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Digitalisierung Und Industrie 4.0 - Eine Relativierung
Digitalisierung Und Industrie 4.0 - Eine Relativierung
Dina Barbian
Stephan Baier
Digitalisierung
und Industrie 4.0 –
eine Relativierung
Digitalisierung und Industrie 4.0 –
eine Relativierung
Peter Mertens • Dina Barbian • Stephan Baier
Digitalisierung und
Industrie 4.0 – eine
Relativierung
Peter Mertens Dina Barbian
Wirtschaftsinformatik I Wirtschaftsinformatik I
Friedrich-Alexander-Universität Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg Erlangen-Nürnberg
Nürnberg, Deutschland Nürnberg, Deutschland
Stephan Baier
Wirtschaftsinformatik I
Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
Nürnberg, Deutschland
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Mit dieser Arbeit wollen wir einen Beitrag dazu leisten, herauszufinden, ob in den gegen-
wärtigen Strömungen „Digitalisierung“ und „Industrie 4.0“ modische Überhöhungen und
zu optimistische Prognosen in Richtung auf einen Trend mit großem Anstiegswinkel ent-
halten sind.
Die Wörter „Digitalisierung“ und „Industrie 4.0“ tauchen seit etwa drei Jahren in der
Öffentlichkeit und in der Fachwelt plötzlich mit einer kaum je beobachteten Häufigkeit
auf. Es drängt sich die Vermutung auf, dass wieder einmal in der Geschichte der Wissen-
schaft und Technik ein Trend (zu mehr Automation) durch eine Welle überlagert wird. In
der IT begann man schon vor längerer Zeit, sich mit solchen Wellen auseinanderzusetzen.
Dies ist auch wichtig, denn Moden verursachen – verglichen mit dem Ideal einer nachhal-
tigen, kontinuierlichen Entwicklung – Ineffizienzen und Fehlleitung von Ressourcen im
weitesten Sinn. Im schlimmsten Fall kann ein irriger Glauben an das langfristige Bestehen
einer Mode zu Katastrophen führen („Platzen von Blasen“). Häufig wird an das folgen-
schwere Platzen der sog. Dotcom-Blase (Internet-Blase) im Jahr 2000 erinnert, und Öko-
nomen und Informatikern als zuständigen Fachwissenschaftlern macht man bittere
Vorwürfe.
Wir versuchen, verzögernde (retardierende) Momente und Risiken herauszuarbeiten,
die den weiteren Anstieg vermutlicher Modeerscheinungen bremsen könnten, stellen aber
auch einige Überlegungen an, welche Darstellungen, die gegenwärtig den Begriffen Digi-
talisierung und Industrie 4.0 zugeordnet werden, wirklich neu und zukunftsträchtig sind.
Da bisher wenig tiefergehende wissenschaftliche Fachliteratur und allgemein zugäng-
liche Erfahrungsberichte aus Betrieben vorliegen, stützen wir uns bei unseren Einschät-
zungen des weiteren Verlaufs auch auf eine große Zahl von öffentlichen Bekundungen und
eine kleinere Zahl von privaten Gesprächen mit Fachleuten verschiedener Herkunft
(IT-Spezialisten, Unternehmer, Führungskräfte in Unternehmen, Wissenschaftler der
Fachrichtungen Informatik, Wirtschaftsinformatik, Fertigungstechnik, Industriebetriebs-
lehre sowie Logistik, Vertreter einschlägiger Verbände und Politiker). Der Vorteil ist, dass
Meinungen von zum großen Teil recht einflussreichen Persönlichkeiten zusammengetra-
gen sind. Ein methodisches Problem kann darin liegen, dass sich diese Personen gegen-
über Medien nicht so freimütig äußern, wie sie es in unternehmensinternen Diskussionen
VII
VIII Vorwort
tun. Oft redigieren Pressesprecher von Institutionen offen-ehrliche Aussagen der Spitzen-
kräfte in Richtung auf Unverfänglichkeit. Auch bevorzugen Journalisten bei wörtlichen
Zitaten aus verständlichen Gründen die besonders prononcierten Äußerungen oder
„Bonmots“.
Um der besseren Lesbarkeit willen wurde vorwiegend die männliche Form verwendet.
Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass diese als geschlechtsunabhängig verstanden
werden soll.
Das vorliegende Buch stellt eine umfangreichere Ausarbeitung einer bereits gedruck-
ten verkürzten Version [MeBa16a] und eines Aufsatzes [MeBa16b] dar. Es werden zusätz-
liche Aspekte behandelt und ausführlichere Quellen angegeben.
Zahlreiche Damen und Herren aus Wissenschaft und Praxis haben uns Fragen
beantwortet. Ausführlichere Hinweise verdanken wir: Prof. Dr. Andrea Back, Dipl.-Ing.
Matthias Barbian, Dipl.-Ing. Peter Brandt, Prof. Dr. Günther Görz, Dr. Michael Hau,
Dipl.-Ing. Ulrich Klotz und Prof. Dr. Gerhard Knolmayer.
1. Der Trend zu mehr Automation mit den Instrumenten der Informatik, Informations-
technologie und Informationstechnik ist sehr wichtig, vor allem für den deutschspra-
chigen Raum mit seiner ungünstigen Altersstruktur (laut UN-Definition überaltert).
2. Modewellen mit größeren Ausschlägen in Wissenschaft, Technik und Unternehmens-
führung haben im Vergleich zu einem nachhaltigen Trend den Vorteil, dass in der
Aufschwungphase die Aufmerksamkeit von Entscheidungsträgern in Politik, Wissen-
schaft und Wirtschaft auf Probleme und neue Chancen der Lösung gelenkt wird. Sie
gehen aber mit dem Nachteil einher, dass wegen leichtsinniger oder unseriöser Ver-
sprechungen und darauffolgender Enttäuschungen personelle und materielle Ressour-
cen vergeudet werden. Dazu zählt auch die „Engpass-Ressource“ „Befassung von
höheren Führungskräften“ („Management Attention“).
3. Leidenschaftslos-neutrale Analysen sind daher angebracht. Hier ist vor allem die Wis-
senschaft gefordert. Besonders gilt dies, wenn Überhitzung droht. Man erkennt das an
den schlimmen Folgen, die das Platzen der sog. Dotcom-Blase (Internet-Blase) im
Jahr 2000 zeitigte.
4. Der Begriff „Digitalisierung“ stammt aus den Fachgebieten Elektronik, Informatik,
Nachrichtentechnik einschließlich Signaltechnik und bedeutet dort die Überführung
von analogen in digitale Größen zwecks Übertragung in Netzen und Verarbeitung auf
Digitalrechnern. Er erhielt auf anderen Fachgebieten wie Betriebswirtschaft sowie
Politik und Medien stark ausgeweitete Bedeutungen, die sehr vielfältig und zum Teil
widersprüchlich sind (u. a. Digitalisierung heißt Automation, Automation unter spe-
zieller Nutzung des informationstechnischen Fortschritts, Automation plus Änderung
der Geschäftsmodelle usw.).
5. In Anbetracht der vielen analogen Komponenten und Vorgänge in der Informations-
verarbeitung, und zwar in den Schaltkreisen des Rechners selbst, bei der Kommuni-
kation zwischen Computern untereinander und mit anderen Maschinen sowie bei der
Mensch-Computer-Interaktion, ist der Begriff „Digitalisierung“ semantisch unglück-
lich, aber vorerst kaum zu korrigieren.
IX
X Zusammenfassende Befunde und Thesen zu Digitalisierung und Industrie 4.0
13. Bei der Frage, ob die gegenwärtig zu beobachtende Aufmerksamkeit, die die The-
men „Digitalisierung“ und „I4.0“ genießen, eher dem Entwicklungsmuster „Trend“
oder „Aufeinander folgende Modewellen“ oder „Gartner Hype Cycle“ zuzuordnen
ist, sprechen Indizien für Letzteres. Schon die inflationäre Verwendung des Wortes
„digital“ weist auf aktuelle modische Überhöhungen hin. Entsprechendes gilt für die
Zahl 4.0. Demnach würden wir gegenwärtig Übertreibungen in Richtung zu optimis-
tischer Prognosen beobachten. Eine Reihe von schwierigen Problemfeldern und
Widerständen könnten aber Ernüchterungen auslösen, die zu einem Abstieg in ein
„Tal der Enttäuschungen“ im Sinn des „Gartner Hype Cycle“ führen. Indessen wird
an verschiedenen Stellen der Wissenschaft und der Praxis eher von einer breiten
Öffentlichkeit unbeachtet weitergearbeitet, sodass sich nach einer Reihe von Jahren
unter günstigen Voraussetzungen ein Gleichgewicht auf höherem Niveau herausbil-
den würde.
14. Eine Vielzahl von IT-Systemen, die in Betrieben schon lange funktionieren sowie seit
Jahren Gegenstand der Lehre einschließlich der Fach- und Lehrbücher und anderer
Lehrmaterialien sind, werden erst jetzt im Zuge der „Digitalisierung“ und „Industrie
4.0“ als mögliche Innovationen dargestellt (z. B. Identifikation von Bauteilen und
Fertigerzeugnissen mittels Funk- bzw. Radiofrequenz-Etiketten (RFID) im Rahmen
der Betriebsdatenerfassung, Produktkonfiguratoren, verfeinerte innerbetriebliche
Materialwirtschaft, weitgehend automatische Nachbevorratung, Verfahren des Supply
Chain Management oder generell der zwischenbetrieblichen Integration bei der Infor-
mationsverarbeitung, zustandsabhängige vorbeugende Instandhaltung).
15. Die gegenwärtigen Einschätzungen, Prognosen und Werturteile über Digitalisierung
und Industrie 4.0 beruhen zum großen Teil auf Meinungserhebungen. Viele von ihnen
sind interessengeleitet (z. B. solche von Unternehmensberatern). Sie enthalten zuwei-
len Suggestivfragen, andere adressieren immer wieder gleiche Zeitzeugen. Wiederholt
bleiben Rückfragen zu erklärungsbedürftigen Maßen (wie z. B. dem „Digitalisie-
rungsgrad“) unbeantwortet. Es ist angezeigt, das Gewicht stärker auf Experimente im
Labor (Simulationen) oder noch besser in der betrieblichen Praxis zu verlagern.
Dadurch könnten Fehlentwicklungen früh analysiert und Lernprozesse eingeleitet
bzw. beschleunigt werden. Erste Demonstrationen in Hochschulen, Forschungsinsti-
tutionen und Unternehmen sind sehr wichtig. Es darf aber nicht nur die technische
Realisierbarkeit, sondern es müssen auch die Rentabilität und die Wirtschaftlichkeit
im weitesten Sinne abgeschätzt werden.
16. In Anbetracht der Unsicherheiten bei innovativen Vorhaben könnten risikoadjustierte
Rechenmethoden aus der Finanzwirtschaft zusätzliche Entscheidungshilfen in der IT
werden. Bei Nutzenschätzungen sollten auch die Langfristfolgen von neuen Lösun-
gen, wie z. B. die Pflege von Wissensbasen oder die Verlagerung von Aufwand auf
Kunden, Lieferanten und andere Geschäftspartner sowie auf die natürliche und gesell-
schaftliche Umwelt, mehr als bisher und so weit wie möglich quantifiziert werden.
Anregungen findet man in industriellen Lebenszyklusrechnungen („Total Cost of
Ownership“).
XII Zusammenfassende Befunde und Thesen zu Digitalisierung und Industrie 4.0
17. Personen, die modische Überhöhungen zumindest nicht ausschließen und mit Experi-
menten oder Reformen zögern, zum Beispiel aus dem unternehmerischen Mittelstand
oder aus Verbraucherverbänden, stellt man oft explizit oder unterschwellig als gefähr-
dete und/oder gefährliche Fortschrittsverweigerer hin.
18. Vieles, was jetzt unter „digitale Revolution“ subsumiert wird, liegt auf der Trendlinie
zu mehr Automation mit IT, die auch ohne die Digitalisierungswelle eingetreten wäre.
Hierzu gehört vor allem die allmähliche Weiterentwicklung der Robotik, insbeson-
dere der vernetzten Roboter, und der Künstlichen Intelligenz einschließlich der
Softwareagenten-Technologie (Multi-Agenten-Systeme).
19. Unter den neuen Anwendungen befinden sich viele, die den Charakter von Spiele-
reien haben. Ob diese wirklich „Türöffner“ für weiteren technischen Fortschritt sind,
indem sie das Interesse der Medien und daran anschließend breiter Schichten der
Bevölkerung wecken, ist schwer abzusehen.
20. Es gibt eine Reihe retardierender Faktoren und Risiken (u. a. Datensicherheit, Schwie-
rigkeiten bei der Normung von Datenübertragung und Datenaustausch, mangelnde
Anpassung des Rechtsrahmens, Gefahr von Wissensabschöpfung, erleichterter Betrug
(„Betrug per Software“), betriebswirtschaftliche Probleme im Produktlebenszyklus
bei zu großer Variantenzahl im Programm bzw. Sortiment („Losgröße 1“), Bedarf an
neuen Algorithmen für Künstliche Intelligenz einschließlich maschineller Lernver-
fahren, Softwareagenten, Zögern von kleinen und mittleren Unternehmen, Fachkräf-
temangel, Probleme der Interdisziplinarität, drohende Überregulierung), die zur
Vorsicht bei der Extrapolation der aktuellen Euphorie mahnen.
21. Die Affinität der Großbetriebe und Konzerne zu den Themen Digitalisierung und I4.0
bei gleichzeitiger Zurückhaltung der mittelständischen und Familien-Unternehmen
ist evtl. nicht zufällig. Vielmehr kann sie damit begründet werden, dass Unternehmer,
die mit ihrem Privatvermögen haften, angesichts beträchtlicher Risiken von Fehlin-
vestitionen Entwicklungen, die sich möglicherweise als modische Überhöhung her-
ausstellen, zögernder gegenüberstehen als große Unternehmen, die wegen des ihnen
eigenen Risikomixes auf Teilgebieten Experimente wagen können und leichteren
Zugang zu Staatshilfen haben. Viele einzelne Elemente der weiteren Automation, ins-
besondere der IT-Sicherheit, verlangen für sich eine hochkarätige Spezialkraft.
Dadurch wird kostentheoretisch die benötigte Personalkapazität weitgehend unab-
hängig von der Betriebsgröße. Die Belastung der Mittelunternehmen durch die
zusätzlichen Funktionen ist, gemessen am Umsatz, höher als bei Großbetrieben.
22. Digitalisierung wird zuweilen als Vorwand genommen, Aufgaben von Unternehmen
weg auf Dritte, vor allem auch Private, zu „delegieren“ („Rationalisierung auf Kosten
anderer“). Bloße Kostensenkungsaktionen werden durch einen Anstrich von Moder-
nisierung bei Benutzung des attraktiven Wortes „Digitalisierung“ verbrämt. In volks-
wirtschaftlichen Rechenwerken zeigt das Produktivitätssteigerungen an, weil die
zusätzliche Arbeit der Bürgerinnen und Bürger nicht in betriebswirtschaftliche und
volkswirtschaftliche Rechenwerke eingeht. Die Wohlfahrt kann aber per saldo
sinken.
Zusammenfassende Befunde und Thesen zu Digitalisierung und Industrie 4.0 XIII
Ein nationales Gesellschaftsmodell, das bis zur Ausbeutung der ersten Gruppe bei
gleichzeitigen starken Einkommenstransfers zur zweiten Gruppe führt, wäre auf Dauer
nicht praktikabel, weil um die Spezialisten ein internationaler Konkurrenzkampf ent-
stehen würde („War for Talents“). Auch vom Gerechtigkeitsstandpunkt her wäre dieses
Modell fragwürdig. Daher muss auf leistungsfähige IT-gestützte Assistenzsysteme
hingearbeitet werden, die den Mitgliedern beider Gruppen zugutekommen.
31. Auf vielen Feldern könnten zu frühe oder zu kühne Automationsvorhaben in Realisie-
rungen des mittleren Weges zwischen völlig personellen und vollautomatischen Funkti-
onen und Prozessen „rückfedern“. Die Methode der Wahl wären dann ebenfalls
leistungsfähige, neue Assistenzsysteme bzw. neue Erscheinungsformen der Mensch-Com-
puter-Interaktion. Diese könnten auch beschäftigungspolitische Vorteile zeitigen.
32. Insgesamt schätzen wir die gegenwärtig zu beobachtenden Neuerungen als begrüßens-
werte Fortschritte auf einem Entwicklungspfad ein. Benennungen wie „epochaler Wan-
del“ oder gar „Revolution“ und „Paradigmenwechsel“ erscheinen uns übertrieben.
Inhaltsverzeichnis
XV
XVI Inhaltsverzeichnis
Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
Abkürzungsverzeichnis1
ABS Antiblockiersystem
ADAC Allgemeiner Deutscher Automobil-Club e.V.
ADV Automatische Datenverarbeitung
ATP Available-to-Promise
B2C Business-to-Consumer
BaFin Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
BDI Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.
Bitkom Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue
Medien e.V.
BSI Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik
BVMI Bundesverband Musikindustrie
BWL Betriebswirtschaftslehre
CDO Chief Digital Officer
CEO Chief Executive Officer
CERT Computer Emergency Response Team
CIM Computer Integrated Manufacturing
CIO Chief Information Officer
CNC Computerized Numerical Control
CPFR Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment
CPS Cyber-physical system (Cyber-physisches System)
CTM Capable-to-Match
DDoS Distributed Denial-of-Service
DEKRA Deutscher Kraftfahrzeug-Überwachungs-Verein
DFKI Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz
DIN Deutsches Institut für Normung
DSL Digital Subscriber Line
DV Datenverarbeitung
1
In das Abkürzungsverzeichnis haben wir keine allgemein bekannten Firmen, wie z. B. BMW oder
VW, aufgenommen, um den Umfang zu begrenzen.
XVII
XVIII Abkürzungsverzeichnis
XXI
Tabellenverzeichnis
XXIII
XXIV Tabellenverzeichnis
Zusammenfassung
Bei den verschiedensten Techniken und Wissenschaften kennt man neben Trends auch
Moden. Sie haben gewisse Vorteile, z. B. die Bündelung von Aufmerksamkeit und
Kräften, bergen aber Gefahren, insb. die der Ressourcenvergeudung.
Gelingt es, den Verlauf von Moden und Trends wenigstens grob vorherzusagen, so
können auch Empfehlungen zu Investitionen und Desinvestitionen und damit verbun-
den Gewinnchancen und Risiken gegeben werden. So hat die Gartner-Beraterin Jackie
Fenn auf der Grundlage des „Gartner Hype Cycle“ (s. Kap. 2) 1999 den sogenannten
Dotcom-Crash (nach der Aufbruchstimmung im Zuge der damals neuen technologi-
schen Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Internet und mobilen Geräten war
eine Spekulationsblase geplatzt) ein halbes Jahr zuvor prognostiziert [OV15ax].
Das Merkmal „zu wenig kumulative Forschung und Entwicklung“ trifft speziell
auch auf Digitalisierung und I4.0 zu. Beispiele sind die früheren Versuche zu automa-
tischen Montagesystemen, die Robotik, die Arbeiten zu integrierten IT-Systemen, die
Expertensysteme und Softwareagenten in Informatik und Wirtschaftsinformatik, das
Produktlebenszyklusmanagement im Marketing, die Instandhaltungssteuerung in der
Industriebetriebslehre und im Operations Research oder das Supply Chain Manage-
ment in Logistik, Operations Research und Wirtschaftsinformatik.
Literatur
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(Hrsg) Wirtschaftsinformatik '95, Wettbewerbsfähigkeit – Innovation – Wirtschaftlichkeit.
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Zyklus. Zugegriffen am 15.11.2015
Typen von Entwicklungen über der
Zeitachse 2
Zusammenfassung
Es haben sich ganz unterschiedliche Typen der Entwicklung neuer Technologien und
Techniken ausgeprägt. In der Informationstechnik und Informationsverarbeitung kann
man oft den Typus „Gartner Hype Cycle“ heranziehen, um den Verlauf von neuen Ent-
wicklungen zu modellieren.
Die Ursachen für unterschiedliche Typen von Entwicklungen sind vielfältig. Diese sind
u. a.:
Connected Home
expectations Deep Learning
Virtual Assistants Machine Learning
IoT Platform Autonomous Vehicles
Smart Robots Nanotube Electronics
Edge Computing Cognitive Computing
Augmented Data Discovery Blockchain
Smart Workspace
Commercial UAVs (Drones)
Conversational User Interfaces
Brain-Computer Interface Cognitive Expert Advisors
Volumetric Displays
Quantum Computing
Digital Twin
Serverless PaaS
5G
Human Augmentation
Enterprise Taxonomy
Neuromorphic Hardware and Ontology
Deep Reinforcement Learning Management
Software-Defined Virtual Reality
Artificial General Intelligence Security
4D Printing
Augmented Reality
Smart Dust
As of July 2017
Peak of
Innovation Trough of Plateau of
Inflated Slope of Enlightenment
Trigger Disillusionment Productivity
Expectations
time
Years to mainstream adoption: obsolete
less than 2 years 2 to 5 years 5 to 10 years more than 10 years before plateau
Abb. 2.2 Gartner Hype Cycle for Emerging Technologies, 2017 ([Gart17]; Mit freundlicher
Genehmigung von © Gartner Inc. All Rights Reserved) (Legende: PaaS platform as a service;
UAVs unmanned aerial vehicles)
In anderen Fällen kommt man zumindest für eine gewisse Zeit ganz zur ursprünglichen
(nicht IT-gestützten) Lösung zurück (s. Tab. 2.2).
Charakteristisch für das Modell „Gartner Hype Cycle“ ist ein steiler Anstieg in einer
Phase der modischen Überhöhung. Dieses Wachstum wird nicht zuletzt durch in der Öffent-
lichkeit lautstark artikulierte Interessen, z. B. von Lieferanten von Hard- und Software,
Unternehmensberatern, Markt- und Meinungsforschungsinstituten, verursacht bzw. ver-
stärkt. Schließlich wird ein Gipfel, bei Gartner der „Peak of Inflated Expectations“, erreicht.
Es folgt ein steiler Abfall, denn mit den beim Aufstieg übertriebenen Versprechungen kor-
respondieren nun große Enttäuschungen, zuweilen verbunden mit Spott, der sich über Per-
sonen ergießt, die an dem Thema weiterarbeiten (das war z. B. zu beobachten, als die stark
automatisierte Endmontagehalle 54 der Volkswagen AG gewisse Enttäuschungen auslöste;
vgl. auch Kap. 3). Manchmal kommt es zum Platzen von Spekulationsblasen, vor allem
dann, wenn in der Aufstiegsphase sehr viel Wagniskapital in riskante Projekte und
2 Typen von Entwicklungen über der Zeitachse 7
Literatur
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14 2 Typen von Entwicklungen über der Zeitachse
Zusammenfassung
Beim Rückblick auf Modewellen erkennt man eine Vielzahl von Merkmalen. Übertrei-
bungen, die zu besonders großen Abweichungen von einer kontinuierlichen Entwick-
lung bzw. von einer Trendlinie führen, sind oft auf spezielle unternehmerische
Interessen zurückzuführen. Aber auch das Bestreben, von überdurchschnittlicher Auf-
merksamkeit zu profitieren, die eine neue Mode auf sich zieht, spielt eine Rolle, z. B.
in der Politik.
1. Das Thema erhält für eine bestimmte Zeit Aufmerksamkeit weit über die Fachwelt
hinaus.
2. Die Medien und Berufspolitiker stimmen der Bedeutung zu. Beispielsweise stellte der
EU-Kommissionsvorsitzende Jean-Claude Juncker 2015 die Digitalisierung auf eine
Ebene mit der Außenpolitik und mit der Flüchtlingspolitik [MüSS15, S. 27].
3. Vorreiter der neuen Mode werden bewundert. Personen und Institutionen, die sich
skeptisch zur Nachhaltigkeit der jeweils aktuellen Entwicklungen äußern, stellt man
gern als Menschen hin, die „von gestern“ oder „ewige Bedenkenträger“ sind und den
Anschluss verpasst haben oder zu pessimistisch sind. Georg Giersberg wirft in einer
Besprechung dem Verfasser eines Buches über „Digitale Transformation“ mangelnden
Optimismus vor und dass er „leider … am Ende doch in eine pessimistische Stim-
mung“ verfällt, und weiter: „seine positiven Beispiele sollten Anregung für jeden sein,
den Gang in die digitale Welt mutig und optimistisch zu gehen“ [Gier16g].
4. Vor allem bei dem Bemühen, staatliche Subventionen oder politische Unterstützung zu
erhalten, aber nicht nur deshalb, werden Ängste geweckt, es könnte eine sehr wichtige
Entwicklung oder gar Zeitenwende verschlafen werden und die Konkurrenz (andere
Unternehmen und Staaten) würde einen Wettbewerbsvorteil erreichen („Alarmismus“).
Derartige Motivationen besitzen z. B. die Hersteller von innovativer Hard- und Soft-
ware (u. a. Chipproduzenten, Hersteller von Sensoren und von Steuerungsanlagen),
Unternehmensberater, Prüfstellen wie der TÜV, Verbandsvertreter sowie Hochschul-
lehrer und Institutsleiter. (Man vergleiche z. B. ein Interview mit dem Vorstandsvorsit-
zenden der Deutsche Telekom AG in [StBü16] und Abschn. 9.3.)
Der Verband der deutschen Internetwirtschaft hat eine große Zahl von Vorhaben
angeregt und fordert konsequent das Entgegenkommen in Form von Subventionen und
anderer Hilfen im Rahmen der „Digitalen Agenda“ der Bundesregierung. Dazu hat die
Organisation das sogenannte „Barometer Netzpolitik“ geschaffen [Knop15b].
Die Tab. 3.1 zeigt weitere markante Formulierungen und Zitate, die für eine dro-
hende Überschätzung und zum Teil für eine Art „Alarmismus“ stehen.
