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Stefanie Orphal

Poesiefilm
WeltLiteraturen
World Literatures

Band 5
Schriftenreihe der Friedrich Schlegel Graduiertenschule
für literaturwissenschaftliche Studien

Herausgegeben von
Irmela Hijiya-Kirschnereit, Stefan Keppler-Tasaki und Joachim Küpper

Wissenschaftlicher Beirat
Nicholas Boyle (University of Cambridge), Elisabeth Bronfen (Universität Zürich),
Hans Ulrich Gumbrecht (Stanford University), Renate Lachmann (Universität Konstanz),
Kenichi Mishima (Osaka University), Glenn W. Most (Scuola Normale Superiore Pisa/
University of Chicago), Jean-Marie Schaeffer (EHESS Paris), Janet A. Walker (Rutgers
University), David Wellbery (University of Chicago), Christopher Young (University
of Cambridge)
Stefanie Orphal

Poesiefilm
Lyrik im audiovisuellen Medium
Dissertationsschrift, Freie Universität Berlin, 2012.
Die Entstehung dieser Arbeit wurde gefördert durch ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft im
Rahmen der Friedrich Schlegel Graduiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien an der Freien Universität
Berlin.

ISBN 978-3-11-035162-0
eISBN (PDF) 978-3-11-035167-5
eISBN (EPUB) 978-3-11-038759-9
ISSN 2198-9370

Library of Congress Cataloging-in-Publication Data


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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

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koloriert, 1571. akg-images.
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier


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www.degruyter.com
Inhalt

Dank ................................................................................................................................. 4

Einleitung ......................................................................................................................... 5

1 Was sind Poesiefilme? ............................................................................................. 18


1.1 Lyriktheoretische Vorüberlegungen ............................................................... 18
1.2 Videopoetry, Poesiefilm und Gedichtfilm –
Ein begrifflicher Klärungsversuch .................................................................. 29
1.3 Der poetische Film .......................................................................................... 41
1.4 Poesiefilm und Literaturverfilmung ................................................................ 56
1.4.1 Abgrenzung und Vergleich .................................................................. 56
1.4.2 Wim Wenders’ Rilke: DER HIMMEL ÜBER BERLIN .............................. 65

2 Kleine Geschichte des Poesiefilmes ........................................................................ 72


2.1 Poesie und Avantgardefilm als moderne Konstellation –
Lyrik im Stummfilm........................................................................................ 72
2.1.1 Lyrik und Film als Paradigmen der Moderne....................................... 72
2.1.2 MANHATTA........................................................................................... 84
2.1.3 L’INVITATION AU VOYAGE ................................................................... 88
2.1.4 L’ÉTOILE DE MER .................................................................................. 91
2.2 Poesiefilm als Medienkunst –
die fünfziger bis siebziger Jahre...................................................................... 96
2.2.1 Nachkriegsavantgarde .......................................................................... 96
2.2.2 Lettrismus ............................................................................................. 98
2.2.3 Wiener Gruppe ................................................................................... 102
2.2.4 Video .................................................................................................. 104
2.2.5 Heinz Emigholz .................................................................................. 111
2.3 Spoken Word – Poetryslam und Poetryclip .................................................. 115
2.3.1 Vom Beat zum Poetryslam ................................................................. 115
2.3.2 Poetryslam in Deutschland ................................................................. 124
2.3.3 Dubpoetry-Clips ................................................................................. 127
2 Inhalt

2.4 Lyrik im Kontext audiovisueller Massenmedien – Poesiefilm heute............ 130


2.4.1 Fernsehen ........................................................................................... 130
2.4.2 Poesiefilm im Internetzeitalter ........................................................... 134
2.4.3 Festivals .............................................................................................. 143
2.4.4 POEM in Kino und Schule................................................................... 146

3 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität ........................................... 149


3.1 Gesprochene Lyrik im Gedichtfilm............................................................... 149
3.1.1 Stimme und Sprechkünste im audiovisuellen Medium ...................... 149
Parameter der Sprechkunst ............................................................. 149
Goethes „Gesang der Geister über den Wassern“ .......................... 154
Die Medialität der Stimme ............................................................. 165
Die Zweiseitigkeit der Stimme: Barbara Köhlers
NiemandsFrau................................................................................ 169
3.1.2 Ton und Bild im Gedichtfilm ............................................................. 174
3.1.3 Stimme aus dem Diesseits – Ernst Jandl: „glauben und gestehen“ .... 187
3.2 Schriftbasierte Gedichtfilme ......................................................................... 192
3.2.1 Typographie im audiovisuellen Medium............................................ 192
Typographische Dispositive ........................................................... 197
Typen der Schriftintegration .......................................................... 199
Bewegung und Zeitlichkeit ............................................................ 203
3.1.2 Schrift im Bild – Sylvia Plath: „Mirror“ und Kathrin Schmidt:
„Jeder Text ist ein Wortbruch“ ........................................................... 205
3.2.3 Visuelle Poesie mit beweglichen Lettern – Gerhard Rühm:
Drei kinematographische Texte.......................................................... 215
3.3 Rhythmus und Metrum im Gedichtfilm ........................................................ 218
3.3.1 Rhythmische Bewegung ..................................................................... 218
3.3.2 Rhythmus und Metrum ....................................................................... 222
3.3.3 Rhythmus in Film und Video ............................................................. 225
3.3.4 Peter Reading: 15TH FEBRUARY .......................................................... 229
3.3.5 Novalis: „Walzer“ .............................................................................. 235

4 Text-Bild-Beziehungen im Gedichtfilm ................................................................ 238


4.1 Gedichtfilm als Wort-Bild-Form................................................................... 238
4.2 Filmische Bildlichkeit und sprachliche Bildhaftigkeit –
zur Problematik der doppelten Relation........................................................ 250
4.3 Zwei Verfilmungen von Rainer Maria Rilkes „Das Karussell“ .................... 258
4.3.1 Rilkes Neue Gedichte ......................................................................... 259
4.3.2 Sylvia Steinhäusers emblematische Kulturkritik................................ 264
4.3.3 Barbara Dobrovitz’ Karussell-Animation als Lebensmetapher.......... 266

Schluss ......................................................................................................................... 268


Inhalt 3
Literaturverzeichnis ..................................................................................................... 275
Primärliteratur ........................................................................................................ 275
Forschungsliteratur ................................................................................................ 277

Film- und Videoverzeichnis ......................................................................................... 297

Abbildungen ................................................................................................................. 301


Dank

Die vorliegende Studie ist im Rahmen einer Promotion an der Friedrich Schlegel Gra-
duiertenschule für literaturwissenschaftliche Studien der Freien Universität Berlin ent-
standen. Den Verantwortlichen und allen Beteiligten möchte ich hiermit für die fi-
nanzielle und organisatorische Unterstützung meiner Forschung sowie für den produk-
tiven wissenschaftlichen Austausch danken, der durch das Programm ermöglicht
wurde.
In erster Linie möchte ich Prof. Dr. Stefan Keppler-Tasaki danken, der die Disser-
tation mit großem Engagement betreut hat und dessen literaturgeschichtlich fundierter
Blick auf die Konstellation Lyrik/Film diese Studie in hohem Maße bereichert hat. Ein
herzlicher Dank richtet sich darüber hinaus an Prof. Dr. Elisabeth Paefgen, die die Ar-
beit mit entscheidenden Anregungen vorangebracht und immer wieder motivierend
unterstützt hat. Für ihr Interesse am Thema Poesiefilm, ihre Unterstützung bei der
Schärfung zentraler Forschungsfragen und ihre wertvollen Hinweise bei der Formu-
lierung konkreter Thesen möchte ich außerdem Prof. Dr. Irina O. Rajewsky danken.
Der LiteraturWERKstatt Berlin verdanke ich den kontinuierlichen Zugang zu den
Archiven des ZEBRA Poetry Film Festivals, eine wichtige Materialbasis, ohne die
diese Arbeit nicht denkbar gewesen wäre. In diesem Zusammenhang möchte ich vor
allem dem Programmdirektor des Festivals, Thomas Zandegiacomo Del Bel, meinen
Dank aussprechen. Er hat dieses Forschungsvorhaben mit seiner unschätzbaren Kennt-
nis der Poesiefilmszene und mit großer Hilfsbereitschaft unterstützt.
Ein besonderer Dank gilt schließlich meinem Mentor Prof. Dr. Reinhart Meyer-
Kalkus, der das Vorhaben von der ersten Idee an mit inspirierenden Gesprächen, treff-
sicheren Nachfragen und wohlmeinender Kritik begleitet hat.
Einleitung

Das Potential des Randes


„Ils veulent enfin, un jour, machiner la poésie comme on a machiné le monde. Ils
veulent être les premiers à fournir un lyrisme tout neuf à ces nouveaux moyens de l’ex-
pression qui ajoutent à l’art le mouvement et qui sont le phonographe et le cinéma.“1
So formulierte der französische Poet Guillaume Apollinaire in seinem 1917 erschie-
nenen Manifest „L’Esprit nouveau et les poètes“. Trotz dieser frühen, emphatisch vor-
gebrachten Vision eines Zusammenschlusses von Lyrik mit audiovisueller Medialität,
ist die tatsächliche Verknüpfung von Gedicht und Film lange Zeit ein Randphänomen
geblieben: „Und woran liegt es eigentlich“, so fragt etwa die Literaturwissenschaftlerin
Anne Bohnenkamp in ihrem Vorwort zu dem 2005 erschienenen Reclambändchen
Literaturverfilmungen, „dass die dritte große literarische Gattung, die Lyrik, in der Ver-
filmung seit jeher lediglich eine marginale Rolle spielt […]?“2
Es gibt mehrere Antworten auf diese Frage. Poesiefilme stellen eine Kombination
aus Gedicht und Kurzfilm dar und bestehen damit aus Formaten, die heute ohnehin nur
selten ein großes Publikum erreichen. Ihr Ursprung liegt im Avantgardefilm, in der Off-
Kultur und in der experimentellen Literatur. Abgesehen von dem eher kleinen Publi-
kum, das diese Strömungen traditionell anziehen, wurde die Rezeption von Poesie-
filmen zusätzlich dadurch erschwert, dass sie – wie die meisten filmischen Kurzformen
– nur schwer zugänglich sind.

1
Guillaume Apollinaire: Œuvres complètes de Guillaume Apollinaire, hg. von Michel Décaudin,
Paris 1965–1966 (3), 910. „Sie wollen schließlich eines Tages die Dichtung technisieren wie man
die Welt technisiert hat. Sie wollen die ersten sein, die jenen neuen Ausdrucksmitteln, dem
Grammophon und dem Film, die der Kunst die Bewegung hinzufügen, einen völlig neuen lyrischen
Gehalt liefern.“ (Guillaume Apollinaire: „Der neue Geist und die Dichter“, in: Beda Allemann
(Hg.): Ars poetica. Texte von Dichtern des 20. Jahrhunderts zur Poetik, Darmstadt 1971, 76–87.
Hier: 87).
2
Anne Bohnenkamp: „Vorwort“, in: Anne Bohnenkamp/Tilman Lang (Hg.): Literaturverfilmungen,
Stuttgart 2005, 9–38. Hier: 29.
6 Einleitung

Ein weiterer Grund, der vor allem die mangelnde Wahrnehmung des Phänomens er-
klärt, ist die Hybridität des Genres selbst. Weder die Literaturwissenschaft noch die
Filmwissenschaft oder die Medienwissenschaft scheint sich bisher für das Thema ver-
antwortlich zu fühlen und die bedeutendste genuin transmediale Forschungsrichtung,
die Narratologie, konzentriert sich gerade auf den Aspekt, der bei der Verfilmung von
Lyrik nur von untergeordneter Bedeutung ist.
Poesiefilme – das heißt audiovisuelle Werke, die auf einem Gedicht basieren, oder
auch: Gedichtfilme, wie ich den spezifischen Fall nennen möchte, wo sprachlich verfas-
ste Lyrik ins audiovisuelle Medium integriert wird – sind in der Tat eine Randerschei-
nung der Film- und Videoproduktion.1 Diese Randerscheinung beschäftigt Künstle-
rinnen und Künstler aus dem Experimentalfilmbereich oder der Undergroundkultur und
zieht Regisseure an, die sich noch am Anfang ihrer Karriere befinden, wie beispiels-
weise den Regisseur Gus van Saint, der 1997 den Gedichtfilm BALLAD OF THE
SKELETONS mit Allen Ginsberg drehte.2 Von den Rändern aus gesehen liegen Kontakte
und Überschneidungen mit den anderen Künsten also offenbar näher.
Obwohl der Poesiefilm seinem eigenen Selbstverständnis nach ein junges Genre ist,
handelt es sich dabei nicht um ein gänzlich neues Phänomen. Seine Wurzeln reichen bis
in die Anfänge der Filmgeschichte zurück. Allerdings führt erst die Einführung der
Videotechnik in den achtziger Jahren zum Durchbruch des Poesiefilmes, der nun seine
eigenen Genreregeln und ein Distributionssystem auszubilden beginnt. Seit 2002 gibt
es mit dem ZEBRA Poetry Film Festival eine der wichtigsten Plattformen der interna-
tionalen Poesiefilmszene. Seitdem ist eine große Anzahl deutschsprachiger Poesiefilme
entstanden, die eine reichhaltige Materialbasis für die Forschung bereitstellen. Nicht,
dass sich der Poesiefilm aus seiner marginalen Position vollkommen befreien würde,
jedoch gibt es Anzeichen dafür, dass die Poesiefilmbewegung weit mehr als nur eine
vorübergehende Mode ist. Im Gegenteil, die durch die digitalen Medien ermöglichte
Vernetzung ist der Entwicklung des Genres günstig, und auch im Bereich des Lang-
filmes sind interessante Entwicklungen zu verzeichnen. So erschien im Jahr 2010 der
Film HOWL, der auf dem gleichnamigen Langgedicht von Allen Ginsberg beruht. Nach-
inszenierte Interviews mit dem Beat-Dichter und fiktionale Rückblenden liefern den
lebensweltlichen und künstlerischen Entstehungskontext des skandalumwitterten Tex-
tes. Ein paralleler Handlungsstrang zeigt die Gerichtsverhandlung um die Zensur von
HOWL. Im Zentrum des Filmes steht jedoch die Performance des Textes, der in voller
Länge, sowohl als Inszenierung einer historischen Lesung als auch in Form eines
Voice-Overs präsentiert wird. Der Film schildert die Bedeutung von Lyrik für die Beat-
Generation und referiert damit gleichzeitig auf eine der wichtigsten Traditionslinien des

1
Lat. margo, marginis, dt. „Rand“.
2
BALLAD OF THE SKELETONS, mit Allen Ginsberg, Regie: Gus van Saint, D 1997. Exemplarisch für
die Kurzfilmszene des Prenzlauer Bergs: NOVEMBER, NOVEMBER, Super-8, Regie: Gino
Hahnemann, DDR 1986.
Einleitung 7
Poesiefilmes. Schließlich liegt in der Performance-Ästhetik der Beatniks, die sich später
in der Spoken-Word-Bewegung fortsetzen sollte, eine entscheidende Motivation für die
Entgrenzung der Literatur ins audiovisuelle Medium. Ein anders gelagertes Interesse
des Filmes an Lyrik ist dem Film des argentinischen Regisseurs Edgardo Cozarinsky zu
entnehmen, der auf der Viennale 2011 seine Premiere feierte: „The poetry of Bau-
delaire, Hölderlin, Novalis, Gottfried Benn, Kavafis, Robert Frost and others is woven
into the soundtrack with the music of Ulises Conti to create a verbal and musical score
which is an essential element of the film […].“1 In NOCTURNOS verbindet sich die Ein-
bindung von Lyrik und Musik, mit einer Mischung aus Gedachtem und Realem und
einer Auflockerung der Handlung, die ihre Ursache im ziellosen, nächtlichen Umher-
streifen des Protagonisten hat. Es war Cozarinskys Überdruss an den naturalistischen
Dialogen des herkömmlichen Spielfilmes, der ihn auf den inneren Monolog und die
Lyrik brachte.2
Eine marginale Position hat Lyrik auch innerhalb der Forschung zu literarischer
Intermedialität und zur Literaturverfilmung inne. Mit der Verfilmung von Gedichten
wendet sich die vorliegende Studie also erstmals einem Kapitel in der Geschichte der
Literatur-Film-Beziehung zu, das bisher vernachlässigt worden ist. Natürlich gibt es
einige Ausnahmen, die im Folgenden aufgeführt werden sollen. Der US-amerikanische
Kunstwissenschaftler Scott MacDonald ist einer der bedeutendsten Experten im Be-
reich Independent Cinema und Experimentalfilm. In seinem 2007 erschienenen Aufsatz
„Poetry and Avant-Garde Film. Three recent contributions“ geht er ausführlich auf die
poetischen Filmkonzepte der US-amerikanischen Avantgardeszene der vierziger und
fünfziger Jahre ein und diskutiert deren Funktion für die Durchsetzung des Filmes als
einem avancierten Kunstmedium. Er untersucht drei zeitgenössische Beispiele für die
Arbeit mit Lyrik im audiovisuellen Medium, die er als Editionen des Gedichtes kenn-
zeichnet, da die Filme den Gedichttext als ihr Hauptanliegen in den Vordergrund
stellen.3 Diesem Vorschlag soll hier nicht gefolgt werden. Dennoch ist MacDonalds

1
68th Venice International Film Festival: „Nocturnos. Synopsis“, online unter:
http://www.labiennale.org/en/cinema/archive/68th-festival/lineup/off-sel/orizzonti/nocturnos.html.
Cozarinsky, der auch Romanautor ist, ist besonders für seine innovative Verfilmung der Kriegs-
tagebücher Ernst Jüngers bekannt: LA GUERRE D’UN SEUL HOMME (Der Krieg eines Einzelnen,
1982).
2
Siehe Bert Rebhandl/Edgardo Cozarinsky: „Die Nacht singt ihre Lieder. Ein Gespräch mit dem
argentinischen Filmemacher und Schriftsteller Edgardo Cozarinski“, in: cargo, 2011, 22–34.
Hier: 23.
3
„First, each makes available to an audience a previously published poem or set of poems in a new,
cinematic form, and second, each makes the presentation of the poems, which are included in their
entirety, the foreground of the film experience. That is, these films do not adapt the poems
(revising them for use in a new context), they deliver the original words in their original senses, as
precisely as possible, to new audiences through a different medium. They are, in other words,
closer to new editions than to adaptations.“ (Scott MacDonald: „Poetry and Avant-Garde Film:
Three Recent Contributions“, in: Poetics Today, 28. Jg., H. 1, 2007, 1–41. Hier: 14).
8 Einleitung

Aufsatz von unschätzbarem Wert, da er zu den wenigen Publikationen gehört, die den
programmatischen Diskurs vom Film als Poesie mit konkreten Realisierungen von Ge-
dichten im audiovisuellen Medium in Verbindung bringt und damit die historische und
systematische Perspektive auf das Thema miteinander verknüpft.
Bereits 2007 hat auch Juliane Moschell ihre Magisterarbeit Lyrik – Verfilmt. Studien
1
zu filmischen Adaptionen deutschsprachiger Lyrik vorgelegt. Sie leistet dabei in erster
Linie eine grundlegende Erforschung der deutschsprachigen Poesiefilmszene und trägt
wesentliche Informationen zur Gründung des ZEBRA-Festivals und zum Kinofilm
POEM (2003) zusammen. Anhand von Beispielanalysen entwirft sie darüber hinaus eine
Typologie von Poesiefilm-Verfahren, die sich allerdings vorrangig auf die Beziehungen
zwischen Text und Bildbedeutung konzentriert.
2012 ist unter dem Titel Verfilmung von Lyrik eine weitere Magisterarbeit zum
Thema erschienen. Simin Nina Littschwager liefert darin einen sehr brauchbaren Über-
blick über den Gegenstandsbereich und formuliert zielsicher die aus literaturwissen-
schaftlicher Perspektive wesentlichen Fragstellungen. Sie identifiziert thematische
Schwerpunkte, wie etwa das Verhältnis von lyrischer und filmischer Bildlichkeit und
benennt die prominentesten Vertreter des poetischen Avantgardefilmes. Allerdings
bleibt ihre Argumentation zu sehr in der Abarbeitung lyrischer Gattungsspezifika be-
fangen. Dadurch entsteht eine Perspektive, die von der Literatur auf den Film hin an-
gelegt ist und die Frage übergeht, warum der Film oder das Video sich ihrerseits der
Dichtung zuwenden. Die Ausführungen zur eigentlichen Realisierung im audiovisuel-
len Medium bleiben, sicherlich auch aufgrund des begrenzten Umfangs, knapp. Spezi-
fika des Audiovisuellen werden in Littschwagers Arbeit kaum verhandelt und auch die
wichtige Ebene des Rhythmus’ findet nur beiläufig Erwähnung. Außerdem krankt die
Studie an einer in Bezug auf die audiovisuellen Medien leider recht verbreiteten „Ton-
vergessenheit“. Ist dies schon beim Spielfilm eine problematische Vereinseitigung auf
die visuelle Ebene, so führt dies im Falle des Poesiefilmes zur beinahe vollständigen
Ausblendung so wichtiger lyrischer Aspekte wie Klanglichkeit und Versrhythmus.2
Während die Forschung im Bereich der Verfilmung von Lyrik kaum mehr als ver-
streute Ansätze bietet, ist die andere Richtung der Bezugnahme in der Forschung etwas

1
Juliane Moschell: Lyrik – Verfilmt. Studien zu filmischen Adaptionen deutschsprachiger Lyrik,
Magisterarbeit Univ. Marburg 2007.
2
Siehe Simin Nina Littschwager: Verfilmung von Lyrik. Mit Beispielanalysen aus dem Film
„Poem“, Magisterarbeit Univ. Marburg 2010. Neben den hier erwähnten Arbeiten existieren ver-
einzelte Studien, die sich besonders auf das didaktische Potential des Poesiefilmes konzentrieren.
Siehe Ingo Kammerer: „Einsamkeit zu zweit. Von der eigentümlichen Paarbeziehung verfilmter
Lyrik“, in: Michael Gans/Roland Jost/Ingo Kammerer (Hg.): Mediale Sichtweisen auf Literatur,
Baltmannsweiler 2008, 59–70; und Axel Krommer: „Lyrik und Film. Filmtheoretische, literatur-
wissenschaftliche und mediendidaktische Anmerkungen zur wechselseitigen Erhellung der Küns-
te“, in: Gudrun Marci-Boehnke/Matthias Rath (Hg.): BildTextZeichen lesen. Intermedialität im
didaktischen Diskurs, München 2006, 81–92.
Einleitung 9
besser aufgestellt: Die Einflussnahme des Filmes auf die Lyrik ist in den letzten Jahren
verstärkt erforscht worden. So zeigt Susan McCabe in ihrer umfassenden Studie Cine-
matic Modernism die Affinitäten zwischen modernistischer Lyrik und filmischer
Avantgarde auf. Im Zentrum ihrer Argumentation steht die Beziehung zwischen Film
und fragmentierter Körperlichkeit, ein Verhältnis das McCabe als „drama of dis-
memberment and reintegration“1 beschreibt.
In der germanistischen Forschung existieren vereinzelte Studien zur Beziehung von
Lyrik und Film, es fehlt aber weiterhin an Mikrostudien zu einzelnen Autorinnen und
Autoren.2 Diesem Forschungsdesiderat wird jedoch in den letzten Jahren verstärkt
entgegengearbeitet, wie sich in den Buch- und Aufsatzpublikationen von Sandra Rich-
ter, Jan Röhnert, Andreas Kramer, Stefan Keppler-Tasaki und Elisabeth Paefgen zeigt.3
Jan Röhnerts Studie Springende Gedanken und flackernde Bilder aus dem Jahr 2007
4
zählt bisher zu den umfassendsten Untersuchungen auf diesem Gebiet. Röhnert arbei-
tet wichtige formal-ästhetische Schnittpunkte zwischen Film und Lyrik heraus und dis-
kutiert eingehend die historische Konstellation, die den Film als Ausdrucksmittel mo-
derner Welterfahrung für die moderne Lyrik anziehend macht. Da die literaturzentrierte
Intermedialitätsforschung von Röhnert und anderen vornehmlich die Bezugnahmen der
Lyrik auf das Kino untersucht, sind die Einsichten, welche sich an ihnen für die Unter-
suchung von Gedichtfilmen gewinnen lassen, zwar gewichtig – aber begrenzt. Dafür
gibt es mehrere Gründe, die im Folgenden angeführt und in ihren Konsequenzen für die
methodische Vorgehensweise dieser Untersuchung dargestellt werden sollen.

1
Susan McCabe: Cinematic Modernism. Modernist Poetry and Film, Cambridge 2005, 13.
2
Siehe u. a. Silvio Vietta: „Expressionistische Literatur und Film. Einige Thesen zum
wechselseitigen Einfluß ihrer Darstellung und ihrer Wirkung“, in: Mannheimer Berichte, 19. Jg.,
1975, 294–299; Joachim Paech: Film und Literatur, Stuttgart 1997; Harro Segeberg: „Literarische
Kinoästhetik. Ansichten der Kinodebatte“, in: Harro Segeberg/Corinna Müller (Hg.): Die Model-
lierung des Kinofilms. Zur Geschichte des Kinoprogramms zwischen Kurzfilm und Langfilm
1905/06–1918, München 1998, 193–220; Joachim Paech: „Die Töne und Bilder. Brinkmanns Zorn
(Harald Bergmann 2005)“, in: Eugen Spedicato (Hg.): Literaturverfilmung. Perspektiven und
Analysen, Würzburg 2008, 183–195. Die Einschätzung Sandra Richters, dass die „Forschung über
das Verhältnis von Lyrik und Stummfilm […] ausgesprochen reich“ sei, kann ich allerdings nicht
teilen (Sandra Richter: „Lyrik im Ausgang der Stummfilmzeit. Claire Golls ‚Lyrische Films’“, in:
Wolf Gerhard Schmidt/Thorsten Valk (Hg.): Literatur intermedial. Paradigmenbildung zwischen
1918 und 1968, Berlin 2009, 67–86).
3
Siehe u. a. ebd.; Andreas Kramer/Jan Röhnert: „Unter dem Projektor dichten“, in: Andreas
Kramer/Jan Volker Röhnert (Hg.): Die endlose Ausdehnung von Zelluloid. 100 Jahre Film und
Kino im Gedicht, Dresden 2009, 182–191; Stefan Keppler-Tasaki, „immer steht er in der Bilder
Flut‘. Filmzugänge Gottfried Benns“, in: Euphorion, 105. Jg., 2011, 201–226; Elisabeth K.
Paefgen: „Gedichte aus Filmen – Filme im Gedicht. Albert Ostermaiers lyrische Arbeit mit dem
französischen Film noir“, in: Weimarer Beiträge – Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik
und Kulturwissenschaften, 58. Jg., H. 1, 2012, 62–68.
4
Jan Röhnert: Springende Gedanken und flackernde Bilder. Lyrik im Zeitalter der Kinematographie:
Blaise Cendrars, John Ashbery, Rolf Dieter Brinkmann, Diss. Univ. Jena 2007, Göttingen 2007.
10 Einleitung

Audiovision: Ton – Bild – Sprache


Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind Lyrik und Poesie im audiovisuellen
Medium bzw. audiovisuelle Repräsentationen lyrischer Texte. Ein besonderes Augen-
merk gilt dabei der Audiovision, der Verschränkung von Ton und Bild. Die klangliche
Seite soll ebenso Berücksichtigung finden wie die stimmliche Verkörperung der Ge-
dichte in ihrer sprechkünstlerischen Gestaltung. Untersucht man gesprochene Lyrik auf
diese Weise, so lenkt dies zwangsläufig die Aufmerksamkeit auf die noch immer ver-
nachlässigte Tonebene der audiovisuellen Darstellung. Gleichzeitig schärft diese Per-
spektive den Blick für Wechselwirkungen zwischen den Wahrnehmungsbereichen, die
sich im Film unter dem Stichwort der intermodalen Wahrnehmung1 vollziehen und de-
ren Effekte auch in den oft kontrapunktischen Ton-Bild-Welten des Poesiefilmes zum
Tragen kommen.
Mit dieser Ausrichtung stellt sich diese Studie explizit in die Nachfolge eines
„acoustic turn“, wie er 2008 von Petra Maria Meyer und anderen formuliert worden
ist.2 Kein Phänomen wäre besser als der Poesiefilm geeignet, zu demonstrieren, dass ei-
ne solche Aufwertung des Hörbaren nicht zu einer Abwertung, sondern zu einer Kom-
plementierung des Sichtbaren und des Sprachlichen führt.3 In diesem Zusammenhang
ist auch auf die Erträge der Performativitätsforschung einzugehen, die jedoch dort an
ihre Grenzen stößt, wo es gerade um die Wechselwirkungen zwischen dem ‚Was‘ und
dem ‚Wie‘, zwischen Text und Performance geht. Erika Fischer-Lichte zählt neben Per-
formance und Happening auch den Aufschwung der Dichterlesungen zu den Anzeichen
für eine performative Wende seit den sechziger Jahren, mit der sowohl die Beziehung
zwischen Publikum und Kunstproduzenten als auch das Verhältnis von Bedeutung und
Materialität eine Umgewichtung erfahren.4 Von Lesebühnen über Poetryslams bin hin
zu Literaturfestivals haben sich in den letzten Jahren zahlreiche Formen gebildet, „die
Literatur als Ereignis inszenieren und insbesondere die Lyrik als performative Form
darbieten.“5 Insofern sie im Gefolge der Spoken-Word-Bewegung eine Aufwertung der
stimmlichen Performance anstrebt, gehört sicher auch die Verbreitung von Lyrik im au-
diovisuellen Medium in diesen Zusammenhang. Auf der anderen Seite unterliegt die
Performance im Poesiefilm unausweichlich der Formierung und Strukturierung durch
das audiovisuelle Medium, das die Ko-Präsenz mit den Akteurinnen und Akteuren sus-
pendiert und seine eigene Materialität ins Spiel bringt.

1
Siehe Barbara Flückiger: Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films, Marburg 2001, 141.
2
Siehe Petra Maria Meyer (Hg.): Acoustic turn, München 2008.
3
Siehe Petra Maria Meyer: „Vorwort“, in: Petra Maria Meyer (Hg.): Acoustic turn, München 2008,
11–31. Hier: 13.
4
Siehe Erika Fischer-Lichte: Ästhetik des Performativen, Frankfurt am Main 2004, 24.
5
Katrin Kohl: „Festival, Performance, Wettstreit. Deutsche Gegenwartsliteratur als Ereignis“, in:
Nicholas Saul (Hg.): Literarische Wertung und Kanonbildung, Würzburg 2007, 173–190.
Hier: 173.
Einleitung 11
Diese Gewichtung spiegelt sich auch in der Gliederung der vorliegenden Untersu-
chung. Nachdem im ersten Kapitel wichtige gattungstheoretische und begriffliche Klä-
rungen vorgenommen und eine Typologie des Poesiefilmes erarbeitet wird, folgt im
zweiten Kapitel ein geschichtlicher Abriss, der kultur- und mediengeschichtliche Fakto-
ren bei der Entwicklung des Genres darstellt. Dieser historische Zugang wird im dritten
und im vierten Kapitel durch einen systematischen Zugang zum Phänomen des Poesie-
filmes ergänzt. Zunächst soll anhand exemplarischer Analysen das Spannungsverhältnis
von Performance und Medialität im Gedichtfilm erörtert werden. Mit den Wirkungen
des Mediums auf Stimme, Schrift und Rhythmus werden im dritten Kapitel schwer-
punktmäßig Fragen der äußeren Faktur von Poesiefilmen behandelt.1 Im vierten Kapitel
soll mit der Untersuchung inhaltlicher Text-Bild-Beziehungen die Ebene der Informa-
tion im Vordergrund stehen. Während im systematischen Teil Poesiefilme auf der
Grundlage des Audiovisuellen untersucht werden, finden im historischen Teil auch die
unterschiedlichen Spezifika audiovisueller Medien wie Film, Video und Webvideo Be-
rücksichtigung.

Hybridität und Intermedialität


Wie allerorten bemerkt und auch beklagt wurde, ist der Medienbegriff außerordentlich
äquivok; je nach Erkenntnisinteresse werden verschiedene Kriterien für seine Bestim-
mung zu Grunde gelegt.2 Dennoch möchte ich nachstehend in größtmöglicher Knapp-
heit darlegen, was im Folgenden gemeint ist, wenn der Begriff „Medium“ (bzw.
„Medien“) gebraucht wird. Gegenstand der Analyse sind Gedichte im audiovisuellen
Medium, eine Kunstform, bei der man es zwangsläufig mit komplexen Wechselbezie-
hungen zwischen verschiedenen Darstellungsmodi (Schrift, Bild, Ton), Künsten (Lite-
ratur, Film, Musik), Gattungen und technischen Medien (Video, Computer, Film, Buch)
zu tun hat: Gesprochener oder geschriebener Text wird mit bewegten Bildern und Mu-
sik kombiniert, in Büchern überlieferte Gedichte werden gesprochen und aufgezeichnet
oder sie werden in digitalen, graphischen Schrifttext übertragen. Im Verlauf der Unter-
suchung möchte ich Medien von anderen Gegenstandsbereichen wie Gattungen und
Künsten sowie von allgemeineren Darstellungsmodi wie Schrift, Bild, Zahl und von

1
Ich übernehme die Terminologie Rüdiger Zymners, der zwischen „Faktur“ und „Information“
unterscheidet. Dabei bezeichnet der Ausdruck „Faktur“ in Anlehnung an Roman Jakobson „alle
kompositionellen Eigenschaften der graphischen und phonischen Repräsentation von potentiell be-
deutungsvermittelnder Sprache“ (Rüdiger Zymner: Lyrik. Umriss und Begriff, Paderborn 2009, 56).
Mit Information ist das ‚Was‘, das Bedeutungspotential eines Zeichens gemeint.
2
Siehe hierzu Lambert Wiesing: „Was sind Medien?“, in: Stefan Münker/Alexander Roesler (Hg.):
Was ist ein Medium? Frankfurt am Main 2008, 235–248. Hier: 239.
12 Einleitung

Zeichensystemen unterscheiden. Erst so wird es möglich, präzise zu beschreiben, worin


die konstitutiven Besonderheiten des Genres „Poesiefilm“ liegen.1
Zweifellos sind technikorientierte, systemtheoretische oder phänomenologische Be-
stimmungen des Medienbegriffes, wie sie in verschiedenen Medientheorien formuliert
werden, für die jeweilige Fragestellung und Theoriebildung produktiv.2 Allerdings
bringen sie nicht unbedingt handhabbare Definitionen ihres Gegenstandes hervor, son-
dern neigen dazu, notwendige Eigenschaften von Medien als hinreichende Bestim-
mungsmerkmale zu verabsolutieren, was zu einer vielfach bemerkten Entgrenzung des
Medienbegriffes geführt hat.3 Demgegenüber sollen unter „Medien“ nachfolgend aus-
schließlich Kommunikationsmittel verstanden werden:
Der historisch erweiterte Begriff des ‚Mediums als Kommunikationsmittel‘ und als ‚Kommu-
nikationsorganisation‘ (nicht-technische und technische Speicher- und Verbreitungsmittel und
soziale Organisationen, die ‚mit einer Stimme sprechen‘) integriert die Gesamtentwicklung
der Kommunikationstechniken von den oralen über die skripturalen Kulturen bis zu den
modernen technischen Massen- und Individualmedien.4

Medien sind nicht auf Medientechnologien zu reduzieren. Sie bilden stets eine Ver-
schränkung von Kommunikations- und Kulturtechniken und verwirklichen sich nur in
ihrem jeweiligen Gebrauch.5 Medien werden hier demnach verstanden als Dispositiv,
da sie ein Netz kultureller, rechtlicher, räumlicher und materiell-apparativer Elemente
darstellen, eine Anordnung, die Wahrnehmung und Bedeutung formiert, ohne dabei
selbst immer wahrnehmbar zu sein.6 Anders als etwa die Rede von den Zeichensyste-
men impliziert der Medienbegriff bereits eine unhintergehbare Materialität: „Dagegen

1
Siehe auch Gottfried Willems: „Die Künste, ihre Medien und die Fallen der Hybridisierung“, in:
Dirck Linck/Stefanie Rentsch (Hg.): Bildtext – Textbild. Probleme der Rede über Text-Bild-
Hybride, Freiburg i. Br. 2007, 53–71. Hier: 64: „Um hier methodisch sauber voranzukommen, ist
es von entscheidender Bedeutung, die verschiedenen Ebenen des Trennenden und Verbindenden
begriffsscharf auseinanderzuhalten, vor allem die Ebenen des Mediums, des Zeichens und der
Kunst.“
2
Siehe etwa Marshall McLuhan: Understanding Media. The Extensions of Man, London 2007;
Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1995; Dieter Mersch: Ereignis
und Aura. Untersuchungen zu einer Ästhetik des Performativen, Frankfurt am Main 2006.
3
Siehe Lambert Wiesing: „Was sind Medien?“.
4
Helmut Schanze: „Medien“, in: Helmut Schanze/Susanne Pütz (Hg.): Metzler Lexikon Medien-
theorie, Medienwissenschaft. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Stuttgart 2002, 199–201.
Hier: 200.
5
Siehe Georg Christoph Tholen: „Medium/Medien“, in: Alexander Roesler/Bernd Stiegler/Roesler-
Stiegler (Hg.): Grundbegriffe der Medientheorie, Paderborn 2005, 150–172. Hier: 155; Sybille
Krämer: „Kulturanthropologie der Medien: Thesen zur Einführung“, in: Paragrana. Internationale
Zeitschrift für Historische Anthropologie, 13. Jg., H. 1, 2004, 130–133. Hier: 133.
6
Knut Hickethier: Einführung in die Medienwissenschaft, Stuttgart 2003, 189; Joachim Paech:
„Überlegungen zum Dispositiv als Theorie medialer Topik“, in: Medienwissenschaft, H. 4, 1997,
400–420. Hier: 407ff.
Einleitung 13
wäre auf die spezifische Duplizität des Mediums zu bestehen: als Dispositiv bezeichnet
es ein Bedingungsgefüge, das als Bedingendes zugleich an Materialitäten gebunden
bleibt.“1
Poesiefilme sind als hybrides Genre Ausdruck einer zunehmenden Entgrenzung der
Künste. Sie werden zugleich, auch im Zusammenhang dieser Untersuchung, als Er-
scheinungsweise von Intermedialität beschrieben. Sowohl der Begriff des Hybriden als
auch der Begriff des Genres erfordern eine Erläuterung, mit der zugleich das offenkun-
dige Verhältnis dieser Studie zur Frage der Intermedialität genauer bestimmt werden
soll. Es liegt nahe, dass eine Untersuchung, die der Umsetzung von Lyrik in Film und
Video nachgeht, sich bevorzugt mit Fragen des Medialen auseinanderzusetzen hat. Alle
Aspekte, die in der literaturzentrierten Intermedialitätsforschung2 thematisiert werden,
sind an der einen oder anderen Stelle auch für den Poesiefilm relevant. Irina Rajewsky
unterscheidet drei Subkategorien von Intermedialität im weiteren Sinne: Medien-
wechsel, intermediale Bezugnahmen und Medienkombination. Aus produktionsästheti-
scher Perspektive können Poesiefilme als Medienwechsel behandelt werden, und zwar
immer dann, wenn sie etwa ein Gedicht aus dem Medium des Buches in einen Film
oder ein Video übertragen. In diesem Sinne sind sie Teil des klassischen Forschungsfel-
des der Literaturverfilmung. Besonders Gedichtadaptionen – das sind Poesiefilme, die
lediglich ein Gedicht zu Vorlage haben, ohne es in seiner sprachlichen Gestalt ein-
zubinden – lassen sich als Formen des Medienwechsels untersuchen. Im ersten Kapitel
meiner Untersuchung werde ich diesem Ansatz nachgehen und zeigen, wo dieser an
seine Grenzen stößt. Als intermediale Bezugnahme kennzeichnet Rajewsky dagegen
„Mediengrenzen überschreitende Rekursverfahren“3: „Mit den eigenen medien-
spezifischen Mitteln werden Elemente oder Strukturen eines anderen konventionell als
distinkt angenommenen Mediums thematisiert, evoziert oder […] imitiert bzw. fin-
giert.“4 Ähnlich wie bei der Literaturverfilmung trifft dies aber nicht auf den Poesiefilm
film per se zu. Inwieweit es in Einzelfällen zu einer Imitation lyrischer Strukturen mit
filmischen Mitteln kommt und inwieweit dieses Phänomen als „bloße[r] Effekt von
Metaphern des Beschreibungsdiskurs“5 anzusehen ist, wird im ersten Kapitel ausführ-
lich zu diskutieren sein.

1
Dieter Mersch: Ereignis und Aura, 62.
2
Ich beziehe mich hier auf den Forschungsüberblick bei Irina O. Rajewsky: „Intermedialität und
remediation. Überlegungen zu einigen Problemfeldern der jüngeren Intermedialitätsforschung“, in:
Joachim Paech (Hg.): Intermedialität – analog/digital. Theorien, Methoden, Analysen, München
2008, 47–60.
3
Ebd., 53.
4
Ebd., 57.
5
Werner Wolf: „Intermedialität: Ein weites Feld und eine Herausforderung für die Literatur-
wissenschaft“, in: Herbert Foltinek/Christoph Leitgeb (Hg.): Literaturwissenschaft. Intermedial –
interdisziplinär, Wien 2002, 163–192. Hier: 185.
14 Einleitung

Insofern Poesiefilme eine Kombination von Gedicht und Film darstellen, wären sie
in der Terminologie der literaturzentrierten Intermedialitätsforschung als Medienkom-
bination1 bzw. plurimediale Produkte2 anzusehen. Diese Beschreibung scheint zwar zu
passen, doch trifft sie im Grunde auf alle Tonfilme und Videos zu, während es im Zu-
sammenhang der vorliegenden Untersuchung darum geht, zu zeigen, wie es sich aus-
wirkt, dass das in den „plurimedialen“ Zusammenhang eingebundene sprachliche Ele-
ment eben ein Gedicht ist. Neuerdings gibt es Bestrebungen, den Begriff der Interme-
dialität durch den der Transmedialität zu ersetzen, da dieser stärker auf den Aspekt des
Übergangs und der Überschreitung verweist.3 Demgegenüber möchte die vorliegende
Studie am „Potential der Grenze“4 festhalten, das mit dem Konzept des Intermedialen
verbunden ist. Zwar möchte ich mit der Analyse von Gedichtfilmen für die Auflösung
starrer Gegensatzpaare (etwa Ton und Bild, Stimme und Text, Performance und Me-
dium) plädieren, allerdings erweisen sich die Beziehungen zwischen den Elementen
wiederholt gerade dann als produktiv, wenn diese eine merkliche Differenz aufweisen.
Dies gilt sowohl für die intermodale Assoziation bei den Ton-Bild-Beziehungen5 als
auch für die Funktionsweise der Metapher6, die ikonische Differenz7 und die kontra-
punktische Text-Bild-Beziehung8. Transmedialität wird daher wie bei Rajewsky als
Sammelbegriff für medienunspezifische Phänomene aufgefasst, die sich „jenseits von
Mediengrenzen bzw. ‚über Mediengrenzen hinweg‘ manifestieren“9. Werner Wolf

1
Siehe Irina O. Rajewsky: „Intermedialität und remediation“, 53.
2
Werner Wolf: „Intermedialität: Ein weites Feld“, 178. Vgl. dgg. Gottfried Willems: „Die Künste“,
67: „Mediale Kommunikation vollzieht sich stets im Rahmen eines einzigen Mediums, das diese
Kommunikation organisiert. Wo Text und Bild kombiniert werden, oder das gesprochene Wort mit
dem Laufbild, oder, weiter ausgreifend, Plastisches mit Gemaltem, Fotografiertem, Gefilmtem, Re-
de, Geräusch und musikalischem Klang, da werden nicht etwa Medien kombiniert, sondern Zei-
chengebilde bzw. ästhetische Gebilde. Das Medium kann im ersten Fall das Buch oder die Zeit-
schrift, im zweiten Fall das Kino oder das Fernsehen sein, und im dritten Fall wird es auf den archi-
tektonisch gestalteten Raum hinauslaufen.“ Willems Kritik an dem Begriff der Medienkombination
geht ein wenig am Problem vorbei. Sicherlich werden keine technischen Einzelmedien im Sinne
von Buch und Film zusammengefügt. Entscheidend ist doch, dass diese ästhetischen Gebilde sich
durch differierende Medialitäten auszeichnen.
3
Siehe Urs Meyer/Roberto Simanowski/Christoph Zeller: „Vorwort“, in: Urs Meyer/Roberto
Simanowski/Christoph Zeller (Hg.): Transmedialität zur Ästhetik paraliterarischer Verfahren,
Göttingen 2006, 7–17. Hier: 2.
4
Irina O. Rajewsky: „Das Potential der Grenze. Überlegungen zu aktuellen Fragen der Inter-
medialitätsforschung“, in: Dagmar Hoff/Bernhard Spies (Hg.): Textprofile intermedial, München
2008, 19–47.
5
Siehe Barbara Flückiger: Sound Design, 141
6
Siehe Max Black: „Die Metapher“, in: Anselm Haverkamp (Hg.): Theorie der Metapher,
Darmstadt 1996, 56–79. Hier: 69.
7
Siehe Gottfried Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen. Die Macht des Zeigens, Berlin 2010, 37.
8
Siehe Michel Chion: Un Art sonore, le cinema. Histoire, esthétique, poétique, Paris 2003, 346.
9
Irina O Rajewsky: Intermedialität, Tübingen 2002, 13.
Einleitung 15
nennt als wichtiges Beispiel das Phänomen des Narrativen, das sich in unterschiedli-
chen Medien außerhalb der Literatur nachweisen lässt.1 Könnte man auch das Lyrische
in analoger Weise als transmediales Phänomen beschreiben? Diese Auffassung wurde
verschiedentlich vorgebracht, nicht zuletzt von Vertretern der literarischen Moderne
wie Guillaume Apollinaire, aber auch von Regisseuren wie Andrej Tarkovskij oder
Filmkritikern wie dem Schriftsteller Peter Weiss. Sie schlägt sich in der Idee des
poetischen Filmes nieder, der Idee, dass Poesie außerhalb der Sprache im Medium des
Filmes zu verwirklichen sei. Auch wenn der poetische Film nicht im engeren Sinn Ge-
genstand dieser Abhandlung ist, wird der dazugehörige Diskurs im ersten Kapitel
vorgestellt. Ich werde im Verlauf der Untersuchung immer wieder auf ihn zurückkom-
men, denn meine Hypothese lautet, dass die audiovisuelle Ausdrucksebene von der In-
tegration lyrischer Texte nicht unberührt bleibt. Es wird zu hinterfragen sein, ob die
Integration von Gedichten zu einer Lyrisierung von Film oder Video führt.
„Alle Medien sind konstitutiv hybrid.“2 Dieses, aus der berühmten Aussage „All me-
media are mixed media“ von W.J.T. Mitchell abgeleitete Statement sollte nicht zu einer
Vergleichgültigung gegenüber den Verschiedenheiten der Elemente führen, die im
Poesiefilm zusammentreffen. Versteht man unter einem Hybrid eine Mischform, in der
differente Elemente zusammengeführt werden, die jedoch in ihrer Verschiedenheit
wahrnehmbar bleiben, so ließe sich die Realisierung von Lyrik im audiovisuellen Me-
dium durchaus als hybrides Genre beschreiben:
Insofern die ästhetische Praxis, das ästhetische Leben in diesem Sinne von einer Spezialisie-
rung nach Künsten und Kunstgattungen geprägt ist, insofern die Grenzen zwischen den Küns-
ten und Kunstgattungen mithin gelebte und bewusst wahrgenommene Grenzen sind, und von
daher dann auch eine Grenzüberschreitung als solche vorgeführt und erfahren werden kann,
mag der Begriff des ,Hybrids‘, seine Berechtigung haben. Plausibel ist er wohl vor allem dort,
wo auf Seiten des Publikums die Gewöhnung an Grenzen wahrgenommen werden kann, und
auf Seiten des Künstlers der Wille zur Grenzüberschreitung, wo die Grenzüberschreitung ei-
nen demonstrativen Charakter hat.3

Zwei Beobachtungen leiten diese Untersuchung des Poesiefilmes in besonderer Weise


an: eine Tendenz zu Selbstreflexivität und ein Streben nach Präsenzeffekten in Poesie-
filmen. Dem experimentellen Film eine erhöhte Selbstreflexivität zuzuschreiben, die in
seiner Poetizität begründet sei, ist eine starke Position in der Beurteilung des Avantgar-
defilmes. Besonders der einflussreiche Kritiker P. Adams Sitney hat diese, bereits bei
den russischen Formalisten angelegte Bewertung aufgegriffen und bekanntgemacht.
Die Filmwissenschaftlerin Gabriele Jutz schlägt in ihrem 2010 erschienenen Buch eine

1
Werner Wolf: „Intermedialität: Ein weites Feld“, 180.
2
Dirck Linck/Stefanie Rentsch: „Bildtext – Textbild. Probleme der Rede über Text-Bild-Hybride“,
in: Dirck Linck/Stefanie Rentsch (Hg.): Bildtext – Textbild. Probleme der Rede über Text-Bild-
Hybride, Freiburg i. Br. 2007, 7–14. Hier: 11.
3
Gottfried Willems: „Die Künste“, 57.
16 Einleitung

„alternative Genealogie zur Filmavantgarde“ vor und unterzieht dabei vor allem die
Geschichtsschreibung und Theorie des Avantgardefilmes der Kritik, die diesen im Zei-
chen eines formalistischen Autonomiemodells zum selbstreflexiven und „medien-
purifikatorischen“1 Kunstwerk im Sinne des high modernism vereinseitigt haben.2
Dagegen entwickelt sie eine Theorie des cinéma brut, die
nicht das Reine, sondern das ‚Unreine‘ zum Maßstab nimmt. Dem cinéma pur wird ein cinéma
brut entgegengesetzt, bei dem nicht Medienspezifik, Selbstreflexion, Formalismus und Präzi-
sion vorherrschen, sondern eine Ästhetik der Obsoleszenz, des Formlos-Werdens, des Flüchti-
gen und der Betonung des Indexikalischen.3

An Beispielen des Avantgardefilmes der 20er aber auch der sechziger und siebziger
Jahre zeigt sie, wie vermeintlich feststehende mediale Grenzen immer wieder
durchbrochen werden. Mit Techniken wie handpainted film und scratching ist auch
eine Verschiebung des Fokus von der filmischen Form zum Materiellen und zum Physi-
schen verbunden. Darüber hinaus markiert das cinéma brut, so Jutz, stellvertretend den
kunsthistorischen Übergang vom Ikonischen zum Indexikalischen: „Als Spur, Geste
oder Relikt ist der Index immer an die physische und sinnlich erfahrbare Welt gebunden
und stellt daher ein wichtiges Korrektiv gegenüber dem Autonomieanspruch des mo-
dernistischen Kunstwerks dar.“4 Die Tendenz, den Index als Berührung oder Spur auf-
zuwerten, kommt besonders in den Praktiken des direct-film, des expanded-cinema und
des found-footage Film zum Ausdruck.5 In dieser Hinsicht ergänzt das cinéma brut die
Konturierung des poetischen Filmes, welche einen Ausgangspunkt für die vorliegende
Untersuchung bildet, um die Aspekte des Hybriden und ‚Unreinen‘, die ebenfalls
charakteristisch für den Poesiefilm sind. Diese Erweiterung hat ihr Gegenstück in
einem neubegründeten Verständnis von Lyrik, wie es Rüdiger Zymner 2009 vorgestellt
hat. Es definiert Lyrik sowohl über die Eigenschaft, generisches Display sprachlicher
Medialität zu sein, als auch über die durch Lyrik hervorgerufene ästhetische Evidenz,
die nicht zuletzt durch eine erhöhte sinnliche Partizipation ausgelöst wird.6

Poesiefilm als Genre?


Poesiefilm wird in den Selbstbeschreibungen von Künstlerinnen und Künstlern gele-
gentlich als selbstständiges Genre bzw. evolving genre bezeichnet.7 Auch wenn mit der
Definition des Genrebegriffes in der Filmwissenschaft erhebliche Schwierigkeiten ver-

1
Gabriele Jutz: Cinéma brut. Eine alternative Genealogie der Filmavantgarde, Wien 2010, 258.
2
Ebd., 257.
3
Ebd., 258.
4
Ebd., 260.
5
Ebd., 259f.
6
Siehe Rüdiger Zymner: Lyrik, 139ff.
7
Siehe Mary Russell/Gerard Wozek: „Poetry Video. A Collaborative Art“, online unter:
http://www.gerardwozek.com/learningcurve.htm.
Einleitung 17
bunden sind, soll diesem Sprachgebrauch in dieser Studie gefolgt und Poesiefilm als ein
hybrides Genre beschrieben werden. Dabei gilt es, mögliche Vorbehalte gegen diese
Vorgehensweise gegen die Vorteile abzuwägen. Auf den ersten Blick erscheint der
Genre-Begriff inkompatibel mit dem poetischen Prinzip des Poesiefilmes. Eingeführt
als kulturindustrielles Verfahren der Standardisierung und Effizienzsteigerung des
Filmabsatzes, steht die Idee des Genre zu den filmtheoretischen Versuchen, Film als
Kunst zu etablieren, geradezu quer.1 Bei allen Differenzen in der Genredebatte zeigt
sich, dass Filmgenres weit stärker als literarische Gattungen an ökonomische Interessen
(in diesem Fall der Filmindustrie) gebunden sind. Des Weiteren gilt, dass Genres von
der Erkennbarkeit und Akzeptanz durch ein Publikum abhängen.2 Beide Aspekte müs-
sen für den Poesiefilm bezweifelt werden.
Demgegenüber sind die wichtigsten Voraussetzungen für einen Genrebegriffes er-
füllt, denn es lassen sich sowohl konstitutive Ähnlichkeiten zwischen den einzelnen Er-
scheinungen nachweisen als auch ein soziokulturelles Umfeld, in welches das Genre als
Institution eingebettet und an welches es angepasst ist.3 Ohnehin werden die Gruppie-
rungen zu Genres aufgrund von Merkmalen von unterschiedlichem Abstraktionsgrad
vorgenommen.4 Etablierte Genres wie das Musical oder das Biopic, die nach Kriterien
gekennzeichnet werden, die denen des Poesiefilmes nicht unähnlich sind, lassen es als
zulässig erscheinen, ihn als ein in der Entstehung begriffenes Kurzfilmgenre zu be-
schreiben. Als heuristisches Vorbild kann Rick Altmans Konzeption des ameri-
kanischen Musicals dienen, eine Vermittlung von systematischem und historischem
Genreverständnis, das Jörg Schweinitz folgendermaßen skizziert:
Altman konstituiert zunächst einen weiten Genrebegriff, der sich allerdings nicht auf metadis-
kursive Indizien stützt […], sondern auf das ,tautologische‘ Merkmal: Filme, in denen diegeti-
sche Musik eine zentrale, die Spezifik der Narration prägende Rolle spielt. […] Innerhalb die-
ses weiten, wie Altman das nennt, semantisch fixierten Genrerahmens, der zunächst auf einem
systematischen Genreverständnis (im Sinne Todorovs) beruht, macht er dann verschiedene
historisch einander ablösende (teilweise einander überlagernde) Syntagmen aus.5

Ausgehend von einer systematischen Genrebeschreibung sollen daher Filme oder Vi-
deos, in denen lyrische Texte eine zentrale, nicht in die Narration eingelassene Rolle
spielen, in der vorliegenden Studie auf gemeinsame Eigenschaften sowie auf die histo-
rischen Erscheinungsformen des Poesiefilmes hin untersucht werden.

1
Jörg Schweinitz: „,Genre‘ und lebendiges Genrebewußtsein. Geschichte eines Begriffs und Pro-
bleme seiner Konzeptualisierung in der Filmwissenschaft“, in: montage/av, 3. Jg., H. 2, 1994, 99–
117. Hier: 110–101ff.
2
Rick Altman: Film/Genre, London 1999, 30ff.
3
Siehe Jörg Schweinitz: „,Genre‘ und lebendiges Genrebewußtsein“, 106.
4
Jörg Schweinitz: „Genre“, in: Thomas Koebner (Hg.): Reclams Sachlexikon des Films, Stuttgart
2007, 283–285. Hier: 283.
5
Jörg Schweinitz: „,Genre‘ und lebendiges Genrebewußtsein“, 115.
1 Was sind Poesiefilme?

1.1 Lyriktheoretische Vorüberlegungen


Poesiefilme sind eine Kurzfilmgattung, die sich ausschließlich über die Bezugnahme
auf eine literarische Gattung definiert: Sie integrieren oder adaptieren lyrische Ge-
dichte. Um zu verstehen, was Poesiefilme sind, muss also bestimmt werden, was unter
Lyrik zu verstehen ist, denn die einzelnen Auffassungen von dem, was lyrisch, was
poetisch, ja, was ein Gedicht ist, bringen entsprechend verschiedene Definitionen und
Formen des Genres „Poesiefilm“ hervor. Ohne eine lyriktheoretische Verortung stünde
eine Untersuchung zur Lyrik im audiovisuellen Medium auf schwachem Fundament.
Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich daher mit der Diskussion um den
Lyrikbegriff in seiner Geschichtlichkeit und den daraus folgenden Konsequenzen für
die vorliegende Untersuchung. Bei dem Versuch zu klären, was im Zusammenhang mit
Poesiefilmen unter den Bezeichnungen „Lyrik“ oder „Poesie“ zu verstehen ist, wird
man sich vor allem mit der Tatsache konfrontiert sehen, dass die Begriffe „Poesie“,
„Lyrik“ und sogar „das Poetische“ gemeinhin synonym gebraucht werden. Das ist
kaum verwunderlich, wenn man die begrifflichen Überschneidungen und die Ver-
schiebungen, Erweiterungen und Übersetzungen dieser Bezeichnungen in Betracht
zieht. Bedeutet „Poesie“ in der deutschen Sprache bis in das achtzehnte Jahrhundert hi-
nein jegliche Dichtung, ähnlich wie zunächst das englische „poetry“, so setzt sich für
das gemeinte Textkorpus im neunzehnten Jahrhundert die Bezeichnung „Literatur“
durch.1 Im zwanzigsten Jahrhundert greift die surrealistische Bewegung den Poe-
siebegriff auf und wendet ihn auf verschiedene Künste, Medien und Lebensbereiche an.
In der visuellen Poesie wiederum setzt man die Bezeichnung gegen den semantisch be-
ladenen und in den fünfziger Jahren noch eindeutig emotional-subjektiven Lyrikbegriff.
Wenn Enzensberger seine berühmte Lyrik-Anthologie das Museum der modernen Poe-

1
Zur Verengung des Literaturbegriffes und der Etablierung der historischen Gattungstrias gegen
Ende des achtzehnten Jahrhunderts siehe Stefan Trappen: Gattungspoetik. Studien zur Poetik des
16. bis 19. Jahrhunderts und zur Geschichte der triadischen Gattungslehre, Habil. Univ. Mainz
1998, Heidelberg 2001, 207ff.
Lyriktheoretische Vorüberlegungen 19
sie nennt, so unterstreicht er, indem er einen Begriff wählt, der in vielen europäischen
Sprachen ähnlich ist, die Internationalität, die diese Literatur in seinen Augen besitzt.
Aus ganz ähnlichen Gründen hat die Bezeichnung „Poesie“ auch heute wieder Kon-
junktur. Die Begriffe „digitale Poesie“, „Poesiefestival“ und eben „Poesiefilm“ schlie-
ßen an internationale Phänomene an. Eine nicht geringe Rolle spielt in diesem Zusam-
menhang auch die Rückübersetzung des englischen „poetry“, dem Begriff, der wohl die
größten semantischen Überschneidungen mit dem deutschen Lyrikbegriff hat. In Fü-
gungen wie „Poetry Slam“, „Poetry Clip“ und „Spoken Poetry“ ist die englische Be-
zeichnung seit den neunziger Jahren auch in der deutschen Sprache geläufig. Erschwert
wird die Übersetzung dadurch, dass die englische Sprache neben „poetry“ auch das
Wort „lyric“ kennt. Während das Wort „poetry“ jegliche literarische Komposition in
Versform bezeichnet,1 lässt sich „lyric“ einmal durch seine Liedhaftigkeit („having the
form or musical quality of a song“) definieren oder durch seine bisher folgenreichste
semantische Zuschreibung als „a usually short poem that expresses personal feelings
and may or may not be set to music“2. Der Begriff „poetry“ hat das Antonym „prose“
und umfasst über das deutsche „Lyrik“ hinausgehend auch dramatische oder narrative
Dichtungen. „Lyric“ dagegen, so Chapman im Oxford Companion to the English Lan-
guage, „was seldom further defined, and is used of almost any poem that is not clearly
narrative, dramatic, or satirical.“3 Allerdings ist „lyric“ mittlerweile weitestgehend zum
Synonym für „poetry“ geworden und umfasst schlicht den Großteil der Literatur in
Versen, bis auf das Epos und das Versdrama: „in fact no distinction between ‚the lyric‘,
‚poetry‘ and ‚poems‘ seems to be appropriate any longer […].“4
Über eine Definition des Lyrikbegriffs besteht in der deutschsprachigen Forschung
weiterhin keine Einigkeit. Die Problematik einer gattungstheoretischen Abgrenzung
lyrischer Dichtung von den anderen literarischen Gattungen, hängt wohl nicht zuletzt
mit deren Herkunft aus einem Bereich der nicht-‚reinen‘ Wortkunst zusammen. Als
Teil der mousiké waren die Texte in einen Zusammenhang von Musik und Tanz einge-
bunden: „Platon stellt der erzählenden Wortkunst der Dichter als eigenständigen Be-
reich die Gesangskunst gegenüber, die jene ‚Texte‘ umfasst, die wir heute unter ‚Lyrik‘

1
Siehe Raymond Chapman: „Poetry“, in: Thomas Burns McArthur (Hg.): The Oxford Companion to
the English language, Oxford 1992, 791–793. Hier: 791. Auch hier besteht jedoch keine Einigkeit;
John Drury etwa unterscheidet nach Genres in „lyric“, „dramatic“ und „narrative poetry“ und
bindet poetry insgesamt an „charged, compressed language“: „Prose, free verse, and metrical verse
are the three principal modes of poetry.“ (John Drury: The Poetry Dictionary, Cincinnati/Ohio
2006, 216).
2
Raymond Chapman: „Lyric“, in: Thomas Burns McArthur (Hg.): The Oxford Companion to the
English Language, Oxford 1992, 632. Hier: 632.
3
Ebd.
4
Werner Wolf: „The Lyric. Problems of Definition and Proposals for Reconceptualisation“, in: Eva
Müller-Zettelmann/Margarete Rubik (Hg.): Theory into Poetry. New Approaches to the Lyric,
Amsterdam 2005, 21–56. Hier: 23.
20 Was sind Poesiefilme?

subsumieren.“1 Anders als in der heutigen Vorstellung wurde die Lyrik in den antiken
Dichtungssystematiken von Platon und Aristoteles genau genommen gar nicht der
Dichtung zugerechnet. Wie Klaus W. Hempfer gezeigt hat, wird in Platons Politeia
Dichtung zunächst generell als Erzählung verstanden. Die berühmte Trias, die in
394b-c2 entwickelt wird, unterscheidet nicht Gattungen voneinander, sondern dif-
ferenziert drei verschiedene Arten der Vermittlung einer Geschichte nach dem Kri-
terium ‚Wer spricht?‘. Damit ergeben sich als Typen der Klassifizierung die einfache
Erzählung – ihr entspricht der Dithyrambos –, die Darstellung in Komödie und Tragö-
die sowie die Mischung beider Formen im Epos.3
In den deutschen Barockpoetiken gibt es noch keinen Gattungsbegriff, der die heute
als „lyrisch“ bezeichneten Texte zusammenfasst. So stellt etwa Martin Opitz einzelne –
nach verschiedenen Kriterien bestimmte – Formen wie Elegie, Ekloge, Hymne neben
die „Lyrica oder getichte die man zur Music sonderlich gebrauchen kann“.4 Bei Daniel
Georg Morhof findet sich erstmals ein eigenständiger Lyrikbegriff. Seine Ordnung
kennt außer Heldengedicht, Ode und Schauspiel noch das Epigramm und kommt so auf
insgesamt vier Gattungen.5 Die gattungspoetische Dreiteilung zwischen Lyrik, Epik
und Dramatik, wie wir sie heute kennen, wird erst im frühen achtzehnten Jahrhundert in
den deutschen Sprachraum eingeführt, nachdem sie sich zunächst, übernommen aus
italienischen Renaissancepoetiken, in England durchgesetzt hatte.6 Schon bald wird die
die lyrische Gattung, nicht zuletzt unter dem Einfluss der Ästhetik Charles Batteux’, als
ideal für die Darstellung von Empfindungen und Affekten angesehen und auf diese
subjektivistische, emotionalistische Konzeption eingeengt.7 Noch in den Ästhetiken
von Empfindsamkeit, Sturm und Drang, wie auch der Romantik gilt dies jedoch nicht
ohne Einschränkungen. So wirkt einerseits der aufklärerische Rationalismus auch in der
Lyrik fort, andererseits bleiben formale Aspekte trotz der Verbreitung der Ausdrucks-
ästhetik für die Lyrik konstitutiv: „Die folgenreiche Verabsolutierung der subjektivisti-
schen Lyrik-Theorie erfolgte denn auch nicht durch diese, sondern erst unter idealisti-

1
Klaus W. Hempfer: „Überlegungen zur historischen Begründung einer systematischen Lyriktheo-
rie“, in: Klaus W. Hempfer/Gerhard Regn (Hg.): Sprachen der Lyrik. Von der Antike bis zur digita-
len Poesie, für Gerhard Regn anlässlich seines 60. Geburtstags, Stuttgart 2008, 33–60. Hier: 38.
2
Siehe Platon: Der Staat (Politeia), hg. von Karl Vretska, Stuttgart 2008.
3
Klaus W. Hempfer: „Überlegungen“, 36f.
4
Martin Opitz: Buch von der deutschen Poeterey (1624), hg. von Cornelius Sommer, Stuttgart 1997,
30.
5
Siehe Daniel Georg Morhof: Daniel Georg Morhofens Unterricht von der teutschen Sprache und
Poesie, hg. von Henning Boetius, Bad Homburg v. d. H. 1969, 327ff.
6
Klaus W. Hempfer: „Überlegungen“, 56. In Deutschland formuliert als erster A.W. Schlegel in sei-
nen Jenaer „Vorlesungen über philosophische Kunstlehre“ die Lehre von der poetischen Gattungs-
trias von Lyrik, Epik, Dramatik. (Siehe Stefan Trappen, Gattungspoetik, 201).
7
Siehe dazu ausführlich Otto Knörrich: Lexikon lyrischer Formen, Stuttgart 1992, XXIIff. Batteux
löst das dringende gattungstheoretische Problem der Einordnung lyrischer Texte, indem er die
schönen Künste auf das Prinzip der Nachahmung zurückführt, wobei der Lyrik die Nachahmung
der Empfindungen zufällt.
Lyriktheoretische Vorüberlegungen 21
schem Vorzeichen durch Hegel und seine Schule.“1 Auch da, wo Goethe 1819 in seiner
bekannten Formulierung feststellt, es gäbe „nur drey ächte Naturformen der Poesie“2,
wobei er die Lyrik als die „enthusiastisch aufgeregte“3 identifiziert, gilt dies mit der
Einschränkung, dass sich diese Dichtweisen im einzelnen Werk auf verschiedenste
Weise verbinden könnten.4 So ist in Goethes Dichtartenlehre das Lyrische auch noch
nicht mit einem dichterischen Ich verbunden. Indem Goethe betont, dass diese Natur-
formen nicht rein, sondern in den schönsten Gedichten gemischt auftreten können,
macht er deutlich, dass es sich nicht um eine Klassifikation getrennter Gattungen han-
delt.5 Festzuhalten bleibt, dass bereits Goethe überzeitliche Gattungseigenschaften von
den historisch und kulturell wandelbaren Gattungen trennt. Damit werden diese Eigen-
schaften von den Gegenständen abstrahiert und sind „ideelle Gegebenheiten jenseits der
poetischen Realisationen.“6
Folgenreich für das Lyrikverständnis ist besonders im deutschen Sprachraum die mit
Hegels Ästhetik geprägte Auffassung der poetischen Gattungen mitsamt ihren Funkti-
onszuweisungen.7 Es können an dieser Stelle nur zwei Punkte Erwähnung finden, die in
in diesem Zusammenhang wichtig sind. In Hegels Systematik der Künste nimmt die
Poesie (verstanden immerhin als Oberbegriff für die „redenden Künste“) eine Sonder-
stellung ein, da sie in bestimmter Hinsicht die Extreme von bildender Kunst und Musik
vereinigt und auf höherer Stufe verbindet.8 Als Material der Poesie betrachtet Hegel

1
Ebd., XXIX.
2
Siehe Johann Wolfgang von Goethe: „West-östlicher Diwan 1819. Besserem Verständnis“, in:
Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche (3/1), hg. von Friedmar Apel/Hendrik
Birus/Anne Bohnenkamp, Frankfurt am Main 1994, 137–299. Hier: 206.
3
Ebd.
4
Siehe ebd., 207.
5
Siehe Klaus W. Hempfer: „Überlegungen“, 42. Dass es sich hier trotz alledem bereits um einen
idealistischen Gattungsbegriff als Wesensbestimmung handelt, zeigt Stefan Trappen Gattungs-
poetik. Der Jenaer Freundeskreis suchte nicht mehr nach Unterschieden zwischen Gattungen, son-
dern unter Absonderung aller „zufälligen“ Eigenschaften nach dem sie bestimmenden Wesenskern
und konzipierte unter dem Einfluss Kants die Gattungen als apriorische Kategorien: „Ein derart
verfasster Gattungsbegriff ist nicht traditionalistisch, nicht sensualistisch, nicht psychologisch, son-
dern apriorisch und insofern metaphysisch.“ (Ebd., 216).
6
Albert Meier: „Lyrisch – episch – dramatisch“, in: Karlheinz Barck (Hg.): Ästhetische Grund-
begriffe (ÄGB), historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Stuttgart, 709–723. Hier: 713. Katrin
Kohl stellt einen Zusammenhang her zwischen dem Schriftstatus von Literatur als Voraussetzung
für den Eingang in den Kanon und einer idealistischen Ästhetik, die die rhetorische und sprach-
künstlerische Dimension von Dichtung, ihre Zweckgebundenheit oder Unterhaltungsfunktion ne-
giert und Dichtung „auf stabile, zeitlose, geistige Werte verpflichtet und als ästhetisches Gebilde
von anderen Formen der Rede abgrenzt […].“ (Katrin Kohl: „Festival, Performance, Wettstreit“,
175).
7
Siehe Wolfgang Müller: „Lyriktheorien“, in: Ansgar Nünning (Hg.): Metzler Lexikon Literatur-
und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Stuttgart 2001, 396–370. Hier: 396.
8
Siehe Georg Friedrich Wilhelm Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik III, Frankfurt am Main 1986,
224.
22 Was sind Poesiefilme?

natürlich nicht etwa die Sprache oder deren lautliche Verwirklichung, sondern bewusste
Vorstellungen und innere Anschauungen selbst. Das Wort wird zum „selbständigkeits-
losen Mittel geistiger Äußerung“1. Das heißt in der Konsequenz, dass der sinnlichen
Seite der poetischen Mitteilung nurmehr die Bedeutung eines „Beiherspielenden“2 zu-
zugedacht wird und Rhythmus, Metrum, klangliche Gestaltung bloß als eine „akziden-
tellere Äußerlichkeit“ gelten, bis hin zu seiner berühmten Behauptung, es sei eigentlich
unwichtig, ob ein Gedicht „gelesen oder angehört wird, und es kann auch ohne wesent-
liche Verkümmerung in andere Sprachen übersetzt, aus gebundener in ungebundene
Rede übertragen und somit in ganz andere Verhältnisse des Tönens gebracht werden.“3
Diese Herabsetzung des Sinnlichen, die Hegel der Poesie zuschreibt, steht allerdings
in einem bemerkenswerten Widerspruch zu seinen gattungstheoretischen Überlegun-
gen. Sobald er nämlich auf die lyrische Gattung zu sprechen kommt, wird diese Herab-
setzung eingeschränkt, wenn nicht gar zurückgenommen. Ist zunächst nur wie nebenbei
vom „unbestreitbaren Zauber des Metrums“4 die Rede, schreibt er eben dieses Metrum
später normativ zur Übermittlung der subjektiven Stimmung im Klang vor, denn gerade
weil die Lyrik Ausdruck einer subjektiven Innerlichkeit sein soll, muss sie sich zum
Musikalischen hinwenden, der nach Hegel subjektiven Kunstform schlechthin.5 Dies
erklärt dann auch seine überraschende Forderung „Werke der Poesie müssen gespro-
chen, gesungen, vorgetragen, durch lebendige Subjekte selber dargestellt werden, wie
die Werke der Musik.“6 Was die Lyrik bei Hegel an die Musik bindet, ist demnach
nicht ihre Herkunft aus der mousiké, sondern ihre Form des emotionalen Selbst-Aus-
drucks.
Hegel systematisiert in seiner Ästhetik die Auffassung von der Lyrik als der Gattung
des Subjektiven: „Ihr Inhalt ist das Subjektive, die innere Welt, das betrachtende emp-
findende Gemüt, das, statt zu Handlungen fortzugehen, vielmehr bei sich als Inner-
lichkeit stehen bleibt und sich deshalb auch das Sichaussprechen des Subjekts zur ein-
zigen Form und zum letzten Ziel nehmen kann.“7 Gemeint ist das konkrete dichterische
dichterische Subjekt, das im Gedicht als Ich zur Sprache kommt. Anders als noch bei
Herder, bei dem Lyrik als vollendeter „Ausdruck einer Empfindung, oder Anschauung
im höchsten Wohlklange der Sprache“8 charakterisiert ist, wird hierbei jedoch ein
dialektisches Verhältnis von Subjekt und Objekt angenommen:
Die Poesie erlöst zwar das Herz nun von dieser Befangenheit, insofern sie dasselbe gegen-
ständlich werden läßt, aber sie bleibt nicht bei dem bloßen Hinauswerfen des Inhalts aus seiner
unmittelbaren Einigung mit dem Subjekte stehen, sondern macht daraus von jeder Zufälligkeit

1
Ebd., 228.
2
Ebd.
3
Ebd., 231.
4
Siehe ebd., 447; ebd., 289; ebd., 322.
5
Ebd., 149.
6
Ebd., 320.
7
Ebd., 322, Hervorhebung im Original.
8
Johann Gottfried Herder: „Die Lyra“, in: Schriften zu Literatur und Philosophie 1792–1800, hg.
von Hans Dietrich Irmscher, Frankfurt am Main 1998, 117–136. Hier: 124.
Lyriktheoretische Vorüberlegungen 23
der Stimmung gereinigtes Objekt, in welchem das befreite Innere zugleich in befriedigtem
Selbstbewußtsein frei zu sich zurückkehrt und bei sich selber ist.1

Lyrik ist also nicht reine Selbstaussprache, sondern objektiviert sich im lyrischen Aus-
druck der Empfindung. Nachdem zunächst die äußere Welt subjektiv durchdrungen und
verinnerlicht wurde, wird die Empfindung in den Rang einer Anschauung oder Vorstel-
lung erhoben, so dass sie zur allgemein gültigen Aussprache als Innerlichkeit im Ge-
dicht kommen kann.2
Die im Gefolge von Hegels Innerlichkeitspostulat fortgeschriebene Lyrikauffassung
wirkt lange nach.3 Sie wird zunächst durch Friedrich Theodor Vischer, später durch
Emil Staiger entfaltet. Dass Staiger das Lyrische im engeren Sinne vom Gattungsbegriff
der Lyrik trennt, weist darauf hin, dass sich die Subjektivitätstheorie generell und zu-
mal in der Staiger’schen Fassung, auf ein ganz bestimmtes Textkorpus bezieht. Gedich-
te, die traditionell zur Lyrik gehören, sich jedoch nicht problemlos als subjektiver Er-
lebnisausdruck lesen lassen, stellen für diese Theorie offensichtlich ein Problem dar
und können daher nicht im eigentlichen Sinne als lyrisch gelten4 – bis hin zu Karl Otto
Conradys Bezeichnung der barocken Gedichtproduktion als „nicht-lyrische Lyrik“5.
Staiger hat sich in seiner Konzeption des Lyrischen stets auf die Erlebnis- und Stim-
mungslyrik des achtzehnten bis neunzehnten Jahrhunderts bezogen, eine strenge Orien-
tierung am Kanon, die zwangsläufig zu einem Ausschluss früherer und späterer Epo-
chen führt und daher mit einer „heimliche[n] Normativität“6 versehen ist. Trotz aller
Einwände seitens der Literaturwissenschaft ist die Bestimmung der Lyrik als subjekti-
ve, emotionale Gattung für das allgemeine Verständnis bis auf den heutigen Tag prä-
gend geblieben und auch für viele der Filmemacherinnen und Filmemacher ausschlag-
gebend, die sich der Verfilmung von Gedichten zuwenden. In der englischsprachigen
poetischen Tradition ist die Vorstellung von Lyrik als expressiver Gattung ebenfalls
sehr dominierend. Als bedeutende und ausschlaggebende Äußerung dieser emotiven
Lyriktheorie7 gilt William Wordsworths Vorwort zu den Lyrical Ballads von 1802, in
dem er Dichtung als „spontaneous overflow of powerful feelings“ charakterisiert.8

1
Georg Friedrich Wilhelm Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik, 417.
2
Siehe ebd., 416.
3
Siehe Dietmar Jaegle: Das Subjekt im und als Gedicht. Eine Theorie des lyrischen Text-Subjekts
am Beispiel deutscher und englischer Gedichte des 17. Jahrhunderts, Stuttgart 1995, 44f.
4
Siehe Dieter Lamping: „Lyrikanalyse“, in: Thomas Anz (Hg.): Handbuch Literaturwissenschaft.
Gegenstände – Konzepte – Institutionen, Bd. 2, Stuttgart 2007, 139–155. Hier: 40.
5
Karl Otto Conrady: Lateinische Dichtungstradition und deutsche Lyrik des 17. Jahrhunderts, Bonn
1962, 52ff.
6
Dieter Lamping: „Lyrikanalyse“, 40.
7
Abrams, M.H.: „Poetry, Theories of“, in: Alex Preminger (Hg.): Princeton Encyclopedia of Poetry
and Poetics, Princeton/N.J. 1974.
8
William Wordsworth/Samuel Taylor Coleridge: Lyrical Ballads 1798 and 1802, hg. von Fiona
Stafford, Oxford 2013, 98. In der englischsprachigen Poetikgeschichte gibt es eher ein Problem mit
der Gleichsetzung von „lyric poetry“ und „poetry“, die auf die englische Romantik zurückgeht.
24 Was sind Poesiefilme?

Eine einflussreiche Begrifflichkeit prägte in den fünfziger Jahren Käte Hamburger


mit ihrer speziellen Definition des „lyrischen Ich“. Dieser bedeutende, heute weniger
rezipierte Beitrag zur Lyriktheorie, nähert sich der Problematik über die Logik der Aus-
sagen und unterscheidet fiktionale von existentiellen Aussagen, wobei die Lyrik zu
letzteren gezählt wird. Sie ist nach Hamburger keine fiktionale Gattung, da es sich bei
lyrischen Aussagen um echte Wirklichkeitsaussagen handelt, bei denen das Aussage-
subjekt sich als lyrisches Ich markiert, so dass die Aussage keinen objektiven Charakter
erhält, sondern subjekt- bzw. sinnbezogen bleibt.1 Am Beispiel einer Briefstelle Rilkes
demonstriert Hamburger die nötige Wendung, durch die ein historisches Ich zum lyri-
schen Ich wird. Unabhängig von der Form sei die Tatsache, dass etwas gese-
hen/erinnert wird, irrelevant. Die Aussagen würden sich „von ihrem historisch-doku-
mentarischen Ziel, der Beschreibung des Objektes so wie es war“2 in sich selbst zurück-
zurückziehen und „sich nicht mehr auf das Objekt richten, sondern sich aufeinander
zuordnen, gerichtet, geordnet nun vom Subjektpol der Aussage her, ganz einbezogen in
dessen Erlebnis und von ihm durchtränkt […].“3 Die Markierung als lyrisches Ich
erfolge durch den Kontext. Dazu gehöre auch die ästhetische Form, die aber sekundär
sei.4
Eine Gegenbewegung zu Gattungsbestimmungen der Lyrik, die in der Tradition der
Subjektivitätstheorie stehen, bilden jene Theorien, die die Gattung durch ihre histori-
sche Bindung an die Musik und eine daraus folgende besondere Sprachverwendung
charakterisieren. Jürgen Link spricht von einer Überstrukturiertheit der lyrischen Gat-
tung, die auf ihre historische Gebundenheit an Tanz und Gesang in der antiken mousiké
zurückgehe: „Sangbarkeit und Tanzbarkeit erlegen der Sprache eine Reihe apriorischer
Bedingungen auf: Metrum, Rhythmus, stark wiederholende (rekurrente) Strukturen,
Übersichtlichkeit, Prägnanz in der Formulierung, (relative Kürze).“5
Die sogenannten Abweichungstheorien sehen in der erhöhten Selbstreferentialität ein
Spezifikum der Lyrik; eine Definition, die an das Konzept der poetischen Funktion
anschließt, das auf Roman Jakobson zurückgeht. Während Jakobson in seinen gattungs-
theoretischen Überlegungen die Lyrik in traditioneller Weise an die emotive Funktion
der Sprache gebunden sieht, sind seine Überlegungen zur Selbstreferentialität der poeti-
schen Sprache insgesamt für die spätere Lyriktheorie von größter Bedeutung. Jakobson
charakterisiert nämlich poetische Texte durch eine Dominanz der poetischen Sprach-
funktion über die referentielle, was die Aufmerksamkeit auf die Sprache selbst lenkt.
Dies äußert sich in Wiederholungsstrukturen, die die verschiedensten Ebenen der Spra-
che, einschließlich der semantischen Ebene betreffen:
„Man kann nun also die These aufstellen, daß in der Poesie, also dort, wo die poeti-
sche Funktion der Sprache über die referentielle dominiert, das Prinzip der Äquivalenz,

1
Siehe Käte Hamburger: Die Logik der Dichtung, Stuttgart 1957, 181–182ff.
2
Ebd., 165.
3
Ebd.
4
Siehe ebd., 171.
5
Jürgen Link: „Elemente der Lyrik“, in: Helmut Brackert/Jörn Stückrath (Hg.): Literaturwissen-
schaft. Ein Grundkurs, Reinbek bei Hamburg 1992, 86–101. Hier: 86.
Lyriktheoretische Vorüberlegungen 25
d. h. der Similarität, der Kontiguität, also der Abfolge der Zeichen im Text, überlagert
wird.“1 Im Zusammenhang des Poesiefilmes von größtem Interesse ist Jakobsons For-
mulierung von der „Spürbarkeit der Zeichen“, die andeutet, dass er nicht von einer
reinen Selbstreferentialität ausgeht, in der lediglich die Zeichenhaftigkeit der Zeichen
zur Bedeutung wird, sondern, dass deren sinnliche Wahrnehmbarkeit in den Vorder-
grund tritt, etwa in rhythmischen Konfigurationen oder als alliterierender Klang. Hans
Ulrich Gumbrecht beschreibt die Rezeption von Lyrik (poetry) als ein Oszillieren zwi-
schen klangstilistisch erzeugter Präsenzerfahrung und hermeneutischer Verste-
hensbemühung: „Poetry is perhaps the most powerful example of the simultaneity of
presence effects and meaning effects – for even the most powerful institutional domi-
nance of the hermeneutic dimension could never fully repress the presence effects of
rhyme, alliteration and stanza.“2 Dagegen stellt sich die Frage, ob nicht gerade aus dem
Pendeln zwischen beiden Möglichkeiten oder Modi der Zeichenerfahrung bzw. aus
deren ästhetischer Spannung die Präsenzerfahrung in der Rezeption von Lyrik hervor-
geht, wie es auch Paul Valérys berühmte Formulierung nahelegt, ein Gedicht sei „ein
verlängertes Zögern auf der Schwelle zwischen Klang und Bedeutung“3. Diese Auffas-
sung vom erhöhten Grad an Poetizität der Lyrik erklärt den engen Zusammenhang, der
vor allen in Übertragungen und Ausweitungen der Begriffe auf andere Medien zwi-
schen Lyrik, Poesie und dem Poetischen hergestellt wird. Gilt die Lyrik als Prototyp
kunstvoll verfremdender Sprachverwendung, als „Anti-Diskurs“4, so ist hier bereits die
Bedeutung der Devianz im Sinne einer kritisch-subversiven Zeichenverwendung ent-
halten, die in Übertragungen auf das audiovisuelle Medium zur vollen Entfaltung
kommt.5
Auf der Suche nach einem gattungsspezifischen Differenzkriterium entwickelt Dieter
Lamping die Definition des lyrischen Gedichtes als „Einzelrede in Versen“; damit wird
eine Kombination angestrebt aus sogenannten Sprachtheorien der Lyrik einerseits, die
die Gattung durch einen abweichenden Sprachgebrauch charakterisieren, und Form-
theorien andererseits, die auf den Vers als hinreichendes Merkmal von Lyrik abstellen.6
stellen.6 Lampings lange Zeit äußerst einflussreiche Bestimmung hat in den letzten Jah-
Jahren wieder verstärkt Konkurrenz durch neue Ansätze bekommen. Eva Müller Zettel-
mann versucht eine Abkehr von der Unternehmung eines einzigen Differenzkriteriums

1
Roman Jakobson: „Poesie der Grammatik und Grammatik der Poesie“ (1961/1968), in: Aufsätze zu
Linguistik und Poetik, hg. von Wolfgang Raible, München 1974, 247–260. Hier: 253.
2
Hans Ulrich Gumbrecht: Production of Presence. What Meaning Cannot Convey, Stanford/Calif.
2007, 18.
3
Paul Valéry: Œuvres, Bd. II, hg. von Jean Hytier, Paris 1960, 637 (Übers. S.O.). Eine spezifisch
lyrische Deutung der ästhetischen Präsenzerfahrung gibt Rüdiger Zymner, Lyrik, 138.
4
Siehe Karlheinz Stierle: „Die Identität des Gedichts. Hölderin als Paradigma“, in: Odo Marquard
(Hg.): Identität, 8. Kolloquium, Bad Homburg, vom 5.–11. September 1976, München 1979, 505–
552. Hier: 514. Stierle beschreibt die Überschreitung von Diskursen als wesentliches Spezifikum
von Lyrik. Dies beinhaltet auch die Transgression des narrativen Schemas.
5
Siehe Kapitel 1.3.
6
Siehe Dieter Lamping: „Lyrikanalyse“, 144.
26 Was sind Poesiefilme?

der Gattung Lyrik, indem sie in einem Mehrkomponentenmodell Merkmale zusammen-


fasst, die nicht notwendig oder hinreichend zu einem lyrischen Text gehören, die aber
als Charakteristika oder Tendenzen der Lyrik aufgefasst werden können.1 In diesen
Merkmalslisten werden Aspekte erfasst, die auch in anderen Gattungstheorien zur
Sprache kommen. Gleichzeitig werden diese Eigenschaften von der Notwendigkeit
entlastet, als hinreichende Gattungsspezifika einzig und allein für die Lyrik gültig zu
sein. Auch Werner Wolf argumentiert in ähnlicher Weise für eine Pluralität der Eigen-
schaften von Lyrik, doch integriert er darüber hinaus in seine Rekonzeptualisierung der
Lyrikdefinition auch kommunikative und funktionale Aspekte.2
Einen Neuansatz stellt auch die von Rüdiger Zymner entwickelte Lyrikdefinition
dar. Die begriffliche Arbeit Zymners, der eine konträre Position zu den Mehrkompo-
nentenmodellen einnimmt, ist für die Fragestellung der nachfolgenden Untersuchung
vor allem deshalb besonders relevant, weil sie von einem sehr weit gefassten Textkor-
pus ausgeht, sich mit den Grenzbereichen der Gattungen auseinandersetzt und Rezepti-
onsaspekte einbezieht.
Zymner versucht, Lyrik nicht nur in ihren graphischen Manifestationen, sondern
auch in ihren phonischen Repräsentationen und Performanzereignissen zu erfassen. Um
die Beschränkung der Lyriktheorie auf sinnvoll strukturierte, schriftlich fixierte Texte
aufzuheben, fasst er „Lyrik zunächst sehr allgemein als Erscheinungsweisen oder For-
matierungen von Sprache, und zwar auf ‚Verdauerung angelegte‘ Erscheinungsweisen
oder Formatierungen.“3 Zymners Ansatz ist dazu prädestiniert, als lyrikologische Aus-
gangsbasis für die Untersuchung des Genres Poesiefilm zu dienen, denn er beruft sich
auf ein weit gefasstes Korpus lyrischer Formen, das auch unkonventionelle, experimen-
telle und nicht-kanonisierte Äußerungen in die Gattung einschließt. Weder die schrift-
liche Abfassung, die Fiktionalität, die Poetizität, ja nicht einmal Texthaftigkeit oder der
Status als Literatur seien dafür ausschlaggebend. Als Differenzkriterium für die Defini-
tion von Lyrik wird allein deren Eigenschaft verstanden, generisches Display sprachli-
cher Medialität zu sein. Zymner sieht das Spezifische in der Eigenschaft der Lyrik, den
Eigensinn der Sprache herauszustellen und durch Störungen im Display der Faktur oder
der Information semantische Irritationen herauszufordern. Er versteht Sprache mit
Ludwig Jäger als Medium, das Sinn generiert und nicht etwa sprachtranszendente In-
halte ausdrückt: „Kurz: Lyrik ist diejenige Gattung, die Sprache als Medium der
sprachprozeduralen Sinngenese demonstriert bzw. demonstrativ sichtbar macht, die
mithin den Eigensinn von Sprache demonstrativ vorzeigt.“4 Dies geschieht nach Zym-
ner, indem Störungen die Rezeption verlangsamen – sie fungieren als Attraktoren. Der
Begriff „Attraktoren“ ist im Unterschied zur dem der „Abweichung“ auf die Wahrneh-
mung der Rezipienten bezogen und umfasst besonders auffällige Formen der Ent-

1
Siehe Eva Müller-Zettelmann: Lyrik und Metalyrik. Theorie einer Gattung und ihrer Selbst-
bespiegelung anhand von Beispielen aus der englisch- und deutschsprachigen Dichtkunst, Heidel-
berg 2000.
2
Siehe Werner Wolf: „The Lyric“.
3
Rüdiger Zymner: Lyrik, 24.
4
Ebd., 96f.
Lyriktheoretische Vorüberlegungen 27
automatisierung und Verfremdung: „Ich schlage nun vor, die besonderen ‚Störungen‘ in
der spezifischen Sprachverwendung oder Sprachformung der Lyrik als spezifische auf-
merksamkeitsbindende Attraktoren zu betrachten.“1 Zymner integriert auch die bei der
Rezeption von Lyrik erfahrbaren Präsenzeffekte, die über Prozesse der Bedeutungs-
stiftung hinausgehen, in seine Lyrikdefinition, indem er sie als Erfahrung ästhetischer
Evidenz oder kognitionswissenschaftlich als flow-Erlebnisse beschreibt.
Leicht ließe sich die hier referierte Konzeption, die Lyrik als „generisches Display
sprachlicher Medialität“2 definiert, für eine Variante der Abweichungstheorie in der
Tradition des russischen Formalismus halten, bei der die Poetizität eines Textes an der
sprachlichen Selbstreferentialität festgemacht wird. Dem hingegen grenzt sich Zymner
entschieden von diesen Positionen ab. Seine Kritik richtet sich im Kern gegen das von
Jakobson übernommene Konzept der Selbstreferenz, das er in reiner Form für unreali-
sierbar hält.3 Zymners lyriktheoretischer Ansatz unterscheidet sich auch insofern von
den Definitionsversuchen der Abweichungstheorie, als dass die lyrischen Attraktoren
nicht zwangsläufig und in jedem Fall auch poetische Abweichungen sind: „denn sie
stehen weder in einem Beziehungsgefüge von geordneter Reihung oder Ähnlichkeit
oder Entgegensetzung, noch in einem, das entscheidbar und unzweideutig zu Sachver-
halten außerhalb des Textes hergestellt wird.“4
Zymners Lyrikbegriff empfiehlt sich darüber hinaus durch seine Zweiseitigkeit für
die Untersuchung des Poesiefilmes. Denn Zymner übt zwar Kritik am Konzept der
Selbstreferentialität oder Selbstreflexion, das für so viele lyrikologische Theorien einen
zentralen Status besitzt, gleichzeitig stärkt er aber die Rolle der sinnlichen Partizipation
(„an Faktur, Information, Schriftbild oder Performanz“)5 bei der Erzeugung ästhetischer
Evidenz in der Rezeption von Lyrik. Wo Zymner die Annahme, lyrische Ab-
weichungen verwiesen auf die Materialität oder sinnliche Beschaffenheit der Sprache,
strikt ablehnt,6 hält dieser Aspekt in Form der „sinnlichen Partizipation“ doch wieder
Einzug in seine Argumentation. Jakobsons Satz von der ‚Spürbarkeit der Zeichen‘ er-
hält auf diese Weise seine (präzisierte) Gültigkeit. Zymner kritisiert insofern in über-
zeugender Weise das theoretische Vermengen von sprachlichen Abweichungen, Selbst-
referentialität und sinnlicher Partizipation.7 Die Reflexion von Medialität und die
teilnehmende, unbegriffliche ästhetische Präsenzerfahrung lassen sich als die beiden
Pole verstehen, zwischen denen sich das Untersuchungsfeld von Lyrik im audiovisuel-
len Medium aufspannt.
Aus Zymners Definition ergeben sich weitere Implikationen. Wird Lyrik nämlich als
generisches Display sprachlicher Medialität beschrieben, so hat dies Folgen für die

1
Ebd., 113.
2
Ebd., 96.
3
Tatsächlich ist von einem reinen Prinzip der Selbstreferenz nie die Rede. Schon Jakobson behaup-
tet lediglich eine Dominanz dieser Funktion.
4
Ebd., 108.
5
Ebd., 138.
6
Ebd., 125.
7
Ebd., 138.
28 Was sind Poesiefilme?

Untersuchung der Repräsentation von Lyrik im audiovisuellen Medium. Es genügt


nicht, vermeintliche Lyrikmerkmale aufzuzählen und filmische Realisierungen auf
diese hin abzuklopfen. Die Beschränkung von Lyrik auf den Vers und die Suche nach
vermeintlichen Äquivalenten des filmischen Ausdrucks oder das Gegeneinanderhalten
filmischer und sogenannter poetischer Bildlichkeit reichen nicht hin, das Genre Poesie-
film in seiner Eigentümlichkeit, in seiner Besonderheit zu charakterisieren. Ohne eine
eingehende Befragung der Filme auf ihr Verhältnis zur eigenen Medialität, zum filmi-
schen Ausdruck als Medium der Sinngenese sowie auch als Medium der Genese von
Wahrnehmungseindrücken und von Präsenzeffekten, bliebe die Darstellung beim ober-
flächlichen Abgleichen von Gattungsmerkmalen stehen. Damit dies nicht geschieht,
soll im nächsten Kapitel das Augenmerk auf den poetischen Film gerichtet werden, der
sich nicht auf konkrete, lyrische Texte bezieht, sondern mit seinen eigenen Mitteln eine
poetische oder lyrikanaloge Ausdrucksweise anstrebt. Wenn Lyrik als generisches Dis-
play sprachlicher Medialität fungiert, ließe sich dann eine ebensolche Gattungsbe-
stimmung für deren audiovisuelle Ausprägung finden? Können Poesiefilme als Display
audiovisueller Medialität gedacht werden? Die Übertragung von Lyrik in und auf den
Film scheint eine solche Möglichkeit zumindest nahezulegen.
Phänomenologische Mediendefinitionen charakterisieren Medien durch ihre Eigen-
schaft, in ihrem (störungsfreien) Vollzug transparent zu werden. Sie übertragen damit
eine zentrale phänomenologische Beobachtung über das Wesen der Sprache auf das
Medium überhaupt. Gerade im Moment der erfolgreichen Verständigung, so Maurice
Merleau-Ponty, geraten nämlich die verwendeten Zeichen in Vergessenheit: „Aber ge-
rade darin liegt die Stärke der Sprache: sie ist es, die uns zu dem hinführt, was sie be-
deutet; sie verbirgt sich vor unseren Augen durch ihre eigene Tätigkeit; ihr Triumph ist
es, sich selber auszulöschen.“1 Nach Dieter Mersch ist für den Medienbegriff die Diffe-
renz konstitutiv, die das Medium in einer unbestimmbaren Zwischenposition zwischen
Signifikant, Signifikat und Interpretation hält, was damit einhergeht, dass sich Medien
in ihrem Funktionieren verbergen.2 Kunst wäre demnach als Strategie der Störung die-
ser medialen Funktion zu verstehen, indem sie immer wieder auf deren Materialität ver-
weist, Prozesse der Bedeutungskonstitution erschwert und diese Medialität spürbar
werden lässt: „Das Amediale manifestiert sich folglich im Regellosen, in den Verlet-
zungen und Verwerfungen, die inmitten medialer Zurüstungen des Hörens und Sehens
klafft.“3 Es soll nicht verschwiegen werden, dass ein solches Verständnis der Funktion
von Kunst selbst historisch ist und an die Poetik und Ästhetik der Moderne und Avant-
garde gebunden ist.4 Darin besteht eine Gemeinsamkeit mit den Poetizitätskonzepten
der russischen Formalisten. Gleichzeitig trifft es in seinem Bestehen auf der Unterschei-

1
Maurice Merleau-Ponty/Claude Lefort: Die Prosa der Welt, München 1993, 51.
2
Dieter Mersch: Ereignis und Aura, 56f. Siehe auch Sybille Krämer: „Kulturanthropologie der
Medien: Thesen“, 133; zur Kritik dieser phänomenologischen Mediendefintion siehe Lambert
Wiesing: „Was sind Medien?“.
3
Dieter Mersch: Ereignis und Aura, 54.
4
Johanna Drucker: „Art“, in: W.J.T. Mitchell/Mark B.N. Hansen (Hg.): Critical Terms for Media
Studies, Chicago/Ill. 2010. Hier: 10.
Lyriktheoretische Vorüberlegungen 29
dung von Medium und Kunst den Kern der Problematik Poesiefilm – das Verhältnis
von Medialität und Poesie:
Wenn daher von Techniken und Medien die Rede ist, von Medien als Kulturtechniken und ih-
rer Geschichte, so muß auch immer die Rede von den Künsten sein, die sie in Frage stellen,
aus dem Lot bringen, verwirren oder ver-rücken. Kunst umspielt die Grenze des Technischen,
errichtet auf ihr neue Räume. Veränderungen, das Ereignis des Anderen, ergehen allererst von
dort her.1

Dies lässt sich auch in audiovisuellen Medien verfolgen. Die notorische Transparenz
und Selbstvergessenenheit audiovisueller Medien ist von den Versuchen, eine andere
Form des filmischen Ausdrucks zu finden, nicht zu trennen. Eine Reihe dieser Versuche
haben sich der Formel „Film als Poesie“ bedient. Was das im Einzelnen bedeutet, soll
im Kapitel 1.3 „Der poetische Film“ gesondert erläutert werden.

1.2 Videopoetry, Poesiefilm und Gedichtfilm –


Ein begrifflicher Klärungsversuch
Bei einer audiovisuellen Kurzform, die so vielfältig ist wie der Poesiefilm und deren
Praxis gerade darauf abzielt, traditionelle Genregrenzen zu überschreiten, fällt es
schwer, begriffliche Ab- und Ausgrenzungen vorzunehmen. Dennoch soll an dieser
Stelle eine Definition erarbeitet werden, um den Gegenstand der Untersuchung begriff-
lich zu bestimmen und die Fragestellungen dementsprechend daran auszurichten.
Wo anders als bei einem gerade sich herausbildenden, sich als innovativ verstehen-
den Genre, ließe sich besser beobachten, dass künstlerische Gattungen keine natürlich
gegebenen, wesenhaft sich unterscheidenden Ausdruckweisen sind, sondern sich kultu-
reller Tradierung verdanken? In eine Vielfalt möglicher künstlerischer Praktiken wer-
den diskursiv Linien gezogen, durch ästhetische Schriften, Poetiken und Bildungsein-
richtungen. Infolgedessen bilden sich Regeln und Konventionen heraus, die tradiert
werden und wiederum auf die künstlerische Produktion zurückwirken. Noch das Aufhe-
ben, Überschreiten und Durchbrechen von Gattungsgrenzen ist so ein Rekurs auf die
Tradition.
Im Fall des Poesiefilmes stößt man also auf das interessante Phänomen eines in der
Bestimmung begriffenen Genres. Die Definition dieses Genres, die Aushandlung seiner
Grenzen und damit seine Festschreibung vollzieht sich seit der Jahrtausendwende in
Forumsdiskussionen, Zeitungsartikeln, Äußerungen von Künstlern in Vorträgen und
Kolloquien, in den wenigen wissenschaftlichen Arbeiten und nicht zuletzt über die Auf-
nahmekriterien von Filmfestivals wie ZEBRA, Videobardo oder Visible Verse.

1
Dieter Mersch: „Wort, Zahl, Bild und Ton. Schema und Ereignis“, online unter: http://www.momo-
berlin.de/files/momo_daten/dokumente/Dieter%20Mersch%20%20Schema%20und%20Ereig-
nis.pdf.
30 Was sind Poesiefilme?

Inmitten all dieser Äußerungen herrscht aufgrund unterschiedlicher Kriterien und ab-
weichender Bezeichnungen, die zumeist auf durchaus berechtigten Bedenken gegen
den jeweils anderen Begriff fußen, eine immense Uneinheitlichkeit, die den Zugang
zum Thema nicht eben erleichtert.1 Bezeichnungen, die im Umlauf und im Übrigen
begrifflich keineswegs deckungsgleich sind, lauten: Poetryfilm, Poetryclip,
Poetryvideo, Videopoem, Videopoesie, Videopoetry, Cin(e)poem, Cinepoetry,
Lyrikclip, Lyrikfilm und Gedichtverfilmung.
Bob Holman (geb. 1948), Dichter und wichtiger Protagonist der Spoken-Word-Be-
wegung, gilt als einer der Mitbegründer des Genres als „Poetryvideo“ in jüngerer Zeit.
Seine Definition ist schon deshalb richtungsweisend, weil Holman für eine starke Tra-
ditionslinie innerhalb des Genres steht, an die auch Thomas Wohlfahrt mit der Grün-
dung des ZEBRA Poetry Film Festivals anzuknüpfen wusste.2 Anlässlich der ersten
Ausrichtung des Berliner Festivals im Jahr 2002 betont Holman in einem Vortrag die
Vielfalt der Techniken und Stile, die im Poesiefilm zum Einsatz kommen können:
A poetry film, videopoem (or Cin(e)-poem) strives for a symbiotic relationship of images
words, and sound/music. It can integrate all the arts drama, dance, music, graphics and docu-
mentary elements. Some of the best poetry films and videopoems use stills animation, docu-
mentary clips as well as abstract computer-generated graphics, and narrative.3

Wichtig ist seiner Auffassung nach vor allem, und das verdeutlicht die Wendung vom
‚Symbiotischen‘ des Genres, dass aus der Verbindung der verschiedenen Elemente ein
surplus entsteht: „Through a synergy of expressive words and images, successful
cin(e)poems produce associations, connotations, metaphors and symbols that cannot be
found in either their verbal or their visual texts taken alone.“4
Der Begriff „Poesiefilm“ ist allerdings außerhalb des ZEBRA-Festivals – vor allem
international – kaum gebräuchlich. Viele sprechen, wie die Filmemacherin Mary Rus-
sell und der Dichter Gerard Wozek, von Poetry Videos, die sie mit Videopoems, Cine-
Poetry, Poetryfilmen oder Videopoetry gleichsetzen. Ihre Definition denkt das Genre
von der visuellen Seite her: „ [It] unites spoken text (or sometimes text that is written
on the screen or text that is simply interpreted by the visual artist) with imagery and
music. Situated somewhere between installation art and music video, poetry video is an
evolving genre.“5
Die Ausführungen zeigen, dass das Künstlerduo in ihrem Verständnis des Video-
poems stark von den bildenden Künsten geprägt und an ihnen orientiert ist, was noch
dadurch unterstrichen wird, dass sie das Genre zwischen Kunstinstallation und Musik-
video situieren. Dennoch umfasst ihre Definition sowohl gesprochene als auch ge-

1
Zur Geschichte der Festivals und Distributionsformen siehe Kapitel 2.4.
2
Zum Beitrag der Spoken-Word-Szene bei der Entwicklung des Genres „Poetryfilm“ im Allgemei-
nen und zur Rolle Bob Holmans im Besonderen siehe Kapitel 2.3 dieser Arbeit.
3
Bob Holman: „Poetryfilm“, Redemanuskript, in: Archiv des ZEBRA Poetry Film Festivals, 2001,
ZEB1.
4
Ebd.
5
Russell Mary/Wozek Gerard: „Poetry Video“.
Ein begrifflicher Klärungsversuch 31
schriebene Texte und beinhaltet sogar Videos, die ein Gedicht nur interpretieren, ohne
es in das audiovisuelle Medium zu integrieren. Einem ähnlichen Ansatz folgt der
Schriftsteller Dwight Okita: „What is a poetry video anyway? A loose description
might be: a video with a poem at its center. Think of a music video, but with a poem on
the soundtrack instead of a song. The words can be voiced-over, spoken on camera, or
graphically represented.“1
Neben diesen sehr lockeren Definitionen, die Poesiefilm, Poetryvideo, Videopoem
und Cin(e)poem weitgehend synonym verwenden, gibt es Versuche, das Genre weiter
zu differenzieren und für die Untergruppen eigene Bezeichnungen zu finden. Verschie-
dene Erkenntnisinteressen oder künstlerische Hintergründe führen dabei zu zahlreichen
Unterscheidungen. Medienwissenschaftlich ausgerichtete Ansätze haben sich für den
Einfluss der neueren Medien (Video, Hypertext etc.) auf die Produktion von Literatur,
vor allem von Lyrik, interessiert. Caterina Davinio zieht in ihrer ausführlichen Untersu-
chung das Fazit, dass zwei künstlerische Reaktionen auf die neuen medialen Pro-
duktions- und vor allem Rezeptionsformen zu beobachten sind.2 Da ist zum einen die
Weiterführung des avantgardistischen Projektes, die Literatur vom Medium der Schrift
zu lösen, wie es auch in vielen Poesiefilmen der Fall ist: „The effort […] to bring poet-
ry out from the page, drives it through the new media sea, taking it back to the oral and
theatrical forms of the origins […]“.3 Einen anderen Weg schlagen von den visuellen
Künsten und der konkreten Poesie inspirierte Künstlerinnen und Künstler ein, die in
simultanen Installationen, interaktiven Gedichten, Videoschriftkunstgebilden oder Hy-
pertextpoesie die visuellen Möglichkeiten der Schriftkunst ausloten, um das schriftliche
Gebilde Gedicht neuen, nicht linearen Rezeptionsformen zu öffnen. Diese aber bleiben
in erster Linie dem Lesen und Sehen verhaftet, kreisen also weiterhin um die Literatur
als visuelles Medium. Davinio nennt sie „Video-Visual Poetry“. In beiden Fällen ist je-
doch eine Tendenz hin zur Betonung der Materialität des Kunstwerks zu beobachten,
das so zwischen Ver- und Entkörperung zu pendeln scheint. Beide Richtungen fasst
Davinio unter dem Oberbegriff „Videopoetry-Video“ (im Singular „Videopoem“)
zusammen: „a particular type of videoart containing poetry text, variously elaborated at
a visual and acoustic level; its presence in video can be more or less wide – in some
cases conjugated with the cinema.“4 Im Gegensatz zu den meisten anderen Definitionen
umfasst der Begriff „Videopoetry“ hier darüber hinaus auch Filme, in denen nur wenig
oder gar kein Text anwesend ist. Diese besonderen Fälle, auf die noch zurückzukom-
men sein wird, werden filmic poem oder poem-video genannt.
Für Kurzfilme, die sich aus der Spoken-Word-Szene heraus als Vermittlungsform
von literarischen Performances entwickelt haben, hat sich die Bezeichnung

1
Dwight Okita: „Poetry Video Comes Of Age (Reprint From A 1991 Letter Ex): ChicagoPoe-
try.com: The Center of Chicago’s Cyberspace Poetry“, online unter:
http://chicagopoetry.com/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=261&mode=t
hread&order=0&thold=0.
2
Zum Folgenden Caterina Davinio: Tecno-poesia e realtà virtuali, Mantova 2002, 297ff.
3
Ebd.
4
Ebd., 273.
32 Was sind Poesiefilme?

„Poetryvideo-Clips“ etabliert.1 Begriffliche Verwirrung herrscht nun vor allem bei dem
Begriff „Videopoetry“, der sowohl von Schriftkünstlern, als auch von Spoken-Word-
Performern für ihre Filme beansprucht wird. So spricht sich Dichter und Videokünstler
Tom Konyves im Forum der Facebook-Gruppe „See the Voice: Visible Verse“ 2 dafür
aus, Videopoetry als ein literarisches Genre zu betrachten, bei dem zwar Text, Bild und
Ton zusammengeführt werden, jedoch nicht eine Vertonung des Gedichtes stattfindet:
„the text is read, not heard.“ Im Gegensatz dazu bilden für ihn Poetryvideos lediglich
eine Sparte des Mediums „Video“, die Texte illustriert oder sogar Lesungen dokumen-
tiert. Auch wenn dieser Meinung hier im Weiteren nicht gefolgt werden soll, steht die
beschriebene Unterscheidung doch für eine recht verbreitete Auffassung, die auf der
Annahme fußt, dass Poesie ausschließlich im Medium der Schrift stattfindet. Darin liegt
der Grund für die Überlegung, Videokunst, die in der Tradition der visuellen Poesie mit
Schrift und Graphik experimentiert, sei als ein literarisches Genre anzusehen, während
Videos, in denen Dichtung auch gesprochen, performt, inszeniert wird, sich der Litera-
tur sozusagen nur von außen nähere. So lässt sich schon anhand der ersten umstrittenen
Definitionsversuche zeigen, wie die Verbindung mit dem audiovisuellen Medium, die
Dichtung auf je ganz verschiedene ihrer Eigenschaften (ihre Schriftbildlichkeit oder
aber ihren Klang) befragen kann.
Anders als bei Davinio umfasst der Begriff „Videopoetry“ in vielen Fällen also
streng genommen eine visuelle Poesie mit den technischen Mitteln des Videos (bei
Davinio dagegen als „Video Visual Poetry“ bezeichnet). In diesem Sinn argumentiert
der brasilianische Künstler E. M. de Melo e Castro, wenn er schreibt:
Videopoetry is also an investigation of the specific characteristics of the electronic text, as op-
posed to those of the motion picture and also to the massification of TV broadcasting. [...] As
for videopoetry the immediate references will be the experimental poetry of the ‘60s as
iconized text. But the ultimate goal is to investigate video as a medium capable of developing
by itself a new kind of reading pleasure.3

Videopoetry sind in diesem Verständnis solche Kunstwerke, die sich ausschließlich


elektronisch oder digital erzeugter oder veränderter Bilder bedienen. Auch hier können
Stimme, Musik und Geräusch vorkommen, sie bleiben aber auf eine kontrapunktische,
den Schrifttext ergänzende Funktion beschränkt.4
Eine andere, gegensätzlich ausgerichtete Untergruppe stellen die Poetryclips aus der
Spoken-Word-Szene dar, die sich vollständig auf die Präsentation einer Textperfor-
mance konzentrieren. Bei der Poetryslam-Gruppe „SpokenWordBerlin“ heißt es dazu:

1
Boris Nikolaus Preckwitz: Spoken Word und Poetry Slam. Kleine Schriften zur Interaktions-
ästhetik, Wien 2005, 86.
2
Eine Plattform, die von Poetry-Filmemacherin und Festivalleiterin Heather Haley kuratiert wird
und mit dem gleichnamigen Festival in Vancouver assoziiert ist, siehe http://www.face-
book.com/topic.php?uid=2423323723&topic=4591.
3
E. M. de Melo e Castro: „Videopoetry“, in: Eduardo Kac (Hg.): Media Poetry. An International
Antology, Bristol 2007, 175–184. Hier: 176f.
4
Siehe ebd., 179.
Ein begrifflicher Klärungsversuch 33
„In der Regel sind Poetry Clips nicht länger als Popsongs. – In Poetry Clips wird der
Text speziell für die Kamera inszeniert. Es handelt sich nicht um abgefilmte Lesun-
gen.“1
Die gängigen Konzepte möglicher künstlerische Verbindungen von Video und Poet-
ry scheinen also in zwei sehr unterschiedliche Richtungen zu weisen. Auf der einen
Seite wird das audiovisuelle Medium in Anspruch genommen, um die „schriftbildli-
che“2, visuelle Seite lyrischer Texte zu inszenieren und auf der anderen Seite wird die
Verkörperung lyrischer Texte in Ton und Bild überführt. Das mag daran liegen, dass
sich der Begriff mit dem Wort „Video“ auf ein elektronisches Aufnahmeverfahren
stützt, das künstlerisch ähnlich wie Papier und Federhalter auf sehr verschiedene Weise
eingesetzt werden kann. Es hat aber auch damit zu tun, dass die Künstlerinnen und
Künstler, die sich mit dem Genre „Poesiefilm“ beschäftigen, aus ganz unterschiedlichen
Traditionen und künstlerischen Bereichen herkommen.
Ich möchte deshalb, was die Bezeichnung betrifft, der Praxis des ZEBRA-Festivals
folgen, die sich mit dem Begriff „Poesiefilm“, auf die umgangssprachliche Bedeutung
von „Film“ für alle audiovisuellen Werke bezieht, und damit alle technischen Formate
einschließt, ob auf Beta-SP, 35 mm, Super 8 oder digital gedreht.3 In der Konsequenz
ist in Kauf zu nehmen, dass Verweise auf Videokunst und Videoclip als für die Entste-
hung des Genres wichtige Einflüsse in der Bezeichnung nicht sichtbar werden. Den-
noch scheint mir die Bezeichnung „Poesiefilm“ der Vielfalt der Ausdrucksformen, die
er umfassen soll, am ehesten gerecht zu werden. Nicht zuletzt deshalb, weil er auf ein
Gemeinsames dieser audiovisuellen Ausdrucksform hindeutet, das die medientech-
nische Vielfalt überlagert. Die Bezeichnung entspräche damit in ihrer Reichweite in
etwa Russel und Wozeks Poetry Video oder Davinios Videopoetry.
Eines haben alle diese Poetryfilme gemein: Sie übersetzen das statische Schriftbild eines Ge-
dichts, das sonst erst der Leser ‚in Gang setzen‘ muss, in eine linear ablaufende Bildform.
Poetry in motion: Der Film wird zum lyrischen Fließtext, zum projizierten Gedicht.4

Damit benennt der Autor Norbert Kron sehr präzise ein Merkmal, das allen Poesiefil-
men inhärent ist und das weder in der Visualisierung oder Illustration noch in der
Verstimmlichung des Gedichtes besteht. Im Moment der Bewegung liegt gleichzeitig
eine Herausforderung für die Untersuchung des Phänomens „Poesiefilm“. Es wird deut-
lich, dass sie sich methodisch nicht allein an den Lektüreweisen für gedruckte Lyrik
orientieren kann, sondern sich lyrische Aufführungen und filmische Kurzformen zum
Modell nehmen muss.

1
Bastian Böttcher/Wolfgang Hogekamp: Poetry Clips, Vol. 1., Beiheft 2005.
2
„Die Schriftbildlichkeit geht hervor aus einer Hybridisierung von Sprache und Bild.“ (Sybille
Krämer, „,Schriftbildlichkeit‘ oder: Über eine (fast) vergessene Dimension der Schrift“, in: Sybille
Krämer/Horst Bredekamp (Hg.): Bild, Schrift, Zahl, München 2003, 157–176. Hier: 158).
3
Die medialen Differenzen zwischen Film, Video und digitalen Videoformaten sowie ihre unter-
schiedlichen Übertragungs- und Rezeptionsweisen (Mediendispositive) werden im historischen
Teil der Arbeit diskutiert. (Siehe Kapitel 2.2).
4
Norbert Kron: „Poetry in Motion“, in: Die Welt, 13.07.2007.
34 Was sind Poesiefilme?

Das ZEBRA Poetry Film Festival nimmt eine indirekte Definition des Poesiefilmes
über seine Teilnahmekriterien vor, die im Jahr 2012 wie folgt formuliert wurden:
Teilnahmeberechtigt sind Filme (max. 15 Min.), die nach dem 1.1.2009 fertig gestellt worden
sind. Eine Programmkommission behält sich in Ausnahmefällen vor, längere Filme zuzulas-
sen. Alle eingereichten Filme müssen audiovisuelle Umsetzungen eines oder mehrerer Gedich-
te sein. Als Vorführformate sind zugelassen: 35mm, DigiBeta, Beta SP, BluRay und DVD. Al-
le Filme auf den Vorführkopien, die nicht in englischer Sprache sind, müssen englische Unter-
titel haben.1

Auch diese scheinbar klare Definition birgt Auslegungsspielräume. Vor allem ist näher
zu bestimmen, was unter einer „audiovisuellen Umsetzung“ zu verstehen ist. Neben der
ohnehin schon problematischen Entscheidung über die Klassifizierung eines Textes als
Gedicht, bei der kulturelle und historische Faktoren eine Rolle spielen und dessen Ab-
grenzung zum Lied2, muss nun auch noch die Art und Weise der Bezugnahme des Fil-
mes auf den Text geklärt werden. Betrachtet man die von der Auswahlkommission
zugelassenen Filme, so zeigt sich, dass man es hier mit einem recht umfassenden Be-
griff zu tun hat. Aufnahmebedingung ist nämlich keineswegs, dass das Gedicht schrift-
lich oder in gesprochener Form im Film vorkommt. Beispiele wie das Projekt
NICHTS_WEITER_ALS (2006) verdeutlichen, dass es in dieser Auffassung von Poesiefilm
lediglich darauf ankommt, dass ein Gedichttext als Vorlage existiert, der in der Kon-
zeption des Filmes sichtbar eine Rolle gespielt hat, was sogar durch das Einreichen der
schriftlichen Vorlage nachzuweisen ist. Zwei der vier Kurzfilme im Projekt NICHTS_
WEITER_ALS sind beispielsweise narrativ umgesetzte Interpretationen des Gedichtes
von Arne Rautenberg, ein weiterer baut den Text in einen Spielfilm-Dialog ein, wobei
ich vorläufig von einer szenischen Umsetzung3 sprechen möchte, und ein vierter be-
steht in einer Performance des Gedichtes durch Fritzi Haberland. Das Beispiel von
NICHTS_WEITER_ALS ist in mehreren Punkten aufschlussreich. Zunächst zeigt es, dass
unter die von ZEBRA vertretene Auffassung des Begriffes „Poesiefilm“ durchaus nar-
rativ gehaltene Kurzfilme im Sinne einer Literaturverfilmung fallen, die den Gedicht-
text nicht als solchen einbinden müssen. Vor allem aber wird deutlich, dass in diesem
Verständnis das Hauptaugenmerk trotz allem weiterhin auf dem schriftlich fixierten

1
Zebra-Award, Ausschreibung 2012, online unter: http://www.literaturwerkstatt.org.
2
Eine Abgrenzung, die gerade angesichts des performanceorientierten Poetryclips, bei Spoken-
Word-Filmen und vielen Poetryfilmen mit Musik ausgesprochen problematisch ist. Letztlich geht
es hier um die Grenze von Sprechen und Singen, ein Thema das in diesem Rahmen allerdings nicht
ausführlich berücksichtigt werden kann. Besonders die nordamerikanische Szene kommt mit ihrem
rhythmischen Sprechgesang dem Rap sehr nah. Zur Problematik der Unterscheidung von Sprechen
und Singen siehe Paul Griffith: „Sprechgesang“, online unter: http://www.oxfordmusic-
online.com/subscriber/article/grove/music/26465.
3
Das Gedicht ist in den Dialog eingepasst und hebt doch aus der Erzählsituation heraus, ähnlich wie
in Ralf Schmerbergs preisgekrönten „Nach grauen Tagen“. Möglicherweise besteht hier eine flie-
ßende Grenze zu stark ausgestalteten Performanceclips.
Ein begrifflicher Klärungsversuch 35
Gedicht liegt, wobei seine Existenz unabhängig vom Medium Film eine entscheidende
Rolle spielt. Es soll in irgendeiner Form im Produktionsprozess vorkommen, nicht not-
wendigerweise jedoch im Film, ganz wie ein klassisches Drehbuch oder Szenario.
Eine Grenze wird im Auswahlverfahren des ZEBRA Poetry Film Festivals demzu-
folge nach zwei Seiten hin gezogen. Zum einen fallen dokumentarische Filme, also
Dichterporträts mit Texteinsprengseln oder aber auf Video dokumentierte Lesungen
und Performances, aus dem Genre heraus.1 Zum anderen bleiben auch solche Filme
außen vor, die keinen konkreten sprachlich verfassten lyrischen Text zur Grundlage ha-
ben oder integrieren, die sich aber von ihrer formalen filmischen Gestaltung her in Ab-
grenzung zum narrativen Film als lyrisch verstehen. Für diese Filme hat Davinio die
Bezeichnung „filmic poem“ oder „poem-video“ vorgesehen. In ihnen ist das Lyrische
oder Poetische ein Strukturmerkmal, das sich unabhängig von der sprachlichen Reali-
sierung beobachten lässt. Anders ausgedrückt: die Verwendung der Filmsprache selbst
zeigt eine Analogie zu der sprachlichen Gestaltung lyrischer Texte. Dieses gewisserma-
ßen metaphorische Verständnis vom Film als Gedicht oder Film als Poesie spielt in der
Filmgeschichte der Avantgardebewegungen eine bedeutende Rolle und soll im nächsten
Kapitel ausführlicher dargelegt werden.
Ein in diesem Sinne erweitertes Verständnis des Poesiefilmes lässt sich auch beim
VideoBardo-Festival in Buenos Aires beobachten. Javier Robledo, Direktor des Festi-
vals, nähert sich auf Anfrage einer Definition an und bestimmt Videopoesia als audiovi-
suelles Werk, in dem das Wort, die Sprache, die Rede, die Schrift, das Zeichen, das
Symbol speziell behandelt werden: „Puede haber un poema escrito previo al video-
poema o puede el videopoema crear en imagen y/o sonido el poema.“2 Die Schriftform
oder sprachliche Form des Gedichtes ist also dort keine Bedingung, sondern das Festi-
val widmet sich auch den aus Bild und Ton gebildeten Gedichten, womit der Begriff
„Gedicht“ aus dem Bereich der Literatur entgrenzt wird. Zu den Traditionslinien der Vi-
deopoesia zählt Robledo sowohl das Kino als auch das Gedicht in seiner langen Ge-
schichte, insbesondere aber die experimentelle Poesie.
Zum Abschluss dieser Betrachtungen soll dafür plädiert werden, Filme, in denen tat-
sächlich gesprochene oder geschriebene Texte materieller Teil des filmischen Kunst-
werks sind, in Abgrenzung zu allen anderen Bezeichnungen „Gedichtfilme“ zu nennen.
Nur sie unterscheiden sich grundlegend von Formen der literarischen Adaption, wie et-

1
Auch hier können sich nicht unerhebliche Schwierigkeiten ergeben: Ab wann ist eine Performance
auf Video technisch elaboriert genug (Zahl der Schnitte?, Perspektivwahl? etc.), um als Poetryfilm
zu gelten? Oder entscheidet die Konzeption auf die filmische Umsetzung hin, so einfach sie auch
gestaltet sein mag? (Siehe z. B: John Giornos grandiose Performance von „Just say no to family
values“, die aus einer einzigen Einstellung besteht sowie das preisgekrönte „Perfect Activity
Leaves no Traces“, das sich als Teil eines Kunstprojektes sehr nahe an der Dokumentation einer
Kunstperformance bewegt, seine Wirkung aber durch zwei filmische Eigenheiten entfalten kann:
Kameravogelperspektive und Verstreichen der Zeit. Ein aus Vogelfutter (Toastbrot) gelegter Satz
wird in dem aus dem Märchen „Hänsel und Gretel“ bekannten Verfahren spurlos verschwinden).
2
Javier Robledo: Videobardo’s Idea about Videopoetry, E-Mail vom 05.06.2008, Buenos Aires
2008.
36 Was sind Poesiefilme?

wa der Literaturverfilmung, da hier nicht Text in Film umgewandelt wird, sondern zwei
ganz unterschiedliche mediale Formen, nämlich Gedicht und Film, zusammengebracht
werden. Diesen Filme, die im Übrigen ohnehin den Großteil der in diesem Zusammen-
hang entstehenden Produktionen ausmachen, kommt daher ein Sonderstatus zu. Möchte
man den Poesiefilm als ein eigenes hybrides Genre fassen, so muss diese Verschrän-
kung von sprachkünstlerischem und audiovisuellem Werk fassbar bleiben und das heißt
auch: wahrnehmbar sein. Dies ist nur im Gedichtfilm der Fall. Ein Film, der die Hand-
lung des Erlkönigs wiedergibt, ist eben ein Spielfilm, der seine Vorlage genau um jene
materielle, sprachliche – und das heißt schriftliche oder lautliche – Seite reduziert, die
das lyrische Gedicht zu einem wesentlichen Teil bestimmt und um die es dem Gedicht-
film geht.1
Im Anschluss soll ein Überblick über die verschiedenen Spielarten des Poesiefilmes
gegeben werden. Jeder Ordnungsversuch, der sich dem Phänomen von seiner literari-
schen Seite her nähert, wird nach der „Einbindung bzw. Situierung des Gedichtes“2 ins
audiovisuelle Medium fragen. Statt mich jedoch an den naheliegenden semantischen
oder produktionstechnischen Merkmalen zu orientieren, möchte ich eine Typologie
vorschlagen, die gewissermaßen eine Ebene tiefer ansetzt. Sie orientiert sich am Prinzip
des Audiovisuellen, indem sie die Form der Ton-Bild-Beziehung zu einem wesentli-
chen Unterscheidungskriterium macht. Bevor also noch textuelle, inhaltliche oder for-
malen Merkmale herangezogen werden, soll zunächst danach gefragt werden, ob und
wie sich das Gedicht im audiovisuellen Medium materialisiert. Damit sei der Versuch
gewagt, mit beim Film ansetzenden Unterscheidungen zu beginnen, bevor noch litera-
turwissenschaftlichen Kriterien bzw. Text-Bild-Beziehungen untersucht werden, denen
die konkrete stimmliche oder schriftliche Verwirklichung des Gedichtes stets zuvor-
kommt.
Die Typologie beruht auf Beobachtungen bei der Sichtung zahlreicher Poesiefilme
im ZEBRA-Festivalarchiv der Literaturwerkstatt Berlin und unter den Festivaleinsen-
dungen des Jahres 2008 und 2010. Sie soll dazu dienen, einen Überblick über die Viel-
falt des Genres zu geben, um gleichzeitig eine vorläufige Ordnung vorzuschlagen, die
die sehr unterschiedlichen Vorgehensweisen erst hervorhebt und als solche kenntlich
macht. Zur Verdeutlichung werden knapp erläuterte Beispiele für die jeweiligen Typen
herangezogen, mit denen die Typologie illustriert und gleichzeitig ganz bewusst proble-
matisiert werden soll. Sie werden das Ordnungssystem an seine Grenzen führen, indem
sie zeigen, dass klare Unterscheidungen mehr als einmal unmöglich sind und dass sich
nicht selten an seinen Rändern die interessantesten Vorgänge abspielen.
Ausgehend von einer großen Gruppe von Kurzfilmen, die alle in allgemeiner Weise
mit Poesie oder Lyrik zu tun haben (ich nenne sie Video- oder Filmpoesie) gelangt man
anhand der Unterscheidung, ob ein literarischer Text integriert wurde, zu zwei Grup-
pen. Filme ohne Textintegration unterteilen sich in Filme, die gar keinen Bezug zu ei-

1
Siehe das Kapitel 3.1.
2
Juliane Moschell: Lyrik – Verfilmt. Studien zu filmischen Adaptionen deutschsprachiger Lyrik,
Magisterarbeit, Univ. Marburg 2007, 51.
Ein begrifflicher Klärungsversuch 37
nem bestimmten literarischen Text haben (poetischer Film, filmic poem)1 und Filme,
die ein vorliegendes Gedicht filmisch umsetzen (Adaption)2. Ein Beispiel für eine sol-
che Adaption bildet der Kurzfilm DU UND ICH, ein Teil des Filmprojektes NICHTS_WEI-
TER_ALS, das vier filmische Umsetzungen eines Gedichtes von Arne Rautenberg um-
fasst.3 Das Regie-Duo le:forel, bestehend aus Lale Nalpantoglu und Jens Schillmöller,
nähert sich dem Gedicht dabei überraschenderweise, indem es fast vollständig auf ge-
sprochenen Text verzichtet. Eine Bezugnahme auf die Textvorlage von Arne Rauten-
berg erfolgt ausschließlich in Form einer Übertragung lyrischer Bildkomplexe in filmi-
sche Bilder. Rautenbergs Gedicht besteht aus einer Reihung von Wortgruppen, die
vordergründig um die Aktivitäten einer Vorstadtjugend kreisen. Auffällig sind Schrift-
bild und Versgliederung des Gedichtes. Diese unterbricht nämlich fortwährend die
erwartete syntaktische Gruppierung in Sinneinheiten.4 Wo Rautenbergs Text subjektlos
bleibt und nicht nur syntaktisch dissoziiert, sondern auch durch die Versgliederung in
seiner Bezüglichkeit und Kontinuität unterbrochen wird, sucht sich der Film zwei ju-
gendliche Protagonistinnen, die gemeinsam die seltsame Leere und Erwartung von
Sommerferien und Jugend durchleben. In den ersten statischen Einstellungen werden
Bild für Bild Signalwörter aus dem Gedicht umgesetzt, so dass hintereinander Traban-
tenbauten, ein Kaugummiautomat, eine Perlweinflasche im Gras vor einem Flachbau
und schließlich eine Schnellstraße zu sehen sind. Dann schließt sich eine Reihe von
fünf Sequenzen an, die die anzitierten Textfragmente etwas assoziativer und breiter
ausführen. Dabei ergeben sich durchaus strukturelle Analogien. So wird das Gedicht
durch die Formel „nichts weiter als“, die inklusive des Titels genau viermal auftaucht,
gegliedert. Die dabei entstehenden Abschnitte entsprechen in etwa den fünf quasi stro-
phischen Sequenzen des Filmes. Genau viermal taucht mitten in der Lebenswirklichkeit
der Mädchen, jedoch von ihnen unbeachtet auch eine surrealistisch anmutende rote
Kugel auf, die von Mal zu Mal größer wird und sich von ihrem Ausgangspunkt im
Gedicht („zweimal am tag süße / kugeln eingesammelt“) denkbar weit entfernt. Obwohl
das Gedicht nicht im Film vorkommt und die spezifisch materielle, sprachliche Gestalt
des Textes somit ausgelassen wird, bezieht sich die Adaption nicht lediglich auf dessen
Handlung, sondern findet filmische Analogien zur strophischen Gliederung des Gedich-
tes.
Für Filme, die im Gegensatz zu den bisher genannten Formen einen lyrischen Text
materiell integrieren, soll die Bezeichnung „Gedichtfilme“ reserviert sein. Fragt man
nun danach, wie die Texte sich jeweils manifestieren, ob stimmlich oder schriftlich, ge-
langt man zu zwei weiteren Gruppen. Der schriftbasierte Gedichtfilm folgt zu großen
Teilen vor allem den Traditionen der visuellen Poesie. Gerhard Rühm begann bereits in
den fünfziger Jahren Schriftfilme zu konzipieren. Einige von ihnen wurden schließlich

1
Siehe das Kapitel 1.3.
2
Siehe das Kapitel 1.4.
3
Siehe Abbildung 1.1.
4
Dargestellt durch die eingeklammerten Schrägstriche: „… / auf viel zu große widerhaken / würmer
gezogen (/) am rosensee / vorm Zelt gesessen (/) kleine Barsche / mit zu großem Maul (/) der tabak
ging / aus (/) pfefferminztee tats auch“.
38 Was sind Poesiefilme?

