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Martin Walsers „Ein Flugzeug über dem Haus und

andere Geschichten“
Interpretationen und Strukturbeschreibungen

Masterarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades


einer Magistra der Philosophie

an der Karl-Franzens-Universität Graz

vorgelegt von
Nina Alicia PREHOFER

am Institut für Germanistik


Begutachter O.Univ.-Prof. Dr. Hans-Helmut Hiebel

Graz, 2008
Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung .............................................................................................. 4
1. 1. Bericht über den Forschungsstand .................................................. 4
1. 2. Theorie der phantastischen Literatur................................................ 10
1. 3. Themenstellung................................................................................ 16
2. „Ein Flugzeug über dem Haus“ ....................................................... 18
2.1. Inhaltsangabe.................................................................................... 18
2. 2. Erzähltheoretische Analyse.............................................................. 18
2. 3. Phantastische Elemente .................................................................. 21
2. 4. Zusammenfassung........................................................................... 22
3. „Gefahrenvoller Aufenthalt“ .............................................................. 23
3. 1. Inhaltsangabe................................................................................... 23
3. 2. Erzähltheoretische Analyse.............................................................. 23
3. 3. Phantastische Elemente .................................................................. 26
3. 4. Zusammenfassung........................................................................... 30
4. „Ich suchte eine Frau“ ....................................................................... 31
4. 1. Inhaltsangabe................................................................................... 31
4. 2. Erzähltheoretische Analyse.............................................................. 32
4. 3. Phantastische Elemente .................................................................. 34
4. 4. Zusammenfassung........................................................................... 35
5. „Der Umzug“ ........................................................................................ 36
5. 1. Inhaltsangabe................................................................................... 36
5. 2. Erzähltheoretische Analyse.............................................................. 36
5. 3. Phantastische Elemente .................................................................. 39
5. 4. Zusammenfassung........................................................................... 42
6. „Die Klagen über meine Methoden häufen sich“ ........................ 43
6. 2. Erzähltheoretische Analyse.............................................................. 44
6. 3. Phantastische Elemente .................................................................. 46
6. 4. Zusammenfassung........................................................................... 46
7. „Die Rückkehr eines Sammlers“ ..................................................... 48
7. 1. Inhaltsangabe................................................................................... 48
7. 2. Erzähltheoretische Analyse.............................................................. 49
7. 3. Phantastische Elemente .................................................................. 51
7. 4. Zusammenfassung........................................................................... 52
8. „Was wären wir ohne Belmonte“..................................................... 53
8. 1. Inhaltsangabe................................................................................... 53
8. 2. Erzähltheoretische Analyse.............................................................. 54
8. 3. Phantastische Elemente .................................................................. 56
8. 4. Zusammenfassung........................................................................... 59
9. „Templones Ende“ .............................................................................. 61
9. 1. Inhaltsangabe................................................................................... 61
9. 2. Erzähltheoretische Analyse.............................................................. 62
9. 3. Phantastische Elemente .................................................................. 64
9. 4. Zusammenfassung........................................................................... 65
10. „Die letzte Matinee“ ......................................................................... 66
10. 1. Inhaltsangabe................................................................................. 66
10. 2. Erzähltheoretische Analyse............................................................ 67
10. 3. Phantastische Elemente ................................................................ 70
10. 4. Zusammenfassung......................................................................... 72
11. Schlussfolgerung .............................................................................. 74
12. Literaturverzeichnis.......................................................................... 76
4

1. Einleitung

1. 1. Bericht über den Forschungsstand

Der Erzählband „Ein Flugzeug über dem Haus und andere Geschichten“
erschien 1955 und war Martin Walsers erste Buchveröffentlichung. Von der
Literaturwissenschaft wurde dem Werk wenig Beachtung geschenkt und es
wurde oft nur als ein Vorläufer für Martin Walsers spätere Veröffentlichungen
gesehen. Auffällig ist auch, dass keine Kritik oder keine Auseinandersetzung
mit diesem Band ohne die Erwähnung Kafkas auskommt. Die Verbindung von
Kafka zu Walser wurde vom Suhrkamp Verlag auch selbst propagiert, indem
am Klappentext zu lesen war, dass Walser in der Schule Kafkas gelernt habe.
Das Sonderbare an dieser Erwähnung ist jedoch, dass der Suhrkamp Verlag
selbst Titel des Bandes abgelehnt hatte, weil sie zu sehr an Kafka erinnern
würden.1
In den ersten Kritiken von Holthusen, Noack und Geis wird Walser unter
anderem als „Kafka-Epigone“2 bezeichnet. Alle drei schreiben ihre Kritiken
als Vergleich von Walsers und Kafkas Texten. Sie beschreiben Ähnlichkeiten
und zeigen Unterschiede auf. Holthusen merkt Walser die „Kafka-
Verehrung“3 an, erkennt aber in der Titelnovelle schon einen Walser, der sich
von Kafka gelöst hat. Im Unterschied zu anderen Kafka-Schülern scheint
Walser seine Schülerschaft kurz machen zu wollen. Noack ist es, der Walser
als Kafka-Epigonen ansieht. Auch er führt, wie viele andere, die Verbindung
zu Walsers Dissertation über Kafka an, sozusagen als weiteren Beweis
dafür, dass Walsers Prosa der Kafkas ähneln muss. Walser verwende die

1
Wilfried Barner: Selbstgespräche? Über frühe Erzählprosa Martin Walsers. In: text+kritik
(2000), H. 41/42, S. 81.
2
Paul Noack (1955): Ein Kafka-Epigone. Hrsg. von Thomas Beckermann In: Über Martin
Walser. Frankfurt a. M.: Suhrkamp [= edition suhrkamp. 407. ] S. 12.
3
Hans-Egon Holthusen (1955): Ein Kafka-Schüler kämpft sich frei. Beckermann, Walser, S.
9.
5

Mittel Kafkas, um bestimmte Effekte zu erzielen. Im Gegensatz zu Holthusen


sind für ihn die Geschichten „Der Umzug“, „Die Klagen über meine Methoden
häufen sich“ und „Die letzte Matinee“ am überzeugendsten, weil sie
„unprätentiös“4 sind. Geis hebt keine der Erzählungen besonders hervor, er
erkennt in allen Kafka. Doch spricht Geis auch schon vom „satirischen
Humor“5, der auch später von anderen besonders beachtet wird.
Auch von Klaus Pezold erschien 1965 ein Beitrag zu Martin Walsers früher
Prosa. Pezold analysiert den Erzählband vergleichend mit Kafka, wobei er
aber über die ersten Kritiken hinausgeht. Er widerspricht Holthusen in der
Auffassung, dass die Titelgeschichte die herausragendste sei. Er findet die
These fragwürdig, denn es würde in dieser Geschichte nichts für die
Überwindung Kafkas sprechen. Sie bleibt seiner Meinung nach sogar hinter
den Kafka-Texten zurück. Pezold sieht dafür in allen anderen Erzählungen
die satirische Brechung des Dargestellten und den Humor. Walser verwende
groteske Bilder und sei auch gesellschaftskritisch. Zwei Geschichten räumt
Pezold auf Grund ihrer Erzählform eine Sonderstellung ein. „Templones
Ende“ und „Die Rückkehr eines Sammlers“ sind die einzigen Erzählungen,
die in Er-Form geschrieben sind. In ihnen erkennt Pezold eben
gesellschaftskritische Elemente. Walser setze sich mit dem Deutschland der
Nachkriegszeit und dem Wirtschaftswunder der 1950er Jahre auseinander.
Auch würde er Kritik an der Kulturpolitik der BRD üben, die eine Förderung
der Kunst gegenüber anderen menschlich-familiären Werten bevorzuge.
Pezold zieht auch einen Vergleich zu Heinrich Böll. Er erkennt eine
Verbindung in den Erzählungen, die nicht grotesk seien, sondern einzelne
Teile der Wirklichkeit stark zugespitzt darstellten.6
In der Zeitschrift Text+Kritik schreibt Gabriele Schweikert 1974 über Walsers
frühe Prosa und deren Beziehung zu Kafka. Sie bestimmt Walsers
Dissertation über Kafka als begleitende Erklärung zum Erzählband „Ein

4
Noack. Beckermann, Walser, S.12.
5
Geis, Walter (1955): Vögel ohne Flügel. Beckermann, Walser, S.13.
6
Vgl. Klaus Pezold (1965): Martin Walsers frühe Prosa. Beckermann, Walser, S. 153-174.
6

Flugzeug über dem Haus und andere Geschichten“. Schweikert sieht in


Walsers Erzählungen wie in den Texten Kafkas einen weitreichenden
Einbruch in die Realität. Jedoch sei Kafka dunkler. Auch unterscheiden sich
die Situationen bei Kafka im Gegensatz zu denen bei Walser insofern, als sie
tödlich enden. In den Texten beider Autoren wird eine organisierte Welt
gestört und ein Einzelner wird konfrontiert mit einer bedrohlichen
Gegenordnung. Walser sei hier grotesker als Kafka. Unterschiede sieht
Schweikert eben in der Auflösung der Erzählungen. Bei Kafka könne der
Held dieser Bedrohung nicht entfliehen, bei Walser ändere sich das von
Erzählung zu Erzählung. Der Held kann entkommen oder auch nicht, sich mit
der Gegenordnung verbünden oder sich ihr entziehen, als Rache, weil er
vom Gegner gelernt habe. Schweikert bescheinigt Walser, trotz der
Parallelitäten zu den Geschichten Kafkas, Eigenständigkeit. Die
Übereinstimmungen seien keineswegs ein Zeichen für eine Unsicherheit
Walsers oder mangelnden eigenen Stil. Was die Geschichten auszeichnet,
seien die trotz der Ähnlichkeiten vorhandenen Abweichungen und
Umkehrungen.7 „Erst wissende Souveränität ermöglicht das Spiel mit den
Elementen Kafkascher Erzählkunst.“8
Marcel Reich-Ranicki veröffentlichte 1994 ein Buch über Martin Walser. Auch
ihn erinnern Walsers erste Erzählungen in Parabolik, Konzeption der
Gestalten und ihrer Konstellationen an Kafka. Wichtiger scheint ihm jedoch,
statt „nach Einflüssen und Vorbildern zu forschen, auf jene Motive in Walsers
Erstling hinzuweisen, die seine weitere Entwicklung ankündigen“9. Reich-
Ranicki sieht in Walsers frühen Erzählungen die Kritik an einer Zeit, die das
Individuum daran hindert, sich zu entfalten und es sogar zu Grunde richtet.
Das gelte auch für seine spätere Prosa.

7
Vgl. Gabriele Schweikert: ...weil das Selbstverständliche nie geschieht. Martin Walsers
frühe Prosa und ihre Beziehung zu Kafka. In: text+kritik Januar (1974), H. 41/42, S. 31- 45.
8
Ebda, S. 37.
9
Marcel Reich-Ranicki: Der wackere Provokateur. In: M. R.: Martin Walser. Aufsätze. Zürich:
Ammann 1994, S. 14.
7

Walser beschreibe, was er hier und heute sehe und halte es auch für seine
Pflicht, das zu tun, obwohl er nichts daran ändern könne. Das Motto für
spätere Werke wie „Ehen in Philippsburg“ und „Halbzeit“ sieht Reich-Ranicki
schon im letzten Satz der Geschichte „Die letzte Matinee“, in der es heißt
„Ich kann das nicht ändern“10. Doch nicht nur dieses Problem findet Reich-
Ranicki in dem Erzählband. Das Motiv des Drucks des Kollektivs auf das
Leben des Individuums erkennt er in der Geschichte „Ich suchte eine Frau“.
Die Folgen und Erscheinungen des Kulturbetriebs würden in „Die letzte
Matinee“ und „Was wären wir ohne Belmonte“ gezeigt. Auch das Motiv der
Entfremdung und der Vereinsamung, sowie die Sexualproblematik arbeitet
Reich-Ranicki heraus. Er meint auch, eine Lieblingsperspektive von Walser
feststellen zu können. Es sei die der großen Welt aus der Sicht des kleinen
Mannes.
Des weiteren erkennt Reich-Ranicki eine Nähe zu Balzac, dessen Ähnlichkeit
mit Walser auch in anderen Rezensionen Erwähnung findet.11
Im Metzler Verlag erschien dann 1997 ein Buch von Gerald A. Fetz über
Martin Walser. Er fasst die bisherigen Rezensionen und Veröffentlichungen
über „Ein Flugzeug über dem Haus und andere Geschichten“ zusammen und
kommt zu dem Schluss, dass alle bisher getroffenen Aussagen
Verallgemeinerungen darstellten, sowohl die über die Ähnlichkeit mit Kafka
als auch die über die Abweichungen von ihm. Fetz meint, dass die
Geschichten vielleicht an Kafka erinnern, aber dass sie durchaus
Eigenständigkeit besitzen. Er versucht zu zeigen, inwieweit die Geschichten
von Kafka abweichen. Fetz sieht in Walsers Erzählungen keine anonyme
Instanz, die dem Helden gegenübersteht, sondern vielmehr die
gesellschaftliche Wirklichkeit. Wobei der Held nicht nur Opfer der
kapitalistischen Welt sei. Walser schreibe über die Probleme der
Nachkriegssituation. Dazu verwende er das Mittel der Satire. Es handle sich

10
Martin Walser: Ein Flugzeug über dem Haus und andere Geschichten. Frankfurt a. M.:
Suhrkamp 2000, S. 120.
11
Vgl. Reich-Ranicki, Walser, S. 14-32.
8

also um eine Satire auf die Gesellschaft (zum Beispiel in Bezug auf das
deutsche Wirtschaftswunder) und eine Satire auf die Wirklichkeitsferne der
Intellektuellen.
In der Erzählung „Die letzte Matinee“ deute Walser auf die Gefahr hin, die
vielen deutschen im Dritten Reich zum Verhängnis geworden war: nämlich
dem blinden Folgen einer Macht. Martin Walser spreche auch die
gesellschaftliche Unsicherheit und die nicht verstandenen jugendlichen
Triebe an, deutlich in der Titelgeschichte, in der sich Jugendliche zu einer
Geburtstagsfeier treffen und die Jungen Angst davor haben, von den
Mädchen ermordet zu werden. In der Geschichte „Die Rückkehr eines
Sammlers“ erkennt auch Fetz die Kritik an der Kulturpolitik der BRD.
Außerdem erkenne er Kapitalismuskritik und durch die Wahl der Erzählform
ein Misstrauen gegenüber einem souveränen und allwissenden Erzähler.
Fetz beschreibt die Geschichten auch als groteske Satiren. Wie Reich-
Ranicki sieht er in den Figuren und Situationen Vorgänger für die in späteren
Werken, findet es aber falsch, in Walsers Erstling nur musealen Wert zu
sehen.12
Im Juli 1974 erscheint in der Reihe text+kritik ein weiteres Mal eine Ausgabe
über Martin Walser. Wilfried Barner veröffentlichte hier einen Text mit dem
Titel „Selbstgespräche? Über frühe Erzählprosa Martin Walsers“ und
betrachtet die ersten Geschichten auch von einer anderen Seite. Zwar
entdeckt auch er bei Walser „Kafka-Spuren“13, aber er beleuchtet eben eine
sprachliche Seite, die bis dahin noch nicht erwähnt wurde. Die Spuren
Kafkas ließen sich erkennen in der Lust, sich auf das Bett zu legen und nicht
mehr aufzustehen, der Ängstlichkeit der Geburtstagsgäste und den tierisch-
grotesken Zügen in der Geschichte mit Belmonte. Doch ist Barner der
Meinung, dass sich die Erzählungen sehr wohl von Kafka lösen können.
Eben durch die grotesken Elemente und die Gesellschaftssatire, durch das

12
Vgl. Gerald A. Fetz: Martin Walser. Stuttgart/ Weimar: Metzler 1997. (= Sammlung
Metzler. 299.)
13
Text+Kritik, Barner, Selbstgespräche, S. 81.
9

Behandeln des Themas der Nachkriegssituation und dadurch, dass die


Figuren der Situation, in der sie sich befinden, auch entrinnen könnten. An
Kafka erinnere auch die unerbittliche Gerichtetheit der Handlung. Die
satirische Kritik an gesellschaftlichen Missständen und die eigentümlichen
temporalen Strukturen unterschieden sich von ihm.
Die neue Seite, die Barner aber betrachtet, richtet sich auf die Sprache. Er
meint, dass die beobachteten sprachlichen Züge an Selbstgespräche
erinnern. Selbstgespräche die, wie Walser auch in einer Rede beschreibt,
nicht adressiert sind und einsam oder mit Zuhörern zu denken sind. Dieses
Selbstgespräch für andere verteidigte Walser in seiner Rede als genuine
Möglichkeit des Schriftstellers, der im Gegensatz zum Politiker seine Rede
nicht adressieren müsste. Im Selbstgespräch muss man nichts beweisen und
nicht immer Recht haben. Dieses öffentliche Selbstgespräch bedeute
„Zuwendung, mit der Freiheit auch zur Selbstwiderlegung“14. Diese Art des
Gesprächs lasse sich also in der frühen Prosa Walsers wiederfinden. Als
Anzeichen für das Selbstgespräch erkennt Barner die Erzähleingänge der
Geschichten, die Erzählform und die „eigentümlichen temporalen
Strukturen“15.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass keine der Abhandlungen zu
Walsers Erstling ohne die Erwähnung Kafkas auskommt. Es werden
Vergleiche angestellt und Abweichungen festgestellt. Des weiteren wird
Gesellschaftskritik in Form von satirischem und groteskem Schreiben
herausgelesen. Fetz ist der erste, der diese Aussagen als
Verallgemeinerungen abtut. Reich-Ranicki erkennt wie andere in den ersten
Erzählungen einen Vorläufer für weitere Figuren und Situationen, jedoch
auch das weist Fetz zurück, da er nicht nur den musealen Wert in den
Geschichten sieht. Barner ist der Einzige, der eine andere Seite beleuchtet,

14
Text und Kritik, Barner, S. 82.
15
Ebda, S. 86.
10

indem er auf sprachliche Beobachtungen eingeht und diese dem


Selbstgespräch zuordnet.16

1. 2. Theorie der phantastischen Literatur

Die Beschreibung und theoretische Bewältigung des Genres stößt


sogleich auf Schwierigkeiten, denn bis heute besteht keine
Einigkeit darüber, was unter dem Begriff der phantastischen
Literatur überhaupt zu verstehen sei. Die Terminologien einzelner
Arbeiten divergieren erheblich.17

Dies sind die einleitenden Worte zur Definition der phantastischen Literatur
von Durst in seiner 2001 erschienenen „Theorie der phantastischen
Literatur“. Durst führt die Problematik der Terminologie darauf zurück, dass
die phantastische Literatur bis zur Rezeption Todorovs außerhalb
Frankreichs kaum Beachtung gefunden habe. Er stützt sich dabei auf
Jehmlich, der der Begriffsgeschichte des Wortes „Phantastik“ nachgegangen
ist und eine magere Ausbeute in Wörterbüchern, Enzyklopädien und
Fachlexika des Deutschen, Englischen und Amerikanischen beklagt. Doch
auch die jüngeren Definitionen stellen ihn nicht zufrieden, denn hier herrsche
eine Vermischung oder schlechte Abgrenzung zwischen den Termini
Phantastik, Science Fiction und Utopie. Schwierigkeiten sieht Jehmlich auch
in der Charakterisierung der Phantastik als einem Gegenbegriff von Realität.
Denn dann sei alles, was „kontraempirisch“18 oder „unwirklich“19 ist, sprich
alle Literatur, phantastisch, da sie ja fiktiv sei.20

