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G E O G R A P H I E · G E S C H I C H T E · W I R T S C H A FT · P O LI T I K
WBG-LÄNDERKUNDEN
R I TA S C H N E I D E R - S L I WA ( H R S G . ) I hre Lage, ihre Geschichte und ihre
SCHWEIZ
Rita Schneider-Sliwa, geb. 1953,
studierte Geographie, Anglistik und politische Gegenwart als föderalis-
Geologie an der TH-Aachen sowie Geo- tischer, mehrsprachiger Staat machen
Schweiz
graphie, Volkswirtschaftslehre, Agrar- die Schweiz zu einem wichtigen Teil
ökonomie und Soziologie an der Ohio Europas, gleichzeitig stellt sie aber auch
State University in Columbus, USA. einen „Sonderfall“ dar. In dieser Länder-
Nach ihrer Promotion und einer Assis- kunde erläutern die Autoren um Rita
tenzprofessur in den USA folgte die Schneider-Sliwa alle wichtigen Themen-
Habilitation an der Freien Universität feldern aus Gesellschaft, Geschichte,
S C H N E I D E R - S L I WA
Berlin. Heute ist Rita Schneider-Sliwa Politik und Geographie der Schweiz.
Professorin für Geographie an der Uni-
versität Basel, Schweiz, wo sie dem
Geographischen Institut (Abteilung für
Humangeographie/Stadt- und Regio-
Die vorliegende Länderkunde bietet den aktuell umfassendsten Überblick über die geo-
nalforschung) vorsteht. Bei der WBG
graphischen, ökonomischen, historischen und politischen Aspekte der Schweiz. Rita
bereits erschienen: ›Länderkunde USA‹
Schneider-Sliwa folgt dabei mit ihrem Expertenteam einem interdisziplinären Ansatz und
(2005).
geht neben einer Darstellung der naturräumlichen Grundlagen, der Geschichte und des
politischen Systems auch Fragen zur kulturellen Vielfalt und der komplexen Sprachland-
schaft nach. Darüber hinaus werden verschiedene Entwicklungsprozesse erläutert, die das
aktuelle Gesicht der Schweiz stark prägen: Neben der Tertiärisierung und dem Struktur-
wandel im ländlichen Raum gehen Schneider-Sliwa und ihre Autoren auch auf neue Raum-
planungskonzepte, auf den Umgang mit dem Klimawandel und anderen Naturgefahren
sowie auf die Bedeutung des Tourismus ein. Schließlich wird die Schweiz durch eine Dar-
stellung ihrer politischen und wirtschaftlichen Position innerhalb Europas und in der Welt
in einen größeren Bezugsrahmen gesetzt.
L Ä N D E R U N D R E G I O N E N D E R E R D E Z E I TG E M Ä S S P R Ä S E N T I E R T
u Umfassende Informationen zu Geographie, Geschichte, Wirtschaft und Politik
u Systematische Gliederung, einprägsame Zusammenfassungen
Umschlagabbildungen: u Modernes farbiges Layout mit vielen Fotos, Karten, Abbildungen und Tabellen
vorn: Matterhorn, u Literaturhinweise, ausführliche Sach- und Ortsregister
hinten links: Bern, u Attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis
Fotos: Schweizer Luftwaffe;
hinten rechts: Rhätische Bahn,
Foto: Peter Donasch www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-22439-5
Umschlaggestaltung:
Peter Lohse, Heppenheim
Rita Schneider-Sliwa (Hrsg.)
Schweiz
Einwohner Eisenbahn Gletscher
II über 1 000 000 Fernverkehrsstrecke über 3 000
500 000 - 1 000 000 sonstige wichtige Verbindung 1 500 - 3 000
•
•
1 00 000 - 500 000 ----J-+-- Tunnel 1 000 - 1 500
0 20 000 - 100 000 � Autobahn 750 - 1 000
500 - 750
unter 20 000 Fernstraße
200 - 500
geschlossene Besiedlung @ internationaler Flughafen
100 - 200
Einzelzeichen 0 - 100
=:>-- Fluss 6 Schloss, Burg 3210 Berghöhe
Kanal 6 Kirche, Kloster spnst{ge
541
c::::J See )( Pass Höheriangabe
Stausee,
Verwaltung Staumauer
Staatsgrenze Maßstab 1 : 1 000 000
Bern Hauptstadt ----•10=====2„0___30 km
Inhaltsverzeichnis
Die Schweiz-,,Sonderfall" oder „Modellfall"? ■ Rita Schneider-Sliwa (Hrsg.) . . . . . IX
Die Schweiz- Lebensnerv Europas......................................... . ... IX
Grundidee und Konzept .................................................... X
Verwendete Daten ..................................... . ............ . ... . . XI
Danksagung ........................................................ . . • . XI
Wirtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
Der Weg der Schweiz zum Werkplatz, Finanzplatz, Denkplatz und zurück Paul Messerli .. . .. ■ 43
Wirtschaftsräume und Wirtschaftsentwicklung ■ Urs Müller, Tina Haisch ............ . . . .. 49
Tourismus ■ Thomas Sehader, Christian Hunziker ............................ . . .. . 55
Wirtschaftssystem der Schweiz ■ Rene L. Frey ............................. . . . . . . 61
■
Steuersystem, Steuerpolitik und Standortförderung Rene L. Frey ... . ........... . . . . . . 64
Exkurs: Steuerparadiese ............................................ . . . .. . 66
Exkurs: Eigenmietwert in der Schweiz. ...................... . ........... • . . .. . 67
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204
Abbildungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
Ortsregister........................................................... 211
Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
IX
,,Die Schweiz- ein kleines Europa. Mit dessen Aus sourcen war sie in wirtschaftlicher Hinsicht von jeher
schluss." (Heinrich Wiesner 2010) in der Pflicht, das Beste zu leisten, Exzellenz zu er
halten, Lebensqualität zu bieten, Wissen zu generie
Als föderalistischer, mehrsprachiger Staat im Herzen ren, hoch innovativ den jeweils erreichten ökonomi
Europas garantiert die Direktdemokratie der Schweiz schen Vorsprung zu sichern und auf dem Weltmarkt
ihren Bürgerinnen und Bürgern eine starke Teilhabe zu bestehen. Neue Herausforderungen wie die Har
an politischen Prozessen. Dies ist Kulturelement und monisierung des universitären Bildungswesens zur
Überlebensnotwendigkeit, war doch die Schweiz von Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit trug die Schweiz
jeher sprachlich-kulturell, konfessionell und geo als Vorreiterin in Europa mit. Das Bankgeheimnis -
graphisch fragmentiert und hat sich erst durch Ge einen wichtigen wirtschaftlichen Stützpfeiler des
schichtsmythen, Solidarität, Bereitschaft zur I nno steuergeschützten Finanzplatzes - gibt die Schweiz in
vation bei gleichzeitiger Bewahrung erhaltenswerter begründeten Verdachtsfällen auf, und sie verhandelte
Substanz ihre nationale Identität geschaffen. Ihre zahlreiche Doppelbesteuerungsabkommen neu. Über
Einheit als Staatenbund erkämpfte sie sich über regulierung und Einschränkung von Entfaltungsmög
Jahrhunderte, den Bundesstaat der Schweizerischen lichkeiten, die mit der EU-Mitgliedschaft in Zusam
Eidgenossenschaft ab 1848 erarbeitete sie sich menhang gebracht und als unvereinbar mit dem eige
durch Verhandlungen und Kompromisse teuer. Als nen Demokratieverständnis gelten, werden jedoch mit
Bundesstaat setzte die Schweiz demokratische Me Vorsicht betrachtet. Mit dem bilateralen Weg verfolgt
chanismen ein, die das Volk - nicht die Regierung die Schweiz eine pragmatische lnteressenspolitik in
zum Souverän machen. Bindungskraft gaben dieser Europa, die innenpolitisch mitgetragen wird (Credit
vielfach fragmentierten multikulturellen Gesellschaft Suisse: Interview mit Urs Bucher vom 12.12.2005).
ihre direktdemokratischen Institutionen, darunter In vielerlei Hinsicht kultiviert die Schweiz ihren Sta
auch die Volksabstimmung, in der die Stimme des tus und Mythos als Sonderfall in Europa, sieht sich
Einzelnen zählt. Auf das mit der EU-Mitgliedschaft aber gleichzeitig als Modell für das vereinte Europa.
verbundene Stimmrecht in europäischen Institutio Dem „Sonderfall Schweiz", v. a. aber der Frage,
nen verzichtet die Schweiz jedoch, auch wenn die was das tatsächlich Besondere an der Schweiz ist,
EU wichtigste Handelspartnerin der Schweiz ist. muss innerhalb und außerhalb der Schweiz entspre
Wirtschaftlich gesehen ist die Schweiz ein Export chend Aufmerksamkeit gewidmet werden. Es ist Auf
land, dessen weltweite wirtschaftliche Vernetzungen gabe einer Länderkunde, verschiedene Perspektiven
immer schon einen Teil ihres Erfolgs darstellten. In aufzuzeigen, Wissen zu vermitteln und dem Leser
Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und patentierfähi die Möglichkeit zu bieten, selbst Aneignungserfah
ger Wissensproduktion besitzt die Schweiz Weltklas rung zu diesem Nicht-EU-Land im Herzen Europas
seniveau, denn als kleines Land ohne natürliche Res- zu machen.
gehörten schon im 17. Jh. der Export von Söldnerhee erpolitik, der globalen Sicherheitspolitik und nicht
ren nach Europa und die Entsendung der Schweizer zuletzt des humanitären Engagements und der inter
Garde in den Vatikan. Innovativ war auch die Erfin nationalen Verhandlungsführung besetzen konnte. Es
dung des Steuerparadieses im Kanton Zug mit der versteht sich, dass diese Innovationskraft auch stets
wirtschaftsfreundlichen Steuergesetzgebung von im Geist der protestantischen Ethik gewinnbringend
1947, um dem europäischen Wiederaufbau im Nach genutzt wurde und dem Wohlergehen des Gemeinwe
kriegseuropa ausreichend Möglichkeiten zu bieten, sens wesentliche Impulse verlieh.
Unternehmen neu zu gründen und diese unbehindert Geht man mit Lefebvre (1974) von einer sozia
von einer hohen Steuerlast prosperieren zu lassen. len Produktion des Raums aus, so lassen sich die
Auch im Bereich des Ingenieurwesens ist die Schweiz Schweiz, ihre Räume, Regionen und Stadtlandschaf
ein weltweiter Markenführer, v. a. im Bereich des ten besonders gut als Produkte gesellschaftlicher
Tunnelbaus und der Maschinen für den Tunnelbau, Geschichte und verschiedener Normen der Politik
der Seilbahnen und Standseilbahnen. Die Schweiz verstehen, die in Vergangenheit und Gegenwart be
war dazu ,gezwungen', sich dieses Wissen und diese trieben wurde. Soziale Beziehungen, Kultur und eine
Disziplinen anzueignen, da sie die für den Verkehr politische Kultur, die auch die Wirtschafts- und So
schwierige Topographie überwinden wollte. Das ist ihr zialpolitik im weiteren Sinne einschließt, geben der
gelungen, und sie hat eines der dichtesten öffentli heutigen Schweiz ihr Gesicht. Zum Verständnis der
chen Verkehrssysteme der Welt, das zudem tief in die Schweiz gehört daher einerseits die Kenntnis der
Alpen hinein und durch die Alpen hindurchgeht. geschichtlichen Entwicklung der Gesellschaft und
Die Schweiz als Land mit gewissen naturräumli ihrer politisch-kulturellen Grundlagen, die wie öko
chen Beschränkungen hinsichtlich der wirtschaft nomische oder soziodemographische Determinanten
lichen Nutzung verfügt trotz der relativen Armut an den Raum mitprägen, andererseits jedoch auch Pro
natürlichen Ressourcen über einen der höchsten blemfelder von Politik und Gesellschaft, die im In
Lebensstandards der Welt. .,Wo rauer Boden Ernte und Ausland diskutiert werden. Die Verflechtungen
versagt, sind die Früchte des Geistes gefragt" - diese der Schweiz mit Europa und der Welt hinsichtlich
Zeile aus einem amerikanischen Gedicht von John der politischen wie auch wirtschaftlichen Interessen
Greenleaf Whittier in „Our State" (,,what the rugged sind ebenfalls Teil einer vertieften Betrachtung der
soil denies, the harvest of the mind supplies") trifft Schweiz. Daher wurde diese Länderkunde nicht im
in hohem Masse auf die Schweiz zu: Ihrer Innova Sinne einer lnventarisierung konzipiert, sondern ei
tionskraft verdankt sie es, dass sie immer wieder ner auf Verstehen ausgerichteten Analyse des Raums
Nischen der Produktion, der Wirtschafts- und Steu- und des Landes.
Verwendete Daten
In der Schweiz wurde 2010 die klassische Zensus Omnibus-Erhebungen: Informationen zur weiteren
Vollerhebung durch die sogenannte Neue Volkszäh raschen Beantwortung von aktuellen politischen oder
lung abgelöst. Diese verwendet keine Vollerhebungen wissenschaftlichen Fragestellungen werden mit einer
mehr, sondern beruht auf (1) Registererhebungen: sogenannten Omnibus-Erhebung telefonisch bei ins
Verwaltungsdaten wie den kantonalen und kommu gesamt 3000 Personen erfasst.
nalen Einwohnerregistern, dem Bundespersonen Der Stichtag für die erste Registererhebung war
register sowie dem eidgenössische Gebäude- und der 31. Januar 2011, alle Schweizer Kantone bezie
Wohnungsregister, (2) ergänzenden Stichprobenerhe hungsweise 2584 Gemeinden haben die für die neue
bungen: eine jährliche schriftliche Strukturerhebung eidgenössische Volkszählung notwendigen Daten aus
bei 200 000 Personen (2,7% der Wohnbevölkerung den Einwohnerregistern an das Bundesamt für Sta
der Schweiz) zur Struktur der Bevölkerung, (3) the tistik übermittelt. Erste Ergebnisse daraus wurden
matischen Erhebungen bei 10 000 bzw. 40 000 Per ab August 2011 erwartet. Neuste Daten zu verschie
sonen für fünf Themen, abwechselnd einem pro Jahr dene Spezialthemen, die in diesem Buch behandelt
(2010: Mobilität und Verkehr, 2011: Aus- und Wei werden, werden bis 2015 nach den neuen Verfahren
terbildung, 2012: Gesundheit, 2013: Familien und erhoben, sodass im gesamten vorliegenden Buch die
Generationen, 2014: Sprache, Religion und Kultur, jeweils letzten aktuell verfügbaren Daten vor dem
2015: Mobilität und Verkehr), wobei auch Resulta neuen System der Volkszählung als Grundlage ge
te über 3 bis 5 Jahre kumuliert werden können, (4) nommen wurden.
Danksagung
Eine Länderkunde zur Schweiz kann nicht im Allein schaft, Gesellschaft und Politik einbrachten, mach
gang erstellt werden. Das an der Universität Basel ten dieses interdisziplinäre Projekt mit ihrer Zusage
über 16 Jahre erlebte produktive Arbeitsumfeld, in und ihrem Einsatz möglich. Ihnen danke ich ganz
dem die intergrativ arbeitende Geographie eine hun herzlich für ihre Bereitschaft, ihr Engagement, ihren
dertjährige Tradition hat, legte dazu einen Grund Rat und ihre Geduld.
stein. Mehr als 30 namhafte Autoren der Schweiz, Den Verlagsleitern Herrn Andreas Auth und Herrn
die ihre Expertise zur Geographie, Geschichte, Wirt- Jörn Laakmann sowie der Redaktion der Wissen-
XII OleSchWeiz- .,Sonderfall" oder Modellfall?
■ Aufgrund der Klimagunst und der fruchtbaren Böden ist das Mittelland die am intensivsten agra
risch genutzte und am dichtesten besiedelte Landschaft der Schweiz. Die Hochlagen des Jura sind
verkarstet. schwach besiedelt und von Wald und Weidewirtschaft gekennzeichnet. Die Alpen unter
liegen unterschiedlichsten Nutzungsformen.
■ Das Klima der Schweiz wird stark durch den nahen Atlantik bestimmt - das ganze Jahr hindurch
fällt in den meisten Gebieten ausreichend Niederschlag.
■ Die Alpen wirken als markante Klimaschranke zwischen der Nord- und der Südschweiz. Eine spe
zifische Eigenheit ist der Föhn. Er bringt v. a. der Alpensüdseite beachtliche Niederschlagsmengen
und der Alpennordseite trockene Fallwinde, die oft Sturmstärke erreichen.
■ Seit Beginn der systematischen Messungen 1864 ist es in der Schweiz in allen Jahreszeiten signi
fikant wärmer geworden. Die Erwärmungsrate liegt zwischen 0,9 und 1,3 ° C pro 100 Jahre.
■ Der Klimawandel beeinflusst die Alpen teils direkt, wie z.B. die Gletscher, den Permafrost, die
Schneebedeckung oder die Vegetationsverbreitung, und teils indirekt, wie z.B. die Abflussverhält
nisse, die Murgänge sowie die Felssturz- und Bergsturzaktivität.
■ Böden sind die knappste nicht erneuerbare Ressource der Schweiz. Gesunde Böden und eine aus
reichende Bodenfläche sind aber keine Selbstverständlichkeit mehr. Bodenzerstörung durch Flä
chenverbrauch, mechanische Belastung durch Erosion und Verdichtung sowie die Belastung durch
Schadstoffe haben unverkennbare Spuren hinterlassen.
Naturraum und natürliche Ressourcen ■ Heinz Veit
1 Abb. 21 Die drei großen Großstruktur Durch die enorme Einengung des Ablagerungsraums
naturräumlichen Einheiten Die Schweiz lässt sich grob in drei große Typland von ursprünglich über 1000 km auf eine heutige
der Schweiz: Blick vom schaften untergliedern (Abb. 2): die Alpen, das Mit Gebirgsbreite von rund 120 km kam es zu Verfal
Jura über das Mitte/land
auf die Alpenkette mit
telland und den Jura. Jede dieser Landschaften hat tungen und Deckenüberschiebungen, sodass heute
Mont Blanc. spezifische naturräumliche Charakteristika, die eng Gesteine unterschiedlichen Alters übereinanderge
mit der geologisch-tektonischen Entstehung und der stapelt liegen (Abb. 3). Die großen tektonischen De
geomorphologischen Überprägung durch Abtragungs ckeneinheiten werden als Helvetikum, Penninikum,
und Formungsprozesse im laufe der Erdgeschichte Ostalpin und Südalpin bezeichnet. Das Helvetikum
verbunden sind (Labhart 2005). Horizontale und verti kennzeichnet dabei die Sedimente auf dem Schelf
kale Bewegungen der Erdkruste, mehrfache Eiszeiten am Nordrand des ehemaligen Tethys-Meeres. Penni
mit intensiven Vergletscherungen, Verwitterung und nische Gesteine sind im Wallis südlich der Rhone,
Abtragung, Materialtransport und Ablagerung durch im Tessin, im Westteil Graubündens und im Enga
Gletscher, Wasser und Wind führten letztendlich zu din verbreitet und stammen aus dem Tiefseebereich
dieser landschaftstypologischen Dreigliederung. der Tethys. Ostalpine Gesteine wurden ehemals am
Südrand der Tethys abgelagert und stammen vom
Alpen Sehelfbereich und dem ehemaligen Kontinentalrand
Die Schweiz gilt als Gebirgsland. Das verdankt sie Afrikas. Südalpine Gesteine treten in der Schweiz nur
v. a. den Alpen, deren Silhouette in der Schweiz mit kleinflächig auf. Sie sind durch die Ost-West verlau
einer ganzen Reihe von Viertausendern wie z.B. dem fende lnsubrische Linie- die größte Störungszone
weltbekannten Matterhorn (4478ml, der Dufourspit der Alpen, die die tektonische Grenze zwischen Eu
ze (4634 m), dem Piz Bernina (4049 m) oder der ropa und Afrika markiert- von den Zentralalpen ge
Jungfrau (4158ml gekrönt wird. trennt. Die kristallinen Zentralmassive (z.B. Aar- und
Die Alpen nehmen rund 60 % der Fläche der Gotthardmassiv) sind Teile des alten europäischen
Schweiz ein und sind ein komplex aufgebautes, geo Grundgebirges, wie es auch im Schwarzwald und in
logisch junges Falten- und Deckengebirge, dessen den Vogesen zu Tage tritt.
tektonische Verformung und Heraushebung im We Die Deckenüberschiebungen erfolgten weitgehend
sentlichen am Ende der Kreidezeit und im Tertiär er unter dem Meeresspiegel. Als Gebirge und damit als
folgte. In der Kreide bewegten sich die afrikanische Festland sichtbar wurden die Alpen erst im Tertiär.
Kontinentalplatte im Süden und die Europäische Die Heraushebung als Hochgebirge ist ein geologisch
Platte im Norden aufeinander zu und verschluckten relativ junges Phänomen seit dem Jungtertiär. Mit
dabei die ozeanische Kruste und die mesozoischen der Festlandsphase setzte die Entwicklung des Ge
Sedimente des dazwischenliegenden Tethys-Meeres. wässernetzes ein und damit der Abtrag nach außen
-- -- - ./-
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\ Profillinie
0 25 5 km
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Legende N
Sedimente des Tertiärs Ostalpin
Molasse (Jura, Mittelland, Südalpen), Rheingraben; Quartär der Po-Ebene - Sedimente: Perm und Mesozoikum
1111
Nagelfluh
subalpine Molasse (überschoben) kristallines Grundgebirge
1111
Herzynisch: Mt. Blanc-, Aar- und Gotthardmassiv;
Penninikum Baveno, Schwarzwald, Vogesen
Sedimente: (Paläozoikum), Mesozoikum und Tertiär Vulkanite Miozän: Hegau; Perm: Südtessin
mit 0phiolithen
--- größere alpine Störungen: lnsubrische Linie, Simplon-Linie,
0phiolithmassen: Serpentin, basische Gesteine (Basalt, Gabbro) Engadiner Linie, Giudicarie-Linie,
1111 kristallines Grundgebirge Centovalli-Linie
Quelle: Kündiget al 1997
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-50 0 m c______ ______ ___________ _______...__........_
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1 Abb. 3 I Geologisch-tektonische Gliederung der Schweiz und geologisches Querprofil.
4 Naturraum und räumliche Gliederung
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südliche pleistozäne
� Permafrostgrenze
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0 50 100 km
( Alpengrenze 00!
in die nördlichen und südlichen Vorländer (Molasse). raten (Nagelfluh), Sandsteinen und Mergeln verfes
Das Mittelland besteht zum großen Teil aus diesem tigt. Die Landschaft der tertiären Molasse wechselte
Abtragungsschutt. Mehrfache Eiszeiten der letzten mehrfach zwischen marinen Verhältnissen und ter
2,5 Mio. Jahre, bei denen die Schweizer Alpen häufig restrischen Sumpflandschaften (Meeres- bzw. Süß
bis auf einige hoch aufragende Gipfel (Nunatacker) wassermolasse), deren Sedimente am Alpenrand ins
nahezu vollständig von Gletschern bedeckt waren gesamt bis zu mehr als 6000 m mächtig werden kön
(Abb.4), führten durch Glazialerosion und Schmelz nen und sich über einen Zeitraum von rund 30 Mio.
wasserströme schließlich zu dem heute bekannten Jahren angesammelt haben. Nach Norden zu nimmt
Bild des alpinen Hochgebirges. die Mächtigkeit bis auf wenige hundert Meter ab. Im
Mittelland kommt die Molasse in charakteristischen,
Mitte/land meist bewaldeten Bergen an die Oberfläche, wie z.B.
Das Mittelland schließt nordwestlich an die Alpen an dem Napf (Nagelfluh, 1408 m) bei Luzern oder dem
und wird im Norden und Westen vom Jura begrenzt. Es Bantiger und dem Gurten (Sandstein, 947 m und
umfasst rund 30 % der Fläche der Schweiz mit etwa 864 m) bei Bern. Direkt am Alpenrand wurde die Mo
2'3 der Bevölkerung und weist damit die höchste Be lasse noch durch das weitere Vorstoßen des Alpenkör
völkerungsdichte und die intensivsten landwirtschaft pers überfahren, überschoben und teilweise gefaltet
lichen Aktivitäten in der Schweiz auf. Das Mittelland (s. Abb. 3, Faltenmolasse, subalpine Molasse). Unter
ist eine Beckenzone von etwa 300km Länge zwischen den Molasseschichten folgen noch mesozoische Se
Genfer See und Bodensee, deren Breite von 40 km im dimente aus Trias, Jura und Kreide mit Mächtigkei
Westen auf 70 km im Osten zunimmt und sich nach ten zwischen 800-2500 m. Darunter liegt im tiefen
Deutschland und Österreich fortsetzt (s. Abb. 3, Mo Untergrund das kristalline Grundgebirge, das in den
lasse). Ganz im Westen, im Bereich südlich des Gen Zentralmassiven der Alpen oder auch in den Vogesen
fer Sees, setzt es aus, da sich hier die Alpen und der und dem Schwarzwald an die Oberfläche kommt.
Jura berühren. Das hügelige Mittel land erreicht seine Verbreitet ist die tertiäre Molasse von quartären
höchste Erhebung im Napfbergland (1408 m), liegt je Lockersedimenten bedeckt, die sich infolge der
doch im Durchschnitt wesentlich tiefer. wechselnden Eiszeiten und Warmzeiten in den letz
Der Untergrund des schweizerischen Mittellandes ten 2,5 Mio. Jahren abgelagert haben und Mächtig
besteht aus Molasse. Im Tertiär, während des Auf keiten von einigen Metern bis zu mehreren hundert
stiegs der Alpen über den Meeresspiegel, war das Metern erreichen können. Es handelt sich dabei v. a.
Mittelland das Auffangbecken für den Abtragungs um kaltzeitliche Moränen, Schmelzwasser-Sande und
schutt aus den Alpen. Diese Lockersedimente - Kie Kiese, kaltzeitlichen Flugstaub (Löss) und warmzeit
se, Sande und Tone - haben sich mittlerweile zu liche, tonige Seeablagerungen. Große Vorlandseen
mehr oder wenigen festen Gesteinen wie Konglome- (z.B. Genfer See, Zürichsee, Bodensee, Lago Maggi-
ore) werden von Endmoränen der letzten Vergletsche formt sind. Der Hauptteil des Gebirges wird vom Fal
rungsphase des Würms, als vor rund 2 0 000 Jahren tenjura eingenommen (Abb. 5).
die alpinen Gletscher bis weit ins Vorland drangen, Diesen kann man noch weiter in Kettenjura und
umrandet. Nach dem Abschmelzen füllten sich diese Plateaujura untergliedern:
„Zungenbeckenseen" im übertieften Bereich hinter ■ Die markanten, gefalteten Höhenzüge des Ketten
den Endmoränen auf. jura bestehen aus den Faltenscheiteln (Antiklina
In den am tiefsten gelegenen Regionen des Mittel len), die oft mehr oder weniger parallel verlaufen.
landes wie dem Berner Seeland kam es durch häufige Die Faltenmulden (Synklinalen) bilden die dazwi
Überflutungen auch in der Nacheiszeit, dem Holo schen liegenden Täler und Becken. Durchbrochen
zän, während der letzten 10 000 Jahre immer wieder werden diese Strukturen von schluchtartigen Quer
zur Ablagerung von jungen, feinkörnigen Sedimenten tälern, den Klusen.
und zu Vermoorungen (Großes Moos). Nachdem der ■ Der Plateaujura reicht im Nordwesten nach Frank
Grundwasserspiegel im Rahmen der Juragewässerkor reich hinein und ist durch die wasserarmen Hoch
rekturen abgesenkt wurde, sind diese Gebiete heute flächen (Freiberge) gekennzeichnet.
mit ihren fruchtbaren Böden und dem milden Klima ■ Der ungefaltete Tafeljura tritt kleinräumig im Nord
der „Gemüsegarten" der Schweiz. osten bei Basel und im Nordwesten im Kanton Jura
auf. Er ist tektonisch gesehen Teil des südwest
Jura deutschen bzw. französischen Schichtstufenlandes.
Der Jura ist ein Mittelgebirge, dessen höchste Erhe
bungen in der Schweiz im Westen mit Mont Tendre Der Jura ist geologisch eine Fortsetzung der Alpen.
(1679 m), La Döle (1677m), Chasseron (1607m) Im Mittelland ziehen die entsprechenden Gesteine in
und Chasseral (1607m) erreicht werden. Er umfasst großer Tiefe unter den jüngeren Ablagerungen durch
rund 10% der Landesfläche der Schweiz. Als eigen (Abb. 3). Die Sedimente wurden in einem tropischen
ständiges Gebirge löst er sich im Westen bei Cham Flachmeer am Nordrand der Tethys abgelagert. Die
bery von den Alpen ab, wo er dem Mittelland Platz Verfaltungen sind im Kontaktbereich zum Mittel
macht, und setzt sich nach Osten und Norden im land am größten. Hier ragt der Jura oft steil über
schwäbischen und fränkischen Jura in Deutschland das Mittelland auf. Nach Norden und Westen neh
fort. Der Jura bildet die Nordwestgrenze der Schweiz. men die Gebirgshöhen ab, und der Jura geht sanft in
Er besteht vorwiegend aus mesozoischen Gesteinen- das französische Vorland über. Der Zusammenschub
hauptsächlich Kalksteinen, Tonen und Mergeln aus (2-3 0km) und die Faltung erfolgten im Zuge der !Abb.SI Faltenjura, Vallon
dem Zeitalter des Jura-, die nicht (Tafeljura) oder ausklingenden Alpenfaltung im Jungtertiär über ei de St-lmier, Courtelary,
unterschiedlich intensiv (Faltenjura) tektonisch ver- ner Gleitschicht aus Steinsalz und Anhydrit der Trias. Blick Richtung St-lmier.
6
Seitdem der Jura im Tertiär (Eozän) über die Mee Hinsichtlich der Bausteine ist die Schweiz, be
resoberfläche gehoben und damit Festland wurde, dingt durch die geologische Vielfalt, ein reiches
unterliegen die löslichen Karbonatgesteine der Ver Land. Aus dem Mittelland stammen Sandsteine und
witterung und Verkarstung, mit den bekannten Er Muschelkalksteine der Molasse, die viele historische
scheinungen wie Dolinen, Höhlen und Karstquellen. Gebäude und ganze Stadtkerne prägen, wie z.B. die
1 n einigen Dolinen und Karstspalten haben sich noch grünlichen Sandsteine der Oberen Meeresmolasse
die alttertiären Verwitterungsbildungen in Form von (Berner Sandstein) der Städte Bern und Freiburg/
tropischem Kalkstein-Rotlehm ( Terra Rossa). Bahner Fribourg. Der Jura liefert mit Ausnahme der Keu
zen und Quarzsand erhalten. Durch die Verkarstung persandsteine v. a. Kalksteine. Die Bausteine der
versickert das meiste Niederschlagswasser, und die Alpen wechseln je nach geologischer Situation. Im
Entwässerung erfolgt v.a. unterirdisch. Norden sind es v.a. Kalksteine und Flyschsandstei
Auch der Jura war im Quartär mehrfach verglet ne, in den Zentralmassiven Granite, Serpentinite und
schert, zeigt aber eher kleinräumige, regionale Mo Specksteine. Das Penninikum hat z. B. mit Gneisen,
ränenablagerungen. Große Findlinge aus alpinen Ge Marmoren, Serpentiniten und Prasiniten die größte
steinen zeigen zudem die ehemalige Eis-Obergrenze Vielfalt. Aus dem Südalpin sind Liaskalke von Be
des Rhönegletschers an, der im Quartär mit seinem deutung. Die Produktion von Bausteinen liegt bei
nördlichen Zweig am Jura entlanggeflossen ist. Als 3-4 Mio.t/Jahr.
relativ weit verbreitetes eiszeitliches Sediment findet Mergel und Tone werden überwiegend im Mittel
sich Löss, der -verwittert und entkalkt zu Lösslehm - land (zu 2'3) und nachgeordnet im Jura (1'3) abge
die Kalksteine überzieht und die Ökologie der Stand baut. Für die Ziegeleiindustrie und die Herstellung
orte maßgeblich verändert. von Backsteinen werden jährlich 1.4 Mio. t gewon
Der Jura besitzt große Waldflächen, die mit offenen nen. Die größte Bedeutung haben dabei die Molas
Weiden durchsetzt sind. Die Baumgrenze liegt klima semergel (1991: 63,6%) und quartäre Bändertone,
tisch bedingt bei 1400-1500 m. In den Becken und Seebodentone und Lösse (18%) aus dem Mittelland
Tälern wird Ackerbau und intensive Weidewirtschaft sowie der Opalinuston (12,3%) aus dem Jura.
betrieben. Die stark geneigten Hänge des Jurasüdfu Beim Schweizer Salz handelt es sich v. a. um
ßes eignen sich zusammen mit der ausgleichenden Steinsalz. Die Zentren befinden sich am Hochrhein
Wirkung der Jurarandseen auf das Lokalklima hervor und in der Gegend von Bex im Waadtland. Die Sa
ragend für Weinbau. linen von Schweizerhalle und Riburg am Hochrhein
produzieren jährlich rund 250 000-350 000 t, in
Natürliche Ressourcen Bex werden rund 30 000-40 000 t Salz pro Jahr
abgebaut. Das Salz stammt insgesamt aus drei geo
Gesteine, Erze, Kohlenwasserstoffe logischen Einheiten: der Anhydritgruppe aus dem
Die größte Bedeutung in der Schweiz haben - noch Muschelkalk (die bei der Jurafaltung als Gleitfläche
vor den Festgesteinen - die quartären Lockergestei gedient hat; s.o.), dem Gipskeuper und der Trias des
ne. Kies und Sand stellen gewichts- und volumen Ultrahelvetikums.
mäßig die wichtigste Gruppe der nutzbaren Gesteine Die Vorkommen von Erzen (wie z.B. Eisen, Man
der Schweiz dar. Sie sind Produkte der Abtragung, gan, Blei-Zink, Kupfer, Nickel, Kobalt, Molybdän,
v. a. durch die Gletscher und deren Schmelzwässer Gold, Uran) und Kohlenwasserstoffen (Erdgas, Erdöl)
in den Kaltzeiten, und deshalb speziell im Mittelland spielen heute in der Schweiz keine Rolle. Bekannte
weit verbreitet. Die Hauptnutzung erfolgt durch die und historisch genutzte Vorkommen sind entweder
Bauindustrie (z.B. Zuschlag für Beton). In der Pe heute nicht lohnend nutzbar, oder ihre Lagerstätten
riode der Hochkonjunktur der 1980er-Jahre wurden sind kleinräumig tektonisch stark zerstückelt und
rund 55-65 Mio. t/Jahr abgebaut. Heute kollidiert deshalb meist wenig bekannt und untersucht.
dieser Abbau immer stärker mit anderen Interessen,
wie z. B. dem Grundwasserschutz, dem Landschafts Wasser
schutz sowie dem Erhalt von Waldflächen oder Sied
lungen. Dadurch zeichnet sich in naher Zukunft eine Wasservorkommen und Wasserspeicherung
Mangelsituation ab (Die Schweizerische Geotechni Die Schweiz ist reich an qualitativ hochwertigen
sche Kommission SGTK 2011). Wasservorkommen in Form von Oberflächenwasser,
Grundwasser und gespeichert in Form von Schnee,
Mittlerer Bei- Flächen- Überpropor- Gletschereis und Permafrost. Die Alpen sind das
trag der Alpen anteil des tionalität „Wasserschloss" Europas. Bedingt durch die mit der
zum Gesamt- Alpen- des Alpen- Höhe ansteigenden Niederschläge und die Abnah
abfluss (%) raums (%) raums me der Verdunstung liegt der Gebietsabfluss um ein
Rhein 34 15 2,3 � Mehrfaches über dem der Vorländer (Abb. 6).
Rhöne 23 1,8 Obwohl z.B. die Alpen nur 15% des gesamten
41
J
C
•.
Die natürlichen Seen bedecken rund 3,5 % ohne jede Aufbereitung direkt zum Verbraucher gelei IAbb. GI Wasserbilanz der
(1422 km 2) der Fläche der Schweiz - ungefähr so viel tet werden kann. Neben den hohen Niederschlägen Schweiz: jährliche Wasser
wie die Gletscher-, aber die gespeicherte Wasser und den Alpen als bedeutenden Wasserlieferanten höhen in mm, Periode
menge ist in den Seen um ein Vielfaches größer als ist die weite Verbreitung der quartären Schottervor 1961-1990,
in den Gletschern (Spreafico & Weingartner 2005). kommen und Sande ein wesentlicher Grund für den
Die größten Seen sind der Genfer See (581,3 km 2) Reichtum an Grundwasser. Dabei sind v. a. die poren
und der Bodensee (536,0 km2), wobei der Genfer See reichen fluvioglazialen Ablagerungen von Bedeutung.
fast doppelt so viel Wasser enthält wie der Bodensee. Die Moränen sind demgegenüber wegen ihres hohen
Rund 16% (168Mio. m3) des gesamten Wasserver Feinmaterialanteils eher schlechte Aquifere. Weitere
brauchs in der Schweiz werden aus 30 Seewasser bedeutende Grundwasservorkommen liegen in den
werken entnommen. Klüften in Festgesteinen (Tab. 3). Durch Karstwas
Das Wasserreservoir im Gletschereis schwin ser werden rund 18% des Bedarfes gedeckt, so trägt
det mit der Klimaerwärmung rapide. Die rund z.B. die im Jura gelegene Merlinquelle deutlich zur
2000 Gletscher der Schweiz bedecken insgesamt Wasserversorgung der Stadt Biel bei. Dadurch, dass
1050 km2 (im Jahr 2000), d. h. 2,5% der Fläche die Verweilzeit des Wassers im Gestein aufgrund der
der Schweiz, mit einem Eisvolumen von 55 km 3 Verkarstung meist nur wenige Stunden bis Tage be
(Maisch et al. 2004). Der Flächenverlust seit dem trägt, ist die Filterwirkung und damit die Verschmut
Ende der Kleinen Eiszeit um das Jahr 1850 beträgt zungsgefahr relativ groß.
750 km 2. Das Eisvolumen schrumpfte dabei von
110 km3 (1850) auf 55 km 3 (im Jahr 2000). Al Grund- Flächen- Anteil an Fließdauer
lein im Hitzesommer des Jahres 2003 verloren die wasserleiter anteil Wasser- pro km
Schweizer Gletscher mehr als 5% ihres Volumens gewinnung
(Haeberli et al. 2004),
locker-
Trink- und Brauchwasser
Neben den rund 16 % des Trinkwassers, das aus
Seen stammt, werden mehr als 80% des Trink- und
m
� Karst
gestein 6%
16%
36%
18%
0,5-2Jahre
5-50
Stunden
Brauchwassers aus dem Grundwasser entnommen.
Davon stammen 36% (377 Mio. m3 ) aus Brunnen ..
�0
;;
Klüfte im
.g Festgestein 78% 30%
2 Tage
bis 1 Jahr
und 48% (491 Mio. m3 ) aus Quellen (im Jahr 2001,
nach Spreafico & Weingartner 2005). Die Wasser-
i
qualität ist so gut, dass fast die Hälfte davon (46%)
�
a
1 Tab. 3 I Grundwasservorkommen in der Schweiz
Voraussetzungen. Noch zu Beginn der l 970er-Jahre
stammten fast 90 % der inländischen Stromproduk
tion aus Wasserkraft. Dieser Antei I nahm durch die
Inbetriebnahme der schweizerischen Kernkraftwerke
bis 1985 auf rund 60% ab und liegt heute bei rund
57 % (Bundesamt für Energie 2009). Der Wasser
kraftwerkspark der Schweiz besteht heute aus 538
Zentralen (Kraftwerke mit einer Leistung von mindes
tens 300kW), welche pro Jahr durchschnittlich rund
35 500 Gigawattstunden (GWh) Strom produzieren.
Davon werden rund 47% in Laufwasserkraftwerken,
49% in Speicherkraftwerken und rund 4% in Pump
speicherkraftwerken erzeugt. Die Wasserkraftnutzung
hat ein Marktvolumen von gegen 2 Mrd. CHF und
stellt somit einen wichtigen Zweig der schweizeri
schen Energiewirtschaft dar. Im europäischen Ver
gleich liegt die Schweiz mit ihrem Wasserkraftanteil
an der Stromerzeugung hinter Norwegen, Österreich
und Island an vierter Stelle.
Holz
Die Schweiz ist ein waldreiches Land. Der Wald be
deckt rund 12 746 km2 und damit rund ein Drittel
der Fläche der Schweiz (Eidgenössische Forschungs
anstalt WSL 2007). Besonders stark bewaldet ist
die Alpensüdseite mit 51 %, etwa halb so groß ist
der Waldanteil im Mittelland mit 25%. Seit über
150 Jahren nimmt die Waldfläche zu, in den letzten
21 Jahren um 0,38% jährlich. Allein in den letz
ten 11 Jahren hat der Wald gesamtschweizerisch
um 4,9% zugenommen, in den Alpen und auf der
Alpensüdseite um je 9%. Diese Zunahme resultiert
v. a. aus nicht mehr genutzten landwirtschaftlichen
Flächen im Alpenraum und auf der Alpensüdseite.
Der Wald im stark besiedelten Mittelland steht flä
chenmäßig nach wie vor unter Druck. Dort hat der
Holzvorrat eher abgenommen.
Nur zwei Drittel des gesamten jährlichen Holzzu
wachses werden genutzt. Die kleinstrukturierte Be
wirtschaftung der Wälder in der Schweiz und zu wenig
IAbb. 71 Das Wasser Energiegewinnung Zusammenarbeit sind wichtige Gründe dafür, dass
kraftwerk Ova Spin befin Neben Trink- und Brauchwasser spielt die Energiege die Produktionskosten in der Waldwirtschaft oft höher
det sich am Rand des winnung durch Wasserkraft (Abb. 7) in der Schweiz sind als die Erlöse. Obwohl die Holzpreise in den letz
Nationalparks in der Spöl
eine große Rolle. Hohe Abflüsse in Verbindung mit ei ten Jahren markant gestiegen sind, ist die wirtschaft-
sch/ucht im Engadin.
ner ausgeprägten Topographie bieten hierzu optimale 1 iche Lage vieler öffentlich er Forstbetriebe defizitär.
Das Klima der Schweiz wird stark durch den nahen Alpen hin auswirkt. Statt milder Atlantikluft gelangt
Atlantik bestimmt. Mit den vorherrschenden Strö dann mit einer Ostströmung, bekannt als Bise, tro
mungen aus westlichen Richtungen gelangt vorwie ckene Kaltluft zur Schweiz. Die Tieflagen nördlich
gend feucht-milde Meeresluft in die Schweiz. Im der Alpen verschwinden bei solchen Lagen entspre
Sommer wirkt sie kühlend, im Winter wärmend, und chend lang unter einer kompakten Hochnebeldecke.
das ganze Jahr hindurch fällt in den meisten Gebie Die Alpen wirken praktisch bei jeder Strömungsla
ten ausreichend Niederschlag. Phasenweise kann der ge als markante Klimaschranke zwischen der Nord
atlantische Einfluss jedoch unterbrochen werden. Vor und der Südschweiz. Die aus Westen und Nord
allem im Winterhalbjahr begünstigt die große eura westen heranziehende feuchte Atlantikluft bringt
sische Landmasse die Entwicklung eines über Tage v. a. nördlich der Alpen Niederschläge, während die
oder sogar Wochen andauernden Kaltlufthochs über Südschweiz im Schutze der Alpenkette dabei oft
Nordosteuropa und Westrussland, das sich bis zu den trocken bleibt. Niederschlag erhält die Südschweiz
9
1 Abb. 81 Niederschlags
Die inneralpine Trockenheit Wolkenauflösung profil der Schweiz.
sowohl bei Nord- als auch bei Südanströmung
+ wenig Niederschlag
��
!ll!////!L
Adelboden Vlsp
= SimPIGn-Dorf Lug_ano
:l346mm 599 m- m_____1.,..2
::',1:c-:6::--
mm 1§45 mm
1i
a--=-----------------------------------------
0
v. a. durch südwestliche und südliche Strömungen. und der Nordschweiz (Region Basel) sowie im Flach
Auch die Bisenströmung aus Osten ist meist nur ein land ganz im Süden der Schweiz. Hier sind Winter
Phänomen der Alpennordseite. Der von West nach ohne Schneedecke keine Seltenheit.
Ost sich erstreckende Querriegel der Alpen bildet für
die Südschweiz einen wirksamen Schutz vor kühlen Die Temperaturen - von mediterran bis arktisch
nördlichen Luftmassen. Das Temperaturregime süd Die Temperaturen in der Schweiz sind primär abhän
lich der Alpen wird denn auch weitgehend vom nahen gig von der Höhenlage. Im nördlichen Flachland liegt
Mittelmeer bestimmt. Deshalb unterscheidet sich die die Durchschnittstemperatur im Januar bei rund 1 °C,
Südschweiz vom Norden v. a. durch deutlich mildere im Juli bei rund 17°C. Im Flachland der Südseite lie
Winter. gen die entsprechenden Durchschnittstemperaturen
2-3 °C höher. In Höhenlagen von rund 1500m ü. M.
Trockenes Klima im Innern der Alpen liegt die Durchschnittstemperatur im Januar bei
Neben ihrer dominanten Wirkung als Klimaschran rund -5 °C, im Juli bei rund 11°C. Der durchschnitt
ke zwischen Nord und Süd erzeugen die Alpen als lich wärmste Ort der Schweiz mit einer verfügbaren
kompliziertes Gebirge zusätzlich mehrere verschie Messreihe ist Locarno-Monti in der Südschweiz mit
dene Klimabereiche. Ein ausgeprägt eigenes Klima einem Jahresmittel von 11,5 ° C, der durchschnitt-
zeigen die inneralpinen Täler, da sie sowohl gegen
die Niederschlagsaktivität aus Norden als auch aus 1 Abb. 91Künstliche
Süden abgeschirmt sind (Abb. 8). Die Folge sind tro Bewässerung (Niwa Suon)
ckene Bedingungen. Typische Vertreter sind hier das bei St. German.
Wallis in der Südwestschweiz und das Engadin in
der Südostschweiz. Während entlang der nördlichen
Voralpen, in den Alpen sowie in der Südschweiz die
durchschnittliche Niederschlagsmenge bei ungefähr
2000 mm/Jahr Iiegt, beträgt sie im Wal Iis regional
zwischen 500 und 600 mm/Jahr, im Engadin re
gional zwischen 700 und 8 00 mm/Jahr. Im Flach
land nördlich der Alpen beträgt die Menge etwa
1000-1500 mm/Jahr. Die Niederschlagsmengen
sind im Sommer mit Ausnahme des Wallis ungefähr
doppelt so hoch wie im Winter. Als Folge der gerin
gen Niederschläge im Wallis war hier im Sommer
seit jeher die künstliche Bewässerung der Anbauge
biete dringend notwendig, z.B. durch Heranführen
von Gletscherschmelzwasser. Seit der Zeit der Rö
mer, insbesondere jedoch seit dem Mittelalter, gibt
es hier ein System von Wasserleitungen (Suonen)
(Abb.9).
Winterschnee
Ab einer Höhenlage von 1200-1500m ü. M. fällt der
Niederschlag im Winter vorwiegend als Schnee, so
dass hier oft eine monatelang geschlossene Schnee
decke vorhanden ist. Vergleichsweise selten schneit
es in den Tieflagen der Westschweiz (Region Genf)
IAbb.101 Schema des
Föhn ver/aufs. Süd Föhn mauer Föhn- Nord
m ü.M
3000
Front
1000
Warm
luft Kaltluft
Kaltluft
lieh kälteste Ort das Jungfraujoch auf 3580 m ü. M. Als Besonderheit tritt in den Alpen im Abschnitt
mit einem Jahresmittel von - 7,5 °C. Auf den bisher ihres West-Ost-Verlaufs beidseits des Gebirges Föhn
absolut höchsten gemessenen Wert von + 41,5 °C auf. Der klassische Südföhn (im Folgenden nur als
stieg die Temperatur am 11. August während des Hit Föhn bezeichnet) ist dabei die wesentlich ausge
zesommers 2003 in Grono in der Südschweiz, auf prägtere Erscheinung. Er ist v. a. vom Herbst bis
den absolut tiefsten Wert von -41,8 °C sank sie am zum Frühling aktiv. Der Nordföhn, in der Schweiz in
12.Januar 1987 in La Brevine im Jura. den Tälern der Alpensüdseite (Kantone Tessin und
Graubünden) wirksam, hat regional aber eine eben
Der Föhn als spezielles Klimaelement so große Bedeutung. Besonders nach den hier häufig
1 Abb. 11 I Föhnfenster
auftretenden winterlichen Trockenphasen, wenn viel
über den Glarner- und
St. Gai/er Alpen am Süd- und Nordföhn trockenes Laub und Geäst am Boden I iegt, kann der
30. Oktober 2010. Die Eine ganz spezifische Eigenheit des Schweizer Kli Nordföhn wesentlich zur Ausweitung von Waldbrän
Föhnmauer direkt mas ist der bekannte Föhn (Abb. 10 und Abb. 11). den beitragen.
über dem Alpenkamm Föhn tritt global überall dort auf, wo Gebirgsketten Die klassische Südföhn-Situation ist mit einer
sowie die prächtigen von kräftigen Winden überströmt werden. Als wesent starken Staubewölkung am Alpensüdhang verbun
Föhnfische (Linsenwolken) licher Effekt des Föhns treten auf der strömungsabge den. Durch die Hebung der Luftmassen können die
im Schönwetterbereich
sind gut zu sehen. Der wandten Seite des Gebirges warme und v. a. trockene Stauniederschläge auf der Alpensüdseite beachtliche
dunkle Wolkendecke/ am Fallwinde auf, welche häufig Sturmstärke erreichen. Mengen annehmen, welche immer wieder Erdrutsche
oberen Bildrand ist die In den betroffenen Gebieten stellt der Föhn eine der und Überschwemmungen bewirken. Die Wolkenwand
aufziehende Front. markantesten Wettererscheinungen überhaupt dar. am Alpensüdhang wird von der Nordseite her als sog.