1969 unter dem Titel DREI KINEMATOGRAPHISCHE TEXTE vom Sender Freies Berlin
realisiert.1 Heute hat sich der Schriftfilm stark der digitalen Poesie oder Computerpoe-
sie angenähert.2 Er hat digitale Spielarten ausgebildet, die sich radikal mit der Gram-
matizität3 von Schrift und Computer auseinandersetzen, wie etwa die Arbeiten von Jörg
Piringer.4 Auch frühe Filme aus der Stummfilmzeit stellen nach meiner Unterscheidung
streng genommen visuelle Gedichtfilme dar, da sie das Gedicht in den Zwischentiteln
zeigen, selbst wenn sie ihre eigene Schriftlichkeit weniger stark reflektieren. Doch auch
in den zeitgenössischen Poesiefilmen gibt es eine vielfältige Praxis der schriftlichen
Textintegration. Neben digitalen oder graphischen Techniken, die tatsächlich die
Schriftlichkeit in den Mittelpunkt stellen, wird auch oft mit einfachen Einblendungen,
Unter- oder Zwischentiteln gearbeitet. In der neuseeländischen Produktion B ELLES
LETTRES – MIRROR spielt die Typographie des Gedichttextes von Sylvia Plath die
Hauptrolle. Die Buchstaben sind im Stil einer altmodischen Schreibmaschinenschrift
gestaltet und befinden sich in ständiger Bewegung, wobei sie mit Graphiken und Orna-
menten in Kontakt treten. Basierend auf Pin-up-Girls und Werbezeichnungen der fünf-
ziger Jahre wird dazu eine Bilderwelt im Retrostil geschaffen, die durch Schnittmuster,
Kontaktanzeigen und Tapetenmuster ergänzt wird. Während die Bilder einen konserva-
tiven Wunschtraum von Weiblichkeit heraufbeschwören, spielt die Gestaltung der
Buchstaben mit den ikonischen Möglichkeiten der bewegten Buchstaben und Verse.
Plaths Gedicht besteht in der monologischen Rede eines Spiegels, der die Furcht seiner
Benutzerin vor Alter und Verfall „reflektiert“:
In me she has drowned a young girl, and in me an old woman
Rises toward her day after day, like a terrible fish.5

Da wird das Schriftbild gespiegelt und gedreht, zittern und flimmern die Wörter, verwi-
schen, werden gestrichen oder verschwinden unter einem Tintenfleck. Dabei gewinnen
typographische Aspekte zwar an Bedeutung und rücken ins Blickfeld, stehen aber wei-
ter im Dienst des Textes, indem sie die sprachliche Bedeutung der Verse meist bildlich
nachvollziehen. So war es auch das erklärte Ziel der Filmemacherin Kylie Hibbert „to
explore the potential of paralinguistics and poetry as emotive narrative.“6

1
Siehe Hans Scheugl/Ernst Schmidt: Eine Subgeschichte des Films, Frankfurt am Main 1974, 829.
2
Siehe Michael Lentz: „Zur Intermedialität in experimentellen Schriftfilmen“, in: Hans-Edwin
Friedrich/Uli Jung (Hg.): Schrift und Bild im Film, Bielefeld 2002, 113–138. Hier: 113.
3
„For if there is a possible analogy between the inception of writing as a discretization of the flux of
utterances and that of digital media as the discretization of audiovisual temporal objects, it is to the
extent that the audiovisual object, just like alphabet writing, is a pharmakon.“ (Bernard Stiegler:
„The Carnival of the New Screen“, in: Pelle Snickars (Hg.): The YouTube Reader, Stockholm
2009, 40–59. Hier: 46).
4
Einige der Clips sind abrufbar unter http://joerg.piringer.net.
5
Sylvia Plath: Collected Poems, hg. von Ted Hughes, London 1981, 137f.
6
Kylie Hibbert: „Belles Lettres. Synopsis“, Synopsis zum Film, in: Archiv des ZEBRA Poetry Film
Festivals, 2006, ZEB3-0412.
Ein begrifflicher Klärungsversuch 39
Neben den schriftbasierten Gedichtfilmen bleibt eine große Gruppe von Filmen, die
gesprochene Dichtung beinhalten. Innerhalb dieser Gruppe existiert nun eine breite
Vielfalt an Vorgehensweisen. Die Frage nach dem Ort der Stimme führt zu einem wei-
teren wichtigen Unterschied. Zum einen gibt es Filme, in denen die Gedichte im weites-
ten Sinne vor der Kamera (on screen) gesprochen werden. Die Darbietung des Ge-
dichtes selbst steht im Mittelpunkt und bildet das Sujet der Filme, die darum perfor-
manceorientierte Gedichtfilme genannt werden können. Anders, wenn die Stimme im
off bleibt und die Rezitation ausschließlich mit Bildern aus anderen Kontexten kombi-
niert wird. Man kann sie als Voice-Over-Gedichtfilme bezeichnen. Diese Gedichtfilme,
bei denen das stimmlich präsentierte Gedicht mit den Filmbildern kombiniert wird, bil-
det vermutlich die umfangreichste Gruppe unter den Poesiefilmen. Als Beispiel für
dieses Verfahren ist Matthias Müllers Film NEBEL nach dem Gedichtzyklus Gedichte
an die Kindheit von Ernst Jandl zu nennen. In dem im Jahr 2000 produzierten Film
werden die vom Schauspieler Ernst-August Schepmann gesprochenen Gedichte mit
Bildmaterial aus verschiedenen Kontexten kombiniert. Es handelt sich unter anderem
um Super-8-Aufnahmen aus dem Familienarchiv des Regisseurs, die deutliche Alte-
rungsspuren aufweisen und somit die Thematik des Gedichtzyklus visuell wiederauf-
greifen. Das Gezeigte bildet nicht in illustrierender Weise das Gesagte ab, sondern er-
gänzt sich mit Musik und Ton zu einem Bild-Text-Gefüge von höchster Komplexität.
Indem Bild und Ton sich nicht zu einer Diegese zusammenfügen lassen, öffnet sich der
Raum für neue Sinnbildungsprozesse. Stimme und Bild bzw. Wort und Bild treten hier
in ein Verhältnis, das sich mit am Spielfilm gewonnenen Beschreibungsmustern nur
ungenau erfassen lassen.
Bei den performanceorientierten Gedichtfilmen lassen sich zwei verschiedene
Sprechweisen ausmachen. Oft ist ein In-die-Kamerasprechen zu beobachten, bei dem
die Fiktion der Abwesenheit der Kamera, wie sie im Spielfilm üblich ist, gar nicht be-
steht. Die Sprechenden wenden sich in der Tradition von Rezitation oder mediatisier-
tem Live-Auftritt an ein Publikum. Das ist der Fall bei Antonello Farettas preisgekrön-
ter Inszenierung einer John-Giorno-Performance.1 Der aus nur einer Einstellung beste-
hende Film ist Teil des Zyklus’ NINE POEMS IN BASILICATA und zeigt den berühmten
Multimediapionier John Giorno im Setting eines süditalienischen Dorfes. Vor dem
Hintergrund eines ärmlichen Steinhauses, vor dem eine uralte Frau sitzt, spricht er
schwarz gekleidet und in kerzengrader Haltung sein Gedicht, „Just say no to family
values“. Die euphorische Bejahung von Ausschweifung, Drogen, freier Liebe und Le-
bensgenuss verkörpert sich in einer lebendigen stimmlichen und gestischen Perfor-
mance. Giornos unverwechselbare Stimmführung und expressive Gestik allein akzen-
tuieren und rhythmisieren den Film, der ganz ohne Montage auskommt. Filmisch bzw.
fotografisch ist allein die Bildkomposition, ein weit in die Tiefe reichender Bildraum,
der den Blick in eine gekrümmte Gasse und auf den Torbogen eines eingestürzten Ge-
bäudes freigibt.

1
JUST SAY NO TO FAMILY VALUES (2005) gewann im Jahr 2006 den ZEBRA Poetry Film Award,
siehe auch DVD-Edition INDEX, 036.
40 Was sind Poesiefilme?

In anderen Fällen des performanceorientierten Gedichtfilmes bewegen sich die Spre-


chenden in einem diegetischen Raum. In diesem Fall ist das Gedicht meist in einen
Dialog integriert (szenischer Gedichtfilm). Doch die Grenzen dieser beiden Typen sind
fließend, da in einen Spielfilm eingebettete Gedichtrezitationen, auch als Teil der
Handlung, doch Performance bleiben. Oft wird durch sie die Narration oder Szene ei-
nen Augenblick unterbrochen, vergleichbar vielleicht den Liedern in Brechts Epischem
Theater.1 Ralf Schmerberg hat für seinen Film POEM (2002) Ingeborg Bachmanns Ge-
dicht „Nach grauen Tagen“ in den Kontext einer Familienszene gerückt. Der sonn-
tägliche Familienalltag in einer Plattenbausiedlung versinkt in Chaos und Überforde-
rung und gerät zum Albtraum, was durch eine schnelle diskontinuierliche Montage
ohne orientierende Totalen, vor allem aber durch den fast unerträglichen Lärm auf der
Tonspur bestehend aus Kindergeschrei, Fernsehton, dem Streit der Eltern und dem
Krach von elektrischem Spielzeug, dargestellt wird. Schließlich entzieht sich die Mut-
ter, gespielt von Anna Böttcher, vorübergehend der Szenerie, indem sie sich einen rie-
sigen blauen Ballon über den Kopf streift. Den Kopf im Inneren des Ballons, wo die
Geräusche der Umgebung gedämpft und die Außenwelt nur noch blau verschwommen
zu sehen ist, beginnt sie „Nach grauen Tagen“ zu sprechen. Ingeborg Bachmanns Ge-
dicht geht in der Rollenrede einer überlasteten Mutter auf, die sich momentweise dem
Wunsch nach Freiheit hingibt. Gleichzeitig aber öffnet sich ein über die filmische Die-
gese hinausreichender Bildraum, der sich nicht mehr in die kommunikative Situation
einbetten lässt, ja der sogar diesen Ausbruch aus der alltäglichen Welt als Moment der
Verfremdung und des Innehaltens thematisiert. Dieser Moment der „Entrückung“ lässt
sich auch in anderen szenischen Gedichtfilmen feststellen. 2
Die hier vorgeschlagene Typologie stellt selbstverständlich nur eine Annäherung dar.
Wie so oft gilt auch hier, dass Mischformen eher die Regel als die Ausnahme sind und
dass gerade unter ihnen die interessantesten und innovativsten Beispiele zu sehen sind.
Häufig werden Schrift und Stimme miteinander kombiniert und aufeinander bezogen,
oder es gibt Wechsel von on- zu off-Stimme. Ebenso sind Performances anzutreffen,
bei denen die Stimme aus dem off mit Bildern der (vermuteten) stummen Sprecher

1
Zu erwägen wäre, ob hier ein Rückgriff auf Goethes strikte Trennung von Vorlesen, Rezitation/De-
klamation und Schauspielen hilfreich sein könnte, die sich unter anderem auch auf deren verschie-
dene Fiktionalitätsgrade stützte, siehe dazu Johann Wolfgang von Goethe/Johann Peter Ecker-
mann: „Schauspielkunst. Regeln für Schauspieler“ (1803), in: Sämtliche Werke. Briefe, Tage-
bücher und Gespräche. Ästhetische Schriften 1771–1805, hg. von Karl Eibl/Hendrik Birus/Dieter
Borchmeyr, Frankfurt am Main 1998, 860–883. Hier: 864.
2
Siehe dazu u. a. NICHTS_WEITER_ALS (2006). Unübersehbar sind die ästhetischen Implikationen
einer solchen Auffassung von Lyrik. Sie als Gattung des Individuellen, Vereinzelten vor Augen zu
stellen, verrät die Forderung, „daß der lyrische Ausdruck, gegenständlicher Schwere entronnen, das
Bild eines Lebens beschwöre, das frei sei vom Zwang der herrschenden Praxis, der Nützlichkeit,
vom Druck der sturen Selbsterhaltung.“ (Theodor W. Adorno: „Rede über Lyrik und Gesellschaft“,
in: Noten zur Literatur, Frankfurt am Main 1965, 73–105. Hier: 77f.). Adorno zeigt auf, dass noch
dieses Bestreben gesellschaftlich ist. In ihm äußert sich der Einspruch gegen einen gesell-
schaftlichen Zustand, der als feindlich erfahren wird: „Im Protest dagegen spricht das Gedicht den
Traum einer Welt aus, in der es anders wäre.“ (Ebd.).
Ein begrifflicher Klärungsversuch 41
kombiniert wird, ein Mittel, das der narrative Spielfilm zur Vermittlung des inneren
Monologs konventionalisiert hat und das im Poesiefilm eine ganz ähnliche Wirkung be-
sitzt. Die Formenvielfalt innerhalb des Genres erklärt zu einem weiten Teil die begriff-
lichen Diskussionen um dessen Grenzen. Sie gibt andererseits aber auch Hinweise auf
die verschiedenen Traditionslinien und Einflüsse, die im Poesiefilm zusammen-
kommen.

Videopoesia / Videopoetry / Videopoesie


Poesiefilm
ohne Textintegration mit Textintegration: Gedichtfilme
2 mit lite-
1 ohne literarische rarischer
schriftliche
Textvorlage: Poeti- Textvor- stimmliche Integration
Integration
scher Film lage:
Adaption
on screen off screen
5 schrift-
3 performanceorien- 4 Voice-Over-
basierte
tierte Gedichtfilme Gedichtfilme
Gedichtfilme
Sprechweise
Kamera Szenisch

Tab.1: Typologie des Poesiefilmes

1.3 Der poetische Film


Beinahe so alt wie das filmische Medium selbst ist die Rede vom poetischen Film.
Wenn vom poetischen Kino oder vom Cinepoem gesprochen wird, ist meist nicht die
tatsächliche Verknüpfung von lyrischem Text und Film im Sinne einer Medienkombi-
nation gemeint, vielmehr wird das Poetische im Sinne einer medienübergreifenden
Analogie verstanden, die sich auf den Gebrauch oder die Wirkung ästhetischer Mittel
bezieht. Was also ist das Poetische im Film oder was sind poetische Filme, und worin
besteht ihre Besonderheit, wovon sollen sie durch die Zuschreibung einer Poetizität dis-
kursiv abgegrenzt werden? Susan Sontag charakterisiert die Tradition des Filmes als
Poesie mit Blick auf den Regisseur Jean-Luc Godard wie folgt:
Traditions exist within the cinema-less frequently exploited than that tradition which plausibly
can be compared with the novel – which are analogous to other literary forms than the novel.
[...] There is also a conception of the cinema as poetry; many of the ,avant-garde‘ short films
which were made in France in the 1920s (Buñuel’s Le Chien Andalou and L’Âge d’or;
42 Was sind Poesiefilme?

Cocteaus’s Le Sang d’un Poète; Jean Renoir’s La Petite Marchande d’Allumettes; Antonin
Artaud’s La Coquille et le Clergyman) are best compared with the work of Baudelaire, Rim-
baud, Mallarmé, and Lautréamont.1

In folgenden Kapitel soll es darum gehen, dem von Sontag vorgeschlagenen Vergleich
nachzugehen, denn sobald es zur Übertragung von Begriffen zwischen unterschiedli-
chen Künsten oder Medien kommt, besteht immer die Gefahr, bei metaphorischen
Wendungen stehen zu bleiben. Da es eine Stabilität der Bezugsgrößen, sowohl des ge-
nuin Poetischen als auch des genuin Filmischen nicht gibt, kann über eine tatsächliche
Poetizität des Filmes nicht entschieden werden. Stattdessen soll im Folgenden der Dis-
kurs nachgezeichnet werden, der das Verhältnis von Poesie und Film thematisiert. In
der oft so schwierigen Geschichte der Literatur-Film-Beziehungen zeigt er eine andere
Seite im stetigen Bestreben der Filmkunst nach Abgrenzung und Emanzipation von der
als übermächtig angesehenen Literatur. Die Beschreibung muss, wie Siegfried Kracauer
für die Analyse der Fotografie gefordert hat, „von den Anschauungen ausgehen, die im
Verlaufe ihrer Entwicklung über sie entstanden sind – Anschauungen die auf diese oder
jene Weise tatsächlich vorhandene Trends und Anschauungsmethoden widerspiegeln.“2
Wenn hier also zunächst die poetologischen Diskurse referiert werden, die sich auf den
poetischen Film beziehen, so ist damit noch nichts über eine etwa bestehende tatsäch-
lich Lyrizität dieser Filme gesagt. Im Sprechen über das, was als poetischer Film, lyri-
scher Film oder das Poetische im Film beschrieben wird, lassen sich jedoch – bei allen
historischen Unterschieden – gemeinsame Tendenzen feststellen. Es wird sich zeigen,
dass es historische Konjunkturen des Diskurses gibt, und es soll der Versuch gemacht
werden, diese mit medienhistorischen Entwicklungen in Zusammenhang zu bringen.
Bereits die Theoretiker des russischen Formalismus haben früh begonnen, ihre lite-
raturtheoretischen Überlegungen auch auf den Film zu übertragen. Einschlägig ist hier-
für besonders ein kurzer Aufsatz von Victor Šklovskij, der in deutscher Sprache unter
dem Titel „Poesie und Prosa im Film“ erschienen ist.3 Ausgehend von an der Literatur
gewonnenen Erkenntnissen des russischen Formalismus versucht Šklovskij das Prinzip
der Unterscheidung von Poesie und Prosa auf den Film zu übertragen. Für ihn stellt das
Poetische im Film einen Pol dar, den er mit dem Film in Prosa konfrontiert. Was heißt
das genau? Šklovskij eröffnet seine Überlegungen mit der Feststellung, dass rhythmi-
sche Strukturen allein, bereits in der Literatur kein ausreichendes Differenzkriterium
zwischen Poesie und Prosa darstellen. Vielmehr liegt der Unterschied im Umgang der
Texte mit sujet (story) und fabula (discourse). Während in poetischen Texten die for-
male Komposition bestimmend ist, konstruieren Prosatexte ihre Bedeutung in einer
Kombination von Situationen, die einer im Alltag erprobten Verknüpfungsstrategie
oder Handlungslogik folgen.

1
Susan Sontag: Against Interpretation, and Other Essays, New York/N.Y. 2001, 244.
2
Siegfried Kracauer: Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit, hg. von Karsten
Witte, Frankfurt am Main 1973, 25.
3
Für die Schreibweise aller russischen Namen wird die ISO-Transkription verwendet.
Der poetische Film 43
Ich wiederhole noch einmal: Es gibt einen Film der Prosa und einen der Poesie – und dies ist
eine grundlegende Einteilung der Gattungen. Sie unterscheiden sich nicht durch den Rhyth-
mus bzw. nicht durch den Rhythmus allein, sondern durch die Vorherrschaft technisch-for-
maler Momente (im poetischen Film) über bedeutungsmäßige. Die formalen Momente erset-
zen hierbei die bedeutungsmäßigen, indem sie die Komposition zur Lösung bringen. Der
sujetlose Film ist der ‚vershafte Film‘.1

Im Übrigen betont Šklovskij, dass in Bezug auf poetische Filme nur von einer „distant
anology“ zur literarischen Poesie die Rede sein kann. Um die formalen Momente zu
charakterisieren, die diese Analogie erzeugen, wählt er zwei Beispiele des russischen
Filmes. In Dziga Vertovs EIN SECHSTEL DER WELT (1926) sind es der betonte Paralle-
lismus und die sich wiederholenden Bilder, die gegen Ende des Filmes die Handlung
gegenüber der formalen Komposition in den Hintergrund treten lassen. Außerdem er-
wähnt Šklovskij die rhythmische Konstruktion, die Beschleunigung der Bewegungen,
die Montage und die Entfernung vom alltäglichen Leben. So vermag es beispielsweise
der schnelle Wechsel von Einstellungen in Pudovkins MUTTER (1926), eine Gleichzei-
tigkeit verschiedener Bedeutungen herzustellen und somit die dem poetischen Bild
eigene Ambiguität zu erzeugen. Alle konkreten filmischen Ausdrucksmittel, die auf ei-
ner Betonung der filmischen Komposition und seine formalen Eigenschaften hinzielen,
wie etwa die Doppelbelichtung, sind demzufolge als poetisches Verfahren einzuordnen.
Die Unterscheidung zwischen Poesie und Prosa bietet noch heute eine hilfreiche An-
näherung an das Projekt der filmischen Avantgarden: „In the widest perspective, the
experimental cinema can be seen to expand the poetic art which the drama film sub-
sumes in its drive to fiction.“2 Dass das Hauptinteresse der Avantgarden dem hand-
lungslosen Film galt, stellt bereits Siegfried Kracauer in seiner Theorie des Films fest,
indem er sich unter anderem auf Äußerungen und Filme von Jean Epstein und Germai-
ne Dulac bezieht.3 Die Charakterisierung von Filmen als poetisch ist somit auch als
Versuch zu verstehen, avantgardistische Filmkunst vom Kino als bedeutungstragendem
oder handlungsvermittelndem Erzählmedium abzugrenzen. Die Avantgardistinnen und
Avantgardisten wollten sich von den Einflüssen der traditionellen Künste befreien und
zu einer eigenen Ausdrucksform finden, entschlossen, „die ihrem Medium immanenten
Eigenschaften zu seinem Aufbau zu verwenden.“4 Spielhandlung wird als ein der Film-

1
Victor B. Šklovskij: „Poesie und Prosa im Film“ (1927), in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte
zur Theorie des Films, Stuttgart 2003, 172–175. Hier: 175.
2
Alan L. Rees: A History of Experimental Film and Video from the Canonical Avant-garde to Con-
temporary British Practice, London 1999, 34.
3
Siehe Siegfried Kracauer: Theorie des Films, 241.
4
Ebd., 243. Die Filmwissenschaftlerin Fabienne Liptay beschreibt die „Flucht vor der literarischen
Fabel“ (Fabienne Liptay: „,Von der Ziffer zur Vision‘. Fragwürdige Leitdifferenzen zur Ordnung
der Künste“, in: Stefan Keppler-Tasaki/Fabienne Liptay (Hg.): Grauzonen. Positionen zwischen Li-
teratur und Film, 1910–1960, München 2010, 15–40. Hier: 22) als Merkmal des absoluten Filmes,
das mit einer Hinwendung zur Sinnlichkeit des filmischen Bildes einhergeht. Bezeichnenderweise
44 Was sind Poesiefilme?

kunst fremdes und aus der Literatur überkommenes Prinzip abgelehnt. Damit geht die
Tendenz einher, verstärkt filmspezifische Gestaltungsmittel einzusetzen und auf diese
Weise das Augenmerk auf die filmische Komposition zu lenken: „Aus diesem Grunde
legten sie so großes Gewicht auf Filmtechniken und Tricks wie Nahaufnahmen, Fahr-
aufnahmen, ungewöhnliche Kameraeinstellungen, Zeitraffer, Zeitlupenbilder, Ver-
zerrungen, Weichzeichnereffekte, Schleier.“1
Die französische Avantgardefilmproduktion wird filmgeschichtlich gemeinhin in
drei Bewegungen unterteilt. Sie beginnt nach dem Ersten Weltkrieg mit der Epoche des
impressionistischen Filmes, der die Psychologie der Figuren und deren subjektive
Wahrnehmung spiegelt. Zu den prominentesten Vertreterinnen und Vertretern zählen
Abel Gance, Germaine Dulac und Jean Epstein. Danach folgt das cinéma pur mit Fil-
men von Fernand Léger, René Clair und den Dadaisten, das nach einem reinen, vom
Einfluss anderer Künste emanzipierten Kino strebt. 1928 setzt schließlich der filmische
Surrealismus mit den bekannten Werken von Germaine Dulac und Antonin Artaud,
Buñuel und Man Ray ein, zu dem Kracauer selbst noch die späteren Filme Jean Coc-
teaus und der amerikanischen Nachkriegsavantgarde rechnet. Zentrale Akteurinnen und
Akteure der französischen Filmavantgarde waren durchaus in mehreren dieser Phasen
aktiv und standen miteinander in Kontakt, so dass sich von einer scharfen Trennung
nicht sprechen lässt. Germaine Dulac etwa zählt mit ihren frühen Arbeiten zum filmi-
schen Impressionismus, tritt in ihren Schriften als entschiedene Vertreterin des cinéma
pur auf und schuf mit LE COQUILLE ET LE CLERGYMAN den ersten surrealistischen Film.
Bei allen Unterschieden zwischen den Filmen und den dahinterstehenden Ästhetiken,
stimmt die französische Avantgardebewegungen doch in wesentlichen Zielen überein:
der Emanzipation des Filmes als eigenständiger Kunst, der Entwicklung einer genuinen
filmischen Ausdrucksweise und der kritischen Abgrenzung vom narrativen und hand-
lungszentrierten Kino: „Il nous est permis de douter que l’art cinégraphique soit un art
narratif.“2
Die Filmpoesie und -poetik Jean Epsteins, so der Kritiker Gérard Leblanc, kommt
von der literarischen Poesie her und ist von dieser vorgeprägt.3 In seinen frühen Schrif-
ten beschwört Epstein die Nähe zwischen der Ästhetik des Kinos und der modernen
Literatur. Wie die modernen Autoren setze das Kino die „Reihung von Details“ an die
Stelle einer „kontinuierlichen Geschichte“4 und versuche über die Großaufnahme in das

schildert Liptay das Phänomen dieser Entfabelung am Beispiel des Filmpoems REGEN (1929) von
Joris Ivens.
1
Siegfried Kracauer: Theorie des Films, 243.
2
Germaine Dulac: „L’Esthétiques, les entraves. La cinégraphie integrale“, in: Ecrits sur le cinéma.
1919–1937, hg. von Prosper Hillairet, Paris 1994, 98–105. Hier: 102: „Es sei uns erlaubt, anzu-
zweifeln, dass die cinegraphische Kunst eine narrative Kunst ist.“ (Übers. S.O.).
3
Gérard Leblanc: „La Poétique Epsteinienne“, in: Jacques Aumont (Hg.): Jean Epstein. Cinéaste,
poète, philosophe, Paris 1998, 25–38.
4
Jean Epstein: „Das Kino und die moderne Literatur“ (1921), in: Bonjour Cinéma und andere
Schriften zum Kino, aus dem Französischen von Ralph Eue, hg. von Nicole Brenez/Ralph Eue,
Wien 2008, 22–36. Hier: 22.
Der poetische Film 45
Leben einzudringen statt objektivierend zu berichten. Neben der Suggestivität, Bewegt-
heit, Schnelligkeit und Sinnlichkeit ist es vor allem das Prinzip der Metapher, das in
den Augen Epsteins Kino und moderne Literatur einander annähert:1 „Keine fünf Jahre
mehr und es werden kinematographische Gedichte geschrieben werden: 150 Meter und
100 Bilder. Kränze, die aus elektrisch geladenem Draht geflochten sind, und die Intelli-
genz folgt dessen Verlauf.“2 Im Kino vermutete Epstein außerdem ein Instrument, mit
dem sich der dem alltäglichen Leben innewohnende Rhythmus bloßlegen und aufzeich-
nen ließe: „Dies ist das Feld, auf dem das Kino eines Tages seine ihm eigene Prosodie
finden wird.“3
Während Kracauer eine recht skeptische Einstellung gegenüber den anti-narrativen
und betont anti-realistischen Filmen der Avantgarde vertritt4, äußert sich der Schriftstel-
ler Peter Weiss vergleichsweise euphorisch:
Die Dadaisten, allen voran Apollinaire und Desnos, entdeckten dann als erste die ungeheuren
künstlerischen Möglichkeiten des Mediums Film. Sie schufen die Basis einer Ästhetik des
Films. Rein intuitiv hatten die Vorläufer erfasst, worum es ging: wegzukommen vom Vorbild
der Literatur und von der Dramaturgie des Theaters, die den Schauspieler ins Zentrum des Ge-
schehens zu stellen trachtete. Man hatte verstanden, daß einzig das Bild sprechen sollte.5

In seinem Buch zeigt Peter Weiss die Merkmale einer solchen Ästhetik auf, die darin
besteht, dass die Handlung gegenüber dem Rhythmus der Bilder zurücktritt, so dass
dieser Rhythmus zum tragenden Element wird. „Der Bilderfluss ist ungebrochen und
setzt sich aus kurzen Impressionen zusammen. Die Sequenzen vermitteln ein Gefühl
von Musikalität. Gewisse Themen wiederholen sich in einem ungekünstelten, schnellen
Rhythmus.“6 Weiss’ Ausführungen, gleichwohl selbst recht metaphorisch7, zeigen in
verdichteter Weise die Merkmale des poetischen Filmes: Inkohärenz, Musikalität und
visueller Rhythmus. Handelt es sich hier lediglich um den „Effekt von Metaphern des
Beschreibungsdiskurses“8 oder haben wir es mit einer intermedialen Referenz auf ein
Fremdmedium zu tun? Im Zusammenhang mit dem poetischen Film sind eben jene

1
Ebd., 22f.
2
Ebd., 25.
3
Jean Epstein: „Bonjour Cinéma“ (1921), in: Bonjour Cinéma und andere Schriften zum Kino, aus
dem Französischen von Ralph Eue, hg. von Nicole Brenez/Ralph Eue, Wien 2008, 28–36. Hier: 35.
4
Siehe Siegfried Kracauer: Theorie des Films, 258 bekanntlich ist für Kracauer das Filmische an die
äußere Realität gebunden; das Erfinden neuer Formen läuft in dieser Sichtweise dem Eigentüm-
lichen des Kinos zuwider. Bei aller Affinität der Avantgardisten gegenüber den physischen Phäno-
menen, sieht Kracauer diese doch in ihrem Streben nach künstlerischer Autonomie den tra-
ditionellen Künsten verhaftet.
5
Peter Weiss: Avantgarde-Film, Frankfurt am Main 1995, 12f.
6
Ebd.
7
Es ist dies eine ständig wiederkehrende Problematik, die mit jeder Übertragung ästhetischer Be-
griffe auf einen anderen als den ihnen angestammten Gegenstandsbereich virulent wird. Dies lässt
sich in der Tradition der Wort-Bild-Debatte bestens nachvollziehen.
8
Werner Wolf: „Intermediaität: Ein weites Feld“, 185.
46 Was sind Poesiefilme?

Metaphern des Beschreibungsdiskurses von Interesse, denn sie verweisen auf den Un-
terschied zwischen technischer Medialität und ästhetischen Prozessen und sie zeigen,
wie Künstlerinnen und Künstler das Medium in ihre Praxis einbinden. Wenn Weiss die
Anstrengungen, den Film von der Literatur zu emanzipieren, erwähnt, die dabei entste-
henden Kunstwerke jedoch als poetisch charakterisiert, weist das auf einen scheinbaren
Widerspruch hin. Orientierten sich die filmischen Avantgarden an der Lyrik, so tun sie
das deshalb, weil sie in ihr die literarische Gattung sehen, die am weitesten über die
Grenzen der begrifflichen Sprache hinausdrängt. Dabei handelt es sich um einen in der
Gattungsgeschichtsschreibung und Rhetorik ganz und gar etablierten Topos, der die
Lyrik entweder in ihrer ausgeprägten Bildlichkeit oder aber in ihrer Annäherung an die
Musik charakterisiert sieht. Dass es hierbei nicht um spezifische Eigenschaften der ly-
rischen Gattung handelt, hat die neuere Lyriktheorie gezeigt.1
Eine etwas andere Auffassung über die Poesie des Filmes vertritt der avantgardisti-
sche Filmemacher und Poet Jean Cocteau in seinen Schriften über das Kino. Zweifellos
ist er der prominenteste Vertreter einer Theorie des Kinos als poetische Kunstform: „Il
serait fou de ne pas considérer comme un art (et même un très grand art) ce véhicule de
poésie incomparable.“2 Seine berühmte Äußerung vom Kinematographen als Waffe in
der Hand des Poeten zeugt von dem Bestreben, die Poesie nicht auf die Sprache zu be-
schränken, sondern sie auf die visuellen Künste auszuweiten. Allerdings unterscheidet
er strikt zwischen einer Poesie im Kino, zu der er seine eigenen Filme wie etwa LE
SANG DU POÈTE zählt, und den bewusst poetisch gestalteten Filmen:
Je ferai donc une grande différence entre le film qui se veut poétique et le film dont la poésie
s’exprime en outre. Du reste poétique n’est pas poésie. Il est même probable que c’est le con-
traire. La poésie est faite d’inconscience. Le poétique de conscience.3

Cocteaus Filme beziehen ihre Poesie aus der Logik des Unbewussten, daher ist eine
Poetisierung mit rein formalen Mitteln seinem Anliegen sogar entgegengesetzt. An-
stelle einer Betonung der Komposition wie sie bei Šklovskij beschrieben ist, wird das
Poetische an assoziativer Reihung der Elemente und einer als poetisch verstandenen
‚Bildhaftigkeit‘ festgemacht, die sich auch in Cocteaus eigenen Filmen beobachten
lässt. Sein 1930 entstandener Film LE SANG D’UN POÈTE arbeitet, ohne selbst sprachlich
verfasste Gedichte zu integrieren, mit metaphorisch, chiffrenhaften Übertragungen auf
der Bildebene. Berühmt geworden ist etwa das Bild vom Mund, den der Protagonist in

1
Siehe Rüdiger Zymner: Lyrik; siehe auch Kapitel 1.1 dieser Untersuchung.
2
Jean Cocteau: „Le Film, véhicule de poèsie“, in: Du Cinématographe, hg. von André Bernard,
Paris 1973, 22. Hier: 22: „Es wäre verrückt, dieses unvergleichliche Vehikel für Poesie nicht als
Kunst (und sogar als eine sehr große Kunst) zu betrachten.“ (Übers. S.O.).
3
Jean Cocteau: „Poèsie et films“, in: Du Cinématographe, hg. von André Bernard, Paris 1973, 26–
28. Hier: 26ff.: „Ich würde also einen großen Unterschied machen zwischen einem Film, der sich
als poetisch versteht und einem Film, dessen Poesie zusätzlich zum Ausdruck kommt. Im Übrigen,
poetisch ist nicht gleich Poesie. Es ist sogar wahrscheinlich, dass es das Gegenteil ist. Die Poesie
ist aus dem Unbewussten gemacht. Das Poetische aus dem Bewussten.“ (Übers. u. Herv. S.O.).
Der poetische Film 47
seiner Hand entdeckt, und der in seiner Ähnlichkeit mit einer klaffenden Wunde gleich-
zeitig auch ein Symbol für die künstlerische Inspiration darstellt. Dieses Vorgehen trug
Cocteau allerdings die strenge Kritik Kracauers ein, der diese im Film verkommende
Trope als dem filmischen Medium nicht gemäß verurteilte:
Das sprachliche Bild von dem einer dichterischen Schöpfung entnommenen Mund, der in der
Hand des Dichters wie eine Wunde lebt, mag sehr poetisch sein; vom Standpunkt des Films
aus bedeutet aber das fotografierte Bild dieser Hand nichts anderes als […] ein natürliches,
wenn auch unerklärliches Phänomen, das keineswegs die poetische Qualität des sprachlichen
Bildes hat.1

Zweifellos hat die Konkretisierung poetischer Bilder auf der visuellen Ebene grundle-
gend andere Wirkungen als in der Poesie, die sich auf der sprachlichen Ebene bewegt.
Einmal mehr muss daran erinnert werden, dass die Formel von der Bildhaftigkeit der
Sprache selbst eine Metapher darstellt. Tertium comparationis, ist hierbei nicht das
Merkmal der Ähnlichkeitsbeziehung, die sich bei der Metapher ja ohnehin nicht auf das
Gemeinte, sondern auf die beiden Elemente der Metapher bezieht, sondern die verge-
genwärtigende Kraft des sprachlichen Bildes, die der des wirklichen Bildes gleichkom-
men soll.2
Im Filmdiskurs der vierziger und fünfziger Jahre lässt sich beobachten, dass der Be-
griff des Poetischen in großer Häufigkeit und in großzügiger, fast amorpher Weise ge-
braucht wird. Scott MacDonald bewertet diese Konjunktur des Poetischen als Versuch,
Film vom Status des bloßen Unterhaltungsmediums zu einer anspruchsvollen Kunst-
form zu entwickeln, die eine entsprechende Rezeptionshaltung erfordert:
By emphasizing the relationship of unusual cinematic forms to poetry (and also to painting,
collage, and music), Art in Cinema, Cinema 16, and the network of film societies that imitated
them were implicitly arguing for the kinds of attention and patience normally accorded to seri-
ous works of art.3

In den amerikanischen Avantgardebewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg scheint es


daher fast eine Gleichsetzung von poetischem Film und Avantgardefilm zu geben. Der
Begriff des poetischen Filmes ist so allgegenwärtig, dass es unabdingbar ist, ihn im
Kontext des kulturellen und medialen Umfeldes etwas genauer zu bestimmen. Zunächst
stellen sich die in den USA entstehenden Film Societies und Coops4 dezidiert in die
Tradition der europäischen Avantgarden der dreißiger Jahre. Beispielsweise fand als
Teil einer Filmreihe, die von der Art in Cinema Film Society präsentiert wurde, im Jahr

1
Siegfried Kracauer: Theorie des Films, 256.
2
Siehe Kapitel 4.
3
Scott MacDonald: „Poetry and Avant-Garde Film“, 7.
4
Film-Cooperatives organisierten Distribution und Vorführung experimenteller Filme unter Um-
gehung des kommerziellen Produktions- und Verleihsystems. Sie waren Vorbild für ähnliche Grup-
pen, die später in Europa entstehen sollten. (Siehe Alan L. Rees: „Movements in Film. 1941–79“,
in: Stuart Comer (Hg.): Film and Video Art, London 2009, 48–65. Hier: 48).
48 Was sind Poesiefilme?

1946 unter dem Titel „Poetry in Cinema“ auch eine Vorführung von Jean Cocteaus LE
SANG D’UN POÈTE statt.1 Die Bemühungen um eine Etablierung des Filmes als kritische
Kunstform dokumentiert auch eine prominent besetzte Podiumsdiskussion, die 1953
von der Film Coop Cinema 16 organisiert wurde. Unter dem Titel „Poetry and the Film:
A Symposium“ versammelten sich die Filmemacherin Maya Deren, die Autoren Arthur
Miller und Dylan Thomas sowie der Underground-Filmexperte Parker Tyler, um über
die Möglichkeiten und Grenzen der Verbindung von Film und Poesie zu diskutieren.
Maya Deren gilt als die bedeutendste Protagonistin des poetischen Filmes dieser Epo-
che. Ihr Film MESHES OF THE AFTERNOON (1943) revolutionierte das amerikanische
Avantgarde-Kino der vierziger und fünfziger Jahre und kann als Begründung des New
American Cinema angesehen werden, das später, in den sechziger Jahren, eine neue
Generation von Filmemachern abseits des Mainstream versammeln wird. In der Po-
diumsdiskussion äußerte sie sich ausführlich über ihr Konzept einer filmischen Poesie.
Das Protokoll der Debatte zählt zu den aussagekräftigsten Dokumenten einer Ge-
schichte des poetischen Filmes, denn es enthält in bemerkenswerter Weise Themen und
Probleme, die bis auf den heutigen Tag relevant sind, wenn es um das Verhältnis von
Film und Poesie geht. Im Zentrum stehen dabei Fragen der Medienkonkurrenz, der
Trennung von Ton und Bild und der Beziehung von visuellem und poetischem Bild.
Deren entwickelt ihr Verständnis des poetischen Filmes ausgehend von einem medi-
enübergreifenden Poesiekonzept: „I’m not thinking of the poetic structure as referring
to poetry simply as a verbal form; I’m thinking of it as a way of structuring in any one
of a number of mediums“2. Ihre offenbar am russischen Formalismus geschulten Über-
legungen, ermöglichen es ihr, vom Material der Sprache abzusehen und den Begriff auf
die filmische ‚Sprachverwendung‘ zu übertragen. Poesie, verstanden als „way of
structuring”, etabliert im Film, wie auch im sprachlich verfassten Text, eine vertikale
Struktur, die der horizontalen, narrativen Anordnung, die im Drama dominiert, gegen-
übersteht:
The distinction of poetry is its construction (what I mean by ‚a poetic structure‘), and the poet-
ic construct arises from the fact, if you will, that it is a ,vertical‘ investigation of a situation, in
what probes the ramifications of the moment, and is concerned with its qualities and its depth,
so that you have poetry concerned, in a sense not with what is occuring but with what it feels
like or what it means.3

Die Analogie, die Deren zwischen poetischen Filmen und Poesie herausarbeitet, bezieht
sich vor allem auf das Verhältnis des Gezeigten zur Dimension der Zeit: Situation,
Moment und Tiefe werden gegen die als dramatisch angesehene, in der Zeit fortschrei-

1
Siehe Scott MacDonald: „Poetry and Avant-Garde Film“, 5.
2
Willard Maas/Amos Vogel: „Poetry and the Film: A Symposium. With Maya Deren, Arthus Mil-
ler, Dylan Thomas, Parker Tyler“, in: P. Adams Sitney (Hg.): Film Culture. An Anthology, hg. u.
m. e. Einleitung versehen von P. Adams Sitney, London 1970, 171–186. Hier: 185.
3
Ebd., 173.
Der poetische Film 49
tende Handlung gesetzt. Deren macht in ihrer Argumentation keinen Unterschied zwi-
schen poetry und lyric poem, ebenso ist die Definition, die sie von poetischen Struktu-
ren gibt, nicht an der Textoberfläche, sondern ausschließlich auf der Ebene des Darge-
stellten zu suchen. Ihre unkonventionelle Auffassung von den Möglichkeiten des
Filmes stoßen in der Gesprächsrunde größtenteils auf Ablehnung. Besonders unnach-
giebige Kritik lösen Derens Ideen bei Arthur Miller aus, der darauf beharrt, im Film
eine genuin dramatische Kunstform zu sehen und, da er „interested in action“1 sei, jede
Verbindung mit poetischen Texten wie übrigens auch den Tonfilm im Ganzen, als re-
dundant abzulehnen: „I think it’s an intrusion on the medium. That’s all I mean, I’m
speaking for an organic art, that’s all.“2
Die strukturelle Ähnlichkeit zwischen Derens Konzept des vertikalen Filmes und Ja-
kobsons Theorie des Similaritätsprinzips in der poetischen Sprache ist unübersehbar.
Darauf macht auch Bernhard Lindemann aufmerksam, der in seiner filmsemiotischen
Untersuchung von 1977 den Experimentalfilm als „Metafilm“ charakterisiert und seine
Ergebnisse mit den Überlegungen Derens und Jakobsons verknüpft. Lindemanns An-
satz ist der strukturalistischen Semiotik verpflichtet, was zur Folge hat, dass die Über-
tragung poetischer Strukturen in ein anderes Medium problemlos vonstattengeht, denn
wo Literatur und Film jeweils als Texte betrachtet werden, die in äquivalenten Codes
strukturiert sein können, kann von Materialität und Medialität der jeweiligen Erschei-
nungen abstrahiert werden. Genau dies, so lässt sich zusammenfassend sagen, ist der
Hintergrund der meisten Definitionen des poetischen Filmes, in denen das Poetische im
Sinne einer Struktur aufgefasst wird, die sich auf das filmische Medium übertragen
lässt: Die Auffassung vom Film als sprachähnlicher Kommunikationsform wirkt in
ihnen fort.
Um anschaulich zu machen, in welcher Weise auch Spielfilme vertikale Strukturen
aufweisen können, die eine poetische Wirkung entfalten, erwähnt Deren Eingangsse-
quenzen und Traumsequenzen:
It seems to me that in many films, very often in the opening passages, you get the camera es-
tablishing the mood, and, when it does that, cinematically, those sections are quite different
from the rest of the film. […] The same would apply to the dream sequences. They occur at a
moment when the intensification is carried out not by action but by the illumination of that
moment.3

Diese Beispiele lassen sich als bestimmte Typen filmischer Syntagmen erfassen, wie sie
Christian Metz in seinem einflussreichen Text „Probleme der Denotation im Spielfilm“
entwickelt hat. So sind die achronologischen Syntagmen, in denen das „zeitliche Ver-
hältnis der durch die Bilder dargestellten Tatsachen unbestimmt“4 bleibt, Derens Über-

1
Ebd., 180.
2
Ebd., 186.
3
Ebd., 174.
4
Christian Metz: „Probleme der Denotation im Spielfilm“, in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte
zur Theorie des Films, Stuttgart 2003, 321–370. Hier: 338.
50 Was sind Poesiefilme?

legungen zur vertikalen Struktur sehr ähnlich. Vor allem das Syntagma der zu-
sammenfassenden Klammerung, das sich nach Metz dadurch auszeichnet, dass es ver-
schiedene zeitlich unbestimmte, kurze Szenen zusammenfasst, die, vom Fortgang der
Erzählung isoliert, eine Reihung ähnlicher Motive bilden, ist hier einschlägig. Das von
Metz gewählte Beispiel aus Godards Film UNE FEMME MARIÉE (1964), ließe sich durch
eine der Beschreibung noch viel eher entsprechende Sequenz aus BANDE A PART (1965)
ergänzen: Den Übergang zwischen Spielhandlung zum Syntagma der zusammenfas-
senden Klammerung bildet eine Szene in der Métro, wo die Protagonisten die übrigen
Passagiere beobachten, während sie sich über die Rätselhaftigkeit der ihnen fremden
Gesichter und ihrer anonymen Schicksale unterhalten. Dann beginnt Anna Karina zu
singen und es ist eine Montage räumlich und zeitlich nicht zusammenhängender Motive
zu sehen: eine einsame Frau an einem Cafétisch, ein schlafender Obdachloser, Passan-
ten, ein Schlafender, Soldaten auf einem Bahnsteig, unterbrochen nur durch einige Auf-
nahmen der singenden, in die Kamera blickenden Schauspielerin. Sie werden jedoch
durch die Thematik der Vereinzelung und Brüderlichkeit zusammengehalten, die auch
im Text des gesungenen Liedes anklingt. Gleichwohl können nicht nur die achro-
nologischen Syntagmen, also jene, die ein unbestimmtes Verhältnis zur Zeit haben, als
poetische Syntagmen bezeichnet werden. Auch das zu den chronologischen Syntagmen
zählende deskriptive Syntagma, das eine filmische Beschreibung liefert, entspricht dem,
was Deren als Beispiel für poetische Anteile in Spielfilmen anführt, die ‚in eine Stim-
mung einführen‘.1 Ganz in diesem Sinne grenzt Metz die übrigen chronologischen Syn-
tagmen von den erwähnten Typen wie folgt ab: „Alle anderen chronologischen Syn-
tagmen, ausgenommen also das deskriptive Syntagma sind narrative Syntagmen, in
denen die zeitliche Beziehung zwischen den im Bilde dargestellten Gegenständen oder
Ereignissen auch eine Konsekution ist und nicht nur eine der Simultaneität.“2
Das Verschwinden im eigenen (störungsfreien) Vollzug gehört zu den konstitutiven
Eigenschaften von Medien. Das gilt für die Medien der Literatur natürlich gleicherma-
ßen, im Falle des Filmes ist diese Eigenschaft jedoch (wenn auch nicht ausschließlich)
Funktion des kinematographischen Apparates. Angesichts der daraus entstehenden
Transparenz des Mediums, dem sogenannten filmischen Realitätseffekt, der dem Film
notorisch anzuhaften scheint, bietet eine Übertragung poetischer Konzepte auf den Film
Ansatzpunkte zu einer Medien- und Kulturkritik. Wenn die poetische Funktion im Sin-
ne Jakobsons als eine Konzentration auf die Nachricht, auf die Spürbarkeit der Zeichen
verstanden wird, kann dies angewendet auf den Film nur heißen: eine Konzentration
auf die filmischen Zeichen und die filmspezifischen Darstellungsmodi herzustellen. Bis
in die sechziger Jahre hinein bleibt die Assoziation des Lyrischen oder Poetischen mit
dem Underground- oder Avantgardefilmgenre ein fester Bestandteil des kritischen Dis-

1
Das deskriptive Syntagma beschreibt, indem beispielsweise in mehreren aufeinanderfolgenden
Einstellungen Ausschnitte aus einer Realität gezeigt werden, die als simultan gedacht werden muss.
Somit ist es zwar zeitlich bestimmt, bildet aber keine Abfolge.
2
Christian Metz: „Probleme der Denotation“, 341.
Der poetische Film 51
kurses. Auch Parker Tyler, Undergroundfilmkritiker der ersten Stunde, überführt in sei-
nen Überlegungen zu grundlegenden Filmformen die Begriffe „Epos“, „Mythos“ und
„Lyrik“ auf den Bereich des Filmes.1 Der Begriff des Lyrischen wird dabei dezidiert
vom Literarischen als Sprachkunst gelöst:
Um noch einmal auf die ästhetische Formel der horizontalen und vertikalen Entwicklung zu-
rückzukommen, so hat die richtige Unterscheidung zwischen einem lyrischem Film und einem
erzählerischen Film nichts unmittelbar mit gesprochener oder geschriebener Sprache zu tun.
Im literarischen Sinne gibt es gleichzeitig Unterschiede zwischen dem Roman und der Lyrik,
die denjenigen zwischen dem erzählenden (horizontalen) und dem lyrischen (vertikalen) Film
entsprechen.2

Wie diese Ausführungen zeigen, ist die Entsprechung als eine Entsprechung zwischen
Unterschieden zu verstehen. Die Bezeichnung „lyrisch“ beruht darauf, dass das Ver-
hältnis von Roman und Gedicht sich mit dem Verhältnis von Spielfilm und Avantgarde-
film vergleichen lässt. Der lyrische oder poetische Film verhält sich in Fragen des
Handlungsbezuges, der Länge, der Rezeptionshaltung, der Massenwirksamkeit oder der
Selbstreferenz wie bestimmte Formen der Lyrik zu erzählerischen Formen.
Stan Brakhage, der zu den einflussreichsten Künstlern des New American Cinema
gehört, hat sich stets ausdrücklich in die Tradition von Maya Deren gestellt. Einer der
maßgeblichen Experten für das US-amerikanische Avantgardekino, P. Adams Sitney,
hat sich eingehend mit Brakhages Werk im Kontext der Avantgarde beschäftigt und
seine Überlegungen zu einer bestimmten Phase in dessen filmischem Werk auf die
Formel des lyrical films gebracht. Wenn Sitney Brakhages Filme als lyrisch charakteri-
siert, so bezieht sich diese gattungsmäßige Bestimmung vor allem auf die subjektive
Redeweise, die bei Brakhage in einer Thematisierung des Kamerablicks besteht:
The lyrical film postulates the film-maker behind the camera as the first-person protagonist of
the film. The images of the film are what he sees, filmed in such a way that we never forget
his presence and we know how he is reacting to his vision. In the lyrical form there is no long-
er a hero, instead, the screen is filled with movement, and that movement both of the camera
and the screen reverberates with the idea of a man looking. As viewers we see this man’s in-
tense experience of seeing.3

Offenbar schließen sich in dieser Beobachtung eine Auffassung von Lyrik als Gattung
des Subjektiven mit der formtheoretischen Annahme einer erhöhten Selbstreferentialität
der Gattung zusammen. Diese Reflexion der filmischen Wahrnehmung lässt sich mit
den Überlegungen in Beziehung setzen, die Lindemann in Bezug auf Deren und Jakob-
son über die Selbstreflexion des filmischen Mediums anstellt. In diese Argumentation
fügt sich auch die bei Brakhage vorherrschende Flächigkeit der Bilder, die im Gegen-
satz zur zentralperspektivischen Tiefenillusion des Spielfilmes, nicht auf das Darge-

1
Siehe Parker Tyler: Underground Film. Eine kritische Darstellung, Frankfurt am Main 1970, 188.
2
Ebd.
3
P. Adams Sitney: Visionary Film. The American Avant-garde, Oxford 1979, 142.
52 Was sind Poesiefilme?

stellte, sondern auf ihre eigene Medialität verweisen.1 Sitney macht das Lyrische in
Brakhages Filmen an einer Flächigkeit fest, die er mit dem Raumempfinden abstrakter
expressionistischer Gemälde vergleicht, einer multiperspektivischen Vielschichtigkeit,
die durch Überblendungen realisiert wird und nur selten um auf einen Fluchtpunkt aus-
gerichtete zentralperspektivische Tiefen erweitert wird: „Finally, the film maker wor-
king in the lyrical mode affirms the actual flatness and whiteness of the screen,
rejecting for the most part its traditional use as a window into illusion.“ 2 Eine Kritik,
die sicherlich auch im Kontext der Apparatus-Theorie3 zu sehen ist, die die zentralper-
spektivische Konstruktion des Bildraumes durch die Filmkamera als ideologisch verur-
teilt. Neben der Flächigkeit sind es die Ähnlichkeit, Wiederholung, Inversion und Vari-
ation4 einzelner Motive, die Brakhages Filme als lyrisch kennzeichnen. Auch hier
schimmert das strukturalistische Poesieverständnis durch, demzufolge das Prinzip der
Abfolge ja durch das Prinzip der Wiederholung überlagert wird. 5 Die vielkritisierte
Transparenz des filmischen Mediums ist keineswegs seit Beginn der Filmgeschichte
vorherrschend. Hatte die Apparatus-Theorie stets die Auffassung vertreten, dass die
Differenz der Einzelbilder, mit Hilfe derer sich der filmische Bewegungseindruck her-
stellt, nie genügend beachtet worden ist, so verweist Joachim Paech auf die früheste
Begeisterung für den technischen Aspekt der ‚laufenden Bilder‘ und spricht daher von
einem „‚Vergessen‘ der apparativen Bedingtheit“ als einem „Effekt ihres
Unsichtbarwerdens durch eine historisch eingrenzbare Produktionsweise.“ 6 Nicht der
Film als technisches Medium produziert Transparenz, sondern die nach einer Phase der
Experimente sich verfestigende Funktionszuweisung und Produktionsweise des narrati-
ven Spielfilmes. Eine Alternative zu dieser Form wird in den Diskursen um den poeti-
schen Film immer wieder sichtbar.
Keiner der bisher erwähnten Filmschaffenden hat mit den Konzeptionen des poeti-
schen Filmes ein breiteres Publikum erreichen können. Im Gegenteil, eher wirkt es so,
als sei die Rede vom poetischen Film fest an eine sich vom Mainstream abgrenzende
Avantgarde-Bewegung gebunden und bestünde sogar im Kern darin, schwierig, unver-
ständlich oder irritierend zu sein. Ein bis in die Gegenwart hinein höchst erfolgreicher
Regisseur, der als ausgesprochen poesie-affin gelten muss, da er sich nicht nur immer

1
Zum Topos der Flächigkeit als Strukturmerkmal des Modernismus siehe Michel Foucault: Die
Malerei von Manet, Berlin 1999; zur ideologischen Funktion der Zentralperspektive in Malerei und
Film siehe exemplarisch für die Apparatus Theory Jean-Louis Baudry: „Ideological Effects of the
Basic Cinematic Apparatus“, in: Philip Rosen (Hg.): Narrative, Apparatus, Ideology. A Film Theo-
ry Reader, New York/N.Y. 1986, 286–298.
2
P. Adams Sitney: Visionary Film, 142.
3
Wichtige Texte versammelt Philip Rosen (Hg.): Narrative, Apparatus, Ideology. A Film Theory
Reader, New York/N.Y. 1986.
4
Siehe P. Adams Sitney: Visionary Film, 144.
5
Siehe Roman Jakobson: „Poesie der Grammatik“, 253.
6
Joachim Paech: „Überlegungen zum Dispositiv“, 403.
Der poetische Film 53
wieder ausdrücklich auf die Poesie berufen hat, sondern außerdem wiederholt lyrische
Texte in seine Filme eingebracht hat, bildet hier eine Ausnahme: Andrej Tarkovskij.1
Es wäre ganz und gar falsch, diesen bedeutenden russischen Regisseur als Avantgar-
disten oder als Experimentalfilmer zu bezeichnen. Tarkovskij hat sich im Gegenteil
stets vom formalen Experiment und einer Avantgarde, die einem bloßen Fortschritts-
gedanken in der Kunst anhängt, distanziert.2 Dementsprechend setzen seine Reflektio-
nen zum poetischen Film weniger bei formalen Strukturen an, sondern wählen das Poe-
tische als Prinzip, gar als Philosophie, die den Film in seiner Montage, seinem mise-en-
scène und seiner Dramaturgie durchzieht: „Wenn ich hier von Poesie spreche, dann
habe ich dabei kein bestimmtes Genre im Sinn. Poesie – das ist für mich eine Weltsicht,
eine besondere Form des Verhältnisses zur Wirklichkeit.“3 Auch für Tarkovskij besteht
ein wesentliches Element des poetischen Filmes in der Behandlung der Sujet-Entwick-
lung. Anstelle einer traditionellen Dramaturgie, die sich am Drama orientiert, strebt
Tarkovskij eine poetische Verknüpfung an, die er in größerer Nähe zum Leben sieht.
Während er die dramatische Behandlung mit ihren logisch-spekulativen Strukturen für
eine Vergröberung der Lebensrealität hält, kann sich die poetische Logik komplexen
Prozessen der Gedankenbildung annähern, die nicht rein rational oder nach konventio-
nellen Mustern ablaufen:
Für die Kunst dagegen bieten jene assoziierbaren Verknüpfungen, in denen sich rationale und
emotionale Wertungen des Lebens miteinander verbinden, zweifellos viel reichere Möglich-
keiten. Und es ist durchaus schade, daß der Film diese Möglichkeiten so selten nutzt. Denn
dieser Weg ist vielversprechender. In ihm liegt eine innere Kraft, die das Material, aus dem
ein Bild gemacht ist, ‚aufzusprengen‘ vermag.4

Obwohl sich Tarkovskij, was etwa Rhythmus und Montage betrifft, entschieden von
den Filmtheorien des russischen Formalismus entfernt, sind seine ästhetischen Zielset-
zungen insgesamt doch ähnlich gelagert. Im Sinne einer Entautomatisierung wird die
assoziierende Vorgehensweise der poetischen Logik als rezeptionserschwerend und
-verzögernd der allgemein üblichen Folgerichtigkeit der Darstellung entgegengesetzt.
Der poetische Film soll nicht nur die Wiedergabe von Fakten, die Übertragung von Be-
deutung, sondern auch die Übermittlung von Empfindungen oder Stimmungen leisten.
Mit der poetischen Verknüpfungsweise eng verbunden ist eine erwartete aktive Re-
zeptionshaltung des Publikums, dem Tarkovskij eine geradezu mitschöpfende Rolle zu-
weist. Indem nicht alle Informationen in der gewohnten Weise vorliegen, wird gleich-
zeitig die Notwendigkeit geschaffen, eine eigene Syntheseleistung zu vollbringen.5

1
Ein Gedichtfilm im engeren Sinne ist ZERKALO (Spiegel, 1975). Hier integriert Tarkovskij Gedichte
seines Vaters Arsenij und bringt zahlreiche weitere Zitate aus der russischen Literatur.
2
Siehe Andrej A. Tarkovskij: Die versiegelte Zeit. Gedanken zur Kunst, zur Ästhetik und Poetik des
Films, Berlin 1989, 104.
3
Ebd., 23.
4
Ebd.
5
Siehe ebd.
54 Was sind Poesiefilme?

Wenn Tarkovskij davon spricht, dass beim Publikum eine der realen Erfahrung ana-
loge Empfindung erzeugt werden soll, so geschieht dies vor dem Hintergrund eines
Verständnisses des Filmemachers als Autor, der in seinen Filmen sein subjektives Erle-
ben und seine Imagination darstellt.1 Sehr nah an der subjektivistischen Lyriktheorie
bewegt sich Tarkovskij mit seinen Überlegungen zur Darstellung der inneren Vorgänge
des Helden im Film:
Irgendwie deckt sich diese Verfahrensweise mit der literarischen, ja sogar der poetischen Dar-
stellungsform des lyrischen Helden: Er selbst tritt gar nicht auf. Doch das, wie und worüber er
nachdenkt, liefert eine klare, festumrissene Vorstellung von ihm. In der Folge wurde auch der
‚Spiegel‘ so konstruiert.2

Ein weiterer zentraler Topos in Tarkovskijs Filmpoesie ist die Bildhaftigkeit. Dies
könnte als Banalität missverstanden werden, wenn nicht mit dem Bild in diesem Zu-
sammenhang etwas bezeichnet wäre, was über die dem Medium inhärente Visualität hi-
nausgeht und sich dadurch einer näheren Betrachtung empfiehlt. Nach Tarkovskij eig-
net dem idealen filmischen Bild eine über das Visuelle hinausgehende künstlerische
Bildlichkeit, die er als Verkörperung des Unendlichen bezeichnet. Anders als Gedan-
ken, die sich verbal formulieren lassen, bietet sich das künstlerische Bild der emotiona-
len und fühlenden Wahrnehmung dar: „Ein Bild kann man erschaffen und fühlen, es
akzeptieren oder ablehnen, aber nicht im rationalen Sinne dieser Handlung begreifen.
Die Idee des Unendlichen kann man nicht mit Worten ausdrücken, nicht einmal be-
schreiben.“3 Zwei Argumente Tarkovskijs sind in diesem Zusammenhang zentral. Zum
einen geht es um die Eigenständigkeit des Filmes, der dabei ist, sich von kunstfremden
Einflüssen zu lösen. Nicht in einer strukturellen Sprachähnlichkeit situiert Tarkovskij
daher das Poetische, sondern gerade in einer über das Begriffliche hinausgehenden
Affizierung durch die dem Film eigentümlichen Mittel. Zum anderen geht es um die be-
sondere Markierung des Moments, um etwas, was man als Schwere des Bildes oder mit
Tarkovskijs eigenen Worten als „Tiefe des Bildes“4 apostrophieren könnte. In Tar-
kovskijs Filmen wird diese Schwere meines Erachtens auch durch eine besondere
Handhabung des Tons erzeugt. Das „Bild“ ist in Tarkovskijs Poetik eine Formel poe-
tologischer Provenienz: Es ist ein poetisches Bild und es bewahrt gleichzeitig seine
eigene unvermittelte Evidenz. Daher der Nachdruck mit dem Tarkovskij die bloße Zei-
chenhaftigkeit, Begriffshaftigkeit und Schematisierung im Film ablehnt.5
Auch in der neueren Filmwissenschaft ist der Vergleich zwischen bestimmten Fil-
men und der literarischen Gattung der Lyrik anzutreffen. Die Neoformalisten Kristin
Thompson und David Bordwell widmen sich in ihrer Einführung Film Art unter ande-

1
Siehe ebd., 36.
2
Ebd., 33.
3
Ebd., 45.
4
Ebd., 28.
5
Ebd.
Der poetische Film 55
rem der nicht-narrativen Filmkunst und entwerfen dabei eine interessante Typologie der
nicht-narrativen formalen Systeme. Sie unterscheiden kategoriale, rhetorische, abstrak-
te und assoziative Typen (associational types). „Categorical films divide a subject into
parts, or categories“1 , während die rhetorische Form argumentativ strukturiert ist. Die
abstrakte Form kommt der Beschreibung nach einer poetischen Form nahe, denn
Thompson und Bordwell heben nichts weniger als die Poetizität der abstrakten Filme
hervor: „In this type of organization the audience’s attention is drawn to abstract visual
and sonic qualities of the things depicted – shape, color, aural rhythm and the like.“2
Einen Vergleich mit der Lyrik ziehen Thomspon und Bordwell jedoch bei der Defini-
tion der assoziativen Form (associational form), die eine Haltung ausdrückt oder eine
Stimmung erzeugt: „[…] it works through the juxtaposition of loosely connected
images to suggest an emotion or a concept to the spectator.“3 Die Spezifik der asso-
ziativen Form besteht darin, keine Geschichte zu erzählen: „It offers no continuing cha-
racters, no specific causal connections, no defined duration, and no temporal order
among the scenes.“4
Die Analogie zur Lyrik liegt in dieser Typologie also zunächst in der Nicht-Narrati-
vität der Filme, in einem weiteren Schritt jedoch in ihrem emotional und subjektiv zu
erschließenden Inhalt, der mit der nicht-linearen Komposition einhergeht. Die Formu-
lierung der ‚lose verknüpften Einzelbilder‘ gehört in der Tat zu den Standardmetaphern
des Lyrik-Film-Vergleichs: „Associational formal system suggest expressive qualities
and concepts by grouping images.“5 Diese Gruppierungen verstehen sich jedoch nicht
als Kategorien oder beruhen allein auf den abstrakten visuellen Eigenschaften des Dar-
gestellten, sondern sind assoziative nicht-narrative Zusammenstellungen unverbundener
Dinge: „This process is somewhat comparable to the techniques of metaphor and simile
used in lyric poetry.“6 Zwei Prinzipien werden im assoziativen Film trotz aller kompo-
sitorischen Freiheit meist eingehalten: Zum einen werden die Bilder zu größeren Sets
gruppiert, zum anderen werden durch Wiederholung von Motiven die assoziativen Ver-
knüpfungen verstärkt. Das Moment der Wiederholung erhält bei der Charakterisierung
des assoziativen Formtyps bei Bordwell und Thompson besonderes Gewicht7 und weist
weist damit auf die Poetizitätskonzepte der russischen Formalisten zurück, die für die
Entwicklung der neoformalistischen Filmtheorie von größter Bedeutung waren.
Es lässt sich zusammenfassend feststellen, dass sich der Diskurs über einen poeti-
schen oder lyrikähnlichen Film auf eine ganze Reihe von Eigenschaften beruft, die in
einem Katalog lyrischer Merkmale traditionell aufgeführt werden. Dazu gehören nach
Müller-Zettelmanns Mehrkomponentenmodell die Tendenz zur „Reduktion des Darge-

1
David Bordwell/Kristin Thompson: Film Art. An Introduction, Boston 2008, 102.
2
Ebd., 102f.
3
Ebd., 103.
4
Ebd., 130.
5
Ebd., 127.
6
Ebd., 127f.
7
Siehe ebd., 129.
56 Was sind Poesiefilme?

stellten“1, die Tendenz zu „erhöhter manifester Artifizialität“ durch die „Überstrukturie-


rung der subsemantischen Strata“, die Tendenz zu „erhöhter Devianz“, die Tendenz zu
erhöhter „epistemologischer Subjektivität“ und die Labilität der Illusionsbildung2. Die
Argumente, mit denen bestimmte Filme als poetisch gekennzeichnet werden, speisen
sich jeweils aus verschiedenen Gattungsauffassungen der Lyrik.3 Meist lassen sie sich
jedoch an der Überstrukturierung, der Selbstreflexion oder dem besonderen Kunstcha-
rakter der lyrischen Sprache festmachen und sind insofern vor allem mit jenen Gat-
tungskonzepten verwandt, die der Gattung Lyrik einen erhöhten Grad an Poetizität
zuschreiben. Eine trennscharfe Differenzierung von Poesie und Lyrik wird in filmbezo-
genen Zusammenhängen, wie im Übrigen auch im außerwissenschaftlichen Literatur-
Diskurs, dagegen kaum durchgehalten. Das hat teilweise mit den bereits erwähnten
Übersetzungsschwierigkeiten im gattungstheoretischen Diskurs zu tun, hängt zum an-
deren aber mit der Geschichte des Poesiekonzepts im zwanzigsten Jahrhundert zu-
sammen, die von der Geschichte des Poesiefilmes nicht zu trennen ist. Beispiele4 wie
die Lyrischen Films Claire Golls und die Lyrik Rolf-Dieter Brinkmanns zeigen, dass
die diskursiven Volten im Bereich der Lyrik-Film-Beziehungen auch literaturgeschicht-
lich überaus interessant sind. Zu einem Zeitpunkt, wo sich Avantgardefilme zur Unter-
mauerung ihres Kunstcharakters als poetisch oder gar lyrisch verstehen (in den europäi-
schen Avantgarden der 20er bis 30er und in den USA der 50er bis 70er) versuchen
literarische Poetiken, sich von den Einschränkungen der diskursiven Literatursprache
zu befreien und greifen dabei metaphorisch und thematisch auf das Vokabular fil-
mischer Techniken zurück, die sie mit direkter Erfahrung und Unmittelbarkeit in Zu-
sammenhang bringen.

1.4 Poesiefilm und Literaturverfilmung


1.4.1 Abgrenzung und Vergleich

Die Lyrik kann im Rahmen dieser Untersuchung keine größere Rolle spielen, weil Lyrik ihrer
Seinsweise nach nicht verfilmbar ist, wenigstens nicht in der Bedeutung des Wortes, die bei
Prosa und Drama angelegt werden kann.5

So heißt es noch 1965 in Alfred Elstermanns klassischer Darstellung zur Verfilmung


literarischer Werke. An einem solchen Urteil, das für eine Arbeit über die Verfilmung

1
Eva Müller-Zettelmann: Lyrik und Metalyrik, 76.
2
Ebd., 84; ebd.; ebd., 100; ebd., 107; siehe ebd., 119.
3
Siehe Dieter Lamping: „Lyrikanalyse“.
4
Siehe Sandra Richter: „Lyrik im Ausgang“, siehe Jan Röhnert: Springende Gedanken und fla-
ckernde Bilder. Lyrik im Zeitalter der Kinematographie; Blaise Cendrars, John Ashbery, Rolf Die-
ter Brinkmann, Diss. Univ. Jena 2007, Göttingen 2007.
5
Alfred Estermann: Die Verfilmung literarischer Werke, Bonn 1965, 326.
Poesiefilm und Literaturverfilmung 57
von Lyrik natürlich eine Herausforderung darstellt, lässt sich einiges über die soge-
nannte „Seinsweise“1 der Lyrik, vor allem aber über das Verständnis von „Litera-
turverfilmung“ ablesen, das hier zu Grunde liegt. Indem ausschließlich den Gattungen
Epik und Drama Verfilmbarkeit zugestanden wird, bleibt Literaturverfilmung von vorn-
herein auf den Spielfilm beschränkt. Verfilmungen lyrischer Gedichte sind damit aus
ihrem Bereich ausgeschlossen. Bezeichnenderweise gehört zu den wenigen Sonder-
fällen, die Elstermann gelten lässt, ausgerechnet die Ballade, die als handlungsreiches
Gedicht ohnehin traditionell einen Grenzfall lyrischer Gattungsbestimmungen aus-
macht. Der Unterscheidung, die dieser Ausschluss markiert, soll im Folgenden nachge-
gangen werden, indem Poesiefilm mit der „herkömmlichen“ Literaturverfilmung ver-
glichen wird. Dies geschieht zum einen in Form einer Abgrenzung des Poesiefilmes
von der Literaturverfilmung, mit der gezeigt werden soll, worin sich der Poesiefilm von
dieser unterscheidet, wo die für die Literaturverfilmung entwickelten Methoden beim
Poesiefilm an ihre Grenzen stoßen und die Konsequenzen daraus für die Untersuchung
des Poesiefilmes zu ziehen sind. Zum anderen kann der Poesiefilm auch als eine Son-
derform der Literaturverfilmung verstanden werden, insofern er unter produktions-
ästhetischer Perspektive Gedichte, also literarische Äußerungen, die in einem anderen
Medium vorliegen (akustische Speicherung oder Schrift) adaptiert und sich zu diesem
Medienwechsel in einer bestimmten Weise verhalten muss. Daher soll im zweiten Teil
dieses Kapitels vorgebracht werden, was die Untersuchung von Poesiefilmen der For-
schung über Literaturverfilmungen verdankt und was aus deren Ergebnissen für das
Studium des Phänomens zu gewinnen ist. Produktiv gemacht werden können die von
der Adaptionsforschung erarbeiteten Termini besonders dort, wo das Gedicht nicht im
Film zu hören oder zu lesen ist, sondern wo die Adaption lyrischer Texte ohne deren
konkrete sprachliche Reformulierung vorliegt.2 Dies soll am Beispiel des Filmes DER
HIMMEL ÜBER BERLIN (1987) gezeigt werden, der sich auf Rainer Maria Rilkes Duine-
ser Elegien bezieht.3
In ihrer wegweisenden Studie Der verwandelte Text, definiert Irmela Schneider die
Literaturverfilmung als „Transformation eines Textsystems von einem Zeichensystem
in ein anderes“4. Literaturverfilmungen werden damit in erster Linie als Umwand-
lungsprozesse betrachtet, infolge derer verbalsprachlich verfasste Texte in filmische
Texte überführt werden. Abgesehen von der durchaus umstrittenen Rede vom „filmi-

1
Siehe Kapitel 1.1. Elstermann folgt hier im Übrigen der Lyrikauffassung Emils Staigers.
2
Ich bezeichne die Adaption als Typ des Poesiefilmes, der eine Transformation des Gedichtes leis-
tet, wo es also nicht um die materielle Integration des Gedichtes ins audiovisuelle Medium geht.
3
Die hier gebrauchte Formulierung der Bezugnahme geht auf die Intermedialitätsforschung zurück
und markiert eine Forschungsperspektive, die von der produktionsorientierten Adaptionsforschung
abweicht. Statt Literaturverfilmung als Transformationsprozess zu fassen, werden mehr oder weni-
ger markierte Bezugnahmen im Zieltext aufgesucht. (Siehe Irina O. Rajewsky, Intermedialität, 11.)
4
Irmela Schneider: Der verwandelte Text. Wege zu einer Theorie der Literaturverfilmung, Tübingen
1981, 18.
58 Was sind Poesiefilme?

schen Text“ erweist sich diese im narrativen Feld äußerst erhellende Definition für eine
Anwendung auf den Poesiefilm aus zwei Gründen als problematisch. Zum einen kann
dort der betreffende literarische Text durchaus weiterhin in verbalsprachlicher Form,
als gesprochenes oder geschriebenes Gedicht, rezipierbar sein, wie im Falle des Ge-
dichtfilmes.1 Es handelt sich dann gar nicht, oder nicht nur, um eine semiotische Trans-
formation, sondern um die Integration des Gedichtes in einen neuen medialen Kontext.
Zum anderen sind Schneiders Analysen aufgrund ihrer semiotischen Fundierung blind
für performative Aspekte verfilmter Literatur. In semiotischen Strukturanalysen werden
Filme wie Romane als Textsysteme betrachtet, die mit diversen Codes operieren. Medi-
enspezifische Unterschiede werden dabei vor allem als abweichende Sets der zu Grun-
de liegenden Codes beziehungsweise Zeichensysteme aufgefasst. Was in dieser Be-
obachtung sekundär bleiben muss, sind die Materialität und die technische Medialität
der realisierten Zeichen selbst. Diese sind jedoch besonders für die lyrische Gattung als
bedeutsam anzusehen, tragen sie doch gerade hier einen großen Teil zur ästhetischen
Erfahrung bei. Die Konstruktion, selbst die heuristische Konstruktion, eines autonomen
Systems, das unabhängig von dessen semiotischer Realisierung gedacht wird, über-
springt damit gerade die Ebene, die für die poetische Sprachverwendung elementar ist.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen Poesiefilm und Literaturverfilmung besteht
darin, dass es sich bei einer wichtigen Gruppe von Poesiefilmen, den Gedichtfilmen,
gar nicht um eine Transformation im Sinne einer „Übersetzung“ von einem Zeichensys-
tem in ein anderes handelt. Wo die Gedichte in ihrer sprachlichen Gestalt präsent blei-
ben und um ihre stimmliche Realisierung oder schriftliche Bewegung sowie um andere
klangliche und visuelle Elemente bereichert werden, haben wir es in erster Linie mit
einer Form der Aufführung zu tun, für deren Erfassung ganz andere Kategorien relevant
werden. Wie tritt das Gedicht in seiner neuen Gestalt mit anderen Zeichensystemen in
Beziehung? Werden seine sprachkünstlerischen Eigenschaften durch die audiovisuelle
Umsetzung betont, abgeschwächt oder in ihrer Wirkung verändert?
Was die Subsumierung des Poesiefilmes unter die Literaturverfilmung jedoch am
stärksten behindert, ist die starke Konzentration der Forschung auf das Erzählen:
Literaturverfilmung wurde als Transformation eines Textsystems von einem Zeichensystem in
ein anderes Zeichensystem bestimmt. Im Zusammenhang mit der Frage nach einem funda-
mentalen tertium comparationis zwischen Buch-Literatur und Film wurde Literaturverfilmung
als die Manifestation dessen bestimmt, was sich analytisch als die elementare Beziehung zwi-
schen Buch-Literatur und Film ermitteln lässt – das Phänomen des Erzählens.2

Das tertium comparationis von Literatur und Film auf das Erzählen zu reduzieren, heißt
jedoch, eine historische Entwicklung zu einem fundamentalen semiotischen Faktum zu
verabsolutieren. Dies entspricht weder den medialen Möglichkeiten noch den tatsächli-
chen Realisierungen des Filmes, einem Medium, das ebenso nicht-narrative und sogar
abstrakte Werke hervorgebracht hat wie die Literatur. Die Geschichte des Kinos ist so

1
Als Gedichtfilm bezeichne ich alle Poesiefilme, in die ein Gedicht stimmlich oder schriftlich inte-
griert wird. Diese grenzen sich dadurch vom poetischen Film und von der Gedichtverfilmung ab.
2
Ebd., 27.
Poesiefilm und Literaturverfilmung 59
stark an die Narration geknüpft worden, dass diese als fundamentale Eigenschaft des
Filmes gilt. Das geht so weit, dass jeglicher Versuch einer alternativen filmischen Äs-
thetik nur als Kritik der traditionellen Narrativität wahrgenommen wird, die als solche
natürlich von dieser abhängig und letztlich auf sie bezogen bleibt.1 Dies trifft sicher für
einen großen Teil des Avantgardekinos und Experimentalfilmes zu, ignoriert jedoch all
jene Arbeiten, die kein Interesse an der Narration haben und eigenständige ästhetische
Programme verfolgen.
Untersuchungen von Literaturverfilmungen bewegen sich, was angesichts der histo-
rischen Dominanz des Spielfilmes kaum überraschend ist, hauptsächlich auf dem Ge-
biet der Narratologie. Die Narratologie hat außerordentlich differenzierte Beschrei-
bungskategorien und Definitionen ihres Gegenstandes hervorbringen können, deren
Übertragbarkeit auf außerliterarische Medien in der transmedialen Narratologie eigens
untersucht wird.2 Ausgehend von der Beobachtung, dass Spielfilme eine Form der Nar-
ration sind, die die wichtigsten Merkmale des Erzählens mit der Literatur gemeinsam
hat, werden Konzepte wie Fokalisierung und Perspektive, Diegese, Zeitgestaltung und
unzuverlässiges Erzählen auf den Film angewendet und für die narratologische Analyse
von Spielfilmen zum Einsatz gebracht.3
Die Analyse von Gedichtfilmen zeigt, dass sich diese in vielen Punkten der narrato-
logischen Analyse entziehen. Hier müssen einige kurze Hinweise genügen: Viele Ge-
dichtfilme sind durch häufige Wechsel von On- zu Off-Stimme gekennzeichnet. Sie fol-
gen damit einem Muster, dass eher in einem nicht-narrativen Format wie dem Mu-
sikvideo anzutreffen ist, wo Montage nicht in erster Linie eine Erzählung konstituiert,
sondern Musik das dominierende Kompositionsprinzip ist. Ein solcher Wechsel aber
würde im Spielfilm die wichtige Grenze zwischen diegetischem und nicht-diegetischem
Raum überschreiten und zeigt damit an, dass es in diesen Filmen oder Videos nicht zum
Aufbau einer stabilen diegetischen Welt kommt. Ähnliches gilt für die zeitliche Ein-
bettung der einzelnen Einstellungen, die in Gedichtfilmen häufig unbestimmt bleibt, so
dass weder von einer Sukzession noch von einer Gleichzeitigkeit gesprochen werden
kann.
Damit soll deutlich gemacht werden, dass narratologische Begriffe dort an ihre Gren-
zen stoßen, wo nicht in erster Linie erzählt wird. Es zeigt aber auch, dass gerade dort,
wo die am narrativen Film entwickelten Modelle nicht mehr greifen, charakteristische

1
Johann N. Schmidt: „Narration in Film.“ In: The Living Handbook of Narratology, online un-
ter: http://hup.sub.uni-hamburg.de/lhn/index.php/Narration_in_Film, 21.
2
Siehe Peter Hühn: „Plotting the Lyric. Forms of Narration in Poetry“, in: Eva Müller-
Zettelmann/Margarete Rubik (Hg.): Theory into Poetry. New Approaches to the Lyric, Amsterdam
2005, 147–172. Hier: 147. Transmediale Erzählstrategien erforscht Marie-Laure Ryan: „On the
Theoretical Foundation of Transmedial Narratology“, in: Jan Christoph Meister (Hg.): Narratology
Beyond Literary Criticism. Mediality, Disciplinarity, Berlin 2005, 1–23, sowie das Forschungs-
projekt „Medialität – Transmedialität – Narration: Perspektiven einer transgenerischen und trans-
medialen Narratologie (Film, Theater, Literatur)“ unter Leitung von Irina Rajwesky an der Freien
Universität Berlin.
3
Johann N. Schmidt: „Narration in Film“, 23–47 und ebd., 51.
60 Was sind Poesiefilme?

Merkmale des Poesiefilmes markiert hervortreten können. Diese Markierungen lassen


sich häufig auch dann feststellen, wenn es in überwiegend narrativen Spielfilmen zu
einer Integration von lyrischen Texten kommt. Die diegetische Welt wird verlassen,
zeitliche und räumliche Bezüge werden unbestimmt und treten vorübergehend hinter
ein anderes Kompositionsprinzip zurück.1
Trotz der zunehmenden Beachtung, die der Filmton in den letzten Jahren erfahren
hat, wird Film häufig noch einseitig als visuelles Medium aufgefasst, so dass sowohl
die Untersuchung von Literaturverfilmungen als auch die Forschung über Literatur und
Film auf das Verhältnis von Wort und Bild, oder Bild und Sprache reduziert werden.2
Das ist angesichts der Vielzahl semiotischer Codes, die das filmische Medium bestim-
men, eine grobe Vereinfachung der Sachlage.3 Gewiss muss die radikale Unter-
schiedenheit von Wort und Bild zu den zentralen Problemen der Literaturverfilmung
gezählt werden, dabei kann jedoch leicht übersehen werden, dass Film nicht nur aus
Bildern besteht, sondern (fast immer) auch eine Tonebene besitzt, eben ein audio-
visuelles Medium ist. Kamilla Elliott hat in ihrer Studie der Forschung über Literatur-
Film-Beziehungen und Literaturverfilmung auf überzeugende Weise Argumenta-
tionsfiguren aufgezeigt, die die Debatte über Dichtung und Bildende Kunst des acht-
zehnten Jahrhunderts in Erinnerung rufen.4 Mit dem Ziel, die Repräsentationsbereiche
der Künste scharf voneinander abzugrenzen, wird dabei in ganz ähnlicher Weise auf
Lessings Laokoon-Aufsatz Bezug genommen.5 Film wird als Medium, das sich sowohl
in der Zeit als auch im Raum ausdehnt, konzipiert. Dabei wird jedoch in keinem Mo-
ment in Frage gestellt, dass es sich beim Film um ein visuelles, bei der Sprache um ein
diskursives Medium handelt. Elliot stellt sich dieser Vereinfachung entgegen:
Novels are not poems; films are not paintings. Novels have been illustrated: nineteenth centu-
ry novels in particular are brimful of pictorial initials, vignettes, full-page plates, frontispieces,
and endpieces. Films abound in dialogue, intertitles, subtitles, voice-over narration, credits,
and graphic words on sets and props. Yet scholars continue to designate the novel ‚words‘ and
the film ‚images‘ and to define them according to Lessing’s categorizations of poetry and
painting.6

Wenn sowohl Romane, vor allem aber Filme als Gemisch von bildhaften und sprachli-
chen Elementen angesehen werden müssen, dann wird deutlich, dass Untersuchungen,
die in der Literaturverfilmung hauptsächlich eine Übertragung vom abstrakten Wort ins

1
Tarkovskij: ZERKALO (Der Spiegel, 1975), Godard: BANDE A PART (Die Außenseiterbande, 1964).
2
Noch 2007 wird die Tonebene als wichtiges Desiderat der Adaptionsforschung genannt: „Perhaps
the most overlooked of all aspects of literature on film studies, which almost always concentrates
on word/image debates is sound.“ (Deborah Cartmell/Imelda Whelehan: „Introduction. Literature
on Screen: a Synoptic View“, in: Deborah Cartmell/Imelda Whelehan (Hg.): The Cambridge Com-
panion to Literature on Screen, Cambridge 2007, 1–11. Hier: 10).
3
Die noch von Irmela Schneider (Der verwandelte Text, 115) vertretene Abstraktion von Ton, Ge-
räusch und Musik in filmsemiotischen Analysen kann mittlerweile als überholt angesehen werden.
4
Siehe Kamilla Elliott: Rethinking the Novel/Film Debate, Cambridge 2003.
5
Ebd., 6f.
6
Ebd., 12f.
Poesiefilm und Literaturverfilmung 61
konkrete Bild suchen, dem Phänomen nicht ganz gerecht werden. In noch stärkerem
Maße gilt dies für Gedichtfilme, die ja literarische Texte in den Film integrieren, denn
Dichtung kann als Sprachwerk sowohl optisch als auch akustisch wahrgenommen wer-
den. Es gilt also zunächst auseinanderzuhalten, ob man sich auf die Wahrnehmungs-
ebene (visuell/akustisch) oder auf die Zeichenebene (Sprache/Bild) bezieht. 1 Bei der
dichotomischen Gegenüberstellung von Bild und Sprache werden diese semiotischen
und wahrnehmungstheoretischen Aspekte jedoch zumeist vermengt: Das Bild wird mit
einer konkreten, visuellen, simultanen, präsentischen Bedeutungsweise assoziiert, wäh-
rend Sprache der abstrakten, sukzessiven, signifikativen, vermittelten Repräsentation
zugeschlagen wird. Die Dichotomie zwischen Wort und Bild wird somit der Unter-
scheidung von Sagen und Zeigen gleichgesetzt.2 Bei dieser Gegenüberstellung von
Wort und Bild werden allerdings die zeigenden bzw. performativen Dimensionen der
gesprochenen oder geschriebenen Sprache ausgeblendet, die ein wichtiges Element
ihrer audiovisuellen Erscheinungsweise sind und der eine Untersuchung des Gedicht-
filmes unter allen Umständen Rechnung tragen sollte.3
Poesiefilme und insbesondere Gedichtfilme lassen sich nicht ohne weiteres der Lite-
raturverfilmung zuschlagen. In ihrem Fall ist das tertium comparationis von Literatur
und Film nicht in den oft genannten Merkmalen der Handlung oder des Erzählens zu
suchen, sondern, so meine Vermutung, in Phänomenen wie Rhythmus, Klang und
Komposition. Die Untersuchung hat sich in der Konsequenz der konkreten Realisierung
des Gedichtes in seiner audiovisuellen Form selbst zuzuwenden. Das bedeutet vor al-
lem, die vernachlässigte Dimension des Tons stark zu machen und sprechkünstlerische
Aspekte wie Stimme, Mimik und Gestik in die Analyse einzubeziehen. Schließlich gilt
es, das Gedicht in seiner Einbettung in die durch filmspezifische Mittel (mise en scène,
Kamerabewegung, Filmton und Montage) konstituierte audiovisuelle Botschaft zu be-
schreiben.

1
Siehe W.J.T. Mitchell: „There Are No Visual Media“, in: Oliver Grau (Hg.): MediaArtHistories,
Cambridge/Mass. 2007, 394–406; und W.J.T. Mitchell: „Image“, in: W.J.T. Mitchell/Mark B.N.
Hansen (Hg.): Critical Terms for Media Studies, Chicago/Ill. 2010, 35–48. Hier: 43.
2
Zwar sind Wort und Bild unterschiedene mediale Techniken. Das Wort repräsentiert den diskursi-
ven Modus, das Bild eine aisthetische Form, jedoch: „Beide – aisthetische und diskursive Formate
– sind nicht strikt voneinander trennbar: Sprache ist, wiewohl ,artikuliert‘, immer auch sinnliches
Geschehen. Umgekehrt sind Bilder oder Wahrnehmungen in hohem Maße textuiert. Ihre Differenz
besteht wesentlich darin, daß diskursive Schemata der Herstellung und Umsetzung signifikanter
Ordnungen oder Sinnstrukturen dienen, während Bilder oder Musiken nicht vollständig auf diese
zurückgeführt werden können; sie bedürfen eines anderes Zugriffs. Er wäre weniger strukturell, als
vielmehr phänomenologisch vorzunehmen. Dann ergibt sich, um es vorwegzunehmen: Bilder zei-
gen, Töne, aufgrund ihrer zeitlichen Struktur, performieren.“ (Dieter Mersch: „Wort, Zahl, Bild“,
2).
3
Auf diese Dimensionen weist dagegen Sybille Krämer hin. (Siehe Sybille Krämer: „Sagen und
Zeigen. Sechs Perspektiven, in denen das Diskursive und das Ikonische in der Sprache konvergie-
ren“, in: Zeitschrift für Germanistik, H. 3, 2003, 509–519. Hier: 510).
62 Was sind Poesiefilme?

Wenn in den bisherigen Abschnitte versucht wurde zu zeigen, warum mit den für die
Literaturverfilmung erprobten Methoden (Semiotik, Narratologie) und Konzepten
(Transformation, Übersetzung, Wort-Bild-Dichotomie) das Phänomen Poesiefilm nicht
zu erfassen ist, so lassen sich natürlich andererseits auch Gemeinsamkeiten zwischen
beiden Gegenstandsbereichen feststellen. Denn unter einer anderen Perspektive lässt
sich Poesiefilm natürlich auch als eine Form der Literaturverfilmung, als Adaption von
Gedichten verstehen. Dann wären Poesiefilme je danach zu untersuchen, in welcher
Wiese sie die jeweiligen lyrischen Texte, aber eben auch strukturelle Gestaltungsmerk-
male in das filmische Medium übertragen. Wenn sich die Gemeinsamkeit zwischen
Film und Vorlage nicht vorrangig in einer erzählten Geschichte erkennen lässt, welche
Merkmale sind es dann, die aus einem Gedicht in einen Film übertragen werden? Mit
anderen Worten: Es stellt sich die Frage, was in einem Poesiefilm, in dem der konkrete
Gedichttext nicht wiederaufgenommen wird, eigentlich verfilmt wird. Einen möglichen
Anhaltspunkt für die Beantwortung dieser Frage bieten die jüngsten Bestrebungen,
narratologische Kategorien für die Untersuchung lyrischer Gedichte fruchtbar zu ma-
chen.1 Dabei geht es nicht darum, lyrische Gedichte ohne Rücksicht auf ihre spezifi-
schen Eigenschaften in das Raster einer narratologischen Analyse zu pressen, sondern
um den Versuch, in heuristischer Absicht narrative Elemente in lyrischen Texten zu
identifizieren und für eine differenzierte Analyse zu nutzen. Peter Hühn begründet in
einem Aufsatz die Möglichkeit einer narratologischen Lyrikanalyse folgendermaßen:
This paper is based on the assumption that lyric poems generally share the fundamental con-
stituents of story and discourse as well as the narrative act with narrative fiction in that they
likewise feature a sequence of incidents (usually of mental kind), mediate and shape it from a
distinctive perspective and present it from a particular point of time vis-à-vis the sequence of
incidents.2

Akzeptiert man die Vorannahme, dass sich auch lyrische Texte generell aus story und
discourse zusammensetzen, so lassen sich eine Reihe sinnvoller methodischer Anleihen
aus der Narratologie vornehmen. Zu den Kategorien, die nach Hühn für die Analyse ly-
rischer Gedichte Anwendung finden können, gehören Erzählschema, Erzählinstanz und
-perspektive (Stimme und Fokalisierung) sowie Sequentialisierung und Plot.
Insofern der Plot als Handlung seiner Definition nach eine Ordnung oder kausale
Verknüpfung isolierter Ereigniselemente auf der Ebene story darstellt, lässt sich der
Begriff sicher nicht ohne Modifikationen auf die Gesamtheit lyrischer Texte übertra-
gen. Hühn löst dieses Problem mit dem Konzept des poetic plot als einem syntagmati-
schen Strang, der nicht nur kausal und temporal, sondern auch anderweitig ‚motiviert‘
sein kann und stellt fest, dass Plots in lyrischen Gedichten typischerweise durch menta-
le oder psychologische Ereignisse wie Wahrnehmungen, Vorstellungen, Begehren,

1
Siehe Jörg Schönert/Peter Hühn/Malte Stein (Hg.): Lyrik und Narratologie. Text-Analysen zu
deutschsprachigen Gedichten vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Berlin 2007; Peter Hühn/Roy
Sommer: „Narration in Poetry and Drama.“ In: The Living Handbook of Narratology, online un-
ter: http://hup.sub.uni-hamburg.de/lhn/index.php/Narration_in_Poetry_and_Drama.
2
Peter Hühn: „Plotting the Lyric“, 148.
Poesiefilm und Literaturverfilmung 63
Ängste, Erinnerungen oder Gefühle sowie durch deren Bildung und Entwicklung her-
vorgebracht werden.1 Die narrativen Sequenzen können mit Hilfe mentaler Schemata
(frames und scripts) und Isotopien beschrieben werden.
Dass sich narratologische Methoden auf den Bereich der Lyrik als produktiv erwei-
sen können, zeigt sich besonders im Zusammenhang mit dem Problem der Mittelbar-
keit. Anstatt die Spezifität lyrischer Texte zu übergehen, wird eine historisch zentrale
Tendenz lyrischen Sprechens, die Tendenz, den Eindruck einer unmittelbaren perfor-
mativen Präsenz zu erzeugen, durch die narratologische Perspektive erst recht markiert:
[L]yric texts in the narrower sense (i.e. not just verse narratives or ballads) are distinguished
by a characteristic variability in the extent to which they use the range of levels and modes of
mediation. […] Similarly to the enacted utterances of characters in dramatic texts, however,
they can also seemingly efface the narrator’s level and create the impression of performative
immediacy of speaking. As a result, the speaker’s voice is felt to emanate from simultaneously
occurring experience and speech. What a narratological approach to poetry is able to provide
are a specific method of analyzing the sequential structure as well as a more precise instru-
ment for differentiating the levels and modes of mediation in lyric poems (both of which in
conventional manuals of poetry analysis are usually lacking).2

Für die Untersuchung von Literaturverfilmungen im Allgemeinen und Gedichtverfil-


mungen im Besonderen sind narratologische Gedichtanalysen ein hochinteressantes
Modell, denn sie erlauben es, auch dann, wenn keine Geschichte im traditionellen Sinn
erzählt wird, kleinste inhaltliche Einheiten zu isolieren und die verschiedenen Ebenen
der Mittelbarkeit und Perspektive mit den erprobten Mitteln der Narratologie zu be-
schreiben. Die versuchsweise transgenerische Übertragung narratologischer Begriffe
stellt insofern ein methodisches Bindeglied zwischen der stark an der Erzählfunktion
ausgerichteten Adaptionsforschung und der Lyrikfoschung und Lyrikanalyse dar.
Auch außerhalb narratologischer Analysen zeigt sich, dass Poesiefilm und Literatur-
verfilmung größere Gemeinsamkeiten haben, als zunächst angenommen. Während
durch die Fixierung auf Handlungselemente der Eindruck entstehen könnte, es gehe bei
der Literaturverfilmung stets um die Geschichte, also um ‚inhaltliche‘ Fragen (die In-
formationsebene), spielt die Textgestalt der literarischen Vorlage (die Faktur) hier
durchaus eine wichtige Rolle. Auch Verfilmungen von Romanen oder Dramen bezie-
hen sich zuweilen auf literarische Texte, die in einem hohen Maß sprachkünstlerisch
sind und aus diesem Grund als ‚unverfilmbar‘ gelten.
Hier soll nicht bestritten werden, daß es einfacher ist, einen weniger sprachkünstlerischen Text
zu verfilmen, der seine Erzähltechnik in den Dienst der Geschichte stellt, noch daß diese Texte
häufiger verfilmt wurden und werden als sprachkünstlerische Texte. Diese Tatsache aber leitet
sich nicht aus den ästhetischen Möglichkeiten der Transformation ab, sondern findet ihren

1
Siehe ebd., 149.
2
Peter Hühn/Roy Sommer: „Narration in Poetry“, 5. Hervorhebung S.O.
64 Was sind Poesiefilme?

Grund im medialen Umfeld von Literaturverfilmung, also in den Bedingungen ihrer Produk-
tion, Distribution und Rezeption.1

Anne Bohnenkamp hat in ihrer aktuelleren Definition der Literaturverfilmung gezeigt,


dass Literaturverfilmungen vor allem insofern zum Forschungsgegenstand der Litera-
turwissenschaft werden, wo sie sich für den literarischen Text als solchen interessieren.
Das heißt, dass sie Übertragungen nicht rein inhaltlicher, sondern auch struktureller Art
vornehmen, die die spezifisch literarische Gestalt des Textes anerkennen.2 Damit soll
keiner künstlichen Trennung von Form und Inhalt das Wort geredet werden, sondern im
Gegenteil darauf hingewiesen sein, dass selbst narrative Romanverfilmungen sich nicht
in einem Abziehen „narrativer Codes“ aus der literarischen Vorlage erschöpfen müssen,
sondern in unterschiedlichem Maße und in ihrem eigenen Medium Analogien für
sprachspezifische literarische Gestaltungsmittel herausbilden können.3 Irmela Schnei-
der folgt einer Unterscheidung André Bazins und bestimmt die Literaturverfilmung „im
emphatischen Sinne: es geht um die Umsetzung einer literarischen Vorlage in filmische
Bilder, bei der intentionale Analogien zum literarischen Text feststellbar sind, die es
verbieten, die literarische Vorlage als puren Stofflieferanten zu bestimmen.“4 Weit
davon entfernt, die konkrete Verfasstheit des sprachlichen Kunstwerks zu ignorieren,
ist also auch die narrative Literaturverfilmung dadurch gekennzeichnet, dass sie Analo-
gien zur literarischen Vorlage ausbildet: „Wenn hier von einer Analogiebildung zur
literarischen Vorlage gesprochen wird, so meint das nicht eine Strukturverwandtschaft
in den Zeichensystemen, sondern eine Strukturverwandtschaft in der Art der Verwen-
dung des Zeichensystems, im Umgang mit den Codes.“5 Über diese Bestimmungen
möchte ich in meinen Überlegungen insofern hinausgehen, als dies auf Poesiefilme in
besonderem Maß zutrifft, insofern sie nämlich die Gedichte als Gedichte, also mit ei-
nem Interesse an ihrer konkreten sprachkünstlerischen Gestalt verfilmen, in einer Art
und Weise, die sich nicht auf die Wiedergabe eines Plots reduzieren lässt. Auch wenn
das Gedicht nicht in den Film übernommen, sondern lediglich „adaptiert“ wird, ist von
einer verstärkten Analogiebildung zu sprachspezifischen Codes auszugehen. Es sind
diese Analogiebildungen im Transformationsprozess der Literaturverfilmung, die für
die Untersuchung des Poesiefilmes interessante Anknüpfungspunkte bilden. Schon
Schneiders Studie aus dem Jahr 1981, belegt implizit, dass Analogiebildungen zu litera-
rischen Codes nicht nur auf der Ebene der narrativen Codes erfolgen können, sondern

1
Irmela Schneider: Der verwandelte Text, 158.
2
Anne Bohnenkamp: „Vorwort“, 13.
3
So untersucht Matthias Hurst, die erzählperspektivische Gestaltung, die die Literarizität des Ro-
mans ausmacht auf ihre Übertragbarkeit ins filmische Medium. (Siehe Matthias Hurst: Erzähl-
situationen in Literatur und Film. Ein Modell zur vergleichenden Analyse von literarischen Texten
und filmischen Adaptionen, Diss. Univ. Heidelberg 1994, Tübingen 1996).
4
Irmela Schneider, Der verwandelte Text, 119.
5
Ebd., 161.
Poesiefilm und Literaturverfilmung 65
sich auch auf Eigenschaften literarischen Sprechens beziehen, die charakteristisch für
die lyrische Sprachverwendung sind.1

1.4.2 Wim Wenders’ Rilke: DER HIMMEL ÜBER BERLIN

Dass es sich bei dem 1987 erschienenen Werk DER HIMMEL ÜBER BERLIN um einen
außergewöhnlichen Film handelt, liegt nicht zuletzt an der speziellen Art seiner Bezug-
nahme auf literarische Texte. Das Drehbuch entstand in Zusammenarbeit mit Peter
Handke und ist die letzte in einer seit 1969 andauernden Reihe von Kooperationen zwi-
schen dem Regisseur Wenders und dem Autor. Handke hat zehn längere Textpassagen
beigesteuert, die an verschiedenen Stellen des Filmes, entweder als Dialog, als innere
Figurenrede oder vorübergehend als unbestimmtes Voice-Over im Film erscheinen. Es
liegt nicht nur am hohen Ton dieser Texte, sondern auch an deren Einbettung, dass sie
den Film als markiert literarisch erscheinen lassen.
Während Handkes Texte zusammen mit den von Wenders verfassten Texten direkt
im Film zu hören sind, wird auf eine andere literarische Vorlage nur indirekt Bezug
genommen. Wenders hat mehrfach erklärt, dass er unter anderem durch die Lektüre von
Rainer Maria Rilkes Duineser Elegien zu seinem Film inspiriert worden sei.2 Geht man
diesem Hinweis nach, so lässt sich eine überraschend große Anzahl von Bezügen zu
dieser lyrischen Vorlage aufspüren. Da die Duineser Elegien nur sehr schwache narra-
tive Anteile aufweisen, ist zu vermuten, dass diese Bezüge nicht in einer Übertragung
des Handlungsschemas zu suchen sind, sondern sich auf vereinzelte Motive, Themen
und strukturelle Eigenschaften beschränken müssen. Die Praxis dieses „nach Motiven
aus“ wird in Studien zur Literaturverfilmung meist als eine nach Maßstäben der Text-
nähe „freie Verfilmung“ klassifiziert, selten jedoch systematisch untersucht. Da eine
ausführliche Interpretation der Duineser Elegien in diesem Kontext nicht zu leisten ist,
sei an dieser Stelle auf die umfangreiche Sekundärliteratur zum Thema verwiesen.3 Die
vorliegende Untersuchung muss sich indes auf jene Aspekte beschränken, die im Zu-
sammenhang mit Wenders Film bedeutsam sind.
Die Adaption vollzieht eine Umkehrung der Perspektive, die die Elegien bestimmt.
Dieser Richtungswechsel wird in den ersten Minuten des Filmes angezeigt. Die Duine-
ser Elegien heben mit einer akustischen Anrufung an: „Wer, wenn ich schrie, hörte

1
Siehe ebd., 158.
2
Wim Wenders/Roger Willemsen: Interview 2005, 00:03.
3
Eine hilfreiche Orientierung bieten die Materialien bei Ulrich Fülleborn/Rainer Maria Rilke: Mate-
rialien zu Rainer Maria Rilkes Duineser Elegien, hg. von Ulrich Fülleborn, Frankfurt am Main
1980. Siehe auch Peter Szondi: Das lyrische Drama des Fin de siècle, Frankfurt am Main 1975;
sowie in neuerer Zeit Katrin Kohl: „,Ruf-Stufen hinan‘. Rilkes Auseinandersetzung mit dem Erha-
benen im Kontext der Moderne“, in: Adrian Stevens (Hg.): Rilke und die Moderne. Londoner Sym-
posion, München 2000, 58–180; und Britta A. Fuchs: Poetologie elegischen Sprechens das lyrische
Ich und der Engel in Rilkes „Duineser Elegien“, Würzburg 2009.
66 Was sind Poesiefilme?

mich denn aus der Engel Ordnungen?“ Der Film beginnt dagegen mit der Detailauf-
nahme eines Auges und einer Flugaufnahme, die aus großer Höhe die Stadt Berlin
zeigt. In der nächsten Einstellung ist der auf einer Mauerbrüstung stehende Engel zu
sehen, dem dieser Kamerablick zugeordnet wird. Der Film, so wird schnell deutlich,
wird aus Perspektive der Engel erzählt. Er vollzieht damit eine Umkehrung vom Akus-
tischen und Optischen sowie von Sender und Empfänger. Es ist mehrfach bemerkt wor-
den, dass sich DER HIMMEL ÜBER BERLIN durch eine nur lose narrative Verknüpfung
einzelner Sequenzen auszeichne und bereits in dieser Hinsicht wie ein Gedicht wirke.
Tatsächlich lässt sich im Film jedoch ein komplexes Handlungsgefüge ausmachen, das
allerdings an vielen Stellen durch eigenständige Episoden und Reflektionen unterbro-
chen wird, die keinen direkten Bezug zum Plot besitzen. Die Geschichte wird durch die
beiden Engelfiguren Damiel (Bruno Ganz) und Cassiel (Otto Sander) zusammengehal-
ten, die sich unsichtbar durch die geteilte Stadt Berlin bewegen. Aus den Schicksalen
der Menschen, die sie mit Anteilnahme, aber ohne Möglichkeit der Einwirkung be-
obachten, bilden sich die Binnenhandlungen des Filmes: die Zirkusepisode um die Ak-
robatin Marion, der Filmdreh mit dem ehemaligen Engel Peter Falk und die Gänge und
Reflexionen des „Erzählers“ Homer. Daneben existieren zahlreiche weitere namenlose
Charaktere, deren kleine Geschichten den alternierenden Handlungssträngen zwi-
schengeschaltet sind. Eine „eigene Geschichte“ wird dem Engel Damiel erst durch
seine Menschwerdung ermöglicht. Es wird – natürlich – eine Liebesgeschichte sein.
In der Figur des Engels besteht die wichtigste Analogie zu den Duineser Elegien. In
der Konkretisierung, die das filmische Medium erzwingt, präsentieren sich die Vertreter
der himmlischen Heerscharen in menschenähnlicher Gestalt. So ist im Medienwechsel
gewissermaßen die Menschwerdung und Verleiblichung, die die Engelfigur Damiel auf
story-Ebene des Filmes vollzieht, vorweggenommen. Die Repräsentation des Engels als
konkrete Gestalt erscheint zunächst als eine reduzierende Vereindeutigung der von
Rilke als ‚unfassliche‘ und ambivalente Instanz angelegten Engelfigur. Gleichzeitig
bleibt jedoch ein enger Textbezug erkennbar, der zwei Facetten aus Rilkes vieldeutiger
Umschreibung zu einer Figur verknüpft: den Moment, „da der Strahlendsten einer stand
an der einfachen Haustür, / zur Reise ein wenig verkleidet und schon nicht mehr furcht-
bar [...]“1 und den staunende Bezug zur Größe des menschlichen Gefühls: „Doch selbst
nur eine Liebende –, oh, allein am nächtlichen Fenster ... / reichte sie dir nicht ans
Knie –?“2 Aus der Figur des Engels heraus und in Anrufung der Welt, nicht in Anru-
fung des Engels entwickelt der Film seine zentralen Themen. Auf einer poetologischen
Ebene symbolisiert die Menschwerdung des Engels im Himmel über Berlin den Über-
gang vom Schauen zum „Herz-Werk“, die Rilke in der Werkphase der Elegien voll-
zieht: „Denn das Anschauns, siehe, ist eine Grenze. / Und die geschaute Welt / will in
der Liebe gedeihn.“3 Die Bezugnahme auf die Engel hat auch bei Wenders eine poe-

1
Rainer Maria Rilke: „Die Duineser Elegien“, in: Sämtliche Werke, hg. vom Rilke-Archiv/Ruth
Sieber-Rilke/Ernst Zinn, Wiesbaden, Frankfurt am Main 1955–1966, 685–726. Hier: 689.
2
Ebd., 712f.
3
Rainer Maria Rilke: „Wendung“, in: Sämtliche Werke, Bd. 2, hg. vom Rilke-Archiv/Ruth Sieber-
Rilke/Ernst Zinn, Wiesbaden, Frankfurt am Main 1955–1966, 83–84. Hier: 84. Angeführt bei
Poesiefilm und Literaturverfilmung 67
tologische Dimension. Sie verkörpern die scheinbar körperlose, sich durch Raum und
Zeit bewegende, stets unsichtbare Kamera. Die Menschwerdung als emphatische Be-
jahung des Übergangs von Beobachtung zu Teilnahme ist eine mögliche Antwort auf
die noch offene Frage nach der Rolle des Erzählens in der Moderne, die im Film auf-
geworfen wird.
Eine zweite deutliche Anleihe macht Wenders Film bei der fünften Elegie. Sie han-
delt von den „Fahrenden, diese ein wenig / Flüchtigern noch als wir selbst“.1 Der Zir-
kus, diese „Rose des Zuschauns“, hat in der Elegie nicht nur die Funktion einer Moder-
nekritik, die die grotesk überzeichneten Figuren als unfruchtbare, mechanische
„Körpermaschine“2 erscheinen lässt. Anhand der Artisten entwirft Rilke das Bild eines
plötzlichen Umschlags, vom Nicht-Können zum vollendeten Können, das als „leeres
Zuviel“ auf den Tod verweist oder auf die gelingende menschliche Liebe. Deren Ver-
wirklichung ist freilich nur noch in einem außerweltlichen, entrückten Raum denkbar:
Engel!: Es wäre ein Platz, den wir nicht wissen, und dorten,
auf unsäglichem Teppich, zeigten die Liebenden, die’s hier
bis zum Können nie bringen, ihre kühnen
hohen Figuren des Herzschwungs,
ihre Türme aus Lust, ihre
längst, wo Boden nie war, nur an einander
lehnenden Leitern, bebend, – und könntens, […]3

Hier schließt Wenders an, wenn er die Trapezkünstlerin Marion zum Anlass der
Menschwerdung des Engels macht. Indem er den Engel sich in diese Fahrende verlie-
ben lässt, holt er Rilkes Vision in den Bereich des Irdischen zurück. Der Film unter-
streicht im mise en scène die menschliche Beschränktheit der Zirkuswelt: Die Musik ist
etwas schief, das Zelt klein, das Publikum spärlich und Marions Kunststücke sind alles
andere als perfekt. Es ist diese Unvollkommenheit, die Damiel zuallererst anzieht.
Die stärkste Affinität hat Wenders Film zur siebten und zur neunte Elegie, die in ver-
schiedenen Denkbewegungen den Themenkomplex des ‚Hierseins‘ verhandeln. In den
Zeilen „Preise dem Engel die Welt, nicht die unsägliche […]. Sag ihm die Dinge. Er
wird staunender stehn“ ist das Grundprogramm des Filmes formuliert, aus dem heraus
sich auch die Geschichte des Filmes entwickelt und motiviert.4 Der HIMMEL ÜBER

Manfred Engel: Rainer Maria Rilkes ,Duineser Elegien‘ und die moderne deutsche Lyrik. Zwischen
Jh.-Wende u. Avantgarde, Diss. u. d. T.: Leichte Gestaltung, Univ. Erlangen-Nürnberg 1984, Stutt-
gart 1986, 148. Zum Wandel der Wertung von „Schauen“ und dessen Zusammenhang mit dem rei-
nen Bezug siehe ebd.
1
Rainer Maria Rilke: „Die Duineser Elegien“, 701.
2
Gert Mattenklott: „Rainer Maria Rilke: Die fünfte Duineser Elegie. Hinweise zum Verständnis“,
in: Vera Hauschild (Hg.): Rilke heute. Der Ort des Dichters in der Moderne, Frankfurt am Main
1997, 201–213. Hier: 206.
3
Rainer Maria Rilke: „Die Duineser Elegien“, 705.
4
Dass das bei Wenders eher zu einem Sensualismus führt, der mit Rilkes Konzept des Weltinnen-
raums nicht unbedingt zusammenpasst, kann an dieser Stelle nicht ausführlich erörtert werden.
68 Was sind Poesiefilme?

BERLIN findet gewissermaßen sein Motto in der Zeile „Hiersein ist herrlich“, die in den
vom ehemaligen Engel Peter Falk gesprochenen Worten nachklingt: „I wish I could see
your face, just look into your eyes and tell you how good it is to be here“ (1:22) nach-
klingen. Dass diese Worte direkt an den Engel Damiel gerichtet sind und ihn vom
Sterblichwerden zu überzeugen suchen und dass damit demonstrativ den Zeilen „Glaub
nicht, daß ich werbe. / Engel, und würb ich dich auch! Du kommst nicht.“1 in den Ele-
gien widersprochen wird, ist ebenfalls bezeichnend. DER HIMMEL ÜBER BERLIN ver-
schreibt sich der Feier des Irdischen und der Welt des Säglichen ganz. Die Preisung des
diesseitigen Lebens ist im Film vor allem mit einer Aufwertung des Sinnlichen und des
Profanen verknüpft, den Bereichen, die den ganz aus Geistigem bestehenden Engeln
verschlossen bleiben. Filmisch wird Damiels Übertritt in die Welt der Sterblichen durch
den plötzlichen Wechsel von Schwarz-Weiß-Bildern zu Farbigkeit und zu einem rei-
cheren Ton (Atmo) markiert, durch die seine nun erst sinnliche Wahrnehmung verkör-
pert wird. In seiner staunenden, „kindlichen“ Haltung liegt das Ideal des Weltbezugs,
das im HIMMEL ÜBER BERLIN seinen Ausdruck findet.
Die Ambivalenz der Elegien und ihr tastender, suchender Gestus werden im Film ab-
geschwächt. Während in den Elegien zwei Gruppen von Lösungen für die aufgewor-
fenen Probleme der condition humaine angeboten werden, eine absolute, den Menschen
aber überfordernde und eine menschlichere, lebensbezogenere, die in Spannung zuei-
nander stehen,2 setzt Wenders Film vorbehaltlos auf das diesseitige Dasein und nimmt
vor allem die in den Elegien nur tentativ eingesetzte irdische Liebe als Verkörperung
dieser Lösung an. Man kann also mit einigem Recht von einer Ver-ein-fachung des
elegischen Themas sprechen, die in der vom Film privilegierten Liebeshandlung kulmi-
niert. Während die Elegien sich durch die Offenheit ihrer Form auszeichnen und keine
Progression aufweisen, wird im Film mit der Vereinigung des menschgewordenen En-
gels und der Trapezkünstlerin Marion ein deutlicher Schlusspunkt gesetzt. Eine bei
Rilke nur versuchsweise und fragend durchgespielte Möglichkeit wird damit zur end-
gültigen Lösung stilisiert:
Endlich wird es ernst. […] Einsam war ich nie, weder allein noch mit jemand anderem, aber
ich wäre gern endlich einsam gewesen. Einsamkeit heißt ja: Ich bin endlich ganz. Endlich
kann ich das sagen, denn ich bin heute Nacht endlich einsam. Mit dem Zufall muss es nun auf-
hören. […] Wir zwei sind jetzt mehr als nur zwei, wir verkörpern etwas. […] du brauchst
mich. Du wirst mich brauchen. Es gibt keine größere Geschichte als die von uns beiden, von
Mann und Frau.3 (1:52:00)

Wenn Wenders’ Film also durchaus auf verschiedenen Ebenen das Motiv der Grenze
umspielt, geht es ihm in letzter Instanz um eine Ganzheit, um die Überwindung dieser
Grenzen durch die Erzählung und durch die – in freilich nicht unproblematischer Weise
ausschließlich heterosexuell codierte – Liebe.

1
Ebd., 713.
2
Siehe Manfred Engel: Rainer Maria Rilkes ‚Duineser, 134ff.
3
Siehe dagegen Rilkes Versbeginn: „Wen vermögen wir denn zu brauchen?“
Poesiefilm und Literaturverfilmung 69
Neben den großen Themen, in denen der Film sehr deutlich auf die Duineser Elegien
Bezug nimmt, gibt es etliche lose gereihte Motive und kleine Einsprengsel, die auf die
lyrischen Texte verweisen. Sie umspielen fundamentale Themen wie das Sterben, das
Kindsein und das Anschaun, oder konkretisieren lyrische Bilder, etwa in den wieder-
holten Aufnahmen der Vogelschwärme, die „wie Zugvögel verständigt sind“ (IV, 2–3).
An vielen Stellen ergeben sich flüchtige Übereinstimmungen zwischen Figurenrede und
Gedicht, etwa zwischen Rilkes Konzept der Verwandlung1 und Damiels Daseinssehn-
sucht: „was ich weiß von meinem zeitlosen Herabschauen verwandeln ins Aushalten
eines jähen Anblicks, eines kurzen Aufschreis, eines stechenden Geruchs.“ (1:02)
Die Bezüge auf die lyrische Vorlage erschöpfen sich nicht in gemeinsamen Themen
und Motiven, sondern lassen sich auch auf einer strukturellen Ebene feststellen. Dies
soll an zwei formalen Elementen gezeigt werden. Ein auffälliger Zug der Duineser Ele-
gien ist deren Appellstruktur, die sich in der häufigen Ansprache eines Du und in rheto-
rischen Fragen äußert.2 Darüber hinaus kommt es an entscheidenden Stellen zu einem
Wechsel vom Ich zum Wir.3 Auch die filmische Vermittlungsinstanz in der DER HIM-
MEL ÜBER BERLIN tendiert zu einem Gestus des Kollektiven. Dabei wird das in den
Elegien bestimmende Wir im Film nicht einfach nachgebildet, sondern durch eine
„Analogie im Zeichengebrauch“ ausgedrückt, die den Effekt einer Vielstimmigkeit
hervorruft. Wenders erreicht dies durch eine für einen Spielfilm ungewöhnlich hohen
Anteil an innerer Figurenrede. Er wird erzählerisch dadurch begründet, dass es den
Engelfiguren möglich ist, an den Gedanken der Menschen teilzuhaben, was filmisch an-
gezeigt wird, indem Stimmen aus dem Off hörbar werden. Ein Verfahren, das im Prin-
zip dem inneren Monolog gleicht, und nun in Wenders Film zum Strukturprinzip ge-
macht wird. Das Gesicht einer Figur ist zu sehen, jedoch ohne, dass diese spricht,
während gleichzeitig auf der Tonspur eine Stimme zu hören ist, die wir diesem Gesicht
zuordnen können. In einigen Szenen, etwa in der berühmten Szene in der Staatsbiblio-
thek oder der U-Bahn-Sequenz, kommt es zu einem wahren Konzert der Stimmen, die
sich überlagern, abwechseln und durchdringen und im Zusammenspiel mit der Musik
zu einem überwältigenden Lärm anschwellen. Abgesehen von der Bibliotheksmetapho-
rik des über die Zeiten hinweg geführten Dialogs der Bücher, der sich hier zu verkör-
pern scheint, ist die Szene ein Beispiel für die den ganzen Film hindurch überaus un-
konventionelle Verwendung des Tons.

