16 Märkte Samstag, 5. November 2022 · Nr.

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Die USA vor der Wahl – weshalb das neue Parlament entscheidend ist
Die Amerikaner gehen am 8. November an die Urne. Die
regierenden Demokraten haben keinen schlechten Leistungs- «Biden wird kaum
ausweis, mit den Wahlkampfthemen scheinen sie sich aber
verzockt zu haben. Doch obgleich die Stimmung im
nochmals antreten»
Land fürr einen Erdrutschsieg der oppositionellen INTERVIEW MIT BILL DE BLASIO Der Ex-Bürgermeister von New
Republikaner spricht, könnten sie ihn durch die York City spricht über die Fehler seiner Partei und ihre Zukunft.
Nomin nierung schwacher Kandidaten am Ende
vverspielt haben. Lesen Sie auf diesen zwei
W
ir treffen Bill de Blasio in Park such, sie zu manipulieren, sind genau das
Slope, im New Yorker Stadtteil – autoritär. Das Volk wird das nicht hin-
Seiten, weshalb die wahrscheinlichste Brooklyn. Hier wohnt er seit nehmen. Das wird bei der Präsident-
dreissig Jahren, unterbrochen durch acht schaftswahl 2024 ein grosses Thema sein.
Konstellation nach den Wahlen für die Märkte Jahre in Manhattan, wo dem New Yorker
genau das Richtige ist und warum die Bürgermeister während der Amtszeit ein Tritt Trump dann nochmals an?
Anwesen zur Verfügung steht. Der Zwei- Ich zweifle nicht daran, dass er das will. Es
wahre Zerreissprobe für das Land erst 2024 Meter-Mann, der einige Wahlkämpfe als wird sich an seiner Beliebtheit imVolk ent-
Kandidat der Demokratischen Partei be- scheiden. Sollte sich abzeichnen, dass
ansteht. VALENTIN ADE, New York stritten hat, macht sich Sorgen, wenn er eine Kandidatur für ihn eine klare Nieder-
an die Kongresswahl denkt. lage bringen würde, dann tritt er nicht

BILDER: OLIVER CONTRERAS/EPA/KEYSTONE, JEFF KOWALSKY/AFP/KEYSTONE, JON CHERRY/GET TY IMAGES

Herr de Blasio, den Demokraten droht am
8.November eine Niederlage. Was haben
sie falsch gemacht?
So wichtig die Themen Abtreibung, Waf-
fengewalt und Demokratieerhalt auch
an, sondern bleibt lieber ein mächtiger
Strippenzieher innerhalb der Partei.
Und was ist mit Präsident Biden?
Joe Biden kann ohne Zweifel eine Wieder-
wahl gewinnen. Ich denke, er wird in sechs

«It’s the economy, stupid»

sind, meine Partei hat sich im Wahlkampf
zu sehr darauf verlassen. Dabei zeigt uns
die Geschichte, dassWähler vor allem eine
Frage beschäftigt: Wie geht es mir wirt-
Die USA haben viele Baustellen. Doch eine einzige allein könnte diese Wahl entscheiden. schaftlich? Die Demokraten hatten die
Gelegenheit, den Wahlkampf um das
Thema zu führen, eigene Leistungen und
Monaten entschieden haben, ob er eine
zweite Amtszeit anstreben wird. Ich wäre
aber überrascht, wenn er noch einmal an-
träte. Es ist schwer vorstellbar, dass er er-
neut einenWahlkampf durchmachen will,
wenn es gute Alternativen gibt.

