eine Grenze er-


reicht werden, an welcher das Gute in’s Böse, das Geistige in die Materie
umschlägt, die Seele musste das Körperliche als Ort für sich erzeugen, das
Licht musste sich am Ende in die Finsternis verlieren. Hierin liegt freilich
der Widerspruch, dass das absolute, qualitative Gegentheil des Geistigen aus
diesem selbst auf dem qualitativen Weg einer stufenweisen Abschwächung
entstanden sein soll; aber für Plotin gab es kein Mittel, diesem Widerspruch
zu entgehen, da er die Materie auf seinem Standpunkt weder als positive
Bedingung für die Verwirklichung des Göttlichen aus diesem ableiten,
noch als ein zweites gleich ursprüngliches Princip neben das Göttliche
stellen konnte.21
Die Zellersche Kritik wirkt nicht ganz angemessen, weil Plotin die
Materie explizit nicht als absolutes Gegenstück zum transzendenten
Einen auffasst, sondern als letztes Produkt des stufenförmigen Deriva-
tionsprozesses. Die Materie ist so gesehen privatives, nicht absolutes
Nichtsein. Die Kritik hätte richtiger lauten müssen, dass Plotin keine
Erklärung dafür anzubieten hat, was dasjenige ist, was die schrittweise
von oben nach unten entstehenden Stufen der Wirklichkeit zusehends
mehr depotenziert, bis diese schließlich in der Materie einen nicht mehr
unterbietbaren Schlusspunkt finden.
Es finden sich bei Zeller aber zugleich zahlreiche triftige, oft sogar
exzellente Einzelbeobachtungen: So hebt er zutreffend hervor, dass
Plotin den Wert der Volksreligion und der praxis pietatis erheblich re-
lativiert, während beides bei Iamblich ein geradezu phantastisches
Ausmaß annimmt. Gut gesehen ist ferner, dass man gegenüber allen
Berichten, die uns zu Ammonios Sakkas überliefert sind, äußerste Zu-
rückhaltung üben sollte. Ammonios, den Zeller als eine im Prinzip
unbekannte Hintergrundfigur darstellt, ist mehr ein Gegenstand der
Legendenbildung als der verlässlichen Information.22 Für seine Zeit
hervorragend ist auch die nüchterne Analyse, die Zeller zur Anerken-
nung der Tatsache führt, dass in Alexandria um das Jahr 230 n. Chr.
zwei verschiedene Philosophen namens Origenes gab: einen Christen
und einen Nichtchristen; offenbar war der Letztgenannte, nicht der
Christ, Mitschüler Plotins in der Schule des Ammonios Sakkas. Klar und
gut gesehen sind auch die Differenzen zwischen Plotin und Proklos.
Nach Zeller bestehen sie hauptsächlich in der Frage nach dem Übel,
seiner Entstehung und seinem ontologischen Rang; sodann in der Frage
nach einem nicht-abgestiegenen Teil der menschlichen Seele; weiter in

21 Zeller (2006), Bd. 3, Teil 2, 552 f.


22 Zeller (2006), Bd. 3, Teil 2, 502.
150 Christoph Horn

der Einbeziehung orphischer Schriften sowie der Chaldäischen Orakel


und insbesondere bei der Hypostasenpluralisierung und der hyposta-
seninternen Pluralisierung.
Die zuletzt genannte Tendenz charakterisiert den späteren Neu-
platonismus beginnend mit Iamblich. Zeller übt scharfe Kritik an Ia-
mblichs Hypostasenvervielfältigung und an seiner Affinität zu den pa-
ganen Volksreligionen:
Nehmen wir hiezu (sc. zu den zahllosen höherrangigen Göttern Iamblichs
Anmerkung CH) noch die Schutzgötter und Schutzgeister Einzelner und
ganzer Völker, so konnte es unserem Theosophen nicht schwer werden,
alle Götterfiguren der Volksreligion in seinem System unterzubringen; und
auch über die ungereimtesten Mythen liess sich mit dem Grundsatz leicht
hinwegkommen, dass eine Erzählung um so gewisser einen geheimen Sinn
berge, je abenteuerlicher und räthselhafter sie aussieht.23
Was Zeller tendenziell fehleinschätzt (aber dies taten viele weitere
Gelehrte seit seiner Zeit ebenso), ist die angebliche Abneigung der
Neuplatoniker gegen Naturphilosophie einerseits und gegen Politische
Philosophie andererseits. Zeller meint, dass „alles eigentlich naturwis-
senschaftliche“ „für die Neuplatoniker ohne allen selbständigen Werth“
sei; „auch die politischen Fragen lassen sie gänzlich bei Seite“.24 Gerade
die neueste Forschung zeigt jedoch, dass dieses Urteil falsch ist. So hat
etwa J. Wilberding (2006) für die Naturphilosophie und ebenso D.
O’Meara (2003) für die Politische Philosophie deutlich gemacht, wie
subtil, umfangreich und ernsthaft die Neuplatoniker mit beiden philo-
sophischen Themenfeldern umgegangen sind. Nicht adäquat behandelt
scheint schließlich das für die Neuplatoniker insgesamt so zentrale
Theorem von der Verflechtung und der Wechselimplikation aller Ideen
als der Gehalte des nous nach dem anaxagoreischen Schlagwort homou
panta. Das ändert nichts daran, dass es sich bei Zellers Behandlung des
Neuplatonismus um ein höchst respektables Stück Philosophiege-
schichtsschreibung handelt.

23 Zeller (2006), Bd. 3, Teil 2, 753 f.


24 Zeller (2006), Bd. 3, Teil 2, 475.
Eduard Zeller und der Neuplatonismus 151

Bibliographie
Beierwaltes (1989): Werner Beierwaltes, „Der Neuplatonismus in Eduard
Zellers Philosophie der Griechen“, in: Annali della Scuola Normale Superiore
di Pisa, XIX/ 3, 1179 – 1191.
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Zum Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften
bei Eduard Zeller
Gerald Hartung

Eduard Zeller hat sich nicht nur als Theologe, Geschichtsschreiber der
Theologie und Philosophiehistoriker profiliert. Er hat erkannt, dass der
Einbruch der Geschichtlichkeit in die Ordnung des Wissens in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine ganze Reihe dramatischer
Wirkungen haben wird. Und er hat den Prozess der Ablösung von
Theologie und Philosophie als Leitdisziplinen miterlebt und ihn, wie im
Fall der Theologie, gleichsam befördert. Dabei hat er gesehen, dass der
auf zwei Linien verlaufende Bruch im Wissenschaftsdiskurs, der neben
einer Individualisierung des Denkens auch eine Fragmentierung der
Denkinhalte impliziert, für die wissenschaftliche Philosophie verhee-
rende Konsequenzen haben kann.1 Die Ablösung der Philosophie als
erster Wissenschaft könnte in letzter Instanz ihren Ausschluss aus dem
Gefüge der Wissenschaften bedeuten. Die Fallhöhe erschien ihm als
Vertreter einer ehemaligen Königsdisziplin enorm, die Beschleunigung
der Ablösungsbewegung gleichsam rasant. Auf diese Herausforderung
musste eine Antwort gefunden werden – das hat Zeller unmissver-
ständlich zum Ausdruck gebracht. Seinen Zeitgenossen ist er daher als
Streiter für eine Ordnung des Wissens, als Kämpfer für eine tragende
Funktion der Philosophie, auch in ihrer nachidealistischen Epoche, und
als Reorganisator der wissenschaftlichen Philosophie unter der Bedin-
gung sich ausdifferenzierender Einzelwissenschaften bekannt gewesen.2
Zeller hat immer wieder betont, dass es darauf ankommen wird, die
Konstellation von Philosophie und Wissenschaften genau in den Blick
zu nehmen, um die veränderten Bedingungen zu begreifen und dem

1 Diese ganz unterschiedlichen Tendenzen, vor allem in der deutschen Schul-


philosophie, die doch gleichsam Aspekte eines Gesamtbildes ergeben, werden
auf ebenso unterschiedliche Weise in den philosophiegeschichtlichen Studien
von Karl Löwith (1986) und Klaus Christian Köhnke (1993) reflektiert.
2 Vgl. hierzu die klassischen Studien zur Philosophie im 19. Jahrhundert, in
denen Eduard Zeller entweder gar nicht erwähnt oder marginalisiert wird:
Bubner (1981); Lehmann (1953); Oesterreich (1910); Oesterreich (1923).
154 Gerald Hartung

geschichtlichen Wandel der Formen des Wissens gerecht zu werden.


Seiner Ansicht nach erfüllt die Philosophie im „Gesamtorganismus des
Wissens“3 eine Funktion, die ihr nicht von anderen Disziplinen abge-
nommen werden kann. Er formuliert die These, dass die Philosophie in
der Nachhegelschen Epoche nur als Erfahrungswissenschaft überleben
kann. „Aus dem Traum von der Möglichkeit oder gar dem Besitz eines
absoluten Wissens ist die Philosophie längst erwacht“4 Es gibt mehrere
Gründe dieses Aufwachens. Zum einen die Unmöglichkeit einer
plausiblen Konstruktion des Universums, in der die Erfahrungsdaten
einer Forschungshypothese zwingend untergeordnet werden. Hegels
„um so schlimmer für die Tatsachen“ hat sich Zellers Generation nicht
mehr zu eigen machen können. Damit hängen auch der Siegeszug der
Erfahrungswissenschaften seit 1850 und die unablässige Folge sozial-
politischer Umwälzungen seit dem späten 18. Jahrhundert zusammen.
Diese Weichenstellungen sind mitverantwortlich dafür, dass das späte
19. Jahrhundert dem Erfahrungswissen und der Praxis den Vorzug ge-
genüber der Spekulation gibt.
Eduard Zeller kann nur recht verstanden werden als Vertreter einer
Generation philosophischer Gelehrten, die diese Entwicklung kritisch
begleitet und dabei zwischen Resignation und dem Mut der Ver-
zweiflung geschwankt hat. Selbst noch aufgewachsen im Schatten der
Hegelschen Systemphilosophie hat auch Zeller deren Leistungsfähigkeit
und deren Begrenzung zugleich erkannt. Die Einsicht, dass die Philo-
sophie in der Auseinandersetzung mit den Wissenschaften sich nicht
mehr – oder noch nicht wieder – zum System bildet, hat die akademische
Philosophie in Deutschland von Friedrich Adolf Trendelenburg bis zu
Nicolai Hartmann bewegt. Das gehört zur Auseinandersetzung mit der
Tradition des deutschen Idealismus. Zeller hat dieser Thematik ein
Buch gewidmet, das unter dem Titel Geschichte der deutschen Philosophie
seit Leibniz in der Buchreihe Geschichte der Wissenschaften in Deutschland
(veranlasst durch die Historische Commission bei der Königlichen
Akademie der Wissenschaften in München) im Jahre 1873 erschienen
ist.
Ich möchte diese unbekannte Seite des großen Philosophiehistori-
kers Zeller, die ihn zu einem exponierten Vertreter seiner Generation,
der Schulphilosophen in der nachidealistischen Periode der deutschen
Philosophie macht, in mehreren Schritten vermessen. Am Anfang ste-

3 Vgl. für den Hintergrund Hartung (2006).


4 Zeller (1910a), 563.
Zum Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften bei Eduard Zeller 155

hen seine grundsätzlichen Bemerkungen zum Systemdenken in der


Philosophie. Daran anschließend werden die Grenzziehung zwischen
der Philosophie und den Wissenschaften, das Programm der Erkennt-
nistheorie und der Programmentwurf einer Metaphysik als Erfah-
rungswissenschaft behandelt. Zum Abschluss möchte ich an einem
Beispiel, nämlich der Frage nach der Anfangslosigkeit – im Gegensatz
zur Schöpfung – der Welt die Radikalität eines kritischen Realismus
vorführen, wie Zeller ihn in seiner Zeit vehement vertreten hat.

I. Über Systeme und Systembildungen.


Philosophie und Wissenschaften im Schatten Hegels

Die allgemeine Frage nach der Funktion der Philosophie im Wissen-


schaftsdiskurs hängt nach Zellers Ansicht – und da bleibt er auf einem
Hegelschen Standpunkt – an der Überlegung, wie wir es mit dem
Systemgedanken halten. Zeller konstatiert eine starke Tendenz zur
Zurückhaltung und stellt die Frage:
Hat die deutsche Philosophie der Gegenwart, im Großen und Ganzen
genommen, auf die Systemform verzichtet, um sich statt ihrer mit einer
Aneinanderreihung und äußerlichen Verknüpfung einzelner Untersu-
chungen, oder im besten Fall einzelner Fachwissenschaften zu begnügen? 5
Es spricht einiges dafür, diese Frage mit ,Ja‘ zu beantworten. Der Po-
sitivismus in den Wissenschaften und die Rückzugsbewegung der
Fachphilosophen unterstreichen diesen Verdacht. Aber Zeller ist über-
zeugt, dass diese Rückzugsbewegung der Philosophie nicht notwendig
in ihre Selbstverleugnung führen muss. Diese Überzeugung wird da-
durch getragen, dass die Logik im philosophischen Systemdenken eine
neue Bestimmung erfahren kann. In Hegels System und in den Syste-
men seiner Schüler war die logische Frage in den Mittelpunkt des
Gesamtsystems der philosophischen Wissenschaften gerückt, wie Hegel
selbst in Vorrede und Einleitung zur Wissenschaft der Logik (18126) und

5 Zeller (1910b), 570.


6 Hegel (1986a), 14 ff; insb. 35: „Nicht nur aber die Angabe der wissenschaft-
lichen Methode, sondern auch der Begriff selbst der Wissenschaft überhaupt
gehört zu ihrem Inhalte, und zwar macht er ihr letztes Resultat aus; was sie ist,
kann sie daher nicht voraussagen, sondern ihre ganze Abhandlung bringt dies
Wissen von ihr selbst erst als ihre Letztes und als ihre Vollendung hervor.“
156 Gerald Hartung

Friedrich Adolf Trendelenburg in seiner Vorlesung über Hegels System


im Sommer 1839 hervorhebt.7
Die Zellersche Position, gemeint ist ein Festhalten an Hegels Sys-
temgedanken und eine Zurückweisung der Durchführung, ist zuerst
von Trendelenburg, dem Zeller auf seinen Berliner Lehrstuhl gefolgt ist,
mit Nachdruck vertreten worden. In seiner Abhandlung Ueber den
letzten Unterschied der philosophischen Systeme (1847) führt er jegliches
Systemdenken auf eine Weltansicht zurück. Dort heißt es program-
matisch: „Philosophische Systeme sind lebendige Vorgänge in den
Geistern, Kämpfe der Grundbegriffe um die Herrschaft im Denken und
Wollen.“8 Bekannt geworden ist Trendelenburg durch seine Kritik an
der philosophischen Methode Hegels, die er in der „Neue Jenaische
Allgemeine Literatur-Zeitung“ (1842/43) in zwei Artikeln mit dem
Titel Die logische Frage in Hegel’s System. Eine Aufforderung zu ihrer wis-
senschaftlichen Erledigung publiziert hat.
Trendelenburg argumentiert folgendermaßen: Ist erst einmal das
System Hegels als ein System unter anderen bezeichnet und sind seine
Grundbegriffe als Bestandteil einer geistigen Welt dynamisiert, dann tritt
zutage, dass es im System die Logik ist, die den empirischen Wissen-
schaften ihre Eigenständigkeit abspricht. Trendelenburgs Kritik öffnet
den Weg für eine folgenschwere Distanzierung von Hegel in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die in einer Abwehr der „trans-
cendentalist reasonings“ und einer Aufwertung des Erfahrungsbegriffs
mündet. Die Voraussetzung dafür aber war, wie William James an einer
Stelle notiert, dass „the whole of Germany, one may say, has positively
rejected the Hegelian argumentation.“9 Aber auch eine „Kritik in ne-
gativer Absicht“ (Henrich10) darf es sich in der Abwehr des Hegelschen
Systemdenkens nicht zu einfach machen. Trendelenburg hat daher
deutlich ausgesprochen, dass jede Auseinandersetzung mit Hegel vor
einer großen Herausforderung steht. „Noch nie gab es ein System, in
welchem sich Methode und Resultat, das Princip der Form und der
Ursprung der Sache so eng vereinigt hätten als bei Hegel.“11 Wenn es

7 Trendelenburg (1839), Bl. 1.


8 Trendelenburg (1855), 1.
9 James (1982), 454. Obwohl dieses Argument weder sachlich richtig noch die
Kritik (von Trendelenburg bis James) der Komplexität der Hegelschen Philo-
sophie angemessen ist, darf ihre Konsequenz in problemgeschichtlicher Per-
spektive nicht unterschätzt werden.
10 Henrich (1981), 76.
11 Trendelenburg (1842), 405.
Zum Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften bei Eduard Zeller 157

also darum gehen soll, die „wissenschaftliche Erledigung“ dieses Systems


vorzuführen, dann muss zuallererst die Leistungsfähigkeit der dialekti-
schen Methode analysiert werden. Tatsächlich kann dieser Zugang zur
Hegelschen Philosophie eine hohe Plausibilität für sich beanspruchen.
Wie Hegel betont ist das dialektische Moment „das Prinzip aller Be-
wegung, alles Lebens und aller Betätigung in der Wirklichkeit. Ebenso
ist das dialektische Moment auch die Seele alles wahrhaft wissen-
schaftlichen Erkennens.“12 Das Programm der Enzyklopdie weist der
Logik den Ort im philosophischen System zu, an dem die wissen-
schaftliche Begründung der dialektischen Methode in der Durchfüh-
rung derselben stattfindet. Deshalb steht die Logik auch am Anfang
eines Gesamtentwurfs der philosophischen Wissenschaften – und alles
Recht der Anwendung der dialektischen Methode fließt, wie
Trendelenburg hinzufügt, aus „der Machtfülle der Logik“.
Hegel hat in den Vorreden zu den verschiedenen Auflagen seiner
Logik von der Notwendigkeit gesprochen, mit der Wissenschaft der Logik
– und das heißt mit der Frage nach der Wissenschaftlichkeit von Wis-
senschaft – noch einmal von vorne anzufangen.13 Allein hier sieht er
einen Weg, das gängige Vorurteil zu bekämpfen, dass die Philosophie
sich im Gegensatz zur sinnlichen Erfahrung befindet und damit auch zu
den Erfahrungswissenschaften. Seiner Ansicht nach verhält es sich fol-
gendermaßen: Es gibt keine Kollision zwischen Philosophie und Wis-
senschaft, wenn deren Inhalt zum Begriff geführt und zur Idee vollendet
wird. Diese Aufgabe soll die Logik lösen. An ihr – und das meint: an der
Durchführung der dialektischen Methode – hängt die Vermittlung
zwischen der Begriffswelt des Endlichen in den Erfahrungswissen-
schaften und der Idee der Wahrheit als Erkenntnisziel philosophischer
Reflexion.
Trendelenburg sagt deshalb in Bezug auf Hegels System zu recht:
Noch nie hat die logische Frage in der Geschichte der Philosophie eine
solche Bedeutung gehabt als in der Gegenwart. Während sich der Kampf
„auf die Flanke der speculativen Theologie“ geworfen hatte, rückt er nun
dem das Ganze stützenden Centrum, der Logik, näher. Der Kampf um die
logische Frage ist ein Kampf um den Bestand des Systems. Von ihr hängen
alle Consequenzen ab, die sich aus Hegel entwickelt haben.14

12 Hegel (1986b), 173.


13 Hegel (1986a), 14.
14 Trendelenburg (1842), 414.
158 Gerald Hartung

Tatsächlich ist das dialektische Verfahren eine „Universalmethode“


(Enzyklopdie, § 81) und Hegel hat konsequent zur universalen An-
wendung der Methode auf den konkreten Stoff aufgefordert, um die
Wissenschaften in ihrem immanenten Zusammenhang zu organisieren.
Aber genau an dieser Stelle regte sich die Kritik, wenn sie auch un-
terschiedliche Züge annahm. Christian Hermann Weisse, Immanuel
Hermann Fichte, David Friedrich Strauß und mit ihm Eduard Zeller –
aber auf andere Weise eben auch Karl Marx – kämpften fðr Hegels
Methode gegen ihre Resultate. Die Kritiker heben hervor, dass der
immanente Zusammenhang, der die Selbstentwicklung der Wissen-
schaften aus ihrem eigensten Grunde des Begriffs behauptet, bloßer
Schein ist, obwohl es Hegels Absicht war, diesen Zusammenhang
deutlich zu machen. Dies hat Trendelenburg lakonisch ausgedrückt:
„Wer hat nicht in den Vorlesungen Hegels erfahrungsmäßiges Wissen
bestaunt. Und Niemand behauptete, dass Hegel gemeint habe, der
Philosoph solle die Welt ,aus den Fingern saugen‘.“15 Aber das Ver-
hältnis der dialektischen Methode zum Stoff der Erfahrung erscheint
Trendelenburg wie anderen Hegel-Kritikern weitgehend ungeklärt.
Trendelenburg jedoch geht noch einen Schritt weiter. In seinen
Logischen Untersuchungen führt er den Kampf gegen Hegels Methode.
Zwar gibt er durchaus zu, dass sich im Bereich der Logik die Aufgabe
einer Konstruktion des reinen Denkens nicht höher stellen lässt, als dies
bei Hegel der Fall ist. Aber sobald man nach den Mitteln fragt, wie ein
solcher Plan umzusetzen ist und sobald man die Ausführung an der
Absicht misst, „da ergab sich in einer Untersuchung, die aus dem All-
gemeinen bis ins Einzelne vorging, dass die dialektische Methode des
reinen Denkens in sich ,unmöglich‘ sei.“ Bei genauem Hinsehen zeigt
sich, dass die Methode des reinen Denkens gar nicht voraussetzungslos
ist, sondern Erfahrung voraussetzt, denn es gibt keinen rein logischen
Anfang im Denken. Trendelenburgs Kritik der Philosophie Hegels führt
zu einer Öffnung des Systems für einen Erfahrungsbegriff, der sich nicht
vollständig den Regeln der Logik unterwirft.16 Er ist daher mit guten
Gründen als Ahnherr des amerikanischen Pragmatismus verstanden
worden.17 So hat beispielsweise Charles Sanders Peirce bemerkt, dass
„das Hegelsche System […] jede natürliche Tendenz des Denkens als
logisch“ anerkennt, dadurch aber nicht zu einem Abgleich mit den

15 Trendelenburg (1842), 411.


16 Vgl. Hartung u. Köhnke (2006).
17 Rosenstock (1964). Schneider (1946), 474.
Zum Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften bei Eduard Zeller 159

Momenten unserer Wirklichkeitserkenntnis kommt, die nicht den


Regeln der Logik folgen.18
Doch darf in diesem Zusammenhang kein Missverständnis auf-
kommen. Weder Trendelenburg, noch die ihm nachfolgenden Zeller,
Peirce und Dewey fordern die Auflösung der Philosophie in eine reine
Erfahrungswissenschaft. Ein solcher Reduktionismus würde nicht nur
der Philosophie ein Ende bereiten, sondern auch den Naturwissen-
schaften schaden. Denn es muss doch eine Wissenschaft wie die Phi-
losophie geben, welche die allen gemeinsamen Bedingungen des wis-
senschaftlichen Erkennens und die Herkunft, den Sinn und die Geltung
derjenigen Begriffe und Grundsätze untersucht, denen sich die Wis-
senschaften bedienen. Verstehen wir das Geschäft der Philosophie in
dieser Weise, dann erhält auch die Logik eine neue Funktion: sie hat die
Ergebnisse der einzelnen Wissenschaften in einen kohärenten Zusam-
menhang zu bringen.19 Zeller insistiert dahingehend, dass es ohne die
Philosophie keinen Gesamtzusammenhang des Wissens gibt. Wer darauf
verzichtet, die Bedingungen wissenschaftlichen Erkennens – die Kon-
zepte, Methoden usw. – zu hinterfragen, der liefert sich dem bloßen
Wissenschaftsbetrieb aus und verliert die Kompetenz des Nachdenkens.
Zellers Positionierung gegenüber den „neueren Versuchen einer
apriorisch construirenden Metaphysik“ ist daher durchaus ambivalent.
Auch er betont, dass diese Versuche, allen voran das Hegelsche System,
den Nachweis erbringen, dass logische Operationen mit Begriffen nicht
die „Bekanntschaft mit den Dingen“ ersetzen können. Viel zu schnell
vergessen die Philosophen,
daß das für ein philosophisches System zu verwerthende Wissen sich nur
durch eine Bearbeitung der besonderen Wissensgebiete gewinnen läßt, die
für jedes derselben mit den ihm eigenthümlichen Hülfsmitteln und Me-
thoden vorgenommen werden muß und von dem philosophischen Syste-
matiker nur zum kleinsten Theile selbst vorgenommen werden kann.20
Das Geschäft der Philosophie ist ohne die Vorarbeit und methodische
Selbständigkeit der Wissenschaften ohne Fundament und ohne Bezug
zur Wirklichkeit.
Aber das ist nur eine Seite der Betrachtung, denn andersherum sind
auch die Wissenschaften ohne die Zusatzleistung philosophischer Re-
flexion orientierungslos, da sie nur Fragmente eines Gesamtzusam-

18 Peirce (2002a), 81.


19 Zeller (1910b), 571.
20 Zeller (1910b), 582.
160 Gerald Hartung

menhangs produzieren, aber nie das ganze Bild, nicht einmal als Hy-
pothese, in den Blick bekommen. Deshalb folgert Zeller „kann die
Philosophie (zugunsten der anderen Wissenschaften) auf die Forderung
einer systematischen Verknüpfung alles Wissens nicht verzichten.“21

II. Die Stellung der Philosophie zu den Wissenschaften

Zeller nutzt seine Antrittsvorlesung an der Universität Heidelberg im


Jahr 1862, um der Philosophie seiner Zeit ein denkbar schlechtes
Zeugnis auszustellen.
Der gegenwärtige Zustand dieser Wissenschaft in Deutschland beweist an
und für sich, dass sie an einem von den Wendepunkten angekommen ist,
welche im günstigen Fall zu einer Umbildung auf neuen Grundlagen, im
ungünstigsten zu Verfall und Auflösung hinführen.22
Die Diagnose folgt der Zwecksetzung, den Weg für eine Rehabilitie-
rung der Philosophie als Wissenschaft zu ebnen. Zeller erkennt eine
Reihe externer und interner Gründe, die dazu geführt haben, dass sich
die Philosophie in der prekären Situation befindet, sich entweder um-
bilden zu müssen oder sich als Wissenschaft aufzulösen.23 Intern sind
seiner Auffassung nach hierfür die metaphysischen Überheblichkeiten
innerhalb des deutschen Idealismus zuständig. Extern ist es „der Auf-
schwung, welchen die Naturforschung in den letzten Jahrzehenden
genommen, die massenhafte Bereicherung, die sie unserem Wissen
gebracht, die glänzenden Entdeckungen, zu denen sie geführt hat“, die
zu einem abnehmenden öffentlichen Interesse für die Philosophie ge-
führt haben.24
Aus diesen Überlegungen folgt nun die Einsicht, dass die gegen-
wärtige Philosophie wesentlich von ihrem Verhältnis zu den anderen
Wissenschaften abhängig ist – und zwar im Versuch ihrer systematischen
Umbildung als auch im Bestreben, wieder zu öffentlicher Geltung zu
gelangen. Und genau in dieser Lage sieht Zeller eine Chance der Re-
habilitierung. Denn nachdem in einer ersten Phase die empirischen
Wissenschaften den Widerspruch zwischen ihren Forschungsergebnis-
sen und den Prämissen der Systemphilosophien herausgestellt und auf

21 Zeller (1910b), 581.


22 Zeller (1877c), 489.
23 Vgl. für den Hintergrund dieser Diskussion Schnädelbach (1983), 25 – 50.
24 Zeller (1873), 913.
Zum Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften bei Eduard Zeller 161

diese Weise die prekäre Lage der Philosophie als Wissenschaft hervor-
gerufen haben, stehen wir nach Zellers Auffassung am Übergang einer
Stufe der Konfrontation. Von Seiten der Philosophie wird die Einsicht
in die Notwendigkeit der Kooperation verlangt, denn nur so wird „das
Bestreben hervorgerufen, die philosophischen Sätze und Methoden,
unter Benutzung alles dessen, was die Erfahrungswissenschaft darbot, so
umzubilden, daß jener Widerspruch verstummen müsse.“25
Durchaus hegelianisch in der Beschreibung, aber ohne dessen
Willen zur letzten Synthesebildung, stellt sich für Zeller die neuere
Wissenschaftsgeschichte als ein Auseinanderfallen von Philosophie und
Naturwissenschaften (Thesis, Antithesis) und ein neuerliches Aufein-
anderzugehen (Synthesis) dar. Diesem Befund liegt die wissenschafts-
theoretische Hypothese zugrunde, dass Philosophie und Wissenschaften
eine gemeinsame Erfahrungsgrundlage haben. Die „Eigenthümlichkeit“
der Philosophie rührt nicht daher, dass sie einen eigenen Gegen-
standsbereich, sondern daher, dass sie eine eigene Verfahrensweise hat.
Sie generiert nicht ihren eigenen Gegenstandsbereich, sondern sucht die
allgemeinen Grundlagen und den Zusammenhang unseres Wissens, das
von den Erfahrungswissenschaften vorgeprägt wird.26 Allein auf diese
Weise garantiert sie die methodische Eigenständigkeit der Wissen-
schaften, um sie zugleich im Hinblick auf ein hypothetisches Ganzes zu
relativieren.
Zwar ist die Philosophie nicht mehr unabhängig von den For-
schungsergebnissen in den Wissenschaften, wie ja schon die semantische
Verschiebung im Begriff der Logik bei Trendelenburg angezeigt hat,
dennoch bleibt ihre vornehmste Aufgabe die Verknüpfung des frag-
mentierten Wissens zu einem Gesamtzusammenhang:
Die allgemeinen Bedingungen des Erkennens, der Ursprung und die
Wahrheit unserer Vorstellungen müssen untersucht, die Methoden und die
Begriffe, deren die verschiedensten Disciplinen sich gemeinschaftlich be-
dienen, müssen wissenschaftlich begründet werden; zwischen den beson-
deren Fächern muss ein systematischer Zusammenhang hergestellt, ihre
Voraussetzungen geprüft, ihre Ergebnisse zu einem umfassenderen Ganzen
verknüpft werden.27
Die Philosophie verbindet a posteriori die Elemente des Wissens und
konstruiert nicht a priori. Sie liefert damit eine Methodenreflexion und

25 Zeller (1873), 912.


26 Zeller (1877a): 450 – 465.
27 Zeller (1877a), 469.
162 Gerald Hartung

eine theoretische Begründung des Wissens, die in der Forschungspraxis


nicht geleistet werden kann. Die Behauptung, dass dieses Entgegen-
kommen mehr ist als der Wunschtraum einer Philosophie, die sich im
Verlauf des 19. Jahrhunderts in Rückzugsgefechten aufgerieben hat,
steht für Zeller außer Zweifel. Seine Gespräche mit den führenden
Naturforschern in Deutschland, denen er in Marburg, Heidelberg und
Berlin begegnet ist, gibt ihm die Zuversicht, dass sich in der wechsel-
seitigen Bezugnahme ein Bedürfnis der Naturwissenschaften artikuliert,
die ebenfalls wieder den Blick aufs Ganze richten. Exemplarisch erkennt
er diese Strebung in der Arbeit des Kollegen und Freundes Hermann
von Helmholtz und seinem Wirken innerhalb der Universitäten und
Wissenschaftsakademien. Wie Zeller vermutet
verdankt sich seine hervorragende Stellung nicht zum geringsten Theile
dem philosophischen Geist seiner Forschung; und so ist er ja auch wirklich
von der Physiologie aus zu erkenntnistheoretischen Untersuchungen und
Ergebnissen gekommen, durch die er sich mit Kant vielfach berührt und
für die Fortbildung seiner Erkenntnistheorie einen höchst werthvollen
Beitrag geliefert hat.28
Der Verweis auf Helmholtz ist nicht zufällig.29 Mit keinem anderen hat
Zeller sich in dieser programmatischen Übereinstimmung gefunden,
wenn es um die Verhältnisbestimmung von Philosophie und Wissen-
schaften geht. Sie haben an der Umstrukturierung der Philosophischen
Fakultäten in Heidelberg und Berlin zusammengearbeitet und daran
festgehalten, dass eine „Universität […] mehr als nur eine Sammlung
von einzelnen Fachschulen“ ist.30 In den früheren Heidelberger Jahren,
dann nach Zellers Berufung nach Berlin, die von Helmholtz betrieben
wurde, geht es ihnen gemeinsam darum, gegen die spekulativen Ver-
stiegenheiten des deutschen Idealismus und den Anspruch der Natur-
wissenschaften als einer „absoluten Physik“ (Schopenhauer) eine ein-
heitliche wissenschaftlich-kritische Linie zu ziehen. Selbstverständlich
steht im Hintergrund auch das Bestreben, dem Geist der französischen
Philosophie (Comte) und dem imperialen Zugriff der englischen Wis-
senschaft (Darwin und Spencer) eine eigene Position entgegenzuhalten.
Diese Position ist jedoch vor allem durch ein kritisch reflektiertes
Wissenschaftsverständnis gespeist, für das die Protagonisten sich auf

28 Zeller (1873), 914. Vgl. Helmholtz (1903), über das Verhältnis von Wissen-
schaft und Philosophie und „die Fortschritte der Naturwissenschaft“.
29 Vgl. Schiemann (1997).
30 Zeller (1877a), 465.
Zum Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften bei Eduard Zeller 163

Immanuel Kant als ihren Ahnherrn berufen. Bereits Schopenhauer


polemisiert gegen den „heutigen Mode-Materialismus“, der alles Na-
turgegebene in einem naiven Sinne für objektiv hält, weil er „in Un-
kenntniß der Kantischen Philosophie“ agiert.31 Die Kenntnis Kants, so
ist das Diktum Schopenhauers zu lesen, schützt vor metaphysischen
Verstiegenheiten und naturalistischen Niveausenkungen. Vor diesem
Hintergrund ist auch Zellers Aufruf zu lesen, sich intensiv, aber auch
distanziert mit der Philosophie Kants zu beschäftigen. Kant ist die
Brücke, über die in der nachidealistischen Epoche der Philosophiege-
schichte der Weg einer Rehabilitierung der Philosophie als Wissen-
schaft führt.32

III. Zurück zu Kant. Das Programm der Erkenntnistheorie

Um ihrer Zielvorstellung, der systematischen Verknüpfung alles Wis-


sens, gerecht zu werden, muss die Philosophie den Wissenschaften in
einem ersten Schritt methodisch entgegen kommen. Sie beschränkt sich
darauf, die „allgemeinen Bedingungen des Erkennens“ herauszuarbeiten
und konstituiert sich als Erkenntnistheorie. In seiner berühmten Hei-
delberger Antrittsvorlesung Ueber Bedeutung und Aufgabe der Erkenntnis-
theorie (1862), aber auch in seiner Geschichte der deutschen Philosophie seit
Leibniz (1873) hat Zeller die Forderung aufgestellt, sich auf Kant zu-
rückzubesinnen.33 Während der Begriff „Erkenntnistheorie“ älteren
Datums ist und vor allem ein stark anti-hegelianisches Motiv (bei
Christian Hermann Weisse und Immanuel Hermann Fichte) und einen
empiristischen Grundgedanken (bei Friedrich Eduard Beneke) vereinte,
kommt mit Zellers Bezugnahme auf Kant ein neues Moment ins Spiel.
Zeller geht weiter als seine Vorgänger in der Begründung des
Konzepts Erkenntnistheorie – er geht vor allem auf Kant zurück und in
kritischer Absicht über ihn hinaus. Kant erscheint ihm als Wegweiser,
um das Verhältnis der Philosophie zu den Wissenschaften neu zu be-
stimmen. „Kant’s unsterbliches Verdienst“ ist es, in der Erkenntnis-
theorie den Weg von den Tatsachen der Außenwelt auf einen allge-
meinsten Grund zurückzugehen. Allerdings ist Kant bei dem Versuch,
die Grenzen menschlicher Erkenntnis festzuschreiben, gescheitert. Den

31 Schopenhauer (1911), 196.


32 Köhnke (1993), 58 ff.; 302 ff.
33 Köhnke (1981), 185 – 210.
164 Gerald Hartung

ganzen Bereich der Außenwelt als Welt der so genannten „Dinge an


sich“ prinzipiell für unerkennbar zu halten, widerspricht nach Zellers
Auffassung unserem gesunden Menschenverstand. Insbesondere Kants
Überlegungen zur Raumvorstellung als transzendentaler Anschauungs-
form ohne Realitätsgehalt, führen uns nach Zellers Ansicht in die falsche
Richtung. Hier bezieht Zeller im Streit zwischen Trendelenburg und
Kuno Fischer die Position des ersteren und plädiert für eine realistische
Theorie der Erfahrung.34 In Kants Nachweis der Transzendentalität des
Raumes als Kern einer idealistischen Theorie der Erfahrung gibt es eine
Beweislücke, welche die Annahme einer Realität der Raumanschauung
„als auch für die Dinge außer uns geltend“ zumindest nicht verhindert.
Auch wenn Zeller Kant nicht in allem folgt, sieht er gleichwohl in
seiner Lehre den Ausgangspunkt für ein philosophisches Wissen-
schaftskonzept gegeben. Die Kritik Michelets, der in Zeller den ab-
trünnigen Hegelianer als „Neukantianer“ geißelt, bringt dies bereits in
polemischer Absicht auf den Punkt, verkürzt aber die Pointe.35 Zeller
macht deutlich, dass Kants wissenschaftliche Leistung, „seine Theorie
des Erkennens“, die Möglichkeit eines Neuanfangs in der Philosophie
markiert – wie er für die Philosophie als Wissenschaft in der nach-
idealistischen Epoche dringlich ist. Auf Kant und seine Untersuchungen
muss jeder zurückgehen, der die Grundlagen der heutigen Philosophie
verbessern und die Fragen Kants in seinem kritischen Geist neu stellen
will.36 Zu vermeiden sind bei dieser Neukonstruktion die Überheb-
lichkeiten des nachkantischen Idealismus auf der einen und die Ein-
seitigkeiten der Naturwissenschaften auf der anderen Seite. Zeller fasst
seinen Standpunkt des „Kriticismus“ in folgenden Worten zusammen:
Wir können nicht erwarten, eine Erkenntniss des Wirklichen anders, als
von der Erfahrung aus, zu gewinnen; wir werden aber ebensowenig ver-
gessen, dass in der Erfahrung selbst schon apriorische Bestandtheile ent-
halten sind, durch deren Ausscheidung wir erst das objektiv Gegebene rein
erhalten, und dass die allgemeinen Gesetze und die verborgenen Gründe
der Dinge überhaupt nicht durch die Erfahrung als solche, sondern durch’s
Denken erkannt werden.37

34 Köhnke (1993), 257 – 272.


35 Köhnke (1981), 210.
36 Zeller (1877c), 490.
37 Zeller (1877c), 495. Vgl. Lang (1908), 192 – 193: „Man erkennt in diesen
Ausführungen den Einfluß, den die Beschäftigung mit den Naturwissenschaf-
ten auf Zellers Denken ausgeübt hat. In Heidelberg hat er im Verein mit
seinem Freund und Verwandten Helmholtz eingehende Studien über Physik
Zum Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften bei Eduard Zeller 165

In seiner Abhandlung Ueber die Grðnde unseres Glaubens an die Realitt der
Aussenwelt (1884) hat er diese Argumentation pointiert dargestellt und
seinen erkenntnistheoretischen Kritizismus zu einem kritischen Rea-
lismus erweitert. Sein Argument gegen die Beweisführung der trans-
zendentalen Ästhetik Kants ist anthropologisch motiviert und entspricht
ähnlich lautenden Formulierungen in Peirce’ Pragmatismus: „Nichts
liegt dem Menschen von Hause aus ferner als der Zweifel an der
Wirklichkeit der Dinge“.38 Zeller geht es ebenfalls nicht darum, den
Erscheinungscharakter der Dinge der Außenwelt für uns zu bezweifeln,
denn alles, was wir wahrnehmen, nehmen wir unter den strukturellen
Bedingungen unseres Wahrnehmungsapparates wahr. Aber etwas „für-
wahr-nehmen“ impliziert auch die Wirklichkeit der Dinge außer uns.
So weit so gut auch für einen Kantianer. Aber: nehmen wir die Dinge
der Außenwelt auch in einer „den Thatsachen entsprechenden Weise“
wahr? 39 Gibt es eine Entsprechung von Außenwelt und Bewusstseins-
inhalt? Diese Fragen zu bejahen, das ist die Position des kritischen
Realismus in der Erkenntnistheorie.
Zeller entscheidet sich für den erkenntnistheoretischen Realismus.
Er selbst spricht von einem „gesunden Realismus“.40 Dieser Denkansatz
wird von ihm nicht weiter ausgeführt, aber es deutet sich eine mögliche
Richtung der Weiterentwicklung an, wenn Zeller den Raum nicht
bloß wie bei Kant als eine Form unserer äußeren Anschauung, sondern
als „die Form unseres äußeren Daseins, ein Verhältniss, in welches das
vorstellende Wesen durch seine Verbindung mit andern, zunächst also
durch seine Verbindung mit seinem Leibe, von Hause aus hineingestellt
ist“, begreift.41 Hier zeichnet sich der Umriss einer Theorie vom
Handlungsraum, wie er im amerikanischen Pragmatismus formuliert

und andre Zweige der Naturwissenschaft getrieben. In der Erkenntnistheorie


kamen beide zu übereinstimmenden Resultaten.“
38 Zeller (1884c), 225. Vgl. Peirce (2002b), 106 – 107: „In Wahrheit jedoch gibt
es nur einen Geisteszustand, von dem aus man ,aufbrechen‘ kann, nämlich
genau den Geisteszustand, in dem man sich zu der Zeit, in der man ,aufbricht‘,
tatsächlich befindet – ein Zustand, in dem man mit einer ungeheuren Masse
von bereits geformten Erkenntnissen beladen ist, von denen man sich nicht
befreien kann, selbst wenn man es wollte. […] Wenn das so ist, dann […] sollte
man anerkennen, denn das ist unvermeidbar, daß es vieles gibt, das man nicht
im geringsten bezweifelt.“
39 Zeller (1884c), 263.
40 Zeller (1873), 917.
41 Zeller (1884c), 279.
166 Gerald Hartung

wird, und die Verbindung zur Lebensphilosophie und zur Anthropo-


logie ab.

IV. Zu den Tatsachen. Metaphysik als Erfahrungswissenschaft

Zellers Erkenntnistheorie mündet in einer realistisch-anthropologischen


Position. Sie nimmt die Bestimmung der Philosophie als Wissenschaft
ernst, der es um eine einheitliche Bestimmung der menschlichen
Wirklichkeit geht. Diese Bestimmung kann nach seiner Auffassung
nicht in einem Cartesianischen Dualismus stecken bleiben. Die Er-
kenntnistheorie muss ihr Konzept einer einheitlichen Wirklichkeit
sukzessive im analytischen Durchgang durch die mannigfaltige Er-
scheinungswelt gewinnen. Mit der Erfahrung hebt unsere Erkenntnis
des Wirklichen an, aber sie bleibt auf der Suche nach den allgemeinen
Gründen, Gesetzen und Verbindungen nicht in deren Grenzen stecken.
In diesem Punkt ist Zellers Stellung zwischen Kant und Hegel
frappierend. Immer wieder betont er, dass wir menschliche Erkenntnis
an der Umkreis der Erfahrungsdaten binden müssen; dass wir zugleich
aber auch bedenken müssen, dass unsere Erfahrung „durch unsere ei-
gene Thätigkeit vermittelt und bedingt ist“.42 Aber er fügt auch hinzu,
dass wir die „Güter“ des Idealismus nicht verschleudern dürfen, denn
„unsere Philosophie soll Realismus, soll ein Abbild der Wirklichkeit“
sein.43 Auch wenn sich die Realität weder unmittelbar erfahren, noch
abseits von Erfahrung konstruieren lässt, bleibt doch das Hauptgeschäft
der Philosophie und ihre Legitimationsquelle gegenüber den anderen
Wissenschaften, dass sie Hypothesen vom Grund der Realität und vom
Zusammenhang alles Wissens formuliert.
Deshalb bleibt es bei der Frage, die Zeller in seiner Abhandlung ˜ber
Metaphysik als Erfahrungswissenschaft (1895) stellt: Folgt aus den unbe-
streitbaren Ergebnissen der heutigen Erkenntnistheorie das Ende der
Metaphysik? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns klar
machen, was wir unter Metaphysik verstehen. Meint Metaphysik das
Programm einer apriorischen Konstruktion des Universums, dann ist
die „Ära der Metaphysik“ für Zeller – wie für Trendelenburg, Dilthey,
Cohen und andere – zu Ende gegangen.44 Meint Metaphysik jedoch die

42 Zeller (1877b), 473.


43 Zeller (1877b), 473.
44 Dilthey (1911), 3 – 51; Dilthey (1991); Hartung (2003), 256 – 265.
Zum Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften bei Eduard Zeller 167

Suche nach den Grundlagen der Erfahrung, dann bleibt sie im Wis-
senschaftsdiskurs ein zentrales Thema, denn „es gibt vielmehr keine
Wissenschaft und keinen wissenschaftlichen Standpunkt, denen es ge-
lungen wäre oder gelingen könnte, sich aller metaphysischen Annah-
men wirklich zu enthalten.“45
Gegen einen naiven Empirismus behauptet Zeller eine Einsicht, die
weder neu noch umwerfend ist, die aber immer wieder gegen den
Anspruch einer „absoluten Physik“ gewendet werden muss: es gibt
keine reine Beschreibung der Erscheinungswelt. Jede Beschreibung
impliziert eine Deutung, jede Beschreibung geht von Vorannahmen
aus, die sie in der Beschreibung ihres Gegenstandes nicht einlösen kann.
Dies bezieht sich auf die Vorannahmen der Ganzheit einer Erscheinung,
des kausalen Zusammenhangs, der Entwicklungsrichtung in der orga-
nischen Welt usw. „Metaphysisch“ ist hier schon jedes Bestreben, die
singulären Ereignisse natürlichen Geschehens in einen Gesamtzusam-
menhang zu bringen. In diesem Sinne gibt es keinen starren Gegensatz
zwischen den Erfahrungswissenschaften und der Metaphysik.
Die Metaphysik unterscheidet sich somit von den gewöhnlich so ge-
nannten Erfahrungswissenschaften nicht dadurch, dass sie es mit Gegen-
ständen zu thun hat, die unabhängig von der Erfahrung erkannt werden
können oder deren Kenntnis ihrerseits für die des empirisch Gegebenen
entbehrlich ist, sondern lediglich dadurch, dass sie in der Zergliederung und
Erklärung des Gegebenen einen Schritt weiter geht als jene, dass Begriffe
und Sätze, die sie einfach voraussetzen, von ihr auf ihre Herkunft und
Geltung geprüft werden, für die Ursachen, aus denen sie die Erschei-
nungen erklären, wieder eine Erklärung gesucht wird. Wollen wir daher
diejenigen Wissenschaften Erfahrungswissenschaften nennen, deren Aus-
gangspunkt die Thatsachen der Erfahrung sind und deren Ziel die Erklä-
rung dieser Thatsachen ist, so gehört auch die Metaphysik zu den Erfah-
rungswissenschaften.46
Die Trennung zwischen der Philosophie und den Wissenschaften wird
dadurch aufgehoben, dass ersterer kein gesonderter Gegenstandsbereich
zugewiesen wird. Auch die Philosophie hat es mit Gegenständen zu tun,
die ihr von der Erfahrung gegeben werden; sie folgt daher den beob-
achtenden und analytischen Wissenschaften und geht „in der Zerglie-
derung und Erklärung des Gegebenen lediglich einen Schritt weiter“,
indem sie nach den leitenden Forschungshypothesen fragt und die
Kategorien im einzelwissenschaftlichen Gebrauch auf ihren allgemeinen

45 Zeller (1910a), 555.


46 Zeller (1910a), 560 – 561.
168 Gerald Hartung

Erklärungswert überprüft. An einem Beispiel soll dieser Zusammenhang


erläutert werden.

V. Über die Ewigkeit der Welt.


Mechanische und teleologische Naturerklärung

Vor dem skizzierten wissenschaftstheoretischen Hintergrund, dass zum


einen die Erkenntnistheorie die methodische Brücke zwischen der
Philosophie und den Wissenschaften bildet, dass zum anderen Philo-
sophie und Wissenschaften gleichermaßen von inneren und äußeren
Erfahrungstatsachen anheben und dass darüber hinaus die Metaphysik
andere Erfahrungswissenschaften in der Erklärung des Tatsachenwerts
ihrer bloß gegebenen Tatsachen ergänzt, stellt sich noch einmal die
Frage nach dem „Gesamtorganismus des Wissens“. Pragmatisch ge-
wendet lautet die Frage: Welche wissenschaftlichen Hypothesen wer-
den den genannten Kriterien gerecht und garantieren zugleich die
Einheit des Wissens?
Zeller gibt eine Antwort auf diese Problemstellung anhand einer
beispielhaften Erläuterung. Als Beispiels einer Hypothesenbildung, die
für die Einheit des Wissens tauglich ist, führt er die Aristotelische Hy-
pothese von der Ewigkeit der Welt an. Die Aristotelische For-
schungshypothese von der „Anfangslosigkeit der Welt“ (De coelo I. 10,
279 b 12) ist seiner Ansicht nach konsequenter als jede vor- und nach-
aristotelische Vorstellung. Wie es sich bei Platon verhält, hängt von
unserer Interpretation des Timaios ab und damit stellt sich die Frage, ob
es sich hier um eine bloß anschauliche Darstellungsform oder eine
wissenschaftliche Beweisführung handelt? Zeller hält diese Frage für
unentscheidbar, so wie sein Platon-Bild insgesamt ambivalent ist.47 Wie
auch immer Platon in dieser Frage letztgültig gedacht haben mag, für
seinen Schüler ist die Behauptung, dass die Welt einen Anfang oder ein
Ende habe, eine gravierende Gottlosigkeit. In den Büchern De coelo
festigt Aristoteles seine Ansicht, dass das erste Bewegende oder die
Gottheit unveränderlich gedacht werden muss. So ist eine gleich blei-
bende Einwirkung auf die Materie impliziert. In der Materie selbst liegt
dann keine Veränderlichkeit, Veränderung kann nur von der Form
ausgehen, die mitgeteilt oder entzogen wird.

47 Vgl. Hartung (2009).


Zum Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften bei Eduard Zeller 169

Zeller betont, dass für die Ansicht des Aristoteles die Erfahrung der
Menschen und ihr gesunder Menschenverstand sprechen. Die Leistung
dieser Hypothese ist kaum zu überschätzen, sie erfüllt alle Kriterien
einer „Komplexitätsreduktion“ im Sinne Luhmanns. Wir brauchen
keine Vermutungen mehr über einen Anfang der Welt oder ein Ende
der Welt in der Zeit anzustellen.48 „Der Glaube an die Unveränder-
lichkeit und die unbedingte Geltung der Naturgesetze, der Grundsatz
einer durchaus natürlichen Erklärung der Dinge kommt in der Lehre
von der Anfangs- und Endlosigkeit des Weltganzen zu seinem stärksten
Ausdruck.“ So leistet die Lehre von Ewigkeit der Welt für Aristoteles
„die erheblichsten Dienste“.49
Zeller skizziert die Wirkungsgeschichte der Aristotelischen Hypo-
these. Ihr geschichtlicher Erfolg war durchschlagend, trotz der zeit-
weiligen Herrschaft des christlichen Dogmas. Im Mittelalter ist die
Hypothese ständig präsent, kehrt in der Renaissance ins Licht zurück,
wird durch Spinoza in der Weltanschauung der Neuzeit verankert und
dann mit Schleiermacher sogar für die christliche Dogmatik hoffähig.50
Am Ende dieser Herkunftsgeschichte zieht Zeller das Fazit, dass dieje-
nigen über die Jahrhunderte hinweg, welche die entgegen gesetzte
These von der Entstehung des Weltganzen vertreten, „die unerlässli-
chen Bedingungen jeder wissenschaftlichen Welterklärung […] verlet-
zen.“51 Der Widerspruch liegt da, wo man eine Ursache behauptet, die
nicht immer wirkt, und wo man eine Wirksamkeit als anfangs- und
zeitlos setzt, aber ihr Erzeugnis als in der Zeit entstehend und vergehend
setzt.
Dieser Widerspruch wird vor allem im Widerstreit einer mechani-
schen und teleologischen Welterklärung offensichtlich. Zeller entschärft
gleichsam durch die Übernahme der Aristotelischen Hypothese den
Streit zwischen einer mechanischen und teleologischen Naturerklärung,
die in neueren Forschungen zur Geologie, Paläontologie, Biologie und
deren theologischer Gegnerschaft ausgetragen wird. Bringt man näm-
lich mit Aristoteles die Hypothese von der Ewigkeit der Welt ins Spiel,

48 Zeller (1884a), 10.


49 Zeller (1884a), 10.
50 Zeller (1877d), 545: „Aber ehe man untersucht, wie die Welt entstanden ist,
müsste man doch erst darüber im reinen sein, ob sie überhaupt entstanden ist.
Die Bejahung dieser Frage ist nämlich so wenig selbstverständlich, dass vielmehr
für ihre Verneinung alle die Gründe sprechen, welche von Aristoteles bis auf
Schleiermacher und Strauß herab dafür geltend gemacht worden sind.“
51 Zeller (1884a), 14.
170 Gerald Hartung

so wandelt sich die Problematik und es geht nur noch um die Frage, wie
wir uns die letzten Ursachen der Erscheinungen zu denken haben, um
das Ganze dieser Erscheinungen seinen unveränderlichen Grundzügen
nach erklären zu können.
Gesucht werden also „immanente“ Ursachen, die ihren Wirkungen
gleichzeitig sind.52 Zellers konsequente Anwendung der „Aristoteli-
schen Immanenzlehre“ (Ernst Hoffmann) führt dazu, dass er sowohl die
mechanische als auch die teleologische Welterklrung entkräftet und sie
auf den Status zweier Beschreibungsmuster zurückfährt, denn „wird das
Ganze als das Produkt seiner sämmtlichen Bestandtheile betrachtet, so
ergibt sich die causale, werden die Theile als die Bedingungen des
Ganzen betrachtet, so ergibt sich die teleologische Weltansicht.“53 Beide
sind dadurch gewissermaßen gerechtfertigt, aber sie lassen sich als Er-
klärungen eben nicht auf das Weltganze anwenden.
Die Frage ist nun, warum wir es mit diesen Mustern der Natur-
beschreibung zu tun haben, die wir fälschlich als Erklärungsmodelle
gebrauchen. Zeller gibt eine gleichsam kulturanthropologische Ant-
wort, insofern er auf eine Erbschaft der Anfänge menschlicher Kul-
turgeschichte rekurriert, in denen sich schon die Frage nach dem
„Warum?“ aufdrängte und der Mensch Kausalbegriffe bildete, die ihm
als Leitfaden der Weltorientierung dienten. Dabei hat ihn anfänglich
„durchweg die Analogie seines eigenen Wollens und Thuns“ den Weg
gewiesen.54 Aristoteles’ Hypothese von der Anfangslosigkeit der Welt
leistet einen unüberschätzbaren Beitrag für die wissenschaftliche Auf-
klärung, weil sie diese Analogie außer Kraft setzt. Sie entzaubert eine
vermeintliche Selbstverständlichkeit, die in der Gestalt eines wissen-
schaftlichen Anthropomorphismus daher kommt – und setzt an deren
Stelle eine Arbeitshypothese, die es erlaubt, die letzten Ursachen der
Erscheinungen und das Ganze dieser Erscheinungen nach gesetzmäßi-
gen Wirkungszusammenhängen zu erforschen.
Mit diesen Erörterungen zur Aristotelischen Wissenschaftsauffassung
und ihrer Wirkungsgeschichte geht bei Zeller die Polemik gegen
theologische Lehrmeinungen einher, die den Widerspruch von An-
fangslosigkeit und Entwicklung der Welt in den Gottesbegriff verlegen
und sich – wie es bei Schelling geschieht – zur Absurdität eines sich
vermittels der Weltschöpfung entwickelnden Gottes und – wie bei

52 Zeller (1884a), 30.


53 Zeller (1884a), 33.
54 Zeller (1877d), 527. Vgl. dazu Hartmann (1951).
Zum Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften bei Eduard Zeller 171

Eduard von Hartmann – in die „karikirenden Vergröberung […]


gnostischer und manichäischer Mythologie“ versteigen.55
Die bedeutsamste Auseinandersetzung führt Zeller auch in diesem
Zusammenhang mit Kant (KrV, B 454 f.), da Kant die These von der
Anfangslosigkeit der Welt in die kosmologische Antinomie getrieben
hat, um den reinen Formcharakter von Raum und Zeit zu beweisen.
Zeller hingegen behauptet, dass Raum und Zeit reale Seinsverhältnisse
sind und die Annahme eines ersten Moments in einer Zeitreihe deshalb
in einem mehr als formalen Sinne widersprüchlich ist, weil man in den
Grenzen der Erfahrung schlechterdings etwas Seiendes nicht zugleich als
Nicht-Seiendes denken kann und die Welt als Erfahrungshorizont auch
nicht an den Beginn einer Zeitreihe setzen kann. Kants Argument, dass
bei der Annahme der Anfangslosigkeit der Welt von jedem Zeitmoment
eine unendliche Zeitreihe „ablaufen“ würde, unterläuft mithin seine
eigenen erkenntnistheoretischen Grenzziehungen.
„Soll die Welt wirklich als anfangs- und endlos gedacht werden, so
muss man die Zeitvorstellung überhaupt von ihr ferne halten; und man
kann diess, ohne die Zeit desshalb zu einer blos subjektiven Vorstel-
lungsform zu machen.“ Nur wo Veränderung ist, da ist Zeit; die Welt
aber als Ganzes ist unveränderlich, also auch nicht in der Zeit. Für das
Weltganze gibt es keine Zeitbestimmung.56
Nach Zellers Auffassung ist es undenkbar, dass die Welt als Ganzes
einmal nicht war. Ebenso undenkbar ist, dass zu ihrer Ganzheit etwas
„irgendwann“ hinzugekommen ist, also Veränderung stattgefunden
habe. Die Welt als unvollständige Ganzheit ist nicht denkbar. Wenn alle
Kräfte von Ewigkeit in ihr angelegt sind, dann muss auch das „Ge-
sammtergebnis ihrer Wirkungen“ immer gleich gewesen sein.57 Es ist
also, so fasst Zeller seine Überlegungen zusammen, weder an eine
Entwicklung Gottes in der Welt, noch an eine Entwicklung der Welt
selbst zu denken. Jede Entwicklung hat einen Anfang, jede Entwicklung
impliziert eine Veränderung. Wo das aber nicht, wie in der Hinsicht auf
das Weltganze gegeben ist, da gibt es auch keine Entwicklung.58 Wer
sich also nicht in Widersprüche verzetteln und die Bedingungen wis-
senschaftlicher Welterklärung verletzen will, der sollte von der These,
dass es einen Welt-Anfang in der Zeit gibt, Abstand nehmen.

55 Zeller (1884a), 21.


56 Zeller (1884a), 23.
57 Zeller (1884a), 25.
58 Zeller (1884a), 27.
172 Gerald Hartung

Jenseits der Fragestellung, ob Zellers Aristoteles-Lektüre wie auch


seine Kant-Kritik dem erörterten Gegenstand gerecht wird, zeigt sich
eine strategische Implikation in der Argumentation Zellers. Im Allge-
meinen geht es ihm darum, die Philosophie an wissenschaftliche Ar-
gumentationsstandards zu koppeln, d. h. sie eng an die Erfahrungswis-
senschaften heranzuführen. Ihre Hypothesen müssen mit den Beob-
achtungen der Wissenschaften vereinbar sein. In diesem Sinn behauptet
Zeller, dass die These von einem Anfang der Welt in der Zeit allen
wissenschaftlichen Erwägungen der Physik, Biologie, Geologie usw.
widerspricht. Die These von der Ewigkeit der Welt lässt sich dagegen
mit der Geltung physikalischer und biologischer Gesetzmäßigkeiten
widerspruchsfrei verbinden, wie es die Beschreibung einer mechani-
schen Struktur der Welt durch Newton und Darwin nahelegt.