Unter den 17 Thesen des Wissenschaftlichen Beirats, der die Plattform Industrie 4.0
(I4.0) berät, finden sich u. a.:
a) „Vielfältige Möglichkeiten für eine humanorientierte Gestaltung der Arbeitsorgani-
sation werden entstehen … eröffnen sich Chancen für eine alternsgerechte …
Arbeitsgestaltung …“
b) „Industrie 4.0-Systeme sind für den Anwender einfach zu verstehen …“
c) „Eine neue Sicherheitsarchitektur führt zu vertrauenswürdigen, resilienten … Indus-
trie 4.0-Systemen“ [Plat15, S. 12].
galt ursprünglich vor allem unter Journalisten und anderen Außenstehenden als bewun-
derte oder gefürchtete „menschenleere Fabrik“. Es waren aber wohl auch Erfahrungen
wie die mit der Halle 54, dass es heute vermieden wird, das Adjektiv „menschenleer“
im Zusammenhang mit I4.0 zu benutzen.
Beachtliche Überlegungen zu den Beziehungen zwischen CIM und I4.0 verdanken
wir einem Arbeitspapier von Peter Brandt [Bran16b].
6. Die Befassung mit der Mode wird zur Chefsache ausgerufen [Köni15] oder: „Die
Digitalisierung muss in Politik und Unternehmen zur Chefsache werden.“ [OV15cb]
Jedoch erörtert man fast nie, welche anderen Aufgaben die meist vielbeschäftigten
Führungskräfte abgeben oder delegieren könnten [OV15ak]. Zu der in Tab. 3.1 zitier-
ten Aussage von Martin Winterkorn, wonach er sich nach Ende des Machtkampfes um
seine Ablösung als Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG auf die „Bewältigung
der digitalen Revolution konzentrieren“ wollte [Knop15e], könnte man auch die Frage
aufwerfen: Hätte er sich in Anbetracht der existenzgefährdenden Manipulationen mit
Priorität der Rechtstreue im Konzern zuwenden sollen?
7. Es werden neue Förderprogramme eingerichtet bzw. in vorhandenen Programmen neue
Schwerpunkte gesetzt. So widmen sich inzwischen bei der Industriellen Gemein-
schaftsforschung (IGF) 25 % der geförderten Vorhaben dem Themenkomplex Digitali-
sierung bzw. I4.0 [Mers16].
8. Schon länger praktizierte herkömmliche Lösungen werden unter den aktuellen Mode-
begriff subsumiert, z. B. um von der öffentlichen Aufmerksamkeit und von Subventi-
onsprogrammen zu profitieren (Mitnahmeeffekte, „Trittbrettfahren“, „Relaunch“) oder
modern zu erscheinen.
Ein Beispiel sind weitgehend automatische Kommissioniersysteme, die Kundenauf-
tragsverwaltung, Lagerbestandsführung, Regaltechnik, Hilfen bei der Artikelentnahme,
innerbetriebliche Transportmittel, Verpackung und Information von Spediteuren unter-
einander verknüpfen (vgl. Abschn. 9.8).
9. Die weitgehende Integration von Lagerbestandsführung, Lagerdisposition und automa-
tischer Nachbestellung wird schon längere Zeit an vielen Stellen praktiziert bis hin zum
VMI (Vendor Managed Inventory), jetzt aber führt man sie auch als I4.0 bzw. Einkauf
4.0 [Gier16c]. Kleinere technische Einzelheiten, wie z. B. die Überprüfung des Behäl-
terinneren mit Hilfe von Infrarot-Kamera-Modulen bei Wurth Electronics ICS
[BHVo14, S. 218], sind nützlich, stellen aber keine wesentliche Änderung der industri-
ellen Informationsverarbeitung dar.
In einem Bericht über I4.0 in einem Stahlwerk der thyssenkrupp AG wird dargelegt,
dass durch Vernetzung von Lieferanten, Produktionsprozessen und Kunden die Pro-
duktion ohne Fabrikerweiterung in zwei Jahren um 30 % gesteigert werden konnte.
Ungeachtet vieler Detailprobleme, die hier zu lösen gewesen sein mögen, ist auch dies
klassische zwischenbetriebliche Integration bzw. herkömmliches SCM [Bünd16c].
Das Fachgebiet Robotik als Teilgebiet sowohl der Fertigungstechnik wie der Infor-
matik wird nicht als bereits lange Bestehendes, sondern als Vorstufe von I4.0 darge-
stellt (vgl. z. B. die Ausführungen zum ROS (Robot Operating System) bei Bubeck
et al. [BHVo14, S. 221–233]).
3 Merkmale von Moden in Wissenschaft und Technik 25
Ähnliches gilt für die schon geraume Zeit zu erkennende Verbindung von Produk-
tions- und Dienstleistungssystemen untereinander; sie wird in der Literatur zu I4.0
unterbelichtet, und zwar sowohl was die inner- als auch was die zwischenbetriebliche
Vernetzung angeht [BHVo14, S. 251].
Den erreichten Stand einer Mensch-Maschine-Kommunikation am Beispiel einer
Auftragsbearbeitung mit Kommissionieren und Versand bis hin zu Paketdiensten und
Spediteuren, also zwischenbetrieblich, zeigt das unten stehende Beispiel der AVON
Cosmetics GmbH. Viele interessante automatische Funktionalitäten beinhaltet auch das
Hochregallager der DATEV eG.
Amazon stellte im Jahr 2014 Logistikzentren vor, in denen Roboter die Regale mit
Waren zu den Arbeitskräften transportieren, die dann bestellte Produkte herausnehmen.
Es ist eine Frage des Einzelfalles, ob der Mensch wie bei AVON mit IT-Hilfe zur Ent-
nahmestelle geleitet wird oder umgekehrt einen festen Arbeitsplatz hat, zu dem die
Artikel transportiert werden [Kann14].
In einer Studie zu Industrie 4.0, die mehrere Industrie- und Handelskammern veran-
lasst haben [IHK15, S. 40], wird die „Tagesaktuelle … Überprüfung von Produktabver-
käufen in den unternehmenseigenen Vertriebszentren“ als ein Einsatzbeispiel
bezeichnet, das „zwar noch keine ganzheitliche Integration von Industrie 4.0, aber
bereits die zielgerichtete Digitalisierung von ‚Geschäftsbereichen‘ zeige“.
Auch der Stand der Betriebsdatenerfassung wird zuweilen unterschätzt, etwa wenn
Jochen Rode von der SAP SE die „Verschmelzung von digitaler und virtueller Welt“
mit dem Beispiel unterlegt: „Ich gehe durch die Halle und sehe sofort, wo mein Auftrag
ist und was es mit dem Stapel Material auf sich hat, anstatt den Warenbegleitschein zu
suchen“ [Spat13, S. 61].
26 3 Merkmale von Moden in Wissenschaft und Technik
Eine These von Nikolaus von Bomhard, der als ehemaliger Vorstandsvorsitzender der
Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft AG besonderen Einblick in die Entwicklung
von Unternehmen hat, kann als Zusammenfassung dienen: „Allerdings wäre es für das
einzelne Unternehmen wie auch für die Gesellschaften als Ganzes besser, einen flacheren,
dafür aber konstanteren Wachstumspfad einzuschlagen. Denn stark gehebeltes Wachstum
führt nahezu unweigerlich zu heftigen Einbrüchen. Die Liste der Beispiele hierfür ist sehr
lang … Die Gesamtbilanz aus kurzfristigem Boom und anschließendem Zusammenbruch
dürfte in aller Regel negativ ausfallen“ [Bomh16].
28 3 Merkmale von Moden in Wissenschaft und Technik
Literatur
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[OV17bd] Ohne Verfasser (2017bd) Rhön setzt auf das digitale Krankenhaus. FAZ.NET vom
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Literatur 31
Zusammenfassung
Beim Muster „Trend“ bleiben über längere Zeitstrecken höhere Modewellen aus. Nur
wenn man den erreichten Stand in größeren Zeitabschnitten vergleicht, wird der Fort-
schritt auch außerhalb der Fachwelt deutlich. Unternehmen, die Trends ohne Rücksicht
auf Moden nachhaltig folgen, gewinnen oft große Vorsprünge.
Im Gegensatz zu Moden werden bei Trends über eine längere Zeitstrecke keine höheren
Wellen deutlich. Durch meist relativ kleine Sprünge lässt sich mit guter mathematisch-
statistischer Annäherung eine Trendgerade legen. Beispiele sind das Moore´sche Gesetz
(Kap. 2) oder die Dezentralisierung auf dem Pfad: Zentraler Großrechner (IBM, Bull) →
mittelgroße Abteilungsrechner (DEC, Harris, Hewlett Packard, Tandem) → PC → Mobil-
telefon → am Körper tragbare Geräte („wearables“, z. B. Armbanduhren, Brillen). Auch
die Robotik zeigt einen nicht von größeren Rückschlägen getroffenen Trend, der sich zu
verstärken scheint [Marx15b, HöTu17]. Nicht zuletzt in der Agrarwirtschaft erkennt man
erstaunliche Fortschritte, wie etwa Sondermaschinen, die Spargel waschen, wiegen, sor-
tieren, Verschnitt minimieren und verpacken und den (in Deutschland schwer zu decken-
den) Personalbedarf auf die Hälfte bis ein Viertel reduzieren [Delt16].
Über größere Zeitabschnitte hinweg wird aber das „Delta“ registriert, wonach es zu
Paradigmenwechseln kommen mag. Ein Beispiel ist die Verlagerung von Daten und Pro-
grammen aus Sekundärspeichern in den nun viel mächtigeren und kostengünstigen Haupt-
speicher (etwa bei „In-memory-Analysen“).
Unternehmen, die hinsichtlich Produktentwicklung oder Geschäftsmodell einem Trend
nicht Rechnung tragen, drohen zumindest für eine gewisse Zeit Bedeutungsverluste.
Beispiele sind die Großrechnerhersteller wie Bull oder die Anbieter von Abteilungsrech-
nern (Digital Equipment).
Literatur
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Begriffe von Digitalisierung und
Industrie 4.0 5
Zusammenfassung
Die Begriffswelt zu „Digitalisierung“ und „Industrie 4.0“ stellt sich verwirrend dar. Die
Begriffe werden in einer seltenen oder vielleicht nie zuvor erlebten Häufung gebraucht.
Etliche Kombinationen mit „digital“ sind sowohl semantisch als auch grammatisch
fragwürdig oder grenzen an Ironie. Es bleibt abzuwarten, ob sich ein solider Begriffsap-
parat ausprägt, sei es von selbst oder durch Fachautoritäten gesteuert. Sonst wäre seri-
öse Arbeit in Wissenschaft und Praxis sehr erschwert.
5.1 Digitalisierung
Papierbuch wird via Online-Shop beim lokalen Buchhändler bestellt, der die Bestellung
seinem analogen Faxgerät entnimmt, zum Computer trägt und in die Bestellsoftware ein-
tippt. Wann und an welchen Stellen soll man die Buchbranche digitalisiert nennen?“ […]
„Die Seitenlänge eines Quadrats mag eine 1 sein; die Länge der Diagonalen ist dann die
Quadratwurzel aus 2, also eine Zahl, die unendlich viele Nachkommastellen hat.“ […] „Bei
Flashspeichern können die Zellen mehrere Ladungszustände annehmen: Viele, mittelviele,
wenige oder keine Elektronen pro Zelle. So lässt sich mehr als ein Bit in einer Zelle spei-
chern, auf Kosten der beliebten Metapher: Eine digitale Welt kennt nur Schwarz und Weiß.“
Bei tiefergehenden Analysen erweist sich die Unterscheidung zwischen analog und
digital viel diffiziler als über weite Strecken der Literatur angenommen. Man erkennt das,
wenn man sich mit den Diskussionen über die frühe Quantenphysik und -chemie und mit
Arbeiten von Einstein, Maxwell (Maxwell-Gleichungen, die die Ladungsdichte, die
Stromdichte, elektrische und magnetische Feldstärken in Verbindung bringen), Planck
oder Schrödinger befasst.
Wir begegnen in der Forschung zur Informationsverarbeitung auch Konzepten und
Überlegungen einer Gegenbewegung („Analogisierung“) zur „reinen“ Digitalisierung.
Trotz aller Fehlprognosen in der Vergangenheit gibt es gegenwärtig Vorhersagen, dass man
bald am Ende einer Entwicklung sein könnte, die mit dem Moore’schen Gesetz quantifiziert
wird, weil zwar eine weitere Miniaturisierung von Schaltkreisen physikalisch-technisch
möglich, aber nicht wirtschaftlich sein dürfte. Nun arbeitet man in diesem Zusammenhang
mit Quantencomputern, die nicht mehr nur Informationseinheiten mit Hilfe von binären
Nullen und Einsen abbilden, sondern auch viele Zwischenzustände kennen oder Schwin-
gungsrichtungen und -zustände verarbeiten. Spezialgebiete sind die Quantenfotonik oder
die Quantensimulation hochkomplexer Systeme [OV16bo, Knop16 f, OV16aj], wobei
Quantenzustände von Atomen manipuliert werden. Die Fortschritte der physikalischen
Forschung lassen erkennen, dass bislang als kleinste Teilchen begriffene Partikel, wie z. B.
das Elektron, sich unter bestimmten Umständen in Quasi-Teilchen aufspalten, welche Trä-
ger von Teileigenschaften sind („Sub-Elektronen“). Auch hier zeigen sich dann Gegeben-
heiten, die nicht mit einer strengen 0-1-Unterscheidung dargestellt werden können. Eine
andere Entwicklung könnte langfristig die Speicherung von nicht binär codierten Informa-
tionen in DNA-Strängen beinhalten [Stöc17]. Als anderes Extrem findet man aber auch die
Auffassung, dass die ganze Welt in ihrem Innersten digital sei. Der Physiker und Mathema-
tiker Stephen Wolfram stellt sich das Universum als einen einzigen gewaltigen Digitalcom-
puter vor [OV15ap, S. 95]. Eine besondere Rolle spielt die Digital-Analog-Wandlung in der
Fertigung und möglicherweise in der Zukunft bei I4.0, wenn elektromechanische und elek-
trochemische Aktoren und Roboter digital angesteuert oder Greifwerkzeuge von Robotern
sehr „feinnervig“ bzw. sensibel gelenkt werden sollen („intelligente Greifwerkzeuge“).
Zwar lösen zuweilen äußerst rasch aufeinander folgende schwache digitale Impulse die
Bewegungen der Betriebsmittel aus, gleichwohl ist die Grenze zwischen digitalen und ana-
logen Effekten ähnlich fließend wie bei manueller Arbeit.
Sollten Entwicklungen, die die Leistung von informationstechnischen Maschinen dadurch
erhöhen, dass man Teile des menschlichen Gehirns bzw. Nervensystems nachbildet (u. a.
5.1 Digitalisierung 37
„Neuromorphic Computing“), zum Erfolg führen, so würde man weitere, zum Teil ana-
loge Prozesse in Betracht ziehen müssen. Beispiele sind die Ausschüttung von biochemi-
schen Molekülen (Neurotransmittern), Ionenströme, die per Addition zu Impulsen führen,
sich auf- und abbauende Nervenfasern oder generell Wellenbewegungen [Eber17, insb.
S. 93]. Das menschliche Hirn ist dadurch geprägt, dass es viele Zustände simultan haben
kann. Durch strenge Trennung in nur zwei Zustände (Null und Eins) kann man dem kaum
gerecht werden [Lenz17b]. Auch bei der Softwareentwicklung will man Fortschritte errei-
chen, z. B. durch flexibleren Umgang mit Fehlertoleranzen („Approximate Computing“)
[Bets16].
Bei der zukunftsträchtigen Technologie der intelligenten virtuellen Agenten, die beson-
ders im Kontext von Industrie 4.0 eine Rolle spielt, wird angestrebt, dass die künstlichen
Gebilde möglichst viele menschenähnliche Qualitäten auf sich vereinen und auch ähnlich
wie Menschen untereinander und mit Menschen analog kommunizieren.
Dazu kommen die maschinelle Formulierung von Texten und die allgemeine Mensch-Ma-
schine-Kommunikation (Ein- und Ausgabe) über die Druckstärke und den Winkel von Fin-
gerbewegungen, die Breite von Schriftzügen, analoge Blicke (Augensteuerung), Bilder,
Gesten, auch Ganzkörpergesten, spezielle Anzüge zur Nutzung des Tastsinnes („Ganzkör-
peranzüge“ als Bestandteil der virtuellen Realität). Weitere Schlagworte sind „Smart Inter-
faces“ oder „Fluid Boundaries“ [OV16cd] sowie Prosodie (Lehre vom Messen der Silben
nach Länge und Tonhöhe) als Teilbereich der Phonetik. Auch beim interaktiven maschinel-
len Lernen, bei dem Algorithmen mit Softwareagenten kommunizieren, um das Lernver-
halten zu verbessern, sind analoge Elemente beteiligt [Holz16, S. 64, OV16ah]. Das gilt
ebenso für recht detaillierte Zeichen, wie z. B. den Daumen auf den Zeigefinger zu tippen,
Daumen und Zeigefinger aneinanderzureiben oder das Zusammenziehen der Hände zu
einer Faust, um Geräte zu steuern [OV16am]. Ein sehr anspruchsvoller neuer Ansatz besteht
darin, die Mensch-Computer-Interaktion um die Erkennung aller fünf Sinne in einer „Mul-
timodalen Kombination“ zu vereinen [Mata16]. In einer Pilotentwicklung sollen Stellenbe-
werber unter anderem durch die Stimmlage in einem Dialog ein System erkennen lassen,
ob der Bewerber motiviert und belastbar ist [OV16ad]. Noch weiter führen sog. Cyborgs:
Über Hirn-Computer-Schnittstellen sollen Hirnströme gemessen und kontrollierte Bewe-
gungen gelähmter Körperteile ausgelöst werden [Schmu17].
In vielen betrieblichen Systemen, so z. B. in Angebotssystemen der Medienwirtschaft,
gilt es zu berücksichtigen, dass sich Kunden durch hochwertige Bilder leiten lassen.
Ein innovatives Verfahren ist die Ableitung von Prozessmodellen aus natürlichsprach-
lichen Beschreibungen bzw. Erklärungen, wie sie bspw. Unternehmensberater als einen
Schritt bei der Entwicklung neuer betrieblicher IV-Systeme vornehmen [RiTT16].
An der Universität Erlangen-Nürnberg wurde eine Professur mit der Bezeichnung
„Wahrnehmungsbasierte Räumliche Audiosignalverarbeitung“ eingerichtet.
Stichworte, die aus Ankündigungen meist internationaler Kongresse, z. B. des ACM-Kon-
gresses „Intelligent User Interfaces“ 2016 in Kalifornien (vgl. auch [Saue13]), aber auch aus
den Arbeitsgebieten des MIT Media Lab, einer Bekanntmachung des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung sowie einigen anderen Quellen [BMBF16c], entnommen sind,
38 5 Begriffe von Digitalisierung und Industrie 4.0
vermitteln einen Eindruck vom Zusammenwirken analoger und digitaler Phänomene: adap-
tive learning, advanced visual interfaces, aesthetic interfaces, affect sensing from communi-
cation artifact, affective and aesthetic interfaces, affective computing, affective content
labeling, affective state detection, annotation for semantic and social webs, argumentation
mining, argumentation-aware recommendation, assimilation in social networks, automatic
slogan generation, behaviorial and emotional analytics, Berücksichtigung von Geschmacks
änderungen, biomedical engineering, brain interface, cliché detection, cognitive task creati-
vity, collaborative creativity, Computerkreativität, context-aware interfaces, context-aware
recommenders, conversational agents, conversational interfaces, detecting behind the text,
discriminations in recommendations, ecological (user) interfaces, emotion awareness in soft-
ware design, emotionally communicative behavior, Feinfühligkeit von Robotern, fluid inter-
faces, Gefühlsanalyse („sentiment analysis“), haptische Informationen, human behavioral big
data, human intention recognition, human-information interaction utilizing neuro-physiologi-
cal tools, implicit detection of personality, improvisational interaction, inspirational systems,
intelligent interactive systems, intelligent user interfaces, interactive machine learning, kogni-
tive Programme, leveraging side information, molecular machines, multi-dimensional data
visualization, multi-modal interfaces (speech, gestures, eye, gaze, face, physiological infor-
mation), Nachempfinden natürlicher Strukturen (beim 3D-Druck), narrative frameworks,
natural language-question answering, nature integrated user interfaces, neuro-information
science, neuro-physiological tools, nonverbale Aufmerksamkeitslenkung, nudging (bei
„intelligenten Mentor-Systemen“), ontology learning, opinion about tentative recommenda-
tion, opinion mining, paralinguistic (begleitende Phänomene beim Sprechen, wie z. B. Tempo,
Lautstärke, Mimik, die man in der Markt- und Meinungsforschung verwendet), persuasive
technology, physiologische Information, semantic context modelling and extraction, semantic
relationship extraction, semantic tagging, slogan generation, social data mining, socio-cultu-
ral computing, Sprach- und Sprechererkennung unter schwierigen Bedingungen (Erkältung,
Verstellung), systems for discovering influential users, tangible media, temporal reasoning in
recommendation systems, trust and reputation in social networks, trust aware interfaces/trust
inspiring recommendations, trust control, unexpectedness in retrieval, unobtrusive acquisition
of emotions, unobtrusive user experience, unstructured and social data for recommendation,
using side information to increase recommendation quality in terms of … serendipity, Verän-
derungen der Kommunikation in Gruppen („concept drift in user modelling“, „temporal
aspects of conversational interfaces“, „temporal aspects in group modelling“), Verarbeitung
von Harmonie in Musikstücken, visual computing, weiche Robotik.
Selbst das Thema „Emotionsverarbeitung“ (über Gemütsausdrücke in Gesichtern, Lan-
geweile – etwa von Lernenden in Weiterbildungskursen [OV16ch], Symptome von Stress
oder Müdigkeit) wird thematisiert, z. B. im Kontext von personalisierten Empfehlungssys-
temen [Tkal16]. Die Gartner, Inc. prognostiziert, dass schon 2019 etwa 20 % der IT-Geräte
in der Lage sein würden, Gefühle zu registrieren [Heeg16].
Damit korrespondiert, dass im Gartner Hype Cycle 2017 die folgenden Techniken auf
dem aufsteigenden Ast erscheinen: „Smart Robots“, „Human Augmentation“, „Brain-
Computer Interface“ und „Quantum Computing“. Sowohl in den USA als auch in Europa
5.1 Digitalisierung 39
gibt es gut dotierte Forschungsprogramme mit den Bezeichnungen „Human Brain Acti-
vity Project“ oder „Human Brain Project“ (vgl. Tab. 2.3 und Abb. 2.2).
In neueren interdisziplinären Fächern wie Psychobiologie und Neurobiologie werden
Zusammenhänge in der Triade „Gehirn-Gesichtsausdruck-Emotion“ studiert und für die
Verwendbarkeit in Mensch-Maschine-Dialogen erforscht [OV16ag]. So könnte langfristig
auch eine IT-generierte „menschliche“ gefühlsbeeinflusste Sprache erzeugt werden. For-
schungsarbeiten dazu finden im Bereich „Human Media Interaction“ der Universität
Twente (Niederlande) statt.
Mittlerweile gibt es auf großen Tagungen, wie z. B. der 22. ACM International Conference
on Intelligent User Interfaces (IUI 2017), verhaltenswissenschaftliche Teilveranstaltungen mit
den Disziplinen Psychologie, Kognitionswissenschaft und Sozialwissenschaften [Gena16].
In der weiteren Zukunft könnte an der Grenze zwischen Informationstechnik und
Medizin die Epigenetik eine interessante Rolle spielen. Es geht nicht darum, nur Schluss-
folgerungen daraus zu ziehen, welche Gene vorhanden sind, sondern darum, ob Gene
abgelesen werden. Dieses hängt wiederum davon ab, wie dicht gepackt der Erbstrang in
den Histon-Proteinen ist [Müll16b].
Beachtliche Fortschritte verzeichnet vor allem das Medizintechnik-Unternehmen Otto
Bock Holding GmbH & Co. KG bei der Entwicklung von Prothesen, die durch Muskelim-
pulse in gesunden Körperteilen oder Hirnströme gesteuert werden [Balz17].
In der Hirnphysiologie hat man herausgefunden, dass ein Erfahrungsgedächtnis und ein
Arbeitsgedächtnis zusammenwirken. Das erstere arbeitet analog, das zweite digital. Lang-
fristig könnten derartige Erkenntnisse zur Entwicklung „neuro-adaptiver Assistenzsysteme“
für die Kommunikation zwischen Menschen und Maschinen (Robotern) herangezogen
werden [Poll16].
Unterstellt man, wie es ursprünglich angestrebt wurde und jetzt zuweilen wieder pro
gnostiziert wird, dass sich langfristig die KI am Aufbau des menschlichen Hirns orientiert,
so ist zu berücksichtigen, dass das Hirn nicht diskrete Zustände unterscheidet.
Wichtige Simulationsmodelle, die kontinuierliche Flüsse abbilden (über System Dyna-
mics), kennen auf der Anwenderseite ebenfalls analoge Elemente.
Auch Geräte und gar Menschen mit eingebetteten Systemen beinhalten häufig analoge
Elemente, sodass Digital-Analog-Wandlungen erforderlich sind. Bspw. löst eine von
einem Bordrechner im LKW veranlasste Bremsaktion (digital) eine kontinuierlich wach-
sende oder sinkende Bremsintensität aus. Bei kabelloser Datenübertragung, z. B. zwi-
schen einem Mobiltelefon und einem Computer, spielt der Wechsel zwischen sich analog
abschwächenden Feldstärken und deren Wiederauffrischung eine große Rolle. Ähnlich
findet man analoge Effekte bei der elektronischen Identifikation von Gegenständen mit
Hilfe von Funketiketten (RFID-Chips) und in dynamischen Netzwerken mit komplizierter
Geometrie, wie man sie bspw. in der Energieversorgung verwendet [Absh15].
Die Flugzeugindustrie arbeitet an extraleichten Strukturen, wobei man sich am Wachs-
tum von Knochen und Knochengerüsten orientiert (Bionik), zugleich aber für die Festig-
keitsberechnungen massive Rechenkraft benötigt [OV15bi].
