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Generalsekretariat
8010 Graz,
Mandellstraße 38/1
(OJ □n
Tel. 77 - 3 - 07 / 77 - 3 - 09 /77 - 3 -1 0 STUDIO STEIERMARK
Vorwahl Graz: 03122
Musik
protokoll
18. bis 26. Oktober ·1971
Musikprotokoll 1971
Veranstaltungskalender
Sonntag, 10. Oktober Montag, 18. Oktober Dienstag, 19. Oktober Mittwoch, 20. Oktober Donnerstag, 21. Oktober
19.45 19.45 19.45 19.45
B B C-Symphonieorch. Pro-Arte- Ensemble, Schola Cantorum, Colleg. musicum
Dir. Pierre Boulez Graz Stuttgart Dir. M. Heider
Stefaniensaal
Strawinsky, Birtwistle, Dir. K. E. Hoffmann Dir. C. Gottwald Berio, Yun, Haid-
Graz
Carter, Boulez Hanns-Eisler-Retro- H aubenstock- Ramati, mayer, Lampersberg,
spektive Cerha, H olliger, Kopelent
Sehnebel
Festsaal der
Stadtgemeinde
Murau
Basilika
Seckau
Pädagogische
Akademie
Graz-Eggenberg
Sporthalle der
Hauptschule
Weiz
• Das Symposion zum Musikprotokoll wird vom Institut für Wertungsforschung der Hochschule für Musik und darstellende Kunst
in Graz veranstaltet.
Freitag, 22. Oktober Samstag, 23. Oktober Sonntag, 24. Oktober Montag, 25. Oktober Dienstag, 26. Oktober
19.45 19.45
Belgrader Rundfunkchor Kattowitzer Rundfunkorch.
Dir. B. Simic u. Belgrader Rundfunkchor
Kiraly, Frajt, Sakaö, Yun, Dir. W. Lutoslawski
Janson, Kuzmanovic Co-Dir. B. Simic
Lutoslawski
19.45
Roswitha Trexler und
Kammermusikvereinigung
Berlin, Dir. H. J. Wenzel
Hanns-Eisler-Retrospektive
11.00
Orgelkonzert Welin
Kaufmann, Paul,
Hambraeus, Bussotti,
Raxach, Cage, Michel
19.45
Experimentalabend
Dimov, Alsina, Ligeti/
Vetter, Globokar
19.45
ORF-Symphonieorch. u.
ORF-Chor
Dir. Milan Horvat, Cerha,
Nono, Gandini, Penderecki
Symposion zum
Musikprotokoll
15.30
Dr. Sandner (Mainz)
D as BBC- Symphonie -
o r c hest er wurde 1930
gegründet. Es hat 119
Mitglieder. Von seiner
Gründ ung an stand es
20 Jahre lang unter der
Leitung von Sir
Adrian Bou lt, dessen
Nachfolger Sir Malcol m
Sargent war. Rudolf
Schwarz, A ntal Dorati
und Colin Davis waren
die Vorgänger von
Pierre Boulez, der dieses
J ahr die Leitung des BBC -
Symphonieorchesters
übernom men hat. Unter
den Gastdirigenten
befanden sich u. a.
Das BBC- Symphonieorchest er Richard Strauss, Felix
Weingartner, Bruno
Dirigent : Walter und Arturo
Pierre Boulez Toscanini. Viele erfolg-
reiche Tourneen
Solist en : führten das Orchester
M ichel Beroff, Klavier durch ganz Europa und
Siegfried Sc hmid, Zimbal durch die U SA.
Elliott Carter, geb. 1908 Michel Beroff, geb. Siegfried Schmid, geb. Otto Kolleritsch
in New York. Studien 1952. Erstes öffentliches 1937 in Deutschland.
an der Harvard - Universität, Auftreten beim englischen Erste Musikstudien im Pierre Boulez
später Kompositions- Bach-Festival 1968, Alter von sieben Jahren.
studien bei Walter Piston, später Gastkonzerte in Nach seiner Ausbildung als Der Werdegang des französischen
Gustav Holst und Nadja Oxford, London, Berlin, Paukist und Schlagzeuger Komponisten Pierre Boulez wird von seinen
Boulanger. Zuerst als Mailand, Florenz, in München, Engagement Kritikern heute vielfach klischeehaft als
Musikkritiker und musika- Frankfurt. Bulgarien- bei der Baseler Orchester- Wandlung eines experimentierenden
lischer Leiter eines Balletts tournee. Rundfunk- und gesellschaft. In Basel Avantgardisten zum etablierten Stardirigenten
t ätig. Später freischaffender Schallplattenau! nahmen debütierte er 1963 als hingestellt. Was das Klischee wah rhaben
Kompon ist. Hauptwerke: mit Werken von Messiaen, Zimbalist und hat seither möchte, ist nicht zutreffend. Weder war
,,Pochahontes" (Ballett) ; Prokofjew und Kabalavski. in vielen europäischen Pierre Boulez in seinen kompositorischen
,,Variationen für Or- Städten bei Konzerten und Anfängen ein blutleerer, selbstsicherer
chester"; ,,Doppelkonzert Rundfunksendungen Konstruktivität verschworener
für Cembalo und Klavier"; mitgewirkt. Experimentator, noch ist er heute den von
zwei Streichquartette, Weltpresse und Plattenfirmen verwöhnten
ein Holzbläserquintett. und hochgespielten Pultvirtuosen zuzuzählen.
Die erste große Station in der
Dirigentenkarriere war Alban Bergs
„Wozzeck" 1963 an der Pariser Oper. 1966
debütierte er mit Wieland Wagners
„Parsifal" -Inszenieru ng in Bayreuth. Mit
Begi nn dieser Saison (1971 / 72) wird
Boulez Chef der New Yorker Phi lharmoniker
und des BBC-Symphony-Orchestra.
Zusätzlich wi rd er als Gastdirigent mit dem
Cleveland-Orchester arbeiten. Das äußere
Erscheinungsbild mag ihn in bedrohliche
Nähe zu Karrieredirigenten bringen, vor
allem, wenn er als Schallplattenmarkenartikel
herausgestellt erscheint: .,Boulez conducts
Debussy", ,,Boulez conducts Strawinsky"
oder von einer Schallplattenhülle mit einer
Einspielung von Beethovens Fünfter in
eine heile Welt lächelt.
Boulez hat die Dirigentenkarriere nicht
gesucht, er hat sie betreten, um zu
befriedigenden Aufführungen der eigenen
Werke zu gelangen. Offenbar war sein
pädagogisches Talent der Grund, weshalb
er auch mit der Leitung anderer Werke
beauftragt wu rde. Boulez will künftighin
beides sein: Komponist und Dirigent,
und zwar nicht nur aus persönlichem -
Interesse, um seine Kompositionen optimal
aufzuführen, sondern auch, um das Musik-
leben, das für ihn nicht mit dem
Konzertleben identisch ist, zu verändern.
Zu den Aufführungen von Programmen
mit moderner und vor allem unbekannter
Musik sollen Vorträge und Einführungen
kommen. Diese pädagogische Arbeit
vom Dirigentenpult aus wird eine
Vorrangstellung einnehmen. Die Orchester- seriellen Komponierens entwickelt haben,
kurse des Bayreuther J ugendfestspieltreffens, gehen ihre W ege auseinander. Offiziel l, das
die Baseler Interpretationskurse waren heißt, vor allem von der Darmstädter
Anfäng e dazu. Wer Boulez bei einer Perspektive aus, sollte eine Entwickl ung -
Einführung vom Pult aus erlebt hat, weiß, vornehml ich unter dem Einfluß von
daß er dabei kein Showman sein w ill. John Cage - allein Stockhausen
Er untersc heidet sic h merklich von durchmachen, während Boulez als nicht den
Pultprimadonnen, die ähnliche Praktiken Konsequenzen der eingeleiteten Entwicklung
üben. Boulez tut es nicht, um sein rigoros entsprechend bald als Reaktionär
Wirkungsfeld als Star zu erweitern, sondern abgestempelt wurde.
weil ihm die Notwendigkeit einer Stockhausen hat sel bst das Trennende
Veränderung des Musiklebens am zwischen Boulez und sich zu ergründen
Herzen liegt. versucht: ,,Ich bewundere an Boulez
Was das kompositorische Werk Boulez' durchaus, was ich nicht habe und nicht
betrifft, so ist es weniger umfangreich haben kann. Boul ez ist ein Komponist
(ungefähr 15 Stücke) als bedeutend. mit dem unbedingten Streben nach Vervoll-
„ Le Solei! des Eaux" nach Gedichten von ständigung des Metiers, ein es M etiers,
Rene Char (1948), eines der sec hs Stücke, das ihm zur Ausbildu ng eines unverwechsel -
die Boulez zwischen 1946- 1949 geschrieben baren Personalstils dient. Sein Ziel ist
hatte, war sein erster Kontakt (1950) das Werk, mein Ziel eher das W irken.
mit dem Pariser Publikum. Auf das nationale Für sein Ziel hat Bou lez bis heute immer
Debüt i n Paris folgte ein Jahr später das w ieder neue Methoden aufgegriffen, die zur
internationale Debüt in Donaueschingen mit Individu alisierung des Werkes dienen, und
,,Polyphonie X" fü r 17 Soloinstrumente, damit eine Welt aufgebaut, die seine eigene
und abermals ein Jahr später wurde in Sprachwelt ist. M it seinem Streben verbindet
Darmstadt die zweite Klaviersonate gespielt, sich die ständig gepflegte Auseinander-
die bereits 1948 entstand. 1952 führten er setzu ng mit der Tradition. In seinem Werk
selber und sein einstiger Lehrer gelingt noch ei nmal ein Resümee der
Olivier Messiaen in Paris die „ Struktures I" abendländischen Tradition - und das gerade
für zwei Klaviere auf. Wiederum in Darmstadt zu einem Zeitpunkt, zu dem dieser Begriff
wurden di e zweite Klaviersonate ( 1948) und fragwü rdig geworden ist. Boulez hat eine
als neuere Beispiele der Musique concrete die ganz bestimmte Vorstellung, daß er die
Etudes I und II (1951) vorgestellt. französische Tradition fortzusetzen hat
Diese Stücke sind paradigmatisch für die und w ie sie durc h ihn fortzusetzen ist.
musikalische Situation, mit der sich die Er hat einen ausgeprägten Willen, in sei nen
jungen Komponisten der Nachkriegszeit, Werken fortzuleben; darum strebt er die
die das Erbe der von der Generation um A utonomie seiner Werke an, darum tendiert er
Schönberg erschlossenen neuen immer nach ,Großen Werken'; als dem
musikalischen Möglichkeiten angetreten Ausbau von Erfahrung und Können, während
hatten, auseinandersetzen mußten. In den mir immer der Modellcharakter von Arbeiten
angeführten Werken konkretisiert sich die vorschwebt ohne Interesse für die weitere
Entwicklung von der klassischen Ausnutzung solcher Modelle. Boulez ist ein
Dodekaphonie zur seriellen Kompositions- synt hetischer Geist, er studiert alles, er
weise. Während die Zwölftonreihen bei integriert alles in sein System, und in seinem
Schönberg und sei nen Schülern zugleich Willen zur Synthese gelingt ihm sogar die
auch Motivquellen waren, verzichten die Vereinigung von so gegensätzlich
Reihen der seriellen Musik grundsätzlich auf erscheinenden Phänomenen wie denen der
die Motivik, sie stellen nur noch Ordnungs- Wiener Schul e und des französisc hen
faktoren dar, oder wie Boulez form uliert, Impressionismus."
,,Keime zur Stiftung einer Hierarchie". Die Phänomene, repräsentiert durch
Obwohl Pierre Boulez und Karl- Heinz Webern und Debussy, die Stockhausen
Stockhausen annähernd zu gleichen Teilen gegensätzlich erscheinen, sind es für
die theoretischen Voraussetzungen des Boulez keinesfalls, sie haben für ihn vielmehr
eine aufschlußreiche und zukunftsweisende weniger um die Herauslösung weiter zu
Gemeinsamkeit: ,,Beide entziehen sich entwickelnder Modelle, sondern um den
nämlich", wie Ulrich Dibelius dazu errungenen ästhetischen Standpunkt, der
kommentiert, ,,den vorgegebenen Plänen mit einem systementbundenen Material
der formalen Organisation, beide gehen an ihn als Musiker appelliert.
zurück zu jener materialen Schicht, aus der Boulez präzisiert den Unterschied zwischen
sich Gestalt und Klang entwickeln, zu der sich und jenen Musikern, die ihre
,Schönheit des Tons an sich', und beide Revolution unbeirrbar einer Konstruktivität
entbinden aus der Konstellation solcher neu anvertrauen, in einem Satz: ,,Man muß seine
verstandenen Einzelelemente, jenseits aller Revolution nicht nur konstruieren, sondern
traditionellen Muster, eine in sich lebendige, auch träumen." Und im Hinblick auf den
aus sich selbst begreifbare Sprachlichkeit." - erfolgten und auch allgemein bemerkten
Die Konsequenzen der radikal vereinfachten technischen Umsturz sagt er: ,,Wir wollen
Ästhetik Webems sind für Boulez der daran denken, daß wir immerhin Musiker
Ansatzpunkt, an dem die eigene sind" und „Der Beruf des Komponisten ist
schöpferische Kraft einsetzt. Ihm geht es keineswegs zum Ausruhen da."
Stefaniensaal
Dienstag, 19. Oktober, 19.45 Uhr
Alfred Janson
Nocturne
Österreichische Erstaufführung
Milorad Kuzmanovic
Krieg für zwei Chöre
Öst erreichisch e Erstaufführung
Co- Dirigent :
Borivoje Simic
Solistin :
Anna Malewicz-Madey, Mezzosopran
als begrenzt oder kontrolliert oder sich der Komponist ungeachtet al ler
auch als A leatorik der Faktur. Grausamkeiten, die sein Volk in jüngerer
Man könnte dieses kompositorische Vergangenheit erfahren hat, zurückgezogen
Verfahren aber auch als rhythmische hat, sondern eher ein Zeugnis für den
Aleatorik bezeich nen, da ihr Wesen in der unerschütterlichen Glauben dieses
rhythmischen „ad libitum" -Gestaltung li egt, Kom ponisten an die volle Autonomie der
so daß nur das Zusammentreffen der Musik.
einzelnen Stimmen im vertikalen Erg ebn is Daher meidet Lutoslawski in seinem Schaffen
dem Zufall überlassen wird. Außerdem auch traditionelle Formen wie Oper und
bedient sich Lutoslawski niemals Ballett. Seine Sensibilität gegenüber
ausschließlich dieses Kompositionsverfahrens, Tonhöhe und Klangfarbe findet in diesen
sondern er wechselt es stellenweise mit Parametern so reiche Variationsfähigkeiten,
traditionellen Strukturen. so autonome Strukturansätze, daß ihn
Vollkommen ausgeschaltet ist in Lutoslawskis Handlungen und Vorgänge, wie sie das
Tadeusz Kaczynski Schaffen jegliche Zu fälligkeit im Bereich Musiktheater in seiner traditionellen
der Tonhöhen. Sie sind stets präzise fixiert, Form kennt, nicht reizen.
Witold Lutoslawski auch wenn der Komponist nicht selten Diese Sensibilität verbindet Lutoslawski
Nuance n von Viertel- oder Dreivierteltönen mit Anton von Webern, obwohl er mit der
Witold l utoslawski stellt innerhalb des verwendet. Diese zerfaserte Tonhöhenpalette zweiten Wiener Schul e ka um etwas
zeitgenössischen Musiklebens das ist dem Begriff der traditionellen Harmonik gemein hat. Der Strukturalism us und
exemplarische Beispiel eines Komponisten scho n weit entrückt. Lutoslawski ordnet sie Objektivismus dieser Musik sind ihm fremd.
dar, bei dem die Form eines Werkes mittels einer eigenwilligen Anwendung der Wollte man Lutoslawski mit einem anderen
bestimmende Bedeutung erh ält. Diese große Zwölftonskala, die weder als Chromatik noch polnischen Komponisten vergleichen, dann
Aufmerksamkeit, mit der der 1913 als Dodekaphonie bezeich net werden kann. viell eicht mit Frederic Chopin, der ebenso
in Warschau Geborene der kompositorischen l utoslawskis kompositorisches Verfahren wie er mit ausschli eßlich musi kalischen
Form begegnet, läßt sich bis in seine gliedert sich in drei Phasen: die Technik Mitteln allgemein menschliche Ideen ohne
frühesten Werke zurückverfolgen. Dies ist aber der Form, die Technik der Faktur und di e literarisches Programm und ohne Parole
auch die einzige Parallele, die sich Technik der Harmonie. Sie stehen zueinander ausdrücken wollte. Freilich lassen sich im
zwischen Frühwerk und späterer Entwicklung in Beziehu ng und bilden zusammen Schaffen lutoslawskis - wenn auch gegen
herstellen läßt. betrachtet ein musikalisches System. Wenn den Willen des Komponisten - außer-
Es ist überhaupt ein Wesensmerkmal von auch kein geschlossenes. Lutoslawski arbeitet musikalische El emente feststelle n. Dies
Lutoslawskis Gesamtschaffen, daß immer noch daran. Diese Zwölfklangtechnik nicht nu r in seinen Vokalwerken, deren
kein Werk dem anderen gleicht. Ein neues darf, dialektisch betrachtet, auch nie abge- Wortmaterial Aufschluß über seine
Werk bedeutet für Lutoslawski die Erfindung schlossen sein, da ein Abschluß einen Intentionen geben könnte, sondern auch in
ei ner neuen Form. Wohl gibt es z. B. Verzicht des Komponisten auf weitere absoluten Kompositionen, wie seiner zweiten
zwischen dem Streichquartett und Verfeinerung seines kompositorischen Sinfonie oder in seinem Streichquartett:
seiner zweiten Sinfonie formale Materials bedeuten würde. Lutoslawskis z. B. die Satzbezeichnungen in besagter
Ähn li chkeiten, aber keine Identität. Dies System wird stets offen bleiben. Sinfonie „ Hesitant" und „Direct'' . Ist
läßt die Durchdringung der Makro - und Eine Untersuchung von Witold dies nicht ein direkter Bezug zu
Mikrostruktur der einzelnen Werke, Lutoslawskis Musik wird notgedrungen zur elementaren menschlichen Verhaltungs-
die Beherrschung und Kontrolle aller Details Systemuntersuchung, auc h wenn ihr Inhalt weisen?
nicht zu . der eigentliche Gegenstand der Untersuchung Freilich sind diese Analogien nicht eindeut ig.