1
Zum Konzept der Verwandlung bei Rilke siehe Manfred Engel (Hg.): Rilke-Handbuch. Leben –
Werk – Wirkung, Darmstadt 2004, 141.
2
Zur Appellstruktur der Elegien siehe Anthony Stephens: „Die Duineser Elegien“, in: Manfred
Engel (Hg.): Rilke-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Darmstadt 2004. Hier: 369. Es ist frap-
pierend, wie stark das lyrische Ich der Duineser Elegien, wie Manfred Engel es herausgearbeitet
hat, seiner Konzeption nach einer filmischen Vermittlungsinstanz entspricht. Engel bezieht sich da-
bei auf Rilkes Überlegungen zum Theater und sieht seine Forderung, dass „zwischen Publikum und
Szene ein Auge eingeschoben werden [müsse], für dessen ruhigen Blick die Handlung in jedem
Moment richtig und wahrhaft ist“, in den Duineser Elegien verwirklicht. (Manfred Engel: Rainer
Maria Rilkes ,Duineser, 150).
3
Siehe ebd., 146.
70 Was sind Poesiefilme?

Ein weiteres wichtiges Bauprinzip der Elegien ist nach Manfred Engel die paradig-
matische Reihung: „Einzelne Aspekte werden durch eine Fülle von nuancierten Einzel-
beispielen und Einzelaussagen dargestellt, die über den Zyklus verteilt sind und vom
Leser zu ihrem virtuell bleibenden Allgemeinen zu synthetisieren wären.“1 Dieses Prin-
zip wird auch im Film an prominenter Stelle wieder aufgenommen. Es strukturiert die
Sterbeszene des verunglückten Motoradfahrers auf der Brücke (Schwellenmetaphorik)
und bestimmt Handkes Lied vom Kindsein, das den Film leitmotivisch durchzieht.2 In
der Sterbeszene geht der innere Monolog des Sterbenden auf der Brücke nach der An-
kunft des Engels in ein Gedicht über, das Wenders als „Anrufung der Welt“ bezeichnet:
Wie ich bergauf ging und aus dem
Talnebel in die Sonne kam...
Das Feuer am Rande der Viehweide...
[…] Das weiße Tischtuch im Freien.
Der Traum vom Haus im Haus.
Der schlafende Nächste im Nebenraum.
Die Ruhe des Sonntags.
Der Horizont.
Der Lichtschein vom Zimmer ...
Im Garten. […]3

In der Form eines Listengedichtes hebt die Stimme des Sterbenden zu einer Preisung
der Welt an, zunächst schwach und gebrochen im inneren Monolog, schließlich in eine
festere, deutlichere Off-Stimme überwechselnd, die von einem Ort außerhalb der Die-
gese zu sprechen scheint. Die Art, wie hier in einfacher Aufzählung Momente der
Schönheit und des Glücks präsentiert werden, lehnt sich an ein Bauprinzip der Elegien
an, wie es sich etwa in der siebten Elegie vorfinden lässt:

Nicht nur die Morgen alle des Sommers –, nicht nur


wie sie sich wandeln in Tag und strahlen vor Anfang.
Nicht nur die Tage, die zart sind um Blumen, und oben,
um die gestalteten Bäume, stark und gewaltig.
Nicht nur die Andacht dieser entfalteten Kräfte,
nicht nur die Wege, nicht nur die Wiesen im Abend,
nicht nur, nach spätem Gewitter, das atmende Klarsein,

1
Ebd., 133.
2
„Als das Kind Kind war, genügt niemals Nahrung Apfel, Brot und so ist es immer noch / Als das
Kind Kind war, fielen ihm die Beeren wie nur Beeren in die Hand, und jetzt immer noch / machten
ihm die frischen Walnüsse eine rauhe Zunge, und jetzt immer noch / Hatte es auf jedem Berg die
Sehnsucht nach dem immer höheren Berg / und in jeder Stadt die Sehnsucht nach der noch größe-
ren Stadt und das ist immernoch so […].“ Für eine hervorragende Analyse der Beziehung von Ka-
merabewegung und Tonebene in dieser Sterbeszene siehe Richard Raskin: „Camera Movement in
the Dying Man Scene in Wings of Desire.“, in: p.o.v., 8. Jg., 1999, 157–170.
3
Handke/Wenders zitiert nach ebd., 169.
Poesiefilm und Literaturverfilmung 71
nicht nur der nahende Schlaf und ein Ahnen, abends ...
sondern die Nächte![…]1

Auch, wenn der Film in der Anwendung der paradigmatischen Reihung bei weitem
nicht die syntaktische und gedankliche Komplexität der Elegien erreicht und wohl auch
gar nicht angestrebt, ist der formale Bezug doch deutlich. Auf der Ebene filmischer
Ausdrucksmittel wiederholt sich dieses Prinzip in der Aneinanderreihung un-
verbundener Episoden, die nichts zum Fortgang der Handlung beitragen, sondern durch
ein gemeinsames Kompositionsprinzip zusammengehalten werden. Es sind allesamt
Beispiele für ein unbestimmt bleibendes Allgemeines, das sich mit den Begriffen „Da-
sein“2 oder „das Menschliche“ umschreiben ließe. Im Anspruch, dieses Allgemeine
indirekt auszusagen, treffen sich Rilkes Elegien und Wenders’ Film. Roman Jakobson
hat in der Projektion der paradigmatischen Achse auf die syntagmatische Achse das
Grundprinzip des poetischen Sprachgebrauchs verortet.3 Setzt man die vorangegange-
nen Beobachtungen mit diesem Konzept in Beziehung, so wird verständlich, warum der
DER HIMMEL ÜBER BERLIN in so hohem Maße poetisch wirkt. Wim Wenders bezeich-
net seinen Film als vertikales Roadmovie. Doch nicht nur in dem Sinne, dass die Prota-
gonisten zwischen Himmel und Erde unterwegs sind, statt sich auf ihrer Oberfläche zu
bewegen, trifft dies zu, sondern auch darin, dass der Film die fortschreitende Erzählung
zurückstellt zugunsten der Erkundung des Raumes, der Verunsicherung oder Ver-
gleichgültigung der zeitlichen Organisation und der Betonung autoreflexiver Momente,
ganz so, wie es Maya Deren mit ihrem Begriff des Vertikalen für den poetischen Film
anschaulich gemacht hat: „the poetic construct arises from the fact that it is a vertical
investigation of a situation […]. A poem, to my mind, creates visible or auditory forms
for something that is invisible, which is the feeling, or the emotion or the metaphysical
content of the movement.“4
Am Beispiel der Bezüge von DER HIMMEL ÜBER BERLIN zu Rilkes Duineser Ele-
gien, konnte gezeigt werden, dass Poesiefilme vom Typ der Adaption5 durchaus mit
den Methoden der Adaptionsforschung gewinnbringend zu untersuchen sind. Letztlich
kommt es darauf an, die Definition der Literaturverfilmung zu erweitern und von ihrer
Fixierung auf die Narration zu befreien. Mit welchem Reichtum an Ausdrucksmitteln
das audiovisuelle Medium auf nicht-narrative literarische Gestaltungsmittel wie Stro-
phenform, Metrum, Syntax, Metaphorik oder Klangsymbolik reagieren kann, soll in
den folgenden Kapiteln ausführlich untersucht werden.

1
Rainer Maria Rilke: „Die Duineser Elegien“, 710.
2
Ebd., 711.
3
„Man kann nun also die These aufstellen, daß in der Poesie, also dort, wo die poetische Funktion
der Sprache über die referentielle dominiert, das Prinzip der Äquivalenz, d. h. die Similarität, der
Kontiguität, also der Abfolge der Zeichen im Text, überlagert wird.“ (Roman Jakobson: „Poesie
der Grammatik“, 253).
4
Willard Maas/Amos Vogel: „Poetry and the Film“, 173.
5
Siehe Kapitel 1.2.
2 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

2.1 Poesie und Avantgardefilm als moderne Konstellation –


Lyrik im Stummfilm
2.1.1 Lyrik und Film als Paradigmen der Moderne

Als sich das Kino zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts anschickt, kulturelles Mas-
senphänomen zu werden, gelingt dies nicht zuletzt dank seiner Orientierung an literari-
schen Vorbildern. Dass der narrative Spielfilm Erzählformen des realistischen Romans
nachbildet, ist mittlerweile ein Gemeinplatz, der selbst schon wieder in vielfacher Hin-
sicht kritisiert worden ist.1 Immerhin kann ein enges Aufeinander-Bezogensein von
Literatur und Film, das sich stellenweise als scharfe Konkurrenz der beiden Künste
äußert, mediengeschichtlich als gesichert gelten. Bezüglich der Wirkung, welche der zu
Beginn des Jahrhunderts auf der Bildfläche erscheinende Kinematograph auf das „Auf-
schreibesystem“ der Literatur ausübt, lautet Friedrich Kittlers Diagnose:
Während also die Plattenrillen Körper und ihre scheußlichen Abfälle speichern, übernehmen
die Spielfilme all das Phantastische oder Imaginäre, das ein Jahrhundert lang Dichtung gehei-
ßen hat. Kein Geringerer als Münsterberg, der Erfinder von Wort und Sache Psychotechnik,
liefert 1916 die historisch erste Spielfilmtheorie oder den Nachweis, daß Kinotechniken alle
Effekte überbieten, die Literatur mit Erwähnungen, Beschreibungen und Inszenierungen (also
mit Romanen oder Theaterstücken) bei Leserseelen anrichten kann.2

In der sogenannten Kinodebatte der zehner Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts treten
die Konfliktlinien zwischen Literatur und Film besonders deutlich zu Tage. Neben
abwehrenden oder skeptischen Kritikern3 des neuen Mediums gibt es viele Stimmen,

1
Harro Segeberg: „Literarische Kinoästhetik“, 195f.
2
Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800–1900, München 2003, 298.
3
Siehe Franz Pfemfert: „Kino als Erzieher“, in: Jörg Schweinitz (Hg.): Prolog vor dem Film. Nach-
denken über ein neues Medium (1909–1914), Leipzig 1992, 165–168; Hermann Kienzl: „Theater
und Kinematograph“, in: Jörg Schweinitz (Hg.): Prolog vor dem Film. Nachdenken über ein neues
Medium (1909–1914), Leipzig 1992, 230–469.
Lyrik im Stummfilm 73
die den Kinematographen als Herausforderung für die Literatur begreifen und entweder
Konsequenzen für ihr eigenes Schreiben ableiten1 oder mit einer erneuerten Literatur
auf das Kino einwirken wollen.2 Vor allem die literarische Avantgarde reagiert positiv
auf die im populären Kurzfilm „sich etablierende neue Ästhetik einer ebenso diskonti-
nuierlichen wie illusionistischen selbstreflexiven Kunst“3, übt dabei jedoch gleichzeitig
Kritik an der „kulturindustriellen Standardisierung des Films“4. Einen Umschwung in
der Bewertung des filmischen Mediums bewirkt schließlich das „physiognomisch ge-
prägte[] anthropomorphe[] Denken“. In den Filmtheorien von Béla Balázs und Rudolf
Harms wird dem Film eine „Affinität zur Gebärde, zur menschlichen Ausdrucksbewe-
gung“5 zugeschrieben. Besonders im Kontext der literarischen Moderne wird nun das
neue Medium mit hohen Erwartungen befrachtet, scheint es doch als visuelle Aus-
drucksform jene Mittel bereitzustellen, mit denen sich die notorischen Unzulänglichkei-
ten der Wortsprache überwinden ließen, die die Epoche mindestens seit der Jahrhun-
dertwende umtreiben.6 Erst ab Mitte der zwanziger Jahre wird das Massenmedium Kino
schließlich selbst zur Projektionsfläche für den Vorwurf des Schematismus und der
Formelhaftigkeit der modernen Kultur.7
Mediengeschichtlich gilt die Etablierung des Filmes als zunehmend narrative Form
um das Jahr 1910 als abgeschlossen. In den niedergelassenen Kinos, die zu diesem
Zeitpunkt bereits verbreitet waren, werden Filme als eigenständiges, abendfüllendes
Programm gezeigt – und damit immer länger.8 Mit der Anwendung von Montagetechni-
niken, die die räumliche Gebundenheit der Spielszenen überwinden, ist ein vermitteln-
des Element in den Film eingeführt, das dessen Funktionalisierung als Erzählmedium
sicherstellt. Mit einer immer beweglicheren Kamera werden häufige Wechsel der Per-
spektive möglich, was zu einer beträchtlichen Erweiterung der filmischen Ausdrucks-
mittel führt. Eine immer kontinuierlichere Erzählfolge befördert schließlich die „Etab-

1
Siehe Alfred Döblin: „An Romanautoren und ihre Kritiker. Berliner Programm“ (1913), in: Schrif-
ten zu Ästhetik, Poetik und Literatur, hg. von Erich Kleinschmidt, Olten 1989.
2
Siehe Kurt Pinthus (Hg.): Das Kinobuch. Kinostücke, Dokumentarische Neuausgabe des
,Kinobuchs‘ von 1913/14, Zürich 1984.
3
Harro Segeberg: „Literarische Kinoästhetik“, 218.
4
Ebd.
5
Jörg Schweinitz: Film und Stereotyp. Eine Herausforderung für das Kino und die Filmtheorie. Zur
Geschichte eines Mediendiskurses, theoretische Diskurse, ästhetische Transformationen, Habil.
u. d. T. Stereotyp und Film, Univ. Konstanz 2002, Berlin 2006, 138.
6
Ebd., 140f. Schweinitz spricht von einer „sprachkritisch argumentierenden Feier des Films“, die
die Problematik von Stereotyp und Standardisierung im Film ausblendet. Zum Zusammenhang von
moderner Sprachskepsis und Filmtheorie siehe auch Thomas Koebner: „Der Film als neue Kunst.
Reaktionen der literarischen Intelligenz“, in: Helmut Kreuzer (Hg.): Literaturwissenschaft – Medi-
enwissenschaft, 1977, 1–31.
7
Siehe Jörg Schweinitz: Film und Stereotyp, 160.
8
Corinna Müller: „Variationen des Kinoprogramms. Filmform und Filmgeschichte“, in: Harro Se-
geberg/Corinna Müller (Hg.): Die Modellierung des Kinofilms. Zur Geschichte des Kinopro-
gramms zwischen Kurzfilm und Langfilm 1905/06–1918, München 1998, 43–76. Hier: 55.
74 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

lierung des diegetischen Horizontes als imaginärem Referenten filmischen Erzählens“1.


Damit ist ein Vokabular filmischer Erzählmittel etabliert und der Übergang von der
„Kurzfilmphase“ in die Ära des feature films eingeläutet.2
Auch in der Stoffauswahl bedient man sich schon früh im Fundus der von Welt- und
Trivialliteratur bereitgestellten Geschichten. Die vielfachen und intensiven Wechsel-
wirkungen zwischen Film und erzählender Literatur sowie dem Theater, sind vor allem
im Zuge der weitreichenden Forschungen über die Literaturverfilmung bereits ausführ-
lich untersucht worden. Noch die filmästhetischen Kämpfe der Nouvelle Vague gegen
die Literarisierung des Kinos belegen die mühsame Emanzipation der Filmkunst von
der vermeintlichen kulturellen Herrschaft der Literatur – verstanden als Roman und
Drama. Bereits um 1920 gibt es eine ausdrückliche Debatte um die Frage, ob der Film
eher episch oder dramatisch sei.3 Die dritte Option wird dabei nicht berücksichtigt.
Auch der Filmsemiotiker Christian Metz bestätigt die Dominanz die Erzählfunktion:
„Das Kino, das so vielen Zwecken hätte dienen können, wird tatsächlich meistens dazu
benutzt, Geschichten zu erzählen“.4 Angesichts dieser die Filmgeschichte beherrschen-
den Tendenz zur Narration handele es sich aber um ein kulturelles und soziales Faktum,
denn eine solche Bindung des Filmes an die Funktion der Erzählung ist seiner techni-
schen Medialität nicht inhärent. Schon in der Stummfilmzeit haben Filmeschaffende
sich auch lyrische Texte zur Vorlage gewählt oder haben Regisseure mit Dichtern ko-
operiert. Es lohnt sich daher, noch einmal auf die Anfänge des Mediums Kino zurück-
zukommen, als mit der Kontaktaufnahme von Lyrik und Avantgardefilm eine andere
Traditionslinie der Literatur-Film-Beziehungen ihren Anfang nimmt, die zu den Rück-
griffen des Filmes auf Roman oder Drama gewissermaßen quer steht.
In der Forschung haben Wechselwirkungen zwischen dem Stummfilm und der litera-
rischen Gattung Lyrik lange kaum Beachtung erfahren.5 Allerdings ist in den letzten
Jahren vermehrt zum Einfluss des Kinos auf die Lyrik der Moderne und zur Übertra-
gung filmischer Ausdrucksmittel auf lyrische Texte geforscht worden.6 Sandra Richter
hat am Beispiel von Claire Golls Gedichtband Lyrische Films gezeigt, wie das Kino
durch die Übertragung strukturgebender Konzepte auf die Lyrik der Zeit einwirkt.7 Jan

1
Joachim Paech: Film und Literatur.
2
Siehe Jörg Schweinitz: Film und Stereotyp, 132f. Zu den verschiedenen Phasen dieser Kurzfilmzeit
von 1895–1918 siehe auch Corinna Müller: „Variationen des Kinoprogramms“, 45.
3
Siehe etwa Joseph August Lux: „Das Kinodrama“, in: Jörg Schweinitz (Hg.): Prolog vor dem Film.
Nachdenken über ein neues Medium (1909–1914), Leipzig 1992, 319–325; Yvan Goll: „Das
Kinodram“ (1920), in: Anton Kaes (Hg.): Kino-Debatte. Texte zum Verhältnis von Literatur und
Film, 1909–1929, München 1978, 136–139; Thomas Mann: „Über den Film“ (1928), in: Anton
Kaes (Hg.): Kino-Debatte. Texte zum Verhältnis von Literatur und Film, 1909–1929, München
1978, 38–166.
4
Christian Metz: „Probleme der Denotation“, 358 (Hervorhebung im Original).
5
Siehe Rudolf E. Kuenzli: Dada and Surrealist Film, New York 1987; Rudolf Kurtz: Expressionis-
mus und Film, Zürich 2007, 2007.
6
Siehe Susan McCabe: Cinematic Modernism; Jan Röhnert: Springende Gedanken; Sandra Richter:
„Lyrik im Ausgang“.
7
Siehe ebd., 84.
Lyrik im Stummfilm 75
Röhnert ist in seiner umfassenden Studie den thematischen, motivischen und formalen
Bezugnahmen lyrischer Texte auf das Kino nachgegangen.1 Stefan Keppler-Tasaki
widmet sich der Kinoleidenschaft Gottfried Benns und verfolgt die Affinität zwischen
dem Medium und der lyrischen Produktion des Dichters.2
In den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ist es noch weitaus selbstver-
ständlicher als heute, das Kino mit der lyrischen Gattung in Verbindung zu bringen.3
Die dabei zu Grunde gelegte Ähnlichkeit beruht auf den Erfahrungen der sogenannten
Kurzfilmphase: „Noch Autoren der zwanziger Jahre beziehen sich dabei vor allem auf
eine bestimmte Film- und Kinowahrnehmung: den diskontinuierlichen, heterogenen,
aber populären Kurzfilm.“4 Die Faszination der literarischen Avantgarde für das Kino
und ihre Enttäuschung über die spätere Entwicklung des Mediums beruft sich also auf
Potentiale, die sich vor allem im sogenannten Kino der Attraktionen zeigen, das vor
1906 dominiert: „a conception that sees cinema less as a way of telling stories than as a
way of presenting a series of views to an audience, fascinating because of their illusory
power [...], and exotism.“5 Solange der narrative Spielfilm noch nicht als allgemeingül-
tiges Modell der Filmkunst gesetzt ist, gibt es eine größere Aufmerksamkeit für die
affizierenden, malerischen und eben auch für die lyrischen Potentiale des Mediums. Die
künstlerische Bestimmung des Filmes scheint noch offen und gerade die Ferne des Ki-
nos zur Hochkultur und sein leicht anrüchiger Status zwischen Technik, Massenunter-
haltung und Jahrmarktspektakel macht es interessant für die literarischen Avantgarden.
Berührungspunkte zwischen Film und Lyrik existieren also schon seit dem frühen
zwanzigsten Jahrhundert. Apollinaire, Gertrude Stein oder T.S. Eliot begeistern sich für
die poetische Clownerie Chaplins. Lyrik widmet sich Kino und Film als Signum mo-
derner Erfahrung.6 Andere Modernisten wie Ezra Pound standen dem Kino dagegen
kritisch gegenüber. Das Medium erscheint als nicht kompatibel mit deren Bestreben,
die Flüchtigkeit (evanesence) der modernen Kultur zu transzendieren.7 (High)
Modernism und Avantgarde unterscheiden sich nicht zuletzt in ihrem Verhältnis zur
Massen- und Populärkultur. Es ist nicht zu übersehen, dass bei aller Wertschätzung des
„populären Mediums“ Film doch eine klare Trennung zwischen populären Filmen und
Kunstfilmen aufrechterhalten wird.
Doch die Bezüge zwischen Lyrik und Film beschränken sich nicht auf poetische und
poetologische Diskurse, auch das Kino übernimmt einige seiner Gestaltungsmittel aus

1
Siehe Jan Röhnert: Springende Gedanken, 117.
2
Siehe Stefan Keppler-Tasaki: „immer steht er in“; Michael Morley („,Fading to Black‘. Emotion
Re-collected and a Lack of Tranquility in Brecht’s Reworking of Chaplin“, in: Jürgen Hillesheim
(Hg.): Young Mr. Brecht Becomes a Writer, Madison 2006, 284–295) interpretiert Brechts Gedicht
über einen Kurzfilm von Chaplin, der wiederum auf einer Ballade beruht.
3
Siehe Sandra Richter: „Lyrik im Ausgang“, 76 sowie Kapitel 1.3 dieser Untersuchung.
4
Ebd.
5
Tom Gunning: „The Cinema of Attractions: Early Film, Its Spectator and the Avant-Garde“,
in: Wide Angle, 8. Jg., 1986, 63–70. Hier: 64.
6
Siehe Jan Röhnert: Springende Gedanken, 49.
7
Siehe Susan McCabe: Cinematic Modernism, 11.
76 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

der Lyrik. Susan McCabe, die sich in ihrem Buch Cinematic Modernism mit den Bezie-
hungen zwischen Dichtungen der literarischen Moderne und dem Avantgarde-Film
beschäftigt, sieht nicht nur in der erzählenden Literatur, dem Vaudeville oder der Male-
rei wichtige Einflüsse auf den Film, sondern stellt die These auf, dass auch die Lyrik
Anteil an der Entwicklung filmischer Formen hatte: „[…] from the start, film
vernacular borrowed many of ist tropes from poetics (including the rythmic splicing of
images) which in turn, found its ‚body‘ (its material, fleshly expression) in experimen-
tal cinema.“1 Besonders die als kritisch angesehene Traditionslinie des Kinos hat sich in
der Entwicklung ihrer Ausdruckformen häufig an den Nachbarkünsten orientiert. Wäh-
rend für den kommerziell erfolgreichen Spielfilm vor allem Erzählformen und Inszenie-
rungsweisen aus Roman und Theater zum Vorbild wurden, scheinen sich die soge-
nannten Experimental- und Avantgarde-Filme vorwiegend an Musik und bildender
Kunst, in geringerem Maße aber auch an Lyrik orientiert zu haben.2 Dabei entstanden
Werke, die die filmischen Mittel des bewegten Bildes von Animation über Montage bis
Kamerabewegung für nicht-narrative und sogar abstrakte Kunstwerke nutzten, so dass
sich ab den zwanziger Jahren von einer Experimental- oder Avantgardefilmbewegung
im engeren Sinn sprechen lässt.
Bereits 1917 hat der französische Dichter Guillaume Apollinaire in seinem Essay
„L’Esprit nouveau et les poètes“ für diese Verknüpfung von Lyrik und Film im Zeichen
der Moderne das Programm geliefert. Hatte er mit seinen Calligrammes und den
Poèmes à Lou bereits die Grenze zwischen Poesie und visuellen Künsten durchlässig
gemacht, ruft er nun eine Modernisierung der Poesie aus, die sich der neuen techni-
schen Möglichkeiten in bisher ungeahnter Weise bedienen soll:
L’esprit nouveau est celui du temps même où nous vivons. Un temps fertile en surprises. Les
poètes veulent dompter la prophétie, cette ardente cavale que l’on n’a jamais maîtrisée. Ils
veulent enfin, un jour, machiner la poésie comme on a machiné le monde. Ils veulent être les
premiers à fournir un lyrisme tout neuf à ces nouveaux moyens d’expression qui ajoutent à
l’art le mouvement et qui sont le phonographe et le cinéma.3

Unter Zuhilfenahme der Maschine sollte diese Modernisierung auf einen Weg führen,
den der Dichter selbst mit seinen Calligrammes schon eingeschlagen hatte: zur Aus-

1
Ebd, 9.
2
Scott MacDonald: „Poetry and Avant-Garde Film“, 2.
3
Guillaume Apollinaire: „L’Esprit nouveau et les poètes“ [1918], in: Œuvres complètes de Guillau-
me Apollinaire, Bd. 3, hg. von Michel Décaudin, Paris 1965–1966 (3), 900–910. Hier: 910. „Der
neue Geist ist der Geist der Zeit selbst, in der wir leben. Einer an Überraschungen trächtigen Zeit.
Die Dichter wollen die Weissagung bezwingen, jenes heißblütige Pferd, das man noch niemals ge-
zähmt hat. Sie wollen schließlich eines Tages die Dichtung technisieren wie man die Welt techni-
siert hat. Sie wollen die ersten sein, die jenen neuen Ausdrucksmitteln, dem Grammphon und dem
Film, die der Kunst die Bewegung hinzufügen, einen völlig neuen lyrischen Gehalt liefern.“ (Guil-
laume Apollinaire: „Der neue Geist“, 87). Siehe auch Franz-Josef Albersmeier: Die Herausforde-
rung des Films an die französische Literatur. Entwurf einer Geschichte der französischen Literatur
des 20. Jahrhunderts als Mediengeschichte, Habil. Univ. Regensburg 1979, als Ms. gedr. 1982.
Lyrik im Stummfilm 77
weitung der Poesie in den Bereich der akustischen und optischen Medien.1 Mit Hilfe
der neuen Ausdrucksmittel soll den bisher statischen Künsten wie Malerei und Literatur
das Element der Bewegung hinzugefügt werden. Ein visueller Lyrismus, der sich in
typographischen Werken bereits andeutet, wird ausgedehnt bis hin zu einer Synthese
der Künste: der Musik, der Malerei und der Literatur.2 Apollinaire entwickelt die Visi-
on eines Supermediums, das die verschiedenen Künste und ihre Ausdrucksformen ver-
einigt. Unter Zuhilfenahme der neuen technischen Medien, dem Phonographen und
dem Kino, die zum allerersten Mal in der Geschichte die Speicherung von Geräusch
und Bewegtbild ermöglichen, sollen der Poesie ungeahnte Möglichkeiten zuwachsen.
Es sind eben jene technischen Medien, die der Medientheorie Friedrich Kittlers zufolge
um 1900 das Monopol der Literatur auf die Speicherung serieller Daten attackieren:
Das Grammophon entwertet die Wörter, indem es ihr Imaginäres (Signifikate) auf Reales
(Stimmphysiologie) hin unterläuft. […] der Film entwertet die Wörter, indem er ihre Referen-
ten, diesen notwendigen, jenseitigen, wohl absurden Bezugspunkt von Diskursen als Referen-
ten vor Augen stellt.3

Auch wenn jede Filmproduktion in Wirklichkeit eine erhebliche Menge von Schrift-
texten voraussetzt, bleibt die gefühlte Konkurrenz, die von der Darstellungsmacht der
neuen technischen Medien ausgeht, enorm. Neben den zwei Optionen „Trivialisierung“
und „Materialgerechtigkeit“, die Kittler als Reaktionen der Literatur auf diesen Angriff
ausmacht, scheint sich der Literatur ein weiterer Ausweg zu eröffnen: Er bestünde in
einem Bündnis mit den neuen Apparaten und dies, zumindest für eine Literatur verstan-
den als geschriebene Wortkunst, auch um den Preis ihrer Selbstaufgabe. Anstatt Geräu-
sche und Bilder nur zu evozieren, wird die Poesie in Apollinaires Vorstellung die Ma-
schinen in den dichterischen Schaffensprozess integrieren. Man könnte sich, so
Apollinaire, ein nur aus Lauten und Geräuschen bestehendes Gedicht vorstellen, das am
Phonographen komponiert würde. Bezeichnet Apollinaire die Auswahl dieser Geräu-
sche ganz allgemein als künstlerisch, so besteht für ihn das Lyrische dieser neuen Dich-
tung mit Apparaten in der Weise, wie die Bestandteile gemischt oder gegeneinanderge-
setzt werden („lyriquement mêlés ou juxtaposés“).4 Noch, so schließt Apollinaire sein

1
Wieder zeigt sich, dass die Ausweitung des Poesiebegriffes nicht von der Übertragung literarisch-
poetischer Formen in das filmische Medium zu trennen ist. Auch, wenn ein medienunspezifischer
Poesiebegriff Voraussetzung für die Ausrufung des poetischen Film sein sollte, so ist doch danach
zu fragen, was diese einfache Übertragung ermöglicht und welche poetischen Verfahren es sind,
die im Film zur Austragung kommen. Das Dilemma ähnelt jenem, dem sich die Filmnarratologie
ausgesetzt sieht: Lassen sich die Begriffe der Erzählforschung auf den Film übertragen und wenn
ja, inwieweit verlieren sie dadurch ihre Spezifik? Siehe Marie-Laure Ryan: „On the Theoretical
Foundation“, 3f.
2
Guillaume Apollinaire: „L’Esprit nouveau“, 901.
3
Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800–1900, München 2003, 298.
4
Guillaume Apollinaire: „L’Esprit nouveau“, 903; „lyrisch verflochtenen oder aneinandergereihten
Geräuschen“ (Guillaume Apollinaire: „Der neue Geist“, 80).
78 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

Pamphlet, seien solche Versuche nichts als Inkunabeln, befänden sich also im Stadium,
in dem das neue Medium die Formen eines alten Mediums imitiert. Apollinaire setzt
jedoch auf die universelle Wirkkraft des ‚neuen Geistes‘, die sich schließlich auch in
den Künsten manifestieren müsse. Das Vorantreiben der Poesie in den Bereich der
technischen Medien versteht sich als Versuch, eine Antwort zu finden auf die drängen-
de Frage nach der Rolle der Poesieschaffenden, nach der Aufgabe der Dichtenden im
Kontext der Modernisierung, insbesondere angesichts der fortschreitenden Technisie-
rung aller Lebensbereiche. Aus dem Manifest spricht die Hoffnung, dass die Poesie
nicht überflüssig werde, sondern dass ihr, sofern die Dichterinnen und Dichter die Er-
neuerung ihrer Kunst wirklich bejahten, sogar eine zentrale Rolle zukäme.
Was die Verbindung zwischen moderner Lyrik und Avantgardefilm anbelangt, las-
sen sich drei verschiedene Formen unterscheiden: (1) Filme, deren dezidiert anti-
narratives, illusionsstörendes oder formalistisches Vorgehen von Filmkritik oder -
theorie als poetisch bezeichnet und beschrieben wurde. Sie werden im ersten Kapitel
dieser Arbeit thematisiert. (2) Filme, für die Gedichte als Inspiration oder sogar Vorlage
dienten, wie D.W. Griffith’ THE UNCHANGED SEA (1910), Charlie Chaplins THE FACE
ON THE BAR-ROOM FLOOR (1914) oder Germaine Dulacs L’INVITATION AU VOYAGE
(1927), und (3) schließlich direkte Kooperationen zwischen Regisseuren und Dichtern,
die den lyrischen Text mehr oder weniger stark in einen Film einbeziehen.1 Ein frühes
Beispiel für eine solche direkte Kooperation zwischen einem Dichter und einem Fil-
memacher ist ein Projekt von Phillippe Soupault und Walter Ruttmann aus dem Jahr
1922. Es handelt sich um Kurzfilme nach zwei Poèmes cinématographiques von Sou-
pault, die im Jahr 1917 erschienen waren. Biographischen Aufzeichnungen des Dich-
ters zufolge sollen die Filme nicht nur geplant worden, sondern auch tatsächlich reali-
siert worden sein. Leider sind beide Arbeiten im Zweiten Weltkrieg zerstört worden.
Und da weder beschreibende Kritiken noch Berichte über eine etwaige Aufführung
existieren, wissen wir kaum etwas über sie. Wahrscheinlich ist jedoch, dass es sich wie
beim Großteil von Ruttmanns Arbeiten aus der betreffenden Zeit um animierte Kurz-
filme gehandelt hat.2

1
„The Chaplin film was made in 1914 under the titel The Face on the Bar-room floor, and has since
also been known as The Ham Artist and The Ham Actor. The ballad on which it is based was
widely popular in the early years of the 20th century and even in 1936 was still being included in an
anthology of The Best Loved Poems of the American People.“ (Michael Morley: „Fading to black“,
287). Siehe Hugh Antoine d’Arcy: „The Face upon the Barroom Floor“, in: Hazel Felleman (Hg.):
The Best Loved Poems of the American People, New York 1936, 149–151. Hier: 141ff. Die Balla-
de von Hugh Antoine D’Arc gehört zu einem Genre von Balladen, die als ein sogenanntes parlor-
piece, in Music-Halls oder Vaudeville-Theatern zur Aufführung gebracht wurden. Obwohl Chap-
lin, wie auch Morley ausführt, gerade von Lyrikern für sein poetisches Genie verehrt wurde, über-
nimmt er selbst, in der Filmversion der Ballade zunächst einmal deren narratives Gerüst, das er un-
ter Einsatz filmischer narrativer Techniken wie dem Flashback ins filmische Medium überträgt.
Die melodramatisch gestimmten Strophen überträgt er dabei durch eine hinzugefügte Szene und
sein eigenes Spiel in eine Burlesque (Siehe Michael Morley: „Fading to black“, 288).
2
Siehe Jeanpaul Goergen: Walter Ruttmann. Eine Dokumentation, Berlin 1989, 105.
Lyrik im Stummfilm 79
In der Kombination von Lyrik und Film erfährt Apollinaires Programm also erste
Ansätze seiner Verwirklichung. Dabei treffen zwei Künste aufeinander, die in hohem
Maße Geltung als Paradigmen der Moderne1 erlangt haben, sei es dadurch, dass der
Film zum Signum für das Zeitalter der mechanischen Reproduzierbarkeit erklärt wird, 2
dass „ausgeprägte Analogien zwischen der technischen Ästhetik des Kinos und der
technisch geprägten Verkehrs- und Wahrnehmungswelt der Moderne“3 bemerkt werden
oder dass die Lyrik paradigmatisch die Wende zur modernen Literatur ausdrücken soll,
„weil sich in ihr der Formbruch am frühesten und zugleich am entschiedensten doku-
mentiert.“4
Mediengeschichtlich kann das Auftauchen technischer Medien als Prozess beobach-
tetet werden, in dessen Verlauf die Funktion der Speicherung des Realen und des Ima-
ginären vom Aufschreibesystem „Schrift“ abgezogen wird,5 wodurch diese auf ihr
Sprachmaterial verwiesen bleibt: Film macht als „adäquater Ausdruck für die Erfahrun-
gen der Moderne“6 der Buchliteratur ihre kulturdominierende Funktion streitig. Konsta-
tiert man in diesem Sinne eine Modernität des Filmes, so bezieht sich das sowohl auf
dessen Technizität und seine spezifische Weise des Zur-Erscheinung-Bringens als auch
auf seine soziokulturelle Einbindung als Medium der Masse sowie auf die ökono-
mischen Bedingtheiten,7 die zusammen die erweiterte Medialität des Filmes im Sinne
eines Dispositivs Kino bilden.
Für die Literaturtheorien des Modernismus wird die Lyrik früh zum Paradigma; hier
sollte der Bruch mit überlieferten literarischen Formen vollzogen werden, sollten „kon-
krete Objekte und Umgebungen sowie die damit verbundenen Gefühle“8 literarisch
gestaltet werden.9 Auch als literarische Gattung, die in ihrer Vieldeutigkeit die moderne
derne Welterfahrung wiedergibt, kann Lyrik paradigmatisch für eine Literatur der Mo-
derne stehen; nicht nur als Ausdruck einer Krisenerfahrung, sondern auch in ihrer Ten-

1
Wolfgang Iser (Hg.): Immanente Ästhetik, ästhetische Reflexion. Lyrik als Paradigma der Moder-
ne, Kolloquium Köln 1964, Vorlagen und Verhandlungen, München 1966.
2
Siehe Walter Benjamin: „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Dritte
Fassung“, in: Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhäuser/Theodor
W. Adorno/Gershom Scholem, Frankfurt am Main 2006 (I.2), 471–508. Hier: 505; Jörg Schwei-
nitz: Film und Stereotyp, 132.
3
Harro Segeberg: „Literarische Kinoästhetik“, 197.
4
Wolfgang Iser: „Vorwort“, in: Wolfgang Iser (Hg.): Immanente Ästhetik, ästhetische Reflexion.
Lyrik als Paradigma der Moderne, Kolloquium Köln 1964, Vorlagen und Verhandlungen, Mün-
chen 1966, 9–11. Hier: 9.
5
Siehe Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800–1900, 297.
6
Jan Röhnert: Springende Gedanken, 49.
7
Siehe Jörg Schweinitz: Film und Stereotyp, 133.
8
Jutta Ernst: „Literaturtheorien des Modernismus“, in: Ansgar Nünning (Hg.): Metzler Lexikon
Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe, Stuttgart 2001, 451–453.
Hier: 452.
9
Siehe ebd.
80 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

denz, sich zur Erscheinung hinzuwenden, um „Wiedergabe von Dingwahrnehmung“1


zu sein. So formuliert Wolfgang Iser diese Beobachtung in seiner Untersuchung zu T.S.
Eliots The Waste Land und deutet sie als Kennzeichen einer Programmatik
imagistischer Dichtung. Sie beruht auf einer phänomenologischen Auffassung der ge-
genständlichen Realität: Konventionelle Wahrnehmung lässt die Dinge verarmen, weil
die Dinge mit der Form ihres Erscheinens bzw. Wahrgenommenwerdens als identisch
aufgefasst werden. Mit der Programmatik einer Entautomatisierung der Wahrnehmung 2
mung2 reagiert moderne Lyrik auf die veränderten epistemologischen Vorannahmen
ihrer Epoche.3 In Isers Interpretation klingt ein Programm an, das ähnlich auch in
Siegfried Kracauers Filmtheorie formuliert ist.4 Es gilt, durch die Hinwendung zu den
äußeren Erscheinungen die Errettung bzw. Erlösung der äußeren Wirklichkeit zu leis-
ten. Auch in diesem typisch modernen Projekt treffen sich Lyrik und Film. Doch wäh-
rend die Lyrik über eine Entautomatisierung der Wahrnehmung durch überraschende
Bildwechsel und unvermutete Zusammenstellungen zu diesem Ziel gelangen soll, setzt
man die Hoffnungen im Fall des Filmes in seine technische Medialität. Durch die Ver-
fremdung, die sich einstellt, wenn Großaufnahmen Bildelemente aus dem gewohnten
Zusammenhang isolieren – oder mit Hilfe von Zeitlupen, die überraschende Bewegun-
gen zeigen –, sollen die visuellen Eigenschaften des Dargestellten wahrnehmbar ge-
macht werden.5 Die imagistischen Experimente boten Anstoß zu weitergehenden poe-

1
Victor B. Sklovskij: „Die Kunst als Verfahren“, in: Jurij Striedter (Hg.): Russischer Formalismus.
Texte zur allgemeinen Literaturtheorie und zur Theorie der Prosa, München 1994, 3–35. Hier: 15.
2
„Und gerade, um das Empfinden des Lebens wiederherzustellen, um den Stein steinern zu machen,
existiert das, was man Kunst nennt. Ziel der Kunst ist es, ein Empfinden des Gegenstandes zu ver-
mitteln, als Sehen, und nicht als Wiedererkennen; das Verfahren der Kunst ist das Verfahren der
‚Verfremdung‘ der Dinge und das Verfahren der erschwerten Form, ein Verfahren, das die Schwie-
rigkeit und Länge der Wahrnehmung steigert, denn der Wahrnehmungsprozeß in der Kunst ist
Selbstzweck und muß verlängert werden; die Kunst ist ein Mittel, das Machen einer Sache zu erle-
ben; das Gemachte hingegen ist in der Kunst unwichtig.“ (Ebd.).
3
Wolfgang Iser: „Image und Montage. Zur Bildkonzeption in der imagistischen Lyrik in T.S. Eliots
Waste Land“, in: Wolfgang Iser (Hg.): Immanente Ästhetik, ästhetische Reflexion. Lyrik als Para-
digma der Moderne, Kolloquium Köln 1964, Vorlagen und Verhandlungen, München 1966, 361–
393. Hier: 363f.
4
Siehe auch Jörg Schweinitz: Film und Stereotyp, 150. Kracauer liefert übrigens eine Replik auf
Isers Vortrag, geht aber lediglich auf den Zusammenhang von lyrischer und filmischer Montage
ein: „Das Verlangen danach, die Realität in ihrer Unerschöpflichkeit und Unbestimmbarkeit darzu-
stellen, ist so stark und so ganz dem Medium gemäß, daß es sich auch in Filmen mit einer Spiel-
handlung immer wieder Geltung zu verschaffen vermag. […] Von D. W. Griffith an haben es der-
art viele Regisseure verstanden, durch geeignete Montagemethoden aus dem Gefängnis der Story
auszubrechen und eine Vielheit von Standpunkten zu suggerieren.“ (Wolfgang Iser: „Image und
Montage. Zur Bildkonzeption in der imagistischen Lyrik in T.S. Eliots Waste Land. Diskussion“,
in: Wolfgang Iser (Hg.): Immanente Ästhetik, ästhetische Reflexion. Lyrik als Paradigma der Mo-
derne, Kolloquium Köln 1964, Vorlagen und Verhandlungen, München 1966, 495–508. Hier: 508).
5
Bis zu einem gewissen Punkt nähert sich Iser damit der Idee des Optisch-Unbewussten, allerdings
ist bei Benjamin das Verhältnis von Montage, taktiler Rezeption und Gewöhnung anders gelagert.
Siehe Walter Benjamin: „Das Kunstwerk im Zeitalter“, 500ff.
Lyrik im Stummfilm 81
tischen Entwicklungen, so auch der lyrischen Montage. Iser rückt die lyrische Montage
in die Nähe der filmischen, räumt jedoch ein, dass beide sich eher in ihren Wirkungen
ähneln, ihrer Form nach jedoch unterscheiden würden. Die lyrische Montage strebt eine
Kollision unabhängiger Aufnahmen an, die eine Überlagerung von Bedeutungen zur
Folge hat. In vergleichbarer Weise lässt sie „Momentaufnahmen unvermittelt aneinan-
derstoßen“1 und produziert so jene „Chockwirkung“2, die nach Walter Benjamin die
moderne, urbane Erfahrung charakterisiert.3 Im Unterschied zur Montage in Prosa ver-
zichtet die lyrische Montage, die stärker mit Kontrastwirkungen arbeitet, auf die Be-
weglichkeit der Einzelbilder, die Emphase liegt eher auf der unvermittelten Kopplung
der Bildausschnitte.4
Die Modernität von Lyrik und Film verdichtet sich nicht nur für Wolfgang Iser in der
Frage der Montage. Montage, in all ihren Bedeutungsschattierungen, kann zweifellos
als „Zauberwort der Modernismus“5 gelten. Am prominentesten wird der Begriff – vor
allem im deutschsprachigen Diskurs – von Anfang an im Zusammenhang mit dem Film
verhandelt, der als das Medium gilt, in dessen Funktionieren sich Kunst und Technik
vereinen. Da die filmische Montage in der Weimarer Republik die größte Aufmerksam-
keit erhält, entsteht leicht der Eindruck, dass Montage in der Literatur stets ein Anzei-
chen filmischen Schreibens sei. Dies ist jedoch durchaus nicht immer der Fall.6 Auch
im expressionistischen Reihungsstil, der parataktisch disparate Elemente aneinander-
reiht, ist beispielsweise ein Montageverfahren zu sehen. Unzusammenhängende Bilder
werden unvermittelt gegeneinandergesetzt, so dass Brüche und Diskontinuitäten beste-
hen bleiben.7 Silvio Vietta kennzeichnet die expressionistische Montage und Collage
als Radikalisierung und stilistisches Äquivalent zum Prinzip der Auflösung und der
Zersplitterung in Einzelteile, welches für die literarische Moderne auf verschiedenen
Ebenen kennzeichnend ist und das sich unter anderem in Hofmannsthals Chandos-Brief
äußert.8 Das Simultangedicht mit seiner dissoziierenden, parataktischen Reihung hält
die „Heterogenität der Wahrnehmungen, Impressionen und Assoziationen fest, die of-
fenbar einer veränderten Erfahrungsstruktur entspricht“9, einer Erfahrungsstruktur, die
typisch für die moderne Großstadtwahrnehmung ist.10

1
Wolfgang Iser: „Image und Montage“, 378ff.
2
Walter Benjamin: „Das Kunstwerk im Zeitalter“, 503.
3
Wolfgang Iser: „Image und Montage“, 378ff.
4
Siehe Wolfgang Iser (Hg.): Immanente Ästhetik, ästhetische Reflexion, 379.
5
Diedrich Diederichsen: „Montage/Sampling/Morphing. Zur Trias von Ästhetik/Technik/Politik“,
online unter:
http://www.medienkunstnetz.de/themen/bild-ton-relationen/montage_sampling_morphing.
6
Siehe Hanno Möbius: Montage und Collage. Literatur, bildende Künste, Film, Fotografie, Musik,
Theater bis 1933, München 2000, 19.
7
Siehe ebd., 242.
8
Siehe Silvio Vietta: „Großstadtwahrnehmung und ihre literarische Darstellung. Expressionistischer
Reihungsstil und Collage“, in: DVjs, 48. Jg., 1974, 354–376. Hier: 356.
9
Ebd., 365.
10
Siehe ebd., 358.
82 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

Auch in der englischsprachigen modernen Dichtung gilt die filmische Montage zu-
sammen mit der Konstruktion imaginärer Räume durch die Ausrichtung des Blickes
(gaze) als „quintessentially modernist“1. Einem imagistischen Gedicht wie T.S. Eliots
Langpoem The Waste Land etwa wird aufgrund seines Reichtums an Zitaten und seiner
Multiperspektivität eine Tendenz zur Montage attestiert.2 Auch wenn eine solche Affi-
nität modernistischer Dichtung und filmischer Techniken nicht zu leugnen ist, zeigen
neuere Forschungen, dass der „Einfluss“ vor allem des experimentellen Kinos auf die
literarische Montage bisher eher überschätzt worden ist. David Trotter argumentiert,
dass den literarischen Modernismus am Film gerade die scheinbar neutrale Aufzeich-
nungstechnik faszinierte, nicht die anti-organische Montagekunst des historisch späte-
ren Langfilmes: „Texts by Eliot, Joyce, Wyndham Lewis, and Virginia Woolf look
back in their affinity with cinema, to that original neutrality of film as a medium, rather
than forward to montage as the apotheosis of cinematic narrative art.“3 Festzuhalten
bleibt, dass der Einfluss des Filmes auf die Literatur kein einseitiger war und dass es
sich bei der „Kennzeichnung moderner Wahrnehmungsweisen als filmisch“4 um eine
Verkürzung handelt, die die in anderen Künsten existierenden Montageformen unter-
schätzt; eine Kennzeichnung, die nicht differenzierend zur Kenntnis nimmt, dass die
filmische Montage mit dem kinematographischen Apparat einhergeht.5 Dass das Kino
zu den paradigmatischen Phänomenen der Moderne gehöre, ist auch eine nostalgische
Verklärung, die übersieht, wie stark die meisten Kinofilme den Traditionen des Realis-
mus und der narrativen Kohärenz verpflichtet bleiben.6
Während Montage in literarischen Texten nur als markierte Form besonders kon-
trastreicher Einzelbilder7 signifikant wird, stellt sie für den Film ein konstitutives tech-
nisches Verfahren dar. Als künstlerisches Prinzip der historischen Avantgarden wie sie
Peter Bürger in der avantgardistischen Malerei und Collage ausmacht, steht Montage
für ein dissoziierendes Gestaltungsmittel, mithin für eine ganz bestimmte Form, die im
Filmbereich vor allem dem Experimentalfilm eigentümlich ist.8 Gerade weil die Mon-
tage im Film, wie Bürger betont, technisches Verfahren ist, muss sie also differenziert
betrachtet werden. Die filmische Montage kann als künstlerisches Verfahren mit ganz

1
Michael Wood: „Modernism and Film“, in: Michael Levenson (Hg.): The Cambridge Companion
to Modernism, Cambridge 1999, 217–232. Hier: 222f.
2
Siehe Hanno Möbius: Montage und Collage, 243.
3
David Trotter: Cinema and Modernism, Malden/MA 2007, 5.
4
Hanno Möbius: Montage und Collage, 418.
5
Siehe ebd.
6
Siehe Michael Wood: „Modernism and Film“, 217.
7
Siehe Wolfgang Iser: „Image und Montage“, 379.
8
Die Faszination vieler Schriftsteller der Moderne erstreckte sich auch auf Disney-Filme, Dokumen-
tationen und natürlich Charlie Chaplin, auch hier lassen sich Avantgarde-Methoden wie Diskonti-
nuität und Dislokation beobachten. Im Stummfilm kann man ohnehin noch nicht von einer scharfen
Trennung zwischen narrativem Mainstreamkino und Kunstfilm sprechen. (Siehe Susan McCabe:
Cinematic Modernism, 12).
Lyrik im Stummfilm 83
verschiedenen Zielsetzungen zum Einsatz kommen.1 Um dieser Problematik zu begeg-
nen, gilt es, nach einer wichtigen Unterscheidung, die auf Peter Klotz zurückgeht, zwi-
schen „einem demonstrativen (offenen, irritierenden) und einem integrierenden (ver-
deckten) Montageverfahren“2 zu differenzieren. Während letzteres besonders in
Erzähltexten auftritt, ohne dabei in Widerspruch zur Illusionsbildung eines geschlosse-
nen, organischen Werkes zu stehen, gilt das demonstrative Verfahren als die paradig-
matische Form der Montage, die eine aufbrechende Wirkung hat und den Konstrukti-
onscharakter des Kunstwerks offenlegt.3 In Anwendung auf den Film lassen sich in
ähnlicher Weise integrative und demonstrative Verfahren beschreiben. So funktioniert
in einer Dialogsequenz des klassischen Hollywood-Kinos trotz mehrerer Schnitte die
Montage fast unbemerkt, während sie in Godards A BOUT DE SOUFFLE (Außer Atem,
1960) durch das Überspringen kleiner Zeitintervalle in den sogenannten Jumpcuts de-
monstrativ ausgestellt wird.4
Hat man nicht Literatur oder bildende Kunst, sondern Filme zum Gegenstand, genügt
es also nicht, zu konstatieren, dass Montage vorliegt. Vielmehr ist zu fragen, welcher
Art diese Montage ist. Man wird die Untersuchung auf Verfahrensweisen konzentrieren
müssen, die zu beschreiben und deren Funktionen zu bestimmen sind. Wie tritt die
Montage ins Verhältnis zur mise en scène? Werden die Nahtstellen zwischen den Ein-
stellungen sichtbar gehalten oder verheimlicht? Dann zeigt sich, dass in poetischen
Filmen5 und auch in vielen Gedichtfilmen nach anderen Kompositionsprinzipien mon-
tiert wird, als im narrativen Film, der mit Mitteln der sogenannten kontinuierlichen
Montage Kontinuität und Geschlossenheit der diegetischen Welt zu erzeugen vermag.
Diese integrative Montageform, die sich auf Point of View Shots oder Schuss-Gegen-
schuss-Verfahren stützt, wird im Avantgardefilm in Frage gestellt oder ganz aufgege-
ben, stattdessen rückt der Rhythmus der Montage in den Vordergrund. Auch in der
kontinuierlichen Montage entstehen durch die Schnitte Lücken im linearen Handlungs-
ablauf. Allerdings bleibt hier zumeist entweder die Einheit des Raumes oder die zeitli-
che Kontinuität gewahrt, so dass das Fehlende als zeitliche Raffung oder Perspektivie-
rung interpretiert und vom Publikum kognitiv vervollständigt werden kann. Diese
einbindende Rezeption wirkt durchaus aktivierend und kann den identifikatorischen
Effekt und die Illusionsbildung sogar noch verstärken. In den offenen Montagen des
experimentellen Filmes sind Zäsuren, die durch den Schnitt erzeugt werden, dagegen
als solche markiert und lassen sich in der Rezeption als Brüche wahrnehmen: „Sie un-
terbrechen nicht nur die Kontinuität des Raums bzw. der Zeit partiell, um letztlich doch
in einer kontinuierlichen Dramaturgie aufzugehen, sondern mit den Zäsuren stehen

1
Siehe Hanno Möbius: Montage und Collage, 23.
2
Viktor Žmegač: „Montage/Collage“, in: Dieter Borchmeyer (Hg.): Moderne Literatur in Grundbe-
griffen, Tübingen 1994, 286–291. Hier: 287.
3
Siehe ebd.
4
Siehe James Monaco: Film verstehen. Kunst, Technik, Sprache, Geschichte und Theorie des Films
und der Medien, mit einer Einführung in Multimedia, Reinbek bei Hamburg 2008, 219.
5
Siehe Kapitel 1.3.
84 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

nunmehr Raum, Zeit und Handlung gleichermaßen zur Disposition.“1 Es überrascht


daher wenig, dass sich der Experimentalfilm in seinem Verzicht auf geschlossene filmi-
sche Diegese gerade der Gattung der Lyrik geöffnet hat.
Wie Montage und Rhythmus in der Verbindung von moderner Lyrik und Avantgar-
defilm im Einzelnen realisiert werden, soll im Anschluss an drei einschlägigen Beispie-
len gezeigt werden. Während der Großstadtfilm MANHATTA ganz im Zeichen der urba-
nen Moderne steht, verfilmt in L’INVITATION AU VOYAGE eine Vertreterin des cinéma
pur Baudelaire, den Dichter des modernen Lebens. Mit der Kooperation von Robert
Desnos und Man Ray wird die Darstellung um die Verfahren und Motive des Surrea-
lismus erweitert.

2.1.2 MANHATTA

Der nach dem Prinzip der offenen Montage verfahrende Film MANHATTA gilt als einer
der frühesten Avantgardefilme überhaupt. Er wurde 1920 vom Fotografen und Maler
Charles Sheeler und dem Fotografen Paul Sand gedreht und ist damit zugleich einer der
ältesten noch erhaltenen Gedichtfilme.2 Der 10-minütige Film basiert auf den Groß-
stadtdichtungen Walt Whitmans und integriert einzelne Verse aus dem Zyklus „Leaves
of Grass“, darunter das titelgebende „Manhatta“, „A Broadway Pageant“ und „The
Song of Ships“3. Dies geschieht auf zwölf Zwischentiteln, die mit verschiedenen stati-
schen Aufnahmen der Stadt New York kombiniert werden. Die Verse sind recht freimü-
tig aus ihrem jeweiligen Kontext entfernt und zum Teil verkürzt worden. Sie stehen
exemplarisch für Whitmans Lyrik in freien Versen, in der die Vitalität und Modernität
der Stadt New York in ihren vielen Facetten gepriesen wird. Wie andere Stadtfilme der
Epoche besitzt auch MANHATTA keine Handlung im eigentlichen Sinne, sondern orien-
tiert sich an Kompositionsprinzipien, die der Musik entlehnt sind. Die lyrischen Zwi-
schentitel markieren verschiedene Abschnitte des Filmes, denen sie gleichzeitig als
Motto bzw. Thema vorangestellt sind. Es entsteht eine Gliederung in zwölf Abschnitte:
1. Ouvertüre, 2. Die Masse, 3.–5. Architektur, 6.–8. Transport, 9. Brücken und Stahl-
konstruktionen, 10. Fluss, 11. Bewegung der Menge und 12. Zukunft.
Auf der Tafel zum ersten Abschnitt, Ouvertüre, werden die drei Themen4 des Filmes
eingeführt: die städtische Menschenmenge, Bauwerke und Technik sowie die personifi-
zierte Stadt: „City of the world! / (for all races are here), city of tall façades of marble

1
Hanno Möbius: Montage und Collage, 412.
2
Scott MacDonald: „Poetry and Avant-Garde Film“, 3.
3
Außerdem: „The Song of the Broad Axe“, „Sparkles from the Wheel“, „Crossing Brooklyn Ferry“
und „[A Song for Occupations]“.
4
Ich gebrauche den Begriff in seiner literaturwissenschaftlichen und nicht in seiner musikalischen
Bedeutung.
Lyrik im Stummfilm 85
and iron! Proud and passionate city“1. In drei folgenden Einstellungen nähert sich da-
raufhin die Kamera langsam der Skyline Manhattans. Der nächste Abschnitt zeigt das
„Million-footed Manhattan“, eine in der Aufsicht gefilmte Menschenmenge, die eine
Fähre verlässt und in die Straßen der Stadt strömt. Nach diesen Blicken auf die Stadt-
bewohner folgen drei Abschnitte, die den Bauwerken gewidmet sind, und anschließend
drei weitere, die das Thema „Verkehr und Transport“ ausführen. Interessanterweise
bildet innerhalb der beiden Gruppen jeweils der mittlere Abschnitt eine leichte Ab-
wandlung des Themas, man könnte sagen eine Alternation nach dem Muster (aba cdc),
die sich mit gewissen Strophenformen in den Terzetten des Sonetts vergleichen ließe.
Das Thema „Architektur“ wird mit einigen Einstellungen von Hochhäusern begonnen,
denen Aufnahmen von Bauarbeiten folgen. Indem der Film die Bauwerke im Entstehen
zeigt, kennzeichnet er das Werden der Stadt als einen Prozess, der noch anhält. Eine
weitere Reihe von Hochhausaufnahmen schließt die Sequenz. Auch die nächsten drei
Abschnitte begründen einen Themenkomplex, innerhalb dessen sich eine Rahmung
ausbildet. Beginnend mit Schiffen, die im Hafen manövrieren, wechselt die Sequenz zu
Zügen und Bahnanlagen, um schließlich wieder zu den Schiffen zurückzukehren. Als
Leitmotiv fungiert auf visueller Ebene der Dampf, der aus den Fahrzeugen aufsteigt,
und metonymisch auf die Industrialisierung und das moderne Zeitalter verweist. Der
fünfte Themenkomplex, nur aus zwei Abschnitten bestehend, variiert in den Abschnit-
ten Brücke und Flussschifffahrt das Eisenmotiv im Verbund mit dem des Wassers. Im
vorletzten Abschnitt richtet sich der Blick wieder auf die ständige Bewegung der Men-
schenmenge, bevor der Film schließlich mit einer Naturerscheinung schließt:
Gorgeous clouds of the sunset!
drench with your splendor
me, or the men and women
generations after me!2

Da sich die Erfahrungswelt der urbanisierten, industrialisierten Moderne, „der Abbild-


barkeit mittels traditioneller Erzählstrukturen“3 entzieht, wäre ein figuren- und hand-
lungszentrierter Film denkbar ungeeignet für die Darstellung der modernen Großstadt,
zumal wenn sie, wie in den Dichtungen Whitmans, selbst als Paradigma der Moderne
fungiert: „An der großstädtischen Realität wird exemplarisch die Moderne erfahren, so
daß sich die Erfahrung der Moderne als eine Erfahrung der Großstadt schlechthin defi-
nieren läßt.“4
Als nicht-narrativer Film ohne Charaktere und mit unbestimmter zeitlicher Abfolge
ist MANHATTA in seiner Gesamtheit nach einer Bauform konstruiert und gegliedert, die
in der Typologie der Neo-Formalisten Bordwell und Thompson dem kategorialen Prin-

1
Whitman, Walt: „Leaves of Grass“ [Final Edition of 1891/92], in: Complete Poetry and Selected
Prose, hg. von James E. Miller jr., Boston 1959, 211.
2
Ebd., 119.
3
Sabina Becker: Urbanität und Moderne. Studien zur Großstadtwahrnehmung in der deutschen
Literatur, 1900–1930, St. Ingbert 1993, 10.
4
Ebd.
86 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

zip1 entspricht. Zur Kategorienbildung dienen in MANHATTA die Verse Whitmans.


Innerhalb der einzelnen Abschnitte ist jedoch gleichzeitig ein abstraktes Formprinzip
wirksam: „In this type of organization the audience’s attention is drawn to abstract
visual and sonic qualities of the things depicted – shape, color, aural rhythm and the
like.“2 In MANHATTA sind die Bilderfolgen nach Kontrasten (Hell/Dunkel, Größe,
Menge) oder Ähnlichkeiten des Umrisses gestaltet. Durch dieses Prinzip, das das Bild-
material auf visuelle Eigenschaften hin organisiert und damit die Komposition gegen-
über dem Dargestellten privilegiert, erfahren die Filmbilder eine poetische Umwand-
lung.
In seiner dynamischen Rhythmik ist der vorletzte Abschnitt einer der bemerkens-
wertesten des Filmes. Mit einem Vers aus dem Gedicht „Sparkles from the Wheel“
leitet der Zwischentitel aus den vorangegangenen Abschnitten, die der modernen Tech-
nik gewidmet waren, wieder zurück auf das Motiv der Masse:
Where the city’s ceaseless crowd
moves on, the livelong day3

Hier ist es nun die Bewegung der Menge, die im Mittelpunkt steht, wie in den folgen-
den etwa gleichlangen Einstellungen deutlich wird: zunächst die halbnahe Aufnahme
einer Fensterbrüstung aus steinernen Säulen, durch die hindurch nur ein fernes Ge-
wimmel von Menschen auszumachen ist, darauf eine Totale, die aus großer Höhe einen
fahrenden Zug zeigt, der sich vom rechten oberen Rand in die untere Mitte des Bildka-
ders bewegt. Die Bewegungsrichtung wird von der nächsten Einstellung gespiegelt, in
der verschiedene Fahrzeuge auf einer belebten Fahrbahn von links oben nach rechts
unten fahren. In der abschließenden Einstellung werden diese zwei Bewegungsrichtun-
gen zusammengeführt. Während der Passantenstrom sich auf ganzer Breite des Kaders
schräg nach rechts oben bewegt, führt in der linken oberen Ecke ein Fahrzeug die ge-
genläufige Bewegung aus. Mit Sergej Ejsenštejn ließe sich von einem visuellen Kont-
rapunkt4 sprechen, der hier durch den graphischen Konflikt zweier Bewegungen gesetzt
wird. Der dynamische Effekt, der einer solchen, kontrastiven Montage in Ejsenštejns
Montagetheorie zugewiesen wird, beruht auf eben jenem Prinzip, das die Bewegungs-
wahrnehmung im Film überhaupt erst ermöglicht:
Denn hier [wird] versucht, das ganze Wesen, den prinzipiellen Stil und die Gesinnung des
Films aus seiner technisch(-optischen) Grundlage abzuleiten. […] Der Bewegungsbegriff

1
David Bordwell/Kristin Thompson: Film Art, 105.
2
Im Unterschied zu anderen Filmen, die Komposition, Rhythmus und visuelle Qualität durchaus zur
Emphase einsetzen, sind die abstrakten Filme ausschließlich um diese Qualitäten organisiert. Nicht
selten folgen sie dem Muster Thema-Variation, gelegentlich existiert ein Grundprinzip, das den
Film hindurch vorhanden ist. (Siehe ebd., 119).
3
Walt Whitman: „Leaves of Grass“, 275.
4
Siehe Sergej Ejsenštejn: „Dramaturgie der Film-Form“, in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte
zur Theorie des Films, Stuttgart 2003, 276–304. Hier: 284.
Lyrik im Stummfilm 87
(Empfindung) entsteht im Prozess der Superposition des behaltenen Eindrucks der ersten Po-
sition des Objekts und der [als zweite] sichtbar werdenden Position des Objekts. 1

Bewegung ist allen drei Einstellungen gemeinsam und bildet das abstrakte Prinzip der
modernen Stadt, dem Menschen und Maschinen gleichermaßen unterworfen sind. Da-
mit wird ein formales Bildelement zur Bildung eines Kontrastes herangezogen, der
gleichzeitig eine thematische Entsprechung hat. Die vielbeschworene Dynamik der
Großstadt ist mit der Entfremdungsthematik eng verflochten. Dass Belebtes und Unbe-
lebtes einem Prinzip unterworfen sind, das dem Willen der Einzelnen übergeordnet zu
sein scheint, ist Teil der modernen Großstadterfahrung. Im Motiv des stets möglichen
Unfalls kulminiert, hier wie auch in anderen frühen Großstadtfilmen, die Angst vor
einer Überforderung durch die maschinisierte Welt.2 Menschliche und mechanische
Bewegung werden über die filmische Montage schließlich kontrapunktisch visuell ver-
mittelt, bleiben dabei jedoch in einem kontrastiven Spannungsverhältnis zueinander
stehen. Dies drückt die Ambivalenz aus, mit der dem Phantasma eines urbanen Kollek-
tivs, das sich wie eine riesige Maschine ausnimmt und in dem der Einzelne aufgeht,
begegnet wird. In der Angst, sich in der Masse zu verlieren, verdichtet sich ein zentraler
Zwiespalt der Moderne im weiteren Sinne, denn einerseits wird der Unabhängigkeit des
Subjektes die größte Bedeutung beigemessen, andererseits sieht sich dieses Subjekt mit
einer zunehmend komplexeren Umwelt konfrontiert:
Die moderne Lebenswelt wurde immer anonymer, und die beherrschenden Mächte entzogen
sich der Wahrnehmung: die Gesetze der Naturwissenschaften oder der Ökonomie schienen die
Entwicklungen auf eine nur schwer fassbare Weise zu lenken. Mit dem Schwinden sicherer
Anhaltspunkte fühlte sich der einzelne nur noch als Teil einer getriebenen, amorphen Masse.3

Im Zusammenspiel mit Whitmans Versen ergeben sich exemplarische Motive moderner


Urbanität, wenn nicht gar der Modernität überhaupt. Man sieht den Menschen in seiner
Einbindung in Arbeitsprozesse, im eindrucksvollen Größenkontrast zu den Maschinen
und den Gebäuden, die er selbst errichtet hat und man sieht ihn als Bestandteil der Mas-
se, die sich im Rhythmus der Stadt bewegt. Dieses MANHATTA ist, anders als in den
Versen Whitmans, eine um die Aspekte der Kultur, Unterhaltung und den Komplex des
Sozialen gekürzte Großstadt, reduziert auf die technisierte Modernität einer Industrie-
metropole. Als Beispiel für die hochkomplizierten Stahlkonstruktionen, die als Reprä-
sentanten der Moderne gelten, steht eine Einstellung, die die Brooklyn Bridge zeigt. In

1
Ebd., 280.
2
„Berlin [Sinfonie der Großstadt, S.O.] at once orchestrates its symphonic picture of urban life,
calibrating time and motion, chronographic and topographic dimensions, and exposes the acci-
dental, having happened or waiting to happen, as a subversive counterpoint to its compositional de-
sign.“ (Andrew J. Webber: Berlin in the Twentieth Century. A Cultural Topography, Cambridge
2008, 177).
3
Helmut Bachmaier: „Einleitung. Die Signaturen der Wiener Moderne“, in: Helmut Bachmaier
(Hg.): Paradigmen der Moderne, Amsterdam u. a. 1990, vii–xxiii. Hier: vii.
88 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

ihrer den Menschen weit überragenden Höhe und Symmetrie, mit ihren neogotischen
Spitzbögen, die einem Sakralbau ähneln, scheint sie aufgrund der in der Sonne auf-
leuchtenden Stahlseile von einem Strahlengeflecht umgeben. In ähnlicher Weise wie
Whitman die Stadt in seinen hymnischen Preisungen in mythische Sphären entrückt,
werden bei Sand und Sheeler die städtischen Bewegungen und Mechaniken zu Objek-
ten der Ästhetik. Es ist nicht zu vergessen, dass der Film im Jahr 1921 entsteht, (sechs
Jahre vor Ruttmanns SINFONIE DER GROSSTADT) und damit Whitmans Beobachtungen
der modernen Stadt zum Drehzeitpunkt wohl um ein Vielfaches von der Realität über-
troffen worden sind. In der bewussten Betonung der eigenen Modernität, dem „self-
conscious marking of its own modernity“1 steht der Film Whitmans Dichtungen sicher-
lich in nichts nach. In MANHATTA bilden Großstadtthematik, Film und Lyrik in exemp-
larischer Weise eine moderne Konstellation.

2.1.3 L’INVITATION AU VOYAGE

Peter Weiss konstatiert in seiner Abhandlung Avantgarde-Film nicht nur ästhetische,


sondern auch funktionale Ähnlichkeiten zwischen Lyrik und Film: „Der Avantgarde-
film spielt in der großen, allgemeinen Filmproduktion dieselbe Rolle wie die modernis-
tische Lyrik in der Literatur.“2 Zu seinen Beispielen zählen vor allem dadaistische und
surrealistische Kurzfilme: Ferdinand Légers BALLET MÉCANIQUE (1924), Man Rays LE
RETOUR À LA RAISON (1923), René Clairs ENTR’ACTE (1924) oder Jean Epsteins Bild-
gedicht UN CŒUR FIDÈLE (1923) sowie die abstrakten Filme von Viking Eggeling, Hans
Richter und Walter Ruttmann (1921-1925).3 Nach Scott MacDonald besteht deren
Funktion im Wesentlichen darin, die Filmkunst als eine selbstständige Kunst zu eman-
zipieren, indem man sie sowohl von den Unterhaltungsmedien der Masse als auch vom
Roman, der in Europa kulturell dominanten Erzählform, abgrenzt. Interessanterweise
wird, um die Reinheit filmischer Mittel zu erstreiten, auf die Poesie und damit wiede-
rum auf eine literarische Tradition Bezug genommen. Vielleicht sind es eben jene
Merkmale lyrischen Sprechens, die die begriffliche, diskursive Sprache zu transzendie-
ren versuchen, die als poetische Merkmale in den filmischen Diskurs eingebracht wer-
den?
Eine vehemente Verfechterin des mit diesem Programm angetretenen cinéma pur ist
die Regisseurin Germaine Dulac. In ihren Schriften verteidigt sie die Experimente vor
allem des französischen Avantgarde-Kinos. Statt sich an den bestehenden Künsten zu
orientieren, so fordert sie, soll der tatsächliche Geist des Kinos, der bisher verfehlt wor-

1
Edward S. Cutler: Recovering the New. Transatlantic Roots of Modernism, Hanover/N.H. 2003,
136.
2
Peter Weiss: Avantgarde-Film, 33.
3
Siehe AVANT-GARDE: EXPERIMENTAL CINEMA OF THE 1920S AND 1930S, DVD.
Lyrik im Stummfilm 89
den sei, sich verwirklichen. Die Einzigartigkeit des Kinos, seine Fähigkeit zur Bewe-
gungskunst, sei bisher noch nicht annähernd ausgeschöpft. Dulac kündigt außerdem an,
keinerlei Zugeständnisse an den Geschmack der Menge machen zu wollen.1 Wenn
Dulac die Gefangenschaft des Kinos2 im Käfig der bestehenden Konzeptionen beklagt,
so richtet sich ihre Kritik in erster Linie gegen die Literatur, bezeichnenderweise aber
ganz besonders gegen die Domestizierung des Kinos als Mittel der romanhaften oder
dramatischen Literatur: „[E]t comme le cinéma était mouvement, on le confondit avec
enchaînement d’actions, de situations, on le mit au service d’histoire à raconter.“3 Die
Poesie dagegen gilt ihr als Kunst der inneren Bewegung von aufeinanderfolgenden
Impressionen, die Sinneseindrücke und Seelenzustände gegeneinandersetzt oder ver-
bindet.4 Dulac plädiert für ein cinéma pur, das nicht unter dem Einfluss anderer Künste
stünde, sondern in seiner reinen Visualität einer Symphonie gleicht, die aus rhythmi-
schen Bildern besteht:
Il y a la symphonie, la musique pure. Pourquoi le cinéma lui aussi, n’aurait-il pas sa sympho-
nie? Ce n’est pas le personnage qui a le plus d’importance dans une scène, c’est la relativité
des images entre elles et comme dans tout art, ce n’est pas le fait extérieur qui intéresse vrai-
ment, c’est l’émanation intérieure, un certain mouvement des choses et des gens, vu à travers
son état d’âme. N’est-ce pas là l’essence même du septième art?5

In ihrem eigenen filmkünstlerischen Schaffen hat Dulac dieses Programm auf verschie-
dene Weise zu verwirklichen gesucht. Bekannt geworden ist sie vor allem als Pionierin
des surrealistischen Filmes. Im Jahr 1927 drehte sie in Zusammenarbeit mit Antonin
Artaud LE COQUILLE ET LE CLERGYMAN. Die Einflüsse der modernistischen Lyrik auf
dieses Werk sind unverkennbar.6 Noch im selben Jahr entstand jedoch ein ganz anders
geartetes Werk, das sich direkt auf eine lyrische Vorlage bezog. L’INVITATION AU
VOYAGE nach dem gleichnamigen Gedicht aus den Fleurs du Mal gilt als Übergangs-
stufe zwischen Germaine Dulacs frühen impressionistischen und den späteren surrealis-
tischen bis hin zur Abstraktion gehenden Filmen. Verse aus Charles Baudelaires Ge-
dicht erscheinen im paratextuellen Rahmen des Filmes als Texttafel und erfüllen so die

1
Germaine Dulac: „L’Essence du cinéma. L’idée visuelle“ [1925], in: Ecrits sur le cinéma. 1919–
1937, hg. von Prosper Hillairet, Paris 1994, 62–67. Hier: 63.
2
Ebd., 64.
3
Ebd. „Und da das das Kino Bewegung war, verwechselte man es mit der Verkettung von Handlun-
gen, von Situationen, man stellte es in den Dienst der Geschichte, die es zu erzählen galt.“ (Übers.
S.O.).
4
Siehe ebd., 63.
5
Ebd., 67. „Es gibt die Symphonie, die reine Musik. Warum kann nicht auch das Kino seine Sym-
phonie haben? Es ist nicht die Figur, die in einer Szene am wichtigsten ist, es ist die Bezüglichkeit
der Bilder zueinander und wie in jeder Kunst ist es nicht die äußere Tatsache, die wirklich interes-
siert, es ist die innere Erscheinung, eine gewisse Bewegung der Dinge und der Menschen, gesehen
durch einen Seelenzustand. Ist das nicht das Wesen der siebten Kunst selbst?“ (Übers. S.O.).
6
Siehe Susan McCabe: Cinematic Modernism.
90 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

Funktion eines Mottos. Das Gedicht bildet somit zwar einen Ausgangspunkt, von die-
sem Punkt aus wird das Thema aber mit den Mitteln des Stummfilmes frei entwickelt.
Die äußere Handlung des Filmes ist, hierin Dulacs Programmatik gemäß, stark zu-
rückgenommen. Die Kontinuität von Zeit und Raum bleibt zwar gewahrt, im Zentrum
stehen jedoch die inneren Vorgänge und Bewegungen der Figuren. Zunächst fällt auf,
dass die zentrale Figur des Filmes eine Frau ist, und somit das männliche lyrische Sub-
jekt ersetzt. Sie verlässt ihre häusliche Einsamkeit und begibt sich in einen mondänen
Nachtclub, wo sie auf einen Marineoffizier trifft, mit ihm flirtet und sich romantischen
Fluchtphantasien hingibt. Texttafeln, die Dialoge vermitteln, gibt es den ganzen Film
hindurch nicht, sämtliche Kommunikationsakte bleiben auf den nicht-sprachlichen Be-
reich von Gestik und Minenspiel reduziert. Im Vordergrund stehen die Imaginationen
und Träume der Figuren, die als innere Bilder in die äußere Wirklichkeit projiziert wer-
den. Diese Vermischung innerer Zustände und äußerer Atmosphären wird filmisch
durch Überblendungen realisiert. Damit vollzieht der Film mit seinen eigenen Aus-
drucksmitteln etwas, das in Baudelaires Gedicht sprachlich herbeigeführt wird. Mit
Worten entfaltet das lyrische Subjekt in seiner Einladung die Vision einer Reise, die
nur im Bereich des Möglichen oder Erträumten liegt. In der ersten Strophe ergeht die
Aufforderung an die Adressatin, sich das Ziel in Gedanken vorzustellen: „Mon enfant,
ma sœur, / Songe à la douceur / d’aller là-bas vivre ensemble!“1 Erfolgt die Beschrei-
bung dieses „lá-bas“ in der zweiten Strophe noch im Konjunktiv, so scheint die Adres-
satin in der dritten Strophe bereits in die Imagination hineingenommen: „Vois sur ces
canaux / dormir des vaissaux“2. Das „vois“ (sieh) deutet darauf hin, dass das lyrische
Subjekt und die angesprochene Frau den imaginären Raum nun gemeinsam bewohnen,
dass er ihnen beiden gleichermaßen vor Augen steht.3 In ähnlicher Weise verfährt Du-
lac, wenn sie die Phantasien der Figuren in der Filmwirklichkeit (filmischen Diegese)
aufgehen lässt. In einer Szene des Filmes lädt der fremde Marineoffizier die Frau dazu
ein, durch ein kleines Fenster des Nachtclubs zu schauen. Zunächst erblickt sie nur den
dahinterliegenden, schäbigen Hof, doch beim zweiten Versuch erscheint hinter dem
zurückgezogenen Vorhang das Bild eines Schiffes auf bewegtem Meer. Auch hier also
teilen die beiden Figuren die Phantasie einer möglichen gemeinsamen Flucht, die in die
äußere Welt verlagert wird und sich also ihrer visuellen Wahrnehmung darbietet. Darü-
ber hinaus teilen sie diese Vision mit der Zuschauerin, deren Blick durch Montage mit
dem Blick der weiblichen Hauptfigur gleichgesetzt wird und die die Vorstellungen der
Figur vor Augen gestellt bekommt, als wären es die eigenen. Viele Motive aus Baude-
laires Gedicht werden vom Film aufgegriffen. Einige, wie die Blumen oder das orienta-
lisierende Dekor, werden in das Setting des Filmes eingebaut, andere wiederum bilden
Tagträume der Figuren: das Schiff, das prachtvolle Interieur eines Zimmers und ein
Sonnenuntergang. Auf diese Weise werden die Elemente des Gedichtes in eine Hand-

1
Charles Baudelaire: Les Fleurs du mal [1861], hg. von John E. Jackson, Paris 2003, 101.
2
Ebd., 101f.
3
Siehe John E. Jackson: „Commentaires“, in: Les Fleurs du mal [1861], hg. von John E. Jackson.
Paris 2003, 263–343.
Lyrik im Stummfilm 91
lung verwoben, die deutlich melodramatische Züge trägt. Der Seemann zeigt sich zu-
nächst unbeeindruckt vom Ehering der Frau. Als er aber an seiner Eroberung ein Amu-
lett entdeckt, das ein Kindergesicht zeigt, wendet er sich unter sichtlicher Überwindung
von ihr ab. Sie entzieht sich daraufhin verletzt und beschämt der Szene und kehrt in ihr
unglückliches Familienleben zurück. Von der nächtlichen Begegnung bleibt schließlich
nur eine Erinnerung zurück, die sich ein letztes Mal in einer Überblendung der Filmbil-
der manifestiert. „Des rêves! toujours des rêves! et plus l’âme est ambitieuse et délicate,
plus les rêves l’éloignent du possible.“1 schreibt Baudelaire in seiner Prosafassung von
„L’Invitation au voyage“, die in der Sammlung Le Spleen de Paris enthalten ist, und
einen Subtext zum Film liefern könnte. In seiner Prosadichtung entwickelt Baudelaire
das Thema und lässt noch etwas deutlicher werden, dass die Reise mit dem Eingehen in
einen Ort der Phantasie zu identifizieren ist und das Begehren nach diesem Ort sich in
der angesprochenen Frau erfüllt:
Ces trésors, ces meubles, ce luxe, cet ordre, ces parfums, ces fleurs miraculeuses, c’est toi.
C’est encore toi, ces grands fleuves et ces canaux tranquilles. Ces énormes navires qu’ils char-
rient, tout charges de richesses, et d’où montent les chants monotones de la manœuvre, ce sont
mes pensées dormant ou qui roulent sur ton sein. Tu les conduis doucement vers la mer qui est
l’Infini […].2

Dulacs Film ist sehr avanciert in seinem Gebrauch filmischer Ausdrucksmittel und ver-
zichtet sogar in Zwischentiteln auf das dramatische Element des Dialogs. Es gibt außer
den einleitenden Versen Baudelaires keine weiteren Texttafeln. Dulac überlässt die
Entwicklung einzig dem Einsatz des Bildes. Ihrer Programmatik von einer visuellen
Kunst, die sich gleich einer Symphonie nur auf ihre ureigenen Ausdrucksmittel verlässt,
kommt sie damit zumindest nahe. In einer lobenden Erwähnung eines zeitgenössischen
hawaiianischen Dokumentarfilmes bringt sie dieses Ideal einmal auf eine kurze Formel:
„Pas d’intrigue. Rien que de l’image. C’est très moderne.“3

2.1.4 L’ÉTOILE DE MER

Man Rays surrealistischer Film L’ÉTOILE DE MER von 1927 basiert auf einem Gedicht
von Robert Desnos, der auch das Szenario verfasste. Dass der Film „in seinem Lyris-
mus […] stellenweise impressionistisch“4 wirkt, wie es im Standardnachschlagewerk
Subgeschichte des Films heißt, überrascht also nicht. Der 13-minütige Film kreist um

1
Charles Baudelaire: Le Spleen de Paris. Petits poèmes en prose, hg. von Jean-Luc Steinmetz, Paris
2005, 111.
2
Ebd.
3
Germaine Dulac: „Quelques Réflexions sur le ,cinéma pur‘“ [1926], in: Ecrits sur le cinéma. 1919–
1937, hg. von Prosper Hillairet, Paris 1994, 73–74. Hier: 83. „Keine Handlung. Nichts als das Bild.
Das ist sehr modern.“ (Übers. S.O.).
4
Hans Scheugl/Ernst Schmidt: Eine Subgeschichte des Films, 731.
92 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

das Zerbrechen einer Liebesbeziehung und besitzt damit eine, wenn auch nur vage
ausgeführte Handlung, die auf verschiedene Weise unterbrochen oder verwischt wird:
Ein Mann und eine Frau sind zu sehen, die eine Straße entlang gehen und eine Woh-
nung betreten. Dort beginnt die Frau sich zu entkleiden und streckt sich auf dem Bett
aus. Bereits an dieser Stelle wird mit den Erwartungen und dem Voyeurismus der Zu-
schauer gespielt. Alles deutet zunächst auf die Anbahnung eines Liebesaktes hin, doch
stattdessen verabschiedet die Frau ihren Besucher. In einer anderen Szene trifft er auf
eine Zeitungsverkäuferin (dieselbe Frau?), die ihm ein großes Glas zeigt, das einen
Seestern enthält. Es folgen Szenen, die den Mann in der Betrachtung des Glases zeigen
und längere Abschnitte, in denen Man Ray mit repetitiver Bewegung, split screens,
Überblendungen, wechselnder Schärfe, Trickblenden und surrealistischen Inserts expe-
rimentiert. Die Frauenfigur ist mehrmals auf ihrem Bett, mit einem Messer oder als
Amazone kostümiert zu sehen. Gegen Ende des Filmes laufen Mann und Frau erneut
eine Straße entlang, bis ein zweiter Mann hinzutritt und mit der Frau fortgeht.
Im Zentrum des Filmes steht das Motiv des Seesterns, der den Angelpunkt einer as-
soziativ wirkenden Bildfolge bildet, die kurze Spielszenen mit rhythmisch geschnitte-
nen Einstellungen von Schienen, Schiffen und Gebäuden sowie Bildern verschiedener
Objekte sich abwechseln lässt. Neben der filmisch-diegetischen Ebene lässt sich eine
nicht-diegetische Ebene bestimmen, auf der Stillleben, Texttafeln und Bewegungsauf-
nahmen vorherrschen, die keinen direkten Bezug zur Spielhandlung haben. Diese Ele-
mente gehen in ihrer Funktion darüber hinaus, die Handlung zu kommentieren oder die
inneren Zustände der Protagonisten zu verbildlichen. Zwar könnte es sich durchaus um
Traumbilder oder innere Bilder der gezeigten Figuren handeln, doch nehmen sie einen
so großen Raum ein, dass sie sich nicht in eine psychologische Motivation zurückbin-
den lassen. Die Komposition des Filmes, die Aneinanderreihung der einzelnen Bilder
und Zwischentitel folgt insgesamt weniger einer handlungsbezogenen Dramaturgie als
einem durch Wiederholungsstrukturen und Diskontinuitäten geprägten Rhythmus. Folgt
man Šklovskijs Unterscheidung zwischen poetischem und prosaischem Film, so ten-
diert L’ÉTOILE DE MER eindeutig zum poetischen Film, der das kompositorische Mo-
ment dominant werden lässt, während die Bedeutung der fabula zurückgenommen ist.1
Verbindungen zwischen den einzelnen Bildelementen sowie zwischen Bildelementen
und Text stellen sich mittels formaler oder motivischer Ähnlichkeit, vor allem aber
durch metonymische oder symbolische Bezüge her. Damit folgt L’ÉTOILE DE MER nicht
nur einem abstrakten, sondern darüber hinaus auch einem assoziativen Formprinzip,
wie es Thompson und Bordwell beschreiben: „Associational formal systems suggest
expressive qualities and concepts by grouping images.“2 Diese Gruppierungen sind
weder kategorial noch beruhen sie allein auf den visuellen Eigenschaften des Darge-
stellten, sondern sind assoziative, nicht-narrative Zusammenstellungen unverbundener
Dinge: „This process is somewhat comparable to the techniques of metaphor and simile

1
Victor B. Šklovskij: „Poesie und Prosa“.
2
David Bordwell/Kristin Thompson: Film Art, 127f.
Lyrik im Stummfilm 93
used in lyric poetry.“1 Ramona Fotiade weist darauf hin, dass in L’ÉTOILE DE MER eine
Spannung zwischen dadaistischer und surrealistischer Kinokonzeption spürbar wird.2
Trotz seiner surrealistischen Verfahrensweisen trägt der Film deutliche Spuren des da-
daistischen experimentellen Kinos, etwa die formal-abstrakte split-screen-Sequenz und
die repetitiven Bewegungseinstellungen.3 In anderen Teilen des Filmes überwiegen
traumähnliche Kompositionen, die surrealistischen Collagen nachempfunden sein
könnten.
Die Verse des Gedichtes werden über Zwischentitel in den Stummfilm einmontiert,
ohne dass sie direkt auf den Gang der Handlung bezogen wären. Im Gegenteil, häufig
stehen sie sogar inhaltlich im Widerspruch zu ihrem visuellen Kontext. Besonders die
von Man Ray später hinzugefügten Textelemente verstärken solche „disparities
between image and text“4, wodurch Fotiade zufolge jeder Versuch frustriert wird, Text
und Bild sinnvoll miteinander in Beziehung zu setzen.5 Fotiades Beobachtung, dass
sich visuelle Erzählung und Zwischentitel als getrennte Entitäten gegenüberstehen, die
parallel nebeneinanderher laufen, ist jedoch insofern zu widersprechen, als es durchaus
zu starken Wechselbeziehungen zwischen Texttafeln und Bildebene kommt. Zwar un-
terbricht die Inkongruenz von Film und Zwischentiteln die narrative Kontinuität, poe-
tisch werden die gegeneinandergesetzten Textzeilen und Filmeinstellungen aber durch-
aus evokativ. Zwischen Texttafeln und Filmbildern bilden sich zahlreiche
Korrespondenzen aus, sprachliche und visuelle Tropen gleiten von einer Ebene zur
anderen und reichern sich gegenseitig an, so dass Text und Bild im Sinn einer lyrischen
Montage ineinander greifen. Das Bild einer Hyazinthe wird gezeigt, gefolgt von einem
Zwischentitel: „Si les fleurs / etaient en verre“.6 Im Anschluss daran ist eine split-
screen-Einstellung zu sehen, die zwölf verschiedene Ansichten rotierender Objekte
nebeneinanderstellt, darunter den Seestern in seinem Glas, ein Schwert und andere
tatsächlich gläserne Gegenstände. Auf diese Einstellung folgt ein weiteres Mal die Hy-
azinthe und eine Wiederholung der vorangegangenen Texttafel. Werden die Motive
Blume und Glas also zunächst formal miteinander verknüpft, so wird gleichzeitig deut-
lich, wie der Vergleich von der Textebene auf die Bildebene zurückwirkt und sich zahl-
reiche Bezüge zwischen beiden Ebenen ausbilden. Wenn es heißt „elle est belle comme
une fleur de verre“ (Sie ist schön wie eine Blume aus Glas) und einige Einstellungen
später „elle est belle comme une fleur de chair“ (sie ist schön wie eine Blume aus
Fleisch), so ist nicht nur durch Parallelismus, Versmaß und Reim ein Bezug zwischen
den Versen, sondern gleichzeitig auch zwischen Text und Bild hergestellt. Der Ver-
gleich verbindet Frau und Seestern und konfrontiert metaphorisch erstarrtes Objekt

1
Ebd.
2
Ramona Fotiade: „Automatism and the Moving Image. From Verbal to Visual Metaphor in
L’Etoile de mer“, in: Marie-Claire Barnet/Eric Robertson/Nigel Saint (Hg.): Robert Desnos. Sur-
realism in the Twenty-First Century, Oxford, Bern, Berlin u. a. 2006, 263–284. Hier: 269.
3
Ebd.
4
David Bordwell/Kristin Thompson: Film Art, 271.
5
Siehe ebd., 270.
6
„Wären die Blumen aus Glas.“ (Übers. S.O.).
94 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

hinter Glas und lebendigen Körper aus Fleisch und Blut. Die dazwischengeschalteten
Einstellungen führen das Motiv bildlich aus, indem wiederholt die Frau durch Über-
blendungen mit dem Seestern identifiziert wird. Eine spätere Texttafel greift die Figur
nochmals auf und wandelt sie ab: „belle comme une fleur de feu“. Mit der Blume aus
Feuer tritt ein drittes Vergleichsobjekt hinzu und trägt die Bedeutung der zerstöreri-
schen und gefährlichen Schönheit in die Aussage ein. Das poetische Bild ist wiederum
an eine visuelle Überblendung gekoppelt, die das Bild lodernder Flammen mit einem
Bild der Frau zusammenführt.
Hanno Möbius zeigt, wie das Programm der Surrealisten das von Dada und anderen
erprobte Montageprinzip als Verfahren des ‚kalkulierten Zufalls‘ auf die Ebene der
poetischen Bilder ausweitet. Mit den Sprachexperimenten der frühen Lautdichtung
hatte sich ein Bewusstsein für die Materialität und den Konstruktcharakter der Sprache
durchgesetzt, was schließlich dazu führte,
[…]daß die Gleichzeitigkeit in den Grundelementen der Kunst selbst entdeckt wurde. Neben
die Ambiguität der Worte tritt eine Ambiguität der Bildelemente. Sie wird möglich durch of-
fene Relationen zwischen den Bildelementen, die in mehreren gleichzeitigen Beziehungen
ambig werden.1

Jene Ambiguität ist auch in L’ÉTOILE DE MER zu beobachten. Sie verdichtet sich bei-
spielsweise im Motiv des Seesterns, der den Film hindurch als erstarrtes Objekt hinter
Glas inszeniert wird. Als Kontrast werden Aufnahmen eines lebendigen Seesterns ent-
gegengesetzt, dessen Arme und kleine tentakelartige Füßchen von den Wellen des Mee-
res bewegt werden. Damit spricht der Film nicht nur die bereits erwähnte erotische
Aufladung des Zuschauerblickes an, sondern thematisiert darüber hinaus auch die me-
diale Inszenierung selbst, denn der erstarrte Seestern, der hinter Glas den beobach-
tenden Blicken als Objekt preisgegeben ist, weist direkt auf unseren eigenen Blick auf
das Liebespaar und auf die Aufnahmesituation der Kamera zurück. Bereits in der ersten
Szene wird der Zuschauerblick problematisiert: Indem sich die Frau entkleidet, scheint
sie sich den Blicken des Mannes darzubieten, eine körperliche Begegnung jedoch zu-
rückzuweisen. Während dieser jedoch in den meisten Einstellungen gar nicht zu ihr
hinsieht, ist der Blick der Kamera durch eine verfremdende Manipulation stark ver-
schleiert und unscharf. Die voyeuristische Gratifikation bleibt dem Publikum somit
verwehrt.
In der Analogie von Frau und Seestern als Blickobjekt ist die Ambivalenz des filmi-
schen Mediums formuliert, das zwischen Verkörperung, physischer Affizierung und
lebendiger Erscheinung einerseits und der unhintergehbaren apparativen Aufnahme-
technik andererseits oszilliert. Für Susan McCabe stellt diese Ambivalenz ein zentrales
Paradox des Modernismus dar: „By pairing poetic texts and films, I clarify a central
modernist paradox: a desire to include bodily experience and sensation along with an
overpowering sense of the unavailability of such experience except as mediated through

1
Hanno Möbius: Montage und Collage, 181.
Lyrik im Stummfilm 95
mechanical reproduction.“1 L’ÉTOILE DE MER visualisiert dieses Paradox medialisierter
Körperlichkeit in einer hochgradig verdichteten Einstellung: Eine Großaufnahme vom
Gesicht der Frau dient als Hintergrund für einen Schriftzug, der das Wort „belle“ dar-
stellt. Erst als das Bild plötzlich zerbirst, wird sichtbar, dass es sich um einen Spiegel
handelt, auf den die Buchstaben aufgemalt waren. Der Versuch die trennende, gläserne
Barriere zu durchbrechen, zeigt erst recht, dass die Schönheit der Frau nur als Wort
oder Bild „zu haben“ ist. In dieser Reflexion auf die eigene Medialität lässt sich eine
Analogie zwischen Avantgarde-Filmen und den lyrischen Texten nicht zuletzt der lite-
rarischen Moderne erkennen. Eine Parallele, die in Filmtheorien und Filmästhetiken
vom russischen Formalismus2 über die amerikanische Avantgarde3 bis zur Semiotik
immer wieder formuliert worden ist.4
In L’ÉTOILE DE MER drückt sich darüber hinaus eine moderne Faszination an der Be-
wegung aus, die sich durch bewegte Motive oder bewegte Kamera im Bild manifestiert
(besonders auffällig bei den Fahraufnahmen aus Schiff und Zug, den fliegenden Zei-
tungen). Mit dem Gegensatz zwischen dem lebendem und dem toten, erstarrten See-
stern, stellt sich auch die mit dem filmischen Medium verbundene Assoziation von
Bewegung und Lebendigkeit her. Ganz im Sinne des neuen Geistes Apollinaires, der in
seinem Manifest den Poeten beschreibt, der keine, auch nicht die einfachsten Bewe-
gung der Natur verachtet:
C’est pourquoi le poète d’aujourd’hui ne méprise aucun mouvement de la nature, et son esprit
poursuit la découverte aussi bien dans les synthèses les plus vastes et les plus insaisissables:
foules, nébuleuses, océans, nations, que dans les faits en apparence ,les‘ plus simples: une
main qui fouille une poche, une allumette qui s’allume par le frottement, des cris d’animaux,
l’odeur des jardins après la pluie, une flamme qui naît dans un foyer.5

Die Darstellung alltäglicher Erscheinungen, wie sie sich nur der sinnlichen Wahrneh-
mung darbieten, enthüllt auch die bisher unbekannten, der Wahrnehmung entgangenen
Phänomene. Und ist nicht der Tanz der Schatten, den Man Rays fliegenden Zeitungs-
seiten werfen, Ausdruck jenes optisch Unbewussten, dessen Erfahrung oder Wiederent-
deckung sich Walter Benjamin vom filmischen Medium verspricht?6 Im Gegensatz zu
den Realismen eines Siegfried Kracauers geht es Man Ray und Robert Desnos um das
Unheimliche, das sich in solchen alltäglichen Erscheinungen verbirgt und das durch
einen kinematographischen Blick zum Vorschein gebracht werden kann: „Film, thus,

1
Susan McCabe: Cinematic Modernism, 3.
2
Siehe Victor B. Šklovskij: „Poesie und Prosa“.
3
Siehe Maya Deren in: Willard Maas/Amos Vogel: „Poetry and the Film“.
4
Siehe Kapitel 1.3.
5
„Darum verachtet der Dichter von heute keine Veränderung der Natur, und sein Geist verfolgt die
Synthesen ebenso in den gewaltigsten und unfaßlichsten Synthesen: in Nebelflecken, Ozeanen, Na-
tionen, wie in den augenscheinlich einfachsten Tatsachen: einer Hand, die in einer Tasche wühlt,
einem Streichholz, das sich entzündet, eine Flamme, die in einem Kamin auflodert.“ Guillaume
Apollinaire: „Der neue Geist“, 84.
6
Vgl. Walter Benjamin: „Das Kunstwerk im Zeitalter“, 500.
96 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

becomes the means of a poetic de-realisation of everyday experience which is at least


comparable, if not superior, to automatic writing and similar surrealist explorations of
the uncanny.“1

2.2 Poesiefilm als Medienkunst –


die fünfziger bis siebziger Jahre
2.2.1 Nachkriegsavantgarde

Medienkunst ist eine „seit den 1960er Jahren einsetzende breite künstlerische Praxis“2
der Arbeit mit audiovisuellen Medien. Eigentlich wird die Bezeichnung vornehmlich
für künstlerische Experimente mit ‚neueren‘ Medien, besonders Video und Computer,
verwendet. Im gegebenen Kontext, einem Abriss der Geschichte des Poesiefilmes, soll
die Bezeichnung dagegen auch auf den Experimentalfilmbereich seit dem Zweiten
Weltkrieg ausgedehnt werden.3 Dies erscheint deshalb sinnvoll, weil die betreffenden
Künstlerinnen und Künstler in ihren Werken bereits die Möglichkeiten des Filmes als
eines technischen Mediums ergründet haben, ein Ansatz, der methodisch und theore-
tisch von großem Einfluss für die späteren elektronischen und digitalen Experimente
gewesen ist. Vertreterinnen und Vertreter einer so verstandenen Medienkunst im weite-
ren Sinne, haben sich auch lyrischen Texten zugewandt – unter anderen Vorzeichen als
der frühe Avantgardefilm der Vorkriegszeit. Die zeitgenössische Poesiefilmproduktion
zehrt bis heute von diesen Ansätzen, weil sie – konfrontiert mit der Selbstreflexivität
lyrischer Texte – immer wieder auf die Medialität ihrer eigenen Ausdrucksmittel, wie
Schrift, Stimme, Video oder Film, zurückgeworfen wird.
Nach 1945 erlebt die Avantgardefilmbewegung, die sich in den Jahren vor und wäh-
rend des Zweiten Weltkrieges im Bereich des Dokumentarfilmes konzentriert hatte, in
zwei unterschiedlichen Gebieten einen neuen Aufschwung. Zunächst entsteht in den
USA im Umkreis von Maya Deren, Kenneth Anger und anderen eine zweite Avant-
garde, die schließlich ins New American Cinema übergeht. Sie knüpft offenkundig an
das surrealistische Avantgardekino der Vorkriegszeit an und ist besonders im Zusam-
menhang mit dem poetischen Film von Bedeutung. In Europa beginnen in den frühen
fünfziger Jahren die Lettristen und Situationisten ihre radikalen Programme in experi-
mentellen Filmen umzusetzen. In den sechziger Jahren entpuppt sich schließlich Öster-
reich als neues Zentrum experimenteller Filmkunst.4

1
Ramona Fotiade: „Automatism“, 278.
2
Dieter Daniels: „Medien→Kunst/Kunst→Medien“, online unter:
http://www.medienkunstnetz.de/themen/medienkunst_im_ueberblick/vorlaeufer/3.
3
Siehe auch ebd.
4
Siehe Alan L. Rees: „Movements in Film“, 48.
Poesiefilm als Medienkunst 97
Das einzige bekannte Beispiel für einen Gedichtfilm aus der Zeit des Zweiten Welt-
krieges entstand im Umkreis der zweiten US-amerikanischen Filmavantgarde. Willard
Maas, der mit der Künstlerin Marie Menken verheiratet war, und als eine Zentralfigur
der New Yorker Künstlerszene der vierziger und fünfziger Jahre gilt, drehte in Zusam-
menarbeit mit dem englischen Dichter Georges Barker den Kurzfilm THE GEOGRAPHY
OF THE BODY (1943), der zu den einflussreichsten Filmen der New Yorker Avantgarde-
szene gezählt werden muss. Er setzt sich aus Großaufnahmen menschlicher Körper und
einem Text von Barker zusammen, der vom Dichter selbst aus dem Off eingesprochen
wird. In ihrer extremen Vergrößerung und Dekontextualisierung wirken die ausschnitt-
haften Körperbilder tatsächlich wie Landschaften mit Kratern, Gräsern und aufgesprun-
gener Erde. Ein Moment der Verfremdung durchzieht auch den surrealistischen Text,
der die Bilder begleitet. In zunächst scheinbar widersprüchlicher Weise bezieht sich ein
im Vorspann eingeblendetes Motto auf die im Film gezeigte desintegrierte Körperlich-
keit: „When we are longing for wholeness we say we are in love“1. In dieser Zeile äu-
ßert sich zunächst einmal ein Begehren nach Ganzheit, ein Begehren, das sich auch auf
die filmische closure beziehen ließe, die für die Rezeption konventioneller, narrativer
Filme grundlegend ist und als solche ein Zentralthema ideologiekritischer Filmkritik
darstellt. Dieses Begehren nach Ganzheit wird von den Bildern des Filmes augen-
scheinlich nicht erfüllt; zum einen, weil sie sich nicht zu einem vollständigen Gesamt-
bild des Körpers zusammenfügen lassen und zum anderen, weil sie in ihrer Verfrem-
dung häufig kaum zu identifizieren oder einem Geschlecht zuzuordnen sind.2 Der Text
des Prosagedichtes, der mit Symbolisierungen und dichten intertextuellen Bezügen
befrachtet ist, spielt in enigmatischer Weise auf exotische Welten, Mythen und aben-
teuerliche Reisen an und verbindet die Themen „Erotik“, „Aggression“ und „Religi-
on“.3 In Kombination mit der filmischen Montage lässt sich die im Gedicht beschriebe-
ne Reise mit der Entdeckung des Körperlichen oder dem Verlauf eines sexuellen
Erlebnisses assoziieren. Vereinzelt stellen sich auch direkte Bezüge zwischen Text und
Bild her, wenn etwa eine Nahaufnahme von Brustwarzen mit den Worten „coral is-
lands“ zusammenfällt und sich eine geographische Metapher herstellt. Surrealistisch
auch in seiner Offenlegung der erotischen Motive im Akt der Produktion und Rezeption
von Kunst, besitzt Barkers Sprache eine „extravagance that leaves language almost in
meaningless ruins“4.
1955 produzierte Willard Maas in Zusammenarbeit mit Ben Moore einen weiteren
Poesiefilm. THE MECHANICS OF LOVE (1955) zeigt zunächst andeutungsweise einen
beginnenden Liebesakt zwischen einem Mann und einer Frau. Die Bilder werden von
Zithermusik und einem Voice Over begleitet, das sich als poetischer Dialog zwischen

1
Übersetzung R. Bruce Elder: Body of Vision. Representations of the Body in Recent Film and
Poetry, Waterloo, Ontario 1997, 38. Es handelt sich um Aristophanes’ Rede in Platons Symposi-
um. Siehe ebd., 38f.
2
Zu einer überzeugenden Interpretation des „bisexual make-up of the imaginary body“ siehe ebd.,
38ff.
3
Siehe ebd., 42ff.
4
Ebd., 37.
98 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

einer weiblichen und einer männlichen Stimme beschreiben lässt. Im zweiten Teil des
Filmes sind statt Mann und Frau alltägliche Gegenstände zu sehen, die in ihrer Form
oder Bewegung auf das sexuelle Geschehen verweisen. Zu Beginn der Sequenz ist eine
mit aufwärts schwenkender Kamera gefilmte Säule zu sehen, die (wie einige weitere
phallische Formen) ganz offensichtlich einen erigierten Penis symbolisiert. Im An-
schluss folgen Objekte, die entweder zu Paaren angeordnet sind oder eine Verschrän-
kung oder Überkreuzung zweier Elemente aufweisen. Schließlich reiht die Montage
alltägliche Tätigkeiten aneinander, die eine Verbindung herstellen (Nähen), ein Gefäß
mit Inhalt füllen oder etwas durchtrennen. Innerhalb dieser reihenden Komposition
wird ein Spannungsverlauf suggeriert, der auf der musikalischen Ebene mitvollzogen
wird: von einer sich steigernden Intensität, die schließlich einen Höhepunkt erreicht, zu
einem Abklingen und Ausklingen in Bildern der Ruhe, die auf eine abgeschlossene
Handlung hindeuten.
Abgesehen von der schlichten Grundidee, einen Liebesakt in filmischen Metaphern
zu erzählen, ist hier der Versuch zu beobachten, eine filmische Poetizität vorzuführen,
die ihre Ausdrucksmittel besonders aus Filmspezifika wie match cut, rhythmischer
Montage, Bewegtbild und der Kombination von Ton und Bildern schöpft. Die erotisch
anspielungsreichen Motive stellen visuelle Entsprechungen sprachlicher Bildlichkeit im
Sinne rhetorischer Figuren dar. Im Poesieverständnis der New Americans besteht das
Lyrische im Gegensatz zur horizontal gegliederten Narration in einer vertikalen Struk-
tur, einem Ausloten des Moments in seiner Qualität und Tiefe, eine Struktur, die nicht
auf den Bereich des verbalen Ausdrucks beschränkt bleibt. 1 Aus der angenommenen
Übertragbarkeit der poetischen Struktur auf den Film folgt in der filmischen Praxis die
Erkundung visueller Metaphern, die ihre übertragene Bedeutung über ein Analogiever-
hältnis gewinnen und damit, um in den Worten Roman Jakobsons zusprechen, „das
Prinzip der Äquivalenz, d. h. die Similarität, der Kontiguität, also der Abfolge der Zei-
chen im Text, überlagert“2. Das ist auch in MECHANICS OF LOVE der Fall. Der Film
besitzt zwar narrative Elemente, sie werden jedoch durch die poetischen Anteile, die
den Film strukturieren, überlagert.

2.2.2 Lettrismus

Ein gänzlich anders gelagertes Interesse an Lyrik und ihrer Integration in den Film
äußert sich in den Werken des filmischen Lettrismus. Das Kino des Lettrismus, das mit
zwei Filmen von Isidore Isou und Maurice Lemaître seinen Anfang nimmt, kann als ein
Neubeginn der europäischen Avantgarde nach 1945, bezeichnet werden, ein Neube-
ginn, der von der Avantgardefilmgeschichte lange ignoriert wurde.3 Im lettristischen

1
Siehe Willard Maas/Amos Vogel: „Poetry and the Film“, 174.
2
Roman Jakobson: „Poesie der Grammatik und Grammatik der Poesie“ (1961/1968), in: Aufsätze zu
Linguistik und Poetik, hg. von Wolfgang Raible, München 1974, 247–260. Hier 253.
3
Gabriele Jutz: Cinéma brut, 205.
Poesiefilm als Medienkunst 99
Film treffen „erstmals in der Geschichte der Filmkunst die Entwicklungslinien von
handmade film, expanded cinema und found-footage-film“1 zusammen.
Der seit 1950 von Isidore Isou produzierte und 1951 in einem Nebenprogramm des
Filmfestivals in Cannes gezeigte Film TRAITÉ DE BAVE ET D’ÉTERNITÉ2 ist ein künstle-
risches Manifest gegen die vorherrschende Kinoästhetik. Isou greift darin den durch das
Anwachsen seiner künstlerischen Mittel aufgeblähten Film an und fordert seine Auflö-
sung und Zerstörung. Damit überträgt er seine Programmatik der lettristischen Poesie
auf das Kino. In jeder Kunst folge, so Isous Auffassung, eine Phase der Auflösung und
Zersetzung (hypostase ciselante) auf eine Phase der Erweiterung (hypostase amplique).
Ein wiederkehrender Wechsel zwischen einem solchen Anwachsen der Kunst, die sich
in ihren künstlerischen Mitteln anreichert und entfaltet, mit einer Phase der nuancierten
Verfeinerung, die sich vom Gesamtwerk dem eigenen Material zuwendet, beobachtet
Isou zuerst an der Entwicklung der Poesie.3 Mit der Dichtung von Charles Baudelaire
sei der Wechsel von der poésie amplique der Klassik und Romantik zur poésie ciselante
eingeleitet. Mit diesem Wechsel verbindet sich im Verständnis Isous ein literaturge-
schichtlicher Übergang von einer projektiven zu einer introjektiven und von einer nar-
rativen zu einer ornamentalen Schreibweise sowie von Themen hin zu Modulationen,4
vom Ausdruck zur Selbstreferentialität5:
La poésie ciselante élimine l’extérieur pour l’intérieur et substitue les divergences par les con-
vergences. On remplace un regard sur les données acceptées par un renforcement du poème en
soi. On apprend ainsi une attention pour les éléments constituants du poème en soi.6

An die erhöhte Aufmerksamkeit für die konstitutiven Elemente des Gedichtes schließt
Isou sein lettristisches Programm direkt an. Ziel ist die Loslösung der Dichtung von
ihrer traditionellen Grundlage der Wörter und Ideen. Stattdessen geht sie von den
Buchstaben (lettres) und den Lauten (sons) der menschlichen Stimme aus.7 Während
der Lettrismus selbst noch die poésie ciselante aufgrund ihrer angeblichen Materialver-
gessenheit8 und ihres Individualismus für überholt erklärt, befindet sich das Kino Isou

1
Ebd.
2
Traktat über den Geifer und die Ewigkeit.
3
Siehe Isidore Isou: Introduction a une nouvelle poésie et a une nouvelle musique, Paris 1947, 89f.
4
Siehe ebd., 90ff.
5
Siehe ebd., 96.
6
Ebd., 93. „Die poésie ciselante eliminiert das Außen für das Innen und ersetzt die Divergenzen
durch Konvergenzen. Man ersetzt einen Blick auf die akzeptierten Angaben durch eine Stärkung
des Gedichtes an sich. So erwirbt man sich eine Aufmerksamkeit für die konstitutiven Elemente
des Gedichtes an sich.“ (Übers. S.O.).
7
Siehe ebd., 154.
8
Isous diesbezügliche Aussagen sind angesichts der künstlerischen Praxis von Futurismus und Da-
daismus, die er explizit in die Epoche poésie ciselante einbezieht, nicht nachvollziehbar. Zur Kritik
an Isous Einschätzungen siehe Michael Lentz: Lautpoesie/-musik nach 1945. Eine kritisch-
dokumentarische Bestandsaufnahme, Bd. 1, Diss. u. d. T.: Mediale Aspekte der Lautpoesie/-musik
nach 1945, Univ. Siegen 1998, Wien 2000, 291.
100 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

zufolge am höchsten Punkt des l’amplique. Entsprechend durchzieht die Rhetorik der
Materialermüdung und der reinigenden Erneuerung auch das in Isous Film verkündete
Manifest, wo sie sich in den Metaphern der Übersättigung und Bewegungslosigkeit
manifestiert.
Auch in TRAITÉ DE BAVE ET D’ÉTERNITÉ spielt die Sprache eine wichtige Rolle. Auf-
grund einer strikten Trennung von Ton und Bild, die eines der wichtigsten anti-realisti-
schen Anliegen der Lettristen darstellte, tritt sie sogar besonders stark hervor.1 Ver-
schiedene Stimmen lassen sich aus dem Off vernehmen und tragen im Verlauf des in
drei Kapitel gegliederten Filmes verschiedene Texte vor. Im ersten Kapitel verliest eine
männliche Stimme die Proklamationen des filmischen Manifestes. Sie wird einer Figur
namens Daniel zugeordnet, die wir bei einem Spaziergang durch das Pariser Viertel
Saint-Germain-de-Près beobachten, gleichwohl Stimme und Bild voneinander entkop-
pelt sind. Daneben sind ein Kommentator, der die Geschichte Daniels erzählt, und wei-
tere Stimmen zu hören, die Daniel wütend widersprechen, niederschreien und schließ-
lich bejubeln. Im zweiten Teil, der eine Verführungsgeschichte erzählt, treten auch
Frauenstimmen hinzu. Im abschließenden, dritten Kapitel sind neben drei weiteren
lettristischen Manifesten mehrere Lautgedichte, darunter zwei Stücke des Lettristen
Francois Dufrêne, zu hören.2 Sie werden von verschiedenen Stimmen schreiend und
zum Teil chorisch vorgetragen und sind ohne Bezug zum gleichzeitig gezeigten Bild-
material, das aus Anfangs- und Endstücken von Filmen besteht.3 Es wird deutlich, dass
Isou den Tonfilm nicht nur einer Reflexion der filmischen Medienspezifik unterzieht,
sondern dass er ihn außerdem für eine Verwirklichung seines poetologischen Program-
mes einspannt, das der akustischen Präsentation der lettristischen Texte eindeutig den
Vorrang vor ihrer Verschriftlichung gibt. Trotz seiner „Fetischisierung des Buchsta-
bens“4 ist Isous Programm vor allem auf die Lautlichkeit der Sprache ausgerichtet, auf
deren onomatopoetische Überreste und lautpsychologischen Effekte er seine kombina-
torische Poetik aufbaut.5 Die aus dem Off vorgetragenen Lautgedichte beziehen auch
nicht-sprachliche stimmliche Äußerungen ein. Indem die Stimme der Aufgabe der
sprachlichen Kommunikation in Worten enthoben wird, wird die Aufmerksamkeit auf
die Lautlichkeit der Sprache gelenkt. Mit dem Titel, der von Speichel und Ewigkeit
handelt, möchte Isou wie es im Film heißt „die Distanz zwischen dem Staub unseres
Sprechens und der Größe seines Vermögens markieren.“6 Auch wenn Isou, wie Michael
chael Lentz zu Recht kritisiert, auf stereotype Sprechweisen und rezitatorische Traditio-
nen rekurriert, betreibt er doch eine dezidierte Erhöhung des Klanglichen, die auch im
Film vorgeführt wird. Im unartikulierten Schreien, das die Stimme gepresst klingen

1
Siehe Gabriele Jutz: Cinéma brut, 207f.
2
In der englisch untertitelten Version des Filmes werden die Gedichte „March“, „I question and I
invective“ von „Francois Dufresne“ angekündigt.
3
Siehe ebd., 209.
4
Michael Lentz: Lautpoesie/-musik nach 1945, 306.
5
Siehe ebd., 308ff.
6
„Je l’appelle la bave et l’éternité […] pour marquer la distance entre la poussière de notre parole et
la hauteur de son pouvoir.“ (Übers. S.O.).
Poesiefilm als Medienkunst 101
oder sogar krächzen und sich überschlagen lässt, wird die körperliche Gebundenheit
jedes Sprechens unweigerlich spürbar. In dieser Aufwertung der „untersten Kräfte des
künstlerischen Ausdrucks“1 deutet sich nach Lentz eine Umkehrung von Figur und
Grund an. Die materielle Seite der gesprochenen Äußerung wird zum eigentlichen Äu-
ßerungsgegenstand und besetzt die Stelle der Bedeutung des poetischen Textes. Im
lettristischen Film kann dieses Modell sowohl auf die Umkehrung von Filmstreifen und
Bild sowie auf die Umkehrung von Ton und Bild bezogen werden.
Das lettristische Prinzip der Zerlegung und Rekombination betrifft neben der Spra-
che auch das filmische Material, das sich aus auf 16 mm gedrehten Filmsequenzen und
vorgefundenem Filmmaterial (found footage) unterschiedlichen Ursprungs zusammen-
setzt. Isou hat Letzteres durch Zerkratzen des Filmstreifens so manipuliert, dass helle
Streifen das Bild durchkreuzen oder weiße Flecken es fast ganz verdecken.2 Insgesamt
wird im Film jedoch eine gewisse Kohärenz beibehalten. Die Filmaufnahmen bilden
thematische Komplexe und bleiben in der Mehrzahl gegenständlich. Neben den im
ersten Teil bestimmenden Stadtaufnahmen werden immer wieder Aufnahmen von
Dichtern eingefügt, die wie Jean Cocteau als Referenzkünstler für den Lettrismus prä-
sentiert werden.
Als eine Fortführung und Vervollkommnung des lettristischen Kinos versteht sich
die Arbeit Maurice Lemaîtres, der im selben Jahr in Paris seinen Film LE FILM EST DÉJÀ
COMMENCÉ? vorstellte. Anders als bei Isou war hier das Kinematographische in ein
ganzes Ensemble von Performances eingebettet, die die Grenzen des Kunstwerks be-
wusst uneindeutig werden ließen. Lemaître erweiterte seinen ‚Film‘ durch Aktionen
von Statisten auf das Publikum, den Vorführsaal, die Leinwand, den Vorhang und sogar
auf den öffentlichen Raum vor dem Kino.3 Im Film wechseln Montagen von Filmres-
ten, die abstrakte bewegliche Muster zeigen mit Negativbildern, kolorierten Flächen
und Schrifttafeln. Wie bei Isou finden sich Manipulationen des Filmstreifens, der einge-
färbt oder bemalt wurde. Auch in LE FILM EST DÉJÀ COMMENCÉ? finden an mehreren
Stellen Rezitationen lettristischer Gedichte statt. Gabriele Jutz hat diesbezüglich ange-
merkt, dass anders als noch bei Isou bei Lemaître eine „fortschreitende Disartikulation
des sprachlichen Teils der Tonspur [stattfindet] […], so dass letztendlich die kommuni-
kative Funktion hinter dem Klanglich-Lautlichen verblasst.“4 Tatsächlich sind die
lettristischen Rezitationen häufig im Hintergrund zu hören, so dass sie die übrigen Tex-
te wie eine Filmmusik grundieren. Die Lautgedichte werden von einer Vielzahl von
Stimmen sehr rhythmisch und zum Teil chorisch gesprochen, während im Vordergrund
programmatische Bekundungen über Film, Ästhetik und Ökonomie vorgetragen werden
und der Verlauf der Vorführung kommentiert wird.

1
Ebd., 295.
2
Siehe Gabriele Jutz: Cinéma brut, 207f.
3
Siehe ebd., 215f.
4
Ebd., 214.
102 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

2.2.3 Wiener Gruppe

Abgesehen von den Experimenten des Lettrismus und des Situationismus stagniert das
experimentelle Filmschaffen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg und dies zu einem
Grad, dass es, wie in der Forschung geäußert wird, scheint, als sei auch der Geist der
Avantgarde aus Frankreich in die USA emigriert. Dort erlebt das experimentelle Kino
bis zum Ende der sechziger Jahre im New American Cinema eine neue Blüte. In Frank-
reich verlagert sich das Filmschaffen in der Nachkriegszeit mit wenigen Ausnahmen
auf den Bereich des etablierten Kinofilmes. Dies hat einerseits zur Folge, dass sich
experimentelle Tendenzen in abgemilderter Form auch im Spielfilm wiederfinden,
bringt aber andererseits auch eine Schwächung des experimentellen Filmes, der sich
anders als in den USA in dieser Epoche dort kaum entwickeln kann.1 Mit dem Erfolg
der Nouvelle Vague verbindet sich ein Aufstieg vieler junger Regisseurinnen und Re-
gisseure, denen nun auch von offizieller Seite der Eintritt in das kommerzielle Film-
schaffen erleichtert wird.2 Die Intellektualisierung des europäischen Kinos mag gleich-
zeitig den Experimentalfilm von seinem Innovationsmonopol entlastet haben – nicht
zuletzt durch die französische Filmkritik und Filmproduktion der Nouvelle Vague, die
poetische Verfahren und andere experimentelle Ansätze in ein künstlerisch anspruchs-
volles und politisch engagiertes Kino integriert. Das Filmschaffen der Nouvelle Vague
zeichnet sich durch starke literarische Bezüge aus, insbesondere in Gestalt des Nouveau
Roman, so dass auch hier eine Abkehr von kontinuierlichen Handlungsfolgen zu be-
obachten ist.3 Alain Resnais’ L’ANNÉE DERNIÈRE À MARIENBAD (1961) nach dem
Drehbuch von Alain Robbe-Grillet zeigt viele Elemente, die der Tradition des poeti-
schen Filmes nahekommen. Sprachlich verfasste Lyrik, womit im Sinne Rüdiger
Zymners auch akustische Realisationen und sprachliche Experimentalformen wie die
der Lettristen oder der konkreten Poesie gemeint sind, wird in den sechziger und sieb-
ziger Jahren nun noch seltener zum Gegenstand filmischer Bearbeitung. Hat die franzö-
sische Nouvelle Vague vermehrt poetische Elemente aufgegriffen und in Filmen wie
L’ANNÉE DERNIÈRE À MARIENBAD sogar zum tragenden Kompositionsprinzip erhoben,
finden sich andererseits in diesem Zeitraum nur wenige konkrete Gedichtverfilmungen
im engeren Sinne.
Eine Ausnahme bildet die österreichische Experimentalfilmszene. Bereits in den ab
1957 entstehenden Filmen von Künstlern wie Peter Kubelka und Kurt Kren, lassen sich
deutliche Verbindungen zur experimentellen Poesie feststellen, etwa in den „Reihen-
techniken, die in der konkreten Kunst und in gewissen Techniken der Wiener Dichter-

1
Siehe Hans Scheugl/Ernst Schmidt: Eine Subgeschichte des Films, 307.
2
Siehe Andrew Dudley: „France“, in: William Luhr (Hg.): World Cinema since 1945, New York
1987, 170–207. Hier: 194.
3
Siehe Hans Scheugl/Ernst Schmidt: Eine Subgeschichte des Films, 309.
Poesiefilm als Medienkunst 103
gruppe (z. B. von Gerhard Rühm) Parallelen hatten.“1 Peter Kubelka, der als Advokat
des metrischen Filmes gilt, drehte mit ADEBAR (1957) und ARNULF RAINER (1960)
international einflussreiche Pionierarbeiten des Avantgardefilmes. Der österreichische
metrische Film hielt emotive Inhalte durch den Gebrauch eines strengen formalen Sys-
tems in Zaum2 und distanzierte sich grundsätzlich vom Irrationalismus des New Ameri-
can Cinema.3 Einmal mehr zeigt sich, wie stark Konzeptionen des poetischen oder lyri-
schen Filmes auseinanderfallen können. Während die US-amerikanische Szene, trotz
formalistischer Ansätze etwa bei Maya Deren4, an einem Lyrismus im Sinne einer Sub-
jektivitätstheorie der Lyrik festhält, die vor allem durch den sehr einflussreichen Kriti-
ker P. Adams Sitney5 und in der Zeitschrift Film Art vorgetragen wurde, orientieren
sich die Österreicher an den radikalen Programmen der Konkreten Poesie.6 Ihr dient
„das Material der Sprache (Zahlen, Buchstaben, Silben, Wörter) oftmals losgelöst von
Semantik und Syntax als Ausgangspunkt künstlerischer Gestaltung“7.
Zunächst nur lose verbunden, erhielt die österreichische Avantgardefilmszene in den
sechziger Jahren nach dem organisatorischen Vorbild der englischen und US-
amerikanischen Film-Coops ein Zentrum. Ernst Schmidt jr. und Hans Scheugl gründe-
ten 1968 die „Austria Filmmakers Cooperative“ und schufen so eine Künstlergruppe zu
der unter anderen VALIE EXPORT, Peter Weibel und Gottfried Schlemmer gehörten.
Sie wurde schnell durch aufsehenerregende und provokative Kunstaktionen bekannt.
Im Bereich des Experimentalfilmes waren in diesem Zusammenhang die von VALIE
EXPORT und Peter Weibel durchgeführten Aktionen des EXPANDED CINEMA wegwei-
send, die nicht nur die technische Materialität, sondern jegliche dispositive Formierung
des Kinos dekonstruierten und einer Kritik unterzogen. Besonders bekannt gewordenen
ist dabei das TAPP- UND TASTKINO (1968), eine Aktion, die das ‚Publikum‘ mit dem in
das Kinodispositiv eingelassenen Voyeurismus und Ganzheitsbegehren konfrontiert,

1
Ebd., 670.
2
Alan L. Rees: „Movements in Film“, 52f.
3
Hans Scheugl/Ernst Schmidt: Eine Subgeschichte des Films, 671.
4
Siehe Willard Maas/Amos Vogel: „Poetry and the Film“, 173.
5
„The lyrical film postulates the film-maker behind the camera as the first-person protagonist of the
film. The images of the film are what he sees, filmed in such a way that we never forget his pres-
ence and we know how he is reacting to his vision. In the lyrical form there is no longer a hero, in-
stead, the screen is filled with movement, and that movement both of the camera and the screen re-
verberates with the idea of a man looking. As viewers we see this man’s intense experience of
seeing.“ (P. Adams Sitney: Visionary Film, 142).
6
„durch permutative ordnung möglichst dissoziierter begriffe zu internen strukturen sollte absolute
künstlichkeit erreicht werden, dichtung als gebrauchsanweisung. das sprachliche material sollte,
aus einem kausalen begriffszusammenhang gelöst, in einen semantischen schwebezustand geraten,
auf ‚mechanischem‘ wege überraschende wortfolgen und bilder erzeugen.“ (Gerhard Rühm: „vor-
wort“, in: Gerhard Rühm (Hg.): Die Wiener Gruppe. Texte, Gemeinschaftsarbeiten, Aktionen,
Reinbek bei Hamburg 1985, 7–36. Hier: 14).
7
Michael Fisch: Ich und Jetzt. Theoretische Grundlagen zum Verständnis des Werkes von Gerhard
Rühm und praktische Bedingungen zur Ausgabe seiner Gesammelten Werke, Bielefeld 2010, 257.
104 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

indem es einen ertastenden Zugriff auf die Brust der Künstlerin VALIE EXPORT an-
bietet.
Neben solchen theoretisch veranlassten Ansätzen, ein Display sprachlicher und audi-
ovisueller Medialität zu schaffen, gibt es auch hier Versuche, Lyrik direkt in den filmi-
schen Kontext einzubinden. Ernst Schmidt jr. drehte zwischen 1963 und 1966 den Film
P.R.A.T.E.R., der dokumentarische Filmaufnahmen aus dem Wiener Vergnügungspark
mit Texten und Lautgedichten von Ernst Jandl kombiniert. Der Film basiert nach
Schmidts eigener Aussage hauptsächlich auf „verschiedenen Techniken der Montage
und der 16-mm-Kameraführung. Der Ton kontrastiert hierzu kontrapunktisch und be-
steht aus Geräuschen, Musik und konkreten Texten“.1 Der Film ist später zum Teil in
das Dokumentarprojekt WIENFILM (1977) eingearbeitet worden, das heute auch auf
DVD erhältlich ist. Dort ist unter anderem das von Ernst Jandl eingesprochene Gedicht
wien: heldenplatz zu hören, das auf historische Filmaufnahmen aus der Zeit des soge-
nannten Anschlusses Österreichs an Nazi-Deutschland montiert ist.

