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Verbände

M1 Definition

Der Begriff des Verbandes bezeichnet den „Zusammenschluss


einzelner Personen oder Personengruppen zu einer Handlungs-
einheit, die das Ziel verfolgt, die eigenen Interessen durch Ein-
flussnahme auf staatliche Einrichtungen, Parteien, öffentliche
Meinung und andere gesellschaftliche Gruppierungen zu för-
dern.“ (J. Weber)

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Indem in der Bundesrepublik der Einfluss einer Vielfalt frei organisierter Gruppen auf die
staatliche Willensbildung als legitim akzeptiert wird, lässt sich auch von einer pluralistischen
Demokratie sprechen. In ihr gilt Gemeinwohl nicht als vorgegeben und durch eine Staatsfüh-
rung (bzw. Parteiführung) erkannt, sondern pragmatisch als jeweilige „Resultante“ von Grup-
5   penauseinandersetzungen, sofern diese nur sozial- und rechtsstaatlichen Mindestanforderun-
gen gerecht wird. Die Aktivität organisierter Interessen ist in einem solchen politischen Sys-
tem geradezu notwendig und stabilisierend:
• Die freie Artikulation von Interessen stärkt die demokratische Legitimität der politischen
Entscheidungen. Denn sie erleichtert es, gesellschaftliche Bedürfnisse wahrzunehmen und
10   auf sie einzugehen. Während die Vielfalt gesellschaftlicher Interessen sich in einer Vielzahl
von Interessen widerspiegeln kann, wäre dies in wenigen politischen Parteien kaum möglich.
• Die Aggregierung von Interessen, d.h. die Bündelung spezieller Interessen durch größere
Interessenorganisationen, soll zwar deren Durchsetzungsfähigkeit stärken, bedeutet aber für
das politische System eine Komplexitätsreduktion, welche die Interessen überschaubar und
15   damit verarbeitbar macht. Verbunden ist damit eine Entlastung von Einzelkonflikten, welche
bereits innerhalb von oder zwischen Interessenverbänden ausgetragen werden.
• Indem Interessenorganisationen an Entscheidungen beteiligt sind, veranlasst sie dies - wol-
len sie künftig als Verhandlungspartner berücksichtigt werden – zu einem integrativ-
befriedenden Verhalten, nämlich zu der „Verpflichtungsleistung“, „dass sie erzielte Ver-
20   handlungsergebnisse ihren Mitgliedern erläutern und ihnen vor allen Dingen klarmachen,
dass nicht mehr zu erreichen war“
Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 82011, S. 66f.

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Das Bemühen von Interessenorganisationen um Einfluss in Berlin wird sichtbar in hunderten
Büros von Verbänden. Offiziell sind beim Deutschen Bundestag 2174 Verbände (Stand: März
2010) mit tausenden Vertretern (Lobbyisten) registriert. Insgesamt wird die Zahl der Lobbyis-
ten in Berlin auf rund 5000 Personen geschätzt.
Wie der Begriff Lobby (= Vorhalle des Parlaments, bis zu der Nichtparlamentarier Zugang
haben) andeutet, haben diese Lobbyisten zunächst die Aufgabe, Abgeordnete zu beeinflussen.
Dies geschieht vor allem durch Kontakte mit „nahestehenden“ Parlamentariern. Man versorgt
diese mit Unterlagen und Argumenten und wird umgekehrt von ihnen über parlamentarische
Entwicklungen informiert.
Rudzio, Wolfgang: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 82011, S. 83
10   Noch wichtiger als der Kontakt zum Parlament ist jedoch ein guter Draht zur Regierung, also
in Ministerien und Kanzleramt, um ein Gesetz bereits in seiner Entstehungsphase zu beein-
flussen. Drei von vier Gesetzen werden nämlich in den Ministerien entworfen und gelangen
erst in einer späteren Entscheidungsphase ins Parlament. Die Anhörungen, zu denen die Mi-
nisterialbeamten die betroffenen Interessengruppen einladen, sind nur der offizielle Teil der
15   Einflussnahme. Daher ist es für Lobbyisten wichtig, gute Kontakte zur Arbeitsebene der Mi-
nisterien, also zu Abteilungen und Referaten zu pflegen, wo mit dem ersten Entwurf die
Grundlinien neuer Gesetze gezogen werden. In besonders wichtigen Angelegenheiten – die
richtigen Beziehungen vorausgesetzt – treffen sich Cheflobbyisten oder Konzernchefs mit den
Staatssekretären, den Ministern oder auch einmal der Kanzlerin.
20   Neben Politikern und Beamten in den Ministerien ist mehr und mehr auch die Öffentlichkeit
erklärter Adressat von Lobbyaktivitäten. Nicht immer geht es dabei um konkrete politische
Entscheidungen. Häufig zielen Lobbykampagnen, die sich an die Öffentlichkeit richten, eher
auf eine Veränderung der „Stimmung“ in der Bevölkerung. Wenn zum Beispiel der Verband
der Chemischen Industrie eine Stellungnahme abgibt, ist allen klar, dass es hier um die Wah-
25   rung der Interessen der Chemieindustrie geht. Immer wieder werden jedoch Kampagnen von
Agenturen oder Organisationen durchgeführt, ohne dass für die Öffentlichkeit ersichtlich ist,
wer – finanziell und mit welchen Interessen – dahinter steckt.
Auch das „Grünfärben“ des eigenen Images dient nicht der Information, sondern der Täu-
schung der Öffentlichkeit. So bietet Lufthansa klimaneutrale Flugreisen mit dem Klima-
30   schutz-Ticket, die Autoindustrie „nimmt ihre Verantwortung sehr ernst“(DaimlerChrysler)
und die Energiekonzerne bauen nur noch Solaranlagen und CO2-freie Kraftwerke. Glaubt
man den Presseerklärungen und Anzeigen der Konzerne, ist das Klima quasi schon gerettet.
Leider steckt hinter den schönen grünen Fassaden häufig das alte schmutzige Kerngeschäft.
Mit „Greenwashing“ oder Grünfärberei versuchen Unternehmen, ihr Image aufzubessern.
Jazbinsek, Dietmar; Klein. Heidi; Müller, Ulrich; Stötzel, Regina: LobbyPlanet Berlin,32010, S. 10ff.