11
Föhnmauer wahrgenommen. Nicht selten reichen da extreme Bedingungen wie Überflutungen durch an
bei die Wolken etwas über den Alpenkamm hinweg haltende Starkniederschläge, Hitzewellen oder auch
nach Norden, sodass auch etwas nördlich des Al Lawinenwinter sind für jedermann wahrnehmbar.
penkamms noch Niederschlag fallen kann. Mit dem Allerdings wird in solchen Situationen die Klima
Absinken der Luftmassen lösen sich die Wolken auf. entwicklung allzu oft nur auf Extremereignisse und
Dieser Bereich mit sehr klarer Luft und fast blauem insbesondere auf die Änderungen in deren Häufig
Himmel wird als Föhnfenster bezeichnet. keit und Intensität reduziert. Doch gerade hierzu sind
meist keine verlässlichen Aussagen möglich, da die
Auswirkungen des Föhns seltenen Extremereignisse statistisch schlecht erfass
Es erstaunt nicht, dass eine so markante Wetterer bar sind (Frei & Schär 2001; Organe consultatif sur
scheinung wie der Föhn auch zahlreiche Einflüsse les changements climatiques - OcCC 2003). In der
auf die Umwelt ausübt. Durch die erwärmte Föhn sozusagen alltäglichen Klimaentwicklung von Jahr zu
luft und die dank Wolkenauflösung verlängerte Son Jahr oder von Jahrzehnt zu Jahrzehnt kommen Än
nenscheindauer wird das Klima der Föhntäler und in derungen hingegen viel eindeutiger zum Ausdruck,
geringerem Maße auch der übrigen Zentral- und Ost wie die Klimamessreihen des Bundesamtes für Me
schweiz milder. Die mittlere Jahrestemperatur wird in teorologie und KI imatologie MeteoSchweiz belegen
Altdorf und im Rheintal durch den Föhn zwar nur um (Bader& Bantle 2004; Begert et al. 2005), denn das
Winter (Dez., Jan., Feb.,) 1864/65-2008/09 Frühling (März, Apr., Mai) 1864-2008
p 6,0 p 6, 0
�
� 4,0
Trend: 1,3 °C / 100 Jahre � Trend: 1,0 °C / 100 Jahre
� 4,0
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-4,0 -4, 0
-6,0 -6,0
1860 1880 19 00 192 0 1940 196 0 1980 20 0 0 1860 1880 19 00 1920 194 0 1960 1980 2000
Sommer (Jun., Jul., Aug.,) 1864-2008 Herbst (Sept., Okt., Nov.) 1864-2008
p 6,0 p 6,0
l
� Trend: 0,9 °C / 100 Jahre "" Trend: 1,2 °C / 100 Jahre
� 4,0 � 4,0
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-4,0 -4,0
-6.0 -6, 0
186 0 1880 19 00 1920 1940 1960 1980 2000 186 0 1880 1900 1920 1940 196 0 1980 2000
etwa 0, 5 °C erhöht; in föhnreichen Monaten steigt IAbb.12I Langjähriger Verlauf der ja/1reszeitlichen Temperatur (Winter, Frühling, Som
das Monatsmittel jedoch um bis zu 3 °C an. mer, Herbst) gemittelt über die gesamte Schweiz.
Die rasche Schneeschmelze und die herbstlichen Erläuterung: Dargestel lt ist die jährliche Abweichung der saisonalen Temperatur von der
Föhnlagen verlängern die Vegetationsperiode und Norm 1961-1990 (rot=positive Abweichungen, blau=negative Abweichungen). Als Daten
basis dienen die verfügbaren zwölf homogenen Messreihen der Schweiz (Stand 2009).
führen damit zu einer bemerkenswerten landwirt
schaftlichen Begünstigung. Neben dieser klimati
schen Begünstigung ist der Föhn jedoch wegen seiner Klima ist nichts Konstantes, sondern eine Abfolge
erheblichen Sturmschäden gefürchtet: Hausdächer, von deutlich wechselnden Bedingungen. Je nach
Obstgärten, ja ganze Waldgebiete sind gefährdet. An Jahreszeit haben sich in der langfristigen Klimaent
gefacht durch heftige Föhnböen haben sich in der wicklung dabei nicht nur Wechsel, sondern eigent
Vergangenheit zahlreiche verheerende Dorfbrände liche Klimasprünge ereignet, welche durchaus auch
ereignet. Bekannt dafür ist v. a. der Kantonshauptort mit einer gewissen Dramatik verbunden sind.
Glarus, welcher auf diese Weise mehrmals von Feu
ersbrünsten heimgesucht wurde. Die Temperaturentwicklung
Hinsichtlich der langfristigen Temperaturentwicklung
Klimaschwankungen seit Messbeginn zeigen die Jahreszeiten Herbst und Winter ein sehr
Die Diskussion um die langfristige Klimaentwicklung ähnliches Muster. Noch näher kommen sich die Tem
wird in der Öffentlichkeit immer wieder dann aktu peraturmuster der beiden Jahreszeiten Frühling und
ell, wenn sich Dramatisches abspielt. Kurzfristige Sommer (Abb. 12).
12
.S!� Herbst +2,1 +1,1 bis +3,5 -6 -14 präsentierten Szenarien. Deut
1182 Südschweiz
�§
Winter +1,8 +0,9 bis +3,1 +11 +1 bis +26 liche Änderungen ergeben sich
hingegen in der Niederschlags
Frühling +1,8 +0,9 bis +3,3 -4 -15 bis +5 entwicklung. Gemäß den Sze
1ll, bis 2050
C-5 Sommer +2,8 +1,5 bis +4,9 -19 -36 bis - 6 narien CH2011 ist bis 2050 in
<'>� allen Jahreszeiten keine signi
Herbst +2,2 +1,2 bis +3,7 -4 -14 bis +4
F! fikante Niederschlagsänderung
H I Tab. 41 Erwartete Änderung der jahreszeitlichen Temperatur und der jahreszeitlichen Niederschläge bis ins Jahr
�\l 2050 gegenüber 1990.
zu erwarten. Ab 2050 zeichnet
sich im Sommer eine leichte
Niederschlagsabnahme ab.
00
Szenarienrechungen sind mit relativ großen Un möglich. Die gesamte Zusammenstellung aller vier
sicherheiten verbunden. Deshalb wird neben der Jahreszeiten gibt Tab. 4.
Berechnung der Temperatur- und Niederschlags
änderung immer auch der dazugehörige Unsicher Anpassungsstrategien der Schweizer Regierung
heitsbereich der Aussage bestimmt. 1 m Folgenden Angesichts der zu erwartenden Klimaänderung
wird jeweils das 95%-Vertrauensintervall ange verstärkt die Schweizer Regierung ihre Anstren
geben. Das bedeutet, dass sich die Änderung mit gungen im Bereich Klimapolitik und fokussiert auf
95% Wahrscheinlichkeit inne.rhalb der angegebe Anpassungsstrategien. So legt beispielsweise das
nen Unsicherheitsbandbreite bewegen wird. C0 2 -Gesetz, das seit dem 1.5.2000 in Kraft ist,
den Grundstein für eine nachhaltige Energie- und
Temperatur Klimapolitik. Danach müssen bis ins Jahr 2010
Bis 2050 wird es in der Nord- und Südschweiz in die COrEmissionen aus der Verbrennung fossi
allen Jahreszeiten wärmer werden. Nördlich der ler Energie insgesamt um 10% unter das Niveau
Alpen wird im Winter eine Erwärmung um + 1,8 •c von 1990 gesenkt werden. Zudem sind im Gesetz
(Unsicherheits-Bandbreite +0,9 bis +3,4 °C) und Teilziele verankert: für Brennstoffe minus 15%, für
im Sommer eine Erwärmung um +2,7 °C (Unsicher Treibstoffe minus 8%. Der vom BAFU (Bundesamt
heits-Bandbreite +1,4 bis +4,7 °C) erwartet. Auf für Umwelt) im Rahmen der Gesamtstatistik des
der Alpensüdseite ist die Erwärmung nur unwesent Bundes jährlich erhobenen C0 2-Statistik lässt sich
lich stärker. Im Winter beträgt sie ebenfalls +l,8 °C entnehmen, ob die Schweiz auf Zielkurs ist. Zwar
(Unsicherheits-Bandbreite +0,9 bis +3,1 °C), und im sollten die Ziele des Gesetzes vorerst mit freiwilli
Sommer +2,8 °C (Unsicherheits-Bandbreite +1,5 bis gen Maßnahmen erreicht werden, doch beschloss
+4,9 °C). In den Übergangsjahreszeiten Frühling und der Bundesrat 2005, eine C0 2-Abgabe auf Brenn
Herbst sind beidseits der Alpen ähnliche Tempera stoffen einzuführen.
turzunahmen wie im Winter zu erwarten. Die voll Der Bundesrat beauftragte ferner im Jahr 2009 das
ständige Zusammenstellung für alle vier-Jahreszeiten Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr,
gibt Tab.4. Energie und Kommunikation (UVEK), in Zusammen
Die Unsicherheits-Bandbreite umfasst das 95% arbeit mit dem Eidgenössischen Departement des
Vertrauensintervall. Das bedeutet, dass sich die er Innern, dem Eidgenössischen Finanzdepartement,
wartete Änderung mit 95% Wahrscheinlichkeit in dem Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement
nerhalb der angegebenen Unsicherheits-Bandbreite und dem Departement für Verteidigung, Bevölke
bewegen wird. rungsschutz und Sport, klimabedingte Risiken zu
analysieren, nationale Anpassungsstrategien ausge
Niederschlag wählter EU-Länder zu untersuchen und bis 2011
Die Niederschläge werden bis 2050 im Winter Anpassungsstrategien für die Schweiz zu entwickeln.
beidseits der Alpen zunehmen. Für die Alpennord Sie sollen als Grundlage zum schweizweit koordinier
seite zeigt das Szenario eine Zunahme der Winter ten Vorgehen bei der Anpassung an die Klimaände
niederschläge um rund +8% (Bandbreite -1% bis rung dienen.
+ 21 %), für die Alpensüdseite eine Zunahme von Die Ausarbeitung der Anpassungsstrategien be
+ 11 % (Bandbreite + 1% bis + 26 %). 1 n die um züglich des Klimawandels umfasst folgende Berei
gekehrte Richtung weisen die Niederschlags-Sze che: Landwirtschaft, Forst- und Wassermanagement,
narien für den Sommer. Auf der Alpennordseite ist Energieproduktion und Tourismus, Biodiversitätsma
bis 2050 mit einer Abnahme um -17% (Bandbreite nagement, Regionalentwicklung, Gesundheit und
-7% bis -31 %), auf der Alpensüdseite mit einer Naturgefahren-Prävention. In diesen Bereichen wer
Abnahme um -19% (Bandbreite -6% bis -36%) den die wichtigsten Auswirkungen des Klimawandels
zu rechnen. Im Frühling und Herbst sind sowohl sowie die wichtigsten Handlungsfelder identifiziert
Niederschlagszu- als auch Niederschlagsabnahmen (s. BAFU/UVEK 2008 2010 und UVEK 2007).
14
Gesteins
rohböden
Ranker,
Regosole
-- Rendzinen
(Jura, Kalkalpen)
Rendzinen,
mit org. Auflage
"saure 11
Braunerden
- Parabraunerden
Braun
podsole
- Podsole
hydromorphe
Böden
menden Braunerden sind durch Verbraunung und Südschweiz entstehen im Zusammenhang mit Kas
Tonmineralneubildung gekennzeichnet, die durch tanienwäldern spezielle, einma Iige Podsolierungs
die Silikatverwitterung hervorgerufen werden. Para formen. In den T älern der Südschweiz sind haupt
braunerden zeichnen sich durch eine Tonverlagerung sächlich ehemalige Auenböden, Braunerden sowie
innerhalb des Bodenprofils aus und neigen örtlich Nassböden prägend.
zu Ausprägungen mit Staunässe (Zimmermann et al.
2006). Auf Molassestandorten ohne Moränebede Gefährdung und Zukunft der Böden
ckung bilden sich aus karbonatfreiem, sandigem
Material oft saure Braunerden. Entlang von Fluss Gefahr von Übernutzung und Zerstörung
läufen können diese Böden auch durch Grundwasser Kernmerkmale der Böden sind die Dreidimensionali
vernässt sein. tät in Raum und Tiefe, die Funktionalität als Teil des
Ökosystems Landschaft und als eigenes Ökosystem,
Alpenrandgebiete ihr Charakter als begrenzte Ressource mit beschränk
1 m häufig niederschlagsreichen Alpenrandgebiet ter Regenerationsfähigkeit sowie die zeitlichen Dimen
mit teilweise feinkörnigen Sedimenten dominieren sionen von jahrtausendelanger natürlicher Entstehung
Nassböden, regional kommen kleinflächig auch or einerseits und der Gefahr einer raschen Belastung
ganische Böden vor. Zudem entstanden auf sandi und Zerstörung durch den Menschen andererseits.
ger Molasse saure Braunerden. Ebenso ergeben sich Der Mensch nutzt und beansprucht Böden und
aus der Nagelfluh je nach Zusammensetzung der Bodenfläche auf vielfältige Weise. 1 n der Schweiz
Skelettrückstände nährstoffreichere, weniger saure weisen die Zahlen der aktuellen Bodennutzung 37 %
Braunerden. als Landwirtschaftsflächen aus, 31 % als Wald, 25 %
als sog. unproduktive Flächen und 7 % als Siedlungs
Alpen und lnfrastrukturflächen (BAFU, BFS 2009). Der
In den Alpen sind die bodenbildenden Substrate ex Mensch prägt die Böden mit: in ihrer Morphologie,
trem heterogen. Neben rohen Bodenbildungen wie in ihren Eigenschaften und in ihrem Erscheinungs
Gesteinsrohböden, Ranker, Regosole und rendzi bild in der Fläche. In historischen Zeiten waren es
nen, sowie Verwitterungsböden treten häufig durch in erster Linie die Art und Weise der Bewirtschaftung
Verlagerungsprozesse gekennzeichnete Böden auf oder Maßnahmen zur sog. landwirtschaftlichen Bo
(Blaser et al. 2005). Im Podsol sind Verwitterungs denverbesserung, welche die Böden beeinflussten.
und Verlagerungsprozesse weit fortgeschritten. Ihr So wurden in der Schweiz im Zuge der planmäßigen
Erscheinungsbild zeigt einen hellen, gebleichten Förderung der Landwirtschaft zur Sicherung der Nah
Oberboden und darunter liegend einen intensiv rungsmittelversorgung während des Zweiten Weltkrie
gefärbten Anreicherungsbereich. In Hanglagen der ges große Bodenflächen entwässert. Böden, die von
16
11 11
IAbb. 151 Die wichtigsten bodenrelevante Bodenzerstörung Schadstoffanreicherung Schädigung der
Krankheitsbilder(,, Syn Nutzungen im Boden Bodenstruktur
drome") der Böden in der
Schweiz.
Wohnen Bella casa-Syndrom
Anmerkung: Der Begriff „erd Ausbreitung der Siedlungsgebiete
verlegte Life-lines" bezeich
net große, erdverlegte Ver Shoppy-Syndrom Schlot-Syndrom
und Entsorgungsleitungen 1 ndustrie/Gewerbe Wachstum von Handels-. Verteil Schadstoffdeposition
wie Hochspannungs-, Kana und Gewerbezentren von Einzelemittenten
lisations-, Wasser- und Hoch
druckgasleitungen. Mit „39
Tonnen-Syndrom" ist die Bo Mobilität
§ Al-Syndrom
u Bodenverschmutzung und -zerstörun l
denverdichtung und Schädi !;_ durch Straßenverkehr :J
gung d e r B o d e n s t ruktur
durch schwere Landwirt Event-Syndrom
Edelweiß-Syndrom C,
schaftsmaschinen gemeint.
__J
Kotelett-Syndrom 39 Tonnen-Syndrom
Landwirtschaft Stoffeintrag durch hohe Bodenverdichtung und Schädigung
Schweinedichten der Bodenstruktur
Humus bachab-Syndrom Zweier! i-Syndrom
Bodenerosion Bodenbelastung im Reb- und Obstbau
Landesverteidigung Tell-Syndrom
Bodenbelastung und -zerstörung auf Schiessplätzen und -anlagen
Stau- oder Grundwasser geprägt waren, verschwan nicht, Erosionsspuren auf Ackerflächen verschwinden
den auf diese Weise. Die Nutzung der organischen schnell wieder, und überbauter und damit zerstörter
Böden im Berner Seeland für die intensive Gemüse Boden erfährt sogar eine massive ökonomische Wert
bauproduktion führt aktuell zu einer fortschreitenden steigerung. So entziehen sich die Probleme von Bö
Mineralisierung dieser Böden. Schließlich führt die den der individuellen und gesellschaftlichen Wahr
Urbanisierung des schweizerischen Mittellandes zu nehmung. Es ist deshalb hilfreich, die vier im mittel
einer tief greifenden Veränderung vieler natürlich ge europäischen Raum klassischen Bodengefährdungen
wachsener Böden hin zu eigentlichen Technosolen. ■ Bodenzerstörung durch Flächenverbrauch
Dies sind Böden, deren Eigenschaften und Entste ■ mechanische Bodenbelastung durch Schädigung
hung durch technische und menschliche Einflüsse der Bodenstruktur infolge Erosion, Verdichtung,
gekennzeichnet sind (Bundesanstalt für Geowissen Überschüttung und Umlagerung
schaften und Rohstoffe 2008). ■ stoffliche Bodenbelastung durch Eintrag und An
Dies ist der augenfälligste Ausdruck davon, dass reicherung von Schadstoffen
die Ansprüche der Menschen an die Böden und die ■ biologische Bodenbelastung durch invasive, pa
Bodenfläche in den letzten Jahrzehnten stetig ge thogene oder gentechnisch veränderte Organis
wachsen sind. Die Nutzungskonflikte haben zuge men nach dem Syndromansatz (Wissenschaftli
nommen und belasten die Böden oder zerstören sie cher Beirat 1994) zu betrachten. Dabei werden
gar. So schließt die Nutzung des Bodens als Standort die Gefährdungen der Böden anhand eigentlicher
für Gebäude oder lnfrastruktureinrichtungen wesent "Krankheitsbilder" veranschau I icht. Diese Syn
liche ökologische Funktionen aus, denn überbaute drome (Abb. 15) sind Zeichen der Ü bernutzung
Böden können kein Niederschlagswasser mehr spei und der Zerstörung von Böden. Sie haben letztlich
chern oder filtern. Doch zunehmend wird erkannt, komplexe Ursachen, auch wenn sich das primäre
dass Böden und Bodenfläche als endliche Ressour Krankheitsmerkmal z. T. auf einfache Ursache-Wir
ce nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen und dass kungs-Beziehungen zurückführen lässt.
der Übernutzung und dem Flächenverbrauch Gren
zen gesetzt sind. Gesunde Böden und ausreichend Die Befunde lassen sich wie folgt zusammenfassen
freie Bodenfläche sind für die heutige Schweiz keine (Mosimann 1996; BAFU, BFS 2009):
Selbstverständlichkeit mehr. ■ Es gibt in der Schweiz, wie in Mitteleuropa allge
mein, keine völlig unbelasteten Böden mehr. Zwei
Syndrome: Bodengefährdungen sichtbar gemacht Drittel der Schweizer Bodenfläche sind gering bis
Stinkende Luft, verschmutzte Gewässer oder Ver durchschnittlich belastet. Das verbleibende Drittel
kehrslärm sind unmittelbar mit den Sinnen erfass zeigt deutliche Belastungsspuren in vielfältiger
bar. Anders beim Boden: Cadmium im Boden riecht Form.
Bodenschutz in der Schweiz: Vielfalt - Probleme - PerSQE!ktlven 17
■ Der Hauptteil der Bodenbelastungen und Boden damit verbundenen großen Pendlerströmen mit ent
zerstörungen konzentriert sich auf ein Drittel der sprechenden Verkehrs- und anderen lnfrastrukturein
Landesfläche, d. h. primär auf die Agglomerations richtungen.
räume im schweizerischen Mittelland.
■ Hauptproblem ist die schleichende, immer weiter Die vier Säulen des Bodenschutzes in der Schweiz
gehende Verstädterung, verbunden mit dem lnfra Bund und Kantone in der Schweiz sind aufgrund von
strukturausbau. Artikel 73 der schweizerischen Bundesverfassung
■ Bezüglich der Landwirtschaft sind die physikali seit 1999 (Schweizerische Eidgenossenschaft 1999)
schen Bodenbelastungen wie Erosion und Verdich dazu verpflichtet, für ein auf Dauer ausgewogenes
tung inzwischen als mindestens gleichbedeutend Verhältnis zwischen der Natur und ihrer Erneue
einzustufen wie die Spuren von Schadstoffen. rungsfähigkeit einerseits sowie der Beanspruchung
durch den Menschen anderseits zu sorgen. Gemäß
Die Dynamik in der Raum- und Bodennutzung Artikel 74 erlässt der Bund Vorschriften zum Schutz
Die Schweiz zeichnet sich wie andere hoch entwi des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor
ckelte Gesellschaften durch einen hohen Flächen schädlichen oder lästigen Einwirkungen. In Arti
verbrauch bei gleichzeitig geringer Ausnutzung der kel 75 schließlich legt der Bund die Grundsätze für
Bodenfläche aus. Das Monitoring der Raumnutzung die Raumplanung fest; die Kantone setzen sie mit
in der Schweiz - die sog. Arealstatistik- belegt die dem Ziel der zweckmäßigen und haushälterischen
intensive Bautätigkeit, verbunden mit dem Verlust an Nutzung des Bodens sowie der geordneten Besie
Kulturland. Nach wie vor gehen in der Schweiz täg delung des Landes um. Die Kantone unterschei
lich 11 ha Kulturland bzw. 1, 3 m2 Bodenfläche pro den sich in ihren Umsetzungsstrategien jedoch z. T.
Sekunde verloren (BFS 2001; BAFU, BFS 2009). beträchtlich.
Der jährliche Verlust an Bodenfläche durch Überbau Schutz und nachhaltiger Umgang mit der Ressour
ung beläuft sich auf rund 40 km2 und entspricht so ce Boden ist in der Gesetzgebung als Querschnitts
mit ziemlich genau der Fläche des Bielersees. Auch aufgabe verankert. Maßnahmen in verschiedenen
wenn sich diese Entwicklung in den letzten Jahren Bereichen - wie Raumplanung, Umweltschutz,
etwas abgeschwächt hat, kann dies nicht als nach Land- und Forstwirtschaft, Luftreinhaltung, Abfall
haltige Bodennutzung bezeichnet werden. gesetzgebung, Umgang mit Produkten, Chemikalien
Gleichzeitig vergrößerte sich die Waldfläche der und Organismen, um nur einige zu nennen - sollen
Schweiz als Folge ihres rechtlichen Schutzes und die Belastung der Böden verhindern und den Bo
der Extensivierung der Landwirtschaft in Randregi denverbrauch minimieren. Dabei haben das Bun
onen und ertragsschwachen Lagen leicht. Dadurch desgesetz über die Raumplanung (Schweizerische
gerät die noch „freie Landschaft" zwischen dem Eidgenossenschaft 1979) und das Umweltschutzge
Siedlungs- und dem Waldgebiet weiter unter Druck. setz (Schweizerische Eidgenossenschaft 1983) den
Dies ist der Raum, in welchem sich die Nutzungs höchsten Stellenwert. Die sich daraus ergebenden
konflikte am intensivsten manifestieren: Diese frü vier Säulen der schweizerischen Bodenschutzpolitik
her über Jahrhunderte hinweg der landwirtschaftli umfassen
chen Nutzung und damit der Produktion von Nah ■ Maßnahmen gegen Flächenverluste (quantitativer
rungsmitteln vorbehaltene Fläche wird zunehmend Bodenschutz),
überbaut. Es ist der Schweiz in den letzten Jahr ■ gegen stoffliche Belastungen,
zehnten nur ungenügend gelungen, diese Bodenbe ■ gegen physikalische Belastungen sowie
anspruchung und Bodenzerstörung zu lenken oder ■ gegen biologische Belastungen (qualitativer Bo-
gar spürbar einzudämmen. Dies ist deshalb bedenk denschutz).
lich, weil der Verlust an Bodenfläche immer auch
Verlust an Bodenvolumen bedeutet, denn Boden ist Hinsichtlich des Bodenschutzes ist auch die lange
dreidimensional. Damit geht die Funktionalität der Tradition der Waldgesetzgebung erwähnenswert: So
Böden verloren. erfolgte die Verankerung des Grundsatzes der Nach
Aus raumplanerischer Sicht ist der Flächenver haltigkeit in Bezug auf die Waldfläche in der Schweiz
brauch und damit verbunden die Zersiedlung der bereits im Jahr 1876. Der Wald darf gemäß Wald
Landschaft in den Fokus gerückt. In der Analyse gesetz (Schweizerische Eidgenossenschaft 1991)
der Siedlungs- und lnfrastrukturentwicklung in der weder in seiner Fläche noch in seiner räumlichen
Schweiz (Jaeger et al. 2008) wird eindrücklich das Verteilung beeinträchtigt werden.
Ausmaß der fortschreitenden Zersiedelung der Land In jüngerer Zeit haben die Bundesbehörden ein
schaft dokumentiert. Ursachen dafür sind u. a. das Leitbild zum Bodenschutz in der Schweiz formu
Bedürfnis nach Wohnen im Grünen und die Suche liert, in welchem der Weg zum behutsamen Umgang
nach günstigem Bauland. Die Zersiedelung geht mit der Ressource Boden aufgezeigt wird (s. Exkurs
mit Bodenversiegelung sowie der Verkleinerung und ,,Leitbild Bodenschutz Schweiz").
Zerstückelung von Lebensräumen für Pflanzen und
Tiere einher. Die Auswirkungen reichen vom Verlust Erhaltung gesunder Böden als Schutzziel
an Freiflächen und Naherholungsgebieten, gerin Die Bodenschutzbestimmungen im Umweltschutz
ger Bebauungs- und Bevölkerungsdichte bis hin zur gesetz werden in der eidgenössischen „Verordnung
räumlichen Trennung von Wohnen und Arbeiten und über Belastungen des Bodens" (VBBo) vom 1. Juli
Leitbild Bodenschutz Schweiz - zehn Eckpunkte
1. Verankerung des Wissens um die Verletzlich 4. Nachhaltige, schonende und sparsame Nut
keit des Bodens und seine zentrale Stellung zung des Bodens bezüglich Fläche, Menge
im Naturhaushalt: und Qualität sind zu gewährleisten.
■ Sensibilisierung der Bevölkerung durch Ins 5. Belastete Böden sind soweit zu sanieren,
titutionen, Natur- und Umweltschutzverbän dass die Gefahren beseitigt werden.
de sowie Schulen 6. Wer Boden nutzt, ist auch für dessen Schutz
■ Unterstützung und Koordination durch die verantwortlich.
entsprechenden Behörden 7. Die Integrität des Bodens muss durch rechtli
■ Öffentlichkeitsarbeit der Behörden (wissen che Normen gesichert werden.
schaftliche Untersuchungen, Rechtsgrund 8. Der Schutz des Bodens ist Gesellschaftsauf
lagen) trag. Für einen unabhängigen Bodenschutz
2. Vorsorglicher Schutz des fruchtbaren Bodens müssen die institutionellen Voraussetzungen,
gegenüber chemischen, biologischen und die personellen und finanziellen Ressourcen
physikalischen Belastungen. Eingebunden verbessert werden.
sind Behörden, Industrie und Gewerbe, Ak 9. Eine enge Vernetzung aller Bodenschutzak
teure wie Landwirte, Förster oder Bauherren. teure (Bodenschutzbehörden, Wissenschaft,
3. Koordinierte und langfristige Bodenbeobach Bodenkundliche Gesellschaft u. a.) ist unent
tung und -Überwachung. Der schweizerische behrlich.
Bund betreibt dazu das nationale Referenz 10. Die Zusammenarbeit mit der Raumplanung
netz NABO (Nationale Bodenbeobachtung), sowie der Land- und Forstwirtschaft als wich
das von Kantonen regional ergänzt wird. Ver tigen Partnern des Bodenschutzes muss in
gleichbarkeit und Austauschbarkeit der Da tensiviert werden.
ten sollen mittels einer nationalen Datenbank
gewährleistet werden.
Quelle Nach E1dgen6ss1sches Departement für Umwelt Verkehr. Energie und Komrnunikat10n (UVEK) und Bundesamt ror Umwelt (BAFU) 2007 ßoden!'.Chutz Schweiz - ein Le1tbilO
1998 (Schweizerisches Bundesamt für Umwelt, drückt etwa mit „gesundem Boden" umschrieben
Wald und Landschaft 2001) konkretisiert. Schutz werden kann, bezieht sich auf die standorttypische
ziel ist hier - in Ergänzung zur Erhaltung offener Bo Funktionsfähigkeit eines Bodens, sei es als Lebens
denflächen im Raumplanungsgesetz - die langfris raum, als Grundlage für die Pflanzenproduktion oder
tige Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit. Der Begriff als Teil biogeochemischer Stoffkreisläufe. Der Be
der „Bodenfruchtbarkeit" ist in der schweizerischen griff der Bodenfruchtbarkeit umfasst auch die lang
Gesetzgebung weit gefasst. Was populär ausge- fristige Erhaltung der Multifunktionalität und der
Sachplan Fruchtfolgeflächen
Der Sachplan Fruchtfolgeflächen (FFF) wurde einen ganzheitlichen Ansatz und es kommen auch
am 8. April 1992 durch Beschluss des Bundes andere raumordnungs- und staatspolitische Zie
rates erlassen. Er legte für die gesamte Schweiz le - beispielsweise die Erhaltung gesunder Böden
die Ausdehnung der Fruchtfolgeflächen auf oder die Erhaltung von Trenngürteln zwischen den
438 560 ha fest und verteilte Kontingente auf die Siedlungen - zum Tragen, welche die Mehrdimen
einzelnen Kantone. Die Gesetzgebung zur Raum sionalität des Sachplanes FFF erkennen lassen
planung definiert die FFF als ackerfähiges Kul (Bundesamt für Raumentwicklung ARE 2006).
turland, v. a. Ackerland und die Kunstwiesen in Die Kantone müssen dafür sorgen, dass die FFF
Rotation sowie ackerfähige Naturwiesen. Sie sind den Landwirtschaftszonen zugeteilt werden. Sie
mit Blick auf die klimatischen Verhältnisse, die müssen sicherstellen, dass der zugewiesene Min
Beschaffenheit des Bodens und die Geländeform destumfang dauernd erhalten bleibt, und die Ver
zu bestimmen; zudem sind die Bedürfnisse des änderungen von Lage, Umfang und Qualität der
ökologischen Ausgleichs zu berücksichtigen (Bun Fruchtfolgeflächen überwachen.
desamt für Raumentwicklung ARE 2006). Gemäß Der Sachplan FFF hat vielerorts zu einem be
der Vollzugshilfe zum Sachplan Fruchtfolgeflä wussteren Umgang mit Böden und Bodenfläche
chen dient der Sachplan nicht nur dem Schutz geführt und den Stellenwert der Böden in raum
des agronomisch besonders wertvollen Teils des planerischen Abwägungen bei Nutzungskonflikten
für die landwirtschaftliche Nutzung geeigneten spürbar erhöht. Trotzdem konnte er den stetigen
Kulturlandes der Schweiz und damit der Ernäh Verlust an Kulturland bislang nicht entscheidend
rungssicherung des Landes, sondern verfolgt auch verlangsamen oder gar stoppen.
Regenerationsfähigkeit von Böden und damit die Bodenschutzbilanz mit Lichtblicken
Ertragsfähigkeit. Die schweizerische Bodenschutzbilanz fällt zwiespäl
Weil sich Böden von Belastungen -wenn über tig aus. Positiv zu vermerken sind Erfolge in der Ver
haupt - nur sehr langsam erholen, und großflächige ringerung stofflicher Belastungen, in der Förderung
Bodensanierungen unrealistisch sind, ist die Vorgabe einer multifunktionalen, ökologisch ausgerichteten
der „Langfristigkeit" gleichzeitig eine Verpflichtung, Landwirtschaft, in der Flächensicherung im Natur
Bodenbelastungen überhaupt zu vermeiden. Das und Landschaftsschutz sowie im höheren Stellenwert
Schwergewicht der Maßnahmen im Bodenschutz in der Siedlungsverdichtung, d.h. der Siedlungsentwick
der Schweiz liegt daher, mehr noch als in anderen lung nach innen. Insgesamt erfreulich ist der vielfach
Umweltbereichen, bei der Vorsorge. bewusstere Umgang mit der Ressource Boden.
Auf dem Weg zur Nachhaltigkeit ist die Schweiz
Bedeutung des Sachplans Fruchtfolgeflächen allerdings noch nicht am Ziel. Nachholbedarf besteht
Ackerfähiges Kulturland genießt in der Schweiz ei namentlich in der Bereitstellung von Wissen über die
nen erhöhten Schutz. In dem vom Bundesrat festge Böden -etwa in Form detaillierter Bodenkarten -so
legten Sachplan Fruchtfolgeflächen FFF (Eidgenös wie im Umgang mit physikalischen Belastungen wie
sisches Justiz- und Polizeidepartement et al. 1992) Erosion und Verdichtung speziell in der Landwirt
ist festgeschrieben, dass es in einem Mindestum schaft. Nicht zuletzt könnte die sich abzeichnende
fang dauernd erhalten bleiben muss (s. Exkurs). Klimaänderung mit vermehrten Starkniederschlägen
Ursprünglich diente der Sachplan Fruchtfolgeflä die Erosion auf Ackerflächen akzentuieren. Auch
chen durch Erhaltung der für die Landwirtschaft ge die Raumordnung muss sich nach wie vor großen
eigneten Flächen der Ernährungssicherung für die Herausforderungen stellen, spielt sie doch in der
Schweiz - heute ist er eines der wenigen wirksamen flächenhaften Erhaltung der Ressource Boden die
Instrumente, um die Erhaltung zumindest eines Schlüsselrolle. Inwieweit es der Schweiz gelingt, die
Teils der landwirtschaftlich genutzten Bodenfläche Bodenbeanspruchung und namentlich den haushäl
sicherzustellen (Bundesamt für Raumentwicklung terischen Umgang mit der Bodenfläche nachhaltig zu
ARE 2006). gestalten, wird die Zukunft weisen müssen.
Durch die vertikale Erstreckung über teils mehrere in internationalen Programmen Untergovernmental
Tausend Meter ändern sich zudem die klimatischen Panel on Climate Change, Global Climate Obser
Bedingungen mit der Höhe. Pflanzen, Tiere, Verwitte ving System) neben den instrumentellen Messun
rungs- und Abtragungsprozesse sowie Böden passen gen der Luft- und Meeresoberflächentemperatur
sich an diese Änderungen an und bilden charakte als natürliche Schlüsselindikatoren im komplexen
ristische Höhenstufen. Da der Übergang von einer Klimasystem gelten (United Nations Environment
Höhenstufe zur nächsten meist thermisch bedingt Programme UNEP 2007).
ist, führen bereits geringe Temperaturschwankungen ■ Permafrost als der „langfristig Unsichtbare" re
zu deutlich sichtbaren Veränderungen. Am bekann agiert außerordentlich langsam, aber auch lang
testen sind hierfür die Gletscher mit ihren starken anhaltend und zudem tief im Inneren der Berge
Volumen- und Längenänderungen (Abb. 17). (Abb.18). Nicht nur die Beobachtung, auch all
In dieses hoch komplexe Ökosystem greift der fällig notwendige Maßnahmen sind hier schwierig
Mensch seit Jahrtausenden durch Entwaldung, und aufwendig.
Landwirtschaft, Wasserkraftnutzung, Verbauung der
Fließgewässer und Tourismus ein und verändert den Sowohl die Gletscher wie der Permafrost hängen stark
Naturhaushalt. In vielen Bereichen der Alpen gerät von der Entwicklung des Schnees und den damit zu
das System dadurch aus dem Gleichgewicht, oft sammenhängenden Unberechenbarkeiten ab. Hoch
mit langfristigen Folgen. Die Alpen sind damit ein auflösende Klimamodelle, gekoppelt mit GIS-basierten
sensibles „Frühwarnsystem", in dem sich natürliche räumlichen Simulationen für Schnee und Eis, können
und anthropogene Umweltveränderungen besonders in Zukunft die Folgen komplexer Interaktionen ab
intensiv und schnell auswirken (vgl. Veit 2002; Bät schätzen helfen. Wichtigste Entscheidungsgrundlage
zing 2003). bleibt jedoch die direkte Beobachtung in der Natur.
Im Jahr 2000 bedeckten die Gletscher der Schweiz
Reaktion der Alpen auf den Klimawandel eine Fläche von rund 1050 km 2 , d. h. 2,5 % der Flä
che der Schweiz (Spreafico & Wei ngartner 2005).
Schnee, Gletscher und Permafrost Etwa die Hälfte des Gletschervolumens (ca. 0,5 %
Das Bild der Alpen als Hochgebirgslandschaft wird pro Jahr) in den europäischen Alpen ist seit der Mitte
durch Schnee und mehr oder weniger „ewiges" Eis des letzten Jahrhunderts bis zur Aufnahme der Glet
geprägt. Dabei spielen die Kryosphärenkomponen scherinventare in den l 970er-Jahren verschwunden.
ten Schnee, Gletscher und Permafrost sehr unter Seither und bis zur Jahrtausendwende haben die Al
schiedliche Rollen (vgl. die Übersichten von Haeber pengletscher nochmals etwa ein Viertel des verblei
li& Maisch 2007, 2008): benden Gesamtvolumens (ca. 1 % pro Jahr) einge
■ Der stark von kurzfristigen Wetterabläufen abhängi büßt, und im ersten Jahrzehnt des 21. Jh. sind die
ge Schnee ist primär eine „nervöse Grenzschicht" Verluste auf etwa 2 % pro Jahr gestiegen (Haeberli
zwischen Himmel und Erde. Mit fortgesetztem at et al. 2007). Ursache des Gletscherschwundes ist
mosphärischem Temperaturanstieg könnte langfris v. a. der nach der Kleinen Eiszeit bis heute stattfin
tig unten zu wenig und oben zu viel Schnee fallen. dende Temperaturanstieg. Im Vergleich zur globalen
Die letzten Jahre weisen allerdings auf die erheb Erwärmung von rund 0,6 ° C im 20.Jh. war die Er
liche interannuelle Variabilität der alpinen Schnee wärmung im Alpenraum im 20.Jh. mehr als doppelt
verhältnisse (Laternser&Schneebeli 2003) und da so hoch (1,2-1,5 °C). Bei einer globalen Erwärmung
mit auf die Unsicherheit solcher Projektionen hin. um 2-3 °C in unserem Jahrhundert könnten die
■ Ein „sicherer Zeiger" sind hingegen die Gletscher, Alpengletscher bis auf kleine Reste im Bereich der
die mit ihrer langfristigen Sehwundtendenz heute höchsten Gipfel verschwinden (Abb. 20).
21
IAbb.181 Blockgletscher
im Binntal.
Erläuterung: Aktive Block
gletscher sind gut sichtbare
Zeichen für das Auftreten
von Permafrost. Es handelt
sich hierbei um Kriechprozes
se oder Hangbewegungen im
eisreichen Untergrund. Die
Permafrostverbreitung im
Fels ist wesentlich schwieri
ger zu erfassen.
Durch die abschmelzenden Gletscher würde dann Schwund der Gletscher entstehen neue Seen, die für
zunehmend ein Regulativ fehlen, das gerade in den die Energieproduktion und den Tourismus attraktiv
trockenen Sommermonaten zum Abfluss beiträgt. Die sein können, die aber auch ein neues Gefahrenpo
starke Reduktion des Wasserspeichers „Gletscher", tenzial (Hochwasser, Flutwellen, Seeausbrüche) dar
kombiniert mit trockeneren Sommern, und ein infol stellen.
ge der höheren Temperaturen stärkerer Abfluss im Ein Blick in die weiter zurückliegende Vergangen
Winter hätten massive Auswirkungen auf den Wasser heit zeigt, dass die Gletscher bereits seit Jahrtausen
haushalt und die saisonale Abflussverteilung (Birsan den sehr dynamische Gebilde sind und immer sensi
et al. 2005; Casassa et al. 2009). Noch bilden die bel auf Klimaschwankungen reagiert haben (Abb. 19).
rund 2000 Schweizer Gletscher ein Wasserreservoir, In der Zukunft dürften Ausmaß und Geschwindigkeit
das mit seinem Anteil von rund 18% in seiner Be dieser Vorgänge jedoch weit jenseits historischer
deutung direkt nach den Seen (66, 1 %) kommt. Das Erfahrung liegen und markante Veränderungen der
Abschmelzen der Gletscher führt - ebenso wie das Hochgebirgslandschaft verursachen (Fischlin & Ha
Abtauen des Permafrostes- durch die Bereitstellung eberli 2008; Haeberli & Hohmann 2008).
von unbewachsenem Lockermaterial zu einer Inten Auch der Permafrost, zunächst nicht so sichtbar wie
sivierung von Murtätigkeit und Felsstürzen. Mit dem die Gletscher, reagiert sensibel auf den Klimawandel.
IAbb.191 Veränderungen
Ausdehnung [Jahr] Längeänderung [ml der Zunge des Großen
Aletschgletschers während
der letzten 3200 Jahre.
-lOOO
1926/27
1957
--4000
1130 v. Chr. 615 25 n. Chr. 680 1000 1250 1500 l 750 2000
3000 2500 2000 1500 aBP
Bronzezeit Eisenzeit I Römerzeit 1 Mittelalter Neuzeit
C Geoo"aphisches Institut der Um'leßillt Bern, 2002 Kartographil!: A Broctbeck
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- gesamte Alpen
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Temperaturänderung ["Cl
IAbb.19I Modellierter Rückgang der Vergletscherung in den verschiedenen Alpenländern bei verschiedenen Szenarien des Temperaturanstiegs.
Erläuterung: Nicht berücksichtigt sind Niederschlagsänderungen. Das Total von 100% entspricht der Vergletscherung der Referenzperiode (1971-1990),
Er betrifft heute ca. 4-5% der Schweizer Alpen, tritt mer geworden (Harris et al. 2009). Den Gesetzen der
je nach Exposition v. a. in Höhenlagen oberhalb von Wärmediffusion folgend wird sich die entsprechende
ca. 2400m auf. An der Untergrenze seiner Verbreitung thermische Anomalie weiter in die Tiefe, also in den
taut er, und gleichzeitig wird die sommerliche Auftau Berg hinein, fortpflanzen (Noetzli&Gruber 2009).
schicht an der Oberfläche mächtiger. Dadurch entste
hen I nstabi I itäten in vorher gefrorenen Sedimenten Vegetation
wie auch im geklüfteten Fels - mit der Konsequenz Die Vegetation reagiert auf den Klimawandel u. a.
1 Abb. 21 I
Felssturz in von vermehrten großkalibrigen Felsstürzen und Muren mit räumlichen Wanderungen (vertikal und horizon
Randa, Bezirk Visp im (Abb. 21). In europäischen Gebirgen ist der Permafrost tal) und mit Änderungen in der Zusammensetzung
Wa/lis 1991. in den obersten rund 50 m im 20. Jh. bis zu 2°C wär- von Pflanzengemeinschaften (Biodiversität). Mit
dem Ende der letzten Eiszeit und dem starken Ab
schmelzen der Gletscher breiteten sich die Pflanzen
von ihren eiszeitlichen Refugien ausgehend wieder
aus, wenn auch mit unterschiedlicher Geschwin
digkeit. So hat sich die Vegetation über die Jahrtau
sende immer wieder geändert. Waren es zu Beginn,
im Präboreal, noch vorwiegend Kiefern und Birken,
die das Waldbild dominierten, so begannen sich von
Osten her im Boreal die Fichtenwälder in der mon
tanen und subalpinen Stufe auszubreiten. In den
Westalpen trat die Fichte verbreitet erst vor ca. 5000
Jahren auf. Eine markante Reaktion auf klimatische
Änderungen ist auch die Waldgrenze (Abb. 22). Sie
hängt im Wesentlichen von der Sommertemperatur
ab und spiegelt somit deren Schwankungen wider. In
den letzten Jahrtausenden kommt der menschliche
Einfluss mit der Rodungstätigkeit hinzu.
Im Zuge des aktuellen Klimawandels lassen sich
eine Vielzahl von Phänomenen beobachten. Die Pflan
zen wandern durch die Erwärmung nach oben - je
nach Art unterschiedlich schnell. In den letzten Jahr
zehnten waren bereits Änderungen der Artenzahlen
auf Berggipfeln messbar (Grabherr et al. 1994; Wal
ther et al. 2005). Manche Arten werden mit der wei
teren schnellen Erwärmung eventuell gar nicht mehr
Schritt halten können. Die sich nur langsam (meist
vegetativ) ausbreitenden Arten der alpinen Höhenstu
fe könnten z.B. durch die schnellere Ausbreitung der
subalpinen Sträucher und Gebüsche verdrängt wer
den. Arten, die bereits heute auf die höchsten Positi
onen beschränkt sind, könnten lokal völlig verschwin
den. Prognosen erschwerend kommt hinzu, dass sich
mit der Höhe nicht nur die Temperatur ändert, son
dern auch der geologische Untergrund, die Böden,
die Schneedecke, die Strahlungsverhältnisse und das
Relief, und dass neben den Temperaturänderungen
auch noch Niederschlagsänderungen, Änderungen
des C02-Gehalts der Luft und Düngungseffekte durch
Luftfremdstoffe berücksichtigt werden müssen.
Mit fortschreitendem Temperaturanstieg in der
Atmosphäre verschieben sich die Höhenstufen also
nicht einfach parallel zueinander, da Teilsysteme
wie „die Gletscher", .,die alpinen Matten" oder „der
Wald" nicht synchron reagieren. Die Höhenstufen
werden sich aber auch nicht einfach verformen (aus
dehnen/kontrahieren), da einzelne Prozesse wie „Ab
trag", .,Bodenbildung", .,Veränderungen von Flora und
Fauna" .,Gletscherschmelze" oder „Wärmediffusion
im tieferen Untergrund" innerhalb der verschiedenen
Teilsysteme mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten
ablaufen. Das wahrscheinlichste Szenario ist daher
die Entwicklung von zunehmenden Ungleichgewich
ten. Um mit der entsprechenden Dynamik angemes
sen umgehen zu können, muss eine „Wissenschaft
der Ungleichgewichte" entwickelt werden. ■ Die Nutzung der alpinen Wiesen - durch Jäger, als I
1 Abb. 22 Höhenstufen
Hochweiden sowie mittels Brandrodung im Bereich der Alpen, deutlich
Reaktionen auf anthropogene Einflüsse der Waldgrenze - ist bereits aus dem Neolithikum erkennbar ist die Wald
grenze. Gadmertal, Wen
Die Alpen werden seit Jahrtausenden vom Menschen bekannt.
dengletscher, Tttlis.
genutzt und stellen heute mit rund 11 Mio. Einwoh ■ Zudem führten der Kupferbergbau in der Bronze
nern das am dichtesten bevölkerte Gebirge der Welt zeit und später der Eisenabbau zu einem großen
dar (Bätzing 2003). Entsprechend stark sind die an Holzbedarf für die Verhüttung der Erze und somit
thropogenen Einflüsse auf die Ökosysteme: zu weitflächigen Rodungen.
24
,,.
reformiert
Konfessionen um 1530
katholisch
J; Bischofssitz
ehemaliger Bischofssitz
25 _j 50km jJ
■ nach dem Eintreten in den seit 1515 stets stär 19 gleichberechtigten Kantonen - die „Schweize
ker werdenden Einflussradius Frankreichs. Dieser rische Eidgenossenschaft".
Nachbarschaft war die Schweiz bis 1870 ausge ■ Die Große Restauration 1815-1830. Der Bun
setzt. Von 1870 bis 1918 rutschte sie dann in das desvertrag von 1815 war ein Vertrag zwischen 24
Magnetfeld des zweiten deutschen Kaiserreichs. souveränen Kantonen und Halbkantonen (Staaten
bund) der Schweizerischen Eidgenossenschaft und
Eine andere Zäsur bildet die Aufspaltung in zwei bildete die Rechtsgrundlage bis 1848.
konfessionelle Lager in den 1520er-Jahren (Abb. 26) ■ Die Regeneration 1830-1848, die in die Ära des
nach Einführung der Reformation in Zürich bis unge modernen Bundesstaats mündet. Prinzipien aus
fähr 1712. Sie bestimmte bis in den konfessionell ge der Zeit der Helvetik werden im Zuge kantonaler
prägten Bürgerkrieg von 1847 (.,Sonderbundskrieg") Verfassungsrevisionen wieder aufgegriffen. Die
und nochmals im Kulturkampf in den 1870er-Jahren Zeit ist einerseits durch liberale Reformen und
in hohem Maße die schweizerischen Verhältnisse. Zu wirtschaftliche Modernisierung, andererseits aber
letzt war sie noch in der Volksabstimmung von 1973 auch in verschärftem Maß durch konfessionelle
zur Aufhebung der „Jesuiten-Artikel" zu spüren. und politische Gegensätze geprägt.
Die Neue Zeit ist durch folgende Zeitabschnitte ■ Eine weitere Periodisierung orientiert sich an den
gekennzeichnet: Kriegen von 1914-1918 und 1939-1945.
■ Die zentralistische Helvetik von 1798-1803.