16
Vgl. Ebda, S. 75-89.
17
Durst, Uwe: Theorie der phantastischen Literatur. Tübingen; Basel: Francke 2001, S. 17.
18
Jehmlich, Reimer: Phantastik – Science Fiction – Utopie. Begriffsgeschichte und
Begriffsabgrenzung. In: Phantastik in Literatur und Kunst. Hrsg. v. Christian W. Thomsen
und Jens Malte Fischer. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1980, S. 23.
19
Ebda, S. 23.
20
Vgl. Jehmlich
11

Durst stößt sich an den gleichen Problemen. Auch er sagt, es herrsche


weder Einigkeit in der Abgrenzung der phantastischen Literatur von der
Science Fiction oder Utopie, noch könne man die Phantastik als
Gegenbegriff zu Realität definieren. Durst zeigt außerdem noch die
Uneinigkeit bei der Frage auf, ob es sich bei phantastischer Literatur um eine
Gattung oder eine ästhetische Kategorie handele.21

Penning sagt „[v]on einer eigenständigen Gattung „Phantastischer Literatur“


zu reden fällt demjenigen schwer, der sich in der Literaturwissenschaft
ebenfalls exakte Begriffe wünscht“22. Formal gesehen würden sich so gut wie
keine Anhaltspunkte ergeben und inhaltlich würde das Phantastische oft in
einen Zusammenhang mit dem Grotesken, dem Absurden, dem
Manieristischen, dem Unheimlichen und dem Wunderbaren gebracht
werden. Und wenn man nach den Beispielen der phantastischen Literatur
frage, bekomme man die unterschiedlichsten Autoren zur Antwort. Auch
Penning sieht ein Problem in der Gegenüberstellung von Realität und
Phantastik und meint:
[d]er Bruch, der den phantastischen Werken essentiell zukommt,
darf nicht an außerliterarischen Gesetzen gemessen werden,
sondern ergibt sich aus dem Verlassen der fiktiven Logik
(allgemein als „realistisch“ oder „empirisch“ umschrieben), unter
der ein Werk angetreten ist.23

Er zieht hier Zgorzelski heran, der das Phantastische an der Reaktion des
Erzählers auf ein Ereignis oder Wesen erkennt. Denn hier werde deutlich,
dass die innerfiktionale Realität gebrochen werde.24

21
Vgl. Durst
22
Penning, Dieter: Die Ordnung der Unordnung. Eine Bilanz zur Theorie der Phantastik. In:
Phantastik in Literatur und Kunst. Hrsg. v. Christian W. Thomsen und Jens Malte Fischer.
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1980, S. 34.
23
Penning, S. 37.
24
Zgorzelski, Andrzej: Zum Verständnis phantastischer Literatur. In: Phaicon. Almanach der
phantastischen Literatur II. Hrsg. v. Rein A. Zondergeld. Frankfurt a. M.: Insel TB 1975, S.
54-63.
12

Todorov versucht, in seiner „Einführung in die phantastische Literatur“


konkret zu werden in der Definition, vertritt aber auch die umstrittene These,
dass die Phantastik tot sei. Er belegt diese These anhand des Auftretens der
Psychoanalyse, durch die Tabuthemen nicht mehr indirekt über die
phantastische Literatur abgehandelt werden müssen und damit, dass der
Leser in modernen Texten von Anfang an in das Geschehen involviert sei
und dass deswegen keine Unschlüssigkeit mehr erzeugt werden kann. Die
Unschlüssigkeit ist nach Todorov aber das Entscheidende am
Phantastischen, denn er definiert wie folgt:
Das Fantastische ist die Unschlüssigkeit, die ein Mensch
empfindet, der nur die natürlichen Gesetze kennt und sich einem
Ereignis gegenübersieht, das den Anschein des Übernatürlichen
hat.25

Für ihn gibt es drei Bedingungen des Phantastischen. Davon ist eine die
Unschlüssigkeit des Lesers. Es handelt sich dabei um den Leser, dem der
Autor in seinem Text eine bestimmte Rolle zuweist und der sich
unvoreingenommen auf den Text einlassen muss, um die vom Autor
intendierte Unschlüssigkeit erfahren zu können. Eine weitere Bedingung ist,
dass die Lesart weder allegorisch noch poetisch sein dürfe. Man müsse
buchstäblich lesen. Die dritte Bedingung ist die Identifikationsregel, die aber
anders als die ersten beiden Bedingungen nicht obligatorisch ist. Die
Identifikationsregel sagt, dass der Leser zwar unschlüssig sein müsse, nicht
aber die Hauptfigur. Außerdem teilt Todorov in vier benachbarte literarische
Genre ein: Es gäbe das Unvermischt-Unheimliche, das Phantastisch-
Unheimliche, das Phantastisch-Wunderbare und das Unvermischt-
Wunderbare. Für ihn liegt das Phantastische zwischen dem Phantastisch-
Wunderbaren und dem Phantastisch-Unheimlichen. Wobei er als Beispiel für
Ersteres E.T.A Hoffmann angibt und für Zweiteres die klassischen Märchen.

25
Todorov, Tzvetan: Einführung in die fantastische Literatur. Frankfurt a. M.; Berlin; Wien:
Ullstein 1975. (= Ullstein Buch. 3191.), S. 26.
13

Todorov ordnet der Phantastik auch bestimmte Funktionen zu. Ein soziale
Funktion, die er in Ich-Themen und Du-Themen unterteilt, und eine
literarische Funktion. Ich-Themen kreisen um die Probleme einer Person und
Du-Themen betreffen die Probleme einer Person im Konflikt mit anderen.26
Fraglich ist, ob man seine Theorie auf moderne Texte anwenden soll, wenn
diese sich demnach der Phantastik schon entziehen, da die Grenzen
zwischen zwei Welten verschwimme und deswegen keine Unschlüssigkeit
mehr entstehen könne.

Nach Funktionen zu unterteilen, versucht auch Freund. Er gliedert zuerst in


die Gattungen Ballade, Geschichte, Novelle und Roman und arbeitet Motive
heraus wie zum Beispiel „Unheimliche Begegnungen“ oder „Das Unerhörte
als phantastische Irritation“. Diese Motive beschreibt er mit Hilfe von
ausgewählten Werken verschiedener Autoren und weist ihnen bestimmte
Funktionen zu, anhand derer er die Phantastik definiert. Literarische
Phantastik werde dabei durchgängig als die Art von Literatur verstanden,
die in negativer Dialektik den Aufbruch durch das Ende und die
Entwicklung zum Höheren durch das Abgründige aller Existenz

entwertet, die alle Sinnstiftungen in die Sinnlosigkeit, alle Hoffnung


in die Verzweiflung und jeden Fortschritt in die Katastrophe
münden läßt, die das Ideal wie den Glauben desillusioniert und
das Gestaltete ins Formlose, das Sein ins Nichts, die Fülle des
Daseins in die Leere und die Ordnung in Chaos auflöst.27

Freund beschreibt damit die deutsche phantastische Literatur von Goethe bis
zur Gegenwart. Er zählt zu dieser phantastischen Literatur auch Kafkas „Das
Schloß“, „Der Proceß“ und „Die Verwandlung“ und spricht damit gegen die
Theorie Todorovs, der am Beispiel Kafkas behauptet, dass die phantastische
Literatur ein Ende gefunden habe. Freund kommt dabei unter anderem zu
dem Schluss, dass gerade die Kurzgeschichte mit ihrem offenen Schluss der
26
Vgl. Todorov
27
Freund, Winfried: Deutsche Phantastik. Die phantastische deutschsprachige Literatur von
Goethe bis zur Gegenwart. München: Fink 1999, (=UTB für Wissenschaft. 2091.) S. 13-14.
14

phantastischen Erzählsituation entgegenkäme, indem sie allen erwarteten


und vertrauten Erklärungsmustern den Boden entziehe. Außerdem erkennt
er am Beispiel Nossacks, dass die Phantastik oft mit der Satire eine
Verbindung eingehe. Bei Kafkas „Proceß“ sieht er das Phantastische als das
Unordnung Stiftende, Verunsichernde und gesetzlich nicht Legitimierbare,
das in ein offenbar ordentlich geregeltes, den Gesetzen entsprechendes
Leben dringe.
Bei Freund steht auch sehr stark der sozialhistorische Aspekt mit der
phantastischen Literatur in Verbindung. Für ihn spiegelt sich in der
phantastischen Literatur die historisch soziale Entwicklung.28

Cersowsky sieht in der Vergangenheit ein „Defizit an theoretischer Reflexion


zur Kategorie des Phantastischen“29. Zum einen, weil sie von der
Germanistik, welche sich sehr stark an einem Kanon orientiere, als trivial
abgetan werde, und zum anderen, weil es Probleme mit der Begrifflichkeit
gebe. Cersowsky will für seine Analyse mehrere Theorien heranziehen,
beziehungsweise die bisherige Forschung keinesfalls negieren. Als
gemeinsamen Nenner sieht er „die Bestimmung des Phantastischen als
Manifestation divergierender Realitätsebenen“30, was in den ihm
vorliegenden Ansätzen weitgehend akzeptiert sei. Für ihn sei dabei das
Gefüge des Textes selbst maßgeblich und keine „abstrakt gesetzte
Vorstellung textexterner Realität“31. Er widerspricht Todorov und seiner
Theorie zum Tod der Phantastik und bezieht in seine Analyse neben Kubin
und Meyrink auch Kafka mit ein. Cersowsky wirft die Frage auf, ob sich zu
Beginn des 20. Jahrhunderts nicht der Tod der Phantastik zugetragen,
sondern sich eine Wende vollzogen habe. Er beruft sich dabei auf

28
Vgl. Freund
29
Cersowsky, Peter: Phantastische Literatur im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts.
Untersuchungen zum Strukturwandel des Genres, seinen geistesgeschichtlichen
Voraussetzungen und zur Tradition der ´schwarzen Romantik´ insbesondere bei Gustav
Meyrink, Alfred Kubin und Franz Kafka. Diss., 2. unveränd. Aufl., München: Fink 1989, S. 11.
30
Cersowsky, S. 21.
31
Cersowsky, S. 21.
15

Bemerkungen von Dorothy Scarborough und Freund, die einerseits


feststellen, dass die modernen Geister menschlicher geworden seien und
andererseits, dass das irreale Moment weniger personal als ereignishaft sei.
Cersowsky kommt zu dem Schluss, dass die von ihm analysierten Texte in
der Tradition der schwarzen Romantik stehen und dass die These Todorovs
widerlegt werden könne.

Durst kritisiert in seiner Theorie der phantastischen Literatur die


Realitätsbegriffe der anderen Theoretiker, da sie alle fiktionsinterne Realität
mit fiktionsexterner Wirklichkeit gleichsetzen würden. An dieser Stelle beginnt
sein Ansatz. Er meint, dass fiktionsexterne Wirklichkeit als literarische Größe
disqualifiziert werden müsse. Denn literarische Bedingungen seien nicht an
Hand fiktionsexterner naturwissenschaftlicher Fakten zu untersuchen, da die
Literatur ein eigengesetzliches System sei. Er entwirft den Begriff
Realitätssystem, mit dem er die Organisation der Gesetze bezeichne, die
innerhalb einer fiktiven Welt gelten. Durst zeichnet ein Modell mit zwei Polen.
Auf der einen Seite steht die Normrealität (reguläres System R) und auf der
anderen Seite die Abweichungsrealität (wunderbares System W). In der Mitte
befindet sich das Nichtsystem N, wo das Phantastische liegt.32 An diesem
Punkt bestehe eine Unschlüssigkeit, eine Ambivalenz, in der sich die
Gesetze zweier Realitätssysteme überlagern, gegenseitig bekämpfen und
ausschließen. In der phantastischen Literatur werden somit zwei erklärende
Realitätssysteme gegeneinander ausgespielt und so jede gültige Erklärung
verweigert.
Durst stellt in weiterer Folge Formeln auf, die darstellen sollen, auf welche
Art sich ein Text entwickeln kann und welches Realitätssystem er am Ende
dieser Entwicklung erreicht. Ein Beispiel dafür ist die Formel W=R+W, (sie
darf nicht als mathematische Formel verstanden werden). Das bedeutet,
dass der Text sich von dem regulären System R in das wunderbare System

32
Vgl. Durst, S. 89.
16

W entwickelt hat und man am Ende sagen kann, dass es zum wunderbaren
System W zugeordnet werden kann (denn = W). Ein Text kann also in den
Systemen springen und muss diesen Sprung nicht unbedingt markieren.
Durst dazu: „Das skandalöse W ist in solchen Fällen für Erzähler und
handelnde Figuren (nicht aber für den implizierten Leser)
überraschenderweise selbstverständlich [...].“33 Das heißt, wenn der Sprung
zwischen R und W für den Erzähler nicht selbstverständlich ist
beziehungsweise nicht hingenommen wird, dann handelt es sich um das
Nichtsystem N, folglich um das Phantastische.
Für ihn bedeutet das Gegenübertreten beziehungsweise der Kampf zwischen
den beiden Realitätssystemen, dass darin das Phantastische entsteht. Die
zwei Realitätssysteme konkurrieren miteinander und in dieser Konkurrenz
entsteht das Phantastische. Durst sagt:
[v]om Phantastischen ist zu sprechen, solange im Kampf der
Systeme zumindest ein Rest realitätssystemischer Ambivalenz
vorhanden bleibt: Das Ereignis lässt sich nicht aufklären, d.h. es
ist keinem der oppositionellen Systeme eindeutig zuzuordnen.34

1. 3. Themenstellung

Diese Arbeit versucht nun auf der einen Seite, die einzelnen Geschichten
erzähltheoretisch zu analysieren, und auf der anderen Seite, den
phantastischen Elementen auf die Spur zu kommen. Die erzähltheoretische
Analyse verläuft nach Petersen und das Zeitgerüst der Erzählung nach
Lämmert. In der erzähltheoretischen Analyse soll der Frage nachgegangen
werden, wodurch die teilweise auftretenden satirischen oder komischen
Elemente entstehen. Ist der Erzähler der Satiriker oder Kritiker - oder steht

33
Durst, S. 120.
34
Durst, S. 144.
17

der Autor dahinter, der durch das Verhalten eines Erzählers Satire und
Komik schafft? Was wird satirisch betrachtet und was wird kritisiert?
Die phantastischen Elemente sollen herausgearbeitet werden, um einen
Kontrast zu bisherigen Interpretationen zu schaffen, die sich hauptsächlich
mit einem Vergleich mit Kafka beschäftigt haben. Es soll gefragt werden,
welcher Sinn hinter der Phantastik steht oder ob sie einfach nur sich selbst
dient und nicht einem satirischen oder kritischen Zweck erfüllt. Kann eine
Analyse und Interpretation dieses Erzählbandes vorgenommen werden, ohne
Kafka zu bemühen?
Frühere Interpretationen haben meist nur einzelne Geschichten aus dem
Band hervorgehoben oder den Band als Fingerübung für Walsers spätere
Werke angesehen. Hier sollen alle Geschichten analysiert und interpretiert
werden. Es werden nicht alle Geschichten phantastische Elemente
beinhalten, doch es soll hinterfragt werden, was hinter jeder einzelnen
Geschichte steht.
Die Theorie zur phantastischen Literatur ist sehr uneinig in der Definition und
der Ordnung verschiedener Werke und Autoren. Walser ist mit dem
Erzählband „Ein Flugzeug über dem Haus und andere Geschichten“ in den
mir vorliegenden Werken zur phantastischen Literatur, wie mir scheint zu
Unrecht, nicht behandelt worden.
Die Zugehörigkeit zum Phantastischen wird mit Hilfe verschiedener
Theoretiker herausgearbeitet. Durch die unterschiedlichen Ansätze – die
Unterteilung in Funktionen, das Herausarbeiten verschiedener
Realitätssysteme oder das einfache Trennen von Naturgesetzen und
Phantastik – können die Elemente auf mehrere Arten erklärt und dargestellt
werden.
18

2. „Ein Flugzeug über dem Haus“

2.1. Inhaltsangabe

Ein junger Mann wird von einer Familie eingeladen, den 17. Geburtstag der
Tochter Birga mitzufeiern. Im Garten der Villa ist alles vorbereitet für die
Geburtstagsgesellschaft. Die Insekten lärmen, aber nicht ganz so laut, wie
die Flugzeuge, unter denen die Stadt seit einigen Jahren leidet. Zuerst
befindet sich die Mutter des Mädchens mit der Gesellschaft am Tisch, doch
verlässt diese dann, um ins Haus zurückzukehren. Der junge Mann fühlt sich
unwohl in dem Lärm, den die jungen Mädchen verbreiten. Er versteht ihre
Fröhlichkeit nicht. Er und die anderen Männer wirken für ihn starr und
eingefroren. Sie erwarten fast, von den Mädchen brutal hingerichtet zu
werden. Die Situation ändert sich, als der Großonkel des Mädchens an die
jungen Männer herantritt. Er berichtet ihnen von seiner Sorge um Birga und
sie mögen das Mädchen doch bitte in Ruhe lassen. Birga ist über die Worte
bestürzt. Der Großonkel habe sie an die jungen Männer ausgeliefert. Er hätte
besser im Haus bleiben sollen. Die jungen Männer sind endgültig Herr über
Garten, Haus und Mädchen geworden, als ein Flugzeug mit tosendem Lärm
über den Garten fliegt.