40 5 Begriffe von Digitalisierung und Industrie 4.0
Zusammenfassend ergeben sich aus unserer Umfrage, was Digitalisierung von Auto-
mation unterscheide, drei schwach ausgeprägte Cluster der Begriffsverständnisse:
Der äußerst unscharf benutzte Begriff „Digitalisierung“ ist u. E. keine glückliche Episode
in der Geschichte der deutschen Sprache. Wir werten die unreife Begriffsbildung, vor
allem die unscharfe Trennung von Analogem und Digitalem bzw. die „Überschrift“ „Digi-
tal“ auch dort, wo analoge Phänomene stark mitwirken, und die kaum getroffene Aussage,
was Digitalisierung von Automation unterscheide, als vorläufiges Indiz, dass wir es mit
einer Modewelle zu tun haben könnten. Der Historiker Otto Ladendorf definierte ein
Modewort schon in seinem Werk „Historisches Schlagwörterbuch“ [Lade06] als „Erzeug-
nis, das plötzlich ganz weite Bevölkerungsschichten epidemisch durchsetzt und meist nur
ziemlich gedankenlos gebraucht wird“.
Andere Disziplinen, wie z. B. die Naturwissenschaften oder die Medizin, könnten sich
einen solchen unstimmigen Begriffsapparat nicht leisten. Wenn man die komplizierten
Vorgänge der Nahrungsaufnahme, Verdauung, Stoffwechsel, Speicherung und Ausschei-
dung von Nahrungsbestandteilen unter dem Begriff „Essen“ oder gar „Kauen“ subsumie-
ren würde, so könnte man nicht differenzierte Forschung und Entwicklung betreiben und
keine entsprechenden Fortschritte erzielen.
Vor allem in Bezug auf Wirtschaftsbetriebe und öffentliche Verwaltung mag man die in
Abb. 5.1 dargestellte Entwicklung von Benennungen und Umbenennungen über die letz-
ten Jahrzehnte nicht als endgültig einschätzen. Mit der Umbenennung des „Nationalen
Informationstechnik/
Informationsverarbeitung (IT/IV)
Informationstechnologie
IT (englisch)
e-(Business, Procurement,
Commerce, Logistics, Health, …)
Digitalisierung
Analogisierung?
IT-Gipfels“ in „Digital-Gipfel“ ab 2017 sollte laut Bitkom zum Ausdruck gebracht wer-
den, „dass es bei der Digitalisierung nicht nur um die Telekommunikationstechno
logie, sondern um die Digitalisierung in ganzer Breite geht“ [Bitk17]. Diese Maßnahme
verdeutlicht, dass es zweckmäßiger gewesen wäre, bei der umfassenderen Bezeichnung
„Informationstechnik“ bzw. „Informationstechnologie“ zu bleiben. Ob der Begriff „Di
gitalisierung“ eines Tages durch „Analogisierung“ verdrängt wird?
Ähnlich groß wie bei der „Digitalisierung“ (Abschn. 5.1) ist die Zahl der Begriffsver-
ständnisse, die wir zu I4.0 fanden. (Bernd Wilhelm merkt dazu an: „Einerseits ist der
Begriff ‚Industrie 4.0‘ konkret zu verstehen … andererseits aber auch für so manche
scheinwissenschaftliche ‚Luftblase‘, die eher Marketinginteressen zu dienen scheint.“)
[Wilh14, S. 188].
Das ursprüngliche und – wie sich bald erweisen sollte – von Medien, Politik, Verbän-
den und anderen zunächst fast begierig aufgegriffene Verständnis von I4.0 baut auf einer
historischen Phasengliederung auf (1. Generation: Mechanische Produktionsanlage mit
Wasser- oder Dampfkraft betrieben – 2. Generation: Massenproduktion mit Hilfe elektri-
scher Energie – 3. Generation: Einsatz von IT). In einer Broschüre des VDI wird allerdings
Industrie 3.0 mit CIM gleichgesetzt [BaBS16, S. 58].
In dem Lehrbuch von Jan Marco Leimeister [Leim15, S. 176] findet man: „Industrie
4.0 bezeichnet in Anlehnung an bisher drei industrielle Revolutionen die Weiterentwick-
lungsstufe der Industrie … wird … die nächste Revolution beschrieben, welche die Pro-
duktion auf Basis von Cyber-Physical-Systems revolutioniert.“
Bei Mertens et al. liest man: „Technische Grundlage von Industrie 4.0 sind ‚Cyber
Physical Systems‘. Dies sind Betriebsmittel (z. B. Werkzeugmaschinen, Prüfgeräte, inner-
betriebliche Transportfahrzeuge, Lagerautomaten, LKW), die mit eigenen Computern
ausgestattet werden („embedded systems“). Die Gegenstände können untereinander über
Internet-ähnliche Netze Nachrichten („Internet der Dinge“) austauschen und sollen in wei-
teren Entwicklungsstufen ähnlich wie menschliche Disponenten miteinander verhandeln
können“ [Mert17, S. 96].
Der Lenkungskreis der Plattform Industrie 4.0, der von drei Verbänden (Bitkom,
VDMA und ZVEI) gebildet wurde, definiert im Jahr 2015 jedoch sehr weit: „Der Begriff
Industrie 4.0 steht für die vierte industrielle Revolution, einer neuen Stufe der Organisa-
tion und Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette über den Lebenszyklus von Pro-
dukten. Dieser Zyklus orientiert sich an den zunehmend individualisierten Kundenwünschen
und erstreckt sich von der Idee, dem Auftrag über die Entwicklung und Fertigung, die
Auslieferung eines Produktes an den Endkunden bis hin zum Recycling, einschließlich der
damit verbundenen Dienstleistungen“ [Plat15, S. 8]. Diese sehr breit angelegte Definition
hat wegen der Bedeutung der Verbände einen fast offiziellen Charakter. Die Grenzlinien
5.2 Industrie 4.0 47
„Industrie 4.0“ wird aber auch an vielen Stellen wieder schärfer abgegrenzt und dann
mit dem aus Informatik und Ingenieurwissenschaften stammenden Begriff „Cyber-
physical system“ (CPS) eng assoziiert oder auch gleichgesetzt (s. oben), so 2013 in
einem Bericht der Forschungsunion/acatech [Prom13, S. 5]. Ganz überwiegend wird
davon ausgegangen, dass diese Betriebsmittel Daten austauschen. Jedoch könnte die
nächste Ausreifungsstufe so gestaltet sein, dass sie auch untereinander verhandeln, um
schließlich automatische Dispositionsentscheidungen zu treffen. Alternativ wären auch
Auktionen in Betracht zu ziehen: Die CPS der Betriebsmittel bieten ihre Kapazitäten an.
Informatik und Wirtschaftsinformatik hatten Softwareagenten bzw. Multi-Agenten-
Systeme (MAS) (je ein Agent, der für „seine“ Maschine, „sein“ Transportmittel usw. ent-
scheidet) als Konstrukt der Künstlichen Intelligenz in Dissertationen bereits in den
neunziger Jahren bezüglich Verwendung in Produktion und Logistik untersucht und ein-
schlägige Prototypen entwickelt [Falk95, Weig94]. Neuere Arbeiten haben Berndt
[Bern15] und Gath [Gath15] vorgelegt. Es ist bedauerlich, dass Arbeiten aus den Gebieten
Betriebswirtschaftslehre (z. B. Absatzwirtschaft), Fertigungstechnik, Informatik und
Wirtschaftsinformatik fast nicht in Zusammenhang gesehen werden. Das nachfolgende
Beispiel aus der Praxis des Autors Mertens verdeutlicht dies.
1. In welchem Maß wurden bisher Liefertermine bei den durch die Umdispositionen
betroffenen Kunden versäumt? M.a.W.: Dürfen wir den Kunden erneut enttäu
schen?
2. Welche Kundendeckungsbeiträge entgehen, falls ein vielversprechender neuer
Kunde, ein Stamm- bzw. A-Kunde abspringt oder man einen B-Kunden zurück-
stellt? (Kundenwert-Berechnungen)
in der industriellen Praxis und in der Forschung und Lehre der Wirtschaftsinformatik vie-
len Autoren, die sich zu Industrie 4.0 äußern, weitgehend unbekannt ist.
Man erkennt, dass der Begriff I4.0 zunehmend bis hin zu einem fast leeren Inhalt ver-
allgemeinert wird. Die mit der Zeit immer unschärfer gewordenen Definitionen erschwe-
ren sorgfältige Analysen, auch solche, mit denen herausgearbeitet werden soll, wo das
wirklich Neue liegt.
Bei den skizzierten Begriffsdehnungen verwundert es nicht, dass so gesehen ein hoher
Prozentsatz der befragten Industrieunternehmen schon Industrie 4.0 betreibt [OV16bb].
Erfreulicherweise wurden jetzt die Probleme und ernsten Gefahren des Begriffs-
Wirrwarrs erkannt und kompetent besetzte Gremien mit dem Ziel eingerichtet, die Begriffe
schärfer abzugrenzen (s. Abschn. 9.10) [Pfro14].
Das World Wide Web Consortium (W3C) arbeitet unter anderem an einem einheitli-
chen Glossar [Schlü16].
Die acatech hat 2016 einen „Industrie-4.0-Maturity-Index“ publiziert. Peter Liggesmeyer
hat auf dieser Grundlage ein „Stufenweises Umsetzungskonzept“ vorgestellt. Es führt von
der einfachen, lange erreichten Lösung der alleinstehenden programmgesteuerten CNC-Ma-
schine (Liggesmeyer gibt dieser Stufe die Nummer 3.0) über die Stufen „Adressierbar“
(3.1) – „Kommunizierend“ (3.2) – „Diagnostiziert“ (3.3) – „Selbstdiagnostizierend“ (3.4)
zu „Autonom reagierend“ (3.5) bis zum Ziel „Autonom agierend“ (4.0) [Ligg17].
Die Wörter „Digitalisierung“ und „Industrie 4.0“ tauchen einzeln oder in Zusammensetzun-
gen in den letzten rund drei Jahren extrem häufig und oft in seltsamer Konnotation auf. Die
Abb. 5.2 zeigt die Verläufe, die Google Trends liefert, wenn man mit den Begriffen „Digita-
lisierung“ und „Industrie 4.0“ sucht. Diese Wachstumszahlen lassen sich nicht mit einem
plötzlichen technischen Durchbruch erklären, auch nicht mit einem einschneidenden politi-
schen Ereignis. Wir werten sie daher ebenfalls als ein Indiz für eine modische Überhöhung.
Wir haben diese Verläufe denen der Begriffe „Informatik“ und „Wirtschaftsinformatik“
(vgl. Abb. 5.3) gegenübergestellt. Letztere zeigen eine schwach fallende Tendenz. Diese
könnte darauf zurückzuführen sein, dass die älteren Termini zum Teil durch „Digitalisie-
rung“ und „Industrie 4.0“ verdrängt wurden. Ein entsprechender Versuch mit dem Termi-
nus „Informationstechnologie“ erbrachte wegen zu geringer Nachfrage durch
Google-Benutzer keinen aussagekräftigen Befund.
In einer verkürzten Aufzählung haben wir rund 300 Vokabeln aufgeführt, in denen die
Buchstabenfolge „digital“ vorkommt. Die gesamte Liste umfasst rund 2.500 Einträge.
Nach den Termini haben wir nicht gezielt recherchiert, vielmehr wurden nur die Wörter
5.3 Indizien für modische Verläufe im Sprachlichen 51
100
90
80
70
60
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40
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Januar 2010 Januar 2011 Januar 2012 Januar 2013 Januar 2014 Januar 2015 Januar 2016 Januar 2017
Industrie 4.0 Digitalisierung
Abb. 5.2 Relative Suchanfragen für die Begriffe „Digitalisierung“ und „Industrie 4.0“
100
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Wirtschaftsinformatik Informatik
Abb. 5.3 Relative Suchanfragen für die Begriffe „Informatik“ und „Wirtschaftsinformatik“
festgehalten, die uns bei der alltäglichen Lektüre der Fachliteratur und Wirtschaftspresse
begegnet sind. Unsere ursprüngliche Absicht, zu allen oder zumindest vielen Positionen
die Quellen zu zitieren, haben wir aufgegeben, weil das zu viele Seiten gefüllt hätte.1 Die
1
Verschiedentlich erscheinen die Stichwörter und Redewendungen in der Literatur mit grammati-
schen oder orthografischen Fehlern. In solchen Fällen verzichten wir auf die Korrektur und zitieren
die Schreibweise im Original.
52 5 Begriffe von Digitalisierung und Industrie 4.0
Verfasser sind zu persönlichen Auskünften bereit. (Für den interessierten Leser stehen alle
Begriffe im WWW unter http://wi1.uni-erlangen.de/users/petermertens.)
Auf der alphabetisch sortierten Liste befinden sich u. a.: Charta digitaler Grund-
rechte – Corporate Digital Responsibility – Dämonisierung der Digitalisierung – Darmstadt
digital – Darwin digital – Demokratische Digitalkultur – Deutsch-französische Digitalkon-
ferenz – Deutschlands digitale Rückständigkeit – Dezentrale Digitalität – Digital Abseits-
stehende – Digital Detox (Gelassenheit als Folge von Abstinenz von E-Mails im
Urlaub) – Digital entgiften (Abhängigkeit vom Smartphone einschränken) – Digital Fort
Knox – Digital geführter Weltkrieg – Digital Jetset – Digital optimierter Immobilienmak-
ler – Digital or die – Digital souveräner Bürger – Digital verteiltes Unternehmen – Digital-
bude – Digitalcourage e.V. – Digitaldemokratie – Digitale Abschreckung – Digitale
Achillesferse – Digitale Affinität – Digitale Allgemeinbildung – Digitale Alphabetisierung
(Vermittlung von IT-Wissen durch das Deutsche Internet-Institut) – Digitale Apokalypse –
Digitale Armee – Digitale Aufbruchstimmung – Digitale Aufholjagd – Digitale Aufrüh-
rer – Digitale Bedürfnisse – Digitale Bequemlichkeit – Digitale Besoffenheit – Digitale
Bildungsrevolution – Digitale Blase – Digitale Bohème – Digitale Demenz – Digitale Den-
ker – Digitale Desinformation – Digitale Detektivarbeit – Digitale Diskriminierung – Digi-
tale DNA – Digitale Dreckschleuder – Digitale Effizienz-Radikalisierung – Digitale
Entblößung – Digitale Enthaltsamkeit – Digitale Epidemie – Digitale Erpressung – Digitale
Ethik – Digitale EU-Bildungsperspektive – Digitale Feinde – Digitale Filterblase – Digitale
Freiheitsrechte – Digitale Freizeit – Digitale Frühgeburt – Digitale Führung der Welt (USA) –
Digitale Fußgängerzone – Digitale Geheimtruppe – Digitale Geruchs- und Geschmacksbi-
bliothek – Digitale Gleichbehandlung – Digitale Graswurzelbewegung – Digitale Grundba-
sis – Digitale Grundrechte – Digitale Haushaltshilfe – Digitale Heilsbringer – Digitale
Hetze – Digitale Horizonte – Digitale Horrorbilanz – Digitale Identität – Digitale Illusion
4.0 – Digitale Inkubatoren – Digitale Integration von Flüchtlingen – Digitale Irrfahrt –
Digitale Kampfeslust – Digitale Kaufentscheidung – Digitale Kleinstaaterei – Digitale
Konfrontation – Digitale Kreuzfahrt – Digitale Kunstgalerie – Digitale Kuschelecke –
Digitale Lebensform – Digitale Leseschwäche – Digitale Lingua Franca – Digitale Män-
nerfeindschaft (Rivalitäten zwischen Gründern im Silicon Valley) – Digitale Meinungsma-
che – Digitale Menschwerdung – Digitale Mitbestimmungsinstrumente – Digitale
Mitmachgesellschaft – Digitale Nachzügler – Digitale Neuvermessung der Welt – Digitale
Nomaden – Digitale Notwehr – Digitale Ökosysteme – Digitale Parallelwelt – Digitale
Plattform von Bestattungen – Digitale Realität – Digitale Reklamesperre – Digitale Ruine –
Digitale Scharfmacher – Digitale Scheu – Digitale Schlupflöcher – Digitale Schnitzeljagd –
Digitale Selbstverteidigung – Digitale souveräne demokratische Gesellschaft – Digitale
Spuren Verstorbener – Digitale Staatsbürgerschaft – Digitale Stecknadel (im Heuhaufen) –
Digitale Steuerpräsenz – Digitale Strafzinsen – Digitale Streetworker – Digitale Streiks –
Digitale Tagelöhner – Digitale Tiraden – Digitale Trompete (Twitter) – Digitale
Ungeduld – Digitale Unternehmensliga – Digitale Unterwelt – Digitale Unversehrtheit –
Digitale Vergesslichkeit – Digitale Vermögenswerte – Digitale Vermutungspolitik – Digi-
5.3 Indizien für modische Verläufe im Sprachlichen 53
Erstaunlich und ein Indiz für eine aktuelle modische Überhöhung ist zunächst – ähnlich
wie bei „digital“ – die Häufigkeit, mit der der Begriff „Industrie 4.0“ in den unterschiedli-
chen Zusammenhängen verwendet wird. Es überrascht zusätzlich, wie die Zahl 4.0 sich
aus der ursprünglichen Verbindung mit „Industrie“ gelöst hat und eine eigene „Karriere
macht“ (vgl. [Mert15d]). (Gelegentlich wird umgekehrt die Zahl 2.0 als Spottwort benutzt,
um etwas Altmodisches, Überholtes zu persiflieren.)
5.3 Indizien für modische Verläufe im Sprachlichen 55
Beispielhaft sind in der folgenden Aufzählung neuere I-Wörter bzw. Begriffe mit der
Zahl 4.0 (als Auszug aus einer Liste mit rund 300 Einträgen, die im Internet unter http://
wi1.uni-erlangen.de/users/petermertens zu finden ist) aufgeführt: Agile Industrie-4.0-Kon-
zepte – Allianz 4.0 – Angst 4.0 (vor Arbeitslosigkeit) – Arbeit 4.0 (Work 4.0) – Badezim-
mer 4.0 – Bauernschlau 4.0 – Bayern 4.0 – Biene 4.0 – Blauäugigkeit 4.0 – Brandenburg
4.0 – Commerzbank 4.0 – Denken 4.0 – Deutschland 4.0 – Digitale Illusion 4.0 – Digita-
lisierung 4.0 – Erfindergeist 4.0 – Essen & Trinken 4.0 – Executive Search 4.0 – Fiskus
4.0 – Führungskraft 4.0 – Gesetzgebung 4.0 – Gesunder Menschenverstand 4.0 – Gesund-
heitswirtschaft 4.0 – Herberge 4.0 – Hochschule 4.0 – Hospital 4.0 – Illusion 4.0 – Indus-
trie 4.0-Readiness – Industrie 4.0-Readiness-Zertifizierung – Industrie-4.0-Land Nummer
eins in der Welt – Industrie-4.0-Zeitalter – Insolvenzverfahren 4.0 – Kompetenzstreit 4.0
(zwischen Ministerien) – Kriminalität 4.0 – Kuhstall 4.0 – Landleben 4.0 – Lebenslanges
Lernen und Arbeiten 4.0 – Lebensmittel 4.0 – Mitbestimmung 4.0 – Mitgefühl 4.0 – Mit-
telstand 4.0 – Moral 4.0 – Positive Thinking 4.0 – Produktionsstandort Nürnberg 4.0 –
Qualifikationslücke 4.0 – Ressourceneffizienzpolitik 4.0 – Scheer 4.0 – Spargelstechen
4.0 – Staat 4.0 – Staatsoper 4.0 – Traum 4.0 – Trinkkultur 4.0 – Tristesse 4.0 – Unterneh-
mensführung 4.0 – Urlaub 4.0 – VWL 4.0 – Wettbewerb 4.0 – Wirtschaftsinformatik 4.0.
Auch etwas ausführlichere Aussagen sind symptomatisch, vor allem für problemati-
sche Präzision innerhalb einer modischen Überhöhung:
1. „Internet der Dinge“ und „Industrie 4.0“ durchdringen alle Branchen (auch außerhalb
der Industrie, wie z. B. Banken, die Verf.), und zwar mit Macht [Bron16].
2. Die Fachzeitschrift Industrie Management wurde in Industrie 4.0-Management
umbenannt.
3. Die Fachzeitschrift IT&Production bezeichnet sich jetzt als „Deutschlands wichtigs-
tes Industrie 4.0 Magazin“.
4. Industrie 4.0: Das Öl des 21. Jahrhunderts (Vortragsthema in einer Vortragsreihe des
VDMA).
5. Die Bundesregierung hat I4.0 als eines von zehn Zukunftsprojekten in den Aktions-
plan zur High-Tech-Strategie aufgenommen (Aussage von Hartmut Rauen, Mitglied
der Hauptgeschäftsführung des VDMA) [BMBF14].
6. „Industrie 4.0“ – eine Jahrhundertchance (Aussage von Dieter Kempf, ehemaliger
Bitkom-Präsident) [FiGe13].
7. „Die Frage, ob die Vierte industrielle Revolution kommen wird, ist mittlerweile eine
rhetorische“ [BHVo14, S. 33].
8. „Industrie 4.0 transformiert das gesamte Unternehmen und gehört auf die CEO-
Agenda“ [StPw14, S. 6].
9. Mehr Fokus auf Digitalisierung 4.0 (Anzeige für „Neues Personalmanagement“ der
European Media Partner [Fitc16]).
10. „Megatreiber: Industrie 4.0 oder Durchkapitalisierung der Gesellschaft?“ [OV16az]
Aber auch skeptische Einschätzungen sind zu vernehmen. Tab. 5.5 enthält Beispiele.
56 5 Begriffe von Digitalisierung und Industrie 4.0
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58 5 Begriffe von Digitalisierung und Industrie 4.0
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60 5 Begriffe von Digitalisierung und Industrie 4.0
Zusammenfassung
Einige Indizien deuten darauf hin, dass es sich bei der außerordentlichen Aufmerksam-
keit, die die Begriffe „Digitalisierung“ sowie „Industrie 4.0“ und auch die Zahl „4.0“
gegenwärtig auf sich ziehen, um Symptome einer modischen Überhöhung handelt.
Es fällt auf, wie selbstbewusst und optimistisch einige Autoren und Verbandsinstitutionen
Vorhersagen abgeben, offenbar ohne Zweifel zu haben, ob sie sich ähnlich irren könnten,
wie viele „Auguren“ sich z. B. bei früheren Prognosen vertan hatten. Besonders sicher
scheinen sich viele der Fachleute zu sein, die in einer Studie eines Fraunhofer-Instituts
interviewt wurden [Spat13]. Interessant ist eine im Jahr 2015 abgegebene „Punktpro
gnose“ von Mathias Kammüller, Geschäftsführer der Trumpf GmbH & Co. KG, wonach
es die erste volldigitalisierte Fabrik in fünf Jahren geben werde – ein Meilenstein, der von
vielen mit Spannung im Auge behalten werden dürfte [Gier15a, S. 18]. Andererseits mel-
den sich aber auch erste Skeptiker. So wurden im Februar 2017 in der FAZ deutsche
Wissenschaftsakademien wie folgt zitiert: „Der Hype um die 3D-Technik biete zwar aller-
lei „Stoff für Wirtschaftsprognosen, Medien und Science Fiction“. Die Grenzen zwischen
Vision und Realität sind fließend. Die Erwartungen häufig überzogen“ ([OV17bo], vgl. zur
zurückhaltenden Akzeptanz des 3D-Drucks auch [DeHo17]). Roman Stöger schrieb:
„Nicht bunte PowerPoint-Folien entscheiden über die Potenziale der Digitalisierung, son-
dern konkrete Maßnahmenlisten“ [Stög16, S. 355]. Ein warnendes Beispiel ist die
Dotcom-Blase (vgl. Kap. 1 und 2 sowie Abschn. 12.5). Dies hatte zur Folge, dass man
sogar begann, an der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands zu zweifeln, die Indust-
rie als Auslaufmodell ansah und „die Dienstleistungsgesellschaft … als neues Ideal gefei-
ert (wurde)“ ([Wetz14], vgl. auch [BHVo14, S. 609, 625] und Abschn. 9.1). 2016 äußerte
sich Britta Weddeling unter dem Titel „Die fetten Jahre sind vorbei“ skeptisch, ob die
dramatischen Börsenwerte von äußerst rasch gewachsenen Unternehmen aus dem Silicon
Valley viel zu hoch seien und folglich Abstürze drohen könnten („Phantasiebewertung“)
[Wedd16a, Wedd16b]. Herz schreibt: „Nichts fürchtet die Wall Street so sehr wie die
Wiederholung des Tech-Bebens.“ Er verweist darauf, dass die extremen Bewertungen der
großen Konzerne Facebook, Amazon, Apple, Microsoft und Google „ungute Erinnerun-
gen wecken“ [Herz17a]. Sensationelle Bewertungen von „Start-ups“ werden selten. Ein-
zelne Risikokapitalgeber tun sich schwerer als in der jüngeren Vergangenheit.
Wir neigen eher der zurückhaltenden Einschätzung von Dieter Wegener, Leiter
Zukunftstechnologien und Standards des Sektors Industrie der Siemens AG, zu, wenn er
schreibt: „Siemens teilt die Vision, die allerdings nicht schon in wenigen Jahren Realität
werden kann. Wir gehen heute davon aus, dass es deutlich mehr als ein Jahrzehnt dauern
wird. Es bedarf einer längerfristigen Anstrengung, um sich auf einem eher evolutionären
Pfad der Vision zu nähern“ [Wege14, S. 347–348]. Selbst einer der Protagonisten von I4.0,
Henning Kagermann, rät zu Vorsicht: „Mit Blick auf den Zeithorizont sprechen viele
Experten lieber von einer Evolution.“ Kagermann verweist in diesem Zusammenhang auf
„die vorangegangenen Revolutionen, die ihre volle Wirkung erst binnen Jahrzehnten und
nicht binnen weniger Jahre entfalteten“ [BHVo14, S. 603] (vgl. Abschn. 11.3).
Michael ten Hompel schreibt im resümierenden Beitrag zu dem von ihm selbst mit
herausgegebenen Buch: „Die skizzierte Welt der Industrie 4.0 wird nicht disruptiv, son-
dern in einem evolutionären Prozess entstehen“ [BHVo14, S. 632].
