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Klopfen, Atmen und andere ventrale Vagus-Stärkungen!

Autorin: Rita Wawrzinek

Einleitung
Dem Titelthema „Loslassen“ widme ich mich in diesem Beitrag aus neurophysiologischer
Sicht mit dem Ziel, Mediator*innen ein erweitertes Verständnis der
zwischenmenschlichen Dynamik im Konflikt näher zu bringen und eine beeindruckend
wirkungsvolle Methode zur Regulation von Emotionen und Körperzuständen
vorzustellen. Der Ansatz PEP® von Dr. Michael Bohne ermöglicht ad hoc und zudem
nachhaltig Belastungen zu verarbeiten und bietet damit ein Werkzeug zur Erhaltung und
Stärkung der eigenen Gesundheit und Resilienz.

Wenn wir als Mediator*innen unser von Überwältigung komplett abschalten


Autonomes Nervensystem (ANS) vor, und nur noch körperlich anwesend sein.
während und nach einer strittigen
Die Polyvagal-Theorie: Drei neuronale
Mediation um seine Meinung fragen
Schaltkreise, welche die Reaktionen
würden, würde uns dieses wahrscheinlich
steuern (Porges, 2010, S. 36)
von unserer Tätigkeit abraten! Aus Sicht
des ANS begeben wir uns in Gefahr und
setzen uns einer Situation aus, die unseren
In der Mediation begegnen uns zu einem
neurophysiologisch stetigen Wunsch nach
überwiegenden Anteil Menschen, die ein
Verbundenheit und Sicherheit torpediert.
erhöhtes Aktivierungspotential
Diese aus der Polyvagaltheorie von aufweisen. Dieses reicht von einem
Stephen Porges abgeleitete These, die ich sympathisch-aktivierten Befinden, der
im Rahmen dieses Artikels vereinfacht Kampf und Flucht ermöglicht, bis hin zu
umreiße, fußt auf der Grundannahme, einem dorsal-vagalem Zustand, der dem
dass das Nervensystem des Menschen als Überlebensmodus des Ausgeliefertseins
Säugetier stetig auf der Suche nach entspricht. Selten begeben sich Menschen
Sicherheit und Verbundenheit ist. Dabei in eine Mediation, die in sich ruhend und
scannt unser autonomes Körpersystem ventral-vagal eingestimmt den anderen
permanent unsere Umwelt hinsichtlich Konfliktparteien begegnen.
möglicher Gefahren, reagiert auf
Außenreize und reguliert fortlaufend
unseren Zustand. So können wir innerhalb
kürzester Zeit aus der Gelassenheit, in die
Aktivierung kommen und beim Erleben

Text erschienen im Spektrum der Mediation, Ausgabe 83,1. Quartal 2021, Psychosozial Verlag
Autorin: Rita Wawrzinek www.fiberlin.de
Parasympathisch Sympathische Parasympathisch
Dorsaler Vagus Nervensystem Ventraler Vagus
Immobilisation Mobilisation Soziale Kommunikation/
Soziales Engagement