VI. Zusammenfassung

Zeller unternimmt im Schatten von Theologie und Systemphilosophie


den Versuch, die Dominanz von bloßer Beobachtungswissenschaft und
Entwicklungslehre zu brechen. Die Diskussion zum Thema „Ewigkeit
der Welt“ zeigt, dass ihm die bloße Quantifizierung von Entwick-
lungsmomenten in einer sinnindifferenten Natur, wie Darwin sie be-
schrieben hat, mindestens genauso anstößig ist wie die mythische
Kosmogonie eines Schelling und von Hartmann. Als Hegelianer, der er
in der Betrachtung der Natur- und Kulturgeschichte als Ganzheit, nicht
aber in deren systematischer Zurichtung immer geblieben ist, geht es
ihm um die Analyse komplexer Wirkungsverhältnisse, für die einfache
Deutungsmuster unzureichend sind. In der rigorosen Anwendung einer
Aristotelischen Immanenzlehre steuert Zeller – und auch hier lohnt sich
der Vergleich mit Hegel – auf einen philosophischen Monismus zu.
Prekär ist dabei die Abgrenzung zum Spinozismus und zum Monismus
fürs Volk à la Ernst Haeckel, wenn Zeller die Welt als Ganzes als ein
autopoietisches System beschreibt – als „ein Werk der weltschöpferi-
schen Kraft“ […], das nach unabänderlichen Gesetzen und deshalb
ohne Anfang und Ende aus dem Wechsel seiner Theile in unwandel-
barer Gleichmässigkeit sich erzeugt.“59
Der Kant-Herausgeber Erich Adickes hat mit seiner Streitschrift
Kant contra Haeckel. Erkenntnistheorie gegen naturwissenschaftlichen Dogma-

59 Zeller (1884a), 34.


Zum Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften bei Eduard Zeller 173

tismus (190160) eine Formel geprägt und den Kampf der „Erkenntnis-
theorie“ gegen den naturwissenschaftlichen Dogmatismus ausgerufen.
Der Anlass für Adickes’ Streitschrift war der große Erfolg der Hae-
ckelschen Weltrtsel, einer kleinen Broschüre, die mit der Lösung der
großen Menschheitsfragen aufwartet.61 Adickes führt diesen Erfolg auf
mehrere Momente zurück. 1. eine Überschätzung der Naturwissen-
schaften, 2. eine unbewusste philosophische Tendenz zur Selbstver-
kleinerung, 3. einen übertriebenen Radikalismus gegenüber den Be-
dürfnissen des menschlichen Gemüts und 4. eine anti-christliche Zeit-
strömung. Zusammengerechnet entsteht hier ein weltanschauliches
Vakuum, in das Haeckel mit seinem anmaßenden Anspruch eindringt.
Adickes resümiert seine kritische Analyse der Situation mit einer po-
lemischen Zuspitzung: „Es klingt freilich sonderbar: Haeckel, die
philosophische Null, als Stiller philosophischer Bedürfnisse.“
Der kleine Exkurs zu Adickes und Haeckel lässt erahnen, was in der
Diskussion auf dem Spiel steht. Zeller hat gesehen, dass die Philosophie
in das Fahrwasser weltanschaulicher Streitigkeiten gerät, wenn sie ihre
methodische Klarheit verliert und ihren Anspruch, eine Wissenschaft
unter Wissenschaften zu sein, aufgibt. Die Abgrenzung von Philosophie
und bloßer Weltanschauungslehre – und der damit einhergehende
Status ihrer jeweiligen Hypothesenbildung – gelingen nur auf dem Weg
erkenntnistheoretischer Klärung. Weil diese Einsicht für Zeller unum-
stößlich ist, weicht er auch kein Jota von seinen Grundsätzen ab, dass die
Erkenntnistheorie die methodische Brücke zwischen der Philosophie
und den Wissenschaften bildet (1), dass Philosophie und Wissenschaften
gleichermaßen von inneren und äußeren Erfahrungstatsachen anheben
(2) und dass die Metaphysik andere Erfahrungswissenschaften in der
Erklärung des Tatsachenwerts ihrer Erfahrungsdaten ergänzt (3).
In wissenschaftstheoretischer Hinsicht ist Zeller der Vertreter einer
Generation von Gelehrten, die vor allem im Kontext der angelsächsi-
schen (Pragmatismus, Logik und Analytik) und, was weniger bekannt
ist, der deutschen Philosophie an ihrer Rehabilitierung als Wissenschaft
arbeiten. Eine Geschichte der Philosophie in ihrer nach-idealistischen
Phase, die in einem spannungsreichen Verhältnis zu den Naturwissen-
schaften, späterhin zu den Sozial- und Kulturwissenschaften steht, und
sich als „Metaphysik als Erfahrungswissenschaft“ versteht, ist bisher
noch nicht geschrieben worden. In dieser Geschichte wird Eduard

60 Adickes (1901).
61 Haeckel (1909).
174 Gerald Hartung

Zeller eine Gestalt des Übergangs sein – ein großer Vermittler der
Wissenstraditionen und ein unermüdlicher Verteidiger der Philosophie
als Wissenschaft.

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Aristoteles und Hegel
Anton Friedrich Koch

Die Entwicklung des deutschen Idealismus „kommt in Hegel auf


ähnliche Weise zum Abschluss, wie die der sokratischen Schulen in
Aristoteles zum Abschluss gekommen war“.1 Diesem Urteil Eduard
Zellers werde ich mich zwar nicht rückhaltlos, aber in vertrauter Ari-
stotelischer Relativierung anschließen: Einesteils – to men – ist dem so,
andernteils – to de – jedoch nicht; und für die Hinsicht, in welcher dem
nicht so ist, weist eine Hegel-Kritik Zellers selbst den Weg. Hegel, so
schreibt Zeller in seiner Geschichte der deutschen Philosophie,
verwickelt sich […] in den Widerspruch, daß der absolute Geist selbst als
Weltgeist einer geschichtlichen Entwicklung unterworfen wird, daß er
während des unendlichen Zeitraums, welcher der Entstehung des Men-
schengeschlechts vorangieng, in keinem endlichen Bewußtsein das Dasein
gewonnen hätte, dessen er doch nicht entbehren kann, und zum vollen
Bewußtsein von sich selbst erst gelangt wäre, seit der Standpunkt des ab-
soluten Wissens entdeckt ist.2
Eine Kritik dieses Tenors hätte Aristoteles nicht treffen können; denn
Aristoteles kennt keinen absoluten Geist. Einen göttlichen Geist zwar
kennt er, der von der kosmischen Bewegung, die er verursacht, losgelöst
ist; aber dieser ist nicht auf das „Menschengeschlecht“ angewiesen, um
„das Dasein“ zu gewinnen oder „zum vollen Bewußtsein von sich
selbst“ zu gelangen. Ferner hält Aristoteles nicht viel von Evolutions-
theorien, sondern lehrt, dass jener Gott und der Kosmos samt allen
natürlichen Arten immer existieren.
Ist also die Entwicklung des deutschen Idealismus nur äußerlich und
chronologisch in Hegel so zum Abschluss gekommen wie die der so-
kratischen Schulen in Aristoteles, oder lässt sich Zellers Diktum auch
systematisch rechtfertigen? Ich möchte im folgenden eine partielle
systematische Rechtfertigung versuchen und zugleich Hegel gegen den
zitierten Vorwurf der Inkonsistenz in Schutz nehmen.

1 Zeller (1875), 624.


2 Zeller (1875), 649.
178 Anton Friedrich Koch

Zu diesem Zweck wird, um eine Ausgangsbasis zu gewinnen, im


ersten und im zweiten Teil des Vortrags Aristoteles’ bzw. Hegels Re-
aktion auf die eleatische Problematik der Ausdifferenzierung des Sei-
enden skizziert. Im dritten Teil soll dann Zellers Inkonsistenzverdacht
und im letzten Teil seine These behandelt werden, dass in Hegel und in
Aristoteles philosophische Entwicklungen auf ähnliche Weise zum
Abschluss kommen.

I. Aristoteles über die Vielfalt der Seinsweisen


Unter den Arten und Gattungen des Seienden scheint die allumfassende
Gattung es selber, das Seiende, sein zu müssen. Doch diese Annahme
führt in eine Aporie. Nehmen wir an, Gelb sei eine Farbgattung. Wie
wird sie ausdifferenziert? Nicht durch Gelb selber, versteht sich, son-
dern durch Nichtgelbes: durch Rot in Richtung Orange, durch Grün
in Richtung Zitrone. So muss also auch das Seiende durch Nichtsei-
endes ausdifferenziert werden. Doch während wir widerspruchsfrei
annehmen dürfen, dass es Grünes und Rotes gibt, ist die Behauptung,
Nichtseiendes sei (Nicht-der-Fall-Seiendes sei der Fall oder Nicht-
existierendes existiere), widerspruchsvoll. Folglich ist die Ausdifferen-
zierung des Seienden unmöglich. Soweit die Aporie.
Aristoteles kann bereits auf zwei monumentale Lösungsvorschläge
zurückblicken, doch er tut es ablehnend. Parmenides hatte gefolgert,
dass allein das undifferenzierte, homogene Seiende real ist, hatte also die
Phänomene der Vielheit und des Werdens preisgegeben und die Aporie
zur Lösung erklärt. Platon wollte demgegenüber die Phänomene retten,
und zwar mittels einer Nichtstandardmethode der Ausdifferenzierung
von Gattungen. Im Sophistes legt er dar, dass das Seiende verschiedene
Züge hat, einerseits ruhig und andererseits bewegt ist, was voraussetzt,
dass neben ihm weitere höchste Gattungen, insbesondere Ruhe und
Bewegung, existieren, an denen es, das Seiende, teilhat. Und da das
Seiende etwas anderes als Ruhe und Bewegung, aber mit sich selbst
identisch ist, müssen ferner die Gattungen des Anderen und des Selben
als seiend angenommen werden. Um also sein zu können, was es ist,
Seiendes, muss das Seiende mindestens an diesen vier anderen Gat-
tungen teilhaben. Das ist aber nur möglich, wenn diese Gattungen ih-
rerseits sind. Also muss das Seiende ihnen – der Ruhe, der Bewegung,
dem Anderen und dem Selben – im Gegenzug Anteil an sich, dem
Seienden, gewähren. Durch dieses do ut des auf höchster Ideenebene
Aristoteles und Hegel 179

konstituiert sich ein relatives Nichtseiendes, nämlich ein Nicht-das-


Seiende-Seiendes, mittels dessen sich die Ausdifferenzierung des Sei-
enden denken und der Seinsmonismus vermeiden lässt.
Auch Aristoteles will die Phänomene retten; aber er verwirft die
Platonische Lösung, weil er, wie auch Zeller wieder und wieder betont,
Gattungen nicht als substantiell anerkennt. Substantiell sind ihm nur die
untersten Ideen, die der Arten, also die eidÞ oder Wesensformen in den
Einzeldingen.3 Gattungen sind ihm potentiell und passiv: intelligible
Materie, der Stoff, aus dem die Formen sind. Ein Gattungsallgemeines
kann nicht aktual auftreten, weil ihm unverträgliche Bestimmungen
zukämen. Das Pferd, der Mensch, die Schlange sind Lebewesen; das
Pferd hat wesentlich vier, der Mensch zwei, die Schlange keine Beine.
Wie viele Beine also hätte das Lebewesen als aktuales Allgemeines?
Sowohl keines als auch zwei als auch vier? Oder weder noch? – Für die
verschiedenen Individuen einer Art stellen sich derlei aporetische Fra-
gen nicht, weil die individuellen Unterschiede akzidentell sind. Der
Mensch als solcher tritt in jedem einzelnen Menschen aktual auf, das
Lebewesen nicht, es bleibt intelligible Materie. Art- und Gattungsall-
gemeinheit sind demnach radikal verschieden, und Allgemeinheit im
eigentlichen Sinn ist nur die Gattungsallgemeinheit. Dies vor Augen,
kann man fragen – und die Frage wird in der Literatur zu Metaphysik,
Buch Z kontrovers diskutiert –, ob Aristoteles das eidos überhaupt noch
als etwas Allgemeines gelten lässt oder ob er nur individuelle Formen
annimmt. Mit einem Hegelschen Theorieangebot aus der Logik des
Fürsichseins ließe sich die Kontroverse vielleicht entschärfen. Man
müsste demnach sagen, dass die eine Form der Art sich zu vielen indi-
viduellen Formen repelliert und die vielen individuellen Formen sich
wieder zu der einen Artform attrahieren, und dies nicht etwa nur ab-
strakt logisch wie das Eins und die Vielen in der Logik des Fürsichseins,
sondern konkret biologisch durch Zeugung, Geburt und Tod im Le-
bensprozess der Spezies. Aber mit Hegelschen Theorieangeboten tut die
Aristotelesforschung sich schwer.
Doch wie reagiert nun Aristoteles auf Elea? Bekanntermaßen mit
der Generalformel, dass das Seiende keine Gattung ist, sondern auf
vielfache Weise, aber auch nicht homonym, sondern in Beziehung auf
eine einzige physis, die ousia, ausgesagt wird. Das Vereinigende all
dessen, was wir seiend nennen, ist also weder ein gemeinsames Merkmal
noch bloß unser kontingenter Sprachgebrauch, sondern ein gemeinsa-

3 Vgl. Zeller (1862), 633.


180 Anton Friedrich Koch

mer Bezugspunkt, der in ausgezeichneter Weise seiend zu nennen ist,


eben die Substanz. In Metaphysik, Buch Z 1 lehrt Aristoteles sogar, dass,
wer nach dem Seienden fragt, ohne Verlust an Allgemeinheit fragen
kann, was die Substanz sei, so als gäbe es das außersubstantielle Seiende
gar nicht. Das zeigt, dass er die Platonische Lektion aus dem „Sophistes“
durchaus zu beherzigen weiß und sie zu eigenen Zwecken variieren
kann: Es gibt Seiende, die seiend nicht an sich, sondern nur in Bezie-
hung auf ein anderes sind, welches an sich seiend ist. Bei Platon war dies
die Gattung des Seienden, bei Aristoteles ist es die Substanz. Bei Platon
freilich war das Seiende auch seinerseits angewiesen auf jede andere
höchste Gattung; bei Aristoteles ist die Substanz angewiesen nur auf
Akzidentalität überhaupt, nicht aber auf dieses oder jenes bestimmte
Akzidens.
Die Weisen des Seins werden von Aristoteles in ihrer unhinter-
gehbaren Vielfalt aufgezählt (Metaphysik, Buch D 7), an verschiedenen
Stellen der Metaphysik einzeln untersucht und insgesamt auf die Sub-
stanz bezogen (Metaphysik, Buch C 2). Zu nennen sind 1) das akzi-
dentelle Sein: ein einförmiges Zukommen von Akzidentien, das Me-
taphysik, Buch E 2 als wissenschaftlich unergiebig beiseite gesetzt wird,
2) das An-sich-Sein der Substanz, dessen Entfaltung in eine plus neun
Kategorien den Akzidentien neun kategoriale Sollstellen darbietet, an
denen sie der Substanz zufallen können, 3) das veritative Sein, dessen
grundlegende, vorpropositionale Form im Schlusskapitel von Met. H
behandelt und dessen nachgeordnete, propositionale Form Metaphysik,
Buch E 4 ebenso beiseite gesetzt wird wie das akzidentelle Sein, und 4)
zu guter Letzt das Möglichsein und das Wirklichsein, die den Gegen-
stand von Metaphysik, Buch H 1 – 9 bilden. Alle diese Seinsweisen
bleiben an die Substanz gebunden, so dass die These von Metaphysik,
Buch Z 1 durchgehalten werden kann, die Frage nach dem Seienden sei
durch die Betrachtung der Substanz zu beantworten.
Zwei Resultate dieser Betrachtung seien abschließend festgehalten.
Erstens gibt es nach Metaphysik, Buch K 1 von den Substanzen drei
Sorten: a) die wahrnehmbaren, vergänglichen, irdischen Dinge, b) die
wahrnehmbaren, unvergänglichen, bewegten Himmelskörper und c)
die nicht wahrnehmbaren, immateriellen, unbewegten Beweger der
Himmelskörper und der Sphären, an ihrer Spitze der erwähnte Gott, der
reine, möglichkeitsfreie Wirklichkeit ist. Zweitens ist nach Metaphysik,
Buch Z weder die Materie noch das aus Materie und Form bestehende
konkrete Ding, sondern die Form die primäre Substanz. Trivialerweise
gilt dies für die immateriellen Substanzen; es soll aber auch für die
Aristoteles und Hegel 181

sublunaren Substanzen gelten, die das Thema des Z bilden und die nur
existieren können, indem sie sich in Materie vervielfältigen und durch
diese multiple Selbstklonierung in den erwähnten Artprozess eintreten,
in dem sie, die individuellen Formen, selbst von endlicher Dauer und
nur die Arten ewig sind. – Soweit in allergröbsten Zügen das Grund-
gerüst der Aristotelischen Metaphysik.

II. Hegels Metaphysikkritik


Bei aller Wertschätzung für Aristoteles lehnt Hegel jegliches Klassifi-
zieren in der Philosophie ab: Die interne Vielfalt des Seins darf nicht
quasiempirisch vorgefunden, sondern muss systematisch in einer mini-
malistischen Theorie entwickelt werden. Minimalistisch ist die Theorie
– die Wissenschaft der Logik – bezüglich ihrer Voraussetzungen: Sie soll
voraussetzungsloses, reines Denken sein. Dass es eine solche Extrem-
theorie geben könne, ist seinerseits eine ungewöhnlich starke Arbeits-
hypothese, die es erlaubt, gehaltvolle Anforderungen zu formulieren,
durch die die gesuchte Theorie individuiert wird. Ihr erstes Theorem
muss etwas zum Inhalt haben, was schlechterdings nicht bestritten
werden kann, weil es in jedem Bestreitungsversuch und überhaupt in
jeder Aussage mitausgesagt wird, also das allgemeine, undifferenzierte
Der-Fall-Sein selber. Ein Seitenblick auf Wittgensteins Abhandlung
mag zur Erläuterung dienen. Wittgenstein verwirft nicht nur wie Hegel
alles logisch-philosophische Klassifizieren (Logisch-philosophische Ab-
handlung, 5.453), sondern nimmt auch „das, was alle Sätze, ihrer Natur
nach, miteinander gemein haben“, als „die Eine logische Konstante“ in
den Blick, die nicht nur „das Wesen des Satzes“, sondern zugleich „das
Wesen der Welt“ sei (Logisch-philosophische Abhandlung, 5.47 ff.). Hegel
nennt diese eine – oder bei ihm vielmehr erste – logische Konstante das
reine Sein.
Indem er mit dem reinen Sein einsetzt, lässt Hegel die Logik elea-
tisch beginnen; aber er will sie nicht eleatisch enden lassen, sondern wie
Platon und Aristoteles die Phänomene retten. Zu diesem Zweck wählt
er indessen eine Strategie, die so aussichtslos scheinen mag wie der
Versuch eines Lichttechnikers, Gelb mit Gelb auszudifferenzieren. Das
reine Sein selber nämlich fungiert in der Hegelschen Logik als Prinzip
seiner Ausdifferenzierung, sofern es von Hegel zugleich als selbstwi-
dersprüchliche Negativität gefasst wird (es gibt eben, wie sich zeigt,
nichts festes Gemeinsames, das in allen Aussagen mitausgesagt würde.)
182 Anton Friedrich Koch

Die Negativität aber war bekanntlich schon für Parmenides die Quelle
der Pluralität und Prozessualität, also des Kosmos. Freilich blieb sie bei
Parmenides streng vom Sein getrennt und konnte nur im Modus des
Scheins bestehen. Hegel hingegen sieht Sein und Negativität im reinen
Sein innig amalgamiert. Die Inkonsistenz gehört insofern zum Wesen
des Satzes und zum Wesen der Welt, zum Denken und zum Sein. Aber
Denken und Sein sind vom Widerspruch nicht statisch geprägt, sondern
vielmehr getrieben; denn Hegel hält am Nichtwiderspruchsprinzip fest.
Angesichts der Faktizität des Widerspruchs besitzt es allerdings den
Status eines bloß regulativen Prinzips, einer Norm, die das inkonsistente
Denken und Sein des Anfangs in einen Prozess der Selbstkorrektur
zwingt, der die Evolution des logischen Raumes hin zur Wider-
spruchsfreiheit bildet, die in der Wissenschaft der Logik nachgezeichnet
und dadurch vollendet wird.
Auch hier übrigens trägt Zeller Kritik vor: Wenn Hegel den Wi-
derspruch als „die Wurzel aller Bewegung und Lebendigkeit“ und die
Bewegung als den „daseiende(n) Widerspruch“ auffasse, so verwechsle
er „den Widerspruch mit dem Gegensatz“.4 Doch die Antinomie des
Lügners belehrt uns, dass die Negation-ihrer-selbst, dass somit der reine
Widerspruch zum Wesen des Denkens gehört und dass der Satz vom zu
vermeidenden Widerspruch nicht selbstverständlich, sondern eine he-
roische Absichtserklärung der Vernunft ist. Man kann Hegel allenfalls
vorwerfen, dass er die Macht der Vernunft, nicht dass er die Macht des
Widerspruchs überschätzt.
Den verschiedenen Entwicklungsstufen des logischen Raumes, um
zu dessen Evolution zurückzukehren, entsprechen verschiedene kate-
goriale Konzeptionen des Realen, die im Lauf der Philosophiege-
schichte in konkurrierenden metaphysischen Theorien ausgearbeitet
worden sind. Aber nicht wir Philosophen sind die Urheber einseitiger,
inkonsistenter Theoriebildung, sondern das Reale selber ergeht sich in
schlechter Metaphysik und spielt sie uns zu, wenn wir philosophieren.
In einer bestimmten Phase seiner logischen Evolution besteht das Reale
zum Beispiel aus Dingen mit Eigenschaften, näher fürs erste aus baren
Partikularien, an die sich allgemeine Eigenschaften heften, dann aber,
nach dem Scheitern der Partikularien, aus Bündeln von Universalien.
Konkurrierende metaphysische Theorien können also durchaus zu-
treffen und werden dann jeweils wahr gemacht durch eine kategoriale
Auftrittsform des Realen. Aber jede metaphysische Theorie ist in einem

4 Zeller (1875), 642.


Aristoteles und Hegel 183

tieferen Sinn unwahr, weil die Auftrittsform, die ihren Gegenstand und
Wahrmacher bildet, nicht haltbar ist, sondern sich alsbald zugunsten
eines logischen Nachfolgers auflöst, der eine konkurrierende Meta-
physik wahr macht, so lange, bis alle möglichen kategorialen oder
metaphysischen Formen aufgebraucht sind und die Evolution des lo-
gischen Raumes einen Haltepunkt erreicht hat, an dem die Spannung
zwischen Sein und Negativität nicht mehr inkonsistent, sondern voll-
kommen harmonisch sein soll. Der Haltepunkt – Hegel nennt ihn die
absolute Idee bzw. den absoluten Geist – soll indes keine weitere, nur
eben triumphale kategoriale Form bzw. metaphysische Theorie mehr
sein, sondern das dynamische Ensemble aller kategorialen Formen. Im
logischen Haltepunkt sind demnach alle Denk- und Seinsformen zu
flüssigen Momenten einer prozessualen Totalität herabgesetzt, die Hegel
mit dem organischen Prozess einer Pflanze vergleicht: Deren Formen –
Knospe, Blüte, Frucht usw. –
unterscheiden sich nicht nur, sondern verdrängen sich auch als unver-
träglich miteinander. Aber ihre flüssige Natur macht sie zugleich zu Mo-
menten der organischen Einheit, worin sie sich nicht nur nicht wider-
streiten, sondern eins so notwendig als das andere ist, und diese gleiche
Notwendigkeit macht erst das Leben des Ganzen aus.5
Hegel will also den Schatz der kategorialen Formen des Realen nicht
um eine weitere vermehren, sondern das Spiel der konkurrierenden
metaphysischen Theorien als das Wesen des Satzes und der Welt (bzw.
des Denkens und des Seins) darstellen und anerkennen.

III. Der Verdacht der Inkonsistenz

Zeller tadelt als es widerspruchsvoll, dass Hegel einen absoluten Geist


annehme, den er gleichwohl einer geschichtlichen Entwicklung un-
terworfen denke, und dies zudem so, dass der Geist erst spät, in den
Menschen, ins Dasein und noch viel später, in deren spekulativer Phi-
losophie, zum Selbstbewusstsein komme. Hegel hat diesen Einwand
antizipiert. „So widersprechend es scheinen mag“, lesen wir in der
Vorrede zur „Phänomenologie“, „daß das Absolute wesentlich als
Resultat zu begreifen sei, so stellt doch eine geringe Überlegung diesen
Schein von Widerspruch zurecht.“6 Die geringe Überlegung greift

5 Hegel (1970), 12.


6 Hegel (1970), 24.
184 Anton Friedrich Koch

unter anderem auf Aristoteles zurück, der „die Natur als das zweck-
mäßige Tun“ bestimme.7 Die Form nämlich fungiert bei Aristoteles
zugleich als immanentes Telos, Zielursache, und die Zielursache mit-
unter, so im Fall des ersten Bewegers, als Wirkursache; denn, selbst
unbewegt, kann der Gott anderes nur bewegen hüs eroumenon, wie ein
Geliebtes, auf welches hin anderes sich in Bewegung setzt.
Im Hegelschen Kontext ist der Zweck kein äußeres Ziel, auf das hin
sich etwas Anderes bewegt, sondern das immanente Ziel der Evolution
des logischen und des physikalischen Raumes. Und Hegels Pointe ist es,
dass das erreichte und verwirklichte Ziel keine besondere letzte Ent-
wicklungsstufe ist, die über alle Vorgänger triumphiert und demgemäß
in einer metaphysica triumphans darzustellen wäre, sondern das Ziel ist
die Einsicht, dass alle Entwicklungsstufen unverzichtbar sind und alle
Metaphysiken ihr Wahrheitsmoment haben. Die ganze Entwicklung,
die zuvor an sich verlief, wird am Ende fðr sich und repräsentiert sich in
sich selbst.
Das aber spricht dafür, die Rede vom absoluten Geist deflationär zu
interpretieren. Er ist offenbar keine besondere, letzte, umfassende En-
tität. Er ist überhaupt keine Entität, kein Gegenstand irgendeiner re-
visionären Metaphysik. Er ist eine façon de parler, die zum Ausdruck
bringt, dass wir Menschen und unser Philosophieren kein Zufall sind,
sondern dass schon der Urknall nur stattfinden konnte und nur sein
konnte, was er war, weil eines Tages unsereins existieren und in He-
gelscher Manier philosophieren würde. Man kann diese Lehre auch so
formulieren: In jeder möglichen Welt gibt es endliche Subjekte, die
früher oder später zu philosophieren beginnen. Kühn ist diese These
zwar auch, aber nicht widerspruchsvoll, jedenfalls nicht in der von
Zeller gerügten Weise.
Diesem bliebe somit das Verdienst, durch die Diagnose eines Wi-
derspruchs in der Lehre vom absoluten Geist diese diskreditiert zu
haben, aber, anders als er glaubte, diskreditiert als Instrument der Hegel-
Interpretation. Zwar wird, dass Hegel diese Lehre vertreten habe, durch
viele seiner erläuternden und zusammenfassenden Redensarten nahe-
gelegt und ist die Standardinterpretation. Aber eine ontologisch ver-
pflichtende Rede vom absoluten Geist würde schlecht zur doktrinalen
und argumentativen Substanz von Hegels Lehre passen und ihn vor
allem, wie Zeller sah, in einen Widerspruch verwickeln. Der Gefahr
dieses Widerspruchs war Hegel sich aber wohlbewusst und auch dessen,

7 Hegel (1970), 26.


Aristoteles und Hegel 185

sie gebannt zu haben. Verabschieden wir uns also von der Vorstellung,
dass Hegel revisionäre Metaphysik betreibe und dass er insbesondere
eine Metaphysik des absoluten Geistes lehre. Damit ziehen wir die
angemessene Konsequenz aus Zellers Kritik.

IV. Die klassische griechische und die klassische deutsche


Philosophie

Platon und Aristoteles haben mit ihren nah verwandten und zugleich
weit divergierenden Reaktionen auf Elea die Philosophie auf den Weg
oder vielmehr auf zwei Hauptwege gebracht, zwischen denen es stets
Querverbindungen und periodische Annäherungen gab, die aber erst
Hegel endgültig in der goldenen Mitte wieder zusammenführen wollte.
Insofern kommt in ihm weniger die kurze Entwicklung des deutschen
Idealismus als die lange Entwicklung der Metaphysik zum Abschluss.
Tatsächlich hat die metaphysische Theoriebildung seither kaum
grundsätzlich Neues erbracht, ausgenommen den Versuch Russells und
vor allem Wittgensteins, im Anschluss an Frege die apriorische Semantik
in den Rang der Ersten Philosophie zu erheben. Aber die gegenwärtige
analytische Metaphysik bewegt sich mit ihren begrifflich präzise ge-
fassten Universalien- und Wahrmachertheorien doch wieder in ver-
trauten metaphysischen Fahrwassern, und im Übrigen dominiert der
philosophische Naturalismus: die pragmatisch inkonsistente Metaphysik
der Metaphysiklosigkeit. Nichts Neues also unter der Sonne, möchte
man sagen, abgesehen von wissenschaftlich fragwürdigen (aber vielleicht
zukunftsträchtigen) Bestrebungen, hinter die Metaphysik zurückzuge-
hen und einen anderen Anfang des Denkens vorzubereiten.
Über die konstitutive Bifurkation der Metaphysik, über Aristoteles’
Verhältnis zu Platon, schreibt Zeller:
[Bei Aristoteles] wird zwar die allgemeine Grundlage des platonischen
Idealismus festgehalten, aber die nähere Bestimmtheit, welche er in der
Ideenlehre erhält, wird aufgegeben: die Idee, welche Plato als jenseitige
und ausserweltliche gefasst hatte, wird als gestaltende und bewegende Kraft
in die Erscheinungswelt eingeführt […]. Die aristotelische Lehre kann
insofern gleichsehr als die Vollendung und als die Widerlegung der pla-
tonischen bezeichnet werden: sie widerlegt dieselbe in der Fassung, welche
ihr Plato gegeben hatte, aber ihren Grundgedanken führt sie noch reiner
und vollständiger, als Plato selbst, durch, denn sie legt der Form […] auch
die schöpferische Kraft bei, alle Wirklichkeit ausser sich zu erzeugen, und
186 Anton Friedrich Koch

sie verfolgt diese ihre Wirksamkeit […] durch das ganze Gebiet der Er-
scheinung.8
Dazu zwei Schlussbemerkungen.
1) Hegel fasst die Idee – bei ihm ein Singularetantum – als inner-
weltliche und ist insofern Aristoteliker. Aber da er den Widerspruch als
reale Macht anerkennt, kann er zugleich mit dem Einzelnen auch, wie
Platon, das Gattungsallgemeine als substantiell und die Dialektik als die
Diskursform der Ersten Philosophie anerkennen. Über allem aber steht
bei ihm der transitorische Charakter jeder metaphysischen Theoriebil-
dung. Alles Kontraintuitive seiner Lehre dient, wie übrigens auch bei
Kant, Fichte und Schelling, zuletzt der Rechtfertigung des natürlichen,
vormetaphysischen Weltbildes, das aber (wie schon Kant lehrte) in sich
begrifflich instabil ist und unwiderstehlich zu revisionärer Metaphysik
einlädt, deren vollständiges Formenspiel Hegel erschöpfend darstellen
und ipso facto depotenzieren wollte. Insofern kann man nicht sagen,
dass Hegel den deutschen Idealismus auf ähnliche Weise abschließt wie
Aristoteles die Sokratisch-Platonische Philosophie. Hegel schließt die
Metaphysik ab, indem er Platon und Aristoteles zusammenführt; und
Kant, Fichte, Schelling stehen als nahe Alternativen zu seiner Seite.
2) Zeller charakterisiert die Aristotelische Philosophie in ihrem
Verhältnis zur Sokratisch-Platonischen als eine Vollendung, die zugleich
Widerlegung ist. Wie kann eine Vollendung zugleich widerlegen?
Zeller sagt: als kritische Vertiefung, und das trifft im gegebenen Fall
sicher zu. Aber es trifft auch zu, dass Aristoteles den Platonismus in dem
Sinne widerlegt und vollendet, dass er dessen Einseitigkeit eine ge-
genläufige Einseitigkeit zur Seite stellt. Platon fasste das Substantielle als
allgemein, Aristoteles vollendet das Spektrum der theoretischen Mög-
lichkeiten, indem er das Substantielle als individuell fasst. Ähnliches
könnte, wenn auch bei gewandeltem Theoriespektrum, für Hegel und
seine Vorgänger gelten. Ihnen konnte es nicht mehr darum zu tun sein,
der Metaphysik eine Grundalternative zu eröffnen; sondern sie arbei-
teten daran, die Metaphysik durch eine Selbstaufklärung und Selbst-
begrenzung abzuschließen, aus der zugleich eine Rechtfertigung des
natürlichen Weltbildes hervorginge, also jenes fragilen Begriffssystems,
das Peter Strawson in deskriptiver Metaphysik nur explizit machen
wollte, ohne es rechtfertigen zu können. Das Programm einer Recht-
fertigung des natürlichen Weltbildes aus einer sich selbst transparent

8 Zeller (1862), 633.


Aristoteles und Hegel 187

gewordenen Metaphysik aber kann auf verschiedenem Wege durch-


geführt werden. Hegel hat die Entwicklung des deutschen Idealismus
abgeschlossen, indem er die von Kant, Fichte und Schelling beschrit-
tenen Wege um einen spektakulären vierten Weg ergänzt und so das
relevante Theoriespektrum vollendet hat.

Bibliographie
Hegel (1970): Georg Wilhelm Friedrich Hegel, „Phänomenologie des Geistes“,
in: Werke Bd. 3, Frankfurt/M.
Zeller (1875): Eduard Zeller, Geschichte der deutschen Philosophie seit Leibniz,
München.
Zeller (1862): Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen
Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung. Aristoteles und die alten
Peripatetiker, Tübingen.
Aristoteles und Darwin1
Kristian Kçchy

Aristoteles und Darwin gelten gemeinhin als Antipoden. Auf der einen
Seite der spekulative Metaphysiker, dessen philosophische Reflexionen
lediglich einen „Hemmschuh für die Entwicklung der Biologie“2 dar-
stellten. Auf der anderen Seite der empirische Wissenschaftler, dessen
Evolutionstheorie die Grundlage für eine wirkliche Wissenschaft vom
Leben legte.3 Aus dieser Perspektive betrachtet, besteht das primäre
Anliegen Darwins darin, die aristotelische Lehre der Zweckmäßigkeit
des Organischen zu widerlegen4 und durch eine kausal-mechanische
Erklärung zu ersetzen. Aristoteles’ Reflexionen bilden dann umgekehrt
die historische Wurzel aller finalistischen Lebenskonzepte und markie-
ren den Anfang des Vitalismus.5 In diesem Sinne geht Jacques Monod in

1 Ich verdanke viele Hinweise, Anregungen und weiterführende Informationen


für diesen Beitrag den gemeinsam mit meinem Kollegen Gottfried Heinemann
an der Universität Kassel im WS 2008/2009 durchgeführten Veranstaltungen
zu Aristoteles’ Natur- und Wissenschaftsbild sowie zur aktuellen Bedeutung
von Aristoteles’ Biologie. Gottfried Heinemann gilt dafür mein herzlicher
Dank.
2 Taylor (1963), 15.
3 So Bayertz (1993), 12: „Man kann sagen, daß die wissenschaftliche Disziplin
Biologie erst durch Darwins Leistung einen inneren theoretischen Zusam-
menhang bekam und damit in gewissem Sinne erst durch sie möglich wurde.“
Auch Vollmer (1995), 63 betont: „Tatsächlich hat erst die Evolutionstheorie
der Biologie Struktur und Profil einer selbständigen Wissenschaft verliehen.“
4 So hatte T. H. Huxley behauptet, die Evolutionstheorie habe der Teleologie
den Todesstoß versetzt, Heberer (1959), 6. Heberer (ebd. 38) betont deshalb:
„Diese Vorstellung von der Notwendigkeit einer Theorie der Kausalität, der
Ursachen der Evolution, der Ursachen für die Entstehung der organischen
Zweckmäßigkeiten, nahm schließlich die erste Stelle in Darwins Bemühungen
um den Gesamtkomplex der Evolutionstheorie ein.“
5 Driesch (1905), 11 bezeichnet Aristoteles als ersten Vertreter eines wissen-
schaftlichen Vitalismus. Und er fasst zusammen (ebd. 19): „Des Aristoteles
Lebenslehre ist ein reiner Vitalismus, und zwar möchte ich ihn ursprünglichen
oder naiven Vitalismus nennen, da er aus ganz unbefangenem Betrachten der
Lebensphänomene heraus erwachsen ist, nicht im Kampf gegen andere Dok-
trinen“. In Metaphysik der Natur (1927), 15 betont Driesch: „Aristoteles ist
190 Kristian Köchy

seinem Buch Zufall und Notwendigkeit 6 davon aus, dass Darwins Selek-
tionstheorie Zweckmäßigkeit zu einer sekundären Eigenschaft erklärt
und sie auf eine ursprüngliche, zufällig entstandene Invarianz und das
Spiel der natürlichen Selektion zurückführt. Damit ergibt sich dann der
Wissenschaftscharakter naturwissenschaftlicher Disziplinen gerade
durch die systematische Ausklammerung von Erklärungen mittels
Endursachen und die moderne Naturwissenschaft bedingt eine end-
gültige Verabschiedung der aristotelischen Physik.7
Der Blick auf die historischen Realitäten lässt allerdings Zweifel an
dieser karikaturhaften Gegenüberstellung aufkommen:8 Das reale Ver-
hältnis ist durchaus facettenreicher und zum Teil verworrener, spricht
aber letztlich wohl gegen die These einer absoluten Gegnerschaft von
Darwin und Aristoteles. Setzen wir bei Darwin an, dann äußert sich
dieser in seinen überlieferten Schriften und Briefen keinesfalls durchweg
ablehnend zu Aristoteles. Der berühmte Brief an den Aristoteles-
Übersetzer William Ogle vom 22. Februar 1882, in dem sich Darwin
für die Übersendung der englischen Übersetzung von De Partibus ani-
malium bedankt, zeichnet vielmehr das genau entgegen gesetzte Bild.
Hier heißt es: „[…] I had a high notion of Aristotle’s merits, but I had
not the most remote notion what wonderful man he was.“ Und weiter:
„Linnaeus and Cuvier have been my two gods, though in very different
ways, but they were mere schoolboys to old Aristotle.“9 Der Auffassung
von Simon Byl,10 es handele sich bei diesen Äußerungen lediglich um
Höflichkeitsfloskeln, widerspricht Allan Gotthelf in seiner Analyse des
Briefwechsels zwischen Darwin und Ogle vehement.11 Gotthelf kommt
vielmehr zu der begründeten Vermutung, Darwins Äußerungen
brächten ein überlegtes und sachlich fundiertes Lob des Aristoteles zum
Ausdruck. Ja, Gotthelf konstatiert gar einen Isomorphismus zwischen

Panvitalist: Er kennt die Kluft zwischen Mechanischem und Vitalem, zwischen


Unbelebtem und Belebtem (einschließlich des Nieder-Seelischen) nicht […]“.
6 Monod (1988), 38.
7 Monod (1988), 36.
8 So betont Depew (1997), 209 die bei allen Unterschieden bestehenden Ge-
meinsamkeiten in den Ansätzen von Aristoteles und Darwin: „[…] Darwin’s
and Aristotle’s concrete program in biological explanation serves to mitigate this
contrast in ways that allow interesting similarities to come in view amid for-
midable background differences.“
9 Darwin (1887), Bd. 3, 252.
10 Byl (1973); Byl (1980), xxx–xxxii.
11 Gotthelf (1999).
Aristoteles und Darwin 191

Darwins und Aristoteles’ biologischer Betrachtungsweise,12 die auf einer


tiefen Einsicht Darwins in die Bedeutung der funktionalen Erklärung
für biologische Strukturen bei Aristoteles beruhe.13 Ich werde auf diesen
Punkt später noch einmal zurückkommen. Zunächst spricht allerdings
gegen Gotthelfs Vermutung und für die Höflichkeitsthese von Byl die
Tatsache, dass Darwin selbst zwar relativ frühzeitig – nämlich bereits
1838 – in seinen Notizbüchern den Vermerk machte, er müsse Ari-
stoteles lesen und dessen Auffassung mit seiner eigenen Theorie ver-
gleichen. Dieser Vorsatz ist allerdings nach Quellenlage offensichtlich
niemals in die Tat umgesetzt worden.14 Es finden sich bei Darwin nur
wenige Hinweise auf Aristoteles und diese sind über das gesamte Werk
und die Notizen verstreut, stammen zumeist aus zweiter Hand und
dienen vor allem dem Zweck, Darwins eigene Thesen durch historische
Quellen zu stützen und ihnen so die Weihen eines tradierten Wissens zu
verleihen. Die einzige offizielle Stelle, in der sich Darwin zu Aristoteles
in historischer und systematischer Absicht äußert, als „Historical
Sketch“ bekannt und seit der dritten Ausgabe von On the Origin of
Species (1861) beigefügt,15 ist zudem von einem dramatischen Irrtum
geprägt. Darwin missversteht hier Aristoteles’ kritische Auseinander-
setzung mit der Entstehungslehre des Empedokles als die Darlegung der
aristotelischen Lehre selbst und begrüßt so Aristoteles als einen Vor-
läufer der Evolutionstheorie. Darwin tut dies ausgerechnet durch Ver-
weis auf diejenige Passage in Aristoteles Œuvre, die vielleicht als
deutlichste Ablehnung bestimmter Elemente der Evolutionstheorie
avant la lettre verstanden werden muss.

12 Gotthelf (1999), 21.


13 Gotthelf (1999), 22.
14 Engels (2007), 60 f.
15 Darwin (1872), 3: „Aristotle, in his ,Physicae Auscultationes‘ (lib.2, cap.8, s.2),
after remarking that rain does not fall in order to make the corn grow, any more
than it falls to spoil the farmer’s corn when threshed out of the doors, applies
the same argument to organisation; and adds […]: „So what hinders the dif-
ferent parts (of the body) from having this merely accidental relation in nature?
as the teeth, for example, grow by necessity, the front ones sharp, adapted for
dividing, and the grinders flat, and serviceable for masticating the food; since
they were not made fort he sake of this, but it was the result of accident. And in
like manner as to the other parts in which there appears to exist an adaptation to
an end. […] We here see the principle of natural selection shadowed forth, but
how little Aristotle fully comprehended the principle, is shown by his remarks
on the formation of the teeth.“
192 Kristian Köchy

Betrachtet man umgekehrt die Lehre des Aristoteles, dann kann man
sie zwar nicht – wie Darwin vermutete – uneingeschränkt als Vorläu-
ferkonzeption der Evolutionstheorie verstehen, sondern man muss –
gerade bei Berücksichtigung der genannten Textpassage aus der Physik –
zu der Einsicht gelangen, dass Aristoteles’ Lehre gegen bestimmte As-
pekte einer Evolutionstheorie in Darwins Sinne gerichtet ist. Allerdings
eröffnen sich gerade bei einer genaueren Lektüre dieser Textstelle die
Gründe für die Aristotelische Ablehnung, die einerseits auf einem
nichtdarwinschen Verständnis der Natur biologischer Bildungen beru-
hen, die aber andererseits mit Darwin geteilte Ideale der Wissen-
schaftlichkeit zum Ausdruck bringen. Angesichts dieser wissenschaftli-
chen Ideale und deren Umsetzung in der Biologie werden dann im Fall
von Aristoteles die Grundzüge einer Philosophie und Theorie der
Biologie deutlich und im Fall von Darwin die Abstriche, die man bei
Anlegung eines an der Physik gebildeten Maßstabs im Bereich der
Biologie machen muss. Diese Berücksichtigung zeigt dann auch andere
Gemeinsamkeiten, respektive führt zur Aufhebung verbreiteter Vor-
urteile. Provokant formuliert muss man zur Einsicht gelangen, dass
Darwin Teleologe16 war, während Aristoteles umgekehrt nur eine be-
stimmte Form der internen Finalität postulierte.17

I. Aristoteles und die Evolutionstheorie

Betrachten wir zur Beurteilung von Aristoteles’ Bewertung der Evo-


lutionstheorie die genannte Passage aus der Physik genauer. Sie hat
vermehrte Aufmerksamkeit in der philosophischen und historischen
Reflexion zur Biologie erfahren. Nach Theodor Ballauff handelt es sich
gar um einen der großen Wendepunkte in der Geschichte der Biologie,
und die maßgeblich gegen Empedokles gerichtete Überlegung reprä-
sentiere die zentrale „Deduktion der Teleologie des Organischen.“18
Stellt man Aristoteles’ Reflexionen jedoch in den Kontext der voran-
gegangenen Argumentationsschritte des zweiten Buches der Physik,
dann setzt die Überlegung bekanntermaßen mit der zentralen Defini-
tion von Naturdingen ein, wobei Aristoteles deren auf innewohnenden
Prinzipien beruhende Selbstbestimmung gegen die Fremdbestimmung

16 Lennox (1993).
17 Kullmann (1979), 16 ff., vor allem 17.
18 Ballauff (1954), Bd. 1, 39; Judson (2005).
Aristoteles und Darwin 193

von Artefakten abgrenzt (Aristoteles, Phys. 192b8 ff.). In Auseinander-


setzung mit gängigen Auffassungen folgt die Spezifizierung des Materie-
Form-Dualismus der Natur (Phys. 193a9 ff.). Aus dieser dualen und
modalen Charakterisierung ergeben sich dann die fachspezifischen
Unterschiede zwischen Mathematik und Naturwissenschaft
(Phys. 193b23 ff.). Dieses wiederum verweist auf die Notwendigkeit, in
naturwissenschaftlichen Fragestellungen alle vier möglichen Ursachen
und Erklärungen adäquat zu berücksichtigen (Phys. 194b16 ff.). Es folgt
schließlich die oben zitierte Auseinandersetzung mit dem „evolutio-
nären“ Konzept des Empedokles. Wobei bereits Eduard Zeller in sei-
nem Beitrag Ueber die griechischen Vorgnger Darwin’s (1878) 19 richtig
darauf verwiesen hat, dass es sich bei Empedokles’ und Darwins Kon-
zept eher um eine Familienähnlichkeit zwischen weit entfernten Ver-
wandten handelt. Trotz einiger bestechender Anklänge an Darwins
Lehre ist für das adäquate Verständnis des Empedokles deshalb dessen
gesamtes kosmologisches System zu berücksichtigen. Von einer Ent-
wicklungslehre im Sinne Darwins ist deshalb nur bedingt zu sprechen.
Der entscheidende gemeinsame Aspekt von Darwin und Empedokles ist
hingegen der Ruch von Irregularität und Zufälligkeit, der Empedokles’
Überlegungen über die Vorformen der Tiere anhaftet.
Betrachtet man diesen Aspekt, dann ist es aufschlussreich, dass der
direkte Kontext, in dem die Auseinandersetzung des Aristoteles mit
dieser Idee steht, die Debatte um Regularität und Einmaligkeit, um
Notwendigkeit und Zufall respektive Fügung (Phys. 195b31 ff.) ist.
Bereits dieses verweist aber auch auf das für die Diskussion des Evolu-
tionsmodells in Anschlag gebrachte Wissenschaftsideal des Aristoteles.
Dabei scheint die Absicht des Aristoteles eine andere zu sein, als sie etwa
Zeller konstatiert, der die kritische Note des Aristoteles gegenüber
Empedokles wenig beachtet.20 Im Gegensatz dazu möchte ich unter-
streichen, dass es Aristoteles stets um den Aufweis einer naturwissen-
schaftlich durch Angabe von Ursachen fassbaren Regularität geht. Sein
Einwand gegen den Empedokles ist deshalb maßgeblich ein Einwand

19 Zeller (1884), 37 – 51.


20 Zeller (1884), 43. Wobei Zeller durchaus dahingehend zuzustimmen ist, dass
Aristoteles in seinem Bezug auf die Empedokleischen Überlegungen einen
bestimmten Aspekt dessen Position auch „auf ein allgemeines Princip zu-
rückführte“ (Zeller 1884, 47). In diesem Fall handelt es sich um die Annahme,
die Zweckerzeugnisse der lebenden Natur könnten durchaus mit einer be-
stimmten kausalen Notwendigkeit einhergehen. Vgl. dazu auch die folgenden
Überlegungen der vorliegenden Untersuchung.
194 Kristian Köchy

gegen das Postulat von nebenbei eintretenden oder irregulären Ereig-


nissen als den maßgeblichen Momenten des Naturgeschehens. Gegen
dieses Postulat setzt Aristoteles auf Notwendigkeit und Regelmäßigkeit.
Seine Argumente stammen einerseits aus speziell biologischen Überle-
gungen – wie dem Modell der artspezifischen Genese („aus einem Samen
entsteht ein Ölbaum, aus einem anderen ein Mensch“ in Phys. 196a30 f.;
oder auch: „ein Mensch zeugt einen Menschen“ in Phys. 198a26 f.).
Andererseits bezieht sich Aristoteles auf einer grundsätzlicheren Ebene
auch auf ein bestimmtes Wissenschaftsideal, denn vernünftige Schlüsse
können sich nur auf Dinge beziehen, die immer so sind, oder aber
zumindest in der Mehrzahl der Fälle (Aristoteles, Phys. 197a31 f.).
Zudem entspricht diese vernünftige Ordnung der Natur – etwa ange-
sichts kosmologischer Phänomene – auch dem Augenschein
(Phys. 196b1 ff.).
Berücksichtigt man nun diese von Aristoteles stets als Ideal vor-
ausgesetzte Regularität des kosmischen Geschehens,21 dann ist jedoch
hinsichtlich biologischer Phänomene eine weitere Differenzierung
notwendig. Während man kosmische oder auch meteorologische Pro-
zesse der Natur – die sich dann jedoch auch auf biologisches Geschehen
wie etwa das Wachstum von Getreide auswirken können – durch reine
Naturnotwendigkeit erklären kann (Phys. 198b17 ff.), stellt sich beim
funktionellen Aufbau biologischer Bildungen – etwa den unterschied-
lichen Zahntypen eines heterodonten Gebisses – vordringlich die Frage
nach deren Zweckmäßigkeit (to heneka tou, Phys. 198b28 f.). Gerade
hinsichtlich dieser funktionalen Differenzierung und der wechselseitigen
Anpassung der Teile in Lebewesen verbietet sich dann eine Erklärung
nach Zufälligkeit, wie sie Empedokles’ Konzeption einer ungeregelt
entstandenen Bildung von Chimären – etwa menschenköpfigen Käl-
bern (Phys. 198b32) – nahe legt. Das Argument ist auch in diesem Fall,
dass alle Dinge und Geschehnisse der Natur entweder immer, oder aber
doch in den meisten Fällen so zustande kommen (Phys. 198b35 f.).
Weder entstehen sie nur nebenbei noch ungeordnet. Immer ist somit
die naturwissenschaftliche Frage nach der Ursache des Geschehens
möglich. Solche Fragestellungen müssen dann jedoch, gemäß der
Verpflichtung zur Berücksichtigung aller vier Ursachen, auch unter
Zweckgesichtspunkten erfolgen.

21 Lennox (2001), 101.


Aristoteles und Darwin 195

Die hier von Aristoteles vorausgesetzte Vorgehensweise entspricht


den Reflexionen in De partibus animalium – wie sie James Lennox22
systematisch analysiert hat. Gerade die Analysen von Lennox zeigen,
welchem Wissenschaftsideal Aristoteles bei seiner biologischen For-
schung verpflichtet ist. Trotz maßgeblicher Unterschiede – etwa der bei
biologischen Fragen zu berücksichtigenden Differenz von Stoff und
Form oder aber der Existenz von hypothetischen Notwendigkeiten –
folgt Aristoteles demnach auch in der Biologie den Vorgaben seiner an
Mathematik und Kosmologie entwickelten Wissenschaftsphilosophie
aus den Zweiten Analytiken. Dabei stellen sich allerdings im Anwen-
dungsfeld der Biologie eine Reihe neuer Fragen (Aristoteles, PA
639a16 – 642a31), die auch Differenzierungen in der Methodologie zur
Folge haben. So sind etwa logische Klassifikationen bei Anwendung auf
biologische Objekte zu spezifizieren und statt standardisierter dichoto-
mer Gliederung (PA 642b5 ff.) können verschiedene Gliederungssche-
mata simultan und ergänzend zum Einsatz kommen (PA 643b10 ff. und
PA 644a3 ff.). Am Fallbeispiel der Frage, ob die Nieren aus Notwen-
digkeit oder aber aus Zweckmäßigkeit die fetthaltigsten aller inneren
Organe sind, zeigt Lennox dann, wie sich bei Aristoteles unter Ein-
haltung des wissenschaftsphilosophischen Ideals beide Erklärungsweisen
– die nach kausaler Notwendigkeit und die nach funktionaler Zweck-
mäßigkeit23 – sinnvoll verzahnen und ergänzen. In dieser komplexen
biologischen Erklärung24 wird dann deutlich, wie stark auch das obige
Argument gegen die Evolutionstheorie des Empedokles keinesfalls auf
einer spekulativen Metaphysik25 beruht und insofern nicht Spekulation
gegen Erfahrungswissenschaft steht. Im Gegenteil: Aristoteles argu-
mentiert vielmehr sowohl im Fall der Erklärung des Aufbaus von
Nieren als auch bei der Kritik an Empedokles’ Evolutionsmodell auf der
Basis eines fundierten Wissenschaftsanspruchs. Bei Anlegung dieses
Maßstabs erweist sich dann eben die Empedokleische Vermutung als
unwissenschaftlich, da sie ein ungeregeltes und seltenes Geschehen
voraussetzt. Diese Vermutung widerspricht jedoch nicht nur den theo-
retischen Standards der aristotelischen Wissenschaft, sondern auch der
Erfahrung von geordnetem Geschehen in der Natur.

22 Lenox (2001), vor allem 106 ff.


23 Friedman (1986).
24 Detel (1999).
25 Lloyd (1990); O’Rourke (2004).
196 Kristian Köchy

Auch wenn diese Orientierung an der Regularität natürlicher


Ordnung dasjenige Moment ist, das Aristoteles mit Darwin verbindet,26
so werden doch bei genauerer Betrachtung die gravierenden Unter-
schiede beider Ansätze deutlich. Wie Cooper27 herausgestellt hat, ist bei
Aristoteles die Existenz der Arten immer schon vorausgesetzt. Als
Axiom der Analyse gilt sie nicht selbst als erklärungsbedürftiges Phä-
nomen. Natürliche Arten sind logisch-ontologische Typen oder Klassen
von Objekten. Sie repräsentieren die Norm für alle zu ihnen gehö-
renden Glieder. Die damit vorausgesetzte Statik der Arten unterscheidet
sich der Sache nach wohl am wesentlichsten von Darwins Überlegun-
gen zur Evolution. Ein zweiter Aspekt dieser Konstanz ist hinzuzufü-
gen: Während für Aristoteles biologische Arten als verbindliche Norm für
alle einzelnen zugehörigen Lebewesen gelten, so dass Abweichungen
stets als Fehlbildungen gedeutet werden müssen, basiert der Ansatz
Darwins auf der Vorstellung von Heterogenitt und Vielfalt (Variabilität)
innerhalb von Populationen. Prononciert formuliert orientiert sich
Aristoteles bei biologischen Phänomenen an deren Existenz und Kon-
stanz, während Darwin deren Werden und Variabilitt größere Bedeu-
tung beimisst. Zudem ist die Aristotelische Überlegung – ähnlich wie
noch das Evolutionsmodell von Herbert Spencer – am Paradigma der
Entstehung eines einzelnen Lebewesens orientiert (Paradigma der Onto-
genese),28 während mit Darwin das Paradigma der Entstehung der Arten
(Paradigma der Phylogenese) in den Vordergrund rückt.

26 Ich klammere hier den vor allem von Kullmann (2007), 181 ff. stark gemachten
gemeinsamen Aspekt der Anpassung aus und konzentriere mich auf den Aspekt
der Gesetzmäßigkeit. Die Anpassung kommt im Folgenden unter dem Ge-
sichtspunkt der Zweckmäßigkeit zur Sprache. Zur Anpassung bei Aristoteles
und Darwin vgl. auch Depew (1997).
27 Cooper (2004).
28 Dabei ist zu bedenken, dass auch bei Aristoteles angesichts des Reprodukti-
onszusammenhanges zwischen einzelnen Lebewesen letztlich eine über das
Individuum und seine Entwicklung hinausgehende tiefere Dimension des Le-
bens insgesamt thematisiert wird. Darauf verweist u. a. Depew (1997), 215 f.
Demnach wird die individuelle Entwicklung zu einem Nexus in einer fort-
laufenden Abstammungslinie. Rensch (1968), 42 spricht diesbezüglich von
einem umfassenden „Lebensstrom“ und formuliert: „In jeder Ahnenreihe eines
Lebewesens wird die Kontinuität durch einen solchen ,Lebensfaden‘ sicher-
gestellt, und alle zu einer Spezies gehörigen ,Lebensfäden’ führen – zum Teil
miteinander durch verwandtschaftliche Beziehungen vernetzt – ohne Unter-
brechung auf anders gestaltete Stammformen zurück […].“ Das metaphysische
Pendant dieser Überlegung formuliert Whitehead (1979), 20 f., indem er die
Aristoteles und Darwin 197

II. Gesetzmäßigkeit der Evolution bei Darwin

Aus dem Bisherigen ergeben sich zwei entgegen gesetzte Verbin-


dungslinien zwischen Aristoteles und Darwin: Erstens darf der bei Ari-
stoteles feststellbare naturphilosophische Denkstil nicht, wie es die po-
puläre Deutung positivistischer Provenienz tut, als das zentrale Unter-
scheidungsmerkmal zum naturwissenschaftlichen Denkstil Darwins
verstanden werden. Den immer wieder behaupteten Entwicklungsgang
der Biologie von der Naturphilosophie über die Naturgeschichte zur
Naturwissenschaft gibt es in dieser einfachen Linearität nicht. Auch
Darwins Konzept ist keinesfalls philosophiefrei. Bereits Ernst Cassirer
hatte in seinem Essay on man hellsichtig festgestellt, dass zwar mit
Darwins Evolutionstheorie durchaus eine neue wissenschaftliche Ära
anhebt. Dennoch sei die verbreitete Überzeugung der Naturwissen-
schaftler und Philosophen des 19. Jahrhunderts falsch, Darwins Evolu-
tionstheorie bedeute das Ende aller luftigen Spekulation und haltloser
Metaphysik. Die Deutung empirischer Daten – ja selbst deren Aufsu-
chung – ist auch bei Darwin „geprägt durch bestimmte fundamentale
Prinzipien, die ihrerseits einen klar metaphysischen Charakter hatten.“29
Zweitens ergibt sich gerade mit Blick auf diese theoretischen Rahmen-
annahmen eine ambivalente Beziehung zu Darwin. Denn einerseits
repräsentiert Darwins Evolutionstheorie in bestimmten Hinsichten
genau die Betonung von Zufälligkeit, die Aristoteles an Empedokles
kritisierte. Andererseits jedoch folgt auch Darwin – entsprechend seinem
Wissenschaftsideal – der Aristotelischen Suche nach Gesetzmäßigkeit
und naturwissenschaftlicher Erklärung.
Beide Aspekte werden deutlicher, wenn man den philosophischen
Kontext berücksichtigt, in dem Darwin seine Evolutionstheorie for-
mulierte. Darwin war in mehreren Hinsichten von der Philosophie und
von philosophischen Debatten beeinflusst. So findet etwa seine Aus-
einandersetzung mit der Naturtheologie in Anlehnung an Humes Kritik
am argument from design statt.30 Entscheidender für die forschungslei-
tenden Vorgaben der Methodologie Darwins ist jedoch der Einfluss der
viktorianischen Wissenschaftsphilosophen John Herschel, William

Konzepte „nexus“ und „togetherness“ in seiner Prozessphilosophie in Analogie


zu dieser biologischen Bedingung definiert. Vgl. dazu Köchy (2000), 127 ff.
29 Cassirer (1996), 39.
30 Engels (2007), 54 ff..
198 Kristian Köchy

Whewell und John Stuart Mill31 sowie, durch diese vermittelt, der
Einfluss der Methodenlehre von Francis Bacon. Darwin ist seinem
Selbstverständnis nach beim „geduldigen Sammeln und Erwägen aller
Arten von Thatsachen“32 „streng nach Baconschen Prinzipien“33 ver-
fahren. Schon Michael Ruse hat allerdings gezeigt, dass bereits die als
Leitbilder gewählten Methodologien von Herschel und Whewell eher
hypothetisch-deduktiv denn induktiv ausgerichtet waren.34 David Hull
konnte zudem belegen, wie sehr auch bei Darwin selbst der bewusste
Einsatz des hypothetischen Moments vorherrschte.35 Darwin war somit
überzeugt davon, dass die Theorie die Beobachtung leiten solle und er
ging weiter davon aus, dass sich Hypothesen durch Nachweis ihrer
Erklärungskraft letztlich in wissenschaftliche Theorien überführen las-
sen.36
Gerade angesichts dieser wissenschaftsphilosophischen und metho-
dologischen Hintergründe werden nochmals die Gemeinsamkeiten aber
auch die Unterschiede zwischen Darwin und Aristoteles deutlich: Eine
der Vorgaben, die Darwin aus den Schriften der Philosophen über-
nahm, ist deren Suche nach einer Form von Erklärung, die der Ord-
nung und Gesetzmäßigkeit des Naturgeschehens angemessen ist. Umso
stärker musste er sich deshalb getroffen fühlen, als Herschels erstes Urteil
nach der Lektüre von Origin of Species lautet, hier werde das Gesetz des
kunterbunten Durcheinanders (law of higgledy-piggledy) präsentiert.37
Nicht nur, dass damit Darwins Selbstverständnis frustriert wird, er habe
der Methodologie der Wissenschaftsphilosophen gemäß gearbeitet,
diese Debatte um den wissenschaftlichen Status von Darwins Überle-
gungen zeigt mehr: Herschel nämlich wendet in seinem Buch Physical
Geography of the Globe (1861) just die Argumente gegen Darwin, die
Aristoteles gegen Empedokles vorbrachte:
Wir können das Prinzip der willkürlichen und zufälligen Variation und
natürlichen Selektion als solches nicht mehr als hinreichende Erklärung für
die gegenwärtige und vergangene organische Welt annehmen, als wir die
Laputasche Methode des Verfassens von Büchern (per Zufallsmechanismus

31 Hull (1995).
32 Darwin (1872), 11: „[…] by patiently accumulating and reflecting on all sorts of
facts […].“
33 Darwin (1887), Bd. 1, 68.
34 Ruse (1975).
35 Hull (1995), 85.
36 Engels (2007), 117.
37 Hull (1995), 87; Engels (2007), 114 ff..
Aristoteles und Darwin 199

K.K.) […] als hinreichende Erklärung für die Entstehung von Shakespeare
und der Principia annehmen können.38
Herschel setzt deshalb – in dieser Hinsicht durchaus anthropomorpher
als Aristoteles – auf eine zweckgerichtete Intelligenz, die der Verän-
derung ihre Richtung vorgeben müsse. Gegen dieses argument from de-
sign jedoch hatte Darwin seine ganze wissenschaftliche Erklärungskraft
aufgeboten – interessanterweise in einem Fall dadurch, dass er (bewusst
oder nicht) ein Beispiel des Aristoteles verwendet, um dieses Argument
ad absurdum zu führen. Darwins Frage, ob etwa dann alle winzigen
Details eines Organismus vom Schöpfer geplant seien, findet an seinen
Freund Asa Gray gerichtet, die Fassung, ob auch die Stupsnase ein
intelligent design sei.39 Damit greift Darwin das Beispiel auf, das Aristo-
teles in der Physik (Aristoteles, Phys. 194a13) für seine Unterscheidung
zwischen der materialgebundenen Vorgehensweise des Naturwissen-
schaftlers und der rein formalen Betrachtung des Mathematikers (und
gegen die platonische Ideenlehre) verwendet hatte.
Die zeitgenössische Debatte um die Ordnung der Natur – und
gegen Darwins Evolutionstheorie – verrät jedoch noch mehr. John
Stuart Mill etwa, der sich in seinem System of Logic positiv zu Darwins
legitimen Hypothesen äußert,40 geht letztlich von einem Verständnis
von „natürlichen Arten“ im Sinne einer auf Aristoteles zurück gehen-
den Tradition aus. Arten sind für Mill Klassen, die voneinander durch
eine prinzipielle Grenze getrennt sind.41 Diese logischen Einheiten sind
nicht auseinander ableitbar und deren reale Entsprechungen – als
Musterbeispiel gelten die biologischen Arten – sind es eben so wenig.
Eine Entwicklung der Arten ist nach diesem essentialistischen Ver-
ständnis unmöglich.42 Man sieht also, dass auch aus der Perspektive einer
durchaus physikalistisch argumentierenden Wissenschaftsphilosophie zu
Zeiten Darwins die gleiche Opposition gegen die Evolutionstheorie
entsteht, wie sie Aristoteles’ Einwände gegen Empedokles repräsentie-
ren. Wieder stehen sich gegenüber: naturgesetzmäßige Ordnung versus
kunterbuntes Durcheinander respektive geplante Zweckmäßigkeit
versus zufällige Strukturen. Dabei argumentieren die viktorianischen

38 Herschel in Physical Geography of the Globe (1861), 12, zitiert nach Hull (1995),
88.
39 Engels (2007), 118; Burkhardt, Smith (1985) ff., Bd.9, 369.
40 Engels (2007), 117; Hull (1995), 94.
41 Hull (1995), 97 f..
42 Mayr (2002), 73 ff. und 204 ff.; Charles (1997).
200 Kristian Köchy

Wissenschaftsphilosophen allerdings nicht nur aus einer „aristoteli-


schen“ Position heraus, sondern auch aufgrund ihrer Ausrichtung am
Ideal der Physik und schließlich wegen ihrer religiösen Überzeugungen.
Interessanterweise war es jedoch gerade Darwins Anliegen gewesen,
durch Datensammlung die evolutionäre Entwicklung der Lebewesen als
ein wahres Naturgesetz zu begründen. Selbst die Variation steht für ihn
unter Variationsgesetzen (Darwin, Origin, 5. Kapitel). Individuelle Än-
derungen in einzelnen Lebewesen sind so naturgesetzlichen Zusam-
menhängen unterworfen – die Rede von Zufall (chance) bringe lediglich
unsere Unkenntnis der Ursache einzelner Variationen zum Ausdruck.43
Im Gegensatz zum scholastischen Konzept von Mill verzichtet Darwin
deshalb zunächst auf die Definition des Artbegriffs (Origin, 2. Kapitel,
38 ff.) bezeichnet jedoch die Art schon in Notebook B als Fortpflan-
zungsgemeinschaft.44 Die impliziten Beziehungen zu und Abgrenzun-
gen gegenüber Aristoteles’ Naturmodell sind dabei komplex und ver-
schlungen: Einerseits vertritt Darwin einen Gradualismus, der offen-
sichtlich durchaus vom naturphilosophischen Kontinuitätsmodell ge-
prägt ist45 – allerdings verzeitlicht Darwin dieses in der Naturphiloso-
phie noch statisch aufgefasste Konzept und bringt so einen Dynamismus
ins Spiel.46 Daneben verwendet Darwin allerdings weiterhin die Stu-
fenleiterkonzeption (scale of nature), „obwohl seine Theorie einen Bruch
mit der hinter diesem Modell stehenden naturphilosophischen Tradition
markiert.“47 Eve-Marie Engels spricht diesbezüglich sogar von zwei
„Denkstilen“, deren Ambivalenz die Theorie Darwins prägt.