Aus Sicht der Wirtschaftsinformatik drängt sich ein Vergleich auf: Die Einführung von
SAP-Systemen und vergleichbarer integrierter Standardsoftware-Pakete im betriebswirt-
schaftlichen Bereich nimmt meist viele Jahre in Anspruch, und dies, obwohl der weitaus
größte Teil des Codes vom Hersteller programmiert und getestet wurde sowie zur
Einführung und Anpassung („Customizing“) inzwischen viele Anleitungen und Werk-
zeuge verfügbar sind.
Prognosen, wie sie teilweise auf die Gartner-Hype-Cycle-Methode gestützt werden
können, sind wichtig, wenn eine neue Technik mit möglichst geringen „Reibungsverlus-
ten“ durchgesetzt werden soll. Vor allem die Überlagerung des Trends durch Moden
(Abb. 6.1) bedeutet Ressourcenvergeudung, denn in der Phase modischer Übertreibungen
geraten Investitionen in Human- und Sachkapital zu hoch. Wegen begrenzter Kapazitäten
mag es auch in der Privatwirtschaft ebenso wie in der öffentlichen Verwaltung dazu kom-
men, dass in der Euphoriephase Ressourcen, insbesondere auch Kapazitäten der Spitzen-
kräfte („Humanressourcen“), neuen Herausforderungen zugeteilt werden (müssen),
während „Hausaufgaben“ unerledigt bleiben. Banken verfolgen deshalb zum Teil eine
Strategie der zwei Geschwindigkeiten: Sie experimentieren einerseits mit schnell entwi-
ckelter neuer IT, arbeiten aber im Kern mit den alten Systemen weiter – was an den
Schnittstellen die Fehlergefahr erhöht [HeSe16].
Manchmal führt die Überhöhung und/oder der folgende Absturz dazu, dass zu früh
problematische politische Grundsatzdiskussionen ausbrechen. Die Furcht der Bevölke-
rung vor vollautomatischen Fabriken, verbunden mit dem Menschen hoch überlegenen
Robotern, oder Prognosen, dass die Künstliche Intelligenz ganze Berufe vernichten werde
6 Digitalisierung und Industrie 4.0 als Moden oder Trends? 65
Beachtung
der Mode
Tal der
Enttäuschungen Zeit
Abb. 6.1 Effizienzverluste durch Moden ([MeBa16b]; Mit freundlicher Genehmigung von ©
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010. All Rights Reserved)
(s. Kap. 2), löst Überlegungen zu sehr weitgehenden Veränderungen der Staatsformen aus,
u. a. zum bedingungslosen Grundeinkommen.
Während des Abstiegs vom Modegipfel in das „Tal der Enttäuschungen“ fällt man bei
den Desinvestitionen in das andere Extrem.
Für den Bereich der Produktion wird zuweilen die mit den 1980er-Jahren beginnende
industriegeschichtliche Abfolge „CIM – Lean Production – Prozessorientierung – I4.0“
als Form von Modewellen gesehen (vgl. [BHVo14, S. 85, Schee15, S. 6]). Dazu könnten
noch etwas speziellere Phasen gerechnet werden, die zu ihrer Zeit einige Aufmerksamkeit
erfuhren wie die Fraktale Fabrik oder vernetzte Roboter (siehe das Beispiel der Mercedes-
Benz AG [BHVo14, S. 105–108]). In Fortführung dieser Sicht mag ein sinnvoll interpre-
tiertes CIM in Gestalt einer Kombination von I4.0 als Technik einerseits und
betriebswirtschaftlichen Funktionen und Prozessen andererseits die nächste Modewelle
werden. Andererseits könnte sich über eine längere Zeitachse hinweg auch herausstellen,
dass diese Modewellen Phasen eines generellen Trends zur Dezentralisierung sind.
Bei der Frage, ob die gegenwärtig zu beobachtende Aufmerksamkeit, die die Themen
„Digitalisierung“ und „I4.0“ genießen, eher dem Entwicklungsmuster „Trend“ oder „Auf-
einander folgende Modewellen“ oder „Gartner Hype Cycle“ zuzuordnen sind, sprechen
Indizien für Letzteres. Schon die inflationäre Verwendung des Wortes „digital“ weist auf
aktuelle modische Überhöhungen hin. Entsprechendes gilt für die Zahl 4.0. Demnach
würden wir gegenwärtig Übertreibungen in Richtung zu optimistischer Prognosen
beobachten.
Eine Reihe von schwierigen Problemfeldern und Widerständen (s. Kap. 9 und 12)
könnten Ernüchterungen auslösen, die zu einem Abstieg in ein „Tal der Enttäuschungen“
im Sinn des „Gartner Hype Cycle“ führen.
66 6 Digitalisierung und Industrie 4.0 als Moden oder Trends?
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Zu den Innovationen und Chancen
in ausgewählten Wirtschaftszweigen und 7
Branchen – fördernde und hemmende
Faktoren
Zusammenfassung
Die im Zusammenhang mit Digitalisierung und I4.0 herangezogenen und zum größten
Teil veröffentlichten praktischen Beispiele aus mehreren Wirtschaftszweigen und
Branchen zeigen, dass interessanten neuen IT-Anwendungen auch viele gegenüberste-
hen, die nicht innovativ sind, aber jetzt unter den Begriffen „Digitalisierung“ und „I4.0“
geführt werden.
Bei einigen Anwendungssystemen werden durch stärkere Vernetzung zusätzliche
Daten für Dispositionen, z. B. bei der vorbeugenden Instandhaltung oder bei der Ferti-
gungssteuerung, gewonnen. Man verspricht sich neue Optimierungschancen. Ob die
mit der Vernetzung einhergehenden Risiken, vor allem auch Gefahren des Wissensdieb-
stahls, im Vergleich zu den höheren Nutzeffekten in Kauf genommen werden sollen,
muss im Einzelfall analysiert werden.
In diesem Kapitel sollen nicht, wie in der gegenwärtigen Literatur ganz überwiegend
der Fall, allein Treiber in Richtung Digitalisierung und I4.0 dargestellt werden. Viel-
mehr versuchen wir, fördernde und hemmende Einflussgrößen abzuwägen. Darüber
hinaus wird zum Teil gezeigt, dass nicht alles, was momentan unter Digitalisierung und
I4.0 als neu geführt wird, neu ist, sondern oft schon längere Zeit in Theorie und Praxis
existiert.
Der mittlerweile erkennbare Fortschritt liegt weniger bei den Algorithmen als bei den
verfügbaren Daten. Musste man sich früher bei Flugzeugtriebwerken auf wenige Mess-
größen, wie z. B. den Öldruck, beschränken, so erlaubt es moderne Sensorik, Muster aus
mehreren physikalischen Größen zu ermitteln und den Aktionen zugrunde zu legen.
Solche Muster können Kombinationen aus dem Verlauf des Öldrucks über Belastungs-
werten (Starts, Scherwinden), Geräuschentwicklungen bzw. Körperschall von Lagern,
Kraft, Schwingungswerten, 3D-Ansichten oder Treibstoffverbrauch sein („Big Data“).
So generiert eine zweistrahlige Passagiermaschine auf dem Flug von New York nach
Los Angeles nach Berechnungen des IT-Konzerns Teradata Ltd. etwa 240 Terabyte an
Daten [Koen15].
Ein zweiter Fortschritt wird darin gesehen, dass bei der Analytik nicht allein auf die
Werte nur eines Triebwerks oder eines Flugzeugs zurückgegriffen wird; vielmehr kann
der Triebwerkshersteller Daten aller von ihm ausgelieferten Aggregate vom Fluggerät
zur Zentrale übertragen lassen und dann den viel größeren „Datenschatz“ zu Verglei-
chen und Optimierungsrechnungen nutzen. Wenn sich daraus genauere Ergebnisse her-
leiten lassen, wäre das auch ein Anlass, über eine Änderung des Geschäftsmodells
nachzudenken, z. B. dass das Triebwerk vom Hersteller dem Flugzeughersteller oder der
Luftverkehrsgesellschaft nicht mehr verkauft, sondern vermietet wird, der Turbinen-
bauer für die Instandhaltung verantwortlich ist und der Mietzins von den zurückgelegten
Meilen abhängt (vgl. Kap. 9).
Das Sammeln von Wetterdaten aus anderen Quellen als speziellen Wetterstationen,
z. B. von Flugzeugen, könnte Wetterprognosen und damit verbundene Warnungen, etwa
vor Hagel, weiter verfeinern und so Landwirte, Teilnehmer am Straßen-, Schiffs- und
Luftverkehr sowie Wanderer schützen. Versicherer würden auf der Grundlage von meteo-
rologischen Daten ihre Kunden über drohende Schäden informieren und sie auffordern,
Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Derartige Big-Data-Anwendungen setzen freilich oft
enorme IT-Kapazitäten voraus. So verwundert nicht, dass IBM als Dienstleister Größt-
rechner, vor allem den Watson, heranzieht [Lind15].
Über die Sammlung und IT-gestützte Auswertung von Messdaten vieler Messstellen,
z. B. Technischer Überwachungsvereine oder Umweltschutz-Institutionen am gleichen
Objekt (z. B. Fahrzeugtyp oder Motortyp), im Extrem über viele Staaten hinweg, könnten
sich auch Betrugsmaßnahmen frühzeitig aufspüren lassen. Dies wird aktuell am Beispiel
der softwaretechnischen Manipulation von Abgaswerten bei Fahrzeugen des VW-Konzerns
(im Werksjargon „Zaubertrank“ oder auch „Cycle beating“ genannt) und anderer Herstel-
ler heftig diskutiert [Germ16b]. In den USA taucht das Spottwort „Volkswagening“ auf
[Duec16] (vgl. Abschn. 9.11).
Wehle und Dietel von der IBM Deutschland Research and Development GmbH
skizzieren eine Integration von heterogenen technischen Daten mit betriebswirtschaft-
lichen. Deutet die Datenauswertung beim Dienstleister IBM auf einen Fehler oder eine
empfohlene Wartungsarbeit hin, so kann der Kunde über eine Web-Schnittstelle infor-
miert werden. Es wird ein Serviceauftrag generiert und abhängig vom Dienstleistungs-
vertrag abgerechnet [WeDi15].
70 7 Zu den Innovationen und Chancen in ausgewählten Wirtschaftszweigen und …
„Altbekanntes“
Beispiel 1:
Das Unternehmen SEW Eurodrive will erreichen, dass von einem „intelligenten Assis-
tenten“ gemeldet wird, wenn der Vorrat an einem Bauteil zur Neige geht, „und Nach-
schub ordern, ohne dass ein Mitarbeiter ein Bestellformular ausfüllen muss“ [Dett16].
So sollen Betriebsunterbrechungen als Folge von Materialmangel vermieden werden.
Dies ist ein einfacheres Beispiel aus den weiten und komplexen Feldern der rechner
gestützten Lagerdisposition und des Supply Chain Management, auf denen es u. a.
schon lange relativ ausgefeilte Standardsoftware z. B. von der SAP SE oder der Was-
sermann AG [KMZD09] oder auch verhältnismäßig leicht realisierbare Hilfsmittel wie
das „Desktop purchasing“ gibt.
Beispiel 2:
Ein ähnliches System wird von dem Unternehmen Tata Steel unter der Bezeichnung
„Digitalisierung der Lieferketten“ berichtet [Fisc16a].
Ein Beispiel, das den Fortschritt besonders markant verdeutlicht, ist die Contergan-
Katastrophe aus der Pharmaindustrie. Ende der 1950er-Jahre wurden auffällig viele Kin-
der mit Schädigungen der Extremitäten geboren. Wissenschaftler stellten zunächst
Spekulationen zu Erbanlagen, Ernährung der Mütter und sogar Kernwaffentests an, die
auch ideologisch gefärbt waren. Eher durch Zufall stießen praktizierende Ärzte auf das
von der seinerzeitigen Chemie Grünenthal AG hergestellte Beruhigungsmedikament Con-
tergan. Die heute mögliche automatische hypothesenfreie Mustererkennung auf großen, in
Netzen zusammengetragenen Datenbeständen hätte damals mit großer Wahrscheinlichkeit
schwere Schicksale vermieden.
7.1.2 Parameterregulierung
Verwandt mit der Fernwartung von verkauften Betriebsmitteln durch deren Hersteller
zwecks Vorbeugung vor Schäden ist die Parameterregulierung für die laufende Produk-
tion. Solche Parameter sind im Maschinenbau und in der Prozessindustrie Regeln zur
Ermittlung von günstigen Umrüstfolgen, Prioritäten bei der Maschinenbelegung, Los-
größen, Modalitäten beim Werkzeugwechsel u. v. a. m. Diese Einstellungen bedingen
einerseits wegen der Vielzahl der Stellgrößen und der komplizierten Wirkungen und
7.1 Industrie und Güterlogistik 71
7.1.3 Fertigungssteuerung
by Exception“) überwacht und ggf. umparametriert werden. Falk hat am Beispiel des
Trampverkehrs die vielseitige Verwendbarkeit eines ähnlichen Multi-Agenten-Systems im
zwischenbetrieblichen LKW-Transport erforscht [Falk95]. Neuerdings werden derartige
Lösungen wieder aufgegriffen, und zwar als Parallele zu Uber (Übertragung des Uber-Mo-
dells für den Personen- auf den Güterverkehr) [Fass16].
Berndt und Herzog zeigen, dass sich MAS schnell an veränderte Bedingungen anpas-
sen. Diese können im Fertigungsunternehmen z. B. hinzukommende Eilaufträge, Stornie-
rungen oder Störungen an den Maschinen sein. Diese Reaktionen mögen ihrerseits wieder
die durchschnittliche Kapazitätsauslastung verbessern und damit Kapital sparen [BeHe11]
(vgl. auch das Aluminium-Beispiel in Abschn. 5.2).
Erste Betriebe, wie z. B. die Wittenstein SE, ein Hersteller von Präzisionsgetrieben,
denken daran, es den Kunden zu ermöglichen, den Fertigungsfortschritt ihrer Aufträge
über eine Plattform zu verfolgen und Modifikationen „in letzter Minute“ zu erlauben. Dies
wäre eine Weiterung der Individualisierung in Verbindung mit Losgröße 1 (vgl.
Abschn. 9.4). Derartige Systeme würden ganz besonders durch MAS erleichtert.
Frühe Experimente zur Maschine-Maschine-Kommunikation wurden bei der damali-
gen DaimlerChrysler AG in einem Prototyp verwirklicht. Da Transferstraßen oft zu starr
sind, um an häufige Produktwechsel angepasst zu werden, und Ausfälle schwerwiegende
Konsequenzen haben, sucht man Mittelwege zwischen Werkstatt- und Fließfertigung. Fle-
xible Mehrzweck-Werkzeugmaschinen wurden abhängig von Varianten der Kundenauf-
träge, von der aktuellen Auslastung der Arbeitsplätze und von Störungen eingesetzt und
über automatische Transportvorrichtungen angesteuert. In einem Multi-Agenten-System
suchen sich Werkstücke in Abhängigkeit von ihrem Bearbeitungszustand die geeigneten
Betriebsmittel. Letztere können jedoch die Werkstücke ablehnen, wenn ihre Kapazität
überlastet ist [Mert13, S. 223].
Bei der Beseitigung der Schwachstellen des ambitionierten Automationsvorhabens
„Halle 54“ der Volkswagen AG (s. Kap. 3) setzt man nun auf Methoden der KI.
In Güternetzen oder -ketten („Supply Chains“) spielen sich besonders komplizierte und
umfangreiche Informations- und Verhandlungsprozesse ab. Sollte die in einer Reihe von
Branchen, etwa im Motorenbau, zu beobachtende Reduktion der Wertschöpfungstiefe
anhalten, so würden diese Herausforderungen noch zunehmen. Ein großer Teil dient der
Zuteilung von knappen Ressourcen (z. B. Rohmaterialien, Zwischenprodukten, Ferti-
gungsstätten, Transportmitteln). Hierzu wurden spezielle Algorithmen und Methodenpa-
kete entwickelt, so CTM (Capable-to-Match) und ATP (Available-to-Promise), die oft
ohne vereinfachende Prämissen und wenig differenzierte Durchschnittswerte nicht aus-
kommen [KMZD09]. Möglicherweise erlauben zukünftig mehr vereinzelte und in Echtzeit
verfügbare Daten genauere Optimierungsrechnungen. Wichtige Ansätze auf Basis von
7.1 Industrie und Güterlogistik 73
MAS erkennt man in einer Arbeit von Gath [Gath15]. Ob durch Sensitivitätsanalysen
nachgewiesen werden könnte, dass dem dafür zu betreibenden Aufwand entsprechende
Nutzeffekte gegenüberstehen, ist schwer vorherzusagen.
Die zwischenbetriebliche Vernetzung mag es ermöglichen, dass schon in der Phase der
Konfiguration eines kundenspezifischen Erzeugnisses, z. B. eines Nutzfahrzeugs, geprüft
wird, ob ein Komponentenhersteller das ausgewählte Bauteil kurzfristig liefern kann
[HeRS15b].
Ein anderer Teil betrifft Umdispositionen (vgl. Abschn. 9.5), die Folge von Störun-
gen sind. Allein eine grobe Kategorisierung der Störungen liefert eine große Zahl von
Typen (u. a. Naturkatastrophen, kriegerische Handlungen, Cyberattacken, Unterbre-
chung von Nachrichtenkanälen, technische Probleme wie der Ausbruch eines Brandes,
plötzliche Änderungen der Nachfrage, Insolvenzen, politische Eingriffe wie Embargos);
erst recht gilt das für die einzelnen Störungsarten. In Anbetracht der großen Zahl und
Vielfalt dieser Zwischenfälle können in den Liefernetzen oft keine Standardabläufe vor-
gedacht und vorgeschrieben bzw. zwischen den Partnern in den Netzen vereinbart wer-
den. Im Prinzip sind Informations- und Verhandlungsvorgänge unmittelbar zwischen
Softwareagenten der vernetzten Betriebsmittel vorstellbar. Es gibt vielversprechende
Ansätze einer sogenannten Adaptiven Logistik, in der neben fördertechnischen Elemen-
ten, z. B. Hebezeugen, auch die Transporteinheiten, z. B. Container, und Transportfahr-
zeuge mit Hilfe von eingebetteten Systemen drahtlos kommunizieren und agieren
können [BHVo14, S. 297–323].
Wegen der Heterogenität der weltweiten Liefernetze und wegen der Vielschichtigkeit
der Erscheinungsformen müsste wohl schon die Normung der Protokolle in den Netzen
sehr ambitioniert ausfallen. Eine große Herausforderung liegt darin, die Agenten so flexi-
bel wie Menschen verhandeln zu lassen, sodass man nicht durchgängig auf strikte Stan-
dards und Normen angewiesen ist. Im Rahmen einer Untersuchung zu den „Grand
Challenges“ der Wirtschaftsinformatik [MeBa15] hat es der Teilnehmer Elmar Sinz in die
griffige Formulierung gekleidet, dass die Computer zukünftig im internationalen Raum
miteinander verhandeln müssen wie Manager, und zwar in „Bad English“.
Wenn derartige Systeme in Zukunft sicher funktionieren, könnten die Nettonutzeffekte
sogar größer sein als die, die durch I4.0 innerhalb einer Fabrik winken.
In Tab. 7.1 sind in Stichworten Beispiele aufgeführt, die in der Literatur und auf Tagungen
im Zusammenhang mit Digitalisierung und I4.0 als Fortschritt begriffen werden. Für viele
dieser Positionen ließen sich Belege finden, dass zumindest Pionierarbeiten in Wissen-
schaft und Praxis schon lange geleistet wurden, bevor die Begriffe „Digitalisierung“ und
„Industrie 4.0“ im heutigen Sinn auftauchten.
74 7 Zu den Innovationen und Chancen in ausgewählten Wirtschaftszweigen und …
7.2 Finanzwirtschaft
Im Bankensektor wird Digitalisierung vor allem als weitere Automation an der Kunden-
schnittstelle begriffen. Im Blickfeld stehen Informationen des Kunden durch das Kreditin-
stitut, z. B. der Ersatz von postalisch zugestellten Kontoauszügen, Fälligkeitsanzeigen,
Wertpapierabrechnungen u. Ä. durch Übertragung auf ein Kundenportal, aber auch Wer-
bebotschaften oder personalisierte Angebote, etwa von neuen Fonds.
Laut einer Studie der Unternehmensberatung PPI AG bringen IT-Systeme bislang nur
bescheidene Produktivitätsfortschritte am Arbeitsplatz der Bankangestellten. Als wesent-
licher Grund wird die mangelnde Integration von und Abstimmung zwischen heterogenen
Teilsystemen angegeben [OV16ck].
Häufig verbirgt sich unter den eher positiv besetzten Wörtern wie „Digitalisierung“,
„digitale Revolution“ oder „Digitalisierungsstrategie“ die Ausdünnung des Filialnetzes.
So liest man: „Vor 15 Jahren hatte die Deutsche Bank hierzulande 1200 Filialen. Aktuell
sind es noch 700.“ Christian Ricken, Chief Operating Officer Private & Business Clients
des Hauses, erklärte bei der Handelsblatt-Veranstaltung „Privatkundengeschäft“, dass die-
ser Rückgang eine Anpassung an die Kundenbedürfnisse sei [Baul15]. Geplant ist, etwa
weitere 200 Zweigstellen zu schließen [Mott16].
Bei der Deutsche Bank AG stehe die Digitalisierung im Zentrum der Strategie. Dabei
sollen die digitalen Kanäle die stationären ergänzen und nicht ersetzen. (Was gilt nun: der
Rückgang oder die Ergänzung?, die Verf.) An anderer Stelle: „In jedem Fall wird die
Deutsche Bank eine Digitalisierungsstrategie vorlegen. … Ein Kernelement dürfte der
Abbau von Deutsche-Bank-Filialen sein“ [OV15ah, S 68].
Zur HypoVereinsbank steht an gleicher Stelle im Zusammenhang mit Digitalisierung: „Wir
stehen zu unserem Filialnetz“, machte Peter Buschbeck, Vorstandsmitglied der HVB, klar, „…
dennoch hat das Institut seine Filialzahl auf 340 fast halbiert“ [Baul15, Welp15, S. 65].
Die Kostenersparnis bzw. Steigerung der Personalproduktivität (Administration und
Beratung) und als Folge die Schließung der aufwendigen Filialen bedeutet aus Sicht des
Bankbetriebs nichts anderes als die klassische Rationalisierung auf Kosten anderer (vgl.
auch [Sell16]). Bei auch eher wenig innovativen Erweiterungen des Online-Bankings kön-
nen dem Kunden gegenwärtig erhebliche Probleme entstehen (s. Tab. 7.2).
Viele Banken (auch Versicherungen, öffentliche Verkehrsbetriebe und Behörden) spa-
ren sich das Sortieren von Dokumenten und stellen stattdessen dem Kunden die gleichen
Papiere mehrfach per Post zu, verpackt in Kuverts (wir haben in kurzer Zeit ca. 100 von
unterschiedlichen Absendern gesammelt), auf denen Texte wie im folgenden Beispiel dar-
gestellt stehen.
Die minimale Anpassung eines Vertrages bei der Versicherungskammer Bayern führte zu
mehreren Postsendungen mit teils gleichem Inhalt im Gesamtgewicht von 750 g (persön-
liche Erfahrung des Mitverf. Mertens).
Es fällt dem Wirtschaftsinformatiker nicht leicht, dies den Studierenden in der Vorle-
sung über Dokumentenmanagement („Output Management“, „Managed Print Services“
oder „Enterprise-Content-Management“) leidenschaftslos zu erklären.
Auffällig ist die folgende Diskrepanz: Die Versicherungskammer Bayern nutzt die kog-
nitiven und selbstlernenden Fähigkeiten des IBM-Hochleistungsrechners Watson, um die
Sortierung der Eingangspost zu automatisieren [Krok17]. Die Sortierung der Ausgangs-
post, die bei Verwendung einer durchdachten Codierung auf den elektronisch gedruckten
Schriftstücken sogar einfacher sein dürfte, „delegiert“ man an den Kunden (siehe oben).
Institutionen inner- und außerhalb der Finanzwirtschaft, z. B. der Verkehrswirtschaft,
fordern ihre Kunden auf, Erstattungsanträge oder Beschwerden möglichst per Internetfor-
mular einzureichen. Evtl. ergeben sich nicht nur Rationalisierungseffekte, sondern ein Teil
der Kundschaft wird wahrscheinlich mangels Zugang oder Kenntnissen von einer Rekla-
mation Abstand nehmen.
Leider ist die Minderung der Wohlfahrt auf Seiten der Bürger, die wegen der Rationa-
lisierung bei den Unternehmen mehr arbeiten müssen, in der volkswirtschaftlichen Pro-
duktivitätsstatistik nicht quantifiziert, wohl aber der Produktivitätsgewinn in den Betrieben,
sodass zu hohe Produktivitätssteigerungen vorgespiegelt werden (s. Abschn. 11.3).
Je nach bereits vorhandener Ausstattung der Haushalte mit Informationstechnik
(u. a. E-Mail-Konto, Drucker, Langzeit-Speicher (z. B. zur Erfüllung der steuerlichen
Aufbewahrungsvorschriften)) sind die dem Haushalt entstehenden Zusatzkosten erheb-
lich. In der FAZ war eine Angabe zu finden, wonach fast 90 % der Haushalte zwar einen
Internetzugang haben, aber nur eine kleine Minderheit ein privates E-Mail-Konto nutzt
[Bünd17].