Seit 10 Jahren beschäftigt sich Lutoslawski ist. Lutoslawski zählt nämlich zu jenen Jeglichem Versuch einer präzisen Deutung
auf i ndividuelle Art mit der Aleatorik. Eine Einzelgängern unter den zeitgenössischen wü rde sich Lutoslawski entschiede n
parad oxe Tatsache im Hinblick auf seine fast Komponisten, die sich in ih rer Musik keiner widersetzen und au f sei n Recht pochen, als
pedantische Bemühung, ein Werk bis ins außermusikalischen Elemente bedienen Künstler vieldeutig sei n zu dürfen und auch
Detail durchzugestalten. Dies ist aber nur und deren Kompositionen Gestalt und I nhalt vielfach gedeutet zu werden.
ein scheinbarer Widerspruch . Lutoslawskis aus der vorgegebenen Mat erialstru ktur Daher wäre auch ein Versuc h, Lutoslawski
Aleatorik ist eine Art von gefilterter konsequent ableiten. Tendenzen pol itischer stilistisch festzulegen, vollkommen verfehlt.
Aleatorik, die aus der Vielfalt der Möglich- oder religiöser Art, gesellschaftskritische Wer weiß, wohin er in steter Ausarbeitung
keiten von vornherein nur einige bestimmte Ambitionen sind in Lutoslawskis Schaffen seines offenen Systems morgen schon gerät,
fü r den interpretatorischen Ernstfall zuläßt. nicht feststellbar. Es ist dies weniger ein wer weiß. ob sein nächstes Werk nicht
Man bezeichnet diese aleatorische Form Zeichen einer „splendid isolation " , in die schon vieles des hier Gesagten widerl egt.
Festsaal der Pädagogischen Akademie Graz-Eggenberg
Montag, 25. Oktober, 19.45 Uhr
Pause
Dirigent:
Milan Horvat
Choreinstudierung:
Gottfried Preinfalk
Solisten :
Gerardo Gandini, Klavier
Mechthild Gessendorf, Sopran
Kazimierz Pustelak, Tenor
Bernard Ladysz, Baß
Mila n Horvat, geb. Kazimierz Pustelak, Be rnard Ladysz, g eb. M echthild G essendorf, D as ORF-Symphonie-
1919 in Pakrac (Kroatien). erster Tenor der 1922 in Wil no. Musik- geb. in München. Studium orcheste r wurde
Stud ien an d er Agramer Warschauer Oper. Studien studien in seiner an der dortigen Musik- im Jahre 1946 unter dem
Musikakademie und an der an der Krakauer Musik- Geburtsstadt, später an hochschule. damalig en Leiter der
Agramer Universität hochschule, mehrere der Chopin -Akademie i n Erstes Engagement an der Musikabteilung
(Doktor beider Rechte), internationale Preise. Warschau. 1947 erster W iener Kammeroper. Dr. Heinrich Kralik
1948 Dirigent des Konzerttourneen durch Preis im polnischen Weitere Engagements und gegründet. Die Aufgabe
Rundf unk- Frankreich, Schweden, liederwettbewerb. 1 956 Gastspiele in Augsburg, d es ORF-Symphonie -
Sinfonieorchesters in Ost- und Westdeutschland, ,,Primo Premio Assoluto·· Bonn, Bremen, Düsseldorf, orchesters besteht vor-
Agram, 1953-1958 Rumänien, Ungarn und beim VII. Internationalen Genua, Karlsruhe, Luxem - nehmlich in der Aufführung
Chefdirigent des Rad io- die UdSSR. „C. C. Viott i" -Wettbewerb burg, M ailand, Montreux. zeitgenössischer Werke
sinfonieorchesters in in Italien. Zahlreiche Stimmtechnische Arbeiten mit besonderer Berück-
Dublin, seit 1958 Gastspiele, Konzerte und mit Kammersänger Josef sic htigung des öster-
Chefdirigent der Agramer Schall plattena ufnahmen. Metternich. reichischen Musik-
Phil harmonie, seit 1964 Erster Bassist an der schaffens. Aus der großen
M usikdirektor des Warschauer Oper. Anzahl d er Dirigenten,
Sommerfestivals in die mit dem ORF-Sym-
Dubrovnik, ab September phonieorchester arbeiten,
1 969 Chefdirigent des seien vor allem Rudolf
0 R F-Sinfonieorchesters. Moralt, Paul Hindemith,
Hermann Scherchen,
Argeo Ouadri, Ernst
Krenek, Carl Melles,
Bruno Maderna, Milan
Horvat und Miltiades
Caridis erwähnt.
Bei den
Salzburger Festspielen
gastierte das
0 R F-Symphon ieorchester
mit Werken
der internationalen
Musikava ntgarde.
i
Lothar Knessl als eine im Käf ig befindliche verdonnerte
und vor dem Gespenst unkontrollierbarer
Luigi Nono Al eatori k warnte.
Freilich ist auch Luigi Nono etwa ab 1960
ENTWICKLUNGEN kompositionstechnisch lockerer geworden,
Es war in den späten fünfziger Jahren, ohne jedoch das Grundprinzip gestalteter
in Darmstadt, bei den Ferienkursen für neue Musik, ausgehend von Schönberg und
Musik, die mittlerwei le auf ein en Webern, preisgegeben zu haben. In seinem
Biennale-Turnus haben zurückschalten Schaffen ist musikalisch nichts zu finden
müssen. Damals gab es, global gesagt, von einem Hin- und Herpendeln zwischen
eigentlich nur eine führende Trias der neuen kompositionstechnischen Extremen oder gar
Musik: Boulez - Stockhausen- Nono. von einem Umspringen auf gegensätzliche
Und damals sa h man diese drei Komponisten Positionen. Nonos Entwicklung dünkt
auc h noch an ei nem Tisch. kontinuierlich. Ohne je die Fäden seiner
Bis dann eines Tages Stockhausen an komposi torischen Pläne aus der Hand
einer eigenen Arbeit sowie an zwei Stüc ken zu geben, waltet er in jener an sich
sei ner Koll egen das Verhältnis Sprache - unverkennbaren Klangwelt, di e er in den
Musik analytisch untersuchte und dabei J ah ren der seriellen Musik erarbeitet hat,
etliche erstaunlich e Beziehungssysteme immer freier und geschmeidiger. Selbst dort,
aufdeckte oder aufzudecken glaubte. wo Nono als musikalisches Material
Die Analyse stimmte zweifellos für sein aussc hließlich mehr oder weniger aktuelle,
eigenes Stück. Wie aber wurde sie Boulez allgemein bekannte Gesänge (,,internationale
gerecht? (Boulez schwieg d ipl omatisch Klassensignale") wählt, wie etwa in seiner
und hielt so alle Mögl ich keiten offen.) 1971 in Köl n uraufgeführten Arbeit für
Und wie Nono? Der win kte ab. Das, was Sopran-Solo, Chor und Orchester „Ein
Stockhausen als System zu erkennen geglaubt Gespenst geht um die Welt", ist dieses
habe, sei im Resultat Zufall. Nicht purer M aterial nicht bloß, w ie heute gern
Zufall, w ie ihn kurz darauf John Cage gehandhabt, verschiedentlich zitiert und
nac h Europa importierte, sondern gewachsen coll agiert, sondern kompositorisch
als Folge einiger ganz anderer, seriell umgeformt und in die für den Komponisten
organisierter kompositorisc her Systeme. typische, w ie gesagt: sukzessiv entw ickelte
Stockhausen dachte zwar damals auch Klangwelt eingebettet.
noch in den Kategorien der seriellen Musik, Neben diesen musikalischen präzisieren
aber mit einer A rt Totalitätsanspruch. Alles noch andere Kontinua das Bild des
und jedes hätte sich dareinf üg en sollen, Komponisten Nono. Sei ne Vorliebe für
auch das Sprachliche. Dari n unterschied Vokalmusik, für literarische Vorlagen
er sich von Nono, der i nnerhalb seiner ist von Anfang an ausgeprägt und in allen
keineswegs lockeren seriellen Organisationen Werkskategorien sichtbar. Nono braucht
offenbar Enklaven untergebracht hatte, den Text, der allerdings nicht einfach
die es ihm ermöglichten, musikalischen ,,vertont", sond ern der Musik integriert,
Ausdruck wirksam werden zu lassen. au f di e vielen Sch ichten komplexer musi-
Nono also we hrte sich gegen die ihm kalischer Strukturen g leichsam aufgeteilt
von Stockhausen zugesprochene totale w i rd. ( Einfach gesagt : Einzelelemente
Rei henorganisation, und das klingt heute des Textes, Silben also oder Vokale oder
etwas merkwürdig, da es doch gerade Konsonanten, sind in der ganzen Bandbreite
Stockhausen war, der dann als einer der der Kom position enthalten. Sie bi lden keine
ersten der prädetermin ierte n sowie seriellen in sich gesch lossene Linie, gewinnen aber
Konzeption Valet gesagt und - mit nic ht w ieder i hre ursprüngliche zeitli che Abfolge
minderem Totalitätsanspruch denn früher - durch den Gesamtablauf der Komposition .
die Segel zu r Freiheit, zur Gruppenimpro- Der Komponist permuti ert also die
visation, zu mystischer und intuitiver Textsplitter nicht.)
Musik gesetzt hat. Andererseits wieder war
es Nono, der die totale musikalische Freiheit
MUSIK UND POLITIK provoziert eine Situation, in der, Instrumente und Schlagzeug (1951) sind
Nono braucht den Text vielleicht weniger zusammenhängend mit Nonos Musik, Studien über die im Titel genannten
als schöpferisches Stimulans, obwohl er, elitäres Denken sich festsetzen könnte. Das Zustände. Die hier gewonnenen
wie es scheint, schon wiederholt von aber entspräche gewiß nicht Nonos Erfahrungen werden in der „Composizione
lyrisch-expressiven Versen zu ebensolcher, Intentionen, und so sind derlei Überlegungen per orchestra" (1951) ausgewertet.
weich getönter und verinnerlichter Musik auf die phänomenologische Beobachtung Den entscheidenden Schritt zur Vokalmusik
inspiriert worden ist. Er braucht ihn vor einzuschränken, daß eine von der und zu der von ihm geforderten
allem, um seine bisher konsequente Haltung kompositorischen Attitüde her autonome „neuen Gefühlskraft" vollzieht Nono im
als engagierter Marxist untermauern zu Musik, wie jene Nonos, den Appellcharakter Triptychon seiner Epitaphe auf Federico
können. Nono versteht seine Musik als eines politischen Textes zwar überhöhen Garcla Lorca (1952/53; Espana en el
Funktion des historischen Klassenkampfes. und damit der Bedeutung nach coraz6n; Y su sangre ya viene cantando;
Er stellt sein Werk in den Dienst der verallgemeinern kann, zugleich aber eben Romance de la guardia civil espanola).
internationalen Arbeiterbewegung, deren dadurch den unmittelbaren Zugang zum Der vokale Anteil erstreckt sich auf Solo-
kulturelle Hegemonie er trotz aller Text versperrt (oder doch zumindest artistisch gesang, Chor und Sprechchor. Idealistische
Widersprüchlichkeiten und noch offenen verhüllt) und so die politische zugunsten Beschwörung, Zeitkritik und politische
Probleme als notwendig erachtet. Nono einer musikalisch ästhetischen Wertung Ambitionen charakterisieren diese Stücke.
möchte dies nicht nur im direkten Umgang einbüßt. Nono sah in Garcia Lorca einen „Freund,
mit Arbeitern bekennen (wie er das häufig in einen Bruder, der uns den wahren Weg
seiner Heimatstadt Venedig, genauer: HAUPTWERKE weist, auf dem wir mit unserer Musik
auf der Guidecca, praktiziert), sondern viel Luigi Nono, 1924 in Venedig geboren, Mensch unter Menschen sein können."
mehr noch als Musiker, als Komponist, mit absolvierte Kompositionsstudien bei ,,Due espressioni per orchestra" (1953)
den Mitteln der Musik. Da er das aber mit Hermann Scherchen und Bruno Maderna sind in erster Linie Ausdrucksstudien,
purer, von außermusikalischen und promovierte zum Dr. jur. an der entfaltet aus den Kompositionsprinzipien
Bezugssystemen noch unbelasteter Musik Universität von Padua. Nono, verheiratet mit des Garcia- Lorca-Epitaphs 11.
nicht zu tun vermag, da Musik schlechthin Arnold Schönbergs Tochter Nuria, lebt als Das Primat des Ausdrucks gilt auch für das
unpolitisch ist, bedarf er der Texte um so freischaffender Komponist in Venedig. Ballett „Der rote Mantel" (1954) nach
dringlicher. Erst der Text schafft die Auf so gut wie alle seine Arbeiten trifft sein Garcia Lorcas Kammerspiel „In seinem
Möglichkeit, musikalisch zu appellieren und Bekenntnis zu, daß zwar neue kompo- Garten liebt Don Perlimplin Belisa", mit
Manifeste zu komponieren, und erst der Text sitorische Prinzipien entwickelt und deren Sopran- und Baritonsolo sowie Chor
gibt Nono das Fundament für die von ihm technische Grundlagen in Ordnung gebracht hinter der Bühne. Nonos Musik reicht weit
beabsichtigte Funktion der Musik. werden mußten, daß es aber „darüber über etwa bloß illustrierende Ballettmusik
Und dennoch tritt diese politische Funktion hinaus notwendig ist, sich selbst zu erkennen, hinaus und wird beherrscht von lyrischen
keineswegs offen zutage. Nonos kunstvolle um eine klare und präzise Verantwortung Stimmungen.
Einbettung der Worte in ein hochorganisiertes für das eigene Tun zu haben. Man lebt nicht „La victoire de Guernica" nach einer
musikalisches Gewebe, ein Stilisierungs- zufällig, man tut nichts zufällig, sondern Dichtung von Paul Eluard für gemischten
prozeß gewissermaßen, nimmt dem Text immer in einer bestimmten und bestimmenden Chor und Orchester (1954) ist gezeichnet
jene Direktheit, durch die erst die gewünschte Situation. Notwendig ist es vor allem, die von klanglich metallischer Härte. Auslösungs-
Funktion des musikalischen Werkes allgemein neue Gefühlskraft zu erwecken, die allein faktor: Das Bild Picassos, entstanden unter
wirksam werden könnte. Die Texte, die die neue Musik zum Leben bringen kann". dem Eindruck so vieler sinnloser Toter beim
Nono wählt, mögen, allein auf sich gestellt, Nach Nono darf kein noch so strenges Luftangriff auf Guernica. (,,Sie haben euch
plakativ, politisch radikal sein. Kaum kompositionstechnisches Verfahren das Brot bezahlen lassen, den Himmel,
aber sind sie von Nonos Musik umhüllt, emotionelle Elemente ausschalten. die Erde, das Wasser, den Schlaf - und das
schwindet alle Kraßheit. In „Variazioni canoniche" für Orchester Elend eures Lebens.")