D
as haben sich die regierenden
Demokraten anders vorgestellt.
Am 8. November wählen die
USA nicht nur ein neues nationales
Parlament (Kongress), sondern in 36
Bundesstaaten auch den Regierungs-
chef (Gouverneur). In New York tritt
die amtierende Demokratin Kathy Ho-
chul gegen den republikanischen Ab-
geordneten Lee Zeldin an, der Anhän-
ger von Ex-Präsident Donald Trump
Demokraten in New York stehen sinn- Denn trotz Wachstum und starkem Vorhaben ins Zentrum zu stellen. Die Re- Gibt es denn alternative Kandidaten
bildlich fürs ganze Land: Bei der Kon- Jobmarkt gibt eine Mehrheit der Ameri- publikaner haben hier nichts anzubieten. innerhalb der Demokratischen Partei?
gresswahl am selben Tag gilt es als kaner in Umfragen an, sich in einer Doch die Chance wurde verpasst, und da- Noch sehe ich sie nicht. Aber politische
so gut wie sicher, dass die Partei ihre Rezession zu wähnen. Schuld daran ist runter werden die Demokraten leiden. Führungsfiguren können sich rasch etab-
Mehrheit verlieren wird. die Inflation, die mit zuletzt 8,2% auf lieren. Wir müssen uns allerdings von
Seine Partei habe das Kernthema des einem Vierzigjahreshoch verharrt und Am 6. Januar 2021 stürmte ein bewaffneter Mob, der Vorstellung verabschieden, dass es
Wahlkampfs vernachlässigt, sagt Bill de unerbittlich an den Einkommen nagt angestachelt von Wahlverlierer Trump, das «Es liegt nicht in der Natur die eine Person da draussen gibt, die uns
Blasio, Ex-Bürgermeister von New York (vgl. Grafik 2). Der Ukrainekrieg hat alle rettet. Es geht um zentrale Visionen,
City, im Gespräch mit FuW (vgl. Inter- zudem die Energiepreise nach oben ge-
Parlament in Washington. Am 8. November wird
es durch Wahlen neu bestimmt.
des amerikanischen die von all unseren Kandidaten mitge-
view rechts). Nachdem die Demokraten
darauf spekulierten, mit den Themen
trieben, für den Winter werden höhere
Strom- und Heizkosten erwartet.
Volkes, autoritär regiert tragen werden müssen.

ist. Es sollte ein Heimspiel für Kathy Abtreibung, Waffenrecht und Trump werden zu wollen.» Sie wollten schon Präsident, Gouverneur
Hochul sein, doch auf den letzten Me- reüssieren zu können, sind diese und zuletzt Kongressabgeordneter
tern wird es knapp. Punkte bei den Wählern im Schluss- Fed schmälert Vermögen werden, zogen Ihre Kandidatur aber

Zerreissprobe 2024 Der Markt liebt den Stillstand

Dabei bringt Zeldin eigentlich alles
mit, um in New York zu scheitern. Er
ist gegen Abtreibung. Das nationale
Recht darauf ist dieses Jahr von dem
von Trump eingesetzten konservativen
Richtermehr des Supreme Court gekippt
worden. Das kritisieren selbst traditio-
spurt in den Hintergrund getreten, und Die Kur gegen die hohe Teuerung fühlt
ein Evergreen ist ins Zentrum gerückt: sich dabei so schmerzhaft an wie die
die Wirtschaft. Krankheit selbst. Die US-Notenbank
Fed hebt derzeit den Leitzins stark an
1 US-Wirtschaft und -Arbeitsmarkt (vgl. Grafik 2). Das hat den US-Aktien-
BIP-Wachstum Arbeitslosenquote (r. S.) markt auf Talfahrt geschickt und die
Zinsen für dreissigjährige Hypotheken
Was braucht Ihre Partei jetzt?
Sie ist zu elitär geworden und ängstigt
sich davor, die Republikaner zu konfron-
tieren, die zum grössten Teil von Donald
Nochmals Trump, bleibt Biden, oder kommt die Staatskrise? Nach der Wahl dürften sich die Parteien gegenseitig blockieren. Warum das US-Aktien hilft. Trump kontrolliert werden. Wir müssen
mit Überzeugungsarbeit gegen den
Trumpismus ankommen und die Arbei-
jeweils zurück. Warum?
Ich habe die Kandidaturen gesucht. Doch
es wurde im Verlauf klar, dass die Un-
terstützung nicht vorhanden war. Ich
schliesse eine Rückkehr in die Politik nicht
aus. Mit Blick auf gewählte Ämter ist das
wohl aber eher unwahrscheinlich.