Eine auch in der Tagespresse stark beachtete Entwicklung ist mit dem Begriff „Fin-
tech“ verbunden. Es handelt sich um eine große und stark fluktuierende Zahl von Neu-
gründungen („Start-ups“), die unabhängig von Großbanken sind. Oft sind die Gründer
junge Hochschulabsolventen oder auch Studenten. Man attestiert ihnen besondere Innova-
tionsfreude, an der es traditionsbewussten Großunternehmen der Finanzbranche angeblich
mangele. Daher sieht man auch die Zukunft so, dass die „Alten Großen“ die „Jungen
Kleinen“ selektiv aufkaufen, um sich die Entwicklung „pfiffiger“ bzw. „smarter“ Funktio-
nalitäten zu sparen. In solchen Fällen würden also am Ende die Großunternehmen von den
Gründungssubventionen profitieren. Die Jungunternehmen spekulieren zum Teil auf
solche Übernahmen. Die Erscheinungsformen und Geschäftszwecke sind vielfältig (Ana-
lysen großer, heterogener Datenvorräte („Big Data“), Vermittlungsplattformen, „Crowd-
funding“, Zahlungsverkehr, neue Formen der Bezahlung im Einzelhandel, finanzielle
Dispositionen des Privathaushalts („Personal Finance Management“, wie etwa optima-
ler Einsatz von Kreditkarten mit dem Ziel einer Minimierung des Zins- und Gebührenauf-
wands)).
Eine dritte Entwicklung neben dem Verkauf des jungen Unternehmens an eine etab-
lierte Bank oder dem Scheitern liegt darin, dass Fintechs mit größeren Kreditinstituten
kooperieren, z. B. bei der Entwicklung von Dienstleistungen, deren Programmierung
und Einführung. Es würde sich so eine neue Form der Unternehmensberatung
herausschälen.
Auffällig ist, dass die Lebensdauer der Jungunternehmen bzw. die Überlebensrate im
Durchschnitt sehr gering ist. Sie wurde uns gegenüber von einem Spezialisten auf nur
10 % beziffert. Daher ist die Langfristprognose für diese Entwicklung auf den Finanz-
märkten sehr unsicher.
Erstaunlich ist der Optimismus, den Führungskräfte und Berater dem Ersatz von Ange-
stellten durch KI und Roboter entgegenbringen, wenn man ihn in Kontrast zu kritischen
und selbstkritischen Einschätzungen setzt, was den Stand der traditionellen Informations-
verarbeitung betrifft. Der Vorstandsvorsitzende der Deutsche Bank AG, John Cyran,
nannte die IT des Unternehmens „lousy“. Sein Kollege Rieß vom Versicherungskonzern
ERGO räumte eine „veraltete IT“ ein [Schar17].
80 7 Zu den Innovationen und Chancen in ausgewählten Wirtschaftszweigen und …
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Literatur 81
Zusammenfassung
Ein Blick auf die durch IT ermöglichten oder erzwungenen neuen Geschäftsmodelle
lehrt, dass bedeutsame Neuerungen Modellen gegenüberstehen, die nicht als Revoluti-
onen eingestuft werden können.
Die Änderung von Geschäftsmodellen durch Digitalisierung und I4.0 wird von einigen
Autoren neben der Vernetzung als die Neuerung gesehen, welche eine völlig andere
Betrachtung der Automation erzwänge (vgl. Abschn. 5.1). In der Tat gibt es nachgerade
dramatische Fälle von „digitalem Wandel“. Beispielsweise wurde bereits im Jahr 2010
geschätzt, dass weltweit alle zwei Minuten mehr Fotos mit digitalen Kameras gemacht
wurden als im gesamten 19. Jahrhundert – mit gravierenden Konsequenzen für die Bran-
che [BrSa10]. In der Literatur wird zuweilen der Zusammenbruch des Marktführers East-
man Kodak Company als Paradebeispiel für das „Verschlafen“ eines Technologiesprungs
angeführt. Jedoch belegt eine Fallstudie von Willy Shih, in den 1970er-Jahren in der Kon-
zernführung tätig, dass die Lage extrem kompliziert war. Zur weitgehenden Ablösung des
analogen Fotografierens durch Digitalkameras kam sehr plötzlich und mit großer Wucht
die Kamerafunktion auf dem Massenprodukt Mobiltelefon, sodass sich die Probleme mit
der Kosten-Erlös-Struktur potenzierten. An frühen Versuchen des Kodak-Managements,
einen Ausweg zu finden, fehlte es nicht [Shih16]. Im Übrigen ist interessant zu beobach-
ten, wie „analoge Produkte“, etwa Vinylschallplatten oder Polaroid-Kameras, ein „Come-
back“ feiern [SaSt17]. Florian Drücke, Geschäftsführer des Verbandes BVMI
(Bundesverband Musikindustrie), wird so zitiert: „Im ersten Halbjahr 2017 zeichnet sich
nun langsam auch in Deutschland ein Gleichgewicht zwischen physischem und digitalem
Geschäft ab“ [OV17bn]. In Tab. 8.1 sind einige Beispiele zusammengestellt. Allerdings
begann die Änderung von Geschäftsmodellen durch Nutzung des Internet schon vor
einziges Hotel. Das ist es, was hinter dem Begriff der Disruption steckt.“ [Meck16] Man
fragt sich, ob dies im Prinzip nicht auch für das uralte Gewerbe des Immobilienmaklers,
die studentische Vermittlung von Aushilfsarbeiten („Studenten-Schnelldienst“), Prakti-
kantenplätzen oder Zimmern, für Mitfahrzentralen oder für genossenschaftlich organi-
sierte Vermietungen von landwirtschaftlichen Großmaschinen gilt.
Inwieweit zu vorhandenen neue Geschäftsmodelle hinzugenommen werden sollen ist
nicht unumstritten. So hat der Vorstandssprecher der Deutsche Bank AG, John Cyran, bald
nach der Übernahme des Amtes die Pläne für den Ausbau einer neuen, sogenannten digi-
talen Bank, aufgegeben [Osma16, OV16ao] (s. Abschn. 7.2).
Für die Kunden drohen Gefahren, die typisch sind, wenn man von Eigenfertigung auf
Fremdbezug übergeht („Entmündigung“, „Lock-in“). So hat der Landmaschinenhersteller
John Deere die Wartung der den Farmern verkauften Fahrzeuge übernommen, kombiniert
mit sehr speziellen Lizenzbedingungen für die eingebetteten IT-Systeme. Als sich beim
Hersteller Kapazitätsengpässe einstellten, bekamen die Landwirte erhebliche Probleme
[Gayc17a].
Literatur
Zusammenfassung
Es gibt Einflussgrößen, die den Fortschritt bei der Nutzung von IT-Entwicklungen ver-
zögern können, sodass die Verwirklichung mehr oder weniger kühner Pläne langsamer
verläuft als rein technisch möglich. Der Prozess wird retardiert. Dazu gehören u. a.
kulturelle Unterschiede zwischen Informatik und Ingenieurwesen oder zwischen gro-
ßen Unternehmen einerseits und mittleren und kleinen andererseits, heterogene Interes-
sen von Marktteilnehmern, ungelöste juristische Probleme oder Schwachstellen, die
Betrügern neue Chancen eröffnen.
In diesem Kapitel werden skizzenhaft Problemfelder behandelt, die die Entwicklung
der Digitalisierung und von I4.0 hemmen bzw. nicht wünschenswerte modische Über-
höhungen fördern können.
Die folgenden Probleme lassen sich besonders deutlich am „digitalen Kraftfahrzeug“ (vgl.
Abschn. 9.6), aber nicht nur dort, festmachen.
Elmar Frickenstein, Bereichsleiter „Elektrik/Elektronik“ bei der BMW AG, wird wie
folgt zitiert: „Die Funktionalität (auf dem Weg zum automatischen Fahren, die Verf.)
ändert sich während der Lebenszeit, da wir große Datenmengen austauschen können.
Damit kommt die Updatefähigkeit der IT-Industrie ins Fahrzeug, das ist der Schlüssel zur
Zukunft der Automobilindustrie.“ [Beck15] Wolfgang Wahlster, der zu den Protagonisten
der I4.0-Auffassung gehört, schreibt: „Wenn Sie 100 Embedded Systeme in einem norma-
len BMW haben ist klar, dass dann täglich neue Patches von den Lieferanten geliefert
werden“ [Spat13, S. 19].
Andere Sachkenner erwähnen die Gefahr, dass bei I4.0 wenig kompatible Kulturen der
Mechanik und der IT aufeinanderstoßen (s. Tab. 9.1).
Sicherheitsforscher haben herausgefunden, dass bei Fahrzeugen der BMW AG und der
Daimler AG das SSL-Zertifikat für die verschlüsselte Kommunikation zwischen dem
Mobiltelefon und dem Fahrzeug nicht ausreichend geprüft wird. So kann ein Datendieb
möglicherweise einen PKW mit seinem Mobiltelefon öffnen und starten [Dörn15].
Das folgende Szenario wurde in Diskussionen mit Automobilfachleuten nicht bestrit-
ten: In Zukunft erhalten wir wie beim Mobiltelefon alle paar Monate ein neues „Software-
Release“. Dann muss der Autobesitzer sich ein Wochenende frei halten, Anleitungen dazu
im Internet suchen, das „Release“ selbst und die Hinweise dazu herunterladen und studie-
ren, um die Version aufzuspielen und die Parameter neu einzustellen [Trau16]. Oder er
bringt sein Fahrzeug entnervt in eine Werkstatt des PKW-Herstellers, der mit patentierten
Testautomaten dafür gesorgt hat, dass nur lizensierte Werkstätten und nicht preiswerte
Außenseiter tätig werden können.
9.1 Informatik und Ingenieurwesen – inkompatible Kulturen? 89
Tab. 9.2 Aussagen zum Unterschied zwischen den IT- und anderen Branchen
Quelle Zitat
Ungenannter Leiter Digital „Wir arbeiten mit agilen Projektabwicklungsmethoden, wo
Business Applications aus der wir in drei bis vier Wochen ein Delivery machen, …, wo
Versicherungsbranche wir schnell Feedback bekommen und wo wir schnell Fehler
machen und diese auch schnell korrigieren können“
[BeBa16, S. 108]
Dieter Zetsche, „Wir müssen lernen, neben unseren eigenen Zyklen das
Vorstandsvorsitzender der Daimler Tempo der Konsumgüterindustrie aufzunehmen. Die
AG Vollentwicklung eines Autos dauert sieben Jahre, die eines
Handys oder einer App nur wenige Monate. Während wir
im Autobau unverändert nach 100 % Perfektion streben,
werden wir künftig auf der anderen Seite – etwa bei
Apps – auch mal mit einem Perfektionsgrad von 90 Prozent
leben müssen. Die Geschwindigkeit ist hierbei
entscheidend. Dazu braucht es einen Kulturwandel im
ganzen Konzern.“ (Über die Schwierigkeiten, vor allem am
Serienbeginn („Kinderkrankheiten“), hinaus?, die Verf.)
[Zets15] (Automobile fahren durchschnittlich 10 Jahre,
während Mobiltelefone ca. alle zwei Jahre ausgetauscht
werden [BayL16])
Jan Gilg, Leiter der strategischen „Wir müssen auch mal nicht ganz fertige Versionen auf den
Geschäftsentwicklung bei SAP Markt bringen, sie draußen testen und dann verbessern.“ Er
Labs fügte hinzu, dass dies eine Methode sei, mit der die
Deutschen Probleme hätten. Für ein deutsches
Unternehmen, das seine Ursprünge in den
Ingenieurwissenschaften habe, sei dieses Umdenken keine
einfache Aufgabe [Kort17]
Carsten Spohr, „Die Computer in unseren Flugzeugen sind 20 Jahre
Vorstandsvorsitzender der alt – aber sie funktionieren. Mein iPhone ist zwei Wochen
Deutschen Lufthansa AG, zum alt, aber es arbeitet nicht mit der Verlässlichkeit, mit der
vorsichtigen Umgang der mein Flugzeug funktionieren soll.“ [OV17aw]
Luftverkehrsbranche mit neuen
Technologien
Manfred Wittenstein, „Wenn heute Flugzeuge so konstruiert würden wie Software
Aufsichtsratsvorsitzender der auf den Weg gebracht wird, würde sich niemand mehr ins
Wittenstein SE Flugzeug setzen“ [Rieg16, S. 605]
Manfred Wittenstein, „Wir müssen die Dynamik in der IT-Industrie und die
Kuratoriumsvorsitzender der Dynamik des Maschinenbaus, der längere Zyklen hat,
Impuls-Stiftung des VDMA zusammenbringen“ [OV16bw]
Sven Astheimer, Journalist der FAZ „Von der App-Ökonomie lässt sich lernen. Es muss nicht
immer der 100 Prozent durchdachte Lösungsansatz sein –
80 % reichen zunächst auch, wenn vor allem Schnelligkeit
zählt. Gerade für den deutschen Ingenieurgeist mit seiner
Null-Fehler-Toleranz mag dies eine echte Herausforderung
sein, aber sie entspricht der Zeit“ [Asth16a]
(Fortsetzung)
9.1 Informatik und Ingenieurwesen – inkompatible Kulturen? 91
Beispiel 2:
Am 26.09.2015 erschien in mehreren Medien (FAZ, Welt am Sonntag, Spiegel Online)
folgende Meldung: „Daimler hat 11.000 Mercedes Sprinter in Deutschland für eine
Software-Aktualisierung in die Werkstatt gerufen. Bei diesen Fahrzeugen können die
Prüfgeräte etwa vom TÜV oder der Dekra für die Hauptuntersuchung nicht mit den
Systemen der Fahrzeuge kommunizieren.“ Die Daimler AG hatte die Fahrzeughalter
per Brief zu dieser Maßnahme aufgefordert. „Man müsse … die abgasrelevanten
Steuergeräte mit einer optimierten (!) Software versehen.“
2016 wurden 5.000 Unternehmensberater zusätzlich eingestellt, es wurde die hohe Gesamt-
zahl von 115.000 in Deutschland erreicht [Neus17]. Dieses Wachstum der Branche wird
zu einem beachtlichen Teil auf Digitalisierung und I4.0 zurückgeführt. Tab. 9.4 enthält
Einzelbeispiele bzw. spezielle Aussagen zu Vorteilen und Interessen von Unternehmens-
beratungen, aber auch von Hochschulen, durch Digitalisierung.
Drastisch ist die Darstellung einer Meinung von Interessenlagen in folgenden Textaus-
schnitten:
„Im monatlichen Rhythmus werden neue technische Epochen und innovative Organi-
sationsformen ausgerufen. Berater versuchen über schnell hingeworfene Zeitdiagnosen,
9.3 Spezielle Interessenlagen 95
ihre Angebote zu vermarkten, Wissenschaftler geben ihren Forschungen darüber eine mas-
senmediale Bedeutung, und Politiker versuchen, darüber Themen zu setzen. In der Vergan-
genheit wurde dabei noch so formuliert, dass man ungefähr wusste, worum es ging. Es war
die Rede von „Matrixorganisation“, „Lean Management“ oder „Business Process Reen-
gineering“. Aber schon an der Konjunktur Vorsilbe „post“ in der Bezeichnung neuer
Trends konnte man erkennen, dass sich die Zeitdiagnostiker immer weniger trauten, ihre
Analysen mit einem präzisen Begriff zu bezeichnen. Der Metatrend in der aktuellen
Trendforschung ist aber, Zeitdiagnosen nur noch in Versionsnummern zu liefern. Die Rede
96 9 Gefahr der Retardierung auf ausgewählten Innovationsfeldern
ist vom Web 2.0, von der Gründungsinitiative 3.0 und von der Industrie 4.0, in der die
zunehmende informationstechnische Vernetzung zwischen Unternehmen wichtiger
werde“ [Kühl15].
„Mögen die vielen Unfitten zu dauerhafter Erwerbslosigkeit verdammt sein, so winken
den disruptiven Topfitten ewige Profite. Wer Herr über die Automaten wird, diktiert das
Marktgeschehen. Das Versprechen dient Unternehmensberatern und Softwareverkäufern
als Türöffner zu den Teppichetagen von Technologiefirmen, wo sie den verunsicherten
Fitten verkünden können, sie zu Topfitten zu trimmen“ [Hirs17].
So nimmt es nicht Wunder, dass Unternehmensberater gelegentlich mahnen, politische
Unterstützung fordern oder gar zu einer Panik beitragen (Tab. 9.5 und Kap. 3).
Die Interessenlage von Unternehmensberatern, Anbietern von Hardware und Software,
Hochschulen, Forschungsinstituten, Politikern, Autoren und Verlagen mag bedingen, dass
die zugehörigen Anstrengungen im Rahmen des Lobbyismus im weiteren Sinn Modewel-
len erhöhen. Als Folge könnte der Abstieg vom Gipfel im Sinn des „Hype Cycle“ (Kap. 2)
umso steiler werden, was wiederum die in Kap. 1 erwähnte Ressourcenvergeudung ver-
stärken würde (vgl. auch die Ausführungen in Kap. 3).
Die starke Anpassung der Produkte an Kundenbedingungen und -wünsche ist jetzt oft
durch die mit I4.0 zunehmenden Möglichkeiten der automatischen Umrüstung in Rich-
tung auf Losgröße 1 ohne bedeutende Mehrkosten in der Fertigung erreichbar [Preu16].
Dieses Moment wird von vielen Befürwortern einer energischen Entwicklung von I4.0
hervorgehoben, z. B. im Bericht von Forschungsunion/acatech ([Prom13, S. 19], vgl. auch
[OV15ay]). Ein überzeugendes Beispiel aus dem Siemens-Elektronikwerk Amberg findet
man bei Büttner und Brück [BüBr14, S. 132]. Matthesius schreibt: „Will man nun die
Flexibilität messen, so ist die … Losgröße 1 … das ultimative Maß“ [Matt15]. Auch in
dem Sammelwerk [BHVo14] wird mehrmals (S. 77, 132, 607, 625, 633) erwähnt, dass
I4.0 die Erzeugung von individualisierten Produkten ohne nennenswerten Mehraufwand
9.4 Individualisierung und Losgröße 1 97
im Vergleich zur Serien- und Massenfertigung erlaube (was plausibel ist), ja z. T. als
„Megatrend“ bezeichnet.
Unbeachtet bleibt aber meist, dass man außer den Fertigungskosten auch die Folgekos-
ten für die Aufrechterhaltung der Lieferbereitschaft über die Lebensdauer des Erzeugnis-
ses (Ersatzteile, Wissen der Kundenbetreuer) ins Kalkül zu ziehen hat (TCO = Total Cost
of Ownership, vgl. das Beispiel in Abschn. 9.1). Diese sind stark von der Menge der iden-
tischen Erzeugnisse zwischen zwei Versionsänderungen abhängig [Mert15b]. Sehr spezi-
elle Kundenwünsche implizieren auch ebenso spezielle Zulieferungen; man ist dann auf
einen Lieferanten angewiesen und trägt das Risiko der sog. „Single-source-Strategie“. Die
Gefahren dieser Strategie wurden 2017 durch ein Debakel in der Automobilindustrie deut-
lich: Weil die Robert Bosch GmbH nicht genügend Lenkgetriebe für die BMW-Reihen 1,
2, 3 und 4 liefern konnte, musste der Fahrzeughersteller nach Angaben des manager maga-
zins gleich seine Produktion in mehreren Werken im In- und Ausland (München, Leipzig,
China, Südafrika) einschränken [OV17ab]. Die verstärkte Individualisierung verträgt sich
im Übrigen schlecht mit Modul- und Baukastenstrategien in der Produktpolitik.
Das Problem könnte sich allerdings langfristig durch die additive Fertigung von Ersatz-
teilen etwas entschärfen [Schee15, S. 8]; denkbar ist sogar, dass sehr spezielle Ersatzteile
dezentral in einer Vertriebsniederlassung oder beim Händler gedruckt werden [Wase15].
Es gibt Fälle, wo die Individualisierung beträchtlichen Nutzen stiften kann, so wenn
Medikamente, z. B. als Folge gentechnischer Analysen, oder Schuhwerk passgenauer
werden oder wenn bislang in mittleren Serien gefertigte Werkzeugmaschinen durch solche
abgelöst werden, die man in Einzelfertigung produziert und die im Kundenbetrieb besser
in den Produktionsprozess passen. In anderen Fällen ist die Individualisierung ein hüb-
sches „Extra“, das relativ leicht darzustellen ist und deshalb ein akzeptables Vorteil-
Nachteil-Verhältnis aufweist. Hierzu gehören etwa die von der Festo AG & Co. KG
entwickelten Aggregate und Verfahren zur Produktion individueller Parfümmischungen
(vgl. Abschn. 7.1.5). Andererseits sind Erzeugnisse mit modischem Charakter, und das
müssen nicht nur Textilien sein, in vielen Stadien des Lebenszyklus eher eine Belastung.
Entscheidet sich der Käufer dafür, ein noch gebrauchstaugliches Gut vorzeitig zu entsor-
gen, so kommt das einer Ressourcenverschwendung, verbunden mit einer Umweltver-
schmutzung, gleich.
So mehren sich jetzt auch Stimmen, wonach zu viele Varianten oder auch zu breite
und zu tiefe Sortimente Kosten bzw. die Rentabilität ungünstig beeinflussen, z. B. in
Zusammenhang mit den notwendig gewordenen radikalen Sparmaßnahmen im VW-,
im Deutsche-Bank- oder im Karstadt-Konzern. Man liest auch: „… eine zu große
Vielfalt an … Ausstattungsvarianten gelten als größte Baustelle im VW-Konzern.“
[MüKL15] Es wird darauf verwiesen, dass es nicht zuletzt in der Geschichte des
Automobils überzeugende Beispiele einer sehr weitgehenden Beschränkung auf
wenige Varianten gab (Ford T, VW-Käfer). Ob diese historischen Fakten in die
Gegenwart und in die Zukunft projiziert werden dürfen, ist fraglich. Auffällig ist, wie
hoch mittlerweile die Zusatzkosten für sog. Extras bei Automobilen im Vergleich
zum Grundpreis geworden sind. Holger Appel nennt als Beispiel u. a., dass der
98 9 Gefahr der Retardierung auf ausgewählten Innovationsfeldern
Mercedes-Benz E220d mit Extras mehr als das Doppelte des Grundpreises ausma-
chen könnte. Aus den Angaben kann der Außenstehende freilich nicht erkennen, wie
stark die Preisdifferenz durch erhöhte Kosten ausgelöst wird oder preispolitisch
motiviert ist [Appe17].
Eine überraschende Vision veröffentlichte der Vorstandsvorsitzende der Audi AG,
Rupert Stadler: Der PKW würde über die Gesamtmenge der Funktionen einer Baugruppe
verfügen, aber der Kunde nur für die jeweils in Anspruch genommene Aufgabe anteilig
zahlen. Beim Fahrersitz wären das z. B. Vorrichtungen zur Heizung, Kühlung oder Mas-
sage. Da aber all diese technischen Funktionen als „Hardware“ von vornherein in das
Fahrzeug eingebaut sein müssen (z. B. kann man Massagebewegungen ja sonst nicht per
Datenfernübertragung aktivieren), scheint das Geschäftsmodell von der Kosten- und
Ertragsseite her problematisch [OV16bg].
Ähnliche Überlegungen wie zur Losgröße 1 in Beschaffung und Fertigung gelten für
sehr zerstückelte Auslieferungen an Kunden im Versandhandel („Same Day Delivery“),
im Grenzfall mit Drohnen. Amazon hat solche Ziele und erste Lösungen [Grop15a].
Das automatische bzw. autonome bzw. vernetzte Fahrzeug stößt in Fachwelt und Öffent-
lichkeit auf reges Interesse, wie sich z. B. auf Internationalen Automobilausstellungen
immer wieder zeigt. Das verwundert nicht, kommen doch viele Menschen in irgendeiner
Rolle mit dem Auto in Verbindung. Manche Äußerungen von leitenden Herren der Auto-
mobilindustrie (s. Tab. 9.6) vermitteln den Eindruck, dass um das Auto ein „digitaler Kult“
entstehen könnte bzw. soll.
Investitionen, die für den Verkehr mit autonomen Fahrzeugen nötig wären, werden so
hoch veranschlagt, dass man sogar eine völlige Neustrukturierung der weltweiten Auto-
mobilbranche durch „Elefantenhochzeiten“ vorhersieht [OV16by].
Aus Konzeptionen, Prototypen und Experimenten lässt sich ein facettenreiches Bild
zeichnen (siehe Tab. 9.7).
Es werden neue, zum Teil sehr heikle Rechtsfragen aufgeworfen. Beispiele: Darf ein
Fahrzeug so programmiert werden, dass es sich im Konflikt für einen Unfall mit einem
älteren Fußgänger entscheidet, um ein Kind auf dem Bürgersteig zu schonen? Soll das
Fahrzeug, um einem einzelnen Menschen auszuweichen, auf die Gegenfahrbahn gelenkt
werden, wo ein folgenschwerer Frontalzusammenstoß mit mehreren Todesopfern wahr-
scheinlich, aber nicht zwingend droht? Die herrschende Rechtsprechung untersagt die
„Aufrechnung von Menschenleben“. Eine von dem ehemaligen Richter des Bundesverfas-
sungsgerichts Udo Di Fabio geleitete Ethikkommission gelangte zu der Kernaussage:
„Unsere Rechtsordnung verbietet Selektionen nach nützlichem oder weniger nützlichem
Leben. Niemand, erst recht nicht kein technisches Fahrsystem, darf solche Entscheidungen
treffen“ [Budr17b]. Die uns bekannte Fachliteratur argumentiert zwar überzeugend und
plausibel zu den ethischen Problemen dieser Facette fortschreitender Automation, jedoch
ist die Umsetzung in programmierbaren Algorithmen nicht erkennbar ([Schmi16a], vgl.
auch [Riet17]). Letztlich muss aber die Wahl getroffen werden, z. B. durch Systementwick-
ler und Programmierer des Fahrzeugherstellers. Sollen diese etwa die generelle Entschei-
dung vermeiden, indem sie in dem Konflikt einen Zufallszahlengenerator aktivieren?
eines Unfalls oder einer Nebelwand plötzlich ein Stauende zu erwarten ist. Hinzu kommt
die fehlerfreie Erkennung von Verkehrszeichen, Ampeln und Fahrbahnmarkierungen
durch das Auto, was freilich sehr erhebliche staatliche Investitionen in die Infrastruktur
voraussetzt. Diese verschiedenen Einzelentwicklungen werden auch unter „Hochautoma-
tisiertes Fahren“ oder „Hochautomatisierte Fahrerfunktionen“ statt „Fahrerloses Auto“
zusammengefasst, so durch ein Konsortium unter Leitung des Fraunhofer-Instituts für
Arbeitswirtschaft und Organisation [OV15ba]. Dies entspricht dem in Kap. 2 erwähnten
„Rückfedern“. Man prognostiziert für die deutsche Volkswirtschaft dazu erhebliche Nutz-
effekte, die nach Meinung von Winner und Wachenfeld vor allem bei den Zulieferern
anfallen werden [Witt15]. Allerdings erwarten diese Forscher: „Ein Fahrzeug, das überall
und immer autonom unterwegs ist, wird es auch in den nächsten dreißig Jahren nicht
geben“ (ebenda, S. 3). Testfahrten des Google-Konzerns haben erbracht, dass Hunderte
Male ein Mensch das Lenkrad übernehmen musste, um einen Unfall zu verhindern – dies
auch bei vergleichsweise einfachen Testumgebungen [OV16bh]. In jüngeren Versuchen
deuten sich freilich Lerneffekte an, die personellen Eingriffe werden seltener [Holl17].