43 Darwin (1872), 101: „I have hitherto sometimes spoken as if the variations […]
were due to chance. This, of course, is a wholly incorrect expression, but it
serves to acknowledge plainly our ignorance of the cause of each particular
variation.“; vgl. auch Engels (2007), 102.
44 Barrett et al. (1987), 167 – 236, Darwins Angabe: Darwin (1837 – 1838), 122 f.
[URL: http://darwin-online.org.uk/content/frameset ?itemID=CUL-DAR
121. -&viewtype=image&pageseq=1 01.10.2008], 122, 123e.
45 Engels (2007), 94.
46 Kritisch dazu Jonas (1973), 60 ff.
47 Engels (2007), 101.
Aristoteles und Darwin 201

III. Aristoteles und Darwin zur Zweckmäßigkeit

An den letzten Punkt lässt sich auch weitere Beziehung zwischen


Darwin und Aristoteles anknüpfen: deren jeweiliges Verhältnis zum
Gedanken der Zweckmäßigkeit. Wieder ist jedoch die historisch-sys-
tematische Beziehung deutlich komplizierter als es bestehende Schwarz-
Weiß-Schablonen suggerieren. Und auch hier entsteht bei Blick auf die
Quellenlage ein interessanter neuer Aspekt – nahezu ein gestalt switch des
üblichen Bildes von Aristoteles und Darwin.
Während ein weit verbreitetes Vorurteil darin besteht, Aristoteles
besitze ein teleologisches Weltbild, befürworte statt der Erklärung
biologischer Phänomene durch Wirkursachen eine solche durch Fi-
nalursachen, sei Vitalist oder spreche der Natur Motive zu, hat schon
Wolfgang Kullmann in den 1970er Jahren an Hand der Quellen zeigen
können, dass diese Vorwürfe insgesamt nicht zutreffen.48 Wie Martha
Nussbaum schreibt: „Aristotle’s teleology has often been badly misun-
derstood.“49 In De partibus animalium (Aristoteles, PA Bücher II-IV)
betrachtet Aristoteles die „Funktion“ oder das „um-willen“ (eneka) der
Teile in Lebewesen und vertritt dabei eine strikt interne Finalität.50 Die
volle Zuschreibung von Zweckmäßigkeit bleibt demnach auf den Be-
reich einzelner Lebewesen beschränkt. Eine Übertragung dieses Ge-
dankens auf andere Verhältnisse (etwa die ökologische Beziehung
zwischen Lebewesen und Umwelt oder die Organisation der Natur
insgesamt) ist – im Gegensatz zu einer Aristoteles Interpretation, die
auch Eduard Zeller vertreten hat51 – nicht ohne Einschränkung oder
Modifikation möglich. Selbst innerhalb der biologischen Schriften un-
terbleibt deshalb die Entwicklung eines durchgängigen teleologischen
Weltbildes.

48 Kullmann (1979).
49 Nussbaum (1979), 60.
50 Nur unter dieser Einschränkung gilt Mayrs (2002), 74 Äußerung: „Demzufolge
haben für Aristoteles alle Strukturen und biologischen Tätigkeiten einen bio-
logischen Sinn oder, wie wir heute sagen würden, eine adaptive Bedeutung.“
Mayr überbetont im Folgenden allerdings die vermeintliche Einheitskonzep-
tion des Aristoteles, indem er gerade die neuzeitliche Überlegung, Makro- und
Mikrokosmos unterlägen einheitlichen Gesetzen und könnten folglich in
gleicher Weise wissenschaftlich behandelt werden, auf Aristoteles’ Teleologie
anwendet.
51 Zeller (1862), 2/2, 322: „Indem die Natur als ein lebendiges Ganzes betrachtet
[…] wird, […] ergiebt sich für Aristoteles […] mit Nothwendigkeit eine te-
leologische Naturansicht.“, vgl. auch Nussbaum (1979), 60.
202 Kristian Köchy

Kullmann52 kann zeigen, dass diesbezüglich eine begriffliche Fein-


arbeit notwendig ist, die den Zweck als „worum-willen-von-etwas“ (offl
enek tinos) und den Zweck als „worum-willen-fðr-etwas“ (offl enek tini)
unterscheidet. Im ersten Fall geht es um das Ziel bestimmter zweck-
gerichteter Einheiten selbst. Im zweiten Fall wird hervorgehoben, dass
etwas „für“ ein anderes (ein Subjekt) zweckmäßig ist. Nur bei den
Verhältnissen in Organismen fallen diese beiden Aspekte zusammen und
es liegt tatsächlich ein wechselseitiger Bezug vor: Die Organe bilden die
unerlässliche Voraussetzung für die Existenz des Lebewesens, das Le-
bewesen ist umgekehrt zureichender Grund für die Existenz der Or-
gane. Überträgt man den Begriff der Zweckmäßigkeit hingegen auf die
Natur insgesamt, dann fallen beide Aspekte auseinander. Im Verhältnis
von Tier und Mensch zueinander sind die Tiere zwar unerlässliche
Voraussetzung für die Existenz des Menschen, die Existenz des Men-
schen aber ist nicht umgekehrt auch zureichender Grund für das Vor-
handensein von Tieren.
Darüber hinaus ersetzt die Erklärung nach Zweckmäßigkeit kei-
nesfalls die Erklärung aus Wirkursachen.53 Entsprechend der oben aus-
geführten Grundforderungen an eine naturwissenschaftliche Erklärung
müssen vielmehr alle vier Dimensionen der Frage nach der Ursache
berücksichtigt werden. Dementsprechend ergänzen sich die verschie-
denen Beschreibungs- und Erklärungsperspektiven. Die Lunge als ein
Organ (Werkzeug) zum Atmen (Aristoteles, PA 609a13 ff.) hat etwa als
Finalursache das Atmen, als Entstehungsursache das Herz, als Materi-
alursache das Blut. Physikalisch-chemische Ursachen, Funktionszu-
schreibungen, wechselseitige Abstimmung der verschiedenen Struktu-
ren und Funktionen aufeinander, alles dieses ist für Aristoteles ge-
meinsam in einer biologischen Erklärung zu verbinden. Die erwähnte
Analyse von James Lennox belegt deshalb, wie die Kaskade von un-
terschiedlichen Prämissen in ein gemeinsames Urteil über die Beschaf-
fenheit von Nieren fließt.54 Hierbei ergänzen sich Prämissen, die auf
eine Notwendigkeit rekurrieren und solche, die eher nach der Funktion
oder dem Zweck eines Prozesses oder einer Struktur fragen. Hin-
sichtlich der Bedingungen dieser Zusammenführung von Notwendig-
keits- und Zweckmäßigkeitserklärungen bei Aristoteles existiert zwar

52 Kullmann (1979), 26 ff.


53 Kullmann (1979), 21; vgl. auch Code (1987).
54 Lennox (2001), 107.
Aristoteles und Darwin 203

eine umfängliche aktuelle Debatte in der Literatur,55 wie man sich in


dieser jedoch auch immer positionieren mag, klar ist jedenfalls, dass das
eingangs genannte Pauschalurteil über Aristoteles als Teleologen der
tatsächlichen Komplexität des Themas nicht gerecht wird.
Gleiches gilt dann auch für Darwin. Auch hier besteht das gängige
Vorurteil in der Annahme, Darwins Anliegen zeichne sich vor allem
durch den Kampf gegen die Teleologie aus. Berechtigt ist diese Auf-
fassung allerdings nur dann, wenn man sie als Ablehnung des argument
from design (im Sinne der Naturtheologie) versteht. Komplexe Ord-
nungszustände in der belebten Natur werden hier nach dem Vorbild
von mechanischen Artefakten wie der Uhr gedeutet und verweisen
somit auf die Existenz eines göttlichen Uhrmachers. Erneut ist es James
Lennox,56 der betont, dass der Auslegungsstreit, ob Darwin nun als
Opponent der Teleologie verstanden werden muss oder aber umgekehrt
gar als derjenige, der die Teleologie in die Biologie zurück gebracht
hat,57 letztlich davon abhängt, welches Verständnis von „Teleologie“
man investiert. Demnach resultiert die Vorstellung von der Gegner-
schaft Darwins gegenüber der Teleologie vor allem aus einem allzu
simplen Syllogismus. Hier hatte man im 19. Jahrhundert vorausgesetzt,
teleologische Erklärungen basierten entweder auf der Annahme eines
göttlichen Designs oder aber der einer inneren Lebenskraft. Da Darwins
Erklärungen auf keine dieser beiden Ursachen zurückgriffen, wurde
gefolgert, er habe auch keine teleologische Erklärung verwendet. Im
Gegensatz zu dieser simplen (aber falschen) Vorstellung kann man nach
Lennox gerade anhand der Analyse von Darwins Arbeiten über Or-
chideen zeigen, dass dieser eine vollkommen neue Variante einer auf
Selektion aufbauenden teleologischen Erklärung vertrat. Als Erklärung
für die Existenz des Dimorphismus der Staub- und Fruchtblätter bei
Primeln beispielsweise kann man dann zunächst auf deren positiven
Effekt für die Steigerung der heteromorphen Fertilisation oder
Fremdbestäubung verweisen. Berücksichtigt man weiter, dass Fremd-
bestäubung die Fruchtbarkeit und Vitalität der Nachkommen erhöht,
dann kann man unter dem Gesichtspunkt der natürlichen Selektion
erklären, der Dimorphismus existiere, weil er eine Fremdbestäubung
erleichtert und eine Eigenbestäubung erschwert. Das bei dieser Erklä-

55 Gotthelf (1976); Nussbaum (1979); Sorabji (1980); Bradie, Miller (1984);


Friedmann (1986).
56 Lennox (1993).
57 Ghiselin (1984), xiii.
204 Kristian Köchy

rung vorausgesetzte Gute ist die Erhöhung der Fruchtbarkeit der


Nachkommen und somit deren verbesserte Reproduktionsfrequenz.
Diese Form der Erklärung überträgt die Bedingungen der menschlichen
Züchtung folglich auf die Selektion in der Natur – ohne allerdings die
Notwendigkeit eines bewussten Designs zu unterstellen. Interessant ist
dabei – so neben Lennox auch Eve-Marie Engels,58 die allerdings davon
ausgeht, es handele sich um eine bloße faÅon de parler –, dass Darwin den
Begriff final cause beibehält. Allerdings läuft das Konzept Darwins
letztlich darauf hinaus, eine neue Form der selektionsbedingten Te-
leologie stark zu machen, die unter bestimmten Gesichtspunkten eine
Teleologie ohne Telos59 darstellt.60

IV. Zusammenfassung

Ich hoffe durch meine Ausführungen gezeigt zu haben, dass vielfältige


Beziehungen und Querverweise zwischen den Konzepten von Aristo-
teles und Darwin bestehen. Diese Relationen sind nicht adäquat durch
das simple Muster einer klaren Opposition oder einer vollkommenen
Übereinstimmung darzustellen. Gerade die Frage nach der Beziehung
zwischen Aristoteles und Darwin ist deshalb ein Lehrbeispiel in Sachen
Bescheidenheit für die historisch ausgerichteten Wissenschaftsphiloso-
phie. Vielen bisherigen Rekonstruktionsversuchen zum Trotz, die die
historische Entwicklung der Wissenschaften entweder als kontinuierli-
che Akkumulation oder aber als revolutionäre Transformation deuten
wollten, entspricht die historische Realität wohl eher – um ein litera-
risches Bild von Jorge Louis Borges61 zu bemühen – einem „Garten der
Pfade, die sich verzweigen“. Nicht gleichförmige Progression isolierter
Entwicklungslinien, sondern vielmehr ein wachsendes, Schwindel er-
regendes Netz auseinander und zueinander strebender Prozesse eröffnet
sich der behutsamen und unvoreingenommenen Analyse. Die historisch
ausgerichtete Wissenschaftsphilosophie62 steht so stets vor der keinesfalls
leichten Aufgabe, dieses verschlungene Webmuster historischer Daten

58 Engels (2007), 71 ff..


59 Engels (2007), 223.
60 Vgl. auch Byerly (1979) und Walsh (2006).
61 Borges (1992), 77 ff., bes. 88.
62 Vgl. den Gedanken einer netzwerkartigen Analyse bei Toulmin (1970) und
Toulmin (1983), 236 ff..
Aristoteles und Darwin 205

zu entwirren, ohne dabei die Fülle existierender Verbindungen gänzlich


zu kappen. Sie steht zudem vor dem gewichtigen Problem, nicht dem
Vorurteil zu unterliegen und der Sache nach vorliegende komplexe
historische Entwicklungen in eindeutige Trends umzudeuten, anstatt sie
– wie der Evolutionsbiologe Stephen Jay Gould empfiehlt – als „Va-
riationsbreite ganzer Systeme“63 aufzufassen.

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Eduard Zeller als Theologe
Einige Beobachtungen – auch zu seinem Verhältnis
zu David-Friedrich Strauß
Stephan Schaede

David Friedrich Strauß und Eduard Zeller, das sind zwei herausragende
akademische Stilisten und schwäbische Freunde des 19. Jahrhunderts
und damit Bewohner und Vertreter eines sehr eigensinnigen und ei-
genwilligen Biotops – philosophisch, theologisch und politisch. Das
macht schon die evangelische Imprägnierung der Schul- und Studien-
zeit deutlich. Zeller durchlief die spezifisch schwäbischen Kader-
schmieden der Theologie, war ab 1827 Seminarist in Maulbronn, dann
1831 „Stiftler“ am Evangelischen Stift zu Tübingen. Dort stieß er auf
Strauß als Stiftsrepetenten, der vor ihm eine analoge Ausbildung ab-
solviert hatte. Nicht von ungefähr haben beide Ferdinand Christian
Baur zum Lehrer. Baur hat Zeller nicht nur 1836 promoviert. Er wurde
Zellers Schwiegervater und über die Theorieebene hinaus Gegenstand
seiner Publikationstätigkeit. Baur war „nicht nur ein einflussreicher und
umstrittener Theologe und Historiker, sondern auch […] Frühprediger
an der Tübinger Stiftskirche“1. Als solcher saß er jedem in den Na-
turwissenschaften kursierenden Klischee über den Biorhythmus von
Geisteswissenschaftlern zum Trotz spätestens um fünf am Schreibtisch –
morgens um fünf! Auch dieses Arbeitsethos sprang auf die Schüler über.
So sehr die drei genannten Gestalten Schwaben waren, so sehr
wurden sie wiederum von exzessiv christlich gesinnten Schwaben heftig
kritisiert. Denn obwohl oder am Ende, eben weil sie alle drei über
theologiegeschichtliche Zusammenhänge informiert und bewandert
waren wie sonst kaum jemand ihrer theologischen Zeitgenossen, hielt
man ihnen vor, Gegner des Christentums zu sein.
Die Evangelische Kirchenzeitung titelte im Jahr 1843, Württemberg sei
„das in christlicher Hinsicht gesegnetste Land […] Deutschlands, ob-
wohl von diesem merkwürdigen Lande neuerdings die talentvollsten
Gegner des Christenthums, wie Baur, Strauß“ und „Zeller ausgegangen

1 Vgl. Andrae (1993), 1.


210 Stephan Schaede

sind“.2 Das Tübinger Stift sei „seit einigen Jahren ein wahres Nest der
Hegelei“.3 Ist dieses Urteil sachlich belastbar? Wohl ist wahr, dass Søren
Kierkegaard mit ganz anderen Motiven in antihegelianischem Affekt
eine noch so im Namen „des“ Geistes daherkommende und gelehrte
geschichtliche Rekonstruktion christlicher Lehrentwicklungen kritisiert
und geurteilt hatte, die „weltliche Kunde der Weltgeschichte oder
Kirchengeschichte über Christus“ habe ihn „lediglich […] verfälscht“.4
„Die Christenheit“ habe das „Christentum abgeschafft, ohne es selber
richtig zu merken“. Es sei an der Zeit, „das Christentum wieder in die
Christenheit einzuführen“.5 Allerdings stellt sich die Frage: Wo ver-
laufen hier die Fronten der Kritik? Die schwäbische Binnenkritik hatte
sehr andere Motive als der dänische Religionsphilosoph. Immer aber
ging es um eine wahrheitsambitionierte Klärung dessen, was den
christlichen Glauben ausmache, was an ihm substantiell dran sei und mit
welcher Geisteshaltung ihm gerecht zu werden sei. Dieser Streit hing
Mitte des 19. Jahrhunderts stark in der Luft. Strauß und Zeller stritten
entschieden mit.
Dabei waren Strauß und Zeller ohne jeden Zweifel als „Kritiker des
Christentums“ spezifisch schwäbischer Provenienz ebenso spezifisch
schwäbisch religiös höchstambitionierte Menschen. Eben diese fromme
Ambition, die es im Blick auf Gott und Jesus Christus wissen wollte,
führte zu jener eigenwilligen Konstellation, die Eduard Zeller im Blick
auf Baur im Grunde zugleich für Strauß und sich selbst mitformulierte:
Während er die einschneidensten kritischen Operationen mit wissen-
schaftlicher Kaltblütigkeit vornahm, konnte er zugleich […] mit voller
Ueberzeugungstreue kirchliche Vorträge halten, […] welche […] durch die
Wärme des religiösen Gefühls und den Ernst der sittlichen Weltansicht […]
auch bei minder gebildeten Zuhörern eines bedeutenden Eindrucks nicht
verfehlten6
Wie aber ist bei gleichem Vergnügen an kaltblütiger wissenschaftlicher
Kritik das theologische Gewicht von Strauß und Zeller ins Verhältnis zu
setzen?
Albert Schweitzer meinte von Strauß: „Man muß Strauß lieben, um
ihn zu verstehen. Er war nicht der größte und nicht der tieffste unter

2 Zeller (1843d), 194 – 201, 194.


3 Zeller (1843d), 196.
4 Vgl. Kierkegaard (1951), 22.
5 Kierkegaard (1951), 34.
6 Zeller, (1865b), 376.
Eduard Zeller als Theologe 211

den Theologen, aber der wahrhaftigste“.7 Das ist sicher ungerecht. Aber
bemerkenswert bleibt, dass Schweitzer zu Zeller vollkommen schweigt.
Muss man Zeller am Ende lieber erst gar nicht verstehen wollen, um ihn
zu lieben, weil es so viel nicht zu verstehen gibt?
Eduard Zeller, so könnte man urteilen, war ein bienenfleißiger,
akribischer Langeweiler, ein kreuzsympathischer Buchhalter höherer
Ordnung, der in emsiger Verbissenheit eine Abhandlung nach der an-
deren publizierte, und etwa ausgerechnet über den sprödesten aller
Reformatoren, Huldrych Zwingli, eine 250 Seiten lange Abhandlung
über vier Teillieferungen einer Zeitschrift hindehnte, die nur deshalb
dort erscheinen konnte, weil er sie selbst herausgab. Als Frucht müh-
samer Kleinarbeit publizierte er im selben Organ über 100 Seiten hin-
weg „den gesamten Wortvorrath des NT“ in einer „vergleichenden
Uebersicht“. Das ist, wie der Titel schon andeutet, eher eine Speise-
kammer, denn eine Schatzkammer des Wissens.8 Zeller füllt seitenlang
Tabellen über Tabellen, obgleich er selbstkritisch einräumt, dass der
„eigenthümliche Sprachcharakter […] weniger in dem Gebrauch“ der
Wörter, als im „Redetypus, der Satzkonstruktion und dem Perioden-
bau“ liege.9 Das waren keine Werke, mit denen eine theologische
Persönlichkeit epochemachende theologische Thesen in den Religi-
onsmuff seiner Zeit setzten konnte.
Zeller, der 1836 in Berlin als „letzter Römer“ galt, weil er die
Methoden der „neueren wissenschaftlichen Theologie“ Tübinger
Provenienz hochhielt und sich 1840 wieder in Schwaben habilitierte,
war immerhin nicht der immerwährende Privatdozent der Theologie.
Er hätte sich auch schwerlich mit der Sottise Kierkegaards trösten
können, dass Christus schließlich auch nicht „Professor gewesen wäre
und die Apostel“ keine „kleine gelehrte Gesellschaft der Wissenschaften
gebildet hätten“.10 Als Professor der Theologie aber hatte er keine
bleibende Statt. Ihm wurde übel zugesetzt. In Tübingen durfte er nicht
einmal als Extraodinarius an der philosophischen Fakultät lehren. Der
Ruf nach Bern im Jahre 1847 wurde mit einer Flugschriftenaktion, die
von Zeller als Religionsgefahr spricht, unterminiert. 1849 wurde er
nach Marburg berufen. Dort ereilte ihn zwar nicht das Schicksal seines
Freundes Strauß, der in Zürich aufgrund unlauterer selbstgerechter

7 Schweitzer, (1906), 67.


8 Zeller (1853), 94 – 144, 245 – 294, 445 – 560.
9 Zeller (1843c), 443 – 543.
10 Kierkegaard (1982), 207.
212 Stephan Schaede

Interventionen umgehend auf seinem Lehrstuhl pensioniert wurde.


Aber auch Zeller wurde in Marburg binnen kurzem dazu gezwungen,
in die Philosophiegeschichte abzuwandern, um dann allerdings auf
diesem Gebiet unbestreitbar Maßgebliches zu leisten. – Es ist nun das
eine dem theologischen akademischen Leidensweg Zellers Respekt zu
zollen. Wie ihm zugesetzt wurde, bezeugt theologischen Kleingeist
schlimmster Sorte – sei es aus Neid, sei es aus Furcht vor theologischer
Kritik, der man vor lauter intellektueller Unoriginalität nicht gewachsen
erschien. Nur darf der Argwohn seiner Gegner den kritischen Blick auf
dessen theologische Leistungen nicht verstellen. Man muss es ja nicht
gleich mit den gönnerhaften fünf Zeilen eines Emanuel Hirsch halten.
Der lobt ihn in seiner fünf Bände schweren „Geschichte der neuern
evangelischen Theologie“ in aller Kürze als talentierten aber nicht ge-
nialen „hochbegabten jungen Forscher“ und verbucht ihn theologie-
geschichtlich wesentlich als „abschreckend wirkendes Schicksal“, weil
er 1849 als Theologieprofessor zum „Übertritt in die philosophische
Fakultät“ gezwungen wurde.11 Auch Karl Barth schweigt über Zeller,
wenn er über die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert nach-
denkt. Von Strauß hingegen urteilt er, er sei „mit einem Schlag auf
lange hinaus der berühmteste Theologe Deutschlands“ geworden. Al-
lerdings ergänzt er distanziert, Strauß sei „nicht mit Unrecht der in den
nichttheologischen und nichtkirchlichen Kreisen wahrscheinlich be-
kannteste und signifikanteste Theologe des 19. Jahrhunderts gewe-
sen“.12 Noch in diesem Urteil spiegelt sich wieder, dass Strauß bereits zu
Lebzeiten „sein Erfolg verdächtig“ machte. „Die kirchentheologischen
Kritiker von Strauß machten dies zu einem ihrer wichtigsten Streitar-
gumente: wo einer Massenerfolg hat, kann systematisch nichts zu holen
sein.“13 Das war ein aus fatalem Neid geborenes Argument. Zeller sah es
anders. Er teilte vielleicht nicht gleich die Auffassung eines Ernst
Haeckel, der in Strauß den größten Theologen des 19. Jahrhunderts
entdecken zu müssen meinte.14 Haeckels Urteil war schwerlich zu
trauen, lobte er doch in seiner unverbesserlichen monistischen Selbst-
gefälligkeit die merkwürdige Wendung des alternden Tübingers zu
einem von Darwinismus inspirierten Materialismus schräger Herkunft.

11 Hirsch (1949), 553.


12 Barth (1960), 464.
13 Graf (1982), 21.
14 Vgl. zu Haeckel Graf (1982), 16. – Vgl. dort zur theologischen Milieuein-
ordnung Strauß’ Einschlägiges auf den Seiten 12 – 49.
Eduard Zeller als Theologe 213

Zeller selbst urteilte über Strauß in der Sache neutraler, jedoch im


Blick auf dessen Wirkung ebenso ambitioniert:
Der Name von David Friedrich Strauß ist seit längerer Zeit wol nur
Wenigen unter den Gebildeten in Deutschland, fast kann man sagen in
Europa unbekannt, und selbst unter dem Volke hat er eine Berühmtheit
erlangt, wie sie einem Gelehrten selten zu Theil wird.15
Dieser Rezeptionserfolg steckte Zeller an. Zeller selbst hatte nicht
weniger vor, theologische Furchen in die Geschichte seiner Zeit zu
ziehen. Jedenfalls glaubte er in den Jahren, als von ihm als Wegbereiter
und Vertreter des Neukantianismus noch die Rede sein konnte,
durchaus der theologischen Rede Wert zu sein und gründete mit den
Theologischen Jahrbüchern eine entsprechende Plattform, um wirken
zu können.

I. Die theologischen Jahrbücher – eine Programmzeitschrift für


eine völlig veränderte Theologie

Zeller selbst hat einmal mitgeteilt, die Zeitschrift Theologische Jahrbðcher


wolle dem „Princip der freien wissenschaftlichen Erörterung“ Raum
geben und sei „vorzugsweise durch die Richtung des Herausgebers
bestimmt“.16 Mit dieser Formulierung hat Zeller untertrieben.
Denn als Hauptherausgeber dieser Zeitung gab sich Zeller in den
ersten Erscheinungsjahren wesentlich selbst heraus. Worin hatte diese
selbsteditorische Idiosynkrasie ihren intellektuellen Treibstoff ?
Darüber gibt ein programmatischer Aufsatz Zellers im Jahre 1846
Auskunft. Die Zeitschrift sollte jene „völlig veränderte Gestalt“, die die
„deutsch-protestantische Theologie“ in den „letzten Jahrzehnten“17
angenommen hatte, zum Ausdruck bringen. Zwei Momente bestim-
men diese Umgestaltungsambition, die Abwendung von einer naiven
Kantrezeption und eine hegelianisch inspirierte Schleiermacherkritik.
Letztere war schon für Strauß „integrales Moment“ seiner „Standort-
bestimmung“.18 Entsprechend führt Zeller aus, endlich sei der „mehr
oder weniger verwässerte […] und mit verschiedenartigen, meist po-

15 Zeller (1948), 342.


16 Zeller (1846b), 1 – 28, 28.
17 Zeller (1846b), 1.
18 Vgl. Graf (1982), 276 – 308.
214 Stephan Schaede

pulär-philosophischen Elementen versetzte […] Kantianismus“19 in der


Theologie überwunden. Schleiermacher kommt kaum besser weg. Der
habe zwar eine „neue Morgenröthe“ am Horizont der deutschen
Theologie heraufgeführt. Die epochemachende Bedeutung dieses
Mannes“ sei „anerkannt“. Doch dann ergänzt Zeller vernichtend:
„Worin“ diese Bedeutung „eigentlich ihren Grund“ habe, scheine
„nicht … klar zu sein.“ Schleiermachers „Liberalismus, keine für das
Bewusstsein der Zeit bedeutende und berechtigte Denkweise
schlechthin auszuschliessen,“ mache ihn zwar nicht zu einem „ge-
wöhnliche[n] Eklektiker“. Sein Fehler aber sei, sich zu sehr in einer-
seits-andererseits Konstruktionen zu ergehen. Wenn diese nämlich „ihre
letzte Spitze erreichen sollten, wenn es darauf ankäme, die entgegen-
gesetzten Bestimmungen nun auch wirklich zur inneren Einheit zu-
sammenzufassen, und als Moment eines und desselben Begriffs in ihrer
ursprünglichen Zusammengehörigkeit aufzuzeigen,“ breche sie ab.
Zeller notiert lakonisch: Der „Schlussstein des Gewölbes fehlt“.20 Daher
rühre das „vielfach Schwankende und selbst Widersprechende seiner
Resultate“.21 Damit repetiert Zeller einen gängigen Vorwurf hegelia-
nischer Denkschule an die binäre Dialektik Schleiermachers. Allerdings
attestiert Zeller Schleiermacher, bereits ein „speculativer Theolog“
gewesen zu sein, der die „Religion aus dem innersten Wesen des Geistes
ableitet“. Schleiermachers theologische Pioniertat sei gewesen, die
„Theologie auf den Boden des Selbstbewusstseins versetzt“ zu haben.
Damit sei er zur „Brücke zwischen der älteren Reflexionstheologie und
der neuern Spekulation“ geworden.22 Nur sei er mit seiner Spekulation
nicht konsequent und weit genug gegangen. Die Schleiermachersche
„Gefühlstheologie“ müsse deshalb „ihren Platz an der Spitze der
theologischen Entwicklung dem Hegel’schen System abtreten“. Man
stehe in der Mitte des 19. Jahrhunderts inzwischen gänzlich auf der
anderen Seite des Ufers, auf der Uferseite der „spekulativen Theologie“.
Was zeichnet diese Theologie aus? Sie versucht die Religion aus „dem
allgemeinen Wesen des Geistes zu begreifen“.23 Und Georg Friedrich
Wilhelm Hegel „mit den Rosenwangen reicht ihm selig lächelnd den

19 Zeller (1846b), 2.
20 Zeller (1846b), 3.
21 Zeller (1846b), 4.
22 Zeller (1846b), 4.
23 Zeller (1846b), 19.
Eduard Zeller als Theologe 215

Pokal“? 24 – Nein, so einfach liegen die Dinge für Zeller nicht. Er will
nicht als Exponent einer gängigen Hegelschule begriffen werden. Sein
theologischer spiritus rector einer sachgerechten spekulativen Theologie
ist David Friedrich Strauß25, nicht Hegel. So führt Zeller aus: Während
„die Berliner Hegelianer zu seiner Feier Medaillen schlugen“, habe
Strauß den Scheinfrieden zwischen Philosophie und Religion, den
Hegel selber eingeläutet hatte, empfindlich gestört. Er habe damit
„richtiger“ als Hegel selbst die „Consequenz der Hegel’schen Philoso-
phie“ ausgesprochen. Das wiederum habe eine kirchliche „Pektoral-
theologie“ auf den Plan gerufen. Sie habe sich ihr methodisches In-
ventar „aus den Rüstkammern der neuesten Systeme“ geholt, und jene
„symbolische Kirchlichkeit gebildet, die in der Sache antik sein will, in
der Form modern.“ Die Pointe dieser „mit dem Zeitgeist kokettie-
renden Altgläubigkeit“26 sei folgende: „die Wissenschaft soll selbständig
forschen, aber sie soll kein Resultat liefern, das gewissen vorher fest-
stehenden Ueberzeugungen widerspricht“.27
Damit hat Zeller bereits 1846 einen forschungspolitischen Satz
formuliert, der heute noch brandaktuell klingt. Gegen jene Haltung
haben Strauß und Feuerbach in einer „Rücksichtslosigkeit“ protestiert,
die Zeller zeitlebens imponiert hat.28 Seit Strauß’ „Leben Jesu“ und
Feuerbachs „Wesen des Christentums“ sei die Disziplin der „Kritik“29
weltläufig geworden. Beiden widmet Zeller im Theologischen Jahrbuch
programmatische Rezensionen, die es in sich haben. Was Zeller dort
notiert, ist aufschlussreich für seine theologische Ambition.

II. David Friedrich Strauß – Theologische


Grundorientierungen

„Feuerbach und Strauß“, nach dem Urteil Zellers „beide in der Schule
der Hegel’schen Philosophie gebildet, beide mit seltenem Geist und
Talent gerüstet, von durchschlagendem Scharfsinn, gründlich gelehrt,
Meister der Sprache und Darstellung, beide endlich erfüllt mit der

24 Schiller (1985), 298.


25 zur Konzeption der spekulativen Theologie Strauß’ Graf, (1982), 123 – 249.
26 Zeller (1846b), 10.
27 Zeller (1846b), 9.
28 Zeller (1846b), 5 f.
29 Zeller (1846b), 23.
216 Stephan Schaede

Begeisterung und dem Muthe rücksichtsloser Wahrheitsliebe“ fühlten


sich „um so stärker zum Berufe des Kritikers hingedrängt […] je un-
verantwortlicher gerade dieses Element […] von der Mehrzahl ihrer
philosophischen Glaubensgenossen ignorirt wurde.“30 Zwar sei Strauß
Theologe, Feuerbach Philosoph gewesen. Die Philosophie habe jedoch
auch Feuerbach zur Theologie geführt. Das liege an der „Verwicklung“
der Philosophie mit der Theologie.31
Strauß hat in den Augen Zellers zur „deutschen Evangelienkritik
den Anstoß gegeben“.32 Mit dem Erscheinen seiner Schrift: „Das Leben
Jesu, kritisch bearbeitet“ war nach Auffassung Zellers
der Würfel gefallen […], der über Strauß’ wissenschaftliche Bedeutung,
über seine Stellung zu seiner Zeit und über den weiteren Gang seines
Lebens entscheiden sollte … Aus dem früher beabsichtigten Leben Jesu war
[…] eine Kritik der evangelischen Berichte über das Leben Jesu gewor-
den.33
Strauß hatte den Bohrer vehement angesetzt und gefragt, „ob und wie
weit das, was unsere vier Evangelien uns erzählen, wirklich geschehen
sei“.34 Das hatte übrigens seinerzeit Ferdinand Christian Baur zu wenig
subtil gefunden, weil Strauß vergaß, eine philologische Kritik der
Evangelien selber vorzulegen, ohne die eine Kritik der in ihnen do-
kumentierten Geschichte gar nicht möglich sei. Strauß hat jedoch den
Angriff seines Lehrers mit dem Gegenvorwurf pariert, dass eine Kritik
der dokumentierten Geschichte erst eine Kritik der Evangelien in
sachlich angemessene Fahrt bringe. Wenn man merke, dass an den
Berichten historisch etwas faul sei, beginne eine kritische Analyse der
Textentstehung und der Autorenschaft spannend zu werden.35 So oder
so – seine Untersuchungen erledigten den alten und ermüdenden Streit
zwischen den sog. Supranaturalisten, die an der „Thatsächlichkeit der
Wunder festhielten“, und den Rationalisten, die die Wunder „zwar
aufgaben, um so mehr aber die Wahrheit der biblischen Erklärung der
wunderbaren Vorgänge, die sie berichten zu retten bemüht waren.“36
Strauß Ergebnis war demgegenüber historisch vernichtend. Zeller re-

30 Zeller (1843a), 90 – 95.


31 Zeller (1843a), 91.
32 Zeller (1874), 2.
33 Zeller (1874), 32.
34 Zeller (1874), 32.
35 Zeller (1865a), 435 – 503, 442.
36 Zeller (1874), 22.
Eduard Zeller als Theologe 217

feriert: „der größere Theil der evangelischen Berichte“ habe „theils gar
keine, theils nur eine bis zur Unkenntlichkeit entstellte Geschichte“.
Eine historisch bereinigte Sichtung der Erzählstoffe müsse zu dem Er-
gebnis kommen: Keine Himmelfahrt, keine Geburts- und Kindheits-
geschichte, keine Wunder. Nun, das wäre nach Zeller „für das Chris-
tenthum unserer Tage an und für sich genommen“ ohne „tiefere Be-
deutung“. Aber dass Strauß nun gleich auch noch von den geliebten
„Reden des johanneischen Christus“ behauptete, sie seien die „höchste
Stufe andächtiger Verschönerung“, ging zu weit. Damit entlarvte er das
im 19. Jahrhundert über alles geliebte und in den Augen etwa eines
Schleiermacher wahrheitsträchtigste Evangelium als Spätwerk und
fortgeschrittene Stufe der Mythenbildung. Bald noch schlimmer war,
überhaupt der „Auferstehung“ ihr historisches Recht streitig gemacht37
und behauptet zu haben, dies sei einer der theologisch wohlkalkulier-
testen Mythen. „Der neue Standpunkt ist … der mythische“, schrieb
Strauß entsprechend in der Vorrede zum I. Band der „kritischen Be-
arbeitung des Leben Jesu“. Wie Friedrich Wilhelm Graf notiert hat,
stehe „seitdem“, wo in der Theologie „vom Mythos die Rede“ sei,
„immer auch das Recht jenes ,mythischen Standpunktes‘ zur Debatte“38
Mythisches in der Bibel, das war nun weiß Gott keine neue Be-
hauptung. Aber die Mythenbildung so derart unschüchtern auf zentrale
Gehalte des Glaubensbekenntnisses zu beziehen, das war für viele
fromme Gemüter nicht zu fassen.
Demgegenüber war selbst Hegels religionsphilosophische Überbie-
tung der Vorstellung durch den Begriff 39 vergleichsweise harmlos.
Auch die hatte Strauß kritisiert. Nur nicht so, wie zu hoffen war, dass er
die Vorstellungsebene etwa der klassischen Christologie hofierte. Im
Gegenteil! Er schien Hegels Übergang von der Vorstellung zum Begriff
mit einem christologisch viel destruktiverem Vorhaben zu kritisieren.
Denn er behauptete, die „Idee … pflege nicht in Ein Exemplar ihre
ganze Fülle auszuschütten und gegen alle andern zu geizen […] Die
Menschheit allein sei der menschgewordene Gott“. Die ontologische
Sonderstellung Jesu, wie sie auch Schleiermacher mit seiner Behaup-
tung, Jesus sei das mit dem Geschichtlichen synthetisierte Urbildliche,
stark gemacht habe, sei unhaltbar.40

37 Schweizer (1906), 85.


38 Graf, (1982), 11.
39 Zeller (1874), 37 f.
40 Zeller (1874), 37 f.
218 Stephan Schaede

Das ging nun wirklich entschieden zu weit. Strauß hatte einen


„Erisapfel in die Zeit geworfen“41. Und dafür hat Strauß tüchtig
theologisch Prügel bezogen. Wie heftig die waren, zeigt eben der
Umstand, dass Strauß, wie oben bereits erwähnt, 1839 von der „frei-
sinnigen Zürcher Regierung […] eine Professur der Theologie ange-
boten wurde“, die sie aber aufgrund der Proteste aus dem Volk alsbald
zurücknahm. Zeitlebens wurde Strauß aufgrund seiner, wie es hieß,
„moralischen Unbrauchbarkeit“42 nie mehr berufen. „Mit seinem“
Leben Jesu war Strauß also „mit einem Schlag auf lange hinaus der
berühmteste Theologe Deutschlands und“ zugleich „für jede kirchliche
und akademische Stellung lebenslänglich unmöglich gemacht.“43 Eine
üble Verletzung war das. Wie gut hat er diese Verletzung vertragen?
Zeller urteilt, er habe das sehr tapfer und gradlinig ertragen. Denn die
zweite Bearbeitung des Leben Jesu „für das Volk“ habe das Endergebnis
gezogen.44
Nun, dieses Urteil, (das Zeller in einer ausführlichen Doppelbe-
sprechung von Renans und Strauß Leben Jesu 1864 bereits vorgetragen
hatte,45) ist mit dem freundschaftlichen Weichzeichner gemalt. Ganz zu
Schweigen von der schweren Verbitterung, die die „fast einmütige
Ablehnung“ seines letzten Werkes Der alte und der neue Glaube „in allen
Lagern“ hervorgerufen hat.46 Strauß hatte damit (in Auseinandersetzung
mit Büchern wie von Hartmann’s Philosophie des Unbewussten und
Darwins Abstammung des Menschen) „ein letztwilliges Glaubens-
bekenntniß eines Denkenden unserer Tage“47 ablegen wollen und war
damit komplett durchgefallen. Albert Schweitzer wird deshalb später
härter urteilen als der Freund Zeller. Strauß selber sei „schuld daran, dass
ihm“ die Würdigung ein „Zerstörer unhaltbarer Lösungen“ und
„Prophet einer kommenden Wissenschaft“ zu sein, „im XIX. Jahr-
hundert nicht zu teil“ wurde. Denn er habe in der Revision seines
Jesus-Buches von 1864, „als er das positiv historische Jesusbild zu
zeichnen unternahm, seine bessere Erkenntnis von 1835 verleugnet
[…], die Eschatologie eliminiert […] und statt des historischen den
liberalen Jesus“ dargestellt. Ob Strauß im Alter ein mattes Buch für das

41 Zeller (1874), 41.


42 Zeller (1874), 53.
43 Barth (1960), 463.
44 Zeller (1874), 2.
45 Zeller (1865a), 435 – 503.
46 Barth (1960), 463.
47 Zeller (1903), VI.
Eduard Zeller als Theologe 219

Volk geschrieben hat, sei dahingestellt. Zum jungen Strauß hat Zeller
jedenfalls Interessierendes zu sagen gehabt. Besonders aufschlussreich ist
Zellers Beurteilung der 1840 und 41 erschienenen Glaubenslehre von
Strauß, neben Schleiermachers Glaubenslehre die vielleicht wichtigste
dogmatische Abhandlung des 19. Jahrhunderts.48 Denn hier zeigt sich,
wie Zeller im Unterschied zu Strauß das theologische Geschäft und die
Funktion der theologischen Kritik begriffen hat. Ihr hat Zeller, der sich
ungern kurz fasste, eine 50seitige Besprechung gewidmet. Keine
Dogmatik „im eigentlichten Sinne“ habe Strauß vorgelegt. Das sei
ungenau. Der Leser bekomme es mit einer „Uebersicht über den
dogmatischen Besitzstand der Zeit“ zu tun. Strauß wolle bilanzieren, auf
sachliche Belastbarkeit testen. Damit liege also nicht eine Dogmatik
selbst, sondern eine „kritische Grundlegung für jede künftige Dogma-
tik“49vor.
Rekonstruiert man systematisch die Rezension, so hat die Glau-
benslehre für Zeller eine besondere methodische und eine besondere
religionsphilosophische Pointe.
Zeller stellt, um zum ersten Punkt zu kommen, zunächst fest, me-
thodisch habe Strauß die „im Leben Jesu befolgte Methode“ gesteigert.
Es gehe um „die Methode […], wo möglich Andere für sich reden zu
lassen, ,nichts Eigenes zu geben, sondern nur Gegebenes zusammen-
zufassen’.“50 Das klingt zunächst erasmisch: „CONTULI. Penes alios
esto iudicium.“51 Ich habe zusammengestellt. Bei anderen liege das
Urteil … Zeller hat deshalb später einmal auch Strauß als eine theolo-
gische Persönlichkeit charakterisiert, die nie „selbst auf dem Schlachtfeld
erscheinen“ würde, „so lange“ sie „einen Bundesgenossen vorschieben“
könne52. Strauß will sich allerdings mit seinen Zusammenstellungen
nicht des Urteils enthalten. Vielmehr soll die Komposition des Materials
vor Augen führen, dass die Kritik am Dogma nicht subjektiv prätentiös

48 Graf, (1982), 215 urteilt entsprechend, „von seiner (scil. Strauß’) Konzeption
der Enzyklopädie aus betrachtet, können seine beiden Hauptwerke […] nicht
als systematisch gleichgewichtig behauptet werden. Hinsichtlich seiner pro-
grammatischen Äußerung zum Verhältnis der theologischen Disziplinen muß
die G[laubens]L[ehr e] als die Arbeit verstanden werden, die sachlich not-
wendig an das L[eben] J[esu] anschließt und diesem von seiner systematischen
Stellung her gesehen übergeordnet ist.“
49 Zeller (1843b), 96 – 146, 96 f.
50 Zeller (1843b), 98.
51 Erasmus von Rotterdam (1969), 194.
52 Zeller (1843a), 94.
220 Stephan Schaede

ist. Das Vielmehr macht es deutlich. Das kritische Urteil hat „die Ge-
schichte und das Bewusstsein der Gegenwart schon vor ihm gefällt“.53
Strauß wolle also „dem Geschworenengericht der öffentlichen Meinung
das Resúme des Zeugenverhörs“ vorlegen, und wage nur „ausnahms-
weise durch eigene Bemerkungen sein Urtheil zu bestimmen“.54 Das
Urteil, das Strauß selbst deutlich sehe, müsse einer verständigen Leser-
schaft von selbst in den hermeneutischen Schoß fallen.
Zeller selbst, der es als ein akribischer Zusammensteller von Quellen
wissen muss, warnt schon hier. Strauß übernehme sich mit diesem Ziel
methodisch hoffnungslos. Schon ein „möglichst vollständiges Zeugen-
verhör, wenigstens mit den Stimmführern der Partheien“ provoziere ein
derart umständlichen Verfahren, dass das die Abhandlungen unlesbar
mache oder aber zu „Lücken“ im „geschichtlichen Beweisverfahren“
führe. Die von Strauß gewählte Methode erzeuge bei Persönlichkeiten
mit einem schwächer angerührten Verstand einen „so weite(n) Tum-
melplatz für den Scharfsinn eines unfreien Denkens, dass auf diesem
Wege wohl noch weniger, als auf dem der unmittelbaren dogmatischen
Erörterung zu gewinnen“ sei55. Strauß beherrsche zwar die von ihm
gewählte Methode im Prinzip virtuos. Aber sie führe, weil sie nicht
allen gegeben sei, zu gefährlichen Missverständnissen.56
Religionsphilosophisch, und das ist für Zeller der zweite zentrale
Punkt, distanziere sich Strauß ebenso von Hegel wie von Feuerbach.
Das System des Christentums sei weder, wie Hegel behauptet habe, ein
dualistisch mit der Transzendenz liebäugelndes System, noch ein mo-
nistisches rein immanentes System. Dualistisch sei das Judentum schon
vor Christus gewesen. Erst die „Person Christi“ habe „beide Seiten“
verbunden und so „neues geistiges Leben erzeugt“. Man dürfe sich
dabei nicht an christologisch paradoxen Figuren der Gottmenschlichkeit
aufhalten. Vielmehr liege der Erfolg des Christentums darin, dass es eine
bestimmte praktische Lebensbestimmtheit generiere. Christliches Be-
wusstsein sei wesentlich Bewusstsein einer „,vollbrachten‘ Erlösung“.57
Man dürfe nicht bei der von Hegel insinuierten Position verharren,
Religion wirke durch und beruhe auf religiösen Vorstellungen.

53 Zeller (1843b), 98.


54 (1843a), 94.
55 Zeller (1843b), 99.
56 Zeller (1843b), 100.
57 Zeller (1843b), 105 f.
Eduard Zeller als Theologe 221

In diesem Zusammenhang insistiert Zeller, Strauß gehe der Beant-


wortung einer zentralen Frage aus dem Weg, die er doch selber gestellt
habe. Diese Frage sei: Können alle Menschen an der „philosophischen
Weltanschauung“ partizipieren oder bleibt das den „wissenschaftlich
gebildeteren Gliedern“ vorbehalten? 58 Die Antwort auf diese Frage sei
keine Nebensache. Denn an ihr entscheide sich, „ob die Religion
überhaupt ein wesentliches Moment im geistigen Leben der Menschheit
ist, oder nicht.“ Solle denn im Ernst behauptet werden, die Religion sei
für die Masse, das Denken hingegen als höchste Geistestätigkeit für
theoretisch geradeaus denkende Wissenschaften an den Universitäten
gedacht? Hier müsse klar optiert werden. Der Hegelianismus margi-
nalisiere sich, wenn er das allen Ernstes sagen wolle.
Zeller bezieht für Strauß Position. Dieser Passus gehört zu den
Interessanteren, weil Zeller zugleich gegen Strauß und Feuerbach seiner
eigenen Überzeugung Ausdruck verleiht.

III. Theologie und Philosophie – Glauben und Denken

Zeller liest Strauß so, dass sich bei ihm „die Theologie selbst in ihren
Konsequenzen […] zur Philosophie aufhebe“, während bei Feuerbach
„die konsequente Theologie Allem, was die Philosophie und Vernunft“
erfordere, diametral widerspreche59. Beide Positionen hält er wie gesagt
für falsch. Um dies zu zeigen, geht Zeller interessanterweise auf eine
anthropologische Grundlagenfrage zunächst jenseits religionsphiloso-
phischer Spezialargumentationen ein.
Denn er kombiniert die von Aristoteles in seiner Schrift De anima
vorgeführte Seelenlehre mit Momenten hegelscher Religionstheorie.
Aristoteles hatte behauptet, dass die Seelenvermögen aufeinander auf-
ruhen und komplexere Seelenvermögen ohne die elementaren nicht
bestehen können. Nun gab es in der Rezeptionsgeschichte von De
anima einen bis heute nicht enden wollenden Streit um die Eigen-
ständigkeit des intellektuellen Vermögens. Zeller entscheidet ihn für
sich und plädiert organologisch längst aufgeklärt für eine strikte wech-
selseitige hirnphysiologisch bedingte Bindung des Denkens an die
Vorstellungskraft (und umgekehrt): Denken kann Glauben nicht ent-
behrlich machen. Glauben provoziert umgekehrt Denken.

58 Zeller (1843b), 106.


59 Zeller (1843a), 92.
222 Stephan Schaede

Die höhere Stufe hat nicht blos das Gewesensein, sondern ebenso auch das
Sein der vorangehenden zur Voraussetzung, und wäre ohne sie so un-
möglich als Geist ohne Natur; keine Stufe geht in der folgenden ganz auf
[…] dass die verschiedenen Lebensgebiete fortwährend in Spannung gegen
einander sind, die folgenden beständig ebenso von den vorangehenden
zehren, als durch sich selbst leben, eben diess macht den Pulsschlag seines
Lebens aus.60
Zeller verspricht sich von der Anwendung dieser allgemeinanthropo-
logischen Bemerkung auf das „religiöse Gebiet … fruchtbare Resulta-
te“.61 Sie erlaube ihm, sich im Verhältnis zu Strauß und Feuerbach zu
positionieren. Dabei verknüpft Zeller inspiriert durch die Biologie eine
Art streng aufeinander bezogene religiöse Onto- und Philogenese.
Nicht nur bei der Entwicklung einzelner Menschen sei die Ebene der
Vorstellung in religiöser Perspektive ein notwendiger Entwicklungs-
schritt, der dann nie mehr hinter sich gelassen werden könne und das
religiöse Denken fundiere. Auch „die Menschheit im Ganzen“ könne
„nicht blos […] Jahrtausende lang sich“ irrtümlich Vorstellungen hin-
gegeben haben, „denen heute noch weit die Mehrzahl der Menschen“
anhängen und dabei „jeden Versuch, ihren inneren Gehalt von der
Form loszuschälen, als einen Frevel“ verabscheuen. Ohne die Frage zu
beantworten, weshalb die Menschheit hier nicht grosso modo geirrt
haben könne – schließlich war für sie die Erde auch für eine nicht ganz
kurze Zeit eine Scheibe, schließt Zeller seine Schlüsse: Auf „keiner
Stufe seines Lebens“ könne das Individuum wie die Menschheit im
Ganzen die religiöse „Unmittelbarkeit entbehren, und neue Kräfte“ aus
ihr ziehen.62
Glauben lasse sich nicht durch Denken substituieren. Umgekehrt
dürfe sich der Glaube und die „dogmatische Reflexion […] gegen das
Denken“ nicht „verpallisadiren“63. Das sei der schwere Fehler der Of-
fenbarungsfrömmigkeit, mit der die kritische Theologie zu Tübingen zu
tun bekommen habe. Diese Frömmigkeit litt unter der „pathologischen
Erscheinung […], den Begriff vom Glauben nur als einen Angriff auf
den Glauben, und das wissenschaftliche Denken überhaupt nur als
freibeuterischen Eingriff in den […] Besitzstand des nichtsdenkenden
Bürgers“ zu betrachten. Zeller redet hier Klartext: „Das Denken“ müsse
den Glauben „aus dem Schlaf aufrütteln […], in den unsere neuevan-

60 Zeller (1843b), 107.


61 Zeller (1843b), 107.
62 Zeller u. Feuerbach (1844), 336 – 345, 336.
63 Zeller (1843b), 109.
Eduard Zeller als Theologe 223

gelischen Zionswächter, diese Nachtwächter, die nie den Tag anrufen,


einsingen möchten.“64
Strauß wie Zeller haben deshalb in merkwürdiger Verkennung von
Eigenart und Selbstverständnis der Gründungsurkunden des Christen-
tums einer sogenannten Offenbarungstheologie den Abschied gegeben.
Jämmerlich sei die Verteidigung der „altorthodoxen Inspirationslehre
mit ihrem Zugehör“.65 Wieder wird hier Schleiermacher, der beiden
theologisch wie intellektuell spielend gewachsen und doch wohl
überlegen war, scharf angegriffen. Schleiermacher habe „auf natürlich
psychologischem Wege […] eine höchste Reinheit der neutestament-
lichen Schriften“ nachzuweisen versucht. Es sei von Schleiermacher
schon unglaublich willkürlich und leichtfertig, eine „unmittelbare […]
Verbindung der neutestamentlichen Schriftsteller mit Christus nach-
zuweisen“. Das stelle nur einmal mehr die theoretische „Bodenlosig-
keit“ der Inspirationslehre unter Beweis.66
Zeller hat sicher mit seinem Urteil darin recht, dass Schleiermacher
an dieser Stelle nicht kritisch genug war. In der Offenbarung, so stößt
Zeller verstärkend in das Straußsche Horn einer Projektionstheorie, die
im Grunde so alt ist wie die Buchreligion bzw. eine Religion des
Wortes Gottes selbst, erkenne „der Mensch die eigenen Gesetze seines
Wesens: er reicht dem doppelgängerischen Ebenbilde die Hand und es
verschwindet, indem es in ihn selbst zurückgeht“.67 Und so rühmt
Zeller seinen Freund Strauß, er habe „diese Schanzpfähle der (veren-
genden) Reflexion ein für allemal ausgezogen, und zum Scheiterhaufen
für die Orthodoxie aufgeschichtet“. Das ist deutlich durch zu hören. Es
ist der aggressive Abschied von einer Offenbarungstheologie, die, wie
Zeller vermutet, „ihren Ruhm […] darin setzt, gerade über die wich-
tigsten Dinge nicht zu denken.“68 Man könne in dieser „gedankenlosen
Unendlichkeit“ des „Gefühls nur eine unendliche Gedankenlosigkeit …
erblicken“.69
Es sei hier eben nur erwähnt, dass Zeller in einem nahezu durch-
gängig kniend geschriebenen Passus Strauß’ kritische Materialdogmatik
goutiert. Natürlich springt er Strauß zur Seite, wenn der für Gott be-

64 Zeller (1843d), 196.


65 Zeller (1843b), 110.
66 Zeller (1843b), 113.
67 Zeller (1843b), 108.
68 Zeller (1843d), 198.
69 Zeller (1843d), 198.
224 Stephan Schaede

streitet, Persönlichkeit zu sein. Person sei nun einmal „kurz definiert der
Geist als existierender, d. h. endlicher“.70 Auf Hegel können die beiden
sich jedenfalls dafür nicht berufen, sprach der doch schon von „der
absoluten Persönlichkeit Gottes“.71 Mit der Frage, ob nun gut zu heißen
sei, dass Hegel vielleicht in einer Art vorweg genommenen Prozess-
theologie die „Entwicklung Gottes“ lehre, scheint Zeller überfordert zu
sein. Zeller fragt: Ist das mit der „geschichtlichen Entwicklung des
Weltgeistes“72, wie Hegel sie in seiner Naturphilosophie formuliert,
gemeint? So spektakulär ist diese vom Deismus bisweilen geradezu
programmatisch vertretene Position nicht. Die Frage ist nur, ob eine
glaubend denkende, und denkend glaubende Religionsphilosophie sie
behaupten muss oder nicht. Indirekt ringt Zeller sich dann doch zu
einer Position durch. Womöglich abgehärtet durch Aristoteles und die
aristotelische Rezeptionsgeschichte hat Zeller jedenfalls keinerlei
Schwierigkeiten, den Gedanken einer „willkührlichen“ und zeitlichen
Weltschöpfung ad acta zu legen und stattdessen von einer „ewigen und
nothwendigen Verwirklichung Gottes in einer Welt“ zu sprechen73.
Fromm wird er hingegen, wo seine Darstellung das Gebiet der An-
thropologie betritt. Die Naturwissenschaft verfüge über keinerlei Ur-
teilskraft in der Frage, ob „wir uns die Entstehung des Menschen als
unmittelbare göttliche Wirkung, oder als das Ergebnis eines natürlichen
Prozesses zu denken haben“. Heuristisch gehe sie zwar von einem na-
türlichen Prozess aus. Aber auch dieser Prozess habe „Kräfte“ zur
Voraussetzung, die „außerhalb der Erfahrung liegen“. Die Entstehung
sei damit nicht schon ein Wunder. Denn Wunder gebe es nicht, wie er
in gängiger Berufung auf John Locke und David Hume versichert.
Physiologie und Theologie müssten an dieser Stelle die Waffen stre-
cken. Die philosophische Kritik habe in diesem Sachzusammenhang für
aufgeklärtes Nichtwissen zu sorgen.74
Nur bei Jesus geht Strauß für Zellers Gefühl zu weit, wenn er ihm
abspreche, die „erhabenste und vollkommenste Gestalt in der ganzen
Geschichte“ zu sein. Zwar sei trivial, dass niemand den informierten
Überblick habe, eine solche Behauptung empirisch zu härten. Aber

70 Zeller (1843b), 121.


71 Hegel (1838), 145.
72 Zeller (1843b), 122.
73 Zeller (1843b), 123.
74 Zeller (1843b), 124 f.
Eduard Zeller als Theologe 225

könne man nicht eine Person an ihrer „weltgeschichtlichen Leistung“


messen?
Hier ist Zeller überraschend wenig zurückhaltend. Durch Jesus habe
sich „der grösste geistige Fortschritt der Menschheit vollzogen“. Also
müsse schon die „grösste geistige Kraft in ihm gewesen sein“. Schwer
wiege hingegen Schleiermachers dogmenunkritischer Absturz, wenn
der behaupte, bei Johannes konzentriere sich die „wesentliche Bedeu-
tung Christi … in seiner unmittelbaren Selbstdarstellung“, während die
„Vorstellung von einer Loskaufung der Menschen aus der Herrschaft
des Teufels … nur eine konkreter Darstellung“ der paulinischen
Lehrform sei.75 Es darf, um vorsichtig zu formulieren, angesichts des
methodisch-kritischen Impetus erstaunen, wie anspruchsarm Zeller
materialdogmatisch wird, wenn er das ihm vertraute Feld philologischer
Vergleichsarbeit verlässt.