2. 2. Erzähltheoretische Analyse

„Ich war eingeladen...“ (FH 7)35 zeigt, dass die Erzählform in der
Titelgeschichte die Ich-Form ist. Das Erzählverhalten ist personal. Es wird

35
Aus dem Primärwerk „Ein Flugzeug über dem Haus und andere Geschichten“ wird mit
Hilfe von Abkürzungen im Text zitiert. Die Abkürzung steht für Buchstaben aus dem Titel der
19

aus der Optik eines jungen Mannes erzählt. Der Ich-Erzähler steht den
Mädchen dieser Geburtstagsgesellschaft gegenüber. Sie beunruhigen ihn
und scheinen ihm Angst zu machen. Er beschreibt sie nicht als liebliche
Wesen, sondern als eine Horde, die jeden Moment bereit zum Angriff ist:
Wenn die Freundinnen uns plötzlich ergriffen, gefesselt, an die
Hauswand geschleppt und mit Dolchen oder Hackbeilen
hingerichtet hätten, ich wäre nicht sonderlich verwundert gewesen.
(FH 9)

Er fühlt sich unterlegen, denn „die Mädchen waren in der Überzahl“ (FH 8).
Es beruhigt ihn aber die Tatsache, dass sie in ihrer Lautstärke nicht wirklich
kommunizieren können und so die Möglichkeit bestehe, dass sie sich über
die Hinrichtung der jungen Männer nicht einig werden könnten. Im nächsten
Moment zweifelt er aber gleich wieder, denn „[...] vielleicht war ihnen unsere
Hinrichtung schon keine strittige Frage mehr“ (FH 9). Der Ich-Erzähler
vergleicht Birgas Körper mit der Peitschenschnur eines Dompteurs, denn so
seien ihre Bewegungen gewesen. Das Blatt wendet sich, als Birgas
Großonkel in den Garten kommt. Er befreit die jungen Männer aus dem
„weiblichen Dickicht“ (FH 10) und konfrontiert sie mit seiner Sicht der Dinge.
Die jungen Männer
seien [...] am Tisch gesessen und hätten der Angst der Mädchen
zugesehen und sie spüren lassen, daß diese freundlich grüne
Gartenhöhle ihnen noch an diesem Nachmittag zum Verhängnis
werde. (FH 11)

Die Erzählperspektive ist die Außensicht, vom Erzähler bekommt man aber
auch die Innensicht. Es heißt: „Und ich hatte geglaubt, sie sei von all der
Festlichkeit schon zu Beginn erschöpft gewesen!“ (FH 10) Von Birga und
dem Großonkel erfährt man über die Wiedergabe der direkten Rede, was sie
denken:
Da stürzte Birga vom Tisch her und schrie ihren Großonkel an, der
ihr zitternd wie ein getretenes Tier entgegensah: >> Warum bist

einzelnen Erzählungen und der Zahl für die zitierte Seite (Beispiel: FH 7 = Ein Flugzeug über
dem Haus, Seite 7).
20

du nicht droben geblieben! Wir hätten es geschafft! Du hast uns


an sie ausgeliefert. Wir hätten es geschafft! Du hast uns an sie
ausgeliefert!<< (FH 13)

Aus der Sicht von Birga ist der Großonkel dafür verantwortlich, dass die
jungen Männer den Mädchen überlegen werden. Der Ich-Erzähler steht am
Ende den Mädchen nicht mehr alleine gegenüber, sondern gemeinsam mit
den anderen jungen Männern. Am Ende sind es die jungen Männer, die aus
der Gegenüberstellung als Überlegene hervorgehen. Der Ich-Erzähler
gliedert sich also weder in die Gegenwelt ein, noch wendet er sich von ihr ab.
Die Erzählhaltung ist neutral. Es wird aber sehr bildlich erzählt, wenn es zum
Beispiel heißt „wie sie die Hand in der Luft plötzlich hängen ließ wie ein
welkes Blatt“ (FH 8).
Als Präsentationsform wurde der Erzählerbericht gewählt. Nach Petersen
definiert sich dieser wie folgt:
Der Terminus bezeichnet als Oberbegriff das, was man gemeinhin
und im alltäglichen Sprachgebrauch >Erzählen< nennt, schließt
also das Beschreiben ebenso ein wie die Vorausdeutung, ist auch
nicht an einen bestimmten Tempusgebrauch gebunden.36

Auch seien keine stilistischen Qualitäten daran geknüpft.37 In dieser


Geschichte gibt es einen wechselnden Tempusgebrauch, aber es wird
durchwegs im Präteritum erzählt. Man kann also durchaus davon sprechen,
dass es sich um „Erzählen“38 handelt. Der erste Satz steht im Präsens und
zeigt, dass der Erzähler aus der Gegenwart zurückblickt und die Geschichte
dieser Geburtstagsfeier erzählt. Der junge Mann erinnert sich an diesen Tag
zurück. Der Einstieg im Präsens folgt über eine fehlende Erinnerung. „Ihren
Vornamen weiß ich nicht mehr“ (FH 7). Auf ihren Namen kommt der Erzähler

36
Petersen, Jürgen H.: Erzählsysteme. Eine Poetik epischer Texte. Stuttgart; Weimar:
Metzler 1993, S. 80.
37
Vgl. Petersen
38
Petersen, S. 80.
21

noch einmal zurück, als er einwirft „(ja, so hieß sie, jetzt fällt mir der Name
des Geburtstagskindes wieder ein)“ (FH 11).
Erzählt wird zeitdehnend und die Reihenfolge der narrativen Aussagen ist
chronologisch.

2. 3. Phantastische Elemente

Diese Geschichte beginnt als eine realistische Erzählung und ist nach Durst
am Anfang dem System R zuzuordnen. Dieses System wird erst
durchbrochen, als der Ich-Erzähler von seinen Ängsten auf der Feier spricht.
So sagt er: „Aber vielleicht war ihnen unsere Hinrichtung schon keine strittige
Frage mehr“ (FH 9). Der Ich-Erzähler befürchtet, dass er und die anderen
jungen Männer den Mädchen dieser Feier zum Opfer fallen könnten. Ist das
die Angst eines pubertierenden jungen Mannes vor der Weiblichkeit oder
glaubt er tatsächlich an eine Hinrichtung? Seine Angst steigert sich, als er
sieht, dass bei der Villa alle Türen und Fenster geschlossen worden sind und
sogar eiserne Markisen hinuntergelassen wurden. Will man die Augen vor
der Hinrichtung schließen oder gibt es eine völlig harmlose Erklärung dafür?
Der Großonkel hat seine eigene Erklärung. Er denkt, dass die Eltern die
Türen und Fenster geschlossen haben, damit sie nicht zusehen müssen, wie
die Mädchen den jungen Männern ausgeliefert sind. „Sie haben Birga euch
ausgeliefert, glauben nicht mehr an Rettung“(FH 12). Auch Birga ist davon
überzeugt, ausgeliefert worden zu sein, aber erst durch das Eingreifen ihres
Onkels. Doch es wird nicht klar, wovor sie sich fürchtet. Warum denkt sie,
ausgeliefert worden zu sein? Eine andere Erklärung als der Onkel sie hat,
gibt der Erzähler. „Jetzt merkten es alle, wie heiß dieser Nachmittag war“ (FH
13). Die Eltern wollten sich in ihrer Villa möglicherweise nur vor der Sonne
schützen und haben aus diesem Grund alles fest verschlossen. In dieser
Geschichte bleibt allerdings unklar, ob es sich nun um eine realistische
22

Geschichte oder eine wunderbare handelt (Begriffe nach Durst). Sie


schwankt also zwischen den beiden Realitätssystemen, da die
Empfindungen der jungen Männer und Mädchen weder in dem einen System
noch in dem anderen eindeutig erklärt werden können. Außerdem handelt es
sich um einen Ich-Erzähler, man weiß also nicht, inwieweit man ihm trauen
kann. „Der Leser wird im Verlauf der Handlung zu keinem Zeitpunkt
informiert, ob die Wahrnehmungen des Erzählers gültig sind, [...]“.39 Das trifft
auf diese Erzählung durchaus zu. Die Geschichte befindet sich also im
Nichtsystem und ist dem Phantastischen zuzuordnen. Wäre die Hinrichtung
eindeutig und würde vom Erzähler ohne Erstaunen angenommen werden,
dann wäre diese Erzählung W zuzuordnen und demnach nicht phantastisch.
Doch muss man auch sagen, dass das Phantastische nicht sehr stark
ausgeprägt ist.

2. 4. Zusammenfassung

Der Ich-Erzähler steht in dieser Geschichte einer Gegenwelt gegenüber. Er


geht aus dieser Gegenüberstellung als Überlegener hervor. Phantastisch ist
„Ein Flugzeug über dem Haus“, da Realitätssysteme durchbrochen werden
und einzelne Elemente der Erzählung nicht eindeutig einem Realitätssystem
zugeordnet werden können. Durch diese fehlende Zuordenbarkeit liegt die
Geschichte im Bereich des Phantastischen.

39
Durst, S. 144.
23

3. „Gefahrenvoller Aufenthalt“

3. 1. Inhaltsangabe

Eines Tages entscheidet sich der Ich-Erzähler, sich auf sein Bett zu legen
und sich nicht mehr zu bewegen und auch nicht mehr zu sprechen. Er
beobachtet die Menschen, die in seiner Wohnung ein und aus gehen und
denkt auch über sie und ihr Verhalten ihm gegenüber nach. Der Angestellte
des Elektrizitätswerkes, der Milchlieferant oder auch die Hausierer kommen
immer wieder und es wird immer schwieriger für ihn, sie zufrieden zu stellen.
Sie kommen, um ihren Arbeiten nachzugehen, der Ich-Erzähler jedoch macht
es ihnen sehr schwer. Denn bald finden sie kein Geld mehr in seinen
Schubladen, sondern müssen mit anderen Gegenständen als Bezahlung
vorliebnehmen. Die größte Sorge des Erzählers gilt dem Amtsarzt. Er hat
Angst, dass irgendjemand ihn verständigen könnte und so seine Ruhe
gestört würde. Er stellt sich vor, was geschieht, wenn der Arzt kommt. Er
würde fragen: „Geben sie zu, daß Sie tot sind?“ (GA 24) Er nimmt sich vor,
dass ihm in diesem Moment ein letztes Wort gelingen muss. Er will ihm
sagen, dass er erst durch ihn tot sein würde.

3. 2. Erzähltheoretische Analyse

In dieser Geschichte wird in der Ich-Form erzählt. Das erfährt man schon aus
dem ersten Satz, der lautet: „Als mich damals die Lust überkam, mich auf
mein Bett zu legen, wusste ich wirklich nicht, wohin das führen würde“ (GA
14). Das Erzählverhalten ist personal, denn es wird aus der Optik der Figur
24

erzählt, die sich auf ihr Bett legt und nicht mehr aufsteht. Der Ich-Erzähler
stellt Hypothesen auf, warum er vom Bett nicht mehr aufsteht. Zuerst
beschreibt er es als „Lust“ (GA 14), die ihn überkam, dann schildert er es
folgendermaßen:
Am Anfang dachte ich, es sei Müdigkeit, dann dachte ich, es sei
eine Laune und eine Lust, den Bewegungslosen zu spielen. Bald
konnte ich nicht mehr sagen, ob ich freiwillig liegen blieb oder ob
mich eine Krankheit oder noch schlimmeres dazu zwang. (GA 14)

Später bezeichnet er es als „Lähmung“ (GA 16). Zwischendurch zweifelt er


auch daran, ob er es war, der sich nicht mehr bewegte.
Da das Leben nicht stehen bleibt, nur weil er ans Bett gefesselt ist, muss er
weiterhin bestimmten Pflichten nachkommen. Er hat Verpflichtungen
gegenüber den Männern von der Eisfabrik, dem Angestellten des
Elektrizitätswerkes, den Hausierern, Milchlieferanten und den Männern der
Müllabfuhr. Sie alle treten dem Ich-Erzähler gegenüber. Sie kommen in die
Wohnung und erfüllen mit fast blinder Betriebsamkeit ihre Aufgaben:
Bei seinem nächsten Besuch stellte er zwei Milchflaschen ins
Zimmer, obwohl keine einzige der vielen Flaschen, die auf dem
Boden herumstanden, auch nur berührt, geschweige denn geleert
worden war. Die Milch war natürlich längst verdorben und strömte
einen säuerlichen Geruch in den Raum. [...] Dann suchte er, wie
er es immer tat, in meinen Schubladen, bis er die Bezahlung für
die mitgebrachte Milch gefunden hatte (GA 18).

Der Milchlieferant ist es dann, der ihn mit dem Amtsarzt konfrontiert,
nachdem er ihm mit der Zunge über die Stirn geleckt hatte, „als habe er sie
auf ihren Geschmack hin zu prüfen“ (GA 18). Der Ich-Erzähler steht einer
Gruppe gegenüber, als deren Feind er sich selbst ansieht. Er hat Angst, sie
könnten sich an ihm rächen, weil er sich durch sein stilles Daliegen als
Gegner entzieht. Auch am Ende steht der Erzähler noch seinen Gegnern
gegenüber, denn man weiß als Leser nicht, wie sich die Situation des
Daliegens auflöst.
Die Erzählperspektive ist die Außensicht, vom Erzähler aber erfährt der
Leser auch dessen Innensicht, denn „[a]m Anfang dachte ich, es sei
25

Müdigkeit [...]“(GA 14). Die Position des Erzählers ist die eines Beobachters.
Das entspricht der Theorie Wölfels, dass der satirische Erzähler aus einer
erhöhten Position, zum Beispiel von einem Turm, das Geschehen distanziert
beobachtet.40 Dem Ich-Erzähler in dieser Geschichte fehlt allerdings die
Erhabenheit, die sich aus der Beobachterposition ergibt. Er ist den
Vorkommnissen in seiner Wohnung hilflos ausgeliefert und denkt mit Angst
an den Moment, in dem der Amtsarzt kommen wird. „Und wenn der
Hausbesitzer erst eingreift, ist in zwei Stunden der Amtsarzt da, und ich bin
verloren“ (GA 21). Die Geschichte hat aber eindeutig satirische Elemente,
auf die dann im Vergleich zu den phantastischen Elementen eingegangen
werden soll.
Die Erzählhaltung ist neutral, aber an manchen Stellen fast ein wenig
pathetisch. Es wird sehr trocken von den Geschehnissen in der Wohnung
berichtet, über seine „Lähmung“ spricht der Erzähler manchmal fast feierlich
und leidenschaftlich:
Für Sekunden allerdings ließ ich es als wohltuende Sicherheit
über mich hinströmen, daß ich gelähmt sei und daß eine so
schwere Lähmung auch von der Welt respektiert werden müsse.
(GA 16)

Die Präsentationsweise ist der Bericht. Der Erzähler blickt zurück auf die
Anfänge seiner Lähmung. „Ja, so war das, damals, in den ersten Zeiten
meiner Lähmung“ (GA 15). Er erzählt bis zu dem Zeitpunkt, in welchem er
sich nun befindet und indem er Angst vor dem Amtsarzt hat. Die
Rückblenden sind im Präteritum verfasst. Sein Ist-Situation beschreibt er im
Präsens. Vorausschauend auf den Moment, indem der Amtsarzt dann
eintreffen wird, wird im Futur I erzählt. Allerdings ist es eine hypothetische
Annahme, dass der Amtsarzt tatsächlich zu ihm kommt. Doch ist es nicht
unmöglich, da der Milchlieferant andeutet, den Amtsarzt einschalten zu
wollen. Das heißt, in dieser Geschichte ändert sich der Tempusgebrauch,

40
Vgl. Wölfel, Kurt: Epische Welt und satirische Welt. Zur Technik des satirischen Erzählens.
In: Wirkendes Wort 10 (1960), S. 85-98.
26

denn es wird in Rückblenden und Vorausdeutungen erzählt und die Ist-


Situation beschrieben.
Die Reihenfolge der narrativen Aussagen ist chronologisch und es handelt
sich hier um zeitraffendes Erzählen. Die Lähmung muss sich über eine
längere Zeitspanne erstrecken, denn der Erzähler spricht von „damals“ (GA
16), als er über den Beginn der Lähmung spricht.

3. 3. Phantastische Elemente

Als der Ich-Erzähler beschließt, sich auf sein Bett zu legen und nicht mehr
aufzustehen, weiß er nicht, wohin das führen wird. Er legt sich hin und steht
einfach nicht mehr auf - ein Versuch, der sich über einen längeren Zeitraum
zu ziehen scheint. Der Beginn der Geschichte „Gefahrenvoller Aufenthalt“
leitet eine Aktion ein, bei der auch der Leser nicht weiß, wohin sie führt. Ist es
eine realistische Geschichte, in der ein Erzähler ein Experiment durchführt,
um zu sehen, wie lange er einfach nur so liegen kann, oder handelt es sich
hier um ein phantastisches Element, welches nicht erklärt werden kann? Die
Theoretiker der phantastischen Literatur bezeichnen ein solches Geschehen
mit unterschiedlichen Worten. Wünsch nennt es das „Übernatürliche“, das
sich entweder als unmögliches Geschehen oder als Auftritt unmöglicher
Wesen manifestiere.41 Fricke spricht von einem immer gleichen
Grundprinzip, in welchem die Grenzen dessen, was in unserer Welt möglich
ist, überschritten werden.42 Es kann durchaus von einem unmöglichen
Geschehen gesprochen werden, welches die Grenzen des Möglichen
überschreitet, wenn der Erzähler beschließt, sich nicht mehr zu bewegen.
Schließlich verzichtet er auf die Befriedigung körperlicher Notwendigkeiten,
indem er keine Nahrung mehr zu sich nimmt. Was es mit der „Lähmung“, wie

41
Vgl. Wünsch, Marianne: Die fantastische Literatur der frühen Moderne (1890-1930):
Definition; Denkgeschichtlicher Kontext; Strukturen [1991]. Habil., München: Fink 1991.
42
Vgl. Harald Fricke: Norm und Abweichung: Eine Philosophie der Literatur, München: C. H.
Beck 1981, S. 51f.
27

der Erzähler sein Liegen zwischendurch bezeichnet, auf sich hat, wird auch
am Ende der Geschichte nicht aufgelöst. Der Leser bleibt im Dunkeln
darüber, was vor sich geht. Döring sagt:
Todorov geht von der Annahme aus, daß Phantastik nur dann
vorliegt, wenn der Ordnungskonflikt auch am Ende der Erzählung
oder des Romans unentschieden und die Unschlüssigkeit von
Leser und literarischer Gestalt aufrechterhalten bleiben.
Entscheidend ist unseres Erachtens jedoch, daß der Leser nach
der Lektüre nicht in der Lage sein sollte, den in der Fiktion
aufgetretenen Riß mit Hilfe einer kulturell sanktionierten,
rationalen Erklärung zu überwinden. Dies ist aber nicht nur in dem
von Todorov als ideal erachteten Fall so, sondern auch dann,
wenn das Ende einer mit der Bestätigung des Übernatürlichen
endenden Erzählung in Konflikt mit dem Realitätsbewußtsein des
Lesers tritt.43

Auch hier kann das Verhalten des Ich-Erzählers nicht erklärt werden. Nicht
einmal er selbst kann sich sein stilles Daliegen verständlich machen. Spricht
er zwar von einem „Versuch“ (GA 25) und einem „unendlichen Unternehmen“
(GA 25), doch bleibt verborgen, um was für eine Art Versuch oder
Unternehmen es sich handelt. Nicht nur der Versuch des Ich-Erzählers ist als
phantastisches Element anzusehen, sondern auch das Ende, in dem er in
die Zukunft blickt und vom Eintreffen des Amtsarztes spricht, was für ihn den
Tod bedeuten wird. Ist der Ich-Erzähler zum Zeitpunkt des Erzählens also
schon tot und spricht aus dem Jenseits zu uns? Man weiß es nicht und kann
es sich auch nicht rational erklären. Zu erkennen ist aber, dass sein Tod die
durch sein stilles Daliegen gestörte Ordnung wieder herzustellen scheint.
Denn der Ich-Erzähler irritiert mit seinem Verhalten. Man weiß nicht, was er
tut, und kann sein Verhalten nicht zuordnen. Ist er krank? Will er
provozieren? Wenn er vom Amtsarzt für tot erklärt werden würde, gäbe es
keine Spekulationen mehr über seinen Zustand. Für den Leser würde das
stille Daliegen und die Position des Erzählers auch weiterhin nicht rational