Was bleibt, ist durch Nonos kompositorische (1950) bezieht sich Nono auf eine Zwölf- In „Canti" für 13 und „lncontri" für
Potenz ein der engeren Aktualität enthobenes tonreihe aus Schönbergs op. 41 (Ode an 24 Instrumente (beide Stücke 1955)
Kunstwerk von hohem Anspruch, das sich Napoleon). Hier schon ist Nonos Tendenz strebt Nono erfolgreich die Balance zwischen
nolens volens das Anlegen ästhetischer zu expressiver Gestik deutlich. Übrigens hat den Erfordernissen vorausbestimmter
Maßstäbe gefallen lassen muß. Die Kriterien er sich auch in den Folgejahren intensiv struktureller Proportionen und dem
der politischen Funktion rücken dabei mit dem Schaffen Schönbergs befaßt, wie Wunsch nach variablem Ausdruck an.
zwangsläufig in den Hintergrund. Nur jener etwa eine Analyse über dessen Orchester- Als ein Schlüsselwerk Nonos ist „II canto
wird sie bewußt wahrnehmen können, der variationen bestätigt, die wohl gründlichste sospeso" für Sopran-, Alt- und
mit Voraussetzungen und Entstehungsprozeß und metierkundigste über dieses Werk. Tenorsolo, gemischten Chor und Orchester
des Werkes vertraut ist. Dieser Umstand „Polifonica-Monodia-Ritmica" für sechs anzusehen (1955 /56). Nonos Personalstil
ist nun voll ausgebildet. Das Werk basiert beschwören (Nono: ,,Symbol des Lebens, Theater von Brecht und Weill, an
auf Abschiedsbriefen zum Tode verurteilter der Liebe und der Freiheit gegen jegliche Hindemiths „Badener Lehrstück vom Ein-
Widerstandskämpfer ( ediert 1 954 bei neue Form der Unterdrückung ... "). Die verständnis", an Eislers und Dessaus Brecht-
Einaudi in Turin; deutsche Ausgabe 1955 in den vier Folgejahren geschriebenen Vertonungen: ,,Indem das Musiktheater für
bei Steinberg, Zürich, mit einem Vorwort Vokalkompositionen stützen sich auf Texte die in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts
von Thomas Mann). Diese Briefe, eine von Antonio Machado, Giuliano Scabia zeitbestimmenden sozialstrukturellen und
Sammlung erschütternder Dokumente, sind und Cesare Pavese. fallweise setzt None künstlerischen Neuerungen sich engagierte,
von meist einfachen Leuten geschrieben. auch das Tonband ein, etwa in „La fabbrica gelang es ihm, von der traditionellen Kon-
Nono ist es gelungen, die Texte im Sinne illuminata" für Singstimme und Tonband zeption der Oper sich zu befreien." Weiters
musikgewordener Sprache zu gestalten. (1964) oder in „Per Bastiana Tai-Yang erwähnt None die großen Experimente des
Ausdruck und formale Ordnung, Klangbild Cheng" für Tonband und Instrumente (1968). politischen Theaters von Piscator in Berlin
und Textsinn sind kongruent. Die Intensität Das Grundmaterial für das bislang jüngste vor 1933.
strahlt vom Ganzen ab, rührt nicht vom Werk Nonos, ,,Ein Gespenst geht um die Eine dritte Linie der Erneuerung schließlich
musikalischen Grundmaterial her, das eine Welt" (1971 ), besteht aus vier Liedern: zielt auf das Eliminieren der Distanz von
neutrale, chromatisch disponierte ,,Die Internationale", ,,Rote Fahne" (Italien),Publikum und Szene, ,,indem die szenische
Allintervallreihe ist. ,,26. Juli" (Kuba) und „Der Osten ist rot" Handlung in das Publikum verlegt und
Ab nun treten Instrumentalwerke bei Nono (China). dieses selber zum Handelnden wird". Nono
immer mehr zurück. ,,Varianti" für Violine räumt aber ein, daß die für solche Formen
solo, Streicher und Holzbläser (1956 /57) MUSIKTHEATER des Theaters erforderlichen Häuser nicht
zeigen die Nuancierungsmöglichkeiten eines Nano hat anläßlich der „lntolleranza" einige gebaut werden. Er resümiert in der
Klangfarbenkomplexes. ,,Composizione II Gedanken zum Musiktheater vorgebracht. Perspektive von 1962: ,,Das Musiktheater
per orchestra" (1959, Untertitel: ,, Diario Danach verfolgt er zwei Hauptlinien, deren ist noch ,unterwegs'. Die entscheidende
polacco '58") ist ein vielfarbiges, Beachtung für die Konzeption eines modernen Notwendigkeit: es muß sich mitteilen. Neue
räumlich organisiertes Orchesterstück. Musiktheaters er als Voraussetzung menschliche Situationen drängen zum
Zwischen 1957 und 1960 entstehen einige empfindet. Die eine Linie betrifft den Ausdruck, um so mehr, als unser Leben
Vokalstücke, deren Textdichter Cesare Ausdruck. Nono weist auf Schönbergs Gefahr läuft, sich entweder vor Begeisterung
Pavese, Giuseppe Ungaretti und Antonio „Glückliche Hand". (,,In diesem Drama über unsere technischen Errungenschaften
Machado sind. Nono bleibt seinen wechseln Gesang und Spiel einander ab; zu vergöttern oder sich ,behaglich' mit einer
kompositorischen Vorstellungen und sie entwickeln sich dabei gleichzeitig, eines zynischen Lösung abzufinden."
seinen politischen Idealen treu. Als neutraler nicht zur Erläuterung des anderen, Diese Ausführungen decken die Quellen
musikalischer Ansatzpunkt taucht immer sondern jedes unabhängig zur Charakterisie- zu „lntolleranza" auf und machen
wieder die im „Canto sospeso" eingesetzte rung verschiedener Situationen. Das verständlich, warum Nono ein Bühnenwerk
Allintervallreihe auf. Gelegentlich beschäftigt traditionelle Schema der Oper: man sieht, mit politisch-sozialkritischem Aspekt unter
er sich mit elektronischer Musik was man hört; man hört, was man sieht, Verwendung räumlich aufgeteilter Klang-
(etwa „Omaggio a Emilio Vedova", 1960). wurde durch den so erweiterten Gebrauch quellen geschrieben hat.
„lntolleranza", Oper in zwei Teilen (Azione der Dimensionen Hären und Sehen
scenica), wurde 1960 /61 geschrieben entscheidend zerstört.") Andere INTOLLERANZA
und während der XXIV. Biennale für Erweiterungen der Dimension des Hörens „lntolleranza 1960" - so der ursprüngliche
zeitgenössische Musik im April 1961 findet Nono in „Moses und Aron" Titel der szenischen Aktion - ist die
im Teatro La Fenice zu Venedig uraufgeführt. (Schönberg erwog die Übertragung von Geschichte eines Menschen zwischen den
Die szenische Idee stammt von Angelo Stimmen durch Lautsprecher in den Systemen, eines Emigranten, der in seine
Maria Ripellino, unter Verwendung von Zuschauerraum) und im Oratorium Heimat zurück will, was ihm jedoch nicht
Texten von H. Allerg, B. Brecht, A. Cesaire, „Die Jakobsleiter" (räumliche Organisation gelingt. Auf seiner Suche nach Humanität
P. Eluard, V. Majakowski und J.-P. Sartre. der Musik durch Fernchöre, Fernorchester begegnet ihm die Intoleranz: im Bergwerk,
(Eine Übertragung ins Deutsche besorgte und Lautsprechergruppen im Saal, eine wo es aus Gründen der Nachlässigkeit
Alfred Andersch.) Aus Teilen der Oper 1921 geäußerte Idee Schönbergs). Das alles, zur Katastrophe kommt; in totalitär regierten
„lntolleranza" stellte Nono die sowie etwa die Bühnenwerke Bergs und Staaten, die in Konzentrationslagern die
lntolleranza-Suite zusammen. Dallapiccolas, seien Beispiele für die Freiheit mit Füßen treten; in der sinnent-
Die Solokantate „Sul ponte di Hiroshima" Intensivierung des Ausdrucks im leerten, nur sexuellen Liebe, die sich in Haß
(1962; Untertitel: ,,Canti di vita e d'amore") Musiktheater. verwandelt; in der Gleichgültigkeit, mit
behandelt nicht so sehr wie „lntolleranza" Die andere Linie erstreckt sich auf die der die Menschen gedankenlos auf einem
Bilder des Grauens, sondern versucht, Aktualisierung der Ideen und Tendenzen Vulkan von Atombomben tanzen; in der
die Vision einer idealen Zukunft zu des Musiktheaters. Nono denkt hiebei an das Oberflächlichkeit, die zur Mißachtung
von Naturkatastrophen führt. Vor allem (,,Zwischen den Atomopfern"), in welcher
gegen jeglichen Faschismus richtet sich die „Gefährtin" des „Flüchtlings" zu Wort
Nonos Werk. Die Menschen werden kommt. Dieses Sopransolo mit Orchester ist
aufgefordert, sich der Humanität zu besinnen als vierter Satz in die Suite übernommen.
und nach einem Leben in Freiheit zu streben. Text (in der Übersetzung von Alfred
Darum sind die bekanntesten Parolen Andersch): ,,nie nie nie / schluß mit den
europäischer Freiheitskämpfer zitiert. verfluchten intrigen / schwärme von irren
Die Musik der „lntolleranza" wurzelt im korrhoranen / umkreisen den raum / schutz
„Canto sospeso" und in einigen vortäuschend / versprechen sie uns den
A-cappella-Stücken. Serielle Techniken tod / der rauch von hiroshima strömt /
werden frei gehandhabt. Die virtuos strömt in tausend rasende nerven / die
eingesetzte Klangfarbe ist das Gerüst. Die adern unseres lebens / vibrieren / gleich
oft harte Orchestersprache schwankt zwischen elektrischen drähten / ach könnte man
pathetischen, lyrischen und aggressiven ruhig sein / zart aufdecken die wunden
Valeurs. Das brennt und schreit in grellen der natur / und der liebe / wie fühlte ich den
Farben, das blüht in zarten Tönungen. rausch des lebens / auch als der himmel /
Gellende Leitklänge markieren szenische grau war / eine taust aus blei / und krieg
Korrespondenzen. Sie umklammern die reich und unheil / die herzen zerrissen .....
schattierten Chorsätze. Peitschenschlägen Der fünfte Satz der Suite, Orchester allein,
gleich schnellen die Geräuschkaskaden des bekräftigt gleichsam die Stimmen der
Schlagwerks hervor, dröhnend gestützt und Hoffnung auf eine frieden- und
scharf aufgehellt von den Blechbläsern. In die gerechtig keitbringende Zukunft.
tragenden Chorpfeiler und in den dichten
Orchestersatz sind wunderschöne, geschmei-
dige Ariosi, Arien und Duette gebettet.
Gewalt und Mitgefühl, Zartheit und
Brutalität stehen eng nebeneinander. Nono
zeigt Tyrannei und Brutalität, um als
Humanist mit Mitteln der Musik empört
gegen Leid und Ungerechtigkeit zu
protestieren.
INTOLLERANZA-SUITE
Die Suite umfaßt fünf Sätze. Der erste,
Orchester und Chor, entstammt der dritten
Szene des ersten Teils der Oper und schildert
eine große Demonstration in der Stadt.
Chor der Demonstranten: ,,No pasaran 1
Liberta ai popoli I Morte al fascismo I La sale
guerre I Nie wieder I Down with
discrimination ..... Der zweite Satz,
Orchester allein, hat die Folgen der
Demonstration zum Thema. Der dritte Satz
der Suite ist identisch mit dem Schlußteil
der siebenten Szene der Oper. Chor der
Flüchtlinge: ,,poltert auf plätzen den marsch
der empörung I hoch stolzer häupter
wogendes feld I wie einer zweiten sintflut
verheerung / waschen wir wieder die
städte der weit /."
Damit schließt der erste Teil der Oper.
Deren zweiter beginnt mit einer absurden
Szene, der eine große lyrische folgt
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und Verleger:
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Für den Inhalt verantwort'iich:
Dr. Peter Vujica
Layout: Hans Paar
Druck und Klischees: Leykam, Graz
Preis: S 20. -
Stiegenkirche
Sonntag, 10. Oktober, 11 Uhr
JA•f~ 8 Ff I GE VDI!· §
'Die. Welt .,,,v-J ~hö•w ..,jf- Jt. , Je1n ''0•
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Sonntag, 10. Oktober
Z u m Einzug : Weg erkenne, unter allen Völkern sein Heil. Die Völker sollen Dir dan-
Lobet den Herren, alle, die ihn ehren! Laßt uns mit Freuden seinen ken, o Gott, danken sollen Dir die Völker alle. Die Völker sollen sich
Namen singen und Preis und Dank zu seinem Altar bringen I Lobet treuen und jubeln, denn Du richtest den Erdkreis gerecht. Du richtest
die Völker nach Recht und regierst die Menschen auf Erden. Die
den Herren !
O treuer Hüter, Brunnen aller Güter, ach laß doch ferner über unser Völker sollen Dir danken, o Gott, danken sollen Dir die Völker alle 1
Leben bei Tag und Nacht Dein Gnad und Güte schweben. Lobet den Das Land gab seinen Ertrag. Es segne uns Gott, unser Gott, es segne,
Herren I Gib, daß wir heute, Herr, durch Dein Geleite auf unsern es segne uns Gott I Alle Welt fürchte und ehre ihn 1
Wegen ungehindert gehen und überall in Deiner Gnade stehen. Lobet
den Herren 1 Sanct us:
Heilig, heilig, heilig, heilig, heilig, heilig, Gott, Herr aller Mächte und
Kyrie und Gloria:
Gewalten I Erfüllt sind Himmel und Erde von Deiner Herrlichkeit.
Kyrie eleison. Hosanna, hosanna, hosanna in der Höhe I Hosanna, hosanna, hosanna
Herr Jesus, Sohn des lebendigen Gottes: in der Höhe.
Kyrie eleison. Hochgelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, im Namen des
Du Mittler des Neuen Bundes : Herrn 1
Kyrie eleison. Hosanna, hosanna, hosanna in der Höhe 1
Du ewiger Hoherpriester: Hosanna, hosanna, hosanna in der Höhe 1
Kyrie eleison.
Herr Christus, Du hast für uns getragen Kreuz und Leiden :
Christe eleison, Christe eleison. Agnus D ei :
Du bist für uns auferstanden von den Toten : Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünde der Welt : Erbarme Dich
Christe eleison, Christe eleison. unser. Erbarme dich unser. Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die
Du bist für uns aufgefahren in den Himmel: Sünde der Welt :
Christe eleison, Christe eleison. Gib uns den Frieden.
Herr Jesus, Du Bräutigam deiner Kirche : Gib uns den Frieden.
Kyrie eleison, Kyrie eleison.
Du Hirt und Hüter unserer Seelen:
Communio :
Kyrie eleison, Kyrie eleison.
Du Hoffnung auf die ewige Herrlichkeit: Wir wollen uns sättigen am Gut Deines Hauses, am Gut Deines heiligen
Kyrie eleison, Kyrie eleison. Tempels. Erstaunliche Taten vollbringst Du, erhörst uns in Treue, Du
Gott unseres Heils, Du Zuversicht aller Enden der Erde und der
fernsten Gestade. Du gründest die Berge in Deiner Kraft, Du gürtest
Gra duale :
Dich mit Stärke. Du stillst das Brausen der Meere, das Brausen ihrer
Dem Herrn will ich danken zu aller Zeit . Wogen, das Toben der Völker, vor Deinen Zeichen erschauern, die an
Dem Herrn will ich danken zu aller Zeit. den Enden wohnen. Osten und Westen erfüllst Du mit Jubel. Du
Ich suchte den Herrn, und er hat mich erhört, all meinen Ängsten hat
sorgst für das Land und tränkst es, überschüttest es mit Reichtum.
er mich entrissen. Ein Armer rief, und der Herr erhörte ihn. Er half ihm
Gottes Bach ist gefüllt mit Wasser, Du schaffst ihnen Korn ; so ordnest
aus all seinen Nöten. Dem Herrn will ich danken zu aller Zeit.
Du alles. Du tränkst die Furchen, ebnest die Schollen, machst weich
Dem Herrn will ich danken zu aller Zeit.
sie durch Regen, segnest ihre Gewächse. Du krönst das Jahr mit
Nahe ist der Herr den zerbrochenen Herzen, hilft auch denen, die zer-
Deiner Güte. Deinen Spuren folgt Überfluß. Wir wollen uns sättigen
knirscht sind. Verherrlicht mit mir den Herrn, laßt uns gemeinsam
am Gut Deines Hauses, am Gut Deines heiligen Tempe ls.
rühmen seinen Namen I Dem He'rrn will ich danken zu aller Zeit.
Dem Herrn will ich danken zu aller Zeit.