IV. Zellers Konzept einer historischen Kritik

Seine eigene Haltung zur Kritik gibt er in der Auseinandersetzung mit


Strauß und Feuerbach sprechend Ausdruck. Die Ausführungen ge-
winnen hier mit einem kritischen Erkenntnisimpetus zugleich einen
gesellschaftpolitisch eminent kritischen Ton. Hier inspiriert Feuerbach
Zeller zentral, Strauß eher marginal. Um mit letzterem zu beginnen:
Strauß, so erfahren die Leser, habe die Kritik nicht erfunden. Aber er
habe gegenüber der „rationalistischen Kritik“ eine Wende eingeläutet.
Diese von Zeller ausführlich referierte Wende besteht in einem Satz
gesagt darin, dass Strauß die Begründungsrichtung zwischen Glau-
bensüberzeugungen und den in diesen Überzeugung zur Geltung ge-
brachten religiösen „Tatbeständen“ invertiert. Hatte die rationalistische
Kritik geurteilt, die extraordinären Zeugungsumstände hätten in Maria
den Glauben an Jesus als künftigen Messias provoziert, so urteilt Strauß,
der Glaube an die Messianität Jesu habe die Erzählung von einer
übernatürlichen Geburt provoziert.76 Zeller urteilt, Strauß habe durch
diese Inversion zwar der gängigen „Theologie […] gefährliche Wunden
[…] geschlagen“. Da er das jedoch mit der „Waffe der theologischen
Kritik gethan“ habe, habe „diese Waffe immer wieder etwas heilenden

75 Zeller (1843b), 129.


76 Zeller (1846a), 288 – 321, 313.
226 Stephan Schaede

Rost“ angesetzt.77 Strauß nötige den theologischen Gegner in Form


einer stets indirekten negativen Kritik, in der er verharre, „lieber durch
Umzinglung und Absperrung, als durch Kampf zur Ergebung“.78
Feuerbach sei in seiner Kritik demgegenüber viel rigider gewesen.
Diese „vulkanische Natur“, die „als Kritiker […] lieber mit dem
Hammer als mit der Feile“ arbeite, werfe „lieber den ganzen Hausrath
der bisherigen Theologie auf einmal in’s Feuer, als dass er ihn Stück für
Stück vornähme und besähe, ob nicht darunter“ etwas sei, „was auch
der Philosoph in seiner modern eingerichteten Wohnung noch brau-
chen“ könne.79 Fast neidisch attestiert der diplomatisch umständlicher
verfahrende Zeller: Ohne die Leser mit „sorgfältig entwickelten Ge-
dankenkaskaden zu elenden“, unterbräche Feuerbach „leuchtkugelartig
das langsamere Aufdämmern des Gedankens mit plötzlichen Schlag-
lichtern“. Seine Kritiken seien „isolierte Pfeile“, mit denen die religiöse
Ebene der Vorstellung auf „etwas einförmige Weise durchbohrt“
werde.80 In größter Klarheit habe Feuerbach zum Ausdruck gebracht,
dass „Wahrheit […] unserer Zeit Unsittlichkeit“ sei. Damit bestätige
sich die perfide Logik des gesellschaftspolitisch-akademischen Diskurses
seiner Zeit. Man ertrage die Wahrheit nicht. Wer historisch kritisch
Wahres vortrage, mache sich damit zum moralisch untragbaren Subjekt.
Etwas bitter zitiert Zeller zustimmend Feuerbach: „In demselben Sinne,
als sich die Freiheit der deutschen Rheinschifffahrt jusque à la mer,
erstreckt sich die Freiheit der deutschen Wissenschaft jusque à la vérité.“
Wo die Wissenschaft zur Wahrheit komme, werde sie zum Objekt der
Polizei. In Deutschland sei die Polizei die „Grenze zwischen der
Wahrheit und der Wissenschaft“81.
Feuerbach war also als Zerstörer bereits am Werk. Strauß hatte nur
in negativer Kritik verharrt. Die „Grundfesten des bisherigen Baus“ sind
unterwühlt. Was also bleibt für Zeller zu tun? In seinen Augen gibt es
nur ein „Mittel, den Verheerungen der Kritik zu entgehen; dass man
sich ihr nicht unbesonnen in den Weg stellt. […] nur so viel ist klar:
zurück können wir nicht, also vorwärts!“82

77 Zeller (1843c), 90 – 95, 92.


78 Zeller (1843b), 146.
79 Zeller (1843c), 94.
80 Zeller (1843c), 94.
81 Zeller u. Feuerbach (1844), 336 – 345.
82 Zeller (1843b),146.
Eduard Zeller als Theologe 227

Zellers Waffe ist die „positive“ Kritik.83 Dieses Konzept einer po-
sitiven Kritik hatte allerdings, wie Zeller einräumt, vor ihm Ferdinand
Christian Baur entwickelt. Der war bei seinem Schüler Strauß in die
Lehre gegangen und hatte entsprechende Kritikmodelle konzipiert. Um
nur ein Beispiel zu nennen, hatte er die johanneische Frage zum
Schlüssel seiner Evangelienkritik gemacht.84 Ziel der positiven Kritik
war, durch das in den biblischen Dokumenten niedergelegte Geflecht
von Vorstellungen und Auffassungen hindurch den Tatsachen nahe zu
kommen. Wie aber geht das? Zeller gibt zu verstehen, dass die Aus-
gangssituation für ein solch kritisch-konstruktives Unterfangen
schwierig sei. Denn er staunt selbst: „eine reine Empirie“ sei „gar nicht
so häufig, als man wohl glaubt“. Zeller meint, die Empirie müsse isoliert
werden. Als Mittel der Isolierung zählt er – darin erkenntnistheoretisch
nicht eben tiefsinnig – eine Reihe hermeneutischer Tugenden auf, die
den „meisten“ fehle: „Aufmerksamkeit auf sich selbst, Unbefangenheit,
Klarheit des Bewusstseins, Uebung im Beobachten“…85 Mit diesem
hermeneutischen Tugendinstrumentarium angewendet gewinne die
Kritik für den Historiker die gleiche Funktion und Erkenntnisleistung
wie für den Naturwissenschaftler das Experiment. Ihre Funktion sei:
Isolierung fremder Einflüsse, Scheidung fremder ungeschichtlicher
Überlieferungen von den Tatsachen.
Bei der Überlieferung historischer Tatsachen wirke erschwerend,
dass sie von den, wie Zeller sich vornehm ausdrückt, „praktischen In-
teressen“ der Überliefernden dominiert seien.
Es handele sich oftmals um Tendenzberichterstattung. Es sei nicht
wahr, dass aufgrund der enormen Bedeutung der Figur Jesus Christus
das Gesagte umso skrupulöser und gewissenhafter geprüft worden sei.
Diesen Einwand der Apologetik lässt Zeller für das Christentum nicht
gelten. Vielmehr gelte im Gegenteil das Gesetz: Je höher das dogma-
tische und praktische Interesse sei, desto stärker trete bei den Überlie-
fernden der kritische Sinn zurück. Das habe Folgen für die kritische
Rezeption. Unbefangen historisch prüfen könne nur der, bei dem die
„persönliche Betheiligung an den Ereignissen“ aufhöre.86

83 Zeller (1846a), 343, wo Zeller zu verstehen gibt, das, was er mache, sei ei-
gentlich nichts anderes als die „positive Ergänzung der Straußischen, blos ne-
gativen Kritik“.
84 Zeller (1846a), 314 f.
85 Zeller (1846a), 291 f.
86 Zeller (1846a), 293.
228 Stephan Schaede

Dahin in religiösem Kontext zu gelangen sei doppelt schwer. Das


liege erstens an einem relativen Desinteresse religiöser Bewegungen an
der konkreten geschichtlichen Gegenwart. Religiöse Charaktere seien
mehr an „lebhafter religiöser Erregung“ und der „inneren Welt des
Gemüths“ interessiert. Zweitens seien Religionen per definitionem
praktisch ausgerichtet. Dadurch werde die „Geschichte zum unselb-
ständigen Vehikel für religiöse Ideen“ degradiert.87
Es ist spannend zu sehen, wie gerade an dieser Stelle Zeller auffällig
intensiv der neuen Gefühlsmode in der Religionstheorie entgegentritt.
Damit werde das unmittelbare Selbstbewusstsein zur letzten kritischen
Instanz über die Schrift gesetzt. Genau das ist Zeller nicht kritisch
genug.88 Denn auch der Ursprung und die „wahre Beschaffenheit der
Gefühle“ könne täuschen. Zeller geht so weit zu behaupten, „die
Entscheidung geschichtlicher Fragen“ liege „gänzlich ausser“ dem
„Bereiche“ des „unmittelbaren Gefühl’s“.89
Genau deshalb hält Zeller die Kritik auf dem Feld der christlichen
Religionsurkunden gleich für doppelt geboten. Eine solche Kritik sei
gut evangelisch. Denn katholisch sei doch, zu behaupten, die „Schrift
sei mit unmittelbarer göttlicher Auktorität an“ die Kirche übergeben
worden, die sie mit „unfehlbarer Sicherheit“ interpretiere. Das genau sei
eine „unerträgliche Beherrschung der Gewissens- und Denkfreiheit“,
die der Protestantismus tapfer zurückweisen müsse.90 Das sola scriptura
versteht Zeller also nicht länger so wie Martin Luther, der meinte, die
Schrift sei eben damit auch sui ipsius interpres. Vielmehr begreift er
diese reformatorische Exklusivpartikel so, dass sich zwischen die Inter-
preten und die biblischen Texte keine Interpretationsinstanz einschie-
ben dürfe, die den Interpretationsprozeß doktrinär reguliere. Hier muss
nicht nur mit der römisch-katholischen Interpretationstradition ge-
stritten werden. Hier ist ebenso evangelische Selbstkritik geboten. Zeller
schärft ein: Wer sich über den katholischen Märtyrerkult und die
Wunderlegenden von Heiligen mit recht mokiere, müsse die „äusserlich
ungleich“ schlechter „bezeugten“ biblischen Wunder, und vor „Allem
das Hauptwunder der übernatürlichen Eingebung der Schrift selbst“
ablehnen.91 Die biblischen Texte verdienten keine kritische Sonder-

87 Zeller (1846a), 294.


88 Zeller (1846a), 296.
89 Zeller (1846a), 296.
90 Zeller (1846a), 296.
91 Zeller (1846a), 299, 301.
Eduard Zeller als Theologe 229

behandlung. Sie seien demselben Verfahren wie „jede andere mensch-


liche Überlieferung“ zu „unterwerfen“.92 Die Bibeltexte müssten schon
„dieselben Bürgschaften ihrer Glaubwürdigkeit“ vorlegen, wie „alle
[…] anderen Geschichtsurkunden […]. Eine besondere, von der all-
gemeinen verschiedene Kritik“ sei „für die Bibel ebenso unzulässig als
eine besondere Hermeneutik“. Eine besondere Hermeneutik setze
nämlich besondere Entstehungsbedingungen von Texten voraus. Die
aber kann Zeller für die biblischen Texte nicht ausmachen. Diese
hermeneutische Einstellung zu den biblischen Texten führt zu der
„vielbesprochene[n] Voraussetzungslosigkeit der neuesten biblischen
Kritik“.93 Diese kritisiere nicht die Verfasser der biblischen Texte als
„Betrüger“, sondern realisiere geschichtsbewusst, dass „in der jüdischen
und der altchristlichen Welt das historische Bewusstsein unserer Tage
überhaupt nicht zu Hause war.“ Es war selbstverständlich, die Ge-
schichte in religiöser Absicht frei dogmatisch umzubilden, weil ein
„selbstständiges Interesse für die Geschichte“ fehlte.94
Theologisch ambitioniert meint Zeller deshalb zu sein, weil seine
Kritik nach „Ausscheidung des Ungeschichtlichen in den Berichten auf
die Auffindung des wahren Sachverhalts“ aus ist. Und er ist überzeugt,
aus dem „übrig bleibenden Rest“, den die negative Kritik isoliere,
„einen naturgemäßen Geschichtsverlauf“ rekonstruieren zu können.95
Was aber soll der theologische Gewinn sein, wenn, wie Zeller schreibt,
ein „Grundstock bestimmter äusserer Thatsachen … übrig“ bleibt? 96
Hier muss er sich aus theologischer Perspektive die Rückfrage gefallen
lassen, was aus einer solchen Beweisführung aus Tatsachen97 theologisch
Relevantes hergeleitet werden könne. Am Ende wirft nämlich der
naturgemäße Geschichtsverlauf theologisch in den entscheidenden
Fragen gerade gar nichts ab und man kann sich dann endlos über gefüllte
oder leere Gräber oder angeblich authentische Herrenworte streiten
und kommt doch nicht zum Ziel. Diese aus Historischem Religiöses
ableitende Naivität hat Karl Barth später verlangen lassen: „,Kritischer‘
müßten mir die Historisch-Kritischen sein!“98

92 Zeller (1846a), 302.


93 Zeller (1846a), 308.
94 Zeller (1846a), 304 mit 307.
95 Zeller (1846a), 310.
96 Zeller (1846a), 311.
97 Zeller (1846a), 317.
98 Barth (1947a), XII.
230 Stephan Schaede

Das war nun das überkritische Wort eines Offenbarungstheologen,


den so gar nicht die Angst der Tübinger Frömmler vor den Kritikern
plagte. Zeller hat diese Kritik geahnt. Er hat geahnt, dass seine Aus-
führungen zur historischen Kritik ihn viel zu nah an die doch von
Strauß überwunden geglaubte rationalistische Kritik heranführte, die aus
bestimmten historischen Tatsachen religiöse Überzeugungen generieren
wollte99. Nur rekonstruiert Zeller auf einem anderen Niveau aus Tat-
sachen historisch kritisch dogmatisch sehr viel Niederschwelligeres.
Zeller kann dabei methodisch nicht aufklären, wie Interpreten aus der
Herleitung eines „geschichtlichen Verlaufs“, von dessen Einzelheiten
und empirischen Aeusserlichkeiten“ niemand etwas wissen könne, zu
religiös belastbaren Urteilen komme.100
Hier kann ihm nur noch eine von Hegel inspirierte Religions-
theorie helfen, die er selbst nicht mit seiner historischen Kritik zu
vermitteln vermag. Zeller irrt sich, wenn er behauptet, er habe von
Hegel nur die „Methode der Geschichtsbetrachtung“ übernommen,
nichts jedoch von den übrigen philosophisch-spekulativen Vorausset-
zungen seiner Philosophie adaptiert.101
Es kommt hinzu, dass jenseits des methodisch kaum zu überwin-
denden Grabens einer angeblich aus Gründungsdokumenten einer
Religion resultierenden Tatsachenrekonstruktion hin zu spezifisch re-
ligiösen Gehalten die hermeneutische Selbstkritik der interpretierenden
Personen viel stärker reflektiert werden müsste, als Zeller das pro-
grammatisch fordert. Wer auch immer interpretiert, hält sich nicht in
einem kulturellen und von kulturgeschichtlichen Genesen unter-
schiedlichster Art ungesättigten Niemandsland auf. Eben das hatte der
von Zeller gern kritisierte Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher ein-
gesehen, als er eine der grammatikalischen korrespondierende psycho-
logische Hermeneutik forderte.102

99 Zeller (1846a), 313.


100 Zeller (1846a), 320.
101 Zeller (1846a), 316.
102 Schleiermacher (1977), 167 – 237.
Eduard Zeller als Theologe 231

V. Zellers Religionstheorie

Jenseits dieser Problemlagen hat Zeller seinem positiv-kritischen Pro-


gramm entsprechend für die „gegenwärtige Theologie“ zwei Leitfragen
identifiziert. 1. Wie entspringt die Religion allgemein „aus dem Wesen
des Geistes“? 2. Wie entsteht eine „bestimmte […] Religion“ ge-
schichtlich? 103 Die zweite will er historisch-kritisch beantworten. Die
erste muss er religionsphilosophisch sehr anders beantworten. Die
Antworten auf beide Fragen kann er in einer Gesamttheorie nicht
vermitteln. Das ist seine theoretische Schwäche. Denn er kann zu der
Königsfrage, wie aus dem Wesen des Geistes eine bestimmte Religion
geschichtlich entspringt, nichts sagen, ganz einfach deshalb, weil er es
auch gar nicht sagen will. Die Frage geriete schon unter ungeschichtlich
operierenden Voraussetzungen unter Ideologieverdacht. Sein Dilemma
aber ist, dass er sie sich angesichts seiner geschichtstheoretischen
Grundsätze eigentlich umso mehr stellen müsste. Nun zur ersten Frage:

V.1. Die Grundlegung der Beantwortung der ersten Frage

Zeller liegt entscheidend daran, festzuhalten, dass es keine „Geschichte


des Geistes“ an ihm, sondern ein dynamisches Geschehen durch ihn
gebe. In diesem Zusammenhang notiert er als entscheidende Einsicht,
dass die Religion nicht als „objektive, in sich vollendete Thatsache, als
göttliche Offenbarung“ gefasst werden könne, der dann die „subjektive
Entwicklung des religiösen Bewusstseins“ folge. Vielmehr sei die ein-
zige religiöse Tatsache, von der man ausgehen könne, dass sie eben
ihren Ursprung im menschlichen Bewusstsein habe. Entsprechend seien
die biblischen Texte nicht eine „absolute […] ,Voraussetzung‘, viel-
mehr selbst erst ein ,Produkt‘ der geschichtlichen Bewegung des
christlichen Bewusstseins“.104
Religion umfasse „alle Seiten des Geisteslebens“. Das jedoch
zeichne sie nicht aus, sondern gelte „von jedem andern Gebiet des
Seelenlebens“105 auch. Religion muss sich also von anderen „Gebieten
des Seelenlebens“ durch eine spezifische Weise auszeichnen. In seiner
Abhandlung „Ueber das Wesen der Religion“ will Zeller darüber

103 Zeller (1846b), 24 f.


104 Zeller (1846b), 26.
105 Zeller (1845), 393 – 430.
232 Stephan Schaede

aufklären. Schleiermacher habe sich getäuscht, indem er „alles Erkennen


und Handeln von ihr ausschliesst, … jedes gesunde Gefühl für sie jedoch
in Anspruch“ nehme. Kein „konkretes Lebensgebiet“ lasse sich „auf’s
Wissen, Wollen oder Fühlen … beschränken, ohne … die Einheit des
geistigen Lebens zu zerreissen“.106 Es sei hier eben nur angemerkt, dass
diese Kritik Schleiermacher simplifiziert und nicht präzise trifft.107 Denn
der hatte in seiner Analyse „frommer“ Selbstbewusstseinszustände die
„Verflechtung“ von Fühlen, Handeln und Denken behauptet. Für
Schleiermacher war in diesem inneren Zusammenhang dann von einem
schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl geprägt zu sein, Spezifikum sol-
cher Bewusstseinszustände und Gefühle, weshalb er in der Tat be-
hauptete, die Frömmigkeit, nicht die Religion (!), sei „,rein für sich
betrachtet‘ weder ein Wissen noch ein Tun, sondern eine Bestimmtheit
des Gefühls oder des unmittelbaren Selbstbewusstseins“.108 Jedes „ge-
sunde Gefühl“ ist deshalb für Schleiermacher keineswegs bereits ein
religiöses Gefühl.
Insofern ist Zellers in Abgrenzung von Schleiermacher formulierte
Alternative, die Religion habe nicht das „fromme Gefühl als solches,
sondern“ den „in diesem Gefühl sich darstellende[n] Zustand des per-
sönlichen Lebens als Ganzes“ im Blick, längst nicht so weit von
Schleiermachers Überzeugungen entfernt wie Zeller glauben machen
will.109
Eine andere missverständliche Deutung des Religionsphänomens
entdeckt Zeller in dessen metaphysischer Lesart. Religion wolle keine
Metaphysik. Sie interessiere sich ausschließlich dafür, wie Gott und wie
der Mensch zueinander stünden.110 Diese harten Setzungen erschrecken
Zeller selbst, weshalb er sich wenige Seiten später beeilt zu versichern:
„Eine gewisse Metaphysik“ habe jede Religion „zur Voraussetzung.
Aber diese Voraussetzung“ sei noch nicht Religion, sondern werde erst
Religion, wenn sie sich auf ein „persönliches Selbstbewusstsein“ be-

106 Zeller (1845), 395.


107 Das mag seinen Grund darin haben, dass Zeller wie auch Strauß für ihre
Schleiermacherinterpretation und -kritik dessen Frühschriften wie „Über die
Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ (Schleiermacher
(1995)) für maßgeblich halten und die religionstheoretischen Verschiebungen
in den beiden Fassungen der späteren Glaubenslehre zu wenig zur Kenntnis
nehmen.
108 Schleiermacher (1960), 23.
109 Zeller (1845), 404.
110 Zeller (1845), 397.
Eduard Zeller als Theologe 233

ziehe.111 Weil Religion wissen wolle, wie sich Gott zum Menschen und
der Mensch sich zu Gott verhalten könne, sei deshalb Ausgangspunkt
aller Überlegungen die „Bestimmung des ,persönlichen‘ Verhältnisses“
zu Gott.112 Religion sei in erster Linie, wie Zeller terminologisch ei-
gensinnig formuliert, pathologisch ambitioniert, und erst in zweiter
Linie auch theoretisch und praktisch. Pathologisch, das meine: In der
Religion sei Pathos, Leidenschaft, „persönlich gemüthliches“ im
Spiel.113 Und dieses Pathos habe seinen Sitz in einem „Verhältnis der
Person zur Person, des endlichen Subjekts zum absoluten Subjekt“.114
Damit nicht genug. Gegen religionswissenschaftlich zimperliche Be-
denkenträger hält Zeller dafür, das persönliche Verhältnis müsse ein
„Verhältnis des Menschen zur Gottheit“ sein. Religion thematisiere
„Gottesbewusstsein“ oder sie sei keine Religion. Das habe der „Fe-
tischdiener, welcher den bunten Stein“ anbete, durchaus schon reali-
siert. Er verehre zwar nicht das „wirkliche Göttliche, aber er“ meine „es
doch zu verehren“. Es gelte also: Keine Religion ohne Gott. Dieser aus
einer christlichen Binnenperspektive geformte Religionsbegriff würde
allein schon deshalb, weil er die Bestimmung Gott für Religion kon-
stitutiv hält – wie übrigens viele der von christlichen Theologen im
19. Jahrhundert entwickelten Religionsbegriffe – trotz ihres metaphy-
sikkritischen Impetus an einer religionstheoretisch und religionswis-
senschaftlich aufgeklärten Sicht der Dinge zerschellen.
Neben dem Gottesmerkmal ist Zeller nicht verlegen, gleich auch
noch ein teleologisches Merkmal von Religionen nennen zu können:
„Die Seligkeit ist das Ziel aller Religion“115. Was Seligkeit sei, wird in
nominallastigem Stil sogleich ausgeführt. Seligkeit sei die „Vollendung
des persönlichen Lebenszustands, die ungetrübte Heiterkeit und man-
gellose Vollkommenheit des Selbstgefühls, der absolute Genuss der in
sich befriedigten Subjektivität“.116 Gottes- und teleologisches Merkmal
werden schließlich wie folgt verknüpft. Die Religion sei „mit Einem
Wort das Leben des Subjekts in Gott und sie“ sei „,nur‘ dieses“.117
Vor diesem Hintergrund sind jene Religionen besonders raffiniert,
die diese Lebenszustände durch die Religionsausübung selbst realisieren

111 Zeller (1845), 401.


112 Zeller (1845), 397.
113 Zeller (1845), 394 f.
114 Zeller (1845), 398.
115 Zeller (1845), 399.
116 Zeller (1845), 399.
117 Zeller (1845), 403.
234 Stephan Schaede

und sich dadurch zum Selbstzweck machen. Damit scheint Zeller vor
allem durch die „pathische“ Zentralbestimmung von Religion nach den
oben erwähnten Abgrenzungsbemühungen in größere sachliche Nähe
zu Schleiermacher zu geraten als ihm lieb ist.118 Worin, abgesehen
davon, dass Zeller die Dinge weniger gründlich durchräsoniert als
Schleiermacher, der deutliche Unterschied in Sachen Religionskon-
zeption besteht, macht ein Blick auf die zweite religionstheoretisch
wichtige Frage deutlich.

V.2. Genese der Religion

Bei der Beantwortung der genetischen Frage, wie nun Religion allge-
mein aus dem Leben des Geistes entsteht, kommt Hegel wie gesagt
mehr ins Spiel als Zeller selbst meint. Eben darin liegt eine deutliche
Differenz zu Schleiermacher. Zeller markiert das unmißverständlich:
„Dass der Mensch überhaupt Religion hat“, habe „seinen Grund in der
denkenden Natur des Geistes“119. Dabei müsse dem „denkenden Be-
wusstsein des Absoluten nothwendig die innere Erfahrung von dem-
selben vorangehen“. Klugerweise hat hier Zeller nicht behauptet, dass
aus dem Meer empirischer Spiritualität das Wesen der Religion gene-
riert werden könne. Nur kommt es daraufhin zu merkwürdigen Zu-
ordnungen. Der „apriorische Grund und die allgemeine Nothwendig-
keit des Gottesbewusstseins“ liegen „im Denken“. Nur dessen „empi-
rische Quelle“ sei im „Gefühl“ und habe als „erste Form seiner Er-
scheinung“ die Religion.120 Man dürfe dabei eben nicht, das „solli-
citirende […] Moment“ und die „empirische Bedingung“ des Entste-
hens mit dem „inneren und einzigen Grund der Religion“ verwech-

118 Es verblüfft dann erheblich, wenn Zeller, behauptet, das „religiöse Gefühl“
erzeuge nach der einen Seite „die Vorstellung des Göttlichen“, wie es nach der
anderen „die Quelle eines eigenthümlichen Handelns“ sei (Vgl. Zeller 1845,
410). Das klingt wie eine vulgärtheoretische Repetition Schleiermacherscher
Überlegungen. Und was dann an Zellers Impetus, die, wie er schreibt,
„schwierige Mittelstrasse zwischen Intoleranz“, die sich an „dogmatischen
Unterschiede[n]“ allzu sehr aufhält, und dem „Indifferentismus“, dem nur an
der Erzeugung guter sittlicher Handlungen liegt, „zu finden“ (vgl. Zeller 1845,
417), im Vergleich zu Schleiermacher weniger liberal vermittelnd sein soll, das
bleibt unklar.
119 Zeller (1845), 403.
120 Zeller (1845), 406.
Eduard Zeller als Theologe 235

seln.121 Hier lässt von Ferne Hegels Lehre vom absoluten Geist grüßen.
Entsprechend bekommt Schleiermachers Religionstheorie einen hege-
lianisierenden Tritt versetzt. Es sei nun eben so, dass „in der religiösen
Vorstellung eine Unangemessenheit der Form gegen den Inhalt“ bleibe,
die „sich an ihr selbst in den Widersprüchen der einzelnen Vorstel-
lungen zur Erscheinung“ bringe122. Ob diese reichlich viereckig wir-
kenden Zuordnungen von konsistentem intellektuellem inneren Grund
und empirischen Gefühls-Bedingungen religionstheoretisch und ge-
schichtstheoretisch belastbar sind, darf gefragt werden. Um nur ein
Problem zu benennen: Das Denken wird schwerlich als innerer Grund
über den historistischen Genesewassern des Gefühls schweben. Das ist
eine etwas matte Religionstheoriebildung für den politisch-historisch
klug und vehement agierenden Zeller. Für die letztgenannte Dimension
seines Handelns steht ein äußerst bemerkenswerter Text aus seiner
Feder gut, den er im Revolutionsjahr 1848 raffiniert platzierte.

VI. Kirche, Staat und Religion

Es war die Kirchenkritik von David Friedrich Strauß, die Zeller maß-
geblich inspirierte. Dass Strauß gleich die „Möglichkeit einer Kirche in
unserer Zeit … in Frage“ gestellt hat, hat Zeller seinerzeit elektrisiert.
Nicht nur, wie die Kirche sach- und zeitgemäß zu gestalten sei, sei die
Frage. Fraglich sei vielmehr, ob es überhaupt eine geben müsse und
solle. Den entsprechenden sehr knapp gehaltenen Abschnitt der
Straußschen Glaubenslehre hat Zeller für „den allerbedeutensten des
ganzen Werkes“ gehalten. In jenem Passus urteilt Strauß: „Absolute
Trennung von Kirche und Staat“ sei die Forderung, der Zerfall der
Kirche die Konsequenz. Wer nicht „bei einer Kirche als Himmels-
bürger eingeschrieben“ sei, vermöge dennoch „ein guter Staatsbürger“
zu sein. Der „moderne Staat“ sei durch seine bloße Existenz eine
„Protestation gegen die Berechtigung der Kirche“. Diese Argumenta-
tion beeindruckte Zeller. Er teilte allerdings nicht die Behauptung, das
Ende der Institution Kirche sei unausweichlich. Zwingend ist für ihn
nur eins: Die Religion müsse „im freien Geist der Zeit umgestaltet und
auf ihre wahre … praktische“ Bedeutung zurückgeführt werden. Wer

121 Zeller (1845), 407.


122 Zeller (1845), 409.
236 Stephan Schaede

diese Reform gewaltsam unterdrücke, ob in der Politik oder Kirche,


provoziere die Revolution.123
Eben diese kam 1848 und Zeller zieht im Jahr darauf in einer kurzen
Abhandlung über die „Trennung der Kirche vom Staat in ihrer Be-
deutung für die Theologie“ die Konsequenz. Den rhetorischen Auftakt
dieser Schrift bildet eine Figur, die bereits knapp 50 Jahre zuvor
Schleiermacher in seinen Reden bemüht hatte, indem er seinerzeit
schon für die Scheidung des „Ehebündniß[es]“ plädierte.124 Zeller ex-
poniert entsprechend: „Nachdem die Convenienzehe … des Staats mit
der Kirche lange genug gewährt“ habe, müsse nun „auf Scheidung
erkannt werden“. Der „häusliche […] Zwist“, provoziert durch die
Abhängigkeit der Kirche vom Staat, geschürt zugleich durch die Be-
schränkung des Staates durch die Kirche, müsse nun wirklich ein Ende
haben.125 Beide bedürften der Selbständigkeit und wechselseitig ge-
währten Freiheit. Mit hohem Problembewusstsein macht Zeller zu-
gleich geltend, dass diese Trennung leider nicht zu einer freien „durch
keine Auktorität gefesselte[n] Theologie“ führe. Im Gegenteil bestehe
die Gefahr, dass die hohe theologische Fakultät zu einer kirchlichen und
durch den eingeengten theologischen Horizont der Kirchenleitung
gegängelten Hochschule verkomme.126 Dieses Urteil platziert Zeller in
einem berufsbiographischen Moment, an dem er auf das äußerste für
diese Fragen sensibilisiert ist. In dem Moment, wo die Kirchenleitung
massiven Zugriff auf die akademischen theologischen Ausbildungsin-
stitutionen nimmt, hat er mit seiner kritischen Haltung keinerlei Per-
spektiven mehr. So prognostiziert er die „Entvölkerung der theologi-
schen Hörsäle“, weil „nur solche Universitätslehrer gehört“ würden,
„welche im Sinne des kirchlichen Systems“ lehrten. Der „Korporati-
onsgeist“ der „Kirchenverwaltung“ durchseuche das Kollegium der
Lehrenden. Das sei um nichts besser als auf katholischer Seite die Ul-
tramontanisierung der Lehrstühle.127 Dem erstaunten Leser, der ver-
mutet, dass doch nur auf katholischer Seite das Lehramt bei einer „sich
selbst überlassen[en] Kirche“ durchregiert, straft er Lügen. Zwar gehöre
die „Lehr- und Glaubensfreiheit“ zu den „Grundlagen des Protestan-
tismus“. Deshalb habe „die Kirche der Gegenwart“ nicht bloß ein

123 Zeller (1843b), 136 f.


124 Schleiermacher, (1995), 287.
125 Zeller (1849), 143.
126 Zeller (1849), 144.
127 Zeller (1849), 144 f.
Eduard Zeller als Theologe 237

„System, sondern eine ganze Reihe von Systemen“ und werde niemals
über die Betriebsgröße einer „einzelnen Landeskirche“ hinauskommen.
Diese „Bürgschaften“ seien jedoch zu schwach, um die „Freiheit der
Forschung“, die doch „sosehr im protestantischen Princip“ liege, zu
garantieren. Das mag für Argumentationsfiguren dieser Tage ein be-
merkenswertes Urteil sein. Für Zeller drückt sich evangelischer Geist in
der Forschungsfreiheit aus. Diesem politisch liberal tönenden Ansinnen
korrespondiert nun nicht etwa wie bei Schleiermacher ein dem evan-
gelischen Prinzip des Priestertums aller Glaubenden korrespondierendes
Plädoyer für eine Synodalverfassung.128 Zeller sieht das aus Angst vor
tumultarischer ekklesiogener theologischer Inkompetenz ganz anders.
Eine württembergische Synode, in der das Urteil kleingeistiger
Frömmler zähle, sei nicht das richtige Entscheidungs- und Leitungsor-
gan. Fehlende Hierarchie sorge überhaupt nicht schon für For-
schungsfreiheit. Äußerst kritisch gegenüber einer Partizipationstheorie
beklagt Zeller, es sei hohe Mode geworden, „die Hauptstimme in
kirchlichen Dingen in die Hand der Gemeinde zu legen“. Das aber sei
ein schwerer Fehler. Denn dann werde „die theologische Wissenschaft
… ihre Richtung von der Masse der Gemeindemitglieder erhalten“.
Und die „unwissenschaftliche Menge“ werde so „über die Wissenschaft
zu Gericht sitzen“.129 Das ist für Zeller offenbar ein Katastrophensze-
nario wahrhaft apokalyptischen Ausmaßes. Denn dann werde das
„kirchliche Bewusstsein, mit Einem Wort die Vorstellungsweise der
Menge zum Schreckbild der fortschreitenden Theologie“ und „zum
Maasstab des in der Kirche Zulässigen gemacht“.130 Das könne nicht
angehen. Die „Mehrheit der protestantischen Bevölkerung in
Deutschland“ stehe nun einmal nicht „auf der Bildungsstufe …, um
eine freie theologische Wissenschaft begreifen und ertragen zu kön-
nen.“131 Zeller fragt erregt: „Welches Heil kann aber hieraus für die
Wissenschaft hervorgehen“? 132 Niemals dürften „die Volksvorstellun-
gen in dieser ihrer Unmittelbarkeit die Norm für Wissenschaft“ abge-
ben. Das sei so absurd wie Astronomen zu nötigen, über ihre For-
schungsergebnisse Bauern und Hirten Gericht sitzen zu lassen. Sei es

128 Schleiermacher (1850), 564.


129 Zeller (1849), 147. – Masse, so betont er aaO., 148, sei das, was man „ge-
genwärtig missbräulicherweise ausschliesslich das Volk“ nenne.
130 Zeller (1849), 147.
131 Zeller (1849), 149.
132 Zeller (1849), 146 f.
238 Stephan Schaede

etwa „eine vernünftigere Zumuthung, wenn von dem Theologen und


Religionsphilosophen verlangt wird, dass er sich den Inhalt und die
Bewegung des religiösen Bewusstseins von denjenigen erklären lasse,
deren Auge für die Beobachtung noch weiter weniger geübt zu sein
pflegt, als für die Beobachtung der Himmelskörper?“133 Eine Wissen-
schaftsreform auf dieser Ebene bedeute das Ende der „Theologie als
Wissenschaft“. Das nämlich, was eine „Wissenschaft erst zur Wissen-
schaft macht, die Freiheit ihres Geistes, die Rücksichtslosigkeit ihrer
Forschung“, das werde der „übermüthige Einfluss der kirchlichen
Abhängigkeit unrettbar zu Grunde gehen“134 lassen. Hier spricht ein
akademisch Verletzter, der mit ganz eigener Deutungskühnheit erklären
kann, weshalb nur in Deutschland ein „freier wissenschaftlicher Geist“
in der evangelischen Theologie wehe, der weltweit überall da, wo die
Kirche staatsungebunden operiere, zu Qualitätsabbrüchen ganz eigener
Art geführt habe. „Nur wo der Staat der Kirche die Zügel aus der Hand
genommen hat, […] wird es mit dieser Freiheit zu Ende sein.“135
Theologischer Fortschritt provoziere. Die „Mehrzahl der Nichttheo-
logen“ könnten ihm nicht rasch genug folgen. „Wo neuere theologi-
sche Ansichten von Bedeutung“ aufträten, würden sie von „der Masse
… bei der ersten Collision zur Ketzerei gestempelt und aus der Kirche
verdrängt“.136 Was fünf Jahre zuvor 1845 Zeller als „drohende Kluft
zwischen dem wissenschaftlichen Bewusstsein der gebildeten Theolo-
gen und dem religiösen der Masse“137 wahrgenommen habe, scheine
nun zu einer unüberwindlichen Kluft geworden zu sein. Damals hatte
Zeller noch gehofft, die „spekulative Theologie“ könne in „populärer
Gestalt … in die Massen eindringen, und durch die verschiedenen
Schichten der Gesellschaft … allmählig durchsickern“138.
Im Jahr 1849 sollte es jedoch heißen: Aus der Traum!
Was resultiert aus diesem Programm aber für die Zukunft der
Theologie? Zeller hält ja die Trennung von Staat und Kirche für un-
umgänglich. „Rein ,wissenschaftliche‘ Anstalten“ müssten die theolo-
gischen Fakultäten als „ebenbürtige Glieder der Universitäten“ sein und
bleiben und „von jeder kirchlichen Aufsicht befreit“ werden.139 Die

133 Zeller (1849), 148.


134 Zeller (1849), 148.
135 Zeller (1849), 149.
136 Zeller (1849), 149.
137 Zeller (1845), 429.
138 Zeller (1845), 430.
139 Zeller (1849), 151.
Eduard Zeller als Theologe 239

„Selbstgesetzgebung der Wissenschaft“ müsse auf jeden Fall geschützt


werden. Zeller selbst sieht nur einen Weg. „Die theologische Fakultät
an den Hochschulen“ werde „in Zukunft … in die philosophische
übergehen“ und „die freie wissenschaftliche Theologie“ müsse dann als
„Religionsphilosophie und Religionsgeschichte behandelt“ werden. Es
zeichnet sich ab, wie Zeller sich seinen eigenen Lehrstuhl erträumt hat
und zugleich in Gedanken das, was er die „positive Theologie“ nannte,
in Frieden in „eigene Anstalten“ oberkirchenrätlicher Leitung dahin-
fahren ließ. Die wissenschaftliche Theologie werde mit der Zeit ihre
„Unentbehrlichkeit für eine ,protestantische Kirche‘ “140, die diesen
Namen verdient, unter Beweis stellen.
Es würde lohnen, die Gestaltung der Staatskirchenverträge in dieser
Perspektive noch einmal in ganz anderer Weise zu würdigen.

VII. Schlussbemerkung

Was stellt Zeller in der theologischen Landschaft des 19. Jahrhunderts als
,Theologe‘ dar? Sehr viel weniger, so wird man sagen müssen, als er als
Altphilologe und Philosophiehistoriker darstellen würde. War er als
Theologe wirklich der letzte Römer? Sein religionsphilosophischer und
historischer Impetus in jüngeren Jahren ist eigentlich ganz unrömisch. –
Da waren Feuerbach und Strauß in ihrer Mentalität viel römischer.
Haben Feuerbach und Strauß jeder auf seine Weise wie eine römische
Fernstrasse es mit den Hindernissen aufgenommen, sie schnurgerade
überwunden und durchkreuzt, so verfährt Zeller bei aller rhetorischen
Schärfe zuletzt doch wie ein mittelalterlicher Fernweg, der die Hin-
dernisse umgeht und vermittelt, sich den neuen Strömungen nicht in
den Weg stellt, nach dem Mittleren sucht, immer auch hier und da den
Positionen in bemerkenswerter Umständlichkeit Wahres abgewinnen
kann und jeden Ort, der sich nur haben lässt, auf seinem Argumenta-
tionsweg mitnimmt, also auch Gefühl, auch Rationalität, auch Kritik,
auch Kirchenschelte, auch Kirche, auch Pastoraltheologie; ein bisschen
Schleiermacher – mehr als freilich zugegeben, entschieden mehr Strauß,
ein wenig Feuerbach, Kritik negativ nicht nur, sondern positiv zugleich,
das aber mit seinem Lehrer Baur im Rücken. Er will historisch pur
arbeiten, nimmt zugleich aber religionsphilosophische Anleihen bei
Hegel und Schleiermacher; Zeller, dieser polemische Ireniker, war ein

140 Zeller (1849), 152.


240 Stephan Schaede

Fürsprecher „geschichtliche[r] Gerechtigkeit“ und „philosophische[r]


Toleranz“, der die „Schwächen des Vorhandenen nicht“ verkennen
mochte, „aber als ihren wahren Keim stets den positiven geistigen
Gehalt herausheb[en]“141 wollte. So war er auch ein Theologe, ein
sympathischer Theologe. Aber doch auch ein schwer verletzter nicht
gerade überragend origineller Theologe – darin streitbar, streitbar aber
im Schatten von doch wohl viel größeren Theologen, die auf den
Namen Schleiermacher, Baur und Strauß hörten.

Literaturhinweise
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aus dem Dänischen übersetzt von M. Junghans, Gütersloh.
Erasmus (1969): Erasmus von Rotterdam, De servo arbitrio, in: ders., Ausgewhlte
Schriften, Bd. 4., hg. von W. Welzig.
Schiller (1985): Friedrich Schiller, „Das Ideal und das Leben“, in: K.O.
Konrady (Hg.), Das große deutsche Gedichtebuch, Königstein/Ts.
Schleiermacher (1850): Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Die praktische
Theologie nach den Grundstzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange
dargestellt, in: J. Friedrichs (Hg.), Smliche Werke I/13, Berlin.
Schleiermacher (1960): Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Der christliche
Glaube nach den Grundstzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange
dargestellt, 2. Aufl., Bd. 1, hg. von M. Redeker, Berlin.
Schleiermacher (1977): Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Hermeneutik und
Kritik. Mit einem Anhang sprachphilosophischer Texte Schleiermachers,
hg. von M. Frank, Frankfurt/M.

141 Zeller (1849), 336 – 345, 345.


Eduard Zeller als Theologe 241

Schleiermacher (1995): Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, ˜ber die Reli-


gion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verchtern, in: Kritische Gesamtaus-
gabe, 1. Abteilung, Bd. 12, hg. von G. Meckenstock, Berlin.
Schweitzer (1906): Albert Schweitzer, Eine Geschichte der Leben-Jesu-Forschung,
Tübingen.
Zeller (1843a): Eduard Zeller, „Die neuesten Bearbeitungen der protestanti-
schen Dogmatik aus den Jahren 1840 – 41“, in: Theologische Jahrbðcher,
Bd. 1, Heft 2, Tübingen, 90 – 95.
Zeller (1843b): Eduard Zeller, „Die christliche Glaubenslehre in ihrer ge-
schichtlichen Entwicklung und im Kampfe mit er modernen Wissenschaft
dargestellt von Dr. David Friedrich Strauß“, in: Theologische Jahrbðcher,
Bd. 2, Tübingen, 96 – 146.
Zeller (1843c): Eduard Zeller, „Vergleichende Uebersicht über den Wörter-
vorrath der neutestamentlichen Schriftsteller“, in: Theologische Jahrbðcher,
Bd. 2, Tübingen, 443 – 543.
Zeller (1843d): Eduard Zeller, „Ueber die neuesten Angriffe der Evangelischen
Kirchenzeitung gegen das protestantische Seminar und einige der theolo-
gischen Lehrer in Tübingen“, in: Theologische Jahrbðcher, Bd. 2, Tübingen,
194 – 201.
Zeller u. Feuerbach (1844): Eduard Zeller, Ludwig Feuerbach, „Wesen des
Christentums“, in: Theologische Jahrbðcher, Bd. 3, 2. Aufl., Tübingen, 336 –
345.
Zeller (1845): Eduard Zeller, „Ueber das Wesen der Religion“, in: Theologische
Jahrbðcher, Bd. 4, Tübingen, 393 – 430
Zeller (1846a): Eduard Zeller, „Ueber historische Kritik und ihre Anwendung
auf die christlichen Religionsurkunden“, in: Theologische Jahrbðcher, Bd. 5,
Tübingen, 288 – 321.
Zeller (1846b): Eduard Zeller, „Die Theologie der Gegenwart und die theo-
logischen Jahrbücher“, in: Theologische Jahrbðcher, Bd. 5, Tübingen, 1 – 28.
Zeller (1849): Eduard Zeller, „Die Trennung der Kirche vom Staat in ihrer
Bedeutung für die Theologie“, in: Theologische Jahrbðcher, Bd. 8, Tübingen,
143 – 152.
Zeller (1853): Eduard Zeller, „Das theologische System Zwingli’s in seinen
Grundzügen dargestellt“, in: Theologische Jahrbðcher, Bd. 12, Tübingen, 94 –
155, 245 – 294, 445 – 560.
Zeller (1865a), „Strauß und Renan“, in: ders., Vortrge und Abhandlungen ge-
schichtlichen Inhalts, Leipzig, 435 – 503.
Zeller (1865b): Eduard Zeller, „Ferdinand Christian Baur“, in: ders., Vortrge
und Abhandlungen geschichtlichen Inhalts, Bd. 1, Leipzig, 354 – 434.
Zeller (1874): Eduard Zeller, David Friedrich Strauß in seinem Leben und seinen
Schriften, Bonn.
Zeller (1903): Eduard Zeller, Vorwort, zu D. F. Strauß, Der alte und der neue
Glaube. Ein Bekenntniß, 15. Aufl. Bonn, V–XV
Zeller (1848): Eduard Zeller, „David Friedrich Strauß“, in: Die Gegenwart. Eine
encyklopdische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte fðr alle Stnde, Bd. 1,
Leipzig, 342.
Zeller und das „Archiv für Geschichte der
Philosophie“
Wolfgang Bartuschat

I.
Im Jahre 1895 erscheint der erste Band des „Archiv für systematische
Philosophie. In Gemeinschaft mit Wilhelm Dilthey, Benno Erdmann,
Christoph Sigwart, Ludwig Stein und Eduard Zeller herausgegeben von
Paul Natorp“. Eduard Zeller leitet diesen Band mit einem Aufsatz ein,
der den Titel trägt Metaphysik als Erfahrungswissenschaft. Es sollte Zellers
einziger Beitrag in dieser Zeitschrift bleiben, ein Beitrag, den heute
wohl kaum einer kennt und auf den, soweit ich sehe, in der späteren
Diskussion auch nicht Bezug genommen wird, und das wohl zu Recht.
Die Begriffe der Metaphysik, schreibt der Kenner Platons und auch
Kants, seien nur allgemeinste Abstraktionen aus der Erfahrung. Über
deren Status sich klar zu werden bedeute, sie als bloße Hypothesen zu
verstehen, die sich in der empirischen Erfahrung zu bewähren haben,
mit der als einem, wie Zeller sagt, „gesicherten Tatbestand“ das aus
ihnen Gefolgerte „übereinstimmen müsste“.1 Einen unverhohlenen
Positivismus haben wir hier.
Sieben Jahre zuvor, im Jahre 1888, war der erste Band des Archiv fðr
Geschichte der Philosophie erschienen, „in Gemeinschaft mit Hermann
Diels, Wilhelm Dilthey, Benno Erdmann und Eduard Zeller heraus-
gegeben von Ludwig Stein“. Auch diese Zeitschrift hat Zeller mit
einem Aufsatz eröffnet, der den Titel trägt: Die Geschichte der Philosophie,
ihre Ziele und Wege. Es ist nahezu dasselbe Herausgebergremium, nur
dass im „Archiv für systematische Philosophie“ der Philologe Diels
durch den Systematiker Sigwart ersetzt worden ist und der federfüh-
rende Herausgeber Ludwig Stein, ein Schüler Zellers, in das Heraus-

1 Stellenausgaben beziehen sich auf „Eduard Zellers kleine Schriften“, heraus-


gegeben von Leuze (1910), Bd. 1; hier: Zeller (1910 f), Bd. 2, 563.
244 Wolfgang Bartuschat

gebergremium aufgerückt ist, um der philosophischen Kapazität Paul


Natorp, damals schon Professor in Marburg, Platz zu machen.
Und in dieser Zeitschrift, die, anders als die zur systematischen
Philosophie, offenbar seine Zeitschrift war, hat Zeller noch viel publi-
ziert, bis zum Jahre 1902, im hohen Alter also und über das Erscheinen
des Archiv fðr systematische Philosophie hinaus. Was er publiziert hat, von
1888 an nahezu Jahr für Jahr, sind vor allem Literaturberichte, Berichte
zur Sekundärliteratur über die sokratische, platonische und aristotelische
Philosophie aus den jeweils letzten Jahren, merkwürdigerweise be-
schränkt auf die deutsche Literatur, dies vielleicht deshalb, weil der
sehgeschwächte alte Mann sich die Bücher hat vorlesen lassen müssen.
Daneben finden sich Kleinstabhandlungen, Miszellen, etwa zu Hege-
monia und despoteia bei Xenophanes (1889), Plato’s Mitteilungen ðber frðhe
und gleichzeitige Philosophen (1891), Noch ein Wort ðber die Abfassungszeit
des platonischen Theaitet (1892), ˜ber das Verhltnis des Ammonius Sakkas
zu Plotinus (1893) bis hin zu Leucippus im Jahre 1902. Der letzte nur drei
Seiten lange Aufsatz enthält die Hypothese, dass der Atomismus, wie er
sich in der Physik des Empedokles, besonders in seiner Physik des Se-
hens, zeigt, nicht erst durch Demokrit, sondern schon durch Leukipp
seine wesentliche Anregung gefunden hat.
In der Geschichte der Philosophie kann man mit Notizen, Hin-
weisen, Geistreichem zu kleinen Punkten seinen Beitrag leisten. Will
man eine systematische Frage angehen, muss man weiter ausgreifen,
denn das liegt schon im Begriff des Systems, das etwas anderes ist als die
aggregative Anhäufung isolierter und isolierbarer Tatbestände, zumin-
dest folgt Zeller diesem überlieferten Verständnis von Systematik als
einer ganzheitlichen Organisation aller Teile. Der Rückzug auf das
Kleine und Isolierte mag altersbedingt sein – Zeller war 74, als das Archiv
fðr Geschichte der Philosophie erstmals erschien. Doch gibt es unabhängig
davon einen sachlichen Grund, der Zeller veranlasst hat, auf das Er-
scheinen einer Zeitschrift hinzuwirken, die mit einer Sammlung von
Artikeln zu Einzelfragen speziell der Geschichte der Philosophie ge-
widmet ist. Am Schluss seines Einleitungsaufsatzes in den ersten Band
dieser Zeitschrift heißt es:
Die Geschichtsdarstellung als solche wird immer Sache der Einzelnen sein,
welche die geschichtlichen Vorgänge so schildern, wie ihr Bild sich in
ihrem Geiste gestaltet hat. Aber dieses Bild wird umso treuer und le-
benswahrer ausfallen, je mehr es aus verständnisvoller Vertiefung in den
Stoff entsprungen ist, den die Geschichtsquellen uns liefern. Dieser Stoff ist
aber für die Geschichte der Philosophie ein so ungemein reicher, und seine
Zeller und das „Archiv für Geschichte der Philosophie“ 245

wissenschaftliche Verarbeitung ist eine so verwickelte Aufgabe, dass ihre


Lösung nur der vereinigten Kraft vieler Forscher gelingen kann. Diese
Sammlung der wissenschaftlichen Kräfte zur gemeinsamen Arbeit an der
Geschichte der Philosophie zu erleichtern, ist der Zweck unserer Zeit-
schrift.2
In dieser Passage, in der Zeller von dem Archiv als „unserer Zeitschrift“
spricht, artikuliert sich ein Doppeltes unter dem Aspekt von Einheit und
Vielheit, Einheit des von einem Einzelnen zu leistenden interpretato-
rischen Zugriffs und Vielheit des von vielen Interpreten zu behan-
delnden Stoffes.
Dieser Doppelung korreliert die Doppelung von einheitlichem
System und empirischer Datenmannigfaltigkeit, die Zeller von früh an
in seinen methodologischen Überlegungen zur Behandlung der Ge-
schichte der Philosophie thematisiert hat, geleitet von Überlegungen,
wie diese beiden Pole zusammengebracht werden können. Seine
Überlegungen gipfeln in der These, dass eine Forschung im Feld der
Geschichte der Philosophie ohne ein systematisches Philosophieren
nicht möglich ist, obwohl, wie Zeller betont, Geschichte der Philoso-
phie und systematische Philosophie zwei voneinander zu unterschei-
dende Bereiche sind.
Ich will im Folgenden darlegen, wie Zeller die Trennung der beiden
Bereiche versteht, wie unter ihrer Voraussetzung der Begriff von Sys-
tem in Zellers Verständnis von Geschichte der Philosophie eingeht und
welche Überlegungen schließlich zur Gründung des Archiv fðr Geschichte
der Philosophie geführt haben, dem eine von dessen Konzept verschie-
dene, eigens der systematischen Philosophie gewidmete Zeitschrift an
die Seite zu stellen ist, die sich im übrigen, anders als die zur Geschichte
der Philosophie, nicht bis in unsere Tage hat halten können.

II.

In einer Besprechung der Geschichte der alten Philosophie von Heinrich


Ritter, einem Schüler Schleiermachers, geht Zeller auf Ritters, bei
einem Schleiermacher-Schüler nicht verwundernde despektierliche
Äußerungen zu Hegels Geschichte der Philosophie ein, die Hegel eine
für die Geschichtsbetrachtung unnütze Spekulation vorhalten. Zeller
verteidigt Hegels philosophischen Zugriff damit, dass auch der Histo-

2 Zeller (1910e), 418.


246 Wolfgang Bartuschat

riker sich des Geschäfts des Denkens nicht entschlagen dürfe, da es


darauf ankomme, das Überlieferte nicht nur zu registrieren, sondern
auch zu begreifen. Begreifen heißt dabei für Zeller, in den überlieferten
Tatbeständen einen vernünftigen Zusammenhang, nämlich eine innere
Gesetzmäßigkeit zu erkennen, die mehr aus ihnen macht als vom Wind
zusammengeblasene Atome (Die Geschichte der alten Philosophie in den
letztverflossenen 50 Jahren, 1843).3 Die Forderung einer vernünftigen
Betrachtung der Geschichte führt Zeller zufolge aber nicht zu einer
unsauberen Vermischung von Philosophie und Geschichtserforschung,
seien doch beide Bereiche durch ihre Methode unterschieden.
Die Philosophie hat vom Allgemeinen zum Einzelnen herabzusteigen, die
positive Wissenschaft [so nennt Zeller hier die Erforschung der Geschichte,
auch der Geschichte der Philosophie] aus der Betrachtung des Einzelnen
die Einsicht in das allgemeine Wesen ihres Gegenstandes zu gewinnen.
Beide werden sich deshalb immer in ihrer Eigentümlichkeit behaupten,
und nie wird die eine schlechthin in der andern aufgehen; darum bleibt
aber doch möglichste Durchdringung beider Seiten das gemeinsame Ziel,
dem die eine wie die andere nachstreben soll.4
Es ist ein recht grob gestrickter Unterschied, den Zeller hier aufbaut.
Dass Philosophie vom Allgemeinen zum Einzelnen herabzusteigen
habe, hört sich aus dem Munde eines Aristoteles-Kenners etwas ei-
genartig an; aber dass die Geschichtsbetrachtung mit der Betrachtung
des Einzelnen anzufangen habe und das mögliche Allgemeine aus die-
sem zu gewinnen habe, nicht aber das Einzelne aus dem Allgemeinen,
ist ein klarer Satz, einmal unterstellt, das Allgemeine zu finden sei eine
sinnvolle Forderung. Was die Durchdringung beider Seiten anbelangt,
ist klarer, was Zeller darunter für die Seite der Geschichte als für die
Seite der Philosophie versteht. Die bloße Betrachtung des Einzelnen
wird aus ihm nie ein Allgemeines gewinnen können, wenn die Be-
trachtung nicht schon von einem Allgemeinen geleitet ist, das sie nicht
erst aus dem Einzelnen gewinnt, das aber nicht als Prinzip von Her-
leitung wird auftreten dürfen. Was andererseits die Philosophie aus der
anzustrebenden Durchdringung gewinnt, ist weniger klar – sicher meint
Zeller nicht die Einsicht in die historische Bedingtheit der jeweils ei-
genen philosophischen Position, schon eher die Einsicht, dass ein de-
duktives Verfahren aus dem Allgemeinen angesichts des Phänomens von
Einzelheit Gefahr läuft, allzu konstruierend zu sein und somit den

3 Zeller (1910a), Bd. 1, 42 f..


4 Zeller (1910a), Bd. 1, 43.
Zeller und das „Archiv für Geschichte der Philosophie“ 247

Phänomenbereich zu verfehlen. Unter diesem Aspekt könnte der sys-


tematische Philosoph etwas von dem Historiker der Philosophie lernen,
nicht aus dem, was dieser aus der Vergangenheit präsentiert, sondern aus
dem, wie er es präsentiert.
Wie dem auch sei, wenden wir uns der Seite zu, in der Zeller
zweifellos seine Kompetenz hat, wie also in Zellers Augen die histori-
sche Erforschung der Philosophie von der systematischen Philosophie
zu durchdringen sei. „Wer die Geschichte der Philosophie verstehen
will, habe ich gesagt, muß selbst Philosoph sein“,5 heißt es in einer
frühen Abhandlung aus dem Jahre 1844 mit dem Titel Wie soll man
Geschichte der Philosophie schreiben?, die Zeller als Entgegnung an Herrn Dr.
Wirth untertitelt.
Gesagt hat es Zeller in seinem Werk Die Philosophie der Griechen. I.
Teil, wo er auf Seite 6 im Gegensatz zu der Annahme, dass nur der
Mangel eines eigenen philosophischen Systems die rechte Unbefan-
genheit für die geschichtliche Auffassung der Philosophie verleihe,
verlangt hat, „dass Jeder, welcher die Geschichte der Philosophie be-
greifen und darstellen will, zu diesem Geschäft eine bestimmte, zum
System entwickelte, philosophische Ansicht mitbringe“. Demzufolge
muss man als Historiker der Philosophie nicht nur Philosoph in dem
Sinne sein, dass man von bestimmten philosophischen Sachfragen ge-
leitet ist, unter denen die vergangene Philosophie zu betrachten ist, weil
ohne solche Fragen und bloß hinsehend auf das, was da geschrieben
worden ist, man nichts aus der Geschichte wird ablesen können, eine
hermeneutische Maxime, die wohl allgemein zustimmungsfähig ist;
nein, man müsse vielmehr, so sagt Zeller, eine „zum System entwickelte
philosophische Ansicht“ mitbringen. Genau dies hatte jener Dr. Wirth
in seiner Rezension des Zellerschen Werks gerügt (in Schweglers
Jahrbðcher der Gegenwart, Jahrgang 1844, S. 818 – 830), dass nämlich
Zeller die Philosophie der Griechen deformiere, weil er sich in seiner
Darstellung vom Systembegriff Hegels leiten lasse und damit von einer
bestimmten Philosophie, die einer vergangenen Philosophie übergestülpt
wird, womit sie die zu fordernde Objektivität der Darstellung verfehle.
In seiner Entgegnung leugnet Zeller überhaupt nicht, eine Vorliebe
für Hegel zu haben, und dass der Begriff von System, mit dem er
operiert, der Philosophie Hegels entnommen ist, nur verwirft er die
Konsequenz, die der Rezensent Wirth daraus zieht, indem er die vorhin
erwähnte Unterscheidung zwischen Philosophie und Geschichte der

5 Zeller (1910b), Bd.1, 87.


248 Wolfgang Bartuschat

Philosophie wiederholt, allerdings mit einer zusätzlichen Nuance.