2.2.4 Video

Wie viele andere Vertreterinnen und Vertreter der internationalen Experimentalfilmbe-


wegung wandten sich auch die Wiener seit den sechziger Jahren vereinzelt dem Medi-
um Video zu. So hat VALIE EXPORT die seit dieser Zeit auch außerhalb des professi-
onellen Film- und Fernsehbereiches verfügbare Technik intensiv eingesetzt. Mit den
Paradoxien von Sagen und Zeigen beschäftigt sich beispielsweise ihre kurze Videoar-
beit SEHTEXT: FINGERGEDICHT, die zwischen 1968 und 1973 entstanden ist und die im
Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe zu sehen ist. Auf dem Band ist
EXPORT in halbnaher Einstellung zu sehen. In einer Zeichensprache formt sie mit den
Fingern einen Satz, der die Paradoxien von Sagen und Zeigen vorführt und auf die
Schriften Martin Heideggers Bezug zu nehmen scheint: „Ich sage die Zeige mit den
Zeichen der Sage.“2
Die Entstehung der Videokunst folgt der Einführung erschwinglicher Videotechnik
für den außerprofessionellen Bereich ohne große Verzögerung nach. 1965 führt Sony
die erste noch recht rudimentäre Portapack-Kamera ein. Magnetband und Videorecor-
der vervollständigen das Equipement, so dass sich etwa ab 1969 die Arbeit mit Video-
bändern zunehmend verbreiten kann.3 Die Medienwissenschaftlerin Yvonne Spielmann
mann macht in der Videopraxis seit Ende der sechziger Jahre drei Hauptlinien in der
ästhetischen Auseinandersetzung mit dem Medium aus. Zum einen gibt es eine Rich-
tung, die sich in ihren Arbeiten die künstlerische „Bildkritik der Medien und ihrer Insti-

1
Hans Scheugl/Ernst Schmidt: Eine Subgeschichte des Films, 814.
2
Medien Kunst Netz, „EXPORT, VALIE: Sehtext: Fingergedicht“, online unter:
http://www.medienkunstnetz.de/werke/sehtext/bilder/8.
3
Siehe Yvonne Spielmann: Video. Das reflexive Medium, Frankfurt am Main 2005, 125.
Poesiefilm als Medienkunst 105
tutionen“1 zum Ziel gesetzt hat. Zum anderen lässt sich eine Strömung zusammenfas-
sen, die „ sich vorrangig mit der sequentiellen Anordnung von Bild, Text, Ton, Musik
usw.“2 befasst. Eine dritte Richtung bildet die „Arbeit an der Differenz zwischen analo-
gen Kamerabildern und digitalen Computerbildern“3, die sich mit der Formbarkeit der
elektronischen Bildlichkeit beschäftigen. Wie die drei Hauptströmungen zeigen, ist die
ästhetische Videopraxis in besonderem Maß dadurch bestimmt, wie sie sich zu anderen
Medien des Audiovisuellen ins Verhältnis setzt. Dabei spielen besonders die beiden
zentralen Referenzmedien Film und Fernsehen, aber auch künstlerische Praktiken wie
Performance und Happening eine herausgehobene Rolle. In videographischen Experi-
menten werden sie immer wieder zusammengerückt, um die Möglichkeiten von Video
zu erforschen.4 Diese forcierte Bezugnahme auf andere Künste und Medien sowie eine
damit verbundene Reflexion der eigenen technischen Medialität bildet eine wichtige
Eigenschaft der Videokunst, die sie als Medienkunst ausweist und sie von vornherein
mit einer grundlegenden Poetizität versieht. Dabei führen „unterschiedliche apparative,
ästhetische und ökonomische Interessen“5 zu einer pluralen Nutzung des Mediums, das
hinsichtlich Präsentation, Distribution und Rezeption keine verbindliche Institutionali-
sierung erfährt und daher mit einer „offenen dispositiven Struktur“6 ausgestattet ist, was
verschiedene Gebrauchsweisen im Kunstbereich ermöglicht: Videoband, Installation
und Skulptur.
Zunächst ist festzuhalten, dass sich Video als elektronisches Medium von der kine-
matographischen Technik grundlegend unterscheidet. Dies betrifft nicht nur das Spei-
chermedium, sondern die Technik der Bild- und Tonerzeugung in ihrer Gesamtheit.
Während im Film Einzelbilder auf einen Filmstreifen belichtet werden, nimmt die Vi-
deokamera Lichtstrahlen auf und wandelt sie in ein elektronisches Signal um, das über-
tragen und als Bildpunkt in Zeilen auf einen Bildschirm „geschrieben“ werden kann.
Aufnahme und Ausgabe des Signals verlaufen potentiell simultan, weshalb Medienwis-
senschaftler das Verfahren als Präsentationstechnik bezeichnen, um den Unterschied
zur filmischen Repräsentationstechnik herauszustellen. Diese „Simultaneität von Her-
stellung (Konstruktion) und Wiedergabe (Reproduktion) elektronischer Bildlichkeit“7
ist eine mediengeschichtliche Neuerung, die höchst verschiedenartige Konsequenzen
hat, etwa die Fernsehliveübertragung, die Verwendung als Überwachungstechnik und
den Einsatz in künstlerischen Performances und Installationen. Bei der elektronischen
Übertragung von Video wird das Bild
auf eine Bildwandlerfläche abgebildet und in Signale umgesetzt. Die durch die optische Ab-
bildung erzeugten Helligkeitswerte werden räumlich und zeitlich diskretisiert und stehen dann
nach der Umsetzung als Informationen über die einzelnen Bildpunkte in reduzierter, jedoch

1
Ebd., 14.
2
Ebd.
3
Ebd., 15.
4
Ebd., 14f.
5
Ebd., 36f.
6
Ebd., 36.
7
Ebd., 10.
106 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

immer noch sehr großer Zahl gleichzeitig bereit. Die parallele Übertragung aller Informatio-
nen wäre sehr unwirtschaftlich. Ein wesentlicher Gedanke ist daher, die Bildpunktinformatio-
nen seriell statt parallel zu übertragen. Wenn die Abtastung des Bildes, die Umsetzung und der
Bildaufbau bei der Wiedergabe schnell genug vor sich gehen, erscheint dem menschlichen
Auge ein ganzes Bild, obwohl zu jedem Zeitpunkt nur ein Bildpunkt übertragen wird.1

Spielmann bezeichnet das Videobild deshalb als „Transformationsbild“2. Es besteht


nicht in einer Reihe von Einzelbildern, sondern findet prinzipiell als Prozess statt: Das
Videobild ist ein sich ständig umwandelndes Bild, ein Bild das fortwährend geschrie-
ben wird: „Mit Transformation sind somit flexible, instabile, nicht-fixierte Formen des
Bildes gemeint.“3 Ein weiterer wichtiger Unterschied zum Film besteht in der genuinen
nen Audiovisualität von Video. Anders als im Film wird der Ton nicht über eine ge-
trennte Apparatur aufgezeichnet und dann später als Lichtton auf den Filmstreifen ko-
piert, sondern liegt wie auch das Bild selbst lediglich als elektronisches Signal vor, was
dazu führt, dass Ton und Bild potentiell ineinander umwandelbar sind.4
Die Simultaneität von Aufnahme und Ausgabe ist die Voraussetzung für das in der
Videokunst weitverbreitete Feedback-Verfahren, bei dem Ausgabe und Aufnahme zu-
sammengeschaltet werden, entweder, indem die Kamera den eigenen Ausgabebild-
schirm aufnimmt oder indem ein synthetisch erzeugtes Signal im closed circuit kreist.
Anders als beim Film ermöglicht das Speichermedium Magnetband beim Video ein
Layering ähnlich dem Multitrackverfahren bei der Studioaufnahme von Musik. Da das
Signal instantan nach der Aufnahme zur Wiedergabe bereitsteht, kann das Videoband
augenblicklich zurückgespult werden und mit einer weiteren Spur (ob Ton oder Bild)
versehen werden.5 Das Verfahren ist so eng mit der Videotechnik verbunden, dass es
von Videokünstlern wie Peter Weibel als ästhetisches Gegenkonzept zur kinematogra-
phischen Montage bezeichnet wurde: „Due to its technology layering is the basic pro-
cedure of the tape image, which is basically a different procedure than the cut of the
cinematic image.“6 Dies hat Konsequenzen für die mediale Präsentation von Zeit und
Raum und die Übergänge zwischen Bildern, ermöglicht aber vor allem die Kombinati-
on von Einzelelementen innerhalb eines Bildes. Manipulationen werden außerdem
durch verschiedene Bildmischtechniken ermöglicht, bei denen zwei oder mehrere Vi-
deosignale kombiniert werden. Man unterscheidet zwischen den Schaltverfahren wie

1
Ulrich Schmidt: Professionelle Videotechnik. Grundlagen, Filmtechnik, Fernsehtechnik, Geräte-
und Studiotechnik in SD, HD, DI, 3D, Berlin, Heidelberg 2009, 30.
2
Yvonne Spielmann: Video, 12.
3
Ebd.
4
Siehe Woody Vasulka: „A Lecture Delivered at NNT InterCommunication Center, Tokyo, Sep-
tember 13, 1998“, in: Woody Vasulka (Hg.): Buffalo Heads. Media Study, Media Practice, Media
Pioneers, 1973–1990, Cambridge/Mass. 2008, 392–399. Hier: 393.
5
Siehe Peter Weibel: „Beyond the Cut: Video. Toward a Grammar of Special Effects“, in: Woody
Vasulka (Hg.): Buffalo Heads. Media Study, Media Practice, Media Pioneers, 1973–1990, Cam-
bridge/Mass. 2008. Hier: 818.
6
Siehe ebd., 819.
Poesiefilm als Medienkunst 107
Wipe und Key und dem Mix, bei dem „beide Bilder ganzflächig mit einer bestimmten
Intensität sichtbar“ sind.1 Wipes (Videotrickblenden) können unter anderem Bildüber-
gänge gestalten. Sie reichen von einer einfachen Waagerechten, die sich durch das Bild
schiebt, bis zu kurvigen Linien und sich verändernden Formen und Mustern.2 Die wich-
tigste Bildmanipulation im Bereich des analogen Videos stellt das Keying dar. Hier
wird „das Schaltsignal […] aus dem Bildsignal abgeleitet“3, so dass ein wie ausgestanzt
wirkendes Bildelement den Durchblick auf ein zweites Bild freigibt. Auch das bekannte
Bluescreen-Verfahren zählt zu diesen auch als „Stanzverfahren“ bezeichneten Techni-
ken.
Dieser im Video möglichen Manipulierbarkeit des Bildes, die mit der digitalen
Technologie seit den späten siebziger Jahren noch erweitert wurde, kommt ein beson-
derer Status zu: „The grammar of special effects can be compared to poetry, to experi-
mental poetry, where, here too, it is not the content that tells the story but the form,
where the ways of representation, the means of language themselves constitute the
meaning.“4 Dies ist in Spielmanns weiterführender Argumentation in zweifacher Hin-
sicht richtig, insofern nicht nur wie in den historischen Avantgarden eine Thematisie-
rung der eigenen Medialität oder Zeichenhaftigkeit erfolgt, sondern sich die Selbstre-
flexion auch auf der technisch-apparativen Ebene des Videos wiederholt.5 Die
Bildlichkeit von Video und Fernsehen wird in gänzlich anderer Weise erzeugt als dies
bei der Lichtaufzeichnung im optischen Medium Film der Fall ist: „Die elektronischen
Medien sind insofern reflexiv und nicht-repräsentativ zu nennen, als das Video- und
Audiosignal aus der Zirkulation elektrischer Impulse in den Geräten hervorgehen kann
und keinen externen Input erfordert.“6
„[S]ynthetik, transformation, selbstreferenz, instantzeit, box“7 benennt Peter Weibel
bereits 1973 fünf zentrale Eigenschaften von VT (Videotape) und VTR (Videotapere-
cording). Der österreichische Künstler nimmt eine zentrale Position im Bereich der
Video- und Medienkunst ein.8 Er hatte in den frühen sechziger Jahren zunächst expe-
rimentelle Literatur geschrieben, bevor er sich im Umfeld der Wiener Gruppe dem Film
und der Performance zuwandte. Sein Interesse an sprachlichen Strukturen und poeti-
schen Prozessen führt auch in seinen Video- und Fernseharbeiten zu einem dichte-
rischen Ansatz, der Video- und Medienkunst in der Tradition experimenteller Poesie
verfolgt. In einer 1975 entstandenen Videoarbeit verkoppelt er die Medien Schrift,
Buch und Video zu einem Video-Text: „Eine Reihe rein linguistischer Gedichte, die auf
den zeitlichen, plastischen und technischen Möglichkeiten des Mediums Video auf-

1
Ulrich Schmidt: Professionelle Videotechnik, 623.
2
Ebd., 627.
3
Ebd., 628.
4
Peter Weibel: „Beyond the Cut: Video“, 819.
5
Siehe Yvonne Spielmann: Video, 41.
6
Ebd., 56.
7
Peter Weibel: „Zur Philosophie von VT & VTR“, in: Heute Kunst, 4/5, 1974, 13–14. Hier: 14.
8
Siehe Woody Vasulka (Hg.): Buffalo Heads. Media Study, Media Practice, Media Pioneers, 1973–
1990, Cambridge/Mass. 2008, 709.
108 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

bauen. Methoden der konkreten Poesie werden so angewendet, daß das Fernsehgerät zu
einem Textprozessor wird.“1
Weibels medienkünstlerisches Interesse speist sich zum Teil aus einer scharfen Aus-
einandersetzung mit einer staatlich kontrollierten und in ihrer gesellschaftlichen Funk-
tionalisierung erstarrten Literatur. Dagegen setzt Weibel die Dichtung, die sich als ex-
perimenteller Umgang mit Zeichensystemen von der institutionalisierten Literatur
abgrenzt. Aus einem auf den Bereich aller Materialien und technischen Medien erwei-
terten Sprachverständnis ergibt sich die Forderung einer künstlerischen Praxis, die
Weibel unter dem Begriff der „Mediendichtung“ zusammenfasst: „dichtung kann heute
in der tat dichtung ohne (verbale) sprache sein.“2 Dichtung soll sich als mediale Praxis
auch elektronischer Medien bedienen, die Wahrnehmung und Empfindung, Konzeptio-
nen von Wirklichkeit und Bewusstsein sowie das Verständnis von Raum und Zeit
grundlegend zu verändern begonnen haben. Sie soll dabei nicht nur mit neuen Materia-
lien experimentieren, sondern aus der medialen Herausforderung neue Methoden
hervortreiben. Dabei ist der gesellschaftlich-politische Anspruch, der mit diesem Ent-
wurf einer Mediendichtung verknüpft ist, deutlich formuliert:
„literatur wird bleiben, was sie schon immer war: staatsdienst, verklärung eines gefängnisses
zur besten aller welten, verstärkung des status quo.

dichtung wird sein, was gute dichtung schon immer war. transport neuer erkenntnisse und
empfindungen, exploration der wirklichkeit jenseits der staatlichen normen, verstärkung und
erhebung des individuums.“3

Die manifestartigen Deklarationen äußern eine zeittypische Kritik an Staatsgewalt und


staatlicher Normierung, der mit den Mitteln der Dichtung entgegengewirkt werden soll.
In der Bestimmung der Funktion von Dichtung, die nicht im Sinne einer litérature
engagée als Vehikel inhaltlicher Kritik fungiert, sondern mediale Formierungen von
Wirklichkeit und Bewusstsein experimentell durchbrechen soll, stellt sich Weibel ganz
in die Tradition der literarischen Avantgarden. Die dort für den Bereich der Sprache
bereits weitgehend etablierte Devianz poetischer Rede wird hier auf das Feld der sozia-
len Interaktionen (Performance) und der neuen elektronischen Medien (Video) ausge-
weitet.
Zwischen 1969 und 1972 arbeitete Weibel an sogenannten tele-poems oder tele-
actions, die teilweise im Österreichischen Fernsehen (ORF) ausgestrahlt wurden. Eini-
ge dieser tele-poems sind sogenannte Objektgedichte und Prozessgedichte, die sich als
Verknüpfung von Sprache und Objektkunst bzw. als Performances in konkreter Poesie
präsentieren. In SINN (1968) wird beispielsweise das Wort ‚Sinn‘ mit Tinte in Wasser
geschrieben, so dass nur der Prozess der Auflösung des Schriftbildes von der Videoka-

1
Peter Weibel: „Weibel, Peter: Video Texte“, online unter: http://www.medienkunstnetz.de/wer-
ke/video-texte.
2
Peter Weibel: „Vorsätze“, in: Peter Weibel (Hg.): Mediendichtung. Arbeiten in den Medien Spra-
che, Schrift, Papier, Stein, Foto, Ton, Film und Video aus 20 Jahren, München 1982, 5–6. Hier: 5.
3
Ebd., 6.
Poesiefilm als Medienkunst 109
mera festgehalten wird. Andere Arbeiten verzichten ganz auf das Element der Sprache
und zeigen wie das Videopoem REKONSTRUKTION DER STOPPAGES-ETALON
(1913/1914) VON MARCEL DUCHAMP eine experimentelle Performance, die aus der
Interaktion einer Person (meistens Weibel) mit einem Objekt besteht. Weibel gehört
nicht zu den „Bildtechnikern, die ihr „Interesse am nicht-repräsentativen, synthetischen
‚Bild‘ in der Realisation des ‚reinen‘, ‚abstrakten‘ Video[s]“1 verfolgen. Seine Arbeiten
reflektieren die medialen Gegebenheiten auf einer konzeptionellen Ebene. Wie sehr
Weibel dabei Videokunst im Zeichen einer Sprach- und Medienkunst betreibt, zeigt
seine Arbeit TRITITÄT von 1975. Das Videopoem besteht aus Porträts von Jesus Chris-
tus gemalt von Piero della Francesca, vom Dichter Nikolaus Lenau und schließlich von
Peter Weibel selbst, die nacheinander eingeblendet werden:
[…] dann hört man zum portrait von Jesus Christus einen satz von Francesca ‚form und inhalt
sind wie bruder und schwester in der ehrwürdigen halle des raumes’, zum portrait lenaus sei-
nen satz ‚die poesie bin ich selber. mein selbstest selbst ist die poesie‘ und ich selbst [Peter
Weibel, S.O.] sage ‚meine botschaft wirft jeden auf sich selbst zurück‘.2

Indem er den Porträts videotechnisch sein eigenes Bild unterlegt (layering), bringt er
die Gesichter durch seine eigene Mimik zum Sprechen und reanimiert sie. Auch auf der
Ebene des Textes erfolgt eine Durchmischung der Aussagen, die nach und nach um den
Satz „liebe deinen nächsten wie dich selbst“ erweitert und untereinander rekombiniert
werden.3 In diesem Prozess entstehen zahlreiche abgestufte Aussagen deren Subjekte,
Objekte und Prädikate untereinander ausgetauscht werden, was einerseits auf die
grammatische Verfasstheit der Sätze verweist und andererseits, durch ein kluges Spiel
mit Begriffspaaren (Form/Inhalt; Bruder/Schwester; nächsten/selbst) und Wendungen
der Selbstbezüglichkeit, eine Reflexion von Medialität und Zeichenhaftigkeit anstößt.
Die von Weibel ins Spiel gebrachten Worte ergeben wohl nicht nur zufällig Sätze, die
stark an Marshall McLuhans berühmte Formel „the medium is the message“ erinnern:
„die form wirft jeden auf den inhalt zurück. der inhalt wirft jeden auf die form als die
botschaft seiner selbst. [...] die poesie ist die botschaft ihrer selbst.“4 Außer einer Refle-
xion auf Identität, auf die Weibel mit seinem Kofferwort aus den Begriffen „Trinität“
und „Identität“ bereits mit dem Titel anspielt, betreibt das Videopoem gleichzeitig eine
Selbstreflexion des Mediums Video, indem es seine transformatorischen Eigenschaften
und manipulatorischen Möglichkeiten ausstellt.
Der ungarische Künstler Gábor Bódy begann nach einer Promotion in Philosophie
und Geschichte seine Karriere als Drehbuchautor und Mitarbeiter in verschiedenen
Filmen. Er ist Mitglied des Béla Bálasz Studio, das sich seit den sechziger Jahren als

1
Yvonne Spielmann: Video, 179f.
2
Peter Weibel: „Tritität. video poem. Dokumentation“, in: Peter Weibel (Hg.): Mediendichtung.
Arbeiten in den Medien Sprache, Schrift, Papier, Stein, Foto, Ton, Film und Video aus 20 Jahren,
München 1982. Hier: 12.
3
Ebd.
4
Ebd.
110 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

ein bedeutender Nischenraum für experimentelles Filmschaffen in Ungarn etabliert


hat.1 Nach einem Studium zum Film- und Fernsehregisseur Anfang der siebziger Jahre
beginnt Bódy seine eigenen Filme zu produzieren. Neben seiner Lehrtätigkeit im Be-
reich Philosophie und Film engagiert er sich besonders im Feld des Experimentalfilmes.
Bereits 1976 produziert er mit PSYCHOKOSMOS einen der frühen Computerfilme und
wird seitdem verstärkt im Bereich Video aktiv. So bringt er in Zusammenarbeit mit
Astrid Heibach ab 1982 unter dem Titel INFERMENTAL das erste internationale Magazin
für Videoarbeiten heraus.2 Nachdem er mit dem Video/Film-Projekt DER DÄMON IN
BERLIN (1982) bereits einen poetischen Text des russischen Dichters Lermontov bear-
beitet hat, widmet sich Bódy 1985 der Produktion des Videos WALZER nach dem
gleichnamigen Gedicht von Novalis. Die Produktion wird dezidiert als „Lyrikclip“
ausgewiesen und integriert das gesprochene Gedicht auf der Tonspur. Gábor Bódy
greift metrisch-rhythmische, symbolisch-metaphorische und thematische Motive des
Gedichtes auf und verflicht alle Elemente zu einer hochgradig überstrukturierten audio-
visuellen Kurzform.3 Abgesehen von Montage und Bewegung und Ton-Bild-
Verknüpfung, besteht vor allem in der Schichtung der Bildlichkeiten und den synthe-
tisch erzeugten Bildelementen eine videospezifische Poetik. In den mehrfach auf der
Objektebene des Videos abgebildeten Fließbewegungen – etwa von Fluss und Nebel-
wand – ist eine Reflexion auf die medienspezifischen Eigenschaften von Video festzu-
stellen, indem auf dessen „videographische[…] Fließbewegung“4 verwiesen wird.
Zwischen Experimentalfilm und Video gibt es in der Frühphase des elektronischen
Mediums nur wenige Berührungspunkte. Spielmann konstatiert ein Nebeneinander der
beiden künstlerischen Arbeitsgebiete, die von einem stärkeren Desinteresse des bereits
medienspezifisch hochausdifferenzierten Experimentalfilmes gegenüber dem Video
gekennzeichnet ist.5 Erst später kündigen sich in Institutionen wie der State University
of New York (SUNY) mit ihrem neugegründeten Department of Media Studies Koope-
rationen von Film und Medienkunst an. Hier arbeiten seit 1973 Filmemacher wie Paul
Sharits und Hollis Frampton neben Videopionieren wie den Vasulkas und später Peter
Weibel. Im Grunde zeigt gerade die in Buffalo geleistete Etablierung eines Verständ-
nisses von Film und Video als Medienkunst, dass es immer wieder Anknüpfungspunkte
zwischen den medienästhetischen Programmen von Film- und Videokunstschaffenden
gegeben hat:

1
Terézia Kriedemann: „Das Béla Balázs Studio und die ungarische neue Welle in den 60er Jahren“,
in: Kulturation, H. 1, 2003, online unter http://www.kulturation.de/ki_1_report.php?id=42.
2
Siehe Éva Koma/Miklós Peternák: Gábor Bódy: Video Works. Booklet zur DVD, hg. zur Ausstel-
lung „Der Stand der Bilder“, Budapest 2011, 8.
3
Für eine ausführlichere Analyse des Videos unter dem Gesichtspunkt der rhythmischen Gestaltung
siehe Kapitel 3.3.
4
Yvonne Spielmann: Video, 206.
5
Siehe auch Steina Vasulka/Chris Hill: „Interview with Steina“, in: Woody Vasulka (Hg.): Buffalo
Heads. Media Study, Media Practice, Media Pioneers, 1973–1990, Cambridge/Mass. 2008, 482–
491. Hier: 485.
Poesiefilm als Medienkunst 111
Der konzeptuelle Ansatz ist der strukturellen Richtung im Experimentalfilm (beispielsweise
Sharits) vergleichbar, denn in beiden Medien geht es um die Visualisierung eines ästhetisch-
analytischen Diskurses über das Bildliche, der Strukturphänomene des jeweiligen Mediums
zur Anschauung bringt.1

Ein Bestreben, einen Dialog zwischen Film und Videokunst herzustellen, äußert sich in
den vom Center of Media Studies organisierten Veranstaltungen, wie beispielsweise
dem Programm „Women in Film and Video“2 von 1974 oder der Reihe „The Frontier“3
aus dem Jahr 1979.

2.2.5 Heinz Emigholz

Zu den Künstlern, die auch in den siebziger Jahren weiter im Medium Film arbeiteten,
gehört der Filmemacher Heinz Emigholz, der sich bis heute mit nicht-narrativen, poeti-
schen Aspekten des Mediums beschäftigt.4 Emigholz benennt den strukturalistischen
Film als einen der Einflüsse auf seine Arbeit. Der Begriff „structural film“ war 1969
von P. Adams Sitney geprägt worden und umfasste unter anderem die Arbeiten von
Michael Snow, Hollis Frampton und Paul Sharits. Sitney bezeichnet mit dem Ausdruck
eine neue Strömung im Experimentalfilmbereich, die sich durch ihre Form definiert und
Elemente wie loop print, flicker oder Manipulationen am Filmstreifen aufweist5:
„Theirs is a cinema of structure wherein the shape of the whole film is predetermined
and simplified, and it is that shape which is the primal impression of the film.“6 Obwohl
wohl die meisten der genannten Künstler die Bezeichnung ablehnten, blieb der Name
haften. Emigholz sieht rückblickend vor allem in den Filmen Michael Snows einen
nennenswerten Einfluss auf seine Arbeit:
Die Coop-Bewegung, auch die Londoner Film Coop, waren präsent. Wer mir großen Eindruck
gemacht hat Anfang der 70er, war Michael Snow. […] Seine Filme waren absoluter Bestand-
teil des New American Cinemas und der New Yorker Film Coop. Im gewissen Sinne waren
die Filme von Michael Snow aber sogar das Motiv, etwas Anderes zu machen. Michael Snow
hat – jetzt denke ich an BACK AND FORTH oder an LA RÉGION CENTRALE – immer mit Live Ac-
tion gearbeitet. Er hat immer mit einer Kamera gearbeitet, die realistisch 24 Bilder aufnimmt
und wiedergibt. Und dann gibt es diese Verwischungen durch Geschwindigkeiten. Aber er ist

1
Yvonne Spielmann: Video, 153.
2
Woody Vasulka (Hg.): Buffalo Heads, 45.
3
Ebd., 97.
4
Siehe etwa die UdK-Filmreihe „Poetischer Film“ (2009/2010).
5
Siehe Alan L. Rees: „Movements in Film“, 58.
6
P. Adams Sitney: „Structural Film. Reprint eines 1969 in Film Culture erschienenen Textes“, in:
Wheeler Winston Dixon (Hg.): Experimental Cinema, the Film Reader, London 2002, 227–237.
Hier: 227.
112 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

nie in die Pixilation reingegangen. Für mich war es, im Gegensatz dazu, wichtig zu sagen, ich
will, dass diese Bewegungen sich in meinen Kompositionen selbst analysieren.1

Es ist weniger eine Beeinflussung durch das New American Cinema als vielmehr das
Interesse für grammatische Strukturen im Film weswegen Emigholz häufig als Vertreter
des strukturalistischen Filmes in Deutschland genannt wird. Nach einem Studium der
Philosophie und Sprachwissenschaften arbeitet Emigholz zunächst an einer Reihe von
Filmen, die die Konstruktion filmischer Bewegung aus dem Einzelbild heraus untersu-
chen und mit filmspezifischen Mitteln wie Brennweitenwechsel, Zoom und Schwenk
experimentieren. In ihnen filmt Emigholz menschenleere Landschaften und fügt die
Einzelbilder zu vorher festgelegten Kompositionen zusammen.
Der 1976–1977 entstandene Film DEMON ist die Umsetzung eines Prosagedichtes
von Stéphane Mallarmé: „Wie vorher in den Filmen die Landschaften nach den Partitu-
ren in Fixpunkte und deren Verbindungen zerlegt wurden, bekommt hier immer ein
Wort eine Einstellung.“2 Mallarmés Gedicht schildert einen Gang durch die Stadt aus
der Perspektive eines Ich-Erzählers. Dabei bleiben die äußeren Ereignisse von geringer
Bedeutung, im Zentrum steht vielmehr ein rätselhafter Satz („La pénultième est
morte.“, dt. „Penultima ist tot.“), der in den Gedanken des Erzählers erscheint und zu-
nehmend beginnt, ein Eigenleben zu führen. Assoziationen und Spekulationen schlie-
ßen sich an. Konfrontiert mit der quälenden Frage nach dem Sinn des Satzes findet sich
der Erzähler schließlich vor einem Schaufenster wieder, in dem er eben jene Gegen-
stände entdeckt, die in seinen gedanklichen Assoziationen vorkamen. Vor dem Hinter-
grund dieser inneren Handlung überrascht es nicht, dass sich die Forschung bisher vor
allem, mit dem Hinweis auf einen gleichlautenden Satz André Bretons, auf die aleatori-
schen Schreibweisen des Surrealismus oder auf psychoanalytische Lesarten konzen-
triert hat.3 Gegenüber solchen retrospektiv verfahrenden Interpretationen bietet es sich
an, den Text zunächst von seinem Titel her zu lesen. Gilt das Dämonische in der christ-
lichen Tradition als eine disjunktive Kraft, der vom Dämon Besessene als zerspalten
und sich selbst entfremdet, erfährt das Dämonische bei Mallarmé die paradoxale Ver-
knüpfung mit der Analogie.4 Folgt man den Analogien, die im Text am Werk sind,
stößt man auf die ihm eigentümliche poetische Dimension.5 So besteht eine explizite
Analogie zwischen der Bedeutung des Wortes Penultima, und der Silbe „nul“, also
„Null“ oder „Nichts“, denn Penultima bezeichnet die vorletzte Silbe eines Wortes und

1
Stefan Grissemann/Heinz Emigholz: „Interview mit Heinz Emigholz. Abschrift des auf der DVD
„The Formative Years (I)“ veröffentlichten Video-Interviews“, online unter:
http://www.pym.de/de/texte/interviews/727-gespraech-stefan-grissemann-mit-heinz-emigholz-am-
4-dezember-2009, 6.
2
Frieda Grafe: „Geraffte Zeit, geballter Raum. Zu den Filmen von Heinz Emigholz“ (1980), in:
Geraffte Zeit Filmartikel, Berlin 2005, 172–174. Hier: 174.
3
Siehe Thierry Roger: „Mallarmé et la transcendance du langage: lecture du Démon de l’analogie“,
in: Littérature, H. 3, 2006, 3–27. Hier: 4.
4
Siehe ebd., 10.
5
Siehe ebd., 14.
Poesiefilm als Medienkunst 113
würde auf sich selbst bezogen eben diese Silbe „nul“ ausdrücken: „Le Démon de
l’analogie repose tout entier sur l’idée du ‚langage se réfléchissant‘. L’énoncé ‚la Pé-
nultième est morte‘ surgit quand le mot ‚pénultième‘ se replie sur lui-même.“ 1 Eine
weitere Analogie zwischen „nul“ und seiner metaphorischen Bedeutung der Abwesen-
heit oder des Todes besteht im Satz „Penultima ist tot.“2 Es wird also, so könnte man
mit Roman Jakobson sagen, das „Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion
auf die Achse der Kombination“3 projiziert.
Ein weiteres Leitmotiv des Textes besteht in der Passage zwischen Innen und Au-
ßen.4 Mit einem Heraustreten auf die Straße beginnt das Gedicht. Es handelt von einer
inneren Stimme, die einen Satz ohne äußere Entsprechung sagt und endet mit dem
Blick in das Innere eines Schaufensters, das die Requisiten der inneren Vorgänge des
Protagonisten enthält. Interessanterweise ist es jene Thematik, die Emigholz neben der
in Mallarmé angelegten Reflexion auf Sprachlichkeit und Bedeutung an Mallarmés
Text zuallererst fasziniert hat: „Ein merkwürdiger Prozess, der innere gedankliche Pro-
zesse mit der Außenwelt in Beziehung setzt. Das ist der Dämon der Analogie, dass im
Kopf etwas passiert, und in der Realität passiert etwas Ähnliches, und plötzlich frage
ich mich: In welchem System agiere ich eigentlich?“5 Die Wortwahl deutet an, dass
Emigholz hier auch epistemologische Fragen im Sinn hat, die mit der Frage möglicher
Kopplungen von Innen und Außen, von Bewusstsein und Realität zusammenhängen.
Im Vordergrund des Filmbildes von DEMON sind drei Stühle zu sehen, auf denen
drei Frauen sitzen, die das Gedicht in drei verschiedenen Sprachen sprechen; der fran-
zösischen Originalversion sowie der deutschen und der englischen Übersetzung. Die
jeweils Sprechende sitzt auf dem mittleren Stuhl. Im Hintergrund befindet sich eine
Gruppe von Männern, die auf ein Signal im Text hin ihre Position im Raum verändern.6
dern.6 Es fällt nun in der Tat eine Einstellung auf ein gesprochenes Wort, wodurch die
Position der Sprechenden auf den drei Stühlen jedes Mal sprunghaft wechselt. Auch für
Satzzeichen und Pausen hat Emigholz eine bildliche Entsprechung vorgesehen. Indem
er die Übersetzungen Wort für Wort ineinander montiert, markiert er die sprachlichen
Differenzen, die ein Verstehen des Textes entlang von Entsprechungen fortwährend
durchkreuzen. Nur an einigen wenigen Stellen scheinen sich die Texte parallel und
doch gleichzeitig lesen zu lassen, auf Dauer erweist sich die Bemühung angesichts der
unterschiedlichen syntaktischen Oberflächenstrukturen jedoch als undurchführbar.
Emigholz’ Film lässt sich kaum als filmische Interpretation des Mallarmé-Gedichtes
begreifen, da in keiner Weise das Verständnis erleichtert oder in irgendeine Richtung

1
Ebd., 22. „Der Dämon der Analogie ruht vollkommen auf der Idee, der sich selbst reflektierenden
Sprache. Die Äußerung ‚Penultima ist tot‘ wird plötzlich klar, wenn das Wort ‚Penultima‘ auf sich
selbst zurückgefaltet wird.“ (Übers. S.O.).
2
Ebd., 14.
3
Roman Jakobson: „Linguistik und Poetik“ (1961), in: Poetik: ausgewählte Aufsätze 1921–1971,
hg. von E. Holenstein/T. Schelbert, Frankfurt am Main 1979, 83–121. Hier: 94.
4
Siehe Thierry Roger: „Mallarmé et la transcendance“, 11.
5
Stefan Grissemann/Heinz Emigholz: „Interview mit Heinz Emigholz“, 11.
6
Ebd., 12.
114 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

gelenkt wird. Er ist vielmehr eine am Text vollzogene Analyse grammatischer Struktu-
ren in Poesie und Film, die sich selbst explizit und radikal als Display sprachlicher und
filmischer Medialität ausstellt. In diesem erweiterten Sinne ist auch DEMON als Medi-
enkunst zu verstehen.
Obwohl viele derjenigen, die aus dem Bereich des experimentellen Film kamen, sich
in den siebziger oder achtziger Jahren letztendlich doch der Videotechnik oder den
digitalen Medien zugewandt haben, blieb es bei einer Distanz zwischen ihnen und den
seit den neunziger Jahren auftretenden Videokunst der Kunstszene („video gallerists“)
– eine Distanz, die nicht so sehr auf unterschiedlichen Stilen oder Themen beruht, son-
dern, wie der Filmwissenschaftler A.L. Rees durchaus kritisch anmerkt, auch auf einer
Verkennung der Traditionen und Leistungen des Experimentalfilmes seitens des Kunst-
betriebes: „The rise of the current projection art in the gallery […] comes by and large
from a very different direction that rarely acknowledges, and perhaps doesn’t even
know about, the films groups and experiments outlined here.“1 Lydia Haustein spricht
dagegen von einem starken Bewusstsein für die Traditionen des experimentellen Filmes
in der Szene, das sich in ikonischen Anleihen in der Videokunst, insbesondere in derje-
nigen der jüngeren Generation, manifestiert.2
Für die zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler, die sich im Genre des Poesie-
filmes betätigen, sind die erwähnten Diskrepanzen wahrscheinlich kaum noch relevant.
Brüche entstehen weniger zwischen den Systemen „Kunst“, „Film“ und „Video“ als
zwischen den an Werbeästhetik und Spielfilm orientierten Regisseurinnen und Regis-
seuren und denen, die in experimenteller Weise mit Sprache, Medientechnik und bildli-
cher Repräsentation arbeiten. Doch auch hier ist die Trennlinie nicht immer mit dem
Lineal zu ziehen.
Ähnlich wie beim Musikvideo sind Übergänge zwischen experimentellen Formen,
Pop und konventionellen Formaten oft fließend. Sowohl aus dem Kunstkontext (Bettina
Kuntzsch, Andrea Wolfensberger) als auch aus dem Bereich der kommerziellen Film-
und Fernsehproduktion (Ralf Schmerberg) sowie aus der Spoken-Word-Szene heraus
wird Lyrik im audiovisuellen Medium inszeniert, indem Anleihen an Ausdrucksweisen
des Experimentalfilmes, der Video- und der Medienkunst gemacht werden. Ähnlich wie
das Musikvideo und der Werbeclip nimmt auch der Poesiefilm bildtechnische Gestal-
tungsmerkmale der Videokunst der siebziger und achtziger Jahre in ästhetisch ge-
glätteter Form in sich auf.3

1
Alan L. Rees: „Movements in Film“, 65. Ähnlich äußert sich Heinz Emigholz mit Bezug auf die
dokumenta 6 im Jahr 1977, auf der erstmals Experimentalfilme präsentiert wurden, die jedoch
kaum Beachtung fanden: „Aber die Kunstwelt konnte damals mit Filmen nichts anfangen.“ (Stefan
Grissemann/Heinz Emigholz: „Interview mit Heinz Emigholz“, 11).
2
Siehe Lydia Haustein: Videokunst, München 2003, 93.
3
Siehe Yvonne Spielmann: Video, 121.
Spoken Word 115

2.3 Spoken Word – Poetryslam und Poetryclip


2.3.1 Vom Beat zum Poetryslam

Am 15. Oktober 1955 betritt ein junger Dichter die Bühne der Six Gallery in San Fran-
cisco. Er wird sein neuestes Gedicht vortragen, doch es wird keine Dichterlesung im
traditionellen Sinne werden, schließlich handelt es sich um Allen Ginsberg, der zum
ersten Mal seinen Text Howl performt. Die Lesung gilt als eine Wegmarke der Beat-
Ära, auch wenn das Ereignis nur einer Entwicklung und einer literarischen Szene zur
plötzlichen Sichtbarkeit verhilft, die sich in verschiedenen Formen wohl schon lange
anbahnt. Warum aber ist die Rede von einem „epochal poetry reading“?
Starting out in a calm and earnest voice that grew in intensity as he fed off the audience’s
enthusiasm, Ginsberg began to sway rhythmically, waving his arms, taking deep breaths to
sustain him through each of the long verse lines. He sounded like a cantor like a troubador and
the audience had never heard such rawly extravagant language in public.1

Der Bericht macht klar, dass es in dieser Lesung zuallererst um den Vortrag als Ereig-
nis im Hier und Jetzt geht, der sich nicht darin erschöpft, die angemessene Reprodukti-
on eines schriftlichen Textes zu sein. Im Gegenteil, der Text vollendet sich erst in sei-
ner gestischen und stimmlichen Inszenierung. Ginsberg hatte die Performance gar zum
Strukturprinzip seiner Verse gemacht, indem er erstmals das Format der „breath unit“
übernahm, bei dem die Zeilen genau so lang sind, wie der Atem des Vortragenden
reicht.2
Da Ginsberg einen langen Atmen hat („as sustained as that of a Jewish cantor“3), er-
reichen auch seine Verse, die er in einem Kerouac’schen Schreibexzess in die Maschine
gehämmert haben will, eine entsprechende Ausdehnung.4 Dabei sind die freie Verszeile
und die Performanz des Gedichtes der Improvisation des Jazz vergleichbar, eine Nähe
zur Musik, die allen Beat-Poeten eigen war. Später pflegt der Dichter Ginsberg den von
den buddhistischen chants abgeleiteten Sprechgesang in seinem Vortrag.5 Und noch
etwas fällt auf: Die enthusiastischen Schilderungen des Ereignisses enthalten Anklänge
an Kulthandlung („cantor“) und mündlich-musikalische Dichtungstradition („trou-
bador“). Offenbar wird die Lesung als kollektiv rezipiertes, sogar auratisches Kunst-

1
Steven Watson: The birth of the beat generation. Visionaries, rebels, and hipsters, 1944–1960,
New York, N.Y. 1998, 186.
2
Ebd., 181.
3
Ebd., 185.
4
Eine ausführliche Untersuchung der Präsenz-Poetik der Beats und ihres besonderen Verhältnisses
zum ephemeren Moment unternimmt Erik Mortenson: Capturing the Beat Moment. Cultural Poli-
tics and the Poetics of Presence, Carbondale 2011.
5
Siehe Helmbrecht Breinig/Hubert Zapf u. a. (Hg.): Amerikanische Literaturgeschichte, Stuttgart
1997, 307.
116 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

werk erlebt. Das Auratische wird hier durch die Verweise auf Kult und Ritual herange-
rückt. Eine andere Erklärung bietet David Sterrit in seiner hervorragenden Analyse der
Beziehung von Beat-Literatur und Bebop an. Er sieht im Wiedererstarken der Improvi-
sation im Bebop der vierziger Jahre eine Reaktion auf die Konsequenzen der tech-
nischen Reproduzierbarkeit, die mit den modernen Aufnahmetechniken auch in die
Musik Einzug hält. Improvisation und Live-Performance können dann als Versuch ver-
standen werden, die verlorenen auratischen Qualitäten durch Unwiederholbarkeit, Sin-
gularität und Spontanität wieder einzuholen. Freilich werden die Authentizität und
Originalität des Improvisierens dabei gegenüber den variierenden, zitathaften Aspekten
idealisierend hervorgehoben.1
Die Protagonistinnen und Protagonisten der Beat-Generation betrieben eine Dich-
tung der offenen Form, die sich dezidiert in der Tradition literarischer Avantgarden und
in Opposition zum etablierten Literaturbetrieb sah. In der Manier der Troubadoure
strebten sie nach einer Wiederbelebung der gesprochenen Dichtung, der „spoken voi-
ce“2. Dies äußerte sich nicht nur in den Präsentationsformen, die sie dem geschriebenen
Wort vorzogen – vornehmlich öffentlichen Lesungen, oft begleitet von Jazz oder Per-
cussion –, sondern auch in dem neuen Sound ihrer Dichtung.3 Es ist also kaum verwun-
derlich, dass sich spätere Spoken-Word-Künstlerinnen und Poetryslammer bei aller
Kritik4 explizit auch auf das Erbe der Beat-Generation berufen,5 zumal die Verbindung
zwischen beiden Bewegungen ohnehin nie ganz abreißt.6 Als in New York das 1974
gegründete Nuyorican Poets Café zum multikulturellen Treffpunkt von US-Dichtern
aus den verschiedensten mündlichen Traditionen wurde, zählten folglich auch die Be-
teiligten des St. Mark Poetry Projects, darunter Allen Ginsberg und William
Borroughs, zu den aktiven Gästen. Übrigens bestanden auch in der Beat-Szene Verbin-
dungen zu Filmschaffenden, die die Dichtung und die Arbeiten bestimmter Dichter als
inspirierend empfanden, etwa die Experimental-Filmemacher Stan Brakhage oder
Hollis Frampton, die sich von den Gedichten Ezra Pounds inspirieren ließen.7
Im Chicago der späten siebziger Jahre bildete sich parallel zu diesen Entwicklungen
eine literarische Szene mit enger Anbindung an die auslaufende Punkbewegung heraus.
Auch sie hatte mehr mit dem Nachtleben und der Clubszene als mit akademischen Krei-

1
David Sterritt: Screening the Beats. Media Culture and the Beat Sensibility, Carbondale/Ill. 2004,
59.
2
Steven Watson: Birth of the Beat Generation, 192.
3
Siehe ebd.
4
Siehe Boris Nikolaus Preckwitz: Spoken Word und Poetry, 60. Zur Kritik der Slammer an Beat
siehe ebd., 61.
5
Bob Holmann benennt die Einflüsse HipHop, Declamador, Performance-Kunst, Rock ’n’ Roll,
Beat, Blues und Jazz. (Siehe Bob Holman: „Nuyorican Poets Café“, in: du, H. 4, 1994, 72–75.
Hier: 73).
6
Siehe ebd., 71. Ein wichtiges Bindeglied ist sicherlich das St. Marks Poetry Project in New York.
7
Siehe Scott MacDonald: „Poetry and Avant-Garde Film“, 10f.
Spoken Word 117
sen zu tun.1 Dort fanden in den achtziger Jahren die ersten Poetryslams im eigentlichen
Sinne statt. Als Begründer des Formats gilt Marc Smith, der mit dem Chicago Poetry
Ensemble eine Bühne für Performances verschiedener Literaten der Off-Szene schuf.
Aus dieser Plattform entwickelte sich 1986 ein wöchentlich stattfindender Poetryslam,
der schließlich seine Heimat im legendären Jazzclub Green Mill finden sollte, wo er bis
heute veranstaltet wird.2 Es war die Geburtsstunde einer neuen Erscheinung in der lite-
rarischen Welt, einem öffentlichen Lesewettstreit, bei dem das anwesende Publikum die
literarischen Performances bewertet, kritisiert, bejubelt oder auspfeift und schließlich
eine Siegerin oder einen Sieger kürt. Der Poet und Literaturaktivist Bob Holman wurde
Zeuge dieses Spektakels, begeisterte sich dafür, verpflanzte die Idee bald nach New
York und richtete Slams im Nuyorican Poets Café aus, die bald ebenso erfolgreich
werden wie die Veranstaltungen der „Second City“.3 Auch wenn die Vielfalt dieser in
den achtziger Jahren erblühenden Spoken-Word-Szene eine zusammenfassende Cha-
rakterisierung erschwert, so lassen sich doch Ansätze einer gemeinsamen Poetik formu-
lieren, wie dies Holman versucht:
[…] wenn man diese Dichter lesen hört, wird man eine Furchtlosigkeit erkennen, eine
süchtigmachende Aufrichtigkeit, eine Bereitschaft, Klang so weit zu dehnen, dass er zur Be-
deutung wird – und umgekehrt –, eine gewagte Körperlichkeit, ein Einlassen auf Whitmans
Muskularität, eine reine Liebe zur Sprache.4

Eine im Poetryslam überaus beliebte Form ist beispielsweise das Listengedicht (list
poem), das eine Aufzählung einer Serie von Dingen oder einen Katalog darstellt, wie
man sie auch in vielen von Walt Whitmans Gedichten antrifft.5 Zeitgenössische Lis-
tengedichte bestehen häufig aus „images and specific details.“6 Geschrieben von so
verschiedenen Dichterinnen wie Sylvia Plath oder Bertolt Brecht, kommt es der Perfor-
mance Poetry und dem basisdemokratischen, inkludierendem Ansatz von Spoken Word
in besonderem Maße entgegen, denn im Listengedicht findet sich das Prinzip der para-
taktischen Aneinanderreihungen lyrischer Bilder in seiner einfachsten Form wieder. Es
kann sowohl in Workshops als auch in Schulprojekten und vor allem im Rahmen der
kollektiven Schreibpraxis angewandt werden. Anne Waldman, als bedeutende Vertrete-
rin der sogenannten New York School of Poetry, hat sich in ihren berühmtesten Ge-
dichten („Fast Speaking Woman“, „Bones“, „Lady Tactics“) dieser Technik bedient
und tut dies bis zum heutigen Tag.

1
Siehe dazu ausführlich Kurt Heintz: „An Incomplete History of Slam. Slam poetry in Chicago“,
online unter: http://e-poets.net/library/slam/converge.html, zuletzt geprüft am 17.03.2014.
2
Siehe Boris Nikolaus Preckwitz: Spoken Word und Poetry, 35.
3
Bob Holman: „Nuyorican Poets Café“, 72.
4
Ebd., 73.
5
Zum Zusammenhang zwischen Whitmans Katalogtechnik in „Leaves of Grass“ und der Weltaus-
stellung siehe Edward S. Cutler: Recovering the New, 149.
6
John Drury: The Poetry Dictionary, 161.
118 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

Es ist diese neu sich formierende literarische Landschaft, die den idealen Humus für
die Entstehung eines neuen audiovisuellen Genres unter dem Namen „Poetryvideo“
bildet. Wenn sich Dichtung im Ausdruck durch Stimme, Mimik und Gestik erst vollen-
det, bieten audiovisuelle Aufzeichnungstechniken eine hervorragende Möglichkeit, sie
über den Live-Auftritt hinaus rezipierbar zu machen. Was das Phänomen zuallererst
ermöglicht, ist die Verbreitung bezahlbarer Videotechnik, die die bereits von Jean Coc-
teau beklagte ökonomische Zugangssperre zum bewegten Bild überwindet und audiovi-
suelle Ausdrucksmöglichkeiten auch für die Off-Kultur verfügbar macht. Und so kön-
nen im Jahr 1985 im Rahmen des Manhattan Poetry Video Projects drei literarische
Videoclips gedreht werden, die als Startschuss für die Neuerfindung des Gedichtfilmes
im Medium „Video“ gelten können. Anhand der illustren Gruppe der Beteiligten ließe
sich eine schöne Linie von der Beat-Generation bis in die Poetryslam-Szene ziehen: Es
sind Allen Ginsberg, Anne Waldman und Bob Holman, die ihre Texte in kurzen, eigens
produzierten Videoclips performen.1 Freilich sind sie nicht die Ersten, die dies tun,
doch sie erzeugen das nötige Medienecho und entfalten so die entsprechende Wirksam-
keit, um als Gründungsmoment des neuen Genres gelten zu können.2 Allen drei Clips
ist eine große Nähe zum Musikvideo gemeinsam, das sich seit Beginn der achtziger
Jahre, nicht zuletzt durch die Gründung des Senders MTV von einem Undergroundfor-
mat zu einem Mainstreamphänomen entwickelt und entsprechend professionalisiert
hatte. Durch ihren Musikbezug können sie darüber hinaus exemplarisch für die popu-
lärkulturellen Traditionen stehen, auf die sich der Poetryslam beruft: Blues, Pop und
Hip Hop.
Waldmans Beitrag UH-OH-PLUTONIUM steht im Zeichen des Pop und der subversi-
ven Affirmationsgeste. Die grellbunten Farben und die poppige Kulisse, ganz zu
schweigen von den Backgoundsängerinnen machen überdeutlich, dass wir uns im
MTV-Zeitalter befinden. Anne Waldman thematisiert in rhythmischem Sprechgesang,
der über eine sehr dominante Synthesizermusik gelegt ist, die atomare Katastrophe:
ironisches Spiel mit den Genrekonventionen des Musikvideos. Ginsberg ist mit seinem
FATHER DEATH BLUES vertreten und verweist damit auf die Wurzeln der Oral Poetry,
afroamerikanische Musik- und Literaturtraditionen und deren Einfluss auf die Literatur
der Beat-Generation. FATHER DEATH BLUES basiert auf einem Gedicht aus dem Jahr
1976. Es variiert in der Form eines Listengedichtes die Epitaphe von „Death“ und setzt
den Tod nacheinander in die Rolle aller im Leben prägenden Instanzen von Familie,
Liebhaber, Lehrer bis zum Genius und Guru. Der Text, unverkennbar durchdrungen
von der buddhistischen Lehre, erschöpft sich jedoch nicht in einer memento-mori-Bot-
schaft, sondern versucht eine Versöhnung mit dem Tod denkbar zu machen:
[…]
Guru Death your words are true
Teacher Death I do thank you
For inspiring me to sing this Blues

1
Siehe Dwight Okita: „Poetry Video“.
2
Siehe ebd.
Spoken Word 119
[…]
Suffering is what was born
Ignorance made me forlorn
Tearful truths I cannot scorn
[…]1

Mit dem Einsetzen der Musik ist Allen Ginsberg auf einer Fähre stehend zu sehen, die
an der Freiheitsstatue vorbeifährt. Der Blues „Father Death I’m flying home“, gesungen
von Ginsberg und einer Frauenstimme ist dabei aus dem Off zu hören. Während die
Fähre auf der ehemaligen Immigrationsinsel Ellis Island einläuft, erklingt die Zeile
„Hey old Daddy, I know where I’m going“ und führt so die doppelte Metaphorik von
Tod und Heimkommen ein, die das Video in Text und Bildern durchzieht. Das Bild der
übersetzenden Fähre enthält einen deutlichen Verweis auf den antiken Fluss Styx, der
das Reich der Lebenden vom Totenreich trennt. Weitere Bezüge stellen sich zwischen
den semantischen Feldern der historischen Migration, der Reise in die Vergangenheit,
der Ambivalenz zwischen Aufbruch und Heimkommen her. Ginsberg wird in langen,
statischen Einstellungen bei seinem Gang durch die verlassenen, dem Verfall ausge-
setzten Gebäude gezeigt.2 Eingeblendete verblichene Fotografien und die auffällige
Lichtsymbolik verstärken den Eindruck, dass es sich dabei um eine Reise in die Ver-
gangenheit, eine Ankunft im Ungewissen handelt. Erst in den abschließenden Einstel-
lungen auf dem Schiff, das auf die Skyline von Downtown Manhattan zufährt, bewegt
Ginsberg die Lippen zum Text, holt damit den gesungenen Text ins On des Bildes und
bewirkt somit auf einer weiteren Ebene die Schließung, die sich auch im Schluss des
Gedichtes vollzieht:
Father Breath once more farewell
Birth you gave was no thing ill
My heart is still, as time will tell.

Holmans Videoclip RAPP IT UP zu seinem Text „Sweat ’n’ Sex ’n’ Politics“ orientiert
sich wiederum an der Hip-Hop-Kultur und präsentiert Lyrik in Form von Sprechgesang
bzw. Rap, im Verbund mit Breakdance und Graffiti. Der Versuch, in dieser Form an die
afroamerikanische urbane (Jugend-)kultur anzuschließen, mag aus heutiger Sicht unbe-
holfen wirken, doch nichtsdestoweniger bezieht das Video damit eine klare ästhetische
Position. Es betont die soziale, kommunikative und politische Funktion von Poesie und

1
Allen Ginsberg: „Father Death Blues“, in: Manhattan Poetry Video Project, Regie: N. Vural; Anne
Waldman; Allen Ginsberg; Bob Holman u. a., DVD-Kopie mit 3 Poetryvideos und Livemitschnit-
ten, 1984; Bob Holman Audio/Video Poetry Collection, MSS 128; 128.0008. Fales Library and
Special Collections, New York University Libraries.
2
Obwohl die Insel seit 1976 für Besucher geöffnet war, begann man erst 1984 mit Restaurierungsar-
beiten, die schließlich 1990 zu der Eröffnung des Ellis Island Immigration Museum führten. (Siehe
Ellis Island – Free Port of New York. Ellis Island – Timeline“, online unter: http://www.ellis-
island.org/genealogy/ellis_island_timeline.asp).
120 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

feiert gleichzeitig deren performative, musikalische Aspekte. Holmans Text ist reich an
Sprachspiel und Lautsymbolik, seine Performance verknüpft Scat und rhythmischen
Sprechgesang mit Tanzbewegungen.
Das erste Poetry Film Festival wurde schon 1975 in Kalifornien von Hermann
Berlandt ausgerichtet, zehn Jahre vor dem Manhattan Poetry Video Project und es
startete durchaus mit dem Ziel, das Publikum für Lyrik zu erweitern und dieser Gattung
eine moderne theatrale Präsentationsform zu schaffen.1 Allerdings beschränkte sich
Berlandts Interesse auf das Medium „Film“, so dass die verfügbar gewordene Video-
technik, mit der Pioniere wie Tom Konyves zu experimentieren begonnen hatten, dort
keine Berücksichtigung fand.2 Gerade die Videotechnik ist es aber, die in den achtziger
Jahren aufgrund ihrer Verfügbarkeit für die Spoken-Word-Szene attraktiv wird und
schließlich den Durchbruch des neuen Genres ermöglicht. Im Gefolge der Poetryslam-
Bewegung entstehen 1987 in San Francisco und 1991 in Chicago weitere Festivals.3
Das Netzwerk der Protagonisten und Projekte lässt deutlich erkennen, dass die
Poetryclip-Szene in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren mit der der
Spoken-Word- und Slam-Bewegung verwoben, ja ein Teil von ihr ist. Viele Protagonis-
ten der New Yorker Szene sind in den Poetryclips wiederanzutreffen, die Holman im
Rahmen der Serie Poetry Spots von 1985 bis 1992 für den freien, öffentlichen Lokal-
sender WNYC-TV produziert hat.4 Das vom New York City Council of the Arts geför-
derte Projekt umfasst sechs Staffeln mit über 50 verschiedenen Gedichtfilmen und zählt
damit wohl zu den umfangreichsten Unternehmungen in diesem Bereich. Neben re-
nommierten Dichtern wie John Ashbery und Allen Ginsberg und Schriftstellerinnen wie
Helen Adam und Grace Paley sind vor allem Poetryslam-Größen wie Patricia Smith,
Bob Holman oder Paul Beatty in den Clips vertreten.5
Die Poetryspots haben sich im Laufe der achtziger Jahre gestalterisch sehr schnell
entwickelt, so dass innerhalb weniger Jahre neben elaborierten Performance-Clips auch
experimentelle Formen, die Verwendung von found footage und viele weitere der noch
heute gebräuchlichen Techniken und Gestaltungsmittel eingesetzt werden. Die
Poetryspots-Reihe zeigt, dass auch beim Poetryclip der Poetryslam-Szene nicht nur das
Musikvideo als Bezugsgröße gilt, sondern auch Impulse aus anderen Künsten aufge-
griffen werden. Infolgedessen beschränkt man sich keineswegs auf die Inszenierung des
performing poet, sondern macht durchaus die Reflexion von Medialität und Sprach-
lichkeit zum Gegenstand.

1
Scott MacDonald: „Poetry and Avant-Garde Film“, 11.
2
Siehe Tom Konyves: Artist Talk, Video, 2011.
3
Siehe Dwight Okita: „Poetry Video“; Jean Howard: „Busted for Poetry! The 8th Annual Chicago
Poetry Video Festival“, online unter: http://poetry.about.com/library/weekly/aa102699.htm.
4
Diese Videoclips befinden sich im Archiv: Bob Holman Audio/Video Poetry Collection: The Fales
Library and Special Collections, New York University. Sie sind außerdem auf Bob Holmans you-
tube-Kanal zu sehen: http://www.youtube.com/user/bobholmanpoet.
5
Siehe Brent Phillips: „Guide to the Bob Holman Audio/Video Poetry Collection“, online
unter: http://dlib.nyu.edu/findingaids/html/fales/holman_content.html.
Spoken Word 121
Bob Holmans bilderreicher Poetryclip WE INTERRUPT THIS PROGRAM ist program-
matisch für das Genre. Wozu ist Dichtung nötig? Wodurch soll sie sich von der bisheri-
gen Literatur abheben? Womit muss sie sich befassen? Welche Feindbilder pflegt sie,
welchen Traditionen verschreibt sie sich und wie verortet sie sich in der Medienland-
schaft? Bereits im Titel deutet sich an, dass der Versuch, eine Störung der massenmedi-
alen Kommunikation zu erzeugen, wesentliche Motivation für die Schaffung der audio-
visuellen Poetryspots ist. Diese Intention wird in eindeutiger Weise mit politischen
Zielen verbunden. In schneller Folge wechseln Nachrichtenbilder und andere TV-
Ausschnitte. Das Weiße Haus, Nixon, Nachrichtenbilder, Graphiken, Raketen und Mo-
denschauen sind zu sehen und werden auf der Tonebene von Holmans Lyrik begleitet.
Das gesprochene Gedicht zeichnet sich durch eine geradezu exzessive Rhythmisierung
und Verwendung von Reimen aus und bedient sich aus dem found footage sprachlicher
Zitate: „We interrupt this programm in order to announce that we are sorry to interrupt
this programm. And now we return you to this programm.“1 Mit dieser selbstreferen-
tiellen Einleitung ist sogleich das metapoetische Thema des Textes gegeben, das visuell
durch einen animierten Fernsehapparat aufgegriffen wird, der eine doppelte Rahmung
des Bildes erzeugt. Im Verlauf des Videos werden zudem die Traditionen benannt, in
die sich das Poetryvideo einordnen soll. „In the beginning was the rap“, heißt es in
einer Abwandlung des Bibelzitates, mit der die Anfänge der eigenen Dichtung nicht in
der Hochkultur, sondern auf der Straße gesucht werden. Dazu zählt sicher auch die
„Rock ’n’ Roll Mythology“ mit ihren rebellischen Gesten, die durch Bilder von Mick
Jagger, John Lennon und Jimi Hendrix personifiziert wird.
Thematisch überblendet das Video die poetische Thematisierung von Sprache mit
Bildmaterial über den Kalten Krieg und Atomwaffentests. Diese Versatzstücke aus der
TV- und Politiklandschaft, werden so respektlos zusammengeschnitten und kommen-
tiert, dass deutlich werden muss, was das Poetryspots-Projekt beabsichtigt. Die in Poli-
tik und Medien gebrauchte Sprache wird als korrumpiert und erstarrt wahrgenommen
und soll mit den Mitteln der Dichtung wieder zum Leben erweckt werden. Doch Poesie
soll als widerständiges Prinzip nicht nur in die Welt der Sprache, sondern auch in die
Welt der technischen Medien eingeführt werden, um dort Verwirrung zu stiften, um
Bedeutungen brüchig zu machen, um politische Propaganda zu kennzeichnen und Wer-
bestrategien bloßzulegen. Sprache und mediale Bilder werden in kulturkritischer Ma-
nier als Instrumente von Herrschaft aber auch als potentielle Mittel politischer Befrei-
ung verstanden. In der Verfremdung und Störung von Sprache und Kommunikation
liegt eine Aufgabe der Dichtung, die mit den Poetryspots auf den Bereich der audiovi-
suellen Medien ausgedehnt und fruchtbar gemacht werden soll. Sie soll außerdem bis-
her ausgeschlossenen oder überhörten Gruppen eine Stimme verleihen. Es geht den US-
amerikanischen Spoken-Word-Aktivisten also keineswegs lediglich darum, mit dem
Poetryclip ein angemessenes Publikationsmedium für ihre Performance Poetry zu fin-
den, sondern es geht um eine poetische Störung des Mediums unter politischen Vor-

1
Bob Holman (Autor und Produzent): WE INTERRUPT THIS PROGRAM, in: Bob Holman: Poetry Spots
Compilation Reel, Season I, VHS, 1988.
122 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

zeichen. Diese dezidiert engagierte Ausrichtung äußert sich auch thematisch. In einem
Großteil der Poetryspots geht es um soziale Themen wie Armut und Rassismus sowie
um die in den achtziger Jahren akuten Probleme Gentrifizierung, AIDS und nukleare
Bedrohung.
Während viele der frühen Poetryspots aus frontalen Aufnahmen der ihren Text
performenden Poetinnen und Poeten besteht, die manchmal durch eine einfache Spiel-
handlung ergänzt werden1, entwickelt sich schon früh parallel dazu eine von diesem
Muster abweichende Form, die den Poeten quasi-dokumentarisch in einer Umgebung
zeigt und das Gedicht durch ein gesprochenes Voice-Over hinzufügt. In der Art und
Weise, wie die Bilder komponiert und mit dem auf der Tonspur gesprochenen Gedicht
in Beziehung gesetzt werden, liegt die Eigenart und der medienspezifische Kunstcha-
rakter der Poetryclips, die sich nicht in der Dokumentation von Mimik, Gestik und
Stimme der Kunstschaffenden erschöpft. Ein Beispiel für diese Form ist der 1991 ent-
standene Clip zu John Ashes Gedicht „Unwilling Suspension“.2
Der Clip beginnt mit einer kurzen einleitenden biographischen Bemerkung, die vom
Dichter gesprochen wird und sich in Stil und Ausdruck stark von den darauffolgenden
Versen unterscheidet: „My name’s John Ash. I first came to New York in 1984 and
promptly fell in love with the place. So in 1985 I came back to stay, but I couldn’t get
across the East River. All the bridges and that Midtown Tunnel [was] blocked ...“. Mit
den eingeblendeten Titeln beginnt das eigentliche Gedicht, das John Ash über ein baro-
ckes Musikstück hinweg spricht. „Unwilling Suspension“ ist bereits 1986 in der Wo-
chenzeitung The New Yorker erschienen.3 Die erwähnte Einleitung lenkt das Verständ-
nis, indem es das Gedicht in einen situativen Kontext stellt. Als Grundsituation stellt
sich eine Taxifahrt am Ufer des zu überwindenden Flusses dar, bei der das Ziel auf der
anderen Seite, die Insel Manhattan, stets vor Augen liegt. Das lyrische Subjekt wird
von den Ansichten der Stadt zur Kontemplation veranlasst; Reflexion und die Verbali-
sierung von Wahrnehmungen wechseln einander ab, so sehr wie sie einander auslösen.
Die unüberbrückbare Distanz des East River bildet den elegischen Grundton, der durch
die mythisierende Darstellung von Armut und urbaner Verlassenheit verstärkt wird: Im
Video nimmt die äußere Situation des Gedichtes in aus einem Taxi gefilmten Stadtim-
pressionen Gestalt an, die durch Aufnahmen des Dichters ergänzt werden. Man sieht
Ash als urbanen Flaneur, rauchend auf einer Bank sitzend oder auf die Kamera zusteu-
ernd und links aus dem Bildrand verschwindend. Text und Bild sind also zunächst über
das Thema der Stadt New York und die ihr zugeschriebenen Attribute miteinander
verknüpft. Auch die Gliederung von Text und der Montage stellt Verbindungen her.

1
Jessica Hagedorn: Loft Living; John Ashbury: Purists Will Agree; Dennis Cooper: Dear Todd;
June Jordan: Sara Miles; Amiri Baraka: We are here; Paul Beatty: Two Black Men & A Baby on
the Way.
2
Der Clip ist online verfügbar im YouTube-Kanal von Bob Holman unter http://www.you-
tube.com/watch?v=wzmRgAqgeRc.
3
John Ash: „Unwilling Suspension“, in: The New Yorker, 28.04.1986.
Spoken Word 123
Während die Druckversion1 aus dem New Yorker sieben Strophen verschiedener Länge
mit wiederum recht gleichmäßigen Verslängen umfasst, ist das Video an den entspre-
chenden Stellen auf der Bildebene durch Schwarzblenden gegliedert, die visuelle Pau-
sen setzen, auch dort, wo die Rezitation keine Abschnitte erkennen lässt.
Verschiedene Synchronisierungspunkte erlauben es, Bezüge zwischen Text und Bild
herzustellen. Mehrere der im Gedicht angespielten Motive wie „Bridges“, „obscure
constructions“, „fireflies“, „cab“ und „reflections on a windshield“2 erscheinen im Bild.
Doch die Bilder erhalten nicht nur illustrierende Funktion, sondern tragen durchaus
auch zur Vereindeutigung von Metaphern bei, beispielsweise in der Figur des ver-
blassenden Theatervorhangs, der von einer Ansicht des in der Ferne nur blass sichtba-
ren Empire State Buildings begleitet wird. Das Paradox der Verse „Dies ist nicht Der
Gute Ort / und ist es erklärterweise“3 wird durch eine Einstellung auf die Skyline von
Manhattan visualisiert, die vom Positiv- ins Negativbild wechselt, und somit mit Mit-
teln des Videos eine Analogie zu dieser rhetorischen Figur erzeugt.
Ashes Rezitation bringt die elegische Grundstimmung des Textes zur Geltung, indem
er nicht nach der Druckversion rezitiert, sondern der freien Rhythmik des Gedichtes
folgt und in seine Rezitation Akzente mit intonatorischen Höhen zusammenfallen lässt.
Besonders auffällig ist dies in der sechsten Strophe, wo Ash in seiner Pausensetzung
genau die syntaktischen Gruppierungen berücksichtigt und damit die Enjambements der
Druckversion auflöst. Hier ballen sich daktylische Versmaße, sogar der adonische
Schlussvers (-vv-v) tritt mehrmals auf. Er fällt mit der rhetorischen Frage an den oder
die Adressaten des Gedichtes zusammen:
How can I tell you? / The legends accumulate
like wealth or grain at the edge of a famine. /
You will never be bored / and you will never
conclude your investigations / since the crime
has no culprit, / or too many to fill the old courthouse.

Die Unmöglichkeit, das Wahrgenommene in seinem Gemisch aus Gesehenem, Erin-


nertem und Imaginären zu vermitteln, rückt zunehmend in den Vordergrund des Ge-
dichtes, das sich schließlich damit immer mehr der Ansprache an einen unbestimmten
Adressaten bzw. eine Adressatin widmet. Hierdurch gerät der Poetryclip jedoch in Kon-
flikt mit seiner eigenen Medialität, denn im Gedicht wird der Anblick der Stadt noch
durch Metaphern und Vergleiche verbildlicht. So wirken die Wolkenkratzer in der Fer-
ne wie „die Arbeit eines ehrgeizigen Kindes mit Schere“4 und „ähneln einem verbli-
chenem Theatervorhang“5 oder es heißt: „des Nachts umschwirren Leuchtkäfer die

1
Da das Gedicht kein regelmäßiges Metrum oder Reime aufweist, wird die Strophengliederung aus
dem Druckbild abgelesen.
2
John Ash: „Unwilling Suspension“.
3
„This is not The Good Place / and it assuredly is […].“
4
„The work of an ambitious child with scissors“ ebd., 38.
5
„Something resembling a faded theatrical curtain“ ebd.
124 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

Türme“1, womit auf den Funkenflug der Feuertonnen angespielt wird, an denen sich die
Obdachlosen wärmen. Im Video jedoch haben wir es zwangsläufig mit konkreten Bil-
dern zu tun, was sich der lyrischen Aussage strikt zu widersetzen scheint, die am Ge-
dichtschluss in den Versen kulminiert: „I could not photograph any of this for you / I
could tell you about the rain – it is not raining.“2
Im Video lassen sich zwei Strategien beobachten, auf dieses Problem zu reagieren.
Zum einen werden die Bilder durch ungewöhnliche Kameraperspektiven, Schärfewech-
sel, Überblendungen und Negativbeleuchtung dem Abstrakten angenähert. Das geht
zwar nie so weit, dass sie ihre Gegenständlichkeit aufgegeben und aufhören, Abbilder
zu sein, doch gewinnen Komposition und Form dadurch einen ästhetischen Eigenwert.
Die zweite Strategie betrifft die Glaubwürdigkeit der Bilder. Just an der Stelle, wo es
heißt „Ich könnte nichts von alledem für dich fotografieren“, wird das Bild Sekunden
später in einer Weißblende entzogen und wir bleiben mit der Stimme von John Ash
allein, die die letzte Zeile des Gedichtes spricht. Damit wird alles, was wir bisher gese-
hen haben, fraglich und der Spalt zwischen den lyrischen Bildern und den audiovisuel-
len Bildern weit geöffnet. Die zunächst angedeutete Möglichkeit, dass die Bilder und
das Erleben des lyrischen Subjektes deckungsgleich zusammenfallen könnten, wird
wieder verworfen.

2.3.2 Poetryslam in Deutschland

Bereits Mitte der neunziger Jahre überträgt sich die Begeisterung für die neue, bewegte
Dichtkunst des Slams auf den Rest der Welt. Nachdem die ersten Slams in Deutschland
zunächst von amerikanischen Künstlern veranstaltet werden, wird das Format bald in
die literarische Landschaft integriert. Gefördert nicht nur von Mitgliedern der Off-
Szene, sondern auch durch Institutionen wie der literaturWERKstatt, die einige Zeit
später, im Jahr 2001, den ersten Poetry Film Award ausrichten wird, kann der Poetry-
slam hierzulande an existierende Szenen wie Social Beat, Trash und den Prenzlauer
Berg anschließen.3
Das Konzept oder Dispositiv des Poetryslams ist in vielerlei Hinsicht und auf mehre-
ren Ebenen von Interaktionen geprägt. Da ist zunächst die literarische Szene des Slams,
die gerne als „grassroots-Bewegung“4 beschrieben wird, weil sie als Netzwerk organi-
siert ist und sich jenseits der massenmedialen Öffentlichkeit und der großen literari-
schen Institutionen entwickelt und über persönliche Kontakte und das Internet ausbrei-
tet. Weiterhin sind die Poetryslams als Veranstaltungen selbst in ihrer Struktur
hochgradig interaktiv. Performer, Publikum, Jury und MCs befinden sich in einem

1
„At night, fireflies buzz the towers.“ ebd.
2
Ebd.
3
Siehe Boris Nikolaus Preckwitz: Spoken Word und Poetry, 40f. Auch die literaturWERKstatt Ber-
lin geht vermittelt aus der oppositionellen Literaturszene Ost-Berlins hervor.
4
Bob Holman: „Nuyorican Poets Café“, 72.
Spoken Word 125
ständigen, rituell ausgeklügelten Informationsaustausch, der von der üblichen Kommu-
nikationssituation einer gängigen Dichterlesung weit entfernt ist. Dies bleibt nicht ohne
Auswirkung auf die in den Slams dargebotenen Texte. Wo die Vortragenden direkt mit
den Äußerungen des anwesenden Publikums konfrontiert sind, wo die Performance die
hauptsächliche Bestimmung des Textes ist, wo eine Wettbewerbssituation zur ästheti-
schen Inszenierung hinzutritt, da werden sich die Texte stilistisch und inhaltlich in
Richtung von Mündlichkeit und Alltagskommunikation bewegen.1 Zu guter Letzt kreu-
zen sich im Poetryslam verschiedene literarische Traditionslinien und Kulturniveaus.
Da sind einerseits die Einflüsse von Avantgardebewegungen wie Dada und ein popu-
lärkulturelles Selbstverständnis andererseits, die sich aber immerhin in der Ablehnung
des etablierten Literaturbetriebs miteinander vereinbaren lassen.2 Die spezifischen Prä-
sentations- und Rezeptionsformen des Slams, ihre „party- und sportähnliche Interaktion
über Textpräsentationen“3, wirken sich auch auf die literarischen Texte, genannt
Slampoetry aus:
Der Poet ist das erste Medium seines eigenen Textes, dessen Veröffentlichung im Buchmedi-
um für viele Autoren zunächst von untergeordneter Bedeutung ist. An dessen Stelle treten
kompatiblere Kommunikationskanäle wie Websites, CDs oder Poetry Videoclips.4

Demnach wären Poetryclips als Übertragungsmedien von Slampoetry dem schriftlichen


Text vorzuziehen, da sie immerhin die Koexpressivität5 von Gestik, Mimik und Stimme
zu vermitteln vermögen. Dennoch scheinen sie gegenüber dem „ersten Medium“, dem
Poeten in seiner Live-Performance, lediglich ein Behelfsmittel zu sein, dessen eigene
spezifisch ästhetische Mittel von Preckwitz kaum reflektiert werden.
Die künstlerische Praxis allerdings, wie sie sich beispielsweise in einer von den
SpokenWordBerlin-Aktivisten Bas Böttcher und Wolfgang Hogekamp im Jahr 2005
herausgegebenen Sammlung deutschsprachiger Poetryclips zeigt6, gestaltet sich viel-
fältiger. Zwar konzentriert sich der Großteil der versammelten Videoarbeiten deutlich
auf die Performance der Dichterinnen und Dichter, die meistens im Mittelpunkt des
Videos stehen, doch ergibt sich aus dem Einsatz audiovisueller Mittel, so sparsam ein-
gesetzt auch immer ein Mehr an Bedeutung. Das Video wird nicht allein als audiovisu-
elle Aufzeichnungstechnik genutzt, sondern als Repräsentations- und Kunstform in
Anspruch genommen. So trägt beispielsweise der Einsatz der Kamera in Sebastian

1
Siehe Boris Nikolaus Preckwitz: Spoken Word und Poetry, 56f. Preckwitz nennt als typische
Merkmale von Slampoetry Publikumsadressierung, Rezipierbarkeit, Engagement, Cross-Genre,
Oralität, Performance, Dramaturgie und Interaktion, wovon sich einige überschneiden, andere gar
widersprechen mögen, wieder andere sich nicht zwangsläufig aus der beschriebenen Kommunika-
tionssituation ergeben.
2
Siehe ebd., 62.
3
Ebd., 27.
4
Ebd.
5
Siehe Reinhart Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste im 20. Jahrhundert, Berlin 2001, 51.
6
POETRY CLIPS, VOL. 1, Königswinter 2005.
126 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

Krämers BONN1 als Genrezitat erheblich zum Spannungsaufbau bei und setzt, in Ver-
bindung mit der Musik von Richard Wagner, Pointen und Akzente durch verschiedene
Einstellungsgrößen und Perspektivwechsel. Till Müller-Klug bedient sich ausgiebig
videokünstlerischer Mittel und Geräuscheffekte. Der Punk-Autor Jan Off arbeitet mit
einem viergeteileten Bildschirm, der sehr verrauschte Schwarz-Weiß-Bilder von städti-
scher Betontristesse mit einer durchs Telefon ebenfalls verrauschten Off-Stimme kom-
biniert, wodurch die mediale Verzerrung gleich mehrfach markiert wird. In Kristoffer
Keudels Video BEIM FAHREN wird die Montage geschickt zur Wiederholung und
Rhythmisierung des Textes eingesetzt.
In Wolf Hogekamps kurzem Clip LIEBST DU MICH? werden die medienspezifischen
Möglichkeiten des Videos besonders deutlich in Anspruch genommen. Die Pointe des
rezitierten Textes besteht darin, dass sich in den letzten Zeilen der bis dahin geführte
Dialog als ein Selbstgespräch erweist: „Ich schwöre, dass ich dich nie verlasse. / Nie
und nimmer. / Bei allem, was mir heilig ist. / Wenn ich lüge, will ich tot umfallen.“ Im
Video werden verschiedene Positionen der Wechselrede durch das Auf- und Absetzen
einer Sonnenbrille angedeutet. Hinzu kommt ein Effekt, der durch den filmischen Mon-
tagecode erzeugt wird. Zwischen den verschiedenen Einstellungen, die Hogekamp in
Großaufnahme zeigen, erfolgt jeweils ein Schnitt, um den Performer an verschiedenen
Orten der Stadt erscheinen zu lassen. Im Repertoire filmischer Montage ist dieser
Umschnitt aber als Schuss-Gegenschuss-Verfahren codiert, was den Eindruck, man
habe es mit einem Dialog zwischen unterschiedlichen Gesprächspartnern zu tun, ver-
stärkt. Das Auf- und Absetzen der Sonnenbrille läuft als Rollenwechselsignal parallel
dazu mit und trägt so zu einer doppelten Strukturierung bei, die den Clip rhythmisiert.
Das Hogekamp’sche Rollen-Ich ist daher von Anfang an brüchig, eine Unklarheit, die
für das audiovisuelle Medium typisch ist: Werden die lyrischen Ichs tatsächlich multi-
pliziert oder handelt es sich schlicht um ein Selbstgespräch und damit um eine psycho-
logisch motivierte Darstellung einer geschlossenen Figur? Indem die Verdopplung
Hogekamps von Anfang an medial verkörpert wird und sich in der Auflösung des die-
getischen Raumes wiederholt, bleibt eine Unsicherheit über den Status der Autoren-
Performer-Figur bestehen, die auch die vom Text vermittelte Pointe nicht aufzulösen
vermag. Man merkt den Poetryclips ihre Entstehung aus der Poetryslam-Szene deutlich
an, denn der Fokus liegt stets auf der Performance, die zudem häufig einen szenischen
Charakter besitzt. Was darüber hinaus ins Auge fällt, ist die Nähe der Poetryclips zum
Musikvideo, die sich wie in Wolfgang Hogekamps DROGEN vor allem an der Schnitt-
frequenz und dem vertrauten Motiv- und Gestenrepertoire zeigen lässt.
Zusammenfassend muss man sagen, dass die deutschsprachigen Poetryclips, die um
die Jahrtausendwende entstehen, sich im Vergleich zu den US-amerikanischen Werken
weitaus weniger mit politischen oder sozialen Themen befassen. Damit soll keineswegs
ein abschließendes Urteil über die deutsche Poetryslam-Szene gefällt werden, sondern
lediglich eine Tendenz angesprochen sein, die auch von anderen, darunter Bodo
Preckwitz beobachtet worden ist. Natürlich ist die ganz verschiedene Situation, die in

1
BONN, Regie: Wolfgang Hogekamp, D 2002/2003.
Spoken Word 127
Deutschland gerade bezüglich der Geschichte von Migration und sozialer Konfliktbe-
wältigung besteht, dafür ein nicht unerheblicher Grund. Erfreulicherweise ist in jüngs-
ter Zeit wieder eine „Politisierung“ des Genres zu beobachten.

2.3.3 Dubpoetry-Clips

Dubpoetry ist eine musikalisch-poetische Bewegung, die in den siebziger Jahren ihren
Anfang nahm. Linton Kwesi Johnson und Oku Onuora gelten als die Pioniere des Gen-
res, das sich in Jamaika und Großbritannien zunächst parallel entwickelte.1 Weitere
wichtige Zentren sind neben Kingston und London heute vor allem die kanadische
Szene in Toronto und Montreal aber auch andere Orte der karibischen Diaspora2, wie
die USA oder Südafrika.3 Zu den bedeutendsten Vertreterinnen und Vertretern zählen
neben den Genannten der 1983 verstorbene Michael (Mikey) Smith, Lillian Allen, Ben-
jamin Zephaniah und amuna baraka-clarke. Linton Kwesi Johnson hatte den Begriff
„Dub Poetry“ eigentlich geprägt, um die Sprecheinlagen der Reggae-DJs zu bezeich-
nen. Oku Onoura, der in Jamaika mit seinen Reggae-Dichtungen eine ganz ähnliche
Richtung verfolgte, war es jedoch, der den Begriff zu einer distinkten Genrebezeich-
nung machte: „While his counterpart in Britain rejected the term he himself had coined
to describe the talkover art of the reggae DJs. Oku developed it into a distinctive con-
cept to denote a new genre of musically based riddim poetics.“4
Dubpoetry entwickelt sich im Zusammenhang mit dem jamaikanischen Musikstil
Dub, dessen Bezeichnung sich aus der englischen Bezeichnung für das technische Hin-
zufügen und Mischen – dubbing – von Klangmaterial zu einer Tonaufzeichnung ablei-
tet. Dubtracks zeichnen sich durch einen hervorgehobenen Rhythmus und Bass (riddim)
sowie verschiedene Effekte wie Echos, Klangmodulationen oder Hall aus und wurden
in der jamaikanischen Musikszene als Basis für DJ-ing (sogenanntes toasting) und
Sprechgesang genutzt.5 Daraus entwickelte sich das musical talkover, das Dubpoetry-
Experte Christian Habekost wie folgt beschreibt: „The DJ talked over the riddim. Yet
the developing style was neither singing nor mere talking: it was a mixture of both, a
sing-song style, a staccato like lyrical outburst following the rhythmic pattern of the

1
Für eine kurze Einführung in das Thema siehe Mervin Morris: „Dub Poetry?“, in: Caribbean
Quarterly, 43. Jg., H. 4, 1997, 1–10; einen historischen Überblick und ausführliche Analysen bietet
Christian Habekost: Verbal Riddim. The Politics and Aesthetics of African-Caribbean Dub Poetry,
Amsterdam 1993. Hier 19.
2
Susan Gingell: „Always a Poem, Once a Book“: Motivations and Strategies for Print Textualizing
of Caribbean-Canadian Dub and Performance Poetry“, in: Journal of West Indian Literature, 14.
Jg., 1/2, 2005, 220–261. Hier: 2.
3
Mervin Morris: „Dub Poetry?“.
4
Siehe Christian Habekost: Verbal Riddim, 21.
5
Ebd., 53ff.
128 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

dub, rhymed, with a verse-refrain structure.“1 Auch Dubpoetry ist im Prinzip ein sol-
cher Sprechgesang über ein Dubstück hinweg, unterscheidet sich allerdings in einigen
Punkten deutlich insbesondere von den aktuellen Praktiken der DJs: Dub poems werden
nicht improvisiert, sondern im Vorfeld sorgfältig konzipiert, decken eine größere Band-
breite von Themen ab und lassen sich aufgrund ihrer rhythmischen Durcharbeitung
grundsätzlich auch ohne Musikbegleitung gewinnbringend rezipieren. Dub poets bedie-
nen sich eines bedächtigeren, wandelbareren Rezitationsstils als DJs und legen größe-
ren Wert auf eigenständige musikalische Produktionen.2 Über die Charakteristika und
die mediale Verbreitung von Dubpoetry schreibt Mervyn Morris zusammenfassend:
,Dub poetry‘, which is written to be performed, incorporates a music beat, often a reggae beat.
Often, but not always, the performance is done to the accompainment of music, recorded or
live. Dub poetry is usually, but not always, written in Jamaican language; in Jamaican cre-
ole/dialect/vernacular/nation language. […] Most often it is politically focused, attacking op-
pression and injustice. Though the ideal context for dub poetry is the live performance, it also
makes itself available in various other ways: on radio, on television, in audio recordings, video
recordings and on film. Many dub poets also publish books.3

Dass Dubpoetry über das Fernsehen, vor allem aber im Video Verbreitung findet, liegt
in erster Linie an der starken Bedeutung, die die Performance für diese Stilrichtung hat.
Stimme und Geste des Performers sind nicht nur sekundäres Vehikel für das poetische
Werk, sondern werden zum festen Bestandteil des Gedichtes.4 Diese Bindung an orale
Traditionen ist auch Ausdruck einer sprachpolitischen Subversion, durch die das patois
gegenüber der englischen Herrschaftssprache aufgewertet wird. Obwohl die Frage nach
der Oralität des Dub traditionell im Zentrum des akademischen Interesses steht, 5 gehen
die Gründe aus denen dub poets den Weg in das audiovisuelle Medium wählen, über
die Performanceaffinität des Genres hinaus. Zum einen ist Dubpoetry stärker als andere
Lyrik-Stile an eine Musikrichtung gebunden, ohne dabei ganz in ihr aufzugehen (wie
etwa der Rap im Hip Hop). Dubpoetry entwickelte sich in den frühen siebziger Jahren
im Umfeld der jamaikanischen Reggaemusik und ging direkt aus den soundsystems her-
vor.6 Im Idealfall sollte das Dubpoem jedoch nicht einfach über einen Reggae-
Rhythmus (riddim) gesprochen werden, sondern es sollte diesen Rhythmus auch selbst

1
Ebd., 56.
2
Siehe ebd., 58.
3
Mervin Morris: „Dub Poetry?“, 1.
4
Siehe ebd., 6f.
5
Siehe Susan Gingell: „Always a Poem, Once“, 2. Die Frage nach der Oralität der Dichtung stellt
sich besonders, wenn Dubpoetry im internationalen Kontext bewertet wird. Eine Fixierung auf die
Performance-Gebundenheit läuft jedoch Gefahr einer reduktionistischen, rassistischen Trennung
von schriftlicher Literatur vs. mündlichem Pop; wobei Dubpoetry Letzterem zugeordnet wird, weil
die Texte für sich genommen „literarisch“ – so der Auffassung zufolge – von minderer Qualität
seien. Obwohl diese Frage im Kontext von Poetryslam und Spoken Word ebenfalls virulent wird,
gewinnt sie in der postkolonialen Literatur eine besondere Brisanz.
6
Christian Habekost: Verbal Riddim, 2.
Spoken Word 129
evozieren. Musikalische Rhythmen und Rhythmen des Gedichtes sind in einem wech-
selseitigen Verhältnis zueinander konzipiert. In diesem Sinne ist auch der von Linton
Kwesi Johnson geprägte Ausdruck „DJ-poet“ zu verstehen. Darüber hinaus gibt es
ökonomische und politische Gründe für die Nutzung des audiovisuellen Mediums. Der
große Erfolg einiger dub poets und ihrer Vermarktung durch die Musikindustrie Mitte
der achtziger Jahre machte die Produktion von Musikvideoclips, die zu diesem Zeit-
punkt eben ihre große Blüte erlebten, weitaus naheliegender als in anderen Bereichen
der Performance Poetry. Andererseits kommt die Verbreitung der Videoclips in Fernse-
hen oder heute im Internet der politischen Zielsetzung vieler dub poets entgegen. Das
Video von Lilly Allen zu ihrem Track „Unnatural Causes“ (National Film Board of
Canada 1990) bezeichnet Habekost sogar als „poetry video“. In seiner Beschreibung
des Videos deutet sich bereits an, welche Aspekte in die Untersuchung der audiovisu-
ellen Realisierung von Dubpoetry Berücksichtigung finden müssen:
The cinematography with its various cuts and the recurrent insertion of documentary black and
white photographs, employs what in music is called ,sampling‘, the technique of taking musi-
cal quotations from their original sources and incorporating them into a new tune. It highlights
both the riddim of the word performance and the rhythmic changes of the accompanying mu-
sic.1

Es ist zu fragen, in welchem Verhältnis Montagestil und Visualisierung der Perfor-


mance zu den ästhetischen Grundprinzipien der Dubpoetry stehen und welche Rolle der
Musik im audiovisuellen Gebilde zukommt.
Das im Jahr 2010 von Grischa Göddertz produzierte NEW WORD ORDER ist ein zeit-
2
genössisches Beispiel für ein Dubpoetry-Video. Es zeigt schon im Titel die sprachre-
flexive und politische Programmatik an. Jazz’min Tutum, Dichterin und Performerin
des Dubpoems, ist in einer halbtransparenten, halbtotalen Aufnahme zu sehen. Das
Gedicht, eine Kritik an globalen Ausbeutungsverhältnissen und verharmlosender Mo-
dernisierungsrhetorik, ist darüber hinaus als animierter Schrifttext zu lesen, der sich
vervielfältigt und immer wieder über das Bild schiebt, ein konsequenter Verweis da-
rauf, wie sprachliche Strategien die soziale Realität überdecken. Jazz’min Tutums Per-
formance ist außerdem dadurch verfremdet, dass ihre Stimme dubtypischen Bearbei-
tungen wie Hall und Sampling unterzogen ist. Auffällig ist die Stringenz der auf
mehreren Ebenen rhythmisch durchstrukturierten Performance.
So ist auf Mikroebene in den Tonhöhenverläufen und auf Ebene der lautstilistischen
Gestaltung des Textes durch Alliterationen, End- und Binnenreime ein deutlicher
riddim zu hören, der sich auf der Ebene der strophischen Gliederung, in Pausensetzung,
Refrain und Bridge fortsetzt. NEW WORD ORDER besticht weniger durch ein montage-
artiges Zusammenfügen von Bildmaterial als vielmehr durch Anwendung des
Samplingverfahrens auf die Performance. So wird beispielsweise der „Refrain“ des

1
Ebd., 111f.
2
Siehe Abbildung 2.
130 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

Dubpoems dupliziert und an einer späteren Stelle wiederholt. Performance und Musik
ergänzen einander. Mit dem Einsetzen des Basslaufes in der zweiten Strophe und ge-
zieltem Aussetzen des musikalischen riddim wird ein Spannungsbogen erzeugt, der die
lyrische Komposition unterstreicht.

2.4 Lyrik im Kontext audiovisueller Massenmedien –


Poesiefilm heute
2.4.1 Fernsehen

Poesiefilmgeschichte, das haben die vorangegangenen Kapitel gezeigt, ist auch Medi-
engeschichte. Im Entwicklungsverlauf audiovisueller Medien bietet die Arbeit mit lyri-
schen Texten den Künstlerinnen und Künstlern immer wieder ein Experimentierfeld, in
dem sich nicht-narrative Sinnbildungspotentiale der neuen Medien erweisen sollen.
Diese Bindung des Poesiefilmes an die Entwicklung der Medien gehört zu den deut-
lichsten Konstanten in seiner Geschichte und ist auch in der heutigen Situation, die
durch Digitalisierung und Vernetzung gekennzeichnet ist, von größtem Interesse. Wenn
im folgenden Kapitel der Zustand des Poesiefilmes heute, im zweiten Jahrzehnt des
einundzwanzigsten Jahrhunderts, skizziert wird, so lässt sich dies nicht von seiner Ein-
bindung in zeitgenössische mediale Kontexte trennen. Die Situation des Poesiefilmes
soll daher anhand der Stichworte „Modularität“, „Performativität“ und „Internationali-
tät“ dargestellt werden.
Das Fernsehen, so hat der Medienkünstler und Lyriker Clive Holden in einer Online-
Debatte über die mediale Zukunft des Experimentalfilmes einmal gesagt, ist in der De-
batte über alte und neue Medien, über Sehgewohnheiten und Filmformate ein „elephant
in the room“1, ein Elefant im Raum, der, obwohl seine enorme Bedeutung für die mo-
derne Gesellschaft eigentlich unübersehbar ist, meist stillschweigend übergangen wird.
Die Gründe dafür können an dieser Stelle nicht näher erörtert werden, doch kann das
geringe kulturelle Prestige des Fernsehens sicher zu den wichtigsten Ursachen gezählt
werden. Auch nach dem Serienfieber, das die US-amerikanischen Qualitätsserien um
die Jahrtausendwende in Feuilleton und Kulturwissenschaft ausgelöst haben, hat sich
diese Situation nicht wesentlich verändert.2 Mit wenigen Ausnahmen, wie dem Phäno-

1
Chris Gehmann/Brenda Longfellow/Dave Barber/Michael Sicinski/Clive Holden: „Round Table.
Trains of Winnipeg + The Auteurs, Avant Garde Films, Web Distro and you“, online un-
ter: http://.mubi.com.
2
Dass sich diese Serien von den Sopranos bis Breaking Bad in ihrer ganzen epischen Breite erst mit
dem Medium der DVD (bzw. des digitalen, downloadbaren Videoformats) voll entfalten konnten,
kann hier ebenfalls nur thesenartig festgehalten werden. Jedenfalls hat ihre Reputation in der For-
Poesiefilm heute 131
men „Musikvideo“ und eben den neueren Serien, haben Fernsehproduktionen nur ge-
ringe Beachtung bei der Erforschung audiovisueller Medialität gefunden.
Doch das Fernsehen hat nicht nur eine unabweisbare soziale, politische und ökono-
mische Bedeutung, sondern fungiert auch als ästhetischer Impulsgeber: „Andere For-
men audiovisueller Kohärenz, Bedeutungskonstruktion und Sinnvermittlung, wie sie
gegenwärtig das Hollywoodkino erprobt, sind erst möglich geworden, weil auch das
Fernsehen verstärkt Brüche und Interruptionen in den televisuellen Bilderflüssen zuge-
lassen hat.“1 Es wäre falsch, ein Genre wie den Poesiefilm ausschließlich vor dem Hin-
tergrund des Kinofilmes zu betrachten, da es auch auf durch das Fernsehen etablierten
Seh- und Hörgewohnheiten aufbaut. Nicht zuletzt im Bereich der Trennung von Ton
und Bild, welche TV-Berichterstattung und -Nachrichten seit Jahrzehnten mit der größ-
ten Selbstverständlichkeit betreiben, bietet das Fernsehen eine Reihe von Verfahren an,
die für den Poesiefilm einschlägig sind. Auch die scheinbar präsenzgebundene In-
stitution der Dichterlesung hat Übertragungen in das audiovisuelle Medium erlebt. Da-
bei deuten sich wichtige medienspezifische Probleme und Möglichkeiten an, die bereits
zur Thematik des Poesiefilmes hinführen. Der Germanist Albrecht Schöne hat bereits in
den siebziger Jahren eine visionäre Form der Literaturpräsentation für das Fernsehen
antizipiert, die von der Möglichkeit der Ton-Bild-Trennung Gebrauch macht; nicht
anders, als es zeitgenössische Poesiefilme schließlich praktizieren und wie es Wochen-
schauen aus den vierziger Jahren erahnen lassen.
Versuche, das traditionsreiche Format der Dichterlesung, das sich ja schon erfolg-
reich im Rundfunk bewährt hatte, in das neue Medium zu übertragen, hat es seit der
Erfindung des Fernsehens gegeben. So entstanden für die frühe WDR-Sendereihe Zur
Nacht zwischen 1966 und 1977 etwa 600 Fernsehlesungen. Der Germanist Albrecht
Schöne hat sich in einem Fernseh-Feature eingehend mit diesem literarischen Format
beschäftigt. Seine Betrachtungen über die Präsentation von Literatur im audiovisuellen
Medium sind auch für die Geschichte des Poesiefilmes relevant, da sie einen Ausblick
auf eine neuartige Form der medialen Vermittlung von Lyrik bieten, die dem heutigen
Poesiefilm bereits recht nahekommt.2 Im Mittelpunkt der Sendung stehen dabei Dich-
terlesungen, nicht Literaturverfilmungen oder Dokumentationen; es geht also um ein
Format, das in der Hauptsache aus dem videotechnisch aufgezeichneten Vortrag eines
literarischen Textes durch seine Autorin oder seinen Autor besteht. Schöne bezeichnet
diese mündliche Vermittlung als die ursprüngliche Form von Literatur, wobei er sich

schung kaum auf das Medium Fernsehen in seiner Gänze zurückgewirkt. Das wusste man auch bei
HBO, wo bis 2009 der Slogan galt: „It’s not TV. It’s HBO.“
1
Knut Hickethier: „Geschichte des Films, der Audiovision oder der Multimedia. Perspektiven am
Ende des ersten Jahrhunderts Film“, in: Michael Schaudig (Hg.): Positionen deutscher Filmge-
schichte. 100 Jahre Kinematographie: Strukturen, Diskurse, Kontexte, München 1996, 487–503.
Hier: 494.
2
Der WDR strahlte die Sendungen in den Jahren 1972 und 1973 aus. Sie sind in Schriftform doku-
mentiert. Siehe Albrecht Schöne: Literatur im audiovisuellen Medium. Sieben Fernsehdrehbücher,
München 1979.
132 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

auf die Dichtung ‚vor Gutenberg‘ bezieht.1 Doch obwohl es im audiovisuellen Medium
möglich ist, Mimik, Gestik und Stimme der Vortragenden aufzuzeichnen, kann in der
audiovisuellen Reproduktion nicht die Leibhaftigkeit und Gegenwärtigkeit einer Le-
sung erreicht werden. Schöne bemüht Walter Benjamins Begriff der Aura, um diese
Diskrepanz zwischen der Aufzeichnung und der Präsenz des Ereignisses zu erfassen.2
Im Zusammenhang mit dem Poesiefilm ist dieser Punkt sehr bedeutsam, denn gerade
vom Film erhoffte sich Benjamin ja die Zertrümmerung der Aura des Kunstwerkes, aus
der eine neue Rezeptionshaltung resultieren sollte.3 Lässt man Benjamins Optimismus
gegenüber der Massenkultur einmal beiseite, so bleibt die Frage, wie sich der Poesie-
film, der in allen von Benjamin aufgezählten Punkten hochgradig „filmisch“ ist, in die-
sem Spannungsfeld von Vergegenwärtigung und technischer Reproduzierbarkeit ver-
hält.4 Denn einerseits widmen sich viele Poesiefilme ausdrücklich dem Projekt, die
Literatur vom gedruckten Wort zu ‚erlösen‘ und wieder in ihre performative Dimension
einzusetzen, anderseits bleibt dieses Unternehmen unbestreitbar medial vermittelt und
das heißt: an eine technische Apparatur gebunden, die Publikum und Darsteller trennt.5
Die visuelle Dimension einer Fernsehlesung bringt eine Reihe von Schwierigkeiten
mit sich. Schöne zählt eine Reihe sogenannter Äußerlichkeiten auf, die die Vortrags-
kunst selbst in den Hintergrund drängen, banalisieren oder konterkarieren. Das Bild
nämlich, so Schöne, sei zudringlicher als der Ton und besitze eine größere Ablen-
kungskraft.6 Festzuhalten ist zweifellos, dass jede Lesung eine Inszenierung ist, und
dass eine neutrale Wiedergabe des Textes gar nicht möglich ist, wie Schöne treffend an
einer Lesung von Ilse Aichinger verdeutlicht. Auch ein schwarzer, vermeintlich neutra-
ler Hintergrund fügt dem Text eine Bedeutungsdimension hinzu und wenn es nur die
ist, dass man es mit einem autonomen Kunstwerk zu tun habe.7 Das Bild, da es nun
einmal da ist, spricht immer mit und ist zwangsläufig in die Gestaltung einzubeziehen.
Abgesehen von den möglichen Inszenierungsformen der Lesung sieht Schöne noch
andere visuelle Erweiterungen des Formats, die gerade dann angezeigt seien, wenn „der
Text selber die Ergänzung durch optische Informationen nahelegt oder sie geradezu

1
Siehe ebd., 12ff. Schöne sieht im Buchdruck lediglich ein der Dichtung zwischengeschaltetes
Medium; im Vortrag dagegen ihre direkte, ursprüngliche Version. Ob dies für Literatur „an sich“
Geltung haben kann, bleibt fraglich, für die in der Sendung behandelte zeitgenössische Literatur
(u. a. visuelle Poesie) gilt es sicher nicht.
2
Siehe ebd.
3
Siehe Walter Benjamin: „Das Kunstwerk im Zeitalter“, 479f.
4
Denn die „physische Chockwirkung“ (ebd., 503), von der Benjamin spricht, müsste umso stärker
sein, je inkohärenter und durch weniger Narration verknüpft die Einstellungen im Film sind, die
„stoßweise“ (ebd., 502) auf das Publikum Zuschauer eindringen. Schließlich vergleicht Benjamin
den Film hinsichtlich seiner taktilen Qualität mit der aurazertrümmernden, moralischen Schock-
wirkung des Dadaismus. (Siehe ebd., 502f.).
5
Siehe ebd., 488. Der Film steht für Benjamin im genauen Gegensatz zum Theater, wo jedes Mal
ein neuer, originärer Einsatz des Schauspielers stattfindet, was Einmaligkeit und Ferne des
auratischen Kunstwerks schafft.
6
Albrecht Schöne: Literatur im audiovisuellen Medium, 34.
7
Siehe ebd., 37.
Poesiefilm heute 133
fordert und auf diese entschiedene Weise ‚fernsehgerecht‘ wird“1. Dies ist der Fall bei
Texten über bildende Kunst und natürlich bei visueller konkreter Poesie, die mit ihrer
Schriftlichkeit als materieller Substanz spielt.2 Neben den visuellen Erweiterungen hat
die audiovisuelle Präsentation von Hause aus alle Vorteile, die sich aus der Wiedergabe
von Klang und Stimme auf der Tonspur ergeben. Damit entfaltet sich der Text in seiner
performativen Dimension. Die sprachkünstlerische Gestaltung des Vortrags wird von
zahlreichen Parametern wie Sprechtempo, Tonhöhe und -stärke, Rhythmisierung und
Akzentuierung bestimmt.3 Hinzu treten aber auch alle physiognomischen und
idiosynkratischen Eigenschaften der Stimme wie Register, Timbre oder Dialekte.4
Bis zu diesem Punkt spricht Schöne nur von der im Fernsehen übertragenen Dich-
terlesung, einer Form, die ausdrücklich nicht zum Poesiefilm gezählt wird. Anders ver-
hält es sich mit dem von Schöne ebenfalls besprochenen Lesefilm, der im Einsatz audi-
ovisueller Gestaltungsmittel weit über die bloße Dokumentation einer Lesung
hinausgeht: „Diese Lesung aber und die in der Fernseh-Sendung seinen Text beglei-
tende Bilderfolge sind unabhängig voneinander aufgezeichnet und erst nachträglich
miteinander kombiniert worden.“5 Eine solche Bilderfolge kann nun aber, einmal von
der Aufnahme des Sprechenden gelöst, im Prinzip alles Mögliche zeigen. Schöne setzt
zwar noch auf die Figur des Autors, der als audiovisuelles Integrationsmittel fungieren
soll, sieht aber im Lesefilm durchaus ein Potential, aus dem „neue, eigenartige Formen
von Poesie entstehen könnten, für die die Verbindung von Worten und bewegten Bil-
dern wirklich konstitutiv ist.“6 Nun, der Poesiefilm ist eine ebensolche Form und
Schöne hat bereits ziemlich genau die Schwierigkeiten und Streitpunkte des Genres
vorausgesehen: die Frage nach dem Verhältnis von Bild und Text, die Kritik an banaler
Illustration oder Verdopplung und die angedeutete Bevorzugung kontrapunktischer
oder sich ergänzender Verhältnisse. Großes Gewicht misst er dabei der Einbildungs-
kraft zu, die, angeregt durch die Worte, im Vorstellungsvermögen das projiziert, was
die Kamera nicht zeigt. Das stumme Gesicht des Dichters könne das „optische Korrelat
dieses Vorgangs“7 sein, indem die Worte auf der Tonspur uns als dessen Gedanken
erscheinen. Schöne beschreibt hier nichts weniger als eine Konvention des Spielfilmes
für die Darstellung eines inneren Monologs – und eine sehr gebräuchliche Inszenie-
rungsform des Poesiefilmes.
Noch immer werden Literatur-Performances im Fernsehen übertragen. Neuere For-
mate wie der Poetryslam des WDR bedienen sich zur Mediatisierung der speziellen

1
Ebd., 40.
2
Siehe ebd., 72ff.
3
Siehe Reinhart Meyer-Kalkus: „Koordinaten literarischer Vortragskunst. Goethe-Rezitationen im
20. Jahrhundert“, in: Gabriele Leupold/Katharina Raabe (Hg.): In Ketten tanzen. Übersetzen als in-
terpretierende Kunst, Göttingen 2008, 150–198. Hier: 180ff.
4
Siehe ebd. Zur Problematik des Begriffes der Physiognomie und seinem produktiven Potential
siehe Reinhart Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste, 42ff.
5
Albrecht Schöne: Literatur im audiovisuellen Medium, 48.
6
Ebd., 52.
7
Ebd., 51.
134 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

Slam-Ästhetik natürlich moderner Stilmittel und Techniken, deren genaue Untersu-


chung noch aussteht. Aber es ist unschwer zu erkennen, dass die aufwendige Bildregie
dieser Aufzeichnungen viele ihrer Mittel den Formaten „Fernsehshow“ und „Musikvi-
deo“ verdankt. Hier wird alles versucht, um die fehlende Live-Situation durch Schnel-
ligkeit und dynamische Kameraführung zu ersetzen.

2.4.2 Poesiefilm im Internetzeitalter

Das Format der audiovisuellen Dichterlesung hat sich – sobald die technischen Voraus-
setzungen gegeben waren1 – auch ins Internet übertragen lassen, wobei es sich den
Begrenzungen und Möglichkeiten des neuen Mediums entsprechend nochmals verwan-
delt hat. Als Beispiel soll eine 2010 entstandene Videolesung mit Michael Lentz die-
nen. Lentz las für die Frankfurter Allgemeine Zeitung 15 Gedichte aus dem Zyklus
Offene Unruh, einem Gedichtband von 100 sehr anspielungsreichen, modernen Liebes-
gedichten.2 Die 15 entstandenen Videoclips wurden in den Tagen vor Erscheinen des
Gedichtbandes in täglicher Folge auf F.A.Z.-Net veröffentlicht. Schon im Hinblick auf
die Distributionsform ermöglicht das Internet also etwas, was bisher nicht möglich war.
Es kombiniert die altehrwürdige journalistische Textsorte des Vorabdrucks von Ro-
mankapiteln oder des Feuilletonromans mit der Ausstrahlung von Videos und schafft so
eine Veröffentlichungsform, in der Serialität und eine wiederholbare Rezeption von
audiovisuellen Produkten gekoppelt sind.
Die Videos gehen über die bloße Dokumentation bzw. technische Aufzeichnung ei-
ner Lesung hinaus und nutzen zahlreiche filmische und videotechnische Gestaltungs-
mittel. Es finden sich wechselnde Kameraperspektiven, eine bewegliche, folgende Ka-
mera, das Spiel mit Schärfewechseln, der Wechsel von On- zu Offstimme, Jumpcuts,
Doppelbild und andere mehr. Dabei wird fast immer eine Verknüpfung mit dem von
Lentz gesprochenen Gedicht hergestellt. Im Video zum dreizeiligen Gedicht „handy
wie bombe“ etwa korrespondiert das ansteigende Tempo, in dem die Verse skandiert
werden, mit den sprunghaften Zooms, die uns von einer Halbtotalen bis zur Nahauf-
nahme an Lentz heranführen, so dass die Schockwirkung der hochgehenden Bombe
geradezu verkörpert wird. Die wie eine Bombe hochgehende Nachricht, die man per
SMS erhält (oder auch zündet), erscheint zunächst wie ein recht traditioneller Ver-
gleich, mit dem sich die Absurdität von Liebeskommunikation im Medium mobiler
Unverbindlichkeit kommentieren lässt. Er stellt sich aber in Zeiten der medialen Prä-

1
Das ist seit den 90er Jahren der Fall. Voraussetzung für die erfolgreiche Durchsetzung ist, dass
größere Datenmengen in ausreichender Geschwindigkeit übertragen werden können. Videos im In-
ternet herunterzuladen, ist prinzipiell schon länger möglich. Erst mit der Breitbandtechnik kann
sich jedoch das Webvideo etablieren. Ein Indiz dafür ist der durchschlagende Erfolg der Strea-
ming-Plattform „Youtube“ im Jahr 2005.
2
Siehe Michael Lentz: Offene Unruh. 100 Liebesgedichte, Frankfurt am Main 2010.
Poesiefilm heute 135
senz von per Handy ferngezündeten Bomben als eine drastische Metapher heraus, die
sich selbst überholt: „handy wie bombe / nachricht wie tod / taste / weg“.
Mittelpunkt der kurzen Clips ist stets der Autor Michael Lentz selbst, der in wech-
selnden Settings seine Gedichte spricht oder auch vorliest. Stets spielt dabei der Raum
eine entscheidende Rolle. Die wechselnden Schauplätze bleiben meist unbestimmt und
erinnern zuweilen an die großstädtischen, nutzlos gewordenen und verlassenen Indust-
riegebäude, die in die Hände der Kulturschaffenden übergegangen sind. Mal sieht man
Lentz in einer Bar, mal in einer eindrucksvollen Säulenhalle, mal vor graffitiverzierten
Wänden. Inhaltliche Bezüge zum gesprochenen Text sind oft atmosphärischer Art,
wenn sich etwa eine gewisse Kälte und Verlorenheit in den Bildern zeigt; sie können
aber auch wie in „ich war nie“ die Form eines Gags haben, der in Offene Unruh in Ge-
stalt des Wortspiels überhaupt häufig ist, was in der Videolesung nun im geschickten
Einsatz gestalterischer Mittel wiederaufgenommen wird. In diesem Video ist der Dich-
ter nämlich, während die ersten Zeilen zu hören sind („ich war nie / an einem ort“),
nicht im Bild zu sehen, stattdessen steht ein Schrank in einer Fabrikhalle. Gleichzeitig
mit dem Wort „hingestellt“ und einem unsichtbaren Schnitt erscheint Lentz wie aus
dem Nichts direkt daneben im Bild und spricht das Gedicht weiter, wobei er in wech-
selnden Einstellungen zu sehen ist. Am Schluss des Gedichtes wird Lentz auf dieselbe
Weise wieder aus dem Bild entfernt, das letzte Wort des Schlussverses klingt so aus
dem Off nach: „ich bin der ort / der mich nie / der mich nie verlässt“.
Jedes der ein- bis zweiminütigen Videos beginnt und endet mit dem Bild einer
schreibenden Hand, das zeigt, wie zunächst der Gedichttitel und am Schluss der Name
des Dichters mit einem Filzstift auf Packpapier geschrieben wird. Diese Handschrift ist
auch auf dem Buchtitel von Offene Unruh zu sehen. In der Rezension von Florian Illies
wird die Körperlichkeit von Literatur als „landläufige Sehnsucht“ abgetan, so dass die
handschriftliche Titelgestaltung des Buches und die Videolesungen als eine „Überwäl-
tigungstaktik“ erscheinen müssen: „Als ließe sich Qualität durch Körpereinsatz beglau-
bigen.“1 Die Kritik verfehlt insofern ihr Ziel, als dass Lentz’ Lyrikperformance ihr
mediales Vermitteltsein in keiner Weise zu verbergen sucht. Vielmehr stehen die er-
wähnten Gestaltungsmittel klar in der Tradition einer offenen Montage, die die Bear-
beitung des sprechenden Dichters durchaus reflektieren.
Der Medienwandel durch Computertechnik, Digitalisierung und Vernetzung hat ein-
schneidende Auswirkungen auf jede Form audiovisueller Kommunikation.2 Davon ist
nicht nur die institutionalisierte Dichterlesung betroffen, sondern auch der Bereich der
Film- und Videokunst. In einer im Dezember 2009 online durchgeführten Podiumsdis-
kussion auf der Filmplattform The Auteurs (heute mubi) wird die Frage nach der Ge-
staltbarkeit dieses medialen Wandels und seinen Auswirkungen auf die Kunst- und
Experimentalfilmszene ausführlich verhandelt. In der Einleitung des sogenannten

1
Florian Illies: „Wir lesen – und schalten ab. Und zu. Warum gehen dem Lautpoeten Michael Lentz
nur immer wieder die Pferde durch?“, in: Die Zeit, Nr. 12, 2010. Hier: 49.
2
Siehe Mark B. N. Hansen: „New Media“, in: W. J. T. Mitchell/Mark B. N. Hansen (Hg.): Critical
Terms for Media Studies, Chicago/Ill. 2010, 172–185. Hier: 180ff.
136 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

Round Table, an dem verschiedene Regisseure, Schriftsteller, Onlineredakteure, Festi-


valleiter und eine Filmemacherin und Filmtheoretikerin beteiligt sind, werden gleich
mehrere zentrale Probleme der medialen Entwicklung benannt:
Will web-based distribution open up the treasure chest of artist-made, non-dramatic narrative,
filmmaking from throughout the last century, finally making it available for all to see? What’s
the future for The Auteurs in terms of additions to its film library, or its format choices and
other plans? And about the film itself, where does TRAINS OF WINNIPEG fit in, in the history of
cinema? Is there such a thing as 21st century filmmaking?

Der Film, der dieser Runde als Gesprächsanlass dient, ist interessanterweise ein Ge-
dichtfilm. Es handelt sich um TRAINS OF WINNIPEG, ein Filmprojekt des kanadischen
Dichters und Medienkünstlers Clive Holden, das 2004 als Experimentalfilm auf 35 mm
erschienen ist und seit 2009 über das Filmportal mubi im streaming zugänglich ist.
Ähnlich wie das über 50 Jahre zuvor abgehaltene Symposium Poetry and the Film1
bündelt der Internet-Round-Table eine Reihe von Fragestellungen, die im Zusammen-
hang mit dem Poesiefilm wichtig sind und die mit dem aktuellen Umbau ganzer Medi-
endispositive zwangsläufig aufgeworfen werden. Im Rahmen der vorliegenden Analyse
sind vor allem jene Punkte von Interesse, die die technologische Entwicklung audiovi-
sueller Formate, ihre Vereinbarkeit mit künstlerischen Verfahren und die aus ihr resul-
tierenden Rezeptionsweisen betreffen. Sie werden jeweils im Hinblick auf den Poesie-
film und TRAINS OF WINNIPEG erörtert.
An die Digitalisierung und die Verbreitung audiovisueller Medienformate über das
Internet knüpfen sich große Erwartungen. Für den Bereich des alternativen Kinos er-
hofft man sich vor allem eine bessere Verfügbarkeit der Arbeiten, die bisher in der Re-
gel nur in einem schmalen Zeitfenster und in einem begrenzten – urbanen – Milieu
rezipierbar waren. Alex Rogalski stellt in der Online-Diskussion Überlegungen über die
Zugänglichkeit an, die für den experimentellen Film bzw. den – wie er es nennt –
‚nicht-kommerziellen‘ Film, zu dem man zweifellos auch den Poesiefilm zählen muss,
bisher in dem Maße eingeschränkt war, wie es nach den Premierenvorführungen jener
Filme meist keine Möglichkeit mehr gab, sie zu sehen: „One of the troubles for ‚expe-
rimental‘ or better described, non-commercial film, is that it has been forced to an
existence on a festival circuit, after which point, it’s often completely inaccessible to
audiences.“2 Im zweiten Jahrzehnt des einundzwanzigsten Jahrhunderts bestehen zahl-

1
Siehe Willard Maas/Amos Vogel: „Poetry and the Film“.
2
Chris Gehmann/Brenda Longfellow/Dave Barber/Michael Sicinski/Clive Holden: „Round Table.
Trains of Winnipeg + The Auteurs, Avant Garde Films, Web Distro and you“, online un-
ter: http://.mubi.com. Eine Problematik, die sich auch in der täglichen philologischen Arbeit be-
merkbar macht. Für literaturwissenschaftliche Kolleginnen und Kollegen, die es gewohnt sind mit
schriftlich fixierten Texten zu arbeiten, bei denen das Problem der Verfügbarkeit sich in ganz ande-
rer Form stellt, ist es oft schwer zu akzeptieren, dass diese Filme nicht allzeit und für jedermann
verfügbar sind, da sie nicht aufgeführt werden. Dagegen stellt es für eine Theaterwissenschaftlerin
eine Selbstverständlichkeit dar, dass Inszenierungen nur ‚verfügbar‘ sind, insofern sie aufgeführt
werden.
Poesiefilm heute 137
reiche Möglichkeiten, non-kommerzielle Film online anzuschauen. Die bekanntesten –
das zum Suchmaschinenkonzern Google gehörende Portal YouTube, andere Streaming-
Plattformen wie vimeo und die Socialnetwork-Seiten wie myspace und Facebook –
bieten Künstlerinnen und Künstlern die Gelegenheit, auch außerhalb institutionalisier-
ter Anlässe ihre Arbeiten zu präsentieren. Dabei unterliegen sie nicht nur den techni-
schen Begrenzungen, die anfangs mit beschränkten Datenmengen und Bit-Raten ein-
hergingen, sondern sie setzen ihre Filme oder Videos außerdem einer Reihe zusätzli-
cher medialer Effekte aus, die mit der Onlinedistribution zwangsläufig verbundenen
sind. Im Internet erfahren Filme und Videos eine veränderte kontextuelle Einbettung,
Kommentierbarkeit und Rezeption, welche sich durch immer neue Empfangsgeräte wie
Smartphones und Tablets zunehmend diversifiziert.
Poesiefilme sind in vielfältiger Weise im Internet präsent. Einschlägiger als YouTu-
be, wo es einen Kanal des ZEBRA Poetry Film Festivals gibt, ist für das Genre die
Streaming-Plattform vimeo. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie ausschließlich von
Künstlerinnen oder Künstlern selbstständig produzierte Videos präsentiert. Das Portal
war in seiner Gründungszeit vor allem wegen der höheren Videoqualität beliebt und gilt
noch heute als die Videoplattform der Filmschaffenden. Hier lässt sich die Poe-
siefilmszene beispielsweise über die Gruppe „Film & Video Poetry“ erkunden. Eine der
umfangreichsten Online-Anthologien für den englischsprachigen Bereich ist die von
Dave Bonta kuratierte Webseite movingpoems.com, die sich zum Ziel setzt, die besten
Poesiefilme aus dem Netz zusammenzustellen und an einem Ort verfügbar zu machen.
Bonta setzt dabei eine weite Definition des Genres an, die neben Videopoetry im enge-
ren Sinn auch Performance-Videos und ekphrastische Kurzfilme einbezieht. Abgesehen
von den bekannten Streaming-Portalen existieren eine Reihe weiterer Internetseiten, die
historische Avantgardefilme und videokünstlerische Werke digital zugänglich machen.
Zu ihnen gehören das von verschiedenen Universitäten geförderte US-amerikanische
Non-Profit-Projekt UbuWeb auf ubu.com sowie die unabhängige Seite
virtualcircuit.org. Das Medien-Kunst-Netz (media-art-net) des von Peter Weibel gelei-
teten Zentrums für Kunst und Medien in Karlsruhe widmet sich der Katalogisierung
und teilweise auch der Verfügbarmachung von herausragenden Beispielen der Video-
und Medienkunst.
Wenn sich in dieser Entwicklung Ansätze zu einer Demokratisierung und einer Po-
pularisierung des experimentellen Filmes andeuten, so sind damit gleichzeitig zahlrei-
che Probleme verbunden. Auch der Filmkritiker Michael Sicinski begegnet in der On-
line-Diskussion von The Auteurs euphorischen Haltungen, die das Internet und die
digitalen Distributionsformen als Rettung des experimentellen Filmes begrüßen, mit
Skepsis. Er verweist dagegen auf die ökonomischen und institutionellen Zwänge, die
die Digitalisierung audiovisueller Kommunikation vorantreiben, ohne dass dabei auf
ästhetische Übertragungsverluste Rücksicht genommen würde.1 Eine Übertragbarkeit
filmkünstlerischer Arbeiten in andere Medien stößt dort auf Probleme, wo die Markie-
rung der eigenen Medialität Teil des künstlerischen Selbstverständnisses und konstituti-

1
Siehe ebd.
138 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

ver Teil des Kunstwerkes ist, wie dies gerade im Bereich des Experimentalfilmes sehr
häufig der Fall ist. Bereits der Unterschied zwischen einem Filmprojektor und einem
Videobildschirm, so führt Chris Gehmann das Argument aus, könne hier einen Unter-
schied ums Ganze darstellen:
This would be particularly true for the work of a filmmaker like Dorsky or David Gatten, who
make work to be projected at 18 fps, with the flicker of the projector hovering at the edge of
perception. The video screen, of whatever type, is a continuously emitting screen, while the
film projector lights up the screen intermittently.1

Solche konkreten medialen Differenzen wie die zwischen Film und Video fallen beson-
ders bei jenen Arbeiten ins Gewicht, die sich durch ein hohes Maß an Selbstreferentia-
lität auszeichnen. Je stärker die materielle oder mediale Verfasstheit in den Kunstwer-
ken spürbar wird, desto größer sind die Auswirkungen eines Wechsels jener
Verfasstheit. Eine Übertragung experimenteller Filme in andere Medien muss jedoch
nicht zwangsläufig die genannten negativen Effekte hervorrufen. Es scheint, als ob sich
bestimmte audiovisuelle Arbeiten leichter und unbeschadeter in den verschiedenen
Medienformaten und Distributionsweisen bewegen, als andere. Zu den interessantesten
Befunden des Round Tables gehört dementsprechend die Beobachtung, dass eben jene
Werke dem Digitalisierungsdruck besonders gut standhalten, die bereits von sich aus
hybrid und medial ‚unrein‘ sind: „sufficiently hybridized and ,impure‘ (in the non-mo-
dernist, Gesamtkunstwerkish sense) to allow for a similar transition / translation“2. Dies
ist einer der Gründe, warum TRAINS OF WINNIPEG im Unterschied zu vielen anderen
unkonventionellen oder experimentellen Filmen die digitale Distribution relativ ‚unbe-
schadet‘ übersteht: Das Projekt war von Anfang auf eine Inkorporation in verschiede-
nen Medien hin angelegt: „It had incarnations as a book of poems, as a CD of poems
with music, was produced using many different formats and technologies, and exists as
a series of stand-alone short films as well as a feature film cycle, and also as a web-
site.“3
TRAINS OF WINNIPEG verkörpert in seiner Erscheinungsweise, seiner internen Kom-
position, seiner medialen Distribution und seiner Rezipierbarkeit das Prinzip der Mo-
dularisierung.4 Das betrifft zum einen die nicht-lineare Struktur des Filmes, der eine
lockere Reihung selbstständiger audiovisueller Gedichte bildet, die motivisch und the-
matisch miteinander verknüpft sind. Sie verbinden sich nicht zu einer chronologischen
oder handlungslogischen Abfolge und können daher auch einzeln, in anderer Reihen-
folge oder in Wiederholung rezipiert werden. Das führt unter anderem dazu, dass sie
nicht als Teil einer festgelegten Komposition wahrgenommen werden, sondern sich als
kombinierbare Module beschreiben lassen. Auf einer medientechnischen Ebene äußert
sich diese Modularisierung darin, dass verschiedene Teile des Filmes in unterschied-

1
Ebd.
2
Sicinski in ebd.
3
Ebd., 2.
4
Der Begriff wird von Brenda Longfellow in die Diskussion eingeführt. Siehe ebd.
Poesiefilm heute 139
lichen Film- und Video-Formaten gedreht worden sind, die dann miteinander kombi-
niert wurden, so dass es im Nachhinein schwierig ist, von einem ursprünglichen Medi-
enformat zu sprechen. Als 35-mm-Kopie wurde der Film zunächst in einer Langversion
in Kinos und Galerien vorgeführt und ist heute vor allem als DVD oder über das kos-
tenpflichtige Streaming auf mubi.com zugänglich. Weder dem gedruckten Text noch
den audiovisuellen Bestandteilen wird innerhalb des Projektes der Status einer
Vorgängigkeit zugewiesen. In diesem Punkt unterscheidet sich TRAINS OF WINNIPEG
eminent von traditionellen Literaturverfilmungen und Adaptionen, weshalb anders als
dort Kategorien wie „Original und Bearbeitung“ bzw. „Vorlage und Übertragung“ für
Holdes Film von vornherein keine Anwendung finden. Weder wird die Rezeption ein-
zelner Abschnitte auf dem Laptop der Vorführung einer 35-mm-Kopie des Filmes im
Kinosaal untergeordnet, noch wird die Kenntnis der gedruckten Gedichte für die Re-
zeption des Filmes vorausgesetzt.
Der Regisseur Tobias Morgan sieht in der Art und Weise, wie TRAINS OF WINNIPEG
seine Form- und Technologiewechsel künstlerisch motiviert und inkorporiert, einen
entscheidenden Unterschied zu einer allein aus Marketingründen herbeigeführten
Mehrfachverwertung audiovisueller Arbeiten. Das Prinzip der Modularisierung ist bei
Holden bereits in die Programmatik des Projektes eingelassen:
It’s vanguard cinema, which is as much about approach as content – every visionary filmmak-
er out there I know is working not to get lost in translation, cutting for multiple mediums: the
35mm print, the 24progressive DVD, the h.264 compressed Vimeo edit, something viral and
lo-fi for YouTube. If it’s a doc they try to get all that done and push a cut for a TV PBS or
HBO deal. Plus print media, viral distribution of photo stills, artwork, whatever they can milk
or extract from the work that’s strong enough to stand solo, plus interviews and production ex-
tras – and tap on top a plan for guerilla screenings, for events, for merchandised freebies and
hype and megaphones on soapboxes on street corners. Branded and flayed and then blogged to
death, most films now approach the event horizon of an abbatoir.1

Morgan verknüpft seine überaus präzisen Beobachtungen im Bereich der Internetdistri-


bution zeitgenössischer Filme mit seiner Beschreibung der filmischen Ästhetik, die er
in Holdes Poesiefilm wahrnimmt. Trotz unterschiedlicher Bewertungen lässt sich an der
einen wie an der anderen das Prinzip der Modularisierung feststellen, was ihn sein Ar-
gument schließlich auf die Frage zuspitzen lässt: „But is it [TRAINS OF WINNIPEG, S.O.]
a film, exactly? Or is it an audio-visual poem that lends itself to multiple platforms?
What are the implications of this modularity for cinema, if any?“2 Diese Frage, die eine
Überschreitung des medialen Dispositivs „Film“ andeutet, ist insofern konsequent, als
mit dem Prinzip der Modularisierung die audiovisuelle Kommunikation tatsächlich auf
jeder Ebene (der Produktion, des technisches Formates, der Übertragung und der Re-
zeption) radikal transformiert wird.