D ankgesan g:
Alleluja: Im Frieden Dein, o Herre mein, laß ziehn mich meine Straßen. Wie mir
Alleluja. Dein Mund gegeben kund, schenkst Gnad Du ohne Maßen, hast mein
Wenn wi r mit Christus gestorben sind, werden wir auch mit ihm leben. Gesicht das sel'ge Licht, den Heiland, schauen lassen. Mir armem Gast
Wenn wir standhaft sind, werden wir auch mit ihm herrschen. bereitet hast das reiche Mahl der Gnaden. Das Lebensbrot stillt
Alleluja. Hungers Not, heilt meiner Seele Schaden. Ob solchem Gut jauchzt
Sinn und Mut mit allen, die Du geladen. 0 Herr, verleih, daß Lieb und
Offertoriu m: Treu in Dir uns all verbinden, daß Hand und Mund zu jeder Stund
Gott sei uns gnädig und segne uns. Dein Freundlichkeit verkünden, bis nach der Zeit den Platz bereit an
Er lasse sein Angesicht über uns leuchten, daß man auf Erden seinen Deinem Tisch wir find en.
Texte und
W erkkomrnentare
lgor Strawinsky über „ Symphonien f ür Blasinstrumente " Es ergibt sich eine Serie von einzelnen übereinandergelagerten Klang-
Ich rechnete nicht, und konnte dies auch nicht, mit einem unmittel- bildern; die einzelnen Kombinationen zeitigen Ergebnisse, die in den
baren Erfolg dieses Werkes. Es entbehrt aller Elemente, die unfehlbar ursprünglichen Bi ldern nicht enthalten sind.
den durchschnittlichen Zuhörer ansprechen und an welche er ge- Im „Landscape" herrscht die Perspektive der Bl echbläser vor. ,.Lands-
wöhnt ist. Es wäre müßig, darin irgendeinen leidenschaftlichen Im- cape" hat fünf physische Züge (die fünf Musikformen).
puls oder dynamische Brillianz zu suchen. Es ist ein strenges Ritual, Die musikalische Physiognomie einer natürlichen Landschaft, die
das sich in Form von ku rzen Litaneien zwischen den einzelnen man visuell und physisch erlebt. Man setzt sich in Bewegung, hält an,
Gruppen homogener Instrumente entfaltet. Diese Musik ist nicht bewegt sich nach allen Richtungen, betrachtet die Aussicht und
dazu bestimmt, dem Publikum im üblichen Sinne zu „gefallen" oder lenkt seine Auf merksamkeit auf bestimmte Punkte, auf Details oder
dessen Leidenschaften zu entfl ammen. Ich hatte jedoch gehofft, Fragmente dieses Details oder die Struktur dieses Details. Das Ganze
daß es jene ansprechen würde, in denen die reine musikalische ist die Summe von Teilen, kann jedoch nicht als Ganzes innerhalb
Aufnahmebereitschaft den Wunsch nach bloß emotionellem Verlan- eines bestimmten Zeitpunktes erfaßt werden.
gen überwiegt.
Elliott Carter über „ Konzert für Orchester"
Pet er Zinovief f über Harrison Birtwistles
Ich ließ mich durch das Gedicht des französischen Dichters St. John
,,An imaginary Landscape"
Perse „Vents" zu meinem Konzert für Orchester inspirieren. Ich fühlte
Eine mögliche Interpretation der Arbeit eines Computers, der von mich durch dieses Gedicht sehr angezogen; es beschreibt die Ver-
Birtwistl e mit Informationen gespeist w urde: einigten Staaten von Amerika als ein Land, das ständig von reini-
Die Arbeit legte nur das Wo und Wa nn fest, die formalen Proportionen, genden und schöpferischen Kräften wie Stürmen und Winden durch-
die Dialektik des Klanges und der St ille, einen Plan für die Entfaltung weht w ird, die immer wieder das Alte und Hergebrachte umwandeln,
der instrumentalen Quellen. Die Computerarbeit präsentierte Ergeb- neu formen und Neues und Frisches bringen. Im Verlauf des Gedichtes
nisse, die nach genauer Überprüfung ein anders geartetes Stück werden viele solche Veränderungen beschrieben.
beinhalteten als jenes, das Birtwistle ursprünglich schreiben wollte, Das Werk des Dichters d iente allerdings nur als Ausgangspunkt für
so daß die Informationen entsprechend geändert wurden. Was zum meine Komposition, denn je mehr ich mich mit dem Konzert beschäf-
Beispiel ursprünglich als Schema von Notenlängen für eine be- tigte, um so stärker gewann die Musik über das Wort die Oberhand,
stimmte Zeitperiode gedacht wa r, wurde neu ausgelegt, um jene fünf und nach einiger Zeit ging ich gänzlich davon ab und folgte dem
verschiedenen Musikformen auszuwähl en, die das Stück beinhaltet. musikalischen Konzept, das mir vorschwebte.
(Zweck des Computers: Ein außenstehendes irrationales Schema, In meinem Werk greifen immer wieder vier Sätze ineinander. Jeder
das einen zwingt, das zu tun, wozu der rationale Gedanke nicht in einzelne Satz w ird vor einem Hintergrund, der aus den drei übrigen
der Lage wäre.) besteht, beleuchtet. J eder Satz hat natürlich seinen eigenen Cha-
Jede der fünf M usikformen hat ihren eigenen erkennbaren Charakter; rakter, seinen eigenen Klang und seine eigene Entwicklung während
als Ganzes gesehen bilden sie jedoch eine Ei nheit von Klang und der gesamten Dauer des Stückes.
Vorstellung: Sie sind nicht überdifferenziert (wie z. B. die Verse für Diese vier Sätze zu numerieren, ist deshalb etwas irrefü hrend, denn
Ensemble). Der monochrome Aspekt der zwölf Blechbläser als Gruppe jedem Thema eines Satzes stehen kontrapunktisch mehr oder weniger
wird aufrechterhalten. Im ersten Teil werden sie in drei Gruppen zu lange Fragmente aus den anderen Sätzen gegenüber. Der erste Satz
je vier (nach Art der Instrumente) geteilt, im zweiten in vier Gruppen bringt die Gruppe der Celli in den Vordergrund, Klavier, Harfe,
zu je drei (Trompete, Horn, Posaune). Marimba, Xylophon und Holzschlaginstrumente. Er hält sich im tie-
Jede Instrumentalgruppe hat ihre eigenen, klar definierten Klang- feren Mittelregister und wird zur Gänze in mäßig schnellem Tempo
blöcke (inneres Schema); jeder Block ist in sich selbständig, doch d ie gespielt . Der zweite Satz fü hrt hochgesetzte Streicher vor, Bläser und
Blockfolge über eine bestimmte Zeitperiode bi ldet einen kompletten Metallschlaginstrumente. Der Satz beg innt sehr schnell und leicht-
Satz. füßig und w ird allmählich langsamer. Im dritten Satz treten die
Die Blöcke erklingen allein, alternieren, vereinigen sich und über- Kontrabässe, T uba, Hörner, Pauken und andere tiefgestimmte Instru -
sch neiden sich unabhängig voneinander. ( Die phasenlosen Blöcke mente hervor. Der ganze Satz ist in rezitativem Charakter gehalten.
sind eine neue Charakteristik von Birtwistles Musik.) Der vierte Satz ist für Violen, Oboen, Trompeten, klei ne Trommeln
Über das Bl ockschema hinweg bezeichnen Pausen den Anfang und und andere Instrumente in mittlerer Tonlage geschrieben. Er beginnt
das Ende der Blöcke und unterbrechen stellenweise die Kontinuität mit langsamen Fragmenten, die in der Folge rascher werden, bis das
der Musik. Diese Unterbrechungen produzieren ihrerseits eine Art Werk zu einem breiten und raschen Finale führt.
von temporären Blöcken.
Die sich ergebenden rhythmisch-melodischen Formen werden durch
untergeordnete Instrumente, wie Perkussionsinstrumente und Kon- Pierre Boulez über „ Eclat / mult iples"
trabässe, betont, deren Aufgabe es ist, ein ständig unterlegtes Klang- Es ist ein Werk, das auf Gegensätzen basiert, die sich zwischen einer
kolorit zu schaffen. Gruppe von homogenen Soloinstrumenten und einer sich vergrö-
Montag, 18. / Dienstag, 19. Oktober
ßernden Begleitgruppe ergeben können. Was die Soloinstrumente Und daß mir auch,
verbindet und sie in Gegensatz zum übrigen Orchester stellt, ist die Wie andern, eine bleibende Stätte sei,
Tatsache, daß ihr einmal erzeugter Klang nicht modifiziert werden Sei du, Gesang, mein freundlich Asyl 1
kann. Daraus ergibt sich eine musikalische Konzeption, deren Ideen
in einer Art luftleerem musikalischem Raum realisiert werden, im 2
Gegensatz zu den sehr dynamischen Ideen, die im allgemeinen von Traurigkeit
Instrumenten stammen, die ihren Klang ausdehnen (aushalten) kön- ( Berthold Viertel)
nen. Ebenso erg ibt sich daraus ein Widerspruch zwischen einer
kontemplativen Einstellung gegenüber dem Phänomen der Sonorität Wer t raurig sein will, wird vielleicht mich lesen,
- was eine andere Art des Zuhörens erfordert und besondere A uf- Und er wi rd denken zwischen den Zeilen:
merksamkeit innerhalb der Resonanz selbst - und aktiven gedank- ,,Ja, traurig ist auch dieser Mensch gewesen.
lichen Bemühungen, sich meh r mit den musikalischen Zusammen- Aber kann meine Traurigkeit die seine heilen?"
hängen zu beschäftigen und der Richtung, in die sie sich bewegen.
Außerdem und vor allem ist das Werk als eine Folge von Spiegel- Du solltest dich über die Gründe fragen
bildern konzipiert, welche die einzelnen Entwicklungsphasen reflek- Der Traurigkeit, du Mensch der besseren Zeiten.
tieren, bzw. die viel fachen Reflexe der ursprünglichen musikalischen Die meine wird dir die Geschichte sagen,
Bilder wirken aufeinander ein und schaffen divergierende Perspek - Die J ahresdaten meiner Traurigkeiten.
tiven, wie dies Paul Klee in einigen seiner Gemälde zum Ausdruck
bringt. 3
V erzweifl ung
Die nsta g, 19. Oktober ( leopardi)
H anns Eisler : Ernste Gesänge Nichts gibt's, was würdig wäre deiner Bemühungen,
Vorspiel und Spruch Und keinen Seufzer verdient die Erde.
( Hölderlin) Schmerz und Langeweile sind unser Los
Viele versuchten umsonst, das Freudigste freudig zu sagen, Und Schmutz die Welt, nicht s andres,
Hier spric ht endlich es mir, hier in der Trauer sich aus. Beruhige dich.
4
H of fnu ng
A syl
( Hölderlin-Fragment)
( Hölderlin- Fragment)
In seiner Fülle ruht der Herbsttag nun, 0 Hoffnung I holde I gütiggeschäftige !
Geläutert ist die Traub, und der Hain ist rot Die du das Haus der Trauernden nicht verschmähst,
Vom Obst, wenn schon der holden Blüten Und gerne dienend
Manche der Erde zum Danke fielen. Zwischen den Sterblichen waltest:
Begl ückt, wer am sicheren Herd Ich halte dich in mei nem A rm umfangen.
In rühmlicher Hei mat lebt. Wie ein Saatkorn ist die Hoffnung aufgegangen.
Komm, ins Offene, Freu nd I zwar glänzt ein Weniges heute Wenn die Obren vom Frieden sprechen
Nur herunter, und eng schließt der Hi mmel uns ein. M ann auf der Straße
Trüb ist's heut, es schl ummern die Gäng' und die Gassen. Laß alle Hoffnung fahren.
Es scheint, als sei es in der bleiernen Zeit.
Wenn die Obren Nichtangriffspakte schließen
Denn nicht Mächtiges ist unser Singen, aber zum Leben gehört es. Kleiner Mann
Mach dein Testament.
Kommen doch auch der Schwalben
Immer einige doch, ehe der Sommer im Land. Wenn der Krieg kommt wird sich vieles vergrößern
Es wird größer werden
M öge der Zimmerman n vom Gipfel des Dach's den Spruch tun: Der Reichtum der Herrschenden
Wir, so gut es gelang, haben ?as Unsre getan. Es wird größer werden
Das Elend der Ausgebeuteten.
Der Hunger, die Ungerechtigkeit und Unterdrückung
7
Die werden größer werden.
Epilog
(Stephan Hermlin) Auf der Mauer stand geschrieben
Sie wollen Krieg.
Nahe schon ist der Herbst,
Der es geschrieben hat
Nah ist im Fall der Frucht das Verklingen des Lieds
Ist schon gefallen.
Dort, wo der Wald erdröhnt,
Tief vom Stürzen der Toten und den Stürmen, die südwärts ziehn. Wenn die Obren vom Frieden reden
Weiß das gemeine Volk
Denn bestimmt ist's, daß groß auf sich Verdunkelndes Schlaf kommt,
Daß es Krieg gibt.
Schattender Hauch, groß wie das Sehnen nach Stille,
Wenn nach des Lichtes Glanz der heftige Tag verstu mmt. Wenn die Obren den Krieg verfluchen
Sind die Gestellungsbefehle schon ausgeschrieben.
Ihm auch kündigt sich an hehrerer Zeiten Bild,
Und was lange schon herrlich verheißen ist, Wenn die Obren von Ehre reden
Wehet auch durch die Stille und macht sie schön. Weiß das gemeine Volk
Daß es Krieg gibt.
Neues wächst aber fort,
So wie die Zeit es will. Die ist des Darbens müd. Wenn die Obren uns Ruhm versprechen
Ihn aber ruft es weit. Sind die Gestellungsbefehle schon ausgeschrieben
Was auch ohne ihn blüht, preist er Wenn sie reden von großen Zeiten
Künftigen Glückes gewiß. Weiß das gemeine Volk
Daß es Blut gibt.
Wenn die Obren von Opfer sprechen
Ha nns Eisler: Gegen den Krieg So meinen Sie
Als der letzte Krieg vorüber war Unser Blut.
Gab es Sieger und Besiegte. Sie reden w ieder von großen Zeiten
Bei den Besiegten das niedre Volk Sie reden w ieder von Ehre
Hungerte. Bei den Siegern Sie reden wieder von Siegen
Hungerte das niedre Volk auch. Marie, weine nicht.
Die das Fleisch wegnehmen vom Tisch Wenn es zum Marschieren kommt
Lehren Zufriedenheit. Euer Feind marschiert an der Spitze
Die, für die die Gaben bestimmt sind Die Stimme, die euch kommandiert
Verlangen Opfermut. Ist die Stimme eures Feindes
Die Sattgefressenen sprechen zu den Hungrigen Wer da vom Fei nd spricht
Von großen Zeiten, die kommen werden. Ist unser Feind.
Dienstag, 19. Oktober
G e org Eisle r über Hanns Eislers „Bilder aus der Kriegsfibel" Im vierten Brandt fünf Personen.
Die Sigmund Glaserin, eine Burgemeisterin.
Hanns Eisler wollte bei der Aufführung der „Kriegsfibel" auch das
Die Brickmannin.
Visuelle einbeziehen. Wie er mir erklärte, war es seine Absicht, die
Die Schickelte Amfrau ( Hebamme).
Bildvorlagen, zu denen Brecht die Vierzeiler verfaßt hatte, im Konzert-
NB. von der kommt das ganze Unwesen her.
saal zu zeigen. Eine Leinwand sollte über dem Podium angebracht
Die alte Rumin.
und die Bilder darauf projiziert werden. Bei den Brecht-Vorlagen han-
Ein fremder Mann.
delt es sich ausnahmslos um Ausschn itte aus Zeitu ngen und Illustrier-
ten; das heißt, auf gestochen scharfe, präzise Wiedergabe wurde
Im fünften Brandt acht Personen.
wenig Wert gelegt, denn der Charakter der Drucksache sollte gewahrt
Der Lutz, ein vornehmer Kramer.
bleiben. Dieses Prinzip müßte auch bei den Projektionen gelten. Mei-
Der Rutscher, ein Kramer.
nem Vater war es vor allem darum zu tun, bei diesem audiovisuellen
Des Herrn Domprobst Vögtin.
Versuch Musik, Text und Bi ld zu einem Mittel der Information zu ver-
Die alte Hof-Seilerin.
binden. Der Konzertbesucher sollte nie die Tatsachen, die der Anlaß
Des Jo. Steinbachs Vögtin.
dieser Komposition sind, aus den Augen verlieren.
Die Baunachin, eines Rathsherrn Frau.
Die Znickel Babel.
M ittwoch, 20. Oktober Ein alt Weib.
Roman Haubenstock-Ramati über „ Chorographie"
Im sechsten Brandt sechs Personen.
,,Chorographie" ist ein Werk für Kammerchor (vier Sopran-, vier Alt- Der Rath -Vogt, Gering genannt.
stimmen, vier Tenöre, vier Bässe) ohne Instrumentalbegleitung. Es Die alte Canzlerin.
gliedert sich in drei Teile, deren erster life aufgeführt wird, die beiden Die dicke Schneiderin.
anderen werden von Tonbändern gleichzeitig über Lautsprecher Des Herrn Mengerdörfers Köchin.
wiedergegeben. Die Lautsprecher werden so placiert, daß alle drei Ein fremder Mann.
Versionen eine einzige Einheit bilden. Ein fremd Weib.