43
Döring, Ulrich: Reisen ans Ende der Kultur: Wahrnehmung und Sinnlichkeit in der
phantastischen Literatur Frankreichs [1987]. Diss., Frankfurt am Main / Bern / New York /
Paris: Peter Lang Verlagsgesellschaft 1987. S. 17.
28

erklärbar sein. Es erübrigt sich auch die Frage nach dem Sinn des stillen
Daliegens, denn es ergibt einfach keinen. Der Leser weiß nicht, warum der
Erzähler beschließt, sich hinzulegen und nicht mehr aufzustehen, und es ist
auch keine außerliterarische Kritik dahinter erkennbar.
Anders verhält es sich mit den Menschen, die den Erzähler während seiner
Lähmung in der Wohnung aufsuchen. Wenn auch der Milchmann nicht
unbedingt rational handelt, wenn er ihm mit der Zunge über die Stirn leckt,
oder die Müllmänner nach und nach seine Möbel abtransportieren, um ihrer
Aufgabe nachzukommen, kann man hinter ihrem Verhalten satirische Kritik
des Autors erkennen. Kritisiert wird die blinde Betriebsamkeit einer
Gesellschaft, die nicht einmal zum Stillstand kommt, wenn jemand scheinbar
versucht, sich dem System zu entziehen. Der Erzähler geht dem
Milchlieferanten, den Hausierern und dem Elektrizitätswerk als Kunde
verloren. Er konsumiert nicht mehr ihre Produkte und muss ihre Dienste nicht
mehr in Anspruch nehmen. Den Mitbewohnern geht er als Feind verloren,
denn sie hatten sich daran gewöhnt, ihn am Fenster stehen zu sehen und
sich darüber zu beschweren.
Satirisch nicht erklärbar ist, wie zu Beginn des vorigen Absatzes schon
erwähnt, ein anderes Verhalten der geschäftstüchtigen Mitmenschen
beziehungsweise die Tatsache, dass sie in der Wohnung des Erzählers
einfach ein- und ausgehen. Sie öffnen die scheinbar nicht verschlossene
Türe selbstverständlich und erfüllen ihre Pflichten. Dass sie die Situation für
sich nutzen, als sie erkennen, dass der Bewohner sich nicht mehr bewegt
und auch nicht spricht, ist nicht weiter ungewöhnlich. Doch der erste Schritt,
unaufgefordert die Wohnung zu betreten, schon. Möglicherweise haben sie
das vorher auch schon gemacht, aber darüber erhält der Leser keine
Auskunft. Demnach wird es als phantastisches Element identifiziert, denn es
ist nicht erklärbar, dass ein einfacher Angestellter des Elektrizitätswerkes so
unaufgefordert eine fremde Wohnung betritt. Auch innerhalb der Fiktion der
Geschichte gibt es keine Erklärung dafür. Es lässt sich also weder innerhalb
29

des Realitätssystems R noch innerhalb W erklären. Die Ereignisse lassen


sich nicht aufklären. Merkwürdig erscheint auch, dass die Müllmänner, die
sich durch das Mitnehmen der Einrichtungsgegenstände ja nicht selbst
bereichern, anscheinend nie den Gedanken haben, dass sie in das
Geschehen einschreiten könnten.
Auch die Reaktion des Erzählers irritiert. Denn er stößt sich auch nicht daran,
dass alle ihren Tätigkeiten nachgehen und nicht auf sein Daliegen „normal“
reagieren. Es kann sich also bei den Reaktionen um ein weiteres
phantastisches Element handeln, denn nach Zgorzelski ist das Phantastische
meist daran erkennbar, dass die Aufmerksamkeit des Lesers auf die
Reaktion des Erzählers oder der Figuren hinsichtlich der fremden Elemente
gelenkt wird.44 Die Reaktion „bestehe im Allgemeinen aus Überraschung,
Unglauben, Erstaunen, Verwunderung, Verblüffung, Bestürzung oder sogar
Entsetzen“45. Der Erzähler reagiert zwar nicht mit einem dieser Gefühle, aber
trotzdem ist die Aufmerksamkeit des Lesers auf seine Reaktion gerichtet und
diese ruft beim Leser genau diese Gefühle hervor. Denn der Erzähler
reagiert mit einer Normalität auf das Verhalten seiner „Besucher“, dass es
den Leser erstaunt, in Unglauben versetzt und ihn überrascht.
„Gefahrenvoller Aufenthalt“ erweist sich somit als eine Geschichte, die
phantastische Elemente satirisch einsetzt, aber auch nicht entschlüsselbare
Elemente bietet. Auch diese Geschichte kann dem Nichtsystem N
zugeordnet werden, da sich für bestimmte Ereignisse keine Erklärungen
finden. Wir erfahren weder, ob das Verhalten der Personen in einer
bestimmten Welt vollkommen schlüssig ist, können es demnach nicht W
zuordnen, noch gibt es eine Erklärung dafür in R.

44
Vgl. Zgorzelski
45
Zgorzelski, S. 57.
30

3. 4. Zusammenfassung

In dieser Geschichte steht ein Ich-Erzähler ein weiteres Mal einer Gegenwelt
gegenüber. Er versucht sich aber dieser durch sein stilles Daliegen zu
entziehen. Der Ich-Erzähler lässt den Leser im Unklaren darüber, worum es
sich bei seinem Daliegen eigentlich handelt und was ihn dazu bewogen hat,
sich so zu verhalten.
Diese Geschichte enthält phantastische Elemente. Es findet am Ende keine
Aufklärung statt. Der Leser bleib sogar darüber im Unklaren, ob es sich bei
dem Erzähler um einen schon toten Menschen handelt, der aus dem
Jenseits berichtet. Man kann diese Geschichte keinem Realitätssystem
zuordnen und befindet sich demnach im Nichtsystem N.
Hinter einigen phantastischen Elementen ist aber auch ein Sinn zu erkennen.
Man erkennt die satirische Kritik des Autors, der die blinde Betriebsamkeit
der Gesellschaft darstellen möchte.
In dieser Geschichte haben also manche phantastischen Elemente eine
Funktion – sie dienen der Satire als Mittel. Andere Elemente hingegen haben
keinen Sinn und sind nur phantastisch.
31

4. „Ich suchte eine Frau“

4. 1. Inhaltsangabe

Ein Mann folgt einer Frau, die er auf der Straße erblickt hatte und von deren
Nacken er ganz gefesselt war, in einen Saal. Er will sie unbedingt wieder
finden und hofft, sie zu entdecken, wenn die vielen anderen Menschen alle
Platz genommen haben. Er folgt den Worten des Redners nicht, ist aber für
Beifall dankbar, denn in diesen Momenten kann er besser nach dem Nacken
Ausschau halten. Am Ende der Veranstaltung gibt er einem Saalordner seine
Anschrift bekannt, um zu weiteren Treffen eingeladen zu werden. Er ist
glücklich, denn anscheinend handelt es sich um einen Verein, dessen
Veranstaltungen fast nur von Mitgliedern besucht werden und vielleicht ist die
Frau mit dem Nacken Mitglied. Sein Ziel ist, diese Frau ausfindig zu machen,
also nimmt er an sehr vielen Veranstaltungen teil und lässt sich immer wieder
Frauen vorstellen. Nach einigen Jahren haben sich auch schon einige
Einzelheiten der Vorträge in seinem Kopf breitgemacht, und die Suche nach
der Frau automatisiert sich. Da sich auch die Liste der ihm noch
unbekannten Frauen verkürzt und er nicht aus dem Verein austreten will,
verlangsamt er seine Arbeit, bis er sie irgendwann nicht mehr ausübt. Die
ursprüngliche Intention, den Nacken zu finden, tritt immer mehr zurück, bis er
sich schließlich für den Verein engagiert und eine Rede hält. In seiner Rede
plädiert er dafür, dass die Türen offen bleiben für Fremdlinge, um neue
Mitglieder zu bekommen, denn er hat nicht vergessen, wie er zum Verein
gestoßen ist.
32

4. 2. Erzähltheoretische Analyse

Diese Geschichte wird in der Ich-Form erzählt, denn gleich im ersten Satz
liest man „[...] als müsse ich wie ein junger, [...]“(IF 26). Das Erzählverhalten
ist personal, denn es wird aus der Sicht des Mannes erzählt, der sehr
intensiv nach der Frau mit dem schönen Nacken sucht. Er folgt diesem
Nacken in einen Saal, in dem er sich zu Beginn nicht wohl fühlt:
Jeder Besucher im Saal war für mich ein Eingeweihter, von jedem
fühlte ich mich beobachtet, beargwöhnt sogar, weil ich ein Neuling
war bei diesem Verein; oder war´s eine Sekte, eine Partei oder
noch Schlimmeres! Jetzt bereute ich schon fast, daß ich mich
hereingewagt hatte. (IF 26)

Der Ich-Erzähler steht auch in dieser Geschichte einer homogenen Gruppe


gegenüber, in die er als Fremdling hineintritt. Allerdings ist ihm diese Gruppe
zu Beginn unwichtig, denn er ist nur wegen dieser Frau hier. Er nutzt die
erste Veranstaltung, um sich nach der Frau umzusehen, hat aber Angst,
dabei ertappt zu werden:
Manchmal, wenn ich glaubte, jemand habe bemerkt, daß ich nicht
zuhörte, erstarrte ich für einige Sekunden völlig und fror vor Angst,
man würde mich öffentlich zurechtweisen. (IF 28)

Nach dem Ende der ersten Veranstaltung ist das Unwohlsein bereits einer
Euphorie gewichen. Er spricht mit einem Saalordner, dem er seine Anschrift
gibt, um zu weiteren Veranstaltungen eingeladen zu werden.
Ich war so glücklich! Es handelte sich doch offensichtlich um einen
richtigen Verein, dessen Versammlungen fast immer nur von
Mitgliedern besucht wurden. (IF 29-30)

Seine Freude gilt am Anfang der Hoffnung, dass die Frau, zu der der Nacken
gehört, ebenfalls Mitglied sei und er sie so einfacher finden könne. Er
unterschreibt, ohne sich die Statuten durchzulesen, das Beitrittsformular, weil
ihn „der Gedanke, Mitglied eines Vereins zu werden, dem auch sie
angehörte, zu sehr erregte“ (IF 30).
33

Die Suche nach der Frau macht den Ich-Erzähler laut eigenen Worten zu
einem anderen Menschen. Denn um sie zu finden, muss er sich ein System
überlegen, mit dessen Hilfe er möglichst viele weibliche Mitglieder kennen
lernen kann. Er verändert sich von einem einsilbigen Menschen zu einem
„geschmeidigen Wortefinder“ (IF 31).
Im Laufe der Zeit machen sich auch Vereinsideen in seinem Kopf breit, ohne
dass er den Reden jemals bewusst gelauscht hätte. Die Suche nach der
Frau automatisiert sich und wird zu einer Art Zwang:
Die Enttäuschung, den gesuchten Haaransatz wieder einmal nicht
gefunden zu haben, spürte ich allmählich nicht mehr. Für mich war
es bloß noch wichtig, auch diese Dame wieder auf der Liste der
weiblichen Mitglieder als geprüft abhaken zu können. (IF 32)

Später beschließt er, die Suche nach ihr ganz aufzugeben und schämt sich
sogar die Vereinsabende für private Zwecke missbraucht zu haben. Er
gehört nun der Gruppe an, der er zuerst gegenüber gestanden ist. Er hat sich
also der Gegenwelt nicht entzogen, sondern ist ihr beigetreten.
Die Erzählperspektive ist die Außensicht, vom Erzähler aber erfahren wir
auch die Innensicht. „Wenn ich daran denke, schäme ich mich, und ein
schlechtes Gewissen rötet mir die Schläfen.“ (IF 33) Von den anderen
Vereinsmitgliedern erfährt man nichts, außer dass sie andächtig den Reden
lauschen und mit Begeisterung klatschen. Am Ende wehrt sich der Ich-
Erzähler gegen den Vorschlag der anderen, die für eine strenge Kontrolle am
Saaleingang stimmen, um Fremde zu vermeiden. Er hält eine
leidenschaftliche Rede und bewirkt, dass die Türen offen bleiben. Der Ich-
Erzähler ist zufrieden mit sich. „Ich glaube, darauf darf ich stolz sein, denn
wie anders sollten wir je zu neuen Mitgliedern kommen!“ (IF 34)
Die Erzählhaltung ist neutral, am Ende leidenschaftlich, als von seinem
Verdienst für den Verein erzählt wird. Die Präsentationsweise ist der Bericht.
Die Tempora sind das Präteritum und das Präsens. Erzählt wird von einem
Zeitraum, der sich über mehrere Jahre erstreckt. Denn der Erzähler spricht
34

davon, dass er schon „nach wenigen Jahren“ (IF 31) Einzelheiten aus den
Vereinsreden im Kopf hatte.
Es wird zeitraffend erzählt und die Reihenfolge der narrativen Aussagen ist
chronologisch.

4. 3. Phantastische Elemente

Diese Erzählung enthält keine phantastischen Elemente. Sie ist nach Durst
dem Realitätssystem R=R zuzuordnen, denn sie befindet sich durchwegs im
Realitätssystem R. Alle Elemente lassen sich innerhalb von R aufklären.
Doch wird vom Autor satirisch auf den Erzähler geblickt, der sich blind einer
Gruppe anschließt, von der er nicht einmal weiß, was sie genau ist und für
was sie eintritt. Der Erzähler unterschreibt das Beitrittsformular, ohne sich
vorher die Statuten durchgelesen zu haben. Durch einen banalen Grund -
nämlich die Frau mit diesem für ihn besonderen Nacken wieder zu finden - ist
er bereit, sich diesem Verein anzuschließen. Das zieht den Gedanken einer
solchen Gemeinschaft ins Lächerliche und zeigt auch die Leere
gesellschaftlicher Institutionen, wenn es so einfach ist, eine Mitgliedschaft zu
erlangen. Auch dass Menschen so leichtfertig damit umgehen, sich bei etwas
anzuschließen und sich zugehörig fühlen, ohne zu hinterfragen, zeigt diese
Leere noch viel deutlicher. Der Erzähler wandelt sich während seiner
Mitgliedschaft von jemandem, der sich für die Gemeinschaft nicht
interessierte, zu einem, dem das Gefühl der Zugehörigkeit und Gemeinschaft
wichtiger ist als der Inhalt. Dass er sich als „halbwegs intelligente[n]
Mensch[en]“ (IF 31) bezeichnet, ist nur ein weiteres trauriges Anzeichen für
unsere unbedachte Gesellschaft. Es scheint, als würde der Erzähler einer
Gehirnwäsche unterzogen werden, denn im Laufe seiner Mitgliedschaft im
Verein, spricht er immer abfälliger über sein Leben davor.
Diese Anfälle beunruhigen mich nicht weiter. Sie verlieren sich
nach und nach, und selbst wenn sie auftreten, sind sie leicht zu
35

bestehen, sie sind gewissermaßen ziellos, und erst eine


nachträgliche Gedankenarbeit erweist sie mir als Überbleibsel aus
meinem Vorleben. (IF 33)

Das Einzige, was dem Erzähler aus seinem Vorleben wichtig ist, ist der
Nutzen, den er daraus für den Verein ziehen kann. Da er nicht vergessen
hat, wie er dazu gestoßen ist, ist es ihm ein Anliegen, dass die Türen offen
bleiben, um neue Mitglieder zu bekommen. Der Erzähler geht ganz in seiner
Mitgliedschaft auf, denn er ist um neue Mitglieder bemüht.

4. 4. Zusammenfassung

Der Ich-Erzähler dieser Geschichte wird mit einer Gegenwelt konfrontiert, in


die er zufällig hineingerät. Zuerst beschäftigt er sich nicht mit ihr, doch
schleichend, ohne dass er es bewusst bemerkt, wird er ein Teil von ihr, bis er
schließlich gänzlich in ihr aufgeht.
Es sind in „Ich suchte eine Frau“ keine phantastischen Elemente enthalten.
Sie bewegt sich durchgehend in einem Realitätssystem.
Die Geschichte ist aber satirisch, da der Autor eine Gesellschaft beschreibt,
in der sich Individuen anscheinend einer Gemeinschaft zugehörig fühlen
müssen und die kein Problem damit haben, dass für sie gedacht wird.
36

5. „Der Umzug“

5. 1. Inhaltsangabe

Ein Ehepaar zieht von einer ärmlichen Gegend in ein reiches Viertel, da die
Ehefrau von ihrem Onkel eine Wohnung geerbt hat. Die Wohnung ist so
groß, dass ihre Möbel darin vollkommen verschwinden. In der neuen
Nachbarschaft unterhält man sich nicht. Alle machen Tag für Tag dasselbe.
Auch das Ehepaar verändert sich zunehmend. Die Frau ist unzufrieden mit
seiner Arbeit als Fahrradmechaniker. Einer Arbeit, der er sehr gerne
nachgeht. Als seine Frau immer mehr wie die Nachbarn wird, sehr starr,
langsam und fast bewegungslos, versucht auch er sich anzupassen, denn
seine Versuche, Leben in diese Gegend zu hauchen, sind gescheitert. Durch
die Anpassung verliert der Mann seine Arbeit, denn durch die Langsamkeit
ist er nicht mehr in der Lage, rechtzeitig zu erscheinen. Er bewegt sich immer
weniger und langsamer, doch eines Tages bricht es aus ihm heraus. Ein
lautes, befreiendes Lachen und ein „Pfui Teufel“ (U 45) fährt ihm über die
Lippen, als seine Frau sich beim Frühstück mit dem Tee verbrennt und nur
leicht eine Augenbraue hebt, ihre Augen aber das Weiße vor Schmerz zum
Vorschein bringen. Der Mann beschließt zu gehen und seine Frau Gerda
sich selbst zu überlassen. Seine Tochter nimmt er mit, um ihr die Möglichkeit
auf ein glückliches Leben zu geben und sie vor der Starrheit zu retten.