nell bürgerlich eingestellte Amerikaner.
In New York ist der Schwangerschafts-
abbruch Teil des bundesstaatlichen
Rechts und weiterhin erlaubt.
Hingegen ist Zeldin für ein Laissez-
faire beim Waffenbesitz, obgleich es
in diesem Jahr schon zu Hunderten
Massenschiessereien gekommen ist.
Unter anderem hat ein Achtzehn-
jähriger mit einem Sturmgewehr neun-
zehn Primarschüler in Texas getötet.
New York hat eines der striktesten
N F
pro Quartal in % in %
auf 7% gehievt (vgl. Grafik 3). Das Eigen- ach der Wahl am 8. November antwortlich. Auf republikanischer Seite ür die meisten Amerikaner fühlt Wahlen zum US-Kongress terklasse zurückgewinnen. Das können
30 12
25 11 heim, für die meisten der Inbegriff von könnte in Washington politi- stehen auf Wirken Donald Trumps zu es sich an, als befinde sich die Demokraten Republikaner
wir, sie war lange Zeit die Basis unserer
20 10 finanzieller Sicherheit, ist für viele un- scher Stillstand herrschen – bis zwei Dritteln Wahlleugner auf den US-Wirtschaft bereits in der Re- Partei, und wir haben die richtige Politik «Es ist schwer vorstellbar,
15 9 erschwinglich geworden. Fed-Chef Je- zu den Präsidentschaftswahlen 2024. Stimmzetteln – Menschen, die behaup- zession. Das bedeutet nichts Gutes für sie. So können wir den Trumpismus
10 8 rome Powell hat signalisiert, dass er im Wie dann die Wirtschaft aussieht, dürfte ten, Trump habe die Wahl 2020 ge- für die in Washington regierenden schlagen. Es geht um die Zukunft unserer dass Biden noch einmal
5 7 222 213 Wahlen 2020 50 50
0 6
Kampf gegen die Inflation eine Rezes-
sion in Kauf nimmt, womit viele Ökono-
erneut Auswirkungen auf den Urnen-
gang haben. Viele Ökonomen gehen für
wonnen. Sollte nur einer von ihnen
siegreich sein, könnte er versuchen, die
Demokraten. Gemäss der Wahlfor-
schungsplattform FiveThirtyEight dürf-
Demokratie. einen Wahlkampf
–5
–10
5
4 men für 2023 rechnen. 2023 von Rezession und steigender kommende Präsidentschaftswahl zu- ten die oppositionellen Republikaner Ist das nicht etwas zu dramatisch? durchmachen will.»
–15 3 Gemäss Umfragen schreibt eine Arbeitslosigkeit aus. Dafür dürfte die gunsten seines Favoriten zu beeinflus- die Mehrheit in einer der beiden Kon- Verstehen Sie mich nicht falsch. Es gab
Repräsentantenhaus Senat1
–20 2 Mehrheit der Amerikaner den Repu- Inflation nachlassen, sodass 2024 sin- sen oder sich weigern, ein unliebsames gresskammern – dem Repräsentanten- Phasen in unserer Geschichte, die waren
–25 435 Sitze 100 Sitze
1 blikanern grössere Kompetenz in Sa- kende Zinsen und einen Wirtschafts- Wahlergebnis seines Staates zu be- haus – übernehmen, die am 8. Novem- viel schlimmer. In den Sechzigern gab es Das Boulevardblatt «New York Post»
–30 0 chen Wirtschaft zu. Genauso wie beim aufschwung bringen könnte. glaubigen. Am Ende müssten Gerichte ber neu gewählt werden. Massenunruhen und Attentate auf politi- erklärte Sie beim Abtritt zum schlechtesten
2018 2019 2020 2021 2022 A
2023 A