Die Aufnahmen sollen weitgehend verzerrt werden mit Hilfe von
Filtern, Hall, verschiedenen Mikrophoneinstellungen, Rückkoppelun- Im siebenten Brandt sieben Personen.
gen etc. Der Dirigent muß den Ablauf so einteilen, daß alle drei Ein fremd Mägdlein von 12 Jahren.
gleichzeitig erklingenden Versionen fast die gleiche Dauer haben. Ein fremder Mann.
Zeitliche Verschiebungen der Details sind möglich. Der Chor ist Ein fremd Weib.
instrumental behandelt, orchestrale Klangfarben werden bewußt an- Ein fremder Schultheiss.
gestrebt. Drey fremde Weiber.
NB. Damahls ist ein Wächter, so theils Herrn ausgelassen, auf dem
Markt gerichtet worden.
Friedri~ Verzeichnis
1m achten Brandt sieben Personen.
Verzeich..~ en- Leut, so zu Würtzburg mit dem Schwerte
Der Baunach, ein Raths-Herr und der dickste Bürger in Würtzburg.
gerichtet und hernacher verbrannt worden.
Des Dom-Probst Vogt.
Im ersten Brandt vier Personen.
Ein fremder Mann.
Die Lieblerin.
Der Schleipner.
Die alte Anckers Wittwe.
Die Visirerin.
Die Gutbrodtin.
Zwey fremde Weiber.
Die dicke Höckerin.
Im andern Brandt vier Personen. Im neundten Brandt fünf Personen.
Die alte Beutlerin. Der Wagner Wunth.
Zwei fremde Weiber. Ein fremder Mann.
Die alte Schenckin. Der Benzen Toc hter.
Die Benzin selbst.
Im dritten Brandt fünf Personen. Die Eyeringin.
Der Tungersleber, ein Spielmann.
Die Kulerin. Im zehnten Brandt drey Personen.
Die Stierin, eine Procuratorin. Der Steinacher, ein gar reicher Mann.
Die Bürsten-Binderin. Ein fremd Weib.
Die Goldschmidtin. Ein fremder Mann.
Mittwoch, 20. Oktober
Im eilften Brandt vier Personen. Ein Student in der fünften Schule, so viel Sprachen gekont, und ein
Der Schwerdt, Vicarius am Dom. vortreflicher Musicus vocaliter und instrumentaliter.
Die Vögtin vom Rensacker. Zwey Knaben aus dem neuen Münster von 12 Jahren.
Die Stiecherin. Der Steppers Babel Tochter.
Der Silberhans, ein Spielmann. Die Hüterin auf der Brücke n.
Im siebenundzwanzigsten Brandt sieben Personen. Bevorzugung konsonanter Intervalle, ein Streben nach Wieder-
Ein Metzger, Kilian Hans genannt. gewinnung der melodischen Linie, nach Transparenz statt Massen-
Der Hüter auf der Brücken. struktur - und ein Vermeiden von kla ngverfremdenden und aleato-
Ei n fremder Knab. rischen Techniken.
Ein fremd Weib. Eine Musik, die solche Züge trägt, muß heute notwendigerweise auch
Der Harfnerin Sohn, Vicarius zu Hach. dort regressive Eindrücke wac hrufen, wo nicht „objets trouves" in
Der Michel Wagner, Vicarius zu Hach. verschiedenen Deutlichkeitsgraden auf einen Fundort hinweisen. Da
Der Knor, Vicarius zu Hach. jedes „ Fortschreiten" aus dem - erfaßbaren Zusammenhang auf ein
Im achtundzwanzigsten Brandt, nach Lichtmess anno 1629 Minimum reduzierenden - Punkt der Entwicklung in der streng seriel -
sechs Personen. len Phase der Komposition, abgesehen vom aleatorischen Phänomen,
Die Knertzin, eine Metzgerin. wieder erfaßbarere Formen konstituiert hat und daher in gewissem
Der D. Schützen Babel. Sinn regressiv war, ist das Unbehagen, das ein schnelles und deut-
Ein blind Mägdlein. N B. liches Verlassen der neu etablierten Vorstellungen auszulösen vermag,
Der Schwartz, Chor-Herr zu Hach. weniger in der Tatsache als in der Art und im Grad ei nes Regresses
Der Ehling, Vicarius. begründet, wofern es sich nicht einfach um ein - regressives -
Der Bernhard Mark, Vicarius am Dom-Stift, ist lebendig verbrannt Beharrungsbedürfnis in neueren Schablonen handelt. Alle meine Ar-
worden. beiten zwischen „Exercises" und „Langegger Nachtmusik I" weisen
in verschiedener Art eine Auseinandersetzung mit älteren Denk-
Im neunundzwanzigsten Brandt sieben Personen.
modellen auf. Ein Vorgehen wie das meine erhielte seine Berechtigung
Der Viertel Beck.
für mich daraus, daß es zu sprachschöpferischen Funden fortschreitet.
Der Klingen Wirth.
Ist in „Exercises" versucht worden, solche dialektisch zu erzwingen,
Der Vogt zu Mergelsheim.
indem regressive „Störu ngen" gegen ihre Umwelt ausgespielt und
Die Beckin bei dem Ochsenthor.
in einen Formverlauf, der daraus wesentliche Impulse erfährt, inte-
Die dicke Edelfrau.
griert werden, so hoffe ich, in „Catalogue" und „Langegger Nacht-
NB. Ein geistlicher Doctor, Meyer genannt, zu Hach und
musik I" spontan in der Invention zu manchem in dieser Richtung
Ein Chor-Herr ist früh um 5 Uhr gerichtet und mit der Bar verbrannt
gelangt zu sein, wenngleich sie sich der Auseinandersetzung mit ver-
worden.
schiedenen „gefundenen" Elementen bedient hat.
Ein guter vom Adel, Junker Fleischbaum genannt.
,.Verzeichnis", in unmittelbarer Nachbarschaft zu „Catalogue" ent-
Ein Chorherr zu Hach ist auch mit dem Doctor eben um die Stunde
standen, sucht unter allen Stücken aus dieser Periode am deutlichsten,
heimlich gerichtet und mit der Bar verbrannt worden.
von der zeitlichen Gebundenheit von Manipulationen und Sprach-
Paulus Vaecker zum Breiten Huet.
formen abzusehen - was für mich bedeutet hat, mich auch bewußt
Seithero sind noch zwey Brändte gethan worden. über meine langjährigen Reservate gegenüber dem „Vertonen" eines
Datum, den 16. Febr. 1629. Textes hinwegzusetzen; die nicht reflektierende, nicht über längere
Bisher aber noch viel unterschiedliche Brändte gethan worden. Strecken hin syntaktisch gebundene Gestalt des vorliegenden hat
mir das erleichtert. Es handelt sich um ein rein reihendes Verzeichnis
der in Würzburg in einem bestimmten Zeitraum wegen Hexerei hin-
Fried ri ~ ber „Verzeichnis" gerichteten Personen, das ich im österreichischen A lmanach „ Pro-
Ich hab~ deren in den letzten Jahren w iederholt die Frage tokolle 69" gefunden habe. Der Text ist so behandelt, daß er nur
gestellt, was gegenwärtig im Komponieren (noch) progressiv ist. fragmentarisch verständlich wird. Ich habe mich betont vor allem um
Was einen Komponisten zu gestalten reizt, weil es ihm - im Sinne charakteristische, prägnante Formulierung und Bindung von Gestal-
von Paul Klee - etwas „sichtba r" zu machen verspricht, hängt u. a. ten bemüht, während sich gleichzeitig mein Bewußtsein für das
vom Grad seiner Erfahrung ab. Nach dem ausgedehnten Erproben der Perseverative, in der Anwendung einer motettisc hen Technik, die als
Gestaltung dichter Klangmassen und der Organisation vielfältigen alte Verfahrensweise verschiedene - auch irgendwie präformulierte
Klanggeschehens in „Relazioni fragili", ,.lntersecazioni" und meinen - Elemente in immer neue Formen zwingt, mit dem für die - zu einem
sieben Spiegelstücken hat mich eine Sehnsucht nach scharf kontu - wesentlichen Teil im Zwanghaften begründeten - Fragwürd igkeit aller
rierten, klaren und durchsichtigen Strukturen, nach hörend vergleich- menschlichen Aktivität gedeckt hat. .. Verzeich nis" stellt in mehr-
baren Einzelereignissen - auc h im Rhythmischen - erfaßt, der zu- facher Weise für mich persönlich eine Art Gewaltakt dar, der sicher
nächst die Komposition meiner „Symphonien" (1964) entsprungen nicht unproblematisch ist. Unabhängig von seinem unmittelbaren
ist und zu der sich in „Exercises" (1962-1968) eine Freude an der Ergebnis hat er für mich in zweifacher Weise eine Klärung gefördert:
formalen Bewältigung von Heterogenem gesellt hat. In meiner Einstellung zur Frage, wie anachronistisch und inadäquat
In „Catalogue des objets trouves" habe ich dann die schon in den das Umsetzen sozialen Engagements - in welcher Form auch im-
„Exercises" zutage getretene Divergenz zu einer Anzahl von Tabus mer - unserer Gesellschaft gegenüber heute ist und auf meinem Weg
in der neuen Musik bewußt fortgesetzt: Es gibt darin stellenweise zu einer möglichst modellfreien, klaren und doch beziehungsreichen
Mittwoch, 20. / Donnerstag, 21. Oktober
Sprache. In „Langegger Nachtmusik II" steht die Forderung nach listen und Publikum); visible music 1 (für einen Dirigenten und einen
„clairte" obenan. Die Freude an i hr ist jeder klassischen, künstlerischen Instrumentalisten); lectiones (für mehrere Sprecher).
Intention eigen. Wieweit es einer solchen noch möglich ist, zu „nicht Schaustücke (Dramatische Übungen für Instrumentalisten und
Gehörtem" zu gelangen, ist frag lich, aber es gibt auch wenig, was Vokalisten) 1962-1965 / 66: nostalgie (visible music II = Solo für
mich in den bekannten Genres neuer Musik zu weiterem Fragen einen Dirigenten); espressivo (visible music 111, für ei nen Instrumen-
bewegt. Gedanken über Grundprinzipien klassischen Formens und tal isten); concert sans orchestre (für einen Pian isten und Publikum);
über Avantgarde mögen im Zusammenhang merkwürdig w irken; ich fallout (für einen Vokalisten); anschläge- ausschläge (szen ische
halte sie im Augenbl ick für wesentlich. Variationen für 3 Instrumentalisten: Flöte, Violoncell o, Cembalo).
ki-no 1963-1967 (Nachtmusik für Projektoren und Hörer), mo-no,
1969; Choralvorspiele für Orgel und Tonband, 1967 - 1969; Mund-
H e inz Holliger übe r „Dona nobis pa ce m" stücke, 1968-1970 (für Stimmorgane und Reproduktionsgeräte).
„Dona nobis pacem" für 12 Singstimmen geht aus von den 6 Silben
des Titels, aus denen (ähnlich Kagels „Anagramma") der gesamte The oretisch e Arbe iten : Studien zur Dynamik Arnold Schönbergs
Textvorrat hervorgetrieben wird. Jeder Silbe sind bestimmte Ton- (Diss. Tübingen, 1955); Karlheinz Stockhausen (die reihe, 4, Wien,
höhen, Tonhöhenkomplexe, ja sogar ganze Formabschn itte zuge- 1958); ... Brouillards. Tendenzen bei Debussy (die reihe, 6, Wien,
ordnet. Mit den sprachlichen Permutationen gewinnt auch die Musik 1960); Abwege (Neue Musik V /VI, 1962); Glossolalie (Collage 1,
eine kaum mehr überblickbare und kontrollierbare Komplexität. Palermo, 1964); das musikalische material (Collage 3 / 4, Palermo,
1964); kommentar zu neuer musik (Collage 3 / 4, Palermo, 1964);
Bericht von neuer Orgelmusik (Festschrift Walter Gerstenberg,
Dieter Sehne bel über „ Madrasha 11" Wolfenbüttel und Zürich, 1964) ; Mahlers Spätwerk als Neue Musik
(Collage 6, Palermo, 1966, und Gustav Mahler, Tübingen, 1966);
Der unaussprechliche Titel dieses Stückes ist: - 1 und meint wortlosen das formproblem in der neuen musik (Collage 6, Palermo, 1966);
Ausbruch, Exklamation. Der komplementäre Untertitel Madrasha be- Sprache als Musik in der Musik (Schweizer Monatshefte, September
deutet im Syrischen der frühchristlichen Epoche Hymnus und ist 1966); Geistliche Musik heute (Musik und Kirche 3, Kassel, 1967);
Hilfsmittel, um den Namen des Werkes akustisch zugänglich zu Neue Chormusik (Schallplatte Wergo 60026, Baden-'Baden); Musica
machen. Insgesamt bezeichnen die Titel Jubilus, averbalen Gesang, sacra ohne Tabus (Melos 10, Mainz, 1968); Komposition von
somit Musik, welche kraft sprachlosen Ausdrucks ihre eigene aus- Sprache, sprachliche Gestaltung in Adornos Werk (Adorno-Gedenk-
schweifende Sprache gebiert. Um Expression aber geht es insofern, schrift, Frankfurt, 1970); Auf der Suche nach der verlorenen Zeit
als in diesem Stück Vorgänge des Ausdrückens, des Aus-sich- (Versuch über Schubert, 1968 / 69); Sichtbare M usik, 1965-1969
Heraussetzens von Lauten das Material bilden. Also wird Artikulation (Musik auf der Flucht vor sich selbst, München, 1969); Mauricio-
selbst gestaltet und zum musikalischen Prozeß gemacht. In der Parti- Kagel- Musik, Theater, Film, 1962- 1969 (Köln, 1970).
tur sind vielerlei Modelle notiert, wo Lippen-, Zungen-, Zäpfc hen-
bewegungen, Veränderungen des Mundraumes, des nasa len Re-
sonanzraumes, des Atemdruckes etc. gleich musikalischen Verläufen Editione n: K. Stockhausen, Texte (3 Bände, hg. v. Dieter Sehnebel)
entworfen und komponiert werden. Das Ergebn is der Real isation ist, (Köln 1963, 1964 und 1970) .
daß Stimmen von konventionell em Verhalten befreit werden. Die
Emanzipation setzt sich fort, indem auch die Interpreten losgelassen
werden: sie können mancherorts eigene Fortsetzungen bilden und Don nerstag, 21. Ok tober
so die an sich selbst gewonnenen Erfahrungen produktiv verwirkli -
chen. Also visiert Madrasha die Gesamtheit stimmlicher Äußerungen, l sang Yun übe r „ Musik für sieben Instrume nte"
Musik aller Stimmen. Die „Musik für sieben Instrumente" (1959) ist eine Art moderner
Fantasie, deren Tonfall von der alten koreanischen Hofmusik angeregt
ist. Im ersten Stück bilden sich die Klanggewebe, häufig durch vege-
Sehnebels K ompositione n : Versuche 1-111 1953- 1965: Analysis tative Figuren, zu typischen Klangerscheinungen, die sich in meinen
(Saiteninstrumente und Schlagzeug); Stücke (Streichquartett); Frag- dahinterfolgenden Stücken (3. Streichquartett, Bara, Colloides sono-
ment (Kammerensemble und Stimme); Compositio (Orchester). res usw.) entwickelt haben und die ich später „Kolloide" nannte. Im
für stimmen f ür ( . . .missa est) 1956-1968: dt 31 / 6 (12 Vokal - zweiten Stück ist der Einfluß ostasiatischer Musik bemerkbar, durch
gruppen); amn (7 Vokalgruppen); : 1 (madrasha II) (3 Chöre). den in kontrollierten Vibrationen und grundierenden, organisierten
Projekte (Definierte - nicht auskomponierte - Musiken) 1958- 1961 : Rhythmus, der gelegentlich zwischendurch auch als verbindendes
raumzeit y (unbestimmte Anzahl von Ausführenden auf Drehstühlen); Element selbständig wird. Das dritte Stück ist eine Zusammensetzung
Das Urteil (denaturierte I nstrumente, naturierte Singstimmen und von figurativen und linearen Elementen zu den vorhergehenden
sonstige Schallquellen); Glossolalie (Sprecher und Instrumentalisten). Stücken, und zwar in der Struktur klarer, im Tempo noch kontrastie-
Abfälle 1960 /61 -1962: reactions ( Konzert für einen lnstrumenta- render.
Donnerstag, 21. Oktober
eine so glückliche Lage durch Naivität, Böswilligkeit, Zynismus ge- Freit a g, 22. Oktober
stört und zerstört. Aber unser Gitarrenspieler ist gut. Er kommentiert
Ernö Kiraly über „ Voca lizzazioni"
nur das ganze M usikgeschehen mit leichter Ironie, manchmal auf eine
altertü mliche Weise, denn er ist zu „vernünft ig" und darüber erhaben, Der erste Satz wurde auf Vokalen, der zweite auf Konsonanten auf-
solche Torheiten ernst zu nehmen. Schade. gebaut. Beide Teile wurden auf dem Pri nzip der Linearität komponiert.