5. 2. Erzähltheoretische Analyse

Die Erzählform dieser Geschichte ist die Ich-Form. „Nun bin ich ein fröhlicher
Mensch...“ (U 35). Das Erzählverhalten ist personal, denn es wird aus der
37

Optik des Fahrradmechanikers erzählt. Der Fahrradmechaniker steht auf


Grund des Umzugs in ein bürgerliches Viertel einer Welt gegenüber, die ihm
und seiner Realität widerspricht:
Und als ich es dann mit Pfeifen probierte, die Lippen spielen ließ
wie niemals zuvor, alle vertriebenen Vögel ersetzte und sogar
übertraf, da ließen die seltsamen Nachbarn sich von ihren
Häusern einsaugen, so fließend, wie eine Schnecke sich
bedächtig in ihren verhärteten Schutz zurücknimmt, wenn ihre
empfindlichen Fühler es wollen. Wie sollte ich diese
Nachbarschaft begreifen? In den Straßen, die ich kannte, war das
anders gewesen. (U 42)

In den Straßen, die der Ich-Erzähler kennt, hat man sich abends getroffen
und sich auch miteinander unterhalten. In seiner neuen Nachbarschaft ist es
schon befremdlich, wenn er auf seinem Balkon Dehnungsübungen macht.
Ich bewegte mich und ich muß auch bemerkt worden sein. Denn,
wie von einem einzigen großen Motor gelenkt, drehten sich die
alten Menschen ringsum von mir weg. (U 41)

Die Nachbarn des Ich-Erzählers sind geprägt von Kälte, Leblosigkeit und
Trostlosigkeit. Sie erinnern an Maschinen, die von Motoren gesteuert werden
und besitzen nur Ernsthaftigkeit. Auch seine Frau Gerda wird von jener
„Krankheit“ (U 43) oder „Lähmung“ (U 43) befallen. Er versucht ihr wieder
Leben einzuhauchen, aber es gelingt ihm nicht. Sie wird immer starrer und
regungsloser. „Gerda beobachtete mich und bewegte beifällig ihr linkes Ohr.
Das war für ihre Begriffe eine schon fast zügellose Äußerung ihrer Gefühle.“
(U 44) Als er seine Frau nicht aus der Bewegungslosigkeit hinausholen kann,
versucht er sich ihr und seiner Umgebung anzupassen. Er bezeichnet es als
seinen „letzten Versuch“ (U 43). Der Fahrradmechaniker wird zwanghaft
immer langsamer, misst seine Zeit mit der Stoppuhr, um sich nicht zu schnell
zu bewegen. Er schafft es erst bis zum Nachmittag an seinen Arbeitsplatz,
was ihn schließlich seine Anstellung verlieren lässt. Der Ich-Erzähler ist nun
zwar langsamer geworden, wird innerlich aber immer unruhiger. „Alles, was
ich unterdrückte, staute sich in mir von Tag zu Tag höher, drängender,
38

erstickte mich fast“ (U 44). Eines Tages bricht es aus ihm heraus. Er beginnt
lauthals zu lachen, als Gerda sich mit heißem Tee verbrennt, aber keine
Regung zeigt. Der Anblick ihres zuckenden Auges lässt ihn zu lachen
beginnen. Dieses befreiende Lachen zwingt ihn, wieder in sein altes Leben
zurückzukehren. Er zieht aus und arbeitet wieder als Fahrradmechaniker.
Seine Tochter lebt noch bei Gerda, aber auch die will er zu sich holen. Er
möchte sie vor der Versteinerung bewahren. Als er zurückkehrt um die
Tochter zu holen, erkennt er Gerda unter den vielen leblosen Gesichtern
nicht mehr wieder. Der Ich-Erzähler befreit sich aus der Realität, die er nicht
versteht und die ihm als Gegenwelt gegenübersteht. Er kann ihr entkommen,
obwohl er sogar versuchte sich anzupassen.
Die Erzählperspektive ist die Außensicht, aber auch hier erhalten wir vom
personalen Erzähler die Innensicht. „Na ja, dachte ich, beim Mond bemerkt
man´s ja auch nicht.“ (U 39) Hier bekommen wir einen kurzen Einblick in die
Gedankengänge des Erzählers.
Die Erzählhaltung ist neutral. Die Ironie kommt zu Stande durch die
Wahrnehmung des Erzählers von den Menschen in seinem Viertel. Er sieht
sie als Wesen, die mehr einem Roboter als einem Menschen mit Fleisch und
Blut ähneln.
Die Präsentationsweise ist der Bericht. Das Zeitgerüst der Erzählung ist
zeitraffend. Die Reihenfolge der narrativen Aussagen ist chronologisch. Es
wird zuerst zurückgeblendet in die Zeit, in der er mit seiner Ehefrau Gerda
noch zusammenwohnte. Das verwendete Tempus ist das Präteritum. Der
Erzähler wendet sich erklärend zurück, um zu beschreiben, wie es zu seiner
jetzigen Situation gekommen ist. Er erzählt mit einer gewissen zeitlichen
Distanz zu dem, was geschehen ist. Die Ist-Situation, aus der der Erzähler
berichtet, steht im Präsens. Der Ausblick auf die Zukunft, in der er seiner
Tochter bestimmte Werte vermitteln möchte, steht im Futur I. Er will
versuchen, ihr begreiflich zu machen, dass es nichts Erstrebenswerteres
gibt, als Fahrradmechaniker zu werden. Das steht im Kontrast zu den
39

Vorstellungen seiner Frau, der es zu wenig ist, dass er nur


Fahrradmechaniker ist:
[...] da sagte Gerda, meine Frau: allmählich beginne sie es
meinem Vater übelzunehmen, daß er mich nichts anderes habe
lernen lassen, als Fahrräder zu reparieren. (U 35)

Sie ermutigt ihn, etwas zu erfinden, damit er auf die Haustüre ein Schild mit
seinem Namen und dem Titel Ingenieur anbringen kann. Wenn der Ich-
Erzähler seiner Tochter seine Werte nicht vermitteln könne, dann würde er
sie wieder zu Gerda zurückbringen.

5. 3. Phantastische Elemente

Aber ringsum saßen Menschen, die sich nicht bewegten. So sehr


ich auch hinschaute, niemals sah ich einen die Hand regen, den
Kopf heben oder gar den Mund auftun. Am Vormittag schoben
sich unsere neuen Nachbarn aus den Zimmern heraus auf die
Balkone. Aber so langsam waren ihre Bewegungen, wenn es
überhaupt welche waren, so langsam, daß man sie einfach nicht
erkennen konnte. (U 39)

So beschreibt der Ich-Erzähler seine neuen Nachbarn. Sie sind regungslose


Wesen, körperlich und auch emotional. Sie ernähren sich über „farblose
Röhre[n]“ (U 39), die von ihren Mündern in Schalen hineinführen und
Nahrung in ihr Inneres pumpen. Die neuen Nachbarn scheinen keinerlei
Leben in sich zu tragen und fühlen sich von seinen Bewegungen und seinem
Pfeifen abgestoßen. Der Ich-Erzähler nennt die Starrheit, von der scheinbar
alle in diesem Wohnviertel befallen sind, eine Krankheit. Doch beschreibt er,
was er wirklich sieht, oder übertreibt er in seinem Rückblick und erzählt, wie
er diese Menschen wahrgenommen hat? Ist die Krankheit ein phantastisches
Element ohne Sinn oder eine satirische Betrachtung einer bestimmten
Bevölkerungsschicht?
40

Das Unwohlsein des Ich-Erzählers in seiner neuen Straße beginnt sehr


schnell einzusetzen. Anfangs grüßt er winkend seine ihm noch unbekannten
Nachbarn vom Balkon aus, denn er war fröhlich und wollte „auf gute
Nachbarschaft halten“ (U 39). Doch die Nachbarn bewegen sich nicht und
schon gar nicht erwidern sie sein Grüßen. Da der Ich-Erzähler die Nachbarn
aus einer räumlichen Distanz, nämlich von seinem Balkon aus, beobachtet,
ist er sehr eingeschränkt in seiner Wahrnehmung von ihnen. Denn in seiner
Wahrnehmung rühren sich die Nachbarn nicht, aber dies sollte nicht genau
so verstanden werden, wie er es beschreibt. Da er durch seine Entfernung
eine äußerst eingeschränkte Sicht hat, kann er nicht so genau erkennen, was
sich wirklich auf den fremden Balkonen abspielt. Kleine Bewegungen sind
aus größerer Entfernung nicht zu erkennen, das spricht dafür, dass er sie als
völlig bewegungslos beschreibt. Etwas, was aber auf sie nicht zutreffend ist.
Schließlich haben sie die körperliche Fähigkeit, von ihren Balkonen in ihre
Wohnungen und von dort in ihre mächtigen Autos zu kommen. Sie sind also
in der Lage, Bewegungen zu vollführen. Dem Ich-Erzähler kommen die
Nachbarn bewegungslos vor, weil sie im Vergleich zu ihm und seinen
Nachbarn aus dem früheren Wohnviertel steifer und kühler sind. Dieser
Eindruck ist aber nicht nur auf deren körperliche Merkmale zurückzuführen,
sondern steht in Verbindung mit ihrem sozialen Verhalten und der vom
Erzähler wahrgenommenen Gefühlskälte. Sie sind abweisend, weil sie ihn
nicht zurückgrüßen. Die Begründung für ihre Zurückweisung liegt
wahrscheinlich weniger im Ausbruch einer seltenen Krankheit, als in ihrem
Sozialverhalten. Sie wissen, dass der Fahrradmechaniker und seine Frau
nicht zu ihnen gehören. Denn die Wohnung haben sie durch eine Erbschaft
erlangt und nicht durch beruflichen Erfolg des Fahrradmechanikers.
Es treffen zwei Welten aufeinander, die sich einander gegenüberstehen und
nicht zusammenpassen. Die eine ist als die Schicht der Arbeiter zu
identifizieren und die andere als großbürgerliche Schicht. Den „Hauch
unendlicher Kälte“ (U 40), den der Fahrradmechaniker verspürt, als eines der
41

protzigen Autos seiner Nachbarn vorbeifährt, ist die soziale Kälte und
Ablehnung, die ihn erschaudern lässt.
Die phantastischen Elemente dienen hier zur satirischen Darstellung der
großbürgerlichen Schicht. Denn auch in der Satire erfolge die Kritik dadurch,
dass der Gegenstand der Kritik in übertriebener und verzerrter Form
abgebildet werde.46 Die neuen Nachbarn werden nicht von einem Motor
gelenkt, sondern sind einfach steif und starr in ihren Bewegungen. Sie
werden als Roboter oder Maschinen dargestellt und nicht als Individuen. Alle
haben sie den gleichen Rhythmus, das gleiche Auftreten und die gleichen
farblosen Gesichter. Auch das spricht für das Verstehen des Textes als
satirischer Kritik an der großbürgerlichen Gesellschaft. Claßen merkt an,
dass Satire es gerade auf Reduzierung und Typisierung anlege, weil sie
allgemeine Verhaltensweisen und nicht individuelle Marotten entlarven
möchte.47 Die Nachbarn werden übertrieben dargestellt, denn der Blick des
Ich-Erzählers ist durch seine räumlich entfernte Wahrnehmung verzerrt und
so verzerrt sich auch das Bild der Nachbarn in Menschen, die ihre Nahrung
über Schläuche zu sich nehmen.
Seine Frau Gerda will sich dieser Welt anpassen und wird immer starrer. Sie
möchte der anderen Welt, mit der ihr Mann so gar nichts anzufangen weiß,
angehören. Der Ich-Erzähler tritt auf zwei Arten dieser Welt entgegen. Zuerst
versucht er, durch Turnübungen am Balkon und Pfeifen die anderen
mitzureißen. Als das nicht den gewünschten Erfolg bringt, will er sich der
Welt und ihrer vermeintlichen Krankheit anpassen. Auch er bewegt sich
immer langsamer, doch hält er nicht durch und es bricht mit einem
schallenden Lachen alles aus ihm heraus.
Der Ich-Erzähler übertreibt weiter, als er zurückkehrt in die Straße, um seine
Tochter mitzunehmen. Er behauptet, dass Gerda es nicht einmal auffallen

46
Sühnel, Rudolf: Satire, Parodie. In: Fischer-Lexikon der Literatur. Hrsg. von Wolf-Hartmut
Friedrich/Walter Killy. Bd. II.2. Frankfurt: Fischer 1965, S. 507-519.
47
Vgl. Ludger Claßen: Satirisches Erzählen im 20. Jahrhundert, Heinrich Mann, Bertolt
Brecht, Martin Walser, F.C. Delius. München: Fink .(= Literatur in der Gesellschaft. Hrsg. v.
Jochen Vogt. Neue Folge. Band 10.)
42

würde, wenn er in die Wohnung eindränge und das Kind mitnähme. Denn er
glaubt, dass durch seinen Auszug aus der Straße „die endgültige
Versteinerung“ (U 46) bald eintreten werde.
Da „der Satiriker [...] von einem unbesiegbaren Hang zur Übertreibung regiert
[wird]“48, lässt der Autor seinen Erzähler zum Satiriker werden, wenn er
überspitzt von seinem Umzug in eine neue Straße berichtet. Die scheinbar
phantastischen Elemente ergeben sich also durch das verzerrte Bild, das der
Fahrradmechaniker von der ihm gegenüberstehenden Welt hat. Die
Geschichte kann also nicht dem Phantastischen zugeordnet werden, denn
dem Ich-Erzähler ist mit seinen Beschreibungen nicht zu trauen. Das
Erzählte wird „destabilisiert“49, indem Erklärungen für seine Wahrnehmung
gefunden werden können.

5. 4. Zusammenfassung

Durch den Umzug in ein reiches Viertel wird der Ich-Erzähler mit einer Welt
konfrontiert, die ihm fremd ist. Er versucht zu Beginn, in diese Welt
einzugreifen und sie zu verändern. Als er bemerkt, dass das keinen Zweck
hat, versucht er, sich dieser Welt anzupassen. Aber auch damit ist er nicht
erfolgreich und er erkennt, dass er aus dieser Welt flüchten muss.
Diese Geschichte enthält phantastische Elemente, die zur satirischen Kritik
an der großbürgerlichen Gesellschaft dienen. Der destabilisierte Erzähler
verhindert eine eindeutige Zuordnung in das Nichtsystem N und macht diese
Geschichte nicht eindeutig zuordenbar.

48
Wölfel, Kurt, S. 95.
49
Vgl. Durst, S. 158.
43

6. „Die Klagen über meine Methoden häufen sich“

6. 1. Inhaltsangabe

Der Pförtner einer Spielzeugfabrik trifft immer eigenmächtiger


Entscheidungen. Er wurde Pförtner, weil er meint, dass man für andere
Berufe den Mut eines Sparkassenräubers brauche, den er aber nicht besitze.
Als Pförtner sei das anders. Seiner Ansicht nach nimmt er seinen Beruf sehr
ernst und führt ihn auch sehr gut aus. Er entscheidet, wann er wen aus der
Firma mit Besuchern belästigen kann und wer überhaupt für die Firma
interessant und wichtig ist. Der Pförtner versucht, alle Besucher auf eine
freundliche und höfliche Art und Weise abzuweisen, so dass sie sogar davon
überzeugt sind, dass man ihnen Gutes getan hat, indem man sie nicht
vortreten hat lassen. Doch nach einer Weile häufen sich die Beschwerden
über den Pförtner, der gar so eigenmächtig seine Entscheidungen trifft. Die
Menschenschlange an seiner Loge wird immer länger und manch einer
schafft es, unangemeldet in die Fabrik zu dringen, da der Pförtner den
Überblick verloren hat. Eines Tages wird er zum Personalchef vorgeladen. Er
dachte, es handle sich um eine Verwarnung, doch als er einen Bewerber für
die Pförtnerstelle freudig aus dem Personalbüro zurückkommen sieht, ist ihm
klar, dass er wohl gehen wird müssen. Es wird ihm bewusst, dass ihm auch
hier der Mut eines Sparkassenräubers abgeht.
44

6. 2. Erzähltheoretische Analyse

In dieser Geschichte wird in der Ich-Form erzählt. „Gerne wäre ich auch
Förster geworden“ (KM 47). Das Erzählverhalten ist personal, aus der Optik
des Pförtners. Der Erzähler ist dümmlich, was man schon anhand seiner
Einschätzung bestimmter Berufe erkennt. Er beschreibt, mit welcher
Gewissenhaftigkeit er seinen Beruf ausübt und welche Wichtigkeit ihm
eigentlich zukommt. Der Ich-Erzähler erklärt, in welch schwierige Situationen
man als Pförtner kommen kann, denn „der Pförtner hat keine Kollegen, er hat
nur Vorgesetzte. Und er muß es allen recht machen“ (KM 48). Um nicht
immer bei den Mitarbeitern der Spielzeugfabrik anrufen zu müssen, wenn
Besuch für sie da ist, beginnt er eigenmächtig Entscheidungen zu treffen. Er
hat bemerkt, dass die Angestellten in ihren Büros oft wuterfüllt und mit
Schreien auf seine Anrufe reagieren und er aber trotzdem den Besuchern
freundlich gegenüber treten muss. Also fragt er die Besucher so lange über
ihr Anliegen aus, bis er selbst entscheiden kann, ob er sie weiter in die Fabrik
vorlassen kann:
Mag sein, daß ich am Anfang meiner Tätigkeit manchen zu rasch
wegschickte. Aber allmählich habe ich mir eine Fähigkeit
erworben, jeden so lange zu fragen, unauffällig, gar nicht wie ein
Detektiv oder sonst ein Schnüffler, ganz beiläufig, im Gange einer
für beide Teil recht erquicklichen Unterhaltung, aber doch mit aller
nützlichen Gründlichkeit, daß ich am Ende dieser Unterhaltung so
genau informiert bin über die Wichtigkeit dieses Besuches für
unsere Firma, daß ich die Entscheidung darüber, ob ich ihn
abzuweisen habe oder nicht, mit einem vollkommen ruhigen
Gewissen fällen kann. (KM 49-50)

Er überschreitet seine Kompetenzen mit seinem unangebrachten Verhalten.


Darüber hinaus hat der Ich-Erzähler auch einen vollkommen falschen Blick
auf die Mitarbeiter der Firma und auf seine Aufgaben und Verdienste in der
Firma:
So vertrete ich also – ich kann es nicht anders sagen – alle
leitenden Herrn des Hauses an der Pforte, und die immer rascher
steigenden Umsätze sind nicht zuletzt dem Umstand zu
45

verdanken, daß ich die leitenden Persönlichkeiten unserer Firma –


sie sind ja die verletzlichsten – vor lästigen Besuchern schütze.
(KM 50-51)

Es wird deutlich, dass er eine völlig falsche Vorstellung von seinen Aufgaben
hat. Denn weder vertritt er die leitenden Angestellten dieser Firma, noch ist
er dafür zuständig, sie vor Besuchern zu schützen. Wahrscheinlich hat auch
der steigende Umsatz nichts mit ihm als Pförtner zu tun. Allerdings besteht
die Möglichkeit, dass er der Firma doch genutzt haben könnte. Denn
vielleicht hat der steigende Umsatz wirklich etwas mit ihm zu tun, da er den
Angestellten den Rücken freigehalten hat und diese so mehr Arbeit erledigen
konnten. Der Pförtner leidet unter dem Unverständnis, was ihm seiner
Meinung nach entgegen gebracht wird. Seine Arbeit würde nicht bemerkt
werden und es würde auch nicht verstanden werden, dass er für seine
Tätigkeit Zeit brauche, die Besucher höflich wieder wegzuschicken. Die
Folge davon ist, dass die Menschenschlange vor seiner Pförtnerloge immer
länger wird. In der Firma beginnt man sich über seine Methoden, Besucher
zu behandeln, zu beklagen. Der Ich-Erzähler fühlt sich missverstanden:
Ich arbeite zu langsam, zu schwerfällig, zu wenig sachlich ... das
muß ich hören! So kurzsichtig sind all diese Vorwürfe und Klagen,
so wenig Kenntnis meines Berufs beweisen sie, daß ich mich
eigentlich gar nicht verteidigen kann. (KM 51)

Am Ende verliert er wahrscheinlich seinen Arbeitsplatz. Denn ein Mann, der


sich für die Stelle des Pförtners beworben hat, kommt fröhlich wieder aus der
Firma heraus.
Die Erzählperspektive ist die Außensicht, aber mit der Innensicht des
Erzählers: „Erst dachte ich, es handle sich bloß [...]“(KM 53). Vom Erzähler
erfahren wir, was er über die Situation und über sich und seine Aufgaben
denkt. Von den anderen Personen kennen wir nur die von ihm geschilderten
Reaktionen auf seine Arbeitsweise.
Die Erzählhaltung ist neutral. Die Ironie entsteht dadurch, dass der Pförtner
mit großer Überzeugung davon spricht, wie wichtig er für die leitenden
46

Persönlichkeiten in der Firma ist, also durch die komplette Fehleinschätzung


seiner Aufgaben. Der Leser weiß aber, dass er sich selbst zu wichtig nimmt
und auch diese leitenden Persönlichkeiten nicht richtig einschätzt. Dass der
Pförtner die Situation falsch einschätzt, zeigt eben das Ende der Geschichte,
denn er wird allem Anschein nach gekündigt und durch einen anderen
ersetzt.
Die Präsentationsweise ist der Bericht. Das Tempus wechselt zwischen
Präsens und Präteritum. Dass der Pförtner seine Arbeit verliert, ist eine
Vermutung und ein Ausblick auf die Zukunft. Er verbindet aber
wahrscheinlich richtig, dass seine Vorladung zum Personalchef und die
Bewerbung eines anderen für die Pförtnerstelle zusammenhängen.
Erzählt wird zeitdeckend. Der Erzähler berichtet davon, wie er seine Arbeit
ausgeübt hat und auch wieder verliert. Die Reihenfolge der narrativen
Aussagen ist chronologisch.