Gegen Wirth schreibt er:
Das historische und […] das philosophische [Verfahren] sind aber mit-
nichten ein und dasselbe, und die Geschichte der Philosophie ist nicht […]
selbst Philosophie, sondern sie ist eben nur Geschichte, d. h. eine von der
empirischen Grundlage der Überlieferung ausgehende Darstellung einer
zeitlichen Entwicklung des Geistes; nur die Philosophie der Geschichte ist als
solche ein Teil des philosophischen Systems, die Geschichte der Philoso-
phie dagegen hat eine zum System entwickelte philosophische Ansicht nur
zur subjektiven Voraussetzung, ist nicht unmittelbar diese selbst.6
Das Philosophische in der Betrachtung der Geschichte der Philosophie
reduziert Zeller hier auf eine subjektive Voraussetzung, unter der die
Betrachtung zu stehen habe, die aber nicht auch schon die Resultate
dieser Betrachtung in sich enthält. Was ich von der Geschichte lerne,
schreibt Zeller weiter,
wird ganz von der Art abhängen, wie ich sie auffasse, da schon die Ent-
scheidung über die Geschichtlichkeit einzelner Tatsachen und den Cha-
rakter einzelner Erscheinungen, noch weit mehr aber die Ansicht über
Gang und Ziel der Geschichte im Großen und Ganzen durchaus nicht
Sache der unmittelbaren Wahrnehmung, sondern eines oft sehr verwi-
ckelten Denkprozesses ist.7
Dieser verwickelte Denkprozess sei durch die Orientierung an einem
philosophischen Prinzip in die richtige Bahn zu lenken, und Zeller hält
es für sinnvoll, dieses Prinzip der hegelschen Philosophie zu entnehmen,
dass nämlich die geschichtliche Entwicklung ein organischer Zusam-
menhang ist, die Geschichte selbst also ein organisches System und nicht
ein „Aggregat von Einzelheiten“,8 so die Formulierung Zellers in dem
vorhin erwähnten Aufsatz Die Geschichte der alten Philosophie in den
letztverflossenen 50 Jahren.
Wie der als organisch bezeichnete Zusammenhang im Einzelnen
aussieht, das sei durch konkrete empirische Forschung an den überlie-
ferten Texten und Materialien zu erweisen, und hier können wir, be-
dingt durch die Unvollkommenheit alles menschlichen Wissens, na-
türlich irren. Einen Irrtum in seiner Philosophie der Griechen hier und da
selbst begangen zu haben, gesteht Zeller dem Rezensenten Wirth
durchaus zu, nur sei gerade dies nicht seiner hegelianisierenden Be-

6 Zeller (1910b), Bd1, 90.


7 Zeller (1910b), Bd.1, 88.
8 Zeller (1910a), Bd.1, 44.
Zeller und das „Archiv für Geschichte der Philosophie“ 249

trachtungsweise anzulasten, die nur seinen subjektiven Zugang zu der


Geschichte markiere, nicht aber die konkreten Untersuchungen vor-
wegnehme. Insbesondere verbinde er, Zeller, mit seiner Betrachtung
der Geschichte der Philosophie keine aus dem philosophischen System
herleitbare Geschichtsphilosophie, wie es Hegel getan habe, der die
Abfolge in der Geschichte mit einer Abfolge logischer Denkbestim-
mungen zusammenfallen lässt, für Zeller ein ganz verfehltes Unter-
nehmen, weil es der Konkretheit historischer Ereignisse nicht gerecht
werden könne.
Ist die die Geschichtsbetrachtung leitende Philosophie nicht mehr
als ein subjektiver Zugriff in der Betrachtung, so ist es für den frühen
Zeller, unter dem Einfluss Hegels, doch kein partikularer Zugriff, der
sich an bestimmten Sachfragen orientiert. Mit ihm ist ein universeller
Anspruch verbunden, der sich auf den Gang der Geschichte im Ganzen
bezieht, dass es nämlich hier tatsächlich einen organischen Zusam-
menhang gibt, den es zwar im einzelnen erst zu verifizieren gilt, der
jedoch eine vorgängige Gültigkeit hat, wie immer es mit der Verifi-
zierung ausgehen mag. Denn wir können, schreibt Zeller, bei aller
Unvollkommenheit unseres empirischen Wissens „doch auf einen Kern
absoluter Wahrheit in diesem empirisch mangelhaften Wissen nicht
verzichten“.9
Von einer absoluten Wahrheit wird Zeller in seinem späten Aufsatz
über Metaphysik als Erfahrungswissenschaft nicht mehr sprechen – da ist er
längst von Hegel weggekommen und kann in Ideen nur noch subjek-
tive Entwürfe sehen, die für unser empirisches Wissen allenfalls einen in
kantischem Sinne regulativen Charakter haben, der dieses Wissen or-
ganisiert, ohne selbst einen Anspruch auf Objektivität zu erheben. Eine
solche Beschränkung metaphysischer Ideen geht auch in Zellers späteres
Verständnis der Philosophiegeschichtsschreibung ein. Der frühe Zeller
stützt sich noch auf eine Metaphysik des menschlichen Geistes, die dem
Geist in seiner historischen Fortentwicklung eine innere Gesetzmäßig-
keit zuspricht, die der Historiker aufzuspüren habe. Das geht über das
hinaus, was eine von Kant inaugurierte kritische Behandlung der Ge-
schichte bislang geleistet hat. Der vom kritischen Geist Kants be-
stimmten Betrachtung der Geschichte der Philosophie von Tiedemann
bis Tenneman bescheinigt Zeller die Verdienste: sorgfältige Quellen-
forschung, geschärfte Kritik, Streben nach Übersichtlichkeit und logi-
scher Ordnung der Darstellung, und schließlich auch „umfassendere

9 Zeller (1910b), Bd. 1, 89.


250 Wolfgang Bartuschat

Berücksichtigung der Momente, welche den geschichtlichen Fortschritt


der Philosophie ußerlich [Hervorhebung W.B. ] vermittelt haben“10 ; was
ihnen aber fehle, sei der Sinn „für organische Geschichtsbetrachtung
[…], für gründliches Begreifen der Systeme aus den Prinzipien, für
Einsicht in die Gesetzmäßigkeit der philosophischen Geistesentwick-
lung“, also für die interne Fortentwicklung des in der Philosophie sich
manifestierenden menschlichen Geistes. Und Zeller vergisst nicht darauf
hinzuweisen, dass die damals (1843 ist der Aufsatz geschrieben) aktuelle
Spätphilosophie Schellings mit ihrem Gedanken einer organischen
Entwicklung ein für die Geschichtsbetrachtung untaugliches Modell sei.
Denn sie berufe sich in kruder Spekulation auf die Wirksamkeit eines
übernatürlichen Gottes und lasse so die Geschichte nicht als ein rein
natðrliches Produkt allein des menschlichen Geistes erscheinen. Un-
tauglich sei ein solches Modell, weil die Annahme von hinter dem Tun
des menschlichen Geistes lauernden transzendenten Mächten die These
einer Gesetzmäßigkeit des menschlichen Geistes nur verdunkelt.11
Was Zeller meint und gegen Schelling vorbringt, ist nicht, dass ein
theologischer Transzendentismus eine Gesetzmäßigkeit des Ge-
schichtsablaufs nicht aufkommen lässt (Leibniz hat bekanntlich mit der
Transzendenz Gottes eine die Weltereignisse bestimmende Logik ver-
knüpft), sondern dass er der Erkennbarkeit der Gesetzmäßigkeit durch
den menschlichen Interpreten im Wege steht. Denn dieser könne sich
bei einer solchen Annahme nicht auf die Fakten allein stützen, sondern
habe Absichten und Ziele eines schöpferischen Verstandes zu berück-
sichtigen, die einer wissenschaftlichen Betrachtung nur hinderlich sind.
Deshalb muss dem Wissenschaftler Zeller auch der teleologische Ge-
sichtspunkt im hegelschen Immanentismus des absoluten Geistes ver-
dächtig sein, der die Fakten von einem nicht nur erreichbaren, sondern
auch erreichten Ziel her denkt und darin in ihrer historischen Eigen-
ständigkeit übersieht. Insofern kann Zeller den Wirthschen Vorwurf,
sein Hegelianismus in der Darstellung der griechischen Philosophie
deformiere die darzustellende Philosophie in deren spezifischer Eigen-
art, mit Recht zurückweisen, denn tatsächlich übernimmt er mit seinem
Organismusgedanken aus der Philosophie Hegels kaum mehr als die
Idee eines internen Zusammenhangs historischer Zeugnisse des

10 Zeller (1910a) Bd. 1, 24.


11 Zeller (1910a) Bd. 1, 25.
Zeller und das „Archiv für Geschichte der Philosophie“ 251

menschlichen Geistes, die er gegen die Annahme, Geschichte sei ein


Aggregat von Einzelheiten, kehrt.12

III.

Wie diese Idee sich in Zellers Praxis der Philosophiegeschichtsschrei-


bung niederschlägt, möchte ich jetzt an drei Punkten verdeutlichen. Ich
beziehe mich dabei nicht auf Zellers Darstellung der griechischen
Philosophie, die ich nicht hinreichend kenne, sondern auf drei Ein-
zelaspekte in Zellers Behandlung historischer Positionen der Philoso-
phie, also auf gewiss isolierte Punkte.
In einem Aufsatz Zum Jubilum der Kritik der reinen Vernunft aus dem
Jahre 1881 gibt Zeller einen kurzen Abriss der grundlegenden Idee des
kantischen Werks und fährt dann fort:
Was im vorstehenden gegeben werden konnte, ist nicht mehr als ein
flüchtiger Abriß der Hauptergebnisse einer Untersuchung, deren Schwie-
rigkeit, Gehalt und Bedeutung nur derjenige vollständig würdigen kann,
welcher nicht allein mit den philosophischen Fragen, mit denen sie es zu
tun hat, sondern auch mit dem Stande der vorkantischen und der Ent-
wicklung der nachkantischen Philosophie vertraut ist.13
Von diesem Stand vor Kant und nach Kant gibt Zeller in dem Aufsatz
auch nur eine Skizze, denn mehr ist in einem Aufsatz ja auch nicht
möglich. Klar ist aber, was er sagen will. Kants Kritik der reinen Vernunft,
dieses philosophische Schwer- und Eigengewicht, steht in einem his-
torischen Kontext, dem das Werk entwachsen ist (Zeller nennt die
Philosophie von Leibniz und Locke), und es verweist auf einen ihm
nachfolgenden Kontext (Zeller nennt die Philosophie des deutschen
Idealismus), die beide für das Verständnis des kantischen Werks zu
berücksichtigen sind, weil aus ihnen erst dessen Schwierigkeit, Gehalt
und Bedeutung vollständig wenn nicht begriffen, so doch gewürdigt
werden könne. „Vollständig“, das ist gegen das Partikulare eines für sich
bestehenden Geistesereignisses gerichtet, und der hier postulierte Zu-
sammenhang scheint mir eine Plausibilität zu haben, für die man nicht
Hegel mobilisieren muss. Die Kritik der reinen Vernunft gibt Antworten
auf Probleme der vorangegangenen Philosophie, die ihr Autor als un-
zureichend behandelt erkannt hat und einer angemessenen Lösung

12 Zu Zeller und Hegel vgl. auch Erhardt (1967), 69 f..


13 Zeller (1910c), Bd. 1, 245.
252 Wolfgang Bartuschat

zuzuführen sucht, und sie hat eine Problemlösung in Vorschlag ge-


bracht, an der die nachfolgende Philosophie wiederum Kritik geübt hat,
von der Zeller richtigerweise überzeugt ist, dass sie der kantischen
Philosophie nicht äußerlich ist, sondern tatsächlich Probleme dieser
Philosophie aufgegriffen hat, deren spätere Behandlung es deshalb für
das angemessene Verständnis der kritisierten Philosophie heranzuziehen
gilt.
Das ist gute Philosophiegeschichtsschreibung, allemal dann, wenn es
darum geht, eine einzelne Gestalt der Philosophie aus dem größeren
Zusammenhang heraus in der ihr eigenen Problematik zu verstehen und
nicht nur als eine Etappe in einem Gang des Geistes, der sich zum
Besseren entwickelt. Ob eine Philosophie höher steht als eine andere,
d. h. ob sie gehaltvoller ist, das wird der Historiker der Philosophie nur
beurteilen können, wenn er sich hinreichend auf die jeweilige Philo-
sophie einlässt und sie in der Verweisung auf Vorangehendes und
Nachfolgendes gerade nicht als Moment eines Rahmens denkt, dessen
Struktur, was Fortentwicklung anbelangt, zu kennen er für sich in
Anspruch nimmt. Unter dem Aspekt des Systembegriffs betont Zeller
deshalb auch, dass es gelte, die jeweilige Philosophie als ein System zu
begreifen und damit aus Prinzipien, die einen internen Zusammenhang
des von ihr behandelten Stoffes erkennbar machen. Greift ein solcher
Systembegriff in der Darstellung der Geschichte der Philosophie, dann
hat das zwangsläufig eine Vorliebe für die sogenannten großen Denker
zur Folge oder, wie Zeller sagt, für Denker ersten Ranges. In seinem
späteren Archiv-Aufsatz nennt er deren vier, neben den Heroen Platon
und Aristoteles noch Spinoza und Kant14 – eine treffsichere und mir
sympathische Auswahl, Hegel konnte man nach 1862 nicht mehr
nennen. Der Systembegriff dient hier eindeutig der Beurteilung einer
Philosophie über deren bloße Beschreibung hinaus.
Man muss die ganze Denkart und Vorstellungsweise eines Philosophen ins
Auge fassen, sich in den Mittelpunkt seines Systems versetzen, die Fäden,
welche alles übrige mit diesem verknüpfen, verfolgen, wenn man sich ein
Urteil darüber bilden will, was dasselbe zu leisten vermochte und was
nicht,15
heißt es in diesem Aufsatz. Sich in dieser Weise am Systembegriff zu
orientieren, ist etwas anderes als die Entwicklung der Philosophie im
Ganzen ihrer Geschichte als ein System anzusehen.

14 Zeller (1910e), Bd. 1, 413.


15 Zeller (1910e), Bd. 1, 413.
Zeller und das „Archiv für Geschichte der Philosophie“ 253

So kann Zeller, zweiter Punkt, den ich hervorheben möchte, in-


nerhalb der griechischen Philosophie eine Gewichtung der sachlichen
Relevanz vornehmen, die der zeitlichen Fortentwicklung entgegen-
läuft. Sie zeigt sich in seiner Geringschätzung der späthellenischen
Philosophie, insbesondere des Neoplatonismus. Gegen Hegels These,
dass mit der neuplatonischen Philosophie „die Welt der Geistigkeit“
beginne und dass deshalb hier „die höchste Ausbildung der alten Phi-
losophie“ zu Stande komme, wendet Zeller ein, dass von einer höheren
Ausbildung nicht die Rede sein könne, denn schon Platon und Ari-
stoteles hätten eine ausgearbeitete Theorie des Geistes gehabt, deren
Besonderung bei den Neuplatonikern, sei es Plotin, sei es Proklus,
durch „eine trübe Vermischung des Dialektischen mit phantastischen
Anschauungen“ erkauft sei. So sind es nicht Gedanken, sondern die
Phantasie, die hier Triumphe feiere, indem sie ein „Reich nebelhafter
Gestalten ohne festen Kern und klare Bedeutung“ hervorbringt.16 Ich
möchte über die Richtigkeit der Zellerschen Einschätzung hier nicht
urteilen und auch seine abgewogene Darstellung in der Philosophie der
Griechen außer acht lassen,17 sondern nur hervorheben, dass Zeller für
die Beurteilung philosophischer Positionen sachliche Kriterien anlegt,
die nicht dem Gang der Geschichte entnommen werden können,
sondern der Beschreibung dieses Ganges vorangehen müssen. Bei Zeller
ist es ein bestimmtes Verständnis von Objektivität, die er bei Platon und
Aristoteles als eine „Hingebung des Denkens an seinen Gegenstand“
beschreibt und dann zu Recht auch noch bei Hegel findet, die bei den
Neuplatonikern, generell in der nachalexandrinischen Zeit, jedoch
verloren gegangen sei, in der Zeller nur noch „die Ausbildung und
Befriedigung der vom Objekt losgerissenen, in sich reflektierten Sub-
jektivität“ sieht, deren Aufstieg zum Absoluten in die Überschwäng-
lichkeit von Ekstase und Magie verlagert werde.18 Sie werden darin,
mag Zeller dies auch nicht gesagt haben, zu Vorläufern von Jakob
Böhme, dessen Philosophie bei aller Barbarei Hegel bekanntlich hoch
geschätzt hat. Fortschritt ist hier nicht als Vollendung der griechischen
Philosophie zu verstehen, sondern als deren Zerstörung, die andererseits
insofern als ein Fortschritt gedeutet werden kann, als der menschliche
Geist aufgrund des Verfalls nun genötigt wird, eine neue Philosophie zu

16 Zeller (1910a), Bd. 1, 57.


17 Vgl. dazu den Beitrag von Christoph Horn in diesem Band.
18 Zeller (1910d), Bd. 1, 45.
254 Wolfgang Bartuschat

entwickeln, die nicht Rückkehr zu den Alten sein kann und die der
Historiker nüchtern in deren Differenz zu beschreiben hat.
Dass der Historiker der Philosophie im Aufzeigen von Zusam-
menhängen sachorientiert bleiben muss und die Eigenständigkeit einer
jeweiligen Theorie herauszuarbeiten hat, hat Zeller, mein dritter Punkt,
sehr schön gezeigt an der Erörterung des Verhältnisses von Leibniz zu
Geulincx in seinem 1884 veröffentlichte Aufsatz ˜ber die erste Ausgabe
von Geulincx’ Ethik und Leibniz’ Verhltnis zu Geulincx’ Occasionalismus. 19
Mit ihm greift er in eine Debatte ein, die darum kreiste, Leibniz vor
einem Plagiatsvorwurf zu bewahren. Leibniz habe, so lautete der
Vorwurf, sein berühmtes Gleichnis von den beiden gleichlaufenden
Uhren, die weder einen Kausaleinfluss aufeinander haben noch eines sie
reparierenden Uhrmachers bedürfen, mit dem er sein System einer
prästabilierten Harmonie illustriert hat, der „Ethik“ des niederländi-
schen Occasionalisten Geulincx entnommen, ohne dies anzugeben.
Nun ist das Werk Ethik erst nach dem Tode seines Verfassers erschie-
nen, der zu Lebzeiten nur deren erstes, allerdings wichtigstes Buch unter
dem Titel De virtute veröffentlicht hat. Weil dort das Uhrengleichnis
noch nicht genannt wird, gab es Versuche, Leibniz vom Vorwurf des
Plagiats so rein zu waschen, dass man unterstellte, er habe nur den
Traktat über die Tugend gelesen, das später veröffentlichte ganze Werk
aber nicht und deshalb das Uhrengleichnis gar nicht kennen können. In
diese Debatte greift Zeller in der Weise ein, dass er nicht die möglichen
oder wahrscheinlichen subjektiven Quellen von Rezeption untersucht,
sondern auf die Sache selbst eingeht, indem er darlegt, was Geulincx auf
der Basis seiner Philosophie mit seinem Uhrengleichnis überhaupt hat
illustrieren können. Und er kommt zu dem überzeugenden Ergebnis,
dass mit ihm ein Sachverhalt illustriert wird, der sich von Leibnizens
Theorie des Verhältnisses von Seele und Körper, in Bezug worauf
Leibniz das Uhrengleichnis heranzieht, grundlegend unterscheidet, und
dass Leibniz deshalb von der Sache her, subjektive Kenntnis der Quelle
hin oder her, auf Geulincx gar nicht hat Bezug nehmen müssen. Das ist
Sachanalyse, die die Analyse einer historischen Position nicht unter die
Idee eines Einheit stiftenden organischen Zusammenhangs zwingt und
auch nicht von der Idee eines einheitlichen menschlichen Geistes Ge-
brauch macht.
Erwähnt sei noch, dass Zellers Schüler Stein, der Herausgeber des
Archiv fðr Geschichte der Philosophie, in Band 1 und 2 dieser Zeitschrift

19 Zeller (1910d), Bd. 1, 299 – 327.


Zeller und das „Archiv für Geschichte der Philosophie“ 255

zwei Aufsätze zum Occasionalismus veröffentlicht hat, in denen er über


den Strukturvergleich seines Lehrers hinaus einen historischen Zusam-
menhang, den es natürlich gibt, gleichsam nachschiebt. Rein historisch
vorgehend, untersucht Stein die Genese des Occasionalismus und bringt
dabei auch antike und mittelalterliche „Vorläufer“, wie er schreibt, in
den Blick. Steins Beiträge können als Auftakt zu Untersuchungen an-
gesehen werden, die Zeller bei Gründung des Archiv fðr Geschichte der
Philosophie im Sinn hatte und in die sich auch sein eigener weiterer
Beitrag im ersten Band dieser Zeitschrift, der Aristippus gewidmet ist,
fügt. Hier stützt sich Zeller auf historisches Material, um eine These im
2. Band seiner Philosophie der Griechen zu erhärten, dass nämlich Platon,
wenn er im Philebos sagt, die Lust sei ein Werden, und für diese Auf-
fassung auf einen anderen verweist, mit diesem Anderen Aristippus
gemeint habe.

IV.

Worum es dem späten Zeller unverändert geht, ist der Aufweis histo-
rischer Zusammenhänge in der Vielfalt hier greifender Einzelheiten, die
einen Zusammenhang haben, ohne dass man ihn von einem Telos her
denken müsste. Aufgabe des Philosophiehistorikers ist es, schreibt Zeller
zu Beginn seines Einleitungsaufsatzes,20 nicht nur über das Geschehene
zu berichten, sondern es auch zu erklren. Erklären bedeutet über das
bloße Berichten hinaus, dass man den Ursachen21 des Geschehens
nachgeht und „durch die Erkenntnis [dieser Ursachen] das Einzelne in
einen umfassenderen Zusammenhang einreiht“.22 Ursachen, die unab-
hängig von dem Historiker bestehen, zu erkennen, um kraft des Er-
kennens das Einzelne zu erklären, verlangt aber eine Vielfalt möglicher
Ursachen anzuerkennen, die im Erkennen nicht aus dem Blick geraten
dürfen. Ursache einer philosophischen Theorie, die der Historiker über
einen bloßen Bericht hinaus zu erklären hat, ist zunächst, so sollte man
meinen, der Autor, der sie verfasst hat. Diese Ursache zu erforschen,
etwa über das uns überlieferte Selbstverständnis des Autors, wie er zu
seiner Theorie gekommen ist, was ihn sonst noch beeinflusst hat, was er
mit seiner Theorie hat zeigen wollen und schließlich wie sie dem

20 Dass eine Kontinuität zwischen diesem programmatischen Aufsatz und Zellers


frühen Überlegungen besteht, behauptet Schneider (2007),21.
21 Vgl. Geldsetzer (1968), 107 f..
22 Zeller (1910e), Bd. 1, 410.
256 Wolfgang Bartuschat

Selbstverständnis des Autors nach zu lesen ist, das ist für Zeller aber nur
Psychologie. Ein solcher „biographisch-psychologische[r] Pragmatis-
mus“, wie er sagt, helfe nicht sehr weit, kann er doch „immer nur über
die nächsten Entstehungsgründe der Systeme belehren“, während „die
entfernteren und allgemeineren […] ununtersucht“ blieben.23 Was soll,
so ließe sich fragen, eine solche Form von Ursachenerforschung, die auf
das weiter entfernt Gelegene abstellt? Hume hat mich aus dem dog-
matischen Schlummer erweckt, sagt Kant, und die Lektüre von
Rousseau hat mich zurechtgerückt und von einem Dünkel befreit, sagt
er ebenfalls. Aber, nehmen wir nur Hume, hinter Hume steht Berkeley,
hinter Berkeley Locke, und hinter diesem Descartes, hinter dem die
Scholastik steht und somit irgendwie auch Aristoteles in christlicher
oder arabisierter Form. Sollen wir das alles erforschen, um die kantische
Theorie nicht nur zu referieren, sondern auch sachgerecht erklären zu
können? Das meint Zeller natürlich nicht.
Worauf er abhebt, ist, die Geschichte der Philosophie nicht nur als
eine „Geschichte der Philosophen“ anzusehen,24 sondern in den un-
terschiedlichen Systemen, die in Fragestellung und Durchführung ihres
Programms zum Teil ganz verschieden sind, ein Gemeinsames zu sehen,
das es erlaubt, bei allen Unterschieden von einer Geschichte der Phi-
losophie zu sprechen, die nur eine ist, weil sie in der geschichtlichen
Kontinuität eine Einheit hat. Hegel hat Locke für einen Unphilosophen
gehalten, was dieser unter Idee (idea) versteht, sei Barbarei; die wenigen
Transzendentalphilosophen heute halten Wittgenstein für die Verab-
schiedung von Philosophie; Analytiker machen sich lustig über Ver-
suche philosophischer Letztbegründung. Demgegenüber versucht Zeller
die unterschiedlichen Philosophien als eine Einheit historisch zu retten.
Seinem Programm der Philosophiegeschichtsschreibung legt er deshalb
zu Grunde, „dass alles, was die Einzelnen gedacht, versucht und geleistet
haben, so mannigfaltig es ist und so vielfach es sich im besonderen
widerstreiten mag, doch eine geschichtliche Einheit bilde“. Und er fährt
fort:
diese Einheit ist keine bloß ideelle […], sondern es stellt sich durch die
Einwirkung der Einzelnen auf einander unter ihnen ein realer Zusam-
menhang her […]; was bei oberflächlicher Betrachtung nur ein Gewirre
einzelner Personen und Meinungen zu sein schien, zeigt sich bei genauerer

23 Zeller (1910e), Bd. 1, 416.


24 Zeller (1910e), Bd. 1, 416.
Zeller und das „Archiv für Geschichte der Philosophie“ 257

und gründlicherer Untersuchung als eine geschichtliche Entwicklung, in


der alles, bald näher bald entfernter, mit allem andern zusammenhängt.25
Hier suggeriert Zeller, dass es nur auf eine gründlichere und genauere
Untersuchung ankäme, Forscher sich also mehr anstrengen sollten,
während es doch umgekehrt die vorausgesetzte Annahme eines ein-
heitlichen Ganzen ist, die diese Sorgfalt und Genauigkeit verlangt.
Zellers Holismus-Plädoyer ist eine Wiederholung der frühen Attacke
gegen einen historischen Atomismus, gestützt auf eine Theorie des
menschlichen Geistes, dem als dessen Erzeugnis die Philosophie zuzu-
ordnen ist. Es ist nicht zu übersehen, dass Zeller dieser Theorie, ent-
hegelianisiert und metaphysikfrei und ohne mit geschichtlicher Ent-
wicklung so etwas wie zielgerichtete Fortentwicklung zu verbinden,
kein deutliches Profil zu geben vermag. Er war wohl der Ansicht, dass
sie sich in konkreter historischer Forschung zu bewähren habe und
unabhängig davon nicht für sich entwickelt werden müsse.
Seine die Betrachtung der Geschichte der Philosophie leitende
Methodik behauptet weder, dass eine bestimmte philosophische
Theorie nur in Kenntnis ihrer historischen Genese aus einem univer-
sellen Zusammenhang angemessen begriffen werden könnte – wäre
dem so, dann könnte sie nämlich überhaupt nicht begriffen werden.
Noch behauptet sie, dass die in der Philosophie sich niederschlagenden
Erzeugnisse des menschlichen Geistes alle gleich gültig seien und nur als
Elemente von Nachwirkung und Fortwirkung anzusehen wären –
große Philosophie lässt sich sehr wohl von kleinerer unterscheiden,
Spinoza und Leibniz sind von anderem Kaliber als Geulincx und Ma-
lebranche, mögen da auch historische Querverbindung, selbst vielfältig
kausaler Art, bestehen. Historische Erkenntnis genetischer Zusam-
menhänge schließt eine Beurteilung nach Kriterien, die nicht historisch
sind, nicht aus, mag auch das, was sich in der geschichtlichen Ent-
wicklung durchgesetzt hat, mit dem übereinkommen, was sich in kri-
tischer Beurteilung über seine Qualität sagen lässt. Zeller hat das so
formuliert: In dem, wo doch alles mit allem anderen zusammenhängt,
gelangt „nur dasjenige zu allgemeiner und dauernder Wirkung […], was
den allgemeinen, in den Zuständen und Bedürfnissen ganzer Zeiten und
Völker begründeten Bedingungen jener Entwicklung entspricht“.26 Das
ist heimlicher Hegel: die Philosophie ist „ihre Zeit in Gedanken erfasst“

25 Zeller (1910e), Bd. 1, 416.


26 Zeller (1910e), Bd. 1, 416.
258 Wolfgang Bartuschat

(Grundlinien der Philosophie des Rechts, Vorrede). Der Philosoph, so


meint auch Zeller, hat sein Zeitalter in der Vielfalt seiner die Menschen
bewegenden Momente auf den Begriff zu bringen, d. h. in dieser
Vielheit und sie festhaltend zu einer Einheit zu bringen – das ist der in
Prinzipien gründende Systembegriff, den konzipiert zu haben große
Philosophie auszeichnet, die ebendeshalb auch unter veränderten
Zeitbedingungen ihre Bedeutung behalten wird.
Kant hatte eine solche Philosophie; das bedeutet nicht, dass dem-
gegenüber Baumgarten und Lambert, Achenwall und Meier, die ein
solches eine Vielheit begreifendes System nicht haben entwickeln
können, nur irgendwelche, dies und jenes thematisierenden Philoso-
phen waren, mit deren Schriften sich deshalb heute, von einigen Aus-
nahmen abgesehen, nur noch Kant-Exegeten beschäftigen. Denn sie
waren gerade deshalb von Einfluss auf Kants philosophisches Denken,
weil er in ihnen nicht Vertreter von Privatansichten gesehen hat, wie
Swedenborg vielleicht einer für ihn war, sondern Vertreter, die über-
lieferte philosophische Probleme aufgegriffen und neu durchdacht
hatten und die deshalb würdige Diskussionspartner des Philosophen
Kant waren.
Dies nicht vergessen zu lassen und sich bei aller Orientierung an den
großen Systemen den sogenannten minores in der Geschichte der
Philosophie zuzuwenden, war ein wichtiges Anliegen Zellers. Und
schließlich hat Zeller erkannt, dass die einzelnen Philosophien in ihrer
Abfolge nicht nur einem innerphilosophischen Zusammenhang unter-
liegen. Undenkbar sei es,
dass die philosophische [Zeller schreibt: wissenschaftliche] Bewegung sich
jemals für sich allein, ohne Wechselwirkung mit den übrigen Gebieten des
geistigen Lebens und der gesellschaftlichen Zustände vollziehen könnte
[…]. Die philosophische Entwicklung ist eben nicht bloß aus Einer, son-
dern aus vielen zusammenwirkenden Bedingungen zu erklären. Die Per-
sönlichkeit der Philosophen, die Einwirkung der früheren Systeme auf die
späteren, der Einfluss der allgemeinen politischen und Kulturzustände
vereinigen sich, um ihren Verlauf zu bestimmen. Jeder von diesen Faktoren
ist dann wieder aus vielerlei Elementen zusammengesetzt, und der Anteil
eines jeden an dem schliesslichen Ergebnis ist bald ein größerer bald ein
geringerer. Aber die Aufgabe der Geschichtsforschung ist es, sie alle im
Auge zu behalten und ihre Spuren so weit als möglich zu verfolgen.27
So beendet Zeller seinen Einführungsaufsatz mit einem Verweis auf den
Umfang und die Mannigfaltigkeit der Aufgaben, die die Erforschung

27 Zeller (1910e), Bd. 1, 417 f..


Zeller und das „Archiv für Geschichte der Philosophie“ 259

der Geschichte der Philosophie zu bewältigen hat. Das Zitat enthält


auch eine unkorrekte Formulierung. Denn die vielen Faktoren, die
Zeller nennt, vereinigen sich natürlich nicht, um den Verlauf einer
Entwicklung zu bestimmen, sondern sie bestimmen faktisch den Ver-
lauf. Das erste wäre Teleologie, die Zeller ausdrücklich zurückweist, nur
das zweite hat der Historiker zu beachten. Aber es ist klar, was Zeller
sagen will, dass nämlich ein Einzelner allein die genannten Aufgaben
nicht zu bewältigen vermag. Die großen Philosophiehistoriker des 19.
Jahrhunderts, Schwegler, Kuno Fischer und auch Zeller selbst, haben
noch im Alleingang eine Philosophiegeschichte schreiben können, die
die ganze Geschichte umfasst. Zeller hat erkannt, dass diese Zeit vorbei
ist, zumindest sobald erkannt war, dass der zu bearbeitende Stoff so
mannigfaltig und komplex ist, dass nur die vereinigte Kraft vieler For-
scher ihn sachgerecht traktieren kann. Es gibt heute Leibniz- und
Hume-Zeitschriften, Kant- und Hegel-Zeitschriften, sogar Nietzsche-
und Heidegger-Zeitschriften und noch viele andere, die nur einem
Philosophen gewidmet sind. Zeller ist es zu verdanken, dass es, und
zwar immer noch, eine Zeitschrift zur ganzen Geschichte der Philo-
sophie gibt. Das ist als ein Verdienst anzuerkennen, wie immer man
Zellers Theorie einer universellen Verquickung aller geschichtlichen
Zusammenhänge zu Einer Geschichte beurteilen mag.

Bibliographie
Leuze (1910): Otto Leuze (Hg.), Eduard Zellers Kleine Schriften, 3 Bde., Berlin.
Ehrhardt (1967): Walter E. Ehrhardt, Philosophiegeschichte und geschichtlicher
Skeptizismus, Bern.
Schneider (2007): Helmut Schneider, „System und Geschichte der Philosophie
bei Hegel“, in: D. Heidemann u. C. Krijnen (Hgg.), Hegel und die Ge-
schichte der Philosophie, Darmstadt.
Geldsetzer (1968): Lutz Geldsetzer, Die Philosophiegeschichte im 19. Jahrhundert,
Meisenheim.
Zeller (1910a): Eduard Zeller, „Die Geschichte der alten Philosophie in den
letztverflossenen 50 Jahren“, in: Otto Leuze (Hg.), Kleine Schriften, Bd.1,
Berlin, 1 – 85.
Zeller (1910b): Eduard Zeller, „Wie soll man Geschichte der Philosophie
schreiben?“, in: Kleine Schriften, Bd.1, Berlin, 86 – 99.
Zeller (1910c): Eduard Zeller, „Zum Jubiläum der Kritik der reinen Vernunft“,
in: Kleine Schriften, Bd.1, 239 – 251.
260 Wolfgang Bartuschat

Zeller (1910d): Eduard Zeller, „Über die erste Ausgabe von Geulincx’ Ethik
und Leibniz’ Verhältnis zu Geulincx’ Occasionalismus“, in: Kleine Schriften,
Bd.1, 299 – 327.
Zeller (1910e): Eduard Zeller, „Die Geschichte der Philosophie, ihre Ziele und
Wege“, in: Kleine Schriften, Bd.1, 410 – 418.
Zeller (1910 f): Eduard Zeller, „Über Metaphysik als Erfahrungswissenschaft“,
in: Kleine Schriften, Bd. 2, Berlin, 553 – 565.
Eduard Zeller und Hermann Diels
Wolfgang Rçsler

Ich beginne mit zwei Zitaten. Beide sind Vorworten Zellers zu seiner
Geschichte der griechischen Philosophie entnommen. Das erste Zitat findet
sich im Vorwort zum ersten Halbband des ersten, den Vorsokratikern
gewidmeten Teils, und zwar in der fünften, der letzten von Zeller selbst
besorgten Auflage (1892; das Vorwort ist von 1891):1
In den fünfzehn Jahren, die seit dem letzten Erscheinen dieses Bandes
verflossen sind, hat die wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiete der
vorsokratischen Philosophie nicht geruht; und es ist kein Teil desselben,
auf dem man sich nicht, bald in weiterem, bald in beschränkterem Umfang,
bemüht hätte, neues Quellenmaterial nutzbar zu machen oder dem längst
benützten neue Ergebnisse und Gesichtspunkte abzugewinnen. Mir würde
schon die E i n e bahnbrechende Untersuchung der Dielsschen Doxogra-
phie die Verpflichtung auferlegt haben, in allen den Fällen, in denen wir
auf die alten Doxographen und die von ihnen abhängigen Berichte an-
gewiesen sind, sorgfältig zu untersuchen, ob und inwiefern die durch
dieselbe gewonnene Einsicht in den Ursprung und Charakter jener Be-
richte meinen bisherigen Annahmen zur Berichtigung, Bestätigung oder
Vervollständigung zu dienen geeignet sei.
Das zweite Zitat stammt aus dem Vorwort zum zweiten Halbband des
dritten Teils, in dem die zweite Hälfte der nacharistotelischen Philo-
sophie, vor allem der Neuplatonismus, dargestellt wird; hier handelt es
sich um die überhaupt letzte, die vierte Auflage von 1903 (das Vorwort
ist von 1902):2
Es sind jetzt gerade fünfzig Jahre verflossen, seit meine Geschichte der
griechischen Philosophie in ihrer ersten Auflage durch das Erscheinen des
letzten Bandes zum Abschluss kam. Wenn mir damals jemand gesagt hätte,
dass ich nach einer so langen Zeit nicht allein immer noch unter den
Lebenden weilen, sondern auch den eben erst fertig gewordenen Theil
meines Werkes noch einmal zu bearbeiten haben werde, so wäre ich ohne
Zweifel sehr geneigt gewesen, ihn für einen falschen Propheten zu halten.
Da nun aber dieser unwahrscheinliche Fall doch eingetreten ist, habe ich
mich selbstverständlich bemüht, das Buch, dessen dritte Auflage vor

1 Wieder abgedruckt in: Zeller (1919), XIV.


2 Zeller (1903), V f..
262 Wolfgang Rösler

nunmehr einundzwanzig Jahren erschienen ist, in der vierten nach bestem


Vermögen zu vervollständigen und zu verbessern. […] Zwei für die
Kenntniss des späteren Neuplatonismus wichtige Werke, Proklus’ Erklä-
rung der Republik und Damascius über die letzten Gründe, liegen uns jetzt
erst vollständig und in gereinigtem Text vor, und die akademische Ausgabe
der griechischen Aristoteles-Commentare, welche ihrer Vollendung ent-
gegengeht, ist unter H e r m a n n D i e l s ’ trefflicher Leitung zu einer Mus-
terausgabe geworden, deren Verdienst vielleicht nur derjenige voll zu
würdigen vermag, welchem seiner Zeit die mühselige und zeitraubende
Aufgabe zufiel, sich durch die Drucke des sechzehnten Jahrhunderts
durchzuarbeiten, die in ihren ungefügen Folianten dem Leser nicht blos
einen viel unzuverlässigeren Text bieten, sondern ihm auch fast alle
Hülfsmittel versagen, welche ihm die Benutzung dieser weitschweifigen
Litteratur wenigstens mechanisch erleichtern könnten.
Worauf Zeller in den beiden Zitaten mit hoher Anerkennung Bezug
nimmt, Diels’ Doxographi Graeci 3 und die von ihm betreuten Commen-
taria in Aristotelem Graeca: das hatte er einst selbst wesentlich gefördert
(im Fall der Doxographi) bzw. überhaupt erst angeregt (im Fall der
Aristoteles-Kommentare). Im hohen Alter (er ist 77 bzw. 88 Jahre alt,
als er dies schreibt) kann er nun von dem Ertrag sprechen, der daraus
erwachsen ist. Zellers durchgehende Nutzung sowohl der Doxographi als
auch eines zentralen Werks der Aristoteles-Kommentare, des von Diels
selber edierten Physik-Kommentars des Simplikios, wird besonders in
den beiden Halbbänden des Vorsokratiker-Teils der Philosophie der
Griechen deutlich (auch wenn Zeller hier nur über den 1886 erschie-
nenen ersten Band verfügte4 ; der zweite erschien erst 1895). Es zeigt
sich: Die Doxographi sind permanent ausgewertet; meist werden die
Plac(ita) des Aetios genannt, der zentrale Text, den Diels rekonstruiert
hatte; auch bei Simplikios-Zitaten kann nun zumeist auf Diels rekur-
riert werden.
Freilich zeigt ein Vergleich mit älteren Auflagen, dass Zeller das
relevante Material auch bereits vorher weitgehend gekannt und her-
angezogen hatte.5 Hiervon hatte Diels selbst bei seinen Bonner An-

3 Doxographi Graeci, collegit recensuit prolegomenis indicibusque instruxit Her-


mannus Diels, Berlin 1879.
4 Simplicii in Aristotelis physicorum libros quattuor priores commentaria (Commentaria
in Aristotelem Graeca, Bd. 9), ed. Hermannus Diels, Berlin 1882.
5 Zeller spricht dies selbst an (1903, VI): „Hatte ich auch das geschichtliche
Material, welches die Register der neuen Ausgabe nachweisen, aus den älteren
grösstentheils schon beigebracht, so fand sich doch immerhin noch die eine
oder andere Nachlese […].“
Eduard Zeller und Hermann Diels 263

fängen profitiert, wie er in seinen Erinnerungen festhielt:6 „Die wun-


dervollen Anmerkungen der Zellerschen Geschichte der Philosophie
waren meine Leitsterne, nach denen ich allmählich die Ertrag gebenden
späteren Kommentatoren und Patres aufspürte und durchsah.“ Und in
der Gedenkrede auf Zeller hat er diese erstaunliche Leistung mit be-
sonderem Bezug auf die Aristoteles-Kommentare gewürdigt und
chronologisch eingeordnet:7
Schon 1852 wurde „Die Philosophie der Griechen“ zu Ende geführt, und
das Werk erwarb sich so schnell die Sympathie des wissenschaftlichen
Publikums, daß bald eine neue Auflage nötig wurde […]. Zeller benutzte
die Gelegenheit, um auch den ersten Band zu einem völlig umfassenden
Werk auszubauen. Er las zu diesem Zweck die philosophische Literatur der
Griechen und Römer vollständig durch und scheute auch trotz der
Schwäche seiner Augen nicht davor zurück, die alten, unbequemen Foli-
anten der Aristoteleskommentatoren sorgsam auszuziehen. Unverlöschlich
blieb ihm die furchtbare Qual dieser Mühe eingeprägt. Dies gab ihm
Veranlassung, später in unserer Akademie, 1874, die Neuausgabe dieser
Kommentatoren ins Werk zu setzen.
Wie aber kam es zu der Verbindung zwischen Zeller und Diels? Man
muss hier etwas weiter ausholen und Diels’ Biographie bis zum ersten
Kontakt mit Zeller in die Betrachtung einbeziehen.8
Diels wurde 1848 im Hessen-Nassauischen Biebrich geboren, heute
ein Stadtteil von Wiesbaden. Ein schwieriges Verhältnis zu seinem Vater
wurde dadurch aufgefangen, dass der Bruder der Mutter, Karl Rossel,
der Philologie studiert und in Göttingen bei dem vor allem als Pindar-
Kommentator bekannten Ludolph Dissen promoviert hatte, sich seiner
annahm und zum entscheidenden Anreger und Förderer wurde. Von
ihm kam zweifellos der Anstoß zum Philologiestudium, das Diels zum
Sommersemester 1867 an der Berliner Universität aufnahm und nach
einem Jahr in Bonn fortsetzte. Dort wuchs Diels in einen Freundeskreis
mit Kommilitonen hinein, zu denen drei gehörten, die später, wie Diels
selbst, zu den Größen der Altertumswissenschaften gehören sollten:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, später sein engster Kollege in
Berlin, der Archäologe Carl Robert, jüngerer Mitschüler von Diels

6 Diese sind verloren, lagen aber Diels’ Biographen Otto Kern vor, der ver-
schiedentlich daraus zitiert. Das Folgende bei Kern (1927), 37.
7 Diels (1908), 27.
8 Zum Folgenden vgl. Rösler (2009). Die dort gegebene Darstellung der Schul-
und Studienzeit von Diels sowie der Arbeit an den Doxographi ist hier zugrunde
gelegt.
264 Wolfgang Rösler

bereits auf dem Wiesbadener Gymnasium, und der Philologe Georg


Kaibel. Vor allem aber wurde ein Bonner Dozent für Diels’ weiteren
Lebensweg bestimmend: Hermann Usener. Usener, zu diesem Zeit-
punkt 33 Jahre alt, war zwei Jahre vorher nach Bonn berufen worden.
Er, der ebenfalls aus Hessen-Nassau stammte, trat Diels nicht mit pro-
fessoraler Attitüde, sondern ermutigender Freundlichkeit entgegen.
Vom ersten Besuch in der Sprechstunde kam Diels (wie er in seinen
Erinnerungen berichtete9) „ganz überwältigt zurück. So hatte noch
Niemand mir den Abgrund meiner Unwissenheit auf allen Gebieten der
Philologie gezeigt, und Niemand zugleich so teilnahmsvoll ratend mir
den Weg gewiesen“. Usener muss das Talent des jungen Studenten
dann rasch erkannt haben. Schließlich führte ein Zufall die Situation
herbei, die für Diels’ weiteres Leben bestimmend wurde und letztlich
auch zu der Verbindung mit Zeller führte, die uns hier beschäftigt.
Usener hatte in einer Vorlesung ausführlich über die Quellen der
griechischen Philosophiegeschichte gehandelt. Das Weitere berichtet
Diels selbst:10
Die neuesten Ergebnisse seiner und der Mitforscher Arbeiten hatte er hier
ausführlich mitgeteilt und dabei auch zuletzt die Verzweigung der Placi-
taüberlieferung von Theophrast bis Stobäus nach dem, was er damals
darüber zu wissen glaubte, vorgetragen. Indem er nun die Ergänzung des
Stobäus durch das Florilegium des Johannes Damascenus erwähnte, be-
gegnete es ihm im Eifer des Vortrags, die Namen zu verwechseln. Er sprach
von Nikolaos Damascenus. Nach Tisch ging ich in sein Haus in der
Poppelsdorfer Straße, um wegen anderer Dinge mich zu besprechen. Dies
Haus stand den Studenten nachmittags weit offen, und da die junge Frau
des Hauses, die Tochter des Kirchenrats Dilthey in Biebrich, der mich
getauft hatte, den jungen Landsmann ganz besonders freundlich empfangen
hatte, so kam ich wohl öfter als andere Kommilitonen in das gastliche Haus
des jungen Professors, der stundenlang teils seine, teils meine Studien mit
mir besprach und mich durch diese Privatissima noch viel mehr als durch
seine Vorlesungen und sein Seminar förderte und mit seinem glühenden
Eifer für die philologische Wissenschaft enthusiastisch erfüllte. An jenem
Nachmittage erwähnte ich nun beiläufig, daß sich der Herr Professor im
Kolleg heute versprochen haben müßte, was ihm offenbar sehr unange-
nehm war. Denn nach einer Weile, als ich mich verabschieden wollte, zog
er eine Schublade seines Schreibtisches auf und zeigte mir allerlei Material
und Vorarbeiten, die sich auf die erwähnte Placitafrage bezogen. Er er-
zählte mir, er habe mit Kurt Wachsmuth (damals in Göttingen) sich ver-
abredet, die zwei wichtigsten Quellen der antiken Philosophiegeschichte

9 Vgl. Kern (1927), 31.


10 Vgl. Kern (1927), 35.
Eduard Zeller und Hermann Diels 265

herauszugeben. Jener habe den Diogenes übernommen und die dazu ge-
hörigen Kollationen bereits in Italien beschafft; er selbst habe die Bear-
beitung der Placita angefangen und die Kollationen zu Galen, Stobäus und
Johannes Damascenus, die Wachsmuth ebenfalls besorgt, hier liegen. ,Ich
selbst,‘ fuhr er fort, ,bin mit anderen Dingen noch auf Jahre beschäftigt.
Wollen Sie vielleicht die Bearbeitung der Quellenfrage übernehmen, wie
sich die drei Placitasammlungen Plutarch, Stobäus (Damascenus) und Galen
zueinander verhalten?‘ Ich war zunächst betroffen. Dann sagte ich: ,Wenn
Sie mir dies zutrauen, dann bin ich bereit, die Sache zu versuchen.‘ So
packte er mir die Stobäuskollationen ein. Ich zog hochbeglückt nach
Hause. Die Geburtsstunde der Doxographi war erschienen!
Worum es hierbei geht, lässt sich am besten in der Weise erläutern, dass
die Ergebnisse mit einbezogen werden, die Diels dann bei der Wei-
terarbeit an diesem Material erzielte, und zwar zunächst vorläufig bei
der Bearbeitung einer entsprechenden, von der Bonner Philosophischen
Fakultät gestellten Preisaufgabe, die Usener mit Blick auf Diels initiiert
hatte, und dann in dem monumentalen daraus hervorgegangenen Werk,
den 1877 abgeschlossenen und 1879 erschienenen Doxographi Graeci. Es
geht dabei um etwas, was uns Heutigen unmittelbar plausibel ist: dass
eine immer unübersichtlicher werdende Buchkultur dahin tendiert,
Einführungen und Kompendien hervorzubringen, in denen knapp zu-
sammengefasst wird, was sich sonst der Einzelne in zeitraubender
Lektüre der Originalwerke erarbeiten müsste. Die (mit griechischer
Bezeichnung) areskonta, (mit lateinischer) placita sind die kondensierten
Lehrmeinungen der Philosophen (in wörtlicher Übersetzung: „das, was
ihnen gefiel“). Es gibt nun aus der Antike, vor allem der Spätantike,
eine Reihe solcher Sammlungen, und aus Diels’ Referat der Vorlesung
Useners geht bereits hervor, dass Usener in einem Punkt vorwegnahm,
was Diels dann ausarbeitete: dass diese Tradition auf ein Werk des
Aristoteles-Schülers Theophrast (ca. 371 – ca. 287) zurückzuführen ist,
die „Meinungen der Naturphilosophen“ (Physikon doxai). Auch brachte
Usener bereits „die drei Placitasammlungen Plutarch, Stobäus (Da-
mascenus) und Galen“ in einen Zusammenhang. Doch erst Diels
konnte zeigen, dass die Epitome im Corpus von Plutarchs Moralia (2. Jh.
n. Chr.) und die Eclogae physicae des Johannes Stobaios (5. Jh. n. Chr.) auf
ein und dieselbe Quelle zurückgehen. Diese Schrift, als deren Autor
Diels einen gewissen Aetios erschloss, ließ sich solchermaßen rekon-
struieren und edieren. Die Edition ist das Herzstück der Doxographi
Graeci. Johannes Damascenus, den Usener in der Vorlesung mit Ni-
kolaos Damascenus verwechselt hatte, taucht unter den genannten
Autoren nur deswegen auf, weil ein Teil der Eclogae des Stobaios
266 Wolfgang Rösler

fälschlicherweise unter seinem Namen überliefert ist. Wichtiger ist in


diesem Zusammenhang Galen, unter dessen Werken eine allerdings
wesentlich spätere doxographische Schrift erscheint, die Historia philo-
sopha, die Diels wiederum als von der Epitome Pseudo-Plutarchs ab-
hängig erwies. Dies sind nur, wenn auch wesentliche, Teile der in den
Doxographi Graeci erzielten und dargestellten Erkenntnisse. Aufs Ganze
ist in diesem Werk von 854 Seiten die doxographische Überlieferung
von Theophrast bis in die Spätantike in ihren Abhängigkeitsverhält-
nissen geklärt; die Texte sind mustergültig ediert; alles ist durch perfekte
Indizes höchst benutzerfreundlich erschlossen. Dies also nahm an jenem
Nachmittag im Hause Useners seinen Anfang. Im Übrigen werden wir
sehen, dass das Instrument einer von einer Universität bzw. Akademie
gestellten Preisaufgabe bei der Fertigstellung der Doxographi Graeci noch
ein zweites Mal unterstützend hinzutrat. Hieran war dann bereits Zeller
maßgeblich beteiligt.
Zunächst war freilich noch das Studium abzuschließen, zuerst (in
einer früher nicht unüblichen, heute nahezu unmöglichen Reihenfolge)
mit der Promotion, dann mit dem Lehramtsexamen. Für die Promotion
bot sich ein Teilbereich des Doxographie-Projekts an: Ende 1870 (Diels
war 22 Jahre alt) war die Dissertation De Galeni historia philosopha an-
genommen und das Verfahren absolviert; das Staatsexamen schloss sich
ein halbes Jahr später an.
Nachdem im Juni 1872 Diels’ Vater erst 51-jährig verstorben war,
war an den direkten Weg in eine Universitätskarriere nicht zu denken.
Dies hätte zunächst und für unbestimmte Zeit aus eigenen Mitteln fi-
nanziert werden müssen. Diels bemühte sich um die Anstellung als
Gymnasiallehrer und erhielt sie zum 1. 10. 1872 in Flensburg, von wo er
ein halbes Jahr später nach Hamburg an das traditionsreiche Johanneum
überwechselte. Diels, der inzwischen verheiratet war, musste in den
folgenden Jahren die Tätigkeiten des Lehrers und des Erforschers und
Editors der antiken Doxographie miteinander verbinden. Dafür, dass er
dies mit einer klaren Perspektive tun und schließlich 1877 mit der
Übersiedlung nach Berlin in eine wissenschaftliche Funktion eintreten
konnte, die seinen Fähigkeiten und Neigungen voll entsprach, war
inzwischen ein neuer Förderer verantwortlich, der, zunächst im Hin-
tergrund agierend, für Diels eine Bedeutung gewinnt, die der Useners in
nichts nachsteht: Eduard Zeller.
Zeller hatte zur gleichen Zeit, als Diels nach Promotion und
Lehramtsexamen im Schuldienst begann und nebenher seine doxogra-
phischen Studien weiterführte, seine Tätigkeit in Berlin aufgenommen.
Eduard Zeller und Hermann Diels 267

Seit 1872 war er Professor der Philosophie an der Friedrich-Wilhelms-


Universität und Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaf-
ten. Er befand sich zu dieser Zeit längst auf der Höhe seines Ruhmes;
kein Geringerer als Helmholtz suchte ihn im Regierungsauftrag in
Heidelberg auf, um ihn für die Nachfolge des verstorbenen Trende-
lenburg zu gewinnen.11 Zeller zählte also sogleich zu den führenden
Gestalten an Universität und Akademie. Schon nach wenigen Jahren –
1878/79 – bekleidete er das Amt des Rektors. Es ist nun ganz offen-
kundig, dass Zeller das Ansehen, das er in Berlin genoss, auch dazu
einsetzte, die Möglichkeiten der Akademie zur Realisierung zweier
Projekte zu nutzen, deren Notwendigkeit sich ihm bei der kontinu-
ierlichen Arbeit an der Geschichte der griechischen Philosophie ergeben
hatten. Es handelt sich um eben die Komplexe, auf die sich die beiden
einleitenden Zitate bezogen: die Schaffung einer sicheren Grundlage für
Zitate aus der doxographischen Literatur und ihre Interpretation sowie
um eine verlässliche, den Standards der Zeit entsprechende Edition der
antiken Kommentare zu Aristoteles. Es ist nun durch den chronologi-
schen Ablauf ganz deutlich, dass an dieser Stelle Diels in den Blick
Zellers geriet, von dessen Forschungen er bereits wusste (die Disserta-
tion lag vor, auch mochte sich sein Erfolg bei der Bonner Preisaufgabe
herumgesprochen haben).12 Zeller gewann 1874 die Akademie für die
folgenden beiden Schritte: zum einen dasjenige Thema, an dem Diels in
Hamburg arbeitete, als eigene Preisaufgabe der Akademie zu stellen,13
zum anderen (Mitinitiator war hier Hermann Bonitz) das erst kurze Zeit
vorher (1870) abgeschlossene Aristoteles-Unternehmen der Akademie,
die zweibändige Ausgabe von Bekker, dazu drei weitere Bände mit
lateinischen Versionen, Scholien, Fragmenten und dem Index Aristote-
licus von Bonitz, nunmehr durch die Edition der griechischen Aristo-
teles-Kommentare weiterzuführen.

11 Näheres bei Gerhardt, Mehring u. Rindert (1999), 95 ff. Vgl. Diels (1908), 33.
12 Weniger scheint direkter Kontakt mit Usener in Betracht zu kommen. Der
erhaltene Briefwechsel zwischen Usener und Zeller setzt erst 1879 ein (Ehlers
1992, II 399), wobei die Briefe bei aller Freundlichkeit sehr förmlich sind; der
erste Brief Useners schließt im Grunde aus, dass ein persönlicher Kontakt
vorausgegangen war.
13 Die Aufgabenstellung im Wortlaut bei Kern (1927), 54: „Plutarchi qui feruntur
libri peq· t_m !qesjºmtym to?r vikosºvoir quomodo et quando scripti sint,
inquiratur, quae ratio inter eam compilationem similesque alias intercedat,
exponatur, qui auctores qua ratione a compilatore adhibiti sint, determinetur.“
268 Wolfgang Rösler

Man muss hier nun allerdings differenzieren: Was Diels betrifft, so


wartete Zeller auf dessen Doxographi. Deshalb hatte er die Stellung der
Preisaufgabe veranlasst, was Diels auch sofort richtig verstand (Brief an
Usener vom 18. 11. 1874):14 „Die Akademie in Berlin hat am 2. Juli 74
meine Arbeit als philos[ophische] Preisaufgabe gestellt. Ich kann nicht
anders denken, als daß Zeller mich dadurch hat aufmuntern wollen
[…].“ Und er erkannte auch sofort, dass „es mir bei dem schwierigen
Druck des Buches sehr erleichtert würde es als gekröntes Preiswerk
einem Verleger anbieten zu können“.15 Aber noch bevor Diels im Juli
1877 der Preis tatsächlich zugesprochen wurde, war er mit einem Mal
für Zeller auch im Hinblick auf das andere Projekt, die Aristoteles-
Kommentare, wichtig geworden. Zeller suchte Diels sogar in Hamburg
auf – ein in Anbetracht des Alters- und Statusunterschiedes höchst
bemerkenswerter Vorgang –, um ihm dies mitzuteilen. Diels berichtet
davon am 12. 4. 1877 seiner Frau, die sich gerade in der Heimat, in
Wiesbaden, aufhielt:16 „Gestern Abend war Prof. Zeller hier, um mir
die Betheiligung an den Arbeiten der Akademie anzubieten. Natürlich
dankbar angenommen. Es wird gleich angefangen. Aus Italien wird
nichts.“
Was war geschehen? Man muss auch hier weiter ausholen: Für die
Aristoteles-Kommentare hatte Zeller ursprünglich einen anderen Helfer
engagiert, Adolf Torstrik. Torstrik, 1821 geboren und somit eine Ge-
neration älter als Diels, war vorher Gymnasiallehrer in Bremen gewesen
(daraus erklärt sich eine Monographie von ihm zu dem auch heute noch
aktuellen Thema Zur Frage des Nachmittags-Unterrichtes).17 Er war zu-
nächst nebenberuflich, seit Frühjahr 1876 hauptamtlich für die Com-
mentaria in Aristotelem Graeca tätig. Dafür qualifiziert hatte er sich vor
allem durch seine Edition von Aristoteles, De anima (1862 bei Weid-
mann erschienen), dazu durch eine Reihe von Aristoteles gewidmeten
Aufsätzen.18 Dass er einen Namen als Aristoteliker hatte, geht aus einem
Brief von Nietzsche an Rohde vom 9. 11. 1868 über ein Gespräch mit
Zarncke, dem Chefredakteur des Literarischen Centralblattes, hervor:19
„meine Recensionsprovinz ist jetzt unter anderem fast die gesammte

14 Ehlers (1992), Bd.1, 104.


15 Ehlers (1992), Bd.1, 104.
16 Ehlers (1992), Bd. 2, 17 ff..
17 Torstrik (1871).
18 Einige Literaturhinweise: http://bibliothek.bbaw.de/kataloge/
literaturnachweise/torstrik/literatur.pdf.
19 Nietzsche (1975), 336.
Eduard Zeller und Hermann Diels 269

griechische Philosophie, mit Ausnahme von Aristoteles, den Torstrik


inne hat“.
Über alles Weitere informiert der Bericht Zellers, den er auf der
„Gesammtsitzung der Akademie“ am 9. Mai 1878 erstattete:20
Im Jahr 1874 fasste die Kgl. Akademie der Wissenschaften auf den Antrag
der Herrn Bonitz und Zeller den Beschluss, eine neue, auf genauer Ver-
gleichung der Handschriften beruhende Ausgabe der griechischen Com-
mentare zu den aristotelischen Schriften zu veranstalten. Mit der Leitung
dieses Unternehmens wurde eine Commission beauftragt, welche zur Zeit
aus den Herrn Bonitz, Vahlen und Zeller besteht, für die Redaktion in der
Person des Herrn Professors Dr. Adolf Torstrik in Bremen eine bewährte
hervorragende Kraft gewonnen. Um zunächst eine möglichst genaue und
vollständige Übersicht über die Handschriften zu erlangen, welche der
neuen Ausgabe zur Grundlage zu dienen haben, wurden von diesem Ge-
lehrten 1875 und 1876 zwei Reisen nach Italien, Frankreich und England
ausgeführt, von denen jede ein halbes Jahr in Anspruch nahm; und es
gelang seinem Eifer und Geschick, die Aufgabe, die ihm gestellt war, durch
das freundliche Entgegenkommen auswärtiger Bibliothekverwaltungen
und Gelehrten unterstützt, mit dem befriedigendsten Erfolge zu lösen. Für
die meisten von den unten verzeichneten Werken sind in den von ihm
bereisten Ländern genügende, für manche derselben vortreffliche Hülfs-
mittel aufgefunden, nicht ganz wenige Handschriften auch bereits vergli-
chen oder abgeschrieben worden. Leider hatte aber die Akademie schon
unmittelbar nach seiner Rückkehr von der zweiten Reise die andauernde
Erkrankung, und noch vor Ablauf des Jahres 1877 den Tod des Mitar-
beiters zu beklagen, der sich ihrem wissenschaftlichen Unternehmen mit so
grosser Hingebung gewidmet und für die Begründung desselben so Be-
deutendes geleistet hatte. An seine Stelle trat mit dem Anfang des laufenden
Jahres der ordentliche Lehrer an dem hiesigen Königstädtischen Gymna-
sium, Herr Dr. Hermann Diels.
Zeller hatte also, als die Schwere der Erkrankung Torstriks deutlich
wurde, rasch gehandelt, und es gelang ihm, Diels binnen weniger
Monate nach Berlin zu holen. Diels trat am 1. 10. 1877 eine Lehrerstelle
am Königstädtischen Gymnasium und zusätzlich zum 1.1. des folgenden
Jahres die Stelle des Redaktors der Commentaria in Aristotelem Graeca
an.21 Zusätzlich hatte er sich noch um die Drucklegung seiner Doxo-

20 Zeller (1878), 404.


21 Diels hatte am Gymnasium 22 Wochenstunden zu unterrichten, so jedenfalls
nach Zuerkennung einer Gehaltserhöhung, über die er mit Datum vom 29. 11.
1878 Mitteilung erhält und die „von der Bedingung abhängig gemacht“ wird,
„daß Sie fortan wöchentlich 22 Pflichtstunden zu unterrichten verpflichtet
sind“ (das Dokument befindet sich im Diels-Nachlass im Archiv der Berlin-
Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften).
270 Wolfgang Rösler

graphi Graeci zu kümmern. In der Funktion des Redaktors bewährte sich


Diels so außerordentlich, dass er, noch als Lehrer am Königstädtischen
Gymnasium, 1881 als ordentliches Mitglied in die Akademie aufge-
nommen wurde und 1882 zum außerordentlichen und 1886 nach
Ablehnung eines Rufes nach Heidelberg zum ordentlichen Professor an
der Friedrich-Wilhelms-Universität ernannt wurde.22
Durch glückliche Fügung hat sich im Diels-Nachlass im Archiv der
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften der Vertrag
zwischen der Akademie und Diels über die Übertragung der Redaktion
der griechischen Aristoteles-Kommentare erhalten (vom 15. 12. 1877).
Diels’ Aufgaben sind in § 2 detailliert beschrieben:
In seiner Eigenschaft als Redakteur übernimmt Herr Dr. Diels die fol-
genden Obliegenheiten: a) die Aufstellung bzw. die Vervollständigung
eines möglichst vollständigen beschreibenden Verzeichnisses der vorhan-
denen Handschriften griechischer Kommentatoren zu Aristoteles. b) die
Entwerfung eines Plans für die Herausgabe dieser Werke. c) Vorschläge
über die Vertheilung der Arbeiten an die mit denselben zu beauftragenden
Gelehrten, Führung der Verhandlungen mit denselben, soweit diese nicht
direkt von der Königl. Akademie geführt werden; Beaufsichtigung ihrer
Arbeiten in der Richtung, daß dabei die für das Unternehmen aufgestell-
ten, allgemeinen Regeln beobachtet werden und namentlich auch die
Gleichförmigkeit in der Behandlung und Erscheinung der einzelnen
Schriften gewahrt werde; d) die kritische Bearbeitung und die Druckle-
gung der von ihm zu eigener Herausgabe übernommenen Schriften; e)
regelmäßige Berichterstattung am Jahresschluß über den Stand der Arbei-
ten.
Das dürfte kein anderer als Zeller formuliert haben.
Wenn man vor ein Bibliotheksregal tritt, in dem die Commentaria in
Aristotelem Graeca in ihrer Gesamtheit aufgestellt sind, steht man vor 26
Bänden (23 Kommentar- und 3 Supplementbände), die eine Länge von
gut einem Meter aufweisen. Als Diels dieses Projekt übernahm, waren
schon erste Dispositionen getroffen, auf denen er aufbauen konnte, und
er konnte für die Folgezeit auf die Unterstützung Zellers in Berlin und
brieflichen Rat Useners zählen. Aber die Qualität der Edition musste
zunächst durch einen maßstabsetzenden Erstlingsband vorgegeben
werden, den Diels selbst übernahm: 1882 erschien der erste von zwei
Bänden des Kommentars des spätantiken Neuplatonikers Simplikios zur
Aristotelischen Physik, ein Werk von gut 800 Seiten, das die Funktion
der Musteredition voll erfüllte. Daneben war die Planung des Ge-

22 Näheres bei Kern (1927), 56 – 80 („V. Berlin 1877 – 1890“).


Eduard Zeller und Hermann Diels 271

samtwerks vorzunehmen und ständig zu aktualisieren; Herausgeber


mussten ausgewählt und betreut werden. Dabei ist nicht uninteressant,
dass es sich verschiedentlich um Gymnasiallehrer handelte (Michael
Hayduck, Maximilian Wallies, Adolf Busse, Hugo Rabe); andere
kamen von Universitäten bzw. wurden später dorthin berufen (Ivo
Bruns, Richard Heinze, Karl Kalbfleisch, Paul Wendland). Auch Ge-
lehrte aus dem Ausland waren einbezogen ( Johan Ludvig Heiberg aus
Dänemark, Ingram Bywater und Frederic G. Kenyon aus England,
Girolamo Vitelli aus Italien und Spyridon P. Lambros aus Griechen-
land). Eine immense Korrespondenz muss dabei angefallen sein. Die
Zahl von 26 Bänden, an sich schon erschreckend hoch, verharmlost
noch die Situation, denn nicht wenige der Bände waren in einzelne
Faszikel unterteilt, für die unterschiedliche Herausgeber zuständig
waren (insgesamt 57 Teile in den 26 Bänden). Waren Teileditionen
fertig, musste das Ergebnis überprüft und schließlich Korrektur gelesen
werden. Alles lag in den Händen von Diels, woran sich auch durch
seinen akademischen Aufstieg nichts änderte. Das war ein wirkliches
Großprojekt – Diels konnte zeigen, dass er sich auf beides verstand:
isolierte Einzelforschung unter erschwerten Bedingungen, wie er sie mit
den Doxographi als Gymnasiallehrer in Hamburg betrieben und zum
Erfolg geführt hatte; nun effizientes Management einer Forschergruppe
mit gewichtigen eigenen Beiträgen. Das Gesamtwerk der Commentaria
in Aristotelem Graeca war 1909 (mit Bd. 13.3) abgeschlossen, ein Jahr
nach Zellers Tod, 32 Jahre, nachdem Diels diese Aufgabe übernommen
hatte. Diels selbst hatte nach dem ersten Band des Physik-Kommentars
des Simplikios auch dessen zweiten Band (1895) herausgegeben, davor
noch (1893) im Rahmen der Supplementbände den Anonymus Londi-
nensis, einen gerade gefundenen umfangreichen Papyrustext zur Ge-
schichte der griechischen Medizin.
Als Zeller am 9. Mai 1878 der Akademie über das Projekt der an-
tiken Aristoteles-Kommentare berichtet hatte (Zeller 1878), hatte er im
Anschluss an die oben zitierten Ausführungen über die Ablösung
Torstriks durch Diels einen detaillierten Plan über den Aufbau des
Gesamtwerkes und die Bandverteilung vorgelegt. Offenbar war an
diesem Plan bereits Diels wesentlich beteiligt gewesen, wenige Monate,
nachdem er, mit Beginn des Jahres, den Redakteursposten übernom-
men hatte. Am 28. März war dann folgende Aufforderung Zellers an
Diels ergangen:23

23 Ehlers (1992), Bd.2, 20.


272 Wolfgang Rösler

Geehrter Herr Doctor!