Die Tonhöhe wurde im Gegensatz zu Rhythmus und Dynamik nur
annäherungsweise fixiert. Jede Stimme soll unabhängig von der
Paul Fort : Les Hymnes d e f eu
anderen intonieren. Der vertikale Klang entsteht als Resultat des
( Lucien ne, petit roman sentimenta l)
Zufalls. Die so entstandenen Klänge, Farben, Rhythmus und Räum -
No XXI lichkeit sind die grundlegenden Elemente, die realisiert werden sol-
Une ligne de peupliers mourait l'horizon ... a l en. Das Werk wurde 1969 komponiert.
Comme on s'est peu aime, l'autre j ou r, ma Lucienne 1
Comme on s·est peu aime, l'autre jour, en s'aimant. L udmila Frajt: Pesme Noci
0 promenade I promenade 1 - On ne sait plus rien se dire,
Senk e
Vous etiez a mon bras. Mon bras tremblait d'amour.
Senke se sklapaju nad senkama
Et c'est tout. - Nous avons saute une flaque, pour rire.
Senke se sunjaju iz tarne u tamu
Puis votre mai n trembla dans la mienne un moment.
Tama tece kroz prste
Or, je vous dis ... Mais non, je ne sus rien vous dire.
Tama se uvlaci u srz
Or, vous me dites . .. Mais no n, vous ne ca usiez pas.
Tama gura prste u zenice
Or la terre enbaumait et nos coeurs etaient t ristes.
Slepilo tarne pije oci.
Pourquoi ? pourquoi ? - J amais nous ne l e saurons.
U mraku trazim
L'heure vint, comme toujours, d'une separation
daleka su nca
o u les coeurs se brisent. - Mais nous eta nt quittes,
kroz sarenu mrezu kapilara.
n'avez-vous point souri ä ces vols d'hirondelles?
Et n'ai-j e point regarde frisso ner le gazon? Nem i ri
On s'est si peu aime, l'autre jour, ma Lucienne. Treperi noc prazninom bezkraja
Vraiment, qu'y avait -il? - Azur bleu, nuages blancs ... lgraju plamenovi pod drhtajem trepavica
Une ligne de peupliers mourait a l'horizon. Tela se raspinje pod pogledom zidova
Vihori misli razaraju celo.
Drhte prsti strahom od dodira
Paul F ort: L ucienne Zamire krik strahom od tisine.
Ein kleiner empfi ndsamer Roman Tisina
Eine Reihe Pappeln erstarb am Horizont ... Tisina sumi u slepoocnicama
Wie wenig haben wir eina nder doch geliebt, unlängst, meine Tisina kuca ritmom bila
Lucienne 1 Tisina udara u bubnjeve sl uha
Wie wenig haben wir einander doch geliebt, unlängst, als wir Urla Mina prostorom.
einander liebten. Sum tisine zubori sapatom.
Promenade I Oh Promenade 1 - Wir wußten uns nichts mehr zu Talasi zapljuskuju svest
sagen. Zenice tonu u duplje
Du lagst in meinem Arm. Mein Arm zitterte vor Liebe. Zamire jecaj i krik bez glasa
Und das ist alles. - Wir si nd in ei ne Lache gesprungen, zum Spaß. U gluvoj samici sna.
Dann zitterte deine Hand einen A ugenblick in meiner.
Ich sagte zu dir ... Aber nein, ich wußte dir nichts zu sagen. Ludmila Frajt: Liede r der Na cht
Du sagtest zu mir . . . Aber nei n, du redetest nicht. Schatten
Die Erde duftete w ürzig und unsere Herzen waren traurig. Schatten überdecken Schatten,
Waru m ? Warum? - Wir werden es niemals wissen. Sc hatten schleichen aus dem Dunkel ins Dunkel,
Die Stunde einer Trennung kam, wie immer, Dunkelheit rinnt durch die Finger,
in der die Herzen brechen. - Aber als wir uns trennten, Dunkelheit zieht sich ins Mark,
hast du nicht diesen Flügen der Schwalben zugelächelt? Dunkelheit schiebt die Finger in die Pupille,
Und habe ich nicht dem Schauern des Rasens zugesehen? Blindheit der Dunkel heit trinkt die Augen.
Wir haben einander so wenig geliebt, unlängst, meine Lucienne. In dt!r J:instPrnis sucho ich
\l't(:.~1; n..h „ L· · 1•-;,IJ~p u 1n ·erstarb ·am HÖ(ii~nt: ........ '-1, , VVOll.)ß WOiken .. . entfernte Sonnen
durch das bunte Netz der Kapillaren.
Freitag, 22. Oktober
dt-,;;,,n,,.:r...:.:1-:-..-,." _,,.,.
... • • • •
~n A, "n
certamente splendide
ehe buona gente andere Dimensionen verleihen, erforsc t. G" ttlicher Komödie"
tutti buoni uomini Das Werk basiert auf drei Versen aus Dantes ,, ~
finiamol (Porodico, ':!~ 124-126) und Texten des Kompom 5len,
Freitag, 22. / Samstag, 23. Oktober
Der Liebe pflegte ich achtlos Seit vielen Jahrhunderten regierten die Päpste
Und die Natur sah ich oh ne Geduld. mit fünf Gesetzen,
So verging meine Zeit auf dem Zuge der Tausend
Die auf Erden mir gegeben war. brauchte Garibaldi nur drei Gesetze,
aber das neue Regime
Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit.
braucht für alles ein eig nes Gesetz.
Die Sprache verriet mich dem Schlächter.
Es gibt eins, das verbietet,
Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
von bestimmten Dingen zu reden,
Waren ohne mich sicherer, das hoffte ich.
an die Mauern zu pissen,
So verging meine Zeit
nachts zu singen,
Die auf Erden mir gegeben war.
die Trambahn vorne zu besteigen;
Die Kräfte waren gering. Das Ziel es gibt ein Gesetz für Ehegegner,
Lag in weiter Ferne. fü r bestimmte Berufe,
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich fü r Versammlungslokale
Kaum zu erreichen. und für Streitfälle zwischen
So verging meine Zeit A rbeitern und A rbeitgebern.
Die auf Erden mir gegeben war. Je mehr solche Gesetze,
um so mehr Elend.
II J e mehr Elend,
(An die überlebenden) um so mehr solche Gesetze.
Wahrhaftig !
Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut Das große Rom ist unerträglich.
In der w ir untergegangen sind Die Luft ist verpestet.
Gedenkt Rom stinkt.
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit 2. Der Gestank
Der ihr entronnen seid. Einer sagte:
Der Gestank kommt vielleicht
Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd von den Mäusen.
Durch die Klassenkriege, verzweifelt Der Rat erklärte den Mäusen den Krieg,
Wenn da nur Unrecht war und kei ne Empörung. und Tausende w urden vernichtet.
Dabei wissen wir doch: Aber der Gestank blieb.
Auch der Haß gegen die Ni edrigkeit Ein andrer sagte:
Verzerrt die Züge Der Gestank kommt vielleicht von den Fliegen.
Auch der Zorn gegen das Unrecht Der Rat erklärte den Fliegen den Krieg,
M acht die Stimme heiser. Wir Millionen w urden vernichtet.
Die den Boden bereiten wollten für Freundlic hkeit Aber der Gestank blieb.
Kon nten selber nicht freundlich sein. Ein dritter meinte:
Vielleicht kommt der Gestank
Ihr aber, wenn es so weit ist von den Katzen.
Daß der Mensch dem Menschen kein Wolf mehr ist Da erklärte der Rat den Katzen den Krieg,
Gedenkt unser und Tausende wurden getötet.
Mit Nachsicht. Aber der Gestank blieb.
In gewissen Stunden ist er so stark,
daß man sich erbrechen muß.
Woher kommt er wirklich?
Hanns Eisler: Die römi sche Kantate
Vielleicht vom Schmutz?
Bertolt Brecht gewidmet
( Nach Texten von lgnazio Silone) 3. Woher kommt er?
Niemand hat den Ursprung
1. Das große Rom des römischen Gestanks
Das große Rom ist unerträglich geworden. entdecken können.
J eder Tag bringt ein anderes, In den Volksvierteln
jeder Tag bringt ein neues Gesetz. ist er weniger stark.
Samstag, 23. Oktober
klänge mit „leerem", terzlosem Charakter (zahlreiche Oktaven, uni- II. Le grand combat
sona, Qu inten, Quarten, Tritonus) zu erreichen. 11 l'emparouille et l'endosque contre terre;
Das Werk ist einsätzig und besteht aus vier Gliedern: Prolog, Meta- 11 le rague et le roupete jusqu'a son drale;
morphosen, Apogäum und Epilog. Der in langsamem Tempo gehal - II le pratele et le l ibucque et lui barufle les ouillais;
tene Prolog setzt sich aus einer Reihe von zwei- bis achtstimmigen II le tocarde et le marmine,
Kanons zusammen. Die Metamorphosen begi nnen im Tempo des Le manage rape ri et ripe ra.
Prologs und gelangen durch eine stufenweise Verkleinerung der Enfin il l'ecorcobalisse.
rhythmischen Werte zu einem schnellen Allegro. Die M etamorphosen L'autre hesite, s'espudrine, se defaisse, se torse et se ruine.
sind eine zweistimmige Musik, welche von einer Art harmonischem C'en sera bientöt fini de lui;
Continuo begleitet wird. Die Steigerung der Spannung ist auf lange II se reprise et s'emmargine .. . mais en vai n
Dauer durch rhythmische, dynamische sowie harmonische Mittel er- Le cerceau tombe qui a tant roule.
reicht. Die Entladung der Energie erfolgt im „choralhaften" Apogäum. Abrahl Abrahl Abrah l
Hier ist am Anfang ein ausgedehnter aus Terzen gebauter Zwölfklang Le pied a failli!
einem zwölftönigen knirschenden Cluster entgegengesetzt. Das Le bras a cassel
Apogäum führt zur Reprise des Anfangsthemas unisono ff, mit wel- Le sang a coulel
chem der Epilog beginnt. Er besteht aus - wie der Prolog - einer Fouille, fouille, fouille,
Reihe von Kanons. Diesmal aber ist die Anzahl der Stimmen kleiner Dans la marmite de son ventre est un grand secret
werdend (von acht bis zwei). Am Ende w ird dem Cello die letzte Megeres alentour qui pleurez dans vos mouchoirs;
durch Pausen unterbrochene Phrase des Werkes überlassen. On s'etonne, on s'etonne, on s'etonne
Et vous regarde
On cherche aussi, nous autres, le Grand Secret.
Witold Lutosla wski : Trois Poemes d ' H enri Michaux
1. Pensees II. Der große Kampf
Penser, vivre, mer peu distincte; Er greidolkt ihn und podartscht ihn zu Boden,
Moi - <;:a - t remble, er rampft und rippert ihn bis zum Verdreucheln,
lnfini incessamment qui tressai lle. er wickullt und stauchöbt ihn und fluddert ihm die Hoduskeln;
Ombres de mondes intimes er stibüntet ihn, walzundet ihn,
ombres d'ombres, mannackt ihn Rack auf Ritsche und Rick auf Ratsche.
cendres d'ailes. Endlich entkorkoballistert er ihn.
Pensees a la nage merveilleuse, Der andre zaudert, erschickert sich, wankelt, verrümpft sich,
qui glissez en nous, entre nous, loin de nous, sackt ein.
loin de nous eclairer, loin de rien penetrer; Bald wird Schluß mit ihm sein;
er fängt sich und kantelt sich auf ... doch vergebens -
etrangeres en nos maisons, gestürzt liegt das Faß, das so lange gerollt.
a
toujours colporter, Abrahl Abrahl Abrahl
poussieres pour nous distraire et nous eparpiller la vie. Fuß gefangen!
Arm gebrochen!
Bl ut geflossen!
1. G edanken
Wühl, wühl, wühl,
Denken, leben, kaum faßbares Meer;
im Kessel seines Bauches ist ein großes Geheimnis,
Ich - das - erzittert,
ihr Furien rings weint in die Taschentücher;
Unendliches das unentwegt aufschäumt.
man staunt, staunt, staunt,
Schatten unterster Welten man schaut euch an:
Schattenschatten wir alle, wir suchen das Große Geheimnis.
Flügelaschen.
111. Repos dan s Je m alheur
Gedanken wundersam schwebendes Schwimmen Le Mal heur, mon grand laboureur,
streift ihr durch uns, zwischen uns, weit von uns, Le Malheur, assois-toi,
weit entfernt uns zu erhellen, weit entfernt etwas zu durchdringen. Repose-toi,
Reposons-nous un peu toi et moi,
Fremd in unseren Häusern, Repose,
immer sich feilbietend Tu me trouves, tu m'eprouves, tu me le prouves.
Staubnichts uns zu zerstreuen und uns das Leben zu zersplittern. Je suis ta ruine.
Sonntag, 24. Oktober
Mon grand theätre, mon havre, mon ätre, kl assischen Tragödie erfüllten. Das grotesk-makabre Gedicht von
Ma cave d'or, Michaux „Le grand combat" - .,Der große Kampf„ gab den Text zu
Mon avenir, ma vraie mere, mon horizon, diesem Satz. Eine Reihe von Worten dieses Gedichtes sind vom
Dans ta lumiere, dans ton ampleur, dans ton horreur, Dichter geschaffene Neologismen. Diese Neologismen aber sind völ-
Je m'abandonne. lig verständlich, weil sie mit gewöhnlichen Worten abwechseln und
weil sie einen sehr suggestiven Klang haben : ,,II remparouille et
111. Au srast im Unglück r endosq ue contre terre." Der Kampf endet blutig. In den Worten
Unglück, mein großer Schnitter „ Fouille. dans la marmite de son ventre est un grand secret" - .,Grabe
Unglück, setz· dich zu mir. (wühle, stöbere, durchsuche usw.), im Topf seines Bauches ist ein
Ruh' dich aus. großes Geheimnis" ahnen wir den Schrei der w utentbrannten Menge,
Ruhen w ir aus, ei n wenig, du und ich. die voller Grausa mkei t den Ablauf des „ großen Kampfes" verfolgt.
Ruh' aus. Der dritte Satz bringt eine völlige Entspannung. Den Text bildet hier
Du gewahrst mich immer, versuchst mich immer, beweist mir immer das Gedicht über die Resignation und in gewissem Sinne wohl auch
Ich bin deine Ruine. Bejahung des menschlichen Schicksals „ Repos dans le malheur" -
„Ruhe im Unglück". ,,Dans ta lumiere, dans ton ampleur, dans ton
Meine große Bühne, mein Hafen, mein Glutherd horreu r, je m'abandonne" - ,, In deinem lichte, in deiner Fülle, in
Mein goldnes Verlies deinem Grauen unterwerfe ich mich" - das sind die Worte, mit denen
Meine Zukunft, meine wahre Mutter, mein Weltrand der Dichter seine zweideutige Anrufung des Unglücks beendet. Er
In deinem Licht, in deiner Weite, in deinem Grauen schließt mit ihm einen Pakt, dessen Preis die Selbstaufgabe ist.
geb' ich mich auf. Henri Michaux
Witold Lutoslawski: Fünf Lieder
Witold Lutoslawski über „Drei Gedichte von Henri Michaux" Das Meer
Die drei Texte von Henri Michaux wählte ich erst aus, als ich bereits Dem Floße ähnlich auf durchfurchtem Wasser,
eine allgemeine Vorstellung des ganzen Werkes besaß. Die ausge- so treibt die schaumbedeckte Welle vorwärts,
wählten Texte w irkten dann wieder auf die Gestaltung der musikali- und hinter ihr, wie eine Reihe kleiner Boote,
schen Form in ihren Einzelheiten ein. Der Vers, sein Sinn, sein Auf- schneeweiße Gänse- und Entenfedern . ..
bau, ja sogar einzelne Worte mußten auf die Musik meines Werkes So schwimmen sie, so treiben sie,
von Einfluß sein. Das war übrigens auch meine Absicht. Wäre ich weiter, immer weiter
anders vorgegangen, wären die Worte des Textes nur ein klangliches auf die ferne, weiße Brandung zu.
Element geworden, so wäre dies ein Mißgriff, eine künstlerische
Lüge, oder doch wenigstens ein Mißverständnis gewesen. Das Mittelmeer scheint himmelblau ;
Bevor ich jedoch die Texte zu meinem Werk aussuchte, hatte ic h - doch tiefer, wie ein ruheloses Ungeheuer,
wie gesagt - schon dessen allgemeinen Plan. Worin bestand dieser? wirkt die Gezeit, läßt alles in der Dünung schaukeln:
Wobei ließ ich mich bei der Auswahl meiner Texte leiten 7 Um die Federn, Möwen, Tölpel, Boote und Barken.
Antwort auf diese Fragen leichter zu finden, wollen wir uns einmal
D er W ind
Michaux' Texte selbst genauer ansehen.