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Abgeordnete können neben ihrem Mandat weiteren Tätigkeiten nachgehen. Das wird zu ei-
nem Problem, wenn unklar ist, in wessen Namen sie im Bundestag arbeiten und sprechen –
im Namen ihrer Wählerinnen und Wähler oder im Interesse ihrer Nebenjob-Arbeitgeber. So
wurde zum Beispiel im November 2004 bekannt, dass der Energiekonzern RWE dem CDU-
5   Abgeordneten Hermann-Josef Arentz ein Jahresgehalt in Höhe von 60 000 Euro gezahlt hatte
– angeblich ohne Gegenleistung von Arentz. Auch andere Bundestags- und Landtagsabgeord-
nete hatten hohe Summen von großen Konzernen erhalten, u.a. von Volkswagen und Sie-
mens. Es folgte eine heiß geführte Debatte über die Nebentätigkeiten von Abgeordneten mit
dem Ergebnis, dass der Bundestag im Oktober 2005 verschärfte Transparenzregeln für Ne-
10   beneinkünfte beschloss. Diese schließen zwar keine Nebentätigkeiten aus, verlangen jedoch,
dass das Mandat im Mittelpunkt der Arbeit eines Abgeordneten steht. Die Einkünfte müssen
veröffentlicht werden.
Jazbinsek, Dietmar; Klein. Heidi; Müller, Ulrich; Stötzel, Regina: LobbyPlanet Berlin,32010, S. 18 u. 69

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Das Phänomen der „Revolving Door“ bezeichnet den fliegenden Wechsel von Politikern in
die Wirtschaft und umgekehrt. Eine Studie aus dem Jahr 2007 zeigt das Ausmaß dieser prob-
lematischen Praxis. Dabei wurden die Tätigkeiten der Mitglieder der rot-grünen Bundesregie-
rung nach ihrer Abwahl 2005 untersucht. Das Ergebnis: 15 der 63 Minister und Staatssekretä-
5   re der Schröder-Regierung wechselten von der Regierungsbank in die Lobbyarbeit. Schröder
wurde kurz nach seinem Abgang als Bundeskanzler unter anderem von Gazprom angeheuert
und sitzt nun im Aktionärsausschuss eines Joint Ventures zum Bau einer Erdgaspipeline
durch die Ostsee. Schröder selbst hatte das Projekt noch während seiner Amtszeit möglich
gemacht. Nachdem sich Otto Schily als Innenminister für die Einführung biometrischer Rei-
10   sepässe eingesetzt hatte, trat er in den Aufsichtsrat einer Firma ein, die biometrische Anwen-
dungen für die Grenzkontrolle erstellt.
Die ehemaligen Politikerinnen und Politiker bringen detaillierte Kenntnisse über interne poli-
tische Abläufe mit. Hinzu kommen ihre persönlichen Kontakte zu wichtigen Entscheidungs-
trägern. Deshalb nutzen Unternehmen und Unternehmensverbände ihre finanziellen Möglich-
15   keiten gerne, um sich hochrangige Politiker und Beamten einzukaufen – sie können so ihre
ökonomische Stärke in politische Macht transformieren. Das Drehtür-Prinzip verstärkt auf
diese Weise gesellschaftliche Machtungleichgewichte, denn nur die wenigsten gesellschaftli-
chen Gruppen haben die Möglichkeit, in dieser Weise politisch Einfluss zu nehmen. Gleich-
zeitig wird das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie untergraben, wenn
20   sie befürchten müssen, dass Regierungsmitglieder nicht dem Gemeinwohl, sondern ihrem
zukünftigen Arbeitgeber dienen.
Jazbinsek, Dietmar; Klein. Heidi; Müller, Ulrich; Stötzel, Regina: LobbyPlanet Berlin,32010, S. 120f.

Aufgaben
1. Vergleichen Sie die Definition M 1 mit der Definition des Parteienbegriffs. – Worin besteht
der entscheidende Unterschied zwischen Verbänden und Parteien?
2. Warum ist laut M 2 die Bundesrepublik eine pluralistische Demokratie?
3. Was versteht man in einer pluralistischen Demokratie unter „Gemeinwohl“(M 2)?
4. Welche Vorteile bringt der Interessenpluralismus dem politischen System (M2)?
5. Was versteht man unter Lobbyismus und wer sind die Adressaten von Lobbyarbeit (M3)?
6. Welche Möglichkeiten der Einflussnahme nutzen Verbände (M3, M4)?
7. Fassen Sie zusammen, welche Kritik in M3, M4, M5 am Lobbyismus geübt wird.

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