Erstarrung, Abschalten, Flucht, Kampf, Sicherheit, Kontakt,


Schweigen, Rückzug Aktivierung, Verteidigung Zuhören können,

Als Mediator*in den Raum zur


Verständigung anzubieten bedeutet also,
hin zum Abbruch der Verbindung
Verbundenheit mit Menschen aufrecht zu
verändern kann. Wenn Mediand*innen
erhalten, die sich gerade in einem
sich z.B. von uns abwenden, sich entziehen
Beziehungs-/Verbindungsdilemma
oder uns gegenüber abwehrend äußern,
befinden und Verbindungsabbrüche
entsteht in uns unwillkürlich eine
unterschiedlicher Couleur erleben. Eine
physiologische Reaktion von Wut und
solcherart konfliktbelastete Dynamik
Ärger! (Porges, 2017, S. 175).
beinhaltet die mangelnde Fähigkeit, sich
auf den Anderen einzustimmen. Diese Auch wenn uns bewusstwird, dass z.B. der
zwischenmenschliche aufkommende Ärger gerade nicht
Fehleinstimmungen bezeichnet Porges hilfreich ist, oder wir ihn sogar als
(2017) als „Momente biologischer Grobheit“, Hilfsmittel utilisieren können, wirkt er
die durch die Missachtung neuronaler dämpfend auf unsere Fähigkeit, mit den
Erwartungen fortlaufend die Abkehr von Mediand*innen verbunden zu bleiben.
der Verbundenheit verstärkt. Unsere unwillkürliche, körperlich-
neuronale Wahrnehmung ist immer
schneller und überzeugender als unsere
„Wenn wir uns nicht sicher fühlen, befinden Gedanken, da lediglich 20% der
wir uns permanent in einem Zustand der Nervenbahnen Informationen von
Defensivität, und wir urteilen unablässig.“ unserem Gehirn zurück in den Körper
Porges (2017), S.186 (Top Down) leiten. 80% der
Nervenbahnen übermitteln
Informationen von Körperinneren zum
Als Mediator*in nehmen wir anhand der Gehirn (Bottom-Up), sodass der
Mimik, der Gestik, der Modulation der Regulierung unseres Körperzustands eine
Stimme und vielen weiteren herausragende Bedeutung zukommt.
physiologischen Signalen die Verfassung
unserer Mediand*innen wahr. Die
Gestimmtheit der Mediand*innen -
sozialer Verbundenheit, hohe
Aktivierung, oder Erstarrung - wirkt
wiederrum auf unseren physiologischen
Zustand, der sich in Richtung
Kontaktwunsch, Alarmbereitschaft bis