Nachdem Frankreichs Truppen 1798 die Schweiz Gegen die meisten dieser Zäsuren lässt sich eine
besetzten, wurde die Alte Eidgenossenschaft der Menge Argumente für andere Einteilungen anfüh
Helvetischen Republik zunächst durch einen Ein ren. Einerseits kann man Kontinuitäten z.B. über die
heitsstaat nach französischem Vorbild abgelöst, in Revolution von 1798 nachweisen, anderseits lassen
dem die Kantone nur noch Verwaltungseinheiten, sich Gleichzeitigkeiten von Unterschiedlichem gera
nicht mehr Staaten waren. de in der Zeit von 1815-1848 feststellen, oder man
■ Die Kleine Restauration in der sog. Mediationszeit kann mit guten Gründen die Jahre 1938-1948 als
1803-1815. Sie bezeichnet die Umgestaltung der Einheit verstehen (Jost 1998). Ein Beispiel: Die Ein
zentralistischen Helvetik in einen Staatenbund von führung der obligatorischen Alters- und Hinterblie-
28
benenversicherung (AHV) auf eidgenössischer Ebene te aber im September 1848 zu bleibenden Errungen
und auf Gesetzesstufe im Mai 1947 kann man als schaften.
Folge des Kriegserlebnisses interpretieren. Sie wurde
aber in der Zwischenkriegszeit vorbereitet- mit einer 1848
ersten Volksabstimmung von 1925 auf Verfassungs Die in der Phase der Regeneration a b 1830 von den
stufe und mit konkretisierenden Entwürfen 1938. Liberalen auf kantonaler Ebene schrittweise errun
Wäre es nicht zum Krieg gekommen, wäre sie viel genen Machtübernahmen bildeten einen soliden
leicht schon früher realisiert worden. Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Revolution.
Klare Periodisierungen nach Innovationen sind Zudem wurde schon 1832/33 mit substanziellen
auch darum schwierig, weil viele Erneuerungen zu Verfassungsentwürfen eine Art „Vorarbeit" geleistet,
erst auf kantonaler Ebene einsetzten (z. B. das Fa welche die weitere Umsetzung 1847 /48 erleichterte.
brikgesetz, das Proporzwahlrecht, das Frauenstimm Als vorteilhaft für die Reform erwies sich schließlich,
recht [s. Kap. .,Geschichte und Politik/Schweizeri dass die konservativen Kräfte nicht wie im Ausland
sche Demokratie"], Umweltschutzbestimmungen und über Berufstruppen verfügten, die man zur Repressi
eben die Sozialgesetzgebung wie die AHV und das on von Volksaufständen hätte einsetzen können.
Krankenkassenobligatorium) und die gesamtschwei Inwiefern waren die wirtschaftlichen Bedürfnis
zerischen Lösungen sich erst später durchsetzten. se bei der Schaffung eines gesamtschweizerischen
Die klassische Periodisierung orientiert sich an (Wirtschafts-)Raums der Hauptimpuls? In den
der politischen Geschichte. Andere Periodisierungen l 960er- und l 970er-Jahren unterstrich man unter
können sich etwa an der Verkehrsgeschichte orien dem Einfluss des „historischen Materialismus" (der
tieren: am frühen Ausbau des Gotthardtransits im Veränderungen von Produktionsweisen und der Öko
13. Jh., am vergleichsweise späten Bau der Eisen nomie einer Epoche als Triebkräfte gesellschaftlicher
bahnen in der zweiten Hälfte des 19. Jh. sowie an Prozesse sieht) die strukturellen Notwendigkeiten
der Motorisierung des Verkehrs im 20.Jh. Sie können und ökonomischen Zwänge, also die Macht der ei
aber auch auf der Industrialisierung und der Entwick nen erweiterten Binnenmarkt anstrebenden Produk
lung der Wirtschaftszweige von der Textil- über die tionskräfte (Abschaffung der kantonalen Binnenzölle
Maschinenindustrie zur chemischen Industrie fußen, 1848, Errichtung eines gemeinsamen Außenzolls,
also auf der fortschreitenden Elektrifizierung. Einführung einer gesamtschweizerischen Niederlas
sungs- und Gewerbefreiheit). Heute kann man auf
Transnationale und nationale Entwicklungen grund einer differenzierten wirtschaftsgeschichtlichen
Bei der Vermittlung der Schweizer Geschichte steht Betrachtungsweise erkennen, dass von der wirtschaft
man- wie im Falle jeder anderen Nationalgeschich lichen Problematik keine klar programmierende Kraft
te- vor dem Problem, einerseits die allgemeine Ent ausging. Es bestand kein gesamtschweizerisches In
wicklung aufzeigen zu müssen, wie sie auch in an teresse an einem freien Binnenmarkt, und es fehlte
deren Ländern in ähnlicher Weise stattgefunden hat, auch der weitgehende Konsens im Bereich der Au
etwa in der Entwicklung der Kommunikationsmittel ßenhandelsbeziehungen. Die unterschiedlichen Wirt
(Telegraf, Telefon, Telex, Internet). Anderseits steht schaftsinteressen der Kantone haben als zusätzliches
man vor der Aufgabe, die landesgeschichtliche Va Konfliktpotenzial das Projekt der Verfassungsrevision
riante der besonderen Ausgestaltung herauszulesen, eher behindert als gefördert. Es brauchte offenbar
wie etwa in Form der Eisenbahngeschichte (erste den auf keinen weiteren Faktor zurückführbaren poli
Strecke auf Schweizer Boden 1844 in Basel) mit der tischen Willen zum Nationalstaat als Vehikel zur Ver
Konsequenz des Parlamentsentscheids von 1852, wirklichung des gesellschaftlichen Aufbaus.
der den Bahnbau den Privatunternehmen überließ, Dieser modernisierende Griff nach der Zukunft
aber kantonale Konzessionserteilungen vorsah, was suchte seine Legitimation auch in der alten Ge
dann zu speziellen Ergebnissen und Entwicklungen schichte. Es sind nicht die Aristokraten des Ancien
führte. Sodann prägten auch die topographischen Regime (bis 1798), sondern die Bürgerlichen der
Besonderheiten des Alpenlandes (Bau des Gotthard neuen Ära, welche die alteidgenössischen Mythen
tunnels in den 1870er-Jahren) die weitere Entwick und damit eine „prähistorische" Dimension in das
lung. Eine weitere Folge aus der Kombination von neuzeitliche Massenbewusstsein, in die kollektive
allgemeinen und besonderen Gegebenheiten ist die Identität der Schweiz einbrachten: beispielsweise die
dem vergleichsweise dichten Netz von Flussläufen Geschichten von den bösen Vögten und den arrogan
entsprechende dezentrale Anordnung der schweize ten Rittern, den ehrlichen und tapferen Bauern usw.
rischen Fabrikindustrie und die Vermeidung von gro Man kann die 1848 geschaffene Staatsordnung
ßen dicht bevölkerten Industriearbeiter- und Elends der Schweiz als Produkt einer maßvollen Revolution
vierteln in den Städten. des „juste milieu" (bürgerliche Mitte) bezeichnen.
Mit Blick auf Europa im 19. Jh. ist ein zentraler, Das Maßhalten fand seinen fassbaren Ausdruck im
weil den modernen Bundesstaat von 1848 ermög Verzicht auf einen radikalen Zentralstaat und in der
lichender Vorgang bemerkenswert: In der Schweiz Errichtung der beiden Kammern, dem Rat der indi
setzte sich im Herbst 1847, mithin einige Monate viduell-nationalen und dem Rat der ständisch-kanto
vor den europaweiten Revolutionsausbrüchen, die li nalen Vertretungen. Die „Revolution" von 1847/48
berale Revolution durch. Dies geschah im Übrigen hatte letztlich weniger revolutionären als stabilisie
nicht ohne kriegerische Auseinandersetzungen, führ- renden Charakter. Es war eine kontrollierte Revoluti-
on von oben, welche weiteren, wenig kontrollierbaren welche den großen Landesstreik vom November 1918
Revolutionsversuchen entgegenwirkte, wie sie in den als vom Ausland importierten Revolutionsversuch
Freischarenzügen von 1844/45 von unten unternom deuteten bzw. auch verunglimpften. Ähnlich verhielt
men worden waren. Einige Radikale waren denn auch es sich mit dem Missverständnis im Falle der faschis
über das Ergebnis der Revolution von 1848 recht tophilen (,.frontistischen"l Bewegungen, die nicht
enttäuscht. einfach übernahmen ausländischer Bewegungen,
Mit dem Einbau von Reform- bzw. Revisionsme sondern zu einem bedeutenden Teil „auf dem eige
chanismen entstand immerhin ein ziemlich zukunfts nen Mist" gewachsen waren. In diesem Fall kann man
tauglicher Staatsgrundriss. 1848 brachte eine Ord sogar sagen, dass dem rechtsnationalen Populismus
nung, die es ermöglichte, die Notwendigkeit eines jener Jahre mehr Zulauf beschieden gewesen wäre,
steten Wandels mit den Kontinuitätsanforderungen wenn er nicht durch außenpolitische Verwandtschaf
eines Staatswesens auf produktive Weise zu kombi ten diskreditiert worden wäre. Das nationale Abgren
nieren. Die weitere Entwicklung vollzog sich kaum zungsbedürfnis bewahrte in diesem Fall vor Schlim
mehr in Revolutionen, sondern in Transformationen. merem.
Wie bei den meisten Nationalgeschichten wird auch
Söldnerwesen die Schweizer Geschichte gerne als Geschichte von
Zu Beginn des 16. Jh. nahm das Söldnerwesen - der Bedrohungsmomenten und Bewährungsantworten
von der schweizerischen Seite organisierte Fremde verstanden - und alles in allem als success story.
Dienst insbesondere für Frankreich, aber auch für 1848 war tatsächlich ein „success". Die verschie
viele andere Mächte - größere Ausmaße an. Dies denen Kriege und Kriegsmomente wurden gut über
ermöglichte eine erwünschte Reduktion des Bevöl standen: 1859 der Neuenburger-Konflikt gegenüber
kerungsüberschusses und sicherte erhebliche Ein den drohenden Preußen, 1870/71 der deutsch-fran
kommensrückflüsse. Bekannt sind die Einsätze der zösische Krieg, 1914-1918 der Erste Weltkrieg und
Schweizergarde bei der Verteidigung der Tuillerien 1939-1945 der Zweite Weltkrieg. Obwohl keine Ge
1792 in Paris und bei der Niederschlagung der libe fahr bestand, wurden -mindestens in der Zeit selbst
ralen Revolution von 1830 ebenfalls in der französi die Jahre des Kalten Krieges (1948 bis in die 1960er
schen Hauptstadt. Nach 1848 wurden die Fremden Jahre) als Bedrohungsjahre verstanden, in denen man
Dienste in Etappen, 1859 definitiv verboten. Die auf mitten in Europa mit enormem militärischem und po
das Jahr 1505 zurückgehende Garde für den Papst lizeilichem Aufwand (Staatsschutz) den kleinen „Al
besteht dagegen bis heute. penstaat" glaubte schützen zu müssen. Groß waren
Empörung, Anteilnahme und Hilfsbereitschaft gegen
Sonderweg über den Opfern der sowjetischen Repression 1956 in
Sowohl im Selbst- wie im Fremdverständnis spielt Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei. Flüchtlin
die Kategorie des „Sonderwegs" eine wichtige Rol ge aus Vietnam und Chile wurden nicht mehr mit der
le. Das angeblich oder tatsächlich Besondere ergibt gleichen Begeisterung aufgenommen, weil sie nicht
sich aus Vergleichen mit den Nachbarstaaten und aus dem europäischen West-Ost-Gegensatz hervorgin
-gesellschaften. Man denkt da insbesondere an die gen und außereuropäischer Herkunft waren.
plurikulturelle Struktur der Schweiz. Es ist aber fest
zuhalten, dass die Schweiz soziokulturell nicht viel Armee
fältiger ist als andere Gesellschaften, dass aber die Die schweizerische Militärorganisation leistete, ab
binnenstaatlichen Strukturen der Eidgenossenschaft gesehen von ihrem zentralen Auftrag der Landesver
dieser Vielfalt mehr Rechnung tragen (vgl. auch Kap. teidigung, einen wichtigen Beitrag zum Staatsaufbau
„Bevölkerung, Kultur und Gesellschaft/Vielfalt in im 19. Jh. Einerseits verstand man das moderne
kleinem Land"). In Fortführung der Hinweise im vor Wehrwesen als Statthalter des alteidgenössischen
angegangenen Abschnitt stellt sich die Frage, inwie Kriegertums, anderseits förderte die Armee die Ko
fern die schweizerische Entwicklung gleichsam aus häsion zwischen den Landesteilen und bis zu ei
sich selbst hervorging oder durch „fremde" Einflüsse nem gewissen Grad zwischen den sozialen Klassen.
bestimmt war oder, bei einer leicht anderen Frage Mithilfe der allgemeinen Dienstpflicht konnte auch
stellung, was sie im Guten wie im Schlechten Europa eine minimale Erziehung des männlichen Volks z.B.
verdankte und was sie - umgekehrt - diesem gleich in Hygienefragen sichergestellt werden. Und über
sam zur Verfügung stellte. Das 1863/64 geschaffene die jährlichen „pädagogischen Rekrutenprüfungen"
"Rote Kreuz" etwa hat den Status eines schweizeri wurde das Bildungsniveau der Kantone gemessen,
schen „Geschenks an die Welt". was - wie heute bei PISA (Programme for Interna
Umgekehrt besteht die Tendenz, negative Erschei tional Student Assessment) - einen gewissen Wettbe
nungen (wie in unserer Zeit etwa die Vogelgrippe) als werbseffekt in sich trug. Das „Milizsystem" mit der
Ansteckungen des Auslands zu verstehen. Sicher hat allgemeinen Wehrpflicht und der außerdienstlichen
ten stärkere und frühere Bewegungen des Auslands Weiterbildung wurde auch für zivile Engagements in
zuweilen eine gewisse Vorbildwirkung. Die Resonanz der Schweiz zum Modell, insbesondere für die Über
dieser Vorbilder muss man aber aus den endogenen nahme öffentlicher Ämter, die meist neben einem
Landesverhältnissen erklären, und die politische Beruf ausgeübt werden.
Verantwortung für allfällige Nachahmungen hat man Die Fähigkeit zur nationalen Selbstverteidigung
ohnehin stets selber. So griffen die Interpretationen, bildete eine Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit
30
der Neutralität (vgl. unten). Es herrscht die Über Neutralität wird das Verdienst zugesprochen, dass die
zeugung, dass die Armee in beiden Weltkriegen Schweiz auch im Zweiten Weltkrieg unversehrt blieb.
ihre Funktion erfüllt hat. Diese bestand v. a. in der Die seit dem Ersten Weltkrieg bestehende und bis
Abschreckung bzw. im Kalkül, dass eine Besetzung in die Jahre des Kalten Krieges andauernde ideolo
einen uninteressanten hohen Eintrittspreis kosten gische Überhöhung der Neutralität erfuhr zu Beginn
würde. Allgemein (auch in der Schweiz) rechnete der l 990er-Jahre wiederum eine Reduktion auf den
man 1940 nicht mit einem Widerstand, der über ein völkerrechtlichen Kerngehalt. Im August 1990 erklär
paar Tage hinaus gegangen wäre. Hinzu kam, dass te sich die Schweiz bereit, (wie zu Völkerbundszeiten
NS-Deutschland, das als einziger Aggressor infrage bis 1938) an den Wirtschaftssanktionen der UNO - in
gekommen wäre, bereits über fast alles verfügte, was diesem Fall gegen den Irak- teilzunehmen. Inzwi
man von der Schweiz brauchte (z.B. Rüstungsexport, schen sieht man in der Neutralität nicht mehr ein
Gütertransit nach Italien, Finanzdrehscheibe). zwingendes Hindernis für vermehrte Militärkooperati
War das Ansehen der Armee bis in die 1950er-Jah on mit dem Ausland. Die Beteiligung an unterstützen
re unbestritten, erhielt sie in den folgenden Jahren den, aber nicht an kombattanten Blauhelm-Einsätzen
die Züge einer „Heiligen Kuh". Dennoch oder gera ist möglich, und es gibt eine NATO-Kooperation im
de deswegen wurde auf dem Weg der Volksinitiative Rahmen der Partnership for Peace. Offiziel I ist die
deren Abschaffung verlangt. In der Volksabstimmung Neutralität auch kein Hindernis mehr für einen EU
von 1989 erwies sich jedoch, dass der Anteil der Beitritt. Allerdings wird nun gerne in dem Maß, wie
Befürworter dieser Liquidation bemerkenswert hoch die Neutralität diese Hindernisfunktion eingebüßt
war, insbesondere in der Altersklasse, die im Ernstfall hat, in der direkten Demokratie (und etwas abge
zur kämpfenden Truppe gehört hätte. Die Armee mit schwächt im Föderalismus) ein fundamentales Hin
obligatorischer Wehrdienstpflicht für Männer besteht dernis für eine EU-Mitgliedschaft gesehen (vgl. Kap.
bis heute und ist dem eidgenössischen Departement .,Die Schweiz in der Welt/Schweiz und Europa").
für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport zu
geordnet. Frauenstimmrecht
Vorsprung konnte auch Rückstand zur Folge haben.
Neutralität Das demokratische Mitspracherecht der Männer bil
Die Neutralität bildet eine zentrale, zwischen Selbst dete für die Einführung des Frauenstimmrechts ein
und Fremdbestimmung oszillierende Politikkatego Hindernis. Wäre die Frage vom Parlament alleine -
rie. Sie ist darum „zentral", weil sie als dem Wesen ohne Beteiligung des Stimmvolks - entschieden wor
der Schweiz entsprechend verstanden wird, weil sie den, wäre die Gleichstellung der Frauen in staats
Teil der sog. Identität ist und darum, mythologisiert, politischen Rechten „schon" in den 1950er-Jahren
auch als älter angenommen wird, als sie ist. Die Neu eingeführt worden.
tralität gründet teilweise auf eigener Einsicht, auf Erste, ablehnende Abstimmungen fanden 1919/21
„weiser Selbstbeschränkung", nachdem sich in den statt. Die Einführung des Frauenstimmrechts über das
italienischen Feldzügen (Marignano 1515) im frü Plebiszit war schließlich nach gescheitertem Anlauf
hen 16.Jh. gezeigt hatte, dass man an die Grenzen 1959 - auf gesamtschweizerischer Ebene - erst 1971
v. a. der logistischen Kapazität gestoßen war, jedoch erfolgreich. Auf kantonaler und kommunaler Ebene
auch darauf, dass die innere religiöse und politische gingen einzelne Teile der Schweiz voraus. Den Anfang
Spaltung ein direktes und gemeinsames militärisches machten Kantone der französischen Schweiz, die in
Eingreifen im Ausland nicht mehr zuließ. diesen Fragen aufgeschlossener waren (Waadt und
Teilweise ist die Neutralität aber auch auf eine Rol Neuenburg/Neuchätel 1959, Genf 1960). Die politi
lenzuteilung durch fremde Mächte zurückzuführen. sche Gleichstellung von Mann und Frau hinsichtlich
Deutlich wird dies in den Entscheiden des Wiener des Stimmrechts bedeutete aber bloß einen Teilerfolg.
Kongresses (bzw. des Pariser Friedens von 1814). 1981 musste man - gegen die rechtsnationalen Kräfte
Damals wurde die Neutralität bzw. die Nichtzugehö mit dem späteren Bundesrat Christoph Blocher an der
rigkeit zu einer anderen Macht als „im Interesse Eu Spitze - um die Verankerung des Gleichheitsprinzips
ropas" definiert. Eine ideologisierte Aufwertung erfuhr in der Verfassung kämpfen (zur Gleichstellung in der
die Neutralität erst gegen Ende des 19. Jh. im Kontext Schweiz s. Kap... soziale Disparitäten und Exklusion/
der Mächterivalitäten unter den Nachbarnationen. Geschlechterungleichheiten in der Schweiz").
Da die Neutralität primär als außenpolitische Maxi
me verstanden wird, übersieht man gerne die mindes Verfassungsfragen
tens ebenso wichtige innenpolitische Funktion: Die Wegen der direkten Demokratie besteht in der
außenpolitische Enthaltsamkeit ersparte der Schweiz Schweiz eine besondere Grundeinstellung zur Ver
innenpolitische Kontroversen über differierende au fassung. Das Grundgesetz steht grundsätzlich nicht
ßenpolitische Interessen, sie stand also im Dienste über dem Bürger und der Bürgerin, vielmehr ist es
der nationalen Kohäsion. Wie wichtig diese war, zeig geradezu umgekehrt. Dies lässt sich aus Äußerungen
ten die ersten Monate nach dem Kriegsausbruch von heraushören, welche über eine unbequeme Verfas
1914, als unter Preisgabe des Prinzips der Unpartei sungsnorm leichthin sagen, dass man diese, wenn
lichkeit die beiden großen Landesteile in entgegen sie störe, eben abändern werde. Seit 1848 gibt es
gesetzter Richtung mit den kriegführenden Nachbarn die Möglichkeit, Teil- oder Totalrevisionen der Bun
Deutschland und Frankreich sympathisierten. Der desverfassung anzustreben. Eine erste Totalrevisi-
31
an kam 1874 zustande, eine zweite wurde in den er dem Staatswesen und der politischen Geschichte
l 930er-Jahre von rechtsnationalen Kräften (erfolg in traditioneller Weise scheinbar zu viel Beachtung
los) angestrebt, ein groß angelegter Versuch in den schenkte und die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
l 960er-/l 970er-Jahren scheiterte, wei I er zu pro vernachlässigte. Darum zog man es vor, von Regional
gressiv war. In den 1990er-Jahren gelang eine mo geschichte zu sprechen. Der Regionenbegriff konnte
deratere Reform unter dem besänftigenden Titel der auch für sich in Anspruch nehmen, den wirklichen
,, Nachführung" (Kreis 2009). Gegebenheiten, die sich teilweise mit Agglomerati
onsbildung über alte Staatsstrukturen hinwegsetzten,
Kantone und Gemeinden eher zu entsprechen. Daneben genossen die Ortsge
Es gibt zwar so etwas wie eine umfassende Schweizer schichten, ob in traditioneller Weise verfasst oder
Geschichte, aber ein großer Teil der Geschichte des methodologisch auf neuestem wissenschaftlichem
Staatenbundes vor 1848 sowie des Staatenbundes Stand, anhaltende Beliebtheit.
seit 1848 besteht aus den 22 oder, wenn die Halb Die kantonalen Territorien werden gerne als bei
kantonsverhältnisse berücksichtigt werden, aus 25 nahe naturgewachsen und mindestens als historisch
einzelnen Kantonsgeschichten. Der Jura kam 1978 gegeben verstanden, obwohl sie „künstlich", d. h. po
als 26. Kanton hinzu. litische Artefakte, sind. In den letzten Jahren war die
Die Bedeutung der Kantone als Staaten spiegelt Gebietsreform zwar ein beliebtes Medien- und Poli
sich immer noch in der Tatsache, dass sich ein gro tikerthema und nach längerer Vorbereitungszeit kam
ßer Teil der Historiographie auf dieser Ebene abspielt es 2002 sogar zu einer Abstimmung über die Fusion
und die meisten Kantone stattliche und substanziel der Kantone Waadt und Genf, doch wurde diese mit
le Kantonsgeschichten haben, während es dazu auf 77 -80 % deutlich abgelehnt.
gesamtschweizerischer Ebene kaum Entsprechungen Ganz anders verhalten sich die Dinge bei den Ge
gibt. Die Kantone haben keine Mühe, die Erarbeitung meindefusionen. Obwohl die Gemeindefreiheit z. T.
oder Überarbeitung ihrer Kantonsgeschichten mit be auch mit (falscher) historischer Argumentation als
trächtlichen Mitteln offiziell in Auftrag zu geben - die Grundelement der Eidgenossenschaft bezeichnet wird
analoge Erteilung eines entsprechenden Auftrags für und auf den Landesausstellungen stolz die Fähnchen
eine gesamtschweizerische „Staatsgeschichte" ist der vormals über 3000 Gemeinden gezeigt wurden, re
dagegen völlig undenkbar. Immerhin arbeitet man duzierte sich die Zahl der Gemeinden infolge von Fusio
zurzeit mit beträchtlichen Bundesmitteln an der He nen rasant auf derzeit weniger als 2600, und ein Ende
rausgabe eines 13-bändigen „Historischen Lexikons ist nicht abzusehen. Die Ursache sind wirtschaftliche
der Schweiz", von denen sechs Bände bereits er Überlegungen sowie der Mangel an politischem Perso
schienen sind. Doch auch da nehmen die Kantonsge nal, das für die Selbstverwaltung nötig ist. Zum Teil
schichten viel Platz ein, eine Schweizer Geschichte bestehen auf kantonaler Ebene ähnliche Gegebenhei
als solche wird darin nicht zu finden sein. ten, doch lösen sie nicht die gleiche Reformbereit
Der Begriff der Kantonsgeschichte war jedoch in schaft aus.
der Historiographie auch vorübergehend verpönt, weil
Die Staatsgründung von 1848 - der Hindernisse der Staatsgründung verlangte Zeit.
multikulturell und von unten 1798, nach der Besetzung durch die französischen
Die Schweiz ist eine „Willensnation", die weder Revolutionstruppen, war die Alte Eidgenossenschaft
ethisch, noch sprachlich oder religiös gesehen, eine untergegangen. Napoleons Versuch, aus den Kanto
Einheit bildet. Sie ist seit 1848 ein Bundesstaat nen einen Einheitsstaat (1798) oder wenigstens eine
und damit nach den USA der zweitälteste der Welt Föderation (1803) zu machen, scheiterte. 1815,
(www. admin. eh, Schweizerische Eidgenossenschaft nach dem Ende der Französischen Revolution, ver
2008). Die Geschichte der modernen Schweiz be langten die Kantone ihre Eigenstaatlichkeit zurück
ginnt mit der Bundesverfassung von 1848 (Kölz und verbanden sich wie früher mit einem bloßen
1992). Die damals souveränen Kantone fanden sich Vertrag zur gegenseitigen Hilfe und zur Sicherung
bereit, einen gemeinsamen Staat zu gründen und ei der gemeinsamen Unabhängigkeit (Kästli 1998). Ab
nen Teil ihrer Hoheitsrechte an einen föderalen Staat 1830 kam es in mehreren Kantonen zu einer Demo
abzugeben. Dass es dazu kam, war nicht selbstver kratisierungsbewegung, und die Industrialisierung rief
ständlich, denn es gab kein einheitliches Staatsvolk. nach einem größeren Markt ohne kantonale Grenzen.
Die Kantone waren von unterschiedlicher Geschichte, Die Gründung des Nationalstaats hatte dennoch
Kultur, Sprache oder Religion geprägt, und alle muss große Interessengegensätze zwischen länd I ichen
ten unter dem gleichen Dach gleichberechtigt zu und städtischen, katholischen und protestantischen
sammenfinden. Darum bestimmte die Verfassung von Kantonen zu überwinden. Eine Absetzbewegung der
1848, dass die Eidgenossenschaft aus den Kantonen katholischen Kantone 1847 wandte sich gegen einen
und ihren Völkern bestehe. Das Konzept dieses Staats gemeinsamen Staat. Sie wurde im Sonderbundskrieg
war damit multikulturell angelegt. Die Überwindung von 1847 nach kurzen Scharmützeln mit der Nieder-
32
1 Abb. 27 I Bundeshaus
Bern.
lage der Katholiken beendet. Das öffnete der libera gebende, ausführende und richterliche Behörden. Die
len, eher städtischen und protestantischen Mehrheit Kantone haben ihre eigene Verfassung; der Bestand
den Weg. Ihr Verfassungsvorschlag wurde 1848 von der Gemeinden ist durch die Verfassung garantiert.
der Mehrheit der Kantone - zumeist in Volksabstim Kantone und Gemeinden organisieren sich selbst, er
mungen - angenommen (Ernst 1998). Das bedeu heben eigene Steuern und verfügen damit über einen
tete - im Gegensatz zu Napoleons Versuchen - eine hohen Grad politischer Autonomie. Die Autonomie
Staatsgründung von unten. Die Kantone und ihre der Gemeinden in protestantischen, französischspra
Gemeinden behielten die meisten Kompetenzen. chigen Kantonen ist bedeutend geringer als in den
Dem Bund wurden nur wenige Kompetenzen über deutschsprachigen. Dies, und die geringere Bedeu
tragen. Bis heute ist der schweizerische Staat sehr tung der direkten Demokratie, gehören zu den wich
wenig zentralisiert, was zwei Gründe hat: Zunächst tigsten institutionellen Unterschieden zwischen den
bestimmt die Bundesverfassung, dass neue Aufgaben Kantonen der Deutschschweiz und der Romandie.
und Kompetenzen dem Bund nur dann übertragen Wesentliches Kennzeichen des schweizerischen
werden, wenn neben einer Volksmehrheit auch die Föderalismus ist die starke Beteiligung der Kanto
Mehrheit der Kantone zustimmt. Sodann verbinden ne an der Willensbildung des Bundes. Föderalismus
sich in der Schweiz Ideen des Liberalismus mit der verteilt staatliche Macht auf verschiedene Ebenen,
Idee der Subsidiarität: Der Staat soll nur jene Aufga soll in der Schweiz aber auch dem Schutz der ver
ben übernehmen, welche die Kräfte von Wirtschaft, schiedenen Sprachen und Kulturen sowie dem wirt
Familie oder Gesellschaft übersteigen, und im Staat schaftlichen Ausgleich der verschiedenen Regionen
soll die Gemeinde zuerst tätig werden, bevor Kanton dienen. Die Kantone wirken v. a. bei Konsultationen
oder Bund eingreifen. Die Idee des Staatsaufbaus zu Gesetzgebungsprojekten oder vor internationalen
von unten hat sich nicht nur in der geringen Zent Verhandlungen, im Zweikammersystem des Parla
ralisierung erhalten, sondern auch in der politischen ments und im Rahmen von Volksabstimmungen mit,
Kultur oder in den Eigenheiten des schweizerischen in denen neben dem Volksmehr auch das Stände
Bürgerrechts. Wer das Bürgerrecht als Ausländer er mehr (Mehrheit der Kantone) zu beachten ist.
werben will, muss es zuerst in seiner Wohngemeinde
und dann in seinem Wohnkanton erhalten, bevor ihm Die Behörden des Bundes
der Schweizer Pass ausgestellt wird.
Das Parlament (Legislative)
Föderalismus Die Schweiz verfügt über ein gleichberechtigtes
Der schweizerische Föderalismus organisiert den Zweikammersystem (Lüthi 2006): den Nationalrat
schweizerischen Staat auf drei Ebenen: den Bund, und den Ständerat (Abb. 27, Abb. 28, Abb. 29).
die 26 Kantone (Vatter 2002) und die rund 2600 Ge Der Nationalrat (Große Kammer, 200 Sitze) vertritt
meinden (Horber-Papazian 2006). Sie teilen sich die das Volk. Wahlkreise sind die Kantone, wobei die Zahl
öffentlichen Aufgaben. Alle drei Ebenen sind gewal der Sitze gemäß der Bevölkerungsgröße zugewiesen
tenteilig aufgebaut, verfügen also jeweils über gesetz- wird. Der bevölkerungsreichste Kanton - Zürich mit
33
über 1 Mio. Einwohnern - stellt 34 Nationalräte, wäh Die schweizerischen Parlamente bezeichnen sich
rend einige Kleinkantone wie Uri, Glarus, Ob- und durchwegs als Milizparlamente, deren Mitglieder ne
Nidwalden auf einen einzigen Sitz kommen. Gewählt benberuflich tätig sind. De facto sind die eidgenös
wird nach dem Proportionalsystem, das insgesamt sischen Räte ein halbprofessionelles Parlament, das
zu einer Zusammensetzung der Volkskammer führt, seine Arbeitsbedingungen und -fähigkeiten durch ver
die der Wahlstärke der einzelnen Parteien entspricht schiedene Reformen stark denjenigen von Berufsparla
(Lutz&Selb 2006). menten angeglichen hat. Beide Kammern beraten die
Im Ständerat (Kleine oder Ständekammer, 46 Sit gleichen Geschäfte und Gesetzesvorlagen. Die meisten
ze) sind die 20 Vollkantone mit je zwei, die sechs Vorlagen sind von der Regierung vorbereitet. Das Par
Halbkantone (Appenzell Inner- und Außerrhoden, lament und seine Kommissionen können aber auch
Basel Stadt und Land, Ob- und Nidwalden) mit je selbstständig Vorlagen ausarbeiten und beschließen.
einer Stimme vertreten. Anders als im Nationalrat
sind die Kantone nach dem föderalistischen Prinzip Der Bundesrat (Exekutive)
der Gleichwertigkeit der Gliedstaaten vertreten. Das Die Landesregierung besteht aus sieben gleichberech
begünstigt die kleinen Kantone: 23 Mitglieder des tigten Mitgliedern (Klöti 2006). Sie werden in einer
Ständerats aus den kleinsten Kantonen können eine gemeinsamen Sitzung von National- und Ständerat,
Sperrminorität bilden, vertreten dabei aber nur rund der Vereinigten Bundesversammlung, gewählt. Die
20 % der Bevölkerung. Gesamterneuerung erfolgt alle vier Jahre, Teilerneu-
1 Abb. 28 IStänderatssaal
... Wahl (links) und Nationalrats
Volk
.,_ Kontrolle saal (rechts) im Bundes
(Souverän) (Geschäftsprüfungskommission) haus in Bern.
l
+- Vorschlag (Volk: Volksinitiative;
Regierung: Gesetzesvorschlag;
Parlamente Motion betr.
Amtsführung)
.,_ Diskussion (Debatte: zwischen
Bundesverfassung den Parlamentskammern:
Differenzberernigung)
(.,Grundgesetz")
... Beschluss (Gesetze unterstehen
dem obligatorischen oder
t
fakultativen Referendum)
Regierung Zweikammer-Parlament
Bundesrat
(7 Mitglieder) Ständerat __., Bundesgericht
davon 1 Bundespräsident - (kleine Kammer,
(abwechselnd für 1 Jahr) 46 Mitglieder)
Bundes- Verord-
verwa ltung nungen
Bundesgesetze 1 Abb. 291Der politische
Aufbau in der Schweiz
und die Kompetenzen.
34
erungen bei vorzeitigem Rücktritt von einzelnen Mit dem Volksmehr der abgegebenen Stimmen muss das
gliedern. Die Mitglieder des Bundesrats werden ein Ständemehr von 12 Stimmen erreicht werden. Dabei
zeln gewählt; erforderlich ist das absolute Mehr der gilt jeder annehmende Vollkanton als eine Stimme,
stimmenden Räte. Es gibt kein Misstrauensvotum ge jeder Halbkanton als halbe Stimme.
gen den Bundesrat, das die Regierung stürzen könnte. Dem obligatorischen Referendum untersteht auch
Das macht Regierung und Parlament voneinander un der Beitritt zu supranationalen Organisationen wie
abhängiger als beispielsweise im parlamentarischen z.B. zu den Vereinten Nationen.
System Deutschlands. Die Mitglieder des Bundesrates
führen je ein Ministerium (Departement) und verhan Das (fakultative) Gesetzesreferendum
deln als Kollegium gleichberechtigt die gemeinsamen Gegen jede Gesetzesänderung, die das Parlament be
Regierungsgeschäfte. Eines der Mitglieder wird von schließt, kann innerhalb von 100 Tagen durch das
der Bundesversammlung jeweils für ein Jahr zum Re Sammeln von 50000 Unterschriften ein Referendum
gierungspräsidenten gewählt, der auch die Rolle des verlangt werden. Verstreicht diese Frist ungenutzt,
Staatspräsidenten übernimmt. Die Schweiz kennt we so tritt der Parlamentsbeschluss in Kraft. Wird das
der das dauerhafte Amt eines Staatspräsidenten noch Referendum hingegen von 50 000 Bürgerinnen und
dasjenige eines Regierungschefs mit Weisungsrechten Bürgern verlangt, findet eine Volksabstimmung über
gegenüber den anderen Ministern. das Gesetz statt. Für die Annahme oder Verwerfung
der Vorlage zählt nur das Volksmehr.
Das Bundesgericht (Judikative) Dem fakultativen Referendum unterstehen neben
Das Bundesgericht mit Sitz in Lausanne und Luzern den Gesetzen auch wichtigere völkerrechtliche Verträge.
ist das Verfassungsgericht und die letzte Instanz für
die meisten Angelegenheiten des öffentlichen Rechts Die Volksinitiative
sowie des Zivil-, Prozess- und Strafrechts, die vorher Mit 100000 Unterschriften können die Bürgerinnen
auf unterer Stufe der Bezirks- und Kantonsgerichte und Bürger ein Volksbegehren auf Änderung der Ver
entschieden werden. Die Verfassungsgerichtsbarkeit fassung einreichen. Regierung und Parlament neh
für die eidgenössischen Gesetze ist beschränkt, da men Stellung zum Volksbegehren und unterbreiten
sie nur in der Anwendung, nicht aber der abstrak es mit einer Empfehlung der Volksabstimmung. Zur
ten Normenkontrolle dem Bundesgericht unterstehen Annahme des Volksbegehrens ist analog zum Verfas
(Kälin & Rothmayr 2006). sungsreferendum das doppelte Mehr erforderlich.
-----------------------------" Zusammenfassung
Wahlrecht Wahl des National- und des Ständerats t E Die schweizerische Stimmbürgerschaft entscheidet
.x
obligatorisches Referendum bei Verfassungsänderungen E jährlich über rund zehn Referenden und Volksiniti
Stimmrecht liativen; Vorlagen in den Kantonen und Gemeinden
fakultatives Referendum bei Änderungen von Gesetzen
1 nitiativrecht Volksinitiative: il.hommen hinzu. Direkte Demokratie ersetzt die parla
(,.Forderungen stellen") innerhalb von 18 Monaten 100 000 Unterschriften �lmentarische Demokratie nicht, sondern ergänzt sie.
fakultatives Referendum sofern innerhalb von 100 Tagen)�So wird nur etwa gegen 7% der Gesetzesvorlagen ein
Referendumsrecht rgReferendum verlangt, und nur rund 10% der Volksin
(.,So nicht!") nach Publikation des Erlasses (Bundesgesetz, Bundesbe
;= itiativen haben direkten Erfolg. Das obligatorische Re
schluss, gewisse Staatsverträge) 50000 Unterschriften
ITab. SI Mitbestimmungsrechte des Schweizer Volks im Überblick.
!i
ferendum hat jedoch langfristig die Entwicklung des
J �Verfassungssystems stark geprägt. Nichtzentra I isie
rung, ein kleiner Anteil an den Gesamteinnahmen und
Direkte Demokratie -ausgaben des föderalen Systems, ein relativ beschei
Die Bürgerinnen und Bürger der Schweiz besitzen dener Sozialstaat mit bescheidener Verwaltung sowie
nicht nur Wahlrechte, sondern zusätzlich das Recht eine zurückhaltende Außenpolitik im Zeichen der po
auf die Letztentscheidung über die Änderungen von litischen Neutralität sind von der direkten Demokratie
Gesetz und Verfassung (Linder 2005; Tab. 5). Die geprägt, die nur kleinere Innovationsschritte zulässt.
Abstimmungsdemokratie entstand gleichzeitig mit
den frühen Demokratisierungsbewegungen der Kan Machtteilung (Konkordanz)
tone in der ersten Hälfte des 19. Jh. und hat sich Seit 1959 bis 2007 bestand die schweizerische Re
in der Folge auf allen Ebenen durchgesetzt. Sie ist gierung aus einer Koalition der vier Regierungspar
v. a. ein Oppositionsinstrument gegen die Politik der teien: der Schweizerischen Volkspartei (SVP), der
Behörden (Linder et al. 2009). Ihre wichtigsten For Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP), der Christ
men beim Bund sind: lich-Demokratischen Volkspartei (CVP) sowie der
■ das (obligatorische) Verfassungsreferendum Sozialdemokratischen Partei (SP). Sie repräsentierte
■ das (fakultative) Gesetzesreferendum rund drei Viertel der schweizerischen Wählerschaft,
■ die Volksintiative. befindet sich zur Zeit aber im Umbruch.
Für die dauerhafte Zusammenarbeit der Regie
Das (obligatorische) Verfassungsreferendum rungsparteien gibt es mehrere Gründe:
Jede Änderung der Bundesverfassung muss Volk und ■ Die föderalistischen Gegensätze und die starke
Ständen zur Abstimmung unterbreitet werden. Zur Stellung der Kantone setzten der Zentralgewalt von
Annahme ist das doppelte Mehr erforderlich: Neben Anfang an enge Grenzen.
Schweizerische Demokratie: Institutionen - Prozesse - Perspektiven 35
Antrag auf
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Vollzug Vorprojekt
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■ Das Proportionalwahlrecht, eingeführt 1918, hat tiger gesellschaftlicher Spaltungen von Sprache und
zu einem Vielparteiensystem geführt, in der es kei Religion erleichtert, spielen aber auch in der aktuel
ner Partei gelang, eine Vorrangstellung zu erringen. len Politik eine erhebliche Rolle (Linder et al. 2008).
■ Vor allem aber ist das Referendum ein Oppositions
instrument, das vielen Gruppen erlaubt, ein Gesetz Der politische Entscheidungsprozess
oder eine Verfassungsänderung zu Fall zu bringen. Im Prozess der Verfassungs- und Gesetzgebung wir
ken verschiedene Entscheidungskomplexe zusam
Diese drei Elemente liefern den politischen Parteien men (Linder 2005, Sciarini 2006). Betrachtet man
einen starken Anreiz- wenn nicht Zwang- zusam diesen Prozess als einen Politikzyklus, der auch die
menzuarbeiten. Die Zusammenarbeit äußert sich in Umsetzung und ihre Evaluation als Anlass neuerli
der proportionalen Zusammensetzung aller wichtigen cher Verfassungs- und Gesetzesänderungen umfasst,
Organe des Bundes (Bundesrat, Bundesgericht, par so findet man die fünf folgenden Entscheidungskom
lamentarische Kommissionen, z. T. auch die Spitzen plexe, Akteure und Etappen des Entscheidungspro
positionen in der Verwaltung) sowie der Praxis, poli zesses (Abb. 30).
tische Konflikte nicht durch Mehrheitsentscheidung,
sondern durch Verhandeln und Kompromiss zu lösen Vorparlamentarischer Entscheidungskamp/ex
(Konkordanzpolitikl. Diese beiden Strategien, die pro Anstöße für eine Verfassungs- oder Gesetzesreform
portionale Beteiligung und die Konfliktlösung durch gehen nicht nur vom Parlament, sondern auch von
Verhandeln, haben historisch die Überwindung wich- Volksinitiativen oder von der Verwaltung aus. Exper-
36
tenkommissionen bereiten erste Entwürfe vor. Ihre ferendum eingeleitet wird. Von den eingereichten
Mitglieder rekrutieren sich sowohl aus wissenschaft- Volksinitiativen haben weniger als 10% direkten
1 ichen Fachexperten wie aus Vertretern von Kanto Erfolg. Auch abgelehnte Forderungen haben als po-
nen und interessierten Verbänden. Darauf folgt ein 1 itisches Signal häufig Einfluss auf die spätere Ge
sog. Vernehmlassungsverfahren, in welchem Par setzgebung. Die Stimmbeteiligung schwankt stark
teien, Kantone, Verbände und weitere Interessierte und beträgt heute durchschnittlich 45%. Einkom
zur geplanten Rechtsreform Stellung nehmen kön mensschwache und bildungsferne Schichten betei
nen. Beide Abschnitte des vorparlamentarischen ligen sich deutlich weniger als einkommensstarke
Verfahrens dienen dazu, die Realisierungschancen und bildungsnahe.
der Vorlage mit Hinsicht auf ein Referendum ab
zuklären. Akteure, die Nachteile erwarten, dro Die Verwaltung
hen ggf. mit Opposition. Ihre Forderungen werden Die Verwaltung nimmt doppelt Einfluss: Einerseits
berücksichtigt, soweit dies das Risiko einer Nieder unterstützt sie den vorparlamentarischen Prozess
lage in einer eventuellen Volksabstimmung mini über ihr Fachwissen, versucht zwischen gegensätzli
miert. chen Interessen zu vermitteln und kann dabei auch
ihre Eigeninteressen einbringen (Varone 2006). An
Parlamentarischer Entscheidungskomplex dererseits ist sie im Politikvollzug erfahren und gibt
Die Ergebnisse des vorparlamentarischen Verfahrens häufig Anlass zur Revision bestehender Regulierun
werden dem Parlament in Form einer bundesrätli gen, die in einen neuen Politikzyklus einfließen.
chen Botschaft zugeleitet. Sie werden vor den Ver
handlungen im Ratsplenum in den Fraktionen und Die Regierung
in den Kommissionen von National- und Ständerat Neben seiner materiellen Einflussnahme ist der
behandelt. Die beiden Kammern sind gleichberech Bundesrat in erster Linie die zentrale Schaltstelle
tigt und bestimmen für jedes Geschäft, wer Erstrat des gesamten Politikprozesses. Er gibt grünes Licht
ist. Aus den Verhandlungen der Räte können unter für die meisten Etappen des Entscheidungsprozes
schiedliche Vorschläge entstehen; diese müssen im ses, bestimmt die Akteure sowie den Gang des vor
sog. Differenzbereinigungs- oder Einigungsverfahren parlamentarischen Verfahrens und nimmt starken
bereinigt werden. Kommt es zu keinem gleichlauten Einfluss auf die Terminierung aller Geschäfte. Ne
den Ergebnis beider Räte, ist die Vorlage gescheitert. ben dieser Verfahrensleitung vertreten die Bundes
Der parlamentarische Kompromiss kommt unter räte als zuständige Departementchefs die Vorlagen
Beteiligung aller Parteien zustande und kann sich im Parlament und bei Volksabstimmungen in der
von den Ergebnissen des vorparlamentarischen Ver Öffentlichkeit. In den letzten 20 Jahren konnte das
fahrens deutlich unterscheiden. Die Mehrheiten im Parlament seine Stellung gegenüber der Regierung
Parlament wechseln von Fall zu Fall, hängen aber stärken und nimmt heute größeren Einfluss auf die
auch von den Politikbereichen ab: In der Finanz-, Gesetzgebung als früher. Umgekehrt führt die Glo
Steuer- und Wirtschaftspolitik stimmt das bürgerli balisierung wie in anderen Ländern zum stärkeren
che Lager auch heute zumeist einheitlich gegen die Einfluss der exekutiven Politik.
SP und die Grünen. In der Sozialpolitik kommt es zu
häufigen Koalitionen von CVP mit der Linken von SP Perspektiven
und Grünen, während in der Außenpolitik sowie bei 1992 hat die Stimmbürgerschaft den EWR-Vertrag
staatspolitischen Fragen die politische Linke und die abgelehnt, mit der das Land - ohne eigentliche Mit
bürgerliche Mitte der konservativen SVP gegenüber gliedschaft - in den Europäischen Wirtschaftsraum
stehen. integriert worden wäre. Trotzdem hat die Schweiz
ihre Beziehungen zur EU durch bilaterale Verträge
Direktdemokratischer Entscheidungskomplex stark erweitert. Als exportorientierter Kleinstaat ist
Im Fall eines Referendums versuchen Befürwor sie auch dem übrigen Anpassungsdruck der Globa
ter und Gegner in mehrwöchigen Kampagnen, die lisierung stark ausgesetzt und politisch verwundba
Stimmbürgerschaft zu mobilisieren und auf ihre rer geworden. Die Europafrage hat eine gespaltene
Seite zu ziehen: Parteien geben Parolen für ein Ja Schweiz hinterlassen und bleibt ungelöst. Während
oder Nein aus, Verbände unterstützen deren Kampa ein EU-Beitritt wenig populär ist, weiß niemand, wie
gnen, und die Medien räumen dem Thema breiten weit der Weg des Bilateralismus in die wirtschafts
Raum ein. Die Erfolgsquote des Regierungslagers politische Abhängigkeit ohne ein Mitspracherecht in
ist unterschiedlich. Sie hängt nicht zuletzt davon Brüssel ist (Freiburghaus 2009). Die Globalisierung
ab, ob alle Parteien die Vorlage unterstützen (was bietet vielen Wirtschaftszweigen neue Chancen. Dem
selten ist), oder ob eine der Regierungsparteien, stehen Globalisierungsverlierer gegenüber, nämlich
vornehmlich die SP oder die SVP, ,,fallweise Oppo v. a. die Landwirtschaft, Teile des Gewerbes, Ge
sition" betreibt (Kriesi 2005). Rund drei Viertel der werkschaften und generell die gering qualifizierten
Verfassungsvorlagen (obligatorisches Referendum) Arbeitskräfte. Soziale Gegensätze zwischen Stadt
werden angenommen; beim fakultativen Gesetzes und Land, Kapital und Arbeit sowie die politische
referendum sind es nur etwas mehr als die Hälfte. Spaltung zwischen Anhängern und Gegnern der Glo
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass, wie bereits balisierung bzw. der europäischen Integration haben
erwähnt, nur gegen etwa 7 % der Gesetze ein Re- zugenommen.