Bei den Mitteln gilt die Volksrepublik China nicht gerade als wählerisch. Neben eini-
gen durch die Regierung hochsubventionierten Branchen wie Windkraft oder Luftfahrt
werden sehr gezielt mit deutschen Unternehmen gemeinschaftliche Produktionsstätten
errichtet. Vor allem in denen mit Standort China gilt der Wissenstransfer bis hin zur Indus-
triespionage und Kontakt zu Geheimdiensten als unvermeidlich. Der Vorstandsvorsitzende
des brasilianischen Flugzeugbauers Embraer (Empresa Brasileira de Aeronáutica S.A.),
Mauricio Botelho, der eine Zusammenarbeit in dem chinesischen Werk Harbin organi-
sierte, resignierend: „Technologietransfer ist nicht zu verhindern“ [ZhNa10]. Die massive
Bedeutung des Komplexes Know-how-Transfer zwischen China und Deutschland wurde
auch in den wettbewerbs- und allgemeinpolitisch diffizilen Bestrebungen sichtbar, eine
erhebliche Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns Midea an dem deutschen Robo-
terhersteller Kuka AG zu verhindern [Gier16b]. Dieser will sich „immer mehr zu einem
softwareorientierten Automatisierungsunternehmen“ entwickeln [Höpn17b].
Vergegenwärtigt man sich die chinesische Technologie- und Wirtschaftspolitik, so ist
nicht auszuschließen, dass die durch Vernetzung zusätzlich möglichen Formen der Wissens
abschöpfung auch genutzt werden. In Branchen, in denen nicht Konkurrenten Betriebs
geheimnisse dadurch lüften können, dass sie ein Erzeugnis erwerben und dieses analysieren
(„Reverse Engineering“), eröffnen sich neue Chancen, indem man in I4.0-Netze o. Ä.
eindringt und die Details der Fertigungsvorschriften herausfiltert. Das gilt vor allem, aber
nicht nur für die Produktion von neuen Arzneimitteln. So äußerte etwa der Vorstandsvor-
sitzende der Zahnradfabrik Friedrichshafen AG, Stefan Sommer: „Die in unseren Kompo-
nenten erzeugten Daten wie etwa die Getriebetemperatur interessieren … vielleicht unsere
Wettbewerber. Deshalb sind diese Daten so sensibel“ [BuBr16].
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat vor geheimdienstlichen Aktionen gewarnt
und dabei auch die VR China erwähnt [OV17as].
Auch wenn wir hier die VR China als prominentes Beispiel herausgegriffen haben, ist das
Problem nicht auf dieses Land begrenzt, sondern betrifft den Schutz des ökonomisch relevan-
ten Wissens von Nationen (und Unternehmen) und den vor Plagiaten generell. Man verglei-
che dazu die Äußerungen des Präsidenten des Landeskriminalamts Baden-Württemberg,
Dieter Schneider: „… könnte man kritisch betrachtet sagen, dass der unternehmerische Wert-
schöpfungsprozess zu einem Hochsicherheitstrakt werden sollte“ [HeRS15a, HeRS15b].
In Kap. 3 wurde erwähnt, dass aus bestimmten Gründen oft etwas bereits Vorhandenes
unter die Überschriften „Digitalisierung“ und „Industrie 4.0“ gestellt wird (Subsumtion,
Mitnahmeeffekt). Dafür stehen die folgenden Beispiele (siehe Tab. 9.8).
Nimmt man diese Stichproben und weitere, hier nicht aufgeführte, zusammen, so darf
man oft zu hörende und zu lesende Behauptungen, wonach das gegenwärtig (2017) Beob-
achtete „disruptiv“ sei, in Frage stellen. Von daher wirkt auch die oft gewählte Metapher
von der „Digitalen Revolution“ (z. B. [Gneu16]) unpassend. Der Begriff „Evolution“ wäre
vorzuziehen.
9.7 Die VR China als Konkurrent 103
In der Wirtschaftspresse finden sich bereits Artikel, in denen davor gewarnt wird, sich
angesichts der starken Beachtung der Themen „Digitalisierung“ und „I4.0“ zu verspielen.
Beispiele sind in Tab. 9.9 aufgelistet.
9.8 Die Subsumtion von Vorhandenem 105
Eine Umfrage unter den Verbandsmitgliedern der Plattform Industrie 4.0 kam zu dem
Ergebnis, dass die Standardisierung die größte Herausforderung darstellt [BHVo14,
S. 325–341]. In einer Studie der Managementberatung Strategy& und der Wirtschaftsprü-
fungs- und Beratungsgesellschaft PwC heißt es: „Neben den zum Teil noch unklaren Busi-
ness Cases für Industrie 4.0 müssen vor allem Industriestandards definiert und offene
Fragen etwa im Bereich der Datensicherheit beantwortet werden“ [StPw14, S. 4]. Im
„Weissbuch Digitale Plattformen“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie
steht: „Denn kein noch so agiles europäisches Start-up mit großen Wachstumsambitionen
wird es mit etablierten, ressourcenstarken amerikanischen Konkurrenten aufnehmen kön-
nen, wenn es sich für die Expansion in Europa auf 28 Regelungswerke und Bürokratien
einstellen muss“ [BMWi17, S. 52].
Die ISO hat auf Anregung des DIN eine eigene Gruppe „Industrie 4.0/Smart Manufac-
turing Strategic Advisory Group“ initiiert. Sie soll u. a. fehlende Normen und Standards
identifizieren und die einschlägigen Aktivitäten auf internationaler Ebene koordinieren.
Bei I4.0 im engeren Sinn betrifft die Normung in erster Linie den Datenaustausch zwischen
Betriebsmitteln. Hier hat man im deutschen Maschinenbau im Lauf der letzten J ahrzehnte
viel erreicht. Dies gilt es unter Berücksichtigung wachsender Ansprüche an Geschwindig-
keit und Sicherheit fortzuentwickeln. Das größte Problem wird möglicherweise nicht die
Technik sein, sondern die internationale Abstimmung. Der Bundeswirtschaftsminister hat
den VDI beauftragt, die Geschäftsstelle der neuen Plattform „Industrie 4.0 – Made in
Germany“ zu organisieren. Auf dieser Plattform sollen zahlreiche Arbeitskreise operieren
[OV15az].
Mit zunehmender Integration wächst die Zahl der Schnittstellen, für die sehr differen-
zierte und komplizierte Einigungsprozesse zwischen verschiedenen Verbänden unter-
schiedlicher Branchen erfolgreich bewältigt werden müssen. Martin Wocher gibt an, dass
bis zu 50 Mrd. Maschinen bis zum Jahr 2020 über das Internet verbunden sein sollen
[Woch16c]. Man denke z. B. an die Einbettung von dezentralen 3D-Druckern, die in Bra-
silien ein Ersatzteil für ein in Deutschland gefertigtes Originalprodukt herstellen [Gier16e].
108 9 Gefahr der Retardierung auf ausgewählten Innovationsfeldern
Schon lange galt: „Wer die Norm setzt, beherrscht die Märkte“. Der Fraktionsvorsit-
zende der CDU/CSU im Bundestag, Volker Kauder, verlieh einmal seiner Befürchtung
Ausdruck, es könne zwischen den USA und der EU zu einem „Normenkrieg“ kommen.
Die Alternative wären flexible, menschenähnliche Dialoge zwischen den Betriebsmitteln
bzw. ihren Softwareagenten im Rahmen von MAS-Systemen [OV14a] (vgl. Abschn. 7.1.3).
Der ehemalige Technik-Vorstand der Siemens AG, Siegfried Russwurm, sah hingegen
kein „Wettrennen“ zwischen Ländern, insbesondere zwischen Deutschland und den USA,
sondern eine zukünftige Kooperation in einem globalen Wirtschaftsraum ohne klare Gren-
zen [Lind16a].
In den Medien offenbaren deutsche Unternehmer, Verbandsvertreter und Politiker häu-
fig einen gewissen Pessimismus, was die Dynamik des US-dominierten Industrial Internet
Consortium (IIC) im Vergleich zu Initiativen in der EU angeht [Woch15], [Höpn15a].
Neuerdings bahnt sich eine engere Kooperation zwischen dem IIC und der Plattform
Industrie 4.0 an. (Es soll ausgelotet werden, inwieweit eine Zusammenarbeit opportun
wäre.) Einige deutsche Unternehmen wie z. B. die Robert Bosch GmbH, die SAP SE oder
die Siemens AG sind ohnehin schon Mitglied in beiden Gremien [OV16bq].
Im zwischenbetrieblichen Geschäftsverkehr, namentlich dem grenzüberschreitenden,
liegt die große Herausforderung über die Datenkommunikation hinaus bei (teil)automati-
schen Verhandlungsprozessen. Ein wichtiges Beispiel sind Dispositionen und Umdisposi-
tionen in Liefernetzen [Falk95, Gath15] (s. Abschn. 7.1.4).
Forderungen von deutschen Wirtschaftsvertretern an die EU, etwa vom Präsidenten des
VDMA, Reinhold Festge, zielen auf „europaweit gemeinsame Spielregeln bei der Datensicher-
heit und beim Haftungsrecht“. Ähnlich legt sich der Präsident des VDA, Matthias Wissmann,
fest [Ludw15]. Beispielsweise ergeben sich beim 3D-Druck neue Produkthaftungsthemen.
Es wird aber auch darauf verwiesen, dass I4.0 weitere rechtliche Fragenkomplexe
berührt, so den Schutz geistigen Eigentums einschließlich der Problematik, wem welche
Daten gehören und wann welche gelöscht werden müssen („Recht auf Vergessenwerden“)
[Hüth16], die Ausgestaltung des Urheber- und Lizenzrechts (z. B. bei der Nachbildung
von Kunstobjekten per 3D-Druck, sodass „digitale Kunstmedien“ entstehen). Der
ehemalige Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Ulrich Grillo, verweist
darauf, dass die Zahl der Daten, die im Rahmen von Industrie 4.0 anfallen, sehr stark
anwächst. Er nennt ein Beispiel: „Ein Maschinenhersteller produziert eine Maschine, mit
der sich Metall bearbeiten lässt. Die Maschine verfügt über … Hunderte von Sensoren, die
ständig Daten über den Betriebszustand einer Maschine und der Umgebung aufnehmen.
… So hat der Maschinenhersteller fünf Zulieferer, deren Produkte er in die Maschine
einbaut. Er verkauft die Maschine an einen Unternehmer, der den Kauf über eine Bank
finanziert. Diese bleibt Eigentümerin, bis der Kredit abbezahlt ist. Die Wartung der
Maschine übernimmt ein Serviceunternehmen, das auf die … erzeugten Daten zugreifen
muss und das Teile des Auftrags an ein Subunternehmen auslagert. Ergibt unterm Strich
zehn Unternehmen. Wer darf was jetzt mit diesen Daten machen? Das klärt weder das
Datenschutzrecht noch ein anderes Regelwerk: nicht das Bürgerliche Gesetzbuch, nicht
9.10 Normung und Rechtsrahmen 109
das Urheberrechtsgesetz, nicht das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb … die Ver-
wertung dieser Maschinendaten ist … Neuland“ [Gril16]. Erste Anwaltskanzleien haben
sich auf das Thema spezialisiert [Hagl15, S. 32].
Andere Rechtsfelder sind das Außenwirtschaftsrecht, soweit es den internationalen
Datenverkehr tangiert [Fuch15a], das Kartellrecht [Hauc15] (vgl. zur Frage des Breitband-
ausbaus Kap. 12), das Finanzrecht (z. B. die Regulierung von elektronischen Gutschein-
systemen) oder das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen. So wird in Deutschland
eine Verschärfung insoweit geplant, dass ein Markt auch dann als solcher definiert ist,
wenn die angebotenen Produkte keinen Preis haben. Dies zielt vorwiegend auf US-
Unternehmen, wie z. B. Facebook [Heid16]. In weitgehend automatisierten Liefernetzen
stellt sich die Frage, binnen welcher Latenzzeit ein teilnehmender Betrieb die anderen vor
einem neuen Leck im Netz warnen muss [Kerk16c].
Aufsehen erregte die bisher höchste Kartellstrafe, die die EU-Kommission verhängt hat
(2,4 Mrd. Euro). Sie traf Google. Der Vorwurf ging dahin, dass Google seine marktbeherr-
schende Stellung missbraucht habe, indem eigene „Shopping-Dienste“ bevorzugt ange-
zeigt worden seien [DiNu17].
Eine besonders große, aber auch reizvolle Herausforderung stellt der Vorschlag dar, das
Vertragsrecht dahin zu entwickeln, dass dynamisch Verträge in automatischen Wertschöp-
fungsketten zustande kommen. Gemeint ist wohl, dass Softwareagenten mehrerer Unter-
nehmen unverzüglich rechtsgültige Verträge schließen könnten, etwa wenn im Rahmen
eines Lieferabkommens umdisponiert wird [Plat15, S. 16].
Vergegenwärtigt man sich die vor allem in dem einflussreichen Gremium Plattform
Industrie 4.0 [Plat15] benutzte und auch an anderen Stellen zu registrierende wenig prä-
zise Terminologie (z. B. „Kunden, Lieferanten und Partner“ (S. 22), Zweiteilung in Shop
Floor und Office Floor, die angeblich „in Unternehmen gewöhnlich vorgenommen wird“
(S. 50), Darstellung der Funktionen PLM und ERP als Unternehmensprozesse (S. 22),
„Kaufmännische und historische Daten“ (S. 62), Vermengung von Lieferketten und Lie-
fernetzen, Verwechslung von Branchen und Wirtschaftszweigen, Digitalkompetenz als
nichtfachliche Kompetenz), so sind Zweifel angebracht, ob man mit solchermaßen
unsorgfältiger Terminologie als Basis zu den äußerst feinnervigen und durchdachten
Standards gelangt, die für eine automatische Kommunikation von Betriebsmitteln,
Stamm- und Bewegungsdateien untereinander Voraussetzung sind. (Man stelle sich vor,
in einer medizinischen Studie sei von „Adern und Arterien“, in einer physikalischen von
„Elementarteilchen und Elektronen“ oder in einer juristischen von „Frauen, Männern und
Menschen“ die Rede!)
Der Fachausschuss 7.21 „Industrie 4.0 der VDI/VDE-Gesellschaft für Mess- und Auto-
matisierungstechnik“ bemüht sich in zwei Arbeitsgruppen darum, eine einheitliche Termi-
nologie für Industrie 4.0 auf der Grundlage schon bestehender Standards zu erarbeiten.
Das Arbeitspapier „Begrifflichkeiten um Industrie 4.0 – Ordnung im Sprachwirrwarr“ von
Pfrommer et al. gibt einen Überblick über die unbefriedigende Situation und über Refe-
renzen zu bisherigen Standardisierungsansätzen [Pfro14].
110 9 Gefahr der Retardierung auf ausgewählten Innovationsfeldern
Die Verletzlichkeit von Produkten, die stark „digitalisiert“ sind, erkennt man indirekt am
sog. VW-Skandal. Nicht nur die Volkswagen AG selbst, sondern auch ihr Software-
Zulieferer Robert Bosch GmbH haben Rückstellungen in Höhe von vielen Hundert Mio.
bzw. Mrd. Euro für einschlägige Risiken gebildet [Buch16]. In einem Artikel des Maga-
zins Der Spiegel liest man, dass auch mehrere andere Fahrzeughersteller wie die Daimler
AG, die Fiat S.p.A., die Adam Opel GmbH und die Porsche AG die Abgasreinigung
abschalten, wenn bestimmte Parameterwerte erreicht werden. Der Porsche AG wird vor-
geworfen, dass beim Cayenne eine Abschalteinrichtung im Getriebeschaltprogramm „ver-
steckt“ sei [DoHT17]. Zum Teil sei die Folge, dass Fahrzeuge einen sehr großen Teil der
Strecke ohne Abgasreinigung fahren [Beck16].
Manipulationen an Messeinrichtungen, wie sie per Software, und zwar Modifikati-
onen von kleineren Teilen der Steuerungsmodule [ScMu16] (sog. „defeat devices“)
möglich sind, wären wohl viel früher aufgefallen bzw. nicht lange zu verbergen gewe-
sen, wollte man die Täuschung über den Einbau zusätzlicher Geräte („Hardware“)
erreichen. Man hätte strenge Abgasnormen in den USA in den Diesel-Fahrzeugen der
AUDI AG auch durch Zuführung von mehr Harnstoff AdBlue, verbunden mit der Ver-
größerung der Harnstoff-Tanks, erreichen können. Durch sog. AdBlue-Emulgatoren
kann wiederum die Harnstoffeinspritzung unterbrochen, gleichzeitig aber die Bord
elektronik darüber getäuscht werden [Dörn16, OV17ao]. Der TÜV und die Sachver-
ständigenorganisation Dekra SE plädieren in Ansehung des VW-Skandals für die
Rückkehr zur Endrohrmessung, während der ADAC für strikte Prüfung über Software
eintritt [OV14c, OV16an]. (Es ist dies zugleich ein Beispiel für den Einbau zusätzli-
cher analoger Komponenten.) Bei neueren PKW-Modellen werden die Abgasdaten
über den Bordcomputer ausgelesen. Allgemein wird die heute sehr leicht mögliche
Manipulation beklagt, bei Gebrauchtwagen den km-Stand herabzusetzen. Auch hier
gibt es offenbar einen ständigen Wettlauf zwischen geschickten Betrügern und den
Schutzmaßnahmen, die Automobilhersteller entwickeln [BaJa16] (vgl. auch Kap. 12).
Erhebliche politische Diskussionen kreisen zurzeit um das Problem, dass einerseits die
im Speicher der elektronischen Ladenkasse von Einzelhandelsbetrieben abgelegten
Umsatzdaten mit Betrugssoftware verändert und so Steuern hinterzogen werden können.
Der Bundesfinanzhof hat 2015 festgestellt, dass elektronische Kassensysteme durch
Umprogrammierung in nahezu beliebiger Weise manipulierbar sind und dass davon
durchaus Gebrauch gemacht wird [Wähn16]. Dies führt zu Überlegungen, den Herstellern
von elektronischen Ladenkassen gesetzliche Auflagen zu Sicherungen per Hardware zu
machen. Andererseits würde der flächendeckende Einbau einer von der Physikalisch-
Technischen Bundesanstalt entwickelten „integrierten Sicherheitslösung für messwertver-
arbeitende Kassensysteme“ nicht nur einen großen Kostenschub bedeuten, sondern auch
wettbewerbsrechtliche Probleme bis hin zu Bedenken der EU-Kommission aufwerfen
[Ried16b].
Literatur 111
Auch der Deutsche Bank AG wird „Schummelsoftware“ vorgeworfen; diese soll angeb-
lich die Ausführung von Kundenaufträgen verzögern, wenn sich so das Institut zulasten
seiner Kunden bereichern kann [OV16ap].
Es wird berichtet, dass die Kreditkartenterminals von griechischen Hotels unmit-
telbar mit Banken außerhalb Griechenlands, etwa in Bulgarien, verbunden sind
[OV16ac].
Hewlett Packard geriet in den Verdacht, ein „Update“ von Druckersoftware würde
dafür sorgen, dass Patronen anderer Hersteller auf den HP-Druckern plötzlich nicht mehr
funktionierten [Speh16a].
Sollte sich Künstliche Intelligenz im betrieblichen Bereich stark ausbreiten, so ist nicht
auszuschließen, dass sich eine ähnlich gefährliche „Industrie“ etabliert, wie es als Folge
der allgemeinen Vernetzung bei der Cyberkriminalität schon der Fall ist: Auf KI basie-
rende Dispositions- und Kontrollsysteme werden raffiniert getäuscht. Der Leiter des
Infosys-Konzerns, Vishal Sikka, äußerte: „… der leichteste Weg, ein autonomes Auto aus-
zutricksen, ist derzeit, ein Foto von einem Kind in die Heckscheibe des vorausfahrenden
Autos zu kleben“ [Jans17d].
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118 9 Gefahr der Retardierung auf ausgewählten Innovationsfeldern
Zusammenfassung
Die Informationsverarbeitung und die Informationsfreiheit in der öffentlichen Verwaltung
einschließlich öffentlicher Dienste, Politik und Verkehr sind nicht in dem Zustand, den man
in einem Staat wie Deutschland erwarten darf. Die Datenschutzpolitik ist insoweit umstrit-
ten, als sich staatliche Instanzen in hohem Umfang Zugriffe auf Bankkonten und auf Daten
ausländischer Stellen vorbehalten, aber andererseits Unternehmen der Privatwirtschaft bei
der Auswertung der im Geschäftsverkehr gesammelten Informationen einschränken wol-
len. Mehr oder weniger undifferenzierte Vorwürfe, die Politiker an Unternehmen adressie-
ren, z. B. dass sie „die Digitalisierung verschlafen“, sind daher problematisch.
Die mangelnde Ausreifung der Informationsverarbeitung in der Finanzwirtschaft
irritiert die Kundschaft.
Insgesamt ist bei der Widmung von Ressourcen eine sinnvolle Balance zwischen der
Ausmerzung von Schwachstellen im Handwerklichen und gewagten Projekten
anzustreben.
Auf einem Parteijubiläum der CDU wurde das Ziel verkündet: „Die öffentliche Hand soll
digitaler Dienstleister werden“ [OV15ar].
Anlässlich einer Tagung des Deutschen Beamtenbundes 2017 äußerte die Bundeskanz-
lerin: „Wenn die Digitalisierung insbesondere der öffentlichen Verwaltung weiter so
langsam vorangehe, dann ‚werden wir nicht sehr erfolgreich sein, sondern in Kürze zu den
Entwicklungsländern weltweit gehören‘“ [OV17al]. Ähnlich drückte sie sich auf einer
Veranstaltung des Deutschen Städtetages 2017 aus [OV17ak] (vgl. die Aussagen und
Beispiele in Tab. 10.1).
Als Abhilfe wird auch die Forderung laut, einen „Digitalminister“ im Kanzleramt zu
etablieren [Delh16a]. Es fragt sich allerdings, ob eine derartige Maßnahme ausreicht, um
systemische Schwächen des öffentlichen Dienstes auszumerzen, die sich bei der Informa-
tionstechnik besonders manifestieren, wie z. B. Probleme des Föderalismus in Deutsch-
land oder die mangelnde Neigung von besonders guten Hochschulabsolventen, in den
Staatsdienst einzutreten [OV16ar]. In Tab. 10.1 sind generelle Probleme der öffentlichen
Verwaltung in Deutschland mit der automatisierten Informationsverarbeitung aufgeführt.
Tab. 10.2 enthält spezielle Vorhaben.
In Behörden, die – auch nur einfachere – Anwendungssysteme eingeführt haben, wer-
den in einer Befragung die Kosteneinsparungen als eher enttäuschend angegeben
[OV17aa].
In Deutschland sind zahlreiche sehr kostspielige Verzögerungen und Fehlschläge bei
Einzelvorhaben zu verzeichnen [Mert09, Mert12].
Delikat ist, dass ein entschiedener Verfechter der Digitalisierung, der damalige Bun-
deswirtschaftsminister Gabriel, auf einem Parteitag „digital“ als SPD-Vorsitzender wie-
dergewählt werden sollte. Da das Abstimmungsverfahren versagte, musste auf analoge
Stimmzettel übergegangen werden [OV15br].
10.1 Öffentliche Verwaltung, Dienste, Politik und Verkehr 121
Der deutsche IT-Planungsrat soll die Zusammenarbeit von Bund und Ländern koordi-
nieren, hatte aber zu wenig Erfolg. Nun soll eine Organisation FITKO (Föderale IT-
Kooperation von Bund und Ländern) für raschere Fortschritte sorgen.
Die Internet-Botschafterin der Bundesregierung, Gesche Joost, äußerte 2014: „Für das
E-Government fehlen schlicht die Ressourcen. Wir sprechen davon ja schon seit vielen
Jahren.“ [Heuz14]
Die Bundesregierung beabsichtigt aber nun bis 2025 Milliardeninvestitionen, die auch
der Digitalisierung zugutekommen; in diesem Fall wäre darauf zu achten, dass ein ange-
messener Teil davon der Beseitigung elementarer Schwachstellen dient, bevor riskante,
wenn auch technisch reizvolle Projekte zum Zuge kommen [OV16bj].
Abgesehen von mehr administrativen, wenn auch nicht trivialen Vorhaben, mangelt es
ebenso an wirklich innovativen Lösungen, die man mit einschneidenden Änderungen von
Geschäftsmodellen in der Privatwirtschaft vergleichen könnte. So würde die technisch
mögliche Integration von Leistungen der Bürger an die Solidarkassen und umgekehrt in
Gestalt Integrierter Bürgerkonten, beispielsweise zu interpretieren als Weiterentwicklung
von Integrierten Gesundheitskonten, helfen, Auswüchse des deutschen Wohlfahrtsstaates
zu beherrschen und „demografiefest“ zu machen [Mert07, Mert16a].
Im Datenschutz ist die Position der Politik und der öffentlichen Verwaltung ambivalent.