Waffengesetze des Landes.
Und Zeldin ist ein Wahlleugner. Als
Kongressmitglied hatte er gegen die
Anerkennung der regelkonformen Wahl
Joe Bidens zum Präsidenten gestimmt.
Trotz laufender Ermittlungen gegen
Trump wegenWahlfälschung und Staats-
streich hält Zeldin weiter zu ihm. Man
solle die Vergangenheit ruhen lassen,
sagte er in einer Fernsehdebatte, in der
er um die Stimmen des Bundesstaats
warb, dessen Stimmenmehr seit 1988
stets an demokratische Präsidentschafts-
kandidaten ging.
Inflation frisst Einkommen
Die Gouverneurswahl in New York
müsste eine ausgemachte Sache sein,
auch wenn man bedenkt, was die
Demokraten, die seit zwei Jahren den
Präsidenten und die Kongressmehrheit
stellen, erreicht haben. In so kurzer Zeit
wurden noch nie derart hohe Summen
zum Segen des Wahlvolks gesprochen.
Auf ein 1,9-Bio.-$-Covid-Hilfspaket folg-
ten ein 1,2-Bio.-$-Infrastrukturpaket so-
wie ein Klima- und Sozialpaket von über
700 Mrd. $. Die Arbeitslosenquote ist
nahe dem historischen Tief, die Wirt-
schaft ist im dritten Quartal wieder ge-
wachsen (vgl. Grafik 1).
Doch trotzdem liegt kurz vor der
Wahl am kommenden Dienstag im Staat
New York Zeldin in den Umfragen nur
A) Schätzung Quelle: US Bureau of Economic Analysis/TD Bank Grafik: FuW, mta zweiten grossen Anliegen der Wähler:
bei der Kriminalität. Die hat seit Ende
2 US-Inflation und Fed-Zins der Lockdowns zugenommen. In New
US-Inflation Notenbankzins (Fed Funds Rate) York City wurden im September über
in % 15% mehr Verbrechen begangen als
im Jahr zuvor. Für die Demokraten, die
15 seit Jahrzehnten im Verdacht stehen,
hier zu weich zu sein, ist das ein ge-
waltiges Problem.
10
Wirtschaft und Sicherheit – die
Grundthemen fast jeden Wahlkampfs –
5 haben das Potenzial, fast jede Regie-
rungspartei um ihre Mehrheit zu brin-
0 gen, meint der renommierte US-Mei-
nungsforscher John Zogby. Erst recht,
wenn über 70% der Amerikaner gemäss
–5
aktuellen Umfragen glauben, das Land
2000 2005 2010 2015 2020
Quelle: Federal Reserve System/Bureau of Labor Statistics / Grafik: FuW, mta entwickle sich in die falsche Richtung.
«Inflation ist das grosse Thema, denn
3 US-Aktienmarkt im Sinkflug sie trifft alle», sagt Zogby. «Die Krimi-
S&P 500 MSCI Welt Nasdaq 100 nalität stand zum letzen Mal 1994 der-
indexiert, 1. Jan. 2019=100 art im Zentrum, damals haben die
Republikaner die Mehrheit in beiden
240 Kongresskammern geholt.»
Die Wahl kommende Woche dürfte
also ganz nach altem Muster ablaufen:
200
Tendenziell verliert die Partei des Man-
nes im Weissen Haus Sitze, wenn es
160 zur Mitte seiner Amtszeit an die Urne
geht. Doch den Demokraten bleibt
ein Hoffnungsschimmer. Die Wahl am
120 Dienstag könnte doch noch zum Aus-
reisser werden. Das hätten sich die
80 Republikaner dann zum guten Teil
2019 2020 2021 2022 selbst zuzuschreiben (vgl. Text «Der
Diesen Rückenwind kann US-Präsi-
dent Joe Biden gebrauchen, sind seine
Beliebtheitswerte derzeit doch alles an-
dere als berauschend (vgl. Grafik). Aller-
dings standen viele seiner Vorgänger
zum gleichen Zeitpunkt nicht besser
da. Diejenigen, die von den Wählern
eine zweite Amtszeit erhalten haben,
hatten sich auf den letzten Metern vor
der Wahl verbessert. Nicht so Donald
Trump. Viele politische Beobachter rech-
nen damit, dass Trump nochmals die
Kandidatur für seine Partei anstreben
wird und es 2024 zur Neuauflage des