Da Herr Bonitz wieder hier ist, könnten wir jetzt vielleicht unsere
längst geplante Aristoteles-Sitzung halten. Ich erlaube mir daher, Sie zu
derselben auf Montag 1. April 5 12 U. in das Sitzungszimmer in der Akademie
ergebenst einzuladen; darf Sie aber vielleicht vorher noch um ein Wort
darüber bitten, ob Sie an diesem Tage kommen können, u. ob es Ihnen
möglich ist, uns schon die Disposition der einzelnen Bände – natürlich
vorerst noch etwas im Groben – vorzulegen.
Hochachtungsvoll
der Ihrige
Zeller.

Frappierend ist, wie genau der hier, am Anfang der Zusammenarbeit,


entwickelte Plan dann tatsächlich dem entspricht, was mehr als drei
Jahrzehnte lang Band für Band realisiert wurde. Nur wenige, gering-
fügige Modifikationen wurden vorgenommen; insbesondere wurden
Bd. 24 (Leo Magentinus) und 25 (varia incertorum commentaria) nicht
verwirklicht, dafür wurde das Supplementum Aristotelicum hinzugefügt.
Die kontinuierliche Überprüfung des Plans begann sogleich nach dessen
Erstellung, wie folgendes Zeugnis zeigt: Zellers Bericht an die Akade-
mie (Zeller 1878) liegt im Diels-Nachlass im Archiv der Berlin-Bran-
denburgischen Akademie der Wissenschaften in einem Sonderdruck
vor, der sehr wahrscheinlich Diels gehörte; zu Bd. 4, 4 – 5 ist von Hand
ein Hinweis auf einen Parisinus mit einem Kommentar des Ammonios
zu den Analytica (Priora) nachgetragen. Das muss kurze Zeit nach Er-
scheinen von Zellers Artikel geschrieben sein: Am 9. Juli 1878 erstattet
Diels an Zeller Bericht aus Paris:24 „Da sind zunächst 3 Sachen ganz
abzuschreiben […] 2) Ammonius in I Prior. Analyt. […] in einer uralten
Handschr., die ich wegen der Schwierigkeit der Lesung selbst vorge-
nommen […] habe.“ Diese Entdeckung vermerkte Diels also auch in
seinem Handexemplar des Zellerschen Artikels. Der Text des Ammo-
nios wurde dann dem 4. Band der Commentaria als 6. Teil hinzugefügt.
Die enge persönliche Beziehung, die sich zwischen Zeller und Diels
in den folgenden Jahren herausbildet, spiegelt sich auch darin, dass Diels
den größten Teil dieser Zeit in unmittelbarer Nähe zu Zeller wohnte.
Als er von Hamburg nach Berlin übersiedelte, suchte er sich eine
Wohnung in der Nähe seiner Schule, des Königstädtischen Gymnasium,
das östlich des Alexanderplatzes in der Nähe des heutigen U-Bahnhofs

24 Ehlers (1992), Bd.2, 26.


Eduard Zeller und Hermann Diels 273

Schillingstraße lag. Zeller dagegen wohnte in der Magdeburger Straße,


heute Kluckstraße, nahe dem Potsdamer Platz. Das war damals eine sehr
gute Wohngegend, auch von Professoren der Friedrich-Wilhelms-
Universität sehr geschätzt. Eben dorthin zog 1883 nun auch Diels, im
Jahr, nachdem er außerordentlicher Professor geworden war: zunächst
in die Lützowstraße (die sich mit der Magdeburger Straße kreuzte),
dann 1889 in die Magdeburger Straße selbst. Zeller wohnte im Haus
Nr. 4, Diels Nr. 20. Beide müssen sich (so kann man es sich ausmalen)
fast täglich begegnet sein.
Nachdem Zeller 1894 in seine schwäbische Heimat zurückgekehrt
war, setzte eine intensive Korrespondenz ein, die im zweiten Band des
Briefwechsels Diels – Usener – Zeller (Ehlers 1992) dokumentiert ist.
Als Zeller 1908 starb, hielt Diels in der öffentlichen Sitzung der Aka-
demie am 2. Juli die Gedächtnisrede. Aus dieser Rede kann man lernen,
was Wissenschaft einmal bedeutete. Weniger offiziell ist die Rede, die
Diels beim 90. Geburtstag Zellers am 22. Januar 1904 hielt und die in
einem Privatdruck vorliegt. Diels sagt an ihrem Schluss:25
Endlich lassen Sie mich noch etwas Persönliches aussprechen! Als die
Akademie auf Ihre und Bonitz’ Anregung die Ausgabe der Kommenta-
toren des Aristoteles beschloß, fiel Ihr Blick auf mich. So durfte ich Ihrem
Kreise näher treten und bald auch Ihrer Freundschaft teilhaftig werden, die
das Glück meines Lebens ausmacht. Daß ich diese Freundschaft zu dem
älteren Manne so lange genießen durfte, danke ich dem Schicksal, und ich
bitte, daß es mich dieses unschätzbare Gut noch einige Jahre möge ge-
nießen lassen […].

25 Diels (1904), 13.


274 Wolfgang Rösler

Bibliographie
Diels (1904): Hermann Diels, [Ansprache], in: Vom neunzigsten Geburtstag
Eduard Zellers. 22. Januar 1904 (Privatdruck), Stuttgart, 12 – 13.
Diels (1908): Hermann Diels, Gedchtnisrede auf Eduard Zeller (Abhandlungen
der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-
Historische Classe. 1908), Berlin.
Ehlers (1992): Dietrich Ehlers (Hg.), Hermann Diels – Hermann Usener – Eduard
Zeller, Briefwechsel, 2 Bde., Berlin.
Gerhardt, Mehring u. Rindert (1999): Volker Gerhardt, Reinhard Mehring u.
Jana Rindert, Berliner Geist. Eine Geschichte der Berliner Universittsphilosophie
bis 1946, Berlin.
Kern (1927): Otto Kern, Hermann Diels und Carl Robert ( Jahresbericht über die
Fortschritte der Klassischen Altertumswissenschaft, Supplementbd. 215),
Leipzig.
Nietzsche (1975): Friedrich Nietzsche, Briefe. September 1864 – April 1869
(Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe, hg. v. Giorgio Colli u. Mazzino
Montinari, 1. Abt., 2. Bd.), Berlin u. New York.
Rösler (1999): Wolfgang Rösler, „Hermann Diels und Albert Einstein: die
Lukrez-Ausgabe von 1923/24“, in: Hermann Diels (1848 – 1922) et la science
de l’antiquit¤ (Entretiens sur l’Antiquité Classique, Bd. 45), Genève, 261 –
294.
Rösler (2009): Wolfgang Rösler, „Hermann Diels und die Fragmente der
Vorsokratiker“, in: Annette M. Baertschi u. Colin G. King (Hgg.), Die
modernen Vter der Antike. Die Entwicklung der Altertumswissenschaften an
Akademie und Universitt im Berlin des 19. Jahrhunderts (Transformationen der
Antike, Bd. 3), Berlin u. New York [im Erscheinen].
Torstrik (1871): Adolf Torstrik, Zur Frage des Nachmittags-Unterrichtes, Bremen.
Zeller (1878): Eduard Zeller, „Mittheilungen über die von der Kgl. Akademie
unternommene Ausgabe der griechischen Commentare zu den aristoteli-
schen Schriften“, in: Monatsberichte der Kçniglich-Preussischen Akademie der
Wissenschaften zu Berlin 1878 (1879), 404 – 406.
Zeller (1903): Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen
Entwicklung, 3. Teil, 2. Abteilung: Die nacharistotelische Philosophie, 2.
Hälfte, 4. Aufl., Leipzig.
Zeller (1919): Eduard Zeller, Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen
Entwicklung, 1. Teil, 1. Abteilung: Allgemeine Einleitung. Vorsokratische
Philosophie, 1. Hälfte, 6. Aufl., Leipzig.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles
Eckart Schðtrumpf

Eduard Zeller gab seinem monumentalen, sechsbändigen Werk zur


griechischen Philosophiegeschichte den Titel Die Philosophie der Griechen
in ihrer Geschichtlichen Entwicklung 1. Werner Jaeger wählte als Titel des
Buches, das sein einflussreichstes werden sollte, Aristoteles. Grundlegung
einer Geschichte seiner Entwicklung. 2 Jaeger kannte natürlich Zellers Werk
und er verrät diese Kenntnis schon in seinem frühen Buch zur Entste-
hungsgeschichte der Metaphysik.3 Was bei Zeller Philosophie in ihrer
Geschichtlichen Entwicklung 4 war, wird bei Jaeger 1923 die Geschichte der
Entwicklung eines Philosophen. Es sind die im Ohr verbleibenden letzten
Worte der beiden Titel, die eine so verblüffende Ähnlichkeit aufweisen.
Könnte es vielleicht sein, dass Jaeger bei der Wahl des Titels seines
Buches Anleihe bei Zeller genommen hat und der Bezug und die Va-
riation sogar gesucht sind?
„Geschichte des Alexanderreiches“, „Geschichte Roms“ oder
„Geschichte der Philosophie“ von ihrem „Ursprung“5 bis zu dem
Zeitpunkt als mit Boethius „die griechische Philosophie in ihren letzten

1 Zeller (1856 – 68). Die einzelnen Bände dieses Werks wurden von Zeller für
mehrere Neuauflagen überarbeitet.
2 Jaeger (1923). Die zweite Auflage von 1955 unterscheidet sich von der ersten
nur in einigen der englischen Übersetzung entnommenen Nachträgen. Ich
werde nach der 1. Auflage zitieren.
3 Jaeger (1912), 9 Anm. 3 und öfter.
4 Die Verbindung von „Philosophie“ mit dem Adjektiv „geschichtlich“ im Titel
von Zellers Werk scheint unbedenklich, und doch war die Zusammenziehung
beider zu dem einen Wort „philosophiegeschichtlich“ ein mutiger Schritt. In
dem Beitrag Zellers, mit dem er im Jahre 1888 den 1. Band des neugegründeten
Archiv fðr Geschichte der Philosophie eröffnete („Die Geschichte der Philosophie,
ihre Ziele und Wege“), sprach er von der „Verknüpfung von philologischer
und philosophiegeschichtlicher Forschung“ und bittet in einer Fußnote: „Man
verzeihe das ungebräuchliche Wort (d. i. philosophiegeschichtlich, Anmerkung
E.S.), dessen Fehlen sehr unbequem ist, und das der Sprachanalogie nicht
weniger entspricht als „kunstgeschichtlich,“ „literaturgeschichtlich,“ „kir-
chengeschichtlich“ u. s. w.“: (1888), 6 mit Anm. 1.
5 So Zeller (1892), Bd. 1, Teil 1, 21.
276 Eckart Schütrumpf

Ausläufern mehr noch ihrer inneren Erschöpfung als der äusseren Ge-
walt“ erlag,6 also „Geschichte“ der Philosophie in diesem weiten
Rahmen, den sich Zeller setzte, macht Sinn. Ebenso könnte man sich
für Jaegers im Thema sehr viel begrenztere Studie sehr gut als Titel etwa
„Aristoteles. Darstellung seiner Entwicklung“ denken. Aber ist „Ge-
schichte“ angewandt auf den individuellen Werdegang einer Person,
wie in dem Titel Jaegers, dann nicht doch etwas hochgegriffen oder
etwas zu dramatisch? Unsere Untersuchung wird zeigen, dass dieser
Verdacht in die falsche Richtung geht. Es wird aber auch deutlich
werden, dass schon Zeller die beiden Konzeptionen, die in den un-
terschiedlichen Titeln zum Ausdruck kommen, nämlich die „Ge-
schichte der Philosophie“ und „Geschichte eines bestimmten Philoso-
phen“ gegenübergestellt und in ihrer Bedeutung für das Verständnis von
Philosophie unterschiedlich bewertet hat.
Jedenfalls ist der Unterschied in dem, was sich hinter den beiden
Titeln verbirgt, bezeichnend. In Zellers Darstellung der Philosophie der
Griechen in ihrer Geschichtlichen Entwicklung ist die zweite Abteilung des
zweiten Teils Aristoteles und den alten Peripatetikern gewidmet.7 Zeller
meint, dass das, was uns von Aristoteles erhalten ist, während des
zweiten Aufenthalts des Aristoteles in Athen wenn nicht verfasst, so
doch überarbeitet wurde.8 Wenn es je eine Entwicklung des Aristoteles
gegeben hat, so ist sie uns in Zellers Verständnis der Entstehung des
aristotelischen Corpus eigentlich nicht mehr fassbar, da wir von Ari-
stoteles nur das besitzen, was das „telos“ seiner Entwicklung darstellt,
und nichts scheint doch aristotelischer Philosophie mehr gerecht zu
werden als eben dieser Zustand der Dinge, bei dem uns nur das Werk
der Reifezeit erhalten ist.9 Das Gegenteil trifft bekanntlich für W.
Jaegers Aristotelesdeutung zu, in dessen Buch von 1923 einzelne Kapitel
die Überschriften tragen: Die Jugendwerke 10 oder Die Urmetaphysik 11 oder

6 Zeller (1923), Bd. 3, Teil 2, 930.


7 Zeller, Bd. 2, Teil 2, Aristoteles und die alten Peripatetiker, zweite Aufl.: 1862;
dritte Aufl.: 1879; vierte Aufl.: 1921, fünfte Aufl.: 1963 unverändert.
8 Zeller (1963), Bd. 2, Teil 2, 154 – 156.
9 Zeller (1963), Bd. 2, Teil 2, 156: „Alles ist so reif und fertig …“, vgl. 67: das
Überleben der Lehrschriften sei auch dem Umstand zu verdanken, „dass diese
Philosophie hier erst in der ausgereiften Gestalt und systematischen Form
niedergelegt war, in der sie ihr Urheber während seiner Lehrtätigkeit in Athen
mitgetheilt hatte.“
10 Jaeger (1923), 23 – 36.
11 Jaeger (1923), 171 – 199.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 277

Die Urethik 12 oder Die Urpolitik. 13 Von den 434 Seiten des Jaegerschen
Werkes sind gerade 61, d. h. weniger als ein Siebtel, der, wie Jaeger sich
ausdrückt,14 „Meisterzeit“ gewidmet, der Hauptteil gilt dem Aristoteles,
von dem nach Zeller keine Quellen überliefert sind. Beabsichtigt oder
nicht – die Darstellung der Philosophie des Aristoteles in Zellers Werk,
das Geschichtliche Entwicklung im Titel trägt, erfährt in Jaegers Geschichte
der Entwicklung eine Kehrtwendung um 180 Grad. Jaegers Bild des
Aristoteles könnte aus diesem und aus anderen Gründen der „Anti-
Zeller“ genannt werden.
Nach dem Erscheinen des II. Teils, 2. Abteilung, von Zellers Werk
in 2. Auflage 1862, der Aristoteles und die alten Peripatetikern be-
handelt, und lange vor Jaegers Aristotelesbuch von 1923 hat es in der
Forschung zur antiken Philosophie Entwicklungen gegeben, die für das
Verständnis und die Deutung von Aristoteles wichtig sind und die
manche von Zellers Auffassungen obsolet machten.
1. Die Sprachstatistik in ihrer Anwendung zur Datierung platonischer
Schriften15
2. Die Identifizierung längerer Abschnitte in Jamblichs Protreptikos als
Exzerpte aus Aristoteles’ Protreptikos durch Ingram Bywater im Jahre
186916
3. Im Hinblick auf die Politik: die Veröffentlichung des Papyrus der
Ath. Pol. in 189117
4. Die Forschungen (P. v.d. Mühll;18 E. Kapp19), die nicht nur die
Eudemische Ethik (EE) Aristoteles zurückgaben, sondern sie als eine
frühe, der Nikomachischen Ethik (EN) vorausgehende Schrift chro-
nologisch einordneten.20
Zwar hat Zeller die einzelnen Ausgaben seines Werkes erheblich
überarbeitet, aber selber eingeräumt, dass dies immer nur begrenzt sein
konnte.21 In unterschiedlichem Zusammenhang spielen alle genannten

12 Jaeger (1923), 237 – 270


13 Jaeger (1923), 271 – 307.
14 Jaeger (1923), 331 – 392.
15 Diese begann mit Campbell (1867).
16 Bywater (1869).
17 Kenyon (1891).
18 von der Muehll (1909).
19 Kapp (1912).
20 Jaeger (1923), 239 Anm. 3; 240 Anm. 1.
21 Zeller (1878), Vorwort zu Bd. 2, Teil 2: „Der vorliegende Band ist schon seit
Jahren vollständig vergriffen; aber andere unaufschiebbare Arbeiten machten es
278 Eckart Schütrumpf

Entdeckungen oder Erkenntnisse eine Rolle für die Art und Weise, in
der Jaeger zu den Vorgängern, besonders zu Zeller, Stellung bezog.
In diesem Beitrag werde ich zunächst die Verweise auf Zeller, die
sich in Jaegers Aristotelesmonographie von 1923 finden, besprechen. In
einem zweiten Teil werde ich programmatische Bemerkungen Zellers
zur Darstellung des Denkens von Philosophen aus dem Jahre 1888
denjenigen Jaegers in der Einleitung zu seinem Aristotelesbuch von
1923 und den Grundsätzen, denen er in diesem Buch folgte, gegen-
überstellen.
Ich beginne mit EE: In dem Kapitel „Die Urethik“, in einem
Rückblick über die Entwicklung der Forschung zu EE, erwähnt Jae-
ger22 zuerst die These Ed. Spengels, dass Eudemos von Rhodos die EE
nicht etwa nur herausgegeben, sondern sie auch in enger Anlehnung an
EN verfasst habe.23 Jaeger verweist darauf, dass man als Unterschied
zwischen den beiden Ethiken auch die theologische Ausrichtung in EE
notierte. Er bemerkt: „Vor allem aber fand man die theologische Be-
gründung der Moral in der Eudemischen Ethik nicht vereinbar mit dem
Bild, das man sich von Aristoteles machte.“24 Hinter dem unbestimmten
Pronomen „man“ verbirgt sich, wie die Anm. 1 verrät, Zeller, der nun
die EE nicht etwa in seinem Kapitel über Aristoteles behandelt hatte,
sondern dem über Eudemos,25 den er, wie zuvor Spengel, für den
Verfasser von EE ansah. Jaeger äußert im Text berechtigte Zweifel, ob

mir unmöglich, die neue Auflage desselben früher erscheinen zu lassen. Auch
jetzt war mir aber die Zeit nicht so reichlich zugemessen, als für die erschöp-
fende Bewältigung meiner Aufgabe zu wünschen gewesen wäre. Die aristo-
telischen Schriften und Lehren bieten nicht allein an sich selbst, so oft man
wieder auf sie zurückkommt, immer neuen Anlass zu Fragen, auf welche die
Antwort oft schwer zu finden ist; sondern sie haben auch in den siebzehn
Jahren, welche seit dem Erscheinen meiner zweiten Auflage verflossen sind, so
viele and theilweise so werthvolle Erörterungen hervorgerufen, dass ich mir das
wiederholte Studium dieser Literatur zwar selbstverständlich zur Pflicht machen
musste, dass aber eine vollständige Berücksichtigung derselben weit über die
Grenzen hinausgeführt hätte, die ich meiner Arbeit zu stecken genöthigt war.
So weit Raum und Zeit es erlaubten, habe ich mich bemüht, für sie zu be-
nützen, was zu ihrer Ergänzung, Berichtigung und Erläuterung dienen konn-
te.“
22 Jaeger (1923), 237.
23 Die Überlegenheit der EN liess nur den Schluss zu, dass Aristoteles nicht auch
der Autor auch der EE sein konnte. „Die Verschechterung hatte also der
Schüler verschuldet“, Jaeger (1923), 238.
24 Jaeger (1923), 238.
25 Zeller (1963), Bd. 2, Teil 2, 874 – 881.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 279

denn die Religiosität des Eudemos so gut bezeugt ist. Er stellt Eudemos’
mutmaßliches Werk über die Theologie in eine Reihe mit seinen Ar-
beiten zur „Geschichte26 der Mathematik und Astronomie“, den Cey-
letqija· bzw. )stqokocija· Zstoq¸ai, und statt die antiken Belege zu
geben, beruft sich Jaeger einfach auf eine Fußnote bei Zeller.27 In der
Aufarbeitung der antiken Quellen zur Zusammenstellung der Werktitel
des Eudemos ist für Jaeger Zeller immer noch eine verlässliche Quelle.28
Bei Jaeger hat das Kapitel Die Urethik einen Unterabschnitt: Die
Eudemische Ethik und das Problem der exoterischen Schriften. 29 Am Eingang
des 2. Buches der Eudemischen Ethik wird eine Unterteilung von Gütern
entwickelt und dann wird hinzugefügt: „wie wir auch in den exoterischen
logoi die Unterscheidung vornehmen.“30 Jaeger31 gibt die komplizierte
Deutung, die Zeller in einem Aufsatz im Hermes 32 vorgelegt hatte,
wieder und bemerkt trocken: „Wie Eudemos aber dazu kommen sollte,
in der ersten Person (diaiqo}leha) von einer Schrift des Aristoteles (den
exoterikoi logoi, E.S.) zu sprechen, bleibt bei dieser Auffassung unklar“
(259). Er sieht einen „unlösbaren Widerspruch“ darin, dass in dem Zitat
von EE 2.1 für eine auch anderswo von Aristoteles vorgetragene
Auffassung die auch bei ihm gebräuchliche Form des „wir erklären
(oder Ähnliches) in den exoterischen Schriften“ benutzt wird, aber diese
Schrift von Zeller einem von Aristoteles verschiedenen Autor zuge-

26 Statt „Geschichte“ sollte man lieber „Forschungen zu …“ sagen.


27 Jaeger (1923), 238 Anm. 2; Zeller, Bd. 2, Teil 2, 870 Anm. 1.
28 Wir finden einen solchen kritikfreien Verweis auf Zeller noch einmal in einer
Fußnote bei Jaeger (1923), im 3. Kap. des 3. Teils „Meisterzeit.“ Bei der
Behandlung der Umbildung der Lehre vom ersten Beweger kommt er auf die
Schrift De motu animalium zu sprechen, in der Aristoteles nachweisen wolle, dass
die Vorstellung des außerweltlichen unbewegten Bewegers auch vom Stand-
punkt moderner Mechanik her die einzige denkbare Lösung sei. Dabei werde,
ich zitiere Zeller, „das Bewegte […] zwar von dem unbewegten Bewegenden
berührt, nicht aber dieses von jenem. Ist aber schon diess ein Widerspruch […]“
(Zeller, (1963), Bd. 2, Teil 2, 377). Auch Jaeger (1923), 382 Anm.1, nennt dies
mit Verweis auf Zeller „(d)iese widersprüchliche Vorstellung“, er fügt aber
einen Gedanken seiner Entwicklungskonzeption hinzu, der bei Zeller fehlte,
nämlich dass Aristoteles diese Vorstellung „später gefallen gelassen zu haben“
scheint.
29 Jaeger (1923), 257 – 270.
30 jah\peq diaiqo}leha ja· 1m to?r 1nyteqijo?r k|coir, 1218b 34 – 35.
31 Jaeger (1923), 259, zunächst Paraphrase des Beginns von EE 2.1 und ver-
wandter Passagen aus EN Buch 1 und Pol. 7.1, 1323 a 22.
32 Zeller (1880), 553 – 556: „3. Die aristotelische Politik.“ Jaeger hätte auch auf
Zeller (1963), Bd. 2, Teil 2, 119 Anm. 1, hinweisen können.
280 Eckart Schütrumpf

schrieben wird. Die Schwierigkeit für Zeller war in der Tat, dass er EE
als Werk eines Schülers des Aristoteles ansah, der nun auch exoterikoi
logoi verfasst haben soll. Die Originalität seiner eigenen Methode sieht
Jaeger darin, dass er für die Identifizierung des Menschen und das
Verhältnis der beiden Ethiken den Protreptikos als ein „unverrückbares
Kriterium […] der früharistotelischen Ethik […] in Betracht“ zieht.33
Im Übrigen meine ich aber ein Grundmuster in Jaegers Art und
Weise, in seinem Buch von 1923 auf Zellers Philosophie der Griechen zu
verweisen, festgestellt zu haben: wenn Zeller überhaupt in einem Ka-
pitel erwähnt wird, dann meistens gleich am Anfang, häufig nur in einer
Anmerkung, und jeweils nur einmal, um die alte „noch“ von Zeller
befolgte und die neue Methode, die Jaeger anwendet, zu kontrastieren.
Zellers Auffassungen werden als überholt und seine Vorgehensweise als
rückständig hingestellt.
Im ersten Kapitel, „Die Akademie beim Eintritt des Aristoteles“34,
schreibt Jaeger: den Sophistes, „wie de(n) dazugehörige(n) Politikos […]
wird heute niemand mehr als ,elementaren‘ Dialog an den Anfang der
Entwicklung Platons setzen, wie noch Zeller es tat.“ Jaeger beruft sich
dann auf die „grundlegenden Forschungen Campbells“ zur Datierung
des Politikos. Einmal ist typisch für Jaeger das Setzen einer Distanz
zwischen „heute“ und früher, als Zeller „noch“ bestimmte Auffassun-
gen vertrat, also „ein sich Absetzen“. Aber warum hat Jaeger Zeller
überhaupt erwähnt, denn nicht er hat die Frühdatierung des Sophistes
eingeführt, sie war schon von Schleiermacher und Karl Friedrich
Hermann35 begründet worden? Jaeger könnte Zeller vielleicht deswe-
gen erwähnt haben, weil dieser sich besonders, man darf vielleicht
sagen, hartnäckig dem Umdenken, das in der Folge der sprachstatisti-
schen Arbeiten einsetzte, entgegenstellte. In der 4. Auflage des Bandes
seiner Philosophiegeschichte, der Platon gewidmet ist,36 hatte Zeller
sich schon kurz ablehnend dazu geäußert. In seinen Besprechungen zur
Literatur zur antiken Philosophie, die Zeller seit dem 1. Jahrgang des
Archivs fðr Geschichte der Philosophie (1888) Jahr für Jahr lieferte, zum
letzten Male im 13. Band des Jahres 1900, als Zeller das 75. Lebensjahr
überschritten hatte, in diesen Bänden des „Archivs“ hat Zeller dann

33 Jaeger (1923), 241.


34 Jaeger (1923), 13 Anm. 1.
35 Hermann (1839).
36 Zeller (1888), Bd. 2, Teil 1, 512 – 516.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 281

wiederholt dazu Stellung genommen37 und sich38 von der Stichhaltig-


keit der Methode, wie sie damals angewandt wurde, wenig überzeugen
lassen. Insofern könnte man also die Nennung Zellers durch Jaeger
verstehen, wenn er nicht damit offene Türen einrennen würde. Denn
schon in Friedrich Ueberwegs Grundriß der Geschichte der Philosophie von
192039 steht, dass es der sprachstatistischen Methode gelang, „die seit
Schleiermacher herrschende, u. a. auch von K. Fr. Hermann und Zeller
vertretene Auffassung der Entwicklung von Platons Schriftstellerei zu
berichtigen.“40 Jaeger ist mit seiner auf Zeller zielenden Bemerkung
nicht sehr originell. Man fragt sich, warum er gerade nur ihn herausgriff,
obwohl er doch weder der erste war, der diese Auffassung begründete,
noch der einzige, der sie teilte. Es spricht viel dafür, dass Jaeger Zeller
deswegen herausgriff, weil die meisten an der Sache Interessierten, die
„Freunde der alten Philosophie“41, sich zuerst zu seiner Philosophie der
Griechen als Informationsquelle wandten, wodurch seine Auffassungen
eine solche Wirkung und ,Autorität‘ erhielten.
Wir beobachteten bei Jaeger die Verwendung der temporalen
Partikel „noch“ zur Kennzeichnung der Rückständigkeit von Zellers
Positionen. Das gleiche „noch“ findet sich auch im II. Teil des Jae-
gerschen Aristotelesbuchs, der dem Lebensabschnitt „Wanderjahre“
gewidmet ist, in dem Kapitel über Peri Philosophias. Dort lautet die
Überschrift über der Seite 157 Entwicklung der aristotelischen Himmels-
physik – den Entwicklungsgedanken hatte Jaeger auch auf diesen Be-
reich ausgedehnt. In einer Polemik wendet sich Jaeger zunächst gegen J.
Bernays,42 der im Dialog Peri Philosophias nicht die Grundgedanken der
aristotelischen Kosmologie finden wollte, sondern „volkstümlich an-
thropomorphisierende(.) Vergötterung der Himmelslichter.“ Jaeger
meint, „ein solches Fehlurteil (ist) nur zu einer Zeit erklärlich, wo man

37 Zeller, (1889), 676 ff.


38 Genauso wenig wie Natorp.
39 Ueberweg (1920), Erster Teil: Die Philosophie des Altertums, 232.
40 Vor dem Erscheinen von Jaeger (1923), im Anhang zu Zeller (1922), Bd. 2,
Teil 1, dem Band, der Platon enthält, schrieb E. Hoffmann, 1052: „Die Pla-
tonforschung des letzten Menschenalters ist in grundlegenden Fragen zu Er-
gebnissen gekommen, die denen Zellers entgegengesetzt sind. Chronologie der
Dialoge: Phaidros und Theaitetos gehören dem alten, nicht dem jungen Pla-
ton“.
41 Zeller (1859), Bd. 2, Teil 1, IV.
42 J. Bernays (1863), 104.
282 Eckart Schütrumpf

sich um Platons Gesetze und die Epinomis nicht genug kümmerte und
Zellers Athetese der Gesetze noch nachwirkte.“43
Zeller hatte in seiner Dissertation von183944 die Gesetze für unecht
erweisen wollen.45 Es ist erstaunlich, dass Jaeger einem so unabhängigen
Geist wie J. Bernays fast 25 Jahre nach Erscheinen der Dissertation eines
jungen Forschers anlastet, er habe sich noch nicht von Zellers Ergeb-
nissen freimachen können. Im Übrigen hat Zeller seine Auffassung dann
doch revidiert.
Bei seiner Behandlung der Gesetze in der 2. Auflage der Philosophie
der Griechen von 185946, also vier Jahre vor Bernays’ Studie zu den
Dialogen, erklärte er diese Schrift für echt,47 ihre Echtheit steht nicht
mehr in Frage.48 Plato habe, so Zeller, die Untersuchung des Ideal-
staates, die er mit dem Kritias begann, abgebrochen, um in den Gesetzen
die Mittel zu untersuchen, deren der Philosoph sich bei seiner Wirk-
samkeit „unter gegebenen Verhältnissen zu bedienen hätte.“49 Später
äußerte er sich zu dieser Frage im Archiv fðr Geschichte der Philosophie
(AGPh 2) 50 : die Gesetze seien nicht von Plato selbst herausgegeben; der
von Plato hinterlassene Entwurf dieses Werkes sei uns nicht unverändert
überliefert.
Im Kapitel über „Die Urpolitik“ sieht Jaeger in der Anspielung auf
die Ermordung König Philipps II von Makedonien im Jahre 336
v. Chr.51 die Bestätigung, „daß D – Z erst in der zweiten athenischen
Epoche geschrieben sind“52 und in der zugehörigen Fußnote verweist er

43 Jaeger (1923), 156 Anm. 2.– Zur Unechtheit der Epinomis, s. Zeller (1963),
Bd. 2, Teil 1, 483. Die Epinomis war in der Tat ein Forschungsinteresse Jaegers,
sein Schüler Fr. Müller verfasste darüber seine Dissertation: Müller (1928).
44 Zeller (1839).
45 Zeller (1839), 134: „Für uns ist sie (die Schrift Gesetze, E.S.) jedenfalls ihrem
ganzen Inhalte nach das Werk eines Andern (als Platon, E.S.).“ Vgl. in diesem
Band den Beitrag von D. Frede.
46 Zeller (1859), Bd.2, Teil 1, 615 – 641.
47 Zeller (1862), Bd. 2, Teil 1, 638 – 641.
48 Zeller (1889), 470 f. führt er als zusätzliches Argument an, dass die Bezeugung
durch Aristoteles die Echtheit der Gesetze bezeuge. Ebd. 461 benutzt Zeller die
Tatsache, dass der Politikos in den Gesetzen „unverkennbar berücksichtigt wird“, als
Argument für die Echtheit dieses Dialogs.
49 Zeller (1859), Bd. 2, Teil 1, 348; dann 619 ff.
50 Zeller (1889), 684.
51 Pol. 5. 10 1311b1 – 3.
52 Jaeger (1923), 279 mit Anm. 2.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 283

auf Zeller,53 der sich u. a. auf dieser Stelle der Politik für seinen Schluss,
dass „die uns erhaltenen Schriften […] alle dem zweiten athenischen
Aufenthalt anzugehören“ scheinen, berufen hatte. Jaeger wendet, m. E.
zu Recht, ein, dass die Frage vielmehr sei, „wie weit die aus ihr zu
ziehende chronologische Folgerung ausgedehnt werden darf.“ Er meint,
nur die Bücher D – Z seien „sicher dem letzten athenischen Aufenthalt
zuzuweisen.“ Jaeger verspricht, dass seine „weitere Untersuchung po-
sitiv erweisen“ werde, „daß das übrige früher entstanden ist.“ Der
Hinweis auf Zeller kennzeichnet eine Methode, die für Jaeger zu un-
differenziert ist, da sie ein Ganzes postuliert, das so nicht existierte.
Jaeger will seinerseits „untersuchen, wie weit sich alte und jüngere
Schichten noch scheiden lassen“54 und, wieder in einer Fußnote,55
bezieht er sich auf einen Gelehrten, der ihm darin vorausgegangen ist:
„der erste, der die Vermutung ausgesprochen hat, dass in der Politik
Schichten verschiedenen Alters übereinander gelagert sind, ist Wi-
lamowitz […], dessen historischer Scharfblick überhaupt zum ersten
Male den Menschen und Politiker Aristoteles in die Entwicklung des 4.
Jahrh. hineingestellt hat.“ Dies bezieht sich auf Wilamowitz’s Buch
Aristoteles und Athen. 56 In doppelter Hinsicht wird Wilamowitz die
bahnbrechende Rolle zugeschrieben, als erster eine Entwicklung verfolgt
zu haben, einmal ist dies die Entwicklung des Autors Aristoteles und
zweitens die des 4. Jahrhunderts, in dem nun der „Mensch und Poli-
tiker“ Aristoteles sichtbar wird. Als Folie, wohlgemerkt, diente Zeller,
der dies noch ignoriert hatte.
Man darf die Leistung, die Jaeger Wilamowitz zuerkennt, nicht zu
gering ansetzen. In seiner Vorrede zu seiner Aristotelesmonographie
von 1923, die den Titel „Das Problem“ trägt, macht Jaeger den Tra-
ditionalismus der Aristotelesdeutung für den Verlust der Dialoge und
Briefe verantwortlich, sodass auch „der Zugang zu seiner menschlichen
Persönlichkeit verschüttet“ wurde.57 Wilamowitz hatte dagegen den
„Menschen“ Aristoteles wieder zugänglich gemacht. Jaeger spricht dort
auch von dem Widerspruch, dass „über Platons Werdegang eine ganze
Literatur zusammengeschrieben ist, (während) von der Entwicklung des
Aristoteles kaum jemand redet und jedenfalls fast niemand etwas

53 Zeller (1963), Bd.2, Teil 2, 154 mit Anm. 4.


54 Jaeger (1923), 279.
55 Jaeger (1923), 279 Anm. 3.
56 Wilamowitz (1893).
57 Jaeger (1923), 3
284 Eckart Schütrumpf

weiß.“58 In seiner Deutung von Aristoteles’ Politik hat also Wilamowitz


die von Jaeger beschriebene seltsame Paradoxie der Forschung zur
griechischen Philosophie beseitigt.
Wilamowitz’s genetische Erklärung der ursprünglichen Stellung der
Bücher IV – VI bzw. VII/VIII, die bis dahin als philologisches Problem
der Buchordnung von Pol. behandelt war, fand früh Resonanz, und
Zeller blieb dies nicht verborgen. Er selber berichtet im AGPh 9
(1896) 59 von der genetischen Erklärung der Pol. durch Susemihl, wo-
nach die Bücher II, VII-VIII, vielleicht auch I, III vor Ath. Pol. 60 ge-
schrieben wurden. Mit der Ausnahme des Zeitansatzes für Buch I wird
das auch Jaeger 30 Jahre später so annehmen. Worin Jaeger sich aber
auch hier, wie schon bei der Deutung der EE, von den Vorgängern
unterscheidet, ist sein Rückgriff auf den Protreptikos. 61 Ich werde später
darauf zurückkommen, wieweit Jaegers Argumente stichhaltig sind und
ob wir hier Jaeger wissenschaftlichen Fortschritt verdanken.
Im Kapitel 7 von Jaegers Aristotelesbuch mit dem Titel „Entstehung
der spekulativen Physik und Kosmologie“ ist es wieder der Eingang der
Jaegerschen Untersuchung, der den Hinweis auf Zeller enthält, diesmal
nicht auf eine Fußnote beschränkt, sondern Zeller wird im Text er-
wähnt.62 Jaeger gibt zunächst zu, dass es bei den naturwissenschaftlichen
Arbeiten schwer sei, „der Entwicklung seiner (d. i. des Aristoteles,
Anmerkung E.S.) Anschauungen auf den Grund zu kommen“.63 Nun
gab es aber Versuche, eine Chronologie dieser Schriften zu entwickeln.
Diese beruhten darauf, dass man die Verweisungen auf etwas, was an-
derswo noch ausgeführt werden sollte oder schon gesagt ist, in eine

58 Jaeger (1923), 2.
59 Zeller (1896), 538. Vgl. auch ebd. 540 – 543. Zellers Rezension der Veröf-
fentlichung von Zahlfleisch, in der Zeller erwägt, dass „die unfertige Ab-
handlung über den besten Staat“ einfach angehängt wurde. Dies ist richtiger als
Jaegers Auffassung, wonach der Aufbau von Pol. „in dem Entwurf eines Ide-
alstaats […] gipfelt“ und alles sich diesem „krönenden Ziel zu(bewegt)“, (1923),
275 f. Nach EN X 10 1181b20 soll die Behandlung des besten Staates derje-
nigen der einzelnen Verfassungen vorausgehen. Jaeger paraphasiert Wilamowitz
(1893), Bd. 1, 64: „cyclus von vorträgen, der in dem entwurfe eines idealstaates
gipfeln sollte“, ohne seine Quelle zu nennen.
60 Zeller (1893), 404 versteht, dass Ath. Pol. „auch für die Würdigung des Ari-
stoteles als Schriftsteller und Forscher von unschätzbarem Werth ist, aber mit
seiner philosophischen Theorie nur in entfernterem Zusammenhang steht.“
61 Jaeger (1923), 273.
62 Jaeger (1923), 309.
63 Jaeger (1923), 308.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 285

chronologische Ordnung brachte. Jaeger sieht in diesen Verweisen je-


doch keine Angabe der Entstehungszeit, sondern „bestenfalls die von
Aristoteles selbst am Schluß seiner schriftstellerischen Tätigkeit beab-
sichtigte pädagogische und sachliche Folge“.64 In diesem Zusammen-
hang wird nur Zeller erwähnt, der auf diesen Verweisen „seine Hy-
pothese über die Reihenfolge der Abfassung aufbauen zu können
glaubte.“ Dann wird die ganze Richtung abgekanzelt: „Es liegt hier
eines jener eingewurzelten Missverständnisse vor, deren unausrottbarem
Einflusse es zu verdanken ist, dass man meist von vornherein auf die
genauere Untersuchung der Zeitfolge verzichten zu können glaubte“.65
Dies stelle eine Verwechslung des genetischen mit dem systematischen
proteron dar.66
Jaegers Wortwahl „unausrottbar“ ist grob, sie erweckt die Assozia-
tion an eine Seuche, deren man nicht Herr werden kann; der na-
mentlich genannte Träger dieser Seuche, die so viele infizierte, ist
Zeller. Dies scheint aber der unrichtige Moment für eine solche Sprache
zu sein, denn wenn in der Tat die Verweise „die von Aristoteles selbst
am Schluß seiner schriftstellerischen Tätigkeit beabsichtigte pädagogi-
sche und sachliche Folge“ verraten, dann haben wir doch damit das
aristotelische Zeugnis einer späteren, vielleicht letzten Überarbeitung
dieser Schriften, eben genau wie das Zeller sich vorgestellt hatte.
Dies ist nun allerdings der kritische Punkt der Differenz der Auf-
fassungen. Im Kapitel 12 von Jaegers Aristotelesbuch von 1923, über-
schrieben „Die Organisation der Forschung“, in dem Zeller gleich im
ersten Absatz zitiert wird, geht es um eben die These, die auch schon
Bernays vertreten hatte, nämlich dass die überlieferten Werke des Ari-
stoteles in seine letzte Lebensperiode gehören. Jaeger schreibt: „Die
geltende Ansicht läßt sich nicht kürzer formulieren als mit den Worten
des in diesen Fragen noch immer (Anmerkung E.S.) als Autorität geltenden
Ed. Zeller“67, es folgt das Zitat aus Zeller:
Wenn ferner richtig ist, was sich uns über die Bestimmung unserer ari-
stotelischen Werke für die Schule des Philosophen, über ihren Zusam-
menhang mit seinem Unterricht, über die Verweisungen späterer Schriften
auf frühere ergeben hat, so können alle diese Werke nur in Athen während
Aristoteles’ letzter Anwesenheit in dieser Stadt verfasst sein.68

64 Jaeger (1923), 309 – 310.


65 Jaeger (1923), 309.
66 Jaeger (1923), 310.
67 Jaeger (1923), 346
68 Jaeger zitiert Zeller (1963), Bd. 2, Teil 2, 155 f.
286 Eckart Schütrumpf

Wieder finden wir bei Jaeger das in diesem Zusammenhang übliche


„noch“. Aber während damit vorher die Rückständigkeit einer von
Zeller vertretenen Position gekennzeichnet wurde, ist es hier schlim-
mer: „Zeller gilt noch als Autorität“, die Gelehrten folgen weiterhin
einem falschen Propheten.69
Aber wenn nach Jaeger viele Querverweisungen schon den end-
gültigen Plan der didaktischen und sachlichen Anordnung der Werke
angeben, dann kann sich dies nur auf eine Überarbeitung durch Ari-
stoteles, wohl doch „am Schluß seiner schriftstellerischen Tätigkeit“,
wie Jaeger selbst schreibt, beziehen.70 Eine Überarbeitung kann ent-
weder tiefgreifend sein, dann bedeutet das, dass eventuell früher ver-
fasste Teile erheblich abgeändert wurden, und zwar so, dass Aristoteles
alles, was in die überarbeitete Schrift einging, als in sich schlüssig und
mit dem letzten Stand seiner Erkenntnisse in Einklang befindlich her-
stellte. In diesem Falle ist es müßig, frühe Teile abgrenzen zu wollen.
Oder die Überarbeitung beschränkte sich darauf, Texte, die zu ver-
schiedener Zeit entstanden sind, zusammenzufassen. Das könnte be-
deuten, dass damit auch Texte, die nach Jaeger früher entstanden sind,
eingegliedert wurden. Sie sind also nicht ausgeschieden worden, of-
fensichtlich aus dem Grunde, weil Aristoteles immer noch an den da-
mals erzielten Ergebnissen festhielt oder weil sie später gewonnenen
Kenntnissen nicht widersprachen. Dann hat es aber allenfalls nur bio-
graphisches Interesse zu wissen, dass irgendein Abschnitt früh, ein an-
derer spät verfasst wurde. Sobald man die Auffassung einer von Ari-
stoteles vorgenommenen Überarbeitung letzter Hand vertritt, wie dies
Jaeger mit seiner Erklärung der Verweise tut, verliert die Suche nach
frühen Teilen in seinem Werk weitgehend jeglichen Sinn. Die Vor-
stellung des Überlebens früher Vorstufen von Auffassungen, die Ari-
stoteles dann aufgab oder weiterentwickelte, ist mit der anderen Vor-
stellung einer nachweisbaren Überarbeitung unvereinbar.

69 Zitat Jaeger (1923), 156 Anm. 2 zum „Fehlurteil“ bei Bernays, das sich daraus
erklärt, dass „Zellers Athetese der Gesetze noch nachwirkte.“
70 Jaeger scheint sich dieses Problems bewusst gewesen zu sein, denn bei Pol. hält
er eine Überarbeitung des ganzen Werks für unwahrscheinlich und fährt fort:
„Wir müssen also untersuchen, wie weit sich alte und jüngere Schichten noch
scheiden lassen“, (1923), 279. Nur ein Werk, in das frühe Abschnitte ohne
Überarbeitung eingegliedert wurden, erlaubt eine solche genetische Analyse.
Ich glaube selber, dass in den 8 Büchern der Politik sich frühe und spätere
Bücher unterscheiden lassen, aber ich operiere nicht mit der Hypothese einer
Überarbeitung dieses Werkes.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 287

Oben wurde Jaegers Wortwahl „unausrottbar“ für eine von Zeller


vertretene Auffassung „grob“ genannt. Ich meine, insgesamt auf Jaegers
Seite eine gewisse Animosität gegen Zeller festzustellen, und dies wird
schon in seiner Arbeit zur Metaphysik von 1912 deutlich. Jaeger teilt
dort nicht eine von Zeller71 vorgetragene Deutung einer Passage bei
Dionysius von Halikarnass (Ad Amm. 6) und fügt hinzu: „Zeller hat
offenbar die Stelle nicht genau gelesen,“72 was nun doch recht schul-
meisterhaft klingt – abgesehen davon, dass man diese Bemerkung bis-
weilen gegen ihren Autor wenden kann. Jaeger nennt auch Zeller unter
den Gelehrten, die meinen, Aristoteles habe seine Metaphysik am „Le-
bensabend“ geschrieben, als seine „Seele sich aus der klaren Atmosphäre
der naturwissenschaftlichen Forschung in die mystische, doch etwas
greisenhafte Dämmerung des Metaphysischen erhob“, und fährt fort:
„Fehlen nur noch die Fledermäuse.“73
Weniger harmlos als solche jugendliche Respektlosigkeit ist die
Tatsache, dass Jaeger mit großer rhetorischer Gebärde etwas vorträgt, als
sei es seine eigene Entdeckung, wofür er auf Zeller hätte hinweisen
können oder müssen. Der Gegenstand ist insofern nicht ohne Bedeu-
tung, weil er die Aufmerksamkeit eines Platonforschers fand. Im An-
hang zur 5. Auflage der Zellerschen Philosophie der Griechen II 1 (1922),
dem Band, der Plato enthält, schrieb Ernst Hoffmann einen Beitrag
„Der gegenwärtige Stand der Platonforschung“ und zitierte dabei einen
längeren Abschnitt aus Jaegers Arbeit von 1912 wörtlich.74 Jaeger weist
darauf hin, dass Aristoteles Platos Politeia oder Nomoi zwar für pä-
dagogische oder sozialpolitische Gedanken zitiere, aber nie das Sympo-
sion oder die Politeia für die Ideenlehre. Dies hatte schon Zeller aus-
führlicher dargestellt und dabei schon ausgeführt, dass Aristoteles seine
Kenntnis der platonischen Lehre in erster Reihe der mündlichen Mit-
teilung und dem persönlichen Verkehr verdanke. Jaeger, der dies dann
wiederholt,75 hätte zum Ausdruck bringen sollen, dass schon Zeller das
Richtige gesehen hatte.

71 Zeller (1963), Bd. 2, Teil 2, 72 Anm. 2.


72 Jaeger (1912), 166 Anm. 3.
73 Jaeger (1912), 98 mit Anm. 1.
74 Hoffmann (1922), 1061 f.: Zitat aus Jaeger (1912), 140 f.
75 Zeller (1963), Bd. 2, Teil 1, 467 f.: „Für uns sind Plato’s Werke die einzige
oder die hauptsächlichste Quelle, aus der wir uns über das System ihres Ur-
hebers unterrichten können […] Anders verhält es sich mit Aristoteles. Er
verdankt seine Kenntniss der platonischen Lehre in erster Reihe der mündli-
chen Mittheilung und dem persönlichen Verkehr, erst in zweiter den Schriften
288 Eckart Schütrumpf

* *
*

Was nun die Methode der Betrachtung antiker philosophischer Texte


angeht, so hat Jaeger, wie schon bemerkt, in der Vorrede zum Aristo-
telesbuch von 1923, die den Titel „Das Problem“ trägt, von der „fast
unbegreiflichen Paradoxie […]“ gesprochen, dass „in einer Zeit, wo
über Platons Werdegang eine ganze Literatur zusammengeschrieben ist,
von der Entwicklung des Aristoteles kaum jemand redet und jedenfalls
fast niemand etwas weiß.“76 Der Grund liege darin, dass eine scholas-
tische Auffassung der aristotelischen „Philosophie als eines starren Be-
griffsschematismus“77 „schon der Antike den Weg zu einem lebendigen
Aristotelesverständnis versperrt hatte“.78 Der Verlust der Dialoge habe
auch den „Zugang zu seiner menschlichen Persönlichkeit verschüttet“79
– dies wieder freigelegt zu haben war die Leistung, die Jaeger Wi-
lamowitz zuschrieb. Wer nun Zellers Darstellung der aristotelischen
Philosophie liest, findet darin unbestritten mehr als nur den dürren
Abriss „eines starren Begriffsschematismus.“80 Zeller hat sich in dem

des Philosophen.“ Die Gegenstände, für die sich Aristoteles auf Platos Dialoge
bezieht, seien „die Naturerklärung und die Staatseinrichtungen […]; und daher
wohl die zahlreichen Anführungen der Republik, der Gesetze und des Ti-
mäus.“ Dagegen: „Von den vielen Stellen platonischer Schriften, denen wir
unsere Kenntnis der Ideenlehre entnehmen, führt Aristoteles nur eine einzige
an.“ Vgl. damit Jaeger (1912), 140 f.: „Wir vergessen mit Unrecht, daß es doch
stets bloßer Notbehelf bleibt, wenn wir aus Mangel an anderen Quellen etwa
über Platons Ideenlehre oder Zahlenlehre aus seinen Dialogen Auskunft
schöpfen. Aristoteles zitiert für des Meisters pädagogische oder sozialpolitische
Gedanken stets die Politeia und die Nomoi, aber es ist ihm nie eingefallen
(Einzelheiten ausgenommen), für die Ideenlehre und ihre Begründung sich auf
Politeia VI oder auf das Symposion zu berufen […] Platons Vorlesungen und
Diskussionen in der Akademie sind die Quellen des Aristoteles gewesen überall,
wo er über ihn redet.“ Jaeger übernimmt Zellers Argumente bis in Einzelheiten
der Formulierung, ohne diesen zu zitieren. Konnte Jaeger nicht zugeben, dass
Zeller Entscheidendes richtig gesehen hatte? Für einen anderen Fall, wo Jaeger
seine Quelle nicht nennt, s. o. Anm. 56.
76 Jaeger (1923), 2.
77 Jaeger (1923), 2.
78 Jaeger (1923), 3.
79 Jaeger (1923), 3.
80 Hoffmann (1922), 1051 zitiert eine Chrakerisierung von Zellers Gesamtwerk
der Philosophie der Griechen in ihrer Geschichtlichen Entwicklung durch Wilamowitz,
der als seine Leistung angab, „eine geistige Bewegung durch die Personen der
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 289

Beitrag mit dem Titel „Die Geschichte der Philosophie, ihre Ziele und
Wege“, mit dem er den 1. Band des neugegründeten Archiv fðr Ge-
schichte der Philosophie 1888 eröffnete,81 sicherlich zu den Prinzipien
geäußert, denen sich die neugegründete Zeitschrift verpflichten wollte.
Zugleich bietet dieser Aufsatz aber auch die Darstellung seiner eigenen
Vorstellung von den Aufgaben der Geschichte der Philosophie, nämlich
zu „berichten“ und zu „erklären“.82 Den Gegenstand der Geschichte
der Philosophie „bilden … im allgemeinen die Versuche, eine ein-
heitliche wissenschaftliche Ansicht über die Welt und über die Aufgabe
des Menschen zu gewinnen“.83 Diese müssten dann „in ihrer ge-
schichtlichen Entwicklung und ihrem geschichtlichen Zusammenhang
dargestellt werden“.84 Im Hinblick auf die Auffassungen der einzelnen
Philosophen genüge es nicht, einzelne Äußerungen zu vergleichen,
„sondern man muss die ganze Denkart und Vorstellungsweise eines
Philosophen in’s Auge fassen, sich in den Mittelpunkt seines Systems
versetzen, die Fäden, welche alles übrige mit diesem verknüpfen, ver-
folgen“.85 Die Vorstellung des Systems der Philosophie eines Denkers
tritt hier ins Zentrum,86 von einer „geschichtlichen Entwicklung“
spricht auch Zeller, aber hier nicht, sofern es das Werk eines einzelnen
Philosophen angeht, sondern um ein Verhältnis zwischen den Versu-
chen individueller Denker, eine Ansicht über die Welt und die Men-
schen zu bilden, anzugeben.
Wenn dies die Zellersche Position erschöpfen würde, dann ließe
sich gut verstehen, dass Jaeger und seine ersten Anhänger wie W.D.
Ross und E. Barker das Neue des Jaegerschen Ansatzes in der Über-

Träger hindurch zu verfolgen, also den geschichtlichen Zusammenhang neben


dem Herausarbeiten der einzelnen dogmatischen Systeme.“
81 Zeller (1888), 1 – 10. Bei Zitaten aus diesem Aufsatz ersetze ich den dort zur
Hervorhebung gewählten Sperrdruck durch Kursiv.
82 Zeller (1888), 1.
83 Zeller (1888), 3 – 4.
84 Zeller (1888), 4.
85 Zeller (1888), 4.
86 Ob Zeller mit der Formulierung von den „Fäden, welches alles übrige mit
diesem (System) verknüpfen“, auf die Kritik am zeitgenössischen Philoso-
phiebetrieb durch Mephistopheles in Goethes Faust antworten wollte, wonach
das Ergebnis der Analyse ist: „dann hat er die Teile in seiner Hand, fehlt leider !
nur das geistige Band“ sei dahingestellt (V. 1938 f.). Jedenfalls geht Zeller von
der Annahme eines Systems, das ein Philosoph entwickeln wollte, aus, und stellt
die einzelnen Äußerungen in den größeren Zusammenhang dieses Systems.
290 Eckart Schütrumpf

windung der Interpretation des Aristoteles im Sinne eines Systems


sahen.87
Im kurzen, eine Seite umfassenden „Vorwort“ zu seiner Aristote-
lesmonographie von 1923 spricht W. Jaeger mehrmals an, was er in
seiner Untersuchung nicht zu tun gedenkt: er „will nicht eine syste-
matische Darstellung“, nicht „einen Beitrag zur systematischen Philo-
sophie“ geben, und offensichtlich setzt er sich damit von einer Ziel-
setzung ab, wie sie sich seine Vorgänger gestellt hatten.88 Hat aber
Zeller, der das Einzelne auf das System beziehen und aus dem System
erklären wollte, damit wirklich eine Deutung des Entwicklungsganges
einzelner Philosophen ausgeschlossen? Keineswegs, denn in dem hier
besprochenen Beitrag erweitert er die Forderung der Einbeziehung in
das System darum, die Theorie eines Autors „in ihrer Entstehung (An-
merkung, E.S.) zu begreifen, die ursprüngliche Bedeutung ihrer ein-
zelnen Bestimmungen und ihr Zusammengehen zum Ganzen zu ver-
stehen.“ Er spricht davon, dass die Gedanken eines Philosophen „durch
seine geistige Eigenthümlichkeit, durch den Entwicklungsgang (Anmer-
kung, E.S.), den diese genommen hat […] bedingt sind“.89 Hier hat
schon Zeller später von Jaeger benutzte Termini wie „Entstehung“,
„Entwicklungsgang“ verwandt, sie sind Teil der Erforschung der anti-
ken Philosophie.90 Schon Zeller hatte somit ausgeführt, dass es Aspekte
der Deutung eines Philosophen gab, die über die Konstruktion eines
Systems hinausgehen können, nur hatte er eben eine gesunde Auffas-

87 W.D. Ross, in: OCD 1Oxford 1949, 95 – 96 (21970, 117) legt dar, dass bis vor
Kurzem („till recently“) Aristoteles’ Werk „has been treated as a closed system“,
ganz ähnlich wie zuvor E. Barker seinen Aufsatz (1931), 163, beginnt: „it
became important (…) to substitute the genetic Aristotle (…) for the systematic
Aristotle of the self-consistent corpus of doctrine“. Ross schrieb T. Case (Art.
„Aristotle“, in: Encyclopedia Britannica, 111910, Bd. 2, 501 – 22) und W. Jaeger
das Verdienst zu, gezeigt zu haben, „that there is a great deal more development
in his (i. e. Aristotle’s, E.S.) doctrine than has hitherto been recognized. As Prof.
Jaeger has shown, the general tendency is from Platonic otherworldliness to a
growing interest in the phenomena of the world around us“ (OCD 197; 2117).
88 Vgl. die Gegenüberstellung von Jaegers Fragestellung nach der „Entwicklung
der aristotelischen Lehre“ und der von anderen vorgenommenen Reduzierung
auf „das System“: (1923), 2.
89 Zeller (1888), 6 f.
90 Zeller (1963), Bd. 2, Teil 2, 59 Anm. 1 (auf S. 60) erklärt, dass gewisse Vor-
stellungen im Dialog Eudemos „ganz in Plato’s Sinn“ seien, und fährt fort:
„Selbständiger trat Arist. in den Büchern ðber die Philosophie der platonischen
Lehre genüber.“ Schon er hat also eine zunehmende Entfernung des frühen
Aristoteles von Plato erkannt.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 291

sung von den Schwierigkeiten, die sich einer Rekonstruktion der


Entstehung bzw. Entwicklung des Denkens eines Philosophen stellen.
Er bemerkt nämlich, dass wir
gerade bei der Frage, welche für uns das grösste Interesse hätte, der nach den
inneren Vorgängen und den Motiven, welche die Bildung eines Systems
bedingten, auf Lücken (stossen), welche durch Rückschlüsse aus dem
fertigen System nur ungenügend ausgefüllt werden können.91
Schließlich erhebt Zeller einen grundsätzlichen Einwand:
der biographisch-psychologische Pragmatismus (würde) doch immer nur
über die nächsten Entstehungsgründe der Systeme belehren; die entfern-
teren und allgemeineren dagegen blieben ununtersucht. Und doch ist es
nur ihre Erforschung, welche uns in den Stand setzt, die Geschichte der
Philosophen in eine Geschichte der Philosophie zu verwandeln.92
Bei der Bestimmung der Aufgabe, die der Geschichte der Philosophie
gestellt ist, bildet für Zeller die Darstellung eines Systems den Aus-
gangspunkt. Sie wird ergänzt um diejenige der Entwicklung des indi-
viduellen Philosophen. Auch diese steht im Dienste der Erklärung des
Systems. Hier unterscheidet Zeller zwei Annäherungsweisen, einmal die
Erklärung der „Entstehung der philosophischen Systeme aus ihrer
nächsten Quelle“, d. h. „die nächsten Entstehungsgründe der Systeme“
und zum Anderen „die entfernteren und allgemeineren“ Entstehungs-
gründe der Systeme.
Der Unterscheidung der Entstehungsgründe der Systeme liegt das
Kriterium des Grades der Universalität zugrunde, denn die entfernteren
Entstehungsgründe sind die „allgemeineren.“ Dabei findet Zeller im
„biographisch-psychologischen Pragmatismus“ eine Beschränkung, da
er „immer nur über die nächsten Entstehungsgründe der Systeme be-
lehren“ könnte, also nicht über das Individuelle zum Allgemeineren
hinausführt. Wenn man dies an Vorstellungen aus der klassischen Phi-
losophie beleuchten will, so kommt die aristotelische Gegenüberstellung
von Geschichtsschreibung und Dichtung aus Poetik Kap. 9 in den Sinn:
Danach berichtet Geschichtsschreibung, was sich bezogen auf einen
Einzelnen ereignet hat, Dichtung das Allgemeine, d. h. wie sich Dinge
nach Notwendigkeit oder Wahrscheinlichkeit ereignen könnten.93 Man