6. 3. Phantastische Elemente

Dieser Text enthält keine phantastischen Elemente. Der Autor lässt Ironie
entstehen durch den Erzähler, der sehr naiv und dümmlich ist. Außerdem
schätzt er seine Aufgaben als Pförtner falsch ein. Doch obwohl diese
Geschichte dem Realitätssystem R zugeordnet werde kann, ist sie doch
trotzdem unwahrscheinlich und skurril.

6. 4. Zusammenfassung

Die Klagen über die Methoden des Ich-Erzählers häufen sich, als dieser
durch das falsche Einschätzen seiner Aufgaben ein Chaos vor seiner
Pförtnerloge auslöst. Er fühlt sich missverstanden von seinen Vorgesetzten
47

und Mitmenschen, da die von ihm gemachte Arbeit nicht belohnt wird. Er
findet in seinem angeblich fehlenden Mut die Erklärung für seine mögliche
Kündigung.
Es konnten keine phantastischen Elemente identifiziert werden. Diese
Geschichte enthält Ironie, da der Autor einen naiven und dümmlichen
Erzähler einsetzt, um diese Situation der Arbeit zu beschreiben. Doch auch
hier wird satirisch erzählt. Der Betrieb und die Gesellschaft erfordern eine
„Räubernatur“ und Brutalität. Der zwar dümmliche, aber doch
unkonventionell-kluge Pförtner entlarvt indirekt die konventionellen
Betriebsangehörigen. Er ist unangepasst und erfüllt seine Pflichten in der
Firma entsprechend seiner Vorstellungen.
48

7. „Die Rückkehr eines Sammlers“

7. 1. Inhaltsangabe

Alexander Bonus, ein leidenschaftlicher Sammler von Vogelfedern, musste


seine Wohnung während des Krieges räumen. Als der Krieg vorbei ist und er
bemerkt, dass seine Sammlung immer mehr verkommt, beschließt er, darum
anzusuchen, wieder in seine Wohnung zurückkehren zu können. Es sei zum
Schutz der Sammlung, die er nach seinem Tod der „Städtischen Oberschule“
vererben wolle. Man gewährt ihm zwei der sechs Zimmer seiner alten
Wohnung, in der inzwischen zwei Familien mit sieben Kindern lebten. Bonus
zieht mit Freude wieder in seine Wohnung ein und nimmt mehrere Vitrinen
mit. Er reinigt sie und versucht, den Kindern die Sammlung näher zu bringen.
Diese nehmen bald darauf einige Vitrinen in ihre und die Zimmer ihrer Eltern
mit, was Bonus mit Freude beobachtet. So hat Bonus Platz, noch mehr
seiner Vitrinen herkommen zu lassen.
Die Zimmer werden immer voller und Bonus ist gezwungen, auf dem Flur zu
schlafen. Die Kinder bringen immer mehr der Holzvitrinen bei sich unter, zum
Leidwesen der Eltern, die Bonus sehr argwöhnisch betrachten und sich in
der entstehenden Enge immer weniger wohl fühlen. Als die städtischen
Zeitungen über diese Situation informiert werden, ergreifen sie für Bonus und
die Kultur Partei. Es sei eine Schande, den Sammler unter solchen
Bedingungen wohnen zu lassen und es zu zulassen, dass diese wertvolle
und wichtige Sammlung weiter verkomme. Die Eltern der Kinder nehmen mit
schlechtem Gewissen immer mehr Vitrinen zu sich, da sie bemerkt haben,
dass sie gegen ihre Kinder und die Öffentlichkeit nicht ankommen und weil
sie selbst an ihrer Einschätzung der Situation zweifeln. Eines Nachts packen
49

sie ihre Sachen und verlassen heimlich, fast beschämt die Wohnung. Sie
ziehen in Notunterkünfte und überlassen Alexander Bonus seine Wohnung.
Dieser beginnt noch in der selben Nacht seine Vitrinen auf die Zimmer
aufzuteilen.

7. 2. Erzähltheoretische Analyse

Diese Geschichte ist in der Er-Form erzählt, ein Gegensatz zu den


vorhergehenden fünf Geschichten. Erzählt wird von einer Person, die in der
selben Stadt zu wohnen scheint, denn es heißt, Bonus habe „in unserer
Stadt gelebt“ (RS 54). Das Erzählverhalten ist aber auch in dieser
Geschichte personal. Es wird erzählt aus der Optik des Junggesellen und
Sammlers Alexander Bonus. Dieser hatte als Junggeselle in der Stadt gelebt,
bis er „fast gewaltsam“ (RS 54) aufs Land gebracht worden ist und seitdem
dort eine kleine Dachkammer bewohnt. Nach dem Krieg bittet er immer
dringender, ihm seine alte Wohnung wieder zurückzugeben, doch er wird
vom Wohnungsausschuss lange vertröstet. Bonus wendet sich schließlich an
alte Stadträte, die er vor dem Krieg kannte und verspricht, seine
Vogelfedersammlung der Schule zu vermachen, würde er nur jetzt einen
Platz haben, um sie wieder ordentlich aufzustellen und sie nicht weiter
verkommen zu lassen. Seinem Drängen wird endlich nachgegeben und er
bekommt zwei Zimmer seiner alten Wohnung wieder zurück. Als er zur
Wohnung zurückkommt, versucht er die Sammlung bei den Kindern der zwei
Familien interessant zu machen. Die Eltern stehen ihm zunächst skeptisch
gegenüber:
Sie wußten noch nicht, was sie von diesem alten Mann mit dem
fleischigen Jünglingsgesicht und den milchweißen Haaren halten
sollten. Herr Bonus aber hatte sich sofort mit allen
bekanntgemacht, hatte sich zu jedem Kind extra hinabgebeugt –
und die zwei Familien hatten es immerhin zu sieben Kindern
gebracht –, und jetzt versprach er den Kindern sogar, er werde
50

den Kindern seine ganze Sammlung zeigen, wenn er sie nur erst
wieder ein bißchen hergerichtet habe. (RS 57)

Die Skepsis der Eltern ist auch angebracht, denn Bonus versucht von Beginn
an Unfrieden bei den Familien zu säen:

Bonus sah ihnen nach, und als er hörte, wie dort ein hastiges
Getuschel anhob, das sich oft bis zum lauten Stimmenstreit
steigerte, und als er hörte, daß es sein Name war, der diesen
Streit speiste, da lehnte er sich gegen eine mannshohe Vitrine,
rieb den Kopf liebkosend an der Holzkante, lächelte und überlegte,
[...]“. (RS 57)

Als Bonus einen Teil seiner Sammlung gereinigt hat, lässt er die Kinder der
Familien ein, um ihnen die Federn zu zeigen. Er fordert sie auf, Vitrinen als
Schmuck mitzunehmen. Die Kinder schleppen mit Begeisterung Vitrinen in
die Räumlichkeiten ihrer Eltern. Daraufhin bedanken sich die Eltern für diese
Ehre und entschuldigen sich für ihr Verhalten am ersten Tag. Sie hätten
Angst um ihre Zimmer gehabt. Eine Angst, die durchaus berechtigt ist, denn
der Leser erkennt, welches Ziel von Bonus verfolgt wird. Bonus lässt sich
weitere Teile seiner Sammlung bringen, und wieder dürfen die Kinder
Vitrinen mitnehmen. Diesmal zum Unmut der Eltern, die sich in ihren
Zimmern nun kaum mehr bewegen können. Inzwischen zeigen auch die
Stadt und ihre Zeitungen Interesse für Bonus und seine Sammlung. Sie titeln
mit „>>Keinen Platz für Kultur?<< und >>Zerfall der Werte!<<“ (RS 65). Sie
stehen auf der Seite von Alexander Bonus und seiner Sammlung und
empfinden es als schändlich, dass man ihm seine Räumlichkeiten nicht
gewährt. Bonus weiß, dass nun der Zeitpunkt gekommen ist, um seine ganze
Sammlung zurückzuholen. Auch die Familien beginnen, die zuletzt
verweigerten Vitrinen vom Flur wieder in ihre Zimmer zu räumen. Sie haben
ein schlechtes Gewissen, denn anscheinend haben sie kein Kulturgewissen.
In einer Nacht- und Nebel-Aktion verlassen die Familien das Haus und
überlassen es somit Bonus und seiner Sammlung, um „das Gewissen der
Öffentlichkeit nicht weiter zu beunruhigen“ (RS 67). Sie haben dem Druck der
51

Medien und Gesellschaft nachgegeben, die sie indirekt zu diesem Auszug


gezwungen haben. Bonus hat sich seine Wohnung wieder erschlichen, mit
Hilfe eines fragwürdigen Gewissens einer Gesellschaft, die kulturelle Werte
über soziale Werte stellt. Eine kleine und wahrscheinlich nicht sonderlich
wertvolle Sammlung ist wichtiger, als eine Behausung für zwei Familien mit
Kindern.
Die Erzählperspektive ist die Außensicht. Das Innere von Bonus kann durch
sein Verhalten charakterisiert werden, aber nicht durch eine Innensicht. Als
die Familien, die in seiner Wohnung lebten, sich eines Nachts heimlich aus
dem Haus schleichen, beobachtet er ihr Verschwinden scheinbar ohne
Mitgefühl. Denn er beginnt noch in der selben Nacht, seine Vitrinen mit den
Vogelfedern auf die nun wieder zurückgewonnenen Zimmer aufzuteilen.
Die Erzählhaltung ist neutral. Kritisch beäugt man nur als Leser die
beschriebene Gesellschaft, in der es anscheinend normal ist, dass zwei
Familien ihr Dach über dem Kopf verlieren, damit ein alter Junggeselle genug
Platz für seine eher wertlose Sammlung hat. Die Präsentationsweise ist der
Bericht. Es wird im Präteritum erzählt.
Der schleichende Einzug von Alexander Bonus in die Wohnung wird
zeitraffend erzählt. Die Reihenfolge der narrativen Aussagen ist
chronologisch.

7. 3. Phantastische Elemente

In dieser Geschichte finden sich keine phantastischen Elemente. Die blinde


Förderung der Kunst, die über dem sozialen Wohl der Gesellschaft zu stehen
scheint, wird mit einem satirischen Blick betrachtet. Auch die Zeitungen
ergreifen für die Kultur und nicht die sozialen Werte Partei. Der Leser weiß
um die Lächerlichkeit ihres Verhaltens, denn die Sammlung von Bonus
scheint zum größten Teil nur mehr aus Hühnerfedern zu bestehen.
52

Satirisch ist auch, dass die Politiker sich zur Umstimmung bewegen lassen,
als Bonus ihnen seine mehr oder weniger wertlose Sammlung als Erbe
verspricht. Es geht auch hervor, dass die Entscheidung von alten Politikern
getroffen wird, die Bonus noch kennen und nicht von jüngeren, vor denen
„die älteren Stadträte“ (RS 55) die Briefe „gegen das Lächeln [...] verteidigen“
(RS 55) müssen.
Diese Geschichte spricht für die Unwissenheit und die oftmals
Undurchsichtigkeit politischer Kulturförderung, mit der sich oft Menschen
rühmen, die keine Ahnung davon haben. Heute kann sie aber auch die Frage
nach Kulturförderung im Allgemeinen stellen, denn diese ist immer wieder ein
Streitthema. Soll man die Kunst und Kultur fördern, wenn Geld für soziale
Sicherung gebraucht wird?

7. 4. Zusammenfassung

Diese Geschichte weicht von den anderen ab, da anstatt eines Ich-Erzählers
ein Er-Erzähler eingesetzt wird. Wichtig ist in ihr vor allem die Kritik an der
blinden Kulturförderung, die über sozialen Werten zu stehen scheint. Frühere
Rezensenten sahen darin vor allem die Kritik an der Kulturförderung in der
BRD, doch das Thema hat nicht an Aktualität verloren.
Es sind keine phantastischen Elemente enthalten und die Geschichte über
Alexander Bonus befindet sich durchwegs im Realitätssystem R.
53

8. „Was wären wir ohne Belmonte“

8. 1. Inhaltsangabe

Belmonte hat eine Agentur, mit der er versucht, Pianisten zu betreuen. Er


verspricht ihnen Ruhm und Kassenerfolge. Der Ich-Erzähler geht jahrelang
jede Woche zu ihm, um nach Erfolgen zu fragen. Doch nie kommt es zu
einem Konzert. Eines Tages aber hat Belmonte gute Neuigkeiten. Es soll ein
Konzert geben. Der Erzähler bereitet sich darauf vor, ist nervös und erscheint
am Tag des Konzertes sehr früh im Saal. Nach und nach kommen immer
mehr Männer. Als der Saal voll ist, tritt Belmonte vor den Vorhang und spricht
zu ihnen. Er habe nur Musikliebhaber eingeladen und diese sollen nun
entscheiden, wen sie hören wollen. Die Pianisten bittet er auf die Bühne. Die
Männer strömen auf die Bühne, bis der Zuschauerraum leer ist. Belmonte
versteht und bricht zusammen. Längere Zeit hört der Erzähler nichts mehr
von Belmonte. Doch dann ruft dieser an und bittet ihn in das Hotel, in dem er
jetzt arbeitet. Er stellt ihn ein. Dem Pianisten fällt auf, dass unter den anderen
Mitarbeitern im Hotel sehr viele andere der Pianisten sind. Sie sind dankbar,
denn Belmonte hat sie gerettet. Dir Pianisten werden immer unterwürfiger
und verändern sich mehr in eine eigene Hunderasse. Belmonte kommt mit
einem großen Plan zu ihnen. Nun weiß er, worauf die Menschen gewartet
haben. Hunde, die großartige Musik interpretieren. Die Hunde träumen von
ihrem Erfolg und wissen nicht, was sie ohne Belmonte wären.
54

8. 2. Erzähltheoretische Analyse

Die Erzählform in dieser Geschichte ist erneut die Ich-Form. „Eine Zeitlang
war ich versucht, auf Herrn Belmonte zu schimpfen“ (B 69), heißt es im
ersten Satz. Das Erzählverhalten ist personal. Erzählt wird aus der Optik
eines erfolglosen Pianisten. Der junge Pianist hofft auf den Durchbruch mit
Hilfe des Agenten Belmonte. Dieser empfängt ihn immer mit der gleichen,
niedergeschlagenen Haltung. Allein durch die immer gleiche Geste, die den
Pianisten erwartet, wenn er Belmontes Büro betritt, weiß er, dass es keine
Fortschritte gegeben hat, „Worte waren nicht nötig“ (B 70). Am Anfang
träumen sie noch von bevorstehenden Erfolgen und ersinnen
Marketingstrategien, aber irgendwann „wurde es uns beiden peinlich, dieses
Thema zu berühren“ (B 70). Der Kassenerfolg bleibt aus, doch der Ich-
Erzähler macht nicht seinen Agenten dafür verantwortlich. Ganz im Gegenteil
scheint er sich dafür zu schämen, dass ihm Belmonte keine besseren
Nachrichten übermitteln kann:
Aus dieser Verbeugung drehte ich mich um, ohne den Kopf noch
einmal zu heben; ich wollte es ihm und mir nicht dadurch schwerer
machen, daß ich ihm in die Augen schaute. (B 71)

Der Pianist versucht ihn sogar mit kurzen Besuchen zu schonen, damit der
„von zahllosen Papieren geplagte[n] Belmonte“ (B 71) seine Ruhe hat. Als
der Pianist endlich die freudige Nachricht eines Konzerttermins erhält, spielt
er schon „jämmerlich schlecht“ (B 72). Er fühlt sich in seinem Vertrauen zu
Belmonte bestätigt und denkt, dass dieser zu viel getan habe, als sehr viele
Menschen schon Stunden vor dem Konzert im Saal sind. Als der Versuch
des Konzertes fehlschlägt, weil alle Anwesenden Pianisten sind, bricht
Belmonte zusammen. Doch selbst in diesem Moment kümmern sich die
Pianisten noch rührend um ihren Agenten. Nach - für den Ich-Erzähler -
schweren Wochen ohne Belmonte, erreicht ihn ein Brief. Belmonte will ihm
Arbeit in dem Hotel, in dem auch er arbeitet, verschaffen. Auch die anderen
Pianisten finden dort Arbeit und alle sind Belmonte dankbar. „Belmonte hat
55

uns alle gerettet“ (B 79), verkünden sie voller Freude. Diese Dankbarkeit aller
ist ein Zeichen dafür, dass sie keinen starken Charakter besitzen oder
vielleicht durch die Jahre des Wartens gleichgültiger geworden sind. Er
vertraut Belmonte blind, denn er glaubt bis zum Ende, dass er ihnen allen
helfen wird, auf Konzerten zu spielen.
Die Erzählperspektive ist die Außensicht. Mit dem Ich-Erzähler teilen wir aber
auch die Innensicht. Verben wie „spüren“ und „denken“ geben darüber
Auskunft. „Mein Puls sprengte mir schier die Haut, als ich daran dachte“ (B
73). Die Erzählhaltung ist neutral. Das Befremden, das man beim Lesen
empfindet, kommt durch die Normalität zu Stande, mit der über den Vergleich
des Ich-Erzählers mit einer Art neuer Hunderasse berichtet wird. Auch, dass
der Erzähler nicht erkennt, dass Belmonte nichts für ihn und die anderen
getan hat und sie ihn sogar noch verehren und als ihren Retter bezeichnen,
ist befremdlich. Sie werden in ihren Aufgaben im Hotel immer mehr untertan
und verlieren ihre Individualität. Sie sind aber glücklich mit dem Leben in der
Masse, in der alle gleich sind. „Wir sind so ununterscheidbar geworden,
haben auch alle trennenden Namen Gott sei Dank abgeworfen, daß wir alles
gemeinsam genießen und ertragen“ (B 82). Die Ironie, die auch mit dem Satz
„was wären wir ohne Belmonte...?“ (B 85) entsteht, kommt nicht vom Ich-
Erzähler, sondern vom Autor. Trotz der nicht gehaltenen Versprechen
glauben die Pianisten immer noch daran, dass sie ohne Belmonte ein
schlechteres Leben hätten.
Für die Zukunft träumen sie von Konzerten, die ihnen Weltruhm verschaffen
werden. Denn sie werden als erste Hunderasse auftreten, die so virtuos
Klavier spielen kann. Belmonte verspricht ihnen, zu gegebener Zeit seine
Agentur wieder zu eröffnen. Von Belmonte sind sie immer noch überzeugt
und sie folgen ihm ohne zu hinterfragen. „Wir wissen ja: Belmonte wird uns
früher oder später – er wird schon den rechten Zeitpunkt wählen – in die
Konzertsäle führen“ (B 84).
56

Die Präsentationsweise ist der Bericht. Über die Zeit des personalen
Erzählers als erfolgloser Pianist wird im Präteritum berichtet. Im Präsens wird
berichtet über die Zeit, in der er im Hotel als Bediensteter angestellt ist.
Erzählt wird zeitraffend, denn es werden lange Jahre des Wartens auf ein
Konzert geschildert. Ein Wunschtraum für die Zukunft steht am Ende, als der
Pianist sich als klavierspielender Hund in den großen Konzerthäusern der
Welt sieht. Dieser Traum steht im Futur. Die Reihenfolge der narrativen
Aussagen ist chronologisch.

