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Internationales Studien- und Sprachenkolleg der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Feststellungsprüfung im Fach Geschichte


Probeprüfung

Formulieren Sie ganze Sätze

Kapitel: Historisches Arbeiten


Quelle 1
Der Volkswirtschaftler Friedrich List (1789-1846) über den Eisenbahnbau in
Deutschland 1841

„Was wir zur Zeit in Deutschland an Eisenbahnen besitzen, ist gut als Spielzeug für die
Städte und um dem deutschen Publikum einen Begriff von der Sache zu geben; der eigentliche
Nutzen dieses Transportmittels aber, sein Einfluss auf die Agrikultur, den Bergbau, auf den
inneren und äußeren Handel kann in großartiger Weise erst hervortreten, wenn der Osten mit
dem Westen, der Norden mit dem Süden Deutschlands durch wenigstens vier Eisenbahnlinien
verbunden sein wird.“
(aus: M. Beimel/H. Mögenburg: Industrialisierung – Das deutsche Beispiel, S. 47)

Quelle 2
Der französische Dichter Victor Hugo (1802-1885) schrieb in einem Brief vom 22.
August 1837 über die Eindrücke von seiner ersten Eisenbahnfahrt:

„Die Blumen am Feldrain sind keine Blumen mehr, sondern Farbflecken, oder vielmehr rote
oder weiße Streifen; es gibt keinen Punkt mehr, alles wird zu Streifen, die Getreidefelder
werden zu langen gelben Strähnen; die Kleefelder erscheinen wie lange grüne Zöpfe; die
Städte, die Kirchtürme und die Bäume führen einen Tanz auf und vermischen sich auf eine
verrückte Weise mit dem Horizont; ab und zu taucht ein Schatten, eine Figur, ein Gespenst an
der Tür auf und verschwindet wie der Blitz, das ist der Zugschaffner...“
(aus: V. Hugo. Gesammelte Werke, Band 5. 6. Auflage 1980, S. 45)

Aufgabe 1: Weisen Sie anhand der Quellen 1 und 2 Multiperspektivität in der


Geschichtswissenschaft nach. Berücksichtigen Sie dabei auch die Hauptaussagen. (10
Punkte)

Kapitel: Deutsches Reich


Quelle 3
Ministerpräsident Bismarck aus Nikolsburg1 an den preußischen König am 24. Juli 1866

„Wenn dieses Ziel durch einen raschen Abschluss auf dieser Basis gesichert werden kann, so
würde es nach meinem Dafürhalten ein politischer Fehler sein, durch den Versuch, einige
Quadratmeilen mehr von Gebietsabtretungen oder wenige Millionen mehr von Kriegskosten
von Österreich zu gewinnen, das ganze Resultat wieder in Frage zu stellen und es den
ungewissen Chancen einer verlängerten Kriegsführung oder einer Unterhandlung, bei
welcher fremde Einmischung sich nicht mehr ausschließen lassen würde, auszusetzen.“
(aus: Bismarck, Otto von: Die gesammelten Werke, Friedrichsruher Ausgabe, 15 Bde., Berlin 1924, S. 78f.)

1
Verhandlungsort nach dem Sieg der Preußen über die Österreicher
Aufgabe 2: Wie begründet Bismarck in der vorliegenden Quelle den „raschen“
Friedensabschluss mit Österreich und erklären Sie, was er damit gemeint haben könnte!
(10 Punkte)

PBL-Thema: Schinderhannes

Auszug aus einem Interview mit dem Rechtshistoriker Mark Scheibe, der das Leben des
Schinderhannes erforscht hat:

„Was sind die Gründe, dass man so wenig über seine Nachfahren weiß?

Alle mir bekannte Nachfahren haben unisono das Gleiche erzählt – dass sie nicht mit ihrem
Vorfahren dem Schwerverbrecher in Verbindung gebracht werden wollen.

Aber eigentlich sollte es doch nach acht Generationen nicht mehr unehrenhaft sein, wenn
man den Schinderhannes zu seinen Ahnen zählt.

„Interessanterweise sehen die meisten Nachfahren der Mittäter, also der Mitglieder seiner
Räuberbande, das ganz anders. Hier habe ich viele kennengelernt. Und sie tragen alle einen
gewissen Stolz mit sich, so eine spannende Familiengeschichte zu haben. Mit zwei
Ausnahmen. Die Familie Brixius war damals eine angesehene Familie, und die Nachfahren
schämen sich noch heute für ihr schwarzes Schaf in der Familie. Und die nach Brasilien
geflüchteten Leyendeckers waren nicht erfreut, als ich 2007 an der Uni von Sao Leopoldinho
im Süden des Landes über den Schinderhannes referiert hatte. Es gab danach einen wütenden
Anruf eines Nachfahren an den mich damals betreuenden Professor: „Wir Leyendecker sind
ehrliche Leute!“ Ich habe gelernt, dass die Ausgewanderten peinlich darauf geachtet haben,
nichts über ihr früheres Leben in ihrem neuen Land zu erzählen.
...

Im Gegensatz zu ihrem berühmten Ahnen dürften die Nachfahren größtenteils ehrbare


Berufe ausüben. Ein Hang zum kriminellen Milieu ist doch schließlich nicht vererbbar.
Oder wie sehen Sie dies als Biologe, Historiker und Jurist?

Blickt man acht Generationen zurück, hat man maximal 256 direkte Vorfahren in dieser
achten Generation – ein riesiger Genpool. Und wenn Schinderhannes vielleicht einen
spezifischen genetischen Marker hatte, hatten ihn vielleicht gleichzeitig einige andere
ebenfalls, da auf den Dörfern die genetische Variabilität nicht so ausgeprägt war wie in den
Städten. Aber ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass sich ein Merkmal bis heute erhalten
hat – seine Nase und sein Mund. Und Kriminalität sollte eigentlich aus der Sozialisation des
jeweiligen Menschen stammen, trotzdem gibt es noch heute den einen oder anderen
wissenschaftlichen Vertreter, der die kriminelle Veranlagung in den Genen sieht.“

(aus: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.1.2021, S. 46)

Aufgabe 3a: Arbeiten Sie aus dem Interview die gegensätzlichen Positionen der
Nachfahren entweder gegenüber dem Vorfahren Schinderhannes oder gegenüber den
Vorfahren der Bandenmitglieder heraus. Geben Sie auch deren Begründungen wieder.
(8 P)
Aufgabe 3b: Können Sie sich erklären, warum die genetische Variabilität auf den
Dörfern nicht so ausgeprägt war wie in den Städten? (siehe unterstrichener Satz der
Quelle) (2 P)

Aufgabe 3c: Ist nach Meinung Scheibes Kriminalität vererbbar? (4 P)

Insgesamt 34 Punkte

Viel Erfolg! ;-)

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