91 Zeller (1888), 7.
92 Zeller (1888), 7.
93 Aristoteles Poet. 9 1451a36–b11. Ähnlich Zeller, „Ueber Metaphysik als Er-
fahrungswissenschaft“, Archiv fðr systematische Philosophie 1 (1895), 6: „Handelt
es sich vollends nicht bloss, wie in der Geschichte, um die Kenntnis einmaliger
292 Eckart Schütrumpf

mag einwenden, dass hier Aristoteles Geschichtsschreibung als unphi-


losophisch verwirft, während doch Zeller gerade von der Geschichte der
Philosophie spricht. Aber dies ist unerheblich. Worauf es ankommt, ist
die Unterscheidung zwischen einer Darstellung, die auf ein Individuum
begrenzt ist, und einer allgemeineren, die sowohl bei Aristoteles94 wie
bei Zeller95 kausal ist.
Im „Vorwort“ zu seiner Monographie von 1923 stellt es Jaeger als
seine Absicht hin, „das Stück Geschichte des griechischen Geistes zu
erhellen, das der Name des Aristoteles bezeichnet.“ Hier ist „Ge-
schichte“ noch nicht die innere Entwicklung eines Philosophen, wie sie
der Titel dieses Werkes von 1923 angibt, sondern die Entwicklung „des
griechischen Geistes“, innerhalb deren Aristoteles ein „Stück“ ein-
nimmt. Aber die Methode, mit der Jaeger dieser Aufgabe gerecht
werden will, ist doch die, in Aristoteles’ Schriften „die verschütteten
Spuren seines inneren Werdegangs“ zu verfolgen. Er weist darauf hin,
dass der Leser „selbst Ergebnisse älterer Forschung vergeblich suchen“
werde, „soweit sie bloß belanglose Meinungs- oder Darstellungsände-
rungen betrafen: mit Entwicklung hat das alles nicht zu tun.“ Er gibt
damit zu, dass vor ihm únderungen in den aristotelischen Auffassungen
registriert wurden, aber dies sei belanglos, da dies sich nicht zu einer
Vorstellung von seiner Entwicklung zusammenfügte.
Auf dieses „Vorwort“ folgt eine Art Vorrede,96 die den Titel „Das
Problem“ trägt. Jaeger beginnt damit, Aristoteles als den ersten Denker
darzustellen, der mit seiner Philosophie zugleich „seine geschichtliche
Selbstauffassung begründet“ habe.97 Er konzediert, dass man in Aristo-
teles’ Sinne vorging, wenn man sein Werk aus den Voraussetzungen zu
deuten versuchte, auf die er ständig verweist. Sein besonderer Beitrag
zur Philosophie werde aber „nicht aus der Vorgeschichte, sondern
seiner eignen philosophischen Entwicklung klar.“ So betont er un-

Vorgänge, sondern um die Feststellung allgemeiner Gesetze, so fällt die Un-


entbehrlichkeit dieser Causalbegriffe noch unmittelbarer in’s Auge.“
94 Aristoteles 1451b8 f: „Das Allgemeine bedeutet (darzustellen), was für einem
Mann es nach Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit zukommt, was für
Dinge zu sagen oder zu tun“.
95 Zeller (1888), 8: „Unsere heutige Geschichtschreibung […] weiss, dass […] wir
daher das richtige Bild einer geschichtlichen Entwicklung, auf welchem Gebiet
es sei, nur durch Untersuchung des thatsächlichen Causalzusammenhangs […]
gewinnen können.“
96 Jaeger (1923), 1 – 5.
97 Jaeger (1923), 1.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 293

mittelbar danach, dass „das Schöpferische und Eigengesetzliche in den


großen Individuen“ nicht ignoriert werden dürfe. Er spricht bei Ari-
stoteles von den „Grundkräfte(n) seines Denkens“, „den bewegenden
Kräften aristotelischer Forschungsweise“.98 Ausdrücke wie „das
Schöpferische99 … in den großen Individuen“, „Kräfte“ erinnern in
gewisser Weise an den Geniekult etwa des Sturm und Drang – in der
Tat hält Jaeger der Tradition seit der Antike bis zur Scholastik vor, dass
sie außerstande war, „seine Philosophie als das Produkt seines beson-
deren Genies mit der geschichtlich gegebenen Problemlage seiner Zeit
zu begreifen“.100 Und auf Goethe bezieht sich Jaeger, wenn er im
Aristotelesbild der Tradition nur „die geprägte Form“ wiederfand, der
aber entging, wie diese sich lebend entwickelt hatte.101
Für die Vorstellung der Entwicklung verweist er auf die von Ari-
stoteles in Pol. 1.2 1252a24 f. beschriebene Methode, wonach man die
richtige Einsicht gewinnt, „wenn man die Dinge sich von ihren Ur-
sprüngen her entwickeln sieht,“ und er meint, dass es „zu den fast un-
begreiflichen Paradoxien, an denen die Geschichte der menschlichen
Erkenntnis reich ist, (gehört,) daß man das Prinzip der organischen
Entwicklung bis heute nicht auf seinen Urheber angewandt hat“.102
Man muss einwenden: warum sollte man das Prinzip der organischen
Entwicklung auf Aristoteles anwenden, da dieser selbst das nicht im
Falle von „Individuen“ getan hat – oder wenigstens nicht in der von
Jaeger vorgestellten Weise. Formung und Ausbildung der Eigenart eines
Menschen sind für Aristoteles nicht allein durch die natürlichen Anla-
gen, sondern ganz wesentlich von Erziehung geprägt, welche Gewöh-
nung unter dem Einfluss anderer ist und u. U. sogar gegen die Natur-
anlage einwirkt (Pol. 7.13 1332a42 f.). Jaegers Vorstellung ist anachro-
nistisch. Die „organische Entwicklung“ in Pol. 1. 2 wird für Gemein-
schaften, nicht Individuen aufgezeigt, und selbst bei Gemeinschaften ist
sie keine völlig „natürliche“ Entwicklung, denn es bedurfte eines
Mannes, damit das späteste Stadium, die polis, zustandegebracht wurde.
Davon abgesehen scheint Jaeger selber nicht völlig von der organischen
Entwicklung des aristotelischen Denkens überzeugt zu sein, denn für

98 Jaeger (1923), 2.
99 Die Vorstellung war auch Zeller nicht fremd, wenn er (1888), 5 „bei reichen
und schöpferischen Geistern“ die Möglichkeit sah, Gedanken zu entwickeln,
die sich nicht in jeder Beziehung in das philosophische System einfügen.
100 Jaeger (1923), 3.
101 Jaeger (1923), 3, das wörtliche Zitat ebd. S. 2.
102 Jaeger (1923), 2.
294 Eckart Schütrumpf

Pol. behauptet er, dass „die letzte Erweiterung (scil. der politischen
Theorie, Anmerkung E.S.) nicht organisch aus der älteren Politik her-
vorwächst“.103
Jaeger charakterisiert Aristoteles’ philosophische Methode durch die
Vereinigung von eigentlich Gegensätzlichem, das „eigenartige(.) Zu-
sammenspiel bohrender, abstrakter Apodiktik und anschaulichen, or-
ganischen Formensinns“104oder: „Der Spiritualismus des Aristoteles ist
mit Anschauung und Realität gesättigt“.105 So ist der bald einsetzende
Niedergang im Verständnis der Philosophie des Aristoteles eben „in der
Loslösung der im engeren Sinne philosophischen Teile der aristoteli-
schen Lehre, der Logik und Metaphysik, von der empirischen Wirk-
lichkeitsforschung“106 begründet. Entsprechend fehle dem Traditiona-
lismus der Aristoteleserklärung, die von Andronikos von Rhodos aus-
ging, „jene fruchtbare Wechselwirkung von Erfahrung und Begriffs-
bildung, aus der die spekulativen Ideen des Aristoteles ihre Geschmei-
digkeit und biegsame Kraft sogen“.107 Dieser Traditionalismus ist dann
auch für den Verlust der Dialoge und Briefe des Aristoteles verant-
wortlich, sodass auch „der Zugang zu seiner menschlichen Persön-
lichkeit verschüttet“ wurde.108
Der Humanismus hat nach Jaeger keine Neubelebung des Interesses
an Aristoteles gebracht. Jaeger erlaubt sich hier ein gesuchtes rhetori-
sches Paradox, wenn er über diese Epoche schreibt: „Von allen großen
Menschen der antiken Philosophie und Literatur hat Aristoteles allein

103 Jaeger (1923), 282.


104 Jaeger (1923), 2 f. Ich muss gestehen, dass mir nicht klar ist, was ‘organischer
Formensinn’ ist. Meint Jaeger „Sinn für organische Formen“? Nach S. 283
„waltet“ in den mittleren Büchern von Pol. „biologischer Formensinn“ – das
könnte von der Biologie beeinflusster Sinn für Formen sein, „feeling for bio-
logical form“ ist die Übersetzung von R. Robinson, Aristotle. Fundamentals of
the history of his development, translated. Oxford 1934 (21962), 270. Jaegers
Ausdrucksweise ist häufig eher vage. Was ist die „Geschmeidigkeit und bieg-
same Kraft“, die „die spekulativen Ideen des Aristoteles“ aus der „fruchtbare(n)
Wechselwirkung von Erfahrung und Begriffsbildung […] sogen“ Jaeger (1923),
3? Was ist „der Gedanke in seiner plastischen Kraft“, der mehr zum Stil lite-
rarischer Werke als Vorlesungen passen soll (S. 265)? Bei näherem Hinsehen
verbirgt sich unter solchen impressionistischen Formulierungen wenig Sub-
stanz.
105 Jaeger (1923), 3, vgl. o. über Wilamowitz’ Verdienst, diese verschüttete Per-
sönlichkeit wieder freigelegt zu haben.
106 Jaeger (1923), 3.
107 Jaeger (1923), 3.
108 Jaeger (1923), 3.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 295

keine Renaissance erlebt“.109 Zwar kann Jaeger nicht umhin, den


Einfluss aristotelischer Metaphysik, Politik, Poetik, Logik und Ethik in
der frühen Neuzeit anzuerkennen und mit illustren Denkern wie
Macchiavelli oder Kant in Verbindung zu bringen, aber er tut das dann
doch damit ab, dass dies eben doch nur „ein Stück Tradition“ geblieben
sei.110 Den Humanisten wird dann weiterhin zur Last gelegt, dass sie die
Vorstellungen der antiken Kunstprosa bei der Beurteilung antiker Li-
teratur wieder eingeführt hätten und damit zu verantworten haben, dass
neuzeitliche Philologen aufgrund des Stilideals der hellenistischen
Rhetorik Anstoß an dem „unfertigen Zustand“ der Lehrschriften ge-
nommen haben. Durch die vielfältigen philologischen Eingriffe in den
Text habe man die aristotelischen Abhandlungen „zu lesbaren Hand-
büchern umzugestalten“ versucht und man habe dies getan, weil man
die „für den Geist der aristotelischen Philosophie so bezeichnende(.)
provisorische(.) Form verkannt“ habe.111 Es ist offensichtlich allein
schon das moderne Vorurteil hinsichtlich der stilistischen Gestaltung,
das dem Verständnis der philosophischen Entwicklung des Aristoteles
im Wege stand, denn Jaeger formuliert tatsächlich: „Streifen wir den
engen literarischen Formbegriff der hellenistischen Rhetorik ab, […] so
stellt sich die entwicklungsgeschichtliche Frage von selbst ein.“112 Die
Erklärung des charakteristischen Zustandes des aristotelischen Nachlas-
ses komme ohne die „Annahme, daß er die Spuren verschiedener
Phasen des Werdens an sich trägt“113, nicht aus.
Auf ganz wenig Raum wird hier von Jaeger das Nachleben des
Aristoteles und das Verständnis seiner Schriften vom Hellenismus bis zu
dem Zeitpunkt überblickt, da Jaeger selber offensichtlich als erster in
den 2200 Jahren der Beschäftigung mit Aristoteles eine Deutung un-
terbreitet, die dessen Denken und der dahinter stehenden treibenden
Kraft gerecht wird. Es gibt nach Jaegers Darstellung in diesen voraus-
gehenden 2200 Jahren keinen einzigen Lichtblick eines auch nur an-
näherungsweisen Verständnisses aristotelischer Philosophie. Bei dieser
gedrängten Darstellung musste von ihm notwendigerweise vieles ver-
einfacht oder ausgelassen werden. Vom Inhalt her sieht Jaeger bei den

109 Jaeger (1923), 4.


110 Jaeger (1923), 4.
111 Jaeger (1923), 4.
112 Jaeger (1923), 5, vgl. 277 bei Pol.: „wir dürfen hier nicht literarische Maßstäbe
anlegen. „
113 Jaeger (1923), 5.
296 Eckart Schütrumpf

früheren Deutern des Aristoteles einen einzigen Zug, nämlich eine


Einseitigkeit, die die Wechselwirkung von Erfahrung und abstrakter
Begriffsbildung aufbricht und stattdessen in begrifflichem Schematismus
erstarrt. Daneben ist für Jaeger die literarische Form von besonderer
Bedeutung. Hier habe das Stilideal des Hellenismus, das im Humanis-
mus wiederbelebt wurde, den Zugang zur spezifischen Form der phi-
losophischen Schriftstellerei des Aristoteles und den Bedingungen, die
sie hervorbrachten, versperrt.
Niemand wird diesem allen zustimmen können. Jaegers Auffassung,
dass die Renaissance nicht auch zur Neubelebung der Bemühungen um
ein besseres Verständnis von Aristoteles führte, wird heute auch nicht
mehr geteilt, im Gegenteil J. Hankins schrieb, die Renaissance „might
with perfect justice be styled […] an Age of Aristotle,“114 und er hebt
hier Leonoardo Bruni als „the first and in some ways the most charac-
teristic member of this tradition of humanistic Aristotelianism“115 her-
aus. Gerade Brunis Werk zeigt, wie Unrecht Jaeger bei der Beurteilung
der literarischen Qualität der aristotelischen Werke durch die Gelehrten
des Humanismus hatte. Bruni rechtfertigte in den Vorreden zu seiner
Übersetzung der EN 116 und in seiner Schrift De interpretatione recta 117
seine Neuübersetzungen der aristotelischen EN und Pol. gerade damit,
dass der frühere mittelalterliche Übersetzer ihre rhetorische Qualität, die
Bruni an Beispielen aufzeigt, nicht nur verkannte, sondern auch nicht
zum Ausdruck bringen konnte. Aristoteles’ Schriften wurden nicht in
toto als denjenigen Platos unterlegen angesehen, im Gegenteil, we-
nigstens Bruni stellt sie wegen ihrer stilistischen Kunst gleichwertig
neben die Platos. Und dass die „provisorische Form“ tatsächlich „für
den Geist der aristotelischen Philosophie so bezeichnend“ ist, scheint
mir eher fragwürdig. Es ist schwer vorstellbar, nachdem man z. B. die
EN gelesen hat, dass es tatsächlich dem „Geist“ von Aristoteles‘ Phi-
losophieren entsprochen haben soll, unvollständige Darstellungen,
mehrfache Behandlungen des gleichen Problems u. a.m. zu hinterlassen.
Pragmatischer hat sicherlich E. Barker die Tatsache erklärt, dass Ari-
stoteles die drei in Pol. enthaltenen Politikkonzeptionen nicht in einem

114 Hankins (1987), 260.


115 Hankins (1987), 260.
116 S. H. Baron, Leonardo Bruni Aretino. Humanistisch-Philosophische Schriften, mit
einer Chronologie seiner Werke und Briefe. Hg. und erläutert, Leipzig 1928, 75 – 81.
Einer dieser Texte ist übersetzt in: Griffiths u. a. (1987), 213 – 217.
117 Leonardo Bruni, De interpretatione recta, in: P. Viti, Opere Letterarie e politiche di
Leonardo Bruni, Torino 1996, 150 – 193.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 297

überarbeiten Werk auf ein einzige zurückführte: „It is difficult to see


how he could have done so during these twelve brief years of multi-
farious activity, occupied as they were with many other branches of
study besides the political“118 – also Überlastung statt ,Geist‘ der Phi-
losophie.
Einer der ständig wiederkehrender Gedanken zur Erklärung der
Besonderheit, die die Philosophie des Aristoteles annahm, ist bei Jaeger
die Auffassung, dass sie sich „nicht aus der Vorgeschichte, sondern erst
aus seiner eignen philosophischen Entwicklung klar“ verstehen lasse.119
Streng genommen müsste man diesen Gegensatz so verstehen, als wollte
Jaeger damit einen Einfluss der „Vorgeschichte“ überhaupt leugnen,
aber er nimmt die Gegenüberstellung zurück, wenn er auf die aristo-
telische Sicht der Stellung Platos in der Geschichte der griechischen
Philosophie verweist und diese „als das Produkt der Begegnung seiner
schöpferischen Originalität mit jenen geschichtlichen Einflüssen“ be-
schreibt.120 Die spezifische Ausformung der Theorien eines Philosophen
erklärt sich also aus der Weise, wie er als schöpferischer Denker auf das
Denken seiner Vorgänger antwortete.
Nun meine ich, dass sich genau diese Vorstellung schon bei Zeller
findet, sogar ausführlicher. In einem einzigen, drei Seiten umfassenden
Paragraphen,121 in dem er „die nächsten Entstehungsgründe“ von den
„entfernteren und allgemeineren“ unterschied122 – es sind diese, die es
erlauben, „die Geschichte der Philosophen in eine Geschichte der Phi-
losophie zu verwandeln“ – reflektiert Zeller über die Vorstellung von
einer Geschichte der Philosophie. Die von einzelnen Philosophen
entwickelten Vorstellungen fügten sich zu einer geschichtlichen Einheit
zusammen, in der das Frühere das Spätere bedinge. Zeller setzt sich hier
mit Hegel auseinander, für den der Zusammenhang der geschichtlichen
Erscheinungen ein rein logischer war. Die Geschichte der Philosophie
ist nach Zeller aber nicht dialektisch oder teleologisch zu konstruieren.
„Die Persönlichkeit der Philosophen, die Einwirkung der früheren

118 Barker (1931), 167, vgl. 172: „He had too many interests, and too little time,
for that great effort“ (scil. Pol. zu überarbeiten, sodass es ein in sich einheitliches
Werk wurde).
119 Jaeger (1923), 1.
120 Jaeger (1923), 1, vgl. die Kritik, dass man nicht imstande war, „seine Philo-
sophie als das Produkt seines besonderen Genies mit der geschichtlich gege-
benen Problemlage seiner Zeit zu begreifen“ (S. 3).
121 Zeller (1888), 6 – 9.
122 Zeller (1888), 7.
298 Eckart Schütrumpf

Systeme auf die späteren, der Einfluss der allgemeinen politischen und
Kulturzustände vereinigen sich, um ihren Verlauf zu bestimmen.“123
Dem hätte Jaeger eigentlich zustimmen müssen. Zeller drückt sich zwar
reservierter, nüchterner und weniger enkomiastisch aus, wenn er nicht
von dem „besonderen Genie“ spricht, sondern nur der „Persönlichkeit
des Philosophen“, aber das macht Sinn, da er ja die Geschichte der
Philosophie charakterisieren will und nicht eine einzige besonders
herausragende Gestalt in ihr.
Wie Zellers Kritik an Hegel zeigt, ist für ihn „die Einwirkung der
früheren Systeme auf die späteren“ nicht logisch oder dialektisch de-
terminiert, da diese Theorie die „Persönlichkeit des Philosophen“
ignoriert – unter den vielen Bedingungen, die die Entwicklung der
Philosophie erklären, ist diese an erster Stelle genannt. Es erweist sich,
dass dieser Exkurs, in dem Zeller für die Geschichte der Philosophie die
Hegelsche Konzeption von Geschichte zurückweist, dazu dient, Zellers
Ausgangsposition zu bestätigen. Dort bezog er sich auf den geschicht-
lichen Zusammenhang der Lehren und Systeme der Philosophen, also
den Aspekt der Hegelschen Theorie, den Zeller später ansprechen wird.
Er beginnt mit der Feststellung: „Eine wissenschaftliche Theorie ist
zunächst das Werk dieses bestimmten Individuums,“ das wiederum
seine bestimmte „geistige Eigenthümlichkeit“124 besitzt. Es hätte nun
eine Vielzahl von Möglichkeiten gegeben, die spezifische Ausbildung
der Lehre eines bestimmten Philosophen zu erklären. Es ist bezeich-
nend, dass Zeller den Aspekt der „Entstehung“ wählt. Und um diese zu
begreifen, „müssen wir uns, so weit dies möglich ist, davon Rechen-
schaft geben, in welcher Art, welcher Reihenfolge, welchem Zusam-
menhang sich ihrem Urheber die Gedanken gebildet haben“. Die
„Reihenfolge“ ist nichts anderes als der „Entwicklungsgang“ des
Denkers, ergänzt um „die Erfahrungen, die er gemacht, die Kenntnisse,
die er sich erworben, die Anregungen und Belehrungen, die er von
andern empfangen hat.“125 Zeller hätte auch sagen können, dass die
bestimmte Lehre eines Philosophen „das Produkt der Begegnung einer
schöpferischen Originalität mit jenen geschichtlichen Einflüssen“ sei,
wie das dann die Formulierung Jaegers zu Beginn seiner Bemerkungen
unter „Das Problem“126 sein wird.

123 Zeller (1888), 9.


124 Zeller (1888), 6.
125 Zeller (1888), 6 – 7.
126 Jaeger (1923), 1.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 299

Wenn Zeller hier die „Erfahrungen“ nannte, die ein Denker ge-
macht hat, die „Anregungen […], die er von anderen empfangen hat“
oder den „Einfluss der allgemeinen politischen und Kulturzustände“127,
so sind dies die Gesichtspunkte, die Jaeger an Wilamowitzens Aristoteles
Buch rühmt und die er selber untersucht. So soll nach Jaeger Aristoteles
am Hofe des Hermias von Atarneus in der politischen Theorie auf die
Wirklichkeit der Probleme der Staatsregierung gestoßen worden sein:
So spiegelt sich die Lokalatmosphäre von Atarneus im alten Idealstaats-
entwurfe […] Wir glauben hier noch seine Gespräche mit Hermias zu
hören, der den aller Wirklichkeit offnen Blick des Platonikers von den
Idealen auf die Tatsachen hinlenkte.128
Solche Argumente fanden gleich nach dem Erscheinen von Jaegers
Buch starken Nachhall, etwa bei Sir Ernest Barker, der die verschie-
denen Stadien der politischen Theorie des Aristoteles als eine Antwort
auf die verschiedenen historischen und biographischen Umstände, unter
denen Aristoteles lebte, und die Anregungen, die er erhielt, zurück-
führte. Auch Barker spekulierte über den Einfluss von Hermias auf
Aristoteles’ politische Theorie. So könnten die Unterhaltungen mit dem
früheren Sklaven Hermias Aristoteles’ Interesse an Sklaverei geweckt
haben.129 Umgekehrt vermisste Barker, der zu dieser Zeit ein gläubiger
Schüler von Jaegers genetischem Ansatz war, in von Arnims Analyse
von Aristoteles’ Pol. 130 einen „account of the facts of Aristotle’s life and
the environment of his mental growth.“131
Da Jaeger seine Darstellung der Entwicklung des Aristoteles als
Gegenstück zu den Darstellungen der geistigen Entwicklung Platons
verstehen wollte, ist es kein Zufall, dass die Kategorien seiner Be-
trachtung schon in den Bemühungen um die Erklärung der Entwick-
lung Platons vorgegeben sind. Zeller selber hatte Schleiermachers Er-
klärung der Reihenfolge der platonischen Schriften mit derjenigen K.
Fr. Hermanns kontrastiert. Ihre Abfolge erkläre sich nicht aus pädago-
gischer Absicht, sondern „in der eigenen geistigen Verfassung ihres

127 Zeller (1888), 9.


128 Jaeger (1923), 304 f.
129 Barker (1931), 166.
130 von Arnim (1924).
131 Barker (1931), 171. Er fügt dort eine persönliche Bemerkung hinzu: „The
ground of the argument of this (i. e. Barkers) paper is a regard for those facts and
that environment. Herein it follows the argument of Jaeger, which is based on a
similar regard“ (171), weiteres s. Schütrumpf (2006), 286 – 301.
300 Eckart Schütrumpf

Urhebers; sie ist […] eine unmittelbare Folge von Plato’s Selbstent-
wicklung.“132 Neben der „Selbstentwicklung“ hatte Hermann auch
ußere Einflüsse wie den Tod des Sokrates, Platos Aufenthalt in Megara,
die Reisen nach Sizilien und die Rückkehr nach Athen für die unter-
schiedlichen Stadien seiner schriftstellerischen Tätigkeit verantwortlich
machen wollen. Zeller ist allerdings kritisch gegenüber Einzelheiten und
nennt eine der Annahmen Hermanns „eine merkwürdige Einwirkung
der äußeren Umgebung auf einen Geist, wie Plato.“133
Die Subjektivität solcher Annahmen erklärt wohl auch, dass Zeller,
der doch selber schon die Vorstellung ausgesprochen hat, dass der
Philosophiehistoriker nicht nur die Entwicklung des Denkens des
Philosophen, den er untersucht, sondern auch die äußeren Bedingun-
gen, die ihn prägten, darstellen soll, dann Aristoteles nicht so behandelt,
wie es Jaeger später tun wird. Einmal verweist Zeller auf die Schwie-
rigkeiten, die allein schon die Überlieferungslage und der Informati-
onsstand einer solchen Betrachtung entgegenstellen. Man könne nur
verhältnissmässig selten „die Entstehung der philosophischen Systeme
aus ihrer nächsten Quelle […] erklären […] weil wir in den meisten
Fallen über die Persönlichkeit und den Entwicklungsgang der Philo-
sophen zu unvollkommen unterrichtet sind.“134 „Persönlichkeit“ und
„Entwicklungsgang“ sind die Schlüsselbegriffe des Interesses von Jaeger,
und er bezog sich mit beidem auf den großen Wilamowitz, der dem
schon bei seiner Erforschung des Aristoteles Aufmerksamkeit geschenkt
habe. Aber Zeller beließ es nicht bei allgemeinen Begriffen wie „Per-
sönlichkeit“, sondern führt im Einzelnen aus, welche Schwierigkeiten
sich stellen, nämlich dass wir
gerade bei der Frage, welche für uns das grösste Interesse hätte, der nach den
inneren Vorgängen und den Motiven, welche die Bildung eines Systems
bedingten, auf Lücken (stossen), welche durch Rückschlüsse aus dem
fertigen System nur ungenügend ausgefüllt werden können.135
Zeller führt dies schon in 1888 im Einzelnen für Plato aus.136 In der Tat,
konnte Jaeger nur über Gründe spekulieren, die Aristoteles zur Ände-
rung seiner Auffassung geführt haben könnten, Aristoteles selber hat
diese Gründe ja nicht genannt.

132 Zeller (1963), Bd. 2 Teil1, 500.


133 Zeller (1963), Bd. 2 Teil 1, 501 Anm. 1.
134 Zeller (1888) 7.
135 Zeller (1888), 7.
136 Zeller (1888), Bd. 2 Teil1, 488 ff., vgl. 493.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 301

Es wäre unrichtig anzunehmen, dass Zeller nur wegen der unge-


nügenden Kenntnisse, die über die persönlichen Beweggründe eines
Philosophen für die Formulierung oder Entwicklung seines Denkens
zur Verfügung stehen, diese „biographisch-psychologischen Untersu-
chungen“ aufgegeben hat, vielmehr gibt es grundsätzliche Einwände
gegen eine solche Vorgehensweise und diese bestehen darin, dass dabei
„die entfernteren und allgemeineren“ Entstehungsgründe des Systems
„ununtersucht“137 blieben. „Und doch ist es nur ihre Erforschung,
welche uns in den Stand setzt, die Geschichte der „Philosophen“ in eine
Geschichte der Philosophie zu verwandeln“.138 Auf den Gegensatz von
nächsten und entfernteren, d. h. allgemeineren Entstehungsgründen
wurde schon früher verwiesen. Die allgemeineren Gründe beziehen
sich offensichtlich auf die Stellung eines Philosophen zur Lehre von
Vorgängern und Zeitgenossen. Dies ist der größere Zusammenhang, in
dem Zeller das Denken des Einzelnen sehen und darstellen will, dies ist
die „geschichtliche Einheit“139, die wegen ihres höheren Grades von
Universalität über „die Geschichte der Philosophen“ hinausgeht, um eine
„Geschichte der Philosophie“ zu werden.
Ich fragte eingangs, ob nicht verglichen mit „Geschichte des
Alexanderreiches“ Jaegers Titel der Monographie von 1923, in dem
„Geschichte“ auf den individuellen Werdegang eines Philosophen be-
zogen wird, vielleicht etwas hochgegriffen oder zu dramatisch ist. Es
zeigt sich jetzt, dass Zeller schon die Möglichkeit der Darstellung einer
Geschichte eines Philosophen vorausgesehen bzw. vorweggenommen
hatte, und zwar in eben dem Zusammenhang der Erforschung der
Entstehung des philosophischen Werkes eines bestimmten Denkers,
aber er stellte den Wert einer solchen Betrachtung in Frage. Es wi-
dersprach seiner Auffassung von der „geistige(n) Eigenthümlichkeit“140
eines Philosophen, dass sein Denken in verschiedene unterschiedliche
Stadien aufgelöst werden könne. Selbst wo er von der Theorie eines
Philosophen in ihrer Entstehung spricht, lässt Zeller anders als Jaeger
nicht unterschiedliche Vorstellungen sozusagen als Fossile ihrer Ent-
stehung stehen, sondern Zeller sieht sie von Anfang an unter dem

137 Zeller (1888), 7. Es sei bemerkt, dass in J. Grimm – W. Grimm, Deutsches


Wçrterbuch, 11. Bd., 3. Abt., nur „ununtersuchend“ mit dem Zusatz: „unüb-
lich“ (der einzige Verweis stammt aus Lavater), aber nicht „ununtersucht“
zitiert wird. Ist dies von Arist. EN 10.10 1181b13 !meqe¼mgtor inspiriert?
138 Zeller (1888), 6.
139 Zeller (1888), 7.
140 Zeller (1888), 6.
302 Eckart Schütrumpf

Gesichtspunkt, wie sie schließlich im System des Philosophen „ver-


knüpft wurden.“141 Dem Titel dieses Beitrages Eduard Zeller und Werner
Jaegers Aristoteles kann man durchaus auch die Pointe abgewinnen, dass
schon Zeller die Fragestellung Jaegers bekannt war und dass er sich zu
einem Unternehmen, wie es Jaeger vorlegen wird, kritisch geäußert
hatte, und dies, abgesehen von der Unzulänglichkeit unserer Kennt-
nisse, auch deswegen, weil er in ihm einen allenfalls beschränkten Wert
sah. Umgekehrt gilt dagegen, dass Jaeger sich keinem der methodischen
Bedenken, die Zeller aufwirft, stellt.
Welchen wissenschaftlichen Fortschritt verdanken wir hier Jaeger?
Ich möchte das nur an einem Beispiel verdeutlichen. Bei seiner Be-
handlung der Pol. möchte er „den Grad der stetig wachsenden Ent-
fernung von seinem Ausgangspunkte“, d.i. Plato, in der Weise messsen,
dass er die erhaltenen Reste der Frühschriften, hier des Protreptikos, als
Kriterium benutzt.142 Pol. Buch II, in dem Aristoteles sehr detailliert die
Schwächen u. a. der spartanischen und kretischen Verfassung bloßlegt,
ein Buch, das bei Jaeger „Einleitung […] zu einem Idealstaat nach
Platons Vorbild“143 und damit Teil der sog. „Urpolitik“ ist, wurde für
ihn in der jetzigen Form, „nicht lange nach 345 niedergeschrieben“,144
aber es sei „dem Kern nach […] älter, denn der Protreptikos lehnt die
Anerkennung Kretas, Spartas „oder anderer dieser Art“ als mustergül-
tiger Gesetzgebungen bereits in der gleichen Weise [Anmerkung E.S.] ab.“
Das ist nun völlig falsch, oder mit den Worten des jungen Jaeger: „er
hat offensichtlich die Stelle nicht genau gelesen.“145 Der Protreptikos
weist eine Methode von Gesetzgebung zurück, bei der man sich an
menschlichen Verfassungen wie denen Spartas und Kretas orientiert anstatt
an dem, was kalon, gçttlich oder seiner Natur nach nicht beständig ist.146
Das ist eine Kritik am Vorgehen der zeitgenössischen Gesetzgeber, die
sich nicht das richtige Vorbild setzen, keineswegs eine Kritik an den
Verfassungen Spartas und Kretas. Man kann ja auch dem guten Lykurg

141 Zeller (1888), 6.


142 Jaeger (1923), 273.
143 Jaeger (1923), 280.
144 Jaeger (1923), 300.
145 Jaeger (1912), 166 Anm. 3.
146 Protr. B 39 Düring blo_yr Usyr j#m eU tir C m|lour t_hetai p|kesim C pq\ttei
pq\neir !pobk]pym ja· lilo}lemor pq¹r 2t]qar pq\neir C pokite_ar !mhqyp_mar
Kajedailom_ym C Jqgt_m E timym %kkym toio}tym, oqj !cah¹r moloh]tgr oqd³
spouda?or· oq c±q 1md]wetai lµ jakoO l_lgla jak¹m eWmai, lgd³ he_ou ja·
beba_ou tµm v}sim !h\matom ja· b]baiom.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 303

keinen Strick daraus drehen, dass die Verfassung, die er entwarf,


menschlich war und ohne seine Zustimmung von späteren Gesetzge-
bern als Vorbild für ihre Verfassungsgebung gewählt wurde.147 Insofern
sie jedoch als das Vorbild, das man bei Gesetzgebung nachahmte, be-
nutzt wird, gibt das eher zu erkennen, dass man offensichtlich keine
besseren finden konnte.
Jaegers Deutung ist aber auch für Pol. unrichtig. Zu Beginn von Pol.
II begründet Aristoteles die von ihm geplante Untersuchung von
Verfassungen einiger Staaten, welche wegen ihrer trefflichen gesetzli-
chen Ordnung in gutem Rufe stehen – das werden u. a. Sparta und
Kreta sein –, damit, dass sie unzulänglich seien.148 Hier ist nun von den
ontologischen Ebenen „göttlich – menschlich“, mit denen der Protrep-
tikos operiert, nicht die Rede.149 Die Frage, was das Vorbild für den
spartanischen oder kretischen Gesetzgeber ist, wird wohl erörtert, aber
im Hinblick darauf, welche von ihnen Priorität verdient, und nun ist
diejenige, die die andere nachahmt, sogar überlegen, denn das Frühe sei
weit grober.150 Dies hätte der Ausgangspunkt für eine Betrachtung
darüber, welche Vorstellungen Aristoteles in den beiden Schriften von
Modell bzw. Nachahmung von Verfassungen vertritt, sein können.
Stattdessen hat Jaeger in höchst oberflächlicher Weise aufgrund der
Tatsache, dass die Verfassungen Spartas und Kretas im Protreptikos und in
Pol. in einem Zusammenhang einer gewissen Kritik genannt werden,
diese Kritik einfach gleichgesetzt und für seine Schichtenanalyse be-
nutzt.151 Wenigstens für Pol. halte ich die Schichtenanalyse, wie sie

147 Vgl. Pol. 4.1 1288b40 f.


148 2.1, 1260b29 – 36 … de? ja· t±r %kkar 1pisj]xashai pokite_ar, aXr te wq_mta_
timer t_m p|keym t_m eqmole?shai kecol]mym, j#m eU timer 6teqai tucw\mousim
rp¹ tim_m eQqgl]mai ja· dojoOsai jak_r 5weim, Vma t| t’ aqh_r 5wom avh0 ja· t¹
wq^silom, 5ti d³ t¹ fgte?m ti paq’ aqt±r 6teqom lµ doj0 p\mtyr eWmai sov_feshai
boukol]mym, !kk± di± t¹ lµ jak_r 5weim ta}tar t±r mOm rpaqwo}sar, di± toOto
ta}tgm doj_lem 1pibak]shai tµm l]hodom.
149 Ausführlicher Schütrumpf (1980), 290 – 294.
150 2.10 1271b20 – 24 J d³ Jqgtijµ pokite_a p\qeccur l]m 1sti ta}tgr, 5wei d³
lijq± l³m oq we?qom, t¹ d³ pke?om Httom ckavuq_r. ja· c±q 5oije ja· k]ceta_ ce
t± pke?sta lelil/shai tµm Jqgtijµm pokite_am B t_m Kaj~mym· t± d³ pke?sta
t_m !qwa_ym Httom di^qhqytai t_m meyt]qym.
151 Von einer ganz anderen Seite, der Intention und dem Charakter dieser Send-
schrift her, hatte der frühe Gadamer (1985), 165 ff.; 286 ff. (bes. 289 f.) Zweifel
geäußert, ob die platonischen Wendungen im Protreptikos den Schluss auf eine
platonische Phase der aristotelischen Philosophie erlauben.
304 Eckart Schütrumpf

Jaeger vorgelegt hat, und damit seine Darstellung der geistigen Ent-
wicklung des Aristoteles für nicht überzeugend.152
Gleich zu Beginn seiner Monographie über Aristoteles schrieb
Jaeger von der „fast unbegreiflichen Paradoxie“, dass „in einer Zeit, wo
über Platons Werdegang eine ganze Literatur zusammengeschrieben ist,
von der Entwicklung des Aristoteles kaum jemand redet und jedenfalls
fast niemand etwas weiß“.153 Aber war es um 1920 noch erstrebenswert,
hier gleichzuziehen und den Darstellungen zur Entwicklung der pla-
tonischen Philosophie eine solche zur aristotelischen zur Seite zu stel-
len? Man kann hier Zweifel anmelden. Als Anhang zur 5. Auflage der
Zellerschen Philosophie der Griechen, Bd. 2, Teil 1 von 1922, dem Band,
der Platon enthält, schrieb E. Hoffmann einen Beitrag „Der gegen-
wärtige Stand der Platonforschung.“ Teil III (S. 1059 – 1067) trägt den
Titel „Zu der Frage nach „System“ und „Entwicklung“ der platoni-
schen Philosophie“, wobei „System“ und „Entwicklung“ die beiden
zentralen Aspekte der Erörterung von Zellers Beitrag in AGPh 1 (1888)
waren. Hoffmann erklärt die Tatsache, dass das Konzept des Systems
fragwürdig wurde, u. a. aus „dem Wahne des Nietzscheschen Zeitalters,
daß ,der Wille zum System ein Mangel an Rechtschaffenheit’ sei“.154
Hoffmann fährt fort:
Man schrieb deshalb lieber Bücher über „Geschichte“, „Entwicklung“,
„Genetische Entwicklung“, „Philosophische Entwicklung“ Platons oder
seiner Lehre und spielte lange, in merkwürdiger Verirrung, die Evolution
gegen das System aus.
Und weiter:
Aber keine Chronologie der Dialoge, keine Untersuchung des Verhält-
nisses Platons zu anderen Philosophen, nicht einmal die Verfolgung der
philosophischen Motive in der Schriftenfolge gibt uns und kann uns geben
ein Material, das als wissenschaftlich unbedingt sicher und zuverlässig
gelten kann, um den persönlichen philosophischen Geist des Denkers
Platon in seiner Entwicklung zu fassen, der hinter diesen Schriften als ihr
Schöpfer steht.
Zeller hatte im Jahre 1888 schon ähnliche Kritik geäußert, er hatte auch
eine unterscheidende Wertung von „nächsten“ bzw. „entfernteren und

152 S. die detaillierte Kritik Schütrumpf (1980), 288 – 298. Vgl. Düring (1966),
476: „Eine ,Urpolitik‘ zu eruieren hat keinen Sinn; es ist besser, diesen Begriff
ad acta zu legen.“
153 Jaeger (1923), 2.
154 Hoffmann (1922), 1059.
Eduard Zeller und Werner Jaegers Aristoteles 305

allgemeineren Entstehungsgründe der Systeme“ vorgenommen und


daben „jene(n) biographisch-psychologischen Untersuchungen“ nur
einen begrenzten Wert zugesprochen. Schon Zeller hatte in seinen
grundsätzlichen Bemerkungen im AGPh 1 von 1888 hohe Anforde-
rungen hinsichtlich der Wissenschaftlichkeit einer Rekonstruktion der
„Einzelheiten der geschichtlichen Vorgänge“ gestellt und behauptet,
dass sie „uns nur unter besonders günstigen Umständen über einen
mittleren Grad der Wahrscheinlichkeit hinaus(führen)“.155 Man mag
häufig zweifeln, ob die direkte und indirekte Überlieferung aristoteli-
schen Denkens auch nur „günstige Umstände“ für die Rekonstruktion
der Entwicklung des aristotelischen Denkens bietet, die dann mehr als
nur als einen mittleren Grad der Wahrscheinlichkeit enthält.
Als E. Hoffmanns eher sarkastische Bemerkungen über die
„merkwürdige Verirrung“ der Darstellungen zur „genetischen Ent-
wicklung“ der platonischen Philosophie im Jahre 1922 erschienen, war
das allerdings zu spät, denn Jaegers Aristotelesbuch, das gerade dieser
Richtung der Platonforschung ein Gegenstück über Aristoteles zur Seite
stellen wollte, war schon im Druck. Der Sache nach war die genetische
Erklärung des Denkens des Aristoteles in Jaegers Monographie von
1923 in dieser Ausführlichkeit ein Novum, aber die Möglichkeit einer
solchen genetischen Darstellung des Denkens eines Philosophen war
schon vorher, besonders von Zeller, gesehen worden. Er hatte die
Probleme einer solchen Vorgehensweise nicht verkannt und ihren Wert
für das Verständnis der Philosophie eines Denkers eher gering angesetzt.

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155 Zeller (1888), 4.


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Zeller in Italy. Rodolfo Mondolfo’s revision
of Zeller’s History of Greek Philosophy
Walter Leszl

I. Zeller in Italy

Before discussing Mondolfo’s enterprise, I shall speak briefly on the


question of Zeller’s presence in Italian culture. I am not able to give
a full picture, but can only express my own impressions on the basis
of my familiarity with the philosophical scene in Italy. It seems to me
beyond doubt that he received ample recognition as a scholar who
wrote on Greek philosophy and that, till relatively recent times, his Phi-
losophie der Griechen was regarded as setting a standard for all scholarship
in the field. It is indicative of the impact of Zeller’s contributions to the
general history of ancient philosophy that his Grundriss der Geschichte der
griechischen Philosophie was published in Italian translation (in 1921) 1 and
that there was a plan, only partly fulfilled, to have the whole main work
translated into Italian with updates. Probably a detailed examination of
university and high-school handbooks on the history of philosophy
would show that their authors had Zeller’s work before their eyes. In
the last few decades the situation has changed, since Italian scholarship
in this field now tends to give more importance to the new contribu-
tions coming mainly from the Anglo-Saxon world than to the achieve-
ments of the nineteenth century. That the enterprise of translating and
revising Zeller’s main work was abandoned probably reflects this change
of outlook and is not fully explained by the circumstances which I de-
scribe below. Furthermore, increasing scepticism about the possibility of
offering an up-to-date general account of ancient philosophy may have
played some role in the recent decrease of interest in Zeller’s work.

1 With the title Compendio di storia della filosofia greca. It was reprinted in 1975
with the addition of a general introduction by Mondolfo under the title Eduard
Zeller e la storia della filosofia, and with an annotated bibliography compiled by
him.
310 Walter Leszl

As to Zeller’s more detailed contributions to the history of ancient


philosophy, they have certainly received much less attention, but have
not been ignored by scholars dealing with this field. As to his other con-
tributions, either to philosophy in general, or to the history of German
philosophy, it can be suggested that they did not have the impact of his
main work on ancient philosophy, but were not overlooked either.
Here again, till recent times, there was much attention in Italy for all
research which took place in Germany. Thus, for instance, Benedetto
Croce appears to be familiar with these other contributions. The situa-
tion has changed in the last few decades, since that much of German
philosophy which still receives attention outside the field of research
in the history of philosophy belongs to such currents as hermeneutics
and phenomenology, to which Zeller of course could not be regarded
as belonging. Finally, it seems to me very unlikely that his works on the-
ology ever received any attention in Italy, apart perhaps from the very
small readership of specialists in the field.
In the year 1987 there was a colloquium on Zeller, comparable to
the present one, at the Scuola Normale in Pisa, to which I myself contrib-
uted with a paper on Zeller and the Pre-Socratics, and in which some
place was given, in a paper by Claudio Cesa, to Zeller’s history of mod-
ern German philosophy, but he is a scholar who has a special interest in
German philosophy. All the other papers which were published2 con-
cerned his contributions to the history of Greek philosophy, though
with some attention to contributions beyond his Philosophie der Grie-
chen. This publication probably reflects what scholars of my generation
in Italy still regarded as important about Zeller’s scholarship; meanwhile
new generations of scholars have emerged, who do not have the same
intellectual formation, but look elsewhere for their models.

II. The so-called Zeller-Mondolfo

Turning now to Mondolfo’s enterprise, his intention was to have the


whole of Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung
translated into Italian (with the accurate title La filosofia dei Greci nel
suo sviluppo storico), with updates comparable to those of Lortzing and
Nestle in the last German edition, but more systematic and avoiding
any intervention in the main text, for they would be placed in notes.

2 In the Annali della Scuola Normale Superiore di Pisa (1989).


Zeller in Italy 311

This work was based on the fifth edition of the German original and
started in 1932 with three volumes (the first including the introduction
and the part on the origins of Greek philosophy; the second being on
the Pre-Socratics in general, on the Ionians and Pythagoreans; and
the third being on Heraclitus) edited by Mondolfo himself and contin-
ued with further volumes edited by other scholars: the volume on the
Eleatics was edited by Giovanni Reale, that on Empedocles, the atomists
and Anaxagoras by Antonio Capizzi; and this completes the Pre-Socrat-
ics. There follows what was meant to be the second part on Plato (con-
cerning his physics, ethics and politics) and the Academy, in 2 volumes,
edited by Isnardi Parente, the part on the practical philosophy, rhetoric,
poetics, etc. of Aristotle and on the earlier Peripatetics, in one volume,
edited by Armando Plebe, a volume on the Forerunners of Neoplaton-
ism3 edited by Raffaello Del Re and, finally, a volume on Jamblichus
and the school of Athens (i. e. the second half of the part on the Neo-
platonists) edited by Giuseppe Martano. One can see that the total of 10
volumes which were published amounts to about one third of the orig-
inal to be published in Italian translation and that with the volume on
the Forerunners of Neoplatonism the enterprise stopped.4
I can add some information on this point, partly drawing on person-
al experience. Mondolfo, who did his teaching at the University of Bo-
logna, had to emigrate in 1940 to avoid racial persecution and went to
Argentina. From there it was difficult to follow the enterprise, but at
some stage he asked Vittorio Enzo Alfieri to do so more directly. I
can remember that around the year 1970 Alfieri asked some of us schol-
ars who were known to be working on Aristotle to meet at his home in
Milan and accept his invitation to contribute to the completion of the
part on Aristotle. On that occasion he told us that Mondolfo would
write frequent letters to him in which he expressed his worry that he
would die before the enterprise initiated by him was completed. Alfieri
also put some pressure on each of us, always recalling Mondolfo’s con-
cern in those letters. What happened is that Mondolfo died in 1976, lit-
tle short of a hundred years old,5 but that his efforts to live as long as
possible were not sufficient for him to see substantial progress in the
work. After his death the pressure on us scholars was relaxed, partly be-

3 Zeller-Mondolfo (1979): “I Precursori del Neoplatonismo” (= Die Vorlufer des


Neuplatonismus).
4 See bibliography for further details.
5 He was born in Italy in 1877.
312 Walter Leszl

cause Alfieri himself was getting rather old, and in addition the publish-
ing house ran into economic trouble, so that they become reluctant to
spend money on this publication. Hence the enterprise was abandoned,
to the relief of those of us who were committed to preparing the up-
dates.
Concerning the nature of this enterprise, one has to keep distinct
the contributions by other scholars from those of Mondolfo himself.
The other scholars would make updates that were intended just to
give a survey of the main publications that had appeared after Zeller’s
work, and, though of course their personal preferences played a part,
they attempted to avoid taking a position on controversial issues and ad-
vancing criticism of Zeller’s own approach. Even though they were se-
lective, the reader cannot fail to be impressed by the length of the notes
which were added to the notes in the original, which, as we know, are
often very long. Mondolfo himself made even longer notes, in which he
did not limit himself to giving that sort of survey, but commented on
Zeller’s approach, from which it is clear that his disagreements with
him were not just over matters of detail.
In what follows I illustrate these disagreements, drawing not only on
those notes but also on other publications by Mondolfo, and giving at-
tention to general issues concerning the approach to be adopted in the
history of philosophy, for these seem to me more susceptible of discus-
sion at a meeting and of greater interest for non-specialists.

III. Criticism of Hegel

Before taking a step forward, from Zeller to Mondolfo, it may be useful


to take a step back, from Zeller to Hegel, for both Zeller and Mondolfo
have his approach in mind. It is well known that Zeller, both in a long
paper providing a survey of recent work on ancient philosophy6 and in
the introduction to his major work on Greek philosophy, develops a
criticism of Hegel’s approach to the history of philosophy. This criti-
cism is concentrated on Hegel’s view that the history of philosophy as
a whole is a development which, though being historical, is systematic
as well, because it follows the movement of logic (intending his own
speculative logic). Zeller regards this approach as sacrificing the more
concrete aspects of what takes place in history, starting with the individ-

6 Zeller (1910a), 1 – 85.


Zeller in Italy 313

ual personality of the philosopher who develops a certain view of the


world.
This criticism of Hegel’s approach is, I think, too well-known to
need describing in detail. What is not so well-known is that it was de-
veloped by Mondolfo in a chapter of a book on the problems and meth-
ods of research in the history of philosophy7. It was developed in a way
that shows that, while agreeing with Zeller up to a point, his own po-
sition was distinct. There he argues that (1) we cannot establish a suffi-
ciently precise correspondence between the main stages distinguishable
in Pre-Socratic philosophy and the main initial stages recognized by
Hegel in his Logic; (2) there is not just one possible development
from a certain philosophical system to its immediate successors. For in-
stance, on point (1), we would expect Heraclitus’ position, as a supposed
synthesis of being and not-being, to be chronologically later than that of
Parmenides, and the Pythagoreans’ position, as representing the catego-
ry of quantity, to be later than all other Pre-Socratic speculation,8 on
point (2) Descartes’ attempt to establish a connection between soul
and body by the intervention of God led both to the so-called occasion-
alism developed by Malebranche and other thinkers, and to Leibniz’s
theory of pre-established harmony.9
On point (1) Mondolfo takes up a criticism already provided by Zel-
ler,10 but on point (2) he definitely goes beyond him. What he maintains
reflects the view which he explicitly formulated in the final chapter of
the same book, namely, that in doing history of philosophy we must
take into account the multiplicity of directions in which the historical
development of thought can take.11 Though (2) could be seen as
quite a natural development of the criticism at point (1), Zeller, unless
this has escaped my attention, never makes a similar claim. His insistence
on the fact that the historical development cannot be accidental but
must conform to laws and, at the same time, on the fact that there
must be close connections between one system and the other in the his-
tory of philosophy, probably prevented him from reaching this conclu-

7 It is ch. 3, entitled La concezione storicistica di Hegel, of Problemi e metodi di ricerca


nella storia della filosofia, Firenze (1952) (initially published in Spanish in 1949,
but going back to university lectures given in Italy).
8 Cf. Mondolfo (1952), 47 – 51.
9 Cf. Mondolfo (1952), 45 – 46.
10 Zeller (1910a), 54.
11 Mondolfo (1952), 238: “Bisogna tener conto della molteplicità delle direzioni
in cui si può produrre lo sviluppo storico del pensiero”.
314 Walter Leszl

sion. Actually Zeller is even willing to admit that some sort of “historical
necessity” is operating in the history of philosophy.12 He also shows ap-
proval of the succession dogmatism, scepticism, and then a third, supe-
rior, position, which Hegel exploits in doing history of philosophy and
which manifestly goes back to Kant, who regarded his own criticism as
that superior position.13
In another chapter of the quoted book, where there is no intention
to explicitly criticize Hegel, Mondolfo makes the suggestion that, at a
certain stage of the history of philosophy, a theory may emerge that is
not fully developed at that stage, but will be taken up at a later stage
of the history of philosophy, perhaps after a long lapse of time. An ex-
ample of this is given by the synthetic capacity of consciousness, which
was already recognized by ancient authors like Plato, Aristotle and Plo-
tinus (Aristotle would attribute it to a common sense, Plato and Plotinus
would attribute it directly to the soul in its intellectual capacity), but
which was developed into a fully-fledged theory only in modern
times by Kant.14 This suggestion leads to the prescription that, in
doing history of philosophy, we should take into account the
“germs”, which in the course of the historical process have fallen with-
out being fertilized immediately, but which possess a vitality that be-
comes evident later.15 As the illustration given by Mondolfo himself
shows, this may concern the relationship between ancient and modern
philosophy. As we shall see below, this is precisely one of the points in
which Mondolfo turns out to be in explicit disagreement with Zeller,
whose organicist conception of each main stage in the history of philos-
ophy tended to exclude this sort of possibility.

12 Cf. Zeller (1963), Bd. 1, Teil 1, Absch. 1, 16 – 17.


13 Zeller (1910a), 58.
14 Cf. Mondolfo (1952), 60; also see ch. 4 of part II of Mondolfo (1958) (this ch.
is entitled: L’attivit” sintetica del soggetto riconosciuta come condizione della conoscen-
za).
15 Mondolfo (1952), 238 – 39: “Bisogna tener conto anche dei germi che nel corso
del processo storico sono caduti senza una fecondazione immediata, pur posse-
dendo talora una vitalità intrinseca, che può tornare a manifestarsi in un tempo
ulteriore.”
Zeller in Italy 315

IV. The assumption that philosophy has to be systematic


In spite of his criticism of Hegel’s approach, Zeller remains close to
Hegel in admitting that, in doing history of philosophy, one must
start from a conception of what philosophy is which should be as
exact and as full as possible.16 This conception requires it to be a science,
and a science of reality as a whole, which proceeds rationally (ibidem).
He says it is a theoretical, not a practical enterprise, not in the sense, I
presume, that it is not concerned with ethics and politics (he admits it
provides a scientific foundation for the Sittenlehre) 17, but in the sense
that it does not serve as a guide to practical behaviour. But the adoption
of this conception is supposed to have the implication that philosophy
must be systematic – at least in its fully developed form (he recognizes
for instance that Socrates was not systematic). This view of philosophy,
it can be added, is by no means just an inheritance from Hegel, for it was
widely shared by the philosophers of German idealism.18 Some of these
thinkers, including Hegel and Zeller himself, share the further view that
a satisfactory subdivision of systematic philosophy is that into the three
branches which were recognized in antiquity, viz. logic (or dialectic),
physics and ethics, and that this subdivision is achieved for instance in
Plato’s philosophy, which, from this point of view, constitutes the
point of departure for the interpretation of all previous philosophy. He-
gel’s adoption of this subdivision of philosophy in the case of Plato is in
conformity with the subdivision of philosophy which he himself accepts
(at least when ethics is replaced by the philosophy of the spirit). Zeller
on this point follows Hegel without any important reservations.19
It would be easy to show that there is some artificiality not only in
Hegel’s but also in Zeller’s account of Plato’s philosophy, for the at-

16 See Zeller (1963), Bd. I, Teil 1, Absch. 1, 6: “… dass wir unserer Darstellung
eine möglichst richtige und erschöpfende Ansicht vom Wesen der Philosophie
zu Grunde legen sollen”.
17 See his comment in Zeller (1963), Bd. 3, Teil 1, 775, in discussing Epictetus’
position (a comment which is instructive about Zeller’s conception of philos-
ophy): it is theoretical not in the sense that it excludes the world of practice,
but in the sense that it provides a scientific foundation for the Sittenlehre.
18 It is already present in Kant, including the preference for the subdivision into
three main branches, cf. e. g. Grundlegung der Metaphysik der Sitten, beginning
of the Vorrede.
19 See Zeller (1883), § 41, and Zeller (1963) Bd. 2, Teil 1, 583 ff..
316 Walter Leszl

tempt to expound it as a system which is divided into three main


branches has the effect of putting it into a sort of straitjacket.
Further, the adoption of this approach is the cause of some embar-
rassment for Hegel himself, when dealing with Aristotle, for he is ob-
liged to admit that this philosopher, so much admired by him, does
not present his philosophy systematically, since the parts in which it is
divided are taken up empirically and juxtaposed.20 Even worse: he has
to admit that the Stoics, whom he admires much less, and to some ex-
tent even the Epicureans, have the notion of a system of philosophy
which is missing in Aristotle.21 Zeller seems to share only in part Hegel’s
view of the unsystematic nature of Aristotle’s philosophy, but admits
that the way he works out his system is in part defective and incoher-
ent,22 and tries to offer a general diagnosis of these defects by claiming
that he was not able to overcome the dualism inherited from Plato be-
tween what is ideal and what belongs to the sphere of appearances or
experience.23

20 See Hegel (1969), Bd. 19, 133 and 244 (= Vorlesungen ðber die Geschichte der Phi-
losophie, Teil 1, Abschn. I, Kap. 3, B), and see a discussion of the issue in Fer-
rarin (2001), 82 – 89.
21 See Hegel (1969), Bd. 19, 246 – 48, and 257 (= Vorlesungen ðber die Geschichte
der Philosophie, Teil 1, Abschn. 2), where Zeno’s main concern is said to be
“die Philosophie in ein Ganzes zu vereinigen”.
22 Zeller (1963), Bd. 2, Teil 2, 801, where (at the conclusion of his exposition in
the Philosophie der Griechen), he gives the following appreciation of Aristotle’s
system: “Schon dieser kurze Ueberblick zeigt uns in dem aristotelischen System
ein wohlgegliedertes, nach Einem Grundgedanken mit sicherer Hand entwor-
fenes Lehrgebäude. Wie sorgfaltig und folgerichtig dasselbe auch weiter bis in’s
einzelste ausgeführt ist, wird aus unserer bisherigen Darstellung hervorgehen.”
(A similar appreciation is to be found at p. 156.) But in what follows he qualifies
these assertions by remarking that “nicht alle Fügen dieses Gebäudes gleich fest
sind” and that “[es] lässt nicht verkennen, das es Aristoteles nicht gelungen ist,
die leitenden Gesichtspunkte seines Systems in widerspruchloser Weise zu ver-
knüpfen”.
23 Cf. Zeller (1963), Bd. 2, Teil 2, Kap. 17: Rðckblick auf das aristotelische System.
Zeller in Italy 317

V. Mondolfo on the issue whether philosophy has to be


systematic

For Mondolfo all these problems disappear, because he does not share
this conception of philosophy. He never claims that philosophy is a sci-
ence in the strict sense or that it is a purely theoretical enterprise, and he
gives up the view that it must be systematic. And he certainly does not
advance the requirement that we have to come to the history of philos-
ophy with some definite conception of what philosophy is. It may be
noticed that he is quite willing to regard as philosophers thinkers like
Giordano Bruno, Giambattista Vico, Ludwig Feuerbach, Friedrich En-
gels and Friedrich Nietzsche, who are far from systematic, as is clear
from his writings directly on them or containing references to them.
In the case of those philosophers who are systematic he considers the
system elaborated by them as a quite temporary or provisional achieve-
ment which has to be abandoned with the further development of phi-
losophy. (There is an early paper by him entitled La vitalit” della filosofia
nella caducit” dei sistemi: “the vitality of philosophy in the caducity of the
systems”.) The system is a sort of envelope (involucro) which has to be
broken by the expansion of philosophy in its vital impulse.
Actually this account is not very far from what Zeller himself states
in his, rather late, paper entitled Systeme und Systemsbildung, in which he
recognizes that no philosophical system can be definitive for it will be
replaced by the results obtained by successive philosophers. Yet he
does not abandon the requirement, for the historian of philosophy, to
come to understand and expound the thought of a philosopher in its
conceptual articulation. This approach is evident in his treatment of Pla-
to’s philosophy, for he is aware of the fact that one may try to expound
it by following its genesis and development, but thinks that this proce-
dure, even if we could be successful in determining the chronology of
the dialogues, is not satisfactory, for it leaves out the “internal connec-
tion” (innerer Zusammenhang) of his thoughts.24 In Aristotle’s case he ad-
mits the possibility that in some early published writings his position was
close to that of Plato, but does not think that this can be reconstructed
in detail, and even comes to the supposition that all the principal works
reflect in the main the same position and were written in the last 12
years of his life, anyhow in the period of his second sojourn in Athens.25

24 Cf. Zeller (1963), Bd. 2, Teil. I, 586.


25 Cf. Zeller (1883), 152 – 54; Zeller (1963), Bd. 2, Teil. 2, 154 – 156.
318 Walter Leszl

Mondolfo, on the other hand, shows himself to be in favour of the


genetic approach, for he gives importance to the determination of the
chronological succession of Plato’s dialogues and, in general, is willing
to talk of the “spiritual evolution” of the philosophers.26 Similarly, in
the case of Aristotle he accepts, though probably not in all its details,
Jaeger’s account of his development, for he regards as justified his
claim that there is an important difference of position between the
early dialogues, which were prevalently Platonic, and the works of his
maturity.27 He also stresses the fact that the vital impulse of philosophy
comes from the need to deal with problems which continuously emerge
in the course of the history of philosophy: it is the development of these
problems, which persist when a system is demolished by the criticism of
successive philosophers, that should attract most of our attention as his-
torians.28
Yet, when it comes to giving an exposition of the thought of Plato
and Aristotle, in a handbook for schools (on which more below), he ex-
plicitly presents them as founders of “great systems” (respectively “a sys-
tem of idealism” and “a system of development”) and gives preference
to following the articulation of their systems over the genetic approach.
In Plato’s case this articulation is certainly not in three but in six main
parts: 1. knowledge, 2. being (or the world of ideas), 3. God and the
world (theology and cosmology); 4. man and the soul, 5. goodness
and virtue, 6. law and state. He does not adopt this procedure because
of reservations about the possibility of establishing a chronology of the
dialogues. He accepts as a fact that this has been sufficiently ascertained,
though he does not adopt a subdivision of the periods into three but ad-
mits a distinction in the later dialogues between those of “critical revi-
sion” (coinciding with the dialogues usually called dialectical like the
Parmenides) and those which offer a new systematization of this thought
and which reflect a propensity for Pythagoreanism (these include the
Philebus, the Timaeus and the Laws). This however only leads him to
point out, when considering some of the main parts of the system,
that Plato’s position underwent some changes. For instance, as one
should expect, he supposes that the theory of ideas was submitted to
a critical revision and then was newly systematized by the adoption of
the theory of idea-numbers. Similarly he supposes that, in the field of

26 Cf. Mondolfo (1952), ch. X, 210 ff..


27 Cf. Mondolfo (1952), 168 – 170, further 233 – 235.
28 Cf. Mondolfo (1952), 67.
Zeller in Italy 319

politics (“law and state”), there is a change in outlook between the Re-
public and the Laws.
The treatment of Aristotle’s works is rather similar, though the de-
velopment of his thought is not envisaged just in considering one of the
parts of the system. He supposes that his thought passed through two
“preparatory phases”, that of “mystical Platonism” and that of transition
(in which criticism of the theory of the Ideas was accompanied by the
adoption of a form of astral theology), leading to the main phase, that of
the “mature system”. Once he passes to the exposition of the system, he
adopts a subdivision in parts (the following ones: 1. Science and philos-
ophy, 2. Being, 3. Nature, 4. Soul, 5. Goodness and virtue, 6. Society
and state) and gives up any attempt to introduce a distinction of phases.