37
Das schweizerische Politiksystem steht daher in bleibt. Die Gegensätze zwischen den Regierungspar
starkem innerem Wandel (Linder 2009), der vom teien machten anlässlich der Gesamterneuerung des
Aufstieg der SVP zur größten Partei, die sich als Bundesrats 2007 auch im Ausland Schlagzeilen, als
rechtskonservative und europaskeptische Gruppie der charismatische Leader der SVP als amtierender
rung profiliert, geprägt ist. Die Konkordanzpolitik ist Bundesrat nicht wiedergewählt wurde und sich sei
wegen zunehmender Polarisierung und dem Verlust ne Partei während eines Jahres nicht mehr in der
von Gemeinsamkeiten zwischen den vier Regierungs Regierung vertreten sah. Die Zusammensetzung der
parteien starken Belastungsproben ausgesetzt. Der Konkordanzregierung wird auch künftig weniger stabil
ehedem geschlossene Bürgerblock hat sich in vielen sein als in der Vergangenheit. Trotzdem ist mit einer
Fragen aufgelöst, was zur Bündelung von drei Haupt Ablösung der Allparteien- durch eine Mehrheitsregie
kräften führte: rung auf absehbare Zeit nicht zu rechnen. Anders als
■ die wachsende national-konservative Rechte der etwa in den Niederlanden, wo sich die großen Koali
SVP tionen aufgrund eines gemeinsamen Programms bil
■ das stagnierende linke Lager von SP und Grünen, den, unterliegt die schweizerische Konkordanz dem
und institutionellen Zwang des Referendums und des Fö
■ die geschwächte bürgerliche Mitte von FDP und deralismus zur Kooperation. Damit bleibt die Schweiz
CVP. neben Holland und Belgien ein klassisches Beispiel
der Consensus democracy (Vatter 2008), jenes Typs
Diese Veränderungen haben institutionelle Reformen - von Demokratie, der sich nach Lijphart (1999) vom
etwa die Stärkung des Parlaments, die eher formale vorherrschenden Muster der Majoritarian democracy
Totalrevision der Bundesverfassung oder die Neuge angelsächsischer Prägung unterscheidet, aber gerade
staltung des föderalistischen Finanzausgleichs - nicht für die Integration kultureller und sprachlicher Min
unmöglich gemacht, und der parlamentarische Kom derheiten gewisse Vorzüge aufweist und deshalb in
promiss funktioniert weiterhin durch wechselnde Ko entsprechenden Ländern (z.B. Irland, Südafrika oder
alitionen, in denen die bürgerliche Mitte federführend Indien) an Boden gewinnt.
-- ---
Al Gemeindekarte der Dimension Bl Gemeindekarte der Dimension
links-rechts liberal-konservativ
-links -liberal
...
--
D) Gemeindekarte der Dimension
modern-traditionell
- Modem
� ..
1 Abb. 31 I Dimension und Ausdehnen des Staates, der sozialen Sicherheit, Die italienische Schweiz und der Jurabogen befinden
A) Links-Rechts, des Service Public und der Kampf gegen steigende sich in ihrem Wahlverhalten stark links, wobei die am
B) Liberal-Konservativ, Militärausgaben - auf der anderen Seite umfasst meisten links stehenden Städte Delemont, La Chaux
C) Ökologisch
sie die Forderungen nach einer Reform des Sozial de-Fonds und Bellinzona sind. Der rote Gürtel um
Technokratisch,
D) Modem-Traditionell; staates und nach wirtschaftlicher Liberalisierung im Genf von Carouge nach Vernier sowie der Westen von
Abstimmungen der Jahre Allgemeinen. Es handelt sich um eine links-rechts Lausanne schließen sich an. In der Deutschschweiz
2000-2009. Polarisierung mit den Gewerkschaften und den tra gibt es dagegen kaum Regionen, die weiter links po
ditionellen Linksparteien auf der einen Seite und sitioniert sind als der Landesdurchschnitt: Am ehes
den wirtschaftsliberalen Regierungsparteien auf der ten sind es die großen und mittleren Zentren (jedoch
anderen. ohne jene der Ostschweiz) sowie die ländlichen Regi
Im zeitlichen Vergleich scheint sich diese Polari onen des Oberwallis.
sierung zu verstärken und betrifft unterdessen fast Auf der Gegenseite formiert sich die ganze Ost
die Hälfte der Abstimmungen. Die Themen sind mit schweiz, Thurgau, Appenzell und St. Gallen. Noch
den vorhergehenden Studien vergleichbar, das The klarer wirtschaftsliberal sind die Bewohner der bei
ma des Pazifismus scheint sich jedoch abzuschwä den Zürichsee-Ufer, wo die am stärksten rechts orien
chen. Die Tendenz geht offenbar in Richtung einer tierten Gemeinden der Schweiz liegen. Das Aargauer
stärkeren Polarisierung zwischen den Anhängern des Freiamt, das Luzerner Mittelland und die reichen
Sozialstaates und jenen neoliberaler Reformen. Gemeinden der Zentralschweiz gehören ebenfalls in
Viel deutlicher sind die Veränderungen aus räum diese Gruppe. Dabei ist ein räumliches Gefälle offen
licher Sicht (Abb. 3 lA). Die Achse unterscheidet sichtlich: Die am nächsten an der Sprachgrenze lie
zwischen der lateinischen Schweiz und fast der ge genden Regionen - Basel-Landschaft, Solothurn und
samten deutschsprachigen Schweiz und bildet daher die Agglomeration Bern - sind eindeutig stärker so
einen offensichtlichen Sprachgraben. Auf beiden zialstaatlich geprägt als die weiter östlich liegenden
Seiten des Grabens gibt es regionale Eigenheiten: Regionen. Rechts orientierte Gemeinden sind in der
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Westschweiz - außer in einem Teil der reichen Gen und sogar den Bündner und Oberwalliser Agglome
ferseegemeinden und einigen isolierten Waadtländer rationen.
Gemeinden - selten. Diese Resultate beschwören das Dahingegen zeigt die italienische Schweiz eine klar
Bild eines Sprachgrabens, den man seit 1992 eher konservative Ausrichtung. Alle Tessiner Gemeinden,
mit der Europafrage assoziiert, der jedoch allmählich mit Lugano an der Spitze, sind gegenüber einer eu
schwindet, wie im Folgenden gezeigt wird. ropapolitischen Öffnung „Hochburgen des Misstrau
Im Vergleich zu den Ergebnissen der Vorgängerstu ens", denn die Nähe der Mailänder Metropole wird
dien hat sich die Deutschschweiz wenig verändert, als bedrohlich empfunden. In der Deutschschweiz ist
die Westschweiz dagegen hat einen deutlichen Links die konservative Gesinnung am stärksten in der Pe
rutsch vollzogen, denn früher waren weite Teile der ripherie verankert, so an den Rändern der Gotthard
Westschweiz rechts orientiert (französisches Wal Iis, Achse, in den Berner Voralpen, im Napfgebiet (im
Waadtland, Berner Jura). 2009 stimmten diese Re Grenzland zwischen Bern und Luzern gelegen, bildet
gionen stärker links als der Landesdurchschnitt. Die es die ländlichste Region der Schweiz), in den länd
italienische Schweiz, die bereits klar links stand, hat lichen Teilen der Zentralschweiz und im südlichen
sich seither noch radikalisiert. Der politische Gra Teil des Kantons Aargau. Der Konservatismus prägt
ben ist seit 2000 immer präsent gewesen, doch hat somit die ländlichen Gebiete und einige Kleinstädte
sich nun die Tonalität verändert: Er manifestiert sich der Deutschschweiz. Mittlerweile kommen aus der
jetzt bei Abstimmungen zu „links-rechts Themen". Westschweiz auch der ganze Berner Jura, ein Teil der
Zudem waren die Mehrheiten nur in wenigen Abstim Ajoie, weite Teile des Freiburgerlandes und, sehr aus
mungen regional unterschiedlich, und bei einigen geprägt, der sozial schwächere Vorstadtgürtel Genfs
Abstimmungen war die Westschweiz sogar siegreich. dazu. Die Westschweizer Einheit von 1992 existiert
Als der Sprachgraben Gegner und Anhänger einer eu also nicht mehr.
ropäischen Öffnung trennte, war das Trennende viel Der Schwerpunkt der Analyse muss daher auf die
grundsätzlicher. extreme Radikalisierung der italienischen Schweiz fo
kussiert sein. Im Umgang mit der Europafrage deutet
Die liberal-konservative Polarisierung alles darauf hin, dass sich die Westschweiz in den
Die zweite Dimension der Analyse vereint etwas letzten Jahren „ent-ideologisiert" und die Deutsch
mehr als 20 % der totalen Abweichung. Bei 23 der schweiz entkrampft hat. Die italienische Schweiz
85 Abstimmungen ist sie bestimmend, bei 31 Ab dagegen hat einen zunehmend kompromisslosen
stimmungen liegt der Korrelationsfaktor über 0,5. und einsamen Kurs eingeschlagen. Ideen für eine
Diese zweite Dimension vereint einerseits alle Ab Öffnung nach außen werden kategorisch abgelehnt,
stimmungen zu den Verträgen mit der Europäischen vielleicht im Wissen darum, dass die Meinung ohne
Union (Abb.32), zu UNO-Beitritt, Schulharmoni
sierung, Auslandseinsätzen der Armee und zur er
leichterten Einbürgerung. Auf der Gegenseite stehen
Vorschläge der Konservativen, der Verfechter des
Alleingangs, der Vertreter einer restriktiven Einwan
derungspolitik und der Befürworter einer strengeren
Justiz. Diese Dimension unterteilt die Bevölkerung
klar in Anhänger einer Öffnung in der Außen- und
Ausländerpolitik und in Anhänger des Alleingangs,
der Abschottung gegen außen und einer härteren
Justiz. Kurz gesagt handelt es sich um die Opposi
tion zwischen Gesellschaftsliberalen und Wertkon
servativen.
Nach der Analyse der Ergebnisse dieser Dimen
sion muss das Bild der offenen Romands und der
misstrauischen Deutschschweizer revidiert werden
(s. Abb.31B). Es stimmt allerdings, dass sich die
SCHENGEN
NEIN
Westschweiz liberal positioniert: Die Genferseeregi
on liegt an der Spitze, dort liegen auch einige der
gesellschaftlich liberalsten Gemeinden des Landes.
5
� SCHENGEN-DUBLIN
Im Herzen dieser Region liegt Lausanne, die libe- ! 05.06.2005
ralste der großen Schweizer Städte. Die meisten ill
welschen Agglomerationen drücken sich ebenfalls
abstimmungspolitisch liberal aus, ebenso die Ag 1 Abb. 32 IPlakate für die Volksabstimmung vom 5. Mai 2005.
glomeration Bern, deren Zentrumsgemeinde unter Erläuterung: In der Volksabstimmung vom 5. Mai 2005 wurde dem „Souverän" (der Gesamt
dessen offener als die Stadt Genf ist. Neben Bern heit der Stimm- und Wahlberechtigten des Landes) die Frage unterbreitet, ob die Schweiz
haben auch zahlreiche wichtige Deutschschweizer den europäischen Abkommen zur freien Zirkulation der Personen innerhalb des „Schengen"
Agglomerationen auf die liberale Seite gewechselt - Raums beitreten solle. Die Vorlage wurde mit 54,6% der Stimmenden angenommen. Das
politische Plakat hat eine lange Tradition in der Schweiz und ist ein klassisches Element im
mit Basel und Zürich an der Spitze, gefolgt von So öffentlichen Raum. Das Museum für Gestaltung in Zürich besitzt eine vollständige Samm
lothurn, Luzern, Zug, Baden, Winterthur, St.Gai len lung der Plakate der eidgenössischen Volksabstimmungen.
40
Konsequenzen bleibt, dass es reine Grundsatzopposi ten der Deutschschweiz ergänzt: Die Zentralschweiz,
tion ist: Eine Alternative für die italienische Schweiz Solothurn, Aargau, Thurgau, das Berner Oberland
scheint nicht in Reichweite. Diesen Alarmschrei und Emmental gehören dazu. Nahe dem Landesmit
oder gar verzweifelten Widerstand darf der Rest der tel positionieren sich St. Gallen, die Zentralschweiz
Schweiz nicht einfach ignorieren. und das Oberwallis.
Das Kartenbild hat mit solchen von vorherigen Stu
Ökologisch-technokratische Polarisierung dien große Ähnlichkeit. Wahrscheinlich ist jedoch eine
Die dritte Dimension der Hauptkomponenten-Ana Entkoppelung zwischen den zunehmend „grünen"
lyse der Abstimmungen über Volksinitiativen erklärt Städten, die ihre Gesinnung klar zum Ausdruck brin
etwa 15% der totalen Abweichung. Für 14 der 85 gen, und dem Rest des Landes, der sich in wirtschaft
Abstimmungen ist es der wichtigste Faktor, und licher Hinsicht immer weniger gehört fühlt, im Gange.
bei 16 liegt der Korrelationsfaktor über 0,5. Die Im Zeichen des Klimawandels scheinen ökologische
Dimension umschreibt die ökologischen Anliegen Fragen die Schweiz mehr und mehr zu trennen. Der
und die Ziele der nachhaltigen Entwicklung. Die Graben verläuft zwischen wachstumskritischen Groß
se Abstimmungen vermischen sich mit keiner an städten (am ausgeprägtesten in der Deutschschweiz)
deren Abstimmungsgruppe, daher umschreibt die und einem von der Globalisierung vernachlässigten
se Dimension den Gegensatz zwischen Anhängern ländlichen und kleinstädtischen Raum, dessen Be
und Gegnern der politischen Ökologie. Grüne und wohner um ihre Arbeitsplätze bangen.
.,Anti-Grüne" stehen sich bei dieser Opposition ge Seit der Klimawandel Ängste weckt, scheint die
genüber. Letztere sind schwierig zu definieren, es Ökothematik ein Kampfplatz zu werden, wo Deutsch
ist eine lose Gruppe von Automobilisten, Libertären schweizer Großstädte mit großer Medienresonanz auf
und Technokraten, die in der Literatur ausführlich einen schweigenden, aber nicht minder aufgebrach
beschrieben werden. Diese Gruppierungen verfügen ten Rest des Landes treffen, der mehr und mehr
nicht mehr über eine eigene Parteistruktur, nach zweifelt, aber weniger betroffen ist.
dem die in den 1980er-Jahren gegründete „Auto
partei" sich aufgelöst hat. Die vierte Dimension: Tradition gegen Modeme
In der jüngsten Vergangenheit ergänzten die Ab Die vierte Dimension erklärt 5 von 85 Abstimmun
stimmungen über Tierversuche und Gentechnik die gen und ist für ungefähr 5% der Abweichung in der
Dimension der politischen Ökologie, die im Gegen analysierten Abstimmungsgruppe verantwortlich.
satz zu Abstimmungen über die Förderung der pro Der Begriff „modern" bezeichnet in diesem Zusam
duktionsorientierten Landwirtschaft stand. Diese menhang eine Moderne der Laizität, der Urbanität
Komponenten sind unterdessen nicht mehr enthal und des Lebensstils. Die Dimension umschließt ei
ten, ebenso jene zur Nuklearenergie, die gleicher nerseits Abstimmungen zur Modernisierung der Ge
maßen zu dieser Dimension wie zur Links-rechts sellschaft (Abstimmungen zum Schwangerschafts
Polarisierung gehört. Gleichzeitig hat der Stellenwert abbruch, Stammzellenforschung), der Infrastruktur
dieses Themenbereichs sehr an Stärke eingebüßt: (urbane Verkehrsprojekte) und des strukturellen
In den vorhergehenden Studien betraf die Dimensi Überbaus des Landes (etwa eine Vorlage zur Justiz
on mehr als ein Viertel der Abstimmungen und der reform), demgegenüber stehen die Verteidiger von
Abweichung, in dieser Studie ist es noch etwa ein Tradition, Religion und ländlichem Lebensstil, die
Sechstel. Das Thema hat gleichzeitig an Kraft verlo sich bewusst sind, dass sie nicht an allen Vorteilen
ren und an Kohärenz gewonnen. Die Hauptthemen der Urbanität des Landes teilhaben können. Struk
sind nun Transport, Energie und Klimawandel. turell wäre anzunehmen, dass sich noch die histo
Die dritte Dimension hebt geographisch die drei rische konfessionelle Polarisierung zwischen Protes
großen Deutschschweizer Städte besonders her tanten und Katholiken abbildet, doch widerlegt die
vor (s. Abb. 31C): Zürich, Bern und Basel sind die Karte (s. Abb. 31D) diese Interpretation weitgehend:
drei ökologischsten Städte des Landes. Die großen Zwar ist diese Spaltung in der Westschweiz noch
Deutschschweizer Agglomerationen gehören eben leicht zu erkennen (die protestantischen Kantone
falls klar zu diesen Gebieten: die Kantone Zürich, Genf, Waadt und Neuenburg versus die katholischen
Basel-Stadt und Basel-Landschaft, Schaffhausen Kantone Wallis, Freiburg und Jura) und das katholi
und die Agglomeration Bern bilden die Vorhut der sche Tessin stellt sich resolut auf die Seite der lai
Umweltpolitik. Die Kantone Graubünden und Tessin zistischen Moderne, doch in der deutschsprachigen
sind ebenfalls Teil davon. In den ländlichen Gebieten Schweiz unterscheiden sich die Großstädte und de
der Westschweiz finden sich hingegen die schärfs ren Umland vom ländlichen Raum, sei er nun katho
ten Widersacher der Umweltpolitik: Die ökologie lisch (lnnerschweiz, Ostschweiz, Aargauer und Solo
kritischsten Städte sind Martigny und Monthey im thurner Jura) oder protestantisch geprägt (ländliches
Wallis sowie Bulle im Kanton Freiburg/Fribourg, die Bern, Thurgau, Appenzell A. Rh. oder Teile Graubün
spät industrialisiert wurden. Der gesamte ländliche dens). Der Graben trennt also Großstädte und Peri
Raum der Westschweiz und der Jurabogen schließen pherie und wird zudem von einem Gegensatz zwi
sich an. Nur die größten Städte Genf und Lausanne schen Gewinnern und Verlierern der modernen und
haben eine betont ökologische Ausrichtung. Der an flexiblen Globalisierung überlagert.
tiökologische Westschweizer Block wird in größerem Abb. 3 lD zeichnet nicht nur einen Gegensatz zwi
Abstand von den periurbanen und ländlichen Gebie- schen Gewinnern und Verlierern der Globalisierung,
Die heutigen politischen Landschaften der Schweiz Pierre-Emmanuel Dessemontet, Martin S'chuler 41
sondern auch einen zwischen unterschiedlichen nem Hyper-Konservatismus in der Außenpolitik. Eine
Familienmodellen. Schließlich wird auch eine Op politische Typologie der Schweizer Gemeinden nach
position zwischen Regionen mit ungleichen Mobi dem Vorbild der Typologie über den Wandel zeigt drei
litätsmustern ihrer Bevölkerung und unterschiedli ungleiche politische Bilder der Schweiz:
chen Erreichbarkeitsverhältnissen abgebildet: eine ■ eine eher rechts stehende Deutschschweiz mit Ten
metropolitane und touristische Schweiz versus eine denz für eine konservative, aber auch grüne Orien
kleinstädtische und periphere Schweiz. Der Religi tierung
onsgraben hat sich zu einer Polarisierung zwischen ■ eine sozialstaatliche Westschweiz, offener gegen
metropolitanen Modernisten und peripheren Traditio außen und weniger ökologisch, sowie
nalisten gewandelt. Mehr und mehr gesellen sich die ■ eine sehr linke italienischsprachige Schweiz mit
ärmeren Großstadtquartiere als angebliche Verlierer Abschottungstendenzen gegen Europa.
der Modernisierung der Gesellschaft zu letzteren.
Jeder Landesteil scheint sich autonom in Funktion
Wohin bewegt sich die Schweiz? seines politischen Paradigmas und mit Blick auf
Das Verblassen des Europa-Grabens zwischen West seine Medien zu bewegen, ohne sich besonders um
und Deutschschweiz kann als positive Tendenz in die restlichen Teile zu kümmern. Die Schweiz bildet
der politischen Landschaft der Schweiz gewertet jedoch eine Willensnation: Sie muss sich um einen
werden. Es gibt jedoch auch beunruhigende Signa nationalen Zusammenhang bemühen. Dieser ist zwar
le, am offensichtlichsten jenes des Abdriftens des vordergründig nicht bedroht, doch die Tendenzen zu
Tessins einerseits nach links, andererseits hin zu ei- Sprachregionalismen sind keinesfalls harmlos.
Wirtschaft
1 Abb. 33 I Finanzplatz
Zürich. Überblick
■ Der spezialisierte, wissensintensive Werkplatz Schweiz, kombiniert mit hochwertigen Dienstleistun
gen, ist nicht nur Abbild eines bewährten dualen Bildungssystems, sondern auch in der Tradition
der Veredelungswirtschaft zu sehen.
■ Die wirtschaftlich wichtigsten Regionen der Schweiz sind die Regionen Basel und Zürich/Aargau
sowie das Bassin Lemanique. Mit einigem Abstand folgen die Zentralschweiz, die Südschweiz, der
Espace Mittelland und die Ostschweiz, welche eine leicht unterdurchschnittliche Wirtschaftskraft
aufweisen.
■ Nach der Chemisch-Pharmazeutischen Industrie, der Metall- und Maschinen- sowie der Uhrenin
dustrie stellt der Fremdenverkehr in der Schweiz die fünftgrößte Exportbranche dar. In struktur
schwachen Gebieten der Schweiz ist der Tourismus hingegen die eigentliche Leitindustrie.
■ Die Geschichte der schweizerischen Wirtschaftspolitik spiegelt die Suche nach der besten Mischung
von markt- und staatswirtschaftlichen !:lementen wider.
■ Das schweizerische Steuersystem spiegelt den föderalistischen Staatsaufbau wider. Jeder Kanton
hat sein eigenes Steuergesetz und kann alle Abgaben, die nicht dem Bund vorbehalten sind, erhe
ben. Eingeschränkt wird die Autonomie durch die formelle Steuerharmonisierung.
■ Da die Steuersätze der wichtigsten Steuern in der Verfassung verankert sind und Verfassungs
änderungen dem obligatorischen Referendum unterliegen, bilden Volksabstimmungen eine wirksa
me Hürde gegen Steuererhöhungen. Zusammen mit dem Steuerwettbewerb der Kantone unterein
ander erklärt dies die im Vergleich zu anderen Ländern niedrige Steuerbelastung der Schweiz.
Der Weg der Schweiz zum Werkplatz, Finanzplatz, Denkplatz und zurück
■ Paul Messerli
C Champagne
Wirtschaft mit zwei Dritteln der Exporte, vier Fünf
tein der Importe und dem höchsten Anteil an Direkt
D Donau-
investitionen aufs Engste mit dem europäischen
becken
Wirtschaftsraum und seinem Wachstumspotenzial
H Hansestädte verflochten.
O Oberitalien Mit den bilateralen Verträgen 1 (1999) und II
M Rhein-Main- (2004) musste deshalb sichergestellt werden, dass
Neckar die Freizügigkeiten im Waren-, Kapital- und Per
N Niederlande sonenverkehr nach dem Nein zum Europäischen
S Sachsen Wirtschaftsraum 1992 (EWR) soweit wie möglich
übernommen werden konnten. Wenn auch viele
R Rh6nemündung Schweizer Firmen längst in allen wichtigen Märk
_
,...( Ir) 1 Großer
St. Bernhard
ten dieser Welt präsent sind, so bleibt für das Gros
der Schweizer Wirtschaft die fortwährende wirt
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-
2 Gotthardpass schaftliche Integration in den wachsenden europäi
schen Binnenmarkt die wohl wichtigste Perspektive
- -
3 Bündner Pässe
(s. auch Kap. ,.Die Schweiz in der Welt/Schweiz und
Europa").
l wirtschaftliche
Austausch Institutionelle Unterschiede im
beziehungen Ancien Regime mit langfristigen Folgen
zwischen den Vom 15. bis 18.Jh. bis zum Einmarsch der Fran
wichtigen da
zosen 1798 war Bern als mächtigster Stadtstaat
maligen Wirt
schaftsräumen
nördlich der Alpen eine Territorialmacht, die ihren
und großen Reichtum in physiokratischer Überzeugung aus einer
0 Messen Europas modernisierten Agrarwirtschaft bezog. Dies führte
zum legendären bernischen Staatsschatz, den Napo
leon kurzerhand nach Paris abführen ließ. Die Berner
1 Abb. 351 Das Territorium Kleinheit des Binnenmarktes und die Knappheit oder Aristokratie, bestehend aus den patrizischen Fami
der Schweiz im mittelal das Fehlen industriell wichtiger Rohstoffe erforderte lien, verschrieb sich der Staatskunst, der Kriegs
terlichen Europa: Transit die Kenntnis und den Zugang zu den relevanten Be führung und der Landwirtschaft, zeigte aber wenig
achsen und bedeutende
Märkte.
schaffungs- und Absatzmärkten im Ausland. Interesse für das kaufmännische und industrielle Un
Mit Abb. 35 soll diese Ausgangssituation im Spät ternehmertum, das sie der Führungselite der Land
mittelalter veranschaulicht werden: Die wichtigen städte überließ.
Handelsrouten zwischen den großen europäischen Ganz anders verlief die Entwicklung in Zürich und
Märkten und Messeplätzen führten durch die Basel, wo aus der zünftischen Aristokratie eine wirt
Schweiz. Mit dem Bau der Gotthardstrecke am Ende schaftliche Führungselite hervorging, die sich am
des 19.Jh. und der Mont d'Or-Simplon-Linie zu Be internationalen Handel und am Aufbau der Indus
ginn des 20.Jh. erfolgte die Integration des schwei trie beteiligte. Genf, die Stadt Calvins, verdankt die
zerischen Wirtschaftsraums in das moderne Trans Gründung der Uhrenindustrie nicht nur den Glau
portsystem Europas. Mit dem Autobahnbau durch die bensflüchtlingen aus Frankreich, wie z.B. den Huge
Alpen (Simplon, Gotthard und San Bernardino) und notten, sondern auch dem von Calvin durchgesetzten
den neuen Alpentransversalen (Lötsehberg, Simplon Verbot, öffentlich Schmuck zu tragen. Als Folge da
2008, Gotthard ca. 2017) bleibt die Schweiz ein von stellten die Juweliere ihr Gewerbe auf Uhren um.
wichtiges Glied im europäischen Nord-Süd-Verkehr. Es ist generell die protestantische Schweiz, welche
Der Schweizer Wirtschaft bleiben die Zugänge zu den die institutionellen Voraussetzungen schuf, dass sich
dynamischen Wirtschaftsräumen und internationalen am Ende des 18.Jh. protoindustrielle Wirtschafts
Warenterminals Europas erhalten. regionen als Vorläufer der industriellen Entwicklung
Seit der Prozess der wirtschaftlichen Integration in bilden konnten.
Europa mit den Römischen Verträgen 1957 in Gang Paradox ist, dass der Kanton Bern als Pionier im
gekommen ist, gilt der Korridor von Südostengland Aufbau seiner raumerschließenden modernen Infra
über die Rheinmündung und entlang des Rheins struktur (Eisenbahn, Elektrizitätsnetz, Bildungswe
durch die Schweiz bis in die Lombardei als dyna sen) wirtschaftlich zurückblieb. Seine Führungs
mische Entwicklungsachse Westeuropas (.,Blaue Ba schicht hielt lange am physiokratischen Dogma fest,
nane"). In diesem dynamischen Wachstumskorridor der Staat nähre sich am sichersten aus den Grund
liegt der schweizerische Wirtschaftsraum, der be renten, und die flächendeckende teure Infrastruktur
sonders in den späten l 950er- und l 960er-Jahren sei der Weg zur Erschließung der regionalen Wachs
mit seinen exportorientierten Branchen partizipieren tumspotenziale. So muss man heute nach Berns glor
konnte. Wenn auch seit den l 980er-Jahren neue reichen auch von Berns verpassten Zeiten sprechen.
Handelspartner v. a. im asiatischen Raum hinzu 1 n der heutigen Wirtschaftslandschaft ist das Erbe
gekommen sind und ferne Märkte mit Direktinves dieser historischen Zustände wiederzuerkennen: Zwi
titionen erschlossen wurden, bleibt die Schweizer schen den dynamischen Wirtschaftsräumen im Osten
Der Weg der Schweiz zum Werkplatz, Finanzplatz, Denkplatz und zur 45
r
N
0 25 50 km
schaftsmodell bis in die 1970er-Jahre als äußerst nem Roman „Käserei in der Vehfreude" (1850),
erfolgreich erwiesen. Als Weg der nachholenden Ent wie die Ausbreitung der Talkäsereien zur Verarmung
wicklung im bereits industrialisierten Europa gibt es der Bergregionen führte. Zwischen 1813 und 1857
Parallelen zu der nachholenden Industrialisierung entstanden allein im Kanton Bern über 350 Talkäse
südostasiatlscher Länder - mit dem Unterschied, reien. Die Vergrünlandung der einstigen mittelländi
dass in der Schweiz der Schutz der Binnenwirtschaft schen Kornkammern, die auch unter dem Druck bil
über Jahrzehnte aufrechterhalten wurde. Doch seit liger Getreideimporte aus Osteuropa entstand, setzte
der negativen EWR-Abstimmung im Jahr 1992 ist die Komplementarität zwischen Berg- und Talgebiet,
aus dem erfolgreichen „Sonderfall" ein „Sanierungs also zwischen Viehwirtschaft und Ackerbau, außer
fall" geworden. Die wettbewerbspolitische Forderung Kratt. Mit dem Eisenbahnbau ab 1852, der die Al
nach einer Öffnung des Binnenmarktes von Seiten pentäler erst am Ende des 19. Jh. erreichte, verschob
der Exportwirtschaft und der Konsumenten ist mit der sich die dezentrale Heimindustrie aus den voralpinen
staatspolitischen Forderung nach sozialem und regio Hügelzonen an die wichtigen Knotenpunkte des neu
nalem Ausgleich immer mehr in Widerspruch geraten. en Transportsystems, was erst aufgrund der Ablösung
Erst mit dem bilateralen Nachvollzug der europäi von Wasserkraft durch Kohle möglich wurde. In die
schen Binnenmarktregeln und dem schweizerischen Alpentäler drang die Industrie erst im 20.Jh. vor, als
Binnenmarktgesetz wurde die schrittweise Öffnung Arbeitskräfte im Mittelland knapp wurden und die
und Deregulierung der Binnenmärkte eingeleitet. günstige Energieversorgung für die Eisen- und Alu
Nach den aktuellen Zahlen stammen etwa 40% mini umwerke sowie die Chemische Industrie zum
der Wertschöpfung aus der Exportwirtschaft, mit ei Standortfaktor wurde. Die Agrarmodernisierung im
nem erheblichen Anteil der internationalisierten klei Talgebiet, der leichtere Zugang zu den europäischen
nen und mittleren Unternehmen (KMU), die anderen Agrarmärkten und die industriellen Entwicklungss
60% der Wertschöpfung stammen aus der Lokalwirt tandorte im Mittelland führten lm schweizerischen
schaft mit über 90% der Arbeitsplätze. (Bundesamt Wirtschaftsraum zu einer Neuverteilung von Gunst
für Statistik 2007 und 2010). und Ungunst. Die großräumigen Disparitäten zwi
schen Berg- und Talgebiet verstärkten sich in der ers
Entstehung und Entwicklung der ten Hälfte des 20. Jh. noch, um erst mit der Breiten
dualen Schweiz: Berg- und Talgebiet entwicklung der Tourismuswirtschaft im Berggebiet
Als zeitkritischer Beobachter des großen Umbruchs in ein kleinräumiges Muster überzugehen.
in der wirtschaftlichen Beziehung zwischen Berg Die Arbeitsplatzentwicklung im Zeitraum von 1900
und Talgebiet beschrieb Jeremias Gotthelf in sei- bis 1980 zeigt, wie der sektorale Wandel im Agrar-
Der Weg der Schweiz zum Werkplatz, Finanzplatz, Denkplatz und zur 47
kanton Bern gegenüber dem Industriekanton Zürich steht im Zusammenhang mit dem massiven Abbau
verzögert ablief. Zürich nahm quantitativ mit einem von Arbeitsplätzen im Inland, wogegen in den Grün
hohen Anteil kommerzieller Dienstleistungen die derjahren gleichzeitig mit dem Ausbau der schwei
wirtschaftliche Spitzenposition ein, und Genf bau zerischen Unternehmen im Ausland die Binnenwirt
te seine Position als internationale Stadt mit einem schaft gewaltig wuchs.
überragenden tertiären Sektor aus. Bezogen auf die Die sechste Schweiz markierte aber auch einen
schweizerischen Berggebiete fällt auf, dass der Jura weitreichenden Strukturwandel, der v. a. die Export
trotz der Uhrenkrise von 1970 bis 1985 einen star wirtschaft nach dem Ölschock von 1973 erfasste.
ken industriellen Sektor behalten hat. Im Alpenraum Mit dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen, ver
sorgte die zwischen 1950 und 1980 stark ausgebau bunden mit einer starken Aufwertung des Schweizer
te Tourismuswirtschaft für einen starken Dienstleis Frankens und dem Rückgriff vieler Staaten zu pro
tungssektor, der nach dem Bau von Kraftwerken ein tektionistischen Maßnahmen, kam die historisch ein
starkes Baugewerbe aufrechterhält. Das Arbeitsplatz malige Wachstumsdynamik der Nachkriegszeit, die
wachstum im Berggebiet blieb allerdings hinter je im „Treibhausklima" stabiler Wechselkurse, liberaler
nem im Mittelland zurück. Handelsbeziehungen und dem Wiederaufbau in Euro
Heute zeigen sich die regionalen Disparitäten in ei pa entstanden war, abrupt zum Stehen.
nem kleinräumigen differenzierten Muster. Während Von 1970 bis 1983 verschwanden 320 000 oder
die international bekannten touristischen Destinatio 10 % aller Arbeitsplätze im Industriesektor der
nen im Wallis, im Berner Oberland und in Graubün Schweiz. Im Ausland nahmen sie jedoch um 150000
den sowie die kleinen und mittleren Zentren in den zu, und im Inland legte der Dienstleistungssektor in
Haupttälern mit einem ausgebauten Dienstleistungs dieser Zeit um 210000 Arbeitsplätze auf einen An
sektor aufgeholt haben, bleiben die zwar zahlenmä teil von 55% aller Arbeitsplätze zu. Im Urteil vieler
ßig abnehmenden Regionen, die der agrarischen, Zeitgenossen war diese strukturelle Erschütterung
agrartouristischen oder industriellen Peripherie zu die Folge eines verschlafenen Strukturwandels, in
gerechnet werden, weit hinter dem schweizerischen dem in den l960er-Jahren Industrie und Baugewer
Durchschnitt des Pro-Kopf-Einkommens zurück. be mit ausländischen Arbeitskräften expandierten,
Die Abwanderung aus dem Alpenraum hat eine der Dienstleistungssektor aber vernachlässigt wurde.
lange Tradition: Über 100 000 ausländische Arbeitskräfte wurden in
■ vor 1800 in fremde Kriegsdienste, der Folge zur Rückwanderung gezwungen. In dieser
■ im 19.Jh., bedingt durch Agrarkrisen, Zeit dezentralisierte sich die Industrie der Schweiz
v. a. in die USA, und durch den Abbau in den Industriestädten (Zürich,
■ nach 1880 in die Industriezentren der Schweiz. Winterthur, Brugg und Baden, Basel, Städte des Ju
rasüdfußes, Bern und Genf). Die dabei entstandenen
Eine explizite Politik zugunsten der Berggebiete setz Industriebrachen bilden bis heute die wichtigsten
te in den 1950er-Jahren mit dem bundesstaatlichen städtebaulichen Entwicklungsgebiete. Gleichzeitig
Finanzausgleich ein, gefolgt von einer differenzierten wuchs der Dienstleistungssektor mit klaren Konzen
Agrarpolitik, und seit Mitte der 1970er-Jahre mit trationstendenzen in den großen Städten und ihren
der Einführung der Regionalpolitik, die in jüngster Agglomerationen.
Zeit durch den Neuen Finanzausgleich (NFA) und Der Boom der zweiten Hälfte der l980er-Jahre
die Neue Regionalpolitik (NRP) erweitert wurde (vgl. hinterließ seine Spuren auf dem Arbeitsmarkt: Ins
Kap. .,Strukturwandel im ländlichen Raum und in gesamt wurden im Jahrzehnt von 1980 bis 1990
den Alpen/Strukturwandel, Neuer Finanzausgleich etwa 530 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen,
und Neue Regionalpolitik"). mit einem hohen Anteil an weiblichen Arbeitskräf
ten. Darin zeigt sich der Ausbau des Dienstleistungs
Vom Werkplatz zum Finanz- sektors generell, speziell aber des Gastgewerbes, der
und Denkplatz und zurück Bildung, der öffentlichen Verwaltung und des Detail
Die „sechste Schweiz" ist seit dem gleichnamigen handels.
Buch von Borner & Wehrli (1984) ein stehender Be Die l990er-Jahre gelten als ein Jahrzehnt mit
griff. Dieser Ausdruck bezeichnete mit einem Perso einer ausgesprochenen Wachstumsschwäche. Zwi
nalbestand 1980 von rund 660 000 Beschäftigten schen 1991 und 1995 gingen netto 220 000 Ar
das Wachstum der Schweizer Firmen im Ausland, beitsplätze verloren; gleichzeitig bauten die Schwei
was 20% der Beschäftigten im Inland entsprach. zer Unternehmen ihre Position im Ausland mit
Dieses Phänomen war allerdings nicht neu. Im Ver 300 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen aus (vgl. Tab. 6
gleich dazu war die Schweizer Industrie vor dem und Tab. 7). Der wirtschaftliche Strukturwandel blieb
Ersten Weltkrieg mit gleich vielen Beschäftigten im also voll im Gang: durch die Auslagerung von Arbeits
Ausland wie im Inland bereits wesentlich stärker in plätzen aus Kostengründen zur Präsenz auf wichtigen
ternationalisiert. Die Gründe waren Handelsschran Kundenmärkten und zunehmend als Maßnahme, den
ken im Zugang zu den wichtigen Wachstumsmärkten unmittelbaren Zugang zu den Forschungsmärkten zu
und hohe Lohnkosten im Inland. sichern. Diese Internationalisierung der Wertschöp
Die Wahrnehmung einer sechsten Schweiz - die fungsketten hat in den l 980er-Jahren auch zuneh
fünfte bezeichnet die Auslandschweizer, die anderen mend die KMU (kleine und mittlere Unternehmen
vier bezeichnen die Sprachregionen der Schweiz - mit weniger als 250 Beschäftigten) erfasst.
---
48 c�att
111111111
was die Chancen der Schweizerischen Exportwirt
Branchen schaft einschränkte, aber gleichzeitig das Interesse
. . an Kapitalanlagen in der Schweiz erhöhte und damit
alle Branchen 3 3 41 923 357747 11 den Finanzsektor förderte. Diese Erosion des Werk
Aktiengesell platzes hat v. a. die weniger wissensintensiven Bran
1 747638 357747 20 chen wie die Textil- und Bekleidungsindustrie sowie
schaften (CH 2005)
Marktwirtschaft 2650248 357747 13 die Holz- und Möbelindustrie getroffen.
Der Druck auf den Werkplatz Schweiz zwingt die
öffentlicher Sektor 691 675 0 0
Industriebranchen, den Standortnachteilen mit ei
Industrie total 987 478 225 65 4 23 ner angepassten Fortsetzung der Veredelungsstra
Chemie tegie zu begegnen: zum einen durch eine flexible
108 383 45193 42
und Pharma und international ausgerichtete Gestaltung der Wert
Maschinen 17 schöpfungsketten, zum andern durch den Ausbau
281695 49095
industrie des Innovationsstandortes Schweiz für erfolgreiche
Baugewerbe 281658 12186 4 Schlüsselbranchen wie Biotechnologie und Pharma
Dienstleistungen zie, Maschinenbau, Uhren, Medizinaltechnik, Che
2 35 4 4 45 132093 6 mie und Lebensmittelindustrie, Ingenieurwesen und
total
Dienstleistungen Architektur.
ohne öffentlichen 1 662 770 132093 8 Es gibt gute Gründe, den Werkplatz Schweiz im na
Sektor tionalen Innovationssystem bewusst zu stärken. Ein
Finanz tertiärer Pol wäre durch die relative Enge des Dienst
194 771 89558 46 leistungsportfolios im Finanz- und Versicherungssek
dienstleistungen
Immobilienwesen 4276 203 5 tor, das begrenzte Beschäftigungspotenzial daselbst
und das große Standortrisiko aufgrund der hohen
ITab. 71 Beschäftigungsanteile börsennotierter Unter Mobilität der Anbieter dieser Dienste gefährdet.
nehmen 2008 in Vollzeitäquivalenten. Auch wenn sich der Vorsprung gegenüber Ländern
Annahme bei Aktiengesellschaften: Teilzeit entspricht 50% wie Dänemark, Belgien und Deutschland verringert,
Anstellung); bö�ennolierte Unternehmen: Hochrechnung der hält die Schweiz im internationalen Innovationswett
Befragungsergebnisse. Marktwirtschaft Schweiz total ohne
die Beschäftigung im öffentlichen Sektor (definiert als öf bewerb eine Spitzenposition (Konjunkturforschungs
fentliche Verwaltung, Landesverteidigung, Sozialversicherun stelle der ETH Zürich 2010). Folgende Aussage gilt
gen, Unterrichtswesen und Gesundheits- und Sozialwesen). somit nicht nur für die Schweizer Wirtschaft, aber für
"·
Wirtschaftsräume und Wirtschaltsentyt l'l�l 49
sie besonders: Ohne Werkplatz mit direktem Bezug attraktiven Arbeitsbedingungen für hoch qualifizierte
zu kommerziell verwertbaren Problemlösungen kann ausländische Arbeitskräfte begründet ist, seine Pro
auch der Denkplatz, der im Bildungssystem und in duktivität nicht entfalten.
Regionen im Standortwettbewerb für Statistik (BFS) 106 für die mikroregionale Analy
Der Standortwettbewerb zwischen Regionen ist heu se ausgewiesen hat (Abb. 38).
te in Wirtschaft und Politik ein viel beachtetes und 1 m innerschweizerischen Steuerwettbewerb be
diskutiertes Thema. Es sind die Regionen innerhalb wegt sich beispielsweise die Diskussion primär auf
einer Volkswirtschaft, die ihre wirtschaftliche Stärke der Kantons- und sekundär auf der Gemeindeebene.
und Spezialisierung gezielt nach außen tragen, um Für regionalökonomische Fragestellungen bieten sich
weitere wirtschaftliche Akteure (z.B. Kapitalgeber, sog. ,,funktionale Wirtschaftsregionen" an, in denen
Arbeitskräfte, Unternehmen, Forschungs- und Bil die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital, Boden und
dungseinrichtungen) anzuziehen, um attraktiver zu Wissen in besonders enger Verflechtung zueinander
werden und letztendlich um zu wachsen. stehen, z.B. in Pendlereinzugsgebieten. Der Be
Im Zuge der Globalisierung führen eine stärkere griff der funktionalen Wirtschaftsregion wird in der
Verflechtung des Güterhandels und eine Zunahme Schweiz von verschiedenen Organisationen verwen
grenzüberschreitender Direktinvestitionen zu einer det, welche ihren Wirtschaftsraum nach unterschied-
erhöhten Mobi Iität der Produktionsfaktoren. Als 1 ichen Kriterien abgrenzen. Ein Beispiel hierfür ist
Folge der Intensivierung internationaler Warenströ die unterschiedliche Definition des Metropolitan
me stehen die Volkswirtschaften - bei gleichzeitig raums Zürich. Nach der Abgrenzung einerseits durch
steigendem Wettbewerb - in zunehmender Abhän die Greater Zurich Area AG, ein Dienstleistungsun
gigkeit zueinander. Im Rahmen des internationalen ternehmen, das sich mit der Vermarktung des Wirt
Standortwettbewerbs buhlen nicht nur Staaten um schaftsraums Zürich befasst (www.greaterzuricharea.
die Gunst attraktiver Unternehmen und hoch qua eh), und andererseits des Vereins Metropolitanraum
lifizierter Arbeitskräfte, sondern es stehen vielmehr Zürich (http://www. metropol itanrau m-zuerich .eh),
auch funktionale Wirtschaftsräume (Regionen) inner der Trägerschaft der Metropolitankonferenz, umfasst
halb von Volkswirtschaften oder über Landesgrenzen der Metropolitanraum Zürich jeweils acht Kantone
hinweg miteinander im Wettstreit. Vor diesem Hin (Abb.39), die jedoch nicht deckungsgleich sind.
tergrund des globalen Wettbewerbdrucks rücken
subnationale Wirtschaftsräume und die Steuerung Die sieben Schweizer Großregionen
des regionalen Erfolgs durch öffentliche Akteure Die Verwendung des funktionalen Konzeptes zur Ab
vermehrt ins Zentrum des Interesses. Im Folgenden grenzung von zusammenhängenden Wirtschaftsräu
wird deshalb der Frage nachgegangen, wie die Wirt men gelangt einerseits bei der Datenverfügbarkeit an
schaftskraft innerhalb der Schweiz verteilt ist und seine Grenzen, da in der Schweiz viele Wirtschafts
warum sich manche Regionen besser entwickeln als daten von offiziellen statistischen Ämtern nur auf
andere. kantonaler Ebene erhältlich sind. Andererseits sorgt
Man geht im Allgemeinen davon aus, dass der in der Schweiz eine ausgeprägte kantonale Identität
Erfolg von Wirtschaftsräumen neben globalen wirt und Verbundenheit für ein großes Interesse am eige
schaftsdynamischen (z.B. konjunkturellen) Prozes nen Wohn- oder Arbeitskanton. Künstlich abgegrenz
sen sowie nationalen und regionalen Rahmenbe te Aggregate funktionaler Wirtschaftsregionen stoßen
dingungen auch hauptsächlich von der Wirtschafts deshalb sehr schnell an die Grenzen der Akzeptanz.
struktur abhängt, also der Zusammensetzung der Basel Economics AG (BAKBASEL) definierte Ende
Branchen innerhalb eines Wirtschaftsraums. der 1980er-Jahre aufgrund ihrer Wirtschaftskraft sie
ben Schweizer Großregionen (Bassin Lemanique, Es
Funktionale Wirtschaftsregionen pace Mittelland, Südschweiz, Basel, Zürich/Aargau,
Der Begriff Region oder Wirtschaftsraum wird zwar Zentralschweiz, Ostschweiz), die sowohl funktionale
in akademischen Publikationen und im allgemeinen Kriterien als auch politisch-administrative Gren
Sprachgebrauch häufig verwendet, ist aber selten ge zen berücksichtigen. 1 m Jahr 1997 definierte das
nau definiert.Wenn man die wirtschaftliche Dynamik Schweizerische Bundesamt für Statistik ebenfalls
über einen bestimmten Zeitraum verfolgt und mit an sieben Großregionen, die von den BAK-Großregionen
deren Räumen vergleicht, ist es jedoch wichtig, eine leicht abweichen (Abb. 40). In funktionaler Hinsicht
passende und einheitliche Methodik der regionalen sind mit dem Bassin Lemanique, Zürich/Aargau und
Abgrenzung zu verwenden. Unter Regionen werden Basel drei Großregionen aus einem klaren urbanen
je nach Fragestellung z.B. Städte, Agglomerationen, Oberzentrum und dessen Einzugsgebiet gebildet.
Kantone, Großregionen oder MS-(mobilite spatiale) Beim Espace Mittelland handelt es sich um ein
Regionen verstanden, eine den Pendlereinzugsberei Städtesystem (Bern, Thun, Biel, Solothurn, Fribourg/
chen vergleichbare mikroregionale, teils kantonsüber Freiburg, Neuchatei/Neuenburg) mit dem jeweiligen
greifende Zwischenebene, von denen das Bundesamt Umland. Bei der Ost- und der Zentralschweiz han-
50 Ä: chaft
25 50 km
bei werden die vier wichtigsten Exportbranchen der einer starken Abhängigkeit der Basler Wirtschaft von
Schweiz - die Chemie, die Finanzbranche, die Inves dieser Industrie. Sie ist Hauptbestandteil der Ufe
titionsgüterindustrie und der Tourismus - nach ihrer Sciences-Branche, dem Zugpferd der Region Basel.
räumlichen Konzentration und Dynamik untersucht. Ebenfalls hohe Konzentrationen weisen der Touris
Weitere wichtige Branchen sind die unternehmens mus in der Südschweiz, die Finanzbranchen in Zü
bezogenen Dienstleistungen, der Bausektor und der rich/Aargau und die Investitionsgüterindustrie in der
Handel, welche aber stark derivativen Charakter ha Ostschweiz auf.
ben und deshalb hier nicht speziell analysiert werden.
Tab. 8 zeigt deutlich, wie unterschiedlich die Chemisch-pharmazeutische Industrie:
Großregionen strukturiert sind. Die größten Gemein Zugpferd der Region Basel und
samkeiten sind zwischen dem Espace Mittelland, Wachstumsfaktor im Bassin Lemanique
der Zentralschweiz und der Ostschweiz ersichtlich. Wie kaum eine andere Branche weist die Chemie eine
Die Spezialisierung der einzelnen Großregionen auf außerordentlich starke Konzentration in der Region
die vier wichtigsten Wirtschaftsbranchen, gemessen Basel auf, in welcher 34 % aller Erwerbstätigen der
anhand des Standortquotienten (SQ), ist in Tab. 9 chemischen Industrie 52% der nominalen Brutto
■IMlllllllllfl«i■IIIIIII
dargestellt. Mit einem SQ-Wert von 4,6 ist die Re wertschöpfung der Branche erwirtschaften. Demnach
gion Basel von allen Regionen am stärksten auf eine ist die Region Basel die wichtigste Region für die
einzige Branche (chemisch-pharmazeutische Indus chemisch-pharmazeutische Industrie in der Schweiz.
trie) spezialisiert. Diese starke Spezialisierung birgt Die Region Basel und das Bassin Lemanique
große Chancen, aber auch gewisse Risiken im Sinne konnten die reale Bruttowertschöpfung der che
misch-pharmazeutischen Industrie über die hier
betrachteten Zeiträume (1980-1990, 1990-2000
und 2000-2008) kontinuierlich steigern: Im Bassin
Lemanique in den 1980er-Jahren um durchschnitt
Standortt1uo1ien1en• verschiedener Branchen und Wirtschaftsregionen lich 2,2%, in den 1990er-Jahren, in denen weite
chemische Teile der Schweizer Wirtschaft eine Stagnation er
Industrie 10 7 52 11 4 7 9 lebten, konnte hier ein Wertschöpfungswachstum
von 8% und in jüngster Zeit (2000-2008) sogar
Finanz-
branche 18 9 7 48 5 5 8 ein Wachstum von 10,6 % erzielt werden. Dieses
enorme Wachstum kann nur mit einer intensiven
lnvesti-
Innovationstätigkeit, dem damit einhergehenden
tionsgüter-
industrie 11 27 6 24 10 15 7 technologischen Fortschritt und einer gestiegenen
Wettbewerbsfähigkeit erklärt werden. Die Region
Tourismus 15 19 6 22 10 9 20 Basel (Abb. 42) verzeichnet ähnlich hohe Wachs
1 Tab. BI
Verteilung der vier wichtigsten Exportbranchen in den Großregionen der tumsraten wie das Bassin Lemanique: Die che
Schweiz (Anteil an der gesamtschweizerischen nominalen Bruttowertschöpfung misch-pharmazeutische Industrie wuchs hier in den
2008 in Prozent). l 980er-Jahren um durchschnittlich 2,3 %, in den
• Erläuterung: Der Standortquotient ist ein Maß für die räumliche Konzentration der Wirt l 990er-Jahren um 6, 1 % und in jüngster Vergangen
schaftsbranche x im Teilraum y, im Verhältnis zur selben Branche in der gesamten Schweiz heit (2000-2008) gar um 8,9%.
an der schweizerischen Gesamtwirtschaft (Quotient der Branchenanteile minus eins, siehe
z.B. Bathelt&Glückler 2003). Der Wert Null bedeutet demnach eine durchschnittliche
Spezialisierung, Werte unter Null beschreiben eine unterdurchschnittliche und Werte über Finanzbranche:
Null eine überdurchschnittliche Spezialisierung einer Großregion auf eine Branche. Der Hohe Konzentration in Zürich/Aargau
Standortquotient sagt damit etwas über die Wichtigkeit, aber auch über die Abhängigkeit Die Finanzbranche ist ein Aggregat aus Banken,
einer Region von einer bestimmten Branche aus.