Der Wind - herausgeputzt, in neuem Glanz sich zeigend,
Der erste, die „ Pensees... ,,Gedanken", sind kurze Überleg ungen über
kämpft an verbissen gegen den Zaun mit harten Stößen:
das Thema menschlicher Gedanken. In diesen Überlegungen domi-
,, Hab' ich erst dieses Zeug hier umgeblasen,
niert die Note der Skepsis. Von der ersten Zeile an : ., Penser, vivre,
laß ich nach mir den Sturm darüberrasen.
mer peu distincte.. - ,,Denken, leben, wenig deutliches Meer„ bis
Sind wir erst drin, zerstören wir die Pfade im Garten
zur letzten, wo die Gedanken mit „Staub" verglichen werden, der nur
und reißen alles nieder: Weinstöcke, Drähte,
darum existiert, .,um uns zu zerstreuen und uns das Leben zu verw irren"
die Ziegel auf den Dächern,
- .,Poussieres pour nous distraire et nous eparpi ller la vie". Nur eine
die Fensterläden, die da knarren ...
kurze Passage in der mittleren Partie des Gedichtes belebt uns für
einen Augenblick mit der Vision des „wunderbaren Schwimmens, Ah I Welch wunderbares Spiel,
das in uns, zwischen uns, fern von uns gleitet" - .,Pensees a la nage welch Spaß, den wir dann haben werden,
merveilleuse, qui glissez en nous, entre nous, loin de nous". wenn nicht einmal mehr eine M auer steht .. :·
Einen scharfen Kontrast zu diesem einleitenden, gedankenvollen Satz
meines Werkes bildet der zweite. Durch seinen heftigen Charakter Wi nter
sowie durch seinen raschen Ablauf, der zu einem dramatischen Höhe- In ihren Heimen, sti ll, behaglich,
punkt führt, soll dieser Satz im ganzen Werk die gleiche Rolle erfüllen, verkriechen sich die Menschen.
wie sie die Entwicklung des Konflikts und die Katastrophe in der Das Korn ruht in den warmen Kammern.
Sonntag, 24. / Montag, 25. Oktober
Ganz sanft und leise fällt der Schnee herab, Im zweiten Teil ist dagegen ein scharfer, aus kleinen Sekunden und
senkt sich als weiße Decke auf die W iesen. Nonen bestehender Zwölfklang das Mittel um den Klang der „ärger-
Ganz sanft und leise. lich en" Glocken auszudrücken.
bis der Himmel leer und eisig schei nt
und alle Welt mit Schnee sich ausgebettet ... Wit old Lutoslawski über „ Livre pour orchestre"
Doch weiter fällt der Schnee. in sanften Flocken „ Livre pour orchestre" entstand im Auftrag der Stadt Hagen und
und zartem Rot bei Tageslicht; auf Anregu ng von GMD Berthold Lehmann. Obwohl der Titel des
nach Sonnenuntergang jedoch Werkes einen lockeren Zusammenhang der Sätze suggerieren könnte,
wird er in tiefem Purpur glühen ... ist es in Wirklichkeit eine präzis konstruierte Komposition. Wie in
einigen vorhergehenden W erken bildet hier ein breit ausgebautes
Ritter Finale das Gegengewicht für die drei ersten Sätze. Die zwei Arten
Als die Ritter auszogen, des Spiels, d. h. ad libitum und festgelegt, haben hier ihre Rollen i n
um kühnen Muts zu streiten, dem formalen Aufbau des Werkes in einem noch größeren Grade, als
da ritten sie auf stolzen Schlachtrossen, das in der 2. Sinfonie der Fall war.
die schnellen Fu ßes, eines nach dem andern, Die drei ersten Sätze sind relativ kurz und kompakt und werden in
die goldgeschmiedeten Hufeisen warfen ... der traditionellen Weise dirigiert. Die Sätze werden durch die kurzen
Doch als sie aus dem Kampf lntermedien getrennt. Die letzteren, die ad libitum gespielt werden,
nach Hause kamen, bilden Entspannungsmomente. Diese werden durch die Musik selbst
waren sie wund von kaltem, spitzem Stahl. suggeriert, die absichtlich aus einer inhaltslosen musikalischen
Hinter den Wagen dann, auf leisen Hufen, Materie komponiert ist. Das letzte lntermedium bringt eine Über-
die schönen Pferde, teilnahmslos und still, raschung: Am Anfang könnte man zwa r an nehmen, daß es sich auch
mutlos und niedergeschlagen. hier um ein Entspannungsmoment handelt, nach einer Weile je-
doch beginnt die Musik sich umzuwandeln. immer mehr an Inhalt zu-
Kirch englock e n zunehmen. und schließlich entwickelt sie sich in ein breit ausgebautes
Wir lieben sie, die Glocken, und immer ad libitum gespieltes Fi nal e. Gegen Ende werden die ad
wenn ihr Geläut' hoch aus der Kirche klingt und singt; libitum- Sektionen immer kürzer. was zu einer normal dirigierten Musik
wir lieben es, wenn sich vom Kirchturm aus führt. Bald kommt der Höhepunkt. in welchem das ganze Orchester
die Freude über alle Dächer breitet. tutta forza ma cantabile erklingt. Die Streicher pp dienen nachher als
Hintergrund, zuerst einem stufenweise verschwindenden Tumult der
Doch lieben w ir auch den Klang der Kirchenglocken, Bläser, später einer heiteren Flötenkantilene und enden das Werk
wenn sie, verärgert, aufgebracht, in hohem Register mit einem Quartenvierklang e-fis-a-h.
und in der Angst vor der herabsteigenden Nacht, Neben der vorhergehend angewandten Technik der Zwölfklänge von
mit donnerndem Getöse auf die Dächer hallen. verschiedener Struktur und Wirkung macht der Komponist hier auch
Kazimiera lllakowicz Gebrauch von Vierteltönen, was schon in dem Streichquartett und
der 2. Sinforie der Fall war.
W itold Lutoslawski über „ Fünf Lied er"
Die „ Fünf Lieder" wu rden zuerst in Stimme-mit-Klavier-Fassung ge- Montag, 2 5. O k tober
schrieben. Die ausgesprochene Einfachheit der Harmonik, Melodik Boji da r D imov über „lnvocation"
und der Expression lagen der Idee des Werkes zugrunde. Und das
trotz der Tatsache, daß die ganze harmonische Seite der Komposition „Niemand findet leicht als erster etwas
auf den Zwölfklängen basiert. Diese Einfachheit bedingte die Aus- Auffälliges: denn es ist den Menschen im
wahl der „Kinderreime" von Kazimiera lllakowicz als Textgrund lage allgemeinen nicht gegeben, zu sehen,
für „Fünf Lieder". was ist."
Der Zykl us ist auf dem Prinzi p des Kontrastes angeordnet. Das erste, { Hugo von Hofmannsthal)
dritte und fünfte Lied sind in langsamem Tempo und das zweite und 1m Frühjahr 1970 beauftragte mich der Österreichische Rundfunk -
vierte in schnellem. Jedes Lied ist auf einer relativ kleinen Anzahl der Studio Steiermark - , für das Musikprotokoll 71 ein Werk für Sing-
Zwölfklänge aufgebaut. Die Auswahl der Zwölfklänge verschiedener stimmen und großes Orchester zu komponieren. Die l iterarische
Strukt ur nach ihren Ausdrucksmöglichkeiten entspricht den Erfor- Grundlage dieses Werkes sollten Bruchstücke aus dem „A Portrait of
dernissen der Texte. Und somit ist z. B. der erste Teil des letzten Liedes the Artist as a Young Man" von James Joyce bilden.
{,.Kirchenglocken") auf einem milden, ausgedehnten, aus Terzen Im Sommer desselben Jahres, während der Skizzenarbeit, entdeckte
konstruierten, sozusagen „konsonanten" Zwölfklang aufgebaut, da ich eine neue Form der Kunstausübung, die mir schlagartig ungeahnte
wo es sich im Text um den Klang der „singenden" Glocken handelt. Entwicklungsperspektiven eröffnete: das Kunst-Wett- Spiel.
Montag, 25. Oktober
Ich fuh r nach Graz, um Intendant Emil Breisach darüber zu informieren, 2. Die Farben der Spielgänge:
und fand in i hm den ersten Freund und Förderer des neuen Gedan- a) blau = Spielga ng 1 - vereinzelte Artikulation von Impulsen bzw.
kens: anstelle des geplanten Chor-Orchester-Werkes sollte nun im Schwingungen oder Punkten;
Rahmen des Musikprotokolls 71 das Kunst -Wett-Spiel „ lnvocation„ b) gelb = Spielgang II - gruppenweise Artikulation von Impulsen
präsentiert werden. . bzw. Schwing ungen oder Punkten;
Ein Spiel und nicht, w ie bisher in der Kunst, die Darstellung ei nes c) rot = Spielgang III - konti nuierliche Artikulation von Impul-
Spiels. sen bzw. Schwingungen oder Punkten.
Für die Entstehung der „lnvocation" waren folgende Erfahrungen 3. Die Fragezeichen für evtl. Mitwirkung des Publikums.
maßgebend : ,,lnvocation" ist Summerhill, der ältesten nicht autoritären europä i-
1. Raumspiel für Klavier, Ensemble und einen Dirigenten (Kompo - schen Schule, zum fünfzigsten Bestehungsjahr gewidmet.
sitionsauftrag des Wiener Kunstfonds, Uraufführung im November
1970 durch „die reihe„ in der Kassenhalle der Zentralsparkasse der
Carlos Roque Alsina über „Trio 1967" für Violoncello, Posaune
Gemeinde Wien); hier wu rden u. a. zum erstenma l die drei Spiel -
und Schl agzeug; 3 Instrumente, 3 Instrumentalisten, 3 Trad itionen,
elemente bzw. ihre semantischen Zeichen eingesetzt.
3 Persönlichkeiten . . . erwartend, überrascht, zusammenwirkend,
2. Arnheimer Raumspiel, drei Vorproben für Improvisationsensemble zerstörend, Glück wünschend, achtend, verachtend.
und eine Hauptprobe für Improvisationsensembl e und Pu bliku m Das Werk besteht aus einem natü rlichen und spontanen Zusammen-
( Hauptprobe im Rahmen des Popfestivals „Allerhande 70„ im hang dieser Elemente, deren Verbindungswege genauso Aktionen
Arnheimer Rathaus); als Material diente eine 4 x 1 m große Plakat- zum Theatralischen wie zum Musikalischen darstellen können. Beide
partitur, die, neben den Zeichen der Spielelemente, auch die Aktionen laufen manchmal para llel, zuweilen widersprechen sie
Farben der drei Spielgänge enth ielt. sich, eine neue Entwickl ung des Werkes erzwingend .
3. Bonner Raumspiel, Wettstreit in drei Runden für drei Spielergrup- Trotz der Verschiedenartigkeit der in diesem Stück enthaltenen
pen und Publikum (Austragung bei der von Manfred Niehaus Aktionen gibt es hier jedoch ein gemeinsames Element, das aus
konzipierten „Stadtmusik" auf dem Bonner Marktplatz am 8. und einem rein musikalischen Ereignis herrührt: den Triller auf ei ner
9. Mai 197 1); anstelle der Plakatpartitur hatte ich eine steuerbare kleinen Seku nde.
elektrische Spielampel entwickelt, die, neben den Zeichen der „Trio 1967" benutzt als Hauptidee diesen Triller in einer aufsteigenden
Spielelemente und Farben der Spielgänge, auch Fragezeichen für Form. Dieser „Aufstieg", am Anfang des Stückes vom Violoncello
die mitbestimmende Mitwirku ng des Publikums ent hielt (die gespielt und zunächst auf die anderen als ei ne Art Anziehungskraft
Ampelzeichen, auf dem ganzen Marktplatz sichtbar, signalisierten wirkend, wandelt sich am Ende in einen Störfaktor, diesmal von der
den Spielergruppen ihre Verhaltensweisen und sollten darüber Posaune vorgetragen, den die anderen zwei Instrumente verzweifelt
hinaus allen Anwesenden den Verlauf des Spiels auch optisch zu beenden versuchen. Selbstverständlich triumphiert die Posaune :
erfaßbar machen, was d urch die disziplinierte und außerordentlich die kleine Seku nde erweitert sich nach beiden Seiten und verliert
starke Publ ikumsbetei ligung bestätigt wurde). sich im Unendlichen.
einem Gespräch mit ihm, 1970 in Berlin, entwickelte ich übend und Einholens und Überholens einer Linie durch eine andere spielt eine
notierend die zur Uraufführung vorbereitete Version. bedeutende Rolle. An mehreren Punkten ist es im einzelnen gut er-
Bei „ Horizont" handelt es sich eigentlich um nichts weiter als um kennbar, an anderen fallen viele derartige Verläufe zu Feldwirkungen
einen wenigstens 20 Minuten lang ausgehaltenen Ton. Alles Ge- zusammen. Vergrößerung und Verkleinerung, der Eindruck des
schehen spielt sich in seinem engsten lnto nati onsspielraum ab. Eine Komprimierens und Abebbens, des Ein- und Überholens wird auf
weitausgezogene Klanglinie, strukturiert durch alle Parameter, ledig- vielfältige Weise auch im Gesamtgeschehen spürbar. Das IV. ist das
lich in der Tonhöhe von den üblichen Oktavenumfängen auf ei n grausamste meiner „Spiegel" -Stücke, und trotz seiner ganz anderen
Mikrointervall gestaucht. Gleich dem visuellen Horizont ist auch Art der Progression in den Vorgängen ist ihm jener Hang zum Mono-
dieser akustische durch Landschaften gekennzeichnet: verschiedene manen eigen, der in V seine extremste Ausformung erfährt: Keine
Strukturmöglichkeiten entfalten sich zu Gebirgen, Hochflächen und Stimme, kei ne Orchestergruppe ragt dort hervor; auch das verwendete
wilden oder ruhigen Meeren. Aber auch das ganz reale horizontale Tonband dient, wie alle Instrumente des großen Apparats, dem -
Spiel des Darstell ers betrifft die Komposition: nach etwa drei Vierteln wahrscheinlich beängstigenden - Gesamtklang. Neben „Spiegel V"
der Zeit kommt es zu einem Höhepunkt an Spannung, die sich löst, stellt „Spiegel III" ein in anderer Weise absolut kontinuierlich geform-
indem der Spieler plötzlich seine lntonationsebene um das jetzt tes Stück von für mich apollinisch -mediterranem Wesen dar. Die
ungeheuerliche Interval l eines Halbtons senkt. kompositorische Beherrschung eines bestimmten Zustandes hat mir
den Weg geöffnet, neue Arten prozeßhaft-progressiver Gestaltung
Vinko Globokar h ält einen Ko m m entar zu sein em „ D ram a" denken zu lernen. Ei n extrem lineares Verfahren: Ein Impuls wird ge-
geben, das nächstliegende Ereignis ist eng mit diesem Impuls ver-
für überflüssi g
knüpft, jedes weitere bezieht sich zumeist nur auf das Vorhergehende.