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„Heute gehe ich mich mal selbst besuchen – PEP®-Anleitung zur Selbsthilfe in
mal sehen, ob ich zu Hause bin.“ belastenden Situationen:
Karl Valentin
Zu Hause-Sein, übersetzt in 1. Fokussierung auf das belastete
„Polyvagaltheoretisch“ meint, in einem unangenehme Gefühl:
sicheren ventral-vagalen Zustand zu sein, Auf einer Skala von 0 (totale
der uns physiologisch ermöglicht, mit Entspannung) bis 10 (maximaler Stress) –
anderen Menschen soziale wo befinden Sie sich gerade?
Verbundenheit zu erleben.
Nur, was machen wir, wenn wir nicht mehr 2. Selbststärkungssätze sprechen &
„Zuhause“ sind? Wenn wir eine Mediation Selbstakzeptanzpunkt massieren:
erlebt haben, die uns herausgefordert, Die Selbststärkungssätze bestehen
demoralisiert oder überfordert hat? Wenn aus zwei Teilen, die nacheinander
wir uns emotional gebeutelt, erschöpft, gesprochen werden. Beim ersten Teil
ärgerlich oder wütend erleben und wieder ist die Formulierung: „Auch wenn….“
in die Balance finden wollen? bzgl. der Benennung des Stressthemas
wichtig. Beim zweiten Teil geht es um
die Stärkung der Kernbedürfnisse. Je
PEP® - Der Turbo zur Selbstregulation! nach Thema resoniert ein Bedürfnis
oder auch gleich alle drei. In diesem
Der Begründer der Prozess- und Fall können auch alle Satzendungen in
Embodimentfokussierten Psychologie, einen Satz zusammengefasst werden.
kurz PEP®, Dr. Michael Bohne, Facharzt
für Psychiatrie und Psychotherapie, würzt Das Sprechens der Sätze wird durch
seine achtsamkeitsbasierte Zusatztechnik das kreisende massieren des
zur Aktivierung der Selbstwirksamkeit mit Selbstakzeptanzpunktes, links
viel Humor. „Auf der Basis einer oberhalb des Herzens & unterhalb des
hypnosystemisch-psychodynamischen Schlüsselbeins, begleitet. Die
Arbeitsweise geht es ihr kreisende Bewegung bitte von Innen
[𝑑𝑒𝑟 𝑍𝑢𝑠𝑎𝑡𝑧𝑡𝑒𝑐ℎ𝑛𝑖𝑘]neben einer guten nach Außen im Uhrzeigersinn
Integrierbarkeit vor allem um eine gut durchführen!
wirksame Überwindung von dysfunktionalen
Emotionen, wie Ängsten,
(posttraumatischem) Stress und a) Persönliches Stress-, Angstthema
unbewussten Lösungsblockaden.“ (Bohne, benennen
2013, S. 14) Die Methode lässt sich „Auch wenn ich mich gerade total
wunderbar zur Selbstregulierung nutzen
verausgabt habe….
und zudem in Coaching und Mediation
integrieren. „Auch wenn ich gerade das Gefühl des
totalen Scheiterns erlebe…
„Auch wenn mir die Mediand*innen
sowas von auf die Nerven gegangen sind…
„Auch wenn ich nicht weiß, wie ich die
nächste Mediation überstehen soll…
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b) Stärkung der Kernbedürfnisse 4. Zwischenentspannung
„liebe und achte ich mich so, wie ich Die Zwischenentspannung wird durch das
bin.“ klopfen des Integrationspunkt auf dem
Handrücken begleitet:
„bewahre ich meinen
Raum/entscheide ich, wie es hier läuft.“ „Schließen Sie bitte die Augen
„bleibe ich in Sicherheit/behalte ich den Öffnen Sie die Augen wieder
Überblick.“ Schauen Sie bitte nur mit den Augen ganz
nach rechts unten
Und nun ganz nach links unten
Bitte einmal die Augen einmal im großen
Bogen rechts herum kreisen
3. Klopfen Und nun einmal links herum kreisen
Zur Verarbeitung belastender Summen Sie eine Melodie
Emotionen werden nun nacheinander Zählen Sie laut von 7 bis 1 rückwärts
16 Akupunkturpunkte (s. Abb.) Summen Sie eine Melodie.“
geklopft. Die Intensität des Klopfens

bitte nach Gefühl variieren und als


Geschwindigkeit ca. 2 x pro Sekunde
klopfen. Die Verweildauer an den
einzelnen Punkten bitte nach
Wohlbefinden regulieren.‘

„Denken Sie an das unangenehme Gefühl


und beginnen Sie mit dem Klopfen der 5. Zwischencheck:
Punkte. Während des Klopfens richten „Wo befinden Sie sich nun auf der Skala
Sie Ihre Aufmerksamkeit bitte immer bzgl. Ihres belasteten Gefühls?“
wieder auf Ihren Atem und atmen Sie tief
ein und aus. Achten Sie ebenfalls auf
Unterschiede in Ihrer Wahrnehmung des Bei Skalenwerten über drei wiederholen
belastenten Gefühls.“ Sie das Klopfen, so lange, bis eine
deutliche Besserung eintritt.