Versicherungen und sonstigen Finanzdienstleistern,
z.B. unabhängigen Vermögensverwaltern oder Versi
cherungsbrokern. Anders als die Chemie ist die Fi
nanzbranche hauptsächlich in den Regionen Zürich/
Aargau und dem Bassin Lemanique konzentriert.
Standortquotienten* verschiedener Branchen und Wirtschaftsregionen Der Standortquotient von 0,7 in der Region Zürich/
Aargau (Tab. 9) zeigt zwar eine deutliche Spezialisie
chemische
-0,34 -0,65 4,64 -0,60 -0,57 -0,32 0,01 rung, lässt jedoch zusätzlich erkennen, dass die ge
Industrie
samte wirtschaftliche Leistung der Region auf mehre
Finanz- re Branchen verteilt ist, was zu einer weniger starken
0,18 -0,53 -0,29 0,70 -0,42 -0,48 -0,16
branche
regionalen Krisenanfälligkeit führt. Trotz der relativ
lnvesti- geringen Spezialisierung der Region Zürich/Aargau
tionsgüter- -0,25 0,42 -0,38 -0,17 0,11 0,56 -0,24 erwirtschaften hier rund 42% der Erwerbstätigen in
industrie
der Finanzbranche 48% der Branchenwertschöpfung
Tourismus -0,05 -0,04 -0,31 -0,23 0,11 -0,11 1,18 der Schweiz. Knapp die Hälfte der wirtschaftlichen
• Standortquotient O=Schweizer Mittel; SQ>O=Branche ist überproportional vertreten, Aktivität in der Schweizer Finanzindustrie findet also
SQ<O=Branche ist unterproportional vertreten
in der Region Zürich/Aargau statt, welche damit für
ITab. 91 Rä/Jmliche Konzentration der vier wichtigsten Schweizer Ei<portbranchen die Finanzindustrie die mit Abstand wichtigste Regi
2008 (StEndortquotienten berechnet aus der nominalen BruttowertschöpfUng 2008). on ist. Die zweitwichtigste Region ist das Bassin Le-
Wirtschaftsräume und Wirtschaftsent.wlWfil • 53
manique, in dem 19% der Erwerbstätigen 18% der ehe (ebenfalls 11%) der wichtigste Exportzweig der IAbb.421 Blick auf Base/-
Branchenwertschöpfung erwirtschaften. Eine Analy Schweiz. Den höchsten Standortquotienten (0,56) Stadt.
se auf Kantonsebene zeigt auch für das Tessin eine und damit die höchste Spezialisierung auf die Inves
überdurchschnittliche Konzentration. titionsgüterindustrie (zusammengesetzt aus der Me
Betrachtet man die Entwicklung der Finanzbran tallindustrie, dem Maschinenbau und der Elektroin-
che in den drei Untersuchungsperioden, schneidet dustrie) weist die Ostschweiz auf (s. Tab. 9). Eine fast
die Region Zürich/Aargau durchschnittlich am besten ebenso hohe Spezialisierung zeigt das Espace Mittel-
ab. Im gesamten Zeitraum von 1980 bis 2008 wuchs land (SQ=0,42), vor der Zentralschweiz (SQ=0,11).
die Branche in Zürich/Aargau um durchschnittlich Alle anderen Regionen sind in der Investitionsgüter
4,8%, gefolgt von der Zentralschweiz (4, 7%), dem industrie unterdurchschnittlich vertreten.
Espace Mittelland (4, 1 %), dem Bassin Lemanique Das Espace Mittelland ist für die I nvestitionsgü
(3,9%) und der Südschweiz (3,8%). terindustrie die bedeutendste Region. Hier erwirt
Im Zeitraum von 2000 bis 2008 machten sich schaften 30 % der Erwerbstätigen 27% der realen
die Börseneinbrüche in den Wachstumsraten der re Bruttowertschöpfung dieser Branche (s. Tab. 8). Der
alen Bruttowertschöpfung jedoch deutlich bemerk Ostschweiz kommt hingegen trotz hoher Spezialisie
bar. Lediglich um 1,2% konnte die Region Zürich/ rung eine etwas weniger bedeutende Rolle zu: Hier
Aargau ihre Bruttowertschöpfung im betrachteten erwirtschaften 16% der Erwerbstätigen 15 % der
Zeitraum steigern und lag damit hinter den Regi nominalen Wertschöpfung (Stand 2008). Trotz der
onen Zentralschweiz (2,6 %), Espace Mittelland unterdurchschnittlichen Spezialisierung der Region
(1,5%) und Bassin Lemanique (+ 1,4%). Nur die Zürich/Aargau (SQ=-0,17) erwirtschafteten hier
Südschweiz wies ein noch niedrigeres Wachstum auf 22% der Erwerbstätigen rund 24% der nominalen
(+0,7%). Bruttowertschöpfung (Stand 2008). Somit ist die
Region Zürich/Aargau nicht nur die wichtigste Regi
Investitionsgüterindustrie: on für den Finanzsektor, sondern spielt auch in der
spezialisierte Ostschweiz und Espace Mittelland Investitionsgüterindustrie eine bedeutende Rolle.
Die Investitionsgüterindustrie macht 11% der nomi Vor allem in den 1990er-Jahren erlebte die In
nalen Bruttowertschöpfung der Schweizer Wirtschaft vestitionsgüterindustrie eine Stagnation: Das reale
aus und ist damit zusammen mit der Finanzbran- Bruttowertschöpfungswachstum belief sich, über
54
alle Regionen betrachtet, auf lediglich 0,9 %. Be litten und verzeichnete einen Wachstumseinbruch
sonders stark vom Strukturwandel betroffen waren von durchschnittlich -2,4%. Im Tourismus fand in
die Regionen, die stark auf die Investitionsgüterin jüngster Vergangenheit ein starker Strukturwandel
dustrie spezialisiert waren und wenig andere Wirt statt, der immer noch anhält. Einzig die Region Ba
schaftszweige beheimateten. In erster Linie war das sel konnte im Zeitraum 2000 bis 2008 ein leichtes
die Ostschweiz, die in den l 980er-Jahren in diesem Wachstum von 0,3% verzeichnen, was sie sicherlich
Industriesegment ein starkes Wachstum aufwies ihrer einzigartigen Stellung als Gastgeberin von in
(3,6%), was dann im Zeitraum 1990 bis 2000 stark ternational bekannten Messen wie der Art Basel oder
zurückging (1,6 %). Neben der Ostschweiz erfuh der Uhren- und Schmuckmesse Base/world verdankt,
ren aber auch alle anderen Regionen einen starken die jährlich Tausende von Besuchern aus aller Welt
Wachstumsrückgang. Den Erfolg eines tief greifen in die Region locken. Auch hier wird die Zukunft
den Strukturwandels, der sich immer noch fortsetzt, zeigen, welche Regionen sich in der komplexer und
lässt sich an den Wachstumsraten ablesen: Die Re wettbewerbsintensiver werdenden Tourismusindustrie
gion Bassin Lemanique erreichte im Zeitraum 2000 durchsetzen werden.
bis 2008 ein Wachstum der realen Wertschöpfung
von 4,6%, vor der Region Südschweiz (3, 7 %), der Zusammenfassung
Zentralschweiz (3,2%) und Basel (2,8%). Dennoch Die Regionen Zürich/Aargau, Basel und das Bassin
erreichen die meisten Regionen aktuell nicht mehr Lemanique verdanken ihre wirtschaftliche Stärke zu
die Wachstumsraten der l 980er-Jahre, und es wird einem guten Teil ihrer Branchenstruktur: Die Region
sich weisen, wer im aktuellen Strukturwandel be Zürich/Aargau ist wirtschaftlich betrachtet vor dem
steht. Espace Mittelland die verhältnismäßig wichtigste
Region der Schweiz. Hier erwirtschafteten im Jahr
Tourismus: Ferienregionen 2008 25 % der Bevölkerung 28% des Bruttoinlands
Südschweiz und Zentralschweiz produktes. Nebst ihrer Vormachtstellung in der Fi
Der Tourismus sorgte im Jahr 2008 für lediglich nanzbranche ist die Region Zürich/Aargau ebenfalls
2 % der nationalen Wertschöpfung. Die höchste die wichtigste Schweizer Region für den Tourismus.
Spezialisierung auf den Tourismus weist dabei die Zusätzlich spielen die Investitionsgüterindustrie und
Südschweiz (SQ = 1, 18) auf, vor der Region Zent die Chemie für die wirtschaftliche Stärke der Region
ralschweiz (SQ=0,11, Tab.9). Im Gegensatz bei eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zur Region Basel,
spielsweise zu den Regionen Basel und Zürich/Aar die ihre Stärke und ihr Wachstum v. a. der chemisch
gau (Messetourismus) ist die Südschweiz sehr stark pharmazeutischen Industrie zu verdanken hat, ist die
auf den Urlaubstourismus ausgerichtet. Skigebiete Region Zürich/Aargau aber ausreichend stark diver
wie Zermatt oder Davos ziehen jährlich Tausende sifiziert und damit weniger krisenanfällig. Die Ost
nationale und internationale Gäste in die Region. schweiz und die Südschweiz haben in jüngster Ver
Aber auch im Sommer ist die Südschweiz eine gut gangenheit beide mit einem starken Strukturwandel
frequentierte Ferienregion. zu kämpfen: erstere Region im Bereich der Investiti
In der offiziellen Wirtschaftsstatistik wird die Tou onsgüterindustrie und letztere im Bereich Tourismus.
rismusbranche nicht mit allen Bereichen geführt Es wird sich in der Zukunft zeigen, ob und wie die
und muss deshalb abgeschätzt werden. Für die Regionen die strukturellen Veränderungen zu ihren
hier durchgeführte Analyse wurde angenommen, Gunsten nutzen können. In jüngster Zeit weisen die
dass sich die Tourismusbranche in den jeweiligen Regionen Basel, Zentralschweiz und das Bassin Le
Regionen anhand der Anteile des Gastgewerbes manique die höchsten BIP-Wachstumsraten auf. Das
abschätzen lässt. Dies kann allerdings zu einigen Bassin Lemanique holt v.a. in der chemisch-phar
Verzerrungen führen, da wichtige Ausgaben, die im mazeutischen Industrie stark auf und zeigt großes
Tourismus getätigt werden (z.B. Transportdienst Potenzial.
leistungen oder Detailhandel/Einzelhandel), nicht Neben den hier analysierten Exportbranchen sind
berücksichtigt werden. Mit diesen Einschränkungen auch die unternehmensbezogenen Dienstleistungen,
zeigt Tab.8, dass in der Region Zürich/Aargau 22 % der Bausektor und der Handel für wirtschaftliche
der realen Bruttowertschöpfung des Tourismus er Leistung und Dynamik der Schweizer Großregionen
wirtschaftet werden (von 21 % der Erwerbstätigen). entscheidend. Sie unterliegen jedoch starken Agglo
Damit ist Zürich/Aargau neben der Finanzbranche merationseffekten und wurden deshalb hier nicht
auch für den Tourismus die wichtigste Region. Eine betrachtet. Abgesehen von der Branchenstruktur
fast ebenso große Bedeutung kommt dem Touris sind zusätzlich regionale Standortvorteile für die
mus in den Regionen Südschweiz und dem Espace wirtschaftliche Leistung und Dynamik ausschlagge
Mittelland zu. In der Südschweiz, der zweitwichtigs bend. Die Regionen Basel, Zürich/Aargau und das
ten Tourismusregion, erwirtschafteten im Jahr 2008 Bassin Lemanique profitieren beispielsweise stark
20% der Erwerbstätigen 20 % der Bruttowertschöp von ihrer international guten Erreichbarkeit durch die
fung, und im Espace Mittelland erwirtschafteten Flughäfen. Einen wesentlichen Einfluss haben außer
21 % der Erwerbstätigen rund 20% der nominalen dem die Steuern, die jedoch auf kantonaler Ebene
Bruttowertschöpfung. erhoben werden und innerhalb der Schweiz starken
Auch die Tourismusbranche hat stark unter dem regionalen Schwankungen unterliegen und so den in
konjunkturellen Einbruch in den 1990er-Jahren ge- ternen Standortwettbewerb beleben.
55
II
Touristische Bruttowertschöpfung1, Bruttowertschöpfung2 Nachfrage
Nachfrage und Beschäftigung 2009
zu laufenden zu laufenden .
1 Tab. 101 Touristische Bruttowertschöpfung, Nachfrage und Beschäftigung in der Schweiz 2009.
56
IAbb.431 Engadin
St. Moritz, der welt
berühmte Ferienort
auf 1856m.
• •
über Tourismusgeschäfte)
► Grundlagen für Innovationen schaffen -ein
Kantone Instrument für nachhaltiges Wachstum
(Kantonale ► internationale Rahmenbedingungen verbessern -
Tourismuspolitik)
die Interessen der Schweiz international vertreten
Die für die Schweizer Tourismuspolitik tätigen Tourismusorganisationen haben klare Aufgaben und unterstützen die Realisierung der festgelegten Strategien
57
den Arbeitsmarkt bietet dies auch in der Tourismus wirtschaft als ausgezeichnet zu bewerten. Gemäß
wirtschaft einen großen Vorteil, da in diesem Sek dem „ Travel & Tourism Competitiveness Index"
tor der flexible Einsatz von Arbeitskräften besonders (WEF 2009) ist die Schweiz als Tourismusdesti
wichtig ist. nation gar eines der attraktivsten Länder der Welt.
Dies deutet darauf hin, dass der Tourismus auch in
Fazit Zukunft eine wesentliche Säule der Schweizer Wirt
Die Analyse der Kennzahlen zum Erfolg zeigt, dass schaft bleiben kann. Jedoch gilt es derzeit noch De
die Performance des Tourismusstandortes Schweiz fizite im Bereich des Preis-Leistungs-Verhältnisses
in den letzten Jahren durchwachsen ausfällt. Gene und im Bereich des Beherbergungsangebotes zu
rell sind die Potenziale der Schweizer Tourismus- überwinden.
com aufgespalten, Radio und Fernsehen erhielten Marktwirtschaft. Der Staat und d ie Zentralbanken
Konkurrenz durch private Sender. Im Energiebereich mussten in vielen Ländern Millia rdenbeträge ein
wurde dereguliert. Auf kantonaler Ebene wurde den setzen, um das Bankensystem vor dem Kollaps zu
Hochschulen, Krankenhäusern und Kulturinstitutio retten. In der Schweiz zeigte sich, dass die beiden
nen eine größere Autonomie zugestanden. Auf einen international tätigen Großbanken (UBS und Credit
einfachen Nenner gebracht, bedeuten diese Maßnah Suisse) für die letztlich doch kleine Volkswirtschaft
men der Liberalisierung mehr Markt, weniger Politik, Schweiz offensichtlich zu groß geworden sind. Sie
weniger Bürokratie. Die Privatisierungen und Dere stellen ein Systemrisiko dar; sie sind „too big to
gulierungen haben die Angebotsvielfalt, die Kunden fai/".
orientierung und die Produktionseffizienz verbessert Es bleibt derzeit offen, wie die Finanzkrise das
und auf diese Weise die internationale Wettbewerbs schweizerische Wirtschaftssystem beeinflussen wird.
fähigkeit der schweizerischen Volkswirtschaft erhöht. Die bisherigen Erfahrungen mit Verstaatlichung,
Planwirtschaft und nationalem Protektionismus sind
Ausblick alles andere als ermutigend. So wird wohl kaum et
Im ausgehenden ersten Jahrzehnt des 21.Jahrhun was anderes übrig bleiben, als das Schwergewicht
derts erschütterten Fehlentwicklungen und Miss auf die Verbesserung der Marktvoraussetzungen und
wirtschaft im Bankenbereich das Vertrauen in die der Regulierungen zu legen.
Überblick über das schweizerische Steuersystem Die Kantone (und im Rahmen des kantonalen
Auf den ersten Blick ist das schweizerische Steuer Rechts die Gemeinden) sind frei, weitere Abgaben
system kompliziert und intransparent. Der Grund zu erheben. Alle Kantone und/oder Gemeinden ken
liegt in seiner föderalistischen Vielfalt. Die 26 Kan nen Einkommens- und Vermögenssteuern, Grund
tone verfügen bei der Festlegung der Steuersätze stückgewi nnsteuern (jedoch keine umfassenden
und Abzüge über eine hohe Autonomie. Auch die Vermögensgewinnsteuern), Handänderungssteuern
rund 2700 Gemeinden sind in der Festlegung ihrer auf Liegenschaftstransaktionen (Änderungen des
Steuerbelastung weitgehend frei. Dies bewirkt einen Besitztitels im Grundbuch) sowie Erbschafts- und
kleinräumigen Steuerwettbewerb. Im Unterschied zu Schenkungssteuern (mit Ausnahme des Kantons
anderen Ländern werden die Steuern der Arbeitneh Schwyz). Lediglich einzelne Kantone und/oder Ge
mer nicht vom Lohn abgezogen und vom Arbeitgeber meinden erheben Liegenschaftssteuern und Spiel
an den Fiskus überwiesen, sondern alle Steuerpflich bankenabgaben sowie Besitz- und Aufwandsteuern
tigen müssen jährlich eine Steuererklärung ausfüllen, (Motorfahrzeug-, Hunde-, Vergnügungssteuern). Auch
die das Finanzdepartement prüft und daraus die vom hinsichtlich der Gebühren und Beiträge sind die Kan
Steuerpflichtigen zu zahlende Steuer berechnet. Die tone und Gemeinden frei.
meisten Schweizerinnen und Schweizer reichen ihre Die Autonomie der Kantone und Gemeinden wird
Steuererklärung ohne Zuhilfenahme eines Steuerbe durch die Steuerharmonisierung eingeschränkt. Ge
raters ein - offensichtlich ist das Steuersystem doch mäß Art. 129 legt der Bund „Grundsätze über die
nicht so kompliziert, wie es zunächst erscheinen mag. Harmonisierung der direkten Steuern von Bund, Kan
tonen und Gemeinden fest. [...] Die Harmonisierung
Rechtliche Grundlagen erstreckt sich auf Steuerpflicht, Gegenstand und
Die Grundlage für den föderalistischen Staatsauf zeitliche Bemessung der Steuern, Verfahrensrecht
bau bildet Artikel 3 der Bundesverfassung (BV): und Steuerstrafrecht. Von der Harmonisierung ausge
.,Die Kantone sind souverän, soweit ihre Souveräni nommen bleiben insbesondere die Steuertarife, die
tät nicht durch die Bundesverfassung eingeschränkt Steuersätze sowie die Steuerfreibeträge." Mit ande
ist; sie üben alle Rechte aus, die nicht dem Bund ren Worten: Die Schweiz kennt lediglich eine formel
übertragen sind." Gemäß Artikel 128 BV kann der le, nicht aber eine materielle Steuerharmonisierung.
Bund „eine direkte Steuer erheben: 1. von höchs Diese Regelung trat erst 1993 in Kraft. Vorher waren
tens 11,5 % auf das Einkommen der natürlichen Per die Gliedstaaten in der Ausgestaltung ihrer Steuern
sonen, 2. von höchstens 9,8 % auf den Reinertrag völlig autonom.
von juristischen Personen, 3. von höchstens 0,824 Charakteristisch für das schweizerische Steuersys
Promille auf das Kapital und auf die Reserven von tem ist, dass die Steuersätze der wichtigsten Steu
juristischen Personen." (Diese Obergrenzen werden ern in den Verfassungen des Bundes bzw. der Kan
zurzeit nicht ausgeschöpft.) Weiter hat der Bund das tone verankert sind. Da Verfassungsänderungen dem
ausschließliche Recht, eine Mehrwertsteuer (Art.130 obligatorischen Referendum unterliegen, müssen
BV), besondere Verbrauchssteuern auf Tabak, ge Steuererhöhungen und -senkungen in Volksabstim
brannte Wasser, Bier, Automobile und Treibstoffe mungen angenommen werden. Überdies können die
(Art.131), Stempelsteuern auf Wertpapiere, Versi Stimmbürger mittels Initiativen Steueränderungen
cherungsprämien und dergleichen (Art.132) sowie verlangen. Regierung und Parlament müssen Initi
auf Zölle (Art. 133) zu erheben. ativen behandeln und den Bürgern vorlegen. Volks-
Steuerbelastung bei
einem Arbeitsein
kommen von ... CHF:*
ITab.121 Steuerbelastung des Arbeitseinkommens nach Kantonshauptorten 2008. (Direkte Bundessteuer sowie
Kantons-, Gemeinde- und Kirchensteuer; verheirateter Unselbstständigerwerbender mit 2 Kindern, in CHF).
abstimmungen als wirksame Schranke gegen Steuer- des-, Kantons-, Gemeinde- und Kirchensteuern, im
erhöhungen und der Steuerwettbewerb der Kantone Kantonshauptort mit der höchsten Belastung, Dels-
erklären die vergleichsweise niedrige Steuerbelastung berg/Delemont (Kanton Jura), dagegen 6881 CHF
der Schweiz. oder 8,6 %. Das ist 4,3-mal so viel. Für einen Groß-
verdiener mit einem Einkommen von einer halben
Steuerbelastung MillionCHF beträgt der Steuerbetrag im Kanton Zug
Wie aus Tab.12 ersichtlich ist, bestehen bei der Ein- 92 066 CHF und in Delsberg 163 640, was dem
kommenssteuer natürlicher Personen - der wichtigs- 1,8-Fachen entspricht.
ten direkten Steuer- große Belastungsunterschiede. Warum werden derart große Steuerbelastungsun-
Bei einem mittleren Einkommen von 80 000CHF terschiede politisch überhaupt akzeptiert? Diese Fra-
zahlt ein verheirateter Steuerpflichtiger mit zwei Kin- ge drängt sich insbesondere vor dem Hintergrund der
dem im Kanton Zug 1614CHF oder 2,0% an Bun- Tatsache auf, dass die Bürger in Steuerfragen über
66 rtschaft
Steuerparadiese
Zum Kanton Zug gehören elf Gemeinden um den
Zugersee (Abb. 51), mit insgesamt 114 711 Ein
wohnern, 28 000 eingetragenen Firmen ( Kanton
Zug, Volkswirtschaftsdirektion/Economic Promoti
on). Die Stadt Zug mit ihren 26 500 Unterneh
men hat mehr als 31 800 Arbeitsplätze (Stadt
Zug, Zug in Zahlen 2010).
Werden dem Vergleich nicht Kantonshauptorte,
sondern alle Gemeinden zugrunde gelegt, erge
ben sich noch größere Unterschiede. Zudem ver
lagern sich die Steuerparadiese in den Kanton
Schwyz (Freienbach und Wollerau am oberen Zü
richsee), die „Steuerhöllen" in den Kanton Neu
enburg (Val-de-Travers).
I
1 Abb. 51 „Steuerparadies" Kanton Zug- Zugerberg
mf,t Zugersee und Blick auf die Stadt Zqg.
1
N
0 25 50 km
67
Einzelne Steuern Wie bereits erwähnt, sind die Kantone bezüglich !Abb. 531 Anzahl der Ein
Auf Steuern, d. h. Zwangsabgaben ohne spezifische Tarif und Abzügen autonom. Teilweise gilt dies auch kommensmillionäre in der
Gegenleistung, entfielen im Jahre 2007 rund 73 % für die Gemeinden. In den meisten Kantonen können Schweiz nach Wohnort
2005.
der Einnahmen von Bund, Kantonen und Gemein die Gemeinden jedoch den Steuertarif nicht selbst
den (ohne Sozialversicherungswerke). Das Schwer festlegen; sie erheben vielmehr einen bestimmten
gewicht der Erträge der direkten Steuern lag ein Prozentsatz der kantonalen Einkommenssteuer (sog.
deutig bei den Kantonen (49,3%) und Gemeinden Steuerfuß). Zum Ausgleich der kalten Progression
(34,5%). Auf den Bund entfielen lediglich 16,2%. werden die Tarife und Abzüge periodisch der Teue
Die direkte Bundessteuer wird nach Bundesrecht rung angepasst.
durch die Kantone erhoben. Diese lieferten dem
Bund 83% des Ertrags ab. Der Kantonsanteil betrug Vermögenssteuer
somit 17%. Die Vermögenssteuer natürlicher Personen wird le
Die indirekten Steuern bilden die Haupteinnah diglich durch die Kantone und Gemeinden erhoben.
mequelle des Bundes. Am wichtigsten sind die Steuerbar ist das gesamte Vermögen. Für das be
Mehrwertsteuer und die verschiedenen Verbrauchs wegliche Vermögen zählt der Wohnsitz des Steuer
abgaben. Seit dem weltweiten Abbau sind die Zöl pflichtigen. Liegenschaften werden durch dasjenige
le mit knapp 1 % der Steuereinnahmen quantita Gemeinwesen besteuert, in dem sie sich befinden.
tiv unbedeutend geworden. Teilweise wurden sie Schulden können abgezogen werden. Wie bei der
durch Verbrauchsabgaben ersetzt (z.B. Treibstoff Einkommenssteuer gilt die Familienbesteuerung,
abgaben). d. h. die Vermögen der Ehegatten und minderjährigen
Einkommenssteuer
Der Einkommenssteuer unterliegen natürliche Per Eigenmietwert in der Schweiz
sonen, die ihren Wohnsitz in der Schweiz haben.
Ebenfalls steuerpflichtig sind Personen mit Wohnsitz Der Eigenmietwert ist eine Schweizer Beson
im Ausland für Einkommen aus Liegenschaften und derheit. Unter dem Eigenmietwert versteht
Betriebsstätten in der Schweiz. Die Schweiz kennt man den Mietwert einer selbst genutzten
kein Splitting. Nach dem Grundsatz der Familien oder zu seiner eigenen Verfügung freigehalte
besteuerung werden die Einkommen von Ehegatten nen Liegenschaft oder Wohnung. Er wird dem
und minderjährigen Kindern zusammengezählt. Be Wohneigentümer aus steuerlicher Sicht zum
steuert wird das Gesamteinkommen, bestehend aus Einkommen hinzugerechnet, auch wenn die
Lohneinkommen, Kapitaleinkommen, Einkünften Wohnung nicht vermietet ist und der Eigentü
aus Renten und Pensionen sowie dem Eigenmietwert mer tatsächlich nichts einnimmt. Der Eigen
selbst bewohnter Liegenschaften (s. Exkurs „Eigen mietwert ist also ein fiktives Einkommen, das
mietwert in der Schweiz"). Vom Bruttoeinkommen besteuert wird, von dem jedoch diverse Kosten
sind die sog. Gewinnungskosten (Aufwendungen zur (Hypothekenzinsen, Verwaltung, Renovations
Erzielung der Einkünfte), die Freibeträge und allge kosten usw.) abgezogen werden dürfen. Selbst
meinen Abzüge (für Versicherungsbeiträge, Schuld bei Ferienwohnungen oder Immobilienbesitz
zinsen, zweitverdienende Ehegatten sowie Sozialab im Ausland muss der Eigenmietwert versteuert
züge für Kinder und unterstützte Personen) abzugs werden, auch wenn die Immobilie das ganze
fähig. Dies bewirkt eine indirekte Progression. Die Jahr über leer steht. Der Fiskus orientiert sich
Tarife selbst sind progressiv ausgestaltet. Für Verhei bei der Besteuerung des Eigenmietwerts am
ratete und Einelternfamilien kommt ein günstigerer Marktwert, also der Miete, die der Eigentümer
Tarif zur Anwendung als für die übrigen Steuerpflich erzielen könnte.
tigen (sog. Doppeltarif).
68
Kinder werden zusammengezählt. Soweit möglich er (für gastgewerbliche Leistungen). Der Normalsatz
folgt die Bewertung des Vermögens nach dem Ver liegt deutlich unter dem Mindests atz der EU von
kehrswert (Marktwert). Die Tarife sind progressiv 15%.
ausgestaltet. Durch Abzüge kommt eine indirekte
Progression zustande. Stempelsteuer
Die Eidgenössischen Stempelabgaben bestehen aus
Erbschaftssteuer einer Emissionsabgabe (Ausgabe von Aktien, Obli
Gegenstand der Erbschaftssteuer ist der Vermögens gationen und sonstigen Beteiligungsrechten), einer
übergang vom Erblasser zum Erben. Um zu verhin (Börsen-)Umsatzabgabe sowie einer Abgabe auf
dern, dass diese Abgabe durch Schenkungen vor Prämien der Haftpflicht-, Feuer-, Kasko- und Haus
dem Tod umgangen werden kann, wird sie durch eine ratsversicherung (nicht aber Sozial-, Kranken- und
(gleich ausgestaltete) Schenkungssteuer ergänzt. Die Unfallversicherung). Diese Steuer e rfasst den Ban
Steuerhoheit liegt bei den Kantonen, in wenigen Fäl ken- und Versicherungssektor, der nicht der Mehr
len bei den Gemeinden. Die Erbschafts- und Schen wertsteuer unterliegt. Um den Finanzplatz Schweiz
kungssteuer ist als sog. Anfallsteuer ausgestaltet; angesichts der Internationalisierung des Wertpapier
steuerpflichtig sind die Erben bzw. Beschenkten. Es handels und der Konkurrenz durch ausländische Bör
sind daher auch deren Merkmale, die bei der Steuer sen attraktiv zu halten, sind in den letzten Jahren
berechnung berücksichtigt werden. Überlebende zahlreiche Ausnahmen eingeführt worden.
Ehegatten sind befreit, in vielen Kantonen auch die
direkten Nachkommen. Grundsätzlich gilt: Je ent Besondere Verbrauchsabgaben
fernter der Verwandtschaftsgrad und je größer die Die oben vorgestellten Steuern beruhen auf dem
Erbschaft (Schenkung), desto höher der Steuersatz. Leistungsfähigkeitsprinzip: Belastet werden Per
sonen und Unternehmen, die in wirtschaftlicher
Gewinn- und Kapitalsteuer Hinsicht eine besondere Stärke aufweisen, kon
Juristische Personen (Kapitalgesellschaften, Genos kret über ein hohes Einkommen, Vermögen oder
senschaften u. a.) unterliegen der Gewinnsteuer (in einen hohen Gewinn verfügen und viel konsumie
der Schweiz als Ertragssteuer bezeichnet) und Kapi ren. Im Unterschied dazu basieren die besonderen
talsteuer. Die Steuerhoheit liegt im Falle der Gewinn Verbrauchsabgaben auf dem Äquivalenz- oder dem
steuer bei allen drei bundesstaatlichen Ebenen. Seit Verursacherprinzip. Beim Äquivalenzprinzip werden
1998 verzichtet der Bund auf die Kapitalsteuer. Personengruppen, die einen spezifischen Nutzen von
Der Bund kennt für die Gewinnsteuer einen pro öffentlichen Leistungen haben (z.B. Automobilisten,
portionalen Tarif mit einem Satz von 8,5%. Gewisse die Straßen benutzen), fiskalisch zur Kasse gebeten.
Kantone erheben ebenfalls proportionale Gewinn Mit der Anwendung des Verursacherprinzips wer
steuern, andere stufen nach der Höhe der Ertrags den Personen und Betriebe belastet, die beim Staat
intensität oder des Gewinns ab. Bei international oder bei Dritten Kosten auslösen, z.B. den Bau von
tätigen Unternehmen müssen Gewinne in dem Land Straßen nötig machen, Belästigungen in Form von
versteuert werden, in dem sie entstehen. Da nicht Lärm und Abgasen verursachen oder zu Umwelt
immer klar ist, wie viel Gewinn wo anfällt, nutzen schäden führen. Diese Steuern sind entweder als
Firmen den Spielraum, um den Gewinn in einem Sozialkostenabgaben (Internalisierung von externen
Land mit niedrigen Steuern, häufig in der Schweiz, Kosten) oder als Lenkungsabgaben ausgestaltet. Bei
zu versteuern. Sonderregelungen gelten für Genos spiele sind die Tabak-, Bier- und Spirituosensteuer,
senschaften, Beteiligungsgesellschaften, Holding die Treibstoff- und Automobilsteuer, die Autobahnvi
gesellschaften und Domizilgesellschaften. Dabei geht gnette, die leistungsabhängige Schwerverkehrsabga
es v.a. darum, Mehrfachbelastungen zu verhindern. be (LSVA) sowie neuerdings diverse Umweltabgaben
Wenn zwei oder mehrere Staaten oder Kantone die (z.B. VOC- volatile organic compounds- Stoffe, die
Steuerhoheit beanspruchen, erfolgt eine Steueraus als Lösungsmittel in diversen Produkten eingesetzt
scheidung. Zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung werden und eine schädigende Wirkung haben, C02).
werden die Gewinne aufgeteilt.
Steuerpolitik und Standortförderung
Mehrwertsteuer Mit Steuern können grundsätzlich drei Ziele ver
Die Mehrwertsteuer ist eine allgemeine Konsumsteu folgt werden: erstens Allokationseffizienz, d. h.
er. Die Steuer wird auf sämtlichen Produktionsstufen optimale Nutzung knapper Ressourcen, zweitens
sowie bei der Einfuhr erhoben. Um wettbewerbs Verteilungsgerechtigkeit, d. h. Ausgleich zwischen
verzerrende Wirkungen zu vermeiden, erfolgt ein Vor wirtschaftlich Starken und wirtschaftlich Schwa
steuerabzug. Entlastet werden die Ausfuhren. Es gilt chen, und drittens Stabilität, d. h. Konjunkturglät
das Bestimmungslandprinzip. Nach drei erfolglosen tung (Dämpfung in Boomphasen und Stimulierung
Versuchen ersetzte der Bund 1995 die frühere Wa in Rezessionsphasen). Im Hinblick darauf wurden
renumsatzsteuer, eine Einphasenumsatzsteuer, durch in der Steuertheorie sog. Besteuerungsgrundsätze
die Mehrwertsteuer nach europäischem Vorbild. Von entwickelt. Diese fordern einerseits eine kosten
der EU nicht übernommen wurden die Steuersätze. günstige Steuererhebung (beim Staat und bei den
Diese betragen seit 2011 8,0% (Normalsatz), 2,5% Steuerpflichtigen) und möglichst geringe Störungen
(reduzierter Satz für lebenswichtige Güter) und 3,8% des Wirtschaftsgeschehens. Andererseits konkretisie-
69
ren sie die genannten drei Ziele. Das schweizerische terziehung und Steuerbetrug für Ausländer aufgege
Steuersystem schneidet unter diesen Gesichtspunk ben wurde. Steuerhinterziehung (z.B. das „Verges
ten im Großen und Ganzen recht gut ab. Dennoch sen" von Einkommenselementen) gilt in der Schweiz
bestehen mehrere Baustellen. als fahrlässiges Vergehen, Steuerbetrug (z.B. das be
Der Abbau der tarifären und nichttarifären Han wusste Fälschen von Dokumenten) als vorsätzliches
delshemmnisse im Zuge der europäischen Integration Delikt. Die OECD-Länder hätten am liebsten einen
und der weltweiten Liberalisierungen hat die natio automatischen Informationsaustausch. Das würde
nalen Grenzen durchlässiger gemacht. Güter, Pro bedeuten, dass die Schweizer Banken von sich aus
duktionsfaktoren und Informationen sind mobiler die Finanzämter anderer Länder über die bei ihnen
geworden. Der dadurch ausgelöste intensivere Fir angelegten Vermögen von Ausländern informieren
menwettbewerb ist zu einem verschärften Standort müssten. Die Schweiz zieht Abzüge auf Kapitaler
wettbewerb zwischen Regionen und Nationen mu träge vor - analog zur eigenen Verrechnungssteuer
tiert. Die Gebietskörperschaften und Nationalstaaten (35 %). Die Einnahmen würden bei dieser Lösung
sahen sich gezwungen, neben Deregulierungen und an den Wohnsitzstaat überwiesen und bei korrekter
Verbesserungen der öffentlichen Leistungen (beson Deklaration an die Steuerpflichtigen rückerstattet.
ders im lnfrastrukturausbau) auch Steuerreformen Für die EU ist die unterschiedliche steuerliche Be
vorzunehmen. Der internationale Steuerwettbewerb handlung von schweizerischen und ausländischen
hat sich verstärkt. Die Steuern sind zu einem der Holdinggesellschaften ein Stein des Anstoßes. Diese
wichtigsten Standortfaktoren geworden. Davon ha Praxis bewirke eine integrationshemmende Wettbe
ben v. a. die internationalen Unternehmungen und werbsverzerrung. Offen ist, ob sich die Schweiz wird
die mobilen Produktionsfaktoren profitiert. In der anpassen müssen.
Schweiz wurden die Gewinnsteuersätze gesenkt, um Umstritten ist auch die Pauschalbesteuerung. Sie
Firmen zu halten oder anzuziehen. Die Progression kann von natürlichen Personen, die in der Schweiz
der Einkommenssteuer wurde abgeflacht, um güns keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, in Anspruch ge
tige Bedingungen für Kader und hochqualifizierte Ar nommen werden. Gerechtfertigt wird sie mit dem
beitskräfte zu schaffen. Wettbewerbshemmende Ele Argument, dass die Ermittlung des weltweiten Ein
mente wurden bei diversen Steuern eliminiert (z.B. kommens und Vermögens einer sehr wohlhabenden
bei den Stempelabgaben). steuerpflichtigen Person mit erheblichen praktischen
Im internationalen Steuerwettbewerb hat die Schwierigkeiten verbunden sei. Anstelle des Einkom
Schweiz gute Karten. Diese Tatsache erzeugt bei mens wird daher als Steuerbemessungsgrundlage der
Ländern (genauer Finanzministern), für die der „Lebensaufwand" herangezogen, in der Regel der
Steuerwettbewerb keine positiven Gefühle auslöst, fünffache Wert der Wohnungsmiete oder des Eigen
Abwehrreaktionen. Befürchtet wird eine Steuerspi mietwerts. Gesamtschweizerisch werden rund 5000
rale nach unten (race to the bottom), bis der Staat Personen pauschal besteuert. Gut 90 % von ihnen
mangels Finanzen zugrunde geht. Die Schweiz ist leben in den Kantonen Graubünden, Waadt, Wallis
der reale Beweis, dass diese Gefahr nicht zwingend und Genf. 2009 führte eine Volksabstimmung im
ist. Sie zählt in internationalen Rankings bezüglich Kanton Zürich zur Abschaffung der kantonalen Pau
Lebensqualität, Wettbewerbsfähigkeit und Staatsver schalsteuer.
schuldung regelmäßig zu den besten der Welt. Dies Auf eine Abflachung der Steuerprogression zielen
wäre nicht möglich, wenn die staatlichen Leistungen Reformen, die unter dem Stichwort f/at tax diskutiert
schlecht wären, weil es an öffentlichen Mitteln fehlt. werden und in einzelnen Kantonen bereits realisiert
Auch wenn viele Schweizerinnen und Schweizer wurden. Es geht darum, bei der Einkommenssteuer
dies nicht so sehen, hat der äußere Druck auf ge natürlicher Personen lediglich einen einzigen Steuer
wisse Steuerpraktiken der Schweiz durchaus positive satz anzuwenden und die Progression ausschließlich
Seiten. Beispielsweise darf das Bankkundengeheim durch großzügige Freibeträge indirekt zustande zu
nis nicht dazu missbraucht werden- was bei gewis bringen. Ein Kanton, Obwalden, wollte sogar einen
sen Banken der Fall war-, um Ausländern zur Steu degressiven Steuertarif einführen. Durch sinkende
erhinterziehung zu verhelfen. Interventionen der Ver Steuersätze bei hohen Einkommen sollten „gute"
einigten Staaten, Deutschlands und der OECD haben Steuerzahler angelockt werden. Das Bundesgericht
dazu geführt, dass die in der Schweiz seit Jahrzehn hat diesen Versuch allerdings als mit dem Leistungs
ten bestehende Unterscheidung zwischen Steuerhin- fähigkeitsprinzip nicht vereinbar unterbunden.
70
- ae30,0
- 25,0-29,9
20,0-24,9
15,0- 19,9
10,0- 14,9
< 10,0
nach Bezirken
0
0
1
N
0 25 50 km
72 lkerung, Kultur und Gesellschaft
Total 7785 806 1636 125 4840990 1308 691 27,0 6 071 802 1 714004 5 733 369 2 052437
Genferseeregion 1 462210 324 775 905330 232105 25,6 1 010319 451891 1 148555 313655
Waadt 701526 160 756 431333 109 437 25,4 487907 213 619 524 303 177 223
Wallis 307392 65005 190 742 51645 27,1 244598 62794 174522 132 870
Genf 453 292 99 014 283 255 71 023 25,1 277814 175478 449 730 3562
Espace Mittelland 1 741923 366140 1 066 873 308910 29,0 1 469306 272617 1 105 197 636726
Bern 974235 193 191 598 248 182 796 30,6 847153 127 082 608 635 365 600
Freiburg 273 159 66 616 168 731 37 812 22,4 224 802 48357 151 949 121210
Solothurn 252748 51678 156 780 44 290 28,2 203859 48 889 195434 57 314
Neuenburg 171647 38 448 101 802 31397 30,8 131981 39666 127 920 43 727
.g
j
Jura 70134 16 207 41312 12615 30,5 61 511 8623 21259 48 875 ß
Nordwestschweiz 228153 �
i
1 060753 213 498 664 250 183 005 27,6 821118 239 635 832600
Basel-Stadt 187 898 30 870 118304 38 724 32,7 128716 59182 187 898 0
Basel-Landschaft 272815 54 260 166388 52167 31,4 221119 51696 250365 22 450 ,ll'
Aargau 600040 128368 379 558 92 114 24,3 471283 128757 394 337 205 703 �o;i
Zürich 1351 297 265718 865 247 220 332 25,5 1 031109 320188 1 284877 66 420 N
�
Ostschweiz 1 094202 237876 674903 181423 26,9 875077 219125 620 884 473318 ;:::
Glarus 38 479 8266 23 489 6724 28,6 30 866 7613 0 38 479 �
c·
Schaffhausen 75657 14 530 46 310 14 817 32,0 58 358 17299 57298 18359 1
Appenzell A. Rh. 53043 11 597 31 704 9742 30,7 45693 7350 28237 24 806 2
Appenzell 1. Rh. 15681 3874 9214 2593 28,1 14112 1569 0 15 681 1'
St. Gallen 474676 106 131 292349 76196 26,1 371609 103067 317 818 156 858
Graubünden 191861 39038 119 336 33 487 28,1 160928 30933 95998 95 863
j
Thurgau
Zentralschweiz
244 805
739701
54 440
164608
152 501
460142
37 864
114 951
24,8
25,0
193 511
614492
51294
125209
121533
448384
123 272
291317 ti
f
.g
Luzern 372964 82 620 231 203 59141 25,6 311967 60997 190037 182 927
Uri 35335 7782 21 457 6096 28,4 32 005 3330 0 35 335 �
Schwyz 144 686 32435 90 380 21871 24,2 118574 26 112 116016 28 670 1
Q.
Obwalden 35032 8420 21347 5265 24,7 30524 4508 0 35 032
�-
Nidwalden 40794 8653 25 740 6401 24,9 36415 4379 35 771 5023 :�
Zug 110890 24698 70015 16 177 23,1 85 007 25883 106560 4330 �
'"
Tessin 335720 63 510 204245 67 965 33,3 250381 85339 292872 42 848
• Der Altersquotient beschreibt das Verhältnis der >64-Jährigen zu den 20- bis 64-Jährigen ... Gemäß Definition VZ 2000, a,
©
unterbrochen in der Schweiz lebt und zwei Drittel Bevölkerung in 1000 Wachstum Wachstum
der ausländischen Kinder und Jugendlichen in der
Kanton
in% in%
Schweiz geboren sind (2007: 67,9%), bleiben Aus 1990 2007 2009 1990-2007 1990-2009
länder sozial verwundbarer als die Schweizer:
■ Besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist Genferseeregion 1207,9 1408,8 1462,2 51,9 64,6
die Arbeitslosigkeit bei Ausländern in der Schweiz Genf 376,0 438,2 453,3 16,5 20,6
im Schnitt deutlich höher als bei Schweizern Wallis 248,3 298,6 307,4 20,2 23,8
(6,2% gegenüber 2,5% im April 2009).
Waadt 583,6 672,0 701,5 15,1 20,2
■ Die mittleren Einkommen von Ausländern sind
geringer als die der Schweizer. Im Jahr 2008 lag
!- Espace Mittelland 1606,3 1715,8 1741,9 50,5 59,7
der monatliche Medianlohn von Ausländern mit Bern 945,6 963,0 974,2 1,8 3,0
Jahresaufenthaltsgenehmigung (Ausweis 8), mit Freiburg 207,8 263,2 273,2 26,7 31,5
unbeschränkter Aufenthaltsbewilligung (Ausweis -
:';
5,9 6,8
Jura 65,7 69,6 70,1
C) sowie bei den Kurzaufenthaltern deutlich un
N
der Schweiz häufiger von Armut betroffen sind als � Appenzell A. Rh. 51,5 52,7 53,0 2,3 3,1
Schweizer oder zu den warking paar zählen (Bun f Appenzell 1. Rh. 13,6 15,5 15,7 14,0 15,5
desamt für Statistik 2008, 201 lb). i\l Glarus 37,6 38,2 38,5 1,6 2,2
j Graubünden 170,4 188,8 191,9 10,8 12,6
Allerdings bestehen je nach Herkunft Unterschiede:
49% der Ausländer aus Nord- und Osteuropa waren � St. Gallen 420,3 465,9 474,7 10,9 12,9
in führenden (Kader-)Positionen oder in akademi � Schaffhausen 71,7 74,5 75,7 3,9 5,5
schen Berufen tätig (2009), im Vergleich zu 26% i Thurgau 205,9 238,3 244,8 15,7 18,9
der Schweizer (Bundesamt für Statistik 2011 b). Die i Zentralschweiz 115,3 129,9
se Ausländergruppen sind aber aufgrund ihrer sozio
610,1 722,9 739,7
f Luzern 319,5 363,5 373,0 13,8 16,7
professionellen Kategorien gut ausgebildet und als
gute Steuerzahler geschätzt. ! Nidwalden 32,6 40,3 40,8 23,5 25,0
Obwalden 28,8 34,0 35,0 18,0 21,6
Die Schweiz: eine alternde Gesellschaft § Schwyz 110,5 141,0 144,7 27,6 30,9
Der durchschnittliche Schweizer ist 40,9 Jahre alt.
Uri 33,7 35,0 35,3 4,0 5,0
Die Alterspyramide hat sich im laufe der vergan 2
genen 40 Jahre tief greifend verändert. Der Anteil c Zug 84,9 109,1 110,9 28,5 30,6
der unter 20-Jährigen ist von 31 % (1970) auf heu- .;; Tessin
�
286,7 328,6 335,7 14,6 17, 1
te 21,2% zurückgegangen, während der Anteil der ;;
über 65-Jährigen steigt und heute 16,6% gegenüber �
ITab.141 Bevölkerungswachstum 1990-2009, nach Kantonen.
11,5% im Jahr 1970 erreicht. Die in der Schweiz am
häufigsten vertretenen Altersgruppen sind die Jahr Stelle folgt der Kanton Bern mit 12,5%, wobei des
gänge um 1965 (s. Exkurs „Alter als Ressource"). sen Position in den vorderen Rängen auch das Re
sultat des großen Kantonsgebiets ist. Auffallend ist
Regionale Demographie ein sehr starkes Wachstum in einigen Kantonen zwi
Die Hälfte der Schweizer Bevölkerung lebt in fünf schen 1990 und 2009, z.B. Zug (30,6%), Schwyz
Kantonen: Zürich, Bern, Waadt, Aargau und St. Gallen. (30,9%), Freiburg/Fribourg (31,5%), Nidwalden
Die Region Espace Mittelland ist von den sieben Groß (25,0%), Aargau (20,9%), Wallis (23,8%) sowie die
regionen am stärksten bevölkert (2009: 1 741 923 vergleichsweise schwache Dynamik im Kanton Jura
Mio. EW), danach folgen das Genferseegebiet (1 462 210 (6,8%) und Basel-Stadt (-2,0%) (Tab. 14).
