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Kant: Was ist Aufklärung?

Immanuel Kant BEANTWORTUNG DER FRAGE: WAS IST AUFKLÄRUNG? *) 35 Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur
Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie sogar
5 Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten liebgewonnen und ist vorderhand wirklich unfähig, sich seines eigenen
Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon machen
ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese ließ. […] Daher gibt es nur wenige, denen es gelungen ist, durch eigene
Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, 40 Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit herauszuwickeln und
sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines dennoch einen sicheren Gang zu tun. Dass aber ein Publikum 6 sich selbst
10 andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit lässt, beinahe
zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. unausbleiblich. Denn da werden sich immer einige Selbstdenkende, sogar
unter den eingesetzten Vormündern des großen Haufens finden, welche,
Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der 45 nachdem sie das Joch7 der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist
Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen, einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs jedes
15 dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht Menschen, selbst zu denken, um sich verbreiten werden.
wird, sich zu deren Vormündern1 aufzuwerfen2. Es ist so bequem, unmündig
zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der […] Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die
für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von
brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen. Nun höre
20 wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche3 Geschäft ich aber von allen Seiten rufen: Räsonniert8 nicht! Der Offizier sagt:
schon für mich übernehmen. Räsonniert nicht, sondern exerziert! Der Finanzrat: Räsonniert nicht, sondern
bezahlt! Der Geistliche: Räsonniert nicht, sondern glaubt! [,,,] Hier ist überall
Dass der bei weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Einschränkung der Freiheit. Welche Einschränkung aber ist der Aufklärung
Geschlecht4) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem dass er beschwerlich ist, hinderlich, welche nicht, sondern ihr wohl gar beförderlich? - Ich antworte:
25 auch für sehr gefährlich halte, dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft9 muss jederzeit frei sein, und der
Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr allein kann Aufklärung unter Menschen zustande bringen; der Privatgebrauch 10
Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig verhüteten, dass diese derselben aber darf öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch darum den
ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen5, darin sie sie Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern. […]
einsperrten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen
30 drohet, wenn sie es versuchen, allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar Königsberg in Preußen, den 30. Septemb. 1784. I. Kant. *) Auszüge aus:
eben so groß nicht, denn sie würden durch einigemal Fallen wohl endlich Berlinische Monatsschrift. Dezember-Heft 1784. S. 481-494
gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern und
schreckt gemeiniglich von allen ferneren Versuchen ab.
6
ein Publikum: die Öffentlichkeit, die Gesellschaft
7
das Joch hier: erzwungene Einschränkung
1 8
der Vormund: Person, die für eine nicht mündige Person spricht, entscheidet räsonieren: Vernünftig über etwas nachdenken, argumentieren
2
sich aufwerfen = sich aufspielen 10 9
öffentlicher Gebrauch: z.B. Veröffentlichung von Schriften, öffentliche Diskussion
3
verdrießlich = unangenehm, mühevoll unter Philosophen und Schriftstellern, …
4
5 das schöne Geschlecht: die Frauen 10
Privatgebrauch = im beruflichen Umfeld, wo Pflichterfüllung und Gehorsaqm
5
Gängelwagen = Gehwagen für Kinder, der die Bewegungsfreiheit einschränkt wichtiger sind
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Immanuel Kant: Was ist Aufklärung?

Definition: Aufklärung ist


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Hindernisse Kant Voraussetzungen

10 Hindernisse Voraussetzungen

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Kants zentrale Forderung:

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Folgen:

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Immanuel Kant: Was ist Aufklärung?

Definition: Aufklärung ist die Überwindung der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“


5
durch Gebrauch des eigenen Verstandes
Hindernisse Kant Voraussetzungen

10 Hindernisse Voraussetzungen

Faulheit, Öffentlichkeit
15 Bevormundung Freiheit
Bequemlichkeit Feigheit (Möglichkeit zur
durch zu „räsonnierenn“
(Übertragung der (Angst vor eigenen Diskussion und
Verantwortung an Entscheidungen) Autoritäten Publikation von Schriften)
(„Gängelung“)
andere)

20

Kants zentrale Forderung: Sapere Aude – Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.

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Folgen: Selbstbewusstsein Mündigkeit


(Schätzen des eigenen Wertes)  vernunftgesteuertes autonomes Handeln

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Bild einfügen z. B. https://www.gettyimages.de/fotos/kant

Herr Kant, wie würden Sie den Schülern einer 10. Klasse im Jahr 2023 Ihre Forderung
„Sapere aude“ erklären?
5

Stimmen Sie den folgenden Aussagen zu?


1. Vertrau deinem Arzt, dann bleibst du gesund.
2. Durch Schaden wird man klug.
10 3. Männer und Frauen sind gleichermaßen für die Aufklärung geeignet.
4. Lesen ist in jedem Fall die Grundvoraussetzung für die Aufklärung.
5. Jeder hat stets das Recht, seine Meinung frei zu äußern, in Wort, Schrift und Bild.
6. Das Internet erleichtert es, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.
7. Ist die heutige Schule eine Einrichtung, die die Aufklärung fördert?
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Wähle 3 Aussagen und begründe deine Antwort.

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Stimmen Sie den folgenden Aussagen zu?
1. Vertrau deinem Arzt, dann bleibst du gesund. Nein, sieht Text
2. Durch Schaden wird man klug. Ja, siehe Text
3. Männer und Frauen sind gleichermaßen für die Aufklärung geeignet.
5 Nein: lt. Kant sind Frauen besonders anfällig für Bevormundung.
4. Lesen ist in jedem Fall die Grundvoraussetzung für die Aufklärung.
Ja: ein wichtiges Medium der Aufklärung sind die Literatur bzw. philosophische
Schriften. Aufklärung ist gebildeten Kreisen vorbehalten.
5. Jeder hat stets das Recht, seine Meinung frei zu äußern, in Wort, Schrift und Bild.
10 Nein. Kants Begriff der Öffentlichkeit unterscheidet sich vom heutigen (siehe
Fußnote zum Text) Denkfreiheit gilt für Kant nur im „öffentlichen“ Raum (gemeint:
Diskussion unter Intellektuellen), nicht im „Privaten“ (gemeint z.B. Beruf,
Dienstpflichten, Staatsraison …); öffentliche politische Aktion im heutigen Sinne
lehnt Kant ab, Revolutionen sind ihm ein Graus.
15 6. Das Internet erleichtert es, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.
freie Argumentation
7. Ist die heutige Schule eine Einrichtung, die die Aufklärung fördert?
freie Argumentation der SuS.

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