Die Konzeption von „Spiegel I" enthält etwas davon. In „Spiegel II"
bin ich zum erstenmal zu komplexeren Bildungen dieser Art fort-
Friedri rha · b er „ Spiegel IV" geschritten, deren Grundlage sich am besten mit dem Prinzip der
„Spiegel" sin ein Zyklus von sieben Orchesterstücken, 1960 /61 Rückkoppelung vergleichen läßt, dem einfachsten nichtlinearen
konzipiert, von über einer Stunde Gesamtdauer. Die Tei le 1, II, II I, V Formprozeß. ,,Spiegel IV" hat etwas von beidem, sowie es auch das
und VI wurden aufgeführt, von VII steht die Partiturreinschrift noch Element der isolierten Schläge von I und das der bewegten Flächen
aus. Die Stücke sind rein musikalisch erfunden. Es ist aber wahr- von II enthält, in die die ersteren - in den Konturen immer unschärfer
scheinl ich, daß jene Phänomene, die mich am stärksten bewegen und und breiter werdend - langsam überführen . Sie finden in „Spiegel VI"
zu ständiger Auseinandersetzung zwingen - etwa in dem Sinn, in ebenso ihre weitere Modifikation, wie klangliche Kombinationen
dem Strawinsky vom Einfluß der Welt, in der er lebt, auf seine Sym- Reminiszenzen an andere Spiegelteile hervorrufen, ohne sie zu sub-
phonie in drei Sätzen spricht - , unbewußt meine Klangvorstellungen sumieren.
gespeist haben. Daher die Wahl des Titels. Vielleicht hätte man vor Für die Anlage des ganzen Werks ist ein Widerspiel von Kontinuität
100 J ahren den Sätzen meiner „Spiegel" Namen gegeben: Nebel, und nichtlinearen Vorgängen kennzeichnend. Manches wird erst eine
Sonne, Wind und Meer, Schreie, Wüste, Angst ... In bewußten Gesamtdarstellung des Zyklus in seiner formalen Bedeutung wirksam
Bereichen blieben Vorstellung und kompositorisches Vergehen von machen: Wie die Penetranz der zum Ostinato verdichteten Schläge
diesen Phänomenen unberührt. Die kompositorischen Anliegen ent- von „Spiegel I" in „Spiegel VI" eine nicht nur vordergründige Logik
wickeln sich konsequent aus denen der vorangega ngen1rn Werke, be- aus ihr gewinnt, wird auch das langsame Überführen in ungewohnte
sonders der „Mouvements", relativ einfacher Studien, in denen ich Dimensionen, die kontinuierliche Modifikation des Zeiterlebens durch
mich für jeweils ein Stück auf einen charakteristischen Klangzustand Musik -, die sie möglicherweise uralten Funktionen nähert und
beschränkt habe. Bewegung ist dort keine grundsätzliche Zustands- die sich von „Spiegel I" zu „ Spiegel IV" als einem Angelpunkt voll-
änderung, sondern sie vollzieht sich innerhalb des für das jeweilige zieht, erst in ihr spürbar werden. Für eine Realisation des Gesamt-
Stück charakteristischen Zustandsbildes. Ausgangspunkt für die Kom- werks auf der Bühne existiert ein Grundkonzept.
position von „ Spiegel IV" waren in „Mouvement II" gefundene Vor-
stellungen, die hier in komplexerer und differenzierterer Form weiter-
geführt werden. Di e Vorgänge basieren auf Kurven, die an Schiffs- Luigi Nono : lntolleranza Suit e
kurven erinnern mögen, wenn man einen Blick auf die Partitur w irft. No pasaran I Liberta ai popoli ! Morte al nazismo 1
Die Tonhöhenabfolge ist durch die Kurvenverläufe geregelt; durch Nie wieder I Down with discrimination !
sie befindet sich nicht alles im Bereich fester Oktavteilungen, sondern Battete sulle piazze il calpestio delle rivolte 1
in l ntervallräumen, die in Mikrointervalle verschiedenster Art geteilt In alte catena di teste superbe 1
werden. Con la piena d'un nuovo diluvio laveremo le citta dei mondi 1
Es handelt sich um langsame, kontinuierliche und mit ihnen kombi-
nierte verei nzelte Tonereignisse. Auch die Abstände zwischen den Mai! Mail Mail
letzteren sind jedoch kontinuierlichen Veränderungen unterworfen: Cessate le perfide fatture.
sie vergrößern und verkleinern sich allmählich. Das Moment des Stormi di pazzi cormorani girano lo spazio.
Dienstag, 26. Oktober
Ci prottegono promettendoci morte. ... immensum esse caelum comparatione terrae ac infinitae magn i-
II fumo di Hiroscima si propaga con mille nervature deliranti. tudinis speciem prae se ferre, sed sensus aestimatione terram esse
Vibrano come fili di lampada l e vene della nostra vita. respectu caeli ut punctum ad corpus et finitum ad infinitum mag ni -
tud ine.
E invece si potrebbe esser sereni
scoprire prodigi della natura e dell'amore. ... unermeßlich sei der Himmel im Vergleich zur Erde und weise die
Ho sentito l'ebbrezza d'esistere anche quando il cielo Erscheinung unendlicher Größe auf, doch nach sinnlichem Ermessen
era un groppo di piombo e guerra e disastri squarciavano i cuori. sei die Erde im Verhältnis zum Himmel wie ein Punkt im Vergleich zu
Canti d'allegri rigogoli cullavano la mia giovinezza. einem Körper und wie ein endlich Großes im Vergleich zu einem
Oh I Peter risveg liare quella gioia nel tuo lungo cammino 1 unendlich Großen.
(Nicolaus Copernicus, De revolutionibus orbium cael estium 1, 6)
Bis hieher und nicht weiter I Freiheit den Völkern!
Tod dem Nazismus!
Nie wieder! Nieder mit der Diskriminierung ! Quaerit enim rationem animus, cum summa loci sit infinita foris haec
Laßt die Plätze vom Getrampel der Revolte widerhallen 1 extra moenia mundi, quid sit ibi porro, quo prospicere usque velit
Erhebt euch, Rei hen stolzer Häupter 1 mens atqu e animi iactus liber quo pervolet ipse.
Nie wieder! Denn der Geist sucht, da die M asse des Raumes draußen unbegrenzt
M acht Sc hluß mit dem perfiden Spiel. ist außerhalb der Mauern dieser Welt, eine vernünftige Antwort auf
Schwärme w ilder Karmorane durchziehen Zeit und Raum die Frage, was dort weiter außerhalb sei, bis wohin der Verstand in
und schützen uns, indem sie Tod verheißen. die Feme vorausschauen möchte und welche Räume des Geistes
In tausend Verästel ungen verzweigt sich der Rauch Hiroshimas. freier Flug selbst durchfliege.
Den Fäden einer Glühlampe gleich vibrieren die Venen unseres (T. Lucretius Carus, De rerum natura 2, 1044- 1047)
Lebens,
indes man heiter sein und Wunder des Lebens und der Liebe In medio vero omnium residet Sol. Quis enim in hoc pulcerrimo
entdecken könnte. temple lampadem hunc in alio vel meliere loco poneret, quam unde
Selbst wenn der Himmel bleigrau war, und Krieg und Unheil totum simul possit illuminare?
unsere Herzen quälten, In der Mitte aber von allem thront die Sonne. Denn wer woll te in
hab' ich die Trunkenheit des Daseins verspürt. diesem wunderschönen heiligen Raum diese leuchtende Fackel an
Gesänge fröhlicher Goldvögel umspielten meine Jugend - eine andere, bessere Stelle setzen als dorthin, von wo aus sie das
oh, könnte diese Freude auf deinem langen Wege wiedererstehen 1 Ganze zug leich erleuchten kön nte?
( Nicolaus Copernicus, De revolutionibus orbium caelestium 1, 10)
Unendlicher Raum ·· A,mpo,· Ergo vivida vis anim1 perv1c1t, et extra processit longe flam mantia
moenia mundi atq ue omne immensum peragravit mente animoq ue;
unde refert nobis victor quid possit oriri, quid nequeat, finita potestas
Poscimur: effulget tenebris au rora fugatis. deniqu e cuique qua nam sit rat ione atq ue alte terminus haerens.
M an fordert uns: es leuchtet hervor die Morgenröte, die Finsternis ist Also hat die lebendige Kraft des Geistes sich durchgesetzt und ist
gewichen. fortgeschritten weit außerhalb der flammenden Mauern der Welt und
( P. Ovidius Naso, Metamorphoses 2, 144 ) hat das ganze unermeßliche Weltall mit Verstand und Vernu nft durch-
messen. Von dort bringt er (Epikur) uns als Sieger die Antwort zurück,
was entstehen kann, was nicht, schließlich, aus welchem Grund fü r
Piglera il primo volo il grande uccello-sopra del dosso del suo magnio ein jedes Ding nur begrenzte Möglichkeit besteht und ein tief haf-
cecero, empiendo l'universo di stupore, empiendo di sua fama tutte tender Grenzstei n.
le scritture e gloria etterna al loco dove nacqu e. (T. Lucretius Carus, De rerum natura 1, 7 2- 77)
Es wird sich zu seinem ersten Flug erheben der große Vogel - auf
dem Rücken seines großen Schwa ns, das All mit Stau nen erfüllend, ,ro)J.u. nl. 6e1vo. Koi:Mv civ,'.l yw,rou 6e1vornpou ,re),E1.
alle Schriftwerke mit seinem Namen erfüllend, und ewiger Ruhm für
seinen Geburtsort. Viel Gewaltiges gibt es, doch nichts ist gewaltiger als der Mensch.
( Leonardo da Vi nci, Sul volo) (Sophokles, A ntigone 132 - 133)
Quindi l'ali sicure a l'aria porgo; Ne temo i ntoppo die cristallo o vetro,
Lethaea undantem ret inens ab ongme campum emigret Titan et
M a fendo i cieli e al"infinito m'ergo.
petat astra precor. Errantes stellae, spectate procedere in orbem me
geminum, si vos hoc reserastis iter. Dent geminas somni portas So recke ich die sicheren Flügel aus in die Luft; und ich fürchte kein
laxarier usqu e vestrae per vacuum me properante vices. Hindernis aus Kristall oder Glas, sondern spalte die Himmel, und in
das Unendliche erhebe ich mich.
Oh möge hervorkommen von dem lethäischen Ursprung, das wogende
(Giordano Bruno, De l'infinito universo e mondi)
Feld ( M eer) zurückhaltend, der Titan (Sonne) und die Sterne zu er-
reichen suchen; darum bitte ich. Ihr schweifenden St erne, seht, wie
ich in dieselbe Bahn emporkomme, wenn ihr diesen W eg aufgetan ,,lcare", dixit, ,,ubi es? Qua te regione requiram ?"
habt. Es mögen mir, während ich durch den leeren Raum eile, eure
Wechsel verleihen, daß die beiden Tore des Schlafes völlig geöffnet „ Ikarus", rief er (D ädalus), ,,wo bist du ? In welcher Gegend soll ich
werden. dich suchen?"
(Giordano Bruno, De Ja causa, principio et uno [19) [A' i'pri nci pi de ( P. Ovidius Naso, M eta morphoses 8, 232)
l'universo])
1 am a big mass of some very small particles that are brilliantly lit up
ll oJ1 0•11 xopo1110 11po;10 : n 1<:H~T CH. like they're l uminescent. 1 never saw anyt hing li ke it. They round a
Ji t1 )1<y ao)t.1110, J1cca, 06.11n1r, n, p c H'lt. little; t hey're coming by t he capsule, and t hey look like litt le stars.
A w hole shower ot th em comi ng by.
Der Flug geht gut voran. Ich sehe die Erde, die Wälder, di e W olken,
die Fl üsse.
(Gagarin wä hrend des ersten bemannten Raumfluges) Ich bin in ei ner großen Masse von so ganz feinen Partikeln, die ganz
herrlich leuchten, als würden sie selbst Licht ausstrahlen. Noch nie
habe ich so etwas gesehen. Sie drehen sich ei n wenig; sie kommen
In the periscope, 1 can see the brilliant bl ue horizon coming up behind an der Kapsel vorbei, und sie sehen w ie klei ne Sterne aus. Eine ganze
me; approaching sunrise. Oh, t he sun is coming up behind me in Masse von ihnen kommt vorbei.
the periscope, a brilliant, bri lli ant red. (Glenn wä hrend des ersten amerikanischen beman nten Raumfluges
auf Erdumlaufbahn)
In dem Periskop kann ich den strahlend blauen Horizont sehen, der
hinter mir auftaucht; nahender Sonnenaufgang. Oh, die Sonne kommt
gerade hinter mir hervor in dem Periskop, ein strahlendes, strahlendes ... et facta est inmensi copia mundi.
Rot .
(Glenn w ährend des ersten amerikanischen bemannten Raumfluges . . . und es entstand die ungeheure Weite der Welt.
auf Erdumlaufbahn) ( P. Ovidius Naso, Metamorphoses, 2, 157)
Dienstag, 26. Oktober
Wolfram Schwinger über Krzysztof Penderecki s Kantate seinen virtuosen Geräuschklängen für drei Sol isten, Chor und Orche-
,,Kosmogonia" ster weniger die Texte wörtlich verständlich machen als vielmehr das,
was sie ausdrücken: Das „Und es ward Licht" der Genesis, das „Viel
Mitten in die Entstehungszeit von Pendereckis jüngstem abendfül-
Gewaltiges gibt es, doch nichts ist gewaltiger als der Mensch" des
lenden Werk „Utrenja", das aus der „Grablegung Christi" und der
Sophokles.
„Auferstehung Christi" besteht, fiel die Komposition der Kantate
,,Kosmogonia". Sie wurde zwischen den beiden Teilen von „Utrenja" Penderecki komponierte dieses Stück natürlich ganz und gar mit
im Frühjahr und Sommer 1970 geschrieben, und zwar im A uftrage sei nen M itteln, in seinem unverwechselbaren Stil, doch vergleichbar
der Vereinten Nationen für die Festlichkeiten zu deren fünfund- der Souveränität des Richard Strauss: Es gibt nichts, das er nicht
zwanzigjährigem Bestehen. ,,Kosmogonia" wurde aus diesem Anlaß auszudrücken vermöchte, für alles fi ndet er tönende Bilder - faszi-
am 24. Oktober 1970 in New York uraufgeführt; es sangen Stefania nierendes Klanggeschehen etwa für die Bewegung der Erde, für die
Woytowicz (Sopran), Robert Nagy (Tenor), Bernard Ladysz (Baß) Unendlichkeit des Alls, wobei verschiedene Textfetzen verschränkt
und der Rutgers University Chorus, es spielte das Los Angeles Phil - und überlagert werden, bald gezischt und geschrien, bald gesummt
harmonie Orchestra, der Dirigent war Zubin Mehta. und gehaucht, zusammen mit dem schlagzeugreichen Orchester
Wie schon in der Lukaspassion und im „Dies irae"-Oratorium, war schwirrend und rotierend. Aus vielschichtigen Geräuschen bricht
auch bei „Kosmogonia" die Textauswahl ein für das geistige Niveau plötzlich strahlendes Es- Dur für den „heiligen Raum der Sonne"
des Werks ganz wesentlicher Vorentscheid - wobei der literarisch hervor - .,Sol" und „illuminare" sind dafür die Stichworte des
beschlagene Komponist i n jedem Falle außergewöhnlichen Ge- Copernicus, was die Solisten mit „et facta est lux" kommentieren.
schmack und Sinn für dramaturgischen Aufbau bewies... Kosmogonia" Penderecki setzt raffinierteste Glissandi für die „schweifenden Sterne",
besteht aus zwei Teilen: ,,Anfang" und „Unendlicher Raum". Für die erfindet j agende, schillernde Chor- und Orchesterbewegung für das
Beschreibung des Himmels, der Erde und des kühnen menschlichen strahlende Rot im Periscop, für die „Masse herrlich leuchtender Par-
Vorstoßes in den Weltraum stellte sich Penderecki Sätze in lateini- tikel", die an Glenns Raumkapsel vorbeiziehen . So leise das Werk im
scher, griechischer, italienischer, russischer und englischer Sprache Urgrund des „Anfangs" begann, mit dem tiefen F der Kontrabässe,
zusammen, die alle vom Kosmos handeln: von Ovid und Copernicus so sinkt es am Ende aufs noch tiefere C zurück, fassungslos, mit ei nem
etwa, von Leonardo da Vinci und Giordano Bruno, von den ersten Satz aus Ovids Metamorphosen: .....und es entstand die ungeheure
Weltraumpiloten Gagarin und Glenn. Doch will er mit seiner Musik Weite der Welt."
Musikprotokolle 1968/69/70
Barbaud Pierre French Gagaku Urauff. 1969 Sinfonieorchester von Radio Straßburg
Bart6k Bela IV. Streichquartett, 1928, Su ite 1968 Bart6k-Quartett, Budapen
Bentzon Niels Viggo Formula 1970, Edgard Varese Urauff. 1970 Dänisches Radio-Symphonieorchester
in memoriam
Berg Alban Konzert für Violine und Orchester 1968 Sinfonieorchester von Radio-televizija Ljubljana
Kagel Mauricio Musik aus Tremens ÖE 1969 Kölner Ensemble für neue Musik
Kai Sesshu Westen - Osten - Südosten Urauff. 1970 Collegium musicum instrumentale Graz
Ketti ng Otto Due Canzoni per orchestra, 1957 1969 Kammerorchester der Niederländischen
Radio-Union
Klebe Giselher Fantasie und Lobpreisung Urauff. 1970 Wilhelm Krumbach, Orgel
Kolman Peter Monumento per sei milioni ÖE 1968 Großes Sinfonieorchester des
Tschechoslowakischen Rundfunks Bratislava
Lebic Lojze Korant für Orchester Urauff. 1969 Sinfonieorchester von Radio-televizija Ljubljana
Ledenjow Roman Trois Nocturnes, 1968 Urauff. 1970 Budapester Kammerensemble
Leitermeyer Friedrich Konzert für Trompete und Orchester Urauff. 1968 0 RF-Symphonieorchester
Ligeti György ,.Lux aeterna" 1968 Hochschulkammerchor Graz
Ligeti György Ramification ÖE 1969 Collegium musicum instrumentale Graz
Ligeti György Cellokonzert 1969 Ensemble „ die reihe"
Ligeti György Apparitions 1969 ORF-Symphonieorchester
Ligeti György Requ iem 1970 ORF-Symphonieorchester, ORF-Chor und
Wiener Staatsopernchor
Ligeti György Etude Nr. 1 ÖE 1969 Gerd Zacher, Orgel
Ligeti György Etude Nr. 2 Urauff. 1969 Gerd Zacher, Orgel
Logothetis Anestis Kooptation 1969 Ensemble „ die reihe"
Marckhl Erich Messe für Chor und Instrumente Urauff. 1969 Hochschulkammerchor und
Joseph- Haydn-Orchester
Musikprotokolle 1968/69/70
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