Mio. EW) und die Region Zürich (1 351 297 Mio. Das regionale Wachstum kann in Zusammenhang
EW) (Tab. 13). Fast Dreiviertel der Bevölkerung leben gesehen werden mit:
in urbanen Zonen (73% im Jahr 2008). ■ Standortentscheidungen der Unternehmen, d. h.
mit dem Arbeitsplatzangebot in der Schweiz:
Regionales Bevölkerungswachstum Standorte in den zentralen Kantonen verursachen
Der Kanton Zürich verzeichnet die höchste Einwoh hohe Kosten und werden daher vermieden; sie
nerzahl aller Kantone: 1 351 297 Mio. EW (2009) deln sich Unternehmen hingegen in der unmit
oder 17,3 % der Gesamtbevölkerung. An zweiter telbaren Peripherie dieser Regionen an, können
74
■
� gegenüber 5,4% in der Schweiz). Deutsche leben ge
Bestand am 31. Dezember 2009 } häuft in der Nordwestschweiz, in Zürich und in der
Total Schweizer Ausländer ili Zentralschweiz (2009: zwischen 18,5% und 32,1%;
f Schweiz: 14,7%). Und mehr als die Hälfte der im
absolut in% .., Tessin lebenden Ausländer sind Italiener (58%). An
Zürich 368677 256 248 112429 30,5 ! nähernd ein Drittel der Türken in der Schweiz lebt
e in der Nordwestschweiz (2009: 30, 9%). Die Zentral
Genf 185 958 102316 83642 45,0 � und Ostschweiz weisen eine ähnlich hohe Dichte von
Basel 166173 111 225 54 948 33,1 �
Bürgern aus Bosnien und Herzegowina, Serbien und
Bern 123466 94 787 28679 23,2 ; Montenegro, Slowenien, Kroatien und Mazedonien
Lausanne 125885 75397 50488 40,1 � auf (Bundesamt für Statistik 2010).
Winterthur 99377 76 603 22774 22,9
� Metropole Schweiz
St.Gallen 72642 52124 20518 28,2 f 2009 wohnten 73,6% der Schweizer in städtischen
Luzern 59509 47929 11 580 19,5 55 Gebieten. Die Hälfte der Stadtbewohner (50,1 %)
Lugano 55 060 34874 20186 36,7 j wohnte in einer der fünf Schweizer Großstadtre
Biel 50455 36 281 14174 28,1 t gionen Zürich, Basel, Genf, Bern und Lausanne
' (Tab.15). Der Bevölkerungsantei I der ländlichen Re
Thun 42330 37558 4772 11,3 i gionen lag 2009 bei 26,4% (Bundesamt für Statistik
Köniz 38 261 32 604 5657 14,8 ; 2010).
La Chaux Bis in die l970er-Jahre verzeichneten die städti-
37413 26 821 10592 28,3 �
c
• •
Kantons Graubünden dient, eine spracherhaltende
• •
Französisch mittel: 70-84,9%
Wirkung erhoffte, sieht sich von deren mangelnder Deutsch Italienisch Rätoromanisch
stark: "85%
Akzeptanz in der Bevölkerung enttäuscht, namentlich
auch von Seiten der Behörden in den dominant räto mittel stark mittel stark mittel stark mittel stark keine nach Gemeinden
romanischsprachigen Gemeinden.
Quelle: OBFS, Tne
mat<art. Neuchälel
Zweite Landessprache 2005, E1dgen0ss,sche
Volkszählung 2000.
Mit Ausnahme der Sprachgrenzgebiete (zu denen au:. Lüd1 etal (2005)
Sprachen1andsc:haf1 in der
auch die gesamte Rätoromania zu zählen ist, wo alle Schwell S 12
in% absolut in% absolut Lzehnten der Anteil der Sprecher von Nichtlandesspra
Serbisch/Kroatisch 1,4 103 350 Arabisch 0,2 14 345 ��chen (von 0,7% der Bevölkerung 1950 auf 9% im
Albanisch 1,3 94 937 Niederländisch 0,2 11 840 MJahre 2000). Die am häufigsten vertretenen Sprach
Portugiesisch 1,2 89 527 Russisch 0,1 9 003 §�gruppen waren: Serbisch/Kroatisch (103 350), Alba
Spanisch 1,1 77 506 Chinesisch 0,1 8 279
Englisch
;�nisch (94 937), Portugiesisch (89 527), Spanisch
1,0 73 425 Thai 0,1 7 569
Türkisch 0,6 44 523 Kurdisch 0,1 7 531 ��(77 506 ), Englisch (73 425), Türkisch (44 523) und
Tamil 0,3 21 816 Mazedonisch 0,1 6 415 tJTamil (21816) {Abb. 57).
�� Der Anstieg derer, die Nichtlandessprachen spre
chen, scheint allerdings durch die „Neue Zuwande
IAbb. 571 Anteile der 15 können, ob mit Englisch oder mit einer zweiten Lan rung" von gut qualifizierten Personen vornehmlich
häufigsten Nichtlandes dessprache als Einstiegsfremdsprache begonnen wird. aus dem gleichsprachigen Ausland und die sprach
sprachen in der Wohnbe Damit haben Erziehungsdirektorenkonferenz und Par liche Integration der Zuwanderer gestoppt worden zu
völkerung (in% und abso
lament zugleich ihre Verantwortung für eine gesamt sein. Nicht nur in Zeiten von Wahlen wird viel über
lut), 2000.
schweizerische Regelung wahrgenommen und eine die sprachliche Integration durch den Erwerb der
heikle Konfrontation vermieden. Für die zweite Lan örtlichen Landessprache gesprochen. Entsprechen
dessprache haben sich inzwischen alle Westschweizer de Forderungen wurden bei der Diskussion des Aus
Kantone und das Tessin, alle zwei- oder mehrspra ländergesetzes und bei Erwägungen zu Integrations
chigen Kantone sowie die Sprachgrenzkantone So maßnahmen in einigen Kantonen laut. So fordert das
lothurn, Basel-Landschaft und Basel-Stadt entschie neue Ausländergesetz für Arbeitsimmigranten und
den. Alle übrigen Deutschschweizer Kantone werden Asylbewerber aus sozial unterprivilegierten Schich
mit Englisch beginnen. Die angeregten Diskussionen ten und Drittländern den Besuch oder gar den erfolg
über diese Regelung sind vor dem Hintergrund der reichen Abschluss von Sprachkursen. Die Daten der
--
Tatsache zu sehen, dass zunehmend Zweifel an Sinn Volkszählung über den Gebrauch der lokalen Landes
1 •·--
und Resultat des Landessprachenunterrichts aufge sprache in der Familie erlaubten es 1990 und 2000,
kommen sind. So deuten z.B. vorläufige Ergebnisse die sprachliche Integration verschiedener Sprach
einer punktuellen Rekrutenbefragung in der Schwei- gruppen zu vergleichen und auch „ältere" und „jün
gere" Migrationswellen einander gegenüberzustellen.
Der in Tab. 17 aufgeführte Vergleich zwischen 1990
und 2000 weist durchaus auf einen Erfolg der bishe
"I III "I III "I III rigen Integrationspolitik hin. Auffällig sind die Unter
schiede zwischen den Sprachgebieten: unabhängig
deutsches von der Herkunftssprache ist die sprachliche lnteg-
25,4% 36,6% 18,7% 24,0% 28,8% 31,7% 58,8% 50,9%
Sprachgebiet
§ ration im italienischen Sprachgebiet am ausgepräg-
französisches · ·
47,1% 55,8% 36,0% 43,6% 38,5% 38,6% 53,3% 51,4% @ testen und in der Deutschschwe1z am schwac
N „ h st en.
Sprachgebiet Die Unterschiede zwischen den Herkunftssprachen
italienisches
54,7% 72,1% 40,8% 54,5% 35,2% 41,2% 45,4% 55,4% i sind nicht ohne Weiteres im Sinne unterschiedlicher
Sprachgebiet � 1 ntegrationsanstrengungen zu interpretieren. Bei
g° spielsweise hängen die geringeren Zahlen der Por
1 Tab. 171 Verwendung der lokalen Landessprache in der Familie von Sprechenden
von Nichtlandessprachen, nach Sprachgebieten 1990 und 2000. � tugiesisch- im Vergleich zu den Spanischsprachigen
Erläuterung: In der Tabelle sind die Anteile der Sprechenden von Nichtlandessprachen, die } möglicherweise lediglich damit zusammen, dass die
die lokale Landessprache in der Familie verwenden, ausgewiesen (z.B. Deutsch von Spa- "' Spanischsprachigen schon länger in der Schweiz an
nischsprachigen in der Deutschschweiz). Die Prozentangaben beziehen sich auf die Ge- � sässig sind.
samtheit aller Personen, welche die entsprechende Nichtlandessprache als Hauptsprache �
Die bisherige Folgerung war deshalb, ,.dass bei
angaben und eine Angabe zur Familiensprache gemacht haben. Gefragt wurde nach der/ :"
den regelmäßig in der Familie gesprochenen Sprache(n) (mehrere Antwortmöglichkeiten). ; einer länger dauernden Anwesenheit der Immigran
Angegeben sind die Werte der vier Sprachen, die 1990 und 2000 unter den wichtigsten J ten deren Integration deutlich zunimmt.(... ) Ob die
Nichtlandessprachen figurierten. Die Stichprobengröße belief sich auf 800-40000 pro : ,jüngeren' Migrantengruppen aus dem Balkan {Ser
untersuchtem Bereich. �
bokroatisch und Albanisch) gleich reagieren werden,
77
Anteil in%
0,2
Wohnbevölkerung nach
• • • • a 2.5
25
Schweiz:
2000: 1,1%
50km
Anteil in%
<0,2
Wohnbevölkerung nach
0,2-0,4 0,5-0,9 1,0-1,4
--
l.5-2,4 22,5
25 50km
Schweiz:
2000: 1.1%
"''
N
J Anteil in%
1
0,2 0,2-0,4 0,5-0,9 1,0-1,4
• •
1,5-2.4 1t 2,5
Schweiz:
25
2000: 1,2%
50km
Anteil in%
0,2
Wohnbevölkerung nach
0,2-0,4
• • •
0,5-0,9 1,0-1,4 1,5-2,4
-
z 2,5
50km
Schweiz:
2000: 1,4%
Wohnbevölkerung nach
Hauptsprache 2000: Hauptsprache 2000:
Nichtlandessprachen Nichtlandessprachen
F) Türkisch
nach
Gemeinde(gruppe)n
Q Anteil in%
� 02 02-04
•
05-09
-.-
l 0- 1,4 1,5 - 2,4 1: 2,5
Schweiz:
25
2000: 1,3%
50km
Anteil in%
0,2 0,2 -0,4 0,5- 0,9 1,0-1,4
• •
1,5- 2,4 1t 2,5
Schweiz:
2000: 0,6%
IAbb. 581 Wohnbevölkerung nach Hauptsprachen, 2000. A Englisch, 8 Spanisch, C Portugiesisch, D Serbisch und Kroatisch, E Albanisch, F Türkisch.
78
bleibt abzuwarten. Zu vermuten ist es. Ihre Werte sonen) sinnvoll, wie dies z. B. der Kanton Basel
für 2000 liegen jedenfalls nicht wesentlich unter je Stadt kürzlich beschlassen hat.
nen für Türkisch im Jahre 1990" (Lüdi et al. 2005, ■ Viertens geht die wichtigste Aufgabe der Schule
S. 36). Sprachgeographisch gruppieren sich Immi über die Vermittlung grundlegender Sprachkom
granten gleicher Herkunftssprachen häufig in den petenzen hinaus und besteht in der Vermittlung
gleichen Gegenden (z.B. Portugiesischsprachige in einer diskursiven Autonomie, d. h. der Fähigkeit,
der Westschweiz und Sprecher der südslawischen die Sprache im Sinn von Autoren wie Habermas,
Sprachen in der Deutschschweiz), mit einer beson Levinas u. a. selbstständig und gleichberechtigt
deren Konzentration in den städtischen Ballungsge mit den lnteraktionspartnern zu verwenden (vgl.
bieten (vgl. Abb. 58). Freilich kommt es nirgends zu Gürtler 2001, 202ff.).
eigentlichen Sprachinseln. Migranten unterschiedli
cher Herkunft und Schweizer aus ähnlichen sozialen Mit anderen Worten: Es geht also auch im Interesse
Schichten leben durchmischt, wodurch z.B. im Stra der Aufnahmegesellschaft selbst (optimale Ausnut
ßenbild Klein-Basels zwar sehr viele verschiedene zung der Begabungsreserven, Vermeidung von So
Sprachen präsent sind, Deutsch aber die lingua fran zialkosten) um ein „empowerment", eine „Ermäch
ca unter Zuwanderern geblieben ist (Lüdi 2007a, tigung" der Anderssprachigen in der Schweiz und
Lüdi 2008). um die Verstärkung ihrer Mitwirkungsmöglichkeiten
Bei der Integration Anderssprachiger spielen die auf allen Ebenen von Wirtschaft und Gesellschaft.
Bildungssysteme eine sehr bedeutende Rolle: Einer Und in der Tat scheinen politische und schulische
seits, weil der Anteil an nicht ortssprachigen Schü Bemühungen zur Integration der Fremdsprachigen,
lern - insbesondere in den größeren Städten - stark namentlich der Jugendlichen, statistisch messbare
angestiegen ist und dies allenfalls einen Einfluss auf Erfolge gezeitigt zu haben.
die Qualität der Schulen haben könnte, und ande
rerseits, weil die Schule nach wie vor das wichtigs Die Bedeutung des Englischen
te Instrument für die (sprachliche) Integration der Die in Tab. 17 aufgeführten Werte für den Gebrauch
jüngeren Zugezogenen darstellt. Personen ausländi der örtlichen Landessprache in der Familie durch
scher Herkunft, die ihre obligatorische Schulausbil Anderssprachige wurden bereits kommentiert (s.o.).
dung ganz oder teilweise in der Schweiz oder ganz Allerdings passten die Werte für das Englische nicht
im Ausland absolviert haben, bleiben überdurch ganz zu diesem Bild. Sie wurden einerseits mit der
schnittlich häufig ohne nachobligatorischer Ausbil größeren Fluktuationsrate der Anglophonen inter
dung (Bundesamt für Statistik BFS 2011: Berufs pretiert, allerdings ist andererseits zu vermuten,
bildungsindikatoren - Sekundarstufe II. Neuchatei). dass diese Werte auch in Zusammenhang mit ei
Wenn man davon ausgeht, dass das Schulsystem ner qualitativ anderen Migration stehen und dass
nicht nur bei der Erziehung von Kindern und Jugend Englisch aufgrund der zurzeit gültigen Hierarchie
lichen zu mündigen, autonomen Bürgerinnen und der Sprachen auf eine ganz andere Akzeptanz in
Bürgern eine wichtige Rolle spielt, sondern auch ent der örtlichen Bevölkerung stößt als die Sprachen
scheidende Beiträge zum Abbau sozialer Ungleich der klassischen Immigranten. Diese Frage ist vor
heiten zu leisten hat, ist seine Aufgabe in diesem dem Hintergrund der Tatsache besonders relevant,
Zusammenhang allerdings komplex: dass die Zuwanderung von hoch qualifizierten Ar
■ Erstens ist, wer die dominante Mehrheitssprache beitskräften aus aller Welt zunimmt (Avenir Suisse
einer Gesellschaft nicht sprechen kann, von der 2008). Gemäß Bundesamt für Statistik (2011) ist
Information, der Entscheidungsfindung und von v.a. die Zunahme der Deutschen in der Schweiz be
vielen Positionen auf dem Arbeitsmarkt ausge deutsam, deren Zahl von 96 906 im Jahre 1995 auf
schlossen. Daraus kann die Pflicht zur optimalen 278 726 im Jahre 2010 anstieg. Aber auch die Zahl
Unterstützung beim Erwerb der örtlichen Landes qualifizierter Immigranten aus nicht gleichsprachi
sprache abgeleitet werden. gen Ländern ist deutlich gestiegen. In dem Maße,
■ Da man weiß, dass eine fundierte Kenntnis der wie die Schweiz immer stärker mit der globalen
Erstsprache die beste Voraussetzung für den um Weltwirtschaft verflochten ist, steigt auch hier die
fassenden Erwerb einer Zweitsprache darstellt, Bedeutung des Englischen als globaler lingua fran
trägt die Schule zweitens auch Mitverantwor ca. Obwohl es als Muttersprache nicht nennenswert
tung dafür, dass die Eltern in der Weitergabe ih verbreitet ist, wird aufgrund hoher Werte für Eng
rer Herkunftssprache an die nächste Generation lisch am Arbeitsplatz, namentlich bei Akademikern,
unterstützt werden und allenfalls beschränkte der Ruf nach seiner früheren und besseren Vermitt
Sprachkompetenzen gewisser Migrantenkinder lung in der Schule immer lauter. Gleichzeitig wird
in ihrer Herkunftssprache schulisch erweitert die Forderung nach sprachlicher Integration, die
werden. gegenüber unqualifizierten Arbeitsmigranten und
■ Weil sich Mehrsprachigkeit nach dem Urteil aller Asylbewerbern sehr strikt erhoben wird (s.o.). bei
Experten möglichst frühzeitig entwickeln sollte, ist Elitemigranten mit guten Englischkenntnissen auf
drittens ein möglichst frühzeitiges „Eintauchen" geweicht (Anerkennung des Englischen als Schul
der Zuwandererkinder in die Aufnahmesprache sprache). Wenn die Schweizer und anderssprachige
mittels Krippen, Kleinkindergärten u.ä. durch Ausländer - besonders die gut qualifizierten - ver
speziell geschulte Erzieher (nicht Sprachlehrper- mehrt Englisch sprechen und sich somit an die
Sprachenlandschaft in der Schweiz im 79
Erwerbstätige nach Sprache im Beruf, 2000 Erwerbstätige nach Sprache im Beruf, 2000
A) Englisch B) Französisch
m1chBemken nach Bezirken
�"'
8""
tl
.g
C
• • • •
1"
'
• •
ei.m
1 2,5 2,5-49 5,0-7,11 7,5-9,9 10,0-12,4 „ 12,5 25 2.5 · �.9 50-99 100 !89 600-699 � 70.0
z Erwerbstätige nach Sprache im Beruf, 2000 Erwerbstätige nach Sprache im Beruf, 2000
� C) l\alienisch D) Deutsch
�
nachBeZlfken nach Bezirken
�
2
�
J
i
• • • •
25 ::1),,.
Anteil in%
2,5 2.S-4,9 5,0-9,9
• •
l0,0-59,': 60,0 -69 9 „10,0
Anteil in%
10,0 10.0-199 200-599 60,0-69,9 70,0-79,9 80,0
Englischsprachigen anpassen statt umgekehrt, wird nomischen Wert der betreffenden Sprache auf dem IAbb. 591 Erwerbstätige
der Integrationsdruck auf diese Anderssprachigen Sprachenmarkt, obwohl rein juristisch alle Spra nach Sprache, 2000. A
deutlich reduziert. Der Fraktionschef der Freisinnig chen außer der jeweiligen Landessprache grund Englisch im Beruf, B Fran
zösisch im Beruf, C Italie
demokratischen Partei (FDP), Felix Gutzwiller, hat sätzlich denselben Status besitzen. Das ist in der nisch im Beruf, D Deutsch
bereits am 5. Oktober 2007 in einer parlamentari Schweiz nicht anders als im benachbarten Ausland, im Beruf.
schen Anfrage den Bundesrat gebeten, ,,im Interes muss aber bei der Darstellung der schweizerischen
se einer fortschrittlichen und weltoffenen Schweiz" Sprachenlandschaft im Wandel berücksichtigt wer
die Einführung von Englisch als vierter Amtssprache den (Abb. 59).
zu prüfen; diese Forderung stieß allerdings mehr
heitlich auf Ablehnung. Schweizer Dialektformen
Versucht man, diese Befunde aus der Perspektive und Mehrsprachigkeit
der Integration Fremdsprachiger zu interpretieren, Eine (Deutsch-)Schweizer Besonderheit stellt die
so gilt es zunächst festzustellen, dass die Anders sehr starke Verankerung der alemannischen Dialek
sprachigen keine homogene Gruppe darstellen. te in allen sozialen Schichten der Bevölkerung dar.
Gruppen von Fremdsprachigen bzw. von Fremd Die Wahrung der schweizerischen Identität durch
sprachen sind offensichtlich mit sozialen Faktoren die Pflege des Dialekts und die Erhöhung der kom
verbunden, wie z.B. dem Bildungsniveau der El munikativen Reichweite durch die Förderung des
tern. Mit anderen Worten sind Fremdsprachige im Standarddeutschen werden oft als Widerspruch
System der gesellschaftlichen Ungleichheiten und empfunden. Hinter der Dominanz des Deutschen
Privilegien an unterschiedlichen Positionen ange (Standarddeutsch und/oder Dialekt) bei den zu
siedelt. Gleichzeitig besteht eine starke Beziehung Hause (89,5%), bei der Arbeit (98%), in der obli
zwischen dem Anteil der Angehörigen einer Sprach gatorischen Schule (99,2%) sowie in der Ausbil
gruppe in weiterführenden Schulen (z.B. Maturi dung (99%) gesprochenen Sprachen verbirgt sich
tätsschulen) und dem symbolischen und/oder öko- eine Komplementarität von Deutsch und „Schwy-
80
Die alte Vielfalt züglich sagt man Ähnliches von Europa), welche
Vielfalt wird traditionellerweise v. a. bezüglich Spra mit ihrer kleinkammerigen Struktur die Siedlungs
che und Religion/Konfession wahrgenommen. So und Wirtschaftsstruktur mitbestimmt hat. Bekannt
zioökonomische Variablen kommen hinzu, etwa das lich hat das dichte Gewässernetz der Schweiz zu
Stadt-Land-Paradigma oder die „ Bauernschweiz" einer polyzentralen Anordnung von Industriebetrie
versus die „Bankenschweiz" und dann innerhalb ben geführt.
der Bauernschweiz die Mittelland- und die Voral Mit „alter Vielfalt" ist in erster Linie die traditio
penlandwirtschaft, innerhalb der Bankenschweiz nelle Buntheit der vier Landessprachen, der vielen
die verbliebenen zwei Großbanken neben den zahl Dialekte, der konfessionellen Unterschiede, des rei
reichen Kantonal- und Privatbanken, bei den Un chen Brauchtums, der Brot-, Käse- und Weinsorten,
ternehmen die ganz Großen Nestle, Novartis, Hoff auch der regional unterschiedlichen Häusertypen
mann-La Rache, ABB sowie die vielen klein- und (Abb. 61), der von Kanton zu Kanton variierenden
mittelständischen Unternehmen (KMUs) und die politischen Systeme, Schul- und Steuersysteme (vgl.
namenlosen ganz Kleinen. Prägende Grundlage ist Kap. ,,Wirtschaft/Steuersystem, Steuerpolitik und
die ebenfalls vielfältige Topographie (auch diesbe- Standortförderung"), der Wirtshauszeiten, der Jass-
protestantisch römisch-katholisch
Anteil in% Anteil in%
> 49, 9 > 79,9
- 40,0 -49 ,9 - 60,0 -7 9 ,9
- 25, 0 -39,9 - 40, 0 -59, 9
�� 1 0,0 - 24, 9 - 30,0 -39, 9
< 30 ,0
--
andere Religionen
Anteil in%
> 8, 9
8, 0 -8,9
7, 0 -7,9
5,0 -6,9
0 5-01.nt
keine Zugehörigkeit
Anlell In 'IE.
-
- 16,0-24.9
>24.9
10,0- 14.9
5,0-9.9
50 wm
< 5,0
0 50 km 50km
Die Schweiz ist nicht nur aus verschiedenartigen, ritorialitätsprinzip weitgehend gesichert, das besagt, IAbb. 621 Wohnbevölke
sondern insbesondere auch aus nicht übereinstim dass die Sprache in den Schulen, im Verkehr mit der rung unterteilt nach Reli
menden Einheiten zusammengesetzt, weshalb sich Verwaltung und vor den Gerichten territorial definiert gion für das Jahr 2000:
protestantisch, römisch
die Grenzen nicht decken und es zu keinen kumu- ist. Konkret: Ein deutschsprachiger Schweizer muss
katholisch, andere Religio
1 ierten Trenneffekten kommt. Die konfessionelle Ver in der französischen Schweiz die dortige Sprache ak nen, keine Zugehörigkeit.
teilung hat ihre Bedeutung zu einem großen Teil ein zeptieren und kann sich nicht darauf berufen, dass
gebüßt. Vor 1848 konnte sich kein Reformierter in seine Sprache national anerkannt ist.
den katholischen Stammlanden niederlassen, und In der Schweiz lautet die staatspolitische Haupt
konfessionell gemischte Ehen waren ein Ding der Un frage nicht, wie man den traditionellen Minderhei
möglichkeit. Noch um 1900 konnte jemand auf die ten gerecht werden kann. Die Hauptfrage lautet: Wie
Frage, ob er Katholik sei, antworten, nein er sei Bas kann die Schweiz trotz des großen Respekts vor tra
ler oder Zürcher, weil dies „rein" reformierte Kanto ditionellen Minderheiten eine Nation sein - ., une et
ne waren. In diesen Kantonen wurde es noch in den indivisible". Sie kann es, und dies könnte den Um
1960er-Jahren als Besonderheit aufgefasst, wenn ein kehrschluss erlauben, dass eine Nation nicht infrage
Katholik eine Kaderstelle innehatte. gestellt wird, wenn sie die Minderheiten respektiert.
Die Sprachproblematik ist geblieben (s. Kap. .,Be Im Gegenteil, es ist Schweizer Erfahrung und Über
völkerung, Kultur und Gesellschaft/Sprachenland zeugung, dass die Kohäsion des Ganzen in dem Maße
schaft in der Schweiz im Wandel"). Die Schweiz gestärkt wird, wie die Rechte der einzelnen Teile res
erkennt vier Landessprachen an, die Gesetze und pektiert werden. Man kann noch weiter gehen und
Amtsschriften werden automatisch mehrsprachig ver sagen, dass es der Mehrheit gut tut, Minderheiten
fasst und im nationalen Parlament wird dreisprachig zu haben, auf die sie Rücksicht nehmen muss, denn
gesprochen. Die öffentlichen Radio- und Fernsehan das bewahrt sie davor, sich selbst zu verabsolutieren.
stalten produzieren und senden in den vier Sprachen. Sicher gibt es auch den z. T. mühsamen regionalen
Der sprachliche Status quo ist durch das sog. Ter- Egoismus, den Partikularismus und den sog. Kan-
84
tönligeist. Aber es gibt keine Sezessionstendenzen. stimmungen, weswegen ein derartiges Projekt völlig
Manchmal kann es vorkommen, dass in den Medien aussichtslos ist. Erstaunlicherweise kommt es mit sol
oder in den kantonalen Parlamenten im Namen eines chen Abstimmungen hier und da doch zu Gemeinde
Kantons aus einer momentanen Verärgerung erklärt fusionen; so beschloss z.B. der Kanton Glarus 2006,
wird, dass man ja „austreten" könne, z.B. Genf, nur noch drei statt 26 Gemeinden zu haben. Aufgrund
wenn ihm der Gesamtstaat z.B. keine Lizenz für ein derartiger Fusionen ist auch die Zahl der Schweizer
Spielcasino geben will. Das ist aber nur une fa9on de Gemeinden von rund 3000 auf derzeit 2551 (Stand:
parler und im Gegenteil Ausdruck dafür, dass man 2011) zurückgegangen. Einzelne Gemeinden (Muggio
eben freiwillig (und grundsätzlich gerne) zur Schweiz im einen oder San Nazzaro in einem anderen Fall),
gehört. die sich z.B. im Tessin nicht über eine Volksabstim
Die Schweiz definiert sich weder über Sprache mung dazu bewegen und über eine regierungsrätliche
noch über Religion. Die beiden wichtigsten konsti Anweisung gefügig machen ließen, konnten über ei
tutiven Elemente sind die Geschichte und der Wil nen Bundesgerichtsentscheid sogar zur Aufgabe ihrer
le, eine Nation zu bilden. Um 1800 hätte die ita separaten Existenz gezwungen werden. Am 25. No
lienischsprachige Schweiz leicht zu Italien gehen vember 2007 wurde die Fusion der neun Gemein
können. Sie machte eine Rechnung und kam zum den am Südufer des Lago Maggiore zur Gemeinde
Schluss, dass es ihr als Minderheit in der Schweiz Gambarogno von den Stimmberechtigten von acht
besser gehe. Im Großen und Ganzen kann man das Gemeinden -Caviano, Contone, Gerra (Gambarogno),
von der französischen Schweiz ebenfalls sagen: Wäre lndemini, Magadino, Piazzogna, Sant'Abbondio und
sie nur ein Departement des französischen Nach Vira (Gambarogno)-gutgeheißen.
barstaates, hätte sie einen schlechteren Status.
Das ist aber von einer wirklichen Respektierung der Die neue Vielfalt
Minderheiten begleitet, die den Minderheiten wenn Über die alte Vielfalt hat sich eine neue Vielfalt dop
möglich sogar eine überproportionale Vertretung pelter Art gelegt: Die eine Art besteht aus dem sich
oder Anrechnung einräumt. Eine etwas kleinliche, seit den l 960er-Jahren stark entfaltenden sozia
aber signifikante Rechnung: Die Romands machen len Pluralismus. Die andere Art ergab sich aus der
rund 20 % aus, in der Landesregierung sind sie je gleichzeitig einsetzenden und im laufe der Zeit stark
doch mit 2 von 7 Mitgliedern mit 29% vertreten. Die angestiegenen Einwanderung. Der Pluralismus lässt
italienischsprachige Schweiz kommt hingegen nicht sich nicht leicht erfassen und quantifizieren. Er zeigt
immer so gut weg. Man achtet auch darauf, dass alle sich z.B. daran, dass es in den letzten Jahren, was
Teile des Landes in der Bundesverwaltung „gerecht" vorher undenkbar gewesen wäre, mit großer Selbst
vertreten sind. Auch wenn das nicht immer erreicht verständlichkeit eine jüdische Bundesrätin und einen
wird, ist es eine allgemein anerkannte Norm. Die Nationalratspräsidenten mit gleichgeschlechtlichem
Ausstattungen von Radio und Fernsehen der Min Partner gab.
derheiten sind selbstverständlich überproportional; Pluralismus drückt sich in einer Vielzahl von Le
die italienischsprachige Schweiz mit ihren 6,5 % bensstilen und einer privaten Religiosität aus, die
Bevölkerung bekommt 22.7 % des schweizerischen sich auf Kosten der großen Landeskirchen entwickelt
Budgets. Das rechtfertigt sich auch damit, dass die hat. Die Modernisierungseffekte, denen die schwei
Studios unabhängig von der Größe der Zuhörer und zerische Gesellschaft wie viele andere europäische
Zuschauer feste Grundkosten haben. Gesellschaften ausgesetzt ist, zeigen gegenläufige
Im Zusammenleben der schweizerischen Teile ist Wirkungen: Einerseits führen sie zu Homogenisierun
allerdings nicht alles gut. Die Landesteile leben z. T. gen, anderseits aber auch zu einer weiteren Hetero
stark separierte Parallelexistenzen, was allerdings genisierung. Ersteres stellten wir uns auch als Ame
auch Vorteile haben kann. Die friedliche Koexistenz rikanisierung ( Mc Donaldisierung) vor, letzteres als
unter den Landesteilen kann man mit dem Bonmot patchwork- oder a la carte-Kultur, als Multikulti- und
erklären: .. 11s s'entendent bien, car il ne se com als Ego-Gesellschaft.
prennent pas." (Sie verstehen sich gut, wei I sie sich Aus dem Umgang mit der alten Vielfalt und alten
nicht verstehen). Der Ausdruck „Leben und leben Minderheiten hat die Schweiz allerdings keinen Er
lassen" und die traditionell verankerte Strategie der fahrungsvorsprung für den Umgang mit der neuen
gegenseitigen Unkenntnis voneinander sind aber in Vielfalt und den neuen Minderheiten, also mit den
der heutigen Zeit, in welcher der gegenseitige Eintritt aus anderen Kulturkreisen eingewanderten Menschen
in das jeweilige Sprachgebiet des anderen zur Nor gewonnen. Um welche Größenordnungen es da geht,
malität gehört, schwierig geworden. kann man an den neuen Erstsprachen (s. Kap...Be
Eine besondere Schwierigkeit besteht darin, dass völkerung, Kultur und Gesellschaft/Sprachenland
die historisch gewachsenen kleinen Kantonseinheiten schaft in der Schweiz im Wandel") und bisher in der
dringend den neuen gesellschaftlichen Gegebenhei Schweiz kaum vertretenen Religionen ablesen (s. Ex
ten angepasst und insbesondere aus rationalen und kurs „Ausländer-Anteil der Muslime").
rationellen Gründen zu funktionalen Großräumen zu 22 % der Dauerbevölkerung in der Schweiz sind
sammengelegt werden sollten. Es besteht die Idee, sog. Ausländer. Etwa die Hälfte davon sind aber in
die 26 Kantone auf 7 Einheiten zu reduzieren (s. auch der Schweiz geboren oder schon länger als 15 Jahre
Kap... Siedlung und LandschafUAgglomerationspolitik in der Schweiz, mithin eine Art Einheimische, aber
des Bundes"). Dies geht aber nicht ohne Volksab- ohne politische Rechte. Die Demokratie muss auf sie
85
keine Rücksicht nehmen, und die politische Rechte An der Zunahme der sprachlichen Vielfalt zwi
kann über sie schlecht reden, weil sie sich nicht mit schen 1990 und 2000 können wir die Zunahme der
dem Stimmzettel in der Hand dagegen wehren kön neuen Multikulturalität ablesen: 8,9% (1990) bzw.
nen. Im Gegensatz zu den alten Minderheiten verfü 9,5% (2000) der Bevölkerung in der Schweiz haben
gen die neuen Minderheiten auch über keine eigenen als Erstsprache eine nichtschweizerische Sprache,
Territorien und kaum über starke Vereinsstrukturen, d.h. mehr als die beiden kleineren Kategorien der
welche die Interessen bündeln. Ihre Rechte können Schweizer Landessprachen zusammen. Noch 1950
sie, da sie meist nur statistisch eine Gruppe bilden, lag diese letzte, besonders interessante Kategorie mit
bloß individualrechtlich geltend machen. Die Karte 0,7% unter der 1%-Marke, nahm dann aber stark zu
(Abb.64) zeigt, dass es in bestimmten Regionen zwar und verzeichnete 1960 1,4%, 1970 4,3%, 1980
auffallende Konzentrationen bestimmter Ausländerka 6,0% und 1990 eben die erwähnten 8,9%. Mit der
tegorien gibt, aber grundsätzlich sind sie einfach eine neuen Art der Erfassung von Censusdaten werden
auf das ganze Land verteilte Diaspora. Vollerhebungen mittlerweile nicht mehr duchgeführt,
Vielleicht ist es kleinlich, auf dem Unterschied sondern durch ein grundlegend anderes Erfassungs
zwischen Multikulturalismus als gewolltem Zustand system ersetzt
und Multikulturalität als sozialer Tatsache zu beste
hen.Man kann auch Eidgenossen immer wieder- be Zur religiösen- und konfessionellen Vielfalt
sonders in der französisch- und italienischsprachigen Die Gruppe der „anderen" (nichtkatholischen und
Variante - stolz sagen hören, dass die Schweiz multi -protestantischen) Konfessionen und Religionen
kulturell sei. Gemeint ist damit in den meisten Fällen nahm in den Jahren von 1990 bis 2000 von 5,0%
jedoch bloß die traditionelle Vielfalt.Multikulturalität auf 7,5% zu, die Gruppe der Konfessionslosen von
bezeichnet aber die neue, von Individuen und klei 7,4% auf 11,1% und die Gruppe ohne Angaben von
nen Gruppen getragene Vielfalt. Ein Blick in die Sta 1,5% auf 4,3%. In der Sammelkategorie von 5%
tistik zeigt, wie kleinteilig die einzelnen Kategorien bzw. 7,5% bildet der Islam mit 2,2% bzw. 4,3% die
z.B. in sprachlicher Hinsicht sind. Die acht größten größte Gruppe, wobei in den amtlichen Unterlagen
Gruppen der nichtschweizerischen Sprachen sind vermutet wird, dass der Anteil noch größer ist, weil
Slawische Sprachen des ehemaligen Jugoslawien, Al sich ein Teil der muslimischen Ausländer als konfes
banisch, Portugiesisch, Spanisch und Türkisch, wo sionslos eingetragen habe. Bei den Ausländern liegt
bei sich alle Anteile zwischen 1% und 2% bewegen der Anteil derer „ohne Angaben" mit 8,7% wesent
(vgl. Kap. ,,Bevölkerung, Kultur und Gesellschaft/ lich höher als bei den Schweizern mit 3,2%. Inklu
Sprachenlandschaft in der Schweiz im Wandel" für sive der damit verbundenen Dunkelziffer, einen Teil
Details). Aberdutzende von anderen Sprachen mit der Saisonniers und anderer Aufenthaltskategorien
Anteilen unter 0,2% bilden dann innerhalb der gro eingeschlossen, ergibt sich eine geschätzte Gesamt
ßen Varia-Gruppe die kleine Varia-Gruppe mit 1,7%, zahl von rund 200 000-400 000 Muslimen in der
darunter z.B. 4419 Dänisch oder 3555 Finnisch Schweiz. Auch diese in früheren Jahren kleiner gewe
sprechende Menschen (2009). sene Größe ist gewiss ein Indikator für die Zunahme
86 kerong, Kultur und Gesellschaft
IAbb.641 Zuzügler
aus Nordwesteuropa
nach Gemeinden
(Total 2007-2009).
•
•• �• ••·. •
. . '
.. .
l
N
25 50 km
der Multikulturalität in der Schweiz. Die zweitgrößte Zur Vielfalt der Nationalitäten
religiöse Minderheitengruppe bilden die Ostkirchen Selbst in einer schnellen Beschreibung der heutigen
Orthodoxen mit 1 % (1990) bzw. 1,8 % (2000). Vielfalt darf ein Hinweis auf die verschiedenen Na
Es mag interessieren, dass unsere Quelle, das offi tionalitäten bzw. Staatsbürgerschaften nicht fehlen.
zielle Statistische Jahrbuch der Schweiz, Religion als Heutzutage wird v. a. der hohe Anteil der EWR-Aus
Unterkapitel unter dem Haupttitel „Kultur und Medi länder unter der ständigen ausländischen Wohnbevöl
en" führt, dass es nicht zwischen Konfession und Re kerung (mit B- und C-Ausweisen) betont. Ende 1995
ligion richtig zu unterscheiden vermag (in der deut machten sie 62,2 % des Gesamtbestandes aus, wo
schen Statistik hingegen werden Judentum, Chris bei 62 % davon EU- und 0,2 % EFTA-Ausländer wa
tentum, Islam als verschiedene Konfessionen und in ren- allesamt in einem negativen Wanderungssaldo.
der französischen Römischer Katholizismus, Christ 2009 machten die in der Schweiz lebenden Europäer
katholizismus und Ostkirchlicher Katholizismus als 86,3 % der ausländischen Wohnbevölkerung aus; sie
verschiedene Religionen bezeichnet) und dass es die konzentrieren sich in den großen Städten (Abb. 64).
muslimische Kategorie in der deutschen Version des Die politische Funktion dieser Hervorhebungen ist,
Jahrbuchs lange unter der ziemlich falschen Bezeich die Einheimischen mit der Botschaft zu beruhigen,
nung der Mohammedaner führte. Kategorisierungen dass diese Ausländer im Großen und Ganzen doch
haben den großen Nachteil, dass sie mit ihren Un die gleichen Menschen wie die Schweizer seien. So
terscheidungen immer auch pauschalisieren. So för sehr diese Botschaft an sich zu begrüßen ist, ist sie
dert die Feststellung, dass 1990 152 217 Muslime insofern doch zwiespältig und schon mittelfristig kon
registriert worden sind, die fatale Vorstellung, dass traproduktiv, als sie eine Kategorie von Ausländern
es sich dabei um eine homogene Gruppe handle. Al entproblematisiert, indem sie die andere, nichteuro
lenfalls ist man in der Lage, zwischen Schiiten und päische, zusätzlich problematisiert und indem sie Dif
Sunniten zu unterscheiden. Die zahlreichen anderen ferenz bzw. Multikulturalität zudeckt, statt sie zuzuge
Islam-Varianten, die aus unterschiedlichem Religi ben und sie mit der Botschaft zu versehen, dass man
onsverständnis und unterschiedlicher Herkunftsbe mit ihr- d. h. ihren unangenehmen, aber auch ange
ziehung entstanden sind, kann und will man sich nehmen Seiten - zu leben lernen muss. Das in den
aber nicht vorstellen. Solche Zahlen sind bekanntlich l 990er-Jahren vorübergehend für maßgebend dekla
auch darum problematisch, weil sie kein Abbild der rierte Einwanderungsmodell reihte beispielsweise Slo
Realität sind, weil sie in der Summe schnell nach wenien (wie afrikanische und asiatische Staaten) in
mehr aussehen, als ihre gestreute Präsenz tatsäch den Bereich der wenig erwünschten Herkunftsländer
lich bedeutet, so wie umgekehrt Durchschnittswerte ein, dies im Gegensatz zu den erwünschteren Ländern
lokale Konzentrationsprozesse verschweigen oder ver der EU. Inzwischen sind alle 27 EU-Mitglieder ins Re
harmlosen. Statistische Zahlen können insofern auch gime der Personenfreizügigkeit einbezogen.
Angst vor und Ablehnung von Minderheiten fördern, Von der Schweiz könnte man meinen, dass sie
da sie etwas nähren, das nur in unseren Köpfen lebt mit der Multikulturalität weniger Mühe bekunde als
und wuchert. andere Staaten oder Gesellschaften wie etwa die
87
deutsche oder französische, weil die Schweiz nie mo sind, gut umzugehen. Hingegen muss sie noch ler
nokulturelle Verhältnisse gehabt habe. Auf der ideo nen, sich den neuen Diasporaminderheiten gegenüber
logischen und mythologischen Ebene besteht in der angemessen zu verhalten. Die Rätoromanen werden
Tat die Vorstellung von der besonderen Befähigung als historische Größe rechtlich geschützt und finan
im Umgang mit Andersartigem. Seit die Schweiz in ziell gefördert, es gibt aber mehr Türkisch als Räto
gesteigertem Maße glaubte, sich nationalistisch von romanisch sprechende Menschen im Land; und die
ihrem Umfeld abgrenzen zu müssen, d. h. seit den Spanisch sprechende Gruppe ist zweimal, die Por
letzten Jahrzehnten des 19. Jh., definierte sie sich tugiesisch sprechende dreimal so groß wie diejenige
als Land, in dem verschiedene Kulturen friedlich der Rätoromanen. Da genügt es nicht, wenn man den
zusammenlebten und die Einheimischen dem Frem Zugewanderten einfach befiehlt, dass sie sich assimi
den mit besonderer Toleranz begegnen würden. In lieren sollten. Man muss ihnen substanzielle Integra
zwischen hat sich herumgesprochen, dass dies eher tionshilfe zur Verfügung stellen. In Spitälern und z.B.
propagierte Ideologie als eingelöste Realität war. Die bei Fahrprüfungen hat man gegenüber Nichtschwei
Schweiz ist jedoch nicht fremdenfeindlicher als etwa zern nicht auf dem Territorialitätsprinzip beharrt und
die Nachbarländer, sondern das Besondere besteht ist ihnen entgegengekommen. So konnte man bis vor
darin, dass die xenophoben Kräfte wegen des Stimm Kurzem die Fahrprüfung in sechs nichtschweizeri
rechts einen recht großen Einfluss haben können. schen Sprachen (Englisch, Spanisch, Portugiesisch,
Deswegen sollte man aber nicht übersehen, dass das Serbokroatisch, Türkisch und Albanisch) ablegen.
Verhältnis zwischen den Alteingesessenen und den In der Schweiz leben etwa 100 000 niedergelasse
neuen Minderheiten alles in allem doch recht gut ist. ne Kosovo-Albaner (wovon 40000 die schweizerische
In Wirklichkeit ist die Schweiz entweder gar nicht Staatsbürgerschaft haben), weitere 100 000 haben
anders als die anderen, oder sie hat es sogar beson den Flüchtlingsstatus, und zusammen entspricht
ders schwer, weil die Idee von der bereits vorbildlich dies etwas der Bevölkerung der drei „Gründungskan
gelebten Multikulturalität den Blick auf die Realität tone" Uri, Schwyz und Unterwalden. Die Zahl der
verstellt bzw. die Notwendigkeit nicht aufscheinen Kosovaren ist so groß, dass ein schweizerisches Ma
lässt, eine Idee oder ein Konzept zur Bewältigung der gazin (L'Hebdo Nr. 8 vom 22. Februar 2007) einmal
anfallenden Fragen zu entwickeln. So hat man sich vom 27. Kanton der Albaner sprach. Der wesentliche
in der vormals eher als einsprachig zu bezeichnenden Unterschied besteht aber darin, dass sie über kein
Gesellschaft Deutschlands mehr mit der Mehrspra zusammenhängendes Territorium verfügen.
chigkeit einer Gesellschaft beschäftigt als in einem Die traditionelle Toleranz der Schweiz galt und gilt
Land wie der Schweiz, das meint, diese Herausfor in erster Linie den territorial definierbaren Minderhei
derung seit jeher ohne Konzept bestens bewältigt zu ten, den Talschaften und Anhöhengemeinschaften,
haben. Die kürzlich nur mit größter Mühe zustande den vielen Geländekammern, kulturellen Exklaven
gebrachte Revision des Sprachenartikels BV Art.116 oder Enklaven. Ihre konzeptionelle Basis ist das Ter
mit Neuerungen zugunsten des Rätoromanischen ritorialitätsprinzip, das der Ortskultur eine absolute
musste sich zu einem nicht unwichtigen Teil auf aus Dominanz einräumt, zum Schutze vor kultureller Un
ländische Positionen abstützen, in diesem Fall auf terwanderung und Verschiebung von Kulturgrenzen.
die Charta des Europarates von 1992 zum Schutze Das Recht auf individuelle Kulturpraxis wird in dem
der Minderheiten- und Regionalsprachen. Maße eingeschränkt, wie man darin eine Gefährdung
Die Schweiz weiß mit den traditionellen Minderhei des labilen kulturellen Gleichgewichts der plurikultu
ten, die alle auch territorial definierte Minderheiten rellen Schweiz sieht.
Welche Schweiz? Welcher Wandel? etwa der Familie. Diese Gesellschaftsbereiche stellen
Trotz seiner scheinbaren Einfachheit, ja Selbstver auf makroskopischer Ebene den Kern der Sozialorga
ständlichkeit deckt der Name eines Landes vielerlei nisation dar und sind daher für die Strukturierung der
ab. Im Folgenden wird die „Schweiz" soziologisch Lebenswelten, in denen die Bewohner des Landes ihre
als eine Gesellschaft betrachtet, die auf einem be Alltagserfahrungen machen, besonders wichtig. Auch
stimmten Territorium existiert und eine Geschichte die räumliche Gliederung ist eine nicht zu vernach
hat. Die Organisation einer modernen Gesellschaft lässigende Dimension der Sozialorganisation. Gesell
ist in verschiedene Funktionsbereiche gegliedert, die schaftliches Leben und seine Organisation stehen in
alle grundsätzlich von strukturellen und kulturellen direkter Beziehung zum Territorium: Einerseits ist jede
Elementen gekennzeichnet sind. So zeichnet sich die Sozialorganisation an einen geographischen Raum
Wirtschaft u. a. durch eine bestimmte Sektorenstruktur gebunden, andererseits wird dieser Raum sozial „ver
aus, aber auch durch das eingesetzte Spezialwissen waltet"; die relevanten territorialen Räume können ih
oder das vorherrschende Arbeitsethos. Analoges gilt rerseits verschieden umfassend sein - von der lokalen
für die Politik, das Bildungswesen und andere Berei bis zur globalen Ebene. Die territoriale Differenzierung
che des sozialen Lebens, seien sie auf der makrosozi kann in diesem Zusammenhang, wenn auch stark ver
alen Ebene angesiedelt oder auf der mikrosozialen wie einfachend, in erster Linie mit „zentral/peripher" oder
88
■ Reduktion der Ungleichheit aufgrund der sozialen eines der zentralsten sozialen Güter-nicht nur auf
Schicht der Eltern. Auch die institutionelle Ex der Ebene der effektiven Lebensverläufe, wie sie
pansion verminderte die in der sozialen Schicht statistisch nachvollzogen werden können, sondern
der Eltern begründete Ungleichheit nur bedingt. auch im Bewusstsein der Bevölkerung.
Noch immer gelangt ein wesentlich geringerer An
teil von Kindern der unteren sozialen Schicht bis Wirtschaft
zur Universität. Der Bericht zur sozialen Lage der Für alle westlichen Wirtschaften war die Industri
Studierenden 2005 untersuchte die Schichtzuge alisierung ein entscheidender Umbruch, der oft zu
hörigkeit von Studierenden aufgrund der höchs starken sozialen und politischen Verwerfungen ge
ten beruflichen Stellung und dem höchsten Bil führt hat. Die Schweiz hat diese Umbruchsphase be
dungsabschluss der Eltern. Die darauf basierende sonders schnell und zugleich auf eine besondere Art
Einteilung in die vier Gruppen niedrige, mittlere, durchlaufen, die hier knapp angedeutet werden soll.
gehobene und hohe Schicht zeigte 28% der Stu Einerseits erscheint sie aufgrund wirtschaftshistori
dierenden in der hohen, 28% in der gehobenen, scher Analysen als gleich früh „industrialisiert" wie
26 % in der mittleren, aber nur 18% in der nied die industrielle Führungsnation England (- 1830),
rigen sozialen Schicht (Bundesamt für Statis obgleich der Prozess in der Schweiz später einsetzte
tik 2007: Soziale Lage der Studierenden 2005. als dort, andererseits kannte die Schweiz bereits im
Neuchatei). 18.Jh. in einigen Schlüsselregionen eine Protoin
dustrialisierung, deren Besonderheit es war, dass sie
Die jüngste markante Veränderung in der Schweizer sich nicht in den Städten entwickelte, sondern auf
Bildungslandschaft besteht einerseits in der schweiz dem Land (v.a. die Textilherstellung und -veredelung
weiten Einführung von Fachhochschulen mit Univer in den Basler oder Zürcher Landgegenden, aber auch
sitätsrang (,,Berufsuniversitäten"), die allerdings v.a. etwa im Kanton Glarus, teils auch die Uhrenfabrika
mithilfe einer Rangerhöhung bereits bestehender In tion im Jura). Das war -nebst der Tatsache, dass es
stitutionen (z.B. Technika, Schulen für Sozialarbeit) sich um Veredelungs- und nicht um Schwerindustrie IAbb.661 Das Bildungs
erfolgte und insofern nur beschränkt als Strukturwan handelte - einer der wichtigsten Gründe dafür, dass wesen in der Schweiz
del angesehen werden kann, und andererseits in der die Industrialisierung vorwiegend als technische, (vereinfacht).