Eine Gruppe von Persönlichkeiten, wie z. B. der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart
Baum, der Kolumnist Sascha Lobo oder der damalige Präsident des Europäischen Parla-
ments, Martin Schulz, haben eine „Charta digitaler Grundrechte“ entworfen, die nach
ihren Vorstellungen am Ende eine „Digitalcharta“ für die EU werden soll. Eine Forderung
lautet: „Recht auf eine nicht-personalisierte Nutzung digitaler Angebote.“ Man muss sich
fragen, wie die digitalen Angebote entstehen sollen, wenn die Nutzer weder mit Geld noch
mit ihren Daten zahlen [Böhm16].
In einem Entwurf des Bundeswirtschaftsministeriums für ein neues „Gesetz zur Digi-
talisierung der Energiewende“ heißt es, dass die neuen intelligenten Messsysteme „höchsten
technischen Datenschutzanforderungen“ genügen müssten, denn sie ließen Rückschlüsse
auf die Lebensgewohnheiten der Menschen zu [OV15bh].
126 10 Defizite beim Istzustand der Automation
10.2 Finanzwirtschaft
Die Commerzbank AG verschickte im September 2016 Briefe, in denen sie ihren Kunden
empfahl, sich ein elektronisches Postfach zuzulegen. Die Prozedur wäre sehr einfach. Jedoch
war die Software fehlerhaft, sodass die Eröffnung des Faches nicht gelingen konnte. Kunden
meinten, Fehler zu begehen, nahmen zeitraubende Anläufe, die Lösung zu finden, telefonier-
ten mit dezentralen und zentralen Stellen der Bank, erhielten widersprüchliche Ratschläge
und erfuhren erst nach langem Hin und Her, die Bank habe ein Problem, der Kunde möge
seine Versuche vorerst einstellen. Auf den Gedanken, die Kundschaft per „gelber Post“,
E-Mail oder Anzeigen in der Presse um Verständnis zu bitten oder als Entschädigung für den
Ärger irgendeine Form von „Goodwill“ anzubieten, kam man offenbar nicht oder man erwog
das und verwarf es wieder. (Ein solcher Vorfall ist nicht sehr selten, aber bezeichnend dafür,
wie zur Zeit unausgereifte Lösungen die Bürgerinnen und Bürger behelligen, ohne dass
Institutionen des Verbraucherschutzes eingreifen („Lehrgeldthese“, vgl. auch Kap. 12).)
Bei der Deutsche Bank AG gab es zwischen den einzelnen Abstimmungsrunden auf der
Hauptversammlung 2016 sehr lange Verzögerungen, weil die rechnergestützte Auszäh-
lung der Stimmkarten, also eine vergleichsweise einfache Prozedur, außerordentlich lange
dauerte [OV16aw]. Bemerkenswerte Vorfälle waren in der jüngsten Vergangenheit die
Deutsche-Bank-Panne, in der 13 Mio. Buchungen falsch angezeigt wurden, und ähnliche
Fehler bei der Commerzbank AG und Targobank AG & Co. KGaA [OV16ci, OV16bn].
In den Branchen Banken und Versicherungen fällt vor allem die Divergenz zwischen
dem Stand der Technik beim Dokumentenmanagement und bei der Mensch-Maschine-
128 10 Defizite beim Istzustand der Automation
Kommunikation an der Kundenschnittstelle auf. Aus der Sicht der Kundschaft sind heute
Prozesse oft aufwendiger als früher (vgl. Abschn. 7.2). Ein besonders deutliches Beispiel
ist der Rückschritt, der für den „Normalbürger“ durch die 22-stellige Kontonummer IBAN
auch im Inlands-Zahlungsverkehr eintritt, verbunden mit der teilweisen Abschaffung bzw.
Verteuerung der traditionellen Überweisungsformulare. Hier trifft die Wendung „Mensch
hilft Computer“ besser als die umgekehrte zu [Mert15a, Mert15c]. Die Anweisungen zur
Anmeldung bei Online-Diensten der Kreditinstitute und Versicherungen sind didaktisch oft
noch verbesserungsbedürftig. Die unklaren Darstellungen machen Anrufe bei telefonischen
Beratungsstellen erforderlich, welche wiederum vor allem nach der Einführung oder
Umstellung von Online-Diensten stark frequentiert und somit überlastet sind und den Kun-
den in lange Warteschlangen mit fragwürdigem „Musikgenuss“ führen. Diese Dienste sind
zuweilen ungeschickt organisiert, sodass Geschäftspartner wiederholt gebeten werden,
noch etwas Geduld zu haben, bis sie an die Reihe kämen, nur um irgendwann zu erfahren,
die Organisation sei so stark überlastet, dass die Bedienung vorerst überhaupt nicht möglich
sei und man später wieder anrufen solle. So verwundert es nicht, dass weite Teile der Kund-
schaft trotz Nutzung des Online-Bankings auf den persönlichen Kontakt großen Wert legen
[Welp15, Ziel15]. Umso unangenehmer wird es für die Kunden, wenn ihnen der Weg zum
Helfer in der nächsten Filiale verbaut ist, weil diese im Zuge der „Digitalisierung“ geschlos-
sen wurde. Man könnte mit einem Schuss Sarkasmus derartige MUCS (Mensch-Unter-
stützte Computer-Systeme) als Analogisierung titulieren (vgl. Abschn. 9.2).
Ein weiteres Symptom für die mangelnde Ausreifung von Anwendungssystemen in
Banken sind der „Stotterstart“ von Internetzahlverfahren wie Paydirekt, die PayPal Paroli
bieten sollen (PayPal ist in Deutschland schon rund zehn Jahre aktiv) [AtMo15].
Es muss freilich eingeräumt werden, dass gerade die Institutionen im Finanzsektor
durch makroökonomische Entwicklungen wie die Niedrigstzinsen der Europäischen Zen-
tralbank und wegen der durch den Gesetzgeber verschärften Haftungs- und Dokumentati-
onspflichten sehr bedrängt sind und daher auch unpopuläre Auswege suchen müssen.
Bei informationstechnisch günstigem Verlauf ist eine mittel- und langfristige Entwick-
lung der operativen Dienstleistungen und vor allem der Beratungssysteme nicht ausge-
schlossen, die sich fortschrittlicher Systeme der Mensch-Computer-Kommunikation, der
Expertensystemtechnik und anderer Methoden der Künstlichen Intelligenz bedienen und
zumindest durchschnittlich leistungsfähigen menschlichen Dienstleistern in der Finanz-
wirtschaft äquivalent sind.
10.3 Handel
Vor allem in den großen Filialen von Einzelhandelsketten wurde in jüngerer Zeit das Bera-
tungs- bzw. Bedienungspersonal so reduziert, dass es die Kundschaft beim Einkauf schwer
hat. Hier besteht erheblicher Bedarf an IT-Unterstützung.
Ein zu erwägender bzw. zu erwartender robuster Automationsschritt ist das Kundenter-
minal in großen Handelshäusern, das den Kunden informiert und berät, welche alternativen
10.5 Verlage 129
Artikel zur Deckung eines von ihm artikulierten Bedarfs bzw. zur Erfüllung seines Kauf-
wunsches vorrätig sind, und den Käufer zur entsprechenden Etage und dort zum entspre-
chenden Regal „navigiert“, vielleicht sogar auf einem optimalen „Rundreiseweg“, falls es
sich um ein überdurchschnittlich großes Kaufhaus handelt. Hierdurch würden sich die
Vorteile des stationären Geschäfts denen des Online-Handels nähern.
Noch nicht am Ende der Entwicklung scheint man beim Abbau der oft zeitraubenden
Warteschlangen vor der Kasse zu sein. Die Fortschritte beim Bezahlen zeichnen sich aller-
dings deutlich ab (neuere Bezahldienste, Bezahlen durch Informationsaustausch Mobilte-
lefon ↔ elektronische Kassen u. a.). Die Herausforderung dürfte eher bei sinnvollen
Standardisierungen als bei bahnbrechenden informationstechnischen Innovationen liegen.
Auch ist die Kapitalbindung durch die modernen Kassenterminals hoch.
10.4 Industrie
In vielen Industriebetrieben besteht nach wie vor die Aufgabe, einzelne Anwendungssys-
teme zu integrieren. So hat sich die Heraeus Holding GmbH das Ziel gesteckt, 27 Einzel-
systeme zu einer Gesamtlösung zu verbinden [Gier15c]. Diese Form der Vernetzung spielt
immer dann eine große Rolle, wenn ein zusätzliches Unternehmen in einen Konzern zu
integrieren ist („Post merger integration“). Die Prozedur ist nicht einfach und könnte in
vielen Fertigungsbetrieben Voraussetzung für I4.0 sein; jedoch ist sie kaum I4.0 als sol-
cher zuzuordnen.
Obwohl wir unsere Einschätzung nicht mit belastbaren Statistiken fundieren können,
scheint uns die Zahl von „Kinderkrankheiten“ bei neuen Erzeugnissen, die in wachsender
Komplexität der IT und/oder Einsparungen beim Testen begründet sind, zuzunehmen. Der
Käufer wird in die Rolle des „Beta-Testers“ bzw. des „permanenten Beta-Testers“ gedrängt
[Zies14, NeSt04]. Ein Indiz sind die Aufsehen erregenden und umfangreichen Rückrufak-
tionen in der Automobilbranche, z. B. weil sich Zündschlösser „verselbstständigen“ oder
Airbags ohne Grund auslösen [OV16ak].
In diesem Zusammenhang kann man auch wichtige Beispiele (s. Tab. 10.3) zitieren, wo
sich die Evolution gegenüber der Revolution beim Produkt als Vorteil erwiesen hat und
zudem Warnungen vor Überkomplexität, wie sie jetzt auch bezüglich I4.0 ausgesprochen
werden, richtig waren.
10.5 Verlage
Das Beispiel eines Wissenschaftsverlags (s. unten) steht für Probleme, die resultieren,
wenn bei hohem Automationsgrad und Vernetzung Sondersituationen nicht beherrscht
werden, weil die Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine nicht flexibel genug kon-
zipiert ist.
130 10 Defizite beim Istzustand der Automation
Starre Automation
Der Prozess zur Veröffentlichung eines Aufsatzes in einer Zeitschrift wurde vom Verlag
stark automatisiert. Beteiligt sind Redaktion, Autor, Herausgeber, Fremdsprachenüber-
setzer und die Vorbereitung des Drucks, letztere oft in Indien angesiedelt.
Ein Autor hatte zu einem Sonderheft einen so genannten Zwischenruf von nur
einer Seite beigesteuert. Während eines Auslandsaufenthalts erhielt er laufend auto
matische E-Mails. Im Wesentlichen betrafen sie die Übertragung von Urheberrechten
in Formularform. Wegen der noch nicht ausgereiften Infrastruktur in dem Land, in
dem sich der Autor kurze Zeit aufhielt, bereitete die Öffnung von Anhängen mit den
Folgemaßnahmen technische Schwierigkeiten. Er bat daher, bis zu seiner baldigen
Rückkehr nach Deutschland die Mails nicht laufend zu wiederholen. Die Bitte ließ
sich nicht an den Absender adressieren („do not reply“). Daher schrieb er ihm
bekannte Angestellte des Verlages in Deutschland an, sie möchten bitte die elek-
tronische Post stoppen. Diese sahen sich aber zu ihrem eigenen Bedauern nicht
imstande, in den automatischen Prozess einzugreifen. Am Ende waren rund 20 zum
großen Teil redundante und am Ende vergebliche Schriftwechsel entstanden (persön-
liche Erfahrung des Mitverf. Mertens).
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Nutzenbetrachtungen
11
Zusammenfassung
Die Betrachtungen zu den Nutzeffekten sind gegliedert in solche auf einzelwirtschaft-
licher, gesamtwirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene. Auf wissenschaftliche
Analysen beruhende Einschätzungen der gesamtwirtschaftlichen Vorteile (z. B. das
Produktivitätswachstum betreffend) wirken nüchterner bis pessimistischer als solche
von Verbänden und Beratern. Im Wesentlichen unbestritten sind Vorhersagen, wonach
sich die Beschäftigungschancen Hoch- und Geringqualifizierter in Zukunft stark ausei-
nander entwickeln werden (Polarisierungsthese).
2. Ältere Studien [Anse86] erbrachten, dass die höchsten auf Funktionen bezogenen
Nutzeffekte der betrieblichen Informationsverarbeitung durch bessere Materialwirt-
schaft erreicht wurden, wobei man aber durch ungünstige Wahl von Parametern, wie
etwa Bestellpunkten, Sicherheitsbeständen oder Auf- und Abrundungen, umgekehrt
auch Misserfolge verursachen kann. Eine überbetriebliche Parametereinstellung, wie
in Abschn. 7.1.2 an Beispielen erwähnt, könnte heißen, dass die Funktion von externen
Spezialisten über Fernwirkung übernommen wird und man so näher an das theoreti-
sche Optimum rückt.
3. Vermutungen aus dem Jahr 2015, die verifiziert oder falsifiziert werden müssten, wei-
sen eher auf die bessere Ausnutzung von Ressourcen einschließlich Personalkapazitä-
ten durch mehr Automation hin. Ein leicht verständliches Beispiel sind Systeme, die
über Sensoren in der Straßenoberfläche in Nahe-Echtzeit messen, welche innerstädti-
schen Parkplätze gerade besetzt oder verlassen werden, sodass man suchende Fahrer
dorthin leiten kann, im Idealfall sogar unter Verwendung von Softwareagenten, anderer
Heuristiken oder exakter Optimierungsverfahren [OV15av, Peit15a]. Ein Pilotprojekt
betreiben die Robert Bosch GmbH und die Region Stuttgart [OV15by]. Alle vom Auto-
mobilhersteller BMW AG (nach dem 01.11.2016) hergestellten Fahrzeuge können mit
der Sonderausstattung ConnectedDrive den Service „ParkNow“ nutzen. Dieses erkennt
automatisch freie Parkzonen [Siev17]. Auch Maschinen in Betrieben und Haushalten,
die sich genau dann einschalten, wenn Energiepreise momentan niedrig sind, Buchungs-
plattformen oder Ad-hoc-Auktionen weisen in diese Richtung (Vermeiden von unge-
nutzten Kapazitäten oder Verderb). Ein Beispiel aus der Karosseriefertigung findet sich
in [Prom13, S. 29]. Als das Institut für Demoskopie Allensbach fragte: „Welche Vernet-
zungen können Sie gut gebrauchen?“ nannten 49 % bzw. 42 % der Antwortenden die
Positionen „Intelligente Heizungen“ und „Geräte, die auf billigen Strom warten“. Spe-
ziell die Verhandlungen von Softwareagenten, die die „Interessen“ ihrer Betriebsmittel,
Lagerflächen, Rohstoffe, Halbfabrikate, Baugruppen, Verkehrsmittel und Verkehrs-
wege vertreten, können unter Umständen eine beträchtliche Einsparung von Ressour-
cen im weitesten Sinn ergeben. Die automatischen Dispositionen müssen freilich um
geschickte IT-gestützte Kontrollmaßnahmen ergänzt werden. Diese betreffen die
Ergebnisse automatischer Steuerungen ebenso wie den Abbau nun nicht mehr ausge-
lasteter Kapazitäten [Mert15b]. Eindrucksvolle Einsparungen von Ressourcen (Böden,
Dünger, Wasser) werden in der Agrarwirtschaft durch „smart farming“ erwartet
[OV15be] (vgl. auch Abschn. 7.1.5).
4. Oliver Herkommer und Sebastian Schlund verweisen unter Bezug auf eine Studie des
Fraunhofer-Instituts IAO und der Ingenics AG darauf, dass „eine straffere Supply
Chain und eine besser vernetzte Auftragsabwicklung die am häufigsten erwarteten
Mehrwerte von I4.0 seien“ [HeSc15, S. 13].
5. Bauernhansl schätzt die prozentual höchsten Einsparungen durch I4.0 bei den Komple-
xitätskosten („Erweiterung Leitungsspannen“, „Reduktion trouble shooting“) [BauT14,
S. 31].
138 11 Nutzenbetrachtungen
6. Wenn es gelingt, die vernetzten Assistenzsysteme so zu gestalten, dass die Hilfen für
weniger Befähigte die diesem Personenkreis (vgl. Abschn. 11.2) entstehenden Schwie-
rigkeiten mehr als kompensieren, kann auch der Beitrag für die Gesellschaft hoch sein
[MeBa15, S. 394, 401, Medi15]. Ein überzeugendes Beispiel dafür, wie unterschied-
lich qualifizierte Maschinenbediener unterschiedlich informiert werden, findet sich in
einer Linie eines Werkes des Bosch-Rexroth-Konzerns, auf der 200 verschiedene
Hydraulikventile zusammengebaut werden [OVoJ]. In der KNAPP AG, einem Herstel-
ler von Lagerlogistiksystemen, experimentiert man mit Lösungsanleitungen für Mitar-
beiter in der Produktion, die in multimedialer Form mit Texten, Bildern und Videos auf
die mobilen Endgeräte der Mitarbeiter übermittelt werden [Medi15]. Die Workaround
GmbH plant einen „intelligenten Handschuh“ mit verschiedenen Sensoren. Arbeiter
sollen ohne zusätzliche Geräte Daten aus Maschinen auslesen und Arbeitsschritte
dokumentieren können [WiWo16].
Als Maß für Nutzen und Schaden („negativer Nutzen“) verwenden die Verfasser der in
diesem Abschnitt erwähnten Studien oft die neu geschaffenen und wegfallenden
Arbeitsplätze.
11.3 Schätzungen des gesamtwirtschaftlichen Nutzens 139
Cornelius Baur bezieht sich auf eine Analyse des McKinsey Global Institute, wonach
in Deutschland 62 bis 77 % der Arbeitsstunden von Geringqualifizierten, aber nur 18 %
der von Höchstqualifizierten, automatisiert seien [Baur17b].
Auf staatlicher Ebene mag die Rechnung mit größeren Unsicherheiten behaftet sein als
auf einzelwirtschaftlicher, insbesondere wenn personalsparende Maßnahmen in Unterneh-
men dazu führen, dass zwar mehr Hochqualifizierte gebraucht, gleichzeitig aber sehr viele
weniger qualifizierte Personen arbeitslos werden und mit öffentlichen Mitteln unterstützt
werden müssen (z. B. [Brau16b]). Nach einer Angabe in dem Magazin Der Spiegel hat sich
seit 1989 die Zahl der Arbeitsplätze für Universitätsabsolventen mehr als verdoppelt. Es
gibt aber 7,3 Mio. Arbeitsplätze weniger für Menschen, die nur höchstens einen Highschool-
Abschluss haben [OV16bz]. Auf der Ebene des Staates wird dieses Problem oft unter dem
Stichwort „Polarisierungsthese“ geführt. Dieses Szenario ist in der wissenschaftlichen Lite-
ratur gut untersucht. Die Tendenz geht in Richtung „Wahrscheinlich“ [GoMS14]. Auch
eine in der American Economic Review publizierte Studie von amerikanischen Autoren
kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland Anzeichen für eine Polarisierung vorhanden
sind, die vor allem zu Lasten mittelqualifizierter Arbeitskräfte mit Routine-Tätigkeiten
geht. Es wird dort jedoch auch darauf verwiesen, dass manche Geringqualifizierte immer
noch gebraucht werden bzw. schwer ersetzbar sind [GoMS14]. Tab. 11.3 enthält einige
Aussagen zu summarischen Größen auf volkswirtschaftlicher Ebene. Die OECD hat diese
Polarisierung als eine der Hauptursachen für die zunehmende Einkommensungleichheit in
den meisten Industrieländern identifiziert [Wron17]. Tab. 11.4 enthält einige weitere Aus-
sagen zu Zusammenhängen zwischen Arbeitslosigkeit, Qualifikation und Automation.
Die Zukunft wird zeigen müssen, inwieweit die Inhaber der wegfallenden Arbeits-
plätze – ggf. durch aufwendige Umschulungen – die Kompetenz für die neuen A rbeitsplätze
erwerben können. In Deutschland könnte dieses Thema aber wegen der besonders ungüns-
tigen Altersstruktur, wegen der im internationalen Vergleich niedrigen Lebensarbeitszeit
und wegen des Flüchtlingsstroms besonders virulent werden (vgl. auch [OV15af, Plic15]).
Man kann sich das Problem aber auch drastisch am Beispiel eines Entwicklungslandes
vergegenwärtigen: Wenn ein erheblicher Teil der Menschen arbeitslos ist, fällt der Netto-
nutzeffekt sehr verfeinerter, automatisierter Produktionsmethoden gering aus.
[Knop16g] (vgl. Abschn. 10.2). Man verwendet für das Auseinanderfallen zwischen dem
Ziel der Produktivitätssteigerung durch IT und der Stagnation der Produktivität die Ter-
mini „Produktivitätsparadoxon“ oder „Produktivitätsrätsel“. Einige Autoren, so Robert
Gordon oder Larry Summers, zogen daraus den Schluss, dass die IT in ihrer Reichweite
hinter früheren technischen Revolutionen zurückbleibe bzw. dass die sogenannte Digitale
Revolution bei weitem überschätzt werde [Mari15, Fisc15b, Ciel16, Plic16a, Pete16a,
HeRe16].
Neueren Arbeiten liegt z. T. die Hypothese zugrunde, dass die Erhöhung des Durch-
schnittsalters der Bevölkerung in vielen Staaten (Rückgang der Geburten, Verlängerung
der Lebensdauer) die Produktivität sinken lässt, da ältere Arbeitnehmer weniger leistungs-
fähig als jüngere seien. Diese Produktivitätsverluste würden die Produktivitätsgewinne
durch Automation mehr oder weniger „verzehren“ [IpGR17, Häri17].
Wirtschaftshistorische Vergleiche zeigen z. B., dass beim Einsatz der frühen Elektro-
motoren im industriellen Maßstab viel Lehrgeld gezahlt wurde. Beispielsweise baute man
die Fabriken so, als würden fortwährend große Dampfmaschinen das Zentrum bleiben.
Erst nach 30 Jahren erkannte man, dass der Elektromotor zu einer gewissen Dezentralisie-
rung führen musste. Der Historiker Paul David schätzte, dass es 30 Jahre dauerte, bis sich
die Erfindung der Dampfmaschine und der Elektrizität in einer beschleunigten Produktivi-
tät niederschlug. Es ist denkbar, dass man mit dem neuen Verständnis von Digitalisierung
und I4.0 ein ähnliches Muster der Produktivitätsfunktion über der Zeitachse erleben wird
(vgl. z. B. [Rüru16a, Münc16, Penn16a] oder [Pete16b]). Das könnte auch bedeuten, dass
eine erste Welle zu großen Enttäuschungen führt und erst in einer zweiten Welle die Poten-
ziale gehoben werden (vgl. Kap. 2).
Die umfassendsten Betrachtungen zum gesellschaftlichen Nutzen über die Ökonomie hin-
aus stellen u. W. der in Kap. 3 erwähnte Wissenschaftliche Beirat und Henning Kager-
mann an [Kage14]. Beispielsweise ist Letzterer optimistisch in Bezug auf solche Sujets
wie „eine bessere Work-Life-Balance“, „bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie“,
„kürzere Einweisungs- und Lernzeiten“ der Arbeitnehmer oder „zusätzliche Beschäfti-
gungspotenziale“. Kagermann verkennt allerdings auch die Herausforderungen bzw. Risi-
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Risiken
12
Zusammenfassung
Neben den in Kap. 9 aufgeführten retardierenden Einflussgrößen gibt es Risiken, für
die gegenwärtig Wahrscheinlichkeiten kaum anzugeben sind. Einige Verläufe hängen
von politischen Entscheidungen ab. Beispiele: Welche Parameter wird der Gesetzgeber
für den früheren oder späteren Austritt aus dem Berufsleben setzen? Welche Anreize
und Fehlanreize werden im internationalen „War for Talents“ geboten bzw. nicht
vermieden?
Aus heutiger Sicht sind die Probleme mit der Datensicherheit und mit der Geschwin-
digkeit der Datenübertragung in kritischen Infrastrukturen die größten Risiken für eine
angemessene Entwicklung der Informationstechnik und ihrer Anwendungen.
Über die in Kap. 9 skizzierten retardierenden Faktoren, die den Anstiegswinkel
eines Trends verkleinern können, hinaus, sind auch Risiken ins Auge zu fassen, die die
weitere Automation und speziell I4.0 i. e. S. für lange Zeit unterbrechen würden.
Die Datensicherheit ist für die Entwicklung der vernetzten Betriebsmittel und Institutio-
nen von enormer Bedeutung. Selbst ein hochrangiger Spezialist wie der russische Experte
Jewgenij Kasperski äußerte Anfang 2017: „Ich habe diesen Informationskrieg nicht erwar-
tet.“ [HaBö17] Die deutsche Bundesministerin für Bildung und Forschung gibt in Anleh-
nung an Bitkom einen jährlichen Schaden für die deutsche Wirtschaft von rd. 50 Mrd.
Euro an [Wank15]. Vielfach wird das Sicherheitsproblem als wichtigstes retardierendes
Moment bei der weiteren Automatisierung gesehen [SoLi16]. Der Bitkom fand in seiner
jährlichen Trendumfrage 2016 die „IT-Sicherheit“ als „Thema des Jahres“ [Shah16]. Mit
den Bedenken der Unternehmen stimmen auch die der Bürgerinnen und Bürger überein.
Nach einer Mitteilung des GfK Vereins sorgen sich 70 % der Deutschen um den Schutz
ihrer persönlichen Daten und befürchten in diesem Zusammenhang nicht nur Identitäts-
diebstahl und unerlaubten Eingriff in die Privatsphäre, sondern auch finanzielle Schäden
und gar den Missbrauch der IT zur Planung von Terroranschlägen [GfKV16]. Gemäß
Allianz Risk Barometer rangieren in der Einschätzung von 1.200 Risikoexperten aus 55
Ländern Cyberattacken auf Platz 1, und zwar bemerkenswerterweise noch deutlich vor
Einflüssen wie z. B. Kriege, Terrorismus, Inflation/Deflation [Rick17].
Das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ließ in seinem
Lagebericht 2015 erkennen, dass die Technik nur schwer mit den Sicherheitsanforderun-
gen mithält [Bund15a]. Demnach wird allein das Netz der Bundesregierung täglich im
Durchschnitt 400-mal angegriffen [BSI16a, S. 33]. Das Amt hat auch angegeben, dass
jeden Tag fast 400.000 neue Varianten von Schadprogrammen entdeckt werden [Bünd16a].
