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ak - analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 600 / 16.12.

2014

Beiß die Hand, die dich füttert!


Thema Erwerbsarbeit in Politjobs ist immer gefährlich - und
entsprechend kritisch zu betrachten
Von Carsten Sauter
Die eigene Reproduktion ist ein Politikum - in der (radikalen) Linken ist diese Erkenntnis bis heute
leider wenig mehr als ein Lippenbekenntnis, das man pflichtschuldigst von sich gibt, um
anschließend irgendwo »Politik zu machen«, bloß nicht im eigenen Alltag. Diese Spaltung zwischen
(beruflichem) Alltag und Politik ist ein zentraler Grund dafür, dass die deutsche Linke alles
Mögliche ist, nur keine sozial verankerte Bezugsgröße in sozialen Auseinandersetzungen. In Bezug
auf die Lohnarbeit bzw. abhängiges Freiberuflertum ist es immer wieder krass zu beobachten, wie
politisch bewusste Menschen das abspalten, was vier, acht oder zwölf Stunden fremdbestimmte
Tätigkeit mit ihnen machen. Als hätten sowohl die Inhalte als auch die Form der Erwerbsarbeit
keine Auswirkungen auf ihr Bewusstsein und ihr (auch politisches) Agieren.
Das gilt auch und gerade für solche Jobs, die vielleicht gar nicht mehr als entfremdet
wahrgenommen werden, in denen man meint, endlich das machen zu können, was man schon
immer machen wollte, oder in die man geflohen ist - vor dem Fördern und Fordern der Ämter,
prekärer Selbstständigkeit oder lausigen Job-Alternativen. Die Arbeit im akademischen
Wissenschaftsbetrieb, in politischen Bildungswerken, bei Gewerkschaften oder Parteien,
Wohlfahrtsverbänden und NGOs ist nicht nur ganz normale Lohnarbeit, sie ist auch alles andere als
politisch unschuldig.

Das hierarchische Innenleben der Apparate


Zumindest in dem Moment, in dem man in irgendeiner Weise als Referentin,
Gewerkschaftssekretär, Juniorprof, Projektleiterin o.ä. Funktionsträger_in in einer solchen
Institution wird, wechselt man, ob man will oder nicht, ein Stück weit die Seiten. Ganz einfach,
weil Universitäten, Gewerkschaften, Parteien, Stiftungen, Kirchen, Wohlfahrtsverbände qua
Funktion staatstragend sind und genau im Erhalt des gesellschaftlichen Status quo ihre objektive
Funktion besteht. Sowohl der Form als auch dem Inhalt nach dienen Forschung und Lehre im
Wissenschaftsbetrieb der Ideologieproduktion und der Zurichtung für den kapitalistischen
Verwertungsbetrieb. Gewerkschaften haben in erster Linie die Funktion, den Konflikt zwischen
Lohnarbeit und Kapital zu kanalisieren, zu kontrollieren und zu befrieden, nicht aber, ihn
zuzuspitzen. Parteien folgen der politischen Logik der parlamentarischen Repräsentation und des
parlamentarischen Machterwerbs, Wohlfahrtverbände sind essentieller Teil des deutschen
korporatistischen Sozialstaatsmodells etc.
Und selbstverständlich werden diese objektiven Funktionen auch tagtäglich durchgesetzt - durch die
innerbetrieblichen Hierarchien, durch Vorgaben, durch die Logik der jeweiligen Apparate, durch
Finanzierungszwänge und oft genug durch die Möhre einer möglichen Festanstellung, die den
vorzugsweise prekär Beschäftigten vor die Nase gehalten wird und die häufig genug für das nötige
Wohlverhalten sorgt. Forschung und Lehre im akademischen Wissenschaftsbetrieb sind eine
hochgradig hierarchische Angelegenheit, die zudem von Drittmittelakquise, Seilschaften und
prekären Arbeitsverhältnissen geprägt ist. Mich selbst hat die Universität schon Ende der 1980er
Jahre angekotzt, und ich verstehe bis heute jüngere Genoss_innen nur sehr bedingt, die sich nichts
sehnlicher wünschen als eine Juniorprofessur oder sonst eine akademische Festanstellung.
Noch krasser ist der Druck in Parteien, parteinahen Organisationen oder Gewerkschaften. Nicht nur,
dass man selbstverständlich die Partei- und Organisationsräson nach innen und außen zu
exekutieren hat - im Zweifel auch gegen Widerstände in einem selbst. Dazu kommen teilweise
feudalistische Abhängigkeitsverhältnisse: Wenn die Legislaturperiode nach vier Jahren zu Ende
geht, ist es möglicherweise auch mit dem Job vorbei. Also beteiligt man sich plötzlich am
Wahlkampf für SPD, Grüne oder Linkspartei. Und wenn »der eigene Abgeordnete« nicht mehr
gewählt wird, muss man sich frühzeitig bei anderen ins Gespräch bringen, wenn man »persönlicher
Referent« bleiben möchte. Das Rumgeschleime um zukünftige Abgeordnete oder das Buhlen um
Fraktionsjobs ist oft genug erbärmlich. Ganz besonders prekär wird es in innerparteilichen
Auseinandersetzungen. Da ist dann schnell nicht mehr so leicht zu erkennen, ob um eine politische
Linie oder um den Joberhalt gestritten wird.