letztmaligen Duells kommt.
Ausgemacht ist das allerdings nicht.
Der Ex-Bürgermeister von New York
City, Bill de Blasio, zieht im Gespräch
mit «Finanz und Wirtschaft» in Zweifel,
dass sowohl Trump als auch Biden noch-
mals antreten werden (vgl. Interview
rechts). Wie auch immer die Kandi-
daten heissen werden, sie werden es
schwer haben, das Land zu einen. Viele
Wähler sind eisern einer Partei verbun-
den. Demokraten und Republikaner sind
sich so spinnefeind wie selten zuvor seit
dem Zweiten Weltkrieg.
Zudem könnte eine ganz besondere
Art der diesjährigen Wahlentscheide
weitreichende Auswirkungen auf 2024
haben. In einigen Bundesstaaten wird
am kommenden 8. November ebenfalls
die Position des Secretary of State ge-
wählt. Dieser oberste Staatsbeamte ist
entscheiden, der Wahlprozess würde in
die Länge gezogen und das Vertrauen
darin unterminiert.
Ein schlimmeres Szenario haben die
Analysten der Eurasia Group schon vor
rund einem Jahr skizziert. Auch die
Mehrheit der republikanischen Kon-
gressfraktion wird nach der Wahl aus
Wahlleugnern bestehen. Sie könnten
2024 schlicht ihren Favoriten zum Sie-
ger ausrufen. Die demokratischen Ab-
geordneten könnten nachziehen und
es ihnen gleichtun. Das Ergebnis wäre
eine Staatskrise, für die die Verfassung
keine Lösung vorsieht. Bill de Blasio
versucht auch hier zu beruhigen: Die
Amerikaner würden so etwas nicht zu-
lassen, sagt er. Wer recht behält, könnte
sich in zwei Jahren weisen.
Beliebtheit von Biden
Ablehnung Zustimmung
in %
70
60
50
40
30
20
J FM AM J J A S OND J F MAM JJ A S O
2021 2022
Doch eine rote Welle – das ist die
Farbe der Republikaner – könnte vor
der zweiten Kammer, dem Senat,
haltmachen. Hier werden je zwei Ver-
treter pro Bundesstaat gewählt, und
von den insgesamt hundert Senatoren
steht in jedem Wahljahr nur je ein
Drittel zur Abstimmung. Gemäss der
Prognose von FiveThirtyEight sind die
Chancen der Demokraten hier intakt,
ihre hauchdünne Mehrheit von einer
Stimme zu halten (vgl. Grafik).
Schwache Kandidaten
Besonders in bundesstaatsweiten Wahl-
kämpfen spiele die Kandidatenqualität
eine grosse Rolle, sagt Andra Gillespie,
Politikprofessorin an der Emory Uni-
versity in Atlanta. Und die Republika-
ner haben teils zweifelhafte Kandida-
ten aufgestellt. So haben in den konser-
vativ geprägten Staaten Pennsylvania
und Georgia die von Trump unterstütz-
ten Politiknovizen zu kämpfen – mit
eigenen Skandalen und beliebten de-
mokratischen Gegnern.
Doch egal, ob nun der komplette
Kongress oder nur eine der beiden
Kammern an die Republikaner fällt, das
Ergebnis ist wohl das gleiche: politi-
scher Stillstand für die nächsten zwei
Jahre. Ein gespaltener Kongress würde
sich wohl nur auf Minimalkompro-
misse einigen können – wie die Er-
208
1) bei Stimmengleichheit gibt die Senatsvorsitzende, Vizepräsidentin Kamala Harris (Demokratin), den Ausschlag
neues Budget. Selbst wenn ein komplett
republikanischer Kongress Gesetzes-
entwürfe beschliessen würde, der de-
mokratische Präsident kann sie mit
seinem Veto blockieren.
Es dürfte bei Symbolpolitik blei-
ben. Eine republikanische Mehrheit
im Repräsentantenhaus dürfte gemäss
Brian Gardner, Politstratege bei Stifel,
Anhörungen und Untersuchungen
durchführen zu den Ermittlungen des
Justizdepartements gegen Donald
Trump, zur Einwanderung aus Mexiko
oder zur Einmischung von Unter-