1
Ebd., 10.
2
Ebd.
140 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

Die Debatte darüber, wie das Internet unsere Aufmerksamkeitsspanne und Konzent-
rationsfähigkeit, unser Gedächtnis, unsere Fähigkeit zu kommunizieren oder Informati-
onen zu verarbeiten, unsere Sehweisen und unsere Hörgewohnheiten verändert, wird
seit mehreren Jahren mit großer Intensität geführt. Dies ist nicht verwunderlich, umfasst
das Netz als Inter-Medium doch Aufgaben, die bisher auf Einzelmedien oder Face-to-
Face-Interaktionen verteilt waren und in ihrer Gesamtheit fast alle Lebensbereiche
betreffen. Angesichts einer Bündelung und Verknüpfung von Funktionen wie Fernse-
hen, Buch, Brief, Presse, Archiv, Pinnwand, Gespräch, Spiel, Auktion und anderen
mehr, ist es wohl kaum mehr die Frage, ob die Digitalisierung Umbrüche mit sich
bringt, sondern vielmehr, welcher Art diese sind und wie sie zu gestalten wären.
Diese Fragen stehen in einem engen Zusammenhang mit den neuen Rezeptionswei-
sen, die Webvideos aber auch die Verbreitung als DVD mit sich bringen.1 Zweifellos
wirken sich technologische Entwicklungen, wie etwa die immer kleineren mobilen Ab-
spielgeräte einerseits und die immer stärker auflösenden Großbildschirme andererseits,
sowohl auf die medialen ‚Inhalte‘ als auch auf die Rezeption dieser Inhalte aus. Die
kleineren Abspielgeräte sind darauf ausgerichtet, „nebenbei“, „zwischendurch“ und zur
Überbrückung unausgefüllter Zeitabschnitte in Transportmitteln genutzt zu werden.
Eine solche Rezeptionsweise kommt vor allem audiovisuellen Kurzformen entgegen,
die sich problemlos in flexible Zeitpläne einschmiegen. Sie begünstigt aber, wie Clive
Holden treffend anmerkt, auch solche Formate, in denen die Tonebene eine zentrale
Rolle spielt. Was über der Diskussion um den ästhetischen Affront der zentimetergro-
ßen Bildschirme nämlich häufig vergessen wird, ist die Tatsache, dass die Tonspur der
audiovisuellen Formate über Kopfhörer ohne größere Verluste auch mobil zu genießen
ist.2 Davon profitieren unter anderem Poesiefilme, bei denen der Fokus häufig auf der
gesprochenen Sprache liegt. Mit der Rezeption über Laptop und Kopfhörer geht poten-
tiell auch eine größere Intimität einher. Anders als in der Film-Coop, der Galerie und
selbst vor dem Fernsehschirm, ist man von der äußeren Umgebung abgeschlossen und
erlebt den Film mit einer Intimität, die sich derjenigen der stillen Lektüre wieder annä-
hert.3
In Bezug auf TRAINS OF WINNIPEG bringt Jason Anderson im Round Table die Ver-
knüpfung des Rezeptionserlebnisses mit dem medialen Dispositiv auf den Punkt und
äußert die Vermutung, dass sich das Projekt nicht zuletzt aufgrund seiner fragmentier-
ten Struktur für die Onlinedistribution eignet:
[O]nline distribution of films is likely to make the viewing experience even choppier and more
interrupt-able (sic) than ever. ToW’s design makes it a far more flexible and successful kind of

1
Eine umfassende Untersuchung des Mediums DVD findet sich bei Jan Distelmeyer: Das flexible
Kino. Ästhetik und Dispositiv der DVD & Blu-ray, Berlin 2012.
2
„The films that relied sufficiently on sound (sound design, soundscape, music and spoken words),
or text, or character development (or a mix of these), came across very well. There’s no question it
was weird, and still is for me: watching a „movie” in the palm of my hand.“ (Holden in Chris
Gehmann u. a: „Round Table“, 12).
3
Ebd., 11.
Poesiefilm heute 141
work in this context than, say, Satantango. Now if we could only convince Bela Tarr to make
a movie using only a mobile phone …1

Mit der Beschreibung des audiovisuellen Rezeptionserlebnisses im Internet als stück-


weise („choppy“) berührt Anderson eine generelle Problematik, die im Zusammenhang
mit den neuen Medien heftig diskutiert wird. Eine der brisantesten Thesen in diesem
Kontext besteht in der Frage, inwieweit das Internet in seiner spezifischen Konstitution
die kognitive Entwicklung sowie die Beschaffenheit und Verteilung von Aufmerksam-
keit verändert. Angesichts der Tragweite solcher Fragestellungen sollen hier vor allem
die Auswirkungen auf den Bereich des Audiovisuellen diskutiert werden. Videoplatt-
formen wie YouTube kultivieren eine Rezeptionsweise audiovisueller Gebilde, die sich
von denen des Kinos, des Fernsehens und selbst des Videos grundlegend unterscheidet.
Sie ermöglichen ein assoziatives ‚Switchen‘ zwischen den Angeboten.2 Meist durch
eine gezielte Suche ausgelöst, können sich die Userinnen und User auf immer neue
Vorschläge hin zum nächsten Video weiterleiten lassen sowie parallel andere Funktio-
nen der Seite nutzen. Tatsächlich werden Abbruch oder Wechsel schon während des
Abspielens ermutigt, da sich die Vorschläge zumindest in der Standardansicht neben
dem Display befinden, und daher gleichzeitig sichtbar sind. Die Komposition der Web-
seite entspräche damit im Medium der gedruckten Seite viel eher dem typographischen
Dispositiv einer Illustrierten oder Zeitungsseite – mit den entsprechenden Rezeptions-
mustern. Eine solche Einstellung auf häufige Abbrüche sowie ein schnelles Hin- und
Herwechseln zwischen verschiedenen Informationskanälen entspricht ziemlich genau
dem, was Catherine N. Hayles als kognitven Modus der „hyper attention“ beschreibt:
The shift in cognitive styles can be seen in the contrast between deep attention and hyper at-
tention. Deep attention, the cognitive style traditionally associated with the humanities, is
characterized by concentrating on a single object for long periods (say, a novel by Dickens),
ignoring outside stimuli while so engaged, preferring a single information stream, and having
a high tolerance for long focus times. Hyper attention is characterized by switching focus rap-
idly among different tasks, preferring multiple information streams, seeking a high level of
stimulation, and having a low tolerance for boredom.3

Wie sind diese Erkenntnisse in Hinblick auf den Poesiefilm zu bewerten? Im Allgemei-
nen wird die Rezeptionshaltung gegenüber lyrischen Gedichten als konzentriert, kon-

1
Ebd., 12.
2
Das nur scheinbar willkürliche Driften beruht in Wirklichkeit auf komplexen Algorithmen.
Tarleton Gillespie hat außerdem darauf hingewiesen, dass die Plattform-Metapher „YouTube“ als
Verkaufs- und Präsentationsmedium für ,user generated content‘ steht und dabei die konstitutive,
formative Macht herunterspielt, die dieses mediale Format tatsächlich besitzt. (Siehe Pelle
Snickars/Patrick Vonderau: „Introduction“, in: Pelle Snickars (Hg.): The YouTube Reader, Stock-
holm 2009, 9–21. Hier: 10).
3
Katherine N. Hayles: „Hyper and Deep Attention: The Generational Divide in Cognitive Modes“,
in: Profession, 2007, 187–199.
142 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

templativ, wiederholend und reflektierend beschrieben.1 Sie sind klassische Gegen-


stände der deep attention. Andererseits kommt die Kürze von Gedichten und entspre-
chend auch der auf ihnen basierenden Gedichtfilme der sprunghaften Rezeptionsweise
auf Online-Plattformen entgegen. Die lyriktypische Konzision der Faktur und ihr Stö-
rungsreichtum ließen sich mit dem gestiegenen Tempo visueller Stimuli und einer er-
höhten Komplexität von Handlungssträngen, die die Tendenz zur hyper attention be-
reits hervorgebracht hat, durchaus vereinbaren.2 Allerdings ist fraglich, ob die
Eigenschaften des Poesiefilmes, die eine Kompatibilität mit den neuen Medien und den
mit ihnen verbundenen Rezeptionsweisen zu versprechen scheinen, jene anderen kon-
stitutiven Merkmale aufwiegen, die einen störungsfreien Konsum erschweren.
Poesiefilm bleibt daher auf absehbare Zeit ein Nischenphänomen für eine interes-
sierte Community, die sich allerdings im Internet in bisher ungeahnter Weise vernetzen
kann. Dies betrifft sowohl die Distribution von Internetvideos, DVDs und Online-Zeit-
schriften als auch die Kommunikation zwischen Kunstschaffenden, literarischen Insti-
tutionen und Festivals. Neben vielen anderen Neuerungen bietet das sogenannte Web
2.0 auch die Möglichkeit, mit Amateurproduktionen oder Undergroundarbeiten zumin-
dest ein spezialisiertes Publikum zu erreichen: „Denn das Internetvideo ist als asyn-
chrones Massenmedium ideal für eine nicht an Aktualität gebundene Lektüre: Jeder hat
jederzeit freien Zugriff auf ein Spezialprogramm.“3
Eine herausgehobene Bedeutung für die Distribution von Poesiefilmen hat dabei das
Magazin Rattapallax, das 2002 in New York gegründet wurde. Es war von Anfang an
als multimediales Poesiemagazin konzipiert und beinhaltete schon früh eine CD mit
Tonaufzeichnungen von Lesungen und Performances. Die 14., 15. und 17. Ausgabe
von Rattapallax erschien als DVD und brachte neben dokumentarischen Beiträgen auch
eine Auswahl von Poesiefilmen. Bezeichnenderweise ist Rattapallax seit einigen Jahren
ausschließlich im Internet erhältlich. Diese symptomatische Umstellung begründet die
Redaktion unter anderem mit den erweiterten Partizipationsmöglichkeiten und der
Internationalität, die diese Distributionsform gewährleistet:
It is the natural path to a magazine that has been since the very beginning committed to poetry
in various forms, medias and languages. […] The transition to the Internet fits Rattapallax’s
interdisciplinary approach perfectly, widening the scope for content and outreach. Rattapallax
is as innovative as always: the reader will find here a comprehensive reading of poetry that

1
Rüdiger Zymner spricht generell von einem kulturell erlernten Einstellungswechsel zur ästheti-
schen Rezeption. Infolgedessen sind Lesende „eher bereit, beim Text zu verweilen, sich durch
langsames und wiederholendes Lesen, durch probierendes oder gar meditierendes Durchdringen
des Textes und Nachdenken über ihn als Artefakt, zu dem bereits die ästhetischen Potenzen der
Schriftlichkeit gehören, auf Strukturen des Poetischen und ihre Deutbarkeit einzulassen oder bes-
ser, sie selbst zu entwickeln […].“ (Rüdiger Zymner: Lyrik, 51).
2
Siehe Katherine N. Hayles: „Hyper and Deep Attention“, 191.
3
Christian Kortmann: „Drehbücher der Zukunft. An eine Userin“, in: Süddeutsche Zeitung,
11.09.2007.
Poesiefilm heute 143
includes new media original projects […], a dynamic poetry forum that generates live and
ongoing discussions about new books […].1

Die digitalen Netzwerke transformieren die bisherige, kulturindustrielle Organisation


von Produktion, Reproduktion und Distribution audiovisueller Produkte. Der Medien-
theoretiker Bernhard Stiegler vergleicht die neuen, digitalen Medien in ihrem spezifi-
schen Verhältnis zu den etablierten Produktionsverhältnissen audiovisueller Formate
sogar mit der Rolle, die das phonetische Alphabet im Zeitalter der Hieroglyphenschrift
gespielt hat, denn sie ermöglichen eine Umkehrung der hegemonischen Verteilung und
eine „auto-production based on isoproduction.“2 Eine Entwicklung, die bereits mit den
Experimenten der Videokunst angestoßen wird und als Utopie schon immer das erklärte
Programm künstlerischer Praxis gewesen ist. So sprach bereits der Dichter und Avant-
gardefilmer Jean Cocteau von der Kamera als „einer wunderbaren und gefährlichen
Waffe in der Hand des Poeten“.3

2.4.3 Festivals

Neben der Onlinedistribution und der Verbreitung über DVDs bleiben Festivals weiter-
hin die wichtigste Plattform des Poesiefilmes. Wie auch bei anderen nicht-narrativen,
experimentellen Formaten oder filmischen Kurzformen gewährleistet der Festivalbe-
trieb, dass die Filme ein interessiertes Publikum finden und Künstlerinnen und Künstler
miteinander ins Gespräch kommen und sich fördernden Institutionen empfehlen kön-
nen.
Das von Heather Haley ausgerichtete Festival „See the Voice: Visible Verse“ ist aus
dem 1999 gegründeten Vancouver Videopoem Festival hervorgegangen und hat seine
Wurzeln in der Spoken-Word- wie auch in der Videokunst-Szene:
In 1999 the Vancouver Videopoem Festival – the first of its kind in Canada – began as an ef-
fort of the Edgewise ElectroLit Centre, a non-profit literary arts organization dedicated to ex-
panding the reach of poetry through new media with programs such as Telepoetics Vancouver
and the Edgewise Café electronic magazine. The Vancouver Videopoem Festival became crit-
ically regarded owing to its progressive regard for spoken word in cinema, presenting poets
both in performance and on the big screen. The audience could explore the merits and distinc-
tions of poetry rendered in these two forms, stage and screen, sparking new dialogue as to the
essential nature of poetry.4

Das Festival findet heute jährlich in der Pacific Cinémathèque in Vancouver statt und
ist ein bedeutender Treffpunkt für die produktive kanadische Videopoetry-Szene und

1
Rattapallax Online Magazine, online unter: http://rattapallax.com/blog/magazine.
2
Bernard Stiegler: „The Carnival“, 45.
3
Jean Cocteau: „Une Arme merveilleuse et dangereuse dans les mains des poètes“, in: Du
cinématographe, hg. von André Bernard, Paris 1973, 20–21.
4
Heather Haley: „Visible Verse Festival“, online unter: http://heatherhaley.com/visibleverse.php.
144 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

einzelne internationale Produktionen. Es bietet außerdem ein Forum für die Erfor-
schung und Diskussion des Genres. In diesem Bereich engagieren sich neben Heather
Haley selbst der Videoregisseur Kurt Heintz sowie der Poetryvideopionier und Dozent
Tom Konyves, der 2011 mit dem Essay „Videopoetry: A Manifesto“ hervortrat.1
In der Tradition der experimentellen Poesie steht das Festival Videobardo, das seit
1996 in Buenos Aires ausgerichtet wird. Kurator und Initiator Javier Robledo ist selbst
im Bereich der visuellen Poesie tätig und vertritt dementsprechend eine stärker experi-
mentelle Richtung innerhalb des Poesiefilmes. Videobardo verfügt zudem über eines
der wichtigsten Archive für Videopoesie und betreibt außerdem einen Blog, eine
Facebook-Gruppe, eine Internetseite und einen Twitteraccount.
Die Namen der Festivals „VideoBardo“ und „See The Voice: VISIBLE VERSE Vi-
deopoetry“ sind synästhetische Oxymora. Sie spielen mit der Konfrontation zweier
Sinnesbereiche. In der Fügung Videobardo verknüpfen sich „Video“, das sich vom
lateinischen „Ich sehe“ herleitet und „Bardo“, der spanische Name für den mittelalterli-
chen Dichtersänger. Die alliterierende Bezeichnung Visible Verse, sichtbarer Vers,
verbindet ebenfalls Hören und Sehen miteinander, was im Vorsatz „See the Voice“
noch deutlicher wird. Das Logo des Festivals besteht dementsprechend aus einer bildli-
chen Kombination von Auge und Mund.
Statt, wie es im Diskurs über Literatur und Film noch immer üblich ist, Video oder
Film als ‚visuelle Medien‘ zu klassifizieren oder auf das bewegte Bild zu reduzieren,
legen alle genannten Festivals Wert auf die Tatsache, dass Ton und Bild hier in beson-
derer Weise verknüpft werden. So beruft sich die Festivalmacherin Heather Healy für
„See the Voice: Visible Verse“ auf mündliche Traditionen von Dichtung und ihre Affi-
nität zum Lied, während Javier Robledo von Videobardo der experimentellen Lyrik
nahesteht und die poetische Überstrukturiertheit, die sprachliche Reflexivität und die
Entblößung ihrer Faktur betont: „als ein audiovisuelles Genre, welches einen speziellen
Umgang mit dem Wort, dem Buchstaben, der Sprache, dem Diskurs, dem Poetischen,
dem Zeichen, dem Symbol verwirklicht.“2
Mit dem Sadho Poetry Film Fest hat sich 2007 im indischen Delhi eine weitere wich-
tige Plattform des internationalen Poesiefilmes etabliert. Der Name „Sadho“ referiert
auf die Adressierung „Oh, Weiser“, die in den Werken des indischen Mystikers und
Poeten Kabir gebräuchlich ist. Die Veranstalterinnen und Veranstalter zeigen in ihren
Programmen und Workshops eine starke Publikumsorientierung, die sich in der Formel
„poetry to the people“ verdichtet: „Sadho aims at taking great ,poetry to people‘
through the innovative use of arts, media, technology and social action.“
Alle der genannten Poesiefilmfestivals stehen über das Internet, Workshops und Rei-
sen in einem engen Austausch miteinander. Darin äußert sich, bei allen Unterschieden
in Traditionen und Schwerpunktsetzung, das Selbstverständnis, an einem gemeinsamen
Projekt zu arbeiten: dem selbstständigen Genre, für das im Rahmen dieser Untersu-

1
Tom Konyves: „Videopoetry. A Manifesto“, online unter: http://issuu.com/tomkonyves/docs/
manifesto_pdf.
2
Javier Robledo: Videobardo’s idea (Übersetzung S.O.).
Poesiefilm heute 145
chung der Überbegriff „Poesiefilm“ vorgeschlagen wurde. Die hier erwähnten Festivals
sind nicht die einzigen, die der Präsentation von Lyrik im audiovisuellen Medium ge-
widmet sind. Die hybride Anlage des Genres bringt es mit sich, dass auch Festivals für
Literatur, experimentelle Lyrik, Video, Performance oder Medienkunst Poesiefilme in
ihr Programm aufnehmen. Projekte wie das „City Breath Festival of Video Poetry and
Performance“ aus Südafrika zeigen, dass Poesiefilm international anschlussfähig ist.
Im Sommer 2002 startete in Berlin der ZEBRA Poetry Film Award. Im deutschspra-
chigen Raum kann das viertägige Festival durchaus als Gründungsereignis des Poesie-
filmes gelten. Das zunächst auf einen eher kleinen Rahmen angelegte Projekt der litera-
turWERKstatt Berlin, das anlässlich des Berliner Poesiefestivals stattfand, lockte über
610 internationale Einsendungen an und brachte damit hierzulande das Genre erstmals
ans Licht einer breiteren Öffentlichkeit. Thomas Wohlfahrt, Direktor der literatur-
WERKstatt Berlin, war über seinen Kontakt mit Bob Holman bereits zu Beginn der
neunziger Jahre in New York zum ersten Mal mit dem Genre in Kontakt gekommen
und wurde dadurch für das auch in Deutschland wachsende Interesse sensibilisiert, wie
er berichtet.1 So kam es also etwa 10 Jahre nach dem ersten US-amerikanischen Vor-
gänger zum ersten deutschsprachigen Festival. Trotz dieser Verwurzelung in der
Spoken-Word-Bewegung, wurden durchaus nicht nur die Clips der Poetryslam-Szene
gezeigt, sondern es herrschte von Anfang ein Interesse für historische Formen des Poe-
siefilmes. Im Programm äußerte sich dies in der Vielfalt der unterschiedlichsten Stile
und Formate, von der Computeranimation über den Zeichentrick- bis hin zum Experi-
mentalfilm und klassischen Filmformen.
Das Festival findet bis heute im Abstand von zwei Jahren statt, erfreut sich bei sei-
nem Berliner Publikum großer Beliebtheit und ist mittlerweile das größte Festival sei-
ner Art.2 Zunächst wählt eine Programmkommission, zu der neben Filmexperten je-
weils ein Dichter/ eine Dichterin und ein Regisseur/eine Regisseurin gehört, aus den
Einreichungen diejenigen Filme, die auf dem Festival gezeigt werden und entscheiden,
welche von ihnen im Wettbewerb laufen sollen. Sie setzen dabei sowohl literarische als
auch filmästhetische und inhaltliche Maßstäbe an. Während des Festivals vergibt eine
wiederum aus den Bereichen Dichtung, Medienkunst und Film besetzte Jury die Preise.
Neben dem offiziellen Wettbewerb wird ein sorgfältig kuratiertes Programm mit wech-
selnden internationalen Schwerpunkten präsentiert, das historische und thematische
Akzente setzt. Auch außerhalb der Austragung bildet das ZEBRA-Festival ein wichti-
ges und lebendiges Zentrum der Poesiefilmszene, das durch Vortragsreisen, Gastauftrit-
te und Korrespondenz Kontakte herstellt und wichtige Akteure miteinander vernetzt.
Dabei bedient sich Thomas Zandegiacomo, der künstlerische Leiter des Festivals, auch
den durch das Internet entstandenen Kommunikationsmöglichkeiten. Dazu gehören
unter anderem Kanäle auf YouTube und vimeo, die die in den Streaming-Plattformen
verfügbaren Poesiefilme bündeln, sowie ein Facebook-Profil, über das zu Veranstal-
tungen eingeladen wird und Ausschreibungen angekündigt werden.

1
Wohlfahrt zitiert nach Juliane Moschell: Lyrik – Verfilmt. Studien zu, 165.
2
Das 3. ZEBRA Poetry Film Festival verzeichnete über 2000 Zuschauerinnen und Zuschauer.
146 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

2.4.4 POEM in Kino und Schule

Eine Sonderstellung im Bereich des deutschsprachigen Poesiefilmes nimmt Ralf


Schmerbergs Film „POEM – Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug“ ein, der erst-
mals verschiedene Gedichtfilme zu einem abendfüllenden Langfilm verknüpfte. Juliane
Moschell hat sich im Rahmen ihrer Magisterarbeit eingehend mit dem ohne Übertrei-
bung als Pionierarbeit zu bezeichnenden Filmprojekt beschäftigt.1 In einem Interview
mit dem Regisseur ist es ihr gelungen, wichtige Informationen zur Konzeption des Fil-
mes und zur Arbeitsweise des Filmteams zusammenzutragen. In Zusammenarbeit mit
Ko-Autorin Antonia Keinz wurden 19 Gedichte von weitgehend kanonisierten Dichte-
rinnen und Dichtern des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts ausgewählt, darun-
ter Johann Wolfgang Goethe, Heinrich Heine, Ingeborg Bachmann, Claire Goll und
Hermann Hesse. Die ausgewählten Gedichte zählen zu den weniger bekannten Werken.
Daraus ergibt sich eine gewisse Freiheit hinsichtlich der filmischen Umsetzung, denn
diese konkurriert nicht zwangsläufig mit Bildern oder Tönen, die in der Vorstellung des
Publikums bereits vorhanden sind. POEM zeigt bezüglich der Art und Weise, wie die
Gedichte filmisch integriert werden, eine relativ große Bandbreite, die von der recht
klassischen, inszenierten Gedichtrezitation2 über die Performance3 bis zum videoclip-
ähnlichen, bildmächtigen Konzeptfilm4 reicht. Wohl um eine gewisse Kontinuität her-
zustellen und die Modularität des Filmes aufzufangen, gibt es mit der Episode einer
buddhistischen Pilgerreise eine narrative Klammer, die zwischen den Einzelfilmen
fortgesetzt wird und sie miteinander verknüpft. Zudem folgt, worauf Schmerberg selbst
hinweist, die Anordnung der Gedichte dem Prinzip des Lebensweges. Im Gang durch
die „großen Stationen des Lebens“5 wird so ein narrativer Spannungsbogen erzeugt.
Schmerberg ist es als Filmemacher offenbar sehr wichtig, „eine Geschichte zu erzäh-
len“6. Dies, wie auch die Umschreibungen des Filmes als „magische Reise“7, lassen
darauf schließen, dass sich dieser abendfüllende Langfilm von ein paar Gedichten seine
Narrativität nicht gänzlich austreiben lassen will.
Allerdings lässt sich auch eine gegenläufige Tendenz feststellen. Schmerberg hatte
vorher vor allem Musikvideos und Werbespots gedreht und hat – wie er selbst sagt –

1
Juliane Moschell: Lyrik – Verfilmt. Studien zu, 18ff., 50ff.
2
„Gesang der Geister“, siehe Kapitel 3.1.
3
„Alles“, siehe Kapitel 3.1.
4
„Tenebrae“.
5
Schmerberg zitiert nach ebd., 128.
6
Ebd.
7
Das Presseheft schwärmt von einer „magischen Reise durch die Welt der Poesie und Imagination“
(Trigger Happy Productions: POEM – Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug, Presseheft, 1, Ber-
lin 2002).
Poesiefilm heute 147
bei der Arbeit zu POEM, auf Techniken aus diesen Bereichen zurückgreifen können.1
Tatsächlich hinterlässt der Film einen Eindruck, der diese Aussage bestätigt. Die Ge-
dichte können als Kurzfilme in jeder Hinsicht für sich allein stehen, denn sie unter-
scheiden sich in ihrer jeweiligen Gestaltung stark voneinander, zumal sie als interpre-
tierende Umsetzungen eines Gedichtes genug Spielraum für Lesarten lassen, die vom
Lebensweg-Muster abweichen. Die thematische Gruppierung und Anordnung verschie-
dener Bildsequenzen in Verbindung mit dem auf der Tonspur präsenten gesprochenen
Gedicht erinnert oft wirklich an Musikvideos, vor allem an aus dem Konzeptvideo be-
kannte Muster. POEM lief im Mai 2003 in den deutschen Kinos an und hatte mit seinen
Beiträgen im folgenden Jahr beim zweiten ZEBRA-Festival großen Erfolg. Der Einzel-
beitrag „Von grauen Tagen“ nach dem gleichnamigen Gedicht von Ingeborg Bachmann
gewann den Preis der Jury. Eine nicht zu unterschätzende Wirkung hatte der Film auch
über die Vermittlung in Schulen und Bildungsstätten. In Rheinland-Pfalz gehört eine
Kopie zum Bestand jedes Gymnasiums und es wurden bereits unterschiedliche didakti-
sche Konzepte erarbeitet, die den Film in den Literaturunterricht integrieren.2 Im Jahr
2006 erschien in der Reihe EinFach Deutsch ein Unterrichtsmodell unter Mitarbeit von
Ralf Schmerberg.3
Die Verbreitung von POEM zeigt exemplarisch das Potential des Genres „Poesiefilm“
für die medienpädagogische und literaturdidaktische Praxis. So lassen sich Poesiefilme
beispielsweise als alternative Vermittlungsform von Gedichten und als Diskussions-
grundlage im Deutschunterricht einsetzen. Mit dieser Zielsetzung ist auch die vom Du-
den-Paetec-Verlag produzierte DVD POESIEFILME entstanden, die verschiedene
deutschsprachige Poesiefilmproduktionen versammelt und mit Vorschlägen für die Un-
terrichtsplanung versehen hat. Poesiefilm wird von der Duden-Redaktion auch als Hilfe
„im Verstehensprozess von poetischen Texten“4 verstanden. Nicht zuletzt deshalb, weil
weil die jungen Lernenden, so klingt hier an, aufgrund ihrer Sozialisation mit audiovi-
suellen Medien zum Genuss „purer Poesie“ nicht mehr ohne weiteres Zugang finden.5
Filmschaffende haben ebenfalls schon früh das aktivierendes Potential des Genres er-
kannt und haben Projekte initiiert, in denen Kinder und Jugendliche ihre eigenen Filme

1
„Das ist auch interessant an dem Film, dass er natürlich Musikvideotechnik benutzt hat. Es ist
eigentlich eine Weiterentwicklung eines Regisseurs, der Musikvideos und Werbespots gemacht hat
– in Richtung Kino.“ (Schmerberg zitiert nach: Juliane Moschell: Lyrik – Verfilmt. Studien zu,
162).
2
Siehe dazu vor allem Axel Krommer: „Lyrik und Film“; und Axel Krommer/Matthias Hesse: „,Du
sollst nicht …‘ – Gedichte verfilmen. Zur Theorie und Praxis eines Lyrik-Projekts in der Sekundar-
stufe II“, in: Volker Frederking (Hg.): Filmdidaktik und Filmästhetik. Jahrbuch Medien im
Deutschunterricht, München 2005, 145–160.).
3
Matthias Hesse/Axel Krommer/Julia Müller: EinFach Deutsch – Unterrichtsmodelle: ,Poem‘,
2006.
4
Detlef Langermann: Vorwort, Booklet zur DVD Poesiefilme, 2010, 7.
5
Siehe ebd., 4.
148 Kleine Geschichte des Poesiefilmes

produzieren.1 Auch das ZEBRA Poesiefilmfestival knüpft an diese Tradition an und


organisiert Workshops für Kinder sowie Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer. In
der Bildung bietet sich dem Unternehmen „Poesiefilm“ ein ausgedehnter und vielver-
sprechender Anwendungsbereich. Auch an Filmhochschulen nutzt man, in diesem Fall
auf der Ebene der Mediengestaltung, das Format „Poesiefilm“ in der Ausbildung. Im
Fachbereich „Design“ der Hochschule Anhalt initiierte Angela Zumpe schon 2001 in
Zusammenarbeit mit der literaturWERKstatt ein Seminar, in dem Lyrikclips produziert
wurden und das bei den Studierenden auf großen Zuspruch stieß:
Die Studenten haben sich individuell mit dem jeweiligen Text auseinandergesetzt. Es ging da-
bei weniger um eine werkgetreue Interpretation, als um subjektive Annäherungen, die Visuali-
sierung von Begriffen, ohne illustrativ zu sein, Fragmente, Gegenbilder oder Analogien zu
entwickeln.2

Auch in anderen Film- und Medienhochschulen entstehen immer wieder Poesiefilme,


die regelmäßig für den Wettbewerb des ZEBRA Poetry Film Festival ausgewählt wer-
den.
Poesiefilm ist von einem Projekt der künstlerischen Avantgarden und der lyrischen
Off-Kultur zu einem institutionell geförderten Instrument der Literaturvermittlung ge-
worden. Die in der Geschichte des Genres impulsgebenden Zielsetzungen der Populari-
sierung von Lyrik und der Reflexion audiovisueller Medialität bleiben, bei unterschied-
licher Schwerpunktsetzung in den einzelnen Richtungen, dabei weiterhin wichtig. Mit
der Einbindung des Poesiefilmes in die Kontexte der digitalen Medien ist eine neue
Situation entstanden. Wie sich das Genre in diesem Zusammenhang behaupten wird,
hängt davon ab, ob es sich im Spannungsfeld zwischen der erfolgversprechenden An-
passung an mediale Strukturen und deren lyriktypischer Störung überzeugend positio-
nieren kann.

1
Dazu gehören unter anderem Gerard Wozek (http://www.gerardwozek.com/video.htm ), Gerd
Conradt sowie Bob Holman, zu dessen Poetry Spots auch ein Projekt mit der Ryan Junior High
School in Queens zählt. (Poetry Spots, Season IV, 1993).
2
Angela Zumpe: „The Moving Image – Text und bewegtes Bild. Überlegungen am Rande eines
Videoprojektes mit Designstudenten an der Hochschule Anhalt in Dessau“, in: Bildersprechen. 6.
Jahrbuch der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, Köln 2006, 155–159. Hier: 157f.
3 Gedichtfilm –
zwischen Performance und Medialität

3.1 Gesprochene Lyrik im Gedichtfilm


3.1.1 Stimme und Sprechkünste im audiovisuellen Medium
Parameter der Sprechkunst
Gedichtfilme1 sind nicht nur Kombinationen aus Gedichten und bewegten Bildern,
sondern zuallererst eine Realisierung dieser Gedichte in Stimme oder Schrift. Ein Ge-
dicht wird gesprochen oder in Schriftzeichen auf Leinwand, Bildschirm oder Display
lesbar gemacht und bietet sich so der Wahrnehmung dar. Wichtig ist, auf welche Art
und Weise dies geschieht. Vortragende Stimme und stimmlicher Ausdruck, Mimik und
Gestik, Aufnahmetechnik und Aufführungsort, Beschaffenheit, Stellung und Bewegung
von Buchstaben, rhythmische Muster sowie die Wechselwirkung all dieser Elemente
zur Bildebene, bilden in ihrem Zusammenspiel den Gedichtfilm, der sich in seiner Re-
zeptionsweise von der stillen Lektüre eines Gedichtes grundlegend unterscheidet. Diese
Realisierung, die als Aufführung oder Performance beschrieben werden kann, und ihr
spezifisches Verhältnis zur audiovisuellen Medialität sollen Thema der folgenden Ka-
pitel sein.
Der größte Teil aller Gedichtfilme bindet die Gedichte in ihrer gesprochenen Form
als stimmlich realisierte lyrische Texte ein. Diese akustische Umsetzung kommt der Af-
finität zu Musik und Klanglichkeit entgegen, die lyrische Dichtung auszeichnet. Das
mag zum einen damit zusammenhängen, dass die Gattung historisch aus der an den
Gesang und Tanz gekoppelten Dichtung (mousiké) hervorgegangen ist. Spuren dieser
Herkunft aus dem Lied sind klangliche und rhythmische Strukturen wie Assonanz,
Alliteration und Metrum, die lyrische Sprache in besonderem Maße prägen. Jene Musi-
kalität und Rhythmik entfaltet ihre Wirkung vollends erst in ihrem stimmlichen Voll-
zug, das heißt, wenn sie im Vortrag hörbar gemacht werden.2 Gleichzeitig nehmen

1
Siehe Kapitel 1.2: Gedichtfilme werden hier bestimmt als Poesiefilme, in denen gesprochene oder
geschriebene Texte materieller Teil des audiovisuellen Kunstwerks sind.
2
Siehe Dieter Mersch: Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis, München 2002, 114.
150 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

Gedichtfilme den Faden einer Kritik auf, die in der Literaturgeschichte immer wieder
formuliert wird, nämlich der Kritik daran, dass Dichtung als Literatur auf das Medium
der Schrift reduziert wird. Dieser Kampf um die verlorene Stimme der Dichtung lebte
wieder auf mit der Performanceorientierung der Poesie im zwanzigsten Jahrhundert,
wie sie Paul Zumthor beschreibt. Befördert durch die technischen Mittel des Phonogra-
phen, „der den Materialcharakter der Sprache hervortreten ließ“1, vollzog sich eine
Rückbesinnung auf die mündliche Dichtung in Form von Tonaufzeichnungen und Le-
sungen. Zumthors Aufzählung beginnt mit den Experimenten Apollinaires und umfasst
Ungaretti, Céline, Joyce, die italienischen Futuristen, den Poeten Jewtuschenko, die
New York School und schließlich auch die experimentelle Dichtung, insbesondere die
Lautdichtung: „Dichter beginnen im Hinblick auf die Aufführung zu schreiben und
diese Absicht strukturiert ihre Sprache.“2
Auch wenn, wie häufig konstatiert wird, Stimme und Mündlichkeit in den literalen
Kulturen eher marginalisiert wurden, existiert doch seit der Antike eine Beschäftigung
mit der Stimme und ihren Wirkungsmöglichkeiten, die in griechischen und römischen
Rhetoriklehren niedergelegt ist.3 Als mit der Erfindung des Buchdrucks und der Durch-
setzung der Kulturtechnik des stillen, einsamen Lesens die Bedeutung der Stimme im
sozialen und politischen Bereich erheblich gemindert wird, geht ihre Pflege und Kulti-
vierung auf den Bereich der Ästhetik über.4 Davon zeugt nicht zuletzt die Wirksamkeit
der Sprechkunstbewegung um 1800.5 Dass sich die Rezeption von Dichtung bei weitem
nicht auf die Lektüre geschriebener Texte beschränkt, gilt bis heute, mehr noch: die
neueren Medien haben sogar zu einer Renaissance der Literatur fürs Ohr geführt, die
heute in verschiedensten Formen daherkommt: als avanciertes Radiofeature, als Hör-
buch auf CD oder mp3, als Poetryslam oder traditionelle Autorenlesung sowie auf In-
ternetseiten wie lyrikline.org oder volkslesen.tv.
Wo in Gedichtfilmen ein Gedicht gesprochen wird, muss sich die Analyse den
sprechkünstlerischen Mitteln zuwenden, die im Vortrag zum Einsatz kommen. Die
Deklamation oder Rezitation vergegenwärtigt den geschriebenen Text und fügt ihm die
Dimension des stimmlichen Ausdrucks hinzu, der mit den Mitteln literarischer Textin-
terpretation allein nicht zu erfassen ist. Bei der sprechkünstlerischen Umsetzung eines
vorliegenden schriftlich verfassten Textes geht es auch nicht um eine „richtige“ oder
„adäquate“ Verlautlichung des Dichterwortes,6 denn eine große Anzahl sprechsprachli-

1
Paul Zumthor: Einführung in die mündliche Dichtung, Berlin 1990, 147.
2
Ebd.
3
Siehe Quintilian: „XI, 3“, in: Institutionis Oratoriae. Ausbildung des Redners, Zwölf Bücher, hg.
von Marcus Rahn, Darmstadt 1975.
4
Siehe Karl-Heinz Göttert: Geschichte der Stimme, München 1998, 17.
5
Siehe Reinhart Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste, 225.
6
Der deutsche Schallforscher Eduard Sievers, aber auch der russische Formalist B.M. Eijchenbaum
und viele russische Dichter der 20er Jahre glaubten an eine Determination des mündlichen Vor-
trags durch die Textstruktur. „Sievers war überzeugt, daß im Gedichttext (in Texten der belletristi-
Gesprochene Lyrik 151
cher Parameter sind aus schriftlich notierten Gedichten eben nicht ablesbar. Daraus
ergeben sich Varianzspielräume für die stimmliche Realisierung in der Darbietung.
Für die Untersuchung literarischer Vortragskunst in Poesiefilmen können die Über-
legungen Roman Jakobsons über das Verhältnis von Verstyp und Versinstanz erste
Anhaltspunkte bieten. Ausgehend von der Beobachtung, dass es in einzelnen Gedichten
bestimmte Freiheiten bei der Realisierung metrischer Muster gibt, nimmt Jakobson eine
Unterscheidung zwischen Verstyp, oder auch Versdesign, und Versinstanz vor: „Typ
und Instanz sind korrelative Begriffe. Der Verstyp bestimmt die invarianten Eigen-
schaften der Versinstanz und steckt die Grenzen für die Varianten ab.“1 Außerdem
besteht Jakobson auf eine strenge Trennung der variablen Versinstanzen von den Vor-
tragsinstanzen, mit denen wiederum die konkrete stimmliche Realisierung jedes einzel-
nen Verses bezeichnet ist.2 So kann ein bestimmter Vers vom metrischen Gesamtmuster
abweichen oder besser: dieses metrische Muster variieren. Wie jener Vers dann im Vor-
trag intoniert wird, ist aber eine davon unabhängige Frage. Der Vortrag ändert nichts an
der im Gedicht rhythmisch hergestellten Spannung, die durch eine frustrierte Erwartung
hergestellt wird, beispielsweise dem Zusammenfall einer unbetonten Silbe mit einer
metrischen Hebung. Beim Enjambement, das Jakobson als Beispiel nimmt, handelt es
sich demgemäß um die „absichtliche Diskrepanz zwischen metrischer und syntaktischer
Einteilung“3, den Konflikt zweier Gliederungsebenen, der durch keine der in Frage
kommenden Vortragsweisen aufgehoben werden kann. Im lautlichen Vortrag bieten
sich verschiedene Möglichkeiten, dort das Versende zu realisieren; ob durch eine kurze
Pausensetzung, eine Verlangsamung, eine schwebende Betonung oder sogar durch
intonatorisches Unterdrücken der Versgrenze.4 Das Gedicht und die Vorgaben und
Spielräume, die aus seiner metrischen, syntaktischen oder semantischen Struktur für
den Vortrag erwachsen, müssen in ihrem Verhältnis zum Vortrag und zu den Faktoren
stimmlicher Realisierung berücksichtigt werden. Für eine Untersuchung sprechkünstle-
rischer Aspekte in Gedichtfilmen sind dabei eben jene Stellen von Interesse, die zu
einer Spannung zwischen Verstyp und Versinstanz bzw. zwischen Verstyp und Vor-
tragsinstanz führen, etwa ein Enjambement oder eine metrische Variation.

schen Prosa schienen ihm die Dinge komplizierter) die Klangformen bereits angelegt sind, daß sich
aus der Textstruktur die Aussprachemomente zwingend ableiten lassen.“ (Peter Brang: Das klin-
gende Wort. Zu Theorie und Geschichte der Deklamationskunst in Rußland, Wien 1988, 13).
1
Roman Jakobson: „Linguistik und Poetik“, 102.
2
„Der Verstyp wird in Versinstanzen verkörpert. Die freie Variation dieser Instanzen läuft gewöhn-
lich unter der äquivoken Bezeichnung ‚Rhythmus‘. Variationen von Versinstanzen müssen streng
von den variablen Vortragsinstanzen unterschieden werden.“ (Ebd., 104).
3
Ebd., 106.
4
Siehe Sergej Bernštejn: „Ästhetische Voraussetzungen einer Theorie der Deklamation“, in: Wolf-
Dieter Stempel (Hg.): Texte der Russischen Formalisten, Bd. 2: Texte zur Theorie des Verses und
zur poetischen Sprache, München 1972, 339–385. Hier: 373ff.
152 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

Um dieses Verhältnis von Gedicht und Vortrag systematisch zu erfassen, hat der rus-
sische Formalist Sergej Bernštejn die Unterscheidung zwischen Dichtkunstwerk und
Deklamationswerk eingeführt, wobei das Dichtkunstwerk als Gebilde phonischer Vor-
stellungen, das Deklamationswerk hingegen als dessen lautliche Materialisierung ge-
dacht wird. Als solches enthält es zusätzliche Elemente, die im Gedicht fehlen. So gibt
die Schriftfassung eines Gedichtes meist keine genaue Auskunft über das Tempo oder
den Tonhöhenverlauf, in dem es gesprochen werden soll. Gleichzeitig muss die Dekla-
mation oft aus mehreren möglichen Realisierungen auswählen und somit eine Festle-
gung treffen, die im geschriebenen Gedicht offenbleiben konnte.1 Bernšteijn besteht
also erstens, wie auch Jakobson, auf der strikten Trennung des poetischen Verses vom
deklamatorischen bzw. tönenden Vers, und er fordert zweitens eine deskriptive Theorie
der Vortragskunst, die nicht in normativer Weise deklamatorische Kategorien aus
Strukturen des Verses ableitet.2 Aufgrund der Ganzheitlichkeit des deklamatorischen
Kunstwerks nimmt Bernštejn keine Zergliederung in einzelne Elemente vor, sondern
spricht von zusammenwirkenden Faktoren, vergleichbar mit Material und Form einer
Statue3: „Zu den im Deklamationswerk höchst wesentlichen Materialfaktoren müssen
neben der Melodik und dem qualitativen Lautbestand Timbre und Register (Tonlage)
der Stimme sowie temporale Momente gezählt werden.“4 Jene Materialfaktoren bilden
in ihrem Zusammenspiel die stimmliche Realisierung eines Gedichtes im Poesiefilm,
die es zu analysieren gilt. Besonders folgenreich für die Untersuchung des Verhältnis-
ses von Textvorlage und gesprochenem Vortrag ist dabei die sprachwissenschaftliche
Beobachtung, dass einzelne Parameter der Sprechstimme, etwa Dynamik, Tempo und
Prosodie, funktional aufeinander bezogen sind und daher in bestimmten Kovarianzen
auftreten.5 Neuere Untersuchungen dieser Kovarianzen haben gezeigt, dass die rhyth-
mische Realisierung eines Verses, dessen Metrum mit seiner prosodischen Gestalt
konfligiert, durch eine Kombination verschiedener vokaler Mittel ermöglicht wird.6 Sie
Sie erlaubt es zum Beispiel, bei einem Enjambement gleichzeitig das Versende und die
syntaktische Kontinuität anzuzeigen, ohne eine der Varianten unterdrücken zu müssen.
Eine gelungene, rhythmische Rezitation enthält also vokale Eigenschaften, die Metrum
und Prosodie bzw. Strophenform und syntaktische Gliederung in ihrer jeweiligen Span-
nung zueinander wahrnehmbar machen.7

1
Peter Brang: Das klingende Wort, 22f.
2
Sergej Bernštejn: „Ästhetische Voraussetzungen einer Theorie“, 343.
3
Ebd., 345.
4
Ebd., 357.
5
Reinhart Meyer-Kalkus: „Koordinaten literarischer Vortragskunst“, 174ff.
6
Siehe Reuven Tsur: „A Perception-Oriented Theory of Metre and the Rhytmical Performance of
Poetry“, in: Christoph Küper (Hg.): Meter, Rhythm and Performance. Proceedings of the Interna-
tional Conference on Meter, Rhythm and Performance, Held in May 1999 at Vechta, Frankfurt am
Main u. a. 2002, 19–38. Hier: 36.
7
Siehe ebd., 20.
Gesprochene Lyrik 153
Reinhart Meyer-Kalkus konstatiert trotz eines seit der Jahrtausendwende stark ge-
stiegenen Forschungsinteresses an der Stimme eine „Diskrepanz zwischen dem Boom
der akustischen Literaturrezeption und unserer Unfähigkeit, angemessene analytische
Begriffe zu finden, um das, was wir hören zu beschreiben, historisch zu kontex-
tualisieren und ästhetisch zu kritisieren.“1 Nicht, dass die Sprechkunst ein neues, noch
gänzlich unbearbeitetes Thema darstellte: Von der antiken Rhetorik2 über die Sprech-
kunstbewegung des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts bis zum russischen
Formalismus wurden die Ausdrucksmöglichkeiten der sprechenden Stimme untersucht
und entsprechende theoretische Konzepte entwickelt, doch handelt es sich hierbei le-
diglich um „zerstreute Versuche“3. Die Unternehmung, die Vielfalt der bestimmenden
Faktoren und Parameter zu einem umfassenden systematischen Ansatz zusammenzu-
schließen, der den veränderten medialen Bedingungen unserer Zeit gerecht wird, steht
nach Meyer-Kalkus’ Auffassung noch aus. Mit seinen „Koordinaten der Sprechkunst“
hat er aber selbst bereits ein recht umfassendes Modell vorgelegt, das eine Vielzahl
einzelner Faktoren in ihrer Funktion und ihrem Zusammenspiel beinhaltet und in dem
auch – was für die vorliegende Arbeit besonders wertvoll ist – Inszenierungsweise und
mediale Einbettung des Vortrags Berücksichtigung finden:
Das Wie und das Was des Vortrags stellen keineswegs die einzigen Koordinaten der Sprech-
künste dar. Nach dem Modell der rhetorischen Topik könnte man diese Koordinaten anhand
der fünf Fragen: Wer spricht?, Was, Wie, Wo und Wann? untergliedern. […] Man wird je-
weils Kovarianten feststellen und Dominanten, welche die verschiedenen Koordinaten deter-
minieren. Jede dieser Koordinaten kann ihrerseits wieder diversifiziert werden, um die Fülle
und Komplexität der Aspekte am Gegenstand zu erfassen. In ihrer Gesamtheit stellen sie ein
Bezugssystem miteinander verbundener Zimmer und Winkel dar, das immer tiefer ins Innere
des Gebäudekomplexes der Sprechkunst hineinführt. Nur in ihrer Interdependenz und ihrem
Strukturzusammenhang sind diese Aspekte von Interesse.4

Um die Bedeutung der Sprechkunst für den Bereich des Poesiefilmes zu demonstrieren,
sollen die von Meyer-Kalkus vorgeschlagenen Koordinaten nicht einfach referiert, son-
dern an einem konkreten Gedichtfilm verdeutlicht werden. Als Beispiel dient der Kurz-
film GESANG DER GEISTER ÜBER DEN WASSERN (2002), eine Umsetzung des gleichna-
migen Gedichtes von Johann Wolfgang Goethe durch die Schauspielerin Luise Rainer,
die aus dem Zusammenhang des Filmprojektes POEM (2002) von Ralf Schmerberg
stammt.5

1
Reinhart Meyer-Kalkus: „Koordinaten literarischer Vortragskunst“, 167.
2
Siehe Karl-Heinz Göttert: Geschichte der Stimme.
3
Reinhart Meyer-Kalkus: „Koordinaten literarischer Vortragskunst“, 167.
4
Ebd., 180.
5
Siehe Abbildung 3.1.
154 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

Goethes „Gesang der Geister über den Wassern“


Das Wer des Vortrags prägt die Erwartungshaltungen des Publikums. Luise Rainer ist
zwar als Star der goldenen Hollywood-Ära in den dreißiger Jahren bekannt geworden,
wo sie in zwei aufeinanderfolgenden Jahren den Oscar gewann, doch ihre Karriere hatte
bereits im Deutschland der Weimarer Republik ihren Anfang genommen, bevor sie,
ihrer jüdischen Herkunft wegen, 1935 vor der Naziherrschaft in die USA flüchtete.
Eine solche Biographie kann nicht ohne Auswirkung auf die persona sein, als die uns
die Sprechende im Gedichtfilm entgegentritt. Eine hochbetagte Frau, deren elegantes
Auftreten noch die Filmdiva verrät, wird Luise Rainer auch als Repräsentantin einer
abgebrochenen Kulturtradition inszeniert; über ihrem Auftritt liegt wie ein Schatten die
Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung. Luise Rainer, die nie wieder dauer-
haft nach Deutschland zurückgekehrt ist, spricht nun auf Einladung eines jungen deut-
schen Filmteams ein Gedicht Goethes, jenes Dichters, dessen Werk den Status des „na-
tionalen Erbes“ besitzt; ein Werk, das auf den Flugblättern der Weißen Rose zitiert
wird, wie es auch vom NS-Regime instrumentalisiert worden ist. Noch in der Bildkom-
position drückt sich die Ehrfurcht aus, die der Schauspielerin und mit ihr einer unterge-
gangenen Epoche deutschen Geisteslebens entgegengebracht wird.
Mit dem Was ist die zweite Koordinate angesprochen. Zu bestimmen sind Textsorte
oder Gattung, der der vorgetragene Text angehört. Auch sind die Textauswahl und
eventuelle Änderungen zu kommentieren, die Rückschlüsse auf die Vortragskonzeption
und das zu Grunde gelegte Verständnis des Textes zulassen. Damit soll auch daran
erinnert werden, dass „Vortragskünste auf ihre Weise Interpretationen von Texten“1
sind, die das Was stets mit einem Wie des Vortrags auf eine spezifische Weise ins Ver-
hältnis setzen. Das unserem Filmbeispiel zu Grunde liegende Gedicht „Gesang der
Geister über dem Wasser“ zählt zu den abstrakt-weltanschaulichen Oden Goethes wie
später auch „Grenzen der Menschheit“ und „Das Göttliche“.2 Über den Ent-
stehungskontext wird berichtet, dass Goethe während seiner ersten Reise in die
Schweiz zur Vorbereitung auf eine Passüberquerung in der Odyssee liest und sich be-
sonders dem 12. Gesang in Bodmers Übertragung widmet, der von der Passage zwi-
schen Skylla und Charybdis, „von Klippengefahr und zerstiebendem Wasser handelt.“3
Auch im Homer’schen Epos handelt es sich um einen „Rück- und Überblick mit Tie-

1
Ebd., 182.
2
Siehe Terence James Reed: „Gesang der Geister über den Wassern“, in: Regine Otto/Bernd Witte
(Hg.): Goethe-Handbuch. Gedichte, Stuttgart, Weimar 1996, 195–198. Hier: 196. Die Realität geht
in der Kausalität auf, wenn selbst die Beschreibungen des bewegten Laufes der Wassermassen
nicht für sich steht, „sondern in quasi logische Strukturen gefaßt werden.“ Terence James Reed
sieht daher die Naturschilderung zur Allegorie im Goethe’schen Sinne verblassen, die das Beson-
dere nur zur Schilderung des Allgemeinen heranzieht.
3
Ebd.
Gesprochene Lyrik 155
fenperspektive“.1 Thema des Gedichtes ist also die Schilderung einer Naturerscheinung
als Parabel für eine höhere menschliche Wahrheit. Es setzt mit einem direkten Ver-
gleich zwischen der Seele des Menschen und dem Wasser ein. Das Wasser wird im
Verlauf des Gedichtes vor allem durch seine Erscheinungsweise als „Strahl“, „Welle“
und „Wogen“ oder als „Bewegung“ (Sturz) gekennzeichnet. Dass in der Bewegtheit
und Wandelbarkeit, im ewigen Wechseln, das zentrale Motiv des Gedichtes liegt, äußert
sich auch in einer Vielzahl von Bewegungsverben und deren Partizipien. Die Ode
zeichnet sich durch eine Fülle klangmalerischer Elemente aus, darunter Alliterationen
und Stabreime, vor allem aber Vokalhäufungen, was sich an einigen Stellen in der Vor-
tragsweise niederschlägt. Im rhythmischen Charakter ist das Gedicht einem antiken
Chorlied nachempfunden. Komposita und mit Adjektiven beschwerte Substantive legen
ein langsames Sprechen nah. In freien Rhythmen gehalten, sind die Verse größtenteils
jambisch, wechseln jedoch an entscheidenden Stellen zum Daktylus und sogar zum
adonischen Schlussvers.2
Am komplexesten und umfangreichsten fällt die Untersuchung des Wie des Vortrags
aus, „also die stimmlichen Ausdrucksmittel, die körperlich hervorgebracht werden, aber
vielschichtige symbolische Bedeutungen vermitteln.“3 Hierhin gehört zunächst eine
Zuordnung zu den Gattungen der Sprechkunst: Handelt es sich um Vorlesen, Schau-
spielen, Deklamation oder Rezitation? Luise Rainers Vortrag lässt sich, folgt man Goe-
thes eigenen Begrifflichkeiten gewiss als „Rezitation“ charakterisieren:
Der Rezitierende folgt zwar mit der Stimme den Ideen des Dichters und dem Eindruck, der
durch den sanften oder schrecklichen, angenehmen oder unangenehmen Gegenstand auf ihn
gemacht wird; er legt auf das Schauerliche den schauerlichen, auf das Zärtliche den zärtlichen,
auf das Feierliche den feierlichen Ton, aber dieses sind bloß Folgen und Wirkungen des Ein-
drucks, welchen der Gegenstand auf den Rezitierenden macht; er ändert dadurch seinen ei-
gentümlichen Charakter nicht, er verleugnet sein Naturell, seine Individualität dadurch nicht
und ist mit einem Fortepiano zu vergleichen, auf welchem ich in seinem natürlichen, durch die
Bauart erhaltenen Tone spiele.4

Anders als bei der Deklamation, die sich von der gemäßigteren Rezitation zudem durch
eine größere Intensität des Ausdrucks unterscheidet, findet in Luise Rainers Vortrag
kein Rollenwechsel statt, bei dem die Deklamierende ihr „Naturell verleugne[t]“5.
Auch die Erwähnung vokaler Stile und Sprechtraditionen kann in Einzelfällen sehr
aufschlussreich sein. Die verschiedenen Sprechstile – von Goethes Weimarer Schule
über Joseph Kainz’ „Schillerton“ und den Sturm-Kreis zum heutigen Hörbuch-Stil –

1
Ebd.
2
Nach dem metrischen Muster -vv-v.
3
Reinhart Meyer-Kalkus: „Koordinaten literarischer Vortragskunst“, 182.
4
Johann Wolfgang von Goethe/Johann Peter Eckermann: „Schauspielkunst. Regeln für Schauspie-
ler“, 865f.
5
Ebd., 865.
156 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

haben eine ganz eigene Geschichte des Wandels, der durch soziale und medienge-
schichtliche Umstände bedingt ist.1 Vor dem Hintergrund veränderter medialer Konstel-
lationen muss heute von einem anderen, nicht aber von einem geringeren Gebrauch von
Pathosformeln ausgegangen werden, als noch in den Rezitations- und Deklamationstra-
ditionen des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts.2 Im zwanzigsten Jahrhundert,
der Epoche der Sprechkunst vor dem Mikrofon, ging die Entwicklung hin zu betonter
Intimität, einer nach innen gekehrten Sprechweise mit wenigen Tonhöhen- und Ton-
stärkenwechseln. Die junge Schauspielerin Luise Rainer hatte bei Louise Dumont und
Gustav Lindemann in Düsseldorf ihr Handwerk erlernt. Später spielte sie unter Max
Reinhardt in Berlin und Wien. Ihre Deklamation lässt die Spuren des sprechkünstleri-
schen Stiles deutlich erahnen, der in diesem Umfeld gepflegt wurde und der an Vorbil-
dern wie Josef Kainz, Alexander Moissi und Fritz Kortner geschult war. Er äußert sich
vor allem in den malenden Gebärden, der klangmalerischen Dehnung bestimmter Sil-
ben und in den ausgreifenden Tonhöhenbewegungen auf einzelnen Akzentsilben.3
Während die bisher erwähnten Merkmale meist den Vortrag in seiner Gesamtheit be-
treffen, sind viele andere der stimmlichen Ausdrucksmittel auf der Ebene einzelner
Verse, Wörter oder Silben angesiedelt: „Den größten Umfang“, bemerkt Meyer-Kalkus,
„nehmen jene Ausdrucksmittel ein, die – analog zur Musik – zur Verdeutlichung von
Formstrukturen des Textes verwendet werden“.4 Dies lässt sich am Beispiel von Luise
Rainers Deklamation vorzüglich demonstrieren, die sowohl Tempo, Lautstärke und
Prosodie zur Gliederung des Textes und zum Spannungsaufbau einsetzt. Sie wählt ein
langsames Tempo und beschleunigt es an eben jener Stelle des Gedichtes, an der von
einer gesteigerten Bewegung des Wasser die Rede ist, um mit der darauffolgenden,
vierten Strophe wieder zu einem, dem Hinschleichen des Flusses gemäßen Tempo zu
verlangsamen. Die Pausensetzung markiert Zäsuren, wie etwa zwischen der Naturschil-
derung der mittleren Strophen und der allgemein-weltanschaulichen Rahmung, die
durch die erste und die letzte Strophe gebildet wird. Eine mehrsekündige Pause zwi-
schen zweiter und dritter Strophe bereitet einen plötzlichen Anstieg von Lautstärke,
Tempo und Tonhöhe vor, der sich daraufhin umso effektvoller abheben kann (17–18).
Dass sich das Gedicht keines durchgehenden Metrums bedient, sondern in freien
Rhythmen geschrieben ist, findet seinen Ausdruck in einem fließenden Vortragsrhyth-
mus, bei sorgfältiger Betonung der Versgrenzen durch kurze Pausen und ein Senken der
Stimme.
Goethes Gedicht ist durch das Moment der Bewegung geprägt, das auch Luise Rai-
ner durchgehend zum bestimmenden Gestaltungsmerkmal macht. Ihre Stimme, aber
auch die sprachbegleitenden Gesten, vollziehen die Bewegungen des Wassers nach und

1
Siehe Reinhart Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste, 213.
2
Siehe ebd., 262.
3
Siehe ebd., 259f.
4
Reinhart Meyer-Kalkus: „Koordinaten literarischer Vortragskunst“, 182f.
Gesprochene Lyrik 157
evozieren so diese Bewegung; so dass man von einer lautlichen Ikonisierung des Textes
sprechen kann. Dies wird in der dritten und vierten Strophe am deutlichsten. Ab der
Mitte der zweiten Strophe spricht Rainer langsamer und immer leiser werdend, wäh-
rend sie mit einer leichten, wie dirigierenden Taktbewegung die Bewegung der „Wol-
kenwellen“ nachvollzieht, um schließlich in ein leichtes Wiegen des ganzen Körpers
überzugehen. Mit der dritten Strophe steigert sie Dynamik, Tonhöhe und Tempo abrupt
und häuft schwere Akzente an. Besonders in den Versen „Ragen Klippen / dem Sturze
entgegen“ ereignet sich treffenderweise ein starker Tonhöhensprung beim Wort ‚Klip-
pen‘, bei der Rainers Stimme sich fast zu überschlagen scheint. Die kraftvolle, stürmi-
sche Bewegung aufnehmend, die sich an einem hemmenden Widerstand bricht und
dabei noch verstärkt, wird auch ihre Gestik nun akzentuierter und expressiver. Sie ballt
die Faust und beugt sogar leicht die Knie, um den Schwung anzudeuten, mit dem der
Wasserfall „unmutig“ schäumt.
Besondere Bedeutung kommt in Rainers Rezitation der lautsymbolischen Akzentuie-
rung zu. Vor allem die Vokaldehnungen („e-wig“, „ho-hen stei-len Fels“, „Wi-nd“)
kommen zur Symbolisierung von Dauer oder Intensität zum Einsatz und bringen damit
gleichzeitig die klangmalerischen Qualitäten zur Geltung, die im Text angelegt sind.
Auch mit den Tonhöhenverläufen werden Bewegungen nachgebildet, etwa mit dem
Gebrauch tief fallender Tonhöhe bei „wieder nieder“ oder einem hohen, singenden
Verlauf bei „wallt er verschleiernd“. In diesem Zusammenhang sind Goethes frühe
Überlegungen zum Symbol bedeutend, die er aus seinen Betrachtungen zur bildenden
Kunst ableitet.1 Hier entwirft Goethe das Symbol als Beispielhaftes, Typisches, das auf
das allgemeine Gesetz schließen lässt, von dem es herrührt. Goethe grenzt das Symbol
dadurch von der Allegorie ab, dass es nicht augenblicklich auf seine Bedeutung hin
„durchdrungen“2 wird, sondern, indem es zugleich darstellt und bezeichnet, sich glei-
chermaßen an Wahrnehmung und Intellekt richtet.3 Während die Allegorie das Interes-
se an der Darstellung zerstöre und vom Bild sofort auf Gedankliches verweise, scheint
das Symbolische zunächst nur für sich zu stehen.4 Trotz seiner offenkundigen Bevorzu-
gung des Symbols, das die konkrete Erscheinung in ihrem Recht lässt, gegenüber der
Allegorie, welche „augenblicklich durchdrungen“5 wird, bleibt für Goethe stets die sich
sekundär erschließende Bedeutsamkeit der Erscheinungen, die Zeichenfunktion der

1
Siehe hierzu ausführlicher Tzvetan Todorov: Symboltheorien, Tübingen 1995, 196ff.
2
Johann Wolfgang von Goethe: „Über die Gegenstände der bildenden Kunst“, in: Sämtliche Werke.
Briefe, Tagebücher und Gespräche. Ästhetische Schriften 1771–1805, hg. von Karl Eibl/Hendrik
Birus/Dieter Borchmeyr, Frankfurt am Main 1998, 441–444. Hier: 443.
3
Tzvetan Todorov: Symboltheorien, 198.
4
Siehe Johann Wolfgang von Goethe: „Über die Gegenstände“, 443f.
5
Ebd., 443.
158 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

Welt das Wesentliche. Diese „Realsymbolik“1 Goethes, die dem Fluss als Symbol ein
eigenes Leben zugesteht, ihn jedoch gleichzeitig als beispielhaft für ein höheres, allge-
meines Prinzip betrachtet, das alle Phänomene durchwaltet, spricht sich auch im „Ge-
sang der Geister aus“. Das Besondere – der rauschende Fluss – bleibt bei aller Feinheit
der Beschreibung Zeichen für ein Allgemeines. Wenn sich das strömende Wasser zum
See staut, wird die Wasseroberfläche zuletzt doch wieder zum Spiegel, der ganz und
gar in der Darstellung unsichtbar wird: „Und in dem glatten See / Weiden ihr Antlitz /
Alle Gestirne.“
Zum Wie des Vortrags zählt Meyer-Kalkus auch „die technische Unterstützung
durch Mikrofon, Lautsprecher, Mikroport, Sampling, Übertragung auf Leinwände etc.“2
Da sich im Fall des Gedichtfilmes zahlreiche Überschneidungen zur medialen Auf-
zeichnung und Verbreitung ergeben, lassen sich diese Fragen nicht unabhängig von der
räumlichen Inszenierung und damit zum Wo behandeln, das eine dritte Koordinate der
Sprechkunst bildet. Wenn Meyer-Kalkus sich auch in seiner Darstellung in erster Linie
auf Live-Auftritte oder Tonaufzeichnungen literarischer Vortragskunst bezieht, lassen
sich seine Kategorien ohne weiteres für die Interpretation der sprechkünstlerischen
Anteile von Gedichtfilmen produktiv verwenden. Bei der Untersuchung der dritten Ko-
ordinate müssen dann lediglich einige Parameter hinzutreten, die die räumliche Einbet-
tung als eine Einbettung in eine filmische Inszenierung beschreiben helfen. So wäre für
unser Filmbeispiel von großer Wichtigkeit, dass der literarische Vortrag nicht in einem
geschlossenen Raum stattfindet, sondern ins Freie, nämlich an einen Wasserfall auf Is-
land, verlegt wurde. Dies ist nun weniger aufgrund der offensichtlichen textlichen Be-
züge eine interessante Wahl, sondern vor allem wegen der Konsequenzen, die sich
daraus für die sprechkünstlerische Gestaltung ergeben.
Eine halbnahe, amerikanische Einstellung zeigt Luise Rainer im Zentrum des Bildes
zwischen einigen Felsen, auf die sie sich stützt. Während die linke Bildhälfte, die von
einem rauschenden, zweistufigen Wasserfall ausgefüllt wird, überwiegend weiß ist,
herrschen rechts die dunklen Töne der Felsen vor. Allerdings wird durch die Kleidung
und das wehende, weiße Schultertuch der Schauspielerin ein heller Akzent gesetzt, der
durch einige Felsen in der anderen Bildhälfte in fast symmetrischer Weise komplemen-
tär ergänzt wird – eine kontrastreiche und doch durchweg ausgeglichene Bildkomposi-
tion, die den harmonischen Grundton des Gedichtes aufnimmt. Mit der Positionierung
der Sprecherin geht eine Beeinträchtigung der Sprechsituation einher. Das Rauschen
des Wasserfalls bildet ein permanentes Hintergrundgeräusch, das die Vortragende zu
lautem Sprechen zwingt. Fast könnte der Eindruck entstehen, dass sich Rainer ganz
ohne technische Hilfe gegen diese akustische Störung behaupten muss. Dies ist natür-

1
Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Gedichte
1756–1799, Bd. 1, hg. von Karl Eibl/Hendrik Birus/Dieter Borchmeyr, Frankfurt am Main 1987,
9–1336. Hier: 731.
2
Reinhart Meyer-Kalkus: „Koordinaten literarischer Vortragskunst“, 183.
Gesprochene Lyrik 159
lich ein trügerischer Eindruck, der die Medialität des Filmes verschleiert, denn selbst-
verständlich wurde ein Mikrofon eingesetzt, das den Ton aufzeichnete. Was wir hören,
ist das Ergebnis einer auf das Feinste abgestimmten Tonaufnahme, bei der, höchstwahr-
scheinlich unter der Verwendung zweier Mikrofone, die Lautstärke des Wasserfalls so
gewählt wurde, dass die sprechende Stimme gerade noch hörbar ist und sogar durch-
gängig verständlich bleibt. Weit entfernt davon, eine „natürliche“ Sprechsituation dar-
zustellen, betont der Wasserfall nur das deklamatorische Können der Schauspielerin,
die scheinbar in ein stimmliches Register gezwungen wird, das trotz technischer Ver-
stärkung ein lautes Sprechen nötig macht. An keiner Stelle aber ist die Vermittlung des
Sinns durch das Rauschen der tosenden Wassermassen gefährdet.
Die Interpretation macht deutlich, dass es sich bei der Deklamation um einen Vortrag
handelt, der sich in erster Linie in den Dienst des Textes stellt, in dem er Textstrukturen
verdeutlicht, klangsymbolische Effekte hervorhebt, sprich: das Gedicht vergegenwär-
tigt. Der stimmliche Vortrag mobilisiert dabei selbst ein Arsenal nicht-sprachlicher
Ausdrucksmittel, die gleichwohl symbolische Bedeutungen erzeugen. Dennoch kommt
es auch in Rainers kunstvoller Deklamation stellenweise zu Verunsicherungen des
nahtlosen Zusammenpassens von Text und Stimme. Mal lässt sich ein Zögern verneh-
men, dass nicht als wohl gesetzte Pause durchgeht, sondern das Textgedächtnis und da-
mit die Textarbeit in Erinnerung bringt, denen immer die Drohung des Vergessens an-
haftet; mal wird in der merkwürdigen Betonung eines Wortes1 der Einfluss des Engli-
schen hörbar, das sich in Rainers Intonation einmischt und schließlich führt die Be-
schaffenheit der gealterteten, angestrengten Stimme selbst stets den Hinweis auf die
Körperlichkeit der Sprecherin mit sich.
Roland Barthes umschreibt dies als grain de la voix, als „Rauheit der Stimme“. Da-
mit ist jedoch kein sprechwissenschaftlicher Parameter wie Heiserkeit oder Behaucht-
heit gemeint, sondern etwas, das sich auch mit Korn oder Körnung übersetzen ließe und
auf die Materialität des sprechenden Körpers verweist. Nicht unähnlich dem Filmkorn,
das gleichzeitig mit der Abbildung auch die Materialität der Abbildung preisgibt und
eine gewisse Griffigkeit und Lebendigkeit des Bildes erzeugt,2 besteht die Körnung der

1
Luise Rainer betont das Wort ‚Wogen‘ nach Art des Englischen als [voʊgən].
2
Die Körnigkeit eines Filmes wird durch zufällig verteilte Körner in der analogen Filmemulsion
ausgelöst. Sie führen zu „mildernden Ausgleichsprozessen, da Konturen oder Bildteile nicht abso-
lut festgelegt sind, sondern sich innerhalb minimaler Toleranzen von Bild zu Bild verschieben.
Gleichzeitig reichern sie homogene Flächen mit leichten stochastischen Rastern an und entwickeln
damit spezifische Texturen.“ (Barbara Flückiger: „Ästhetik von analogen und digitalen Artefak-
ten“, in: Recherche Film und Fernsehen, 3. Jg., H. 5, 2009, 14–19. Hier: 16.) Durch die leichten
Unterschiede zwischen den Einzelbildern wird das filmische Medium in seiner Zeitlichkeit als Me-
dium markiert. Falls das Filmkorn sichtbar bleibt (besonders bei Filmen mit hoher Empfindlichkeit
oder Vergrößerungen) bildet es Spuren der Materialität in der Abbildung, die durchaus als störend
empfunden werden können, sofern sie nicht im Zeitalter digitaler Bildmedien als signifikant er-
160 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

Stimme nach Barthes im Zusammentreffen von Körper und Stimme im Moment der
Signifikanz. Hinausgehend über das Timbre der Stimme bezeichnet das grain die Rei-
bung von Musik und Sprache: „lorsque celle-ci est en double posture, en double pro-
duction: de langue et de musique.“1
Barthes interessiert sich für jenen Bereich der gesungenen Musik, „in dem eine Spra-
che einer Stimme begegnet“2. Auf der Ebene einer solchen Begegnung siedelt er das an,
was er als „grain“ bezeichnet. Jene Rauheit oder Körnung liegt noch diesseits dessen,
was die Stimme an expressiven Mitteln und Formen des emotionalen Ausdrucks berei-
thält. Im Gegenteil, gerade da, wo die Stimme darauf aus ist, eine dramatische Aus-
druckswirkung zu erzeugen, besitzt sie nur noch eine schwache signifikante Rauheit3.
Indem er den „Phänogesang“, der den Strukturen, Genregesetzen und Kommunikati-
onsabsichten zugehört, vom „Genogesang“ unterscheidet, versucht Barthes zu um-
schreiben, wie in der singenden Stimme Bedeutendes seine Wirkung entfaltet:
Le géno-chant, c’est le volume de la voix chantante et disante, l’espace ou les significations
germent ,du dedans de la langue et dans sa matérialité même‘; c’est un jeu signifiant étranger à
la communication, à la représentation (des sentiments); à l’expression; c’est cette pointe (ou ce
fond) de la production où la mélodie travaille vraiment la langue – non ce qu’elle dit, mais la
volupté de ses son-signifiants, de ses lettres […].4

Mit Nachdruck stellt Barthes der Expressivität der Stimme samt der Emotion, die sie als
Signifikat zu vermitteln imstande ist, die Wollust gegenüber, die im Genießen der
klanglichen Berührung selbst, im Bezug auf den Körper der Singenden besteht.5 Mit
der berühmten Formulierung, dass jede Stimme ein Objekt des Begehrens sei, ver-
schärft Barthes in einer späteren Schrift diese affektive Aufladung.6 Ihre körperliche

wünscht sind. In der Filmwissenschaft wird das analoge Filmkorn der Transparenz des digitalen
Bildes gegenübergestellt. (Siehe ebd.).
1
Roland Barthes: „Le Grain de la voix“, 1437. „[D]ie Rauheit der Stimme, wenn sie auf zweierlei
ausgerichtet ist, zweierlei hervorbringt: Sprache und Musik.“ (Roland Barthes: „Die Rauhheit der
Stimme“, in: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn, Frankfurt am Main 1990, 269–278.
Hier: 271).
2
Ebd., 270. „[E]space (genre) très précis où une langue rencontre une voix“ (Roland Barthes: „Le
Grain de la voix“, in: Œuvres complètes, Bd. II: 1966–1973, hg. von Eric Marty, Paris 1994, 1436–
1442. Hier: 1437).
3
Siehe ebd.
4
Ebd., 1438. „Der Genogesang ist das Volumen der singenden, sprechenden Stimme, der Raum, in
dem die Bedeutungen keimen, und zwar ‚aus der Sprache und ihrer Materialität heraus‘; es ist ein
signifikantes Spiel, das nichts mit der Kommunikation, der Darstellung (von Gefühlen) und dem
Ausdruck zu tun hat; es ist die Spitze (oder der Grund) der Erzeugung, wo die Melodie tatsächlich
die Sprache bearbeitet – nicht was diese sagt, sondern die Wollust ihrer Laut-Signifikanten, ihrer
Buchstaben […].“ (Roland Barthes: „Die Rauhheit der Stimme“, 272).
5
Siehe Roland Barthes: „Le Grain de la voix“, 1438ff.
6
Siehe Roland Barthes: „La Musique, la voix, la langue“, in: Œuvres complètes, Bd. III: 1974–1980,
hg. von Eric Marty, Paris 1994, 880–885. Hier: 881
Gesprochene Lyrik 161
Gebundenheit macht es uns unmöglich, einer Stimme neutral gegenüberzutreten, sie
erfüllt uns mit Liebe oder stößt uns ab. Jenseits oder besser diesseits dessen, was sich
wissenschaftlich erfassen lässt, bleibt darin, wie uns eine Stimme anspricht, ein Rest,
ein Ungesagtes, ein Überschuss.1 Nimmt man die Beobachtungen Roland Barthes’
ernst, so verdient die Stimme nicht nur als Mittel sprechkünstlerischer Gestaltung und
Ausdruck deklamatorischer Praxis Beachtung. In der konkreten Beschäftigung mit
gesprochenen, also stimmlich realisierten Gedichten, kommt die Stimme als Phänomen
zum Tragen, das sich nicht in seiner Zeichenfunktion erschöpft, sondern als wahrge-
nommenes Ereignis thematisiert werden muss, das affektive Wirkungen auslöst, die
über sprachliche Kommunikation hinausgehen. Der Mediävist Paul Zumthor gehört zu
den frühesten und prominentesten Vertretern einer solchen Hinwendung zur Stimme,
die die Körpergebundenheit mündlicher Dichtung betont und sie keineswegs auf die
Praktiken oraler Kulturen beschränkt sieht.2
Hierbei handelt es sich weniger um Mündlichkeit (oralité) als um Stimmlichkeit (vocalité).
[…] Sicher, eine lange Tradition bewertet bei uns die Stimme als Träger der Sprache: in ihr
und durch sie artikulieren sich die signifikanten Laute (sonorités signifiantes). In diesem Sinne
kann man sie, wie man gesagt hat, für die ‚Verkleidung einer ursprünglichen Schrift halten‘.
Dennoch, was uns vor allem zurückhalten sollte, ist die weitreichende Funktion der Stimme:
Ihr Wort (parole) begründet in unserer Kultur die handgreiflichste Kundgabe, freilich nicht die
einzige und wohl auch nicht die vitalste: ich meine die Ausübung ihrer physischen Kraft, ihre
Fähigkeit, die phoné zu produzieren und deren Substanz zu organisieren. Diese phoné ist nicht
unmittelbar mit Sinn verknüpft; sie bereitet ihm lediglich den Ort, wo er sich aussprechen
wird. Worauf ich die Aufmerksamkeit lenken möchte, ist also der körperliche Aspekt der mit-
telalterlichen Texte, ihre Existenzweise als Gegenstände sinnlicher Wahrnehmung.3

Das Bestehen auf der stimmlichen Dimension der Poesie, die sich einer rein bedeu-
tungsorientierten Interpretation sperrt, verbindet Zumthors Arbeiten mit Bestrebungen,
die Stimme im Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit nach einer Epoche in
der die Schrift kulturell dominierte, emphatisch wieder aufzuwerten.4 In diesem Sinne

1
Siehe ebd.
2
Eine konsequente Differenzierung zwischen Produktion, Übermittlung, Rezeption, Aufbewahrung
und Wiederholung erlaubt es in Zumthors Begrifflichkeit, zwischen einer mündlichen Tradition
und einer mündlichen Übermittlung zu unterscheiden. Somit wären auch schriftlich tradierte, aber
mündlich übermittelte Dichtungen, oder mündlich überlieferte, aber schließlich schriftlich mitge-
teilte sein Gegenstand. (Siehe Paul Zumthor: Einführung, 29f.).
3
Paul Zumthor: Die Stimme und die Poesie in der mittelalterlichen Gesellschaft, aus dem Französi-
schen von Klaus Thieme, München 1994, 13.
4
Neben der einschlägigen Forschung zum Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit (Walter
Ong: Oralität und Literalität, Opladen 1988), sind auch medienwissenschaftliche und medien-
geschichtliche Arbeiten zu nennen, die die Stimme als Kulturtechnik und Kommunikationsmittel
diskutieren (z. B. Friedrich A. Kittler (Hg.): Zwischen Rauschen und Offenbarung. Zur Kultur- und
Mediengeschichte der Stimme, Berlin 2002). Hinzu kommen philosophische Ansätze, die die
Stimme als ethisches Phänomen im Sinne eines epiphanischen Ausdrucks von Alterität (Dieter
162 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

steht die Erforschung der Stimme im Zeichen der seit den achtziger Jahren in
hermeneutikkritischer Absicht betriebenen Aufwertung der „Materialitäten der Kom-
munikation“.1
Seit den neunziger Jahren hat die Stimme in der Forschung eine solche Renaissance
erlebt, dass zuweilen sogar von einem „sonic“ oder „audiovisual turn“ in Analogie zum
„iconic turn“ die Rede ist.2 Sie ist zum Angelpunkt einer Ästhetik des Perfomativen
geworden, die sich dem Ereignischarakter ästhetischer Phänomene zuwendet. Dabei
werden Charakteristika wie Flüchtigkeit, Prozesshaftigkeit und Präsenz in den Vorder-
grund gerückt. Im Zentrum steht jedoch eine Kritik an semiotischen oder hermeneuti-
schen Herangehensweisen an stimmliche Praxis, die aus dem Unterschiedensein von
Stimme und Rede abgeleitet wird:
Die Stimme entzieht sich ihrer bruchlosen semiotischen, medialen oder instrumentellen
Dienstbarkeit, und dies gerade in denjenigen Zusammenhängen, in denen die Stimme profes-
sionell als Instrument ausgebildet und genutzt wird, wie bei Schauspielern, Rednern oder Sän-
gern.3

Damit ist die Tendenz angesprochen, dass jedem Sprechen eine performative Dimen-
sion eignet, die nicht in der Funktion des Bezeichnens aufgeht, sondern einen Über-
schuss bildet, der über das jeweils Ausgesagte hinausgeht, es gar deformiert oder unter-
läuft.4
Als stimmlich verkörperte Dichtung ist der Gedichtfilm von diesen Fragen direkt be-
troffen. Zentral ist in diesem Zusammenhang vor allem die leibliche Gebundenheit der
Stimme. Nicht nur die Artikulationsorgane selbst, auch Lunge und Zwerchfell, sowie
der gesamte Körper als Resonanzraum wirken am Hervorbringen der Stimme mit. Der

Mersch: Was sich zeigt) oder als Phänomen der Anrufung erkunden. Ausführliche Literatur-
hinweise geben Reinhart Meyer-Kalkus: „Stimme, Performanz und Sprechkunst“, in: Thomas Anz
(Hg.): Handbuch Literaturwissenschaft. Gegenstände – Konzepte – Institutionen, Bd. 1, Stuttgart
2007, 213–223. Hier: 222f.; und Doris Kolesch/Sybille Krämer: „Stimmen im Konzert der Diszip-
linen. Zur Einführung in diesen Band“, in: Doris Kolesch/Sybille Krämer (Hg.): Stimme. Annähe-
rung an ein Phänomen, Frankfurt am Main 2006, 7–15. Hier: 8.
1
Hans Ulrich Gumbrecht/Monika Elsner (Hg.): Materialität der Kommunikation, Frankfurt am Main
1988.
2
Siehe Reinhart Meyer-Kalkus: „Stimme, Performanz und Sprechkunst“, 218; Doris Bachmann-
Medick: Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg
2006, 264.
3
Doris Kolesch/Sybille Krämer: „Stimmen im Konzert“, 11.
4
Dies liegt in der unabweisbaren Materialität der Zeichen begründet, die, um überhaupt auf Ab-
wesendes verweisen zu können, der Wahrnehmung gegeben sein müssen. Dass etwas am Zeichen
ist, was (noch) nicht signifikativ ist, gilt auch für den gesprochenen Text. Jenseits der symboli-
schen Strukturen, die den Text bestimmen, zeigt sich etwas im Wie des stimmlichen Vollzugs, das
nicht auf sprachliche Bedeutung reduzierbar ist. Siehe Dieter Mersch: Was sich zeigt, 113 sowie
11ff. und 45ff.
Gesprochene Lyrik 163
Atemrhythmus schließlich verbindet die Stimme mit dem Herzschlag, der körperliche
und affektive Bewegung in ihr anklingen lässt. Sybille Krämer bezeichnet daher im
Anschluss an Zumthor die „Stimme als Spur des Körpers in der Sprache“1. Der Perfor-
mativitätsforschung geht es nun darum, den „Eigensinn“2 der Stimme, den von ihr be-
reitgestellten „Überschuss an Sinn“3 und ihre „Materialität und Sinnlichkeit“4 gegen-
über einer Auffassung der Stimme als bloßem Instrument der Sprache und gegenüber
einer Konzentration auf den (geschriebenen) Text stark zu machen.5 Im Kontext des
Gedichtfilmes, wo es um die sprechende Stimme geht, die sich unweigerlich in ein Ver-
hältnis zum lyrischen Text setzt, muss dagegen an der Sprachgebundenheit der Stimme
festgehalten werden. Der Wert eines jeden Ansatzes, der die Dimensionen Stimme und
Klang, die Materialität stimmlicher Äußerungen und ihre sinnlichen Überschüsse be-
rücksichtigt, steht außer Frage, doch lässt er jenes unerwähnt, was auch noch in den
klanglichen Merkmalen des Sprechens einer kulturellen Formierung, künstlerischen
Durcharbeitung und verschiedensten Symbolisierungsprozessen unterliegt. Eine direkte
Zuordnung des Sprechmusikalischen zu Präsenz, Körper, Gefühl (als Gegenpole zu
Differenz, Geist, Bedeutung) ist demnach zu hinterfragen.
Die Performativitätsforschung widmet sich bevorzugt der Widerständigkeit der Stim-
me, die dazu führt, dass sie in den in ihr stattfindenden Bezeichnungsprozessen niemals
ganz aufgeht. Sie tritt besonders da hervor, wo sich Stimme den Intentionen und For-
mierungen des Sprechens nicht gerecht wird, oder wo sie von den Sprechenden in ihrer

1
Sybille Krämer: „Sprache – Stimme – Schrift. Sieben Thesen über Performativität als Medialität“,
in: Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, 7. Jg., H. 1, 1998, 33–57,
Hier: 44.
2
Ebd.
3
Ebd.
4
Doris Kolesch: „Wer sehen will, muss hören. Stimmlichkeit und Visualität in der Gegenwarts-
kunst“, in: Doris Kolesch/Sybille Krämer (Hg.): Stimme. Annäherung an ein Phänomen, Frankfurt
am Main 2006, 40–64. Hier: 44.
5
Die rehabilitierende Erforschung der Stimme möchte sich auch einer vom Dekonstruktivismus
„forcierten Fixierung auf die Schrift“ (Reinhart Meyer-Kalkus: „Stimme, Performanz und Sprech-
kunst“, 217) entgegensetzen. Sybille Krämer erscheint noch Jacques Derridas Kritik am Phono-
zentrismus „als ein Widerhall dieser Marginalisierung der Stimme“ (Sybille Krämer: „Sprache –
Stimme – Schrift“, 42). Derrida problematisiert die Stimme aber primär im Hinblick auf eine ver-
meintliche Präsenz des logos. Dabei lässt er allerdings die Zeichenhaftigkeit der Stimme unange-
tastet. Ob nun darin eine erneute „Aussperrung des Anderen“ liegt, wie Dieter Mersch vorzuwerfen
scheint, kann hier kaum angemessen erörtert werden. Walter Ong würdigt Derridas Zurückweisung
des Phonozentrismus als eine Problematisierung der Auffassung vom gesprochenen Wort als eines
transparenten sprachlichen Zeichens, das den Sinn des gesprochenen Wortes präsent halte. Davon
profitiert auch die Oralitätsforschung: „Indem er das, was er ,Phono- und Logozentrismus‘ nennt,
zurückweist, leistet uns Derrida einen willkommenen Dienst auf dem gleichen Gebiet, das McLu-
han mit seinem berühmten Diktum durchstürmte: ‚Das Medium ist die Botschaft‘.“ (Walter Ong:
Oralität und Literalität, 165).
164 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

„Unfüglichkeit und Unverfügbarkeit“1 nicht ganz unter Kontrolle zu bringen ist. Es


geht mithin darum, „die Performanz der Stimme, als Ereignis ihrer Setzung, ihren un-
verwechselbaren Klang als etwas auszuweisen, was sich der Vorgängigkeit der Zeichen
und ihrer Wiederholung sperrt.“2 Es sind in dieser Auffassung also ausdrücklich nicht
die non-verbalen symbolischen Anteile oraler Traditionen, die die Performativität der
Stimme ausmachen, sondern „Flüchtigkeiten“,3 die sich jeder Bedeutungsgebung unter-
schieben: Jeder stimmliche Vollzug wird in dieser Perspektive zum „Ereignis, das dem
Sinn des Gesagten ein Moment des Unsagbaren mitgibt.“4 Dies ist im Zusammenhang
mit dem Poesiefilm deshalb wichtig, weil sich die Bemühungen um die theoretische Re-
habilitierung der Stimme mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit für deren Klanglich-
keit und Materialität und damit für die nicht-sinnstiftenden, materiellen Bedingungen
des Sprechens einhergeht, die sich auch in den Poetiken experimenteller Literaturen
von Dada bis Spoken Word wiederfindet – Bewegungen, die für die Geschichte des
Poesiefilmes eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt haben.
Als Gegenbewegung zu einer Fixierung der Literatur auf die Schrift, rückt die Laut-
poesie der zehner und zwanziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts die lautliche und
klangliche Dimension der Dichtung in den Vordergrund. Gleichzeitig hängt ihre Ent-
stehung mit medientechnischen Entwicklungen zusammen, die die Reproduktion und
Übertragung der menschlichen Stimme ermöglichen.5 Einerseits scheint durch neue
Verfahren, Töne zu konservieren, die naturalistische Funktion von Dichtung hinfällig
zu werden, andererseits zeigt gerade die technische Reproduktion von Klängen und Ge-
räuschmaterial deren Manipulierbarkeit. In dieser Situation entstehen analytische Expe-
rimente mit Dichtung aus Laut und Klang, jenseits von Sprache als Sinnvehikel: „Verse
ohne Worte“6. Diese abstrakte Dichtung erreicht ihren ersten Höhepunkt bei den itali-
enischen und russischen Futuristen und wenig später in den dadaistischen Lautge-
dichten. Durch den Maler Wassilij Kandinsky soll Hugo Ball auf die sogenannte russi-
sche Zaoum-Dichtung aufmerksam geworden sein. Schon 1916 kam es zu Rezitationen
von Lautpoesie im legendären Café Voltaire.7 Stärker noch als bei Hugo Ball, der sich
später selbst als Erfinder der Laut- und Vokalpoesie bezeichnet hat, tritt bei Kurt
Schwitters das Prinzip der Collage in den Vordergrund.8 Er arrangiert und variiert

1
Dieter Mersch: Was sich zeigt, 116.
2
Ebd., 103.
3
Ebd.
4
Ebd.
5
Siehe zum Folgenden Hans Scheugl/Ernst Schmidt: Eine Subgeschichte des Films, 928ff.
6
Hugo Ball: Die Flucht aus der Zeit, hg. von Bernhard Echte, Zürich 1992, 105.
7
Siehe Karl Riha: Prämoderne, Moderne, Postmoderne, Frankfurt am Main 1995, 109f. Riha ver-
weist nachdrücklich auf vordadaistische Traditionen von Lautdichtung. (Siehe ebd., 223f.; Reinhart
Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste, 255ff.).
8
Karl Riha: Prämoderne, Moderne, Postmoderne, 110.
Gesprochene Lyrik 165
sprachliche Fundstücke nach klanglichen Prinzipien, so dass sie ihren ursprünglichen
Sinn verlieren.
Mit der konkreten Poesie erfährt die Lautdichtung nach dem Zweiten Weltkrieg ei-
nen weiteren Aufschwung. Diese bringt nicht nur visuelle Gedichte hervor, sondern
auch akustische Spielarten, angetrieben nicht zuletzt durch die technische Entwicklung
der Magnetbandtechnik, die die flexible Anordnung von Tonmaterial ermöglicht. Auch
die konkrete Poesie widmet sich den sprachlich-musikalischen Dimensionen der Spra-
che. Sie reflektiert ihre eigenen Voraussetzungen, indem sie mit dem zu Grunde liegen-
den Material (sei es Geräusch, Wort oder Schrift) spielt und es selbst zur poetischen
Botschaft macht.1 Gleichzeitig aber äußert sich in ihr ein besonderes Interesse am Kör-
perlichen, an Stimme und Atem. Viele Gedichte sind in ihrer schriftlichen Version nur
mehr Notationen, ähnlich den Partituren in der Musik, die dem eigentlichen Gedicht,
das sich erst gesprochen verwirklicht, lediglich als Vorlage dienen.2 Dieses Interesse
am Körperlichen scheint dem Interesse an der fragmentierenden, collagierenden Me-
chanik zunächst diametral entgegenzustehen, worauf auch Monika Schmitz-Emans
hinweist.3 Doch erscheint es andererseits nur konsequent, da man die Signifikan-
tenlogik4 in der Dichtung nun schon auf die Spitze treibt, nicht nur mit Medien und
Textbausteinen, sondern auch mit den Materialitäten der gesprochenen Sprache zu
experimentieren. Eben diese Dynamik ist kennzeichnend für das Genre „Poesiefilm“, in
dem eine stark reflektierte Medialität einerseits und ein Bewusstsein um die körper-
lichen Dimensionen von gesprochener Sprache und Dichtung andererseits aufei-
nandertreffen. Auch im zeitgenössischen Poesiefilm lässt sich eine besondere Affinität
zur Lautpoesie feststellen. Aus vielen von ihnen spricht eine Faszination am Körperli-
chen, die sich nicht nur stimmlich äußert, sondern in der Darstellung von „Sprachwerk-
zeugen“ wie Zungen und Mündern in Großaufnahme auch bildlich ausdrückt. 15TH OF
FEBRUARY (1995), SPRECHEN FÜR MARIE (2006) und Eku Wands GEDICHTE VON
ERNST JANDL (1989) sind nur einige Beispiele für dieses mit erstaunlicher Persistenz
auftretende Motiv.

Die Medialität der Stimme


Die Performance oder Verkörperung eines Gedichtes verbindet sich mit der Transfor-
mation des Gedichtes in ein technisches Medium. Im Poesiefilm konvergieren somit
zwei Forschungsrichtungen, die sich aus der Hinwendung zu den Materialitäten der

1
Siehe Monika Schmitz-Emans: „Rhythmisierung als Musikalisierung. Zu Selbstbeschreibungen
und ästhetischer Praxis in der experimentellen Dichtung des 20. Jahrhunderts“, in: Colloqium
Helveticum, 32. Jg., 2001, 244–287. Hier: 272.
2
Siehe ebd., 269.
3
Siehe ebd., 271.
4
Siehe Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800–1900, 250ff.
166 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

Kommunikation ergeben haben: media history und body culture.1 Für die hier ange-
strebte Untersuchung von Poesiefilmen hat das vor allem zur Folge, dass eine zunächst
naheliegende Analyse von Text-Bild-Beziehungen nicht an erster Stelle stehen kann, da
ihr noch etwas zuvorkommt, was in der Adaptionsforschung bisher vernachlässigt wur-
de. Bevor noch der literarische Text auf seine Bedeutung hin analysiert werden und auf
seine Konvergenz oder Kontradiktion zu den filmischen Bildern hin untersucht werden
muss, ist nach der Art und Weise seiner medialen Verwirklichung zu fragen, ist den
Beziehungen von Klang, Bild und Stimme nachzugehen. Die Performance und die
sprechkünstlerische Gestaltung sind der Interpretation eines virtuell zu Grunde liegen-
den Textes und seiner Bedeutung mindestens gleichgestellt. Sie aber wird gerade durch
die lautliche, musikalische, rhythmische Seite des Sprechens bestimmt, die über die
Vermittlung sprachlichen Sinns hinausgeht und lässt sich nicht trennen von den techni-
schen und medialen Bedingungen, die von jeher auf Stimmen und ihre Vollzugsweisen
gewirkt haben.2
Wenn die Stimme eine Spur des Körpers in der Rede hinterlässt, die die semantische
Dimension übersteigt, so ist gleichzeitig die Stimme in ihrem jeweiligen Gebrauch eine
in hohem Maße sprachlich, kulturell und medial geformte. Zunächst scheint es, als gäbe
die akustische Speicherung die sprechende Stimme unverfälscht wieder, hält sie doch
die Spur des Realen in ihren Apparaturen fest.3 Eine Tonaufnahme ist indessen bei
weitem keine Reproduktion des ursprünglichen Geräusches, sondern stellt lediglich
eine von verschiedenen Aufnahmeverfahren, Wiedergabemedien und Räumlichkeiten
beeinflusste Form der Repräsentation dar.4 Auch die Stimme in ihrer medialen Formie-
rung hat eine Geschichte. Zu den größten Einschnitten auf diesem Gebiet zählen zwei-
fellos die medientechnischen Entwicklungen stimmspeichernder (Phonograph) und
später stimmverstärkender Apparate (Lautsprecher), denn sie verändern die Sprechtech-
niken grundlegend. Mikrofon und Lautsprecher holen die Stimme direkt an das Ohr
heran und erzeugen so eine Nähe und Intimität, die in keiner Weise mehr der Entfer-
nung der Klangquelle (oder im Falle des Tonfilmes, der vermeintlichen Klangquelle)
entspricht. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Vortrag ohne jede technische Verstär-
kung5 in einem Theatersaal, einer Kirche oder auf einem Platz stattfindet, oder ob er
durch audiovisuelle Medien wiedergegeben wird. Auch die Stimme selbst entgeht der
medialen Formierung nicht: „Wer sich des Mikrophons bedient vertraut sich einer

1
Siehe Hans Ulrich Gumbrecht: Production of Presence, 11.
2
Siehe hierzu besonders Karl-Heinz Göttert: Geschichte der Stimme, 455f.; Reinhart Meyer-Kalkus:
Stimme und Sprechkünste.
3
Siehe Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800 1900, 278f.
4
Siehe Rick Altman: „Introduction. Four and a Half Film Fallacies“, in: Rick Altman (Hg.): Sound
Theory, Sound Practice, New York 1992, 35–45. Hier: 39.
5
Dabei seien die architektonischen Techniken zur Stimmverstärkung ausnahmsweise vernachlässigt.
Gesprochene Lyrik 167
Technik an, die das Sprechen selbst mehr verändert als er ahnt.“1 Medientechnik modi-
fiziert keineswegs lediglich den Klang oder die Deutlichkeit des Gesprochenen, son-
dern wirkt auf die Art und Weise der sprechkünstlerischen Gestaltung selbst. Starke
Tonhöhenschwankungen, Stimmstärke und andere expressive wie auch gestische Mit-
tel, die weitgehend dazu gedacht waren, die Stimme durch einen großen Raum zu tra-
gen, werden obsolet und wirken folglich heute unmodern.2 Dies muss gerade im Fall
des Gedichtfilmes beachtet werden, da man es hier stets mit einer gespeicherten und
technisch verstärkten Stimme, einer „akustischen Großaufnahme“3 zu tun hat.
Im Tonfilm wird aber nicht nur die intime, private Stimme einer kollektiven Rezep-
tion zugänglich, sondern auch die leisesten Geräusche und Klänge, die für gewöhnlich
nur aus der Nähe vernehmbar sind. Darauf verweist der Filmtheoretiker und Tonspezia-
list Michel Chion, der aufzeigt, wie mit der Verbesserung der Aufnahme- und Speiche-
rungstechniken4 des Filmtons auch dessen Dichte und Sinnlichkeit zunimmt. So sieht er
in den achtziger Jahren sogar einen Rückgriff auf den ‚sinnlichen Lyrismus‘ des Kinos
der Stummfilmzeit, das in ähnlicher Weise, allerdings auf visueller Ebene, Stofflichkeit
und Materialität gefeiert hatte.5 Auch Gedichtfilme vermitteln uns häufig die Nebenge-
räusche des Sprechens, die nicht Teil der Rede sind, sondern die wie Atmen und Schlu-
cken deren körperliche Gebundenheit anzeigen. Mitunter fördert die extreme Nähe des
Mikrofons noch Geräusche zu Tage, die, gewöhnlich vom Klang der Stimme übertönt,
die Geräusche des Sprechens selbst sind, wie die sich bewegende, an den Gaumen sto-
ßende und sich von ihm lösende Zunge. Zum ersten Mal in der Mediengeschichte über-
haupt hat, wie Friedrich Kittler betont, der Phonograph die analoge Aufzeichnung akus-
tischer Daten ermöglicht. Diesseits der symbolischen Notation der Schrift gelingt
seitdem die Speicherung nicht nur von Sprache und Musik, sondern eben auch von
Geräuschen, da alles Klangliche ohne Berücksichtigung auf seine Zeichenfunktion sich
in das Material der Walze einschreiben kann: „Unerhört muß selbst für ihren Erfinder
eine Erfindung gewesen sein, die Literatur und Musik gleichermaßen unterlief, weil sie
das unvorstellbare Reale auf beider Grund reproduzierbar machte.“6

1
Karl-Heinz Göttert: Geschichte der Stimme, 9.
2
Siehe Johannes Schwitalla: „Vom Sektenprediger- zum Plauderton. Beobachtungen zur Prosodie
von Politikerreden vor und nach 1945“, in: Heinrich Löffler/Karlheinz Jakob/Bernhard Kelle/Hugo
Steger (Hg.): Texttyp, Sprechergruppe, Kommunikationsbereich. Studien zur deutschen Sprache in
Geschichte und Gegenwart, Festschrift für Hugo Steger zum 65. Geburtstag, Berlin 1994, 208–224.
Hier: 222.
3
Reinhart Meyer-Kalkus: „Literatur für Stimme und Ohr. Dichter lesen“, in: Brigitte Felderer (Hg.):
Phonorama. Eine Kulturgeschichte der Stimme als Medium, Ausstellung vom 18. September 2004
– 30. Januar 2005, Berlin 2004, 173–186. Hier: 178.
4
Dazu gehört zunächst die Magnetbandtechnik und später das Dolby Stereoverfahren. Siehe Michel
Chion: Un Art sonore, 91ff., 112.
5
Siehe ebd., 119f.
6
Friedrich A. Kittler: Grammophon, Film, Typewriter, Berlin 1986, 38.
168 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

Die Spannung zwischen der Performativität der Stimme und ihren Medien liegt in
jenem Verhältnis zum Materiellen, denn einerseits lenkt der Begriff des Mediums „den
Blick auf die materielle Seite der semiotischen Relation“1, andererseits handelt es sich
dabei nur um eine formierende, strukturierende Materialität, die die Medialität des Me-
diums sicherstellt.
Kein Medium vermag seine Materialität mitzuvermitteln, sowenig, wie diese selbst tilgbar wä-
re. Kunst ist Ausdruck nur, soweit sie ihr Stoffliches im Rücken behält, und die Sprache
spricht nur, wie sie sich des Lautes bedient, dem die Stimme ein Singuläres verleiht, das sich
ins Gesagte zuweilen unfüglich einmischt.2

Zwar wird die sprechende Stimme in ihrer materiellen Beschaffenheit Gegenstand der
Aufzeichnung, doch sie erfährt dabei sogleich ihre Einbindung in die audiovisuelle
Formation. Wenn es dennoch so ist, dass in der Materialität dem Medium sein Wider-
spenstiges anhaftet, wie es im Bruch, in der Störung, im Rauschen, im Ausfall der Dar-
stellung zu Tage tritt, so muss dies im Fall des Poesiefilmes zweifach gelten: für die
Materialität der Stimme gegenüber der Sinnhaftigkeit der Sprache und für die Materia-
lität des audiovisuellen Mediums, ob Film, Video oder digitaler Internetclip.3
Was geschieht nun also mit der Stimme im Zusammenhang der medialen Aufzeich-
nung? Wird, indem der Akt des Sprechens wiederholbar und damit gleichzeitig auch
verfügbar gemacht wird, die Stimme ihrer Präsenz, Singularität, Flüchtigkeit und Ereig-
nishaftigkeit beraubt? Diese Frage verschärft sich gerade für das Medium technischer
Reproduzierbarkeit par excellence, dem audiovisuellen Medium „Film“, und erweitert
sich zudem um die Problematik der technischen Trennung von Stimme und Bild, durch
die die Stimme im Poesiefilm nicht selten zu einer körperlosen Stimme wird. Eine Ant-
wort auf diese Fragen kann nur gegeben werden, indem die Stimme in ihrem je ver-
schiedenen künstlerischen Gebrauch und in ihrem jeweiligen Zusammenhang mit dem
audiovisuellen Medium beschrieben wird. Nur so kann die Bezugnahme, das Spiel zwi-
schen Kategorien wie „Medialität“, „Sinn“ und „Materialität“ ausgelotet werden, wie es
2010 auf dem Podium des Sonderforschungsbereiches „Kulturen des Performativen“
einhellig gefordert wurde.4 Dabei kann und soll nicht auf Beschreibungskategorien
verzichtet werden, die sich in der Erforschung der Sprechkünste oder in der Linguistik

1
Dieter Mersch: Ereignis und Aura, 61.
2
Ebd., 67.
3
Auch die Alterserscheinungen des Materials, das Timbre oder die Heiserkeit einer Stimme kann im
Kunstwerk Bedeutsamkeit erlangen. „Anders als bei Naturdingen wird das Material, aus dem das
Kunstwerk besteht, zur Mitwirkung am Formenspiel aufgerufen und so selbst als Form anerkannt.
Es darf selbst erscheinen, ist also nicht nur Widerstand beim Aufprägen der Form. Was immer als
Medium dient, wird Form, sobald es einen Unterschied macht, sobald es einen Informationswert
gewinnt, den es nur dem Kunstwerk verdankt.“ (Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft,
176).
4
Doris Kolesch u. a.: Was kommt nach dem Performativen? Möglichkeiten und Grenzen eines Kon-
zepts, Podiumsdiskussion, Berlin 2010.
Gesprochene Lyrik 169
als überaus produktiv erwiesen haben und die im Übrigen noch kaum intensive Anwen-
dung gefunden haben.

Die Zweiseitigkeit der Stimme: Barbara Köhlers NiemandsFrau


Die Zweiseitigkeit der Stimme, die sich im Zugleich von Sagen und Zeigen, Indexikali-
tät und Symbolizität, Präsenz und Differenz ausdrückt, wird von Theorien der Perfor-
mativität stets konstatiert,1 aber in ihren Interpretationen bislang kaum ausreichend be-
rücksichtigt.
Einer Privilegierung der Stimme als Ausdruck von Präsenz, die der literarischen Be-
deutung zuvorkommt (das ‚Wie‘) soll deshalb im Folgenden eine Vorgehensweise ge-
genübergestellt werden, die den Beitrag anerkennt, den sprechkünstlerische Gestal-
tungsmittel und stimmliche Charakteristika zur (künstlerischen) Kommunikation
leisten. Für diese Vorgehensweise ist auch die Stimme von kulturellen Praktiken ge-
prägt bzw. mitkonstituiert und in diesem Sinne Gegenstand einer Mediengeschichte der
Stimme, was gerade im Poesiefilm immer wieder thematisch wird. Die Beschäftigung
mit dem Poesiefilm macht es in besonderer Weise erforderlich, dichotomische Begriffs-
paare zu problematisieren. Bereits im Bereich der gesprochenen Dichtung überlagern
sich die Bereiche des Performativen und des Textuellen, die im gesprochenen Text, der
zugleich stimmliche Performance ist, ineinandergreifen. Im Fall des Filmes tritt das
Verhältnis von Performativität und Medialität hinzu, das durch die technische Auf-
zeichnung von Stimmen und Körperbildern virulent wird, deren Flüchtigkeit und Prä-
senz aufgehoben wird. Schließlich muss der scheinbare Gegensatz von Stimme und
Bild, sowie Hören und Sehen, in Frage gestellt werden, die im Zuge der filmischen
Rezeption in ein ständiges Wechselverhältnis gesetzt werden, das sich nicht als Addi-
tion ausdrücken lässt.
„[D]ie Stimme nicht länger primär als Medium der Wortsprache in den Blick“2 zu
nehmen, wird daher nicht das Ziel der vorliegenden Analyse sein. Nachvollziehbar als
Kritik an der Indienstnahme der Stimme als Vehikel sprachlicher Bedeutung, verschärft
diese Position die Aufspaltung der Stimme in Materialität und Zeichenhaftigkeit und
schreibt mit der Fokussierung auf stimmliche Überschreitungen und Totalausfälle von
Sprache die Vernachlässigung der stimmlichen Dimension gelungener sprachlicher
Äußerungen fort. Im Zusammenhang des Poesiefilmes interessieren aber gerade das

1
Siehe Doris Kolesch/Sybille Krämer: „Stimmen im Konzert“, 6; Sybille Krämer: „Die
,Rehabilitierung der Stimme‘. Über die Oralität hinaus“, in: Doris Kolesch/Sybille Krämer (Hg.):
Stimme. Annäherung an ein Phänomen, Frankfurt am Main 2006, 269–295. Hier: 290; Doris
Kolesch: „Zwischenzonen. Zur Einführung in das Kapitel“, in: Doris Kolesch/Vito Pinto/Jenny
Schrödl (Hg.): Stimm-Welten. Philosophische, medientheoretische und ästhetische Perspektiven,
Bielefeld 2009, 13–22. Hier: 16: „Als Spur des Körpers in der Rede eignet der Stimme ein doppel-
tes Vermögen: sie vermag gleichzeitig zu sagen und zu zeigen.“
2
Sybille Krämer: „Die ,Rehabilitierung der Stimme“, 287.
170 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

Zusammenspiel und das Ineinanderverschränktsein von stimmlichem Vollzug und Text,


gerade die Gefährdung oder Vollendung des vordergründig stabilen Sinns durch sein
stimmliches Erscheinen. Diese Reibung zwischen Stimme und Sprache lässt sich nicht
auf den Gegensatz von Wort und Klanglichkeit reduzieren, denn auch das ‚Wie‘ des
Sprechens, in Prosodie und Akzentuierung setzt „vielschichtige symbolische Bedeutun-
gen“1 ins Werk. Gleichzeitig ist in jeder sprachlichen Äußerung ein Nichtsprachliches
wirksam, dass sich seiner Symbolisierung widersetzt. Nicht allein die Störung der Spra-
che durch körperliche Spuren im stimmlichen Vollzug ist das Un-Erhörte. Die Schwie-
rigkeit besteht in der Unentscheidbarkeit zwischen Funktionalität und Dysfunktiona-
lität, mit der dysfunktionale Elemente im Kunstwerk das scheinbar nicht Vereinbare
dennoch realisieren, indem sie die Ausfallstellen der Symbolizität symbolisieren. 2 In
Poesiefilmen erfährt die Körperlichkeit von Stimmen oft eine forcierte Darstellung:
Atem, Husten und Nebengeräusche des Sprechens werden hörbar gemacht und schei-
nen gegen die durch das technische Medium eingetragene Distanz anzukämpfen. Wie
sich diese Phänomene zum poetischen Text, zum Gedicht, stellen und ob sie ein Außen
zum filmischen Text bilden, bleibt an einzelnen Gedichtfilmen zu untersuchen.
Die Lyrikerin Barbara Köhler studierte in den achtziger Jahren am Leipziger Litera-
turinstitut, 1991 veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband, trat aber auch als konge-
niale Übersetzerin experimenteller Literatur hervor. Immer wieder arbeitete sie außer-
dem mit bildenden Künstlerinnen und Künstlern zusammen. Barbara Köhler gehört zu
den zeitgenössischen Lyrikerinnen, die großen Wert auf die Performance ihrer Gedichte
legen. Das macht sich in ihrer außergewöhnlichen Vortragsweise bemerkbar, die große
Resonanz im Publikum zu erzeugen vermag, es zeigt sich aber auch in der Wahl ihrer
Veröffentlichungsmedien. Der Gedichtband NiemandsFrau: Gesänge erschien 2008 im
Verbund mit einer CD, für die die Autorin selbst die Texte eingesprochen hatte.3 Darü-
ber hinaus produzierte die Videokünstlerin Andrea Wolfensberger unter dem Titel
NIEMANDSFRAU: MOVIES acht Gedichtfilme, die die aufgezeichneten Gedichtvorträge
Köhlers in ein audiovisuelles Kunstwerk integrieren.
Köhlers Stimme, die in allen diesen Videos aus dem Off des Bildes zu hören ist, bil-
det in ihrer Ausdrucksstärke und ihrer Singularität das Zentrum der Filme. Sie erscheint
sehr nah, da sie nur recht leise gesprochen, dabei aber als vergleichsweise lautes Voice-
Over über die Videobilder gelegt wird. Darüber hinaus wird sie von keinerlei Hinter-
grundgeräuschen begleitet und ist so von der visuellen Ebene raumzeitlich abgetrennt.
Es ist etwas zu beobachten, was in den seltensten Fällen gelingt, nämlich dass die Bil-

1
Reinhart Meyer-Kalkus: „Literatur für Stimme und Ohr“, 182.
2
Diese Funktion ähnelt in ihrer Ambivalenz dem von Claude Lévi-Strauss beschriebenen Fall des
Schamanen und der Besessenheit in ihrer Stellung zum gesellschaftlichen System. (Siehe Claude
Lévi-Strauss: „Einleitung in das Werk von Marcel Mauss“, in: Soziologie und Anthropologie,
Frankfurt am Main 1978, 7–41).
3
Siehe Barbara Köhler: NiemandsFrau. Gesänge, Frankfurt am Main 2007. Siehe Abbildung 3.2.
Gesprochene Lyrik 171
der den Hintergrund zu dem auf der Tonebene Dargebotenen bilden. Dies ist zu einem
großen Teil dadurch begründet, dass auf diesen filmischen Bildern nichts ‚geschieht‘,
was einer Handlung gleichkäme – nur das blaue Meer ist zu sehen, das in ständiger
Bewegung ist. In der Ferne sind wohl manchmal Schiffe zu erkennen, keine maleri-
schen Segelboote, sondern riesige Frachtschiffe oder Tanker, aber sie verschwinden
wiederholt aus dem Bildkader, der sich durch die schaukelnde Bewegung der Kamera,
die auf der Oberfläche des wogenden Meeres treibt, fortwährend verschiebt. Es gibt
keinen festen Bezugspunkt, stattdessen wird der Beobachtungsstandpunkt selbst von
der Bewegung erfasst, die beschrieben werden soll: „(Die Beobachterin ist Teil des
Systems.)“ wie es im Motto des Buches leicht abgewandelt heißt. Der Gegensatz zur
bereits besprochenen Goethe-Verfilmung könnte größer nicht sein. Beim „Gesang der
Geister“ schweben die Beobachter „über den Wassern“ und beobachten die Formwan-
del des Elementes von einem imaginären Außen her, während die Rezitation Luise
Rainers in der Bildebene verankert ist, die Stimme also als eine verkörperte Stimme
erscheint, die aus dem Bild hervorgeht. Barbara Köhler dagegen spricht aus dem Au-
ßen, ihre Stimme ist medial von den Bildern und ihrem Körperbild getrennt, während
die visuelle Darstellung in das dargestellte Meer eingelassen, ein Teil von ihr ist. Die
Gegenüberstellung der beiden Gedichtfilme ergibt eine chiastische Struktur.
Die mediale Trennung von Stimme und Bild führt jedoch nicht notwendig zu ihrer
Entkörperung. Auch wenn die Koexpressivität von Stimme, Mimik und Gestik in NIE-
MANDSFRAU. MOVIES suspendiert ist, bleibt eine Spur des Körpers in den gespro-
chenen Versen dennoch hörbar. Die Blöße, mit der uns die Stimme entgegentritt, wird
in der Aufzeichnung nicht aufgehoben. Köhlers Stimme ist verhältnismäßig tief und
besitzt ein volles, warmes Timbre mit einer leichten, fast belegten Heiserkeit. Es ist
keine Stimme, die ihre leibliche Gebundenheit verleugnet. Geprägt von einer deutlichen
Nasalität und einer starken Hörbarkeit auch leichterer Atemzüge, ist sie weit entfernt
davon, eine Transparenz zum Gesprochenen hin herzustellen und bleibt stets in ihrer
Körperlichkeit präsent. Dies wird durch die Verstärkung des Mikrofons begünstigt, die
es erlaubt, die Stimme in einer großen Nähe zu halten. Köhlers Vortragsstil selbst, ein
bis zum Singen gehendes Intonieren des Metrums, das kaum Sinnakzente setzt, legt
größtes Gewicht auf die Musikalität und Rhythmik des Sprechens. Statt sich einer rea-
listischen, prosaisch phrasierenden Redeweise anzunähern, entfernt es sich vom alltags-
sprachlichen Parlando, um eine betont „unnatürliche“, sanghafte Form anzunehmen.
Damit kann Köhlers Vortragsweise als eine Tendenz zu einem sprechkünstlerischen
Stilwandel identifiziert werden, der sich von der sachlich-gedämpften, ja zuweilen mo-
noton Sprechweise, die sich seit den fünfziger Jahren besonders für lyrische Texte
durchgesetzt hat, stark unterscheidet:
Gegenüber dem pathetisch-hymnischen Auftreten eines Theodor Däubler oder Franz Werfel
oder dem scharf-ekstatischen Stil von Karl Kraus, befleißigten sich die Schriftsteller nach
1945 eines bewusst unterkühlten, ja distanzierten Darstellungsstils. Dies gilt insbesondere für
die Generation von Peter Handke und Helmuth Heißenbüttel. Absehbar, dass auch dieser Stil
172 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

durch neue Expressionismen abgelöst wird, die Generation von Michael Lentz und Christian
Utz liefert dafür genug Beispiele.1

Die musikalische Anmutung im Vortrag überrascht nicht, wenn man Köhlers Texte in
Betracht zieht. Um allen thematischen Strängen, die im Gedichtband Niemandsfrau.
Gesänge miteinander verwoben werden, zu folgen, fehlt hier freilich der Raum. Zu
dicht ist das Netz der mythologischen Bezüge, die in unerhörter Weise an Medientheo-
rie, Genderfragen und philosophische Themen anschließen. Mit dem Titel spielt Köhler
auf die Ausflucht des Odysseus an, der sich „Niemand“ nennt und damit den Zyklopen
in seiner Höhle überlistet. Die Gedichte wollen dagegen NiemandsFrau zur Sprache
bringen, die Anderen, die Zahlreichen, die eine Erzählung ermöglichen, jedoch aus ihr
verschwunden sind, und sie tun dies in Form von Gesängen: in einer zu singenden, also
stimmlichen Form und – in der Mehrzahl.2 Dabei wird die Stimme selbst thematisch,
am deutlichsten im Gesang 13, „Sirenen“, wo im Gesang der Fabelwesen sich die Alte-
rität der Stimme tout court verkörpert. Gleich zu Beginn evoziert das Gedicht in der
Rede der Sirenen das Auseinanderfallen des Zeichens in Klang und Bedeutung:
Ich sei ‚Ich bin‘: ein zeichen
das klingt springt / himmel und
hölle / entzwei gebrochnes wort
mein teil verschwiegen bin ich
gleiche ihm die verglichene er
kennt sich nicht im andern3

In den singenden Doppelwesen stellt sich Odysseus das Andere, das vom Zeichen Ver-
schwiegene bedrohlich entgegen, das Unentscheidbare, was es zu bezeichnen und zu
fixieren gilt: „mit bloßem ohr ein singsang an / klang echo & durchdringung wer / will
das auseinanderhalten […]“ (ebd.). Odysseus fesselt sich an seine Identität, „die qual
mit namen ‚ich‘„(47), während ihm in den Sirenen „selbander“ entgegentritt, die sich
„gleich ist“ und die die Fremde auszuhalten vermag, da sie ein Teil von ihr ist. Die
Sirenen sind Zwitterwesen aus Vogel und Frau, sie lassen sich nicht auf eine Identität
festlegen. Odysseus dagegen will sich alles gleichmachen. Zu diesem Zweck bedient er
sich der Sprache, in die er sich verstrickt: „in / eignen worten die den leib ent / eignen“.
Diese Enteignung des Leibes jenes an den Mast gebundenen Odysseus’ gleicht der
Enteignung des Leibes durch die Sprache, die die Psychoanalyse als Eintritt in das
Symbolische beschreibt.4 Doch auch der Sirenengesang wird verschwiegen, das Ereig-
nis der Stimme bleibt vom Sagen über (oder der Über-redung) ausgespart:

1
Reinhart Meyer-Kalkus: „Literatur für Stimme und Ohr“, 179.
2
Barbara Köhler: NiemandsFrau. Gesänge, 104.
3
Ebd., 46. Die Seitenzahlen in Klammern beziehen sich im Folgenden auf diese Ausgabe.
4
Siehe Jacques Lacan: „Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse“,
in: Schriften 1, Weinheim 1996, 72–169. Hier: 116.
Gesprochene Lyrik 173
als / Einer nicht unter anderem herr
der rede hat er das sagen über
redet verschweigt das singen
klingen springende stimmen die
keine antwort stehen lassen […] (48)

Das Verfahren der Unentscheidbarkeit durchzieht auch Köhlers Sprache. Oft sind syn-
taktische Einheiten unscharf voneinander abgegrenzt, so dass sie Interferenzen bilden,
die mehrere Lesarten möglich werden lassen. Heißt es: „es fesselt ihn das unbegreifli-
che“ oder „das unbegreifliche vor augen“? Keine der Deutungen lässt sich als verbind-
lich setzen und so gibt es konsequenterweise auch keine Hebungen oder Senkungen der
Stimme, die Anfang oder Ende von Satzeinheiten markieren würden. Vielmehr folgt der
Tonhöhenverlauf einem von der Phrasierung unabhängigen Muster, was sie in die Nähe
der Musik rückt. Köhler hebt die Mehrdeutigkeit, die eine programmatische Un-ein-
deutigkeit darstellt, durch ihre Rezitation nicht auf, sondern bewahrt sie.1 Damit ent-
täuscht sie auch etwaige Erwartungen, dass die Rezitation eine verbindliche, letztgülti-
ge Interpretation Textes sei, die durch die Autorität der Autorin beglaubigt würde.
Nicht nur thematisch also, nicht nur in der Verwirrung der linearen Erzählung, die in
der Odyssee, selbst durch die geschickte Organisation der erzählten Zeit, in keiner Wei-
se gefährdet wird, nicht nur im schwankenden Bild, das zwischen bewegtem Bildinhalt
und dem schaukelnden Standpunkt des Blickes keinen festen Bezugspunkt mehr anbie-
ten kann, auch im wellenförmigen, sanghaften Tonhöhenverlauf, auch im Auf und Ab
der Stimme, die keine syntaktischen Einschnitte deutlich macht, gibt sich dieses
Schwanken zu erkennen, es erfasst die Zuschauenden ein Schwindel, der dem des
Odysseus auf offener See gleichkommen könnte, kämpfte der nicht durch seinen eige-
nen ‚Schwindel‘ stets dagegen an. Köhler geht es nicht nur um ein Re-Writing des Ho-
merischen Epos aus weiblicher Perspektive, sondern auch darum, die Einzahl (wieder?)
zu vervielfachen, dem Eindeutigen das Vieldeutige und das Uneindeutige entgegenzu-
setzen, das gewissermaßen im Ausgesetztsein auf dem offenen Meer der Sprache sein
Bild finden könnte.
Der Vergleich von Luise Rainers Goethe-Vortrag und Barbara Köhlers Performance
führt gleichzeitig zu einer Gegenüberstellung von Schauspielerrezitation und Dichterle-
sung. Zunächst scheint es näher zu liegen, dass Schauspielende in ihrer Körperlichkeit
zurücktreten, um sich zum möglichst transparenten Medium des vorgetragenen Textes

1
Köhlers mit konstruktivistischen und kybernetischen Theoremen operierende Lyrik ist sich der
Problematik der eigenen Medialität natürlich bewusst. Das Motto „Die Beobachterin ist Teil des
Systems“ (8) und die umfangreichen Anmerkungen (Noten) am Ende des Buches verweisen auf
durchaus beabsichtigte Verbindungen. Das Problem des Status’ des Beobachters verknüpft den Be-
obachter Odysseus mit dem Gedankenexperiment der „Schrödingerkatze“: Die Beobachtung lässt
die Wellenfunktion kollabieren und beendet den chimärischen Zustand der Katze. Zuvor hatten die
Interferenzen der beiden möglichen Welten zur Unentscheidbarkeit von toter und lebendiger Katze
geführt.
174 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

zu machen. Beispiele, wie die legendären Lesungen eines Klaus Kinski oder eines Os-
car Werner zeigen jedoch, dass dies nicht unbedingt so sein muss. Verschiedenheiten in
der der Vortragsweise, im interpretierenden oder dienenden Verhältnis zum Text oder
in der Rolle des Vortragenden sind stärker an poetische Konzepte gebunden als an den
Unterschied zwischen Autoren- und Schauspielerlesung.1 Dies verhindert nicht, dass
die Dichterlesung im Selbstverständnis der Schreibenden und in der Erwartung des
Publikums bestimmte Funktionen annimmt. Wenn die eine verbindliche Vortragsweise
nicht im Text angelegt ist, wie es Eijchenbaum und Jakobson ja betonen, vielleicht, so
die Hoffnung, kann der Autor oder die Autorin, aufgrund eines privilegierten Zugangs
zum Sinn, die richtige anbieten?