VI. Popular philosophy and eclecticism

In discussing Hegel’s approach Zeller does not consider certain issues of


demarcation which are raised by some assertions that are made by this
philosopher in the Introduction to his Lectures on the history of philosophy
and in certain passages of this work and also by his actual practice.
These issues of demarcation concern what the historian of philosophy
should take into account in his historical exposition. If Zeller has noth-
ing to say on this point, it can be suspected it is because he is in substan-
tial agreement with Hegel. Let us then pursue this issue.
One restriction that is envisaged by Hegel concerns what he calls
popular philosophy (in German Populrphilosophie): it must be left out
of consideration as not coinciding with philosophy.29 What he has in
mind, when talking of popular philosophy, are two different sorts of
works, though he does not keep them distinct. One example is consti-
tuted by Cicero’s philosophical works, which are considered under the
denomination of popular philosophy not only in the Introduction but also
when talking of the rediscovery of ancient philosophical works in the
Renaissance.30 It would seem that one reason for regarding them in

29 In the Introduction there is a chapter entitled Abscheidung der Philosophie von der
Populrphilosophie. (That philosophy cannot be popular had already been assert-
ed by him in his Ueber das Wesen der philosophischen Kritik ðberhaupt, where he
regards it as being in antithesis with der gesunder Menschenverstand, see Hegel
(1969), Bd. 2, 182.)
30 Cf. Hegel (1969), Bd. 18, 114 – 115, and Bd. 20, 16 – 17.
320 Walter Leszl

this way is that they are not original works, but offer a divulgation of
Greek philosophical thought; another, connected reason, is that he
makes appeal to the consensus gentium. 31 Hegel however is willing to
admit that the thoughts which they contain also reflect Cicero’s personal
experience, but this in his view is not enough for them to be regarded as
genuine philosophical works. Another claim he makes about ancient
thought is that, with the passing of time (and especially in Cicero’s
own time), Peripateticism loses its interest from a philosophical point
of view or (what must be the same) abandons its Aristotelian spirit
and becomes more and more a Populrphilosophie. 32 Concerning mod-
ernity, Populrphilosophie is identified by Hegel first of all with a current
of German philosophy which is represented by followers of Christian
Wolff. But of Wolff’s own philosophy he explicitly says that one
would only need to free it of its rigid form to recognize that, in its con-
tents, it is already Populrphilosophie, for it takes our common conscious-
ness as its criterion.33
Another example of Populrphilosophie, of a different type, is Pascal’s
Pens¤es and other writings of his.34 Hegel does not deny that these writ-
ings contain some deep insights. What prevents them from being strict
philosophy is that they present a mystical side or that they reflect some
form of Schwrmerei. 35 A further similar example of popular philosophy
as he intends it is constituted by part at least of the contents of Plato’s
Phaedo. 36 One could raise the question whether Hegel is consistent in
his approach. He does no doubt leave out Pascal in his Lectures on the
history of philosophy, but he gives much space to Jakob Boehme who,
in matters of Schwrmerei and mysticism, goes well beyond Pascal. But
here we are not to discuss Hegel’s consistency, but whether he formu-
lates an approach which influences the works of his successors.

31 Cf. Hegel (1969), Bd. 8, 161 (= Enzyklopdie der philosophischen Wissenschaften,


§ 71).
32 Cf. Hegel (1969), Bd. 19, 246, 249 and 253.
33 Hegel (1969), Bd. 20, 264: “Sie redet unserem gewöhnlichen Bewusstsein zu
Munde, legt es als den letzten Maßstab an.”
34 Cf. Hegel (1969), Bd. 18, 114 (= Vorlesungen ðber die Geschichte der Philosophie,
Einleitung).
35 That this is his judgement is suggested not only by what he says in this passage
but also by his comment on “popular philosophy” at the end of his Differenz des
Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie, where Schwrmerei too is
mentioned as typical of the philosophy he has in mind.
36 Hegel (1969), Bd. 18, 511, where he says that “die letzte Unterredung des Sok-
rates is Populärphilosophie”.
Zeller in Italy 321

Another similar exclusion by Hegel concerns works which are sup-


posed to belong to the field of general culture (Allgemeine Bildung). This
exclusion is not explicit in the Introduction to the Lectures but appears
elsewhere in the Lectures themselves. The works by Cicero to some ex-
tent belong to this field as well. And Hegel explicitly mentions authors
like Montaigne, Charron and Machiavelli as having written works
which belong to this field and which for this reason must be left out
of consideration.37 This exclusion raises issues which are complex and
which cannot be dealt with in brief. Bildung is of course an important
notion from Hegel’s point of view, and it is regarded by him as a con-
dition for the existence of philosophy, even in the sense that philosophy
is a part of Bildung itself. But in the present context presumably the ac-
cent is not on culture as such but on its being general culture, that is, on
the acceptance of certain views by a large number of people. This does
not seem to be very different from what we would call popularizing, of
which Cicero’s works constitute an example.38 Hence this exclusion ap-
pears to converge with the exclusion of popular philosophy.
As to Zeller’s attitude to popular philosophy, it is remarkable that he
praises Hegel for not taking the view of other historians who make a
Populrphilosoph of Socrates.39 These other historians of philosophy
must be represented at least by Tennemann, who claimed that Socrates
had to be regarded as a populrer Philosoph and that, from this point of
view, did not even deserve a place in a history of philosophy (he actually
gave him a place because of his influence on thinkers like Plato).40
There is in fact a critical reference by Zeller to Tennemann on this
point.41 Zeller’s praise of Hegel here is only partly justified, for it
shows he has overlooked Hegel’s comment on Plato’s Phaedo, but

37 Cf. Hegel (1969), Bd. 20, 48 (= Vorlesungen ðber die Geschichte der Philosophie,
Teil 2, Abschn. 3).
38 Notice that Hegel supposes that certain general views – allgemeine Vorstellungen –
which are to be found in science belong to Bildung, cf. Hegel (1969), Bd. 20,
485, and Bd. 18, 76 ff. There, at 78, he remarks that a mixture of philosophy
and general culture can easily be found in the early stage of Bildung.
39 Cf. Zeller (1843), 61.
40 Cf. Tennemann (1799), 3 (“Sokrates … als populärer Philosoph, den es mehr
um die Besserung der Menschheit, um die Anwendung der philosophie im
Practischen, als um die Wissenschaft zu thun war …”), 78 (“Sokrates hat also
kein philosophisches System in strengen Sinne gehabt …”), and passim.
41 Cf. Zeller (1910a), 11.
322 Walter Leszl

equally shows that he shares his negative judgement of popular philos-


ophy.
In his Geschichte der deutschen Philosophie seit Leibniz he gave some at-
tention to the current of German philosophy known as Populrphiloso-
phie, presenting these thinkers with the following words:
Jener “Philosophen für die Welt” (wie sie Erdmann gennant hat), welche
die Form der schulmässigen Darstellung und der zusammenhängenden wis-
senschaftlichen Untersuchung absichtlich verschmähten, um ihren Ideen
eine weitere Verbreitung und eine grössere Wirkung zu sichern; welche
dieselbe aber natürlich nicht so grundsätzlich verschmäht haben würden,
wenn sie selbst systematische Köpfe gewesen wären.42
In what follows, after mentioning some names (among them Moses
Mendelssohn, Christian Garve, Johann Jakob Engel, Friedrich Nicolai),
he makes some remarks on the appeal (especially by Nicolai) to “der
gesunder Menschenverstand” which show that he shares at least some
of Hegel’s reservations. It may be added that Zeller does not use the no-
tion of Allgemeine Bildung to dismiss the philosophical contributions of
Montaigne and Charron, but it is sufficiently clear from his (inevitably
rather brief) account of them in the work mentioned on the history of
German philosophy that he does not regard them as genuine philoso-
phers (for instance he calls Montaigne “(ein) gebildeter Weltmann”43).
As for his low opinion of Nietzsche, it is evident from what must be
an allusion to him (in his paper Ueber Systeme und Systemebildung)
when discussing the followers of Schopenhauer who are said to have de-
veloped the worse side of this philosopher, i. e. what is an expression of
his grillenhaften Individualitt. 44 We also know that Georg Simmel, who
followed his courses in Berlin, had trouble in obtaining adequate recog-
nition from him.45
Concerning ancient philosophy, apart from the comment men-
tioned on Socrates, it is remarkable that Zeller claims that the main phil-
osophical schools after Aristotle abandon his attempt to come to a suf-
ficiently definite conception of philosophy by defining philosophy uni-
laterally from a practical point of view as exercise of wisdom (Uebung der
Weisheit), means to happiness (Mittel zur Glðckseligkeit) and life-wisdom

42 Zeller (1873), 267 – 268.


43 Zeller (1873), 69.
44 Zeller (1910c), 568 – 69.
45 See the contribution by Jean-Louis Vieillard-Baron, entitled Zeller interprete de
Platon, in Cesa et alii (1989), 1231 – 32.
Zeller in Italy 323

(Lebensweisheit).46 Zeller indeed does not follow Hegel in leaving out


from his historical work those authors who can be regarded as having
written works which contribute either to popular philosophy or to gen-
eral education or to both. He offers a relatively ample exposition of, for
instance, the positions of Cicero, Seneca, Epictetus and Marcus Aure-
lius. What shows that his approach has not changed in a substantial
way from that of Hegel is his judgement of their contributions. He
puts them all under the heading of eclecticism, which he regards as a
tendency to eliminate the differences between one philosophical orien-
tation and the other, or even between philosophy and religion, which
reflects a decline of original philosophical speculation in favour of the
application of philosophy to practice and of its popularization. Judge-
ments along the same lines are expressed about the individual philoso-
phers, for instance about Epictetus.47
As understood by Hegel, Populrphilosophie need not coincide with
eclecticism, for it is applied to currents (e. g. Peripateticism) and to
thinkers (like Wolff) who are not to be singled out for their eclecticism.
What characterizes popular philosophy is rather the adoption of a com-
mon-sense point of view, which may be accompanied by the adoption
of a form of exposition which helps to make the thoughts accessible to a
large public. However, eclecticism may coincide with popular philoso-
phy when the choice (eklexis) of propositions or doctrines which is made
in order to obtain a general view of the world is motivated by the wish
to maintain conformity with the common-sense point of view. In this
case the category of eclecticism may actually replace that of popular phi-
losophy.
I believe this happens to a certain extent with Zeller, by comparison
with Hegel or other predecessors. He does not usually talk of popular
philosophy (one exception is precisely his praise of Hegel’s treatment
of Socrates), but even when he does not use that sort of denomination,
it is clear that he shares Hegel’s evaluation of popular philosophy and
that he has in mind much the same group of thinkers. No doubt it
would be too simple to suppose that we are faced with a simple replace-

46 Zeller (1963), Bd. 1, Teil 1, Abschn. 1, 2.


47 See Zeller (1883), 254, where he says of him that “ist er doch mehr ein ernster
und von frommen Begeisterung erfüllter Sittenprediger, als ein systematischer
Philosoph”. (This judgement clearly recalls Hegel’s, who talks in connection
with him, together with Seneca and Marcus Aurelius, of a rhetorical and paren-
etic turn in philosophy, which for a historian of philosophy has as little interest
as “unserer Predigten”, cf. Hegel (1969), Bd. 19, 260.)
324 Walter Leszl

ment of one term with another, since Zeller has the tendency to treat
eclecticism as a philosophical orientation of its own, which on this
ground must be put aside with, for instance, stoicism and scepticism.
Eclecticism as a classificatory category has a remarkably large place in
Zeller’s History of Greek philosophy, for it includes all later Stoics, both
Greek and Roman, all later Peripatetics, Cicero, some Platonists and
Academics (e. g. Plutarch), and even some later cynics (e. g. Oenomaus).
In fact his procedure has been criticized for having given too large a
place to it, by classifying in this way a large number and variety of phil-
osophical positions without clarifying the very notion of “eclecti-
cism”.48 For a period however Zeller’s use of the category of eclecticism
in his work was very successful, for it was taken up by many scholars,
albeit at times with restrictions in its application.
One scholar who follows Zeller on this point is Rodolfo Mondolfo.
Here he shows none of the reservations he expresses about other inter-
pretations by Zeller, though he adopts some tacit restrictions. In the
handbook mentioned he follows Zeller’s exposition of eclecticism fairly
closely, as a sort of current which is to be kept distinct from Epicurean-
ism, Stoicism and scepticism, but which arises as an attempt to over-
come the differences presented by those schools, and which is represent-
ed by some later Stoics (especially Panetius and Posidonius), by Cicero
and by some later Peripatetics. He tacitly diverges from Zeller in not
considering the main representatives of Roman Stoicism under the
heading of eclecticism but as thinkers whose position reflects the incom-
ing predominance of the religious problem. The same approach is
adopted for certain Platonists like Plutarch. Yet this divergence is not
very great, for already Zeller had pointed out that religion takes on in-
creasing importance for these thinkers. Still, there is a divergence, and in
this connection some significance is probably to be attributed to a
change of title by Mondolfo: his is not a history of Greek philosophy,
but a history of Greco-Roman philosophy,49 for this avoids the implicit
depreciation of the Roman authors by Zeller.
The question remains open whether Mondolfo’s use of the category
of eclecticism, though clearly close to the use which was made by Zel-

48 See The Question of “Eclecticism”. Studies in Later Greek Philosophy, ed. J. M. Dil-
lon and A. A. Long, Berkeley 1988 (esp. the contribution by P. Donini on The
history of the concept of eclecticism, which contains a criticism of Zeller’s use of the
category).
49 Mondolfo (1961), subtitle: Storia della filosofia Greco-romana.
Zeller in Italy 325

ler, reflects the same underlying value judgement that is the result of the
replacement of popular philosophy by this other category. The hand-
book on which I am drawing does not offer many clues on this
point, but on the whole I think it is likely that the absence of negative
judgements by Mondolfo reflects a more neutral attitude, to be put into
relationship with his more ‘ecumenical’ conception of philosophy (as
emerges from the indications given above and to be given below). Prob-
ably, his tacit restrictions in the application of the category also reveal his
intention to use it in a classificatory rather than an evaluative sense.

VII. Philosophy and culture

As for Zeller’s attitude to Bildung, it would seem that he shares Hegel’s


attitude, for he also gives attention to Bildung in general (in fact, more
than Hegel does) and takes Greek philosophy as representative of
Greek culture.50 Further, it does seem that Zeller fully shares Hegel’s
conviction that philosophy is a manifestation of the spirit of a certain
people and of a certain age, like all other manifestations, including
not only religion, poetry and art, but also its political organization.
This conviction is evident for instance in the fairly extensive treatment
of the character of the Greek genius offered by him in the first part of
his Philosophie der Griechen.
Mondolfo appears to share this general view. He states that we can-
not isolate the historical development of philosophy from the rest of the
history of culture and from the whole spiritual development of human-
ity.51 Where he differs from Hegel and Zeller is in his unwillingness to
draw a neat line between what is philosophical and what is not, or be-
tween first-rate and second-rate philosophy, precisely because he does
not start with a definite conception of philosophy as scientific and sys-
tematic. Not only is he willing to fully admit to the realm of philosophy
thinkers like Nietzsche whose approach is far from being scientific and
systematic. He is also willing to admit some continuity between the
thoughts on a certain issue that are to be found in those usually regarded

50 Bildung is defined in the Einleitung to Zeller (1963), Bd. 1, 126, as the product
of the “Wechselwirkung des Innern und des Aeussern, der Selbstthätigkeit und
der Empfänglichkeit, des Geistes und der Natur”. In what follows he expounds
what characterizes Greek Bildung from this point of view.
51 Cf. Mondolfo (1952), 89.
326 Walter Leszl

as philosophers and the thoughts to be found in poets or other non-phil-


osophical authors. For instance, he devotes chapters of his work on La
comprensione del soggetto umano nell’antichit” classica (= The comprehen-
sion of the human subject in classical antiquity) to topics like the will,
the consciousness of sin, the discovery of moral conscience, the evalua-
tion of work and the idea of progress, by making extensive use of non-
philosophical as well as philosophical sources. In fact, if we think it
makes sense to draw a distinction between the history of philosophy
and the history of ideas, these contributions belong more to the latter
field than to the former. Of course, Mondolfo himself is not willing
to draw this sort of distinction and thus does not talk of history of
ideas. I could not find any reference to Lovejoy’s papers stating his con-
ception of this discipline.52
One reason for Mondolfo’s difference of attitude here compared
with both Hegel and Zeller lies in his philosophical position. At some
relatively late stage of his output he was willing to describe this position
as belonging to the orientation which was called philosophy of culture.
Thinkers like Dilthey, Simmel, Weber and Scheler were taken as exem-
plifying this orientation. The adoption of this position involved, first of
all, attention to the various facets of human culture as having priority
over knowledge of non-human reality, because we look at this reality
with glasses that are shaped by the culture we have acquired. It also in-
volved taking into account all thought which contributed to the under-
standing of human culture, without any concern for making a distinc-
tion between thought that is rational and systematic and thought that
does not satisfy these requirements. The importance he attributes to
Nietzsche as an explorer of the sources of irrationality in Greek thought
and culture, with his recognition of its Dionysian side, is typical of this
attitude.53
At an earlier stage of his output Mondolfo regarded himself as a
Marxist, but he adopted an interpretation of Marxism (for instance by
giving particular importance to the contributions of the early Marx)
which put its humanistic side at the center at the expense of its radical
materialism and its attention to economic factors. Thus there was a con-

52 In Mondolfo (1958) Lovejoy is mentioned for the book edited by him with
Boas on Primitivism and Related Ideas in Antiquity, cf. 635, n., but not for his es-
says on the history of ideas. He is not mentioned at all in Mondolfo (1952).
53 Mondolfo (1956a): ch. III is entitled “L’elemento dionisiaco contro l’apolli-
neo”.
Zeller in Italy 327

tinuity between this adhesion to Marxism and his later adhesion to what
was called philosophy of culture. An element of continuity is given by
the importance attributed to praxis, which implies that man knows best
what he himself does or makes (a view which, as Mondolfo himself
stresses, goes back to Vico). In this connection he states a principle
which he regards as being formulated not only by Marx but also by
Feuerbach and (in Italy) by Carlo Cattaneo, namely that of the social
origin of all knowledge.54 There is here an evident change of outlook
with respect to Zeller, who stressed the theoretical nature of philosophy.
Moreover, he is more willing than either Hegel or Zeller to admit
that the concrete historical circumstances to which the typical Marxist
approach draws attention, like social relations and the form of economic
production, are a condition of philosophical thought in the sense of
making a difference to its shape.55 For instance, he draws a connection
between the study of nature by the Pre-Socratic thinkers and the devel-
opment of activities like agriculture, trade, navigation and colonization,
which led to the observation of the skies and to geographical explora-
tion. This attitude of his explains his great interest in such phenomena
as work or labour with attention not only for the evaluation which is
given of it but also the development of the techniques involved in its
realization.56 But he does not accept any form of economic determinism
and is not at all willing to reduce philosophical thought to the ideology
of a certain society.

VIII. Is Pre-Socratic philosophy wholly naturalistic?

One consequence of this approach is Mondolfo’s explicit dissent from


Zeller on the rather exclusive naturalism which the latter supposes to
characterize Pre-Socratic philosophy.57 Zeller himself on this point dis-

54 See Mondolfo (1956b), 10, where he states that these thinkers had demonstrat-
ed “l’origine e la formazione sociale di tutte le conoscenze umane, compresa
quella della natura”.
55 See e. g. Mondolfo (1952), 82 – 83.
56 See Mondolfo (1958), part IV, ch. 2, and cf. his collection of papers entitled
Polis, lavoro e tecnica, ed. M. Venturi Ferriolo, Milano 1982.
57 In Zeller (1883), 24, this scholar states that, as to the object (Gegenstand) of early
Greek philosophy, it must be stated that it is Naturphilosophie, “denn ihr wesent-
liches Interesse gilt der Frage nach der Entstehung und den Gründen des Welt-
ganzen, die nach der Natur and der Aufgabe des Menschen wird nur vereinzelt
328 Walter Leszl

agrees in part with Hegel, who manages to find a good deal of his own
speculative logic, which in fact is a sort of metaphysics or ontology, in
thinkers like Parmenides and Heraclitus. But Mondolfo does not in any
way hark back to Hegel, for he shows no interest at all in his speculative
logic. His concern is rather with showing that some at least of the Pre-
Socratics had an interest in the human world that is not recognized by
Zeller when he makes them pure naturalists. He thinks that Zeller is the
prisoner of an alternative which is too restrictive: there is either a study
of objective nature or a study of man considered in his subjectivity. This
leaves out the study of man in his social dimension – a dimension that
for Mondolfo is at the origin of all human culture. Here of course a
problem emerges, for one cannot claim that thinkers like Anaximander,
Heraclitus and Empedocles, who receive most attention from Mondol-
fo, left much in their sayings or verses that counts as contributing to the
study of man in his social dimension. Mondolfo has to claim, in agree-
ment with Jaeger’s approach in his Paideia, that there is a continuity be-
tween the contributions of poets like Hesiod and Solon, and those of
these philosophers, and that the philosophers projected onto the
world of nature laws or regularities which were recognized as operative
in human society.
Here I suspend my exposition to make a few critical observations. In
the first place, I think that Mondolfo is right in criticizing Zeller’s asser-
tion that, at the origins of philosophy and science, knowledge started
with the world of nature because there patterns could be found that can-
not be found in the human world.58 To regard the physical world as a
world, i. e. as an ordered whole, goes a good deal beyond what any ob-
servation can offer. And the recognition of some regularities in nature

und mehr in populärer als in wissenschaftlicher Form berührt.” Similarly in


Zeller (1963), Bd. 1, Teil 1, 159: “Die Philosophie der ersten Periode ist Phy-
sik, oder genauer physikalischer Dogmatismus; jenes, weil sie zunächst nur die
Naturerscheinungen aus ihren natürlichen Ursachen erklären will ….”.
58 See Zeller (1963), Bd. 1, Teil 1 (Einleitung), 102: “Die Aussenwelt stellt sich
schon der sinnlichen Wahrnehmung als ein Ganzes dar, als ein Gebäude, dessen
Boden die Erde und dessen Dach das Himmelsgewölbe ist; in der sittlichen
Welt dagegen sieht der ungeübte Blick zunächst nur ein Gewimmel von Ein-
zelnen oder von kleineren Massen, die sich willkürlich durcheinander bewegen.
Dort sind es die grossen Verhältnisse des Weltgebäudes, die weitgreifenden
Wirkungen der Himmelskörper, die wechselnden Zustände der Erde und der
Einfluss der Jahreszeiten, überhaupt die allgemeinen und regelmässig wieder-
kehrenden Erscheinungen, welche die Aufmerksamkeit vorzugweise fesseln,
hier die persönlichen Thaten und Erlebnisse …”.
Zeller in Italy 329

(e. g. the succession of the seasons) is not sufficient to lead to the idea of
a general law, for it is not even sufficient to come to the recognition of
regularities in a large field (it took a lot of time for astronomy to come
to the conclusion that even planets follow regular trajectories). It is not
obvious either that the human world must present itself to a naïve ob-
server as wholly disordered, since any organization of a society through
the adoption of some leadership assumes that men have some sense of
order and common interest, however often they show disregard for
them. Further, Zeller’s tendency to make the naturalism he attributes
to the Pre-Socratics descend from their exclusive interest in the object,
as a consequence of their lack of any sense of subjectivity (as shown by
the fact that we miss in them any idea of spirit [Geist]) and that they do
not develop any independent reflection – independent of the object
considered – on the limits of human knowledge) appears rather restric-
tive.59 What, for instance, of Heraclitus’ assertion that we cannot know
the limits of our soul, given the profundity of its logos (DK 22 B 45)?
And of Democritus’ recognition of the relativity of our knowledge?
Yet, once it is conceded that Mondolfo’s criticism has some justifi-
cation, one has also to see that his positive claims about our knowledge
of nature through some knowledge of society present problems. In the
first place, he does not keep distinct the claim quoted above about the
social origin of all knowledge from the claim that knowledge of human
society precedes knowledge of nature. The second claim, on the basis of
Mondolfo’s own quotations, has its exclusive declared origin in Feuer-
bach, with reference to his Wesen des Christentums. 60 It is one thing to

59 For this tendency see Zeller (1963), Bd. 1, Teil 1 (Erste Periode: Die vorsokra-
tische Philosophie), 170 – 171.
60 Especially chapter IX, which is quoted in Mondolfo (1956b), 10 – 11, and 23.
The main passage is the following: “Der andere Mensch ist das Band zwischen
mir und der Welt. Ich bin und fühle mich abhängig von der Welt, weil ich
zuerst von anderen Menschen mich abhängig fühle. Bedürfte ich nicht des
Menschen, so bedürfte ich auch nicht der Welt. Ich versöhne, ich befreunde
mich mit der Welt nur durch den anderen Menschen. Ohne den Andern
wäre die Welt für mich nicht nur tot und leer, sondern auch sinn- und ver-
standlos. Nur an dem Andern wird der Mensch sich klar und selbstbewusst;
aber erst, wenn ich mir selbst klar, wird mir die Welt klar. Ein ganz für sich
allein existierender Mensch würde sich selbstlos und unterschiedslos in dem
Ozean der Natur verlieren; er würde weder sich als Menschen noch die
Natur als Natur erfassen. Der erste Gegenstand des Menschen ist der Mensch.
Der Sinn für die Natur, der uns das Bewusstsein der Welt als Welt erschliesst,
ist ein späteres Erzeugnis; denn er entsteht erst durch das Akt der Absonderung
330 Walter Leszl

claim that our knowledge of nature is never wholly immediate, since for
instance it takes place by means of categories (like that of causality)
which are embedded in the language we use currently. It is quite an-
other thing to claim that we cannot have knowledge of nature before
we have reached a certain stage of knowledge of society. The first
claim is not at all incompatible with the assertion that our knowledge
has nature as its primary object, for it is in this field that we make use
of the category of causality. The second claim is clearly incompatible
with it. But it is a claim that is hard to defend. And it may be doubted
(but this is a point of interpretation I cannot discuss) that Feuerbach
wanted to suggest this rather than suggesting that our awareness of
other men (individual men or groups of them, not society above
them) as subjects distinct from us is a condition of our awareness of na-
ture as a distinct object. It is one thing to claim that a relatively scientific
or objective study of nature cannot take place before we reach some
(wholly non-scientific) awareness of the human world, quite another
to claim that it cannot take place until we reach the idea of society as
a whole ordered according to certain laws.
Mondolfo himself seems to be concerned with the formulation of
some general laws by some of the Pre-Socratics (starting with the
well-known dictum of Anaximander) and to be convinced that they
could not be formulated by them without some consideration of
what takes place in society. To justify this suggestion he has to go
back to poets like Solon. Now it is true that Solon claimed that all
crimes will be punished in the long run, if not in the case of those
who committed them, then in the case of their successors. But this is
a matter of faith in justice and of religious belief (he expects Zeus to in-
tervene), and certainly not the result of any study of human society.
Mondolfo tries to show that the adoption of an idea of fate (moira) in-
volves that of justice. This passage is already open to doubt, but in any
case here again it is a matter of faith in justice and of religious belief,
which does not require any study of society.61 It could also be pointed

des Menschen von sich. Den Naturphilosophen Griechenlands gehen die so-
gennanten sieben Weisen voran, deren Weisheit sich unmittelbar nur auf das
menschliche Leben bezog.” (From the Ausgabe edited by W. Schüffenhauer,
Akademie-Verlag, Berlin 1956, 147 – 48.).
61 An account of the origins of Greek thought which presents some parallels with
that adopted by Mondolfo, but which relies on the idea of collective representations
which are of social origin but not the result of a conscious study of society, is to
be found in Cornford (1912). Mondolfo however gives some limited attention
Zeller in Italy 331

out that Solon is not concerned with making a distinction between the
human world and nature, at least from this point of view, for he talks of
the thunderstorms which are collected by Zeus with the intent of pun-
ishing men (cf. fr. 1 Diehl). The same attitude seems to prevail in the
mythical vision which we find in Homer and in Hesiod. The latter,
for instance, offers us a theogony that is also a cosmogony, and so con-
cerns the whole of nature, considering man a part of it. It is an attitude
which is to be found among the Pre-Socratics as well, for it would be
mistaken to assume that their concern for nature excludes concern for
man (only that of course man is taken to be a part of nature and not
as a moral subject, which is what happens with Socrates).
With all these qualifications one can certainly admit that the views
now briefly illustrated constitute a background for Anaximander’s theo-
ry that a ,law’ of justice is operating in the physical world. But this much
could probably have been accepted by Zeller as well, for he shows
awareness of the fact that the world of nature is understood by the
Pre-Socratics in the light of what belongs to the human world. He
makes the following declaration:
Andererseits aber warden, gerade weil man zwischen der Aussenwelt und
der Welt des Bewusstseins noch nicht genau unterscheidet, den körperli-
chen Stoffen und Formen auch wieder Eigenschaften beigelegt und Wir-
kungen von ihnen erwartet, wie sie in Wahrheit nur geisteigen Wesen zu-
kommen. Diese Züge bezeichnen die griechische Philosophie bis auf
Anaxagoras herab. Das philosophische Interesse beschränkt sich hier in
der Hauptsache auf die Betrachtung der Natur und auf Vermuthungen
über die Gründe der Naturerscheinungen; die Thatsachen des Bewusstseins
werden noch nicht in ihrer Eigenthümlichkeit erkannt und untersucht.62
He had also pointed out, on p. 135, that this is true to some extent even
of the speculation about nature which takes place after the Pre-Socra-
tics, e. g. with the admission of the world-soul by Plato, the Stoics,
and the Neoplatonists, and also with their recourse to teleological ex-
planations. Elsewhere, in the case of the Neoplatonists, he asserts that
the way in which they consider human nature determines the way in

to this work, but stressing the criticism to which it was subjected by Bréhier
(1913) rather than the points of contact with his own approach, cf. Zeller-
Mondolfo (1932), 70 and 157.
62 Zeller (1963), Bd. 1, Teil 1 (Einleitung), 137.
332 Walter Leszl

which they consider the whole world,63 and even advances the sugges-
tion that Proclus’ system reflects the organization of Byzantine society.64
In fact a sufficiently developed study of the human world would have
recognized its difference from the world of nature. As we shall see,
Mondolfo himself still admits that the main interest of the Pre-Socratics
was in the world of nature, and that the problems which were raised
concerned this world.

IX. Rationalism and mysticism

Zeller stresses that Greek philosophy is a manifestation of the Greek spi-


rit or mind (Geist), which preserves what is typical of it. And what is
typical of it is a sense of order, definiteness (Bestimmtheit) and purity
(Reinheit) that still constitutes a model for us, in spite of our changed
outlook.65 What prevails is a classical ideal that is evident in Greek
art, which represents what is spiritual without any opposition to what
is sensible, and which privileges simplicity and harmony.66 What is spi-
ritual is certainly regarded as superior to what is natural, but without ad-
mitting any opposition between these two spheres or accepting any of
that devaluation of nature which emerges with Christianity.67 Thus
the order which prevails in nature is taken to be in accordance with ra-
tionality, to the point that conformity with nature can become a prin-
ciple of morality. In the field of philosophy and of science the corre-

63 Zeller (1963), Bd. 3, Teil 2, 483: “Die Betrachtung der menschlichen Natur ist
für die Beschreibung des Weltganzes massgebend, sie bildet auch den Schluss-
stein der theoretischen Untersuchungen.”
64 “… und er [scil. Proklus] hat so ein alles Unsichtbare und alles Sichtbare umfas-
sendes, einheitliches und nach einem und demselben Schema gegliedertes
Weltbild entworfen, welches mit seiner himmlischen Hierarchie ein würdiges
Gegenstück zu der Beamtenhierarchie des byzantinischen Staatswesens bildet
…” (op. cit., 851).
65 See Zeller (1963), Bd. 3, Teil 2 (Schluss), 931.
66 See Zeller (1963), Bd. 1, Teil 1 (Einleitung), 129 – 130. (Certain statements Zel-
ler makes in this part are close to what we find in Hegel, for instance in the
following passage: “Die orientalische masslose Kraft der Substanz ist durch
den griechischen Geist zum Masse gebracht und in die Enge gezogen worden.
Er ist Mass, Klarheit, Ziel, Beschränkung der Gestaltungen, Reduktion des Un-
ermesslichen, des unendlich Prächtigen und Reichen auf Bestimmtheit und In-
dividualität.” [Hegel (1969), Bd. 18, 177.])
67 See Zeller (1963), Bd. 1, Teil 1, 126 – 127 and passim.
Zeller in Italy 333

sponding attitude lies in its being unprejudiced or spontaneous,68 in the


fact that the concern is immediately with the subject-matter,69 leaving
out any secondary interest and being untroubled by a concern with sub-
jectivity. In general, Zeller underlies its rationalism and its conformity to
a classical ideal.
It is precisely on this point that Mondolfo expresses his dissent.70 He
tends to oppose this image of Hellenism to that given by Nietzsche,
who admitted the existence of a permanent contrast between the Apol-
lonian and the Dionysian side of the Greek spirit. This entails giving an
important place to mysticism and other forms of irrationality, with the
recognition that a pessimistic view of the world is often to be found in
Greek authors. It is rather typical of this view to admit that the present
human condition is the result of an original fall which must be over-
come through some mystical ascension towards unity. One conse-
quence is that the position these authors adopt is not wholly on the
side of harmony, finiteness, or objectivity, for we cannot separate har-
mony from conflict, finiteness from infinity, objectivity from subjectiv-
ity.
This change of outlook can be illustrated by a consideration of the
first period of Greek philosophy. Mondolfo is inclined to establish a
connection between his account of the origin of speculation about na-
ture in the study of society and an account which makes much of the
role of mysticism in the origin and development of Pre-Socratic philos-
ophy. It is likely that he can establish that connection because he himself
does not distinguish what he regards as the study of society from the re-
ligious belief to which I have referred above. In any case he makes
much of certain beliefs which reflect a mystical religiosity, especially or-
phic, such as that incarnation is the consequence of an original sin which
requires expiation. Thus he interprets Anaximander’s thought in this
light, for he supposes that the injustice for which he requires reparation
is not simply that committed by an individual towards another individ-

68 “Jene Unbefangenheit, die Hegel der alten Philosophie nachrühmt” (Zeller


(1963), Bd. 1, Teil 1, 131, with reference to Hegel’s Vorlesungen ðber die Ge-
schichte der Philosophie, passage in Hegel (1969). Bd. 18, 129: “Das griechische
Philosophieren ist unbefangen, weil er auf diesen Gegensatz von Sein und
Denken noch nicht Rücksicht nimmt…”.).
69 In Zeller’s own words: “er (scil. der Philosoph) richtet sich von Anfang an rein
auf die Sache” (op. cit., 131).
70 See his Nota sopra il genio ellenico e le sue creazioni spirituali, Zeller-Mondolfo
(1932), 306 – 355.
334 Walter Leszl

ual as parts of this world but a collective injustice committed by all indi-
viduals towards the Infinite (apeiron) as a consequence of the inevitable
conflicts which arise between them. Reparation is obtained by the ab-
sorption of all of them into the Infinite. A similar interpretation is given
of Heraclitus’ position, for he is supposed to have admitted a world-fire
(ekpurosis) and to have regarded it as having a cathartic function. In Em-
pedocles’ case the presence of a mystical side in his thought needs no
particular stressing. But Mondolfo gives the impression that the same
can be said of Parmenides, in view of the contents of the proem and
the second part of his poem.71 In adopting these interpretations he
shows much appreciation for Joël’s works on Pre-Socratic philosophy,
while not ignoring that Joël was critical of Zeller’s position.72 Here
we have then an explicit point of dissent with Zeller, who regarded
mysticism as a minority phenomenon which mainly concerned the Py-
thagoreans and one side of Empedocles’ thought (that represented by his
Katharmoi, which is supposed to be in contrast with what he find in the
Peri physeos).73 While it should be conceded that some conception hav-
ing to do with mysticism, like metempsychosis, was accepted by some
other philosophers like, perhaps, Heraclitus, this is not an essential
part of his philosophical system.74

X. Other points of dissent and conclusion

The dissent with Zeller goes beyond the interpretation of Pre-Socratic


philosophy. Mondolfo does not share the view, which is common to
Hegel and to Zeller, that the advent of Christianity carries with itself
a profound change of outlook, with a discovery of subjectivity which
is absent from the world of ancient culture. What prevails in this
world is an objectivity which tends to assume the form of a dependence
of the spirit (Geist) on nature or, anyhow, of its inseparability from the
latter. The position of the Pre-Socratics, in its exclusive naturalism, is

71 For these interpretations see especially Mondolfo (1956b).


72 On this point see Nota sulla filosofia Pre-Socratica in Zeller-Mondolfo (1938),
30 – 36. See also Mondolfo’s Nota sopra la religione greca e i suoi rapporti con la fi-
losofia in Zeller-Mondolfo (1932), 140 – 66, esp. the conclusion, 165 – 66. (His
references are to Joël (1903) and (1921).)
73 On this point in Empedocles see Zeller (1883), 64 – 65, Zeller (1963), Bd. 1,
Teil 2, 1000 – 1001.
74 See Zeller (1963), Bd. I, Teil 1, 65.
Zeller in Italy 335

typical from this point of view. As for Socrates, since admittedly he was
not a systematic thinker, he is regarded mainly as preparing Plato’s po-
sition and, anyhow, as being concerned with the concept that is objec-
tively true, to the exclusion of any form of individualism and subjecti-
vism.75 The positions of Plato and Aristotle remain close to those of the
Pre-Socratics when they deal with nature and the cosmos. But even the
postulation of a world of forms by Plato does not involve a change in
attitude, for this in a way replaces the natural world of the Pre-Socratics
as the objective reality which has to be known. In spite of the adoption
of a sort of interiorized ethics by the Stoics, this still involves the re-
quirement of conformity to nature. The Neoplatonists go back to the
positions adopted by Plato and Aristotle. And so forth. We miss, com-
pletely or nearly so, certain concerns of modern philosophy like deter-
mining the faculties we possess for knowledge and their limits. We
equally miss the recognition that the spirit (or mind: Geist) has infinite
creative powers which make it superior to nature. This interest in the
spirit as such only comes with its separation from nature which takes
place with the advent of Christianity, whose conception of man entails
putting him in a direct relationship with God (conceived as the absolute
spirit), instead of conceiving him as a part of the physical world.
Mondolfo thinks that this account is influenced by the Hegelian ap-
proach to history. This involves the supposition that the history of a
people like the Greeks is comparable to that of an organism, which
has a beginning, a maximum of fulfilment and an end. As with an or-
ganism, there must be some unifying principle in a people which
makes it different from any other people. If among the Greeks there
is the prevalence of an objective attitude involving a dependence of
the spirit on nature, there cannot be any space for attitudes which reflect
the principles which are evident among peoples who came later. Mon-
dolfo does not share this approach to history and thus thinks that the
prevalence of a certain attitude among a people like the Greeks is
only relative. He envisages the possibility (as pointed out above) that
certain views were already present in Greek authors but did not reach
complete development and articulation.
Thus he tries to show that ancient philosophy contains anticipations
of what is regarded as typical of modern philosophy, for instance doubts
about the objectivity of human knowledge and reflection on its criteria,
a discovery of moral consciousness accompanied by an awareness of sin,

75 Cf. Zeller (1910b), 93.


336 Walter Leszl

some recognition of the faculty of the will, the adoption of theories of


progress and a contemplation of the possibility that religion is a human
creation dictated by human needs (these are among the topics which are
dealt with in his La comprensione del soggetto umano nell’antichit” classica) 76.
There is no space here to offer an assessment of Mondolfo’s success
in this attempt; I can only say that in my view this success is only par-
tial.77Our question here should rather be: what led Mondolfo to project
and, for a time, direct this great enterprise of an Italian translation ac-
companied by bibliographical updates when he was manifestly con-
vinced that in a significant number of issues that were far from small
Zeller’s approach was no longer acceptable?
There are, I think, two replies that can be given to this question, one
of them concerning Mondolfo’s actual procedure as a historian of phi-
losophy and the other concerning his explicit declarations. As to his pro-
cedure, it can be remarked that the choice of topics which Mondolfo
made in his original contributions to the understanding of ancient
thought (i. e. in the quoted works on the infinite and on the compre-
hension of the human subject) is clearly influenced by his wish to high-
light certain sides which tended to be overlooked by the classicist ap-
proach adopted by Zeller. Yet, when it comes to the overall interpreta-
tion of ancient philosophy, one notices that the differences are not very
great.
This overall interpretation is to be found in a book on ancient phi-
losophy (entitled Il pensiero antico. Storia della filosofia greco-romana esposta
con testi scelti dalle fonti, initially published in Milano, 1929) that is in two
parts: an anthology of passages from the ancient authors chosen with the
purpose of giving an idea of the main line of their position; and an ex-
position of their thought in the form of a rather short summary (entitled

76 In the light of what was said above it can be seen that the title adopted for the
Italian version of this book, with its reference to classical antiquity, does not re-
spect Mondolfo’s intentions (the title of the Spanish original was different: La
comprensiýn del sujeto humano en la cultura antigua).
77 On the issue of the recognition of the idea of progress I took up a position in
my introduction to the Italian version of Edelstein’s Idea of Progress in Classical
Antiquity (L’idea del progresso nell’antichit” classica, Bologna: il Mulino, 1987),
where I point out certain limits that this recognition has compared to what hap-
pens in modern times. On the issue of the recognition of infinity I think that
the interpretation provided by Furley (1987), which involves the recognition of
two distinct trends, one (represented for instance by the atomists) in its favour
and one (represented for instance by Plato and Aristotle) against it, is more per-
suasive than Mondolfo’s tendency to find this recognition everywhere.
Zeller in Italy 337

Sintesi storica del pensiero antico, from p. 539 to p. 603). Clearly the work
is meant to be a handbook for the use of university or high-school
teachers (comparable in some ways to Zeller’s Grundriss), so that, in re-
ferring to it, we must be aware of the limits which this work presents:
certain details which could have revealed significant differences of inter-
pretation are left out. Further, it does not seem that Mondolfo had the
opportunity of revising the work between its first edition (which pre-
cedes his Problemi e metodi di ricerca nella storia della filosofia by some twen-
ty years, but only by a few years the first volume of the Zeller-Mondol-
fo series) and its second edition. All the same, the overall interpretation
emerges with sufficient clarity, and allows a comparison with Zeller’s
approach.
One point of partial convergence has already been touched on: it
lies in the place attributed to eclecticism. But this should be linked
with the main distinctions in periods that are adopted by Mondolfo,
and that are close to those adopted by Zeller for the whole of philoso-
phy starting with Plato. Eclecticism is supposed to come at the close of a
period (that of Hellenistic philosophy) in which a concern with ethics
or practical philosophy prevailed and to offer a transition to the new pe-
riod in which a concern with religion prevailed. The part which pre-
cedes these parts is represented by the “great systems” elaborated by
Plato and Aristotle. Here, as we have seen above, there is a partial con-
vergence with the account adopted by Zeller.
Some more significant divergences are noticeable in the philosophy
that precedes Plato. Mondolfo puts the sophists, Socrates and the minor
Socratics all together in a period he regards as qualified by the predom-
inance of the anthropological problem (“Il predominio del problema
antropologico” is the title of the chapter). This way of handling the so-
phists together with Socrates, and the attenuation of the continuity be-
tween Socrates and Plato, is closer to Hegel’s than to Zeller’s ap-
proach.78 In the case of the Pre-Socratics (without the sophists), howev-
er, Zeller remains too close to Hegel for Mondolfo’s comfort. For this
period Zeller adopts a distinction into two main phases, the first, in
which what prevails is concern with the postulation of an immutable
substance (or with “being”, as Hegel wanted) and the second, in

78 An explicit rejection of Zeller’s approach, as failing to recognize the variety of


positions to be found among the sophists and as giving too negative an assess-
ment of them, is to be found in the Nota sulla filosofa presocratica in Zeller-Mon-
dolfo (1938), 78 – 79.
338 Walter Leszl

which what prevails is concern with giving an account of becoming.


The consequence of this subdivision is that Heraclitus has to be put
in the second phase, after the Eleatics, anachronistically in relation to
Zeno and Melissus. Mondolfo adopts instead the more traditional collo-
cation of Heraclitus at the end of the period of the Ionians, precisely
because he does not accept that distinction into two main phases (he
rather supposes that with the pluralists we have a new phase of cosmo-
logical speculation, determined by the reaction to the Eleatic theory).
Another point of divergence is given by the fact that at the close of
the period we have the atomists and not Anaxagoras (here again Zeller
follows Hegel).79
On the prevalence of physics or cosmology among the Pre-Socratics
he accepts Zeller’s approach, but with two reservations. One reservation
is the one we have already met: that the cosmology is influenced by eth-
ical and religious considerations. Another reservation concerns the Py-
thagoreans and the Eleatics, and it is that not sufficient space is left for an
interest in ethics (and religion) in the case of the former, and for dialec-
tical or logical elaboration in the case of the latter, when one stresses, as
Zeller does, the concern for nature that is dominant in Pre-Socratic
thought.80
Though all these divergences should not be minimized, they are not
very great and, in most cases, are not a consequence of the critical ob-
servations which, as we have seen, Mondolfo adduces against Zeller in
other works. One can conclude from this that Mondolfo, in spite of all
these critical observations, remained convinced that Zeller provided an
account of ancient philosophy which set a standard.
The other reply is suggested by what emerges in the Prefaces to the
Italian editions of the Grundriss and of the Philosophie der Griechen. In the
former Mondolfo expounds, without express reservations, Zeller’s prin-
ciples in doing history of philosophy and concludes that their application
to the history of Greek philosophy led him to elaborate his great work
which, whatever progress might be made in the field, for its authority

79 Some of the arguments which Zeller (1963), Bd. 1, Abt. 2, 1264 – 1265, addu-
ces to prove that Anaxagoras must have reacted to Leucippus’ atomistic system
(his rejection of the void, etc.) have been questioned by other scholars, for in-
stance by Burnet (1930), pp. 332 – 333.
80 Cf. Zeller-Mondolfo (1938), 72 – 73, where Mondolfo takes sides with
Schleiermacher against Zeller.
Zeller in Italy 339

remains a ,classical’ model of historical inquiry.81 Similarly, in the other


preface, Mondolfo states that Zeller’s work must be regarded as a ,clas-
sic’ in its genre, and that the author himself would have conducted fur-
ther critical revision of it if he had had the chance to do so. It may be
questioned whether this critical revision would have gone in the direc-
tion indicated by Mondolfo, but he tends to claim to be doing a work
which responds to Zeller’s own intentions. In any case he shows the evi-
dent conviction that Zeller’s Philosophie der Griechen has to be used with
some critical detachment, but that it is not the kind of work which can
be easily replaced; and this is a judgement which, I would say, can still
be shared all these years after Mondolfo initiated his enterprise.

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81 “L’applicazione di questi concetti e principi ha condotto Zeller alla elabora-


zione magistrale della sua grande opera su La filosofia dei Greci che, per quanti
progressi abbiano compiuto e possano compiere ancora indagini ulteriori,
resta sempre un modello ‘classico’ dell’indagine storica.” (Preface to Zeller
(1975), xxviii.)
340 Walter Leszl

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Zeller in Italy 341

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co e la Scuola di Atene, a cura di Giuseppe Martano (traduzione di Ervino
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ristotele e i Peripatetici più antichi. A cura di Armando Plebe (traduzione di
Claudio Cesa), Firenze.
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sviluppo storico. Parte I: I Presocratici, Empedocle, volume V: Atomisti,
Anassagora. A cura di Antonio Capizzi (traduzione di Domenico Musti),
Firenze.
Zeller-Mondolfo (1974). E. Zeller – R. Mondolfo, La filosofia dei Greci nel suo
sviluppo storico. Parte II: Da Socrate ad Aristotele, volumi III/1 e III/2: Pla-
tone e l’Accademia antica. A cura di Margherita Isnardi Parente (traduzione
di Ervino Pocar), Firenze.
Zeller-Mondolfo (1979): E. Zeller – R. Mondolfo, La filosofia dei Greci nel suo
sviluppo storico. Parte III: La filosofia post-aristotelica, volume IV: I precur-
sori del Neoplatonismo. A cura di Raffaello Del Re (traduzione di Ervino
Pocar), Firenze.
Namenregister

Achenwall, Gottfried 258 Böhme, Jakob 253


Adickes, Erich 172f. Boethius 137
Adronicus 101, 103 Bonitz, Hermann 6, 15, 93, 96,
Aëtios von Antiochia 34, 39, 56, 58 100f., 104f., 267, 269, 272f.
Alexander von Aphrodisias 83, 103 Borges, Jorge Louis 204
Alfieri, Vittorio Enzo 311 Brandis, Christian August 3, 7, 9,
Ammonios Sakkas 149, 272 93, 96–98, 103–105, 117, 142
Anaxagoras 53, 145, 311, 338 Braniss, Christlieb Julius 108f.
Anaximander 55–58, 328, 330f., Bréhier, Emile 331
333 Brentano, Franz 93, 107, 113f.,
Andronikos von Rhodos 294 116f., 139
Antiochos von Askalon 145 Bronn, Heinrich Georg 40, 48
Apellikon von Teos 100, 103 Brucker, Johann Jakob 94f., 99,
Aristippus 255 138f.
Aristoteles 26–31, 34–39, 41–46, Bruni, Leonardo 296
48–57, 61f., 69–71, 74f., 79–88, Bruno, Giordano 317
93–96, 100, 101, 137, 140, 144, Bruns, Ivo 271
168–170, 172, 177–181, Buffon, Georges-Louis Leclerc de
184–186, 189–204, 246, 252f., 40f.
256, 262f., 265, 267–271, Buhle, Johann Gottlieb 95, 99–102,
276–280, 283–289, 292–297, 106
299–300, 303f., 311, 314, Busse, Adolf 271
316–319, 322, 335–337 Byl, Simon 190f.
Augustinus, Aurelius 137, 323 Bywater, Ingram 271, 277
Bacon, Francis 198 Campbell, Lewis 280
Ballauff, Theodor 192 Capizzi, Antonio 311
Barker, Ernest 289, 296, 299 Carus, Julius Victor 48–52, 54
Barth, Karl 212, 229 Cassirer, Ernst 197
Baumgarten, Alexander Gottlieb Cattaneo, Carlo 327
258 Cesa, Claudio 310
Baur, Ferdinand Christian 1f., 5, 8, Charron, Pierre 321
10, 12, 15, 17, 96, 126–129, Cicero, Marcus Tullius 103, 319,
134f., 209, 216, 227 321f., 323f.,
Bekker, August Immanuel 96, 98, Clemens von Alexandrien 138
267 Cohen, Hermann 18, 166
Beneke, Friedrich Eduard 163 Comte, Auguste 162
Benoît de Maillet 40f. Cousin, Victor 96
Bernays, Jacob 282, 286 Croce, Benedetto 310
Berti, Enrico 94 Cuvier, Georges 45, 190
Boeckh, August 2 Damascius 262
344 Namenregister

Darwin, Charles 26, 29, 34, 39–43, Haeckel, Ernst 172f., 212
45–49, 51–53, 55, 62, 162, 172, Hamilton, William 96
189–193, 196–201, 203f., 218 Hankins, James 296
Del Re, Raffaello 311 Hartmann, Eduard von 172, 218
Demokritos 47, 329 Hartmann, Nicolai 154, 171
Descartes, René 94, 313 Hayduck, Michael 271
Dewey, John 159 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 2,
Diels, Hermann 3f., 125, 145, 243, 5, 7–9, 15, 52, 67, 69, 88f.,
262f., 265–273 95–98, 108–112, 139–143,
Dilthey, Wilhelm 9, 19f., 125, 166, 154–159, 161, 166, 172,
243, 326 177–179, 181–187, 214f., 217,
Diogenes Laertius 100, 102, 265 220, 224, 230, 234, 239, 245,
Dionysius von Halikarnass 287 247, 249–253, 256f., 259, 297,
Dissen, Ludolph 263 312–316, 319–323, 325–328,
Driesch, Hans Adolf Eduard 189 332–334, 337
DuVal, Guillaume 100f. Heiberg, Johan Ludwig 271
Empedokles 26, 30–31, 34, 36–39, Heidegger, Martin 139, 259
45, 47–53, 55, 58–62, 140, 191, Heinze, Max 142, 271
193–195, 197f. Helmholtz, Hermann von 5, 162,
Engel, Johann Jakob 322 165, 267
Engels, Eve-Marie 200, 204 Henrich, Dieter 156
Engels, Friedrich 317 Heraklit von Ephesos 145, 311, 313,
Epiktetos 132, 315, 323 328, 334
Erdmann, Benno 243 Hermann, Karl Friedrich 280f., 299
Eudemos von Rhodos 103, 278f. Herschel, John 197–199
Feuerbach, Ludwig 215, 220-222, Hertling, Georg Freiherr von
225f., 317, 327, 329 113–115
Fichte, Immanuel Hermann 158, Hesiod 56, 328, 331
163, 186f. Hilgenfeld, Adolf 133
Fichte, Johann Gottlieb 163, 186f. Hippolytos 55, 57
Fischer, Kuno 164, 259 Hirsch, Emanuel 212
Flavius Josephus 133 Hoffmann, Ernst 9, 18, 170, 281,
Frege, Gottlob 185 304f.,
Fülleborn, Georg Gustav 95, 101 Holtzmann, Heinrich Julius 123
Gadamer, Hans Georg 304 Homer 331
Galenos von Pergamon 265 Hull, David 198
Garve, Christian 322 Hume, David 197, 224, 256, 259
Gassendi, Pierre 94 Huxley, Thomas H. 189
Geulincx, Arnold 254, 257 Iamblichos von Chalkis 150
Gifford, Adam 52 Jaeger, Werner 93, 104, 275–281,
Goethe, Johann Wolfgang von 139, 283–289, 292–299, 301–305,
289 318, 328
Golitsis, Pantelis 100 James, William 159
Gotthelf, Allan 190f. Joël, Karl 334
Gould, Stephen Jay 205 Johannes Damascenus 264f.
Graf, Friedrich Wilhelm 217 Johannes Serranus 139
Gray, Asa 199 Johannes Stobaios 264f.
Grece, Clair James 41–43, 50f., 53 Kaibel, Georg 264
Namenregister 345

Kalbfleisch, Karl 271 Monod, Jacques 190


Kant, Immanuel 5, 67, 69, 95, Montaigne, Michel Eyquem de
106f., 163–166, 171f., 186f., 321f.,
243, 249, 251f., 256, 258f., 295, Muehll, Peter von der 277
314f. Natorp, Paul 18, 101, 244
Kapp, Ernst Julius 277 Neumann, Carl. W. 48
Kenyon, Frederic G. 271 Newton, Isaac 172
Kierkegaard, Søren 210f. Nicolai, Friedrich 322
Köhnke, Klaus Christian 153 Nietzsche, Friedrich 2, 19f., 259,
Köstlin, Karl Reinhold 3 268, 304, 317, 322, 324, 326, 333
Krohn, August 17 Nikolaos Damascenus 264f.,
Kümmel, Werner Georg 124 Numenios von Apameia 145
Kullmann, Wolfgang 201f. Nussbaum, Martha 201
Lamarck, Jean-Baptiste de 41 O’Brien, Denis 38f.
Lambert, Johann Heinrich 258 Oenomaus 324
Lambros, Spyridon P. 271 Ogle, William 43–46, 53, 190
Lange, Friedrich Albert 47f., 52, 54, O’Meara, Dominic J. 150
58 Origenes 137, 149
Leibniz, Gottfried Wilhelm 105, Panaetius von Rhodos 324
250f., 254, 257, 259, 313 Parente, Isnardi 311
Lennox, James 195, 202–204 Parmenides von Elea 78, 140, 145,
Leo Magentinus 272 178, 182, 313, 328, 334
Leukipp 244,338 Pascal, Blaise 320
Linnæus, Carl Nilsson 45, 190 Patrizi, Francesco 99–101
Locke, John 224, 251, 256 Paulus von Tarsus 131f.
Löwith, Karl 153 Peirce, Charles Sanders 158f., 165
Longinos 145 Petit, Samuel 100–102
Lovejoy, Arthur 326 Petrus Ramus 94
Lucius, Paul Ernest 133 Philipp von Opos 75
Luhmann, Niklas 169 Philo von Alexandrien 132, 134,
Luther, Martin 228 145
Lykurg 302 Planck, Gottlieb Jakob 3
Macchiavelli, Niccolò 295, 321 Platon 7–19, 33, 67–77, 79–89, 96,
Malebranche, Nicolas 257, 313 100, 103, 106–110, 137–140,
Marcus Aurelius Antoninus 132 144f., 168., 178–181, 185f., 243,
Marius Victorinus 137 252f., 255, 280–282, 287f., 296,
Martano, Guiseppe 311 300, 302, 311, 314–318, 320f.,
Marx, Karl 158, 327 331, 335–337
Mayr, Ernst 201 Plebe, Armando 311
Meier, Georg Friedrich 258 Plotin 139f., 144–149, 253, 314
Melissos von Elea 338 Plutarch 56f., 99, 265, 324
Mendelssohn, Moses 322 Porphyrios 145f.
M’Mahon, John 96 Posidonius von Apameia 132, 324
Michelet, Karl Ludwig 96, 98, Praechter, Karl 142
102f., 105, 164 Prantl, Carl von 138
Mill, John Stuart 198, 199f., Proklos 138, 149, 253, 262
Mondolfo, Rodolfo 310–314, Pythagoras von Samos 140
317f., 324–330, 333–339 Rabe, Hugo 271
346 Namenregister

Ravaisson, Félix 96 Susemihl, Franz 284


Reale, Giovanni 311 Teichmüller, Gustav 10–19
Renan, Ernest 218 Tennemann, Wilhelm Gottlieb 95,
Ritschl, Albrecht 8, 127 99, 101, 106f., 138f, 321
Ritter, August Heinrich 3, 7, 9, Theophrastos von Eresos 100, 103,
97–99, 11, 138, 245 265f.
Robert, Carl 263 Tiedemann, Dietrich 95, 98, 101,
Rohde, Erwin 268 116, 138f.
Ross, William David 289 Tigerstedt, Eugène N. 139
Rossel, Karl 263 Titze, Franciscus Nicolaus 102, 104
Rousseau, Jean Jacques 256 Torstrik, Adolf 268f., 271
Ruse, Michael 198 Trendelenburg, Friedrich Adolf 5f.,
Russel, Bertrand 185 9, 12, 107, 113, 154, 156–159,
Scheler, Max 326 166
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph Ueberweg, Friedrich 142, 281
97, 139, 170, 172, 250 Usener, Hermann 124, 264–266,
Schleiermacher, Friedrich Daniel 268, 270, 273
Ernst 2, 7–11, 15, 80, 89, 97, Vahlen, Johannes 269
103, 108f., 129, 131, 139, 169, Vatke, Wilhelm 2
214, 217, 223, 225, 230, 232, Vico, Giambattista 317, 327
234f., 236f., 239f., 245, 281, 299 Vischer, Friedrich Theodor 3
Schopenhauer, Arthur 162f., 322 Vitelli, Girolamo 271
Schwegler, Albert 3, 52, 96, 98f., Wachsmuth, Kurt 264f.
103, 110f., 118, 142, 247, 259 Wallies, Maximilian 271
Schweitzer, Albert 2, 8, 20, 210f., Weber, Max 326
218 Weisse, Christian Hermann 158,
Seneca, Lucius Annaeus 132. 323 163
Sigwart, Christoph 243 Wendland, Paul 271
Simmel, Georg 322, 326 Whewell, William 198
Simplikios 36–39, 262, 270f. Wieland, Wolfgang 271
Solon 328, 330f. Wilamowitz-Moellendorf, Ulrich von
Spencer, Herbert 44, 162, 196 326
Spengel, Leonhard 279 Wilberding, James 158, 163
Spinoza, Benedictus de 169, 252, Wirth, Wolf, Friedrich August 271
257 Wittgenstein, Ludwig 197f.
Stein, Ludwig 142, 243, 254 Wolff, Christian 2, 101, 105, 110,
Steinhart, Karl 15, 142 320, 323
Stirling, James Hutchison 52, 54 Zarncke, Friedrich 268
Strabon 99 Zeller, Eduard 1 und passim
Strauß, David Friedrich 2f, 6, 8, Zeno von Elea 316, 338
128, 134, 158, 209–213, Zwingli, Huldrych 211
215–223, 225–227, 235, 239f.

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