nehmen in gesellschaftliche und um-
weltpolitische Themen. Der republika-
nische Bundesstaat Texas hat bereits
UBS und Credit Suisse auf eine schwarze
Liste gesetzt, mit dem Vorwurf, sie
würden die heimische Öl- und Gas-
industrie benachteiligen.
Für die Finanzmärkte könnte die
politische Blockade dagegen genau
das Richtige sein, sagt Bank-of-Ame-
rica-Analyst Jared Woodard. Keine Par-
tei könne ihre Agenda durchdrücken,
die Wirtschaft hätte Ruhe. In der Ver-
Prognose
227 Wahlen 2022 50
Quelle: FiveThirtyEight / Grafik: FuW, mta
Strategin bei Royal Bank of Canada,
der Aktienmarkt zwischen 10 und 15%
zugelegt, wenn der Präsident demo-
kratisch, der Kongress republikanisch
oder gespalten war.
Historisch starke Phase
Im Laufe eines Wahljahres kam es –
wie heuer – oft zu substanziellen Ver-
lusten am Aktienmarkt. Doch das letzte
Quartal des Kongresswahljahres und
die ersten beiden des Folgejahres wa-
ren meist die stärksten innerhalb des
Präsidentschaftszyklus.
Diesmal wird aber wohl entschei-
dend sein, wie lang die US-Notenbank
die Geldpolitik im Kampf gegen die
Inflation straffen wird und ob sie eine
Rezession auslösen wird. Laut Mike
Wilson, Stratege bei Morgan Stanley,
könnte für den Aktienmarkt das
Schlimmste jedoch schon im ersten
Quartal 2023 vorbei sein. Eines ist zu-
mindest gewiss: Der Lauf der Wirt-
schaft wird auch auf die Präsident-
schaftswahl 2024 Auswirkungen haben
sche Führungsfiguren. Im 19. Jahrhundert New Yorker Bürgermeister aller Zeiten.
50 hatten wir einen Bürgerkrieg. Wir haben Trifft Sie das?
heute aber erneut eine Identitätskrise, Es ist natürlich traurig, denn ich glaube,
und wir müssen sie angehen. Dabei habe ich habe gute Arbeit geleistet. Ich weiss
ich überhaupt keine Sorge, wo die Mehr- aber auch: Manchmal haben die Leute
heit der Menschen im Land steht. einfach genug und wollen etwas anderes.
Nach der Pandemie und einigen schweren
Wo steht sie? Entscheidungen, die ich treffen musste, ist
Sie unterstützt unsere demokratischen das nicht ungewöhnlich. Ich habe meine
Normen und ist relativ progressiv und in- ganze Energie in das Amt gesteckt, und
klusiv. Zudem liegt es nicht in der Natur nach zwei Amtszeiten war ich dann auch
des amerikanischen Volkes, autoritär re- froh, abtreten zu können.
giert werden zu wollen. Demokratische
Wahlergebnisse zu leugnen oder der Ver- INTERVIEW: VA, New York
Zur Person
Bill de Blasio (61) war von 2014 bis 2021
Bürgermeister von New York City. Als sein
grösster Erfolg gilt die Einführung eines
staatlich finanzierten Kindergartens. Als seine
schwierigste Herausforderung bezeichnet
er die Covid-Krise. Das strikte Vorgehen von
Polizei und Strafverfolgern, eingeführt
durch Vorgänger Rudy Giuliani, machte de
Blasio teilweise rückgängig, da es unter
anderem als rassistisch kritisiert wurde. Als
zum Ende seiner Amtszeit die Kriminalität
zunahm, wurde ihm das zur Last gelegt.
De Blasio ist verheiratet, hat zwei Kinder
und doziert an den Universitäten Harvard
und New York zu öffentlicher Verwaltung. BILD: ANGUS MORDANT/BLOOMBERG

knapp hinter Hochul. Die Probleme der Quelle: Refinitiv / FuW Markt liebt den Stillstand»). für die Organisation von Wahlen ver- Quelle: FiveThirtyEight / Grafik: FuW, mta höhung der Schuldenlimite oder ein gangenheit hat gemäss Lori Calvasina, (vgl. Text «Zerreissprobe 2024»).