3.1.2 Ton und Bild im Gedichtfilm

Für die Untersuchung von Poesiefilmen, genauer: von Gedichtfilmen als audiovisueller
Realisierung lyrischer Texte, sind zwei Merkmale des Filmtons von hervorgehobener
Bedeutung: seine materielle Bedingtheit und seine Verortung im filmischen Kontext.
An diese beiden Eigenschaften schließen sich zwei Leitfragen für die Analyse von Ge-
dichtfilmen an:
Zunächst: Was ist zu hören? Damit ist nicht an erster Stelle die Bedeutung geäußer-
ter Worte gemeint, sondern zunächst die Charakterisierung von Geräuschen. Verschie-
dene Oberflächen und Materialien haben je unterschiedliche Eigenschaften bei der
Reflektion der Lautstärke oder Frequenz von Schallereignissen, aus denen sich Rück-
schlüsse auf die Beschaffenheit von Räumen und Objekten der Umgebung ziehen las-
sen. Die Materialität von Gegenständen kann durch Geräusche, die durch Widerstände
oder Reibung entstehen, noch weiter betont werden. 2 Filmtontheoretiker Michel Chion
bezeichnet solche Toneffekte als indices sonores matérialisantes (I.S.M.).3 Darüber hin-
aus kann die Anordnung von Mikrofonen, mit der eine Nähe und Intimität bzw. Ferne
und Distanz der sprechenden Stimme erzeugt wird, die Klangwahrnehmung beeinflus-
sen. Eine zweite wichtige Frage lautet: Wo sind die Klangereignisse innerhalb des fil-
mischen Raumes zu verorten? Die Beantwortung dieser Frage liefert wichtige Hinweise
auf die Einbettung von Gedichten in die mediale bzw. narrative Struktur des Filmes. Es

1
Zur Poetik der Dichterlesung siehe Reinhart Meyer-Kalkus: „Literatur für Stimme und Ohr“; Ha-
run Maye: „Klopstock! Eine Fallgeschichte zur Poetik der Dichterlesung im 18. Jahrhundert“, in:
Harun Maye/Cornelius Reiber/Nikolaus Wegmann (Hg.): Original/Ton. Zur Mediengeschichte des
O-Tons, Konstanz 2007, 165–190.
2
Rick Altman: „General Introduction. Cinema as Event“, in: Rick Altman (Hg.): Sound Theory,
Sound Practice, New York 1992, 1–14. Hier: 23.
3
Siehe Michel Chion: Un Art sonore, 219. Siehe auch Dieter Mersch: Ereignis und Aura, 63f. Die
Betonung der Materialität betrifft freilich noch nicht die Medialität des Filmes selbst, sondern zu-
nächst die der sprechenden Stimme.
Gesprochene Lyrik 175
gilt zu beschreiben, ob sich Geräusche, Musik oder Gesprochenes in den durch die
Filmbilder gezeigten Raum einfügen, ob ihre Quelle visuell präsent oder akusmatisch –
das heißt unsichtbar – ist, ob sie an einem Ort verharren oder beweglich sind. Mit die-
sen Leitfragen soll die Rolle der Stimme, ihre Klanglichkeit und die der Bedeutung der
Worte zuvorkommende oder manchmal auch mitbedeutende Körperlichkeit, an der sie
Teil hat, Berücksichtigung finden, ohne dass ihre Einbettung in technisch-mediale Ge-
gebenheiten, ganz besonders ihr Bezogensein auf die Ebene filmischer Bildlichkeit
übergangen wird.
Neben der Eigenschaft, auf die materielle Beschaffenheit von Objekten und Räumen
zurückzuverweisen, steht Ton im Film stets in enger Beziehung zur visuellen Wahr-
nehmung. Diese Beobachtung formuliert der Phänomenologe Maurice Merleau-Ponty
bereits 1947 in einem Vortrag über die Anwendungsmöglichkeiten der Gestalttheorie
auf den Tonfilm:
Wir sind soeben abwechselnd auf Ton und Bild eingegangen. Aber in Wirklichkeit bildet ihre
Zusammenstellung noch einmal ein neues und nicht auf ihre kompositionellen Bestandteile re-
duzierbares Ganzes. Ein Tonfilm ist kein Stummfilm, der mit Tönen und Wörtern ausge-
schmückt wird, die lediglich dazu bestimmt wären, die kinematographische Illusion zu ver-
vollständigen. Das Band zwischen Ton und Bild ist viel enger, und das Bild wird durch die
Nachbarschaft des Tons transformiert.1

Für Michel Chion, einen der bedeutendsten Theoretiker des Tonfilmes, besteht in der
engen Verschränkung von Ton und Bild eine der grundlegenden Eigenschaften des
Mediums. Ton und Bild werden in unserer Wahrnehmung nicht lediglich aneinanderge-
fügt, sondern beeinflussen sich wechselseitig, so dass in unserer Wahrnehmung ein
Drittes entsteht. Klänge und Geräusche verändern nicht nur Stimmung oder Bedeutung
eines Bildes, sondern beeinflussen die Bildwahrnehmung selbst, indem sie einen sinnli-
chen, informativen, strukturellen oder expressiven Wert hinzufügen, den sogenannten
valeur ajoutée. Chion definiert valeur ajoutée, den Mehrwert, als den expressiven oder
informativen Zuschuss mit dem der Ton das Filmbild anzureichern vermag, dahinge-
hend, dass diese Zusatzinformationen im Bild selbst enthalten zu sein scheinen. Auch
der semantische Mehrwert, der aus dem Verständnis des gesprochenen Textes auf die
Wahrnehmung des Bildes projiziert wird, fällt bei Chion unter valeur ajoutée. Am be-
kanntesten ist sicherlich der emotionale bzw. affektive Mehrwert, der durch die Film-
musik beigetragen wird,2 doch der Effekt lässt sich auch bei der Wahrnehmung der
sprechenden Stimme beobachten.3 Durch den Ton kann das Bild darüber hinaus mit
dem Eindruck anderer Sinneswahrnehmungen angereichert werden, dem sogenannten

1
Maurice Merleau-Ponty: „Das Kino und die neue Psychologie“ (1947), in: Das Auge und der Geist.
Philosophische Essays, hg. von Christian Bermes, Hamburg 2003, 29–46. Hier: 40.
2
Michel Chion: L’Audio-vision. Son et image au cinéma, Paris 1994, 8f.
3
Chion erwähnt ein Filmbeispiel, in dem der dumpfe, schleppende Sound der Stimmen dem Film
eine gedämpfte Stimmung verleiht, die aber von den Bildern auszugehen scheint.
176 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

rendu, so dass es räumliche, thermische und taktile Sinneseindrücke vermittelt, die die
realistische Darstellung der Objekte bei weitem übersteigt.1 Kognitionswissenschaftlich
beruht dieses Phänomen auf der sogenannten intermodalen Assoziation (cross-modal
association), die unterschiedliche sinnliche Erfahrungen assoziativ verknüpft, was zu
der Annahme führt, sie stünden in einer kausalen Relation zueinander.2 Es ist dieses
Prinzip der intermodalen Assoziation, das dazu führt, dass wir die stilisierten Klänge
der Sounddesigner oder die Synchronisation fremdsprachiger Dialoge unwillkürlich
dem Ereignis zuschreiben, das auf der Leinwand zu sehen ist. Das Phänomen der inter-
modalen Assoziation ist als zu Grunde liegender Mechanismus Bedingung für weitere
Konzepte der Filmtheorie. Von Michel Chion stammt das weniger rezeptionsorientierte
Modell der „Synchrese“, das sich als Kofferwort aus den Bezeichnungen „Synchronis-
mus“ und „Synthese“ zusammensetzt und mit dem er die unwillkürliche Verbindung
bezeichnet, die zwischen einem akustischen und visuellen Phänomen hergestellt wird,
wenn beide gleichzeitig auftreten. Für die Untersuchung von Gedichtfilmen bedeutet
dies, dass weder die Beschreibung der sprechkünstlerischen Realisierung noch die Ana-
lyse der Tongestaltung oder der Bildebene voneinander zu trennen sind, da alle Berei-
che wechselseitig aufeinander einwirken. Gemeinsam bilden sie die Einbettung des
gesprochenen Gedichtes in die audiovisuelle Botschaft des Filmes. Dies lässt sich an
zwei Gedichtfilmen zeigen, die in sehr unterschiedlicher Weise mit Ton, Sprache und
Klang verfahren: EPILOG/PROLOG von Lars Büchel aus dem Film NICHTS_WEITER_ALS
(2005) und ALLES aus dem Film POEM. ICH SETZTE DEN FUß IN DIE LUFT UND SIE TRUG
(HILDE DOMIN) (2004) von Ralf Schmerberg.3 Bei aller äußerlichen Ähnlichkeit lässt
sich in einer genaueren Untersuchung der Ton-Bild-Beziehungen eine Reihe von Un-
terschieden feststellen, die sich mit dem jeweiligen Gedicht ins Verhältnis setzen las-
sen. Zwar widmen sich beide Filme einem zeitgenössischen deutschsprachigen Gedicht
und konzentrieren sich auf die Performance des Textes durch eine junge weibliche
Schauspielerin, die in einem industriellen Setting inszeniert wird, doch die Sprechposi-
tion und damit der Status des gesprochenen Gedichtes im Tonarrangement der Filme
sind grundlegend andere.
EPILOG/PROLOG aus NICHTS_WEITER_ALS erinnert unwillkürlich an ein Musikvideo.
Der Film besteht aus verschiedenen Aufnahmen auf dem Gelände einer Industrieanlage,
die durch keine weitere Chronologie oder Fiktion zusammengehalten werden. Im Mit-
telpunkt steht die Schauspielerin Fritzi Haberlandt. Ihre Rezitation des Textes von Arne
Rautenberg zeichnet sich durch einen ironisch-melancholischen Tonfall aus. Prosodisch
lässt sich dies an einer charakteristischen steigend-fallenden Tonhöhenbewegung bei
bestimmten Wortgruppen festmachen, zum Beispiel bei „süße Kugeln eingesammelt“.
Insgesamt spricht Haberlandt das Gedicht jedoch ohne große Schwankungen in Laut-

1
Siehe Michel Chion: Un Art sonore, 215.
2
Siehe Barbara Flückiger: Sound Design, 138.
3
Siehe Abbildungen 3.3 und 3.4.
Gesprochene Lyrik 177
stärke, Tempo oder Prosodie. Ihre Stimme ist gleichbleibend leise und weich, nur im
letzten Teil wird das Timbre etwas rauer. Obwohl das Sprechtempo relativ hoch ist,
entsteht nicht der Eindruck von Schnelligkeit. Zum einen, weil dreimal mehrsekündige
Pausen zwischen den Versgruppen gesetzt werden, zum anderen, weil die meisten
Filmbilder relativ statisch sind oder mit verlangsamter Geschwindigkeit ablaufen. Hin-
zukommt, dass die Musik auf der Tonspur in den Pausen zwischen den gesprochenen
Abschnitten wieder stärker in den Vordergrund tritt, so dass diese Unterbrechungen im
Text nicht als Stille wahrgenommen werden. Die Rezitation wird somit gewissermaßen
in die Filmmusik eingelassen, so dass es wirkt, als seien Musik und Stimme Teile einer
Komposition. Das Stück stammt von der Band Notwist und ist einem Track ihres Al-
bums Neon Golden1 entnommen. Neben den eigentümlich gezupften Streichinstrumen-
ten, ist ein schabendes, kratzendes Geräusch Teil dieser Soundcollage, die entfernt an
die Nebengeräusche sehr alter Tonaufnahmen erinnert, was in Verbindung mit dem
Text („weit weg vor langer Zeit“2) das Thema Zeitlichkeit und Erinnerung anklingen
lässt:
nichts weiter als

an trabantenbauten kaugummi
automaten verstopft
und zweimal am tag süße
kugeln eingesammelt nichts weiter
als weit weg vor langer zeit
hinter der turnhalle die haare
schneiden lassen fürs schulfest[…]3

Neben den Aufnahmen der rezitierenden Schauspielerin gibt es keine Synchronisations-


punkte zwischen Ton und Bild, so dass die sprechende Stimme den Bildern gewisser-
maßen äußerlich scheint. Es lassen sich kaum Atemgeräusche vernehmen, auch dort
nicht, wo der sich bewegende Körper der Performerin dies erwarten ließe. Fritzi Ha-
berlandt rezitiert „nichts weiter als“ im Modus eines Vor-sich-hin-Sprechens. Dabei
gruppiert sie die Verse des Gedichtes gemäß syntaktischer und sinngemäßer Einheiten
um. Nur an der Stelle „nachts von der schnellstraße zurück / in den vorort getrampte
lebensläufe“ hebt sie Tempo und Dynamik fast unmerklich an. Sie versieht das Wort
„nachts“ mit einem schwereren Akzent und verbindet die folgenden Wörter, ohne die
Stimme zu senken. Die Zeile „im schnelldurchlauf erhitzt“ dagegen vollzieht sie nicht
stimmlich nach, dafür übereilen sich hier die Filmbilder, die tatsächlich für Momente in
erhöhter Geschwindigkeit ablaufen, wobei sich auch die Schnittfrequenz kurz erhöht.

1
Notwist: Neon Golden, 2002.
2
Arne Rautenberg: „nichts weiter als“.
3
Arne Rautenberg: „nichts weiter als“, online unter
http://www.arnerautenberg.de/Text/Gedichte/nichts_weiter_als, zuletzt geprüft am 19.03.2014.
178 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

Ein Ansatz, dem Gedicht stimmlich und visuell einen Spannungsbogen zu verleihen, ist
also durchaus vorhanden. Dass Fritzi Haberlandt ihn ins Leere laufen lässt, ist ange-
sichts der Thematik des Textes nur konsequent: Nichts weiter als ist keine bitter ent-
täuschte, nur eine sanft resignierte Aufzählung der Kurzzeitfreiheiten, die den Ersatz
für den Traum vom großen Aufbruch bilden, für den es nicht gereicht hat.
Haberlandts Rezitation wird nicht durch Gesten begleitet, auch die Mimik bleibt die
meiste Zeit fast neutral, während der Blick starr in die Kamera oder an der Kamera
vorbei ins Leere geht, ein Ausdruck, der typisch ist für den Zustand der Introspektion
und Erinnerung, bei dem die Augen auf keinen Gegenstand fixiert sind. Sehen wir die
Darstellerin zu Beginn des Filmes mit Tränen in den Augen, so wird die damit verbun-
dene Assoziation von großer Emotionalität schnell verunsichert, denn bald darauf wird
klar, dass Haberlandt vor einer enormen Windmaschine steht, die so stark ist, dass so-
gar ihre Gesichtshaut in Falten geworfen wird.
So regungslos die junge Frau während der Rezitation bleibt, so voller Bewegung
sind die übrigen Einstellungen. Ihr Körper wird Wasser und Wind ausgesetzt, ihre Haa-
re wirbeln, sie fliegt durch die Luft, all dies filmisch verfremdet durch Zeitlupe, Zeitraf-
fer oder Rückwärtslauf. Dazwischen sind immer wieder Aufnahmen von Industrieanla-
gen, Zügen und Strommasten zu sehen, wobei eine starke Reduzierung der Farben fast
zu Graustufen vorherrscht, die die Aufmerksamkeit auf Hell-Dunkel-Kontraste lenkt.
Eine auffällige Betonung erfahren Texturen und Oberflächen: Wellblech, Wellen auf
dem Wasser, diffuser Lichteinfall durch riesige, staubige Fenster. Obwohl die gefilmten
Orte weitläufig sind und einige Halbtotalen, viele Halbnahe und nur wenige Nahauf-
nahmen1 vorkommen, vermittelt der Film wegen seiner sehr geringen Tiefenschärfe
einen Eindruck von Flächigkeit, der mit der Vortragsweise des Gedichtes korrespon-
diert. Die Rezitation bleibt den Bildern äußerlich, als sei sie Teil der Filmmusik. Sie
tönt sie ein und nimmt ihre Tönung an.
Während in NICHTS_WEITER_ALS das Gedicht als Begleitton zur Bildfläche er-
scheint, lässt der Film ALLES Tonräume entstehen, aus deren Tiefe der sprechende
Körper zu hören ist. Das Gedicht2 von Antonia Keinz bildet das erste Stück in Ralf
Schmerbergs Episodenfilm POEM – ICH SETZTE DEN FUß IN DIE LUFT UND SIE TRUG.
Schon mit der ersten Einstellung, der Detailaufnahme eines menschlichen Auges, wird
eine extreme Nähe zum Körper der Schauspielerin Carmen Birk hergestellt, die im Film
durchgängig beibehalten wird. Es dominieren Nah- und Großaufnahmen von dem Ge-
sicht der jungen Frau, die sich mit den wenigen halbnahen und halbtotalen Einstellun-
gen abwechseln, in denen man sie bei verschiedenen Aktionen in einer dunklen Halle
zwischen Säulen und Betonwänden sieht. Sie hangelt sich an einem Seil entlang, rennt,
springt, wirbelt mit den Armen oder spiegelt sich in einer Pfütze. Die Szenerie wird von

1
Das Verhältnis beträgt etwa 1,5:2:1. Die Großaufnahmen machen weniger als ein Drittel aus.
2
Im Folgenden stets zitiert nach Antonia Keinz: Alles. Gedicht, DVD Booklet, Berlin 2002.
Gesprochene Lyrik 179
mehreren hektisch zuckenden Lichtkegeln beleuchtet, die die langen Schatten verzer-
rend in Bewegung setzen. Zu Beginn sehen wir die sehr unscharfe Nahaufnahme einer
jungen Frau, die sich langsam fokussiert. Erst dann beginnt die Frau zu sprechen. Ihre
sprechkünstlerische Performance unterscheidet sich stark von Haberlandts Vortrag.
Statt mit einer Rezitation hat man es hier mit der „leidenschaftlichen Selbstentäuße-
rung“1 der Deklamation zu tun, die sich in die Sprechrolle ganz hineinversetzt.2 Nicht
von ungefähr spricht in Alles ein Ich, das „will“, „möchte“ und wünscht. Dieses Ich
wird im Film schauspielerisch verkörpert. Dabei kommt die Kamera ihm so nah, dass
wir seinen Körper während des Sprechens kaum im Ganzen sehen. Überdeutlich wer-
den die ohnehin schon prägnanten Augen der jungen Frau durch Beleuchtung und Ein-
stellungsgröße betont. Doch auch die Stimme wird durch das Mikrofon so nah herange-
holt, dass wir noch den leisesten Atemhauch vernehmen. Zwischen Flüstern und
Schreien durchmisst die Schauspielerin eine große Spanne stimmlicher Ausdrucksfor-
men, deren emotionale Extreme manchmal unvermittelt wirken. Die junge Frau beginnt
zunächst verhalten, sie setzt viele Pausen, flüstert, ihr Atem zittert ein wenig. Die Zeile
„Vogel werden …“ ruft sie laut und gedehnt mit einer geschulten klaren, vollen Stim-
me, die auch in der Lautstärke noch nuancieren kann. Dabei kommen auch „tonmaleri-
sche Effekte“3 zum Einsatz. So wird zum Beispiel die Zeile „Schwimmend ein Meer“
von der Tonhöhe her wesentlich tiefer gesprochen als die vorhergehende, das sehr hell
klingende „Himmel sein“. Zudem entsteht durch die Dehnung der Worte, die deren
sonorante Lautfolge noch betont und durch das geringere Tempo, tatsächlich ein Ein-
druck von Tiefe und Weite. Während die nachfolgenden Zeilen unentscheidbar zwi-
schen einem naiv-leiernden und einem rätselhaft-drohenden Tonfall gehalten sind, folgt
mit der Zeile „Glauben Alles, Allesallesalles sei für immer so“ eine wütende, sich mit
jedem Wort in ihrer Dynamik, Tonhöhe und Tempo steigernde Tirade. Die laut heraus-
gerufene Frage: „Was würde mir fehlen ohne mein Leben?“ wird nach einer langen
Pause mit einem zögernden „Das Leben?“ beantwortet, das kurz darauf beim „Alles?“
in ein furchtsames Wimmern umschlägt, das von einem kindlichen Trampeln begleitet
wird. Die Ausrufungszeichen des geschriebenen Textes verwandeln sich durch die am
Ende der Wörter gehobene Stimme in Fragezeichen und verunsichern ihn damit. Den-
noch lässt sich die stimmliche Gestaltung nicht bruchlos einer Dramaturgie oder Span-
nungsführung zuordnen. Viele der durch Geschwindigkeit und Dynamik markierten
Wechsel im Vortrag folgen unvermittelt aufeinander. Im letzten Teil kehrt die Stimme

1
Johann Wolfgang von Goethe: „Regeln für Schauspieler“, in: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher
und Gespräche. Ästhetische Schriften 1771–1805, hg. von Karl Eibl/Hendrik Birus/Dieter
Borchmeyr, Frankfurt am Main 1998, 857–860.
2
„Die Worte, welche ich ausspreche, müssen mit Energie und dem lebendigsten Ausdruck hervor-
gebracht werden, so daß ich jede leidenschaftliche Regung als wirklich gegenwärtig mitzuempfin-
den scheine.“ (Ebd., §20).
3
Reinhart Meyer-Kalkus: Stimme und Sprechkünste, 189.
180 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

noch einmal zu einem leisen Flüstern zurück, das mit jeder Zeile unmerklich etwas von
seiner Stimmhaftigkeit zurückgewinnt:
[…]
Könnten doch Alle,
sich wie Blütensamen
dem Wind anvertrauen
frei von morgen und gestern
wie Blitze in der Dunkelheit
Den Himmel in der Tasche.

Deutlich hebt sich schließlich die letzte Zeile ab. Das wieder gerufene „Den Himmel in
der Tasche“ ist von einer Zäsur geprägt, die durch einen deutlichen, stimmhaften, fast
lachenden Atemzug markiert wird. Zum ersten Mal klingt die Stimme froh und über-
schwänglich. Gleichzeitig wird die Nahaufnahme der jungen Frau durch ein nächtliches
Stadtpanorama überblendet. Ein langsamer Schwenk über die entfernten, im Dunkel
leuchtenden Lichter verwirklicht den Wunsch nach Weite und entlässt den Blick end-
lich andeutungsweise aus seiner Begrenzung. Ganz im Gegensatz zu NICHTS_WEI-
TER_ALS, wirken Ton und Bilder in ALLES sehr stark aufeinander. Vor allem die Stim-
me hat einen großen Anteil an der Herstellung der unheimlichen Raumatmosphäre. Sie
besitzt einen starken Hall, was den Effekt hat, dass gerade bei den lauten, kraftvoll nach
außen gesprochenen oder geschrieenen Versen umso deutlicher wird, wie der Schall
von kahlen Wänden zurückgeworfen wird und die Geschlossenheit des Raumes spürbar
macht. Ein Phänomen übrigens, dass in der Inszenierung des Filmes selber wieder ins
Spiel gebracht wird. An einer Stelle sehen wir eine Nahaufnahme der jungen Frau. Sie
atmet ein, beugt sich leicht vor und ruft laut ihr: „Was würde mir fehlen ohne mein
Leben?“, um dann innezuhalten und dem Nachhall ihrer eigenen Stimme zu lauschen,
die sich von ihrem Körper getrennt hat und noch sekundenlang durch den Raum hallt.
Wir sehen ihre Augen hin- und herwandern bis der Ton verklungen ist.1 Dieser Effekt
des rendu durch den Ton ergibt sich auch aus dem Geräusch tropfenden Wassers, das
die Kühle und Feuchtigkeit einer Höhle ins Bild ‚einträgt‘. An anderer Stelle erklingt
ein pfeifendes Sirren, wie es ein schnell durch die Luft gewirbelter Gegenstand erzeugt.
Durch die verschiedenen Klänge erhalten wir erst eine Vorstellung von der Tiefe und
Beschaffenheit des Raumes, die uns wiederum Temperatur, Schnelligkeit und sogar
Gerüche assoziieren lässt.
Wenn zu sehen ist, wie die junge Frau des Filmes in der flackernd aufgehellten Dun-
kelheit gegen Wände anrennt oder in der drängenden Enge eines Winkels hockt, wird
sie selbst noch von der Kamera bedrängt, eingefangen in extremen Großaufnahmen, die
ihr Gesicht an den Bildrändern abschneiden. Zunächst scheint all dies einen scharfen

1
Oder das Echo wird mit der Wiederholung der Wörter betraut, die schon im Text angelegt ist:
„Könnten doch Alle / wie Nomaden wandern, / wandernwandern / immer weiter ziehen“ (Antonia
Keinz: Alles).
Gesprochene Lyrik 181
Kontrast zur Freiheitssehnsucht des Gedichtes zu erzeugen, die in dessen Luft- und
Wassermetaphorik gefeiert wird. Doch spannen bereits die ersten Zeilen „Weite im
Kopf / Im Herzen Welten“ einen Widerspruch auf. Der Kontrast zwischen „Weite und
Innenraum“1, Wünschen und Begrenzung, ist thematisch schon im Gedicht angelegt
und wird mit den filmischen Mitteln von Ton und Bild lediglich radikalisiert.
In Gedichtfilmen, wo das gesprochene Wort ein starkes Eigengewicht besitzt und
nicht in Dialogen der Spielfilmhandlung aufgehoben ist, ist grundsätzlich mit einer
markierten Verbindung von Ton und Bild zu rechnen. W.J.T. Mitchell beschreibt mit
dem Begriff „braiding“, das Verweben verschiedener Sinneskanäle oder Zeichenfunkti-
onen, besonders in der filmischen Suture. Dagegen grenzt er die Vorgehensweise von
Experimentalfilmen der sechziger und siebziger Jahre ab, die Ton- und Bild-Spur tren-
nen.2 Ähnlich wie die visuelle Montage ist auch der Bereich der Ton-Bild-Beziehung,
ein theoretisch umstrittenes und ästhetisch aufgeladenes Thema; einer der Bereiche
jedenfalls, in dem sich das Abweichen des Gedichtfilmes vom Modell des narrativen
Spielfilmes am deutlichsten manifestiert. Bereits die Experimentalfilmerin Maya Deren
erblickte in einem asynchronem Verhältnis von Ton und Bild eine genuin poetische
Verfahrensweise. Die Kombination von Worten und Bildern erzeuge nicht zwingend
Redundanz, erklärt sie, einen gängigen Vorwurf zurückweisend, sondern könne sogar
ein starkes poetisches Moment erzeugen, dann nämlich, wenn der Ton nicht einer The-
ater-Tradition folgend aus dem Bild hervorgeht, sondern eine eigene Dimension bildet:
[I]t is the two things together that make the poem. It’s almost as if you were standing at a win-
dow looking out into the street, and there are children playing hopscotch. Well, that’s your
visual experience. Behind you, in the room, are women discussing hats or something, and
that’s your auditory experience. You stand at the place where these two come together by vir-
tue of your presence. What relates these two moments is your position in relation to the two of
them. They don’t know about each other, and so you stand by the window and have a sense of
afternoon which is neither the children in the street nor the women talking behind you but a
curious combination of both, and that is your resultant image, do you see? And this is possible
in film because you can put a track on it.3

Indem sie die Frage nach einer synchronen oder nicht-synchronen Verwendung des
Filmtons in die Debatte einführt, verweist Deren auf ein zentrales Thema. Sie enthüllt
das poetische Potential, das sich in der technischen Trennung von Bild und Ton ver-
birgt. Während ein realistischer Gebrauch des Tons gerade das wiederholen würde, was
auf der Bildebene zu sehen ist, kombiniert der poetische Film die Worte auf dem
Soundtrack mit Bildern aus einem anderen Zusammenhang. Anders als den frühen
Filmtheorien geht es Deren jedoch nicht nur um eine Vermeidung von Redundanz. In
der Formulierung der curious combination sind Konzepte wie Synchrese, rendu oder

1
Juliane Moschell: Lyrik – Verfilmt, 84.
2
W.J.T. Mitchell: „There are no Visual“, 401.
3
Willard Maas/Amos Vogel: „Poetry and the Film“, 179.
182 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

cross modal association im Ansatz bereits vorweggenommen. Wenn Deren also über
die privilegierte Position des Subjektes spricht, das als Einziges eine Relation zwischen
den beiden zusammenhangslosen Ereignissen herstellt, referiert sie nicht nur auf die
traditionelle Vorstellung des Lyrischen als der Gattung des Subjektiven, sondern be-
schreibt auch die Verknüpfung konkreter sinnlicher Eindrücke zu einer neuen Erfah-
rung, die in keine der beiden Einzelerfahrungen aufzulösen sei („neither the children in
the street, nor the women talking behind you“).
Nicht zufällig erinnern Derens Bemerkungen an eine andere Feststellung, die bereits
in den zwanziger Jahren von den drei russischen Regisseuren Pudovkin, Ejsenštejn und
Alexandrov getroffen worden ist. Auch sie fordern eine nach dem Prinzip der visuellen
Montage gedachte kontrapunktische Verwendung des Tons. Die drei Filmtheoretiker
kritisieren die von ihnen als naturalistisch bezeichnete Verwendung des Tons, haupt-
sächlich aufgrund der negativen Auswirkungen, die sie auf die Kunst der Montage
zukommen sehen. Bei einer Übereinstimmung von Ton und visuellen Montage-Ele-
menten, verlöre das einzelne Montagestück seine Bedeutung.1 Daraus resultiert die
bekannte Forderung:
Nur eine kontra-punktische Verwendung des Tons in Beziehung zum visuellen Montage-Be-
standteil wird neue Möglichkeiten in der Montageentwicklung und Montage-Perfektion erlau-
ben. Die erste experimentelle Arbeit mit dem Ton muss auf seine deutliche Asynchronisation
mit den visuellen Bildern ausgerichtet werden.2

Barbara Flückiger hat darauf hingewiesen, dass als ‚asynchron‘ in den zwanziger Jah-
ren auch Klangereignisse bezeichnet werden, die außerhalb des Bildkaders lokalisiert
sind. Eine Unterscheidung zwischen inner-diegetischen und extra-diegetischen Klang-
ereignissen ist damit demnach noch nicht angesprochen. Die Forderung nach einer
asynchronen Montage des Filmes richtet sich vor allem gegen eine Redundanz von
Gehörtem und Gesehenem, bezieht sich also auf „Sprache oder Geräusche von unsicht-
baren Objekten“3, die außerhalb des Bildkaders verortet werden. Vor allem die Film-
theoretiker der historischen Avantgarde und Moderne reagieren verhalten auf den rea-
listischen Gebrauch des Tons.
Solchen normativen Forderungen nach einem kontrapunktischen Einsatz des Tons
steht der Filmwissenschaftler Michel Chion skeptisch gegenüber; er besteht darauf,
dass die künstlerische Verwendung des Tons zu akzeptieren sei, die sich in der Filmge-
schichte durchgesetzt hat und bis heute tatsächlich praktiziert wird. Die Gründe die er
dafür angibt, führen in das Herz von Chions Theorie. Zum einen, konstatiert er, ist die
Montage von Ton und Bild nicht als solche wahrnehmbar, da es in der Tonmontage
kein Äquivalent zur visuellen Einstellung gibt, welche etwa für die Montagetheorie

1
Siehe Sergej Ejsenštejn/Wsewelod I. Pudovkin/Grigorij W. Alexandrov: „Manifest zum Tonfilm“,
in: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films, Stuttgart 2003, 54–57. Hier: 55.
2
Ebd.
3
Barbara Flückiger: Sound Design, 135.
Gesprochene Lyrik 183
Ejsenštejn das Grundelement darstellt.1 Zum anderen erschweren es die Gleichzeitigkeit
von Ton und Bild, diese überhaupt als getrennte Elemente wahrzunehmen. Aufgrund
der sich unwillkürlich vollziehenden Synchrese schreiben wir akustische und visuelle
Wahrnehmungen derselben Quelle zu, sobald sie simultan auftreten.2
Chion weist sich damit zwar als Kritiker der avantgardistischen Forderung eines rein
kontrapunktischen (vertikalen) Gebrauchs des Tons aus, räumt aber doch ein, dass bei
einigen audiovisuellen Formaten wie dem Videoclip eine gewisse horizontale Freiheit
möglich ist. Der Videoclip mit seinen parallelen audiovisuellen Ketten, die häufig nur
lose miteinander verbunden sind, weist als Ausgleich stärkere Verknüpfungen auf der
perzeptiven Ebene auf. Durch sogenannte points des synchronisation, die die audiovi-
suellen Reihen rhythmisieren, werden sie immer wieder zusammengehalten.3 Im Mu-
sikvideo sind diese Synchronisationspunkte mit der rhythmischen Durcharbeitung auf
visueller und akustischer Ebene gegeben, aber auch in vielen Gedichtfilmen sind ähnli-
che Muster zu beobachten. Die Verknüpfung des gesprochenen Textes auf der Tonspur
mit der Bildebene ist lose, wodurch neue unerwartete Verknüpfungen auf der perzepti-
ven Ebene entstehen können. Wie aber lässt sich dieses Neue, das aus der unerwarteten
Kombination von Ton und Bild entsteht, konzeptionell beschreiben?
Die deutsche Filmtheoretikerin und Tonmeisterin Barbara Flückiger entwickelt Mi-
chel Chions Konzept des valeur ajoutée weiter, indem sie es als eine Modifikation und
damit als dynamische Form der Bedeutungserzeugung beschreibt. Aus der Interaktion
eines akustischen und eines optischen Objektes geht ein Drittes hervor, das mit keinem
der beiden Einzelobjekte übereinstimmt. Je mehr aber ein Geräusch vom prototypi-
schen Durchschnitt abweicht, desto komplexer wird die Interaktion und desto höher ist
der erzeugte Mehrwert (valeur ajoutée) zu veranschlagen.4 Diesem Modell zufolge
wäre der Mehrwert dann am größten, wenn die Interaktion zwischen Ton und Bild weit
von Redundanz entfernt ist, indem sie möglichst untypische, mehrdeutige Konzepte
einbindet und dadurch ein gewisses Maß an „Verrätselung“ erzeugt wird, ohne dabei
jedoch in die maximale Differenz zu kippen, bei der sich überhaupt kein Zusammen-
hang mehr herstellen lässt: „Der von Ejsenštejn, Clair und anderen geforderte Kontra-
punkt ist deshalb so selten und hat sich im Mainstream-Film nicht durchgesetzt, weil er
sich an diesem riskanten Ende der Skala befindet.“5 Die Begriffe „Verrätselung“ und
„Abweichung“ von der Typikalität führen zurück zu einer Auffassung der kontrapunk-

1
Siehe Michel Chion: Un Art sonore, 182.
2
Siehe ebd., 192.
3
Siehe Michel Chion: L’Audio-vision, 34. Nicht zufällig erinnert die Argumentation an strukturalis-
tische Bestimmungsversuche lyrischer Spezifika. Wie bei lyrischen Texten wird ein Mangel an ho-
rizontaler Kohärenz durch eine bestimmte Form der Überstrukturierung ausgeglichen. (Siehe dazu
Jürgen Link: „Elemente der Lyrik“, 90).
4
Barbara Flückiger: Sound Design, 141ff.
5
Ebd., 145.
184 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

tischen Ton-Bild-Beziehung als einem lyriktypischen Verfahren: 1. Das Prinzip der


Verrätselung ist innerhalb der Lyrikforschung ein entscheidendes Kriterium zur Be-
stimmung der Gattung.1 2. Das Prinzip der offenen Montage, wie es in der modernen
Ästhetik entwickelt und in der Filmtheorie insbesondere von Ejsenštejn propagiert
wird, würde angewendet auf die Montage von Ton und Bild, nicht zur Integration, son-
dern in ähnlicher Weise zu poetischen Effekten führen, wie sie auch in der Montage
von Bildern entstehen kann.2 Durch das Erzeugen neuer unerwarteter Zusammenstel-
lungen wird eine Entautomatisierung der Wahrnehmung bewirkt. Das intermodale Zu-
sammenspiel von Ton und Bild lässt sich daher in seiner Funktionsweise mit der Meta-
pher vergleichen.3 Auch in diesem Sinne muss die Untersuchung des Verhältnisses von
Ton und Bild, unter besonderer Berücksichtigung des gesprochenen Gedichtes, als
Schlüssel für das Verständnis von Gedichtfilmen gelten.
Obwohl Chions Theorie des Tonfilmes insgesamt auf das narrative Kino fokussiert
bleibt und nicht-narrative, experimentelle audiovisuelle Formen, wie auch Dokumentar-
filme, nur am Rande berücksichtigt, bieten seine Konzepte eine fruchtbare Grundlage
für die Beschreibung der speziellen Ton-Bild-Verhältnisse im Gedichtfilm. Mit seinem
Modell des Tri-Cercle liefert er ein differenziertes Beschreibungsvokabular für die Ver-
ortung von Klangereignissen, das aber auch für unbestimmbare Klänge und Zwischen-
töne offen bleibt.
Chion unterscheidet drei Bereiche des Tons: Sprache, Geräusche oder Musik sind
entweder dem son in (On), hors-champ (Off-Screen) oder dem son off (Off) zuzuord-
nen. Während als On oder On-Screen alle Tonereignisse gelten, deren Quelle (oder
vermeintliche Quelle) gleichzeitig im Bild zu sehen ist, bezeichnet das Off-Screen den
Raum außerhalb des Bildkaders. Geräuschquellen, die sich dort befinden, sind Teil der
filmischen Diegese und könnten jeden Moment, etwa durch Bewegungen, Schnitt,
Schwenk oder Fahrt wieder ins Bild gelangen. Das Off dagegen ist gleichbedeutend mit
dem nicht-diegetischen Raum des Filmes, denn Tonereignisse aus dem Off sind nicht
Teil der diegetischen Welt der Filmszene, sind also einer anderen raum-zeitlichen Sphä-
re zuzuordnen. In Spielfilmen ist das Off typischerweise der Ort der Filmmusik oder
der Voice-Over-Erzählung, die auch Erzählung aus dem Off genannt wird. Die Voice-
Over-Erzählung wird in Spielfilmen meist nur zurückhaltend eingesetzt, gilt sie doch
als unfilmisches Verfahren, das von der „eigentlichen“ visuellen filmischen Ebene ab-
lenkt. Die Off-Erzählung ist im Spielfilm in typischer Weise mit einer ganz bestimmten
Redeweise assoziert. Sie ist Rede als Text (parole-texte): „[L]e son de la parole a une
valeur de texte en soi, capable comme celui d’un roman de mobilisier, par le simple

1
Rüdiger Zymner etwa spricht von einer „Diversifikation der Aufmerksamkeitsspuren“ (Rüdiger
Zymner: Lyrik, 112).
2
Siehe Kapitel 2.1, Sergej Ejsenštejn: „Dramaturgie der Film-Form“.
3
Siehe Barbara Flückiger: „Zum Mehrwert in der Ton/Bild-Beziehung“, in: Maren Butte/Sabina
Brandt (Hg.): Bild und Stimme, Paderborn 2011, 160–177. Hier: 166.
Gesprochene Lyrik 185
énoncé d’un mot ou d’une phrase, les images de ce qu’il évoque.“1 In den Gedichtfil-
men bildet die Voice-Over-Stimme den Normalfall, mit der Einschränkung, dass es sich
bei den aus dem Off gesprochenen Texten natürlich nicht um Erzählung, sondern um
gesprochene Lyrik handelt. Matthias Müllers Verfilmung NEBEL (2000) von Ernst
Jandls „Gedichten an die Kindheit“ beispielsweise, bedient sich durchgehend der aus
dem Off sprechenden Stimme. Texte und Musik werden kontrapunktisch mit den Film-
bildern kombiniert. Die Geräusche aber, die sich dem Off-Screen der Bilder zuordnen
lassen, stellen eine Brücke zwischen Bild und Ton her. Meeresrauschen, das Pfeifen
und Heulen des Windes und Geräusche des Dschungels sind dabei überdeutliche oder
stark stilisierte Geräusche, die einen Gegensatz zu der verblassten, körnigen Qualität
der Filmaufnahmen bilden. An anderer Stelle bewirken sie einen Fiktionsbruch, etwa,
wenn ein Knistern, Schaben und Kratzen die verrauschten, schadhaften Super-8-
Aufnahmen begleitet, die in den Film hinein montiert sind. Das Geräusch ist dann nicht
einer Quelle im Bild zuzuordnen, entstammt nicht einer Quelle, die vom Bild gezeigt
wird, sondern scheint dem abspulenden Filmbild selbst zuzugehören und trägt so zu
einer (fingierten) Betonung der filmischen Materialität bei.
Stimmen und Geräusche, deren Quellen (und das heißt immer auch vermutete Quel-
len) nicht im Bild sind, heißen nach Chion „akusmatisch“. Dies sind die scheinbar kör-
perlosen Stimmen, die wir hören, ohne dabei gleichzeitig jemanden zu sehen. Das Phä-
nomen der akusmatischen Stimmen umfasst ein ganzes Spektrum von Ausnahmen und
Besonderheiten, in denen sich Stimmen nicht ohne weiteres einer Zone des Schemas
zuordnen lassen. So ist etwa beim inneren Monolog zwar die Person im Bild, deren
Gedanken wir hören, dennoch sehen wir deutlich, dass sich ihre Lippen nicht bewegen.
Woher stammt also die Stimme, die wir vernehmen? Ähnliche Schwierigkeiten ergeben
sich bei verdeckten Geräuschquellen oder internen Klangereignissen, seien sie objektiv
wie ein Herzschlag oder subjektiv, wie Klangereignisse in der Vorstellung von Figuren.
Gerade dort, wo die Stimmen und Geräusche nicht eindeutig zuzuordnen sind, wo sie in
der Schwebe bleiben oder gar überraschend eine Grenze überschreiten, entstehen be-
sondere Effekte. Diese können aber erst dadurch Kontur gewinnen, dass sie sich von
den gewohnten Relationsweisen zwischen Ton und Bild abheben. Solches Spiel mit den
Relationen von Stimme und Bild prägt auch viele Gedichtfilme.
Ein Beispiel für ein besonders virtuoses Spiel mit dem Ort der Stimme ist der Ge-
dichtfilm PIRATENLEBEN2 von Friederike Jehn, die Arne Rautenbergs Gedicht „nichts
weiter als“ in einen Kurzfilm mit klassischen Erzähltechniken einbettet. In einem Dia-
log zwischen einer Mutter und ihrer jugendlichen Tochter Nora wird der generationen-
typische Konflikt um ein Piercing ausgetragen. Die anschließende familiäre Kaffeetafel

1
Michel Chion: Un Art sonore, 65. „Die Rede als Text, son-parole, hat einen Wert als Text an sich
und ist wie ein Roman in der Lage, durch die einfache Äußerung eines Wortes oder eines Satzes,
die Bilder dessen, was er evoziert zu mobilisieren.“ (Übers. S.O.).
2
NICHTS_WEITER_ALS, siehe Abbildung 3.5.
186 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

im idyllischen Garten bildet den Rahmen für eine Szene, in der Noras sichtliches Unbe-
hagen und ihr Gefühl des Unverstandenseins gegenüber den übrigen Anwesenden zu
einer Annäherung an ihren vermutlich demenzkranken Großvater führt. Nora wendet
sich mit der Frage „Hast du sie auch so gehasst – die Jugend?“ an den alten Mann, der
ihr freilich nicht antwortet. Das auf der Tonspur präsente Stimmgemurmel und Ge-
schirrklappern verstummt einen Moment, um sich sogleich, angekündigt durch ein
brausendes Geräusch, zu verstärken und schließlich durch Verzerrungen und hohe Fre-
quenzen einen bedrängenden Charakter zu bekommen. Währenddessen geht die Mon-
tage vom Schuss-Gegenschuss-Prinzip zu einer Detailaufnahme der Augen des Groß-
vaters über, die sich mit dem sprechenden Mund Noras abwechselt. Schließlich
schwenkt die Kamera von Noras Mund zu ihrem Auge. Plötzlich verstummen alle Hin-
tergrundgeräusche, während der Stimmklang Noras, die nun beginnt, das Gedicht
„nichts weiter als“ zu sprechen, näher kommt, weicher und leiser wird. Deutlich ver-
nehmen wir nun sogar organische Eigentümlichkeiten ihres leicht nasalen Sprechens.
Den zweiten Teil des Gedichtes rezitiert eine gealterte, männliche Stimme, die wir un-
willkürlich mit dem Großvater identifizieren. Während der Rezitation sind schnell
wechselnde Einstellungen spielender Kinder, Pflanzen, Blüten und Beeren zu sehen,
die aus der diegetischen Umgebung der Filmszene entnommen sein könnten, aber durch
optische und akustische Effekte verfremdet wirken. An keiner Stelle jedoch wird deut-
lich, wo die sprechenden Stimmen zu verorten sind. Weder sprechende, noch schwei-
gende Münder sind im Bild zu sehen, sondern nur die Augen der Figuren, was den
Effekt hat, dass die Stimmen einem Schwebezustand zwischen hors-champ und off des
Bildes zu entstammen scheinen. Ton und Bildkomposition entrücken das Gedicht in
einen anderen Raum und entheben es der diegetischen Zeit. Ob es sich um den Innen-
raum der Figuren oder auch eine extradiegetische Kommentarebene handelt, bleibt aber
ausdrücklich im Unklaren. Ein knipsendes Geräusch, synchronisiert mit einem Lid-
schlag in Detailaufnahme, beendet diesen lyrischen „Augenblick“. Während die Szene
auf der Tonebene wieder in die umgebende Geräuschkulisse eintaucht, hebt auch die
visuelle Montage die vorübergehende Isolierung der Figuren auf und holt sie in den
Kreis der Familie zurück, indem diese nun in einer letzten halbtotalen Einstellung um
den Kaffeetisch versammelt gezeigt werden. Im Spielfilm ist ein solches Überschreiten
der Grenze zwischen diegetischem und nicht-diegetischem Off (frontière off/hors-
champ), die nach Chion die mysteriöseste Grenze darstellt, eine der empfindlichsten
Bewegungen, mit der die Geschlossenheit der Diegese selbst verunsichert wird. Da es
sich in beiden Fällen um akusmatische Geräusche handelt, muss das Hinüberwechseln
in den jeweils anderen Bereich für das Publikum unsichtbar bleiben. Gleichzeitig un-
terminieren derartige Übertretungen, die (wie Chion formuliert) Verankerung des Fil-
mes in seinem raum-zeitlichen Grund. Seine Einschätzung, an einer Beobachtung des
Filmes INDIA SONG von Marguerite Duras gewonnen, ließe sich auf viele Poesiefilme,
vielleicht auf den Poesiefilm überhaupt, ausweiten:
Gesprochene Lyrik 187
Cette frontière du hors-champ et du off existe […], mais ses limites sûres ne sont pas repérées
– alors que c’est elle qui fait communiquer le monde des absents (de l’image dans le présent)
avec un monde au-delà, qui peut être celui des disparus. Et l’ouverture de cette frontière, qui
signifie la perte des limites, est bien ce que l’on peut faire de plus poétiquement mortifière au
cinéma.1

Chion betont übrigens, dass der Ton allein keinen Rückschluss auf seine Verortung
geben kann, da sich diese ausschließlich in Beziehung zum filmischen Bild und zur
filmischen Diegese herausbildet. Dennoch können Veränderungen in der Beschaffen-
heit von Geräuschen, besonders in Bezug auf Räumlichkeit und Nähe, einen Wechsel
zwischen den verschiedenen Zonen markieren, wie es etwa bei einem Wechsel vom
dialogischen Sprechen im On zur extradiegetischen Off-Erzählung oft der Fall ist. In
einer Szene des Filmes DER HIMMEL ÜBER BERLIN (1987) findet ein solcher Wechsel in
prägnanter Weise statt. Der Engel Damiel trifft an einem Unfallort ein und lauscht den
letzten Gedanken eines verunglückten Motorradfahrers, die im Film von einer Off-
Stimme gesprochen werden. Schließlich tritt er zurück und entfernt sich langsam. Der
in diesem Moment stattfindende Wechsel vom inneren Monolog ins nicht-diegetische
Off ist deutlich mit einem Wechsel in Timbre, Sprechweise und räumlicher Verortung
der Stimme des Motorradfahrers gekennzeichnet. Klingt sie während der Sterbeszene
auf der Brücke brüchig und schwach, fast flüsternd, so erhebt sie sich mit dem Weg-
gang des Engels aus größerer Nähe und Klarheit. Sie hat die diegetische Welt des Fil-
mes verlassen und spricht nun aus einem extra-diegetischen Raum, dem Jenseits. In
Form eines Voice-Overs „schwebt“ diese Stimme, die nun von ihrem Körper und damit
ihrem räumlichen Bezug gelöst erscheint, über verschiedenen Luftaufnahmen von Ber-
lin.

3.1.3 Stimme aus dem Diesseits – Ernst Jandl: „glauben und gestehen“

Wie sich die Analyse von sprechkünstlerischer Gestaltung, Ton-Bild-Beziehung, Film-


ton und Montage zusammenschließen können, um der Interpretation des Gedichtes im
audiovisuellen Medium gerecht zu werden, soll am Beispiel von Ralf Schmerbergs
Gedichtfilm GLAUBEN UND GESTEHEN2 gezeigt werden, der die körperliche Gebunden-
heit der Stimme selbst zum Thema macht.
Die Druckversion des Gedichtes „glauben und gestehen“ von Ernst Jandl gehört zu der
Sammlung der gelbe hund, die 1980 erstmals erschien und vielen als erneuter Wende-

1
Ebd., 234. „Diese Grenze zwischen hors-champ und off existiert, aber ihre sicheren Grenzen sind
nicht gekennzeichnet, daher ist sie es, die die Welt der Abwesenden (vom gegenwärtigen Bild) mit
einer Welt im Jenseits kommunizieren lässt, welche die der Verschwundenen sein kann. Und die
Öffnung dieser Grenze, die den Verlust der Begrenzungen bedeutet, ist so ziemlich das auf poeti-
sche Weise Tödlichste, was man dem Kino antun kann.“ (Hervorhebung und Übers. S.O.).
2
POEM (2002), siehe Abbildung 3.6.
188 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

punkt innerhalb der Jandl’schen Poesie gilt. Mehr als je zuvor kreisen die Gedichte des
Bandes um Tod, Sterblichkeit1 und Religiosität2 und weniger als in den früheren
Sprechgedichten scheint hier die Selbstreflexion von Sprache und Klanglichkeit im
Mittelpunkt zu stehen. Das Gedicht beginnt mit den Worten „ich glaube / daß“, denen
eine acht Zeilen umfassende „und“-Aufzählung folgt. Litaneihaft wiederholt sich dabei
das Satzmuster und nennt alle „toten die ich lebendig gekannt habe“ mit Ver-
wandtschaftsgrad und Namen, denen das poetische Ich, wie sich in der letzten Zeile der
ersten Strophe herausstellt, nie wieder zu begegnen glaubt. Hier ermöglicht die Verb-
Endstellung des deutschen Nebensatzes die Volte, dass sich das „ich glaube“ erst am
Ende der Strophe gewissermaßen in sein Gegenteil verkehrt: Durch das „niemals ir-
gendwo wieder“ wird daraus ein: „ich glaube nicht“. In der zweiten Strophe folgt dann
das Geständnis des lyrischen Subjektes, dieses Wiedersehen auch gar nicht zu wün-
schen. Nicht aus Hass oder Verbitterung, wie ein Einschub deutlich betont, denn mit
einer Angabe von Gründen hält sich das Gedicht gar nicht erst auf. Dafür ist das poeti-
sche Ich in seiner Aussage endgültig und ausschließlich, was sich in dem Superlativ
„nicht den leisesten Wunsch“ und Worten wie „jemals“, „niemals“ und „irgendwo“
zeigt.
Man kann die Sprechakte selbst (das „Ich glaube“ und das „Ich gestehe“) als zentra-
les Thema des Gedichtes auffassen, wie auch der Titel es konventionell nahelegen wür-
de. Das Geständnis ist klassisches Beispiel einer performativen Äußerung, bei der der
Sprechakt sich selbst bezeichnet und so, sprechend, eine Handlung vollzieht. Es gehört
sogar zu den „ursprüngliche[n] Performativa“3, die fest mit dem Ritual verbunden sind
und „Restbestände einer magischen Praktik im rituellen Reden“4 darstellen. In seiner
wohl elaboriertesten Form ist der Sprechakt des Gestehens in den Kontext des Ge-
richtsprozesses oder der Beichte eingebettet. Insofern ist „glauben und gestehen“ zwar
kein Sprechgedicht, aber vielleicht ein Sprechaktgedicht. Performativ ist auch das Ver-
weisen auf und gleichzeitige Auslassen einer Stelle, die nie direkt bezeichnet wird,
sondern im „jemals irgendwo wieder“ absolut verneint bleibt: das Jenseits.
Eine sorgfältige Lektüre des lyrischen Textes kann erste Anhaltspunkte bieten, erste
Fragen aufwerfen, doch die Analyse eines Poesiefilmes muss über das hinausgehen,
was mit einer Gedichtinterpretation zu erfassen wäre, denn GLAUBEN UND GESTEHEN
gibt mehr zu hören – und zu sehen – als den vorgetragenen Text. Im Folgenden sollen

1
Siehe hierzu Klaus Jeziorkowski: „Der gelbe Hund. Ein Verfahren und ein Verlaufen“, in: Michael
Vogt (Hg.): „Stehn JANDL gross hinten drauf“ Interpretationen zu Texten Ernst Jandls, Bielefeld
2000, 113–128. Hier: 120f.
2
Siehe Bernhard Fetz: „Der Dichter und der liebe Gott. Ernst Jandls choral im Kontext seiner religi-
ösen Gedichte“, in: Volker Kaukoreit/Kristina Pfoser (Hg.): Gedichte von Ernst Jandl, Stuttgart
2002, 116–130. Hier: 122.
3
Sybille Krämer: „Sprache-Stimme-Schrift“, 41.
4
Ebd.
Gesprochene Lyrik 189
die stimmliche Realisierung des Gedichtes und ihre sprechkünstlerische Gestaltung
näher untersucht werden. Um die Verortung der Stimme im Film an Chions Modell des
Tri-Cercle zu verdeutlichen, soll zunächst der Beginn des Filmes beschrieben werden.
GLAUBEN UND GESTEHEN setzt mit einem kräftigen Orgelakkord ein, dessen Herkunft
zunächst noch unklar bleibt, da die Kamera einige Augenblicke auf den verschlungenen
Händen eines Paares verharrt. Erst die zweite Einstellung zeigt einen Organisten vor
seinem Instrument, den wir (dank Synchrese) als Urheber dieser Musik identifizieren,
wodurch sie als Teil des diegetischen Raumes gekennzeichnet wird. Die Szene, die sich
in den darauf folgenden Einstellungen Stück für Stück zur Darstellung einer Hochzeits-
zeremonie zusammensetzt, scheint sich in einer Kirche abzuspielen. Nacheinander wer-
den einige spielende Kinder gezeigt, eine Hochzeitsgesellschaft sowie Halbtotalen von
jüngeren und älteren Hochzeitsgästen. Mit der elften Einstellung, der Segnung der
Braut, setzt mit den Worten „glauben und gestehen“ eine donnernde Stimme ein. Ihr
Sprechduktus, ihr hallender Klang und die religiöse Konnotation der Worte, die sie
spricht, lassen sie uns sofort einem nicht im Bild befindlichen Prediger zuschreiben. Sie
wäre dann, wie die eben gehörte Orgelmusik, dem diegetischen Raum der Hochzeits-
szene zuzuordnen. Doch dieser Eindruck täuscht. Zwei Einstellungen später hat die
Szenerie gewechselt. Zu sehen sind nun die Hochzeitsgäste beim Beglückwünschen
und Anstoßen in einem Garten. Viele sehr kurze Einstellungen, Detail- und Nahauf-
nahmen wechseln in schneller Folge, während auf der Tonspur die männliche Stimme
mit der Deklamation des Jandl-Gedichtes fortfährt. Sie ist somit vom vermuteten hors-
champ in das Off des Bildes gewandert und spricht nun von einem anderen Ort und aus
einer anderen Zeit. Was gesagt wird, ist nicht Teil der Bildhandlung, ebensowenig, wie
es eine Hochzeitspredigt ist.
Der Schauspieler Herbert Fritsch deklamiert „glauben und gestehen“ nicht nur mit
ausgedehnten Pausen von bis zur vier Sekunden zwischen den Versen, sondern er setzt
selbst die einzelnen Wörter oftmals stark voneinander ab, so dass das Gedicht, das syn-
taktisch aus zwei langen Sätzen mit altertümlich markierter Wortstellung1 besteht, re-
gelrecht in seine Einzelteile zerhackt wird. Dem entspricht die ungewöhnliche Bild-
montage, die oft nur sekundenlange Einstellungen aneinanderreiht, ohne sie jedoch
nach klassischen Montageverfahren (wie z. B. Schuss-Gegenschuss) zu einer einheitli-
chen Erzählung oder Raumdarstellung zu verbinden. Einen thematischen Zusammen-
hang stiftet lediglich die in vier Etappen ablaufende Hochzeitsfeier (Kirche, Garten,
Festessen, Tanz), die aber nur das Bildmaterial für die Gedichtdeklamation liefert, die
das eigentliche Zentrum des Filmes bildet. Die Montage ist während der ersten Strophe

1
Im ersten Nebensatz kommt die Aufzählung der Dativobjekte vor dem Subjekt „ich“, in der zwei-
ten Strophe ist ein ganzer Objektsatz mit mehreren Adverbialbestimmungen dem Subjekt und Prä-
dikat vorangestellt.
190 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

so gestaltet, dass die Nennung eines Namens meist mit mehreren Bildern von Personen
entsprechenden Alters und Geschlechts zusammenfällt.1
Die Deklamation des Schauspielers setzt sich deutlich von gewohnten Mustern eines
zeitgenössischen Lyrikvortrages ab.2 Folgt man der Unterscheidung von Beatrix Schön-
herr, hat man es hier zweifellos mit einem „pathetischen“ oder „emphatischen“ Sprech-
stil zu tun; wie die Verwechslung mit einem Prediger zu Beginn des Filmes bereits
angedeutet hat.3 Insgesamt zeichnet sich der Vortrag durch große Dynamik sowie eine
hohe globale Tonhöhe aus, die auf eine hohe Körperspannung schließen lässt. Auffällig
sind besonders die hohen Akzentgipfel, die den Tonhöhenverlauf bei bestimmten Wör-
tern sehr stark ansteigen lassen. In einigen Wortgruppen, wie zum Beispiel bei „mei-
nem toten Großvater Anton“, tritt außerdem eine ungewöhnlich starke Dehnung und
sogar ein steigend-fallender Tonhöhenverlauf auf dem Wort „meinen“ hinzu. An man-
chen Stellen setzt Fritsch mit dem Tremolo ein kaum mehr gebräuchliches und daher
veraltet wirkendes Stilmittel ein. Ähnlich verhält es sich mit seinem gerollten „r“, das
sich stark überhöht und stilisiert ausnimmt. Kommt es anfangs nur in wenigen Verbin-
dungen vor, so häuft es sich zum Ende hin. Der Vortrag ist durchgehend von Steige-
rungen geprägt und wird durch sie strukturiert. Nach sechs Versen steigert sich zu-
nächst die Dynamik, zudem häufen sich die Akzente. So wird zum Beispiel auch die
Konjunktion „und“ jedes Mal stark betont, was den Eindruck einer großen Dringlich-
keit erweckt. Die letzten zwei Zeilen der ersten Strophe sind nochmals durch eine deut-
liche Häufung von nun noch stärker markierten Akzenten gekennzeichnet. Auch das
Tremolo tritt hier vermehrt auf, bei einem Wort wie „niemals“ im Verbund mit einer
starken klangsymbolischen Dehnung. Mit Beginn der zweiten Strophe geht Fritsch ins
Schreien über, wobei er interessanterweise auch die Pausenlänge noch einmal bedeu-
tend erhöht, nämlich auf vier Sekunden zwischen den Zeilen und zwei bis drei Sekun-
den zwischen den Wörtern:
ich gestehe
daß irgend einem von ihnen
wie sehr ich ihn auch geliebt haben mochte
jemals irgendwo wieder zu begegnen
ich nicht den leisesten wunsch hege.4

1
Ein Beispiel: „… meinen to- [Detail: Zigarette] ten [essende Frau] onkeln [Mann wirbelt Kind
herum] und [Mann und Frau] tanten [zwei gestikulierende Frauen] …“.
2
Gemeint sind die intimen, leicht monotonen Sprechweisen moderner Lyrik, aber auch die rhythmi-
schen oder hektisch-stolpernden Formen des Spoken Words.
3
Siehe Beatrix Schönherr: „,So kann man das heute nicht mehr spielen!‘. Über den Wandel der
sprecherischen Stilideale auf der Bühne seit den 60er Jahren“, in: Maria Pümpel-Mader/Hans Mo-
ser (Hg.): Sprache – Kultur – Geschichte. Sprachhistorische Studien zum Deutschen, Hans Moser
zum 60. Geburtstag, Innsbruck 1999, 145–169. Hier: 148f.
4
Hier und im Folgenden Ernst Jandl: Der gelbe Hund, Darmstadt 1980, 103.
Gesprochene Lyrik 191
Fast jedes Wort wird einzeln stark akzentuiert, so dass kaum mehr ein Sprechfluss er-
kennbar ist. Die übermäßig langen Pausen zwischen den Wörtern führen aber nicht
dazu, dass der Zusammenhang verlorengeht. Im Gegenteil, erwartet man wie gebannt
den Fortgang des Sprechens, wobei das Ende des Gedichtes durch die Schlussposition
des Verbs lange in der Schwebe bleibt – eine Offenheit, die es ermöglicht, dass sich den
Rezipienten potentielle Ergänzungen aufdrängen. Der tatsächliche Abschluss wiederum
kann dann umso überraschender und verwirrender wirken. Schließlich, da wo die
Stimme ins Schreien kippt, das fast parodistisch wirkt, weil es entfernt an das Über-
schnappen politischer Fanatiker erinnert, tritt gleichzeitig die Brüchigkeit und Rauheit
der Stimme zu Tage, die ihrem eigenen Anspruch nicht genügt. Eine begrenzte Stimme,
die nun in die Höhe schnellt, um noch weiter an Kraft zu gewinnen, weil sich die Laut-
stärke allein an einem Körper nun einmal nicht regeln lässt. Eine Stimme vielleicht, die
gegen eine Übermacht ankämpft, die ihre körperliche Geringfügigkeit und Vergäng-
lichkeit ist; dort, wo im Sprechen ein Machtanspruch spricht, enthüllt sie sich erst recht.
Wo wir an die warmen, freundlichen, schmeichelnden Mikrofonstimmen der herkömm-
lichen Off-Erzählung gewöhnt sind, verstört dieses aufdringliche, extensive Sprechen.
Im Spielfilm liegt gerade beim inneren Monolog eine intime Sprechweise nahe. Hier
aber lässt sich diese nahtlose Fügung von Bild und Ton nicht aufbauen. Auch die Spre-
cherposition, die Fritsch mit seiner Deklamation einnimmt, schließt sich nicht als Rolle
auf, hat keinen „Sinn“. Es bleibt unklar, von welchem Ort, aus welcher Zeit diese
Stimme spricht. Sie bringt uns Jandls Text nicht näher, sondern macht uns die scheinbar
so einfachen Sätze fremd. Sie rückt sie ab von den Bildern, aber auch von der Logik
von Lyrik als intimem Gefühlsausdruck.
Bemerkenswert ist, dass auf der Tonspur außer der sprechenden Stimme nur ganz
vereinzelt einige prägnante Tonereignisse hörbar gemacht werden. Die globale Klang-
atmosphäre, bestehend aus Hintergrundgeräuschen, einem Grundlärm und Stimmenge-
wirr, die den Bildern gewöhnlich erst den valeur ajoutée einer gewissen Lebendigkeit
und Tiefe geben, ist sehr stark zurückgenommen. Nur hin und wieder ertönt ein isolier-
tes Lachen, Kindergeschrei, das Schaben der Suppenkelle im Topf oder Gläserklirren.
Diese scheinen an einigen Stellen sogar eine Akzentuierung des Gesprochenen zu bil-
den. Am Ende der ersten Strophe ist die Rezitation über einige Einstellungen gelegt, die
Redner und Zuhörende einer Festansprache zeigt, die für uns unhörbar bleibt. Doch mit
dem Abschluss des Verses „ich niemals irgendwo wieder begegnen werde“ brandet auf
der Tonspur plötzlich der die innerdiegetische Ansprache quittierende Applaus auf, der
einige Einstellungen lang anhält und selbst noch zu einem Geräusch aus dem off wird,
das mit einer Einstellung des verlassenen, dämmernden Gartens kombiniert wird.
Fast wie in einem Stummfilm rollen die kurzen Einstellungen geisterhaft nacheinan-
der ab.1 Besonders im letzten Teil des Filmes, der in etwa mit der zweiten Strophe des

1
Auch die meisten Super-8-Familienfilme wurden ohne Ton aufgenommen und abgespielt.
192 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

Gedichtes zusammenfällt, wird die Stille dieser tonlosen Schattenwelt besonders deut-
lich. Dort sind verschiedene Paare in einem dunklen Saal beim ausgelassenen Tanzen
zu sehen. Doch die rhythmischen Bewegungen der Körper und Lippen, die zudem
durch eine leichte Zeitlupe verfremdet sind, werden nicht durch die dazugehörige Mu-
sik erklärt und bestätigt. Auch die Farben sind den Bildern in der Dunkelheit nun ent-
zogen. Diese schwarz-weiße Szenerie wird nur von den zuckenden Lichtblitzen der
Discobeleuchtung momentweise aufgehellt. Scheinen sonst die akusmatischen Stimmen
dazu prädestiniert, unheimliche Geistererscheinungen darzustellen, so kehrt sich diese
Konstellation in GLAUBEN UND GESTEHEN geradezu um. Die in den Bildern präsentierte
Welt erscheint immer mehr wie die Darstellung eines Totenreiches und die Rezitation
des Gedichtes als eine gegen den Tod anschreiende Stimme aus dem Diesseits. So ver-
binden sich die im Gedicht wiederholt aufgerufenen Toten und die nächtliche Festszene
zum Motiv des Totentanzes. Über eine bloße Illustration des Gedichtes hinausgehend,
erwächst aus der Rekombination von Ton- und Bild, die technisch getrennt entstanden
sind, ein Drittes, das in keinem von beiden für sich allein enthalten war.

3.2 Schriftbasierte Gedichtfilme


3.2.1 Typographie im audiovisuellen Medium

Eine Rezitation durch die Stimme ist nicht der einzige Weg, den das audiovisuelle Me-
dium für die Umsetzung von Lyrik bereithält. Auch in ihrer schriftlichen Gestalt lassen
sich Gedichte prinzipiell in einen Film bzw. in ein analoges oder digitales Video integ-
rieren, wobei sie vielfältige Formen annehmen können. Der geschriebene Text kann in
Untertiteln oder Zwischentiteln den filmischen Bildern beiseite gestellt werden oder als
graphisches oder computeranimiertes Element über die Bilder gelegt bzw. in sie inte-
griert werden. Ebenso kann das Gedicht auf abgefilmten materiellen Schriftträgern
platziert werden, wodurch es Teil des Realfilmes wird. Schließlich gibt es reine Schrift-
filme, in denen die schriftlichen Elemente nicht von Bildern begleitet werden, sondern
selbst die Hauptrolle spielen. Jede dieser Möglichkeiten impliziert eine andere Funktion
von Schrift und einen unterschiedlichen Stellenwert des geschriebenen Gedichtes in-
nerhalb seines audiovisuellen Kontextes.
Für die schriftliche Integration von Lyrik ins audiovisuelle Medium gibt es eine
Vielzahl von Vorbildern und Vorläufern, denn anders als bei akustisch präsentierten
Gedichten drängt sich hier nicht automatisch der Spielfilm oder Experimentalfilm als
Vergleichsgröße auf. Schrift, schon seit der Erfindung des Filmes Teil audiovisueller
Botschaften, wird besonders außerhalb künstlerischer Formen in Werbung und Fernseh-
formaten oder als Teil von deren Randbereichen (wie Titelsequenz, Untertitel, Zwi-
schentitel, Abspann) ganz selbstverständlich mit bewegten Bildern und Musik kombi-
Schriftbasierte Gedichtfilme 193
niert. Zwei Bereiche, die neben den traditionellen Titelsequenzen als besonders wichtig
für die Verwendung von Schrift im Film angesehen werden, haben auch im Zusammen-
hang mit dem Poesiefilm Impulse gegeben: zum einen experimentelle Schriftfilme, zum
anderen „Werbefilm und TV-Design“1.
Da die wechselseitige Beeinflussung von Schrift und Bild ein Thema von ausgespro-
chen großer Reichweite ist, sollen auf den nächsten Seiten jene Aspekte des Themas in
den Mittelpunkt gestellt werden, die für den Poesiefilm spezifisch sind.2 Dazu gehören
vor allem das Element der Bewegung, das Film, analoges Video und digitales
Bewegtbild den potentiellen Eigenschaften der Schrift hinzufügen und die im audiovi-
suellen Medium evozierte Räumlichkeit. Das Interesse gilt vor allem dem Zusammen-
spiel von poetischer Aussage, bildlichen Elementen und Schriftgestaltung sowie der
Reflexion von Medialität und Materialität der Schrift, die seit den Experimenten der
literarischen Moderne poetische Schreibweisen geprägt hat.
Dabei sollen schriftlich verfasste Gedichte nicht allein als sprachliche Repräsentatio-
nen untersucht werden, die sich inhaltlich zu den Bildern in ein Verhältnis setzen, son-
dern auch dem „Selbstwert der Schriftzeichen“3 Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Sind im vorangegangenen Kapitel performative, stimmliche und sprechkünstlerische
Aspekte vorgetragener Lyrik untersucht worden, geht es nun in analoger Weise um das
„Schriftzeichen in seiner Eigenwertigkeit, seine visuelle und haptische Materialität,
seine Konkretheit, Dinglichkeit und Körperlichkeit“4. Schrift ist nicht allein Aufzeich-
nungsmedium und Kulturtechnik des Gedächtnisses, sie lässt sich auch als „graphisches
und pikturales Ereignis“5 inszenieren. Davon zeugen die prächtig illuminierten mittelal-
terlichen Handschriften ebenso wie kunstvoll gestaltete chinesische Kalligraphien.6 In
ihrem „Oszillieren zwischen Schreiben und Malen“7 lässt besonders Kalligraphie die
schöne äußere Form der sprachlichen Bedeutung mindestens ebenbürtig werden. Bild-
lichkeit und Materialität der Schrift werden gerade in künstlerischen Zusammenhängen,

1
Siehe Harald Pulch: „Type in Motion. Schrift in Bewegung“, in: Hans-Edwin Friedrich/Uli Jung
(Hg.): Schrift und Bild im Film, Bielefeld 2002, 13–31. Hier: 22.
2
Der Begriff „Poesiefilm“ bezeichnet in der Terminologie dieser Studie alle audiovisuellen Werke,
die auf einem sprachlich verfassten Gedicht beruhen und bildet damit einen Überbegriff für die so-
genannten Gedichtfilme, die sprachlich verfasste Gedichte mündlich oder schriftlich integrieren
und für Lyrikadaptionen, die auf einem Gedicht basieren.
3
Erika Greber/Konrad Ehrlich/Jan-Dirk Müller: „Einleitung“, in: Erika Greber/Konrad Ehrlich
(Hg.): Materialität und Medialität von Schrift, Bielefeld 2002, 9–16. Hier: 9.
4
Ebd.
5
Barbara Naumann: „Bewegung. Einleitung“, in: Christian Kiening (Hg.): SchriftRäume. Dimensio-
nen von Schrift zwischen Mittelalter und Moderne, Zürich 2008, 351–360. Hier: 353.
6
Siehe ebd.
7
Uwe Wirth: „Sprache und Schrift“, in: Thomas Anz (Hg.): Handbuch Literaturwissenschaft. Ge-
genstände – Konzepte – Institutionen, Bd. 1, Stuttgart 2007, 203–213. Hier: 204.
194 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

im Bereich der Dichtung relevant. Eine literarische Reflexion auf das Medium „Schrift“
setzt nicht erst mit den experimentellen Arbeiten eines Mallarmé oder Apollinaire ein:
Besonders die Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts bietet eine Fülle von Versuchen, die Ei-
gendynamik der Schrift zu begreifen und sie nicht mehr nur als ein neutrales Werkzeug auf-
zufassen, das unabhängig von ihr erzeugte Gedanken fixiert. Nicht zufällig treten deshalb die
Komplikationen und Bewegungen der Schrift in Übertragungsbeziehungen zu anderen Dar-
stellungsformen, die von vornherein auf das Anschauen, also auf die sinnliche Wahrnehmung
durch den Blick ausgerichtet sind: auf die bildende Kunst und die Malerei.1

Was in diesem Sinne für Autoren wie E.T.A. Hoffmann, Adalbert Stifter oder William
Blake gilt, lässt sich auch für den Bereich des schriftlich verfahrenden Poesiefilmes
zeigen. In dem Moment, wo Geschriebenes mit anderen visuellen, vor allem bildlichen
Elementen in Verbindung tritt, wird jene Transparenz und Durchlässigkeit, die mit der
Zeichenhaftigkeit der Schrift einhergeht, suspendiert. Der Fokus verschiebt und erfasst
Schrift nicht allein als visualisierte Sprache, sondern als „ikonisches oder indexi-
kalisches Zeichen“2, das zur semantischen Bedeutung hinzutritt, sie verstärkt, ergänzt
oder ihr widerspricht.
In welchem Maße und in welcher Weise die Gestaltung der Schrift deren Textfunk-
tion beeinflusst, fällt höchst unterschiedlich aus. Das Spektrum möglicher Verhältnisse
reicht von der zurückhaltenden, angenehmen Schrift über das üppig schmückende Or-
nament bis zur sinnverstärkenden, ikonischen Formgebung. Susanne Wehde hat in ihrer
umfassenden Studie zur Typographischen Kultur die Grundproblematik typographi-
scher Semantik auf den Punkt gebracht:
Zentrales Leitprinzip typographischer Schriftentwürfe ist das Lesbarkeitspostulat. Der Lettern-
Typus als kollektives Vorstellungsmodell und allgemeine Formationsregel dient bei der Ge-
staltung von Druckschriften als Regulativ. Zentrales Leit-Prinzip typographischer Textgestal-
tung ist das Diktum der Form-Inhalt-Entsprechung. Für die Auswahl und Anordnung von
Schrift bei der Textgestaltung aber gibt es keine dem Typus vergleichbare Regelungsinstanz,
die zu bestimmen erlaubt, welche typographische Formgebung einem singulären Textinhalt als
‚entsprechend‘ erachtet werden kann. Aus diesem Grund ist das Verhältnis von typographi-
scher Form und sprachlichem Inhalt in der Geschichte der Typographie immer wieder Gegen-
stand kontroverser Diskussionen.3

Gilt es noch heute manchen als Kriterium für eine gelungene typographische Gestal-
tung, dass das Schriftbild nicht ablenkend auf das lesende Auge wirkt, indem es wei-
testgehend unbemerkt bleibt,4 so werden im Poesiefilm, der darin in der Tradition von
Werbung, Industriedesign und künstlerischer Avantgarde steht, Schriften in ihrem se-
mantischen Eigenwert und ihrer potentiellen Bildlichkeit zur Verstärkung der sprach-

1
Barbara Naumann: „Bewegung. Einleitung“, 355.
2
Uwe Wirth: „Sprache und Schrift“, 204.
3
Susanne Wehde: Typographische Kultur. Eine zeichentheoretische und kulturgeschichtliche Studie
zur Typographie und ihrer Entwicklung, Tübingen 2000, 147.
4
Siehe ebd., 146.
Schriftbasierte Gedichtfilme 195
lichen Bedeutung herangezogen oder wie in der konkreten visuellen Poesie in ihrer
eigenen Medialität thematisiert. In typographischen Werbespots oder Musikvideos, in
denen Schriftzüge den dominanten Gegenstand bilden, wird augenfällig, wie viele Di-
mensionen der Schrift über deren Funktion als Sprachzeichen hinaus zum Gesamtein-
druck beitragen. Farbe und typographische Gestaltung der Schrift (Größe, Lage, Stärke,
Breite und Anordnung) sowie die Schriftbewegungen und -metamorphosen sind bei der
Interpretation schriftlicher Gedichtfilme zu berücksichtigen.1
Ein erstes wichtiges Analysekriterium betrifft die Unterscheidung zwischen Hand-
schrift und Druckschrift. Wird mit dem historischen Wechsel von der Handschrift zur
Druckschrift2 im Allgemeinen eine mediengeschichtliche Zäsur markiert, muss gleich-
zeitig daran erinnert werden, dass die Handschrift im Bereich der privaten Kom-
munikation sowie im Bildungsbereich neben der technisch reproduzierten Schrift fort-
besteht. Brief, Tagebuch, Mitschrift und Notiz, sind Textsorten, die auch in den Zeiten
der Schreibmaschine und schließlich der elektronischen Textverarbeitung eine Affinität
zur Handschrift bewahrt haben. Gegenüber der Druckschrift zeichnet sich Handschrift-
liches durch eine größere Nähe zum Zeichnen oder Malen aus. Anders als bei standar-
disierten Drucktypen lässt sich jede handschriftliche Äußerung als Spur der vorange-
gangenen Schreibbewegung lesen und kann als indexikalisches Zeichen Aufschluss
über den Schreibenden geben.3 Die der Handschrift anhaftenden Idiosynkrasien verkör-
pern sich nicht nur in der Rechtsgültigkeit der Unterschrift, sondern sind darüber hinaus
Gegenstand der Graphologie, die aus der Handschrift Rückschlüsse über die Persön-
lichkeit der Schreibenden zu gewinnen sucht.4 All diese kulturellen Zuschreibungen
können mit der Verwendung von Handschriften auch im Poesiefilm aufgerufen werden.
Handschriftliche Texte konnotieren das Provisorische, das Skizzenhafte, den Entwurf
und suggerieren eine größere persönliche Nähe bzw. emotionale Beteiligung der
Schreibenden. Das audiovisuelle Medium ermöglicht es nun, Schrift im Moment der
scheinbaren Entstehung auf dem Bildschirm erscheinen zu lassen, so als ob das Gedicht
sich gerade eben erst selbst vollendente. Mit dieser Geste des ‚Hier und Jetzt‘ gelingt
die Fiktion einer spontanen Niederlegung von Gedanken und Gefühlen, die der proto-
typischen lyrischen Kommunikationssituation entgegenkommt.

1
Siehe Harald Pulch: „Type in Motion“, 25.
2
Der Druck mit beweglichen Lettern wurde zuerst in China (1041–1048), spätestens im 13. Jahr-
hundert in Korea und schließlich im 15. Jahrhundert auch in Europa erfunden. Ergänzt durch Gu-
tenbergs Druckerpresse konnte diese Erfindung sich erfolgreich durchsetzen. (Siehe Lydia H. Liu:
„Writing“, in: W.J.T. Mitchell/Mark B.N. Hansen (Hg.): Critical Terms for Media Studies, Chica-
go 2010, 310–326. Hier: 317).
3
Siehe Florian Coulmas: Über Schrift, Frankfurt am Main 1982, 137.
4
Siehe etwa Ludwig Klages’ zuerst 1917 erschienenes und nun in der 29. Auflage vorliegendes
Standardwerk Handschrift und Charakter. Gemeinverständlicher Abriß der graphologischen Tech-
nik, hg. von Bernhard Wittlich, Bonn 1989.
196 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

Auch im Bereich der Druckschriften hat sich eine Vielfalt von Typen und Formen
entwickelt, die jeweils die unterschiedlichsten Wirkungsmöglichkeiten besitzen. Eine
jede Schrift lässt sich als „Konfiguration graphischer Merkmale“1 beschreiben. Diese
Merkmale lassen grundsätzlich Variationen wie Ornamente und andere Abweichungen
zu, zumindest so lange, wie die Distinktheit der einzelnen Letter von den übrigen und
somit ihre Lesbarkeit gewährleistet bleibt. Daraus ergibt sich ein großer Varianzspiel-
raum für die Gestaltung von Schriften, die zu einer großen Vielfalt unterschiedlichster
Schriften führt. Einen ersten Zugang bietet die Systematik zur Klassifizierung von
Druckschriften, die sich in der typographischen Reflexionstheorie durchgesetzt hat.2
Neben einer detaillierten Beschreibung der Schriftgestaltung ist für den Poesiefilm aber
vor allem die semantische und ästhetische Wirkung entscheidend, die eine typographi-
sche Form erzeugt. Entscheidungsgrundlage für die Schriftauswahl bilden häufig kon-
notative Bedeutungen von Schriftformen. Auf der Rezeptionsseite bilden sie die Grund-
lage dafür, ob wir eine Schrift als zum Inhalt passend empfinden oder als störend oder
ablenkend wahrnehmen. Schriften erscheinen bereits aufgrund ihrer graphischen
Grundeigenschaften als ‚fein‘, ‚kräftig‘ oder ‚verspielt‘. Schon diese „sehr basalen
Zeichen-Wirkungen“3 tragen zum Gesamtausdruck des geschriebenen Textes wesent-
lich bei, wobei diese semantische Funktion typographischer Gestaltungsmittel sich
zunächst nur schwer mit verbalen Beschreibungsmustern erfassen lässt: „Die konnotati-
ven Eindruckswirkungen von Schriftformen verweisen auf die Rolle elementarer wahr-
nehmungspsychologischer Gesetzmäßigkeiten bei der Deutung des Wahrgenomme-
nen.“4 Solche Muster werden aus der Umwelterfahrung unwillkürlich auf die Deutung
typographischer Formen übertragen. Ob eine Schriftform schwer oder leicht, dynamisch
oder statisch, streng oder verspielt anmutet, hängt davon ab, ob Elemente solcher „kol-
lektiven Wertungen“5 sich mit der Schriftgestalt verknüpfen lassen.
Anders verhält es sich mit der Bedeutungszuschreibung, die aufgrund kulturellen
Wissens über den Schriftgebrauch vorgenommen wird. In diesem Fall ist eine be-
stimmte Schriftform so stark mit einer historischen Epoche, einer künstlerischen Stil-
richtung, einer typographischen Schule oder einer Institution verbunden, dass beim
Betrachten des Schriftbildes die entsprechenden Assoziationen aufgerufen werden.

1
Florian Coulmas: Über Schrift, 135.
2
Danach lassen sich zuallererst Schriftsysteme, wie das phonetische Alphabet und ikonographische
Schriften voneinander abgrenzen; auf der nächsten Stufe unterscheidet man Schriftarten, wie bei-
spielsweise die Antiqua, mit ihrer jeweiligen Untergruppe, etwa eine serifenlose Antiqua (Gro-
tesk). Schließlich folgen die Schriftfamilie (z. B. Univers) und schließlich die Bezeichnung der
Einzelschrift (Univers der Firma Berthold). Der Schriftschnitt bezeichnet die genaue Gestaltung ei-
ner solchen Einzelschrift (Berthold Univers, fett-kursiv, 24 Punkt). (Siehe Susanne Wehde: Typo-
graphische Kultur, 80).
3
Ebd., 153.
4
Ebd.
5
Siehe ebd.
Schriftbasierte Gedichtfilme 197
Wehde spricht diesbezüglich von einer „Zeichenbildung durch Korrelation typographi-
scher Formen mit Inhaltseinheiten, die sich aus dem Wissen um deren Entstehungszu-
sammenhang oder gestalterischen Gebrauch herleiten lassen.“1 Man denke nur an die
Semantisierung der Frakturschrift, die entgegen aller historischen Belege heute in vie-
len Kontexten als bedenklich gilt, da sie mit dem Schriftgebrauch im Nationalsozialis-
mus assoziiert wird.2
Sowohl die konnotativen als auch die kulturell tradierten Bedeutungen der Schrift-
form sind für die Gestaltung lyrischer Texte von großer Bedeutung. Prominente Bei-
spiele, wie der Schriftentwurf Stefan Georges (St.-G.-Schrift), zeigen, dass sie nicht nur
mit einzelnen Wortbedeutungen oder Textaussagen korrespondieren, sondern auch
durch die umfassende poetische Programmatik eines Dichters oder einer Dichterin be-
gründet sein können. Gerade im Bereich der Lyrik ist aber nicht nur die Gestaltung der
Schriften selbst, sondern auch die räumliche Anordnung der Schriftelemente von großer
Bedeutung und soll daher im Folgenden genauer dargestellt werden.

Typographische Dispositive
Zur typographischen Gestaltung eines Textes gehört, neben dem Design von Schriften
mit ihren Lettern, Zeichen und Zwischenräumen, auch die „typographisch-syntaktische
Flächenform“3. Dahinter verbirgt sich die Anordnung des Letternmaterials auf der Sei-
te, die die Erscheinungsformen von Wortbild, Zeile und Absatz sowie den Satzspiegel
regelt.4 Auch durch die räumliche Gestaltung lassen sich unabhängig vom Inhalt „un-
terschiedliche semantische Abläufe, Wertigkeit und Beziehungen herstellen.“5 So wer-
den die räumliche Aufteilung von oben und unten unwillkürlich als Hierarchisierung
und räumliche Nähe als inhaltliche Zusammengehörigkeit interpretiert. Im Zu-
sammenspiel der vielfältigen typographischen Gestaltungsmittel haben sich bestimmte
typographische Formen herausgebildet, die besonders komplex und so stark institutio-
nalisiert sind, dass sie einen hohen Wiedererkennungswert besitzen. Susanne Wehde
bezeichnet solche Muster mit einem Begriff von Roger Chartier als typographische

1
Ebd., 156.
2
Zur nationalsozialistischen Schriftpolitik und zum Frakturstreit siehe Norbert Hopster: „Das ,Volk‘
und die Schrift. Schriftpolitik im Nationalsozialismus“, in: Dietrich Boueke/Norbert Hopster/Rolf
Sanner (Hg.): Schreiben – Schreiben lernen, Rolf Sanner zum 65. Geburtstag, Tübingen 1985, 57–
77; Susanne Wehde: Typographische Kultur. Eine zeichentheoretische, 273ff.; Hans Peter
Willberg: „Schrift und Typographie im Dritten Reich“, in: Xaver Erlacher/Rudolf Rieger (Hg.):
Hundert Jahre Typographie, hundert Jahre Typographische Gesellschaft München. Eine Chronik,
München 1990, 87–104.
3
Siehe Susanne Wehde: Typographische Kultur, 108ff.
4
Siehe ebd.
5
Ebd., 170.
198 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

Dispositive1. Wie jede typographische Form beeinflussen sie die Weise, wie wir uns
einem Text nähern, steuern unsere Lektüre und prägen den kulturellen Status, den wir
einem Text zuschreiben, jedoch stellen diese „makrotypographische[n] Kompositions-
schemata“2 darüber hinaus einzeltextunabhängige Muster dar, die es uns ermöglichen,
bestimmte Textsorten augenblicklich als solche zu erkennen. Im Verlauf des Rezepti-
onsprozesses wird ein Text also zunächst als visuelle Gestalt wahrgenommen, bevor
noch mit der inhaltlichen Lektüre begonnen wird: „Die regelhaft typographische dispo-
sitive Gliederung eines Textes erzeugt eine wiedererkennbare Form, die maßgeblich
Einfluss auf die Leseweise und den Lektüreprozess hat.“3 So gibt schon der erste Blick
auf eine Zeitungsseite mit ihrer spezifischen Größe und Anordnung von Überschriften,
Zeilen und Spalten zu erkennen, mit welchem Typ sprachlicher Informationen man zu
rechnen hat. Gleichzeitig begünstigt das typographische Dispositiv bestimmte habituali-
sierte Lektüreweisen, wie etwa das Überfliegen der Überschriften und das selektive
Lesen einzelner Artikel.
Eben dieser Einfluss der typographischen Form ist im Falle lyrischer Texte beson-
ders stark. Weil Lyrik traditionell durch gebundenen Rede und Reime charakterisiert
ist, weist auch das Druckbild von Gedichten eine spezifische Formbildung auf: Verse
und Strophen werden auf den ersten Blick durch Zeilenumbrüche bzw. Leerzeilen
kenntlich. Auch moderne Lyrik in freien Versen hält in den allermeisten Fällen an die-
ser Besonderheit fest. Dass die lyrische Gattung sich in ihrer historischen Entwicklung
von Metrum und Strophenformen entfernt hat, erhöht die Bedeutung der typographi-
schen Textgliederung sogar eher noch. Für die Entscheidung über die lyrische Gat-
tungszugehörigkeit kann nun das typographische Dispositiv unter Umständen aus-
schlaggebend sein. Nicht mehr das akustisch bestimmte Enjambement, bei dem das
metrische Versende eine syntaktische Einheit unterbricht, sondern der typographische
Zeilensprung werden zum poetischen Stilmittel: „Sobald ein lyrischer Text sprachlich
nicht mehr metrisch gebunden ist und dennoch deutlich markierte Verszeilen aufweist,
erlangt die typographische Textgliederung eine eigenständige (Zeichen-)Funktion als
lyrisches Dichtungsmittel.“4
Wenn das typographische Dispositiv die Lektüreweise und die Erwartungshaltung
der Lesenden gerade im Fall der Lyrik so entscheidend prägt, hat das weitreichende
Konsequenzen für die audiovisuelle Umsetzung von Gedichten. Nur in den seltensten
Fällen erscheint ein Gedicht in derselben Textgliederung auf dem Bildschirm, der es
auf einer Buchseite unterläge. Stattdessen wird das Interesse an der medienspezifischen
Bildbewegung und der Einsatz visueller Montagetechniken in den meisten Fällen dazu
führen, dass die typographische Form des Gedichtes, die es in der Druckversion kenn-

1
Siehe ebd., 119.
2
Ebd.
3
Ebd., 125.
4
Ebd., 128.
Schriftbasierte Gedichtfilme 199
zeichnet, aufgelöst wird und demzufolge andere Erwartungen hervorgerufen und andere
Leseweisen ermöglicht bzw. erforderlich werden. Zu einer Interpretation schriftlicher
Poesiefilme gehört daher neben der Charakterisierung semantisch-typographischer
Bezüge durch Schriftwahl notwendigerweise auch der Vergleich der typographisch-
syntaktischen Flächenformen eines Gedichtes auf Papier, Bildschirm oder Leinwand.
Eine Analyse, die natürlich durch das im Film hinzutretende Element der Bewegung
mit weiteren Möglichkeiten angereichert wird und daher im Folgenden durch einige
Überlegungen zur Integration von Schrift ins audiovisuelle Medium ergänzt werden
soll.

Typen der Schriftintegration


Die Möglichkeiten der Schriftintegration im Poesiefilm sind vielfältig. Sie reichen vom
unauffälligen, das Bild begleitenden Untertitel, über stummfilmartige Zwischentitel bis
zu jenen Varianten, bei denen die Schrift als Teil des Bildes wahrgenommen wird. Am
stärksten rückt die Schrift jedoch in den sogenannten Schriftfilmen ins Zentrum, die
sich in die Tradition der konkreten, visuellen Poesie stellen und in denen die Schrift
selbst zur Hauptsache wird.1
Eine einfache Möglichkeit, geschriebenen Text in einen Film zu integrieren, sind die
aus der alltäglichen Kinoerfahrung vertrauten Untertitel. Während sie in Spielfilmen
und Dokumentarfilmen vor allem dann zum Einsatz kommen, wenn fremdsprachige
Dialoge übersetzt werden sollen, ohne dass der Originalton ersetzt wird, bieten sie im
Poesiefilm die Gelegenheit, das Gedicht so zu präsentieren, dass es in schriftlicher
Form die Bilder begleitet.2 Der Text wird dabei statisch auf einer, seltener auf zwei
Zeilen am unteren Bildrand eingeblendet und kann in beliebigem Tempo wechseln. Die
für das Lesen erforderliche Dauer bildet dabei die Untergrenze, doch kann eine Zeile
auch mehrere Bildkader begleiten und somit nacheinander verschiedene Kontextualisie-
rungen durchlaufen.
Mit den Untertiteln ist einerseits eine genaue Zuordnung einzelner Verse oder Zeilen
des Gedichtes zu bestimmten Bildern und Tonereignissen des Filmes gewährleistet.
Andererseits muss das lesende Auge in schnellen Abständen zwischen den eingeblen-
deten Buchstaben und dem Bild hin- und herspringen, was die Rezeption erschweren
kann. Hinzu kommt die im Fall einer fremdsprachigen Originalversion erforderliche
Dopplung durch englischsprachige Untertitel, die gegebenenfalls notwendig sind, um
einem internationalen Publikum das Verständnis zu ermöglichen. Die Beschaffenheit
der Schriftzüge, ihre Größe, Form und Farbe spielt bei untertitelten Gedichtfilmen in

1
Michael Lentz: „Zur Intermedialität in experimentellen“.
2
Das Untertiteln von Filmen dient darüber hinaus dazu, eine Fassung für Gehörlose bereitzustellen.
In diesem Fall werden nicht nur die Dialoge verschriftlicht, sondern auch Geräusche und Musik
verbal beschrieben.
200 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

der Regel eine untergeordnete Rolle. Ihre Funktion beschränkt sich darauf, eine visuelle
Lektüre des Gedichtes so mit den bewegten Bildern ins Verhältnis zu ersetzen, dass
sich die Rezeption quasi gleichzeitig vollziehen kann bzw. sich einer Gleichzeitigkeit
zumindest annähert.
Bei der Integration schriftlicher Elemente in Form von Schrifttafeln, wie sie beson-
ders aus Stummfilmen bekannt sind, findet dagegen meist eine Unterbrechung des Bil-
derflusses statt, wodurch das Gedicht gesondert rezipiert wird und räumlich und zeitlich
von den Bildern getrennt bleibt. In narrativen Stummfilmen wurden auf Schrifttafeln
Dialogsequenzen, Erzählkommentare sowie Angaben zu Raum und Zeit geliefert. Auch
ohne direkt mit den Bildern in Kontakt zu sein, sind Schrifttafeln fester Bestandteil des
Filmes, nicht zuletzt, weil sie eigenständige Montageelemente bilden, die zur Rhythmi-
sierung beitragen. Meist bestehen die Texttafeln aus weißer Schrift auf schwarzem
Untergrund, eine Praxis, die sich – zunächst aus Kostengründen, später aufgrund ihrer
Lesefreundlichkeit – für die Kinoleinwand durchgesetzt hat. Farbig eingefärbte und
typographisch aufwendige Schriften sind ebenfalls seit der Stummfilmzeit in Gebrauch
und existieren bis heute, etwa in den charakteristischen Schrifttafeln, die Alexander
Kluges Videoproduktionen dominieren.1 Auch bildlich gestaltete Hintergründe lassen
sich schon für die Stummfilmzeit nachweisen. So werden in einem der ersten Gedicht-
filme (MANHATTA, 1921) Verse Walt Whitmans vor einem fotografischen Negativ der
New Yorker Skyline abgebildet. Mit dem Einsatz von Videotechnik und digitalem Gra-
phikdesign haben sich die Gestaltungmöglichkeiten der Texttafel vervielfältigt. Vor
allem die Beweglichkeit der Schriftelemente und deren räumliche Anmutung erzeugen
neue Ausdruckspotentiale im Bereich der Schriftgestaltung.
Eine noch engere Verknüpfung von Text und Bild ergibt sich mit der direkten Ein-
bindung schriftlicher Elemente in die audiovisuelle Bildwelt. Bereits im Stummfilm
bestand die technische Möglichkeit, Schriftelemente in das Filmbild einzubringen. In
prägnanter Weise wird dies im CABINET DES DR. CALIGARI (1920) praktiziert, wo die
Schriftzeichen plötzlich den Protagonisten umzingeln und somit dessen Wahnvorstel-
lungen direkt zu lenken scheinen.2 Die Integration schriftlicher Elemente in audiovisu-
elle Formate wird im narrativen Spielfilm jedoch nicht zur Regel. Es sind vor allem
kommerzielle Werbefilme, Filmtrailer und Titelsequenzen und später die hybriden For-
mate des Internets, in denen sich besonders kunstvolle Kombinationen von Schrift und

1
Siehe NACHRICHTEN AUS DER IDEOLOGISCHEN ANTIKE (2008) und FRÜCHTE DES VERTRAUENS
(2009).
2
Siehe Friedrich A. Kittler: „Schrift und Bild in Bewegung“, in: Erika Greber/Konrad Ehrlich (Hg.):
Materialität und Medialität von Schrift, Bielefeld 2002, 17–29. Hier: 27. Zur Dialektik Spra-
che/Schrift in CALIGARI (1920) und anderen Stummfilmen siehe Heinz-B. Heller: „Buch und
Schrift im bewegten Bild. Zur motivgeschichtlichen Funktion und Bedeutung eines Medien-
dispositivs im deutschen Stummfilm“, in: Stefan Keppler-Tasaki/Fabienne Liptay (Hg.): Grauzo-
nen. Positionen zwischen Literatur und Film, 1910–1960, München 2010, 102–120. Hier: 105ff.
Schriftbasierte Gedichtfilme 201
Bild entwickeln. Dabei wird aus dem großen Repertoire typographischer Formbildun-
gen geschöpft, um vielfältige Form-Inhalt-Bezüge sowie eine hohe Affizierung durch
die ästhetischen Qualitäten der Schrift zu erreichen. Solch enge Verknüpfungen von
Schrift mit Bildelementen werden im schriftbasierten Gedichtfilm wieder aufgegriffen.
In Kylie Hibberts MIRROR TALK (2005) werden beispielsweise von Einstellung zu Ein-
stellung neue Bezüge zwischen sprachlichem Inhalt und Bildelementen hergestellt. In
diesem Gedichtfilm bildet sich aus den Umrisslinien eines gezeichneten Pin-up-Girls
ein Faden, an dem eine Nähnadel befestigt ist, die direkt auf die Worte „I am silver and
exact“ deutet. Diese Form der Gegenüberstellung von Wort und Bild führt dazu, dass
beide als aufeinander bezogen wahrnehmbar werden: Die Textzeile erscheint als
Selbstbeschreibung einer Nadel, obwohl es im Gedicht eigentlich um einen Spiegel
geht.1
Das größte Gewicht erhält Schrift im audiovisuellen Medium, wenn sie den Haupt-
gegenstand des Filmes bildet, ohne von weiteren Bildelementen begleitet zu werden.
Michael Lentz hat solche audiovisuellen Arbeiten, die experimentell mit Sprache in
Schriftform verfahren, unter dem Begriff des Schriftfilmes zusammengefasst:
Ein Schriftfilm ist zunächst ein Film, dessen zentraler Bestandteil das hochgradig selbstrefe-
rentielle Medium Schrift (bzw. Schreiben) in all ihren (seinen) formal und medial unter-
schiedlichen Materialisierungen und Präsentationsformen ist. Schriftfilme stellen die Mediali-
tät von Schrift aus und ‚spielen‘ mit den rezeptiven Wahrnehmungsmodi von Lesen, Schauen,
Wahrnehmen, Entziffern etc., von Verstehen und Dekonstruktion von Verstehen, und können
somit als Modelle der ästhetischen Affizierung kognitiver Aktivität gelten.2

Anders als in Werbebotschaften oder Titelsequenzen hat Schrift hier nicht mehr primär
die Aufgabe, Bedeutung zu vermitteln und sei es über ihre ikonischen oder typographi-
schen Qualitäten, sondern wird selbst zum Gegenstand der Reflexion. Schriftfilme ver-
suchen im audiovisuellen Medium zu erreichen, was die visuelle, konkrete Poesie in
gedruckter Form anstrebt.3 In der Schriftinstallation HERE (2010) wird das französische
Wort „ici“ inszeniert.4 Dabei wird die graphische Konfiguration des Wortes ausgenutzt,
das aus zwei geraden Strichen und einem zu vier Fünfteln geschlossenen Kreis gebildet
ist. In einem zehnminütigen Loop schieben sich die Buchstaben in sehr langsamer Ge-
schwindigkeit von allen vier Seiten des quadratischen Kaders ins Bild. Nachdem das
Wort „ici“ schließlich lesbar geworden ist, geht die Bewegung auf das Zentrum hin

1
In Sylvia Plaths Gedicht ist ein Spiegel („Mirror“) das lyrische Subjekt des Gedichtes. In der Ge-
genüberstellung von Spiegel und Nadel ist bereits eine Bezugnahme auf filmtheoretische Meta-
phern erkennbar. Die Nadel symbolisiert das Konzept der filmischen Suture, während der Spiegel
auf die Analogie des Kinos mit dem Spiegelstadium hinweist. Der Gedichtfilm MIRRORTALK wird
im Kapitel 3.2 eingehend analysiert.
2
Michael Lentz: „Zur Intermedialität in experimentellen“, 114.
3
Siehe ebd.
4
ICI, Installation, Regie: Stefan Groß, D 2010, 10 min (Loop), DVD.
202 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

weiter, so dass sich aus den Buchstaben ein verschlungenes punktsymetrisches Orna-
ment bildet, das an indische Mandalas oder keltische Symbole erinnert. Indem Schrift
im Zuge einer Verschiebung vom sprachlichen Zeichen zum Ornament gemacht wird,
wird ihr doppelter Status als Zeichen und ästhetischer Gegenstand ins Bewusstsein
gerufen.
Die in den vorangegangenen Absätzen getroffene, noch recht grobe Unterscheidung
verschiedener Erscheinungsweisen von Schrift im audiovisuellen Medium, die vom
bildbegleitenden Untertitel bis zum medienreflexiven Schriftfilm reicht, soll im An-
schluss durch genauere Überlegungen zur Schriftintegration ergänzt werden. Michael
Schaudig hat für seine Studie über graphische Titeldesigns vier idealtypische „raum-
zeitliche Visualisierungsmodi“1 von Schrift im Film vorgeschlagen, die hier auf ihre
Übertragbarkeit auf den Bereich des schriftbasierten Gedichtfilmes geprüft werden
sollen. Sie werden jeweils durch verschiedene Ausprägungen der Variablen der Kontu-
riertheit, Körperlichkeit und Bewegtheit bestimmt.2 Beim Typ Schrift als Typogramm
erscheinen die Buchstaben zweidimensional, also flächig über den Bildraum verteilt,
und erinnern in Form von Schrifttafeln oder Inserts am ehesten an Buchstaben auf einer
Buchseite.3 Die klassischen meist Weiß auf Schwarz gehaltenen Titeltafeln der golde-
nen Hollywood-Ära können hier als geläufiges Beispiel dienen. Bei der Schrift als
Typokinetogramm tritt das Element der Bewegung hinzu; die Buchstaben werden auf
der zweidimensionalen Fläche verschoben, was am häufigsten in den Roll- oder Kriech-
titeln des Abspanns zu beobachten ist.4 Wenn sich die Schrift als bewegtes Element in
einen dreidimensionalen Raum auszudehnen scheint, spricht Schaudig von Schrift als
Ikonokinetogramm.5 Hierzu zählen etwa die prägnanten, in den Weltraum geneigten
Rolltitel im Science-Fiction-Epos STAR WARS. Als Ikonogramm bezeichnet Schaudig
dagegen typographische Zeichen, wenn sie selbst als dreidimensional wirkende Schrift-
körper im filmischen Bildraum auftreten. Gemeint sind Fälle, in denen „die Typogra-
phie ein materiales Element des vorgefundenen oder inszenierten ikonischen Film-
raums“6 bildet.
Schaudigs Typographie ist hilfreich, greift aber für die Charakterisierung der Schrift-
integration im Poesiefilm noch zu kurz, da in seiner Definition des Ikonogrammes, das
durch seine Zugehörigkeit zum ikonischen Filmraum erklärt wird, zwei wichtige As-
pekte verschwimmen. Unabhängig von der Körperlichkeit und Verortung der Schrift-
zeichen stellt es einen wichtigen Unterschied dar, ob die Schrift sich im selben Wirk-

1
Michael Schaudig: „Phänomenologie des graphischen Titeldesigns filmischer Credits“, in: Hans-
Edwin Friedrich/Uli Jung (Hg.): Schrift und Bild im Film, Bielefeld 2002, 163–183. Hier: 173.
2
Ebd.
3
Siehe ebd.
4
Siehe ebd., 173f.
5
Siehe ebd., 174.
6
Ebd., 180.
Schriftbasierte Gedichtfilme 203
lichkeitsbereich befindet, wie die übrigen visuellen Elemente oder ob sie auf einer ge-
trennten Ebene vorliegen. Analog zur Verortung von Klangereignissen im Tonfilm1
lässt sich dies als Unterscheidung zwischen diegetischen oder extradiegetischen
Schriftelementen fassen. Dies führt zu einer weiteren Variablen, die für die Typisierung
von Schriftelementen im schriftbasierten Gedichtfilm zu berücksichtigen ist, um das
Verhältnis der Schrift zu den übrigen visuellen Elementen oder dem filmischen Bild-
raum genau bestimmen zu können. Mithilfe dieser zusätzlichen Variablen lässt sich die
Schriftintegration dadurch charakterisieren, ob die Schriftelemente dem filmischen Bild
angehören oder ob sie gewissermaßen auf seiner Oberfläche aufruhen. Da diese Zuge-
hörigkeit zum Bild mit der Räumlichkeit der Schrift nicht automatisch gegeben ist, wird
für den Gedichtfilm also eine Erweiterung von Schaudigs Typologie notwendig. Die
Frage nach der Zugehörigkeit der Schrift zum Bild lässt sich analog zur Frage nach dem
Ort der Stimme im gesprochenen Gedichtfilm denken: Sind Schrift und somit auch das
Gedicht Teil einer dargestellten diegetischen Welt? Bilden sie eine extradiegetische
Ebene, in der Schrift den Status von Filmmusik oder Voice-Over-Erzählung besitzt, die
kommentierend, assoziierend oder kontrapunktisch mit den übrigen Bildelementen ins
Verhältnis zu setzen ist? Oder erfolgt vielmehr eine Auflösung der Kategorie der Die-
gese, wie sie sich im Voice-Over-Gedichtfilm beobachten lässt?

Bewegung und Zeitlichkeit


Während schriftlich verfasste Texte in gedruckter oder handschriftlicher Form, eine
zeitliche Dimension erst im Moment der Lektüre entfalten können, bietet sich im Ge-
dichtfilm die Möglichkeit, den Lesefluss in einem gewissen Maße zu steuern. Reihen-
folge und Geschwindigkeit der Rezeption lassen sich vorgeben und in die Komposition
einbeziehen. Dass Schrift im Film zeitabhängig und daher situativ ist, hat zur Folge,
dass die Typographie
zwei filmspezifische Wahrnehmungsvariablen generiert und das Rezeptionsverhalten prädis-
poniert: (1) Die Verweildauer der Schrift, d. h. die vorgegebene Zeit, die das Lesen der Zei-
chen und Zeichenkomplexe (Buchstaben, Wörter und Sinneinheiten) begrenzt; (2) die Lese-
steuerung der Schrift, d. h. die vorgegebene Segmentierung, Sukzessivität und Sequenzierung
der Zeichen und Zeichenkomplexe (Buchstaben, Wörter und Sinneinheiten), die ein spezifi-
sches Leseverhalten vorgeben.2

Wirkungspotentiale, die sich in der räumlichen Anordnung der Schriftelemente, der


typographischen Form, entfalten, werden also um Effekte ergänzt, die mit der zeitlichen
Segmentierung von Schrift einhergehen. Dies hat Konsequenzen, die über die Verstär-
kung des über die Schrift vermittelten sprachlichen Sinns hinausweisen. Momente der
Plötzlichkeit, selbst der Entzug von Schrift lassen sich in der Zeitlichkeit des Mediums

1
Siehe Kapitel 3.1.
2
Ebd., 172.
204 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

nicht nur metaphorisch oder imaginär evozieren, sondern als konkretes Ereignis auf
Darstellungsebene inszenieren. Buchstaben, Wörter oder Wortgruppen können auf
verschiedene Art und Weise in Erscheinung treten, ihre Lesbarkeit oder Unlesbarkeit
kann sich wandeln und ihre Formen können durch Tricktechnik, Graphik oder Compu-
teranimation Metamorphosen durchlaufen. Mit dem Eintreten der Schrift ins bewegte
Bild eröffnen sich damit erneut Möglichkeiten zu einer Rhythmisierung des Textes, der
nun nicht auf akustischer, sondern auf visueller Ebene in Bewegung gesetzt wird.
Gleichzeitig stehen mit dem Einsatz bewegter Schriftelemente seit dem neunzehnten
Jahrhundert tradierte (konzentrierte und wiederholende) Lektüreweisen lyrischer Texte
zur Disposition. In welchem Ausmaß und mit welcher ästhetischen Zielsetzung schrift-
basierte Gedichtfilme sich von der typographischen Form gedruckter Gedichte entfer-
nen, ist in der Analyse der einzelnen Beispiele herauszuarbeiten.
Typographische Gestaltung und Form, typographisches Dispositiv, Schriftintegration
sowie Bewegung und Zeitlichkeit lassen sich zusammenfassend als zentrale Analyse-
kategorien für den schriftbasierten Gedichtfilm nennen. Dabei sind sowohl der Eigen-
wert der Schrift als ästhetische Form zu berücksichtigen als auch die inhaltlichen Be-
zugnahmen auf sprachlich vermittelte Bedeutung, die sich auf verschiedenen Ebenen
durch Schriftart, -größe und -anordnung ergeben. Von besonderem Interesse für die
schriftliche Realisierung von Lyrik im audiovisuellen Medium ist die Frage nach der
Übertragung der lyrikspezifischen typographischen Dispositive, insbesondere die Be-
handlung von Strophe und Vers im audiovisuellen Medium. Die Einbettung eines Ge-
dichtes in seinen jeweiligen audiovisuellen Kontext lässt sich in Annäherung an ver-
schiedene Typen der Schriftintegration erfassen. Mit den medienspezifischen
Elementen „Bewegung“ und „Zeitlichkeit“ schließlich ist eine weitere wichtige Be-
schreibungskategorie filmischer Schriftlichkeit benannt. Im Folgenden konzentriert sich
die Untersuchung mit Hilfe der zusammengetragenen Analysekriterien auf zwei
Schwerpunkte. Zunächst geht es um die Bedeutung und die ästhetische Wirkung von
Schrift unter den besonderen Bedingungen audiovisueller Medialität. Die unterschiedli-
chen Funktionalisierungsweisen von Schrift soll im Vergleich zweier Poesiefilme de-
monstriert werden: einer digitalen Verfilmung von Sylvia Plaths Gedicht „Mirror“ und
dem Kunstvideo JEDER TEXT IST EIN WORTBRUCH nach dem gleichnamigen Gedicht
von Kathrin Schmidt. Im Anschluss sollen DREI KINEMATOGRAPHISCHE TEXTE Ge-
rhard Rühms untersucht werden, die sich in die Tradition der konkreten visuellen Poe-
sie einreihen und exemplarisch für die Richtung des experimentellen Schriftfilmes ste-
hen. Hier tritt die sprachliche Bedeutung der erscheinenden Texte gegenüber der
Reflexion eben dieser schriftsprachlichen Bedeutungsfunktion in den Hintergrund. Mit
audiovisuellen Mitteln werden Medialität und Materialität von Schrift und Sprache zum
eigentlichen Thema.
Schriftbasierte Gedichtfilme 205
3.1.2 Schrift im Bild – Sylvia Plath: „Mirror“ und Kathrin Schmidt:
„Jeder Text ist ein Wortbruch“

Sylvia Plaths Gedicht „Mirror“ zeichnet sich dadurch aus, dass seine Sprechinstanz ein
Objekt ist, nämlich der im Titel genannte Spiegel, der in der ersten Strophe zunächst
seine Funktion und in der zweiten Strophe vorwiegend sein Verhältnis zu seiner Besit-
zerin beschreibt. Diese eigentümliche Kommunikationssituation, die zunächst nur an-
gedeutet wird („I am silver and exact“, „I am not cruel only truthful“) wird im Verlauf
des Gedichtes zunehmend klarer („I see her back, and reflect it faithfully“). Der Spiegel
zählt zu den zentralen Motiven in Sylvia Plaths Dichtung. Er bündelt Probleme, die für
ihr Schreiben insgesamt von großer Wichtigkeit waren: Fragen nach der Grenze zwi-
schen Selbst und Welt, zwischen Wahrem und Falschem, ein Hang zur Selbstreflexion
und das Interesse für Prozesse der Wahrnehmung.1 Dabei ist der Spiegel als Feld der
Unsicherheit und Spannung markiert, oft geht mit spiegelnden Oberflächen ein Unbe-
hagen vor der Welt hinter dem Spiegel oder die Furcht vor dem Ertrinken einher.2 „The
mirror“ so Pamela J. Annas „is a tricky, untrustworthy, confusing, alternately rigid and
insubstantial boundary between self and world, self and self.“3
Angesichts einer solchen Charakterisierung des Spiegels ist es umso erstaunlicher,
dass im vorliegenden Gedicht das titelgebende Objekt selbst die sprechende Instanz
darstellt. Bedenkt man, dass die Funktion eines Spiegels darin besteht, sich seinem
Gegenüber anzuverwandeln, indem er das zeigt, was er nicht ist, und das, was er ist
(eine metallbeschichtete Glasplatte nämlich) gerade nicht zu zeigen, so dürfte die Wahl
eines Spiegels zum lyrischen Subjekt überraschen. In der ersten Strophe reflektiert der
Spiegel darüber, wie neutral und wahrheitsgetreu die Abbilder sind, die er „unmisted by
love or dislike“ für seine Besitzerin bereithält. Sein statisches Dasein verdammt ihn
zum stetigen Blick auf die gegenüberliegende Wand, die ein Teil seiner selbst zu wer-
den scheint: „I have looked at it so long / I think it is a part of my heart.“ Tatsächlich
muss die Wand als gleichbleibender Hintergrund eines jeden Bildes erscheinen, das der
Spiegel produziert: ein erster Hinweis darauf, wie instabil die Grenzen zwischen Spie-
gel und Spiegelbild sind. Was ist die Erscheinung des Spiegels anderes, als das in ihm
Gespiegelte?
Wenn es zu Beginn der zweiten Strophe heißt: „Now I am a lake“, erweist sich das
sprechende lyrische Subjekt plötzlich nicht mehr als ein bestimmter Spiegel, sondern
als jeder Spiegel, als die Spiegelfunktion selbst. Die spiegelnde Wasseroberfläche, über
die sich die Betrachterin beugt, verweist zudem auf den Mythos von Narziss. So wie
Narziss (zumindest in einer der Versionen des Mythos) tatsächlich im Wasser ertrinkt,
in das er stürzt, weil er sich verliebt seinem Spiegelbild nähert, versinkt auch das Bild

1
Siehe Pamela J. Annas: A Disturbance in Mirrors. The Poetry of Sylvia Plath, New York 1988, 2.
2
Siehe ebd.
3
Ebd., 3.
206 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

der Jugend im Spiegel: „in me she has drowned a young girl.“ Von den vielen Facetten
des Narziss-Mythos ist hier vielleicht jene des Ertrinkens im eigenen Blick der produk-
tivste Bezugspunkt. Sylvia Plaths Spiegel-Ich verschluckt alles („whatever I see I
swallow immediately“), die Frau selbst ist es aber, die das junge Mädchen, das sie
selbst einmal war, mit dem Blick in den Spiegel ertränkt hat, wie die aktivische
Verbform unmissverständlich klar macht. Es ist in diesem Zusammenhang bezeich-
nend, dass im Gedicht das Wort „image“ oder „picture“ kein einziges Mal vorkommt.
Der Spiegel versteht sich in seiner Rollenrede offenbar nicht als Produzent von Abbil-
dern. Stattdessen wird der Bildbegriff im Rahmen einer komplexen Metaphorik über-
sprungen, die die Einverleibung des gespiegelten Objekts einfasst in das poetische Bild
vom Ertrinken in einem See:
I am important to her. She comes and goes.
Each morning it is her face that replaces the darkness.
In me she has drowned a young girl, and in me an old woman
Rises toward her day after day, like a terrible fish.1

Der Spiegel erfasst nicht nur ein Bild des jungen Mädchens, sondern er verschlingt sie
selbst. Auf diese Weise fungiert er einerseits als Metapher für die Flüchtigkeit der Ju-
gend, für die Hinfälligkeit des Körpers überhaupt und markiert andererseits die Auf-
spaltung der Frau in blickendes Subjekt und erblicktes Objekt. Mit dem
Tempuswechsel vom perfect zum present tense wird die Zeitlichkeit des Geschehens
angezeigt: Was der Spiegel zurückgibt, ist eine alte Frau, die der angesprochenen wie
ein fremdes, furchterregendes Tier entgegenkommt („like a terrible fish“).
Wenn das weibliche Subjekt beim Blick in den Spiegel ihr gealtertes Selbst als etwas
Unheimliches, als etwas Animalisches wahrnimmt, das stumm aus der Tiefe auftaucht,
beinhaltet das also mehr als die Vanitas-Botschaft der vergänglichen Schönheit. Als
Objekt des Blickes, zu dem die Frau im patriarchalen Blickregime bestimmt ist, ist das
Altern und der damit einhergehende Verlust von „Schönheit“ im Sinne jugendlicher
Attraktivität auch in einem anderen Sinn existenzbedrohend. Wird der Zustand des
Angeschaut-Werdens als Bestätigung des eigenen Daseins imaginiert, so muss der
Wegfall dieser Versicherung als tödliche Bedrohung erscheinen. Die Selbstbeschrei-
bung des Spiegels als neutral und objektiv ist vor diesem Hintergrund trügerisch. Da
der Spiegel nur zeigt, was auf ihn projiziert wird, reproduziert er das internalisierte
Blickregime und verdoppelt es somit. Der objektivierende, sogar fetischisierende Blick
auf das eigene Bild, zerteilt Subjekt und Objekt des Blickes.
Mit der Übertragung des Gedichtes in das audiovisuelle Medium wird dessen Spie-
gelmotivik auf einer Meta-Ebene erneut virulent. Zum einen gehört die Darstellung von
Spiegeln in der Malerei und auch im Film zu den klassischen Topoi der Autoreferentia-
lität. Als Erzeuger eines täuschend echten Abbildes realer Gegenstände bildet der Spie-

1
Sylvia Plath: Collected Poems, hg. von Ted Hughes, London 1981, 173f.
Schriftbasierte Gedichtfilme 207
gel in der Malerei als Bild im Bild ein mise en abyme. Im Film MIRROR TALK (2005)
von Kylie Hibberts erinnern Spiegel an die Projektionsfläche der Leinwand, vor allem
aber gilt der Spiegel im narrativen Kino als Metapher für die filmtypische Identifikation
der Zuschauenden mit den abgebildeten, handelnden Figuren.1 Zum anderen, und das
scheint im Zusammenhang mit dem bisher Gesagten bedeutender, reflektiert „Mirror“
über Abbild und Identifikation, den Blick und das Angeblicktwerden und führt damit
direkt zu Problematiken hin, die untrennbar mit der Medialität des Filmes verknüpft
sind. Die Frage nach dem Blickregime des Kinos und speziell nach dem auf die Frau
gerichteten Blick und seinem Zusammenhang mit der Medialität des (narrativen) Spiel-
filmes gehört zu den grundlegenden Themen der feministischen Filmtheorie.2 Laura
Mulvey hat in ihrem wegweisenden Aufsatz „Visual Pleasure and Narrative Cinema“
aus dem Jahr 1975 die psychoanalytischen Konzepte der Scopophilie (Schaulust) und
des Narzissmus als zentrale Mechanismen bestimmt, die den Blick im Kino formieren.
Diese beiden eigentlich widersprüchlichen Aspekte überlagern sich dort in komplexer
Weise: „The first, scopophilic, arises from the pleasure in using another person as an
object of sexual stimulation through sight. The second, developed through narcissism
and the constitutions of the ego, comes from identification with the image seen.“3 Zu-
mindest in der patriarchal strukturierten Gesellschaft ist die Macht des Blickes traditio-
nell dem Mann, die Rolle des Angeblicktwerdens dagegen der Frau zugeordnet.
In their traditional exhibitionist role women are simultaneously looked at and displayed, with
their appearance coded for strong visual and erotic impact so that they can be said to connote
to-be-looked-at-ness. Woman displayed as sexual object is the leit-motif of erotic spectacle:

1
Eine Filmreferenz wird auch mit der Beschreibung der Zeitwahrnehmung des Spiegels aufgerufen:
„But it flickers. / faces and darkness separate us over and over.“ Die Verse umschreiben den Wech-
sel von hell und dunkel, der für den räumlich fixierten Spiegel den einzigen Indikator der verge-
henden Zeit darstellt. Während es für den Spiegel das Vergehen der Tage und Nächte ist, das sich
hier als ein Flackern darstellt, erinnern diese Zeilen gleichzeitig an das Wechseln von Einzelbildern
auf dem schwarzen Filmstreifen, die in ihren Differenzen dem menschlichen Auge eine Bewe-
gungswahrnehmung suggerieren.
2
Siehe Laura Mulvey: „Visual Pleasure and Narrative Cinema“, in: Screen, 16. Jg., H. 3, 1975, 6–
18. Hier: 7. „The eye of a god, four cornered“: Eine an feministischer Filmtheorie orientierte Lek-
türe wird den Spiegel als das Auge eins Gottes mit dem Blick des großen Anderen identifizieren,
unter dessen konstanter Beobachtung sich das Subjekt konstituiert. Dass sich dieser Blick auch im
eigenen Blick verkörpert, der aus dem Spiegel zurückfällt, verweist auf die Internalisierung dieser
Struktur. Dass das Auge im Englischen ein Homophon bildet zum Ich (I), macht das Spiegel-Ich
gleichzeitig selbst zum kleinen Abgott, der täglich geehrt wird. Den Hinweis auf das Wortspiel
„eye/I“ verdanke ich Kathleen Margaret Lant, die es in ihrer Interpretation des Gedichtes „Ariel“
auf höchst produktive Weise deutet. (Siehe Kathleen Margaret Lant: „The Big Strip Tease. Female
Bodies and Male Power in the Poetry of Sylvia Plath“, in: Contemporary Literature, 34. Jg., H. 4,
1993, 620–669. Hier: 657).
3
Laura Mulvey: „Visual Pleasure“, 10.
208 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

from pin-ups to strip-tease, from Ziegfeld to Busby Berkeley, she holds the look, plays to and
signifies male desire.1

Mit der Anspielung auf den Mythos von Narziss, der sich über sein Spiegelbild beugt
und in ihm zu versinken droht, bemüht Plaths Gedicht also einen Topos, der für die
feministische, psychoanalytisch geschulte Filmtheorie von prominenter Bedeutung ist.
Doch während das von Jacques Lacan beschriebene Spiegelstadium gerade als Bildner
der Ich-Funktion gilt,2 scheint das Spiegelbild bei Sylvia Plath eine destruktive Funk-
tion zu haben. Statt ein Ideal-Ich zu verbildlichen, entrückt es das als das Selbst er-
kannte in eine rätselhafte Tiefe und verfremdet es bis zur Unkenntlichkeit. Dies ver-
deutlicht sich nicht nur in dem Vergleich mit dem „terrible fish“, sondern auch im
Wechsel von einer grammatischen Konstruktion, in der die Frau handelndes Subjekt ist
(„she has drowned“), zu einer Fügung, in der das Bild im Spiegel handelt, während die
Frau nurmehr Teil einer Lokalbestimmung ist („an old woman / rises towards her“). Der
im Gedicht beschriebene Blick ist einer, der sich mit dem männlichen Blick auf die
Frau (sich selbst) als Objekt identifiziert hat. Auch darum ist die Neutralitäts-
Beteuerung des Spiegels tückisch; ist die Betrachterin doch selbst die strenge Richterin,
der ihr eigenes ‚Aussehen‘ zum Objekt geworden ist.
Die offenkundig geschlechtsgebundene Bedrohlichkeit der Spiegelbeziehung wird in
Kylie Hibberts Film in erster Linie durch die verwendeten Bildelemente aufgerufen.
Bezeichnend sind besonders die Pin-up-Girls der fünfziger Jahre im Stil von Ted
Withers und anderen, für die ihre Funktion als Objekt der Schaulust, das zum ‚visuellen
Vergnügen‘ an die Wand geheftet wird, schließlich sogar namensgebend ist. Als Ikonen
des patriarchalen Blickregimes sind diese Figuren, nicht zuletzt durch die doppelte
mediale Rahmung, zum Zitat herabgesunken. In ihrer Handgemachtheit wirken sie fast
anachronistisch; zur Stimulation von ‚Schaulust‘ jedenfalls taugen sie kaum. Neben den
Pin-up-Girls werden weitere graphische Elemente, die auf die strikten Geschlechter-
normen der fünfziger Jahre verweisen, zur Illustration des Gedichtes eingesetzt. Dessen
Inszenierung in schriftlicher Form und die flächigen, diskontinuierlichen Graphiken
bewirken allerdings eine Streuung des Blickes, so dass weder eine skopophilische noch
eine identifizierende Rezeption befördert wird.
Kylie Hibbert hat für die graphische Interpretation des Gedichttextes eine serifenbe-
tonte Linear-Antiqua gewählt, die der Schrift einer mechanischen Schreibmaschine
nachgebildet ist. Das Schriftbild mit seinen Lettern von unregelmäßiger Stärke wirkt
ausgefranst und fingiert dadurch Spuren des Materiellen, die den Verweis auf das me-
chanische Schreibwerkzeug verstärken. Auch dass die Schrift, Buchstabe für Buch-
stabe, auf dem Bildschirm erscheint, stellt Bezüge zum Tippen auf einer Schreibma-
schine her. Zusammen mit den verwendeten Bildinhalten – Schnittmuster,

1
Ebd., 11.
2
Jacques Lacan: „Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion, wie sie uns in der psycho-
analytischen Erfahrung erscheint“, in: Schriften 1, Weinheim 1996, 61–70.
Schriftbasierte Gedichtfilme 209
Zeitungsausschnitte, Stofftexturen Tapetenmuster und Pin-up-Girls – ruft diese Schrift
typische Formen der fünfziger Jahre auf. Mit einer Ausnahme (der Abbildung einer sich
entblätternden Rose) sind alle visuellen Elemente graphisch erzeugt und stellen keine
fotografischen Bilder dar.1
Neben dem schreibmaschinenähnlichen, sukzessiven Erscheinen der Buchstaben
sind noch zahlreiche weitere Formen der Schriftbewegung festzustellen, etwa wenn die
Schrift verblasst, sich aus dem Bildkader schiebt oder in ihre Einzelbuchstaben zer-
streut wird. Weitere Bewegungen sind vor allem durch inhaltliche Bezüge motiviert, so
wie das Herabsinken einer Textzeile über den unteren Bildrand hinaus, das direkt auf
die Worte „In me she has drowned a young girl“ folgt. In dieser Schriftbewegung liegt
eine Ähnlichkeit zu dem im Text sprachlich vermittelten Ertrinken des jungen Mäd-
chens, wodurch die Schriftzeichen gleichzeitig symbolische und ikonische Funktion
erhalten. Als Schriftzeichen besitzen sie eine sprachliche Bedeutung, als graphische
Zeichen bilden sie die Bewegung des Versinkens ab. Die potentielle Ikonizität der
Schrift wird im Film an vielen weiteren Stellen zur Verstärkung oder Akzentuierung
der sprachlich vermittelten Bedeutungen eingesetzt. So wird beispielsweise im Vers
„Most of the time I meditate on the opposite wall“ die letzte Wortgruppe nur in Spie-
gelschrift sichtbar, bevor sie durch eine Drehung der Schrift schließlich lesbar gemacht
wird.
Die Schrift folgt einem horizontalen Schriftverlauf von links nach rechts und bleibt
zweidimensional, wird also in der Form eines Typokinetogrammes in den Film inte-
griert. Nur an zwei Stellen deutet sich beim animierten Verwirbeln der Buchstaben
durch Überschneidung und Größenveränderung eine Bewegung im Raum an, ohne dass
die Schriftelemente selbst dabei an Körperlichkeit gewinnen.
Wie in vielen schriftbasierten Gedichtfilmen ist die typographische Form des Ge-
dichtes in der audiovisuellen Fassung stark verändert worden. Mit ihrer Übertragung
auf den Bildschirm wird die typographische Versform modifiziert, wobei allerdings nie
mehrere Verse in einem Bild zusammengezogen werden, so dass die Versgrenzen der
Druckfassung weiterhin bestehen. Zwar wird in den meisten Fällen ein einzelner Vers
in seiner Gesamtheit auch einem einzelnen Kader zugeordnet, allerdings nur selten in
der Form, dass er eine einzelne Zeile bildet. Vielmehr findet sich eine ganze Reihe
zusätzlicher Zeilenumbrüche. Solche Änderungen der typographischen Form sind in
MIRROR TALK meist durch eine Bezugnahme auf die Wortbedeutung motiviert. So wird
beispielsweise der Vers „faces and darkness separate us over and over“ auf drei Zeilen
verteilt, deren mittlere allein aus dem stark vergrößerten Wort „separate“ besteht, so
dass sich die Wortbedeutung auf der Ebene der typographischen Segmentierung wie-
derholt.