Der diskrete Charme der Macht


Wer als schlecht bezahlter Linker ein gewerkschaftliches Organizing-Projekt als Sprungbrett für
eine Festanstellung als Gewerkschaftssekretär ansieht, wird die Dominanz der Gewerkschaftslogik
in diesen Projekten nicht hinterfragen, erst recht, wenn er/sie den ersten Einlauf von oben
bekommen hat. (Wer wissen will, was »demokratischer Zentralismus« wirklich ist und wie
verwandt die feindlichen Brüder Sozialdemokratie und Leninismus sind, der/die schaue sich das
Innenleben von Gewerkschaftsapparaten an). Nach meiner Erfahrung gehen nur Zyniker_innen oder
MachiavellistInnen unbeschadet durch Politbetriebe, und es sind gerade solche Läden, die viele
antiautoritäre Linke brechen oder gebrochen haben.
Hinzu kommt allzu oft auch der gar nicht so diskrete Charme der Macht: die Atmosphäre des
Bedeutungsschwangeren und des »wirklich Wichtigen« auf den Fluren und in den Lobbys von
Parlamenten, die Zuarbeit und das Gefühl, irgendwie mit beteiligt zu sein, wenn über
Gesetzesvorlagen und Haushaltstitel in Millionenhöhe entschieden wird, die Lobbyarbeit gegenüber
Interessenverbänden, die Medienauftritte, das »Du« als Zeichen der Zugehörigkeit zu einem
erlauchten Club - ich möchte die sehen, die davon gänzlich unbeeindruckt wären.
Natürlich macht man den Job, »um die Bewegungen zu stärken«, aber wehe, die Bewegungen
denken selbst und wollen sich vielleicht auch nicht parteipolitisch oder mit parteinahen
Stiftungsmitteln binden lassen. Dann kommt den radikalen Linken auch schnell das Wort
»Sektierertum« über die Lippen. Erfahrungsgemäß geht das besonders rasant bei denjenigen, die
auch in ihrer autonomen Vergangenheit eher auf leninistische Politik- und Organisationsformen
gesetzt haben. Von Manager_innen der außerparlamentarischen Bewegungen hin zu
funktionierenden Träger_innen der Macht in den Apparaten ist der Schritt nur klein.
Augen auf bei der Berufswahl - das gilt auch und erst recht dann, wenn radikale Linke im
Politbetrieb und in dem diffusen Feld der zivilgesellschaftlichen Institutionen und NGOs
Einkommenserwerb und politisches Engagement vereinen wollen. Einfach nur einen Job machen -
das geht in diesen Feldern oft nicht, weil die Arbeitgeber_innen das politische Engagement und das
politische Know How mit der Ware Arbeitskraft eingekauft haben. Das kann manchmal sogar das
Einfallstor für Überausbeutung sein, weil gerne mal das politische Engagement oder die ethische
Verantwortung angerufen wird, damit das Flugi, die Broschüre oder was auch immer im Zweifel
auch durch Nacht- und Wochenendarbeit fertig wird. Nach meiner Beobachtung ist das vor allem
ein Phänomen in stark prekarisierten Arbeitsverhältnissen: der Zwei-Personen-Klitsche von
Abgeordnetem und persönlichem Referenten, dem prekären Organizing-Projekt bei Gewerkschaften
o.ä.
Radikale Politik in diesen Institutionen geht aber auch nicht, denn dann müsste man aktiv ihre
Zerstörung betreiben bzw. permanent mit der Apparatelogik brechen. Was in der Praxis bestenfalls
passieren kann, ist ein bewusster Spagat, bei dem buchstäblich jeden Tag neu geklärt werden muss,
wo welche politische wie moralisch-ethische Grenze überschritten wird, wo welcher Kompromiss
vertretbar und lebbar ist.