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Die Kombination aus körperlicher Atemübung nach David O`Hare:
Berührung durch das Klopfen mit dem
Setzen Sie sich bequem an einen Tisch und
Sprechen der Sätze ermöglicht eine
legen Sie ein Blatt Papier und einen Stift
erstaunlich schnelle Regulierung und
bereit. Stellen Sie einen Timer auf fünf
Verarbeitung belasteter Zustände und
Minuten. Schließen Sie die Augen.
führt zu einer Stärkung des ventral-
Beginnen Sie nun tief und regelmäßig Ein-
vagalen Vagus! Solchermaßen ventral-
und Auszuatmen. Begleiten Sie parallel
vagal reguliert, steht uns unsere gesamte
Ihren Atemrhythmus mit einer gemalten
Intelligenz wieder zur Verfügung und wir
Wellenlinie, die aufwärts führt beim
können wieder offen und gelassen in den
Einatmen und abwärts geht beim
Kontakt gehen.
Ausatmen. Atmen Sie so tief ein und so
Selbstregulation für Zwischendurch lange aus, wie es Ihnen angenehm ist.
Folgen Sie Ihrem Atem mit der Auf- und
Wenn wir gerade keine Gelegenheit zum
Klopfen haben – auch wenn ich sehr gute Abwärtsbewegung des Stiftes.
Erfahrungen mit dem gemeinsamen Nach fünf Minuten beenden Sie die Übung
Klopfen zur Emotionsregulierung mit und zählen die Spitzen Ihrer Atemzüge.
Mediand*innen in der laufenden Die optimale Atemfrequenz, um den
Mediation gemacht habe – können wir
Körper in einen ruhigen, entspannten und
auch einige Instrumente zur
fließenden Modus zu führen, liegt bei 25-
Selbststeuerung während des
Mediationsprozesses anwenden. In einem 30 Atemzügen in fünf Minuten – ca. 6
früheren Beitrag „Wie du gehst, so geht es Atemzügen pro Minute.
dir…“ erschienen im Spektrum der Empfohlen wird, über einen Zeitraum von
Mediation 68/2017, S. 30-32, beschreibe
einem Monat, täglich 3 x 5`zu üben.
ich Übungen zur Stabilisierung und
Selbststeuerung. Einige dieser
Instrumente finden Sie auch als
Videotutorials unter Gelingt es uns, in eskalierten Situationen
auf die kohärente Atmung umzustellen,
https://fiberlin.de/flyer-infos-und- können wir selber wieder unbelasteter
downloads/. (mit-)fühlen und denken. Zudem laden wir
die Mediant*innen ein, ruhiger zu werden
Besonders herausheben möchte ich und Geist, Emotion und Körper wieder
abschließend die Bedeutung der Atmung miteinander zu verbinden – eine
zur Selbstregulation: „Die Verlangsamung hervorragende Grundlage für das
und Vertiefung der Atmung in belastenden Gelingen einer Mediation!
Augenblicken stellt die ventral-vagale
Kontrolle wieder her…“ (Dana, 2019, S. 142).
Die bewusste Steuerung der Atmung ist
das effektivste Mittel, um willentlich auf
unseren Körper bzw. auf unser autonomes
Nervensystem Einfluss zu nehmen und
wird seit Menschengedenken in den
verschiedensten Kulturen praktiziert.

Text erschienen im Spektrum der Mediation, Ausgabe 83,1. Quartal 2021, Psychosozial Verlag
Autorin: Rita Wawrzinek www.fiberlin.de
Literaturverzeichnis:
Bohne, Michael (Hrsg.): Klopfen mit PEP.
Heidelberg 2019
Dana, Deb: Die Polyvagaltherapie in der
Therapie. Lichtenau 2019
Porges, Stephen: Die Polyvagaltheorie.
Paderborn 2010
Porges, Stephen: Die Polyvagaltheorie
und die Suche nach Sicherheit. Lichtenau
2017.
Wawrzinek, Rita: Spektrum der Mediation
68/2017
Links:
https://www.innen-leben.org/klopfen-
gegen-angst/ Fundgrube für PEP-
Materialilen
https://fiberlin.de/flyer-infos-und-
downloads/ Videos Anleitung zu diversen
Stabilisierungsübungen u.a. PEP

Autorenprofil:
Rita Wawrzinek, Ausbilderin BM®,
Systemische Beraterin SySt®, PEP®
Anwenderin und Somatic Experiencing-
Praktikerin (i.A.) gestaltet seit 2001 in
freier Praxis lösungsfokussierte
Ausbildungs- und Beratungsprozesse!
www.fiberlin.de I post@fiberlin.de

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