8. 3. Phantastische Elemente

„Ich vermute, daß ich mich in den Lampenschirm legte zu den toten
Stubenfliegen. Dorrte. Starrte. Bewegungslos“ (B 78). So beschreibt der Ich-
Erzähler seinen Zustand, als Belmonte für einige Zeit aus seinem Leben
verschwindet. An dieser Stelle muss es sich nicht unbedingt um ein
phantastisches Element handeln, sondern kann ein sehr bildhafter Vergleich
sein, um das Befinden des Erzählers deutlich zu machen. Der Ich-Erzähler
sagt, dass er keine Erinnerung über diese Zeit besitze, so bleibt es nur eine
Vermutung über das, was geschehen ist. Der Leser weiß nicht, ob er dem
Ich-Erzähler trauen kann und kann deshalb seine Aussagen nicht
einschätzen. Er fühlt sich außerdem niedergeschlagen, „zertreten“ (B 78),
und hofft darauf, von einer Putzfrau aufgewischt und beerdigt zu werden.
Worte, um zu zeigen, dass er sich elend und schrecklich gefühlt hat, als er
keinen Kontakt zu Belmonte hatte.
Ein weiterer bildhafter Vergleich oder möglicherweise ein phantastisches
Element ist das Zertrampeln von Belmontes Sekretärinnen. Sie werden
regelmäßig von Belmontes Schützlingen überrannt, wenn sie bei ihren
wöchentlichen Besuchen mit ihm sprechen wollen. Die Sekretärinnen
versuchen ihre Arbeit zu machen und die Pianisten von Belmonte
fernzuhalten, da es in keiner Woche positive Nachrichten für sie gibt. Doch
57

die Pianisten setzen sich über sie hinweg, um in das Büro von Belmonte
vorzudringen. Sie zertrampeln die Vorzimmerdamen regelrecht in ihrer
Hoffnung, dass Belmonte nun endlich die erlösende Nachricht für sie habe.
Auch hier weiß der Leser nicht, ob der Erzähler glaubhaft ist. Was für sein
Vertrauen spricht, ist die Aussage Belmontes, der sich beklagt, dass ihm
immer wieder seine Sekretärinnen zertrampelt werden.
Die Geschichte schlägt deutlicher ins Phantastische um, als die Pianisten
eine Anstellung bei Belmontes neuem Arbeitsplatz, dem Hotel, bekommen.
Die Pianisten werden als Portiers und Taschenträger angestellt und erfüllen
mit großer Dankbarkeit und Ernsthaftigkeit ihre Aufgaben. Auch die Gäste
sind mit ihnen außerordentlich zufrieden. Der Ich-Erzähler denkt, dass die
Gäste vermuten, dass sie ihre „federleichten Bewegungen einer besonderen
Aufzucht verdanken“ (B 80) und sie „gar für eine kluge Hunderasse“ (B 80)
halten. In weiterer Folge werden Adjektive verwendet um die bediensteten
Pianisten zu beschreiben, die auf Hunde statt auf Menschen zutreffen. Sie
sprechen nicht zu Belmonte, sondern sie kläffen dankbar zu ihm hinauf. Sie
„wedeln“ (B 80) mit den Ohren und schnappen mit Maul und Händen nach
Zuckerwerk. Sie winseln und der Direktor „knurrt“ (B 81) zu ihnen herab. Die
Pianisten werden immer demütiger und unterwürfiger. Bis sie schließlich
auch optisch ununterscheidbar werden und selbst ihre Namen ablegen. Doch
manchmal haben sie Momente, in denen ihre Finger wahnsinnig werden und
sie wie wild beginnen herumzutrommeln. Sie können ihre Herkunft als
Pianisten nicht verleugnen. Auch Belmonte spricht von ihnen nur noch als
besondere und einzigartige Hunderasse, mit denen er in Zukunft Großes
vorhat. Denn sie werden die einzigen ihrer Art sein, die Klavier spielen
werden, in großen Konzerthäusern vor einem Millionenpublikum. Belmonte
zeichnet eine Vision. Denn er weiß, was das Publikum sehen möchte, und
das sind Hunde an den Klavieren.
58

Sind die Pianisten also so unterwürfig geworden, dass sie sich wirklich in
Hunde verwandelt haben? Oder ist es ein satirischer Blick auf Menschen, die
blind folgen und sich demütigen lassen in der Hoffnung, dass das, was ihnen
versprochen wird, eintritt?
Wie schon in der Einleitung erwähnt, teilt Freund die phantastische Literatur
in Kategorien ein. Eine dieser Kategorie nennt sich bei ihm „verlorene
Identitäten“50, nach welcher der Mensch dagegen ankämpft, in einer sozial
kalten Welt seine Identität zu verlieren und zu einer Nummer zu verkümmern.
Bei dieser Geschichte Walsers passiert genau das. Die Pianisten
verkümmern zu einer namenlosen Gestalt und verlieren die ihnen eigene
Identität. Sie werden Hunde und gleichen einer dem anderen, glauben aber
immer noch daran, dass sich ihre Wünsche erfüllen. Freund sagt
Die Masse aber verharrt in ihren Sehnsüchten nach dem
Mystischen und Irrationalen, weiterhin befangen in ihrem
phantastisch verstellten Bewußtsein und verführbar durch
Scheinbefriedigungen und fiktiven Kompensationen ihrer
enttäuschten Erwartungen und unerfüllten Wünsche.51

Die Pianisten haben sich nichts mehr gewünscht, als in Konzerthäusern


spielen zu können. Sie haben sich Belmonte anvertraut, um sich von ihm
ihren Wunsch erfüllen zu lassen. Dieser wird enttäuscht bei dem einzigen
Versuch eines Konzertes für die Freunde der Musik, bei dem nur Pianisten
kommen und kein einziger Zuhörer. Trotzdem legen sie ihr Schicksal weiter
in seine Hände, vertrauen ihm, glauben der phantastischen Vision von ihnen
als Hunderasse, welche die Konzerthäuser füllen wird. Sie lassen sich
scheinbefriedigen von Belmontes Worten und Versprechungen, sie doch
noch berühmt zu machen, und verlieren darüber ihre eigene Identität. Eine
Identität, die sie für den versprochenen Erfolg sehr bereitwillig aufgeben, weil
sie anscheinend nicht sehr an ihr hängen. Belmonte ist ihre Leitfigur, der sie
folgen und der sie angehören.

50
Freund, Deutsche Phantastik, S. 188.
51
Freund, Deutsche Phantastik, S. 189.
59

Nach Durst kann man diese Elemente weder eindeutig dem Realitätssystem
R noch W zuordnen, denn in keinem dieser beiden Systeme würden sie sich
erklärend auflösen. Demnach sind sie dem Phantastischen zuzuordnen. Die
Geschichte beginnt in R und schlägt erst an späterer Stelle um. Aber da sie
nicht eindeutig in W auflösen lässt, entspricht sie dem Nichtsystem N. Ob die
Pianisten letztendlich wirklich einer Hunderasse gleichen, weiß man nicht,
denn man kann auch hier dem Erzähler nicht trauen. Man weiß nicht, ob er
hier bildhafte Vergleiche nutzt, um deutlich zu machen, welche
Veränderungen sie durchleben, oder ob seine Wahrnehmung der fiktiven
Realität entspricht. Das macht es unmöglich die Geschichte W oder R
zuzuordnen. Wenn die Pianisten eindeutig zu Hunden werden würden, und
diese Verwandlung als „normal“ akzeptiert werden würde, dann wäre die
Geschichte W zuzuordnen.

8. 4. Zusammenfassung

Der als Pianist erfolglose Ich-Erzähler befolgt sehr demütig die Anweisungen
und Ratschläge seines Agenten und dann Vorgesetzten Belmonte. Die
Visionen des unglaubwürdigen Agenten, der von Pianisten als eigene
Hunderasse träumt, die die Konzerthäuser dieser Welt zu füllen vermögen,
geben dem Ich-Erzähler Hoffnung.
Die phantastischen Elemente, die in dieser Geschichte enthalten sind,
verbergen die Kritik an einer Gesellschaft, die aus verlorenen Identitäten
besteht. Diese Menschen, die ihre Identität verloren haben, folgen in ihrer
blinden Hoffnung einer Person und geben sich selbst völlig auf.
Die Geschichte ist nicht eindeutig einem Realitätssystem zuzuordnen. Sie
beinhaltet phantastische Elemente und ist aber auch stark satirisch.
Eingebildete Künstler, die zu Massenmenschen werden und ihre Autonomie
60

aufgeben, werden satirisch dargestellt. Sie werden „hündisch“, womit gezeigt


wird, dass sie abgerichtet wurden und ihren eigenen Willen verloren haben.
61

9. „Templones Ende“

9. 1. Inhaltsangabe

Herr Templone ist ein alter Mann und lebt mit seiner Tochter Klara, 38, in
dem Villenviertel Bernau. Er hatte vor dem Krieg diesen Besitz erworben und
hatte dort sehr gut gelebt. Nach dem Krieg aber wechselten viele Villen den
Besitzer. Templone ist über diesen Umstand nicht sehr erfreut und misstraut
den neuen Besitzern, denn vielleicht seien sie ja Mitglieder einer Sekte. Er
versucht die letzten alten Besitzer zu mobilisieren und zu überreden, nicht zu
verkaufen. Templone bleibt aber ohne Erfolg.
Er und seine Tochter Klara führen seit Jahren ein einsames und
zurückgezogenes Leben, in dem jeder seinen eigenen merkwürdigen
Beschäftigungen im Haus nachgeht. Durch ihre neuen Nachbarn verbringen
sie nun aber mehr Zeit miteinander. Sie bauen im Haus Fernrohre auf,
bestücken die Mauern mit Glasscherben und beginnen laut Klavier zu
spielen. Es zieht auch ein alter Priamus mit seiner Haushälterin als
Untermieter zu ihnen. Auch er wurde Opfer des Villenausverkaufs. Templone
lädt außerdem alte Freunde ein und animiert sie zu lautem Musizieren und
Alkoholgenuss. Als seine Tochter Klara eine Affäre mit dem Priamus beginnt
und diese sich immer unanständiger benehmen, ist ihm das peinlich und
auch die Freunde bleiben aus. Von nun an dringen nur noch unanständige
Geräusche aus den Räumlichkeiten der beiden. Um weiterhin rauschende
Feste simulieren zu können, kauft Templone Geräuschplatten. Doch eines
Tages, in der Bibliothek, fällt ihm ein Buch in den Nacken. Er geht zu Boden
und landet auf dem staubigen und dreckigen Teppich. Templones Mund ist
offen und irgendwann bleibt er stumm und regungslos liegen. Der Gasmann
62

findet ihn und holt die Nachbarschaft hinzu. Sie bedauern den Unfall, obwohl
der alte Mann sie nie zurückgegrüßt hatte.

9. 2. Erzähltheoretische Analyse

Die Erzählform dieser Geschichte ist ein zweites Mal die Er-Form. „Herr
Templone war nicht der Mann, der ...“ (TE 86). Das Erzählverhalten ist
personal. Erzählt wird aus der Optik des alten Mannes Templone, der es sich
zum Ziel gesetzt hat, seine Villa gegen die Immobilienmakler und neuen
Nachbarn zu verteidigen. Den neuen Nachbarn steht Templone äußerst
skeptisch gegenüber. Schließlich haben in der Villengegend jahrelang die
gleichen Menschen gelebt. Nun fühlt er sich verfolgt:
Und glichen sie einander nicht, als wären sie alle untereinander
verwandt? Oder gehörten sie gar einer Sekte an, einer Sekte, die
den Plan gefaßt hatte, ganz Bernau für ihre Mitglieder zu erobern?
(TE 87)

Templone fühlt sich verfolgt und beobachtet, je einsamer er wird, immer


intensiver seine Nachbarn. Er beschließt, sich, seine Tochter und seinen
Besitz zu verteidigen. Dieser Versuch steigert sich in einen Wahn mit
merkwürdigen Ausmaßen:
Abwechselnd hielten sie nun Wache, rannten von Fernrohr zu
Fernrohr, um die Gewohnheiten und Geheimnisse ihrer neuen
Nachbarn kennenzulernen, um gewappnet zu sein gegen alle
Überraschungen, die sich jenseits ihrer Gartenmauern vorbereiten
konnten. (TE 94)

Auch Templone steht in seinem Kampf einer anderen Gruppe, der er sich
nicht ergeben will, gegenüber. Die Nachbarn sind es, die er bekämpfen
muss, denen er alleine die Stirn bieten will. Denn auch seine Tochter Klara
und Professor Priamus, der Untermieter, unterstützen ihn nicht mehr, als sie
eine Affäre beginnen:
63

Es kam so weit, daß Klara und der Professor gar nicht mehr zu
den Sitzungen erschienen, sie sperrten die Haushälterin aus,
empfahlen ihr, sie möge in Zukunft den Haushalt Templones
besorgen, Klara werde für immer bei Professor Priamus bleiben.
Als Templone selbst an der Tür klopfte, dann rüttelte und pochte
und schlug, antworteten sie ihm von drinnen mit den
unanständigsten Lauten. (TE 99)

Templone will schon fast resignieren, aber rafft sich noch einmal auf und
kauft Geräuschschallplatten, die er dann pausenlos bei offenem Fenster
laufen lässt. Doch er wird Opfer eines Unfalls, als ihm das Buch in den
Nacken fällt und er stirbt. Es stellt sich heraus, dass die Nachbarn nicht seine
Gegner waren, sondern Templone sich verfolgt gefühlt hatte. Sie kommen,
als der Gasmann Templone tot findet.
Die besahen sich alles und sorgten für die Beerdigung des alten
Herrn, der zwischen ihnen gelebt hatte, unverständlich wie ein
Stein. Aber sie trugen es ihm nicht nach, daß er nie gegrüßt hatte,
wenn man ihm begegnet war. (TE 103)

Templone hat sich seiner eingebildeten Gegenwelt durch den Tod entzogen.
Er hat sich in seinem Verhalten immer mehr seinem Wahn hingegeben und
sich auch eingebildet von einem Immobilienmakler verfolgt zu werden. Das
Verhalten Templones entspricht dem vieler alter Menschen, die im
fortgeschrittenen Alter zunehmend merkwürdiger werden. Als Leser verfolgt
man mitleidig sein Verhalten, dass dem eines verrückten alten Mannes
entspricht.
Die Erzählperspektive ist die Außensicht. Von Templone erfährt man aber
auch, was er denkt und fühlt. Man erfährt von seinen Träumen, in denen der
Makler erscheint und Templone sein Haus abkaufen möchte.
Die Erzählhaltung ist neutral. Das Tragische entsteht, als man am Ende
erfährt, dass die Nachbarn freundlich waren und ihn grüßten, Templone
ihnen aber mit keinem Wort geantwortet hatte. Komisch ist es, als geschildert
wird, auf welche Art er seine Villa zu verteidigen versucht. Diese Komik
kommt aber vom Autor beziehungsweise entsteht beim Leser, der ahnt, dass
64

der alte Mann sich nur einbildet, verfolgt zu werden. Dadurch, dass er sein
Vermögen selbst durch Grundstücksspekulationen erworben hat, wird er
paranoid. Er fühlt sich verfolgt und hat Angst, dass man ihm seinen Besitz
nehmen könnte. Denn er weiß, wie dieses Geschäft läuft und gerät in Panik.
Denn ihm könnte widerfahren, was er früher wahrscheinlich selbst in diesem
Beruf mit anderen gemacht hat.
Die Präsentationsweise ist der Bericht. Erzählt wird im Präteritum und
zeitraffend. Die Reihenfolge der narrativen Aussagen ist chronologisch.