Notwendig ist ein kollektives politisches Korrektiv


Das ist nicht nur eine Frage der individuellen politischen Reflexion, sondern eine Frage der
kollektiven politischen Debatte, und genau das scheint mir heute das große Problem zu sein. Als ich
Anfang der 1990er Jahre einen Job als persönlicher Referent bei den Grünen anfangen wollte,
haben wir das in meinen damaligen politischen Basiszusammenhängen diskutiert. Das mag sich
heute »irgendwie dirigistisch« oder gar »stalinistisch« anhören, aber aus meiner Sicht ist die
kollektive politische Diskussion und auch Kontrolle dessen, was man im Job allgemein und im
Politjob im Besonderen tut, die einzige Gewähr dafür, nicht früher oder später tatsächlich die Seiten
zu wechseln.
Die Notwendigkeit eines kollektiven politischen Korrektivs ist besonders dann wichtig, wenn man
im Job direkt oder indirekt Dinge mitträgt bzw. mittragen muss, die eine Grenzüberschreitung
darstellen, und das geschieht unter Garantie. Der Reflex, dann das eigene Verhalten schönzureden
oder sich irgendwelche Rechtfertigungsargumentationen zurechtzulegen, ist enorm. Dann braucht es
schon eine Instanz von außen, die es einem unmöglich macht, sich in die Tasche zu lügen bzw. die
einen in die politische Debatte über das eigene Verhalten zwingt. Aber nicht nur als Korrektiv ist die
kollektive Diskussion wichtig. Sie kann einen dabei unterstützen, den Rücken im Job gerade zu
machen, bestimmte Konflikte einzugehen und auszuhalten, anstatt ihnen aus dem Weg zu gehen.
Der Umstand, dass in vielen Politgruppen die Erwerbsarbeit der einzelnen Leute nicht diskutiert
wird, ist vor diesem Hintergrund besonders fatal. Aber das Problem liegt noch eine Ebene tiefer:
Eine solche kollektive Diskussion muss im Prinzip auch die Möglichkeit beinhalten, dass am Ende
ein Job gekündigt oder gar nicht erst angefangen wird. Doch es gibt nach meinem Eindruck keine
Strukturen, die die Konsequenzen für die jeweiligen Genoss_innen auffangen und tragen könnten.
D.h. mit der Frage, wo ansonsten das Geld herkommen soll, stehen die Betreffenden genauso
alleine da wie mit der Frage, welche Jobalternative denn noch gehen könnte.
Für die allermeisten, die ich kenne, resultiert die Entscheidung, sich einen Job im Polit- oder im
Wissenschaftsbetrieb zu suchen, aus gleichermaßen nachvollziehbaren und legitimen Gründen: aus
der Flucht vor Ämterverfolgung oder vor Jobs in »normalen« Unternehmen (in denen man sich qua
Qualifikation auf jeden Fall böse die Hände schmutzig machen würde) und aus dem Wunsch, mit
den eigenen Qualifikationen etwas (politisch) Vernünftiges anzufangen. Meiner Ansicht nach gibt es
nicht einmal im Ansatz Strukturen, die auf diese Bedürfnisse eine kollektive Antwort formulieren
könnten.
In der Tat drängt sich mir der Verdacht auf, dass das Thema des Politjobs in dem Maße an Relevanz
gewinnt, in dem gut ausgebildete und/oder akademisierte Linke nach sinnvoller beruflicher
Betätigung suchen. Und wenn eine Zeitschrift wie ak dazu einen Schwerpunkt macht, ist das auch
ein Indiz dafür, dass die radikale Linke eine in dem Sinne akademisierte Linke ist. Denn nur die hat
überhaupt die zweifelhafte Chance, Gewerkschaftssekretär, wissenschaftliche
Fraktionsmitarbeiterin, Fachbereichsleiter, Juniorprofessorin oder Projektleiterin in einer
Parteistiftung zu werden. Für den Hausmeister bei den Grünen, die Poststelle in einem
Wohlfahrtsverband, die Köchin in der Uni-Mensa, die Pförtnerin im Gewerkschaftshaus oder die
Putzkolonnen überall gelten die hier angesprochenen Überlegungen nicht. Da wäre eher zu fragen,
ob die Politjoblinke in ihren jeweiligen Betrieben überhaupt Kontakt zu den anderen Arbeiter_innen
hat - oder zumindest weiß, dass es sie gibt.
Die grundsätzliche Frage nach der kollektiven politischen Diskussion um Job und Berufswahl gilt
m.E aber generell, egal, wo wer als radikale_r Linke_r arbeitet. Radikales politisches Handeln am
Arbeitsplatz erfordert immer kollektive Strukturen. Die zugespitzte Frage lautet vielmehr, ob es
Jobs gibt, die sich für Linke generell verbieten (ja, die gibt es) oder unter bestimmten Umständen
verbieten (ja, die gibt es auch) und ob »Politjobs« dazugehören. Letztere Frage wage ich aus
eigener Betroffenheit nicht zu beantworten. Ich bin mir allerdings sehr sicher, dass bezahlte
Politarbeit selbst da, wo sie gut begründet werden kann, immer gefährlich ist und entsprechend
kritisch betrachtet werden muss.
Carsten Sauter lebt in Hamburg. Er kennt die erwerbsmäßige Politarbeit als Referent von
verschiedenen Abgeordneten sowie als Angestellter bei Wohlfahrtsverbänden aus eigener
Erfahrung.

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