1
Siehe Abbildung 3.7.
210 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

Einige Verse des Gedichtes werden innerhalb des ursprünglichen Verses noch weiter
segmentiert, indem sie auf zwei oder sogar drei aufeinanderfolgende Bildkader aufge-
teilt werden. Zwar bildet die Neuaufteilung des Verses an zwei Stellen auch eine syn-
taktische Zäsur ab, in drei anderen Fällen aber entsteht durch den Bildwechsel eine
neue Versgrenze, die ich als filmisches Enjambement bezeichnen möchte. Dort, wo dies
geschieht, ist eine besondere Akzentuierung einer Textstelle zu beobachten. In MIRROR
TALK ist das filmische Enjambement zuweilen mit einer Ikonisierung der typographi-
schen Form verbunden. Besonders deutlich wird dies an der Umsetzung der Zeile
„Each morning it is her face | that replaces the darkness“, die so aufgeteilt wird, dass
der zweite Teil den ersten tatsächlich „ersetzt“. In der Druckfassung von Plaths Gedicht
liegt dagegen nur ein einziges Enjambement vor, das ein entsprechend großes Wir-
kungspotential besitzt: Die Versgrenze zwischen letzter und vorletzter Zeile nimmt eine
syntaktische stark markierte Trennung zwischen Subjekt und Prädikat vor: „and in me
an old woman / Rises towards her day after day like a terrible fish.“ Das Enjambement
erzwingt ein kurzes Innehalten, fokussiert die Aufmerksamkeit auf das letzte poetische
Bild des Gedichtes und lässt sich sogar als ikonische Darstellung von Plötzlichkeit und
Schrecken interpretieren. Diese starke Wirkung entfaltet es jedoch vor dem Hintergrund
einer ausschließlich an syntaktischen Einheiten orientierten Verseinteilung, die dieser
Stelle vorausgegangen sind. In Kylie Hibberts Version des Gedichtes hebt sich das
Enjambement dadurch von den anderen ab, dass es mit einer erheblichen Reduktion des
Tempos verknüpft wird. Indem die Verweildauer der letzten Zeile größer als die der
vorausgegangenen ist, wird die Lektüregeschwindigkeit stark gedrosselt, wodurch die
Stelle auch im Film eine Markierung erfährt.
Zusätzlich zum typographischen Zeilensprung tritt also im audiovisuellen Zusam-
menhang die Trennung der Verse durch ihr Erscheinen und Verschwinden im Bild oder
durch den Wechsel von Einstellungen als Gliederungsmittel hinzu, wodurch eine zwei-
stufige Ordnung der Textsegmentierung hergestellt wird, denn der typographische Zei-
lenumbruch bildet im audiovisuellen Zusammenhang nun eine schwächere Gliederung
als der Montageschnitt. In MIRROR TALK übernimmt daher auch letzterer die Funktion,
die lyrische Versgrenze zu markieren und darüber hinaus besonders starke Akzentuie-
rungen in Form filmischer Enjambements zu setzen. Ergänzt werden die Gliederungs-
möglichkeiten im schriftbasierten Gedichtfilm durch die wechselnde Verweildauer von
Schriftelementen und Pausensetzung.
Eine starke Veränderung erfährt die Rezeptionsweise des Gedichtes nicht zuletzt
durch die hohe Geschwindigkeit mit der die Verse und Bilder auf dem Bildschirm
vorüberziehen. Sie schließt die Möglichkeit der wiederholten Lektüre oder des Inne-
haltens aus. Es ist der allererste Leseeindruck, das erste Textverständnis, das sich mit
den visuell wahrgenommenen Bildelementen verbindet. Zusammen mit der im Video
vorherrschenden Flächigkeit der graphischen Gestaltung führt dies im doppelten Sinn
zu einer zerstreuten Lektüre, die den Blick hin und her wandern lässt, da er sich im
schnellen Wechsel an immer neue Erscheinungen heften muss. Mit der geringen Ver-
Schriftbasierte Gedichtfilme 211
weildauer, die eine hohe Rezeptionsgeschwindigkeit erzwingt, steht auch die Portionie-
rung des Gedichtes in kleine Texteinheiten in Zusammenhang, dank derer sich Schrift
und Bildelemente zu immer neuen Bedeutungseffekten verbinden. Bezugnahmen von
Schrift- und Inhalt heften sich dabei überwiegend an die Bedeutungen einzelner Wör-
ter, die sie verbildlichen und verstärken. In der Konsequenz löst sich das Gedicht in
eine schnelle Abfolge von Einzeleffekten auf.
An Kathrin Schmidts aus 21 reimlosen Versen bestehenden Gedicht „Jeder Text ist
ein Wortbruch“ fällt vor allem sein wortspielerischer Titel auf. Indem die Feststellung
des Wortbruchs, des nicht eingehaltenen Versprechens, auf die Gesamtheit aller ge-
schriebenen Texte ausgedehnt wird, wird diese eigentlich tote Metapher wiederbelebt
und umgedeutet. Sie weitet sich zur Beschreibung eines Entzweigehens sprachlicher
Ganzheit, eines Versagens der Sprache, das bis zur Lüge reicht. Dass es sich bei der
Aufgabe, der die Sprache nicht gerecht wird, um Erinnerung handeln könnte, legen die
Thematisierung der Kindheit, die Nennung von Mutter und Vater und das mehrmalige
Erwähnen von Zeitbegriffen („zeiten“, „anfang“, „ende“, „zukunft“) nah. Insgesamt
gibt sich das Gedicht jedoch hermetisch und lässt sich nicht auf klare Aussagen festle-
gen. Die Mehrdeutigkeit, die Schmidt aus der Sprache hervortreibt, stellt sich vor allem
durch das konnotierende Gegeneinandersetzen einzelner Wörter her. Aus den Wörtern
„Zunge“, „Haar“, „Blume“ und „Liebe“ scheint sich zunächst kein gemeinsames Bild
entwickeln zu wollen; erst, wenn in einer der folgenden Zeilen von „geschlechtern“ die
Rede ist, erhellt sich die Stelle ein wenig. Aus der Überschneidung der Ränder der se-
mantischen Felder dieser Wörter deutet sich dann eine Mitbedeutung an, die in der
weiblichen Körperlichkeit und Sexualität besteht, an die das lyrische Subjekt sein ver-
gangenes Selbst erinnert.1 Diese geschlechtliche Körperlichkeit bildet eine wichtige
Isotopie-Ebene des Textes.2 Die Bezeichnung des Haars als „geheimnis“ und „heim-
lich“ und seine Verbindung mit dem Motiv des zweiten Gesichts verweist auf den Be-
reich des Magischen und auf einen an das Körperliche gebundenen Zugriff auf die ei-
gene Geschichte:

1
Das metaphorische Umspielen des weiblichen Geschlechts findet sich an mehreren Stellen in
Schmidts lyrischem Werk, nicht zuletzt in Bezug auf die Kindheit. „Für die Kindheit sind ‚feucht-
gebiete‘ aus der Sicht der Erwachsenen typisch, die ihre Nahrung aus den unterschiedlichsten
Quellen schöpfen […]“ (Maurizio Pirro: „Hermeneutik der Vergangenheit bei Kathrin Schmidt und
Barbara Köhler“, in: Karen J. Leeder (Hg.): Schaltstelle. Neue deutsche Lyrik im Dialog, Amster-
dam 2007, 293–310. Hier: 300.) Pirro abstrahiert diese Beobachtung allerdings zu der problemati-
schen Schlussfolgerung einer „natürliche[n], alogische[n] und intuitiv zu erfassende[n] Verwandt-
schaft von Kindheits- und Frauenwelt“ (ebd., 302), die sich in der Natürlichkeit des körperlichen
Erlebens darstellen lassen.
2
Zum Isotopiebegriff in der Linguistik siehe Angelika Linke/Markus Nussbaumer/Paul R.
Portmann-Tselikas/Urs Willi/Simone Berchtold: Studienbuch Linguistik, ergänzt um ein Kapitel
„Phonetik/Phonologie“ von Urs Willi, Tübingen 2004, 260.
212 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

[…] und durftest dein haar nicht wachsen lassen


heimlich umspann es dein zweites gesicht
und sagte die zukunft voraus
die du schließlich erreichtest
der weg ist vergessen der text
den du schreibst ist ein wortbruch
dein haar ist die brücke darüber1

Im verbotenen Wachstum des Haares verkörpert sich das Vergehen von Zeit. Es stellt
keine Kontinuität im Sinne einer kohärenten Erinnerung bereit, vermag aber eine „brü-
cke“ über die Wortbrüche des Textes zu spannen. Diese „Beständigkeit eines körperli-
chen Gedächtnisses“2 wird der unzuverlässigen und verfälschenden Erinnerung, die
sich im geschriebenen Text herstellt, entgegengesetzt. Maurizio Pirro deutet Schmidts
Poetik als Versuch, die unreflektierten und vielleicht unbewussten körperlichen Erfah-
rungen der Kindheit zu evozieren, die sich in ihrer Unmittelbarkeit dem sprachlichen
Zugriff entziehen: „Die Aneignung des Erfahrungshorizontes der Kindheit erfolgt bei
Schmidt über die entscheidende Vermittlung des eigenen Körpers wie des Organischen
überhaupt.“3
Die Umsetzung des Gedichtes in das audiovisuelle Medium,4 die das Gedicht ausge-
rechnet als geschriebenen Text integriert, gerät nun scheinbar in einen Widerspruch
zwischen der Problematisierung des Textes und seiner privilegierten Ausstellung in
einem Medium, das in erster Linie mit der Produktion von Bildern in Verbindung ge-
bracht wird. Einem solchen Konflikt entgeht die Videokünstlerin Betina Kuntzsch je-
doch, indem sie das Gedicht in einen Zusammenhang stellt, in dem der Film selbst als
Aufzeichnungsmedium auf seine Materialität hin befragt wird. Arbeitsmedium für die
Umsetzung von Schmidts Gedicht ist zwar das Video, als Ausgangsmaterial diente
jedoch gefundenes, zerfallendes Filmmaterial aus dem Archiv.5 Diese Reflexion der
Medialität des Filmes in ihrer zeitlichen Auflösung verbindet sich mit der Gedächtnis-
motivik des Gedichtes von Kathrin Schmidt und nimmt somit eine Neugewichtung von
dessen Thematik vor. Auch in der typographischen Präsentation finden sich Hinweise
auf die Verstärkung der Erinnerungsthematik, die mit der Rolle der Schrift als klassi-
scher Gedächtnismetapher zusammenhängt, wie im Folgenden gezeigt werden soll.
Schrift erscheint in JEDER TEXT IST EIN WORTBRUCH zunächst als weiße, fette, seri-
fenlose Antiqua, die an eine Schablonenschrift erinnert. Entgegen dem ersten Eindruck
handelt es sich jedoch nicht um paratextuelle Informationen, sondern um Fragmente aus

1
Kathrin Schmidt: Flußbild mit Engel. Gedichte, Frankfurt am Main 1995, 33.
2
Maurizio Pirro: „Hermeneutik der Vergangenheit“, 300.
3
Ebd.
4
JEDER TEXT IST EIN WORTBRUCH, Videotape, D 2008, 7 min, Regie: Betina Kuntzsch. Nach einem
Gedicht von Kathrin Schmidt.
5
Siehe Betina Kuntzsch: „jeder text ist ein wortbruch. Webseite“, online unter: http://www.element-
video.de, zuletzt geprüft am 16.01.2012.
Schriftbasierte Gedichtfilme 213
der Titelsequenz eines alten Filmes, die die „in weiteren Rollen“ beteiligten Schauspie-
lerinnen ankündigt. Da die Namen wie die Bilder, die sie begleiten, kaum mehr entzif-
ferbar sind, haben die Schriftzeichen ihre Funktion als Sprachzeichen verloren. Damit
erweist sich Schrift und auch Sprache gleich mit ihrem ersten Auftreten als dysfunktio-
nal und vom Verfall betroffen. Das Gedicht selbst wird in Form von Zwischentiteln in
das Video eingebunden wie sie auch im Stummfilm Verwendung gefunden haben, doch
werden sie hier mit entscheidenden Veränderungen versehen. Die Textzeilen erschei-
nen in einer weißen serifenlosen Antiqua auf schwarzem Grund. Während der Gedicht-
titel „JEDER TEXT IST EIN WORTBRUCH“ in Kapitälchen gehalten ist, herrscht im restli-
chen Gedicht Kleinschreibung vor. Was die typographisch-syntaktische Flächenform
des Gedichtes betrifft, nähert sich dessen Gestalt dem Druckbild darin an, dass die Zei-
lenumbrüche der Druckfassung übernommen werden, allerdings wird es anders als dort
rechtsbündig gesetzt. Mit der Verteilung des Gedichtes auf verschiedenen Titeltafeln zu
je drei bis vier Zeilen entsteht eine neue Strophengliederung, die in der Druckfassung
des Textes fehlt.1
Acht lyrische Zwischentitel wechseln mit bildhaften Anteilen des Videos, die die
Künstlerin in einer Montage aus found footage zusammengefügt hat: „Aus kurzen er-
kennbaren Filmszenen und abstrakten Filmkornlandschaften wird eine Geschichte des-
tilliert: Eine Frau, ein Mann, ein Sonnenuntergang, Krieg, Auflösung, Verschwinden.“2
Die durch chemische Prozesse ausgelöste Zersetzung des alten Filmmaterials tritt im
Video in Form ungegenständlicher Muster aus flackernden grauen Wolken und Fle-
cken, aber auch Blasen oder Rissen in Erscheinung, die Assoziationen an Landkarten,
Satellitenbilder oder abstrakte Gemälde wachrufen. Ihre ursprüngliche Abbildfunktion
jedoch ist verloren gegangen oder zumindest stark beeinträchtigt, wodurch der „Materi-
alwiderstand“3 des Filmstreifens augenscheinlich wird. Stellenweise lassen sich zwar
fotografische Abbildungen oder Filmausschnitte erkennen, doch sie sind verblasst,
zerfressen oder wirken wie von einem grauen Schleier überzogen. Aus der Kleidung
und den Frisuren der dargestellten Menschen sowie aus der Schadhaftigkeit der Bilder
lässt sich auf das hohe Alter der Aufnahmen schließen, ihre Zugehörigkeit zur Ära des
Stummfilmes. Eine kohärente Geschichte freilich ergeben die fragmentarischen, schnell
wechselnden Szenen nur dann, wenn man eine aktive Mit-Schöpfung im Rezeptions-
prozess zugesteht, bei der die Leerstellen aufgefüllt und Teilstücke imaginativ in einen
kontinuierlichen narrativen Zusammenhang gebracht werden. Gleichzeitig wird diese
potentielle Deutungsoffenheit durch die Herauslösung der Bilder und Filmszenen aus
ihren ursprünglichen Kontexten erst ermöglicht. Dass wir über die Personen, die für
Augenblicke in den Bildern sichtbar werden, und über ihre Geschichte nichts wissen,

1
Siehe Abbildung 3.8.
2
Betina Kuntzsch: „jeder text ist ein wortbruch“.
3
Ebd.
214 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

markiert ihr Vergangensein. Im Zerfall ihrer medialen Abbilder wiederholt sich der
Prozess ihres Verschwindens.
Im Verzicht auf eine kohärente Erzählung, im Zusammenstellen verschiedener Sze-
nen und Bilder nähert sich der Gedichtfilm der lyrischen Sprache Kathrin Schmidts an.
So wie dort statt direkten Benennungen immer nur partielle Übereinstimmungen zwi-
schen Wortbedeutungen erkennbar werden, verbirgt sich im Film eine Vielzahl potenti-
eller Geschichten hinter jedem der Ausschnitte. Fasst man das Verschwinden der Bilder
als mediale Inszenierung des Vergessens auf, so stellt sich ein weiterer Bezug zum
Gedicht her, mit dem Unterschied, dass bei Schmidt das Vergessen mit der Sprache in
Verbindung gebracht wird: „der weg ist vergessen der text / den du schreibst ist ein
wortbruch“.
Anders als in Kylie Hibberts Schriftinszenierung wechseln Texttafeln und Videobil-
der in einem ruhigen Rhythmus, der sich zunächst verlangsamt, um erst zum Ende des
Videos hin noch einmal beschleunigt zu werden. Auch JEDER TEXT IST EIN WORT-
BRUCH integriert Schrift in der Form des Typokinetogrammes, wobei die einzige Bewe-
gung, das Erscheinen und Verschwinden der Buchstaben ist, das sich im sukzessiven
Einblenden und Ausblenden der Schriftzeichen verwirklicht. Die Gedichtzeilen er-
scheinen in Gruppen von je drei bis vier Zeilen auf den zwischengeschalteten Textta-
feln, wobei die Wörter des vorangegangenen Abschnitts meist in einer blasseren, grau-
en Schrift weiter lesbar bleiben. Indem die jeweils aktuellen Textzeilen in blendend
weißen Buchstaben hinzutreten und die bestehende Schrift teilweise überlagern, werden
Textteile übereinandergeschichtet, umgestellt und neu kontextualisiert. Mit dem Über-
schreiben, Verblassen und Umstellen verweist diese Inszenierung der Schrift auf die
Unzuverlässigkeit und Fragilität des Erinnerns und nimmt so ein zentrales Motiv des
Gedichtes auf. Nach Aleida Assmann steht Schrift als Gedächtnis-Metapher traditionell
für die Fragilität und Dynamik des Gedächtnisses:
Die Schrift-Metapher ist wesentlich komplizierter als die Speicher-Metapher. Die topologische
Ordnung des Magazins suggeriert Organisation, Ökonomie, Verfügbarkeit – alles Aspekte, die
das künstliche Gedächtnis dem natürlichen voraus hat. Die Bildlichkeit des Schreibens und
Überschreibens, des Festhaltens und Löschens, der Intensität tiefer Prägungen und der flachen,
vielfältigen Reize führt weg vom künstlichen zurück zur Verfasstheit des natürlichen Ge-
dächtnisses.1

Nicht zuletzt die durch digitale Videotechnik ermöglichte Beweglichkeit lässt Schrift –
über die sprachlich vermittelte Bedeutung hinaus – als Gedächtnismetapher wirksam
werden.2 In ihren Überlagerungen und ihrem Verblassen verbildlicht sich die Dynamik

1
Aleida Assmann: „Zur Metaphorik der Erinnerung“, in: Aleida Assmann/Dietrich Harth (Hg.):
Mnemosyne. Formen und Funktionen der kulturellen Erinnerung, Frankfurt am Main 1991/1993,
13–35. Hier: 21.
2
Bekanntlich ist gerade die Schrift in ihrer Exteriorität kritisiert worden, welche als äußerliches,
künstliches Hilfsmittel des Gedächtnisses das natürliche Gedächtnis gefährde. Die berühmte
Schriftbasierte Gedichtfilme 215
von Erinnern und Vergessen, die das ‚natürliche‘, sprachlich verfasste Gedächtnis
kennzeichnet. Dessen Instabilität und ‚Untreue‘ sind es, die in Schmidts Text proble-
matisiert werden. Der im Gedicht angedeutete Gegenentwurf eines körperlichen, mate-
riellen Gedächtnisses, das sich im Wachsen des Haares verbildlicht, deutet sich im
Video in anderer Form wieder an. In den Einstellungen, die auf die letzte Gedichtzeile
folgen, sind auf dem sonst weißen Bild (Haaren nicht unähnliche) Fädchen und Fussel
zu sehen, die für gewöhnlich unbeabsichtigter Teil des aufgenommenen Filmes sind
und sich als störende Spuren des Materiellen auf der Abbildung zeigen. Für einen Au-
genblick erscheint der Umriss eines Insektes und erinnert an experimentelle Arbeiten
wie Stan Brakhages MOTHLIGHT (1963). Dort werden materielle Objekte wie Motten-
flügel, Gräser und Blätter unter Umgehung der Kamera direkt auf den Filmstreifen
aufgebracht und durch die Projektion visualisiert. Nicht anders markieren auch die sich
zersetzenden Filmstreifen in JEDER TEXT IST EIN WORTBRUCH die materielle Bedingt-
heit des medialen Dispositivs Film und zeigen die materiellen Spuren, die zurückblei-
ben, wenn die Bedeutungen, die sie miterzeugt haben, schon nicht mehr lesbar sind.
Während bei Kylie Hibbert Form, Anordnung und Bewegung der Schrift meist an
die konkrete Wortbedeutung anschließen, bezieht sich die Ikonizität der Schriftgestal-
tung in Betina Kuntzsches Videoarbeit in allgemeinerer Weise auf die Medialität der
Schrift und damit metaphorisch auch auf die Erinnerungsthematik des Gedichtes. In
beiden Beispielen ließ sich zeigen, dass Schriftgestaltung im audiovisuellen Medium
verstärkt an Bedeutung gewinnt, indem sie die Möglichkeiten der Bezugnahme von
Form und Inhalt erweitert, dass aber auch der Eigenwert der Schrift gegenüber der
sprachlichen Semantik tendenziell aufgewertet wird.

3.2.3 Visuelle Poesie mit beweglichen Lettern – Gerhard Rühm:


Drei kinematographische Texte

Das Abweichen vom für die Lyrik charakteristischen typographischen Dispositiv, das
im vorangegangenen Abschnitt erläutert wurde, ist ein zentrales Element in der Pro-
grammatik der konkreten Poesie.1 Indem sprachliche Elemente aus Zeilenform und
Syntax herausgelöst und isoliert dargeboten werden, können sie in unerwartete Bezie-
hungen zueinander treten und neue, wechselnde Konstellationen eingehen. Diese Ten-
denz wird in der visuellen Poesie durch weitere graphische und nicht-sprachliche Ele-
mente ergänzt. Auch die Anordnung der Schriftzeichen auf der Fläche mit all ihren
semantischen Implikationen ist hier Teil der poetischen Aussage: „Visuelle und kon-

Schriftkritik Platons richtet sich vor allem gegen die gedächtniszerstörende Funktion der Schrift,
ein folgenreiches und viel diskutiertes Urteil. (Siehe dazu Jacques Derrida: Dissemination, Wien
1995, 120ff.).
1
Siehe Michael Fisch: Ich und Jetzt, 260.
216 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

zeptionelle Poesie präsentiert isolierte Textkonstituenten als optische Zeichen auf der
Schreibfläche. Dadurch können begrifflich-wörtliche und optisch-sinnliche Werte
gleichzeitig aktiviert werden.“1
Ein Zusammenspiel von Schriftzeichen und Bedeutung kann auch in DREI KI-
NEMATOGRAPHISCHE TEXTE (1970) von Gerhard Rühm beobachtet werden. In seinen
einleitenden Bemerkungen zur Buchausgabe des Filmskriptes datiert Rühm die Entste-
hung der Texte auf das Jahr 1964 und stellt deutlich den Zusammenhang zu seinen
Arbeiten im Bereich der visuellen Poesie heraus, „in der die schrift nicht mehr bloss
konservierungs oder vermittlerfunktion hat, sondern selbst zum ausdrucksmittel und
betrachtungsgegenstand erhoben wird.“2 Während in den frühen Vorläufern, den Baro-
cken Figurengedichten oder selbst den Calligrammes von Apollinaire, das Schriftbild
gleichzeitig als Illustration fungiere, verfahre die konkrete Poesie „ideogrammatisch“:
„sie will nicht die erscheinung des angesprochenen gegenstandes abbilden, sondern sie
setzt wortinhalte und ihre typogramme zueinander in beziehung und entwickelt aus
ihnen eine komplexe aussage.“3 In der Schriftforschung ist ein Ideogramm ein Schrift-
zeichen, das zwar für ein Wort oder einen Begriff in seiner Gesamtheit steht, ohne es
dabei jedoch abzubilden wie das Piktogramm.4 Im Bestreben, der graphischen Dimen-
sion der Schrift einen Mehrwert abzugewinnen, der über die „illustrative verdopplung
der aussage“5 hinausgeht, unterscheidet sich nach Rühm die konkrete visuelle Poesie
von der visuellen Poesie im Allgemeinen.
Schon bei den auf Buchgröße angelegten Werken der visuellen Poesie tritt mit dem
bewusst gestalteten Umblättern eine Form der Bewegung hinzu. Das filmische Medium
ergänzt diese Ansätze durch die „reizvolle möglichkeit, abrupte oder kontinuierliche
übergänge zu schaffen“6. Mit dem Element der Bewegung wachsen der visuellen Poesie
zusätzliche Gestaltungsmittel zu. Das Auftauchen und Verschwinden von Buchstaben
führt zu wechselnden Kombinationen und Rekombinationen ebenso wie die Bewegung
des einzelnen Buchstaben, Wortes oder Satzes durch den Bildraum. Das Ein- und Aus-
treten von Buchstaben in den Bildkader führt dazu, dass Teile von ihnen getrennt wahr-

1
Ebd., 271.
2
Gerhard Rühm/Gerhard Jaschke: Drei kinematographische Texte, Wien 1996, iv ff.
3
Ebd.
4
Siehe dazu Angelika Linke u. a.: Studienbuch Linguistik, 55. Eugen Gomringer bezeichnet dagegen
als „Ideogramm“ eine spezifische Erscheinungsform der Konkreten Poesie, die er auch „sehtexte“
nennt. Dabei werden die sprachlichen Elemente eines Begriffs (Silben oder Buchstaben) so ange-
ordnet, dass „deren strukturelle verknüpfung den begriff erkennbar bildlich darstellt“ (Eugen
Gomringer: „charakteristika der gebräuchlichsten formen der konkreten poesie“, in: theorie der
konkreten poesie. texte und manifeste 1954–1997, Wien 1997 (2), 119–127. Hier: 119). Diese De-
finition steht im offensichtlichen Gegensatz zur Terminologie Gerhard Rühms.
5
Gerhard Rühm: „konkrete poesie“, in: Gesammelte Werke, hg. von Michael Fisch, Berlin 2005,
1175–1177. Hier: 1176.
6
Gerhard Rühm/Gerhard Jaschke: Drei kinematographische Texte.
Schriftbasierte Gedichtfilme 217
genommen werden und so die Konstitution der Schriftzeichen auf einer Ebene unter-
halb der Lautzeichen vorgeführt werden kann.
Anders als bei Kylie Hibbert gewinnt die Bewegung von Buchstaben keine semanti-
sche Dimension, die die Bedeutung des Textes wiederspiegelt, sondern führt zu einer
ständigen Neuausrichtung des Verhältnisses von Wortinhalt und Schriftbild. Das von
Rühm als „ideogrammatisch“ bezeichnete Verfahren der konkreten Poesie besteht hier
in der Einbeziehung der Bewegung in das Spiel mit Bedeutung und Schrift:
im filmischen ablauf kann das lesetempo gezielt gesteuert, als definiertes rhythmisches ereig-
nis mitgestaltet werden. der film erschließt so ein weiteres, die rezeption des textes befördern-
des spannungspotential. der schriftfilm löst das buch in permanente bewegung auf, buchstaben
und wörter geraten fortwährend in metamorphosen: wachsen an, verkleinern sich, verblassen
und verschwinden, tauchen in formal verwandten gestalten wieder auf, verändern ihre positio-
nen.1

DREI KINEMATOGRAPHISCHE TEXTE präsentiert sich als Film in drei Teilen. Der erste
von ihnen ist ganz auf der Ebene der Buchstaben angesiedelt, der zweite Teil arbeitet
mit ganzen Wörtern und im dritten Teil treten auf der Tonebene auch gesprochene Lau-
te und Wörter hinzu. Alle im ersten Teil des Filmes gezeigten Buchstaben bestehen aus
den Grundelementen Linie und Kreis. Sie erscheinen in weißer Schrift auf schwarzem
Grund, wobei sie durch Vergrößerung, Verkleinerung und Bewegung variiert werden.
Der Film erforscht die Buchstaben „b“, „d“, „p“, und „q“ und führt ihre untereinander
symmetrischen bzw. spiegelsymmetrischen Verhältnisse eindrucksvoll vor Augen. Oft
wird ein Übergang zwischen rätselhaften Symbolen und einem sich immer deutlicher
darstellenden Buchstaben erzeugt, der die festgefügt scheinende Verbindung zwischen
Laut und Buchstabe immer fremdartiger erscheinen lässt. Dabei wird deutlich, wie stark
die Ebene der Schriftgestaltung an der Konstruktion sprachlicher Bedeutung Teil hat,
denn das Gelingen der Metamorphosen beruht auch auf stark vereinfachten, serifenlo-
sen Schrifttypen, die in ihrer Reduktion auf die Elemente Linie und Kreis in einander
umwandelbar sind.
Im zweiten kinematographischen Text behalten die Buchstaben ihre Größe bei und
treten ausschließlich als Wortzusammenhang auf. Mit den Mitteln der Überblendung
und des Ein- und Ausblendens werden die Verwandlungsprozesse der Wörter im Film
inszeniert, dabei entstehen durch minimale Veränderung gänzlich neue Bedeutungen.
So wird das Wort „eben“ durch Überblendung zu „beben“, um sich dann in „heben“
und schließlich in „neben“ und „geben“ zu verwandeln. Im Mittelpunkt des zweiten
Teils steht das Bewegungsverb „gehen“, das mit seinem Antonym „ruhen“ und ver-
schiedenen Präpositionen des Raumes und der Zeit in Beziehung gesetzt wird. Durch
rhythmisches Auftauchen und Verschwinden des Wortes wird eine Abfolge von Schrit-

1
Ebd.
218 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

ten evoziert, deren Geschwindigkeit eine Steigerung erfährt, die schließlich zu einem
Flimmern führt.
Im dritten Abschnitt wechselt die Farbigkeit zu schwarzer Schrift auf weißem Grund,
die Beweglichkeit der Wörter nimmt nochmals zu, wobei erstmals der Bildrand als
begrenzendes Element einbezogen wird. Außerdem tritt nun in der Gestaltung auch die
Tonebene hinzu, auf der von verschiedenen Stimmen kurze Texte gesprochen werden.
Sie sind keineswegs bloße Wiedergabe der im Bild sichtbaren Schriftgebilde, sondern
treten mit ihnen in unterschiedlicher Weise ins Verhältnis. Einmal werden die vorgele-
senen Wörter durch die gelesenen ergänzt, beispielsweise „und?“ durch „na“ sowie
„du“. Ein anderes Mal ist auf der Fläche das Wort „da“ zu sehen, das sich gegen den
Uhrzeigersinn am Bildrand entlang bewegt. Eine Frauenstimme spricht die Silbe „in“,
die auf dem Konsonanten mehrere Sekunden lang gehalten wird, während eine Männer-
stimme mehrmals das Wort „aus“ wiederholt, wie um den summenden Ton abzuschal-
ten. Schließlich vollenden beide Stimmen ihr Wort mit der Silbe „nen“, was dazu führt,
das gleichzeitig die Wörter „innen“ und „außen“ erklingen. Währenddessen hat das
Schriftgebilde seine Bewegung um den Rand des Bildkaders herum mit einer Verschie-
bung ins Zentrum der Fläche beendet. Es entsteht eine Korrelation der Wortbedeutun-
gen mit deren Anordnung und Bewegung auf der filmisch erzeugten Fläche. Schrift tritt
in Rühms Film als Typokinetogramm auf, als zweidimensional erscheinende bewegli-
che Lettern. Aufgrund des monochromen Hintergrundes wird zwar durch Einzelbild-
schaltung der Eindruck einer Bewegung der Buchstaben erzeugt, das Zoomen wird
allerdings von den Betrachtenden nicht als ein sich Nähern oder Entfernen der Schrift-
zeichen aufgefasst, was mit dem Eindruck von Räumlichkeit einhergehen würde, son-
dern es wird als Anwachsen oder Abnehmen ihrer Größe interpretiert.

3.3 Rhythmus und Metrum im Gedichtfilm


3.3.1 Rhythmische Bewegung

„Vers ist tanzhafte Rede.“1 An diese berühmte Formulierung, in der sich ein zentraler
Gedanke aus der Verslehre Karl Philipp Moritz’ verdichtet, kann eine Untersuchung
des Rhythmus’ im Poesiefilm mit Gewinn anschließen. Rückt man den Vers, die metri-
sche Rede, in die Nähe des Tanzes, so werden damit zwei spezifische Eigenschaften
des Verses besonders betont. Zum einen stellt man fest, dass im Vers die äußere
Zweckmäßigkeit der Sprache nicht im Vordergrund steht. So wie der Tanz keine ziel-

1
Hans Joachim Schrimpf: „Vers ist tanzhafte Rede“, in: William Foerste/Karl Heinz Borck (Hg.):
Festschrift für Jost Trier. Zum 70. Geburtstag, Köln, Graz 1964, 386–410.
Rhythmus und Metrum 219
führende Bewegung, wie etwa das Laufen, das Arbeiten oder das Jagen darstellt,1 läuft
die Rede in Versen nicht allein auf die Vermittlung von Gedanken hinaus, sondern hat
ihren Zweck in sich selbst:
Eben so drängte nun auch das Uebermaaß der Empfindung zuerst jene artikulirten Töne her-
vor, welche eigentlich auch keinen Zweck, als sich selber hatten, und zu denen man sich auf
keine Weise durch ein äußeres Bedürfniß, sich verständlich zu machen, gedrungen fühlte, son-
dern die man, so wie die Schritte beim Tanz gewissermaßen um ihrer selbst willen hervor-
brachte.2

Damit tritt die Ebene der sprachlichen Information hinter etwas anderes zurück, was
mit Blick auf den Tanz als Freude an der Sprache und deren Bewegung beschrieben
werden kann. So wie man tanzt, „weil sich man von der hüpfenden Freude gedrungen
fühlte, sich zu bewegen, bloß um sich zu bewegen“3, so spricht man im Vers nicht nur,
um sich mitzuteilen, sondern um die Sprechorgane zu bewegen. Die sprachliche Faktur
erfährt daher gegenüber der Information eine Aufwertung. Das heißt nicht, dass die
sprachlich-informative Ebene bedeutungslos wird, vielmehr entsteht aus dem Zusam-
menwirken von gedanklicher und rhythmischer Ebene eine Spannung, wie Moritz an-
hand der doppelten Gliederung nach Bedeutung und nach Metrum darstellt: „man fühlt
sich bei jedem Ruhepunkte, den man macht, doppelt angezogen, indem der Zusammen-
hang nach dem Metrum und der Zusammenhang nach der Idee einander
entgegenstreben, so daß uns das erstere immer noch zurückhält, wenn das andere uns
schon vorwärts zieht.“4
Zum anderen betont der Vergleich von Vers und Tanz, dass die Rede in Versen, wie
die Bewegungen des Körpers im Tanz, künstlichen, kanonisierten Regeln unterworfen
ist, die sie formen und ihnen eine Gestalt verleihen, die nicht natürlich, sondern men-
schengemacht, regelmäßig und damit wiederholbar und kollektiv ausführbar wird. Die-
se Künstlichkeit5 des Rhythmus als Metrum steht in einer gewissen Spannung zu der
Auffassung, die Rhythmus als natürliche Erscheinung betrachtet, die in Herzschlag,
Gezeiten oder Tag-Nacht-Wechsel zu beobachten ist.6 Daher ist festzuhalten: „Rhyth-
mus ist eine elementare Grunderfahrung und zugleich ein wesentliches Kulturphäno-

1
Siehe Karl Philipp Moritz: Versuch einer deutschen Prosodie. Dem Könige von Preussen ge-
widmet…, Berlin 1786, 29.
2
Ebd., 31.
3
Ebd.
4
Ebd., 45.
5
Siehe Jürgen Brokoff: „Die Verselbständigung der Poesie als Spiel am Ende des 18. Jahrhunderts
und der Spielbegriff bei Johan Huizinga und Jost Trier“, in: Thomas Anz/Heinrich Kaulen (Hg.):
Literatur als Spiel. Evolutionsbiologische, ästhetische und pädagogische Konzepte, Berlin 2009,
101–114. Hier: 105.
6
Siehe Hans Joachim Schrimpf: „Vers ist tanzhafte Rede“, 388.
220 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

men.“1 In diesem Zugleich von Natur und Kultur wie auch von sprachlicher Bedeutung
und affektiver Wirkung liegt das produktive Potential des Rhythmus’, das auch der
Poesiefilm stets von neuem auszuschöpfen sucht. Dieses Potential beruht auf der kate-
gorialen Unterscheidung zwischen Metrum und Rhythmus, die auch in Verstexten kei-
nesfalls als Synonyme zu verstehen sind:2 „Das Metrum eines Verstextes ist eine re-
gelmäßige, abstrakte Grundstruktur (vergleichbar dem Takt der Musik), die
systematisch die Gangart des Textes bestimmt.“3 Rhythmus hingegen entsteht erst mit
der Realisierung, „der individuellen Ausgestaltung der poetischen Rede“4, der das
Versmaß zwar zu Grunde liegt, das bei der Ausgestaltung jedoch Spielräume zulässt.
Das Metrum stellt lediglich ein Muster dar, nach dem Akzente und unbetonte Silben
alternieren. Aufgrund schwankender Tonhöhe und Dynamik der Akzente in den Versen
selbst wird es sprachlich niemals exakt reproduziert. Darüber hinaus entstehen auf einer
weiteren Stufe, bei der Rezitation, Abweichungen durch Intonation und Pausensetzung.
Als transmediales Phänomen stellt Rhythmus eine zentrale Schnittstelle von Gedicht
und Film dar. Jan Röhnert sieht darin sogar einen strukturellen Zusammenhang beider
Kunstformen:
Berücksichtigt man nämlich jenes Formelement, auf welches sich die gattungsmäßige Unter-
scheidung der Lyrik von Prosa traditionell gründet, den Vers, so ergibt sich das tertium com-
parationis von Film und Lyrik nahezu von selbst: die Suggestion rhythmischer Bewegung, die
im visuellen Medium über das Bild, im lautlichen Medium über die Stimme des Vortragenden
realisiert wird.5

Sowohl das gesprochene oder gelesene Gedicht in seinem Vollzug als auch die filmi-
schen Bilder sind durch das Element der Bewegung gekennzeichnet und somit für
rhythmische Strukturen prädestiniert.6 Als „psycho-physiologisches Gestaltphänomen“7
men“7 ist Rhythmus nicht an einen bestimmten Sinnesbereich geknüpft, sondern kann
die akustische und visuelle sowie taktile Wahrnehmung gleichermaßen umfassen: „In
all diesen Kontexten kennzeichnet Rhythmus eine (1) temporale Anordnung von
(2) vergleichbaren Elementen in einer nicht beliebigen, sondern (3) gestalthaften Struk-

1
Christine Lubkoll: „Rhythmus und Metrum“, in: Heinrich Bosse/Ursula Renner (Hg.): Lite-
raturwissenschaft. Einführung in ein Sprachspiel, Freiburg im Breisgau 1999, 103–121. Hier: 104.
2
Wie dies noch in der Antike der Fall gewesen sein soll (siehe ebd., 106).
3
Ebd., 105.
4
Ebd., 104.
5
Jan Röhnert: Springende Gedanken, 17.
6
Dass Rhythmus mit Bewegung eng verbunden ist, schließt jedoch nicht aus, dass dieser als Rhyth-
muserleben – in einem erweiterten Verständnis – zuweilen auch ein Mittel der bildenden Künste
oder der Architektur ist.
7
Erwin Arndt/Harald Fricke: „Rhythmus“, in: Jan-Dirk Müller/Georg Braungart (Hg.): Reallexikon
der deutschen Literaturwissenschaft, Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literatur-
geschichte, Berlin 2003, 301–304. Hier: 301.
Rhythmus und Metrum 221
tur.“1 Damit wird nicht nur die Bedeutung des Zeitfaktors unterstrichen, sondern auch
die Bindung des Phänomens an seine sinnliche Wahrnehmbarkeit, denn Rhythmus
ergibt sich nicht zwangsläufig aus der Beschaffenheit eines Gegenstands, sondern er-
weist sich als das, was als rhythmisch empfunden wird. Deshalb besteht Rhythmus auch
nicht in der Wiederholung identischer Elemente, sondern vielmehr in einer Reihung
von Elementen, die als gleich oder ähnlich wahrgenommen werden müssen.
Das Rhythmisieren von Handlungen und sprachlichen Äußerungen kann verschiede-
nen Zielen dienen. Zum einen prägen sich metrisch geregelte Verse besser ein, was
noch zusätzlich durch begleitende ebenfalls rhythmische Körperbewegungen verstärkt
wird. Außerdem löst Rhythmus Affekte aus, und zwar von beruhigenden (Wiegenlied)
bis hin zu aktivierenden Wirkungen (Kriegstrommeln). Und schließlich lassen sich mit
Hilfe rhythmischer Strukturen verschiedene Bewegungsabläufe koordinieren, nicht nur
im Bereich von Tanz und Chorgesang, sondern auch im Bereich der Arbeit, wovon
orale Traditionen wie das field holler zeugen. Diese mnemotechnischen, affektiven und
koordinierenden Funktionen gehen nicht in der symbolischen Bedeutung rhythmischer
Strukturen auf.2 Eine herausgehobene Bedeutung erhält Rhythmus demgemäß im Zu-
sammenhang mit der „philosophisch spekulative[n] Strömung, die von den Romanti-
kern über Nietzsche bis zur Lebensphilosophie führt.“3 Hier gewinnen besonders jene
vorrationalen, körpergebundenen Aspekte des Rhythmusbegriffs an Gewicht, die im
Unterschied zum Mechanisch-Regelhaften des Taktes oder des Metrums stehen: die
vitalen und ekstatischen Potentiale rhythmischen Ausdrucks. Auch die „Rhythmuseu-
phorie“ der zwanziger und dreißiger Jahre steht teilweise in dieser Denktradition.4 Für
die künstlerischen Avantgarden zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts wurde
Rhythmus zum ästhetischen Kernbegriff. Monika Schmitz-Emans hat am Beispiel von
Kurt Schwitters herausgestellt, was die Epoche an diesem Thema außerdem interessiert
haben mag: Rhythmus besitzt die Fähigkeit, Verbindungen zwischen verschiedenen
Künsten und Materialien herzustellen. Angestrebt wird „ein polymediales Werk, bei
welchem der Rhythmus die Ehe zwischen Sprache und Bild stiften soll.“5 Gegenüber
dem Rhythmus treten Nachahmung und Darstellung als künstlerische Prinzipien in den
Hintergrund, wie Schwitters in Bezug auf die bildende Kunst erklärt: „Das Wichtige

1
Ebd.
2
Siehe Hans Ulrich Gumbrecht: „Rhythmus und Sinn“, in: Hans Ulrich Gumbrecht/Monika Elsner
(Hg.): Materialität der Kommunikation, Frankfurt am Main 1988, 714–729. Hier: 717. Die drei
Funktionen des Rhythmus’ lassen sich in systemtheoretischer Perspektive als Wegfall von Unter-
scheidungen beschreiben, da die beteiligten Systeme nicht den Status von Beobachtern haben und
demzufolge keine Ebene der semantischen Beschreibung besitzen. Im Rhythmus koordinierte Ein-
zelsubjekte sind also Teilnehmer, nicht Beobachter (siehe ebd., 725).
3
Isabel Zollna: „Der Rhythmus in der geisteswissenschaftlichen Forschung“, in: Brigitte Schlieben-
Lange (Hg.): Rhythmus, Göttingen 1995, 12–52. Hier: 19f.
4
Ebd.
5
Monika Schmitz-Emans: „Rhythmisierung als Musikalisierung“, 254.
222 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

beim Bild ist der Rhythmus, in Linien, Flächen, Hell und Dunkel, und Farben; kurz der
Rhythmus der Teile des Kunstwerks, des Materials. Am klarsten aber wird der Rhyth-
mus im abstrakten Kunstwerk.“1 Eine Programmatik, die zweifellos auch für seine laut-
poetischen Werke gilt, die aus Silben und Klängen frei von sprachlicher Bedeutung
komponiert sind. Mit der Konzentration auf den Rhythmus geht eine Fokussierung auf
das Material und das Materielle, aber auch auf Form- und Strukturprinzipien einher, die
nicht allein auf Repräsentation und Darstellung gerichtet ist.

3.3.2 Rhythmus und Metrum

Insofern ein Gedichtfilm gesprochene Sprache, Geräusche und Musik enthält, ist
Rhythmus als Gestaltungsform zunächst auf der Tonspur präsent. Mit jeder betonten
Silbe, jeder Pause, jedem Tempowechsel wird eine Musikalisierung des Sprechens er-
möglicht. Rhythmische Gestaltung auf Mikroebene beruht auf den prosodischen Ei-
genschaften, also der Akzentstruktur der Sprache. Die rhythmischen Strukturen sind an
der „Schnittstelle von langue und parole“2 zu verorten: „sie sind als feste Grundstruktur
gegeben und es gibt einen expressiven Spielraum“3. In ihrer systematischsten, regel-
haftesten Form leistet die Dichtung dies durch die metrischen Ordnungsmuster, die
allen Texten in gebundener Rede, darunter bekanntlich vielen Gedichten, zu Grunde
liegen. Aber auch moderne Lyrik in freien Versen und Texte in Prosa können rhyth-
misch gestaltet sein. Auch, wenn sie keinem strengen Metrum folgen, können rhythmi-
sche Strukturen nach dem Sprachrhythmus im weiteren Sinne forciert hervortreten.4 So
beschreibt etwa Bertolt Brecht in seinem kurzen Aufsatz „Über reimlose Lyrik mit
unregelmäßigen Rhythmen“ aus dem Jahr 1938 Gedichte, die „zwar keinen regelmäßi-
gen, aber doch einen (wechselnden, synkopierten, gestischen) Rhythmus haben.“5
In der Geschichte der Poetik gibt es zahlreiche Versuche, diese Differenz zwischen
Metrum und Rhythmus theoretisch zu erfassen. Im russischen Formalismus und später
in der strukturalistischen und generativen Metrik wird das Metrum als ideale Norm
bzw. abstraktes Schema dem sprachlich realisierten Rhythmus gegenübergestellt. 6 Auf

1
Kurt Schwitters: „Der Rhythmus im Kunstwerk“, in: Das literarische Werk, Bd. 5: Manifeste und
kritische Prosa, Köln 1998, 245–246. Hier: 245.
2
Isabel Zollna: „Der Rhythmus“, 25.
3
Ebd.
4
Siehe Christine Lubkoll: „Rhythmus und Metrum“, 104; Otto Knörrich: Lexikon lyrischer Formen,
187.
5
Bertolt Brecht: „Über reimlose Lyrik mit unregelmäßigen Rhythmen“ (1938, 1939“, in: Über
Lyrik, hg. von Elisabeth Hauptmann, Frankfurt am Main 1968, 77–88. Hier: 77.
6
Siehe Isabel Zollna: „Der Rhythmus“, 36f.; Christoph Küper: Sprache und Metrum. Semiotik und
Linguistik des Verses, Tübingen 1988.
Rhythmus und Metrum 223
Roman Jakobson geht das Konzept des Metrums als Verstyp zurück, der der sprachli-
chen Realisierung im Sinne einer unbewussten Kompetenz zu Grunde liegt:
Weit davon entfernt, ein abstraktes theoretisches Schema zu sein, liegt das Metrum – oder in
einem expliziteren Term der Verstyp(design) – dem Bau jeder einzelnen Zeile – oder in logi-
scher Terminologie jeder Versinstanz – zugrunde. Typ und Instanz sind korrelative Begriffe.
Der Verstyp wird in Versinstanzen verkörpert. Die freie Variation dieser Instanzen läuft ge-
wöhnlich unter der äquivoken Bezeichnung ‚Rhythmus‘. Variationen von Versinstanzen müs-
sen streng von den variablen Vortragsinstanzen unterschieden werden.1

Eine dreistufige Unterscheidung zwischen abstraktem metrischen Schema, sprachlicher


Realisierung und Rezitation vertritt auch Christoph Küper, der allerdings im Unter-
schied zu den russischen Theoretikern unter der sprachlichen Realisierung ausschließ-
lich die sprachliche Füllung unabhängig vom metrischen Schema, also den prose
rhythm, versteht und sie dementsprechend differenzierend hinsichtlich ihrer einzel-
sprachlichen linguistischen Komponenten betrachtet.2 Das komplexe wechselseitige
Verhältnis zwischen den drei metrischen Dimensionen, die man auch als „prose
rhythm“, „metric rhythm“ und „performance“3 bezeichnen kann, offenbart sich in der
Rezitation. Eine rhythmische performance von Versen ist häufig mit konfligierenden
metrischen und prosodischen Mustern konfrontiert.4 Sie kann jedoch, wie Reuven Tsur
an Beispielen aus der englischen Dichtung gezeigt hat, eine Versöhnung erreichen, bei
der beide Prinzipien wahrnehmbar bleiben, indem sie phonetische Verfahren wie
Glottisverschlüsse, late peaking, starke Wortgrenzen und Intonationsverläufe kunstvoll
miteinander kombiniert.5 Entscheidend ist im Zusammenhang mit dem Poesiefilm vor
allem, dass Rhythmus als Phänomen erst im Vollzug Gestalt annimmt, während das
Metrum ein vorgestelltes, abstraktes Ordnungsmuster darstellt.6 Aus der Beziehung
zwischen beiden erwächst, so Christine Lubkoll, ein ästhetisches Spannungsverhältnis
„zwischen der konstruierten Regelhaftigkeit, die jedem Rhythmus zu Grunde liegt, und
einem erfinderischen, freien Umgang mit dem Grundmuster, der die Möglichkeit von
kunstvollen Abweichungen einschließt.“7

1
Roman Jakobson: „Linguistik und Poetik“, 102. Siehe Kapitel 3.1. Nach Christoph Küper ist die
Versinstanz bei Jakobson nicht mit dem metrischen Schema zu identifizieren, stellt sie doch eine
unbewusste Kenntnis der Regeln zum Versbau zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt dar und
ist somit auf einer niedrigeren Abstraktionsstufe anzusiedeln. (Siehe Christoph Küper: Sprache und
Metrum, 106ff.).
2
Siehe ebd., 128ff.
3
Siehe Reuven Tsur: „A Perception-Oriented Theory of“, 19.
4
Siehe ebd., 20.
5
Siehe ebd., 23ff.
6
Roman Jakobson geht von einer metrischen Kompetenz als einer impliziten Kenntnis der metri-
schen Regeln aus. (Siehe auch Isabel Zollna: „Der Rhythmus“, 37).
7
Christine Lubkoll: „Rhythmus und Metrum“, 104.
224 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

Handelt es sich um einen performanceorientierten Gedichtfilm, so ist bei der rhyth-


mischen Gestaltung besonders auch die die Rezitation begleitende, von ihr eigentlich
nicht zu trennende Körperbewegung hervorzuheben, die auf der Bildspur sichtbar wird.
Tanz war bei den Griechen bis zum Ende des fünften Jahrhunderts in der mousiké noch
fest mit der Versdichtung verbunden:
Das der Musik und der Sprache Gemeinsame aber, das, worin sich auch die Einheit von Musik
und Vers bekundete, ist der Rhythmus. In der Chorlyrik, die getanzt wurde, war er außerdem
auch der Rhythmus des Tanzes. So verbindet sich Rhythmus, Sprache, Vers, Musik und Tanz
und wird dadurch zum Träger unserer Darstellung.1

Weil die altgriechische Sprache lange und kurze Silben voneinander unterscheidet,
liegen Sprechen und Singen näher beieinander als in den modernen westlichen Spra-
chen: „It is easy to understand why time-duration was recognized in spoken verse if it is
borne in mind that in early Greek times there was no distinction between poetry and
song.“2 Alle altgriechische Lyrik war gesungene Lyrik. Georgiades spricht von der
Quantitätsrhythmik des Altgriechischen als einem musikalischen ‚Klangleib‘, der die
„konkrete technische Voraussetzung“3 der ganzheitlichen mousiké darstellte. Anders als
als Georgiades gehen Altphilologen heute davon aus, dass der altgriechische Vers-
rhythmus durchaus musikalische Spielräume kannte. Auch im Altgriechischen ist der
Rhythmus also nicht ausschließlich vom quantifizierenden Metrum vorgegeben, son-
dern entfaltet sich erst in der rhythmischen Performance. Die Verteilung von Hebungen
und Senkungen muss variabel gewesen sein, um die rhythmische Bewegung des Chores
überhaupt zu ermöglichen. Eine weitere Variation wurde durch die Verteilung von Pau-
sen (rests) eingeführt.4 Die Rhythmisierung der Verse wird durch eine externe Instanz
bestimmt: „there must be an outside agent to provide or shape rhythm by arranging the
parts.“5 Diese externe Instanz ist die Aufteilung der Silben in ‚Füße‘. Obwohl Geor-
giades’ Ansichten zur Musikalität der altgriechischen Sprache also mittlerweile nuan-
ciert worden sind, geht man weiter von einer engen Bindung von Tanz und Versrhyth-
mik aus.6 So wurden Chorgesänge oder auch die Oden Pindars tatsächlich unter
Vollzug körperlicher Bewegung vorgetragen. Diese Chorbewegung spiegelt sich in der

1
Thrasybulos G. Georgiades: Musik und Rhythmus bei den Griechen. Zum Ursprung der abendlän-
dischen Musik, Hamburg 1958, 7.
2
Lionel Ignacius Cusack Pearson: „Introduction. The Greek Theory of Rhythm: Aristoxenus and
Others“, in: Aristoxenus, Elementa rhythmica. The Fragment of Book II and the Additional Evi-
dence for Aristoxenean Rhythmic Theory, hg. von Lionel Ignacius Cusack Pearson, Oxford 1990,
xxiii–liii. Hier: xxix.
3
Thrasybulos G. Georgiades: Der griechische Rhythmus. Musik, Reigen, Vers und Sprache, Ham-
burg 1949, 135.
4
Siehe Lionel Ignacius Cusack Pearson: „Introduction“, xxxiiif.
5
Ebd., xxxv.
6
A.P. David: The Dance of the Muses. Choral Theory and Ancient Greek Poetics, Published to
Oxford Scholarship Online: Sep-07, Oxford 2006, 8f.
Rhythmus und Metrum 225
Terminologie vom Fuß des Verses, der eine Hebung (Arsis) und eine Senkung (Thesis)
umfasste.1
The substance of ancient Greek poetical composition is rooted in the physicality of dance. The
dynamism of ancient verse is born in the interconnection between the rhythm felt in the meas-
ured vigour of dancing feet, on the one hand, and that harmony whose instrument is the human
voice and whose material is the accentual melody of Greek words in the flexibility of their or-
der.2

Es scheint verlockend, den Poesiefilm als Entwicklung einer neuen mousiké unter den
Bedingungen audiovisueller Medialität aufzufassen. Werden nicht Rhythmen der kör-
perlichen Bewegung mit den Rhythmen des Verses in seiner lautlichen Performance
vereint? Bei näherer Betrachtung beruht jedoch die Kombination von Tanz, Musik und
gesprochener Dichtung im Poesiefilm gerade auf der historischen Spaltung der mousiké
in Dichtung und Musik:
Aus der ursprünglichen Einheit ist eine Zweiheit geworden; aus der Musiké sind Dichtung und
Musik entstanden. Erst jetzt, erst innerhalb der abendländischen Geschichte, ist es möglich
geworden, Musik und Sprache streng voneinander zu trennen. Von nun an besteht aber auch,
gleichsam als Erinnerung an den gemeinsamen historischen Ursprung, die Sehnsucht der einen
nach der anderen, die Neigung sich gegenseitig zu ergänzen. Was aus dieser Verbindung je-
weils hervorgeht, hat jedoch mit der antiken Musiké nichts gemein.3

Hierin ist jedoch auch die Spannung und die Produktivität begründet, die aus einem
Zusammentreffen von Musik, Sprache und Tanz mit ihren unterschiedlichen rhythmi-
schen Strukturen in den heutigen audiovisuellen Erscheinungsweisen des Poesiefilmes
hervorgeht.

3.3.3 Rhythmus in Film und Video

Die Beschäftigung mit dem Rhythmus ist im Bereich des Filmes von Anfang an ein
wichtiges Thema gewesen. In den ästhetischen Schriften der Avantgarde wird er vor
allem im Zusammenhang mit der Montage zu einem zentralen Problem.4 Besonders
Sergej M. Ejsenštejn geht in seiner wirkmächtigen Montagetheorie ausdrücklich auf das
Phänomen des Rhythmus’ ein. Dynamik entsteht demzufolge durch die mechanisch
produzierte Spannung, einem Rhythmus, der sich im Aufeinandertreffen voneinander
unabhängiger Aufnahmen bildet.5 Gerade die Unregelmäßigkeit, die die Einzelheiten in

1
Thrasybulos G. Georgiades: Musik und Rhythmus bei, 37.
2
A.P. David: The Dance of the, 22.
3
Thrasybulos G. Georgiades: Der griechische Rhythmus Musik, 53.
4
Siehe Diedrich Diederichsen: „Montage/Sampling/Morphing“.
5
„Das konturelle Nicht-Übereinstimmen des im Gedächtnis eingeprägten ersten Bildes und des dann
wahrzunehmenden zweiten Bildes – der Konflikt beider – gebiert die Bewegungsempfindung, den
Begriff des Ablaufens einer Bewegung. Der Grad der Nicht-Übereinstimmung bestimmt die Ein-
226 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

in Konflikt zum Regelsystem setzt, erzeuge Spannung. Hier sieht Ejsenštejn eine Ähn-
lichkeit zur Poesie, die aus diesem Prinzip ihren „ganzen Reiz“1 ziehe. Nicht auf tradi-
tionelle lyrische Formen stütze sich die poetische Anziehungskraft, sondern eben gera-
de auf den Konflikt zwischen dem Metrum und der Verteilung von Akzenten, die das
Versmaß überschreiten.2 Aus der von Ejsenštejn und anderen beobachteten Äquivalenz
zwischen dem Spannungsverhältnis Metrum/Rhythmus in Lyrik und Film ergeben sich
interessante Ansatzpunkte für die Analyse von Poesiefilmen. Es wäre herauszuarbeiten,
wie sprachliche und bildliche Rhythmen zusammenwirken oder auch gegeneinander
ankämpfen. Poesiefilme verfahren in der Anordnung des Bildmaterials anders als Spiel-
filme, da sie im Prinzip auf narrative, kontinuierliche Montagetechniken verzichten
können. Dies äußert sich häufig in einem sehr markierten, diskontinuierlichen Monta-
gestil, der den Schnitt eher betont, als gekonnt überspielt. Auch in der Ästhetik der
Avantgarde-Filmemacherin Germaine Dulac nimmt Rhythmus eine zentrale Position
ein:
Les images composées comme les mots dans une phrase sont coupées, opposées, juxtaposées
dans un rythme exclusif au cinéma: et qui en fait une nouvelle expression d’art, une traduction
inédite de la vie intérieure; c’est en cela surtout que le cinéma est merveilleux: le seul chock
des images peut traduire tous les états d’âme.3

Einen diskontinuierlichen Montagestil weist neben dem Avantgarde- und Experimen-


talfilm auch das Musikvideo auf, wo Rhythmus aufgrund der dominierenden Rolle der
Musik zu einem zentralen Gestaltungsprinzip wird. Bei der zunächst allzu offensicht-
lich erscheinenden Analogie zwischen musikalischem und visuellem Rhythmus besteht
allerdings die Gefahr, die Komplexität des Gegenstandes aus dem Blick zu verlieren.
Der Musikwissenschaftler Nicholas Cook, der das Zusammenspiel von Musik und Bil-
dern im Musikvideo eingehend untersucht, betont, dass sich der rhythmische Charakter
eines Filmes aus verschiedenen Parametern zusammensetzt. Dazu sind nicht nur der
Schnitt, sondern auch Kamerabewegungen (wie Fahrten und Schwenks), Zooms sowie
Bewegungen innerhalb des Bildes zu zählen.4 Hinzu kommen Veränderungen der

drucksintensität, bedingt die Spannung, die zum eigentlichen Element des Rhythmus’ im Zusam-
menhang mit dem darauf folgenden wird.“ (Sergej Ejsenštejn: „Dramaturgie der Film-Form“, 281).
1
Ebd., 278.
2
Siehe ebd.
3
Germaine Dulac: „Images et Rhythmes“ [Jeudi, 13 Novembre 1924], in: Ecrits sur le cinéma.
1919–1937, hg. von Prosper Hillairet, Paris 1994, 45. „Die Bilder, komponiert wie Wörter in einem
Satz, werden geschnitten, gegenübergestellt, entgegengesetzt in einem Rhythmus, der einzig dem
Kino eigen ist: und der aus ihm ein neues künstlerisches Ausdrucksmittel macht, eine unbearbeitete
Übertragung des inneren Lebens; gerade darin ist das Kino wunderbar: ein einziger Aufprall des
Bildes kann alle Zustände der Seele übertragen.“ (Übers. S.O.).
4
Siehe Nicholas Cook: Analysing Musical Multimedia, Oxford 1998, 143.
Rhythmus und Metrum 227
Lichtverhältnisse und Einblendungen graphischer Elemente und Schriftzüge.1 Alle
diese visuellen rhythmischen Elemente werden nun wiederum mit verschiedenen musi-
kalischen Rhythmusparametern in Beziehung gebracht. Zweifellos handelt es sich bei
Musikvideos in den meisten Fällen um „polyrhythmische Gebilde“2, bei denen nur
äußerst selten eine rhythmische Verdopplung der Musik auf der visuellen Ebene anzu-
treffen ist.3
Da Rhythmus sowohl der Lyrik als auch im audiovisuellen Metrum ein wichtiges äs-
thetisches Mittel sein kann, liegt es nahe, sich dem Poesiefilm auch über dieses Krite-
rium anzunähern. Dabei kommt es darauf an, strukturelle rhythmische Analogien her-
auszuarbeiten, indem beispielsweise die Binnengliederung eines Textes mit Bildgrup-
pen, der Sprechrhythmus oder das Metrum mit dem Schnitt verglichen werden.
Rhythmus entsteht in literarischen Texten auch auf einer Makroebene, auf der die Ein-
teilung in Segmente wie Verse und Strophen eine gewisse Regelmäßigkeit erzeugen
kann. Auf einer Makroebene der Strukturierung von Segmenten lässt sich diese Er-
scheinung auch im Film beobachten, wo durch Einstellungswechsel rhythmische Glie-
derung erzeugt wird.4 Dabei ist wiederum zu bemerken, dass nicht der Schnitt allein
den Rhythmus vorgibt, sondern das Alternieren von ähnlichen Filmbildern, Kamerabe-
wegung, Beleuchtungswechsel oder Bewegungen innerhalb dieser Bilder hinzutreten
kann. Es gilt, was Irmela Schneider für die Literaturverfilmung insgesamt herausgear-
beitet hat: Die verschiedenen medialen Texte selbst lassen sich aufgrund ihrer ganz
unterschiedlichen materiellen Realisierung nicht direkt vergleichen, doch man kann die
Zeichensysteme jeweils auf Analogien im Zeichengebrauch, auf Vergleichbarkeit in
ihrer signifikativen Praxis hin befragen.5
Rhythmus prägt nicht nur visuell, sondern ist selbstverständlich auch für das sound
design von Film und Video ein wichtiger Faktor, wobei neben sprachlichen Äußerun-
gen und Musik auch alle anderen Klangelemente Rhythmus erzeugen können. Einige
Geräusche bestehen ganz oder teilweise aus rhythmisierten Elementen, wie zum Bei-
spiel das Ticken einer Uhr, der menschliche Herzschlag oder ein vorbeifahrender Zug.
Zur Beschreibung des Tempos dieser Geräusche behilft man sich als Vergleichsgröße
mit dem Atemzyklus (3–5 Sekunden), der nach Barbara Flückiger „am ehesten einer
subjektiv empfundenen Zeiteinteilung“6 entspricht. Ebenso bedeutsam ist die Frage
nach der Gleichmäßigkeit der Geräusche selbst von „gleichförmig über periodisch ge-

1
Siehe Falk Rößler: „Musikvideos. Rhythmus wohin man hört und schaut“, in: Hans-Joachim Laabs
(Hg.): Wir gehen multimedial. Kommt ihr mit?, Potsdam 2007, 137–143. Hier: 138.
2
Ebd., 142.
3
Siehe Nicholas Cook: Analysing Musical Multimedia, 163ff.
4
Siehe Isabel Zollna: „Der Rhythmus“, 37.
5
Siehe Irmela Schneider: Der verwandelte Text, 156ff.
6
Barbara Flückiger: Sound Design, 231.
228 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

häuft bis zufällig“.1 Neuere psychoakustische Publikationen bezeichnen rhythmisch


auftretende Klangobjekte häufig als „zeitliches Muster (temporal pattern)“2, da sie nicht
durch ein musikalisches Metrum beschreibbar sind. Weil eine starke rhythmische
Durcharbeitung den Eindruck des Künstlichen hervorruft und die Aufmerksamkeit auf
die äußere Faktur lenkt, wird in Spielfilmen nur selten mit forcierten Rhythmen gear-
beitet: „Der mimetische Aspekt der Tonspur, der auf die Konstruktion natürlich wir-
kender Lautsphären ausgerichtet ist, verbietet nachgerade eine allzu offensichtliche
regelmäßige Strukturbildung.“3 Anders im Gedichtfilm, wo ähnlich wie bei der visuel-
len Montage das sound design nicht in die Gestaltung einer filmischen Diegese einge-
bunden ist und es nicht erforderlich ist, den „Aspekt des Gemachten zu verbergen“4.
Den Unterschied zwischen den beiden Weisen des Umgangs mit rhythmischen Struktu-
ren, soll kurz an einem Beispiel verdeutlicht werden. In Musical-Filmen werden beim
Übergang einer diegetischen Sequenz in eine Musiknummer manchmal natürliche
Rhythmen aus der diegetischen Welt aufgegriffen, die sich dann ganz offensichtlich zu
strukturbildenden, „künstlichen“ Rhythmen ordnen. Lars von Triers Film DANCER IN
THE DARK (2002) macht ein solches Umspringen von „natürlicher Lautsphäre“ in Mu-
sik sogar zum Leitmotiv. Einmal ist es das Rattern eines Zuges, ein anderes Mal der
Maschinenlärm in einer Fabrikhalle oder das Schaben eines Zeichenstiftes, das spiele-
risch in musikalische rhythmische Strukturen überführt wird. Auf der visuellen Ebene
spiegelt sich diese Verwandlung ganz im Sinne Karl Philipp Moritz’ im Übergang von
zweckgebundenen Bewegungen wie Gehen und Arbeiten in Tanz.
Rhythmische Gestaltung ist im audiovisuellen Medium also grundsätzlich auf akusti-
scher und visueller Ebene möglich. Auf visueller Ebene lassen sich die Ebene der visu-
ellen Montage – des Schnitts – und die im Bildkader sichtbaren rhythmischen Bewe-
gungen unterscheiden. Letztere können entweder durch Kamerabewegung erzeugt sein
oder von bewegten Objekten im weiteren Sinne ausgelöst werden, etwa durch Bewe-
gungen von Körpern oder Maschinen, Lichtwechsel oder Einblendungen. Auf der akus-
tischen Ebene kann man zwischen rhythmischen Geräuschen, Musik und gesprochener
Sprache differenzieren, die jeweils auf ihre eigenen Weise rhythmisch sein können und
daher hier unterschieden werden, obwohl jede einzelne der zwischen ihnen verlaufen-
den Grenzen unscharf ist und problematisiert werden kann. Die visuelle Montage kann
darüber hinaus wie eine Klammer jede dieser genannten Ebenen, die für sich genom-
men rhythmushaltig sein können, in ein polyrhythmisches Gefüge von großer Komple-
xität zusammenbringen, wobei das Wechselspiel von akustischer und visueller Ebene
einen eigenen Rhythmus erzeugen kann. Ein kurzer Überblick soll die Systematik im
Folgenden veranschaulichen:

1
Ebd.
2
Ebd., 263.
3
Ebd.
4
Ebd.
Rhythmus und Metrum 229
Ebenen rhythmischer Gestaltung im Poesiefilm
1) Visuelle Ebene
a) Montage z. B. Schnittfrequenz
b) Bild
i) Objekte, z. B: Tanz, Brandung, Hell-Dunkel
ii) Kamerabewegung, z. B. Zoom, Schwenk Montage
2) Akustische Ebene
a) gesprochene Sprache, z. B. Prosodie, Vers, Wechselrede
b) Musik
c) Geräusche, z. B. Glockenläuten, Zugrattern

3.3.4 Peter Reading: 15TH FEBRUARY

Eine besonders sinnfällige Verbindung poetischer und filmischer Rhythmen lässt sich
in dem englischen Poesiefilm 15TH FEBRUARY beobachten. Das erste, was an diesem
Film auffällt, ist sicher die ungewöhnlich hohe Schnittfrequenz mit der verschiedenes
Bildmaterial, darunter Zeichentrick, Collagen und Stop-Motion-Animationen, in
schneller Folge wechseln. Die Inhaltsangabe des Filmes lautet passenderweise: „Love
gone wrong in 298 cuts“1. Doch der starke rhythmische Eindruck, den der englische
Gedichtfilm hinterlässt, entsteht nicht allein durch das Tempo der Bildmontage, son-
dern durch ganz unterschiedliche rhythmische Elemente, wie im Folgenden zu zeigen
sein wird.
Regisseur und Animationskünstler Tim Webb produzierte 15TH FEBRUARY nach dem
gleichnamigen Gedicht von Peter Reading im Jahr 1995.2 Der Text wurde von Reading
selbst eingesprochen und ist als Voice-Over zu hören. Peter Reading ist bekannt für
sein Spiel mit Formen und seine unversöhnliche Kombination von drastischen Ausdrü-
cken und klassischen Metren: „As he manages to sound both haughtily fastidious and
recklessly insensitive, it is small wonder that he has incurred reprobation […]“3. In 15TH
FEBRUARY spricht Reading ein umgangssprachliches, regional akzentuiertes Englisch,
das auch Ausdrücke wie „ain’t“ oder „me heart“ enthält. Die sprechsprachlichen Wen-

1
Tim Webb: 15th February. Synopsis, 2001, online unter: http://vimeo.com/35060687, zuletzt ge-
prüft am 19.03.2014.
2
Im Folgenden zitiert nach Peter Reading: Collected poems, Bd. I: Poems 1970–1984, Newcastle
upon Tyne 1995, 225.
3
Thomas Riggs/Anthony Thwaite: Contemporary Poets, New York 1996, 897.
230 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

dungen mit ihren Korrekturen, Wiederholungen und Umstellungen1 kontrastieren mit


den fünfhebigen, reimlosen Jamben, die den größten Teil des Gedichtes bestimmen.
Der Blankvers, altehrwürdiges Versmaß der englischen Literatur, findet sich in Miltons
Paradise Lost und natürlich in Shakespeares Dramen.
„15th February“ gibt sich zunächst als Liebesgedicht. Bekanntlich wird in den angel-
sächsischen Ländern am 14. Februar traditionell der Valentinstag als Tag der Lieben-
den begangen. Ohne eine konkrete Handlung wiederzugeben oder diesen Anlass expli-
zit zu benennen, verweist das Gedicht mit Passagen wie „I tried to put in what I really
felt“, „WH Smith’s ain’t cheap“2 oder „The heart was scarlet satin sort of stuffed“ auf
den Brauch, der Geliebten eine Valentinskarte als Zeichen und Eingeständnis seiner
Zuneigung zu senden. In den filmischen Bildern wird das noch stärker verdeutlicht,
indem zum Beispiel der gesamte erste Teil von 15TH FEBRUARY zeigt, wie Briefe fran-
kiert, eingeworfen und ausgestellt werden. Der Titel des Gedichtes markiert den Tag
danach. Und so wechselt Reading von der sprachspielerischen Beschreibung des
Schreibens und Kaufens einer Valentinskarte ziemlich abrupt zu einem zweiten Teil, in
dem in drastischer Sprache von Zurückweisung und Verletzung die Rede ist.
Readings Rezitation setzt erst in Minute 2’53 des Filmes ein, doch bereits in den
Einstellungen davor entwickelt sich in der Montage eine starke rhythmische Wirkung.
Man sieht wiederholt Einstellungen, in denen ein bestimmter Vorgang ausgeführt wird,
meist eine kurze einfache Bewegung, die durch ein prägnantes Klangereignis begleitet
wird. Alle Einstellungen haben mit dem Thema „Post“ zu tun und zeigen verschiedene
Handgriffe und Abläufe, die zum Versenden eines Briefes gehören: die Zustellung
durch den Postboten, das Stempeln der Marke, das Anlecken der Marke, des Um-
schlags, der Einwurf in einen Briefkasten. Dies alles wird gezeigt, ohne dass jedoch die
Geschichte eines ganz bestimmten Briefes erzählt wird. Es gibt weder eine zentrale
Perspektive, aus der berichtet wird, noch eine Chronologie der Ereignisse. Im Mittel-
punkt steht der Rhythmus, der Vorgang des Briefeversendens selbst. Eine solche Dar-
stellung fokussiert aber weniger auf inhaltliche, als auf visuelle und klangliche Ereig-
nisse, die markiert und ihrer Form wegen kompositorisch eingesetzt werden. Die
einzelne Einstellung ist nicht Teil einer Erzählung, sondern wirkt zuerst über klangliche
und visuelle Eigenschaften, Geräusch und Bewegung. Hier lässt sich ein musikalischer
Aspekt der Montage in 15TH FEBRUARY feststellen, der mit den sprachmusikalischen
Gestaltungsprinzipien nicht zuletzt der Lyrik durchaus vergleichbar ist.
Ein wichtiges Element dieser rhythmischen Montage sind die Klangereignisse auf
der Tonspur. Neben dem metallischen Zuschlagen der Briefkastenklappe oder dem
dumpfen Knall des Stempels, treten dabei besonders Körpergeräusche in den Vorder-
grund. Dabei wird das hastige Inhalieren und Ausatmen eines Rauchers, sein trockenes

1
Siehe Johannes Schwitalla: Gesprochenes Deutsch. Eine Einführung, Berlin 1997, 200.
2
„WH Smith’s“ lautet der Name einer bekannten Kette von Schreibwarengeschäften in Großbritan-
nien.
Rhythmus und Metrum 231
Husten sowie das Anlecken von Briefmarke und Umschlag in einer extremen akusti-
schen Großaufnahme abgespielt, die stellenweise fast abstoßend wirkt. Diese übergroße
akustische Nähe findet seine visuelle Entsprechung in den Einstellungsgrößen, in denen
Mund und Zunge fast das ganze Bild ausfüllen. Insgesamt werden Bild- und Tonspur in
15TH FEBRUARY aber durchaus nicht immer miteinander synchronisiert. Einige der Ge-
räusche setzen sich zum Beispiel im Off des Bildes fort und bilden so eine rhythmische
Untermalung der ganzen ersten Sequenz.
Bei einer einmaligen Rezeption nimmt man die polyrhythmische Eingangssequenz
vor allem als durch schnelle Schnitte und markante Geräusche bestimmt wahr. Analy-
siert man den Film genauer, stellt man jedoch fest, dass diese Sequenz nach einem ganz
bestimmten Muster konstruiert ist. Die Einstellungen lassen sich verschiedenen Grup-
pen zuordnen, innerhalb derer sie einander ähnlich, aber nie vollkommen gleich sind.
Mehrere Einstellungen zeigen das Einwerfen eines Briefes, einige einen Stempel, an-
dere das Anlecken der Briefmarke, wieder andere einen Raucher. Insgesamt lassen sich
zehn dieser Gruppen unterscheiden. Man hätte den Rhythmus auch allein durch Mon-
tage erzeugen können, indem man die Einstellungen nämlich einfach nach einem be-
stimmten Muster technisch wiederholt hätte. Weil sie aber nicht identisch, sondern, da
sie durch einen erneuten Vollzug der abgebildeten Handlung entstehen, nur ähnlich
sind, könnte man sagen, dass diese Einstellungen sich visuell ‚reimen‘. Die Parallele
zum Reim liegt auch deshalb nahe, weil genau wie beim Reim durch eine bestimmte
Anordnung der Kadenzen wiederum eine rhythmische Anordnung der Textstruktur
entsteht: das Reimschema.
Betrachtet man das ‚Reimschema‘ der Eingangssequenzen von 15TH FEBRUARY, ent-
deckt man Überraschendes: Am Beginn des Filmes, wo Totalen einer Häuserfront (a)
mit Postklappen (b) und Stempeln (c) alternieren, ergibt sich das rhythmische Muster
aba bcb a bcb. Danach folgt ein längerer Teil in dem die Einstellungsgruppen Klappe
(a), Stempel (b), Rauchen (c), Briefkasten, Briefmarke, Umschlag, Aschenbecher nach-
einander ablaufen. Das bedeutet, dass immer sechs bis zehn Einstellungen der gleichen
Gruppe gezeigt werden, bevor die nächste Gruppe an der Reihe ist. Interessant ist nun,
wie die Übergänge zwischen den Gruppen gestaltet sind. Zunächst folgen eine Reihe
von ähnlichen Einstellungen aufeinander, was in etwa dem Haufenreim entspricht, dann
jedoch wird eine Einstellung der nächsten Gruppe hereingerückt, so dass das Schema
insgesamt wie folgt aussieht: aaaaaababbbbbbcbcccccc etc. So entsteht eine Verket-
tung der einzelnen Einstellungsgruppen, was den Rhythmus spannender und weniger
schroff macht. Die Übergänge sind im Prinzip wie Terzinen gestaltet, bei denen die
verschiedenen Reime jeweils kettenartig nach dem Schema ababcbc ineinander grei-
fen.1 Erst am Ende des ersten Teils werden die verschiedenen Einstellungen noch ein-
mal einzeln in eine chronologische Reihenfolge gebracht. Darin lässt sich dann doch

1
Siehe Christian Wagenknecht: Deutsche Metrik. Eine historische Einführung, München 1981, 137.
232 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

die Kurzbeschreibung einer Handlung erkennen (ein nervös rauchender Mann schreibt
einen Brief und schickt ihn ab), die sozusagen die Vorgeschichte zum gleich darauf
anhebenden Gedicht bildet. Ein melodramatisch im Zeitraffer welkender Rosenstrauß
bildet den Abschluss der einleitenden Sequenz.
Das Prinzip der Neuvariation und Umgruppierung von Einzelelementen bestimmt
auch das von Peter Reading gesprochene Gedicht. Aus dem sprachlichen Material eines
einzigen Verses werden unter Zuhilfenahme nur weniger zusätzlicher Wörter immer
neue Kombinationen gebildet. Aus dem Vers „I tried to put in what I really felt“ entste-
hen immer andere, sich unmerklich vom Ausgangspunkt entfernende Versionen, in
denen die Möglichkeit eines Schreibens als wahrhaftiger Selbstausdruck mehr und
mehr in Zweifel gerät. Wenn es schließlich heißt: „What I put in I tried to really feel.“,
hat sich die Reihenfolge von Fühlen und Schreiben schon umgekehrt. Statt des Ver-
suchs, das Gefühl in die Schrift zu legen, erscheint es nun, als ob das Gefühl erst dem
Geschriebenen gerecht werden müsse. Abgesehen von diesen Darstellungsfunktionen
hat das spielerische Wiederholen und Variieren aber auch einen unmittelbar klangli-
chen Reiz, der mit dem des rhythmisch wiederholenden Bildschnittes durchaus ver-
wandt ist. Die kaum durch ein Suffix beschwerten, frei beweglichen englischen Wörter
eignen sich hervorragend für dieses Spiel, das sich im Deutschen durch deklinierte und
konjugierte Formen viel schwieriger gestaltet.
In Verbindung mit den Bildern wird aber auch eine komische Seite am Gedicht her-
vorgehoben. Der Text wird Vers für Vers über wackelige Aufnahmen gesprochen, die
wohl in einem Einkaufzentrum entstanden sind, und die nach und nach durch verschie-
dene Techniken verfremdet werden. In den Pausen zwischen den Versen sieht man eine
schreibende Hand und ein Blatt Papier in Großaufnahme. In einem Kommentar zum
hilflosen Versuch „sich auszudrücken“ werden Kreuze oder sinnloses Gekrakel auf
Papier gekritzelt. Animationstricks lassen den Stift in Stücke zerbröseln oder weich wie
Wachs werden. In einer dieser Einstellungen zeichnet das Schreibgerät plötzlich nicht
mehr auf Papier, sondern strichelt rote Kreuze auf bloße Haut. Die Schreibfläche wird
gegen den Körper ausgetauscht, ein visuelles Motiv, das sich in 15TH FEBRUARY wie-
derholt, ob beim auf die Haut gedrückten Stempel oder bei der Tinte aus Blut.
Auch in der zweiten Strophe, die mit einer Trickfilmsequenz verbunden ist, wird das
Prinzip der Umstellung und Neukombination beibehalten. Während im Text varianten-
reich der Kaufpreis von „a thing like that“ im WH Smith’s verhandelt wird, zeigen
Zeichentrickanimationen aus subjektiver Perspektive kurze Ansichten von eben diesem
Geschäft. Dabei gehört zu jeder Wortgruppe eine ganz bestimmte Bildfolge, die dann
auch synchron zu den sprachlichen Umstellungen variiert werden, was natürlich zu
Wiederholungen und sprunghaften Wechseln zwischen den Bildern führt. Jeder dieser
„Schnitte“ wird durch das Klingeln und Rattern einer Registrierklasse akzentuiert.
Die Beschreibung eines Satinherzens („satin scarlet, sort of stuffed”) eröffnet den
dritten Teil des Gedichtes. Wie die Bilder zeigen, ist es der Schmuck einer an die Ge-
liebte gerichteten Valentinskarte. Die filmische Montage überstürzt sich von hier an.
Rhythmus und Metrum 233
Bilder von verschiedenen Verfallsmotiven, welkende Blumen, Maden, obszöne Colla-
gen und die genüssliche Zerstörung des Satinherzens wechseln in schneller Folge. Doch
auch die Rezitation Readings gewinnt an Tempo, Höhe und Akzentdichte. Mit dem
empörten „SHE TORE THE STUFFING OUT OF THE SCARLET HEART“ beginnt
die Beschreibung des Liebesleids in einer unbeholfenen, zunächst konventionell er-
scheinenden Metaphorik, in der das Herz die innere Gefühlswelt symbolisiert. Der Ge-
waltakt an der kitschigen Glückwunschkarte kann so für die Zurückweisung des Lie-
besantrages stehen, was sogar zweimal ausdrücklich betont wird: „ I sort of felt it was
me own heart, like“. So weit so gut. Aber in einer schrecklichen Bewegung kehrt sich
die Metaphorik der Verletzung wieder ins Reale um: vom Herzsymbol zum verwundba-
ren Organ im Körper einer Frau: „tore out her heart stuff scarred her“.
Die Umwendung in konkrete, körperliche Gewalt geht einher mit einer Auflösung
der Syntax und der Sinnzusammenhänge. Reading treibt sein Gedicht vom klassischen
Blankvers ins Gestammel, bis die Sprache schließlich in sinnlose Bruchstücke zerfällt:
„Stuffed finger scar ha ha ha ha ha ha“. Nach dem Muster der ersten beiden Strophen
geschieht dies durch Umstellungen der Wörter, dann aber auch der Silben und schließ-
lich der Phoneme:
[…]
I sort of stuffed and tore her sort of scarlet.
I stuffed her, like, and felt her sort of satin.
I sort of felt she tore out all me stuffin.
I felt her stuff like satin sort of scarlet
her staff felt sore, torn satin satin whorlet scar
I tore her satin felt her stuffed her scarlet
tore out her heart stuff scarred her Satan har
I licked her stiff tore scarf her harlot hair
tied scarf tore stabbed scar whore sin sat tit star
stuffed finger scar ha ha ha ha ha ha
felt stiff scarf tight tore scarlet heart her scare
he scare stare stabbed heart scarlet feel torn mur 1

Aus dem in den ersten drei Versen eingeführten Sprachmaterial entstehen durch Per-
mutation und Kombination drastische neue Bedeutungen. Zunächst wechseln die Wör-
ter so die Plätze, dass sich die harmlose Beschreibung der Glückwunschkarte in gewalt-
same Sexualität umwandelt: „I stuffed her, like, and felt her sort of satin.“ Dann werden
zunehmend auch die Wörter in Silben zerschnitten und zu anderen zusammengesetzt.
So entsteht aus „satin“ und „tore“ „sore“, „heart“ und „scarlet“ bilden „harlot“ (Dirne),
„heart“ und „tore“ „whore“, von „scarlet“ bleibt „scar“ stehen und so weiter. In einer
weiteren Auflösungsstufe werden schließlich sogar die Einzellaute abgetrennt und neu
montiert, wodurch Wörter wie „tit“, „sin“, „scare“, „stare“ und „stiff“ entstehen. Die

1
Peter Reading: Collected poems, 225
234 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

Gewaltsamkeit der Sprache wird so noch einmal an ihr selbst vollzogen. Aus den Fet-
zen wird ein Schal geknüpft, der würgt.1 Irgendwann ist das Gedicht dann bei der Lei-
che („stiff“) angekommen.
Indessen scheint sich auch das metrische Muster, das so klassisch mit Blankversen
begonnen hatte, mehr und mehr zu übereilen und aufzulösen. Reading skandiert die nun
fast ausschließlich einsilbigen Wörter mit überschnappender Stimme, so dass keine
Jamben mehr hörbar sind, fast wie eine Reihe von Zählwörtern. Schließlich schreit er
die Satzfragmente stoßweise heraus, zerstückelt wie sie sind: Zerstückelung der Spra-
che, die sich zu erschreckenden neuen Bedeutungen von aggressiver Sexualität um-
formt, Zerstückelung der nun in rasender Geschwindigkeit geschnittenen Bilder, er-
träumte Zerstückelung des begehrten Körpers der Zurückweisenden. Erinnern wir uns:
„I tried to put in what I really felt.“
Es geht nicht darum, auszudeuten, ob nun dieser Wunsch in entstellter Form schon
immer vorhanden war, so wie in den harmlosen Versen des Beginns die späteren
Schmähungen verrätselt und verstellt, aber als sprachliche Möglichkeiten, schon ent-
halten sind. Nicht einer psychologischen Interpretation, sondern der Zerstückelung als
Montageprinzip soll die Aufmerksamkeit gelten. Dieses Prinzip durchzieht auch die
visuelle Ebene des Gedichtfilmes im doppelten Sinn. Der dritte Teil ist einerseits durch
eine immer höhere Schnittfrequenz unzusammenhängender Bilder geprägt, andererseits
wird auch innerhalb der einzelnen Einstellung mit Fotocollagen gearbeitet. Ohnehin
sind die filmischen Bilder, die mit der dritten Strophe einhergehen, hauptsächlich flä-
chig und bestehen zum Großteil aus Stop-Motion-Animationen.
Das Ineinandergreifen von sprachlichem und Montagerhythmus lässt sich gut an der
Schlusssequenz (5’40) des Gedichtfilmes zeigen. Darin hören wir Reading die letzte
Zeile seines Gedichtes sprechen, wobei er ähnlich wie man es vom Zählen her kennt,
immer neu ansetzt, statt einen Tonhöhenverlauf aufzubauen. Auffällig sind die Binnen-
reime „hair scare stare“2, die eine leichte Dehnung erfahren und damit betont werden.
Jedes Wort wird mit einer Einstellung kombiniert, die zeigt, wie eine Hand das zerstör-
te Satinherz flickt. In den Pausen zwischen den einzelnen Wörtern erscheint jeweils
kurz die Aufnahme eines aus wimmelnden Maden bestehenden Herzens. Das Zwi-
schenschalten eines stummen Bildes verleiht der Sequenz eine ähnlich rhythmische
Wirkung, wie ihn ein Wechsel von betonter und unbetonter Silbe im Vers hervorruft.
Genau achtmal vollzieht sich diese Alternation bis zum letzten Wort („mur“), das
schließlich mit dem Bild der auseinander kriechenden Maden zusammentrifft. In dieser
alternierenden Montage kommt es zu einer bildlichen Konfrontation des Prinzips der
Suture mit dem Prinzip der Desintegration, die sich im Madenbild verkörpert. Beide
werden visuell auf das Symbol des Herzens übertragen. Die Maden eröffnen Assoziati-

1
„Scarlet“ und „stuff“ ergibt „scarf“.
2
Abweichend von der Buchausgabe, 15TH FEBRUARY (1995).
Rhythmus und Metrum 235
onsräume des Fleisches, der Zersetzung und der Vielzahl und stehen für Desintegration
und Entropie. Die nähende Hand illustriert dagegen die schließende Naht der Kultur,
die den klaffenden Spalt im Herzen zudeckt und Einheit herstellt. Jenes zweite Prinzip
unterliegt in 15TH FEBRUARY.1
So, wie das Gedicht von Anfang an Körperliches betont, arbeitet der Film auch die
elementaren Rhythmen des Körpers in den Film ein. Auf der Tonspur sind Herzschläge
und ein stoßweises Atem, manchmal das hastige Inhalieren und Auspusten von Ziga-
rettenrauch zu hören. Beide dieser Rhythmen sind nicht an ein festes Zeitmaß gebun-
den, sondern beschleunigen sich mit der zunehmenden Erregung, Emotionalität und
Verwirrung des Sprechers und des Textes. Sie stellen keinen regelmäßigen ‚Grund-
schlag‘ der menschlichen Existenz dar, sondern sind im Gegenteil, hochgradig variabel
und affizierbar durch Wahrnehmung, Vorstellung und Handlung. Diese Rhythmen
überschreiten die vermeintliche Grenze zwischen Körperlichem und Geistigen und
gehören somit dem Bereich an, den die Phänomenologen „Leiblichkeit“ nennen.

3.3.5 Novalis: „Walzer“

Das Ineinandergreifen klanglicher und visueller rhythmischer Strukturen zählt zu den


auffälligsten und stärksten Merkmalen im Poesiefilm. Der ungarische Videokünstler
Gábor Bódy hat in seiner Umsetzung von Novalis’ Gedicht „Walzer“ die für den titel-
gebenden Tanz konstitutiven Bewegungselemente, den Dreivierteltakt, und das Drehen
der Paare im Raum, zum Strukturprinzip des Gedichtvideos gemacht. Eine ikonische
Funktion des Metrums findet sich schon in den Versen Novalis’, wo die vierhebigen
anapästischen Verse mit jambischem Auftakt, den Walzertakt rhythmisch verkörpern.
In ihrer Kürze evozieren sie zudem das schnelle und pausenlose Drehen, zu dem das
lyrische Subjekt die jungen Tanzpaare auffordert.2
Das Gedicht wird in mehreren Durchgängen von einer männlichen Stimme aus dem
Off vorgetragen. Dabei steigert sich von Mal zu Mal die Betonung des Metrums. Be-
merkt man in der ersten Version noch kaum die rhythmische Durcharbeitung der Verse,
geht der Sprecher bei der Wiederholung zu einer starken Markierung des Metrums
über, die schließlich zu einem Skandieren der Verse wird. Etwa ab der Mitte des Vi-
deos wird der Walzertakt zusätzlich von einem Synthesizer-Schlagzeug mitvollzogen.
Mit dem Einsetzen des Schlagzeugs erscheint zudem ein animiertes Gerippe auf der
Bildfläche, das sich im vorgegebenen Rhythmus zu bewegen beginnt. Als Allegorie
personifiziert dieser Knochenmann die Todessemantik, die Novalis Gedicht bedrohlich

1
Siehe Abbildung 3.9.
2
Die Verse ließen sich auch als „amphibrachische Verse“ beschreiben.
236 Gedichtfilm – zwischen Performance und Medialität

durchzieht.1 Sie äußert sich vor allem negativ, in der Dringlichkeit, mit der die Freuden
des Lebens mit dessen Flüchtigkeit kontrastiert werden. Mit der eingeschobenen Zeit-
angabe „solang es noch geht“ beschwört das lyrische Subjekt die Adressaten, nicht vom
Tanz abzulassen. Die explizite Nennung des „klopfenden Herzens“, verdeutlicht es
nochmals: rhythmische Bewegung steht für das Leben, Stillstand aber bedeutet den
Tod. Das schlagende Herz, als Anzeichen der vitalen Rhythmen des Körpers, fungiert
gleichzeitig als Metonymie für die physische Aktivierung und für die emotionale Affi-
zierung der jungen Paare. Es dient als Kreuzungspunkt biologischer und kultureller
Rhythmen. Das Symbol des klopfenden Herzens kann daher als das motivische Zen-
trum des Gedichtes angesehen werden, von dem her auch Bódy seinen Lyric-Clip struk-
turiert hat.
Auf der visuellen Ebene wird die Drehbewegung in Form einer Papierspirale einge-
führt, auf denen die Verse des Gedichtes handschriftlich zu lesen sind. Die Bewegung
wird schließlich von Bildern aufgenommen, in denen tanzende Paare in historischen
Kostümen an einem Flussufer zu sehen sind. Die Bewegung des Drehens wird mit der
des horizontalen Fließens kontrastiert, die einmal durch eine vorbeiziehende Nebel-
wand in der oberen Bildhälfte, ein weiteres Mal vom in der unteren Bildhälfte
dahinströmenden Fluss’ aufgenommen wird. In dieser Bildkomposition erweist sich die
Gegenüberstellung von Bewegungen gleichzeitig als Konfrontation zweier Zeitkon-
zepte: Die vitale, zyklische Bewegung steht dem übergreifenden, linearen Strömen
gegenüber, das das unaufhaltsame Vergehen der Zeit symbolisiert. Mit zwei unkonven-
tionellen Einstellungen ergreift der Walzerrhythmus schließlich auch die filmspezifi-
schen Darstellungsmittel. Die erste Einstellung isoliert die von unten durch einen trans-
parenten Boden aufgenommenen tanzenden Füße, die sich im Dreivierteltakt auf der
Bildfläche bewegen. Anschließend wechselt das Bild zu einer mit rollender Kamera
aufgenommene Draufsicht, die nacheinander die aufwärts blickenden, erhitzten jungen
Gesichter der tanzenden Mädchen zeigt. Die rollende Kamera, aufgrund der Verschie-
bung der Horizontlinie eine stark desorientierende und daher selten eingesetzte Kame-
rabewegung, erzeugt im Zusammenspiel mit der Musik bei den Betrachtenden ein im-
mer stärker werdendes Schwindelgefühl. Indem es das Prinzip der metrischen
Durcharbeitung von den Versen Novalis’ ins audiovisuelle Medium überträgt und dort
konsequent weiterführt, zeigt sich das Video tatsächlich als polyrhythmisches Gebilde.
Die Bewegung des Tanzes wird hier nicht einfach dargestellt, sondern rhythmisch evo-
ziert.
Das Verhältnis von Natur und Kultur, Affekt und Bedeutung, Effekt und Zeichen
wird im Gedichtfilm immer wieder implizit aufgeworfen und problematisiert. Nicht nur
dort, wo er an die Traditionen der experimentellen Lyrik anschließt, gewinnen Materia-

1
Das Glockengeläut, mit dem Bódys Video endet, ist ebenfalls ein Symbol, in dem Todes- und
Hochzeitsmotivik pointiert miteinander verknüpft werden.
Rhythmus und Metrum 237
lität und Ereignishaftigkeit der Sprache an Gewicht. Performance und Medialität stehen
beim Poesiefilm in einem Spannungsverhältnis, das sich nicht als eines der Dichotomie
fassen lässt. Sinnliches und Sinnhaftes sind gerade in ihrem Zusammenspiel ein zentra-
ler Reiz der Lyrik, erwächst doch nicht zuletzt aus ihm die ästhetische Evidenz-
erfahrung, die zum Kern ihrer Gattungsbestimmung gehört.1 Beim Lautwerden (oder
Bewegtwerden) des Gedichtes im audiovisuellen Medium erlangen diese Fragen wieder
neu an Bedeutung, denn hier multiplizieren sich die Ausdrucksebenen: Das Gedicht
gewinnt eine stimmliche, schriftliche und rhythmische Dimension und wird gleichzeitig
der Formierung des audiovisuellen Mediums unterworfen.

1
Siehe Rüdiger Zymner: Lyrik, 126.
4 Text-Bild-Beziehungen im Gedichtfilm

4.1 Gedichtfilm als Wort-Bild-Form


Die allermeisten Filme und erst recht Tonfilme sind durch das Zusammenspiel von
Worten und Bildern geprägt. In den letzten Kapiteln habe ich versucht aufzuzeigen, wie
sich dieses Zusammenspiel im Fall des Gedichtfilmes von Konstellationen des erzäh-
lend-dramatischen Spielfilmes unterscheidet. In ihrer situativen Getrenntheit vom Bild
erhalten Worte im Gedichtfilm ein besonderes Gewicht, fast könnte man von einer
„Souveränität des Wortes im Gedichtfilm“ sprechen. Diese Aufwertung des Gedichtes,
als ein sprachlich verfasstes Kunstwerk, markiert das Wort-Bild-Gefüge – das ein Ton-
film immer darstellt – auf eine Weise, die den Gedichtfilm in die Nähe anderer Text-
Bild-Anordnungen rückt, wie das Emblem, das illustrierte Buch oder die Ekphrasis.
Einzelne Elemente sind stärker als im Spielfilm voneinander getrennt und beeinflussen
sich gegenseitig in ihrer Medialität und Semantik. Ist in den vorangegangenen Kapiteln
versucht worden, das mediale und performative Gegebensein der Gedichte innerhalb
der Filme zu analysieren, sollen nun verstärkt semantische Aspekte hinzugezogen wer-
den. Gedichtfilme sollen dabei als filmische Wort-Bewegtbild-Formen untersucht wer-
den.
Die Verbindung von Wort und Bild, insbesondere von Dichtung und Malerei, ist
Thema einer traditionsreichen Debatte, die sich seit dem berühmten „Ut pictura, poesis
[…]“1 des Horaz über die Überlegungen Lessings in seinem Laokoon-Aufsatz bis in die
semiotische Bildtheorie hinein fortsetzt.2 Das Verhältnis von Wort und Bild ist mit
wechselnden Vorzeichen als eines der Konkurrenz, der Inkommensurabilität oder des
gegenseitigen Begehrens beschrieben worden.3

1
Ars Poetica 361, Quintus Horatius Flaccus: Episteln, übersetzt und erläutert von Christoph Martin
Wieland, hg. von Gerhard Wirth, Hamburg 1963, 263.
2
Siehe besonders Laokoon, XIV–XVI, Gotthold Ephraim Lessing: „Laokoon: oder über die Grenzen
der Malerei und Poesie. Erster Teil“, in: Werke. 1766–1769, Frankfurt am Main, 1990, 11–206.
Hier: 112ff.
3
Siehe Leonard Barkan: „Picture This“, in: Parnassus: Poetry in Review [0048–3028], 30. Jg.,
2006, 419–438.
Gedichtfilm als Wort-Bild-Form 239
Wie Kamilla Elliott gezeigt hat, lassen sich Argumentationsfiguren aus der Debatte
um Dichtung und Bildende Kunst des achtzehnten Jahrhunderts bis in die im zwanzigs-
ten Jahrhundert geführte akademische Diskussion um Literatur und Film verfolgen.
Ebenso wie damals wird mit dem Ziel, die Repräsentationsbereiche der Künste scharf
voneinander abzugrenzen, auch im zwanzigsten Jahrhundert mit Bezugnahme auf Les-
sings Laokoon-Aufsatz argumentiert.1 Dabei wird jedoch die plurisemiotische Beschaf-
fenheit audiovisueller Medien unterschlagen. Tatsächlich greift jede einfache Gegen-
überstellung von Literatur/Wort und Film/Bild zu kurz.2 Im Zusammenhang mit dem
Poesiefilm sind stets zwei Dimensionen zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwi-
schen Sichtbarem und Sagbarem bestimmen: Einerseits ist von einer grundlegenden Ir-
reduzibilität des Sichtbaren und des Sagbaren auszugehen. Andererseits stehen dieser
radikalen Eigengesetzlichkeit die „gegenseitigen Überkreuzungen, Durchdringungsver-
suche und ‚Attacken‘ der beiden Register“3 entgegen.
Gottfried Willems versucht das weite Feld der Wort-Bildbeziehungen zu ordnen, in-
dem er es in drei verschiedene Ebenen aufteilt. Im ersten Fall sind Wort und Bild in
einem einzelnen Artefakt zur „Wort-Bild-Form“4 vereinigt, so wie es in der Collage, im
Emblem und auch im Film der Fall ist. Alle Gedichtfilme, die geschriebene oder ge-
sprochene Sprache zur Aufführung bringen, sind natürlich generell schon auf dieser
Ebene von Wort-Bild-Beziehungen geprägt. Ein zweiter Weg der Wort-Bild-Verbin-
dung besteht im Austausch von Stoffen und Formen zwischen Wort- und Bildkunst.
Damit sind Wechselwirkungen gemeint, bei denen „Inhaltliches“ (Informationsebene)
oder bestimmte formale Gestaltungsmittel (Faktur) den jeweils anderen Künsten nach-
empfunden werden, etwa in der Bildbeschreibung, im Stationenbild oder im filmischen
Schreiben.5 Diese Definition entspricht also ziemlich genau dem, was Werner Wolf und
Irina Rajewsky unter die Begriffe der Transmedialität (Austausch von Stoffen) bzw. der
intermedialen Bezugnahme (Imitation von Formen) fassen, nur mit dem Unterschied,
dass Willems ausschließlich Wort-Bild-Beziehungen in den Blick nimmt.6 Wechselwir-
kungen letzterer Art lassen sich auch in solchen Poesiefilmen vorfinden, in denen selbst
gar kein lyrischer Text vorkommt, sondern lediglich einzelne Motive eines Gedichtes
oder lyrische Verfahrensweisen in das audiovisuelle Medium übertragen werden und
für die ich die Bezeichnung „Adaption“ bzw. „poetischer Film“ vorgesehen habe.7
Besondere Schwierigkeiten erwachsen einmal mehr aus der Übernahme poetischer
Verfahren, die nicht direkt an das Wort im Sinne sprachlicher Bedeutung geknüpft sind,
wie beispielsweise der Versrhythmus. Handelt es sich bei der Evokation eines jambi-

1
Siehe Kamilla Elliott: Rethinking, 6f.
2
Siehe Kapitel 1.4 „Poesiefilm und Literaturverfilmung“.
3
Wilhelm Voßkamp/Brigitte Weingart: „Sichtbares und Sagbares. Text-Bild-Verhältnisse“, in:
Wilhelm Voßkamp/Brigitte Weingart (Hg.): Sichtbares und Sagbares, Köln 2005, 7–22. Hier: 12.
4
Siehe Gottfried Willems: „Theorie der Wort-Bild-Beziehungen“, in: Wolfgang Harms (Hg.): Text
und Bild, Bild und Text, Stuttgart 1990, 414–429. Hier: 415.
5
Siehe ebd.
6
Siehe Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 114.
7
Siehe Kapitel 1.2
240 Text-Bild-Beziehungen

schen Rhythmus’ durch eine bestimmte Montagefolge noch um einen „Austausch von
Formen“ oder kann man hier bereits von einer grundlegenderen Nachbildung im Sinne
innerer Wort-Bild-Beziehungen sprechen? Zu diesen auf einer dritten Ebene liegenden
Konstellationen gehören Formen sprechender Bildlichkeit und des bildlichen Redens.
Sie bestehen nicht in konkreten Anleihen an die anderen Künste, sondern werden von
Willems als eine Annäherung von Sphären beschrieben:
Sie erstrecken sich lediglich auf die fundamentalen Zusammenhänge zwischen den Verfahren
mit denen Gegenstände ins Bild gebracht werden, und den Formen bildlichen Redens, zwi-
schen den Formen in denen Bilder sprechen, wie sie die Ikonologie im weitesten Sinne de-
monstriert, und den Weisen sprachlichen Darstellens sowie vor allem auf den inneren Zusam-
menhang zwischen diesen beiden Gruppen von Relationen.1

Im Unterschied zu der Nachbildung formaler Verfahren geht es hier also um funda-


mentale Verfahren der Darstellung, die Bildern und sprachlich verfassten Texten zuge-
schrieben werden. Betrachtet man die Beispiele, die Willems für die inneren Wort-Bild-
Beziehungen heranzieht, so wird deutlich, dass es sich darüber hinaus um eine histo-
risch wandelbare Größe handelt. Die poetischen Schatzkammern des Barocks, Lessings
Laokoon oder die Kontrastmontage des frühen zwanzigsten Jahrhunderts2 verraten
jeweils ganz verschiedene Auffassungen darüber, was Worte und Bilder verbindet oder
trennt. Die Frage nach den inneren Wort-Bild-Beziehungen ist die Frage nach der ‚Auf-
gabenverteilung‘; den Funktionszuweisungen, Ausdrucksmöglichkeiten und Beschrän-
kungen, denen Wort und Bild zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt unterliegen.
Zusammen mit den technisch medialen Voraussetzungen bilden sie einen Rahmen, in
dem sich Wechselwirkungen zwischen Wort und Bildkünsten sowie die konkrete Aus-
gestaltung von Wort-Bild-Formen vollzieht.3 Dazu gehört nicht zuletzt, ob man die
Aufgabenbereiche von Wort und Bild mit einer scharfen Trennlinie versieht, wie es
prominent etwa Lessing im Laokoon-Aufsatz tut, oder ob die Bild- und Wortkünste
einander angenähert werden, wie in der klassischen Moderne.
Gedichtfilme sind Wort-Bild-Formen. Als audiovisuelle Werke, in denen ein Gedicht
in mündlicher oder schriftlicher Form realisiert wird, trifft diese Definition jedoch noch
in einem engeren Sinne zu. Wort und Bild stehen im Gedichtfilm in einem noch näher
zu bestimmenden Verhältnis, das in vielen Fällen von dem in Spielfilmen und den
meisten Dokumentarfilmen abweicht. Die Analyse von Wort-Bild-Formen und damit
auch von Gedichtfilmen, soll im Folgenden den Ausgangspunkt für die Untersuchung
der Wort-Bild-Beziehungen im Poesiefilm bilden, denn in ihnen „müssen alle wesentli-
chen Gesichtspunkte in Erscheinung treten, auch die, die die Analyse der Wechsel-
beziehungen von Wort- und Bildkunst bestimmen.“4 In der konkreten Wort-Bild-
Kombination des Gedichtfilmes manifestieren sich Austauschprozesse von Formen und

1
Gottfried Willems: „Theorie der Wort-Bild-Beziehungen“, 415.
2
Siehe ebd.
3
Siehe ebd., 417.
4
Ebd., 418.
Gedichtfilm als Wort-Bild-Form 241
Stoffen ebenso wie fundamentale Wechselbeziehungen zwischen Wort und Bild. Einer-
seits gelangen Stoff oder Motive eines Gedichtes zu visueller Gestaltung, oder es
kommt zu Übertragung bzw. Nachbildung formaler Prinzipien des Gedichtes. Anderer-
seits geht hier die lyrische Bestrebung des bildhaften Sprechens in eine tatsächliche
filmische Bildlichkeit über. Bei der Analyse von Gedichtfilmen geht es um das Zu-
sammenwirken von Wort und Bild:
Eine Form wie das illustrierte Buch als Wort-Bild-Form zu analysieren, heißt methodisch, die
Frage in den Mittelpunkt zu rücken, auf welche Weise und mit welchen Ergebnissen Wort und
Bild in ihr zusammenwirken, heißt mithin, nach der Integration von Wort und Bild zu fragen.1

Diese Integration findet nach Willems wiederum auf drei Ebenen statt: der der äußeren
Faktur, der Inhaltsebene sowie der Ebene der inneren Faktur. Mit der Ebene der äuße-
ren Faktur sind all jene Aspekte bezeichnet, die die technisch-mediale, gestalterische
und, wie man hinzufügen kann, performative Zusammenführung von Wort und Bild
betreffen. Im Fall des Gedichtfilmes umfasst die Analyse dieser Ebene der Integration
all jene Aspekte, die in Kapitel 3 unter dem Stichwort der Ton-Bild-Beziehungen bzw.
Schrift-Bild-Beziehungen abgehandelt wurden. Sie erstreckt sich von der Untersuchung
der stimmlichen und sprechkünstlerischen bzw. typographischen Präsentation bis hin zu
deren räumlicher Anordnung unter den filmspezifischen Bedingungen von Montage
und Bewegung.
Eine weitere Ebene der Integration betrifft den inhaltlichen Zusammenhang, das
heißt die Ebene der Information. Hier ist die Frage zu stellen, „ob Wort und Bild mit
ihren je eigenen Mitteln Inhalte aus demselben stofflichen Zusammenhang gestalten
und, wenn ja, auf welche Weise“2. Ob sich der Zusammenhang zwischen Wort und Bild
inhaltlich eng oder eher lose darstellt, hängt nicht zuletzt von der Funktion ab, die die
Elemente in der Wort-Bild-Form übernehmen. Dienen die Bilder beispielsweise in ers-
ter Linie dem Schmuck des Werkes, so ist der informationelle Bezug oft gering. 3 Für
den audiovisuellen Bereich ließe sich ergänzend das Beispiel extradiegetischer Filmmu-
sik anführen. Sind im Soundtrack gesungene Worte enthalten, so werden im Allgemei-
nen geringere inhaltliche Überschneidungen mit den Bildinformationen erwartet als
etwa beim Kommentar in einem Dokumentarfilm. Auf der Ebene der inhaltlichen Integ-
ration von Wort und Bild sind zentrale Fragen einer Debatte um Text-Bild-Verhältnisse
angesiedelt, die niemals unberührt von medialer Konkurrenz bleiben; geht es doch um
die Frage, wie sich das Bild mit einem vorliegenden Text, wie sich Worte mit einem
bestehenden Bild ins Verhältnis setzen. Ein großer Teil der Kritik an Gedichtfilmen und
Literaturverfilmungen überhaupt argumentiert mit einer negativen Bewertung der ‚Re-
dundanz‘ von Wort und Bild, die als überflüssige Wiederholung eingeschätzt wird, die
sich in einer rein illustrativen Bebilderung erschöpft. Wenn Willems von zwei polaren

1
Ebd., 418f.
2
Ebd., 419.
3
Siehe ebd. Zu der von Rüdiger Zymner übernommenen Terminologie von Faktur und Information
siehe Rüdiger Zymner: Lyrik, 56.
242 Text-Bild-Beziehungen

Möglichkeiten der inhaltlichen Integration spricht, gibt er ausdrücklich keiner von bei-
den den Vorzug: „In dem einen Fall, dem der doppelten Gestaltung ein und desselben
Inhalts, kehrt das im Wort Gesagte in möglichst vielen Punkten im Bild wieder, im
anderen Fall hingegen in möglichst wenigen Punkten.“1 Zwischen den Polen der Ver-
dopplung und Ergänzung sind freilich wiederum fein nuancierte Abstufungen möglich,
die sich nach zusätzlichen Kriterien beschreiben lassen. So können Wort und Bild sich
wechselseitig auslegen2, kommentieren oder kritisieren. Was es heißt, dass Wort und
Bild „ein und denselben Stoff mit je eigenen Mitteln zweimal“3 geben, hängt im Fall
des Gedichtfilmes nicht zuletzt davon ab, was man als dessen Stoff oder Gegenstand
ansieht. Versteht man darunter nicht nur die sprachliche Information des Gedichtes,
sondern das, was durch die Zusammenfügung von Wort und Bild erst entsteht, dann
lässt sich von einer Verdopplung eigentlich nicht sprechen. Darüber hinaus wäre zu
fragen, inwieweit angesichts der medialen Inkommensurabilität von Wort und Bild
überhaupt von einer Redundanz beider Phänomene auszugehen ist. Jedes Bild fügt ei-
nen Überschuss an visuellen Informationen hinzu, indem es mehr zeigt als sich mit
Sprache sagen ließe und jeder Satz bzw. Vers drückt anderes aus, als es ein Bild ver-
möchte. Eine vollkommene Identität von Bild und Wort ist also nie möglich. Führt man
sich beispielsweise die Visualisierungen des Verses „und dann und wann ein weißer
Elefant“ aus Rilkes Gedicht „Das Karussell“ vor Augen, so wird deutlich, dass jeder
dargestellte Elefant, indem er ein konkretes Bild ist, das mehr oder weniger schema-
tisch sein kann, das fotografisch, graphisch oder digital erzeugt wurde, sich von einem
sprachlich vermittelten Elefanten unterscheiden wird. Genauso lässt sich die temporale
Bestimmung „und dann und wann“ nicht in einem einzelnen Bild, sondern nur durch
Wiederholung bildlich ausdrücken.4 Wenn im Folgenden also von Redundanz oder
Verdopplung die Rede ist, so ist damit die Tatsache gemeint, dass Wort und Bild sich in
ihrer Darstellung auf den gleichen Gegenstand oder Vorgang beziehen. Die Frage ist
also, um beim Beispiel zu bleiben, ob überhaupt ein Elefant zu sehen ist oder etwas
ganz anderes.
Für den Gedichtfilm ist eine andere Beobachtung Willems’ noch von größerer Be-
deutung: Wenn sich Wort und Bild die Darstellung teilen und es nur wenige inhaltliche
bzw. informationelle Überschneidungen gibt, fällt gegenüber den Verfahren der dop-
pelten Gestaltung die „äußere Faktur als Ebene der Integration ins Auge.“5 Willems
erklärt diesen Bedeutungszuwachs am Fall der integrierten Wort-Bild-Geschichte:

1
Gottfried Willems, „Theorie der Wort-Bild-Beziehungen“, 420.
2
Siehe ebd., 419.
3
Siehe ebd.
4
Dass Rilke eben jene Zeile auch im Gedicht mehrfach wiederholt, verweist auf das Verfahren der
Ikonisierung, das in den Neuen Gedichten zur Anwendung kommt und im Kapitel 4.3 ausführlich
behandelt werden soll. Siehe Wolfgang Müller: „Neue Gedichte/Der neuen Gedichte anderer Teil“,
in: Manfred Engel (Hg.): Rilke-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Darmstadt 2004, 296–317.
Hier: 302.
5
Gottfried Willems: „Theorie der Wort-Bild-Beziehungen“, 420.
Gedichtfilm als Wort-Bild-Form 243
Denn ein kontingenter Wort-Bild-Diskurs entsteht nur in dem Maße, in dem es gelingt, durch
Faktoren wie die Platzierung der textlichen und bildlichen Teile auf der Fläche, die Größen-
verhältnisse und die optische Pointierung eine eindeutige Zuordnung, ja eine geregelte Ab-
folge der Elemente zu suggerieren.1

Das Gesagte trifft auch auf audiovisuelle Wort-Bild-Formen zu, in denen keine Redun-
danz zwischen Wort und Bild hergestellt wird. Dort muss die Ebene der Montage, der
Tongestaltung und der Anordnung der Worte im audiovisuellen Rahmen für den Zu-
sammenhang sorgen. Doch auch dann, wenn Wort und Bild inhaltlich lediglich in ei-
nem losen Zusammenhang stehen, kommt der äußeren Faktur eine erhöhte Bedeutung
zu, der auch analytisch Rechnung zu tragen ist, allerdings aus einem etwas anderen
Grund als im geschilderten Fall der Aufteilung des Stoffes. Bei einer großen inhaltli-
chen Ferne der Worte von den Bildern, findet auf der Ebene der äußeren Faktur zwar
keine Fixierung statt, wie sie Willems mit seiner „geregelten Abfolge der Elemente“2
bei der integrierten Wort-Bild-Geschichte avisiert, allerdings rückt die Ebene der äuße-
ren Faktur überhaupt ins Zentrum der Rezeption. Das ‚Wie‘, das Layout oder die An-
ordnung, sind dann nicht nur Mittel zum Zweck, sondern werden im Sinne einer Ver-
schiebung von Transparenz zu Opazität zur eigentlichen Information der Wort-Bild-
Form. Wenn etwa im Experimentalfilm, Musikvideo oder im Gedichtfilm Bild- und
Tonspur inhaltlich und diegetisch unabhängig voneinander zu sein scheinen, so werden
sie dafür umso stärker von Verbindungen auf der perzeptiven Ebene zusammengehal-
ten, die durch wiederkehrende Synchronisationspunkte entstehen.3
Im Folgenden soll versucht werden, eine Taxonomie besonders häufiger Wort-Bild-
Relationen im Voice-Over-Gedichtfilm zu entwerfen, dem Typus des Poesiefilmes, in
dem Stimme und Bild getrennt vorliegen. Dabei soll die von Gottfried Willems identifi-
zierte Inhaltsebene der Wort-Bild-Beziehungen zunächst im Zentrum der Überlegungen
stehen. Wie bereits erwähnt, sind in dem von Willems angedeuteten Spektrum zwi-
schen Ergänzung und Verdopplung eine Vielzahl möglicher semantischer Bezüge zwi-
schen den Worten eines Gedichtes und den Film- oder Videobildern denkbar.4
Am einen Ende des Spektrums befindet sich die Illustration, die sich einer Entspre-
chung der Informationen von Wort und Bild annähert, da diese auf den gleichen Gegen-
stand oder Vorgang referieren. Dabei kann es aufgrund von Unterschieden in Aus-
schnittwahl, Detailfülle und Konkretheit freilich nie zu einer vollständigen inhaltlichen
Deckung kommen. Zur Illustration von Gedichten neigen vor allem Animationsfilme,

1
Ebd.
2
Dieser entspräche im Fall des Filmes eine Synchronität von Ton und Bild, eine narrative Funkti-
onsbestimmung einer Off-Stimme durch Montagecodes oder ein Dialog in Schuss-Gegenschuss.
3
Siehe Michel Chion: L’Audio-vision, 34. Barbara Flückiger schlägt für solche Synchronisations-
punkte die Bezeichnung Akzentuierung vor, da sie eine „Markierung zur zeitlichen Justierung von
Ton und Bild“ (Barbara Flückiger: Sound Design, 142) darstellen und so eine rhythmisierende
Funktion erhalten.
4
Siehe Gottfried Willems: „Theorie der Wort-Bild-Beziehungen“, 419.
244 Text-Bild-Beziehungen

die aber aufgrund ihrer darstellerischen Freiheiten oft die Art und Weise der Illustration
in den Vordergrund treten lassen. An vielen Beispielen lässt sich etwa ein gesteigertes
Interesse für Übergänge, Metamorphosen und Prozesse beobachten.1 Diese Tendenz
trifft mit Gestaltungsmitteln zusammen, die sich von der audiovisuellen Montage im
Realfilm stark unterscheiden, so dass man von einer eigenständigen Ästhetik sprechen
muss, auf die im Rahmen dieser Arbeit leider nicht ausführlicher eingegangen werden
kann.
Von einer Differenz in den inhaltlichen Wort-Bild-Beziehungen möchte ich spre-
chen, wenn beide Ebenen nicht auf Gemeinsames verweisen, was Gottfried Willems’
Pol der Ergänzung entsprechen würde. Die semantischen Bezüge, die sich im Falle
einer solchen Differenz von Wort und Bild herstellen lassen, sind überaus vielfältig.
Eine der auffälligsten Bezugnahmen findet dann statt, wenn Wort und Bild sich in ihren
Informationen nicht nur unterscheiden, sondern einen starken thematischen Gegensatz
bilden oder einander sogar widersprechen. Gegensätzliche Wort-Bild-Verhältnisse fin-
den sich besonders in solchen Gedichtfilmen, die eine aktualisierende Neuinterpretation
eines kanonisierten Gedichtes anstreben oder Worte bzw. Bilder in kritischer oder sub-
versiver Absicht gegen den Strich lesen. Da im Gedichtfilm noch wesentlich häufiger
als im Spielfilm mit Voice-Over-Stimmen gearbeitet wird, stellt sich eine kontrastive
Beziehung zwischen Gesagtem und Gezeigtem verhältnismäßig einfach her. Die politi-
sche Arbeit des Dichters und Medienkünstlers Francesco Levato, WAR RUG (2009),
setzt harte Kontraste zwischen einem dokumentarischen Gedicht, das schonungslos
Gewalt und Kriegsverbrechen in den Irak-Kriegen beschreibt, und Hobbyfilmeraufnah-
men aus den fünfziger und sechziger Jahren, die eine amerikanische Idylle darstellen.
Analysiert man Wort-Bild-Beziehungen auf der Informationsebene von Gedichtfil-
men genauer, so kann man feststellen, dass in einer großen Zahl der Filme, die sich auf
den ersten Blick durch informationelle Differenz auszeichnen, Wort und Bild auf eine
spezielle Weise miteinander interagieren, auf eine Weise, die sich mit Begriffen der
rhetorischen Tropenlehre erfassen lässt. Wort und Bild können dabei in synek-
dochischer, metonymischer oder metaphorischer Beziehung zueinander stehen, freilich
ohne dass dabei eine Ersetzung stattfindet. Ich möchte dies an einigen Beispielen kurz
verdeutlichen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit charakterisiere ich die unterschiedli-
chen Typen hinsichtlich der Funktion, die die Bilder in Bezug auf die Worte ausüben.
Damit ist keine Hierarchisierung in die eine oder andere Richtung verbunden, das Ver-
hältnis ließe sich ebenso gut umkehren und als Wirkung der Worte hinsichtlich der
Bilder beschreiben.
Ein synekdochisches Verhältnis zwischen Text und Bild besteht dann, wenn die Bil-
der eine konkrete Darstellung bzw. einen exemplarischen, speziellen Fall dessen zei-
gen, was im Text mehrdeutig, abstrakt oder allgemein begrifflich gegeben wird. Ein
Beispiel für diese im Gedichtfilm recht häufige Form der Wort-Bild-Beziehung ist der
Film TO THE MARRIAGE OF TRUE MINDS (2010) in dem Shakespeares Sonett Nr. 116
mit einer Liebesgeschichte zwischen zwei irakischen Flüchtlingen kombiniert wird.