Das auf Sicherheit in der IT spezialisierte Kaspersky Lab warnt vor allem vor Sicherheits-
lücken, die großen Unternehmen dann drohen, wenn kleinere Partner in Liefernetzen
unvorsichtig sind [OV15cc]. Bemerkenswert ist, dass selbst in mittelständisch geprägten
landwirtschaftlichen Betrieben die Furcht vor Verletzungen in ihrer Datensicherheit die
Digitalisierung stark hemmt [OV16av]. Plastisch beschreibt Andreas Ring, Geschäftsfüh-
rer der Ring Maschinenbau GmbH, die Problematik: „Wenn vor 10 Jahren, bevor es Indus-
trie 4.0 gab, jemand in der Konstruktion eine Zeichnung mitgenommen hat, dann haben
immer noch 99 weitere Zeichnungen gefehlt, um das komplette Know-how einer neuen
Entwicklung zu verstehen. Wenn aber auf einen Schlag ein ganzer Block an Zeichnungen
weggenommen wird, dann ist es eine sehr kritische Geschichte. Durch die Digitalisierung
passt ein solcher Block von Zeichnungen auf einen USB-Stick und durch die Vernetzung
ist der Zugriff auf solche Daten auch von außerhalb des Unternehmens theoretisch mög-
lich“ [IHK15, S. 37].
In komplexen hochvernetzten Fertigungen ist es nicht einfach, die potenziellen Stör-
fälle und ihre Ausstrahlungen zu antizipieren. Ein solches überraschendes Beispiel skiz-
ziert Jansen: „Manchmal überrascht es, welche Teile einer Fabrik plötzlich zur „kritischen
Infrastruktur“ gehören können. Wie im Falle des Speiseeisherstellers, der niemals damit
gerechnet hat, dass ihm eines Tages der Drucker Probleme bereiten könnte, der die Palet-
ten beschriftet. Doch als durch einen Software-Fehler nicht mehr auf die Paletten gedruckt
werden konnte, welches Eis dort abgepackt ist und zu welchem Abnehmer es geliefert
werden soll, war die gesamte Produktion in Gefahr. Weil es zu teuer gewesen wäre, die
Produktion zu unterbrechen, wurden die Paletten ohne Etikett auf den Parkplatz gestellt,
wo das ganze Eis nach und nach zerschmolz“ [Jans16a].
Charakteristisch sind die in der Tab. 12.1 aufgeführten Einzelaussagen, darunter solche
von namhaften Spezialisten und Institutionen.
Ein besonders bemerkenswerter mehrmonatiger Angriff auf die IT-Systeme des
thyssenkrupp-Konzerns wird damit in Zusammenhang gebracht, dass die Täter nicht
direkt einen finanziellen Ertrag anstreben, sondern eher an Know-how-Transfer interes-
siert sind (abgespeichert z. B. als Technische Dokumentationen oder Entwicklungspro-
jekte). In diesem Konzern wurde frühzeitig ein Computer im Produktionsprozess des
12.1 Datensicherheit und Übertragungsgeschwindigkeit 147
Straßenfahrzeugen mit Blaulicht und Martinshorn, eingeräumt würden. Eine andere Mög-
lichkeit wäre die zukünftige Einrichtung von zwei Netzen, von denen das eine, z. B. unter
der Bezeichnung „Ultraschnelles Netz“, „Industriekunden“ oder Institutionen der Gesund-
heitsversorgung vorbehalten bliebe. Als Vertreter dieser Denkrichtung wird Reinhard Cle-
mens, Vorstandsmitglied der Deutsche Telekom AG, zitiert [OV17bl]. Derartige
Überlegungen werden von Verfechtern der sog. Netzneutralität oft abgelehnt. Würde diese
Ablehnung aus politischen Erwägungen strikt durchgesetzt, so könnten Teile von I4.0 oder
IT-unterstützte schwierige medizinische Eingriffe daran scheitern oder Betriebe in Regio-
nen mit schwächerer Infrastruktur bekämen erhebliche Probleme, sollten sie Knoten in
Wertschöpfungsnetzen bleiben oder werden wollen. Offenbar leiten deutsche Anbieter
daraus die Forderung ab, der Gesetzgeber möge Voraussetzungen schaffen, dass deutsche
Anbieter wie die Deutsche Telekom AG vorhandene nationale DSL-Netze ohne Aus-
schreibungen im internationalen Raum verbessern dürfen ([Bünd16b], vgl. auch [Hauc16]).
Wie Kollmann und Schmidt vorschlagen, könnte eine politische Lösung etwa so aussehen:
Es gilt im Prinzip Netzneutralität. Jedoch werden in bestimmten Situationen Prioritäten
eingeräumt, die freilich andere Netzbenutzer diskriminieren. Diese Ausnahmen für Spezi-
aldienste darf es nur geben, „wenn sie gesellschaftlich relevant sind und dem Gemeinwohl
dienen“ [KoSc16, S. 127].
Unterschiedliche Prioritäten könnten durch programmierbare Vorschriften zum Daten-
verkehr in den Routern vergeben werden („Differentiated Services“, Reservierungen,
Dienstgüte-Garantien, Schaltung fester Wege (oft mit „Multi-Protocol-Label-Switching“),
Virtuelle Netze („Software Defined Networking“)). Diese Methoden sind zum Teil heute
schon verfügbar, zum Teil werden sie in der Informatik und in der Nachrichtentechnik
untersucht und weiterentwickelt.
Andererseits könnte der Ausbau der Kapazitäten in einem solchen Ausmaß, dass
sowohl die aus gesamtwirtschaftlichen bzw. technischen Bedingungen (Industrie, Verkehr,
Medizin) resultierenden Anforderungen erfüllt werden, als auch Spielereien und Freizeit-
vergnügen (z. B. Gedankenaustausch, Klatsch in Facebook, „Gaming“ unter Verwendung
dreidimensionaler Bilder, welches besonders große Übertragungskapazitäten erfordert)
als von der Allgemeinheit zu finanzierender Grundbedarf deklariert werden. Dies wäre
gesellschaftspolitisch zu hinterfragen.
Die rasant wachsende Zahl der angreifbaren Geräte erhöht auch das Risiko, dass an
vielen Stellen des täglichen Lebens sogenannte DDoS (Distributed-Denial-of-Service)-At-
tacken eine außerordentliche Breitenwirkung entfalten und damit auch ein entsprechendes
Erpressungspotenzial darstellen.
Summa summarum führen die wachsenden Angriffe auf Netze dazu, dass der optimale
Vernetzungsgrad noch kleiner als der maximale wird. Hierzu stehen bisher schwierige
Untersuchungen aus. Vielleicht können Erkenntnisse aus der beträchtlich ausgebauten
Theorie der Energieversorgungs-Sicherheit übernommen werden.
Assekuranzunternehmen sind dabei, neue Versicherungsprodukte zum Schutz vor
Cyberkriminalität zu entwickeln [ThBS17]. Es wird ein erhebliches Wachstum dieses
Geschäftszweigs prognostiziert [Peit17].
152 12 Risiken
12.2 Fachkräftemangel
Der Fachkräftemangel folgt zum Teil zwangsläufig aus der überalterten deutschen Gesell-
schaft. (Diese Bezeichnung gilt auch gemäß UN-Definition, da in Deutschland jeder fünfte
Bürger älter als 65 Jahre ist.) Die künftige Situation bei den IT-Fachkräften gilt vielfach
als angespannt, nicht zuletzt im Mittelstand und in der Staatsverwaltung einschließlich
Bundeswehr (s. Tab. 12.2).
Viel wird davon abhängen, inwieweit sich bei diesem Personenkreis deutsche Unterneh-
men hinsichtlich Attraktivität für hoch spezialisierte Zuwanderer gegenüber Konkurrenz-
ländern wie insbesondere China, Großbritannien, Japan und USA behaupten können.
Prognosen hierzu sind von vornherein besonders unsicher. Im Lauf der vergangenen Jahre
wechselten die Vorhersagen zu Überfluss und zu Mangel bei Informatikern und Ingenieu-
ren wiederholt, was dann die Wahl der Studienrichtung so beeinflusste, dass eine gewisse
Normalisierung eintrat. (In der Volkswirtschaftslehre werden solche Prozesse unter Zuhil-
fenahme des Cobweb-Theorems untersucht; umgangssprachlich benutzt man auch den
Ausdruck „Schweinezyklus“.) Welcher Prozentsatz der Flüchtlinge und anderer Zuwande-
rer, z. B. Akademiker aus Spanien, dauerhaft das Fachkräfteangebot erhöhen wird, ist eben-
falls strittig, denn er hängt auch von der Neigung zur Rückkehr in die Heimat und vom
Erlernen der deutschen Sprache ab. Es mag aber auch sein, dass das Problem des Fachkräf-
temangels durch Informationsverarbeitung selbst gelindert wird. Ein Weg führt über Echt-
zeit-Instruktionen: IT-Systeme antizipieren, dass ein Mitarbeiter ein Problem bekommen
könnte, und liefern sofort Wissen an den Arbeitsplatz, das der Betreffende noch nicht
besitzt [Mert15d]. In eine ähnliche Richtung geht die Festo-Gruppe: Häufen sich in auffäl-
liger Weise Qualitätsprobleme, die auf Wissenslücken des Personals zurückzuführen sind,
so können sich Festo-Arbeiter während des Betriebs kurze Zeit abmelden, um in speziellen
Schulungshallen zusätzliches Wissen zu erwerben [Woch16a] (vgl. Abschn. 11.2).
Ein generelles Risiko ist das komplizierte Zusammenspiel von Technik, Betriebswirtschaft,
Recht (z. B. Datenschutz, Haftung für Fehler und Unfälle, Exportverbote), Föderalismus,
Bürokratie des Wohlfahrtsstaates, deutscher Politik und EU. Deutlich wird das z. B. an den
Ambivalenzen „Datenschutz ↔ „Big Data“ ↔ Kriminalitätsbekämpfung ↔ Flüchtlingspo-
litik oder Beschäftigung wenig Qualifizierter ↔ Automation ↔ Mindestlohn“.
Schon die Ziele mögen in den Fachdisziplinen nicht kompatibel sein. So geht der Inge-
nieur Dieter Spath von dem von ihm bezeichneten „Magischen Dreieck“ „Kosten – Qua-
lität – Zeit“ aus [Spat13, S. 20, 90], während der Betriebswirt im Auge hat, dass oft
Zeitgewinne mit zu großen Opfern bei der Rentabilität erkauft werden. Für viele
Ingenieure, die sich zu I4.0 äußern, endet der Produktlebenszyklus, „wenn das Produkt
das Haus verlassen hat“ [Spat13, Abschn. 9.4], während er für den Betriebswirt so lange
dauert, bis das letzte Erzeugnis aus der Wartung genommen wird.
Viele Autoren und Beobachter sehen, dass die Trennung zwischen Arbeits- und Freizeit
unschärfer wird, weil während der Arbeitszeit privat im Internet recherchiert und kommu-
niziert wird und umgekehrt der Arbeitnehmer während seiner Freizeit u. U. permanent von
154 12 Risiken
seinen Vorgesetzten angeschrieben werden kann. Hinzu könnte ein Zuwachs der virtuellen
Unternehmen und der „Solounternehmen“ kommen.
Teile der Bundesregierung und der Gewerkschaften diagnostizieren hier Handlungsbe-
darf (z. B. „Grünbuch zur Arbeit 4.0“ der Bundesarbeitsministerin). Die Arbeitgeberseite
hingegen befürchtet planwirtschaftliche Eingriffe des Gesetzgebers, etwa was erweiterte
Mitbestimmungsrechte der Betriebs- und Personalräte oder veränderte Rechtspositionen
hinsichtlich Werkverträgen angeht, und plädiert in Richtung von Betriebsvereinbarungen
oder Tarifverträgen [Spec15]. Es ist nicht auszuschließen, dass diese fundamentalen
Gegensätze zu langen Arbeitskämpfen führen, die die internationale Wettbewerbsposition
Deutschlands schwächen.
Die gegenwärtige Diskussion um Digitalisierung und I4.0 ist stark durch Umfragen
geprägt, die vor allem große Unternehmensberatungen unter ihren Kunden veranstalten.
Es handelt sich dabei um eine Art Meinungsforschung, in der eher Einschätzungen als
auf Beobachtungen oder Messungen beruhende Erfahrungen abgefragt werden. Es lassen
sich allerdings Fortschritte in Form verfeinerter Bestandserhebungen feststellen, wobei
eine Reihe von Indikatoren verknüpft werden [Mert16b]. McKinsey & Company hat die
Geschäftsberichte von Konzernen ausgewertet, um über Investitionen in die KI vorherzu-
sagen, wie sich hier Technologie und Technik entwickeln werden [OV17ay]. Auch fun-
dierte Vergleiche mit bisherigen Geschehnissen und Experimenten sind selten. So würde
es sich anbieten, die durchaus differenzierten Erkenntnisse mit dem Großexperiment
„Halle 54“ der Volkswagen AG (vgl. Kap. 3) oder die Ursachen und Folgen der soge-
nannten Dotcom-Blase auszuwerten. Soweit derartige Vergleiche mit praktischem
Geschehen nicht möglich sind, drängen sich Experimente in wissenschaftlichen Labors
auf. Hierzu müssen Versuchsfabriken oder realitätsnahe große Simulationsexperimente
durchgeführt werden. Fortschritte sind uns aus den Universitäten Aachen, Darmstadt,
Karlsruhe und Potsdam bekannt. Nach dem Aufbau der Technik, mit der die Realisierbar-
keit demonstriert wird, wären aber auch Investitionsrechnungen, Investitionskontrollen,
Prozesskostenrechnungen, Lebenszyklusrechnungen [CoFG16] und Kalkulatorische Ver
fahrensvergleiche, also betriebswirtschaftliche Beurteilungen, erforderlich.
So wird in der Studie „Industry 4.0 after the initial hype“ [McKi16, S. 12, 13] bemän-
gelt, es fehle in den Unternehmen an „a clear business case … that justifies investments in
data and systems architecture“.
In Anbetracht der beträchtlichen Risiken innovativer IT-Projekte sind Versuche wün-
schenswert, Rentabilitätsrechnungen zu entwickeln, in denen die möglichen Verluste und
zusätzlichen Kapitalbedarfe, aber auch nicht unbedingt zu erwartende Nutzeffekte quanti-
fiziert werden. Es bietet sich an, Kennzahlen, die in der Finanzwirtschaft entwickelt wur-
den, sog. Risk-Adjusted-Performance-Measurement-Kennzahlen, auf IT-Projekte zu
übertragen.
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Stichwortverzeichnis
Eingangspost 78 Ethikkommission 99
Eingebettete Systeme 3, 39, 41, 73, 85, 89 Etymologie 26
Einkommensungleichheit 139 EU-Agrarsubventionen 71
Einparkhilfe 100 EU-Digitalisierungsstrategie 19
Einreise- und Ausreiseregister 124 EU-Kommission 15, 109, 110, 120
Einweisungs- und Lernzeit 141 Euphoriephase 64
Elefantenhochzeit 99 Europäisches Parlament 125
Elektroantrieb 105 Europäische Zentralbank 128
Elektromobilität 19 European Media Partner 55
Elektromotor 141 European School of Management and
Elektronen 109 Technology 150
Elektronische Gesundheitskarte (eGK) 121 Evolution 11, 18, 64, 100, 102, 129
Elektronische Kasse 110, 129 Evolutionärer Pfad 64
Elektronische Rechnung 103 Evolutionärer Prozess 64
Elektronischer Personalausweis 122 Evolutionäres Rechnen 11
Elektronisches Kassensystem 110 Evolutionary Computation 11
Elektronisches Postfach 78, 127 Ewiger Bedenkenträger 15
Elektrotechnik 136, 150 Expertensysteme (XPS) 2, 6, 8, 44
Elementarteilchen 109 Expertensystemtechnik 128
ELENA 122 Exportchance 92
E-Mail-Konto 79
Embargo 73
Embedded Systems 46, 87 F
Emotionsverarbeitung 38 Fab Five Technologies 48
Empfehlungssystem 34, 38 Fachkräftemangel 100, 136, 141, 152, 153
Endmontage 7, 103 Fachpolitiker 126
Endrohrmessung 110 Fähigkeit
Energiepolitik 18 kognitive 78
Energieversorgungs-Sicherheit 151 selbstlernende 78
Enterprise-Content-Management 78 Fälligkeitsanzeige 77
Enterprise Resource Planning (ERP) 41 Fahrerassistenzsystem 100
Entscheidungs-Unterstützungs-System Fahrerloses Auto 101, 106
(EUS) 98 Fahrzeugbau 150
Entwicklungshilfe 18 Familien-Unternehmen 94
Entwicklungsland 119, 130, 139 Fast Experimentation 91
Epigenetik 39 Fehlanreize 145
E-Postfach 122 Fehlerhaftes Datenwerk 123
Erfahrungsgedächtnis 39 Fehlermeldung 98
Ergonomie 7 Fehlertoleranz 88
Erklärungskomponente 8 Fehler- und Lernkultur 88
Ernährungswissenschaften 1 Fehlervermeidungskultur 91
Ernte 76 Fehlinvestition 101
ERP 109 Feldstärke 36, 39
Erpressungspotenzial 151 Fernsteuerung 74
Erpressungssoftware 148 Fertigung 104
ERP-System 26 Fertigungssteuerung 67, 71, 75
Erstattungsantrag 78 Fertigungstechnik 24, 49
Erstaufnahmeeinrichtung 124 Fertigungstechnik und -automation 23
E-Tanksäule 125 Fertigungsunternehmen 147
Stichwortverzeichnis 163
Fertigungsvorschriften 71 Gesundheitswesen 17
Filialnetz 77 Getriebeschaltprogramm 110
Finance Robotics 103 Global Champion 101
Finanzkrise 149 Globaler Strukturbruch 96
Finanzrecht 109 GO-Spieler 8
Fingerbewegung 37 GPS-Sender 105
Fingerring 106 Greifwerkzeug 36
Fintech 79, 88 Grenzkosten 140
Fintechisieren 26 Grenzsicherung 18
Fitnessrechner 105 Griechenland 111
Flashspeicher 36 Großbritannien 153
Fließband- bzw. Montage-Optimierung 74 Große Koalition 127
Flüchtlingspolitik 15, 153 Grünbuch zur Arbeit 4.0, 154
Fluid Boundaries 37 Gründungsinitiative 3.0 96
Föderale IT-Kooperation von Bund und Gründungssubvention 79
Ländern (FITKO) 125 Grüne Welle 123
Föderales Integriertes Standardisiertes Gruppenabfrage 126
Computer-Unterstütztes Steuersystem Güternetz oder -kette 72
(FISCUS) 122 GuV-Rechnung 98
Föderalismus 120, 153
Förderprogramm 24
Fraktale Fabrik 65 H
Freizeit 151, 153 Hackathon 89
Fremdsprachenübersetzung 26 Hacker 100, 147, 149
Fruchtfolge 76 Hackerangriff 147, 152
Haftungsrecht 108
Haftungs- und Dokumentationspflicht 128
G Halbzeugfertigung 23
Gadget 56 Halle 54 6, 23, 24, 72, 154
Game Changer 26 HANA 98
Gaming 151 Handelsplattform 26
Ganzkörperanzug 37 Harnstoffeinspritzung 110
Ganzkörpergeste 37 Harnstoff-Tank 110
Gartner Hype Cycle 2–4, 6, 65 Hartes Kernkapital 125
Gartner-Hype-Cycle-Methode 64 Hauptspeicher 4
Gefährder 124 Headset 68
Geheimdienst 100, 102 Highschool-Abschluss 139
Gehirn-Gesichtsausdruck-Emotion 39 High-Tech-Strategie 55
Gemütsausdruck 38 Hirn-Computer-Schnittstelle 37
General Problem Solver 8 Hirnphysiologie 39
Gentechnische Analyse 97 Hirnstrom 37, 39
Geofencing 140 Histon-Protein 39
Geoposition 76 Hochautomatisierte Fahrerfunktion 101
Geringqualifizierter 135, 139, 140 Hochautomatisierte Fahrfunktion 136
Geschäftsbericht 154 Hochautomatisiertes Fahren 101
Geschäftsgeheimnis 152 Hochfrequenzentscheidung 98
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 109 Hochqualifizierter 135, 139, 152
Gesetz zur Digitalisierung der Hochregallager 25
Energiewende 125 Hochsicherheitstrakt 102
164 Stichwortverzeichnis
Orchestrierungsarchitektur 26 Preispolitik 98
Organisationsversagen 124 Preventive Maintenance 68
OR-Lehrstuhl 1 Produktbeschreibung 98
Output Management 78 Produkthaftung 108
Produktioner 23
Produktionslenkung 5
P Produktionssteuerung 103
Paketdienst 25 Produktivitätsfortschritt 77, 135
Paradigmenwechsel 33 Produktivitätsfunktion 141
Parallelisierung der Planungs- und Produktivitätsgewinn 79, 141
Testphasen 89 Produktivitätsmessung 140
Parametereinstellung Produktivitätsparadoxon 141
überbetriebliche 137 Produktivitätsrätsel 141
Parameterregulierung 70, 74 Produktivitätsstatistik 79
ParkNow 137 Produktivitätssteigerung 79, 141
Partnership on Artificial Intelligence to Benefit Produktivitätsverlust 141
People and Society 9 Produktivitätswachstum 135, 140
Patching 87, 150 Produktkonfigurator 103
Peak of Inflated Expectations 6 Produktlebensdauer 91
Perfektionsgrad 90 Produktlebenszyklus 46, 88, 89, 97, 153
Periodenabgrenzungsentscheidung 98 Produktlebenszyklusmanagement 2
Perpetuum mobile 11 Produktpolitik 89, 97
Personalengpass 123 Produktreife 91
Personal Finance Management 79 Projektabwicklungsmethode 90
Personalfluktuation 124 Projektkontrolle 123
Personalisierung 123 Prosodie 37
Personalkapazität 137 Prothese 39
Personalproduktivität 77 Prototyp 95
Phantasiebewertung 64 Prozess-Daten-Beschleuniger (P23R) 122
Pharmazeutik 1 Prozesskostenrechnung 154
Phonetik 37 Prozessorientierung 65
Physikalisch-Technische Bundesanstalt 110 Prozesssteuerung 42, 104
Pickerin 25 Prozessverbesserung 42
Plagiat 102 Prüfgerät 92
Plantafel 103 Prüfungsunternehmen 95
Plateau of Productivity 7 Psychobiologie 39
Plattform Industrie 4.0, 16, 46, 107–109 Pünktlichkeit 123
Platzbuchungssoftware 78 Punktprognose 63
PLM 109
40-plus-Generation 19
Polarisierungsthese 135, 139 Q
Polaroid 6, 83 QR-Code 104
Political Data Science 10 Qualitätsführerschaft 92
Politikbetrieb 127 Qualitätsorientierte Einwanderung 136
Post merger integration 129 Quantenchemie 36
Präsenz- und Online-Kurse 5 Quantencomputer 36
Praktikantenplatz 85 Quantenphotonik 36
Predictive-Analytics-Spezialist 103 Quantenphysik 36
Preisdegression 42 Quantensimulation 36
Stichwortverzeichnis 169
Supercomputer 10 Trendforschung 95
Superintelligenz 11 Trendlinie 136
Supernova-Effekt 7 Trendumfrage 145
Superrechner 34 Trial and Error 148
Supply Chain 72, 137 Triebwerk 69
Supply Chain Management 2, 70 Trittbrettfahren 24
Synchronisieren 103 Trommelspeicher 4
System Dynamics 39, 49 Trouble Shooting 137
System Off Button 100 Trough of Disillusionment 7
T U
Tablet 105 Überkomplexität 129
Taktgebundene Arbeitsplätze 135 Überlaufsystem 105
Tal der Enttäuschungen 7, 65 Überlebensfähigkeit 7
Talentreserve 126 Überrasch-mich-Modus 76
Targeting 101 Ultraschnelles Netz 151
Tarifvertrag 154 Umrüstfolge 70
Tax Rulings 126 Umweltbelastung 78, 123
Tay-Projekt 11 Umweltfreundlichkeit 89
Tech-Beben 64 Umweltschutz 69
Technische Dokumentation 146 Umweltverschmutzung 97
Technischer Überwachungsverein 69 Unfallfrei-Rabatt 84
Technologiesprung 83 Unperfektes 91
Technologietransfer 102 Unternehmensberater 5, 6, 16, 37, 40, 77, 94,
Technologie- und Wirtschaftspolitik 102 96, 136, 154
Teile- und Komponentenfertigung 23 Unternehmensgründung 7, 127
Telematik-Infrastruktur 121 Update 88, 111, 150
Telematik-Tarif 100 Updatefähigkeit 87
Telematikzuschlag 121 Update-Falle 89
Telemetrische EKG-Daten 147 Urheberrecht 130
Teleservice 74 Urheberrechtsgesetz 109
Terminnot 71 Urheber- und Lizenzrecht 108
Terrorabwehr 18 USA 153
Terroranschlag 146 USB-Stick 146
Terrorismus 18, 146 Utopie 92
Terrorist 124, 148
Terrorvorbeugung 124
Testautomat 88 V
Teststrecke 100 VDI/VDE-Gesellschaft für Mess- und
Textilwirtschaft 8 Automatisierungstechnik 109
Thinktank 11 Vendor Managed Inventory 24
Third Place 99 Verbotene Sendeanlage 148
Total Cost of Ownership 97 Verbrecher 94
Transferstraße 72 Verdachtsgenerator 126
Transportmittel Vereinbarkeit von Beruf und Familie 141
innerbetriebliches 24, 46 Verhandlungsprozess
Transportstrom 104 automatisch 108
Trend 1, 4, 64, 95, 100, 145 teilautomatisch 108
172 Stichwortverzeichnis
Z Zero-Day-Exploits 150
Zahlungsverkehr 79 Zielkostenrechnung 23
Zaubertrank 69 Zufallszahlengenerator 99
Zeitdiagnostik 95 Zukunftstechnologie 64
Zentrale Studienplatzvergabe 124 Zweidimensionales Verschnittproblem 49