Durchsetzung der Bologna-Reform auf Universitäts
und Fachhochschulebene. Die konkreten sozialen
Auswirkungen beider Maßnahmen zeigen sich noch
nicht deutlich, sind erst im Entstehen und bisher
noch kaum untersucht.
Das Bildungssystem ist sozial deshalb besonders
wichtig, weil es derjenige Gesellschaftsbereich ist,
in dem die persönliche Bildung erworben wird, und
weil von der Erstausbildung in einem sehr weitge
henden Ausmaß abhängt, wo und v. a. wie „hoch"
sich junge Frauen und Männer in der Berufswelt
positionieren können. Es wurde schon angedeutet,
dass die Bildungsvererbung von den Eltern auf die
Kinder in der Schweiz - wie in den meisten euro
päischen oder OECD-Ländern - relativ stark ins
Gewicht fällt, obwohl dank der Bildungsexpansi a:�
t;' 2
on in der zweiten Hälfte des 20.Jh. ein gewisser ::,
� 1
„Fahrstuhleffekt" der kollektiven Bildungsmobilität
zustande kam: Die Bildungsverteilung in der Bevöl
kerung hat sich nach oben verschoben, ohne dass "'(3 - 9
dadurch die Bildungsungleichheiten im Sinne der z u.J
::, "- 8
sozialen Schichtung markant verringert worden wä sc::,
� t; 7
ren. Außerdem hat sich die hierarchische Struktur 6 Primarschule '<
der Wirtschaft nicht im selben Ausmaß und gleich 5 F�
zeitig verändert. Im Gegenteil: Aufgrund neuer Ma
"'
4
zufolge nur noch einen Protestantenanteil von 17%, Spezialisten gehandhabt werden. Die exorbitanten
während der Islam nach den christlichen Konfessi Einkommen einiger Spitzenmanager der Schweiz
onen zur drittstärksten Religion der Schweiz gewor (der höchste bekannte jährliche Managerlohn ent
den ist, wenn auch mit großem Abstand (4,3%) (vgl. spricht dem gut 17-fachen des Lebenslohns einer
Kap. .,Bevölkerung, Kultur und GesellschaftNielfalt Person, die den von den Gewerkschaften geforder
in kleinem Land"). ten, aber noch nicht in allen Branchen realisierten
Bereits die relative Deindustrialisierung seit den Minimallohn von 3000CHF pro Monat verdient) sind
1970er-Jahren ist im Rahmen der verstärkten Glo dabei nur ein besonders sichtbares und öffentlich
balisierung zu sehen, die durch zunehmende Produk diskutiertes Element einer wesentlich vielfältige
tionsauslagerungen und weitere Formen internatio ren hierarchischen Realität im Wirtschaftsleben der
naler Expansion gekennzeichnet ist. Börsennotierte Schweiz, deren Legitimität nach langer Latenzzeit
Schweizer Firmen, die heute rund 350000 Mitarbei problematischer wird. Die Konzentration wirtschaft
ter in der Schweiz beschäftigen (11% der Gesamtbe licher Macht hat, ab einem gewissen Ausmaß, auch
schäftigung) haben den größten Anteil ihrer Beschäf politische Konsequenzen im Sinne eines übermä
tigten im Ausland (vgl. Kap. ,.Wirtschaft/Der Weg der ßigen politischen Einflusses der Großunternehmen
Schweiz zum Werkplatz, Finanzplatz, Denkplatz und oder gar eines wirtschaftlichen Klumpenrisikos, wie
zurück"). es die Probleme des Finanzsektors in der Rezessi
In den vergangenen 10 bis 20 Jahren schlug sich on 2008-2009 illustrierten: 2009 entfielen in der
diese Entwicklung auch in der feineren Branchen Schweiz allein auf den Finanzsektor 5,8% der Be
struktur nieder: Im industriellen Sektor halten sich schäftigten, fast 12% des Bruttoinlandproduktes
v. a. hoch veredelnde, stark exportorientierte Spezi und 12 -15% des Steueraufkommens (Swis Ban
alproduktionen im Land, im Dienstleistungsbereich king 2009, S. 1 f.).
sind es „mehrwertintensive" Aktivitäten wie For In territorialer Hinsicht sind die Kantone nach wie
schung, Verwaltung, Steuerung und Beratung von vor wichtige wirtschaftliche Subsysteme, obwohl sich
Unternehmen. Gemeinsamer Nenner dieser Globa gerade die Zusammenarbeits- und Kontrollstruktu
lisierungsgewinner unter den Wirtschaftstätigkeiten ren der Unternehmen kaum mehr an deren Grenzen
ist, dass sie besonders hoch qualifizierte Arbeitskräf orientieren. Das historische Gefälle zwischen ärme
te mobilisieren, was die gering qualifizierten Bevölke ren, vorwiegend katholischen und reicheren protes
rungsteile vermehrt unter Prekarisierungsdruck setzt. tantischen Kantonen hat sich zwar abgeschwächt,
Die starke wirtschaftliche Verknüpfung der Schweiz ist aber nicht völlig verschwunden (die erste lndus
mit dem Ausland wurde bereits erwähnt und ist his trialisierungsphase war auf protestantische Kantone
torisch kein neues Phänomen, hat sich aber weiter beschränkt, was das wirtschaftliche und politische
verstärkt. Der Außenhandel verbindet sie v. a. mit Machtgefälle zwischen protestantischen und katho
Europa: 2009 gingen 58,6% der Schweizer Expor lischen Regionen nachhaltig verschärfte).
te in den EU-Raum, während 77,4% der Importe Die schweizerische Wirtschaft ist also heute sehr
in die Schweiz von dort kamen (Bundesamt für Sta stark vom Dienstleistungssektor geprägt, besonders
tistik 2011c, 201 ld, vgl. Kap. ,.Die Schweiz in der unter dem Gesichtspunkt der Beschäftigung. Qua
Welt/Schweiz und Europa". Darin könnte eine ent lifikation spielt für die beruflichen Entfaltungsmög
scheidende Auslandsabhängigkeit gesehen werden; lichkeiten eine entscheidende Rolle, und entgegen
diese wird aber u. a. dadurch relativiert, dass der gewissen Diskussionen der l 980er-Jahre ist der
Wirtschaftsumfang der Schweiz im internationalen Druck (,.Stress") in der Arbeitswelt in den letzten
Vergleich, obwohl überproportional zum Territorium Jahrzehnten, besonders aber seit den l990er-Jahren,
oder zur Bevölkerung, eher bescheiden ist, sodass enorm gewachsen. Diese Entwicklung steht v. a. mit
Nischenstrategien für die Exportwirtschaft und damit der zunehmenden Exposition gegenüber der interna
auch für die nationale Ökonomie tragfähiger sind als tionalen Konkurrenz und mit der starken Ausrichtung
in größeren Ländern. der Führung besonders größerer und börsennotierter
Eine weitere Besonderheit der schweizerischen Unternehmungen auf den shareho/der value im Zu
Wirtschaft ist die starke Präsenz der kleinen und sammenhang.
mittleren Unternehmen (KMU): Nur 0,4% der Be
triebe in der Schweiz beschäftigten 2008 mehr als�
250 Mitarbeiter, während 99,6% zu den kleinen U Größenklassen
nach Vollzeitäquivalenten
Unternehmen Beschäftigte
und mittleren Betrieben mit bis zu 249 Beschäftig- �� Anzahl % Anzahl %
ten zählten (Tab. 20). Ihre Bedeutung hat seit den i�
311707 2327802 66,6
1990er-Jahren stetig zugenommen. j� KMU (bis 249)
�i
Eine Stärke der KMU sind die meist relativ direk- Mikrounternehmen (bis 9) 272346 869206 24,9
ten Bezieh_ungen zwischen_ Leitun� und Mitarbeiter,§; kleine Unternehmen 00-49) 33 183 760 780 21,8
_ .
wahrend sich die Entsche1dungstrager von Großun-I:; mittlere Unternehmen (50-249) 6178 697816 20,0
ternehmen in einer vom übrigen Personal stark ab-�� große unternehmen (250 und mehr) 1154 0,4 1 166 269 33,4
geschotteten Sphäre mit ihren eigenen normativen U
Bezugssystemen bewegen. Die hierarchischen Dis-i;, al
Total 312861 100,0 3494071 100,0
tanzen haben zugenommen und sind durch abstrak-!� !Tab. 201 Marktwirtschaftliche Unternehmen und Beschäftigte nach Größenklassen
te Managementtechnologien mediatisiert, die von�§ 2oos.
92
Diese Umorientierung führte dazu, dass ein Grund eben erwähnten Generalstreik nur unwesentlich
stein des berühmten Schweizer Arbeitsfriedens in verändert. Zu den erwähnenswerten Ausnahmen ge
vielen Bereichen zumindest stark infrage gestellt hört v. a. die Einführung der politischen Rechte für
wurde, nämlich das Prinzip der gleichmäßigen Ver Frauen 1971 und die Gründung des Kantons Jura
teilung der Resultate aus Produktivitätsfortschritten 1978, während etwa die Zugestehung politischer
zwischen Arbeit und Kapital. Löhne gelten in dieser Rechte an gewisse Kategorien von Immigranten
Perspektive nicht mehr als legitime Beteiligung von (Niedergelassene) bisher nur in den zwei Kantonen
Sozialpartnern am Unternehmenserfolg, sondern Neuenburg und Jura realisiert werden konnte. Diese
vorrangig als zu minimierender Kostenfaktor. Das relative Stabilität ist allerdings nicht ohne Proble
Ausmaß der hierarchischen und lohnmäßigen Un me. Strukturell beinhaltet das politische System der
gleichheiten hat zumindest im Bereich der Großun Schweiz zwei direkte Konfliktlinien. Die eine ist die
ternehmen entgegen gewisser Erwartungen nicht ab-, Diversität und Autonomie der Kantone, die im Zwei
sondern zugenommen. kammerprinzip von Nationalrat (Repräsentation der
Kantone gemäß Bevölkerungsgröße) und Ständerat
Politik (zwei Repräsentanten pro Voll-, einer pro Halbkan
Obwohl die Schweiz auf ihre jahrhundertealte ton) institutionalisiert ist (vgl. Kap. ,, Geschichte
demokratische Tradition stolz ist, stammt die ge und Politik/Schweizerische Demokratie"). Die zwei
genwärtige politische Struktur erst aus dem 19. Jh. te stark institutionalisierte Konfliktlinie ist jene der
Das davor herrschende „Ancien Regime" ist kaum Klassenpolarität, also der lnteressensgegensatz zwi
demokratisch zu nennen; der Einmarsch Napoleons schen Arbeit und Kapital (etwa durch die parteipo
erschütterte es 1798 entscheidend und leitete eine litische Zusammensetzung des Bundesrats). Andere
politische Instabilität ein, die bis zur Jahrhundert lnteressensdivergenzen, wie etwa Umweltprobleme
mitte dauerte und sogar einen kurzen Sezessions oder die Probleme der größeren Städte gegenüber
krieg zwischen fortschritt! ichen protestantischen den sie umgebenden Regionen, sind nicht struktu
und konservativen katholischen Kantonen einschloss rell vorgesehen und müssen über die normalen Pro
(Sonderbundskrieg, vgl. Kap. ,, Geschichte und Poli zesse der politischen Themenbearbeitung behandelt
tik/Geschichte der Schweiz"). Die 1848 installierte werden; dieser Weg ist entsprechend aufwendiger
politische Struktur ist dem US-amerikanischen Sys und langsamer.
tem nachgebildet und wurde in zwei Schritten weiter Eine wichtige Veränderung liegt in der verstärk
demokratisiert (Einführung der Volksinitiative 1891, ten wirtschaftlichen Globalisierung der letzten
ferner die Einführung des Proporzwahlsystems für Jahrzehnte begründet. Sie besteht aus einer wach
die große Parlamentskammer, die als Resultat des senden Kluft zwischen der Steuerungsfähigkeit der
einzigen schweizerischen Generalstreiks von 1918 international tätigen Unternehmen, die sehr mobil
angesehen werden kann, siehe o. g. Kapitel). Diese geworden sind und damit ihre Bindung an ein fes
Struktur ist durch einen stark ausgeprägten Födera tes Territorium stark vermindert haben, und den Ein
lismus und damit auch einen relativ schwachen Zen flussmöglichkeiten des kommunalen, kantonalen und
tralstaat gekennzeichnet. Auf die drei Hauptebenen nationalen politischen Systems, das ans Territorium
der politischen Organisation entfallen denn auch und seine Ressourcen gebunden bleibt. Daraus- wie
die der öffentlichen Hand zur Verfügung stehenden auch aus der Machtkonzentration in der nationalen
finanziellen Mittel zu ähnlichen Teilen (Gemeinden Wirtschaft- resultiert ein tendenzieller Machtverlust
26%, Kantone 40%, Bund 33%; laut konsolidier des politischen Systems, der auch die demokratische
tem Rechnungsabschluss 2008, Bundesamt für Sta Teilnahmebereitschaft der Bürgerinnen und Bürger
tistik 2011 f, 2011 g). Vor allem auf Bundesebene untergräbt.
bestehen gewisse Ausgleichsmaßnahmen zwischen Was sich in jüngerer Zeit ebenfalls verändert hat,
finanzschwachen und finanzstarken Kantonen (vgl. ist die Gewichtung der politischen Kräfte in Form
Kap. ,.Strukturwandel im ländlichen Raum und in der Parteien insbesondere auf Bundesebene. Davon
den Alpen/Strukturwandel, Neuer Finanzausgleich ist weniger die Grundaufteilung in Links und Rechts
und Neue Regionalpolitik"). Eine weitere Besonder berührt als das Verhältnis innerhalb der beiden „Blö
heit des schweizerischen politischen Systems ist der cke". Im bürgerlichen Lager hat sich die Schweize
starke Ausbau der Volksrechte (vgl. Kap. ,,Geschichte rische Volkspartei immer stärker rechtskonservativ
und Politik/Schweizerische Demokratie"): Bürger und profiliert und seit Ende der l 980er-Jahre auf Kos
Bürgerinnen (diese erst seit 1971) können nicht nur ten der anderen bürgerlichen Parteien beträchtlich
wählen, sondern auch über politische Sachgeschäf an Stimmen gewonnen. Auf der Gegenseite hat die
te abstimmen und solche Abstimmungen einleiten. Grüne Partei sich bei wachsenden Stimmenanteilen
Allerdings braucht es für die erfolgreiche Benutzung gegenüber der Sozialdemokratischen Partei stärker
der entsprechenden Instrumente (Volksinitiative, Re links positioniert und auch von der wieder gewachse
ferendum) beträchtliche Mittel, weshalb denn auch nen öffentlichen Aufmerksamkeit bezüglich Umwelt
das wichtigste Gewichtungskriterium von Interessen problemen profitiert. Insgesamt hat sich so in den
im politischen Prozess die Referendumsfähigkeit der letzten 20 Jahren in der Schweiz eine gewisse Pola
entsprechenden Gruppierungen ist. risierung der politischen Kräfte entwickelt, die den
Die politische Struktur der Schweiz hat sich in oft gehörten Behauptungen über die schwindende
den Jahrzehnten seit dem Ersten Weltkrieg und dem Relevanz der Links-rechts-Dimension deutlich wider-
Schweiz - Gesellschaft Im 93
spricht und wohl nicht unwesentlich zur Animierung Zentralwert (Median), in Franken - 1 Abb. 681 Monatlicher
des politischen Lebens beigetragen hat (vgl. Kap.. privater und öffentlicher Sektor (Bund) zusammen Bruttolohn nach Alter und
„Geschichte und Politik/Die heutigen politischenjt 8000 Geschlecht 2008.
Landschaften der Schweiz"). ��
Der politische Bereich der Gesellschaftsorgan!-��
sation ist wichtig, wei I er einerseits der gesamt-��
gesellschaftlichen Steuerung dient und KonflikteH
reguliert, die in anderen Gesellschaftsbereichen:gj
entstehen - andererseits ist er der einzige dieser Be-�i
reiche, der demokratisch verfasst ist und direkt aufU
Absichtserklärungen aus der Bevölkerung reagieren��
muss, während etwa die Wirtschaft dies nur indirekH�
aufgrund des Marktverhaltens der Konsumenten H
tut. Die Politik bietet also wie kein anderer Gesell-:�
20-29 Jahre 30-39 Jahre 40-49 Jahre 50-63/65 Jahre
schaftsbereich den Bürgerinnen und Bürgern Mög-U
lichkeiten, ihre Lebensumstände zu beeinflussen.
Zu deren Absichtserklärungen gehören nicht nur die Raum und in den Alpen/Räumliche Disparitäten")
institutionell vorgesehenen Formen, sondern auch und damit das politische Konfliktpotenzial mäßi
spontanere Ausdrucksmittel wie z. B. Demonstrati gen, anstatt - was auch denkbar wäre - parallel
onen. In diesem erweiterten Feld politischer Mei zu liegen und sich so gegenseitig zu verstärken.
nungsäußerungen fallen einige mittelfristige Verän Auch auf weniger makroskopischer Ebene gibt es
derungen der Probleme auf, die Teile der Bevölke die Gemengelage von Wandel und Konstanz, wofür
rung mobilisiert haben: Umweltprobleme haben seit ein einziges Beispiel zur Illustration genügen soll.
den späten 1960er-Jahren deutlich an politischer Ausgehend von ihrer radikalen lnfragestellung durch
Brisanz zugenommen, wenn auch anfänglich nur die zweite Welle der Frauenbewegung seit Ende der
langsam und mit einer zwischenzeitlichen Baisse 1960er-Jahre ist die Schlechterstellung der Frauen
während der frühen l 980er-Jahre. Klassische und sozial und politisch immer illegitimer geworden,
weniger klassische linkspolitische Anliegen haben und Frauen haben zunehmend ihre Anteile auch auf
in den ausgehenden 1960er- und frühen l 970er den mittleren Ebenen der Bildungs-, Berufs- und
Jahren nach starker und rascher Zunahme einen politischen Hierarchie verbessert. Verstecktere Ele
Mobilisierungshöhepunkt erreicht (,,Neue Linke") mente der Geschlechterdifferenzierung sind hinge
und sind seither wieder etwas zurückgegangen, gen relativ stabil geblieben, etwa die innerfamiliale
wenn auch nicht auf ihr besonders geringes Niveau Arbeitsteilung- besonders nach der Geburt von Kin
während der Zeit des Nachkriegsaufschwungs, die dern - oder die Geschlechtstypisierung von Berufen
auch die Zeit des ideologisch heißen Kalten Krie in der Ausbildung und in der Arbeitswelt (vgl. Kap.
ges war. Spezifischere Themen konnten nur punk ,,Soziale Disparitäten und Exklusion/Geschlechter
tuell mobilisieren, so z.B. die Unabhängigkeit des ungleichheiten in der Schweiz"). Laut Schweizer
Kantons Jura. Oft haben diese Mobilisierungen zur Lohnstrukturerhebung 2008 (Bundesamt für Statis
Hauptfunktion, ein Thema in die institutionellen po tik 2009) sind bis zu 40% der Einkommensunter
litischen Verfahren einzuspeisen, und verschwinden schiede (Abb. 68, Tab.21) zwischen Männern und
in dem Maße wieder aus der Mobilisierungsszene, Frauen nicht durch anderweitig erklärbare Merkmale
wie sie vom politischen System aufgenommen wer hervorgerufen, also auf Lohndiskriminierung zurück
den. Beispiele hierfür sind Xenophobie und Isolati zuführen.
onismus. Weniger wurde bisher vom Kulturwandel, der
ebenfalls stattfindet, gesprochen. Einerseits hat die
Wandel und Konstanz Schweiz den Wertewandel mitgemacht, der in den
Dieser sehr knapp und selektiv gehaltene Rundgang privilegierten Ländern der Welt seit den 1970er
durch drei zentrale Gesellschaftsbereiche (s. o.) hat Jahren diagnostiziert wurde und weg von Präferen
einige Beispiele folgenreicher Veränderungen zu zen des Typs „Ruhe und Ordnung" hin zu Werten wie
Tage befördert wie die strukturelle Expansion von Selbstentfaltung und Soziabilität führte, andererseits
Bildungssystem und Wirtschaft, der Wandel der haben die strukturelle Differenzierung zusammen mit
wirtschaftlichen Sektorenstruktur, die verstärkte der verschärften Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt
Einbindung in internationale Verflechtungen oder sowie die zunehmende Vorherrschaft des neolibera
die Tendenz zur Verstärkung bestehender sozialer len Diskurses in den vergangenen 20 Jahren einen
Ungleichheiten und struktureller Differenzierung. kompetitiven Individualismus gefördert, der nur be
Daneben gibt es auch eine Reihe dauerhafter Struk dingt mit den eben erwähnten „neuen" Werten ver
turelemente, zu denen die privilegierte internatio träglich ist und v. a. deren Soziabilitätskomponente
nale Position der Schweiz gehört, ihre territoriale in relativ unverbindliche Zonen des Privatlebens zu
und politische Struktur sowie die bisher nicht he verdrängen droht.
rausgehobene Tatsache, dass mehrere gesellschaft Eine direkte Folge des Strukturwandels ist die Di
liche Konfliktlinien sich Oberkreuzen (cross-cutting versifizierung der konkreten Lebenswelten (vgl. Kap.
c/eavages) (vgl. Kap. ,,Strukturwandel im ländlichen ,,Soziale Disparitäten und Exklusion/Soziale Entwick-
94
69 I Basel - Armut
1 Abb.
Überblick mitten in der Stadt.
■ Einwanderer, die sich im laufe der Zeit gut integrierten, tragen seit langem zum wirtschaftlichen
Erfolg der Schweiz bei. Die jüngsten Migrationsströme brachten Menschen mit unterschiedlichen
Bildungsbiographien aus immer weiter entfernt gelegenen Ländern in die Schweiz.
■ Die städtische Bevölkerung in der Schweiz ist aufgrund internationaler und innerstädtiscl1er Wan
derung relativ stabil, dennoch zeigt sich eine verstärkte soziale Segregation: Einkommensschwache
wohnen hauptsächlich in den Stadtzentren, einkommensstärkere Bevölkerungsschichten ziehen da
gegen in die periurbanen Gemeinden.
■ Die Schweiz ist ein reiches Land. Immer weniger Personen verfügen über immer mehr privates Net
tovermögen. Allerdings gibt es auch zahlreiche Menschen, die trotz eigener Erwerbstätigkeit kaum
in der Lage sind, ihre Existenz zu sichern.
■ Die sozialen Gegensätze zwischen den warking paar und den durch Erwerbsarbeit oder Erbschaften
reich Gewordenen stellt auch die Schweiz vor neue Herausforderungen.
■ Im Jahr 2009 erhielten 3 % der Gesamtbevölkerung Sozialhilfeunterstützung. Die leichte Zunahme
der Zahlen derer, die auf staatliche Unterstützung für ihre Existenzsicherung angewiesen sind. hielt
damit generell an.
■ Trotz umfangreicher Anstrengungen durch Institutionen des Bundes, der Kantone und Gemeinden
und vieler privatwirtschaftlicher Organisationen konnte die faktische Gleichstellung der Geschlech
ter in der Schweiz bisher nicht vollends realisiert werden. Entsprechende statistische Indikatoren
positionieren die Schweiz im europäischen Mittelfeld.
96 jale Disparitäten und Exklusion
Migration - ein politisiertes Thema tikulturellen Welt scheint jedoch im ersten Jahrzehnt
Migration in der Schweiz- das ist v. a. ein politisches des 21.Jahrhunderts nicht nur in der Schweiz, son
und stark politisiertes Thema. Blickt man vom Aus dern auch andernorts nicht länger als Ideal zu taugen:
land auf die Schweiz, so sind es v. a. die eindrück ,,Multikulti hat ausgedient"- war der jüngste partei
lichen politischen Plakate und Karikaturen, die das politische Schlachtruf in Deutschland, der impliziert,
Gesamtbild von der Schweiz und ihrem Umgang mit dass Multikulturalismus grundsätzlich nicht mehr mit
Migranten prägen und trüben (Abb. 70). Wenn der gesellschaftlicher Integration zu vereinbaren sei.
zeit der kulturelle Hintergrund in den gesellschaft Generell wird in der Schweiz nicht vergessen, dass
lichen Vordergrund gerückt wird, so drückt dies eine die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung
Sorge aus. Es ist die Sorge, dass in der traditionell der Schweiz, ihr Wohlstand und die starke Position
mehrsprachigen und multikulturellen Schweiz, die wichtiger Wirtschaftszweige über Jahrhunderte in ganz
ihre Stabilität und soziale Kohäsion jeden Tag durch erheblichem Maße durch Migranten vorangetrieben
Konsensfähigkeit und Kompromissbereitschaft erar wurde. Waren es im 16. und 17.Jh. Hugenotten und
beitet, Parallelwelten mit Werten und Gesetzen ent jüdische Glaubensflüchtlinge, die die Uhrenindustrien
stehen, die mit dem Schweizer Gesellschaftssystem in Genf und im Jura begründeten und einen erhebli
nicht im Einklang sind und das gesamte Fundament chen Einfluss auf den Aufbau der Textilindustrie hat
des Gemeinwesens Schweiz erschüttern könnten. ten, so waren es im ausgehenden 19. Jh. und frühen
Die Politik und insbesondere die Parteienpolitik in 20.Jh. italienische und andere Einwanderer, die die
der Schweiz schürt seit Jahrzehnten v. a. in Zeiten der Tunnel, Brücken, Eisenbahntraßen und Staudämme
Konjunkturschwäche gekonnt Ängste. Überfremdungs bauten, welche die Lebensadern der gesamten Wirt
diskurse beherrschten in der Schweiz die parteipoliti schaft wurden. Betrachtet man nicht nur ökonomische,
schen Debatten der 1960er- und 1970er-Jahre, welche sondern übergeordnete Aspekte des Wertesystems der
ihren Höhepunkt in der sog. Schwarzenbach-Initiative Schweiz und fundamentale Werte wie Fleiß, Sparsam
vom 6./7. Juni 1970 hatten; die 1980er-Jahre des keit, Zuverlässigkeit, Leistungsorientiertheit, so wurden
Wohlstands erlaubten einen Paradigmenwandel und auch diese von Migranten wie Calvin und anderen in
die Entdeckung der „multi kulturellen Gesellschaft". der Schweiz propagiert. Als Protestantische Ethik be
Dieses Leitbild einer friedvoll zusammenlebenden mul- kannt wurden sie zum Allgemeingut und Fundament
Ausschaffungs
initiative
1
� -- - - - - - - - -
�� --- --------- '------'-- --------
_,"'
Migration 97
Integration ist nicht einseitig - liehen Ebene die Zahlen, so zeigt sich, dass Migration
das Basler Integrationsmodell in der Vergangenheit und Gegenwart zum wirtschaftli
In der Schweiz sieht man die Verpflichtung zur Integra chen Wohlergehen des Landes beigetragen hat und in
tion nicht einseitig als gesellschaftliche Aufgabe, son der Gegenwart und Zukunft einen wichtigen Beitrag
dern beidseitig, also auch bei den Migranten (Caritas zum demographischen Ausgleich und Erhalt wichti
Schweiz 2008 „Integration als gesellschaftliche Auf ger infrastruktureller und wirtschaftlicher Funktionen
gabe". Themenheft Integration, S.2). In den 1980er leistet. Gemäß Thomas Kessler, dem langjährigen
und frühen 1990er-Jahren gab es noch kaum systema (vormaligen) Migrationsbeauftragten des Kantons
tische Integration und so konnten sich Integrationsde Basel-Stadt, wird in der Logik eines vorausschau
fizite von Mutter oder Vater auf die Kinder vererben. enden und proaktiven Staates Integrationspolitik als
Das für die Schweiz führende „Basler Integrations Innovationsfaktor zur Modernisierung des Staates
modell" setzt, wie es das Integrationsleitbild des Kan gesehen, die sich vom Defizit- zum Potenzialansatz,
tons Basel-Stadt auf Integration als „tatsächliche Her vom aufwendigen Therapie- und Strafstaat zum dyna
stellung der Chancengleichheit mit Zugang zu allen mischen und präventiven Förder- und Forderansatz,
Statuspositionen" definiert, auf einen gegenseitigen vom verwaltenden zum gestaltend unternehmeri
Prozess des Gebens und Nehmens bzw. des Förderns schen Staat hin entwickelt. Zum Förderansatz gehört
und Forderns. Diese Politik ist auf den Erfolg des das Verständnis, dass nicht alle Integrationsprobleme
einzelnen Individuums ausgerichtet und ausdrück als Probleme der Migranten anzusehen sind, sondern
lich nicht kulturalistisch; die Menschen werden also dass auch eine adäquate Förderstruktur geboten wer
nicht nach Nation, Religion, Sprache oder anderen den muss, die Arbeit, schulische und berufliche Bil
Merkmalen pauschalisiert und in gutgemeinten, aber dung bei Migranten, darunter auch intensive Frühför
undifferenzierten Projekten pseudointegriert. Defizite, derung unterstützt. Zum Forderansatz gehören Maß
welche die Chancengleichheit beeinträchtigen, wie nahmen, die das Engagement der Migranten sich zu
fehlende Sprachkenntnisse, nicht anerkannte Diplo integrieren einfordern (z.B. Sprachkenntnisse) und
me, ungenügende Informationen über die Angebote, die scharfe Sanktionen gegen lntegrationsunwillige
fehlende soziale Kontakte usw., werden in Basel-Stadt verhängen. Dazu zählen beispielsweise Integrations
durch Information, Motivation und ausreichende Kurs vereinbarungen, die zwischen dem Migrationsamt
' Treffpunkt- und Beratungsangebote ab der ersten und Migranten aus Drittstaaten geschlossen werden
Stunde der Anmeldung angegangen (Kessler 2008). können. Darin können Migranten mit Sprachdefiziten,
Für Eltern, die schulpflichtige Kinder haben, wird sozialer Isolation (besonders Frauen aus bestimmten
beispielsweise der Kurs „Ich lerne Deutsch fürs Herkunftsgebieten) oder Problemen der Einhaltung
Kind" angeboten. Dieser Kurs ist obligatorisch, wenn von Gesetzen und Rechtsordnungen, Langzeitsozi
die Behörden feststellen, dass die Sprachkenntnisse alhilfebezug oder der Nichtwahrnehmung von Erzie
nicht ausreichen, um die Kinder schulisch zu unter hungspflichten zum Besuch von Sprach-, Integra
stützen und mit den Lehrern ohne Dolmetscher zu tions- oder Staatskundekursen verpflichtet werden.
kommunizieren. Jugendliche Migranten ohne aus AktuelI wird die Basler Integrationspolitik in der
reichende Deutschkenntnisse werden in Empfangs ganzen Schweiz übernommen und weiterentwickelt.
und Übergangsklassen unterrichtet. Ein langjähriges Danach wird das Potenzial der Migranten erfasst, ge
Projekt, bei dem Mütter, die nicht in Kurse kommen fördert, eingefordert und genutzt. Dazu gehören Wel
können, unterrichtet werden, ist das „Lernen im come-Massnahmen, Information, Service, Beratung,
Park", bei dem Kursleiter dorthin gehen, wo die aus Bildungsangebote, Motivation zu Engagement, das
ländischen Mütter sich mit ihren Kindern aufhalten, Einbinden in die aktive Gesellschaft und das Zahlen
die dann vor Ort unterrichtet werden. von Steuern. Das Bildungssystem spielt hierbei eine
besondere Rolle, denn ein höheres Bildungsniveau in
Fazit den Schulklassen bedeutet weniger Symptomkosten
Löst man sich von der parteipolitischen Debatte zur für Erziehungs- und Integrationsdefizite und bessere
Migration in der Schweiz und betrachtet auf der sach- Zukunftschancen in der Wissensökonomie der Schweiz.
Soziale Entwicklungen in den Städten ■ Laurent Matthey, Antonio Da Cunha, Christophe Mager
Die Zeiten ändern sich ... langsam Raums im Sinne einer Segmentierung führt: Der
Die Sozialgeographie sucht nach Strukturen und suburbane Ring absorbiert die nicht qualifizierten
definiert Indikatoren für mögliche Bruchlinien. Seit Haushalte, Arbeiter und Angestellten; die einkom
ungefähr zwei Jahrzehnten dehnen sich die Schwei mensschwachen Haushalte müssen mit den Zent
zer Städte aus und bilden Metropolregionen (Walter ren vorlieb nehmen, welche sich „dualisieren" statt
1995). Diese Metropolisierung der Schweiz ist mehr ,,gentrifizieren" (Abb. 72).
als das Resultat eines Wachstums großer Zentren In der folgenden Analyse werden diese Prozesse
(Cunha & Both 2004: 7). Es handelt sich um eine in der Schweiz anhand von drei Thesen beschrieben.
neue Form und eine andere Größenordnung urba Die erste Hypothese behauptet, dass die Ausdehnung
ner Räume, die zugleich zur sozialen Spaltung des der Stadt eine deutliche soziale Trennung des Raums
Soziale Entwicklungen in den Städten 101
mit sich bringt. Die zweite Hypothese vertieft diesen Bevölkerung aus (Tab. 23) und konzentrieren sich
Ansatz, indem sie den Zusammenhang zwischen Ver v.a. auf die periurbanen Zonen. Gleiches gilt für die
städterung und Diversifizierung der Wohn- und Le „akademischen Berufe und oberes Kader" und die
bensstile untersucht, wodurch soziale Ungleichheiten .,Selbstständigen" (Cunha & Both 2004) . .,Arbeiter"
verstärkt werden. Die dritte Hypothese legt die sozi und „nicht qualifizierte Berufe" sind dagegen am
alen Veränderungen in den Schweizer Stadtzentren stärksten in den Zentrumsgemeinden und suburba
•111■■
nicht als Gentrifikation, sondern als Dualisierung nen Zonen vertreten (Cunha & Both 2004).
aus - die Ausprägung von gleichzeitiger Elitebildung Festzuhalten ist, dass die obersten und untersten
und Verarmung. Kategorien der Hierarchie des soziokulturellen Status
Daran anschließend werden stadtpolitische Ansät
ze behandelt, die als Antwort auf die beschriebenen
Tendenzen konzipiert wurden. Es sind Bedingungen, Sozioprofessionelle
welche die wichtigsten Faktoren der sozialen Verän
derungen in den Schweizer Städten kennzeichnen.
Kategorie
. . '.. ( t' ,. ,.
oberstes 0,94 1,21
Eine soziale Aufteilung des Raums 3,4 0,92 0,99
Management
Verstädterung und Metropolisierung unserer Lebens freie Berufe 2,1 1,21 0,68 0,69 1,37
räume scheinen zu einer diffusen Vereinheitlichung
der Lebensbedingungen zu führen. Es zeigt sich jedoch übrige Selbständige 10,2 0,87 0,92 1,01 1,30
auch, dass Verstädterung und Metropolisierung eine akademische Berufe 0,80
14,5 1,20 0,79 1,13
klare Ausdifferenzierung des Raums, eine Neuauftei und oberes Kader
lung und Neuordnung bewirken (Cunha & Both 2004). intermediäre Berufe 22,2 0,98 0,99 1,02 1,03
Die Verstädterung hat die Tendenz zur Raumaneig qualifizierte nicht-
nung von wohlhabenden Bevölkerungsschichten und manuelle Berufe: 26,3 0,96 1,06 1,07 0,91
die räumliche Segregation verstärkt (Cunha 2007). Angestellte
Die sozioprofessionel len Kategorien „oberstes qualifizierte manu-
Management" und „freie Berufe" machen laut der 7,4 0,82 1,15 1,16 0,94
eile Berufe: Arbeiter
letzten Volkszählung (2000), die als Vollerhebung nichtqual ifizierte
durchgeführt wurde und 2010 durch ein völlig neues 13,9 1,08 1,14 1,01 0,69
Berufe
Erfassungssystem ersetzt wurde, in den fünf großen
Agglomerationen der Schweiz (Zürich, Basel, Bern, ITab.231 Erwerbstätige Bevölkerung in den Großagglomerationen, nach soziokultu-
reller Kategorie und Zentralitätsstufe (Lokalisationsindex), 2000.
Lausanne, Genf) nur 3,4 bzw. 2, 1 % der aktiven
102
Gemeindetypen (9)
--- Zentren
suburbane Gemeinden
einkommensstarke Gemeinden -- periurbane Gemeinden
touristische Gemeinden
industrielle und tertiäre Gemeinden
--- ländliche Pendlergemeinden
agrar-gemischte Gemeinden
agrarische Gemeinden
IAbb. 731 Gemeindetypen und des Ausbildungsniveaus nicht die gleichen pe Abschottung ist zweitrangig. Der Spruch „Gleich und
der Schweiz nach dem ripheren Stadtzonen bevorzugen. Die wohlhabenden gleich gesellt sich gern" trifft hier zwar zu, aber es
Zentren-Peripherie-Model/ Haushalte, die sich ein Einfamilienhaus leisten und/ muss anerkannt werden, dass diese Segregation auf
von 2000.
oder die Nachteile der Siedlungsdichte vermeiden Wohnwünsche zurückgeht, die sich gleichzeitig auf
können, ziehen in die periurbanen Räume, Familien ein Lebensmodell - ein biographisches Projekt- be
haushalte mit beschränkten finanziellen Mitteln und/ rufen.
oder mit Vorlieben für Genossenschaftswohnungen Wohnvorlieben sind Lebensmodelle, die sich im
ziehen eher in die suburbanen Gemeinden (Bochet Raum festschreiben (Kaufmann et al.2009). Die
et al. 2007). Auf der Ebene der fünf großen Schwei se Lebensmodelle werden durch drei Dimensionen
zer Agglomerationen beobachtet man daher eine Ten definiert: gesellschaftliche Aspekte, Zugang zu
denz zur sozialen Polarisierung des Raums, wie sie Infrastruktur und Möglichkeiten des städtischen
bereits Huissoud et al. ( 1999) beschrieben haben. Wohnens. Die Kombination dieser Dimensionen be
Diese Polarisierung ist u. a. auf die Struktur des Im schreibt stark unterschiedliche Lebensqualitäten,
mobilienmarktes, die Verfügbarkeit von Wohnraum, je nachdem ob im Stadtzentrum, im suburbanen
Wohnpräferenzen und die finanziellen Möglichkeiten oder periurbanen Raum gewohnt wird (Abb. 73).
der Haushalte zurückzuführen. Ob der eine oder der andere Raum gewählt wird,
entscheidet über den Umgang mit Mitmenschen,
Räumliche Verteilung von über den Zugang zu Infrastruktur und über einen
Lebensentwürfen und Wohngewohnheiten bestimmten Typ städtischer Lebensart (Kaufmann
Zusammen mit einer funktionalen Homogenisierung et al. 2009).
spiegelt diese Polarisierung eine klare räumliche
Verteilung von Lebensentwürfen und Wohngewohn Inflationäre Wohnformen
heiten wider. Periurbanes Wohnen ist hauptsächlich Die Ausbreitung der Stadt und die Periurbanisie
eine Entscheidung für ein bestimmtes Lebensmodell; rung bringen, wie gezeigt, eine Diversifizierung von
die von bestimmten sozialen Schichten gewünschte Wohnformen mit sich. Kaufmann et al. (2009) haben
für die Schweiz sieben Wohnformen definiert, die
sie mit spezifischen Raumtypen ergänzen. .,Beken
nende Städter" fühlen sich vom städtischen Um
feld angesprochen, .,Gemeinschafter" werten den
nachbarlichen Gemeinschaftssinn stärker als indi
viduelle Wohnansprüche. .,Bürgerliche" legen Wert
auf eine hohe Wohnqualität, Sicherheit und einen
guten Ruf des Quartiers. .,Unzufriedene Gleichgülti
ge" sind eher passiv in der Suche nach einer pas
senden Wohnform und sind chronisch unzufrieden.
Die „flexiblen Individualisten" bewerten Kriterien der
Verkehrserschließung, die „Landnostalgiker" vermei
den Städte nach Möglichkeit und die „Friedfertigen"
mit einem erweiterten sozialen Netz bevorzugen das
Einzelheim und investieren wenig Energie in die Ge
staltung ihres Lebensumfelds.
Interessanterweise schafft die Periurbanisierung
wachsende Möglichkeiten des „städtischen Woh
nens" (Matthey 2008; Abb.74). Die Frage bleibt
jedoch offen, ob diese Wohnformen mit sozialen Ka
tegorien korrelieren und ob sie somit einen „Habitus"
nach Pierre Bourdieu (1982) definieren.
2000 weisen für die fünf Großagglomerationen des IAbb. 741Innerstädtisches
Lebensstile und -veränderungen Landes auf eine vorsichtige Anwendung des Begriffs Wohnen in Zürich.
Entspricht das periurbane Wohnen der Wahl eines hin.
Lebensstils, so bedeutet es auch eine Lebensver
änderung mit bestimmten sozialen Konsequenzen. Eine zögerliche „Rückkehr in die Stadt"
Einerseits verfügt die Mehrheit der bewusst im pe Das Bevölkerungswachstum der Stadtzentren (Tab. 24)
riurbanen Raum Wohnenden über die nötigen finan ist weniger das Resultat einer Rückwanderung der
ziellen Mittel, um dort auf einer anderen Ebene zu Vorstadt-Exilierten als das der Wanderungsbewegun
leben, womit sie sich mehr Möglichkeiten und ein ur gen zwischen den Städten, familiärer Zusammenfüh
banes Lebensgefühl erwerben- andererseits bedingt rungen und der neuen internationalen Zuwanderung.
der Umzug in die Peripherie eine Veränderung des Der Anteil der Stadtrückkehrer am Bevölkerungs
Zeitbudgets (z.B. Verlängerung der Transportwege, wachstum beträgt höchstens 8 %. 1 n den Zentren
familiäre Arbeitsaufteilung), was familiäre, soziale konzentrieren sich Einzelhaushalte, Ausländer und
und wirtschaftliche Spannungen erzeugen kann so Betagte. Statt einer Gentrifikation beobachtet man in
wie Auswirkungen auf die Umwelt hat (Rerat et al. den Stadtzentren eine „Zerbröckelung des sozialen
2008). Netzwerks" (Cunha & Both 2004). Sie ist von einer
zunehmenden Zahl von Einzelhaushalten und einer
Zweiteilung der Zentren Überalterung der Bevölkerung gekennzeichnet, ver
Oftmals werden Lebensstile ohne klare Vorstellungen stärkt durch die Rückkehr einiger Senioren, die als
gelebt, und einige Menschen bleiben, trotz fester Ab Pioniere in die Vorstädte gezogen waren (Rerat et al.
sicht zum Wegzug, in den Stadtzentren blockiert, so 2008), aber abgeschwächt durch den Zuzug junger
z.B. die zahlreichen Haushalte, die im suburbanen Erwachsener in Ausbildung.
Stadtring hängen bleiben. Es zeigt sich jedoch, dass
das periurbane Ideal mit den Vorteilen, die damit Zuzügler Wegzügler
assoziiert werden (Wohnen im Grünen, preiswerterer
Wohnraum, erschwingliche Einfamilienhäuser und Zonenart absolut in% in% der absolut in% der
Grundstücke), in der Bevölkerung stark verankert ist. Herkunftsort Binnen- Binnen
Diese Tatsache führt zu zwei Folgerungen: Einerseits wanderung wanderung
ist es sehr wahrscheinlich, dass die „unzufriedenen innerhalb der
Gleichgültigen" in der Typologie von Kaufmann, Pat 57292 29,4 46,0 84 944 64,4
Agglomeration
taroni und Thomas in den Stadtzentren stark ver andere urbane Zone 46692 24,0 37,5 31 650 24,0
treten sind. Andererseits muss trotz Bevölkerungs
wachstums in den Stadtzentren die These der Gen ländliche Gemeinde 20656 10,6 16,6 15 383 11,7
trifikation der Schweizer Städte eingehend geprüft Ausland 124640 64,0 100 131 977 100
werden. Total Wanderung 70046 36,0 N.D.*
Die Gentrifikation - also die Rückkehr von wirt Zonenart Herkunftsort 194 686 100 131977
schaftlich, kulturell und sozial gut situierten Bewoh
* Daten nicht verfügbar: Im Ausland wohnhafte Personen wurden nicht erhoben.
nern, die die Stadt in einer bestimmten Lebensphase
verlassen hatten, in die Stadt- soll im Folgenden ge ITab. 241Wanderungsbewegungen in den Stadtzentren der Großagglomerationen,
nauer betrachtet werden. Die Daten der Volkszählung nach Zonenart der Herkunftsgemeinde, 1995/2000.
104
IAbb. 751 Zürich, Blick von 86 Mrd.CHF (1989) auf 459 Mrd.CHF (2008), weitergeben: Drei Viertel der vererbten Vermögen blei
auf die „Goldküste". fielen leicht auf 449 Mrd. CHF (2009) und stie ben innerhalb der reichsten 10 % (Stutz et al. 2007).
gen 2010 wieder auf 470 Mrd.CHF (Bilanz 22/10: Von den rund 40 Mrd.CHF, die im Jahr 2010 vererbt
3.12.2010). Schweizer Banken verwalten über wurden, entfielen über die Hälfte an Millionäre.Wich
4000 Milliarden Franken private Vermögen. Gut die tig ist aber auch die Börse, die bis zur Finanzkrise im
Hälfte davon kommt aus dem Ausland. Mit einem Jahr 2009 vielen dazu verholfen hat, ihr Vermögen zu
Marktanteil von 27 % ist die Schweiz der größte Off vermehren. Die Reichen konnten ihr Vermögen auch
shore-Finanzplatz der Welt. Ein Offshore-Finanzplatz in schlechten Börsenjahren stärker vermehren als der
ist eine Steueroase mit hoher Vertraulichkeit, aber Durchschnitt der Bevölkerung (Mäder et al. 2010).
wenig Aufsicht und Regulierung. Dabei erweist sich
die politische Stabilität als zentral; zusammen mit Typologie
der Verschwiegenheit und Bereitschaft der Banken, Unter den Schweizer Multimilliardären sind v.a. Ver
Steuerhinterziehung zu akzeptieren. Die Schweiz treter führender Schweizer Unternehmen vertreten.
nimmt auch bei den direkten Investitionen im Aus Sie stammen vorwiegend aus den Bereichen Phar
land mit 632 Milliarden Franken weltweit den vierten mazie, Maschinenindustrie, Biotechnologie, Uhren
Platz ein. Und Schweizer Investoren spielen auf dem industrie und Elektrotechnik, (Privat-)Banken und
internationalen Markt für Hedgefonds eine zentrale Versicherung sowie Verkehr und Logistik. Sozialräum-
Rolle. Hedgefonds verfolgen eine spekulative Anlage 1 ich kumuliert sich der Kreis der Wohlhabenden in
strategie. Sie gehen für hohe Gewinne hohe Risiken steuergünstigen Gemeinden am Zürichsee (,,Goldküs
ein. Jeder siebte Franken, der in London oder New te", Abb.75), Zugersee und Vierwaldstättersee, am
York in Hedgefonds fließt, kommt aus der Schweiz Genfersee sowie in Basel (Schilliger 2007).
(Mäder 2011: 94). Im Rahmen von Studien zum Thema „Reichtum in
Jeder zehnte Milliardär der Welt wohnt in der der Schweiz" (Mäder&Streuli 2002) und „Wie Rei
Schweiz. Die Familie bildet noch immer das Zentrum che denken und lenken" (Mäder et al. 2010) wurde
des ökonomischen Reichtums und ein großer Teil untersucht, wie sich sozialer Wandel vollzieht und in
des Reichtums wird vererbt (Schilliger 2007). Etwa Lebensgeschichten, Haltungen und biographischen
die Hälfte der 300 Reichsten der Schweiz ist durch Wendungen dokumentiert. Die Auswahl von 30 Rei
Erbschaften reich geworden. Das Schweizer Erbrecht chen, mit denen diesbezüglich vertiefende Gespräche
richtet sich stark an den Wohlhabenden aus, sodass geführt wurden, orientierte sich an den 300 Reichs
Familiendynastien ihren Reichtum über Generationen ten der Schweiz, die folgendermaßen typologisiert
Armut und Reichtum 107
wurden: Zur ersten Gruppe zählen Angehörige aus sich jüngere Führungskräfte mit Entlassungen. Es
Familien der ehemaligen Aristokraten und Patrizi gibt offenbar Reiche und Reiche: Stolze Reiche, die
er, zur zweiten Mitglieder von Familien, die mit der machtbewusst, manchmal sogar protzend, mit ihrem
Industrialisierung reich geworden sind. Die dritte Einfluss umgehen, und verschämte Reiche, die ihren
Gruppe ist mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der Reichtum verbergen und ihr Licht unter den Scheffel
Nachkriegszeit in der zweiten Hälfte des 20. Jh. ent stellen. Es gibt großzügige Reiche und „knausrige"
standen. Als vierte wurden Softwaremillionäre hinzu Reiche. Die alten Reichen in der Schweiz verstecken
genommen, die von den Möglichkeiten der Informa ihr Geld, sie sind humanistisch gebildet und zeigen
tions- und Kommunikationstechnologie profitierten. sich nicht nur in der Oper, sondern spielen auch sel
Dabei wurden auch Personen berücksichtigt, die ihr ber Geige. Die neuen Reichen hingegen zeigen gerne
Kapital dank dem Börsenboom der l 990er-Jahre ver ihr Geld. Sie lassen ohne Weiteres mit sich über ein
mehren konnten. Bei den Gesprächen stand die Fra Sponsoring verhandeln, das beiden Seiten nutzen
ge nach der Sozialverträglichkeit des Reichtums im muss. Bei den alten Reichen gilt: Man gibt, aber sagt
Vordergrund. Dabei interessierten auch Unterschiede nichts. Und in allen vier Gruppen der Reichen in der
zwischen dem alten und neuen Reichtum. Alte Rei Schweiz gibt es auch solche, die so oder ähnlich sa
che lassen sich beispielsweise nur ungern mit einer gen: Mir macht es Angst, wenn sich der Reichtum
Luxuslimousine ablichten. Es genügt ihnen, reich zu konzentriert und das gesellschaftliche Korrektiv auf
sein und ihr Geld gewinnbringend anzulegen . .,Das weicht. Es besteht die Gefahr, dass sich vermehrt
alte Velo genügt", sagen sie zu ihren eigenen Kindern. autoritäre Kräfte durchsetzen, die den sozialen Zu
Bei neuen Reichen ist das anders: Sie tragen ihren sammenhalt gefährden. Was bei den Gesprächen mit
Reichtum eher zur Schau und protzen sogar damit. Reichen über Reiche in der Schweiz auffallend war,
Die goldene Armbanduhr scheint an Symbolwert zu sei hier thesenartig zusammengefasst:
gewinnen. Aber es gibt auch unkonventionelle Reiche, ■ Viele Reiche in der Schweiz verfügen über ein
wie ausgewählte Beispiele (s. Exkurs „Unkonventio Selbstverständnis, das selbstbewusst wirkt. Ihr
nelle Reiche") andeuten. Selbstvertrauen deutet auf eine gut ausgestattete
Grundsicherheit hin.