1
Siehe Howard Beckerman: Animation. The Whole Story, New York 2003, 188.
Gedichtfilm als Wort-Bild-Form 245
Was die Verse des Sonetts allgemein ausdrücken, vermitteln die Bilder als Spezielles,
als Geschichte einer homosexuellen Liebe, die sich über Verfolgung und Hindernisse
hinwegsetzt:
Let me not to the marriage of true minds
Admit impediments; love is not love
Which alters when it alteration finds,
or bends with the remover to remove.1

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Bilder aus dem Motivbereich des Gedichtes zu
wählen, so dass die Bilder in einem metonymischen Bezug zu dem stehen, was im Text
genannt wird. Etwa findet sich zu Beginn des Filmes 15TH FEBRUARY2, dessen gleichna-
miges Gedicht von der Zurückweisung eines Valentinsgrußes handelt, eine Anhäufung
von Einstellungen aus dem Bereich der postalischen Briefkommunikation (Briefbote,
Marke, Kasten, Stempel), die mit der erwähnten Valentinskarte direkt zusammen-
hängen, im Gedicht selbst jedoch keine Erwähnung finden. Eine metonymische Bezie-
hung zwischen Text und Bild liegt auch dann vor, wenn der Gedichtfilm sein grundle-
gende Bildlichkeit aus dem Themenfeld des Gedichtes schöpft und so dem Gedicht eine
Bühne bietet, wie in der videokünstlerischen Umsetzung von Barbara Köhlers MU-
3
SE:POLYTROP , wo kaum mehr als das mit schwankender Kamera aufgenommene Meer
zu sehen ist, das (unter anderem) metonymisch auf Köhlers Odysseus-Umdichtungen
bezogen ist.
Die metaphorische Beziehung zwischen Text und Bild gestaltet sich im Gedichtfilm
als besonders komplex, da bereits auf der Textebene selbst nicht selten Metaphern und
Symbole vorkommen. Im traditionellen Verständnis beruht die Metapher auf einer Ähn-
lichkeit der beiden Terme, die durch ein gemeinsames Drittes (tertium comparationis)
verbunden sind.4 Bezogen auf Text und Bild ist hierbei also der Fall gemeint, dass im
Bild nicht das zu sehen ist, was im Gedicht genannt wird, sondern etwas anderes, das
mit dem Gesagten metaphorisch verbunden ist. Manchmal liegen Text und Bild so weit
auseinander, dass sie nicht oder nur schwer miteinander in Beziehung gebracht werden
können, vielmehr erweist sich ihre Ähnlichkeit als etwas, das sich im Interpretations-
prozess erst herstellt. Was in der modernen Literatur als „kühne Metapher“ bezeichnet
wird, ist auch in den Wort-Bild-Relationen des Gedichtfilmes anzutreffen. Auf diese
Beobachtung, die hier nur angedeutet werden kann, wird im nächsten Abschnitt des Ka-
pitels zurückzukommen sein, wo der Komplex der „Bildlichkeit“ ausführlich behandelt
wird.

1
William Shakespeare: Shakespeare’s Sonnets, hg. von Katherine Duncan-Jones/Richard Proudfoot,
London 2010, 343.
2
Webb, Tim: 15TH FEBRUARY, mit Peter Reading, GB 1995, Spielfilm, 6:30 min. Siehe die ausführli-
che Interpretation in Kapitel 3.3.
3
NIEMANDSFRAU: MOVIES (2007).
4
Siehe Bernhard Asmuth: „Metapher“, in: Horst Brunner/Rainer Moritz (Hg.): Literaturwissen-
schaftliches Lexikon. Grundbegriffe der Germanistik, Berlin 2006, 259–263. Hier: 260.
246 Text-Bild-Beziehungen

An dieser Stelle sind einige Bemerkungen zur These von der konkretisierenden
Funktion des Bildes notwendig. In Bezug auf Gedichtfilme erhält diese vermeintliche
mediale Tatsache eine zusätzliche Schärfe, da hier die spezifisch poetische Mehrdeutig-
keit des lyrischen Gedichtes gefährdet zu sein scheint. Ralf Schmerbergs POEM enthält
eine Verfilmung des Gedichtes „Der Sturm“ von Selma Meerbaum-Eisinger. Das Ge-
dicht schildert das Erblühen einer Knospe und endlich ihr Aufbrechen während einer
Sturmnacht. Die Filmbilder zeigen dagegen eine Geburt sowie eine lose Folge von Sze-
nen, in denen ein heranwachsendes Kleinkind zu sehen ist. Haben wir es im Gedicht
mit einer Allegorie zu tun, die einen allgemeinen Zusammenhang verbildlicht, so zei-
gen die dazugehörigen Bilder ein besonderes und einmaliges Ereignis. Die Bilder kon-
kretisieren das potentiell mehrdeutige poetische Bild, indem sie es auf einen ganz be-
stimmten Zusammenhang übertragen. Dabei kann über das tertium comparationis des
Wachstums eine Verknüpfung der Motive „Knospe“ und „Kind“ hergestellt werden.
Außerdem wird die Dimension der Fragilität und Gefährdung in die Bilder eintragen.
Das Moment der bangen Spannung und deren Lösung, welches das Gedicht in seiner
Schönheit auszeichnet, werden auf der Bildebene allerdings ausgelassen.
Anders als die gängige Opposition von abstrakter Sprache und konkretem Bild ver-
muten lässt, führt das Zusammentreffen von Sprache und Bild im Gedichtfilm aber
nicht in jedem Fall zu einer Konkretisierung. Vielmehr kann auch auf der Bildebene
eine symbolische Ebene eingezogen werden, die jene übersteigt, die im Gedicht ange-
legt ist. Eine solche Symbolisierung des Textes durch die Bilder stellt eine zur Konkre-
tisierung gegenläufige Möglichkeit dar. In Ralf Schmerbergs Verfilmung von Heiner
Müllers „Ich kann dir die Welt nicht zu Füßen legen“ beispielsweise wird das nur we-
nig bildhafte Gedicht als Voice-Over über mit statischer Kamera gefilmte Bilder gelegt,
die brennende Brautkleider zeigen. In ihrer symbolischen Überhöhung fügen sie dem
Gedicht eine nahezu allegorische Dimension hinzu, die wiederum durch das Gedicht
kommentiert zu werden scheint. Allerdings finden Text und Bild nicht in einer bruchlo-
sen Interpretation zueinander. In seinem Aufbegehren gegen die romantische Konzep-
tion einer alles verschlingenden Liebe, gerät das Gedicht sogar in Widerspruch zum
Gezeigten, denn die Feuer fangenden Brautkleider verbildlichen einen Anschlag auf die
Symbole der konventionellen, institutionalisierten Liebe. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass sich auch auf der Informationsebene Wort und Bild im Prozess der intermodalen
Assoziation gegenseitig modifizieren, wobei vor allem die Textbedeutung auf die
Wahrnehmung der Bilder projiziert wird. Das Bild der brennenden Brautkleider wird
nicht zuletzt durch den Text symbolisch aufgeladen.
Im Kontext des Audiovisuellen sind zwei Erweiterungen dieser Taxonomie nötig, die
die Reichweite eines so verstandenen Sichtbaren betreffen. Die erste ergibt sich aus
dem Element der Bewegung. Das Sichtbare in Film oder Video besteht nicht nur aus
den Motiven, die die Bilder zeigen (ein Gesicht, eine Landschaft), sondern umfasst
aufgrund der Temporalität der Bilder auch Effekte von Schnitt und Kamerabewegung,
die sich als Bewegung oder Motivwechsel im Bildkader manifestieren. Die Bewegtheit
der Bilder hat außerdem zur Folge, dass Beziehungen zwischen Sichtbarem und Sagba-
rem (Bildern und Gedicht) ständigen Veränderungen unterworfen sind und dass sie
aufeinander bezogen werden können, ohne dass sie gleichzeitig präsent sein müssen.
Gedichtfilm als Wort-Bild-Form 247
So, wie visuelle und verbale Elemente jeweils untereinander syntagmatische Beziehun-
gen unterhalten, kann ein einmal geäußertes Wort grundsätzlich mit jedem später sicht-
baren visuellen Element in Verbindung treten, solange dies durch entsprechende Rah-
mung (paratextuelle Markierung eines Stückes oder Abschnittes) motiviert und durch
die Gedächtnisleistung der Rezipientenschaft ermöglicht wird.
Auf eine zweite Erweiterung machen sowohl Voßkamp und Weingart1 aufmerksam
als auch Michel Chion, der in seiner Taxonomie des „raport dit/montré“2 im Kino da-
rauf hinweist. Audiovisuelle Medien konfrontieren sprachliche Äußerungen nicht nur
mit Bildern, sondern auch mit Musik und Geräuschen. Chion, der der Stimme und be-
sonders der gesprochenen Sprache im Kino stets eine zentrale Rolle zugewiesen hat,3
unterscheidet demgemäß nicht zwischen Text und Bild, sondern charakterisiert fünf
Formen der Beziehungen zwischen Gesagtem und Gezeigtem, wobei mit Gezeigtem
sowohl das visuell als auch das akustisch Präsentierte gemeint sind.4 Im Unterschied zu
der im zweiten Kapitel verhandelten Frage nach der Ton- oder Schrift-Bild-Beziehung
geht es nun um das Verhältnis zwischen sprachlich ausgedrückten Bedeutungen und
allen anderen audiovisuellen Zeichen. Zur Diskussion steht mit anderen Worten nicht
mehr die Formel: „see a dog – hear a dog“5, sondern die Frage „speak of a dog – show a
dog?“.
Im Folgenden sollen Text-Bild-Beziehungen im performanceorientierten Gedichtfilm
untersucht werden, wo die Sprechenden Teil der visuellen Darstellung sind. Michel
Chion unterscheidet also fünf verschiedene Arten, in denen Gesagtes und Gezeigtes
aufeinander bezogen sein können. Da seine Systematik auf den narrativen Spielfilm
ausgerichtet ist, lassen sich seine Beobachtungen nur mit gewissen Einschränkungen
auf den Poesiefilm beziehen. Als „scansion“ (Akzentuierung) bezeichnet Chion Kons-
tellationen, in denen das Gesprochene durch Geräusche, Schnitt oder Kamerabewegung
punktiert, unterbrochen oder rhythmisiert wird. Es handelt sich um Effekte der
Signifikantenebene (effet de signifiant), die nicht mit einer bestimmten Bedeutung ver-
bunden sein müssen.6 Sie können die Worte jedoch gewichten, hervorheben und seg-
mentieren.
Eine zweite Form der Beziehung von Gesagtem und Gezeigtem bildet in der Taxo-
nomie Chions das „creusement“, die Aushöhlung. Sie bezeichnet den Fall, dass auf der
Bildebene oder Tonebene etwas Außergewöhnliches geschieht, was aber nicht in die
Figurenrede eingeht. Das Ungesagte oder Unbenannte gräbt sich in das Gezeigte wie
eine Leere ein, die bis zu „forclusion audiovisuelle“7 reichen kann, die sich an Jacques

1
Siehe Wilhelm Voßkamp/Brigitte Weingart: „Sichtbares und Sagbares“, 10.
2
Michel Chion: Un Art sonore, 341.
3
Siehe Reinhart Meyer-Kalkus: „Akusmatische Extensionen im sonoren Kino. Überlegungen zu
Michel Chions Theorie der Audioivison“, in: Maren Butte/Sabina Brandt (Hg.): Bild und Stimme,
Paderborn 2011, 66–98. Hier: 76.
4
Siehe Michel Chion: Un Art sonore, 341.
5
Siehe Barbara Flückiger: Sound Design, 135.
6
Siehe Michel Chion: Un Art sonore, 342.
7
Ebd.
248 Text-Bild-Beziehungen

Lacans Begriff der forclusion anlehnt.1 Es ist offensichtlich, dass die von Chion so be-
schriebene Form sich auf eine narrative oder dramatische Verbindung von Gesagtem
und Gezeigten bezieht, denn „le non-dit doit avoir un cadre pour être tel.“2 Dieser Rah-
men wird am zuverlässigsten von einer filmischen Diegese bereitgestellt, die vorgibt,
was überhaupt als außergewöhnlich zu verstehen ist oder nicht und was den Figuren in
Anbetracht ihrer jeweiligen Beziehungen untereinander als äußerungswürdig gilt.
Wenn in Chions Beispiel, dem Film MAGNOLIA (1999), sich ein Krötenregen über die
Stadt ergießt, ohne dass die meisten Figuren auch nur ein Wort darüber verlieren, so
lässt sich dies sogar als Anzeichen für eine extradiegetische Kommentarfunktion des
Gezeigten interpretieren, das somit im Film als Allegorie wirksam wird. In einem Ge-
dichtfilm stellt es dagegen keine Besonderheit dar, wenn ein Bildmotiv oder Geräusch
keine Erwähnung findet. In einem performanceorientierten Gedichtfilm, den der Regis-
seur Antonello Faretta mit dem Beat-Poeten John Giorno inszeniert hat, ist dennoch so
etwas wie ein creusement zu beobachten. Während der Dichter im Vordergrund des mit
statischer Kamera aufgenommenen Bildes sein Gedicht „Just say no to family values“
vorträgt, ist im Hintergrund eine alte Frau mit einem Kopftuch zu erkennen, die in kei-
ner Weise mit Giorno interagiert und nicht im Text angesprochen wird. Die Wirkung,
die von der Anwesenheit der Greisin auf den Text ausgeht, in dem Exzess und Bin-
dungslosigkeit gefeiert werden, kommt der von Chion entworfenen forclusion audiovi-
suelle3 bereits ziemlich nah.
Mit der Unterscheidung der Formen „contraste“ (Kontrast), „contrepoint“ (Kontra-
punkt) und „contradiction“ (Widerspruch) nimmt Chion eine hilfreiche Differenzierung
vor, die auch für die Charakterisierung der Text-Bild-Beziehungen im Poesiefilm rele-
vant ist, denn sie kann Begriffe, die andernorts synonym gebraucht werden, auf sinn-
volle Weise präzisieren. Ein Kontrast entsteht, wenn zwischen dem Gesagten und dem,
was gezeigt wird, eine auffällige thematische Diskrepanz besteht. Dies ist der Fall,
wenn in einem Spielfilm banal-alltägliches Gesprochen wird, während Grausames ge-
schieht (PULP FICTION, 1994).4 Ein Kontrast kann sich auf allen denkbaren Ebenen
etablieren, etwa zwischen sündhaft und keusch, liebevoll und kühl, zärtlich und grau-
sam, vital und morbide, viel und wenig, stark und schwach etc. Die Beispiele deuten an,
dass sich aus dem Kontrast von Gesagtem und Gezeigten das Groteske und das Un-
heimliche, aber auch das Komische speisen. Der griechische Film ON DEATH (2007)
von Anastassios Langis beruht beispielsweise auf einem Gedicht, in dem das lyrische
Subjekt der personifizierte Tod selbst ist. Im Film wird es von einem kleinen Jungen
von höchstens sechs Jahren gesprochen, was zu einem scharfen Kontrast zwischen Ge-
sagtem und Gezeigtem (Bild und Ton) führt. Einen contrepoint (Kontrapunkt) stellt die
Situation dar, dass Figuren etwas sagen, das thematisch gänzlich unabhängig ist von
dem, was sie tun oder was um sie herum geschieht. Gesagtes und Gezeigtes stehen dann

1
Siehe ebd., 344f.
2
Ebd., 345. „Das Ungesagte benötigt einen Rahmen um als solches zu entstehen.“ (Übers. S.O.).
3
Ebd.
4
Ebd., 345f.
Gedichtfilm als Wort-Bild-Form 249
nicht in einer Beziehung des Gegensatzes oder Widerspruches, sondern verlaufen pa-
rallel, nebeneinander her.1 In Gedichtfilmen ist diese Konstellation regelmäßig anzu-
treffen, nicht nur, wenn man sie wie Chion auf im On gesprochene Figurenrede be-
schränkt. Performanceorientierte Gedichtfilme wie NICHTS_WEITER_ALS, EPILOG oder
ALLES lassen sich in diesem Sinne als kontrapunktisch beschreiben, weil das Gezeigte
inhaltlich ganz vom sprachlich vermittelten Text losgelöst ist.2 Die contradiction
schließlich ist am stärksten an einen narrativen filmischen Kontext gebunden, denn
dabei handelt es sich um die Frage, ob das Gezeigte dem, was gesagt wird, wider-
spricht; und zwar in dem Sinne, dass sich das Gesagte als unwahr erweist. Dies ist dann
der Fall, wenn die Bilder nicht einfach vom Gesprochenen abweichen oder einen star-
ken Kontrast zu ihm bilden, sondern wenn sie die Aussage des Textes direkt dementie-
ren. Dazu ist aber die Etablierung einer Diegese nötig, auf die die Wahrheit oder Un-
wahrheit sich beziehen lässt.
Natürlich können die hier vorgestellten typologischen Darstellungen nur einen ersten
Überblick über die Vielfalt möglicher Wort-Bild-Beziehungen auf der Informations-
ebene liefern. Ebenso wenig sollen sie den Blick darauf verstellen, dass zwischen der
Ebene der Faktur und der Information, wenn man deren Trennung einmal heuristisch
annehmen möchte, intensive Wechselwirkungen bestehen. Eine genaue Charakterisie-
rung der Verhältnisse zwischen Gesagtem und Gezeigtem lässt sich letztlich nur durch
eine detaillierte Interpretation des in Frage stehenden Gedichtfilmes leisten. Dazu ist
erneut auf die Bedeutung der inneren Wort-Bild-Beziehungen zurückzukommen, die in
der Konstellation Gedicht – Film eine zentrale Rolle spielen, schließlich gilt eine er-
höhte sprachliche Bildlichkeit traditionell als Inbegriff eines lyrischen Schreibens.3
Rüdiger Zymner hat diese Ausdrucksweise als zusammenfassend und sogar pauschali-
sierend kritisiert und charakterisiert ‚bildliche‘ Verfahren wie die Metaphorik als ein
„Verfahren der stilistischen Konzision der Faktur“4 sowie als eine Form der semanti-
schen Störung, die jedoch nicht zu den gattungskonstitutiven Merkmalen der Lyrik
gehöre.5 Anhand der Analyse eines Gedichtes von Pablo Neruda kommt Zymner
schließlich auf die Wirkungen der Metaphorik zu sprechen: „Die Metaphorik versinn-
licht die Information, oder besser: Informationen des Gedichtes, und sie sorgt für eine
poetische Evidenz, durch die es allerdings eigentlich unmöglich gemacht wird, einen
genauen Inhalt zusammenfassend oder referierend mitzuteilen.“6 Die hier erwähnte

1
Siehe ebd., 417.
2
Siehe Kapitel 3.1.
3
Siehe Walther Killy: Wandlungen des lyrischen Bildes, Göttingen 1961, 5. Bildlichkeit wird heute
meist als ein wichtiges potentielles Merkmal von Lyrik genannt. Siehe Rudolf Brandmeier: „Ly-
rik“, in: Günther Schweikle/Dieter Burdorf (Hg.): Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definiti-
onen, Stuttgart 2007. Hier: 463. Zur Rekonstruktion des Topos von der Poesie als einer Rede in
Bildern siehe Ralf Simon: Die Bildlichkeit des lyrischen Textes. Studien zu Hölderlin, Brentano,
Eichendorff, Heine, Mörike, George und Rilke, Paderborn, München 2011, 15ff.
4
Rüdiger Zymner: Lyrik, 85.
5
Ebd., 87.
6
Ebd., 86.
250 Text-Bild-Beziehungen

versinnlichende Qualität und die poetische Evidenz des Metaphorischen, die nicht voll-
ständig in sprachliche Formulierungen auflösbar ist, stellen erste Anhaltspunkte für eine
Bestimmung sprachlicher Bildhaftigkeit bereit. Ihr soll im Folgenden nachgegangen
werden.

4.2 Filmische Bildlichkeit und sprachliche Bildhaftigkeit –


zur Problematik der doppelten Relation
Die Analysekategorie der inneren Beziehungen zwischen Wort und Bild führt zur Bild-
lichkeit oder genauer: Bildhaftigkeit von Sprache, einem Problem, dem sich ohne ein
gewisses Verständnis vom Charakter des Bildlichen nur schwer begegnen lässt. Hat
man einmal zugestanden, dass der Ausdruck des sprachlichen Bildes selbst bereits eine
Metapher ist, stellt sich trotzdem die Frage, welche Eigenschaften einer sprachlichen
Äußerung es sind, die diese Redeweise motivieren und stützen. In welchen Punkten
kann sich Sprache dem Bild annähern bzw. inwieweit vermag sie Bilder (und Bilder
welcher Art) zu erzeugen? Willems’ Definition bildlicher Sprache als „Anschaulichkeit
schaffende Mittel der literarischen Rede“1 lässt noch vieles offen. Um intermediale
Zusammenhänge präzise charakterisieren zu können, sollte also die Frage nach der
Bildhaftigkeit der literarischen Sprache selber untersucht werden und ein Verständnis
von der sprachgebundenen Bildlichkeit des Textes gewonnen werden: „In diesem Sinne
ist aus der Perspektive der Literaturwissenschaft ein textinterner Bildbegriff die Vo-
raussetzung für die Kopplung von materiellem Bild und Text.“2
Das Wort „Bildlichkeit“ kann bezogen auf Sprache mehrere Bedeutungsschichten
haben:
Es bezeichnet 1) die Qualität (z. B. Anschaulichkeit) eines sprachlichen oder durch Sprache
evozierten Bildes, 2) im engeren Sinn die übertragene Ausdrucksweise (‚sensus allegoricus‘,
bildlich, tropisch reden‘) im Gegensatz zur wörtlichen Bedeutung, 3) die Gesamtheit aller Va-
rianten des rhetorisch-poetischen Bildes.3

Eine sprachliche Äußerung wird im Anschluss an die aristotelische Poetik dann als
bildlich bezeichnet, wenn sie nicht im herkömmlichen Sinn auf ihr Bezeichnetes refe-
riert, sondern in einem übertragenen, nicht wörtlichen Sinn.4 Als Bilder werden also vor

1
Gottfried Willems: „Theorie der Wort-Bild-Beziehungen“, 421.
2
Ralf Simon/Nina Herres/Csongor Lîorincz: „Vorwort“, in: Ralf Simon/Nina Herres/Csongor
Lîorincz (Hg.): Das lyrische Bild, Paderborn 2010, 10–25. Hier: 13.
3
Bernhard Asmuth: „Bild und Bildlichkeit“, in: Gert Ueding/Gregor Kalivoda (Hg.): Historisches
Wörterbuch der Rhetorik, Darmstadt 1992. Hier: 10.
4
Siehe Aristoteles: Die Poetik, griechisch/deutsch, bibliographisch erg. Ausgabe, hg. von Manfred
Fuhrmann, Stuttgart 1994, 1457b.
Filmische Bildlichkeit, sprachliche Bildhaftigkeit 251
vor allem rhetorische Figuren und Tropen bezeichnet, die sich wie Metapher, Metony-
mie, Symbol oder Vergleich eines uneigentlichen Ausdruckes bedienen.1 Im Fall der
Metapher, die hier als exemplarischer Fall eines poetischen Bildes diskutiert werden
soll, gilt die Ähnlichkeit als Hauptprinzip der Übertragung.2 Ihre Wirkung entsteht
dadurch, dass der direkte Ausdruck durch einen anderen Ausdruck ersetzt wird, mit
dem er durch das Prinzip der Ähnlichkeit verbunden ist. Die Vergleichbarkeit der bei-
den Terme wird durch ein gemeinsames Drittes (tertium comparationis) hergestellt, ein
Element, das beiden Ausdrücken gemeinsam ist und gewissermaßen die Schnittmenge
ihrer Bedeutungen bildet.
In der traditionellen Auffassung werden Bilder im Sinne rhetorisch-poetischer Tro-
pen also über Uneigentlichkeit und Ähnlichkeit erklärt. So nähert Quintilian die Meta-
pher dem Gleichnis: „Im Ganzen aber ist die Metapher ein kürzeres Gleichnis und un-
terscheidet sich dadurch, daß das Gleichnis einen Vergleich mit dem Sachverhalt bietet,
den wir darstellen wollen, während die Metapher für die Sache selbst steht.“3 Das Prin-
zip der Ähnlichkeit ist es auch, das lange als wichtigstes Verbindungsglied zwischen
sprachlichen Bildern und konkreten visuellen bzw. medialen Bildern galt. Obwohl sich
die Ähnlichkeit bildlicher Rede auf der Ebene der Zeichen bewegt und nicht die Rela-
tion von Zeichen und Bezeichnetem berührt wie beim Bild, sprach man der bildlichen
Rede aufgrund dieser Analogie eine größere Anschaulichkeit zu, die sie mit dem Bild
gemeinsam haben sollte.4
Eine solche Auffassung wird auch durch eine spätere Unterscheidung unterstützt, die
auf die pragmatische Semiotik von Charles Sanders Peirce zurückgeht. Peirce differen-
ziert drei verschiedene Typen bzw. Klassen von Zeichen nach ihrer Objektbeziehung.
Während Symbole Ideenassoziation oder habituelle Verbindungen zum Bezeichneten
unterhalten, stellen die Ikone oder diagrammatischen Zeichen eine Ähnlichkeit oder
Analogie zum Bezeichneten aus. Als Beispiele für solche Ikone nennt Peirce unter an-
derem die Bilder. Die dritte Klasse von Zeichen, die indexikalischen Zeichen, besitzt
dagegen eine reale Verbindung zum Objekt.5 Zu ihnen gehören Spuren, das Thermome-
ter oder der Wetterhahn, aber auch Fotografie und Analogfilm besitzen indexikalische
Anteile. Peirce differenziert genauer gesagt zwischen drei Arten von „Drittheit“6 oder
Repräsentation. Als eine „relativ echte Drittheit“ bezeichnet er das Symbol; „eine rela-

1
Urs Meyer: „Bilder/Tropen“, in: Thomas Anz (Hg.): Handbuch Literaturwissenschaft. Gegenstän-
de – Konzepte – Institutionen, Stuttgart 2007, 97–110. Hier: 97.
2
Siehe Bernhard Asmuth: „Metapher“, 260.
3
Quintilian, „VIII, 6“, in: Institutionis Oratoriae. Ausbildung des Redners, Zwölf Bücher, hg. von
Marcus Rahn, Darmstadt 1975, 1–76. Hier: 8.
4
Ebd. Quintilian „VIII 6“, 19.
5
Siehe Charles Sanders Peirce: „One, Two, Three. Fundamental Categories of Thought and Nature“,
in: Peirce on Signs. Writing on Semiotics by Charles Sanders Peirce, hg. von James Hoopes,
Chape Hill, London 1991, 180–185. Hier: 181.
6
Charles Sanders Peirce: „Aus den Pragmatismusvorlesungen“ (1903), in: Schriften II. Vom Prag-
matismus zum Pragmatizismus, aus dem Amerikanischen von Gert Wartenberg, hg. von Karl-Otto
Apel, Frankfurt am Main 1970, 299–388. Hier: 324.
252 Text-Bild-Beziehungen

tiv reaktionshafte Drittheit oder eine Drittheit von weniger hohem Repräsentations-
grad“1 stellt der Index dar und schließlich beschreibt er das Ikon als eine „relativ quali-
tative Drittheit oder eine Drittheit höchster Degeneration“2. Der Terminus ‚degeneriert‘
im Gegensatz zu ‚echt‘ bezieht sich allein auf die dyadischen bzw. triadischen Zeichen-
relationen und fragt danach, ob sie unabhängig von der Existenz der anderen Glieder
bestehen können. ‚Doppelt degeneriert‘ bedeutet demnach, dass das Ikon unabhängig
von der aktuellen Existenz eines Korrelats und eines Interpretanten seinen potentiellen
Zeichencharakter behält, „d. h. sie sind potentielle Bilder oder Modelle allein aufgrund
ihres qualitativen Soseins (Erstheit!).“3 Was man gemeinhin als Analogiebeziehung
oder Ähnlichkeit des ikonischen Zeichens darstellt, ist also die Tatsache, dass der Zei-
chencharakter des Ikons auf Eigenschaften beruht, die es unabhängig von Interpretant
und Objekt besitzt: „Das Ikon ist ein Repräsentamen, das die Funktion eines Repräsen-
tamens kraft einer Eigenschaft erfüllt, die es für sich genommen besitzt, und es würde
genau diese Eigenschaft auch besitzen, wenn sein Objekt nicht existierte.“4
Die in den neunziger Jahren unter anderem durch den Kunsthistoriker Gottfried
Boehm mitbegründete Forschungsrichtung der Bildwissenschaften erklären das Phä-
nomen des Bildes nicht mehr in erster Linie mit einer Ähnlichkeit zwischen Zeichen
und Bezeichnetem, sondern als Effekt einer deiktischen Praxis, die über den Zeichen-
charakter hinausweist. Diesen neueren Bildtheorien, die im Gefolge dieses sogenannten
iconic turn entwickelt wurden, geht es darum, den Charakter des Verhältnisses vom
Bild zu dem, was es darstellt, neu zu bestimmen. Statt eine Ähnlichkeit anzunehmen,
soll die Ikonizität des Bildes als Vorgang eines Zeigens gefasst werden:
Bilder gibt es nicht ohne ‚ikonische Differenz‘ die Frage ist aber, wie diese zu verstehen und
zu beschreiben ist. Allein wenn es bei der Beantwortung der Frage gelingt, in der ‚ikonischen
Differenz‘ auch eine Stärke der Bilder zu sehen, ist der platonische Verdacht zu entkräften.
Eine in diese Richtung zielende Antwort, formal und neutral genug, um den Fallstricken der
Abbildungsvorstellung zu entgehen, kann sein, dass Bilder etwas zeigen und dass sie in ihrem
Wesen durch den Sachverhalt des Zeigens bestimmt sind.5

Bilder lediglich als Abbilder zu betrachten, die auf einen hinter ihnen liegenden Text
verweisen, zeugt von einem schwachen Bildbegriff, der das Bild ganz in den Dienst der
Illustration stellt.6 Dagegen verortet Gottfried Boehm das Bild in der „Sphäre des nicht-

1
Ebd.
2
Ebd.
3
Karl-Otto Apel: „Peirces Denkweg vom Pragmatismus zum Pragmatizismus“, in: Charles Sanders
Peirce: Schriften II. Vom Pragmatismus zum Pragmatizismus, aus dem Amerikanischen von Gert
Wartenberg, hg. von Karl-Otto Apel, Frankfurt am Main 1970, 11–21. Hier: 82.
4
Charles Sanders Peirce: „Aus den Pragmatismusvorlesungen“ (1903), 324, Hervorhebung S.O. Für
eine Kritik dieser Auffassung aus der Perspektive der Semiotik siehe Umberto Eco: Einführung in
die Semiotik, Übers. Jürgen Trabant, München 2002, 200.
5
Günter Figal, „Bildpräsenz. Zum deiktischen Wesen des Sichtbaren“, in: Gottfried Karl
Boehm/Sebastian Engenhofer/Christian Spies (Hg.): Zeigen. Die Rhetorik des Sichtbaren, Mün-
chen 2010, 54–71. Hier: 55.
6
Gottfried Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen, 43.
Filmische Bildlichkeit, sprachliche Bildhaftigkeit 253
nicht-Propositionalen“1 und fordert, bei aller Anerkennung der begrifflichen und
sprachlichen Überformung von Bildern, ihr „deiktisches Potential freizulegen.“2 Es
geht also zunächst einmal darum zu verstehen, wie ein Bild in seiner konkreten materi-
ellen Beschaffenheit etwas anderes darstellen kann. Boehms Interesse setzt damit an
einem Punkt vor den traditionellen Fragen der Ikonographie ein; dort, wo das Bild
überhaupt etwas zeigt. In seinem Ansatz „wird die das Bild konstituierende Differenz
als Akt des Zeigens ausgedeutet, in dem das materielle Substrat in Sinn umspringt.“3
Denn obwohl Bilder sich auf ein materielles Substrat zurückführen lassen, gehen sie
doch in ihrer Materie nicht auf. Sie zeigen stets etwas anderes als ihre eigene Dinglich-
keit und sind daher von jener spezifischen Differenz durchzogen, die Boehm als „ikoni-
sche Differenz“4 bezeichnet: „Sie begründet die Möglichkeit, das eine im Lichte des
anderen und wenig Striche beispielsweise als eine Figur zu sehen.“5 An Monets Ge-
mälde der Kathedrale von Rouen (1894) verdeutlicht Boehm, was unter dem Begriff
der ikonischen Differenz zu verstehen sei. Beim Betrachten dieses Bildes spaltet sich
die Aufmerksamkeit und konzentriert sich einerseits auf die Ansicht des dargestellten
Gebäudes und andererseits auf das „Kontinuum farbigen Lichts, das das Gegenständli-
che begleitet und umhüllt.“6 Beides sind jedoch bildbegründende Aspekte, die im Blick
Blick ihre Synthese als „Verschränkung von Figuration und Grund“7 erfahren. Das Bild
Bild ist somit immer ein Zusammenspiel aus Bestimmtem und Unbestimmtem und eben
daraus speist sich dessen „Bestimmungskraft“8: „Die ikonische Differenz vergegen-
wärtigt eine visuelle Kontrastregel, in der zugleich ein Zusammensehen angelegt ist.
Ikonische Synthesen sind bereits in der Struktur unserer Wahrnehmung angelegt.“9 Das
Das Theorem der ikonischen Differenz ist so formuliert, dass es verschiedene bildkon-
stitutive Verhältnisse bündeln kann, wie etwa das Verhältnis von Fläche und Tiefe, von
begleitender und fokussierender Wahrnehmung oder von Opazität und Transparenz.10
Das Modell der ikonischen Differenz wird durch die These ergänzt, dass Bilder auf
einem doppelten Zeigen beruhen, in dem sie gleichzeitig sich selbst und etwas anderes
zeigen.11 Dabei sehen wir die Bildhaftigkeit des Bildes mit, denn das Sehen eines Bil-
des schließt eine Wahrnehmung der Leinwand (und, so müsste man ergänzen, des Bild-

1
Ebd., 15.
2
Ebd.
3
Ebd., 16.
4
Gottfried Boehm: „Die Wiederkehr der Bilder“, in: Gottfried Boehm (Hg.): Was ist ein Bild? Pa-
derborn 2006, 11–38. Hier: 30.
5
Gottfried Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen, 37.
6
Ebd., 47.
7
Ebd., 48.
8
Ebd., 49.
9
Ebd.
10
Siehe Gottfried Boehm: „Die Wiederkehr der Bilder“, 32f.
11
Gottfried Boehm: Wie Bilder Sinn erzeugen, 19.
254 Text-Bild-Beziehungen

schirms) mit ein. Diese begleitende Wahrnehmung unterscheidet das Bildsehen sowohl
von der Illusion, bei der der Bildstatus übersehen wird (trompe l’œuil), als auch von der
„fokussierten Wahrnehmung von Leinwand plus Pinselstrichen, bei der das Bild ausei-
nanderfällt.“1 Günter Figal fasst den Prozess der Abbildung als Vorzeigen eines Sche-
mas. Als variables Set gemeinsamer Merkmale ermöglicht dieses Schema dem Betrach-
tenden eine Identifizierung des Dargestellten.2 Bilder unterscheiden sich allerdings in
der Art und Weise ihres Zeigens voneinander. Während ein funktionales (rhetorisches)
Bild die Aufmerksamkeit auf das vorgezeigte Schema lenkt, gibt es Bilder, die sich
zeigen, in dem Sinne, dass sie sich als Bilder präsentieren: „Die Zeigemöglichkeiten
sind so gestaltet, dass das Bild in seiner Komposition und seinen Farben als Bild offen-
bar ist.“3
Wie wirkt sich ein so verstandener Bildbegriff, der das Bild über sein doppeltes Zei-
gen bestimmt, auf die inneren Wort-Bild-Beziehungen aus? Ließe sich eine Bildlichkeit
der Sprache auch über die Tendenz zur Aktivierung einer „ikonischen“ Differenz anset-
zen? Die hier vorgetragenen Überlegungen sollen diesen Implikationen des von Boehm
vorgeschlagenen Bildbegriffs Rechnung tragen, indem die Bildhaftigkeit der Sprache
nicht primär über Ähnlichkeit erklärt wird, sondern über das Zeigen, das durch eine
Kontrastregel ermöglicht wird. Ich möchte folglich dann von sprachlicher Bildhaftig-
keit sprechen, wenn sich eine Äußerung oder ein Text durch ein Verhältnis der Diffe-
renz auszeichnet – einer Differenz zwischen den in der sprachlichen Figur zusammen-
gerückten Vorstellungen, durch die sich ein Spielraum von Bedeutungen herstellt. Ähn-
lichkeit wäre demgemäß eher das mitunter überraschende Resultat als der Ausgangs-
punkt für das Funktionieren eines sprachlichen Bildes.4
In ähnlicher Weise argumentiert auch die Interaktionstheorie der Metapher, die der
Philosoph Max Black 1978 als Gegenmodell zu den vorherrschenden Substitutions-
und Vergleichstheorien vorgeschlagen hat. Nach dieser an Überlegungen des Litera-
turwissenschaftlers I.A. Richards anknüpfenden Auffassung verbinden sich in der Me-
tapher zwei Vorstellungen, die miteinander in einer aktiven Wechselwirkung stehen.
Dass die Bedeutung der Metapher das Resultat einer Interaktion zwischen einem Wort
und seinem neuen Kontext ist, setzt voraus, dass beide Bedeutungen als getrennt vonei-
nander wahrnehmbar bleiben.5 Black erklärt eine metaphorische Aussage also über das
Zusammenwirken zweier unterschiedener Gegensätze bzw. Systeme von Dingen. Auf
einen Hauptgegenstand wird ein System von „assoziierten Implikationen“6 angewandt,
das dem untergeordneten Gegenstand zugehörig ist: „Die Metapher selegiert, betont,
unterdrückt und organisiert charakteristische Züge des Hauptgegenstands, indem sie
Aussagen über ihn einbezieht, die normalerweise zum untergeordneten Gegenstand

1
Michael Polanyi: „Was ist ein Bild?“, in: Gottfried Boehm (Hg.): Was ist ein Bild? Paderborn
2006. Hier: 153.
2
Günter Figal: „Bildpräsenz“, 58f.
3
Ebd., 65.
4
Siehe auch Gerhard Kurz: Metapher, Allegorie, Symbol, Göttingen 1982, 19.
5
Max Black: „Die Metapher“, 68f.
6
Ebd., 75.
Filmische Bildlichkeit, sprachliche Bildhaftigkeit 255
gehören.“1 Ein vergleichbarer Ansatz findet sich auch in Harald Weinrichs Terminolo-
gie von „Bildfeld“ und „Bildspender“. Auch Donald Davidson, der die Interaktionsthe-
orie in einigen Punkten kritisiert, unterstreicht die hier entscheidende Aussage über die
Effekte der Metapher.2 Die Metapher „makes us notice“3, sie deutet uns etwas an und
zwar etwas, was nach Davidson keinen propositionalen Charakter haben muss. Wenn
Metaphern nicht über einen speziellen kognitiven Inhalt verfügen, sondern eben da-
durch wirken, dass sie uns auf etwas hinweisen, so liegt hierin eine Analogie zum deik-
tischen Charakter des Bildes. Auch Davidson vergleicht daher die Metapher mit einer
deiktischen Geste, einer deiktischen Sprechhandlung und einer Fotografie: „Seeing as
is not seeing that. Metaphor makes us see one thing as another by making some literal
statement that inspires or prompts the insight.“4 In diesem ‚Sehen als‘, bei dem etwas
als etwas anderes gesehen wird, ohne dass es dabei zu einer Verschmelzung oder Auf-
hebung der Standardbedeutung durch die hinzutretende Bedeutung kommt, liegt die
eigentliche Analogie zwischen Metapher und Bild. Sie besteht in der „Simultanität der
Geltung und Nichtgeltung der metaphorischen Prädikation“5, die auch eine Vorausset-
zung für die Bildwahrnehmung darstellt. Auch Gottfried Boehm hat die erhellende
Kraft dieser verbindend-kontrastiven Qualität der Metapher für seinen Bildbegriff ex-
plizit hervorgehoben:
Die Bildhaftigkeit, die uns die Metapher darbietet, läßt sich, Einzelbeobachtungen zusam-
menfassend, als ein Phänomen des Kontrastes kennzeichnen. Der Kontrast resultiert gerade
aus den überraschenden Wortfolgen, aus Brüchen, Inversionen oder unüberbrückbaren geisti-
gen Sprüngen. Was immer sich im sprachlichen Bild fügt, seine innere Differenz wird doch als
eine einzige Sinngröße erfahrbar: etwas wird als etwas sichtbar und plausibel. […] In der
Bemessenheit des Kontrastes, die Unterschiede zusammensieht, ohne sie auszulöschen, liegt
zugleich, was man die Anschaulichkeit des Metaphorischen genannt hat, seine erleuchtende,
geistige Kraft.6

Die Anschaulichkeit des Metaphorischen wird also nicht mehr in erster Linie über die
Ähnlichkeit erklärt, sondern über die Kontrastwirkung, die sich durch die überra-
schende Zusammenstellung von Wortfolgen herstellt. Sprachliches und visuelles Bild
finden eine Analogie in ihrer inneren Differenz und in der Gleichzeitigkeit, mit der das
Differente ‚zusammengesehen‘ wird. Diese in diesem Prozess erzeugte sogenannte
Anschaulichkeit ist indessen nicht an eine tatsächliche visuelle Vorstellung oder ein

1
Ebd., 76.
2
Davidson stellt sich gegen die in fast allen Metapherntheorien verbreitete Auffassung, dass die
Metapher einen kognitiven Inhalt (cognitive content) besitze, der über ihre wörtliche Bedeutung
hinausgeht. Während sie versuchten, die Funktionsweise der Metapher zu erklären, hätten jene
Theorien lediglich die Effekte von Metaphern in die Metapher ‚hineingelesen’. (Siehe Donald Da-
vidson: „What Metaphors Mean“, in: Sheldon Sacks (Hg.): On Metaphor, Chicago/Ill. 1993.
Hier: 43).
3
Ebd., 44.
4
Ebd., 45.
5
Gerhard Kurz: Metapher, Allegorie, Symbol, 23.
6
Gottfried Boehm: „Die Wiederkehr der Bilder“, 29.
256 Text-Bild-Beziehungen

Bild vor dem inneren Auge gebunden, sondern selbst schon metaphorischer Ausdruck,
der jedoch Konsequenzen für die Begegnung von sprachlicher Bildhaftigkeit und kon-
kreten Bildern hat, wie sie besonders für den Poesiefilm charakteristisch ist.

Martin Earle: A Galaxy over there


Martin Earles Verfilmung von Tomas Tranströmers Gedicht „Schubertiana“ zeichnet
sich durch einen äußerst reflektierten Umgang mit poetischer und filmischer Bildlich-
keit sowie ihren Wechselbeziehungen aus. Der zehnminütige Kurzfilm A GALAXY
OVER THERE (2010) arbeitet mit Stop-Motion-Animation und Realfilmaufnahmen, die
akustisch von Schuberts Streichquintett in C-Dur und einer Stimme begleitet werden,
die Passagen aus Tranströmers Gedicht in einer englischen Übertragung rezitiert.
„Schubertiana“ setzt mit einer Beschreibung ein, die den Blick auf eine in der Ferne
liegende Großstadt richtet. In ihm erscheinen die vielen kleinen Fenster im nächtlichen
Dunkel als „a spiral galaxy seen from the side.“1
Der Filmemacher hat darauf hingewiesen, dass das Gedicht mit diesem spielerischen
Wechsel von Panorama und Close-up selbst in hohem Maß filmisch sei.2 Die Faszina-
tion, die Tranströmers Lyrik auf ihn ausgeübt habe, so Martin Earle, gehe vor allem von
ihrer starken Bildhaftigkeit aus: „A Swedish friend showed me one of his poems. What
struck me was the amazing visual sense of his poetry – his talent at creating luminously
clear images.“3 Sein besonderes Interesse gilt dabei Tranströmers Gebrauch des Ver-
gleichs, den er sehr zutreffend als „surreal“4 kennzeichnet. „Simile is an amazing thing.
thing. We use it all the time to describe things we don’t have a name for, and poets use
it to inspire us to see familiar thing as if for the first time; from a different angle.“5
Earles Formulierung zeigt in seltener Deutlichkeit, dass der Effekt dieser rhetorischen
Figur weniger auf der im Englischen namensgebenden Ähnlichkeit (similarity) als auf
der verfremdenden Wirkung beruht, die durch die ungewohnte Zusammenstellung ver-
schiedener Elemente entsteht. Ein außerordentlicher Vergleich dieser Art findet sich
auch in „Schubertiana“, ist allerdings nicht in das Voice-Over von A GALAXY OVER
THERE übernommen worden. Er umschreibt das existentielle Vertrauen, das in der Mu-
sik Schuberts zu finden sei und lautet in der deutschen Übersetzung: „So, wie wenn im
Treppenhaus das Licht ausgeht und die Hand – vertrauensvoll – dem blinden Geländer

1
Übers. Jöns Mellgren. Zitiert nach: A GALAXY OVER THERE, GB 2010.
2
Juliane Otto/Martin Earle: „It’s a bit like when your team wins the league – Filmmaker Martin
Earle on Nobel laureate Tomas Tranströmer“, Interview, online unter:
http://lyrikline.wordpress.com/2011/12/07/its-a-bit-like-when-your-team-wins-the-league-
filmmakermartinearleon-nobel-laureate-tomas-transtromer.
3
Ebd.
4
Ebd.
5
Ebd.
Filmische Bildlichkeit, sprachliche Bildhaftigkeit 257
folgt, das durchs Dunkel führt.“1 Das scheinbar so schlichte, in seiner Tiefenstruktur
jedoch komplexe Bild kann hier nicht in allen seinen Elementen interpretiert werden.
Es soll lediglich darauf aufmerksam gemacht werden, dass gerade die Dimension des
Visuellen in diesem Bild zugunsten des Taktilen suspendiert wird, um die Notwendig-
keit des blinden existentiellen Vertrauens spürbar zu machen, die in diesem ganz alltäg-
lichen Moment manifest wird. Der ausgeprägte visuelle Charakter von Tranströmers
Lyrik stellt auf den ersten Blick eine Herausforderung für eine audiovisuelle Realisie-
rung dar, die auf Gottfried Willems Konzept der inneren Wort-Bild-Beziehungen ver-
weist. Wenn die Worte selbst sich der Anschaulichkeit des Bildes im Sinne einer inne-
ren Bildlichkeit annähern, wie wirkt sich dann die Konfrontation konkreter Bilder auf
die Ausgestaltung der Wort-Bild-Beziehungen aus?
In diesen und ähnlichen Fragen erweist es sich als ein konkretes Problem der künstlerischen
Arbeit, daß in einer Wort-Bild-Form die immanente Bildlichkeit des Worts auf das reale Bild
und der immanente Sprachcharakter des Bilds auf das reale Wort trifft, und zwar beides zu-
gleich, unauflöslich ineinander verschränkt. Gerade diese Beobachtung zeigt, wie notwendig
es ist, die Phänomene der immanenten Bildlichkeit des Worts und des immanenten Sprachcha-
rakters des Bilds unter dem Begriff der inneren Wort-Bild-Beziehungen zusammenzufassen.2

A GALAXY OVER THERE begegnet dieser Herausforderung der doppelten Relation, in-
dem einzelne poetische Bildelemente aufgegriffen und in spezifisch filmischer Wese
variiert werden, wie an zwei exemplarischen Sequenzen gezeigt werden soll. In der
Eröffnung des Filmes zeigt das Filmbild einzelne Fenster, die nacheinander im Dunkel
aufleuchten. Sie erscheinen synchron mit dem gezupften Streichern und akzentuieren
damit gleich zu Beginn die zentrale Bedeutung der Musik. Earle fasst die in
Tranströmers Versen angelegte Thematik, den Kontrast zwischen dem zerbrechlich
Alltäglichen und dem vertrauensvollen Aufgehobensein im existentiellen Dunkel, in
seine eigene audiovisuelle Metapher. In einer Kombination aus Motiven des Gedichtes
(„coffee cups“, „a spiral galaxy“) entsteht das Bild eines Spiralnebels, zusammenge-
setzt aus so alltäglichen Dingen wie Geschirr und Besteck, die zu den Klängen Schu-
berts durch den Weltraum kreisen.
Earles Film ist durch die in der ersten Strophe des Gedichtes angelegten Gegensatz-
paare strukturiert. Die Oppositionen von nah und fern, innen und außen, groß und klein,
alltäglich und transzendent durchziehen auch die Folge der vorüberziehenden Bilder
und Geräusche. Während Tranströmers lyrischer Sprecher in der dritten Strophe seine
außenstehende Beobachterposition aufgibt und mit der Rückkehr nach Hause mit den
Menschen der Stadt zu einem ‚wir‘ verschmilzt, bleibt die filmische Darstellung beim
Blick von außen nach innen. Das Bild zeigt erleuchtete Fenster aus der Distanz, durch
die man kurze Einblicke in die alltäglichen Verrichtungen der Menschen gewinnt. Eine
weitere Sequenz des Filmes wagt den visuellen Vergleich zwischen einem aus großer

1
Tomas Tranströmer: Sämtliche Gedichte, aus dem Schwedischen von Hans Grössel, München
1997, 158.
2
Gottfried Willems: „Theorie der Wort-Bild-Beziehungen“, 421.
258 Text-Bild-Beziehungen

Höhe gesehenen Land mit einer Patchwork-Bettdecke, die über einen Schlafenden ge-
breitet ist.1
Als Ausgangspunkt lassen sich wieder zwei Formulierungen aus dem Gedicht be-
zeichnen, die zu einem neuen Bild zusammengezogen werden: der federnde Boden auf
dem das lyrische Subjekt geht und sein im nächsten Vers thematisierter Schlaf. Im Film
wird eine Patchwork-Decke, auf der Felder, Gehöfte und Strommasten zu sehen sind,
erst in dem Moment als solche erkennbar, wo die Kamerafahrt zwei nackte Füße ins
Bild bringt, die unter ihr hervorlugen. Trotzdem sind Decke und Erdboden gleichzeitig
da, keines von beiden ist wirklicher als das andere, oder vermöchte das jeweils andere
Bild zu dementieren. Eine visuelle Metapher entsteht, die sich mit den im Voice-Over
gesprochenen Versen zu einem Dritten effektvoll zusammenschließt. Auch Sprache,
Klänge und Geräusche werden nicht einfach additiv übereinandergeschichtet, sondern
treten in ein anmutiges Wechselspiel, in welchem sie sich begleiten, sich antworten und
einander ablösen. Ein großer Teil der Geräusche, die in A GALAXY OVER THERE zu
hören sind, sind periodisch verteilte Geräusche,2 darunter das Heulen einer Sirene, Glo-
ckengeläut, das Rattern eines Zuges; andere sind unregelmäßig aber anhaltend, wie das
Weinen eines Babys oder Geschirrklappern. Sie alle verkörpern den „perpetual swell of
voices“, der im Gedicht erwähnt wird.
Diese Beispiele zeigen, dass A GALAXY OVER THERE ein Verhältnis der Ergänzung
zwischen Gesagtem und Gezeigtem anstrebt. Dies ist auch der Grund für bestimmte
Kürzungen im gesprochenen Text. Bild und Text sollen nach der Aussage des Regis-
seurs in ein Gespräch miteinander treten: „And in the final edit some of the most com-
pelling lines of the poem are left out of the voice-over, to prevent things become too
rich and to try to create a conversation between voice and image.“3 Die Metapher vom
Gespräch zwischen Wort und Bild beweist ein Gespür für die Besonderheiten, die Text-
Bild-Verhältnisse im Gedichtfilm mit sich bringen. Dazu gehört nicht zuletzt die
Problematik der inneren Wort-Bild-Beziehungen.

4.3 Zwei Verfilmungen von Rainer Maria Rilkes


„Das Karussell“
4.3.1 Rilkes Neue Gedichte

Rainer Maria Rilkes Gedicht „Das Karussell“ stammt aus dem Zyklus Neue Gedichte,
der in den Jahren zwischen 1903 und 1907 entstand. Da sich die Analyse der Gedicht-
filme auf die Frage der Bildlichkeit konzentrieren soll, ist es von Bedeutung, dass die-

1
Siehe Abbildung 4.
2
Siehe Barbara Flückiger: Sound Design, 227ff.
3
Juliane Otto/Martin Earle: „It’s a bit …“.
Zwei Verfilmungen von Rilkes „Das Karussell“ 259
ser Zyklus im Zusammenhang steht mit einer neuen Dichtungsprogrammatik, die sich
an den Verfahren der modernen bildenden Kunst orientiert.
Rilke formuliert diese Poetik1 zunächst unter dem Einfluss des ihm nah bekannten
Bildhauers Auguste Rodin, später unter dem Eindruck der Malerei Paul Cézannes.2
Während Rodin besonders für den „dynamischen Dingbegriff“3 Rilkes prägend war, der
sich in den Dinggedichten der Neuen Gedichte manifestiert, führte die Rezeption der
Bilder Cézannes den Dichter zu seinem Prinzip des „sachlichen Sagen[s]“4 hin, das in
Der Neuen Gedichten anderer Teil erprobt wird.5 In der Hinwendung zur Welt der
Dinge deutet sich eine neue Form des Wirklichkeitsbezuges an, die in einem entschie-
denen Gegensatz zur subjektivistischen Stimmungslyrik des Frühwerkes steht. Hierbei
wird das ‚Schauen‘ selbst zum „Bestandteil des dichterischen Aktes“6 und geht als
Wahrnehmungsprozess auch in die literarische Inszenierung der Gedichte ein. An den
Skulpturen Rodins beobachtet Rilke eine starke Bedeutung der Oberflächen, die sich
noch vor jedem Gefühl und jeder Deutung der Wahrnehmung darbieten:
Aber lassen Sie uns einen Augenblick überlegen, ob nicht alles Oberfläche ist was wir vor uns
haben und wahrnehmen und auslegen und deuten? Und was wir Geist und Seele und Liebe
nennen: ist das nicht alles nur eine leise Veränderung auf der kleinen Oberfläche eines nahen
Gesichts?7

Ulrich Fülleborn hat darauf hingewiesen, dass die Orientierung an den Dingen dennoch
nichts mit der „Abbildung einer äußeren Erscheinungswelt zu tun“8 hat. Auch wenn die
die Neuen Gedichte sich die „gegenständliche Welt“ zum Ausgangspunkt wählen,
bleibt in ihrer Darstellung die „Kluft zwischen dem Sein der Dinge und dem Bewußt-
sein“9 durchaus präsent. Da die poetische Sprache anders als die bildende Kunst die
Dinge nicht einfach vorzeigen kann, ist sie auf andere Gestaltungsmittel verwiesen,
Gestaltungsmittel, die sich auch in dem Gedicht „Das Karussell“ finden, das in den
Kreis der Dinglyrik einzuordnen ist.

1
Siehe Wolfgang Müller: „Neue Gedichte“, 296.
2
Siehe Rainer Maria Rilke: „Auguste Rodin“, in: Werke, kommentierte Ausgabe in vier Bänden, Bd.
4, hg. von Manfred Engel/Ulrich Fülleborn/Horst Nalewski/August Stahl, Frankfurt am Main,
Leipzig 1996, 401–513; und Rainer Maria Rilke: „Briefe über Cézanne“, in: Werke, kommentierte
Ausgabe in vier Bänden, Bd. 4, hg. von Manfred Engel/Ulrich Fülleborn/Horst Nalewski/August
Stahl, Frankfurt am Main, Leipzig 1996, 594–636.
3
Wolfgang Müller: „Neue Gedichte“, 298.
4
Ebd.
5
Ebd.
6
Ulrich Fülleborn: „Das mittlere Werk. Kommentar“, in: Rainer Maria Rilke: Werke, kommentierte
Ausgabe in vier Bänden, Bd. 1, hg. von Manfred Engel/Ulrich Fülleborn/Horst Nalewski/August
Stahl, Frankfurt am Main, Leipzig 1996, 841–1005. Hier: 906.
7
Rainer Maria Rilke: „Auguste Rodin“, 458.
8
Ulrich Fülleborn: „Das mittlere Werk“, 914.
9
Ebd., 911.
260 Text-Bild-Beziehungen

Das Gedicht ist eine Bewegungsstudie1, die eine Karussellfahrt vom Standpunkt ei-
nes außenstehenden Beobachters beschreibt. Die vorbeihuschenden Figuren und die auf
ihnen reitenden Kinder geraten kurz in den Blick und werden skizzenhaft beschrieben,
bevor sie kurz darauf von der Drehbewegung dem Blick entzogen werden. Was zurück-
bleibt, sind einzelne Sinneseindrücke, „ein kleines kaum begonnenes Profil –. / Und
manchesmal ein Lächeln, hergewendet“, Eigenschaften, die wie losgelöst von ihren
Objekten erscheinen. Im Gedicht sind also weniger die Dinge selbst, als vielmehr die
Effekte gestaltet, die das Karussell als bewegtes Objekt in der Wahrnehmung auslöst.
Hierin zeigt sich der viel diskutierte „phänomenologische[…] Grundzug“2, der Rilkes
mittlere Dichtung prägt. Obwohl diese auf Käte Hamburger3 zurückgehende Beobach-
tung in vielerlei Hinsicht eingeschränkt werden muss (etwa lassen sich die Gedichte
gerade nicht als Wesensschau im Sinne Edmund Husserls interpretieren),4 ist eine ge-
wisse Affinität zu phänomenologischen Grundannahmen nicht zu übersehen.5 Käte
Hamburger, die in ihrem Rilke-Aufsatz erstmals von einer phänomenologischen Struk-
tur der Dichtung Rilkes spricht und sich damit explizit auf die Philosophie Edmund
Husserls bezieht, spitzt diese Beobachtung auf die Formel zu, Rilkes Dichtung setze
eine Lyrik statt einer Erkenntnistheorie.6 Eine erste Parallele stellt dabei der Begriff des
des Schauens dar, der für beide, den Dichter und den Philosophen, konstitutiv war. 7
Eine weitere wichtige Verbindungslinie lässt sich über den Begriff der Intentionalität
ziehen. Anders als Kant bestimmt Husserl das Bewusstsein stets intentional, als Be-
wusstsein von etwas. Diese intentionale Struktur führt dazu, dass das Phänomenale
„zum Kern des Erkenntnisproblem[s]“ wird.8 Husserls Phänomenologie strebt eine
Änderung der natürlichen Einstellung (Thesis) an. Sie besteht in einem erkennenden
Verhalten, das gleichzeitig „die Selbstgegebenheit, Vorfindlichkeit, die Transzendenz
der ‚Phänomene‘ und ihre Immanenz im Bewußtsein sowohl anerkennen als erklären
möchte.“9 Käte Hamburger beschreibt diese Schwierigkeit, im Erlebnis zwischen
Dingerscheinung und Ding zu unterscheiden,10 als eines der zentralen Themen und
bezeichnet diese „Problematik der Intentionalität als Grundhaltung Rilkes“11. Dies wird
nicht nur in der Kunstreflexion Rilkes deutlich, sondern prägt darüber hinaus sein lyri-

1
Siehe Wolfgang Müller: „Neue Gedichte“, 306.
2
Ebd., 298.
3
Käte Hamburger: Philosophie der Dichter. Novalis, Schiller, Rilke, Stuttgart 1966, 179.
4
Wolfgang Müller: „Neue Gedichte“, 299. Bereits Käte Hamburger hatte angemerkt, dass auf den
Begriff der Wesensschau für den Nachweis einer phänomenologischen Struktur der Dichtung
Rilkes verzichtet werden kann. (Käte Hamburger: Philosophie der Dichter, 186).
5
Siehe in neuerer Zeit Ralph Köhnen: „Wahrnehmung wahrnehmen. Von Üexküll, Husserl und
Rilke“, in: Erich Unglaub (Hg.): Rilkes Paris 1920–1925. Neue Gedichte, Göttingen 2010, 196–
211. Hier: 207ff.
6
Käte Hamburger: Philosophie der Dichter, 180.
7
Ebd., 186.
8
Ebd., 188f.
9
Ebd., 190.
10
Ebd., 218.
11
Ebd., 190.
Zwei Verfilmungen von Rilkes „Das Karussell“ 261
sches Schreiben: „In der primär schauenden Haltung ist die im Husserl’schen Sinne
intentionale nicht nur unausgesprochen enthalten, sondern wird darüber hinaus selbst
zum Thema seiner lyrischen Aussage.“1
In „Das Karussell“ zeigt sich die phänomenologische Ausrichtung in einer Gestal-
tungstechnik, wie sie für die Neuen Gedichte insgesamt charakteristisch ist. Sie besteht
darin, das dargestellte Phänomen nicht nur zu benennen, sondern es durch formale Ei-
genschaften des Gedichtes quasi abzubilden. Wolfgang Müller bezeichnet dieses Ver-
fahren als Ikonizität, wobei er eine Unterscheidung zwischen Ikonizität erster und zwei-
ter Ordnung trifft. Geht es bei der Ikonizität erster Ordnung um die „formale Äqui-
valente für Dinge“2, so soll die Ikonizität zweiter Ordnung „die Abbildung von Wahr-
nehmungsvorgängen und Bewusstseinsprozessen“3 bezeichnen, eine Unterscheidung,
die gerade für Rilkes Dinglyrik mit ihrer phänomenologischen Grundstruktur proble-
matisch ist, denn ob sich ikonische Effekte auf ein Ding (eine Treppe) oder ein Wahr-
nehmungsphänomen (die Wahrnehmung des Ansteigens) beziehen, lässt sich nicht im-
mer trennscharf auseinanderhalten.4
Entscheidend ist, dass solche „mimetisch-ikonische[n] Darstellungsprinzipien“5 auf
nicht-begrifflichen formalen Gestaltungsprinzipien wie Strophenanordnung, Enjambe-
ment, Syntax oder Leerzeile beruhen, durch die sie in ein Verhältnis der Ähnlichkeit
zum Dargestellten treten. Dies kann beispielsweise eine lautmalerische Ähnlichkeit
oder eine Ähnlichkeit in Abfolge oder Anordnung sein (diagrammatische Ikonizität).6
Müllers wichtige Beobachtung wäre an dieser Stelle durch die an Gottfried Boehms
Bildbegriff gewonnenen Erkenntnisse zu modifizieren. Ihre Wirkung beziehen die be-
schriebenen poetischen Verfahren nicht in erster Linie aus einer Ähnlichkeitsbezie-
hung, sondern aus ihrem deiktischen Charakter. Wenn beispielsweise in „Das Karus-
sell“ ein Wechsel von einer Häufung dunkler Vokale in der ersten zu immer mehr
hellen Vokalen in der letzten Strophe stattfindet, so evoziert dies klangmalerisch die
Beschleunigung des Gefährts.7 Auch das Metrum kann zur Erzeugung solcher ikoni-
schen Effekte herangezogen werden. Die gleichmäßige Drehbewegung, die von fünfhe-
bigen Jamben getragen wird, wird in dem Moment gestört, wo von den nicht mehr ganz
kindlichen Mädchen die Rede ist: „auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge / fast
schon entwachsen, mitten in dem Schwunge / schauen sie auf, irgendwohin, herüber“.
Hier werden die Jamben erst durch eine leichte Umstellung (dem adonischen Vers „fast

1
Ebd., 214.
2
Wolfgang Müller, „Neue Gedichte“, 303.
3
Ebd.
4
In einem neueren Aufsatz lässt Müller die Unterscheidung zwischen Ikonizität erster und zweiter
Ordnung fallen. Siehe dazu Wolfgang Müller: „Rilkes Neue Gedichte und der Imagismus“, in:
Erich Unglaub (Hg.): Rilkes Paris 1920–1925. Neue Gedichte, Göttingen 2010, 231–244.
Hier: 241.
5
Wolfgang Müller: „Neue Gedichte“, 317.
6
Siehe Wolfgang Müller: „Rilkes Neue Gedichte“, 240.
7
Siehe Wolfgang Müller: „Neue Gedichte“, 303.
262 Text-Bild-Beziehungen

schon entwachsen“) und schließlich durch eine starke metrische Abweichung1 unter-
brochen, die ikonisch das Aufmerken der Mädchen nachbildet, welche mit Blick und
Aufmerksamkeit aus dem Kreisen des Karussells herausgetreten sind. Ikonische Effekte
werden im Karussell auch durch die Syntax hervorgerufen, die sich in einer für Rilke
ungewöhnlichen Weise durch parataktische Reihungen, das Polysyndeton „und“2 sowie
zahlreiche Aufzählungen auszeichnet, die das Episodische und Ausschnitthafte der
Wahrnehmung abbilden. Nicht zuletzt stellt der wiederkehrende Vers „und dann und
wann ein weißer Elefant“ das wiederholte Vorbeiziehen der Kinder und Figuren auf
dem Karussell nach, wobei die Wiederholungsstruktur versintern nochmals durch die
Assonanz der Formulierung „und dann und wann“ aufgenommen wird.
Die Gestaltung des Gedichtes erzeugt eine Spannung zwischen einem lyrischen
Sprecher, der in die Gegenstandswahrnehmung eingelassenen ist3 und einem außen-
stehenden Betrachter, der von einem außenliegenden Blickpunkt auf die in sich ge-
schlossene, „blind“ kreisende Bewegung schaut, die nur zweimal durch die Benennung
des „herüber“ und „hergewendet“ unterbrochen wird.4 Diese chiastische Struktur ver-
weist auf das Paradox, dass sich einerseits keine Unterscheidung zwischen dem Objekt
und der Wahrnehmung des Objektes treffen lässt, während andererseits die Wahr-
nehmung der Bewegung nur in einer gewissen Distanz bzw. nur von einem stillstehen-
den Punkt her möglich ist.
Ausgehend von der in den Neuen Gedichten dominierenden chiastischen Struktur,
hat Paul de Man eine entgegengesetzte Auffassung von der Rilke’schen Bildlichkeit
vertreten. Er schreibt von einem distanzierten Verhältnis zwischen den poetischen Bil-
dern und der Leserschaft, zwischen die der Dichter einen Schirm aus Sprache schiebe.
Die beschriebenen Dinge, erführen alle aus der Negativität heraus eine Umkehrung
ihrer kategorialen Eigenschaften, aus der eine neue Totalität hervorgehe.5 So erlaubt
etwa im berühmten Gedicht „Archaïscher Torso Appollos“ die Abwesenheit des Haup-
tes das Spiel mit der chiastischen Umkehrung, in der die blinde Statue zur einem an
jeder Stelle Sehenden wird.6 In dieser Rilkes’schen Rhetorik der Figur, die von den
Neuen Gedichten an besteht, sieht de Man eine Verabschiedung des Prinzips der
Referentialität zugunsten der Macht des Signifikanten. Das Gelingen der Neuen Ge-
dichte sei daher allein ein Gelingen der Sprache.7

1
„Schauen sie auf, irgendwohin herüber“ bringt statt dem erwarteten, jambischen v-v-v-v-v- die
Füße - v v - ‘ - v v - v - v in freirhythmischer Form.
2
Siehe Helmut Berthold: „Lessings und Rilkes Karussell-Gedichte“, in: Erich Unglaub (Hg.): Rilkes
Paris 1920–1925. Neue Gedichte, Göttingen 2010, 245–260. Hier: 252.
3
Siehe ebd., 250.
4
Helmut Berthold hat darauf hingewiesen, dass erst durch diese Benennung durch lokale Adverbien
der Sprecher des Gedichtes seinen Ort preisgibt. Siehe ebd.
5
Siehe Paul de Man: Allegories of Reading. Figural Language in Rousseau, Nietzsche, Rilke, and
Proust, New Haven 1979, 40.
6
Siehe ebd., 44.
7
Siehe ebd., 47.
Zwei Verfilmungen von Rilkes „Das Karussell“ 263
Sabine Schneider vertritt dagegen die Auffassung, dass Rilke einen Widerspruch ge-
gen den linguistic turn der Sprachphilospohie der Jahrhundertwende vorführe, die er
„ergänzt und korrigiert durch eine spezifische Ikonik des lyrischen Textes.“1 Schneider
kritisiert De Mans Lektüre als „Absolutierung des Lexikalischen“2 und setzt dagegen
die These, dass die Neuen Gedichte die Ikonik des lyrischen Textes reflektieren und
den Doppelcharakter des Bildlichen in ihrer paradoxen Struktur vergegenwärtigen. Sie
weist an Rilkes Neuen Gedichten sowohl ein Begehren der Sprache nach Dingpräsenz
nach als auch Strategien der Derealisierung, die der deralisierenden Seite der ikoni-
schen Bilderzeugung in der Terminologie Gottfried Boehms entsprechen sollen.3 Dem
ist insofern zuzustimmen, dass die ikonische Differenz, durch die sich das Bild aus-
zeichnet, beide Tendenzen einschließt; das Materielle und sein Umspringen in ein im-
materielles Bild, das etwas anderes zeigt. Dieser Sachverhalt ließe sich durchaus als
analog zur paradoxen Struktur der Rilke’schen Dinglyrik bezeichnen.4 Zentral ist im
vorliegenden Zusammenhang aber nicht in erster Linie die Teilung oder Dopplung,
sondern der deiktische Charakter des Bildes. Was im Moment der Bildwahrnehmung
entsteht, ist eine Deixis, bei der das Zeigende und das Gezeigte zugleich gesehen wer-
den können. Rilkes Ikonizität, die sich auch in dem Gedicht „Das Karussell“ aufzeigen
lässt, ist in ihrer nicht begrifflichen Evokation ein solches Zeigen in der Sprache.
Im Anschluss soll an einer exemplarischen Analyse zweier Gedichtfilme untersucht
werden, wie sich die Bilder des Gedichtes und die Ikonizität des Gedichtes selbst in das
audiovisuelle Medium übertragen lassen. Rilke gehört neben Jandl zu den am häufigs-
ten verfilmten deutschsprachigen Dichtern. Es stellt sich die Frage, warum gerade
Rilkes Lyrik so vielfache audiovisuelle Bearbeitungen gefunden hat. Neben der Popula-
rität des Dichters aufgrund der gnomischen Züge5 seiner Lyrik ist – so die These – in
dieser Lyrik ein Drängen nach dem Bild zu verzeichnen, das besonders die Texte der
mittleren Werkphase prägt. Rilke selbst hat einmal geäußert, dass er jeder künstleri-
schen Begleitung seiner Dichtungen, besonders aber der Illustration in hohem Maße
ablehnend gegenüberstehe. Er begründete seine Abneigung mit dem „freien bewegli-
chen Spiel der Imagination“6 das durch die bildliche Darstellung eingeschränkt würde
und bestand daher auf einer Trennung der Künste. Jeder Künstler müsse im Akt der
Produktion seine Mittel für die einzigen halten, „denn er käme sonst leicht zu der Ver-

1
Sabine Schneider: „Kaumblau. Rilkes prekäre Bildontologie in den Neuen Gedichten“, in: Ralf
Simon/Nina Herres/Csongor Lîorincz (Hg.): Das lyrische Bild, Paderborn 2010, 272–299.
Hier: 280.
2
Ebd., 283. „Das Verhältnis von Sprache und Ding scheint geklärt zu sein, als eine nicht paradigma-
tische, sondern syntagmatische Relation, ein durch semantisches, lautliches und grammatisches
Beziehungsgeschehen konstruiertes Sprachspiel auf einer Textoberfläche der Lexis im Sinne Paul
de Mans.“ (Ebd., 279).
3
Ebd., 283.
4
Siehe Ralf Simon: Die Bildlichkeit, 346.
5
Siehe Paul de Man: Allegories of Reading, 20ff.
6
Rilke an Gräfin Maria Viktoria Attems, 12. März 1921 (Rainer Maria Rilke: Briefe aus den Jahren
1914 bis 1921, hg. von Ruth Sieber-Rilke/Carl Sieber, Leipzig 1937, 383).
264 Text-Bild-Beziehungen

mutung, daß das oder jenes Stück Welt mit seinen Mitteln überhaupt nicht ausdrückbar
sei“1. Rilke versucht, seine Vorbehalte sowohl aus rezeptionsästhetischer als auch aus
produktionsästhetischer Perspektive zu erklären und argumentiert dabei explizit mit der
Inkommensurabilität von Sichtbarem und Sagbarem. Das dichterische Sagen bestünde
demnach im Versuch, diese Grenze dennoch zu überspringen. Es wird deutlich, welche
Herausforderung eine audiovisuelle Umsetzung der Rilke’schen Gedichte darstellt. Wie
treten konkrete mediale Bilder in Beziehung mit der das Gedicht bestimmenden
Ikonizität?

4.3.2 Sylvia Steinhäusers emblematische Kulturkritik

Sylvia Steinhäusers Videoproduktion DAS KARUSSELL stammt aus dem Jahr 2003 und
bildet zusammen mit einer Abschlussarbeit über Poesie und filmische Kurzformen ihr
Diplomprojekt an der Hochschule für Gestaltung Anhalt. Die Regisseurin wagt den
Versuch, das Gedicht mit Bildmaterial aus der Castingshow Deutschland sucht den
Superstar (DSDS) zu kombinieren und gelangt auf diesem Wege zu einer erstaunlich
humorvollen und formbewussten Medienreflektion, bei der sich die Frage nach einer
adäquaten Umsetzung des Gedichtes gar nicht mehr stellt.2 Dass die Bilder ausschließ-
lich vom Fernsehbildschirm abgefilmt sind,3 hat nicht nur zur Folge, dass ihre ver-
meintliche mediale Transparenz zugunsten einer flächigen Un-Wirklichkeit gestört
wird; es führt auch dazu, dass der Gedichtfilm auf eine Rekombination des schon vor-
handenen Bildmaterials verwiesen ist. Gerade hierin liegt nun aber Methode, denn die
Bearbeitung kann bei den Eigenschaften des vorliegenden Materials ansetzen und sie
für die eigene Gestaltung nutzen. Steinhäusers Gedichtfilm ist eine Wort-Bild-Form,
die mit einer offensichtlichen Differenz, ja mit einem gegensätzlichen Verhältnis von
Gesagtem und Gezeigtem arbeitet. Um dieses Verhältnis genauer zu bestimmen, soll
zunächst die Ebene der äußeren Faktur in die Untersuchung einbezogen werden. Die
Lesung des Gedichtes wird auf der Tonspur nur von einem etwas leiernden Glocken-
spiel begleitet, das einem Musikstück von Björk entnommen ist.4 Auf der Bildebene
sind Ausschnitte aus der Castingshow DSDS zu sehen, die in ihrer Abfolge nicht dem
chronologischen Verlauf der Sendung folgen, sondern nach dem Prinzip der Ähnlich-
keit umgruppiert sind. So sieht man mehrmals hintereinander, wie die Moderatorin mit
ausladender Geste einen Auftritt ankündigt, auch Auftritte der Kandidatinnen und das
applaudierende Publikum erscheinen hintereinander aufgereiht. Steinhäuser kombiniert

1
Rilke an Gräfin Maria Viktoria Attems, 12. März 1921 (ebd.).
2
Eine weitere Version des Gedichtfilmes sowie das Portfolio von Sylvia Steinhäuser findet sich
unter http://www.funkplatz.de.
3
Sylvia Steinhäuser: Das Karussell. Poesie und filmische Kurzformen, Berlin 2010.
4
„Frosti“ vom Album Verspertine 2001.
Zwei Verfilmungen von Rilkes „Das Karussell“ 265
die seriell ablaufenden Handlungen so miteinander, dass ihre frappierende Ähnlichkeit
hervortritt und weist sie damit als quasi paradigmatische Handlungen aus.1
Zudem bildet die Montage in ihrer Rhythmik die zunehmende Geschwindigkeit des
Karussells ab. Zunächst entspricht etwa jedem gesprochenen Vers eine Bildeinstellung,
später steigert sich die Schnittfrequenz auf eine Einstellung pro Wortgruppe, schließ-
lich, bei der Zeile „Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet“2, kommt je eine Auf-
nahme auf ein Wort. Bei der wiederkehrenden Zeile „Und dann und wann ein weißer
Elefant.“3 ist jedes Mal eine Einstellung des Publikums aus der Vogelperspektive zu
sehen, die mit rollender Kamera aufgenommen ist. Das sich steigernde Tempo, auch die
hektischen Schwenks und schwindelerregenden Fahrten im Halbkreis kulminieren in
der Zeile: „Und das geht hin und eilt sich das es endet, / und kreist und dreht sich nur
und hat kein Ziel“4.
Das Karussell wird also nicht auf der Ebene der bildlichen Darstellung abgebildet,
sondern durch filmische Verfahren evoziert. Steinhäuser findet formale Äquivalente für
das im Gedicht evozierte Ding sowie für die Wahrnehmungsprozesse, die dargestellt
werden. Damit bedient sich der Film also dem Verfahren der Ikonisierung von Gestal-
tungstechniken wie sie auch Rilkes Neue Gedichte kennzeichnet.5 Steinhäuser ent-
nimmt diese formalen Äquivalente dem found footage der Fernsehaufzeichnung und
kann so Tendenzen ausstellen, die im Material bereits angelegt sind. Erst in der Anord-
nung, die durch die Montage entsteht, werden die Gestaltungstechniken, die bei der
Fernsehaufzeichnung zum Einsatz kommen, ausgestellt und markiert. Das ziellose,
besinnungslose Kreisen verweist strukturell auf die Wiederkehr des Immergleichen 6,
die sich hier in der akkumulierenden Montage stereotyper Gesten von Moderatoren und
Kandidaten zusätzlich materialisiert. Auf diese Weise findet in Steinhäusers Kurzfilm
eine kulturkritische Verschiebung der Karussell-Metapher statt.
Obwohl ein offensichtlicher Gegensatz zwischen Gedicht und Bildebene besteht, las-
sen sich doch vereinzelte Korrespondenzen feststellen. So fällt die Zeile „dieweil der
Löwe Zähne zeigt und Zunge“ mit einer halbnahen Einstellung zusammen, die das
Jurymitglied Dieter Bohlen zeigt, der ja für seine Selbststilisierung als „böser“, rück-
sichtsloser Kritiker berüchtigt ist. Für einen Augenblick stellt sich eine Text-Bild-

1
„Was ist das empirische, linguistische Kriterium der poetischen Funktion? Anders gesagt, worin
besteht die unabdingbare Eigenschaft eines Dichtwerks? […] Die Selektion vollzieht sich auf der
Grundlage der Äquivalenz, der Ähnlichkeit und Unähnlichkeit, der Synonymie und Antinomie,
während der Aufbau der Sequenz auf Kontiguität basiert. Die poetische Funktion projiziert das
Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination. Die Äquiva-
lenz wird zum konstitutiven Verfahren der Sequenz erhoben.“ Roman Jakobson: „Linguistik und
Poetik“, 94.
2
Rilke: „Das Karussell“, 477.
3
Ebd., 476
4
Ebd.
5
Siehe Wolfgang Müller: „Neue Gedichte“, 302.
6
Siehe Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente,
Frankfurt am Main 2002, 176.
266 Text-Bild-Beziehungen

Metapher her, die Bohlen als Karussell-Löwen vorführt, der Kinder erschreckt. In ei-
nem weniger übertragenen Sinn wird das Aufschauen der Mädchen „irgendwohin, her-
über –“ im abschweifenden, unsicheren Blick einer Kandidatin visualisiert. Auch wenn
sich punktuelle Bezüge zwischen Wort und Bild herstellen lassen, gilt generell, dass
Gesagtes und Gezeigtes in Steinhäusers Gedichtfilm nicht auf der Ebene der Bild-
gegenstände, sondern auf der formalen Ebene korrespondieren. Ausgehend von medi-
enspezifischen formalen Eigenschaften wie Kamerafahrt, Zoom und Schwenk stellt sich
eine Vergleichbarkeit von Castingshow und Karussell ein, die zugleich zur umfassen-
den Allegorie wird. Das „blinde Spiel“ wäre dann nicht unschuldige Beschäftigung, die
vom Ernst des Lebens abgesondert ist, sondern standardisierende Einübung eines nor-
mierenden Konkurrenzverfahrens.
Interessant ist zudem, wie es gelingt, von einem formalen Anknüpfungspunkt ausge-
hend, nämlich der kreisenden Kamerabewegung, immer weitere Bezugspunkte zu er-
öffnen, die das Karussell mit den Bildern der Fernsehshow in Verbindung bringen: Die
blendende, blinkende Beleuchtung; die runde Form der Studiobühne und die ahnungs-
losen, hoffnungsfrohen Gesichter der Kandidaten; sie alle erinnern an ein Karussell,
ohne, dass dabei je eine genaue bildliche „Entsprechung“ zwischen Gesagtem und Ge-
zeigtem hergestellt wird. Inhaltlich treten Text und Bild also in ein metaphorisches
Verhältnis. Unter dem Aspekt der ethisch-moralischen, ja fast didaktischen Botschaft,
lässt sich Steinhäusers Gedichtfilm daher durchaus als ein „modernes Emblem“ be-
zeichnen.

4.3.3 Barbara Dobrovitz’ Karussell-Animation als Lebensmetapher

Barbara Dobrovitz’ Animation DAS KARUSSELL (2009) entstand ebenfalls im Rahmen


einer Abschlussarbeit, die die Regisseurin an der Hochschule der Medien Stuttgart pro-
duzierte. Sie basiert auf einer Rezitation des Schauspielers Heino Ferch, die zusammen
mit einem Musikstück die Tonspur des Filmes bildet. Wie Steinhäuser setzt auch
Dobrovitz in ihrer Animation keine direkte Abbildung eines Karussells ein, lehnt sich
jedoch motivisch stärker an Rilkes Gedicht an und nähert sich damit insgesamt der
Illustration. Ihr Film beginnt mit einer Karawane aus Gliederpuppen, die in ihrer Flä-
chigkeit an Hampelmann- oder Mobilé-Figuren erinnern und darüber hinaus auf die
Zirkuswelt anzuspielen scheinen. Vor einem kaum definierten dunklen Hintergrund
kreisen sie zunächst stehend um einen Baum, der den Mittelpunkt bildet, bis sie zum
Leben erwachen und zu laufen beginnen. Alle Tiere und Figuren des Karussells – Pfer-
de, Hirsch, Löwe, Elefant, Junge und Mädchen – erscheinen in der Reihenfolge ihres
Auftretens im Gedicht.
Von besonderer Bedeutung ist die Zeitstruktur der Animation, da anstelle einer
Verräumlichung in Dobrovitz’ Umsetzung eine Verzeitlichung des Karussellmotivs
stattfindet, die zugleich mit einer Narrativisierung des Gedichtes einhergeht. Die Ani-
mation ist in vier Phasen aufgeteilt. Sie beruhen auf simultan abrollenden Zeiteintei-
lungen, die einander ungefähr entsprechen: Jahreszeit, Tageszeit und Lebenszeit. Im
Zwei Verfilmungen von Rilkes „Das Karussell“ 267
ersten Teil des Filmes, der die ersten vier Zeilen des Gedichtes umfasst, ist der Hinter-
grund noch dunkel, ein durchs Bild tanzendes Blütenblatt dient als metonymisches Zei-
chen für den Frühling. Ein grünes Blatt markiert den Übergang zum Sommer und über-
nimmt gleichzeitig die Blickführung. Sein Auftreffen auf der Erde verwandelt die
Szenerie in eine taghelle Savanne unter einem leuchtend blauen Himmel. Dort wird
durch einen Sonnenaufgang der Beginn des Tages angezeigt, der mit dem ersten Auf-
treten der Kinder zusammenfällt. Mit einem herbstlich gefärbten Blatt wird der Über-
gang in die nächste Phase eingeleitet:
Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
schauen sie auf, irgendwohin, herüber –.

Die Animation führt diese Verse als einen Übergang von Kindheit zur Jugend vor, in-
dem sie zusätzlich zeigt, was in den Blick der Mädchen gerät: ein weiß gekleideter jun-
ger Mann, der rauchend zum Karussell hinzutritt. Auf der Ebene der Tageszeiten ent-
spricht dieser Phase der Abend, der folgerichtig durch eine untergehende Sonne
illustriert wird. Einen letzten Abschnitt bildet der durch eine Schneeflocke markierte
Winter, dem hier die Nacht und das hohe Alter zugeordnet sind. In seiner Schlusspointe
führt der Film diese Zuordnung zusätzlich einer narrativen Begründung zu. Zum Ende
des Gedichtes, etwa mit den letzten drei Zeilen, zoomt der Blick aus dem Karussell
heraus. Immer kleiner werdend entpuppt es sich schließlich als das Figurenensemble
einer Schneekugel. Dieses Spielzeug wird von zwei gealterten Personen betrachtet, die
durch die blaue und weiße Farbe ihrer Kleidung als der Junge und das Mädchen auf
dem Karussell erkennbar sind. In die Schneekugel blickend, hängen sie ihren Erinne-
rungen an ein gelebtes Leben nach. Schon Aristoteles hat ja die Verhältnisse von Ta-
geszeit und Lebenszeit als Beispiel für eine Analogiemetapher aufgeführt: Der Abend
verhält sich zum Tag, wie das Alter zum Leben. Rilkes Karussell wird damit unmiss-
verständlich als Lebensmetapher inszeniert. Damit schließt sich Dobrovitz’ einer gän-
gigen Interpretation des Gedichtes an, die im Karussell eine Allegorie des Daseins
sieht, dessen zielloses Kreisen nur ab und an von einer vorübergehenden „Epiphanie
eines nicht näher angebbaren Sinns“1 unterbrochen wird. Allerdings wird dieses Dasein
auf alltägliche lebensweltliche Klischees reduziert und die vorübergehenden Epipha-
nien werden mit Stationen einer standardisierten Individualbiographie gleichgesetzt.

1
Ulrich Fülleborn: „Das mittlere Werk“, 949.
Schluss

Das tertium comparationis von Film und Literatur ist die Handlung. Diese alte Grund-
annahme über die Literaturverfilmung, die selbst noch bei der Untersuchung so aktuel-
ler Phänomene wie der Literaturadaption in Videospielen Anwendung gefunden hat,
kann am Ende der vorliegenden Untersuchung als überholt oder zumindest stark ergän-
zungswürdig bezeichnet werden. Am Beispiel der Lyrik lässt sich erfahren, dass Sinn-
bildungspotentiale auch außerhalb von narrativen Strukturen möglich sind.1 Poesiefilme
zeigen, dass dies, trotz der gemeinhin angenommenen Gleichsetzung von Film und
Spielfilm, auch auf das audiovisuelle Medium zutrifft. Die hier zusammengetragenen
Ergebnisse können für jene Elemente audiovisueller Gestaltung sensibilisieren, die sich
nicht in erster Linie in den Dienst der Handlung stellen: für die sprechende Stimme,
rhythmische Bewegung, komplexe Ton-Bild-Verhältnisse oder audiovisuelle Metapho-
rik – Mittel, die uns auch in anderen audiovisuellen Formaten begegnen und deren
Reichtum durch die gründliche Untersuchung von Lyrik im audiovisuellen Medium er-
schlossen werden kann.

Ergebnisse
Poesiefilme bewegen sich zwischen den Polen von Dichotomien und das gleich in
mehrfacher Hinsicht. In ihrer hybriden Verfasstheit bieten sie Anlass, Gegensatzpaare
wie Textualität und Performativität, Performativität und Medialität und nicht zuletzt
Hören und Sehen auf ihre Wechselwirkungen hin zu befragen. Im Verlauf der Untersu-
chung ist deutlich geworden, dass Performance (das Wie) und Text (das Was) in Ge-
dichtfilmen nicht voneinander zu trennen sind. Keine hörbare Äußerung lässt sich allein
auf sprachliche Bedeutung reduzieren, kein Schriftgebilde wird ganz unabhängig von
seiner visuellen Gestalt rezipiert. Ebensowenig lassen sich stimmliche Merkmale ohne
Rücksichtnahme auf ihre Bedeutsamkeit erfassen. Je stärker die äußere Faktur in den

1
Siehe Rüdiger Zymner: Lyrik, 79.
Schluss 269
Vordergrund tritt, desto mehr tritt das Zusammenspiel von Schrift bzw. Stimme und
Sprache ins Bewusstsein.1
Nicht zuletzt an der Dimension rhythmischer Bewegung wird deutlich, dass Gedicht-
filme im Vergleich zu schriftlich fixierten Texten einen Ereignischarakter haben; gesti-
scher, stimmlicher aber auch schriftlicher Vollzug erzeugen ihre Wirkungen auch im
audiovisuellen Medium. Gleichzeitig unterliegt diese Performance einer medialen For-
mierung. Gedichtfilme basieren auf diesen Wechselwirkungen zwischen performativen
Aspekten und den Effekten des Mediums. Es bietet sich daher grundsätzlich die Mög-
lichkeit, die audiovisuelle Medialität auszunutzen oder aber, sie zu reflektieren. Der
Poesiefilm kennt beide Tendenzen.
Mit dem Begriff der intermodalen Assoziation schließlich wurde die wechselseitige
Einwirkung zwischen Ton und Bild im audiovisuellen Medium gekennzeichnet.2 Auch
hier liegt keine strikte Trennung der Bereiche vor. Während im Spielfilm nur selten von
der mimetischen Funktion des Tons abgewichen wird, sind kontrapunktische Verhält-
nisse von Ton und Bild typisch für eine bestimmte Art des Gedichtfilmes: den Voice-
Over-Gedichtfilm. Je stärker beide Dimensionen auseinanderstreben, desto größer der
Mehrwert (valeur ajoutée), der im Prozess der gegenseitigen Anreicherung von Ton
und Bild entsteht.3
Der poetische Film, so konnte in einem Durchgang durch den ästhetischen und film-
kritischen Diskurs gezeigt werden, ist ein Konzept, mit dem versucht wird, eine eigen-
ständige filmische Ästhetik zu etablieren. Dabei werden die Prinzipien der Narration
und der Repräsentation zugunsten der filmischen Ausdrucksebene zurückgedrängt. Der
poetische Film versteht sich nach dem Modell der Lyrik dabei auch als Reflektion sei-
ner medialen Bedingtheit. Doch nicht nur der poetische Film nähert sich in der Handha-
bung filmischer Mittel Ausdrucksweisen an, die sich als analog zum lyrischen Sprach-
gebrauch beschreiben lassen, auch in Gedichtfilmen, die einen konkreten lyrischen Text
realisieren, ist eine Tendenz zu ‚poetischen Verfahren‘ zu beobachten. Viele Gedicht-
filme zeigen wie der poetische Film eine Aufwertung der Darstellungsebene gegenüber
dem Dargestellten. Der Eigenwert von Schrift, Stimme oder Rhythmus wird in ihnen
betont. Mit der Integration lyrischer Texte geht häufig eine Segmentierung einher, die
Abschnitte ohne narrative oder handlungslogische Verknüpfung bildet. Stattdessen
dominieren achronologische Montagetypen nach dem assoziativen, abstrakten oder
kategorialen Prinzip.4 Besonders in den stimmlich integrierenden Voice-Over-
Gedichtfilmen, der häufigsten Erscheinungsform des Poesiefilmes, liegt außerdem eine
Trennung von Ton und Bild vor, die meist mit einem erhöhten Eigenwert der Tonebene

1
Insofern die vernehmbare Stimme eine sprechende Stimme ist, die Schriftzeichen einen Text her-
stellen, setzen sie sich in ein Verhältnis zu Sprache und Bedeutung, dem in der Interpretation
Rechnung zu tragen ist. Nur so können Transgressionen im Bereich stimmlicher Äußerungen, wie
sie etwa bei den Lettristen anzutreffen sind, erkannt und in ihrer Tragweite anerkannt werden.
2
Vgl. Barbara Flückiger: Sound Design, 141.
3
Für eine Darstellung des Themas aus jüngerer Zeit siehe Barbara Flückiger: „Zum Mehrwert in
der“ und im selben Band Reinhart Meyer-Kalkus: „Akusmatische Extensionen“.
4
David Bordwell/Kristin Thompson: Film Art, 122ff.
270 Schluss

einhergeht. Es kommt dabei nicht zu einer Dominanz des Tons, aber durch eine
Enthierarchisierung der Sinnesbereiche zu einer größeren Selbstständigkeit des Hörba-
ren gegenüber dem Sichtbaren. Seltener zwar als in den experimentellen Spielarten des
poetischen Filmes findet sich im Gedichtfilm die Aufgabe einer räumlichen Tiefenillu-
sion nach den Prinzipien der Zentralperspektive, die zu einer Flächigkeit des Bildes
führt. Eine Tendenz zur Derealisierung des Raumes ist jedoch sowohl für den perfor-
manceorientierten als auch für den Voice-Over-Gedichtfilm durchaus zu konstatieren.
Schließlich gehört der Verzicht auf eine kontinuierliche Handlung und damit auf die
Bildung einer filmischen Diegese, obwohl es sich keineswegs um ein bestimmendes
Merkmal von Lyrik handelt, sicherlich zu den auffälligsten Tendenzen im Gedichtfilm.
Auch wenn das Merkmal nicht durchgehend zutrifft, ist es doch so dominant, dass es
sinnvoll erscheint, Gedichtfilme im Spielfilmformat als Sonderform des Gedichtfilmes
zu bezeichnen.1
Für die systematische Untersuchung hat sich der Lyrikbegriff von Rüdiger Zymner
als sehr produktiv herausgestellt, denn er ermöglicht es, zwei wichtige Aspekte der
Wirkung von Lyrik zu verbinden, die sich auch im Poesiefilm als zentral erwiesen ha-
ben: zum einen die Eigenschaft, die eigene Medialität auszustellen, zum anderen die
ästhetische Evidenzerfahrung, die nicht nur durch lyriktypische Verrätselung, sondern
auch durch eine gesteigerte Sinnlichkeit der Rezeption befördert wird.2 Historisch zeigt
sich dies in den zwei großen Strömungen des Poesiefilmes: filmische Avantgarde, ex-
perimentelle Literatur und Medienkunst einerseits und Spoken-Word-Bewegung ande-
rerseits. Die hier in loser Reihung vorgestellten Charakteristika des Poesiefilmes kön-
nen durchaus als ‚lyrische‘ Attraktoren im Sinne Zymners aufgefasst werden.
Handlungslosigkeit bzw. Entfabelung, kontrapunktische Relation zwischen Ton und
Bild, Konzision der Information durch Montage und anderes mehr stellen programmati-
sche Störungen der Sinnbildung dar. Rhythmische Strukturen, Materialität der Schrift
und der Stimme sind dagegen als Auslöser sinnlicher Partizipation Katalysatoren ästhe-
tischer Evidenz.3 Aus historischer Perspektive lässt sich festhalten, dass die einzelnen
Ansätze und Übertragungsversuche unterschiedliche Aspekte der Lyrik stark machen
bzw. für ihre Ziele anschlussfähig halten. Das können entweder die Funktion als „Dis-
play“ audiovisueller Medialität oder Schrift oder sinnliche Aspekte wie Performance,
Rhythmus, Klanglichkeit sein. Aber auch die Subjektivitätstheorie der Lyrik findet
unter den Film- und Videokunstschaffenden ihre Anhänger.

1
TO THE MARRIAGE OF TRUE MINDS (2010); UNE LEÇON PARTICULIÈRE (2008); POEM: An grauen
Tagen (2002).
2
„Hier deutet sich unter anderem ein Aspekt der Wahrnehmung von bzw. des Umgangs mit Lyrik
an, der von der rekursiven Transkription, gar in Form einer systematischen Befragung des Gebil-
des, gar nicht zu trennen ist: rekursive Transkription und ‚sinnliche‘ Affirmation gehören im Fall
der Lyrik zusammen wie zwei Seiten einer Medaille, ja ästhetische Evidenz läßt sich analytisch in
diese beiden Komponenten zerlegen.“ (Rüdiger Zymner: Lyrik, 137).
3
Siehe ebd., 96f. und 137ff.
Schluss 271
Ausblick: Residuen der Forschung
Ein großer Teil der Gedichtfilme, die heute auf Festivals und im Netz zu sehen sind,
sind Animationsfilme. Beispiele wie ANNA BLUME (2010) oder THE POLISH LANGUA-
GE (2009) zeigen, dass es sich hierbei um höchst anspruchsvolle Umsetzungen von
Lyrik handelt, die fast nichts mit Kinderfilmen und viel mit den bildenden Künsten zu
tun haben. Da sich das Ausdrucksinventar der Film- und Videoanimation grundlegend
von dem des Realfilmes unterscheidet, konnten animierte Gedichtfilme in dieser Arbeit
nur beiläufig behandelt werden.1 Es wäre interessant zu untersuchen, welche Affinitä-
ten zwischen Animation und Lyrik bestehen und wie die Gestaltungsmittel des Anima-
tionsfilmes durch digitale Techniken umgestaltet werden.
Im Zusammenhang mit dem Phänomen des Dubpoetry-Videos konnte gezeigt wer-
den, dass das Genre „Poesiefilm“ Dichtungskulturen entgegenkommt, in denen die
mündliche und gestische Performance einen besonderen Stellenwert besitzt. Dass inter-
national einzelne Strömungen mit oral geprägten Poesiekulturen sich bevorzugt dem
audiovisuellen Medium zuwenden, ist auf Festivals immer wieder zu beobachten, ließ
sich aber im Rahmen dieser Studie, die den Schwerpunkt auf deutschsprachige Produk-
tionen legte, nicht annähernd angemessen untersuchen. Die Poesiefilme des World Ci-
nema2, besonders die seit den achtziger Jahren florierenden Videocultures in Afrika und
Asien wären ein ausgedehnter Themenbereich für zukünftige Forschung im Bereich der
Ethnopoetics, der internationalen Videokunst und der postkolonialen Literaturwissen-
schaft.
Eine wichtige Forschungsperspektive eröffnet sich mit der Digitalisierung audiovi-
sueller Medien. Die Arbeiten des Medienkünstlers Bill Seaman beispielsweise verfol-
gen eine Richtung, die über das audiovisuelle Genre „Poesiefilm“ bereits hinausgeht. In
Erweiterung des Videos durch den Computer baut Seaman auf einem „entwickelten
Vokabular der Videoästhetik“3 auf, das er in hypermedialen interaktiven Anordnungen
gestaltet. So kann in den Arbeiten der Reihe Recombinant Poetics nicht nur ein poem
generator angesteuert werden, der es dem zu Userinnen und Usern gewordenen Publi-
kum ermöglicht, eigene Gedichte aus den vorliegenden Texten zu kreieren, sondern es
kann darüber hinaus die Zusammensetzung von Text, Geräusch und Bild beeinflusst
werden:
For me The World Generator empowers one to explore meaning as it is emerging, because one
can form a dynamic context by putting a poetic piece of text next to an image and/or sound el-
ement, and one can experience how these fields of meaning enact upon each other.4

Seamans Arbeiten bilden die künstlerische Weiterführung von Elementen, die in dieser
Arbeit als konstitutiv für den Gedichtfilm herausgearbeitet wurden, wie beispielsweise

1
Siehe Rolf Giesen: Lexikon des Trick- und Animationsfilms, Berlin 2003, 7.
2
Siehe Lydia Haustein: Videokunst, 137.
3
Yvonne Spielmann: Video, 214.
4
Bill Seaman zitiert nach ebd., 336.
272 Schluss

die wechselseitige Beeinflussung von Bild und Ton oder die Konzision der Faktur, die
sich in einer offenen Montage manifestiert. Der Aspekt der Interaktivität stellt eine
Erweiterung der Tendenz des Poesiefilmes zum offenen Kunstwerk dar. Dennoch wird
das Publikum nicht zum Produzenten der Arbeit, es bleibt user – bloße Benutzer des
Kunstwerks, die dessen Performance über ein Interface steuern, während die Program-
mierung der Codes verborgen bleibt.1 Diese Trennung der medialen Oberfläche vom
unterliegenden Code, die vielleicht erstmals in der Geschichte der Medien das Mediale
vom Technischen ablöst, stellt die künstlerische Arbeit vor ganz neue Herausforderun-
gen, gerade dann, wenn sie, wie hier vorgeschlagen, als generisches Display von Me-
dialität fungiert. Im digitalen Code gibt es keine materiellen Unterschiede mehr zwi-
schen den verschiedenen Darstellungsmodi. Dies ermöglicht gleichzeitig eine
Verknüpfung von Lyrik auch mit audiovisuellen Ausdrucksformen, nur eben unter den
gänzlich veränderten Bedingungen des digitalen Mediums. Insofern sind Fragestellun-
gen, die sich in der Untersuchung des Poesiefilmes ergeben, auch für den Bereich der
digitalen Poesie und der Computerpoesie interessant und könnten dort im Anschluss an
Forschungen fortgeführt werden, die bisher unter dem Stichwort der „Hypermedialität“
angestellt werden.2
Richtet man den Blick auf den Bereich des filmischen Mediums, so zeigen sich wei-
tere Arbeitsfelder, die in der vorliegenden Studie, die sich auf das Genre des Poesiefil-
mes beschränkte, noch ausgespart bleiben mussten. Ob fiktionalisierter Spielfilm oder
faktualer Dokumentarfilm – Filme, die das Leben von Dichterinnen oder Dichtern zum
Gegenstand wählen, müssen sich zwangsläufig in irgendeiner Form mit der Repräsen-
tation ihrer lyrischen Werke auseinandersetzen. Diese Inszenierung von Gedichten ist
gleichzeitig eine Inszenierung von Autorschaft und eine Aussage über das Verhältnis
der dargestellten Personen zu den Gedichten, für die sie berühmt wurden und für die
ihre Namen heute oft metonymisch stehen. Sie kann daher auch ein Indikator sein für
poetologische oder ästhetische Programmatiken, die die Filmschaffenden an ihnen
exemplifizieren oder auf sie projizieren. Realisierungen von Lyrik in filmischen Dich-
terbiographien sollten besonders daraufhin untersucht werden, wie sie mit dem narrati-
ven Kontext und mit der Biographie des Dichters bzw. der Dichterin als einem erzähl-
ten Leben in Beziehung gesetzt werden. Hierbei müsste neben narratologischen
Einzelbeobachtungen besonders die Frage diskutiert werden, was die bisher erarbeite-
ten unterschiedlichen Realisierungsweisen von Lyrik im audiovisuellen Medium zu den
verschiedenen Inszenierungen von Autorschaft und künstlerischer Produktion beitra-
gen.
Auch in Spielfilmen, die nicht thematisch mit Lyrik verbunden sind, kommt es neben
den dramatischen Dialogen oder Voice-Over-Erzählungen immer wieder zur Rezitation
oder zum Zitat von Gedichten. Die Einbindung lyrischer Texte in Spielfilme kann die

1
Siehe dazu Mark B. N. Hansen: „New Media“, 181.
2
Siehe Friedrich W. Block/Christiane Heibach/Karin Wenz: „Ästhetik digitaler Poesie“, in: Fried-
rich W. Block (Hg.): p0es1s. Ästhetik digitaler Poesie, Ostfildern 2004, 11–36. Hier: 28f.
Schluss 273
unterschiedlichsten Funktionen haben und diverse Formen annehmen. In dem Spielfilm
AWAKENING (Zeit des Erwachens, 1990) mit Robert De Niro und Robin Williams wird
an prominenter Stelle ein Gedicht rezitiert. Der Film handelt von einem Arzt, der eine
innovative Kur für seine durch Enzephalitis seit Jahren im Koma befindlichen Patienten
sucht. Er findet in den Unterlagen eines Patienten Hinweise auf einen Text, der den
Zustand der Erkrankten treffsicher zu beschreiben scheint. Es ist Rainer Maria Rilkes
Gedicht „Der Panther“. Wie wird es in den filmischen Kontext eingefügt? Zunächst ist
der von Robin Williams gespielte Arzt zu sehen, der auf einer Parkbank in einem Buch
liest. Seine Stimme rezitiert als Voice-Over den Text von „Der Panther“, der so als
innerer Monolog der Figur markiert wird. Mit dem Wechsel zur zweiten Strophe ändert
sich die Szene. Nun ist der Arzt vor dem Käfig eines Panthers zu sehen, während das
Gedicht im Off weitergesprochen wird. Mit dem Wechsel zur nächsten Einstellung, in
der der apathisch im Rollstuhl sitzende Patient (Robert De Niro) gezeigt wird, bekommt
die Rezitation den Status eines extradiegetischen Voice-Overs, dem die filmischen
Bilder nachfolgen. Sie erhält damit eine Funktion, die der Filmwissenschaftler Michel
Chion als „parole-texte“1 bezeichnet. Das Gedicht bildet also eine thematische Klam-
mer zwischen den Einstellungen, die die metaphorische Intention des Filmes bekräftigt:
So wie der Panther in seinem Käfig, soll uns vermittelt werden, ergeht es dem mensch-
lichen Geist, der im Käfig der Krankheit eingesperrt ist. Diese vergleichshafte Struktur,
die das Gedicht einbringt, wird auf der visuellen Ebene wiederholt. In einem Point-of-
View-Shot aus Perspektive des Panthers sieht man die Stäbe des Käfigs durch das Bild-
feld ziehen, womit sogar das personifizierende „Vorübergehen der Stäbe“ aufgenom-
men wird. In der darauffolgenden Einstellung bewegt ein untersuchender Arzt die Hand
mit gespreizten Fingern vor dem Gesicht des Patienten, um zu zeigen, dass dessen
Blick „nichts mehr hält“. Der Film wiederholt also das visuell und strukturell ähnliche
Motiv – er poetisiert die filmische Darstellung. Selbst in einem Mainstream-Kinofilm,
so zeigt das Beispiel, kann die filmische Ausdrucksebene von der Integration eines
lyrischen Textes, so er denn als lyrischer Text integriert wird, beeinflusst werden. Da-
mit soll gleichzeitig darauf hingewiesen werden, dass der in der vorliegenden Studie
erarbeitete Zugang auch einen Beitrag zur Analyse von Filmen und Videoproduktionen
außerhalb des Genres „Poesiefilm“ liefern kann.
Gedichtfilme sind wie Literaturverfilmungen oder Rezitationen freilich immer auch
Interpretationen des Gedichtes, das in sie eingeht. Wie sich diese Interpretation zu be-
stehenden Lesarten und Deutungen ins Verhältnis setzt, wäre ein weiteres Thema für
die zukünftige Forschung, insbesondere für Mikrostudien zu einzelnen Autorinnen und
Autoren. Eine Beobachtung, die mit dieser Frage in Zusammenhang steht, soll zum
Abschluss mitgeteilt werden. Sie betrifft den Stellenwert der Lyrik. Die Frage danach,
was Lyrik sei, nach ihrem Ort in der Gesellschaft und nach ihrer Funktion, wird spätes-
tens seit der literarischen Moderne immer wieder aufgeworfen. Sie stellt sich in jedem
Poesiefilm aufs Neue, denn nicht nur wird jedes einzelne Gedicht in einen audiovisuel-
len Kontext eingebunden und damit interpretiert. Daran, wie dies geschieht, wird au-

1
Michel Chion: Un Art sonore, 64.
274 Schluss

ßerdem sein Verhältnis zur Welt verhandelt. Es kann einen wohlklingenden Sound-
Teppich bilden oder ein Moment der Störung in die audiovisuelle Botschaft eintragen.
Es kann die Filmhandlung bis hin zur Fiktionsstörung unterbrechen oder eine emotio-
nale Untermalung des Filmes bieten. Insofern gibt jeder Gedichtfilm auf seine Weise
Auskunft auf die Frage: „Wozu Lyrik heute?“ und positioniert sich zum Verhältnis von
„Lyrik und Gesellschaft“.1

1
Siehe Hilde Domin: Wozu Lyrik heute. Dichtung und Leser in der gesteuerten Gesellschaft, Mün-
chen 1968 sowie Theodor W. Adorno: „Rede über Lyrik“.
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15th February. Regie: Tim Webb. Mit Peter Reading, GB 1995, 6:30 min. (Peter Reading: „15th
February“)
A bout de souffle. Regie: Jean-Luc Godard, Frankreich 1960, 90 min.
A Galaxy over there. Regie: Martin Earle, GB 2009, 07:37. (Tomas Tranströmer: „Schubertiana“)
Adebar. Regie: Peter Kubelka, Österreich 1957, 2 min.
Anna Blume. Regie: Vessela Dantcheva. Mit Kurt Schwitters. Produktion: Ebele Okoye, Deutschland,
Rumänien 2010. (Kurt Schwitters: „An Anna Blume“)
Arnulf Rainer. Regie: Peter Kubelka, Österreich 1960, 7 min.
Avant-Garde: Experimental Cinema of the 1920s and 1930s. Regie: Fernand Leger; Jean Epstein; Man
Ray; Marcel Duchamp; Orson Welles; Sergei Eisenstein u. a. Kino International, DVD 2005, 360
min.
Awakenings. Regie: Penny Marshall. USA 1990, 121 min.
Ballad of the Skeletons. Regie: Gus Van Sant, USA 1997, 4 min. (Allen Ginsberg)
Bande à part. Regie: Jean-Luc Godard, Frankreich 1965, 95 min.
Dancer in the Dark. Regie: Lars von Trier, Dänemark, Deutschland, Niederlande, USA,
Großbritannien, Schweden, Island, Frankreich, Finnland, Norwegen 2000, 140 min.
Das Karussell. Animation und Regie: Barbara Dobrovitz. Mit Heino Ferch, Deutschland 2009, 3 min.
(Rainer Maria Rilke: „Das Karussell“)
Das Karussell. Regie: Sylvia Steinhäuser, Deutschland 2003, 1:42 min. (Rainer Maria Rilke: „Das
Karussell“)
Demon. Regie: Heinz Emigholz 1976/77. (Stéphane Mallarmé: „Le démon de l’analogie“)
Der Himmel über Berlin. Regie: Wim Wenders. Mit Bruno Ganz, Otto Sander, BRD, Frankreich
1987, 128 min. (Rainer Maria Rilke: Die Duineser Elegien)
Der Spiegel. Originaltitel: Zerkalo. Regie: Andrei Tarkovskij, Sowjetunion 1975, 108 min. (Arsenij
Tarkowskij: „Erste Treffen“; „Vom Morgen an wartete ich gestern auf dich…“; „Leben, Leben“;
„Eurydike“)
Deutsch S II Poesiefilme. Regie: Diverse, Duden Paetec, Deutschland 2010, DVD.
298 Film- und Videoverzeichnis

Ein Sechstel der Erde. Originaltitel: Šestaja čast' mira. (dt. auch: Ein Sechstel der Welt). Regie: Dziga
Vertov, UdSSR 1926, 61 min.
Früchte des Vertrauens. Regie: Alexander Kluge, Deutschland 2009, 658 min, DVD.
GÁBOR BÓDY Video Works. Regie: Gábor Bódy. C3 Center for Culture & Communication
Foundation, Ungarn 2011, 138 min., DVD. (Novalis: „Walzer“)
Gedichte von Ernst Jandl. bestiarium. Regie: Eku Wand, Deutschland 1989. (Ernst Jandl:
„bestiarium“)
Here (ICI). Installation. Regie: Stefan Groß, D 2007, 10 min.
Howl. Regie: Rob Epstein; Jeffrey Friedman, USA 2009, 90 min, 35 mm. (Allen Ginsberg: Howl)
Jeder Text ist ein Wortbruch. Regie: Betina Kuntzsch 2008, 7 min, Videotape. (Kathrin Schmidt:
„jeder text ist ein wortbruch“)
Just Say No to Family Values. Regie: Antonello Faretta. Mit John Giorno, Italien 2005, 4:35. (John
Giorno: „Just Say No to Family Values“)
L’invitation au voyage. Regie: Germaine Dulac, Frankreich 1927, 36 min, 35 mm. (Charles
Baudelaire: „L’invitation au voyage“)
La coquille et le clergyman. Regie: Germaine Dulac, Frankreich 1928, 41 min.
L'année dernière à Marienbad. Regie: Alain Resnais, Frankreich 1961, 94 min.
Le film est déjà commencé? Regie: Maurice Lemaître, Frankreich 1951, 62 min.
L'étoile de mer. Regie: Man Ray, Frankreich/USA 1928. (Robert Desnos: „L’étoile de mer“)
Magnolia. Regie: Paul Thomas Anderson, USA 1999, 188 min.
Manhatta. Originaltitel: New York the Magnificent. Regie: Charles Sheeler; Paul Strand, USA 1920,
11 min. (Walt Whitman: Leaves of Grass)
Manhattan Poetry Video Project. Regie: N. Vural; Anne Waldman; Allen Ginsberg; Bob Holman u.a.,
USA 1984.
Mechanics of Love. Regie: Willard Maas, USA 1955, 7 min.
Meshes of the afternoon. Regie: Maya Deren. Mit Maya Deren, USA 1943.
Mirror Talk. Regie: Kylie Hibbert, Neuseeland 2005, 3:23 min. (Sylvia Plath: „Mirror“)
Mothlight. Regie: Stan Brakhage, USA 1963.
Mutter. Originaltitel: Mat. Regie: Vsevolod Pudovkin, UdSSR 1926, 89 min.
Nachrichten aus der ideologischen Antike. Marx – Eisenstein – Das Kapital. Regie: Alexander Kluge,
2008 Deutschland, 570 Minuten, DVD.
Nebel. Ernst Jandl's Gedichte an die Kindheit. Regie: Matthias Müller, Deutschland 2000, 11 min,
VHS.
New Word Order. Regie: Grischa Göddertz. Mit Jazz’min Tutum, Deutschland 2010, 2 min. (Jazz’min
Tutum: „Globalisation“)
Film- und Videoverzeichnis 299
nichts_weiter_als. Regie: Frederike Jehn; Stern Sebastian; Nele Nalpantoglu; Jens Schillmöller; Lars
Büchel. element e 2006, 25 min. (Arne Rautenberg: „nichts weiter als“)
NiemandsFrau: Movies. Regie: Andrea Wolfensberger. Mit Barbara Köhler, Schweiz 2007, 28 min,
DVD. (Barbara Köhler: NiemandsFrau: Gesänge)
Nocturnos. Regie: Edgardo Cozarinsky. Constanza Sanz Palacios Films, Argentinien 2011, 64 min.
On Death. Regie: Anastassios Langis, Griechenland 2007, 6:24 min.
Ophelia und die Wörter (Mit drei kinematographischen Texten von Gerhard Rühm). Regie: Gerhard
Rühm. Ausgestrahlt am 29.10.1970. SFB. Mit Genehmigung der rbb Media GmbH.
P.r.a.t.e.r. Regie: Ernst [JR ]. Schmidt. Mit Ernst Jandl, Österreich 1963-1966, 21 min, 16 mm.
POEM. Originaltitel: Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug (Hilde Domin). Regie: Ralph
Schmerberg. Triggerhappyproductions, Deutschland 2004, 88 min. (Johann Wolfgang Goethe,
Ingeborg Bachmann, Ernst Jandl u.a.)
Poèmes cinématographiques. Regie: Walter Ruttmann 1922. (Phillipe Soupault)
Poetry Clips, Vol. 1. Regie: Bastian Böttcher; Wolfgang Hogekamp, Deutschland 2005, DVD.
Poetry Spots Compilation Reel Season I. Produktion: Bob Holman, USA, VHS-Kassette mit 15 Poetry
Spots; 1988; Bob Holman Audio/Video Poetry Collection, MSS 128; 128.0906. Fales Library and
Special Collections, New York University Libraries.
Poetry Spots Compilation Reel Season II Part two. Produktion: Bob Holman, USA, VHS-Kassette;
1991; Bob Holman Audio/Video Poetry Collection, MSS 128; 128.0912. Fales Library and Special
Collections, New York University Libraries.
Poetry Spots – Compilation Reel; Season III. Produktion: Bob Holman, USA, VHS-Kassette mit
Poetry Spots verschiedener Regisseure; 1992; Bob Holman Audio/Video Poetry Collection, MSS
128; 128.0915. Fales Library and Special Collections, New York University Libraries.
Poetry Spots – Compilation Reel; Season IV. Produktion: Bob Holman, USA, VHS-Kassette; 1993;
Bob Holman Audio/Video Poetry Collection, MSS 128; 128.0918. Fales Library and Special
Collections, New York University Libraries.
Poetry Spots – Compilation Reel; Season V, Produktion: Bob Holman, USA, VHS-Kassette; 1994;
Bob Holman Audio/Video Poetry Collection, MSS 128; 128.0924. Fales Library and Special
Collections, New York University Libraries.
Rapp it up (sweat’n’sex’n’politics). Regie: Bob Holman. Mit Bob Holman, 1985 USA, Video.
Regen. Regie: Joris Ivens, Niederlande 1929, 12 min, 35 mm.
Sehtext: Fingergedicht. Regie: Valie Export. Mit VALIE EXPORT 1968-1973, Video.
September, September. Regie: Gino Hahnemann, DDR 1987, Super-8. In: Gegenbilder. DDR-Film im
Untergrund 1983–1989. absolut Medien 2008, 97 min, DVD.
sprechen 4. marie. Regie: Christina Stark, Deutschland 2006, 3:30 min. (Konrad Bayer: „Marie dein
Liebster wartet schon“)
Le sang d’un poète. Regie: Jean Cocteau, Frankreich 1930. In: Orphic Trilology. The Criterion
Collection 1 2000, 50 min, DVD.
300 Film- und Videoverzeichnis

The face on the barroom floor. Mit Charlie Chaplin, USA 1914, 14 min. (Hugh Antoine D'Arcy: „The
Face upon the Barroom Floor“)
The Geography of the Body. Regie: Willard Maas. Mit George Barker, USA 1943, 7 min 20. (George
Barker)
The Polish Language. Regie: Alice Lyons; Orla Mc Hardy 2009, 9 min.
The Unchanging Sea. Regie: David Wark Griffith, USA 1910, 14 min. (Kingsley, Charles: „The three
fishers“)
To the marriage of true minds. Regie: Andrew Steggall, GB, Irak 2010, 11 min. (William
Shakespeare: „Sonnet 116“)
Trains of Winnipeg. 14 Film Poems. Regie: Clive Holden, Kanada 2004, 89 min.
Traité de bave et d'éternité. Regie: Isidore Isou, Frankreich 1951, 120 min.
Tritität. Regie: Peter Weibel, Österreich 1975, 8 min 35, Video.
Une femme mariée. Regie: Jean-Luc Godard, Frankreich 1964, 95 min.
Une leçon particulière. Regie: Raphaël Chevènement, Frankreich 2008, 10 min., 35 mm. (Victor
Hugo: „Vieille chanson du jeune temps“)
Unwilling suspension. Produktion: Bob Holman, USA, 3 min; VHS-Kassette mit einem Poetryspot
von John Ash zu dem Gedicht ‚Unwilling Suspension‘; 1991; Bob Holman Audio/Video Poetry
Collection, MSS 128; 128.0849. Fales Library and Special Collections, New York University
Libraries. (John Ash: „Unwilling Suspension“)
Video Texte. Regie: Peter Weibel, Österreich 1975, 45 min, Video.
Walzer. Lyric-clip. Regie: Gábor Bódy, BRD, HU 1985, 3 min, Video. (Novalis: „Walzer“)
Wienfilm 1896–1976. Regie: Ernst [JR ]. Schmidt, Österreich 1977, 117 min. (Ernst Jandl:
„schtzngrmm“)
Abbildungen
Abbildungen 303

Abbildung 1.1: Du und Ich (NICHTS_WEITER_ALS)


304 Abbildungen

Abbildung 2: NEW WORD ORDER

Abbildung 3.1: Gesang der Geister über den Wassern, (POEM. ICH SETZTE DEN FUß IN
DIE LUFT UND SIE TRUG (HILDE DOMIN), ein Film von Ralf Schmerberg)
Abbildungen 305

Abbildung 3.2: NIEMANDSFRAU. MOVIES


306 Abbildungen

Abbildung 3.3: Alles (POEM. ICH SETZTE DEN FUß IN DIE LUFT UND SIE TRUG (HILDE
DOMIN), ein Film von Ralf Schmerberg))

Abbildung 3.4: Epilog/Prolog (NICHTS_WEITER_ALS)


Abbildungen 307

Abbildung 3.5: Piratenleben (NICHTS_WEITER_ALS)


308 Abbildungen

Abbildung 3.6: glauben und gestehen (POEM. ICH SETZTE DEN FUß IN DIE LUFT UND SIE
TRUG (HILDE DOMIN), ein Film von Ralf Schmerberg)

Abbildung 3.7: MIRROR TALK


Abbildungen 309

Abbildung 3.8: JEDER TEXT IST EIN WORTBRUCH


310 Abbildungen

Abbildung 3.9: 15TH FEBRUARY

Abbildung 4: A GALAXY OVER THERE

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