9. 3. Phantastische Elemente

In „Templones Ende“ sind keine phantastischen Elemente enthalten. Diese


Geschichte entspricht nach Durst durchgehend dem Realitätssystem R, denn
das Verhalten des alten Templone kann in R erklärt werden.
Als Leser verfolgt man schmunzelnd, wie ein alter Mann immer stärker unter
seinem Verfolgungswahn leidet.
Der Er-Erzähler löst am Ende die Unklarheiten auf, als er davon berichtet,
dass die Nachbarn, die von Templone als Sektenmitglieder verteufelt
werden, ihn freundlich behandelt haben. An dieser Stelle entstehen die
Tragik und das Mitleid mit dem alten Templone. Er fühlte sich durch seine
neuen Nachbarn bedroht, obwohl von ihnen keine wirkliche Bedrohung
ausging. Der alte Mann kann in Wahrheit den Anforderungen der Zeit nicht
begegnen. Die Situation nach dem Krieg verunsichert ihn, denn er verspürt
eine schleichende Veränderung seiner Lebensumstände. Er droht alles zu
verlieren, worüber er seinen Selbstwert und seine Sicherheit definiert hat.
Templone fühlt sich in dieser neuen Welt nicht wohl, in der es für viele
möglich geworden ist, ein Haus wie seines, zu erwerben. Denn er definiert
sich über seinen Besitz, der plötzlich an großen Wert verliert, weil er nun für
viele Menschen zugänglich geworden ist.
65

9. 4. Zusammenfassung

Der Er-Erzähler dieser Geschichte ist der alte Templone, der sich von seinen
neuen Nachbarn im Villenviertel und einen imaginären Immobilienmakler
verfolgt fühlt. Er leidet unter dem Zuzug der Neureichen und versucht sie
auszuspionieren und zu bekämpfen. Als er von einem Buch erschlagen wird,
erfährt der Leser, dass sich die Nachbarn wohl über den seltsamen
Templone gewundert haben.
Diese Geschichte enthält keine phantastischen Elemente. Sie bleibt in einem
Realitätssystem verhaftet. Pezold sieht in dieser Geschichte die
Auseinandersetzung Walsers mit dem Wirtschaftswunder der 1950er Jahre.
66

10. „Die letzte Matinee“

10. 1. Inhaltsangabe

Der Kassenbuchhalter und Ich-Erzähler besucht mit seiner Frau Inga eine
Matinee. Inga besucht diese Filmvorstellungen mit großer Begeisterung, eine
Euphorie, die ihr Mann aber nicht mit ihr teilt. Als sie nach der Filmvorstellung
nach Hause kommen, ist ihre Wohnung von anderen Leuten besetzt worden.
Die Besetzer sind Rothäute mit blauschwarzen Haaren, Kinderbuchindianern
gleich. Der Erzähler und seine Frau Inga erkennen, dass ihnen nichts
anderes übrig bleibt, als wieder zu gehen.
Auf der Straße treffen sie wieder auf andere Matineebesucher, deren
Wohnung ebenfalls von Fremdvolk besetzt worden ist. Sie erzählen von
grünhäutigen Muskelmenschen oder Riesenstubenfliegen. Gemeinsam
marschieren sie die Straßen entlang und Inga diskutiert mit ihnen über den
Film. Der Ich-Erzähler beteiligt sich nicht an der Diskussion, sondern
versucht Auskunft darüber zu erhalten, was hier vor sich geht. Die Polizei
drängt die debattierende Masse immer weiter in eine bestimmte Richtung.
Man hält die Kinofreunde möglicherweise für eine Sekte. Schließlich werden
die Matineebesucher in einer Güterhalle eingeschlossen. Der Erzähler
entkommt rechtzeitig, versucht auch noch Inga wieder mit hinauszuziehen,
aber erfolglos. Er gerät in ein Verhör mit der Polizei. Die Polizisten lassen ihn
gehen, weil sie erkennen, dass er nicht zu den Matineebesuchern gehört.
Der Erzähler versucht herauszufinden, was die Menschen in seiner Wohnung
wollen, und wartet darauf, dass er irgendwann von den Matineebesuchern
und seiner Frau hört. Doch er erfährt nichts. Er beschließt zu der Güterhalle
zurückzukehren, um nach ihnen zu sehen. Er findet heraus, dass sie mit ihrer
67

Situation glücklich sind, in ihren Diskussionsgruppen arbeiten und jeden


Sonntag einen Film in der Halle sehen können. Sie beschweren sich nicht
über ihre Situation.

10. 2. Erzähltheoretische Analyse

Bei der Erzählform handelt es sich um die Ich-Form, das ist gleich zu Beginn
erkennbar: „Ich tastete mich am Arm meiner Frau ins Freie, [...]“(M 104).
Das Erzählverhalten ist personal, es wird aus der Optik des
Kassenbuchhalters erzählt. Der Kassenbuchhalter steht einer Welt, der auch
seine Frau Inga angehört, gegenüber. Die Gegenwelt sind die
Matineebesucher, die er als Intellektuelle ansieht. Sie unterscheiden sich von
dem Kassenbuchhalter durch ihre Art zu sprechen und durch ihr Aussehen.
Der Kassenbuchalter beschreibt sie so:
[...] selbst gemacht, so sahen überhaupt alle diese Kostüme aus,
wie auch zum Beispiel die Frisuren der männlichen
Matineebesucher durchweg verrieten, daß sich jeder zu Hause
hingesetzt, in die Linke einen Handspiegel genommen hatte, die
Haare bis auf einen winzigen in sich nicht mehr gestuften Rest
abzuschneiden. Ich selbst war in dieser Hinsicht immer in
Halbheiten steckengeblieben. (M 114)

Der Kassenbuchhalter wagt es nicht, sich so zu kleiden und zu frisieren. Auf


Grund seiner Arbeit muss er unter der Woche auf ein „gesundes Aussehen“
(M 114) Wert legen. Der Ich-Erzähler fühlt sich unter den Matineebesuchern
nicht wohl und wird auch von seiner Frau für seine mangelnde
Diskussionsbereitschaft kritisiert. „Den Heimweg pflasterte sie – wie immer –
mit Vorwürfen über meine Art, Diskussionen zu bestehen.“ (M 106) Der Ich-
Erzähler beteiligt sich weder mit Wortmeldungen, noch hört er zu. Als der
Kassenbuchhalter und Inga nach der Matinee in ihrer Wohnung ankommen,
finden sie diese besetzt von Kinderbuchindianern vor. Sie treten wieder auf
die Straße und treffen auf andere Matineebesucher. Auch ihre Wohnungen
68

sind besetzt. Sie gehen gemeinsam durch die Straßen und werden von
Polizisten in eine bestimmte Richtung gelenkt. Der Ich-Erzähler macht sich
Gedanken, was Passanten von ihnen halten könnten:
Sicher hielt man uns für eine politische Partei oder, was noch
leichter zu vermuten war, für eine Sekte; mußte es doch jedem
auffallen, daß Kleidung und Haartracht aller Matineebesucher in
einem einzigen Stil gehalten waren. (M 113)

Es scheint also so, als wären sie uniformiert. Nicht nur in dieser Geschichte
wird die gegenüberstehende Welt als Sekte vermutet. Auch Templone
vermutet hinter seinen neuen Nachbarn eine Sekte. Er entzieht sich, wie in
Kapitel 9. 2. beschrieben, durch seinen Tod. In „Ich suchte eine Frau“ ist der
Ich-Erzähler ebenfalls unsicher, mit welcher Gruppe er es zu tun hat. Auch er
denkt an eine Sekte. Tritt dieser Gruppe aber bei. Der Kassenbuchhalter
entzieht sich der vermeintlichen Sekte. Als die Matineebesucher von den
Polizisten in eine Güterhalle gelotst werden, kann er entkommen. Im letzten
Moment gelangt er durch die Tür ins Freie. Seine Frau bleibt bei den
Matineebesuchern.
Die Erzählperspektive ist die Außensicht, vom Erzähler bekommen wir auch
die Innensicht, Verben wie „spüren“ oder „denken“ geben darüber Auskunft.
„Das würde ihnen, dachte ich, nicht viel helfen.“ (M 110)
Die Erzählhaltung ist neutral. Ironie und Sarkasmus kommen vom Autor und
nicht vom Ich-Erzähler. Der Kassenbuchhalter ist naiv, dümmlich und
kindlich. Man erkennt das unter anderem an seiner Schlussfolgerung „Wären
wir nicht in die Matinee gegangen, folgerte ich, wären wir noch
unangefochtene Herren unserer Wohnung.“ (M 109) Eine Schlussfolgerung,
die darauf beruht, dass die anderen Bewohner des Hauses, die zum
„stumpfen Abendpublikum“ (M 109) zählen, noch Herren ihrer Wohnungen
sind. Dümmlich und kindlich sind auch seine späteren Überlegungen, warum
die Wohnungen besetzt worden sind:
Anfangs habe ich ja diese Beschlagnahme für eine Aktion
irgendeiner Besatzungsmacht gehalten, ausgeführt in geheimem
Einverständnis mit unseren eigenen Behörden. Eine Zeitlang hatte
69

ich dann geglaubt, es handle sich um besonders sorglose


Zirkusleute, kindhafte Artistengemüter, die nach ihrem Gastspiel
die Stadt, also auch die Wohnungen wieder verlassen würden. (M
116)

Auch seine Haltung gegenüber den Matineefreunden lässt ihn naiv


erscheinen. Er spricht davon, dass er ihnen „mit wortloser Verehrung zu
begegnen pflegte“ (M 105), als seien sie Intellektuelle, die Unterhaltungen
pflegen, denen er als einfacher Mensch nicht folgen kann. Dabei kann der
Leser die Matineebesucher sehr leicht als Pseudointellektuelle entlarven, die
sich für nichts anderes zu interessieren scheinen als für die abgedroschene
Pointe des französischen „film noir“. Die Verehrung des Kassenbuchhalters
ist also wirklich naiv und dümmlich. Auch die Kritik, die an manchen Stellen
ironisch mitschwingt, kommt vom Autor:
[D]ie Woche über waren die Beamten selbst zur Stelle, konnten
allen Bedürftigen raten und helfen. Wollten sie aber einen
ungestörten Sonntag haben, so mußten für alle Fälle Quartiere
vorbereitet werden; (M 118)

Der Erzähler erklärt sich so, dass ausgerechnet seine Wohnung besetzt
worden ist. Damit die Beamten ungestört ihren verdienten Sonntag genießen
können, werden die am Sonntag freien Wohnungen der Matineebesucher
genutzt. Der Autor kritisiert damit aber augenzwinkernd die Arbeitsmoral der
Beamten, die sich einen leichten Ausweg aus ihrem Problem gemacht haben
könnten, um ihren Sonntag auch wirklich als freien Tag verbringen zu
können.
Der Autor lässt die Figur im neutralen Modus erzählen. Das schafft die Ironie.
Mit Hilfe dieses kindlichen Erzählers kommen Komik und Satire zu Stande.
Denn als der Erzähler seine Wohnung besetzt auffindet, gibt er sich mit
Details ab. Er denkt darüber nach, ob die Besetzer elektrische Kocher oder
Spirituskocher verwenden, „denn so viele Anschlüsse wie hier Kocher
aufgestellt waren, gab es gar nicht in unserer Wohnung!“ (M 108)
70

Die Präsentationsweise ist der Bericht. Es wird in der Ich-Form berichtet, was
sich ereignet hat. Beim Zeitgerüst kann man von zeitraffendem Erzählen
sprechen, die Reihenfolge der narrativen Aussagen ist chronologisch. Es gibt
zwei Vorausdeutungen. Eine ist der Titel „Die letzte Matinee“ und die andere
ist „Auch an dem Sonntag unserer letzten gemeinsamen Matinee [...]“ (M
105). Man weiß als Leser, dass sich dieses Ereignis nicht mehr wiederholen
wird und kann ahnen, dass einem nun der Grund dafür geliefert wird, warum
denn dies der letzte gemeinsame Matineebesuch war.52

10. 3. Phantastische Elemente

Die erste Tür geht gleich ins Wohnzimmer, und in dem lagen,
saßen drei, vier, fünf, sechs Männer, mehr noch, ich zählte sie
nicht, und wie viele Frauen? Die bewachten die Töpfe, die sie auf
kleine, zweifellos selbst mitgebrachte elektrische Kocher gestellt
hatten – oder waren es Spirituskocher? denn so viele Anschlüsse
wie hier Kocher aufgestellt waren, gab es gar nicht in unserer
Wohnung! (M 107-108)

Als der Ich-Erzähler mit Inga nach der Matinee die Wohnung betritt, erwarten
ihn darin Fremde. Seine erste Reaktion irritiert den Leser. Wie kann man sich
mit Details wie den Anschlüssen der Wohnung befassen, wenn sich im
eigenen Heim fremde Menschen befinden, die offensichtlich nicht da sein
sollten? Die Aufmerksamkeit des Lesers wird wieder auf die Reaktion des
Erzählers gelenkt, der zwar mit Erstaunen reagiert, aber weniger auf die
Tatsache, dass seine Wohnung besetzt ist, als auf das Detail mit den
Anschlüssen. Darauf folgt eine Reihe an Reaktionen des Erzählers und der
Matineefreunde, die den Leser irritiert zurücklassen.
Der Erzähler beobachtet also die Situation in seiner Wohnung, schreitet aber
nicht ein. Nach einigen Momenten des Beobachtens verlassen er und seine
Frau wieder die Wohnung. Sie haben kein Wort an die Wohnungsbesetzer

52
Vgl. Petersen, Erzählsysteme.
71

gerichtet oder anders versucht, wieder Herr über ihre Wohnung zu werden.
Sie gehen einfach wieder zurück auf die Straße. Auf der Straße treffen sie
auf die anderen Matineebesucher. Auch ihre Wohnungen sind besetzt und
auch sie sind wieder auf die Straße gegangen, ohne diese Eindringlinge
nach dem Grund ihrer Besetzung zu fragen, ohne selbst einzuschreiten oder
die Polizei darüber zu informieren.
Als sie die Straßen entlang marschieren, kreuzen Polizisten ihren Weg. Auch
ihr Verhalten ist ungewöhnlich. Als der Erzähler sich bei einem der
Schutzmänner erkundigen möchte, läuft dieser kopflos davon. Vom Erzähler
bleibt sein Verhalten unkommentiert. Der Zug der Matineebesucher wird von
den Polizisten in eine bestimmte Richtung geleitet. Man führt sie zum
Güterbahnhof und sperrt sie in eine Halle. Statt Erkundigungen bei einem
Amt einzuholen über den Verbleib der Matineefreunde, schleicht der Erzähler
auf dem Gelände des Bahnhofs herum und besticht Polizisten. Aber nicht nur
seine Art der Informationsbeschaffung ist irritierend, sondern auch die
Reaktion der Matineefreunde auf ihre Gefangenschaft in der Güterhalle. Sie
beschweren sich nicht nur nicht über ihre Situation, sondern erfüllen auch
noch bereitwillig kleine Arbeiten. Sie sind mit allem zufrieden, so lange sie
ihrer Leidenschaft, dem Film, nachkommen können. Die Reaktionen der
Figuren sind irritierend, denn sie reagieren nicht auf rationale Art und Weise
auf die ungewöhnlichen Situationen, in die sie geraten. Diese Reaktionen
können vom Leser nicht als realistisch gesehen werden und widersprechen
den natürlichen Gesetzen, die er kennt.
Nicht nur die Reaktionen der Figuren sind phantastisch, sondern auch das
Aussehen der Wohnungsbesetzer. Es treten dem Ich-Erzähler und dem
Leser „unmögliche Wesen“53 gegenüber, von denen man vollkommen
ausschließen kann, dass sie in einer Welt mit unseren Naturgesetzen

53
Lotmann, Jurij M.: Bemerkungen zur Struktur des künstlerischen Textes. In: Aufsätze zur
Theorie und Methodologie der Literatur und Kultur. Hrsg. v. Karl Eimermacher. Kronberg Ts.:
Scriptor 1974, S. 9-20, S.12.
72

existieren.54 Denn es handelt sich um „Kinderbuchindianer“ (M 110),


„grünhäutige Muskelmenschen“ (M 111), „Husaren mit Affengesichtern“ (M
111) oder „Stubenfliegen, größer als ausgewachsene Hühner“ (M 111) und
„blaubärtige Gouvernanten“ (M 111). Diese Wesen lassen sich bis auf die
Indianer eindeutig als phantastische identifizieren, und ihre Existenz löst sich
auch am Ende der Geschichte nicht auf. Man kann sie nicht rational erklären.
Der Erzähler stellt Versuche an, diese Erklärungen sind aber genauso wenig
logisch, wie die Wohnungsbesetzer realistisch sind. Bis zum Ende der
Geschichte lassen sich die Wohnungsbesetzer und auch das Zurückbleiben
der Matineebesucher nicht erklären. Weder innerhalb eines Realitätssystems
R noch innerhalb W. Die Geschichte befindet sich demnach im Nichtsystem
N und ist als Phantastische anzusehen. Man kann die Elemente in dieser
Geschichte auch als wunderbar ansehen. Der Erzähler kann sie sich zwar
nicht erklären, doch er nimmt sie einfach hin. Es handelt sich für ihn dabei
um einen Seitensprung der Realität, trotzdem bleiben immer noch Zweifel
und es fällt ihm schwer, diese Wesen und die Tatsache, dass die
Matineebesucher nun in der Güterhalle leben, wirklich hinzunehmen und zu
akzeptieren.

10. 4. Zusammenfassung

Der Ich-Erzähler dieser Geschichte ist ein naiver und dümmlicher


Kassenbuchhalter, der die Freunde des „film noir“ als Intellektuelle
betrachtet. Durch diese Fehleinschätzung und das Verhalten des Erzählers
entstehen Ironie und Komik. Satirisch werden die scheinbar Intellektuellen
und ihre Liebe zum existentialistischen Film vom Autor betrachtet.
„Die letzte Matinee“ beinhaltet phantastische Elemente, die Irritation beim
Leser hervorrufen, aber auch Komik entstehen lassen. Die Versuche,

54
Vgl. Fricke.
73

Elemente dieser Geschichte innerhalb eines Realitätssystems aufzuklären,


scheitern und lassen sie somit als phantastische einordnen.
Hinter den Kinderbuchindianern oder den blaubärtigen Gouvernanten ist kein
Sinn zu identifizieren und so werden sie zu phantastischen Bildern.
74

11. Schlussfolgerung

Diese Arbeit zeigt, dass es möglich ist die Geschichten aus „Ein Flugzeug
über dem Haus und andere Geschichten“ zu interpretieren und analysieren,
ohne zwingend auf Kafka zu sprechen zu kommen. Die ausführliche
erzähltheoretische Analyse hebt satirische und ironische Elemente hervor.
Die Position des Erzählers wird beleuchtet und die Funktion des Autors als
Satiriker gezeigt. Der Erzähler ist oft dümmlich und naiv. Er steht meist einer
Gegenwelt gegenüber, der er sich anpasst oder entzieht. Oft sind es
Fehleinschätzungen des Erzählers, die ihn in auswegslose Situationen
kommen lassen. Oft werden die Situationen, in die die Erzähler geraten, am
Ende nicht aufgeklärt. Es konnte aufgeklärt werden, dass der Autor hinter
den satirischen und komischen Elementen steht, was satirisch betrachtet
wird und was kritisiert. Es sind gesellschaftliche und politische Themen, die
zum Gegenstand der Kritik werden.

Es konnten phantastische Elemente der einzelnen Geschichten


herausgearbeitet werden und somit ein Kontrast zu den bisherigen
Interpretationen geschaffen werden. Manchmal lässt sich kein Sinn dahinter
ausmachen, das heißt, dass sie sich selbst dient. Doch oft dienen diese
Elemente als Mittel zur satirischen Kritik an der Gesellschaft. Es war
notwendig bei der Analyse der phantastischen Elemente mehrere
Theoretiker heranzuziehen, da keine Einigkeit in der Definition besteht, aber
wichtige Aspekte in unterschiedlichen Theorien gefunden werden konnten.
So konnten diese Elemente auch auf divergierende Art und Weise dargestellt
werden.
75

Es gibt Geschichten, die keine phantastischen Elemente beinhalten, die aber


dafür satirisch und kritisch ein Bild der Gesellschaft zeichnen. Doch auch wo
keine phantastischen Elemente ausgemacht werden können und die
Geschichten eigentlich als real gelten können, sind sie trotzdem skurril und
unwahrscheinlich. Sei es die verzweifelte Suche nach einer Frau oder der
Pförtner, der in seiner Art seine Arbeit auszuführen nicht verstanden wird. Ein
wirklicher Realismus wird von Walser in keiner dieser Geschichten
angestrebt.
76

12. Literaturverzeichnis

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