Selbstverständnis ■ Reiche geraten allerdings öfters in Situationen,
Heute kommt ein anderer Führungstyp in die Chef die folgenschwere Entscheidungen erfordern und
etagen als früher. Bis in die l 980er-Jahre betrach Krisen auslösen können. Das hängt mit der Verwal
teten Firmenchefs Massenentlassungen eher als letz tung des Reichtums und der beruflichen Position
ten Ausweg aus einer Notsituation. Seither brüsten zusammen, aber auch mit der persönlichen Ten-
Unkonventionelle Reiche
,,Wer arbeitet, hat keine Zeit zum Geld verdienen", Herr F. wiederum ist 50-jährig und besitzt meh
sagte uns ein Reicher. Er tut dies offenbar geschickt rere Dutzend Häuserblocks. Sein weitgehend er
und ist stolz darauf, hohe Geldbeträge am Fiskus erbtes Vermögen liegt bei über 100 Mio. Franken.
vorbeizuführen. Der autonomen Szene stellt er An einer Vermehrung des Geldes ist er nicht inter
Häuser zur Zwischennutzung zur Verfügung. Haupt essiert. Herr F. ist Single und spendet regelmäßig
sache, die Jugendlichen sind gegen den Staat. größere Beträge für gute Zwecke. Bei Erdbeben
Selbst wohnt dieser Herr C. im südlichen Ausland. Überschwemmungen und ähnflcheri Katastrophen
In der Schweiz gehören ihm „ein paar Straßenzüge". muss er nicht lange überlegen, um zum Scheck
Er zählt zu den neueren Reichen, die vom Wachs buch zu greifen. Herr F. kennt die hintersten Win
tumsboom der Sechzigerjahre des 20.Jh. profitieren kel der Welt, bereiste alle Kontinente und über
konnten. Herr C. ist vorwiegend mit Spekulations hundert Länder. Er war mehrmals in Indien und
geschäften im I rnmobi liensektor reich geworden hat gesehen wie das ist, wenn man kein Dach
und konnte seine Gewinne dank dem rechtzeitigen über dem Kopf hat. Er spricht „nebst den übli
Umstieg auf den Handel mit Aktien weiter verbes chen Sprachen" - gemeint sind Englisch, Franzö
sern. sisch, Italienisch und Spanisch - Neugriechisch
Anders Herr D.: Er ist bald 80-jährig und melkt je und Japanisch. Drei Jahre lang hat Herr F. das
den Morgen seine Kühe selbst. Umzonungen haben Privatisieren gut ausgehalten. Dann fragte er sich:
vor ein paar Jahrzehnten den Wert seines Landes Was tun? Chinesisch lernen und noch ein weiteres
um mehrere Millionen Franken erhöht. Der Land Land bereisen? Herr F. bewarb sich auf ein paar
wirt wollte aber kein Land abtreten. Er ließ lediglich gewöhnliche Stellen und hatte Glück. Ein Versi
auf einer kleinen Parzelle etwas bauen, das seinen cherungsunternehmen übertrug ihm, dem stu
künstlerisch tätigen Kindern, die erwachsen sind und dierten Anglisten, eine ausführende Tätigkeit im
fleißig privatisieren, ein Auskommen ermöglicht. Bereich Internationale Kontakte. Niemand wusste
Selbst hilft er dem Pächter täglich etwa acht Stunden von seinem Geld.
und lebt mit seiner Frau im „Stöckli" (kleines
Gebäude auf dem Hof für die Elterngeneration).
108
denz, offensive Strategien zu wählen, die eher kon ■ Auch die soziale Frage liegt vielen Reichen am Her
fliktiv sind. zen. Menschen, die unverschuldet in Not geraten,
■ Reiche in der Schweiz stellen sich, auch wenn sollen gezielt unterstützt werden. Wer reich ist, soll
sie nach weiterem Reichtum trachten, durchaus freiwillig dazu beizutragen. Große Skepsis besteht
immer wieder die Frage nach dem Sinn des Le gegenüber einer staatlich verordneten Umverteilung.
bens. Gerade weil sie scheinbar fast alles haben ■ Reiche Menschen favorisieren das Primat der Wirt
(können), erhält die Sinnfrage ein besonderes Ge schaft. Sie haben großes Vertrauen in die Markt
wicht. Die einen setzen sich philosophisch damit kräfte und billigen dem Staat bloß eine korrektive
auseinander. Sie lieben es, im trauten Kreis oder Ordnungsfunktion zu. Was sozioökonomische Vor
wenn immer möglich darüber zu diskutieren. Ande stellungen betrifft, haben Reiche, auch wenn sie
re leiden, schier depressiv, unter der Ungewissheit persönlich gerne in neue Technologien investieren,
und dem Bewusstsein der Endlichkeit. Christlich eher wertkonservative Haltungen.
motivierte Reiche wissen, dass der Mensch nicht ■ Reiche schreiben die Vermehrung ihres Reichtums
vom Brot allein lebt. Sie kennen den Bibelspruch, überwiegend persönlichen Fähigkeiten zu und attes
demzufolge „eher ein Kamel durch ein Nadelöhr tieren diese auch Personen, die hauptsächlich viel
geht, denn ein Reicher in den Himmel kommt". geerbt haben. Wer reich ist, scheint daran ein per
■ Kinder von Reichen haben besondere Gründe, sich sönliches Verdienst zu haben. Reiche haben- teil
ab und zu recht einsam zu fühlen. Die einen wach weise aufgrund ihrer materiellen Ressourcen- das
sen auf einer schönen Insel auf, auf der sie aber Gefühl, über ungewöhnliche Fähigkeiten zu verfügen.
nicht ewig verweilen können, andere erleben schon ■ Reiche Menschen verbindet- bei allen Unterschie
früh turbulente Stürme, die tendenziell Mechanis den - eine innere Verwandtschaft. Sie erkennen
men der Abschottung fördern. sich gegenseitig am Habitus und den feinen Un
■ Reiche sind bezüglich vieler Lebensfragen eher terschieden, auch wenn sie nur wenig voneinander
aufgeschlossen. Sie legen bei ihren Lebensentwür wissen.
fen viel Wert auf eine gute Ausbildung. Gegenüber
ökologischen Fragen ist eine erhöhte Sensibilität Armut und Ausschluss
festzustellen. In der Schweiz erlebten nach dem Zweiten Weltkrieg
■ Reiche sind kulturell besonders interessiert und en breite Bevölkerungskreise einen materiellen Auf
gagiert. ,,Alte Reiche" in der Schweiz fördern vor schwung, der den „sozialen Kitt" zu fördern schien.
wiegend traditionelle Einrichtungen wie die Oper Seit den rezessiven Einbrüchen der l 970er-Jahre
und das klassische T heater, während „ Neue Rei steigen jedoch die Lebenshaltungskosten für Nah
che" gerne avantgardistische Projekte unterstützen. rung, Mieten und Gesundheit stärker als Teile der
unteren Einkommen. Das System der sozialen Sicher
IAbb. 761 Aktion „wir sind heit, das zwar relativ gut ausgebaut ist, hält mit dem
arm" von Caritas Zürich, Wandel der Lebensformen (Zunahme von Alleinleben
Frühling 2010. den und Alleinerziehenden) nicht Schritt. Es geht von
Voraussetzungen aus, die mit der Zeit immer weniger
zutreffen. Weder existieren Vollbeschäftigung mit kon
tinuierlichen Erwerbsbiographien, noch mehrheitlich
traditionelle Familien, bei denen ein Einkommen für
einen Haushalt ausreicht (s. auch Abb. 76).
Die neuere Armutsforschung befasst sich intensiv
mit Fragen der Integration und des Ausschlusses.
Die beiden Begriffe deuten an, dass die Armutsfrage
weit über den finanziellen Kontostand und die ma
terielle Versorgung hinaus reicht. Relationale und
soziale Bezüge stehen im Vordergrund. Neue soziale
Differenzierungen verändern im Kontext der Individu
alisierung alte Klassen- und Schichtkonzepte. Aber
wie? Geschieht dies in ergänzender oder ersetzender
Weise? Kennzeichnen Prozesse der (Des-)lntegration
und des Ausschlusses eine neue soziale Frage, die
weniger stark von der materiellen Not geprägt ist als
die alte? Und was bedeutet das für die Sozialhilfe?
Der „Ausschluss" gilt weithin als neue soziale Fra
ge des 21.Jh., der eine besondere Form der sozialen
Ungleichheit dokumentiert. Aber sind damit frühere
Klassenanalysen passe, welche die alte soziale Frage
als Arbeiter- und Armutsfrage verstanden? Aus der
Studie zur Sozialhilfe in der Schweiz von Kutzner
et al. 2009 geht hervor, wie eng Prozesse der Inte
gration und des Ausschlusses miteinander verknüpft
sind und die Armutsfrage in der Schweiz prägen. Resignation und Empörung
Zum einen gibt es neue Formen der sozialen Integra In einer früheren Armutsstudie zur Schweiz (Mäder
tion durch den beruflichen Ausschluss, weil Betroffe et al.1991) wurde bereits die Dynamik zwischen In
ne mehr Zeit für sich und ihre sozialen Beziehungen tegration und Ausschluss untersucht und teilweise
haben, zum anderen gibt es aber auch neue Formen anders beurteilt als in der neuen Studien über die So
des sozialen Ausschlusses aufgrund der beruflichen zialhilfe (Kutzner etal. 2009) und über die working
1 ntegration in prekäre Arbeitsbereiche. poor (Kutzner 2004). Damals überwog der Eindruck,
Unter den Sozialhilfeabhängigen kristal Iisieren bei den Armutsbetroffenen seien insbesondere die
sich drei Gruppen heraus: working poor als erwerbstätige Arme relativ gut in
■ Die Sozialhilfe in der Schweiz will ihre Anstren tegriert. Sie bräuchten, so die Annahme, wie Allein
gungen auf Sozialhilfeabhängige konzentrieren, die erziehende vorwiegend Geld, um ihre existenziellen
noch intakte Chancen haben, im ersten Arbeits Bedürfnisse zu befriedigen. In der neuen Studie über
markt eine Beschäftigung zu finden. Wer zu dieser working poorwar indes eine Kumulation sozialer Prob
ersten Gruppe gehört, erhält weniger Mittel für den leme feststellbar, die sich mit anhaltender Abhängig
erweiterten Grundbedarf, aber mehr Geld, wenn keit ergibt und selbst bei zunehmender Erwerbsinteg
die Erwerbsintegration zustande kommt. Die finan ration gleichzeitig gegenläufige Ausschlusstendenzen
ziellen Anreize erweitern den individuellen Hand verstärkt. Konkret wurde die soziale Lage von 260 ak
lungsspielraum bei der Kombination zwischen der tuellen und 140 ehemaligen working poor analysiert.
Erwerbsarbeit und der ergänzenden Sozialhilfe. Bei diesen ehemaligen working poor, die mittlerweile
Etliche Sozialhilfeabhängige schätzen das, denn ihre finanzielle Situation verbesserten, erzielten rund
sie fühlen sich ernst genommen, stärker beachtet 25 % dank Weiterbildung ein höheres Einkommen.
und akzeptieren mögliche finanzielle Einbußen. Weitere 25% erhöhten ihr Salär, weil sie zusätzliche
Andere Sozialhilfeabhängige fühlen sich durch die Jobs zu vorwiegend prekären Arbeitsbedingungen an
privatisierten Risiken stärker gestresst. Sie erleben nahmen, und weitere 25% stabilisierten ihre Situa
unter diesen Bedingungen selbst die erfolgreiche tion über eine Sozialversicherung wie die Alters- und
Erwerbsintegration als Ausschluss, denn diese In Hinterlassenen- bzw. Invalidenversicherung (AHV, IV).
tegration findet primär im Niedriglohnsektor statt, Die restlichen 25% steigerten ihr Einkommen durch
was soziale Beziehungen belastet und zu einem die Veränderung der Lebensform, beispielsweise durch
(Teil-)Ausschluss durch Integration führen kann. Heirat mit Doppelverdienst oder endende Unterstüt
■ Eine zweite Gruppe bilden die Personen, die zwar zungspflichten beim Auszug von Kindern. Bei allen
nicht mehr für den ersten Arbeitsmarkt infrage erwähnten Gruppen konnten sich viele Einzelpersonen
kommen, aber für den zweiten, geschützten Ar und Familien auch deshalb finanziell verbessern, weil
beitsmarkt oder für Gegenleistungsmodelle. Bei sie in kleinere, günstigere Wohnungen in Quartieren
den Gegenleistungen hängt die Unterstützung von mit hoher Verkehrsdichte umzogen. Sie verbesserten
der Bereitschaft ab, eine sozial, kulturell oder öko ihre finanzielle Lage also, indem sie ihre Wohnsitu
logisch relevante Arbeit zu verrichten. ation verschlechterten. Die Integration im einen Be
■ Eine dritte Gruppe bilden Sozialhilfeabhängige, die reich basierte auf dem Rückzug bzw. Ausschluss aus
sich laut Schweizerischer Konferenz für Sozialhilfe einem andern. Eine frühere Armutsstudie (Mäder et al.
weder in den ersten Arbeitsmarkt integrieren kön 1991) zeigte einen starken inneren Rückzug sozial
nen, noch in der Lage sind, als Gegenleistung für Benachteiligter: Viele Armutsbetroffene fühlten sich
ihre Unterstützung gemeinnützige T ätigkeiten zu relativ stark selbst für Verhältnisse verantwortlich, die
verrichten. Sie erhalten das Geld nun mit weniger primär gesellschaftlich verursacht sind. Dieser Rück
Auflagen. Den einen entspricht diese Vereinfa zug wurde durch den hohen gesellschaftlichen lndi
chung, können sie doch auf Pro-forma-Bewerbun vidualisierungsgrad und die verbreitete Tabuisierung
gen verzichten und sich verstärkt dem widmen, was der Armut in der Schweiz erklärt. Das Schweigen führt
sie gerne tun. Der Ausschluss aus der Erwerbsarbeit dazu, dass Betroffene nach au Ben den Anschein er
gibt ihnen die Möglichkeit, sich um ihre soziale In wecken, alles sei in bester Ordnung, auch wenn sie
tegration zu kümmern, sodass der Ausschluss also selbst einen hohen Leidensdruck verspüren.
paradoxerweise ihre Integration fördert. Ein Journa Heute weisen etliche Anzeichen darauf hin, dass
list, der psychisch erkrankt ist, kann nun dank der sich resignative Haltungen und depressive Verstim
Verortung in diese „Gruppe der Abgeschobenen" mungen teilweise auch in Empörung verwandeln. Das
interessante Geschichten schreiben, statt „Kurz mag mit Schlagzeilen über „abgehobene Managerlöh
meldungen für den Medienmarkt zu produzieren", ne" und mit der persönlichen Wahrnehmung sozialer
wie er sagt. Andere, die zu dieser dritten „Gruppe Ungleichheit zu tun haben. Wenn Eltern erleben, wie
der Ausgemusterten" gehören, suchen verzweifelt ihre Kinder keine Lehrstelle finden, während andere
einen „richtigen Job". Sie wehren sich gegen die sehr hohe Saläre erzielen, empfinden sie Wut. Diese
vorgenommene Kategorisierung, die sie als Stigma kann sich unterschiedlich auswirken: Die Empörung
tisierung erleben. ,.Ich will Arbeit und keine Ren kann die Bereitschaft fördern, sich mehr für eigene
te", sagt eine gut fünfzigjährige Bezügerin von So Interessen einzusetzen. Sie kann aber auch die Ge
zialhilfe. Sie spricht mehrere Sprachen, hat schon fahr erhöhen, Halt bei autoritären und populistischen
zwei Bücher publiziert und erlebt den Ausschluss Kräften zu suchen, die eine rigide Ordnungsruhe mit
nicht als Chance zur sozialen Integration. strukturellen Ausgrenzungen anstreben.
Sozialhilfe in der Schweiz ■ Remo Saner, Rita Schneider-Sliwa
der Schweiz sind Empfehlungen für die Sozialhilfeor bindlich. Die SKOS-Richtlinien dienen demzufolge
gane des Bundes, der Kantone, der Gemeinden sowie als Referenz für die Rechtsprechung, wodurch sie in
der Organisationen der privaten Sozialhilfe. Grundle erster Linie mehr Gewähr für Rechtssicherheit und
gende Prinzipien der Richtlinien sind von allen be -gleichheit schaffen, aber zusätzlich auch Spielraum
teiligten Trägern der öffentlichen und privaten Sozi für einzelfall- und bedürfnisgerechte Lösungen bie
alhilfe zu beachten, damit im Rahmen verschiedener ten. Bei allen längerfristig unterstützen Personen, die
Institutionen und Strukturen wirksame Hilfe geleistet in Privathaushalten leben und fähig sind, den damit
werden kann. Obwohl die SKOS-Richtlinien im lau verbundenen Verpflichtungen nachzukommen, kön
fe der Zeit innerhalb der Praxis und Rechtsprechung nen die Richtlinien geltend gemacht werden. Aus
zunehmend an Bedeutung gewonnen haben, werden geschlossen sind Asylsuchende und vorläufig Aufge
sie erst durch die kantonale Gesetzgebung, die kom nommene sowie im Ausland lebende Schweizerinnen
munale Rechtsetzung und die Rechtsprechung ver- und Schweizer (SKOS 2008:3-4).
Überlegungen zum Verständnis der Geschlechter rausforderung dar. Obwohl die Gleichberechtigung
ungleichheiten in einer Gesellschaft formal in den meisten westlichen Gesellschaften
Die Geschlechtszugehörigkeit bildet ein Merkmal so festgeschrieben ist, wird Ungleichheit zwischen
zialer Differenz, auf dessen Basis systematisch so den Geschlechtern auf subtilere Art und in Wech
ziale Ungleichheiten generiert werden (z.B. Stamm selwirkung mit anderen Identitätsmerkmalen (z.B.
et al. 2003). Im Unterschied zu anderen Ungleich Bildung, Beruf, Generativität, Alter, sexuelle Orien
heit generierenden Merkmalen, z.B. der erworbenen tierung, Staatsbürgerschaft, Ethnizität) fortlaufend
Ausbildung, dem ausgeübten Beruf, der Staatsbür reproduziert. Erkennbar werden diese anhaltenden
gerschaft oder der Ethnizität, wird der Einfluss der Geschlechterungleichheiten erst in Kombination
Geschlechtszugehörigkeit auf den Zugang zu gesel 1- mit solchen zusätzlichen Merkmalen sozialer Dif
schaftlich geschätzten Gütern (Einkommen, Prestige, ferenz im Rahmen von lntersektionalitäts-Analysen
soziale Sicherheit) oft mit Rekurs auf die Biologie (Winker& Degele 2009). Es reicht nicht, nur eine
bzw. die Naturhaftigkeit erklärt und gerechtfertigt. soziale Ebene zu analysieren, um die Wirkungswei
Dieser Ansicht ist jedoch in den letzten Jahrzehnten se des Merkmals Geschlecht für die Generierung
durch die Wissenschaft, insbesondere durch die Ge von Ungleichheit zu erfassen. Bereits 1986 hielt die
schlechterforschung, umfangreiche Kritik erwachsen. amerikanische Wissenschaftstheoretikerin Sandra
In den Sozialwissenschaften gilt es deshalb mittler Harding fest, dass eine angemessene Analyse nicht
weile als „völlig trivial" (Bourdieu 2005 [franz. Orig. nur die Prozesse der persönlichen Identitätskonsti
1998]: 43), dass die Geschlechtsidentität und deren tution (Mikroebene), sondern auch die strukturellen
1 Abb. 791 Ergebnisse soziale Konsequenzen als ein gesellschaftliches Phä Verhältnisse in den verschiedenen gesellschaftli
gleichstellungsrelevanter nomen zu begreifen sind. chen Institutionen (Makroebene), die kulturellen
Volksabstimmungen;
Anteil Ja-Stimmen am
Die angemessene Behandlung des Merkmals Ge Symbole (Repräsentationsebene) sowie die wechsel
Total der gültigen Stim schlecht für die Genese und Aufrechterhaltung so seitigen Beziehungen zwischen diesen Ebenen in
men nach Sprachregionen zialer Ungleichheit ist jedoch keineswegs trivial, einem bestimmten geographischen und historischen
und Siedlungstypen in der sondern stellt auch nach rund 50 Jahren Geschlech Kontext in den Blick nehmen müsse (Harding 1991
Schweiz. terforschung eine theoretische und methodische He- [engl. Orig. 1986], s.auch Winker& Degele 2009).
Das länderkundliche Format des vorliegenden Bei
100 trags zu Geschlechterungleichheiten in der Schweiz
% legt es nahe, nachfolgend den Blick auf die Ebenen
der (geschlechter-)kulturellen Symbole (Werte, Leit
80
bilder und Normen) sowie der gleichstellungsrele
vanten institutionellen Strukturen in der Schweiz zu
60 richten. Dabei sollte jedoch nicht außer Acht gelassen
50 werden, dass es stets die handelnden Menschen sind,
40 die im Sinne eines doinggender(West&Zimmermann
1987) soziale Strukturen herstellen und kulturelle
Werte vertreten, reproduzieren oder ggf. unterminie
20
ren und verändern. Werte, Leitbilder und Normen
zum Verhältnis der Geschlechter in der Schweiz wer
den im nachfolgenden Abschnitt diskutiert. Anschlie
ßend werden relevante Ungleichheitsstrukturen in der
Schweiz thematisiert und in einem internationalen
Frauenstimmrecht 1959 - Gleichstellungsartikel 1981- Mutterschaftsversicherung 1999 Vergleich beurteilt. Die Frage nach den Wechselwir
Frauenstimmrecht 1971 - neues Eherecht 1985 - Mutterschaftsversicherung 2004 kungen zwischen den verschiedenen sozialen Ebenen
wird abschließend nochmals aufgegriffen.
Geschlechterungleichheiten in der Schweiz 115
in der nichtdeutschsprachigen Schweiz im Durch Statistik 2009: 6). Wissenschaftliche Analysen be
schnitt öfters eine linke Weltanschauung vertritt als legen, dass rund 60% dieser Lohnunterschiede auf
in der Deutschschweiz (Kriesi et al. 1996) und dass sog. .,erklärbare" Faktoren zurückgeführt werden
gleichstellungspolitische Abstimmungsvorlagen be können (z. 8. geringer Frauenanteil in Kaderstellen,
sonders gut mit linken und linksliberalen Positionen hoher Frauenanteil in Niedriglohnbranchen), und
harmonieren (Hermann & Leuthold 2003), aus einer die restlichen 40% als direkte Diskriminierung der
inhaltsanalytischen Auswertung der Berichterstattung weiblichen Erwerbstätigen interpretiert werden müs
in Schweizer Tageszeitungen unterschiedlicher politi sen (Bundesamt für Statistik & Eidgenössisches Büro
scher Ausrichtung über gleichstellungspolitische Ab für die Gleichstellung von Frau und Mann 2008:
stimmungsvorlagen (Aregger 1998) geht jedoch klar 21) (s. Kap. .,Bevölkerung, Kultur und Gesellschaft/
hervor, dass selbst innerhalb derselben politischen Schweiz - Gesellschaft im Wandel"). Mit diesen
Grundhaltung Differenzen im gleichstellungspoliti Kennziffern klassiert sich die Schweiz im europäi
schen Diskurs zwischen der Deutschschweiz und der schen Mittelfeld und weist ähnliche Werte auf wie
lateinischen Schweiz bestehen. So haben beispiels die west- und nordeuropäischen Staaten. Von den
weise selbst katholisch-konservative Zeitungen aus der direkten Nachbarländern der Schweiz stehen keine
französischsprachigen Schweiz von Anfang an die Ein vergleichbaren Daten zur Verfügung (Bundesamt für
führung des Frauenstimmrechts befürwortet, während Statistik 2008: 24-25).
selbst liberale Zeitungen aus der Deutschschweiz die
sem Anliegen anfänglich kritisch gegenüberstanden. Erwerbsbeteiligung
Die Erwerbsquoten sowohl der Männer als auch der
Die strukturelle Ebene der Geschlechterungleich Frauen in der Schweiz gehören zu den höchsten in
heit - die Schweiz im internationalen Vergleich Europa (Bundesamt für Statistik 2009b: 9). Im Ge
Die faktische Gleichstellung der Geschlechter in der gensatz zu den männlichen Erwerbstätigen, die zu
Schweiz konnte trotz umfassender Anstrengungen rund 90% Vollzeit erwerbstätig sind, ist die hohe Er
der letzten Jahrzehnte auf allen Ebenen des föderati werbsquote bei den weiblichen Erwerbstätigen durch
ven Systems und in vielen privatwirtschaftlichen Ein einen sehr hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigten
richtungen nicht erreicht werden (Schweizerischer geprägt (57 % aller erwerbstätigen Frauen arbeiten
Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen nur Teilzeit). Innerhalb Europas wird dieser Umfang
Forschung SNF 2009). weiblicher Teilzeitarbeit nur noch von den Nieder
Zwar wurden auf allen sozialen Ebenen unbestreit landen übertroffen (Bundesamt für Statistik 2009b:
bare Fortschritte in Richtung eines Abbaus bestehen 10). In anderen Ländern Europas dagegen, insbe
der Privilegien des männlichen Geschlechts erzielt, sondere in Ländern des ehemaligen Ostblocks, spielt
doch ein grundsätzlicher Wandel der Geschlech die Teilzeitarbeit sowohl bei weiblichen als auch bei
terungleichheiten in der Schweiz steht noch aus männlichen Beschäftigten nur eine marginale Rolle
(Bühler & Heye 2005). Auch heute noch absolvieren (Bundesamt für Statistik 2008: 18-20).
Frauen in der Schweiz seltener als Männer eine hö
here Berufsbildung, und geschlechtsstereotype Aus Haus- und Familienarbeit (unbezahlte Arbeit)
bildungsentschiede sind weiterhin weit verbreitet. In Mehr als 90% der Arbeitsstunden für nicht entlohn
wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsgre te Tätigkeiten werden in der Schweiz für Haus- und
mien bilden Frauen bis heute eine Minderheit. Auch Familienarbeiten aufgewendet (Bühler 2003: 45).
in den Familien hat sich bei der Verteilung von Haus In der Schweiz, wie auch in allen anderen europäi
arbeit und Betreuungsarbeit wenig geändert, und schen Ländern, investieren Frauen im Durchschnitt
häusliche Gewalt stellt nach wie vor ein Grundprob viel mehr Zeit in unentgeltliche Arbeitsformen, wäh
lem in der Beziehung der Geschlechter dar (Abb. 80). rend Männer zeitlich stärker in der Erwerbsarbeit
Diese Feststellungen lassen sich auch durch zahl engagiert sind (Bundesamt für Statistik 2008:
reiche statistische Indikatoren belegen. Im Sinne 26-29). Selbst in Paarbeziehungen ohne Kinder
eines Monitoring veröffentlicht das Bundesamt für werden die unbezahlten Arbeiten nicht egalitär
Statistik seit 1993 in regelmäßigen Abständen ak zwischen den Geschlechtern aufgeteilt; die größ
tualisierte Kennziffern zur Beurteilung von Stand ten Unterschiede bestehen jedoch in Haushalten
und Entwicklung der Gleichstellung in der Schweiz mit Kindern. Im Jahr 2007 arbeiteten Väter in der
und stellt diese zum Vergleich in den internationalen Schweiz im Durchschnitt 32 Stunden pro Woche für
Kontext (z.B. Bundesamt für Statistik 2003, 2008, Haushalt und Familie, Mütter dagegen 60 Stunden,
2009a, 2009c). Beispielhaft werden nachfolgend wenn Kinder unter 7 Jahren bei ihnen im gemein
ausgewählte Indikatoren der Geschlechterverhältnis samen Haushalt lebten (Bundesamt für Statistik
se im Arbeitsleben diskutiert. 2009c: 8).
In Arbeitszeitregulierungen, Ausbildungsreglemen-i!
ten, betrieblichen Karrieremodellen) kommen gesell-U
schaftliche Ungleichheitsstrukturen zum Ausdruck, g !
Dominierende Werte, Normen und Leitbilder- u. a. !!
auch zu den wünschenswerten Beziehungen der�� 0,0 +--�---,-------.- ---.t - -------.- ---.----,,---,----,
- -----1
Gesclilechter - bilden dabei die Grundlage der Ge-�! 0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0
Index der Geschlechterkultur (6 gleichstellungsrelevante Volksabstimmungen)
staltungsprlnzipien gesetzlicher und Institutioneller.§�
Regulierungen, welche ihrerseits für individuelles
Handeln einen ermöglichenden oder begrenzenden (Bühler 2001a) wird zudem belegt, dass neben die IAbb.811 Index der
Rahmen darstellen (Winker&Degele 2009: 74). sen klaren sprachregionalen Diskrepanzen das eben Geschlechterkultur und
falls feststellbare Stadt-Land-Gefälle deutlich in den Index der Geschlechte r
Wechselwirkungen Hintergrund tritt. Selbst in ländlichen Gebieten der ungleichheit nach
Schweizer Kantonen.
Im Folgenden werden die Wechselwirkungen zwi französischsprachigen Schweiz werden gleichstel
schen den o. g. Ebenen noch einmal aufgegriffen. l ungsfreund Iichere kulturelle Werte vertreten, und
In Abb. 81 werden die kulturelle und die strukturel es bestehen teilweise geringere Geschlechterun
le Ebene von Geschlechterungleichheit für die 26 gleichheiten als in einigen städtischen Gebieten der
Schweizer Kantone graphisch miteinander in Bezie Deutschschweiz (s.auch Bühler 2001b).
hung gesetzt. Der Darstellung der kulturellen Ebene Die Soziologin Birgit Pfau-Effinger stellt mit ihrem
(Index der Geschlechterkultur) liegt eine Index-Be Geschlechter-Arrangement-Ansatz einen Erklärungs
rechnung auf der Basis aller sechs in Abb. 79 vorge rahmen zur Verfügung, der es erlaubt, Unterschie
stellten Abstimmungsergebnisse zugrunde (Berech de in der Gleichstellung der Geschlechter zwischen
nungsdetails in: Bühler 2001b). Für die Berechnung Staaten und Regionen vergleichend zu analysieren
des Index der Geschlechterungleichheit (strukturelle (Pfau-Effinger 2000). Darin werden insbesonde
Ebene) wurden folgende fünf Kennziffern verwendet: re differierende kulturelle Werte und Leitbilder zur
Frauenanteile am Beschäftigungsvolumen 2001, Familie und zu den Geschlechterbeziehungen als
Frauenanteile in unternehmerischen Führungspositi ursächlich verantwortlich für raum-zeitliche Unter
onen 2000, Frauenanteile in kantonalen Parlamen schiede von Geschlechterungleichheiten betrachtet.
ten 2004, Bildungsrückstand weiblicher Personen Die Art und Weise, in der die staatliche Politik diese
2000, Antei I traditioneller bürgerlicher Familien kulturellen Grundlagen aufgreift und umsetzt, vari
modelle 2000 (für Details s.Bühler 2001a, 2001b, iert gemäß Pfau-Effinger noch einmal in charakte
2005). ristischer Weise zwischen eher sozialdemokratisch,
Aus dieser Graphik geht deutlich hervor, dass zwi bürgerlich-! i beralen oder christlich-konservativen
schen der kulturellen Ebene (Abstimmungsindex) Staatsauffassungen (Pfau-Effinger 2001). Die relativ
und der strukturellen Ebene (Ungleichheitsindex) ein größeren Fortschritte in Richtung einer Gleichstel-
Zusammenhang besteht. So korreliert beispielsweise 1 ung der Geschlechter in den französischsprachigen
eine relativ hohe Geschlechterungleichheit mit einer Landesteilen der Schweiz können demnach sowohl
ausgesprochen gleichstellungskritischen Haltung der mit gleichstel Iungsfreu nd Iicheren Geschlechter
Stimmbevölkerung. Diese Kombination ist für viele kulturen als auch mit einem eher sozialdemokra
ländliche oder periurbane Kantone der Deutsch tisch, etatistisch geprägten Staatsverständnis (Her
schweiz typisch. Am entgegensetzten Pol befinden mann & Leuthold 2003) in der Romandie begründet
sich die französischsprachigen Kantone, welche die werden. Fundierte Analysen des Ungleichheit ge
vergleichsweise geringste Geschlechterungleichheit nerierenden Zusammenspiels dieser Ebenen in der
aufweisen, und deren Bevölkerung gleichzeitig auch sozialen Praxis individueller und kollektiver Akteure
am gleichstellungsfreundlichsten abgestimmt hat. in den Schweizer (Sprach-)Regionen stehen bislang
Im Frauen- und Gleichstellungsatlas der Schweiz jedoch noch aus.
Siedlung, Landschaft und Verkehr
Persistenz und Wandel in 31 f.). Dies kann dazu führen, dass über lange Zeit
der Landschaftsentwicklung gewachsene Strukturen derart erstarren, dass sie auf
Siedlung und Landschaft prägen die innere und äu gebrochen oder sogar zerstört werden müssen, um
ßere Wahrnehmung eines Landes in starkem Maße. neuen Bedürfnissen angepasst zu werden.
Die heutigen Landschaftsstrukturen sind einerseits Siedlungen und Landschaft werden im allgemeinen
das Ergebnis eines jahrhundertelangen Prozesses, Spracl1gebrauch und vielfach auch in der Raumpla
andererseits die räumlichen Voraussetzungen für die nung als sich ergänzende Raumkategorien bezeichnet.
zukünftige Entwicklung. Die Landschaft umfasst jedoch den gesamten Raum
Eine charakteristische Eigenschaft der Siedlungen innerhalb und außerhalb der Siedlungen (Bundesamt
und Fluren ist ihre hohe Persistenz. Kulturlandschafts für Umwelt, Wald und Landschaft 2003: 18). Als
elemente sind durch Investitionen - früher v. a. in Landschaft werden die sinnlich wahrgenommene Aus
Form von Arbeit, in jüngerer Zeit meistens auch mo stattung eines Landschaftsraums und deren Beschaf
netär - geschaffen worden. Je größer die Investitionen fenheit verstanden (Wagner 1999: 230). Sie müssen
in Fluren, Siedlungen oder Verkehrswege waren, desto eine minimale Größe umfassen, um als Landschaft
größer ist in der Regel der Widerstand, diese Elemen erkannt zu werden. Eine einzelne Flur oder ein terras
te aufzugeben oder zu verändern, auch wenn sich die sierter Hang sind lediglich Landschaftselemente. Mit
wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder politischen der Beschaffenheit der Elemente sind funktionale,
Rahmenbedingungen verändert haben und die Nut emotionale oder historisch-genetische Eigenschaften
zung nicht mehr optimal ist. Dies führt zur Pfadab erfasst. Die einzigartigen und einmaligen Landschaf
hängigkeit von Entwicklungen, indem Weichenstel ten können aufgrund der landschaftsprägenden Merk 1 Abb. 83 IDie Landschafts
lungen die Entwicklung eines Landschaftselementes male zu Landschaftstypen zusammengefasst werden. typen der Schweiz. (A)
über längere Zeit auf einem bestimmten Pfad halten. Für die Schweiz können zusammenfassend „naturna Naturnahe Landschaft
Ma/ojapass, Ma/oja, Sils
Je mehr Kapital oder Know-how in eine Institution he Landschaften", .,traditionelle Agrarlandschaften", (8) Traditionelle Agrarland
oder in eine Technologie investiert wurde, desto grö .,moderne Agrarlandschaften", .,Freizeit- und Touris schaft im Jura (C) Touris
ßer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der dadurch ein muslandschaften" sowie „Stadtlandschaften" unter muslandschaft Zermatt (0)
geschlagene Pfad weitergegangen wird (Flury 2009: schieden werden (Abb. 83). Stadtlandschaft Basel.
120
Unterschiede des Landschaftsbildes wird durch die regionalen und überregionalen Wirt
Das Image der Schweiz ist auch heute noch sehr schaftsräume überlagert, die durch Agglomerationen,
stark mit der Landschaft verbunden. Ein charak Tourismuszentren, Verkehrsachsen und große lnfra
teristisches Merkmal der Schweiz ist die Vielfalt strukturanlagen geprägt sind. Dies führt zu zahlrei
auf kleinem Raum. Allein die vertikale Gliederung chen räumlichen Nutzungskonflikten, die oft zuguns
zwischen 193m ü.M. im Tessin und 4634 m ü.M. ten der wirtschaftlichen Entwicklung entschieden
(Dufourspitze) auf nur 70 km Distanz hat stark dif werden.
ferenzierte Relief-, Klima- und Vegetationsbedingun
gen zur Folge, die sich auf die landwirtschaftliche Besied/ungsvorgang
Nutzung und Siedlungsentwicklung auswirken. Auch Die Mehrzahl der heutigen Siedlungen im ländlichen
die überlagernden kulturellen, politischen und so Raum geht auf die frühmittelalterliche Landnahme
zialen Entwicklungen verstärken die kleinräumige periode oder auf die früh- und hochmittelalterliche
Vielfalt in starkem Maße. Die ausgeprägte Gemein Ausbauphase zurück. Die Ortsnamen weisen auf
deautonomie, die direktdemokratischen Traditionen die Entwicklung von der vielsprachigen Schweiz im
sowie der ausgeprägte Föderalismus verstärken das 1. Jahrtausend v. Chr. zur viersprachigen Schweiz
Beharrungsvermögen der kleinräumigen Strukturen in der Neuzeit hin, wobei die Ortsnamen älter oder
zusätzlich. jünger sein können als die zugehörige Siedlung. Die
Ein besonderes Merkmal des ländlichen Raums der Ortsnamen mit Endungen auf .. -ingen" gehen auf die
Schweiz ist die hohe Nutzungsintensität. Da nur ein alemannische Überlagerung seit dem 5. Jh. n. Chr.
Viertel der Landesfläche landwirtschaftlich genutzt zurück (Abb. 84).
werden kann, ist die Bearbeitung sehr intensiv. Die Siedlungstypen und einzelne Siedlungen entwi
Bauern bewirtschaften das Land bis an die Parzel ckelten sich seit ihrer Gründung ganz unterschied
lengrenze, vielerorts bis an den Straßenrand. Die lich. Mit den zahlreichen Rodungsflurnamen ist die
ökologisch wichtigen Übergangs- und Pufferzonen flächenhafte Ausdehnung des Siedlungsraums in das
sind weitgehend verschwunden. In den letzten Jahr höhere Mittelland, in den Jura und den Alpenraum
zehnten wurden allerdings durch finanzielle Anreize markiert - Gebiete, die vorher nur entlang der Haupt
wiederum ökologische Ausgleichsflächen geschaffen, täler linear besiedelt waren. Dieser Rodungsprozess
aber auch diese müssen aus rechtlichen Gründen veränderte die Landschaft tief greifend.
parzellenscharf deklariert werden. Dem lntensivie Um 1200 machte der Wald im schweizerischen
rungsprozess im landwirtschaftlichen Kerngebiet der Mittelland noch etwa 40% der Fläche aus, was be
tieferen Lagen steht ein Extensivierungsprozess v. a. deutet, dass damals schon mehr als die Hälfte des
im Hügel- und Berggebiet gegenüber. Dadurch wer ehemals weitgehend bewaldeten Gebietes gerodet
den die Unterschiede des Landschaftsbildes immer und der landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt wor
größer. Das kleinräumige Mosaik der Landnutzung den war (von Fellenberg 1981 :88). Die in weiten
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1 Abb. 841 Ortsnamen als
Indikatoren der Besied
lungsphasen. €)..A••I 1•• •:\• ...
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Hanz
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Unterseen
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N�edergestein
Locarno
As,t.l)IY e e
Teilen Europas nachgewiesenen spätmittelalterlichen sehr stark (Bickel 2010). Das hochmittelalterliche 1 Abb. 85 I
Stadtgründun
Ortswüstungen konnten in den wenigen untersuchten Städtenetz prägt auch heute noch die Siedlungs gen im 13.Jh. im Gebiet
Regionen der Schweiz ebenfalls festgestellt werden struktur der Schweiz, insbesondere weil die Städte der heutigen Schweiz.
(Kantone Schaffhausen, Zürich, Teile Berns), wobei seit dem 18. Jh. Kreuzungspunkte der Landstraßen,
häufig Einzelhöfe und Weiler aufgelassen wurden, im 19.Jh. der Eisenbahnlinien und im 20.Jh. der
und die Bewohner in die Dörfer umzogen. Die Fluren Autobahnen wurden. Erst mit der Entwicklung der
wurden weiter bewirtschaftet, sodass sich die Sied Agglomerationen nach dem zweiten Weltkrieg bil
lungen viel stärker veränderten als das Landschafts deten sich mit den Metropolitanräumen eigentliche
bild. Stadtlandschaften.
1 Abb. 86 I
Gemengeflur
bei Kriechenwil, Blick
Richtung Avenches.
- -
--
kleinflächige Blockfluren mit große städtische
geschlossenen Dörfern Siedlungsassoziation im Jura Siedlungsgebiete
Die Terrassenlandschaften der Weinbaugebiete re 1911 (Brugger 1978: 103). Die Versorgungskrise
Die Weinberge, vorwiegend an den sonnenexponier während des Ersten Weltkrieges und die Wirtschafts
ten Hängen der Mittellandseen, im Wallis und im krise in den 1920er-Jahren hatten indirekt zur Folge,
Tessin sind Sonderformen der kleinflächigen Block dass zwischen 1936 und 1945 das Schweizerische
fluren. Die Parzellen sind sehr klein und die Dörfer Anbauwerk realisiert wurde, mit dem die Ackerflä
dicht bebaut. Die hohe Wertschöpfung pro Flächen che von 183 000 ha auf 367 000 ha erhöht wurde.
einheit ermöglichte es, den sehr aufwändigen Wein Die Ausnutzung der letzten Reserven (z.B. Kartoffel
bau bis heute zu erhalten, sofern die Weinberge nicht anbau auf dem Bundesplatz im Zentrum von Bern)
als Wohngebiete umgenutzt wurden. Wo die Rebflu unter Einbezug der Industrie und rund 500000 zivi
ren und die Winzerdörfer noch erhalten sind, gehören ler Arbeitskräfte (Frauen, Studierende, Jugendliche
sie zu den schönsten und eindrücklichsten Kultur u. a.) ermöglichten, dass in der Schweiz als einzigem
landschaften der Schweiz. Ohne besonderen Schutz Land des Kontinents Kartoffeln und Gemüse nie ra
sind sie allerdings durch den Siedlungsdruck stark tioniert werden mussten. langfristig noch wichtiger
gefährdet, insbesondere weil nicht nur der Weinbau war, dass der schweizerische Bauernstand wieder
sehr arbeitsintensiv ist, sondern auch, weil die Erhal Selbstvertrauen und Selbstsicherheit erlangte, und
tung der Terrassen und Rebmauern außerordentlich das Verständnis der nichtlandwirtschaftlichen Bevöl
aufwendig ist (Lingeri et al. 2007). kerung für die Bauern für Jahrzehnte gesichert war
Auch im nordöstlichen Tafeljura sind in den Tälern (s. Kap. .,Strukturwandel im ländlichen Raum und in
geschlossene Dörfer mit Gewannfluren und auf den den Alpen/Struktur der Landwirtschaft und Wandel
Plateaus Einzelhöfe, teilweise auch Weiler, zu finden. der Agrarpolitik").
Die Alpzone fehlt in diesem Gebiet. Durch die gute
Erreichbarkeit und die Nähe zu den Agglomerationen Schlussfolgerungen
nördlich und südlich des Mittellandes stehen die Tal Die Kulturlandschaften werden laufend den neuen
dörfer unter starkem Siedlungsdruck. Bedürfnissen der siedelnden und wirtschaftenden
Im westlichen Jura wurden im Spätmittelalter Menschen angepasst. 1 ntensive Transformations
planmäßig Waldhufenfluren mit Reihen- und Ket phasen, die lokal oder regional Nutzungsinten
tendörfern angelegt, die durch die lineare Anord sivierungen oder -extensivierungen zur Folge ha
nung der Häuser entlang der Hauptstraßen und die ben, wechseln mit Phasen relativer Konstanz oder
zahlreichen Hecken und Steinmauern zwischen den Kontinuität ab. Die früh- und hochmittelalterliche
langen Besitzparzellen noch heute auffallen. Es Rodungsphase, die Städtegründungsperiode des
handelt sich um die einzigen älteren Planfluren der 13. Jh., die Folgen der landwirtschaftlichen Spezi
Schweiz. alisierungen in der frühen Neuzeit und die Agrar
modernisierungen im 19. und 20. Jh., die großen
Der Umbau des Mittellandes im 19. und 20.Jh. Trockenlegungen von Sümpfen, die Industrialisie
Mit dem Bau des dichten Eisenbahnnetzes ab 1847 rungs- und die Verstädterungsphase der Gründerzeit
wurden im Landesinnern die Voraussetzungen zur im Zusammenhang mit der Eisenbahnentwicklung
Industrialisierung und Verstädterung sowie zur wirt und schließlich die Suburbanisierung und inten
schaftlichen Vernetzung mit Europa geschaffen. Das sive Verkehrserschließung als Folge und Ursache
schweizerische Mittelland entwickelte sich in der der enormen Mobilitätszunahme hatten stets Um
Folge wesentlich stärker als der Alpenraum, und die brüche der Kulturlandschaften zur Folge. Die Men
Landschaft und die Siedlungen gerieten durch den schen setzten wohl zu jeder Zeit alle verfügbaren
Bau der Eisenbahnlinien und deren Folgen unter technischen Möglichkeiten und Instrumente ein.
starken Druck. Ab 1863 wurden die großen Talebe Die heute geforderte nachhaltige Entwicklung war
nen und Flachmoore systematisch trockengelegt. wahrscheinlich schon in den früheren Umbruchpha
Voraussetzung für die Realisierung der großen Tro sen nur partiell und räumlich sehr unterschiedlich
ckenlegungen von Sümpfen, die in der Regel mehre umgesetzt worden.
re Kantone betrafen, war der Artikel 21 in der ersten In jüngster Zeit ist die Gefahr irreversibler Zerstö
Bundesverfassung von 1848, der der Eidgenossen rungen gewachsener Kulturlandschaften aufgrund
schaft die Möglichkeit gab, sog. .,Öffentliche Werke" der technischen Mittel zwar größer als in früheren
zu errichten oder finanziell zu unterstützen. In der Jahrhunderten, aber nicht neu. Kulturlandschaften
Folge wurden die Rheinebene Landquart-Bodensee, und Siedlungsstrukturen sollten in Zukunft nicht nur
die Rhöneebene zwischen Brig und Genfersee, die der wirtschaftlichen lnwertsetzung, sondern auch der
Aareebenen östlich des Brienzersees und zwischen gesellschaftlichen und ökologischen Wertvermehrung
Thun und Bern, das Große Moos im Seeland zwi dienen, unter gleichzeitiger Berücksichtigung der
schen Bieler-, Neuenburger- und Murtensee, die Landschaftsästhetik und der Pflege der Landschafts
Limmatebene sowie die Broye- und Orbeebene tro elemente als kulturelle Werte (s. Kap. .,Strukturwan
ckengelegt (Egli 1986). del im ländlichen Raum und in den Alpen/Die Entde
Die Eröffnung der Eisenbahnlinien hatte zur Folge, ckung der Landschaft als öffentliche Aufgabe"). Of
dass große Mengen billigen Getreides aus dem Aus fen bleibt die Frage, ob der Rückzug aus der Fläche
land importiert werden konnten. Der schweizerische und damit die großflächigen Extensivierungsprozesse
Getreidebau brach zusammen, die Anbaufläche sank zu steuern versucht werden sollen, indem sie geför
von 300000ha um 1850 auf 105000ha im Jah- dert oder behindert werden.
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1980 1990 2000 2008 1980 1990 2000 2008 1980 1990 2000 2008
Alpensegment: Mt. Cenis/Frejus bis Brenner
2005 zum Verkehrsverhalten in der Schweiz: 7 f., rungswachstum dazu, dass sich die Verkehrsleistung
26-29; Anm.: Der Mikrozensus zu Verkehrsverhalten und -belastung in der Schweiz seit 1970 bis zur
in der Schweiz wird alle fünf Jahre erhoben und zwei Gegenwart ungefähr verdoppelt hat. Rund 116 Mrd.
Jahre darauf veröffentlicht). Personenkilometer werden im Landverkehr in der
Ein weiteres Hauptmerkmal der Verkehrsent Schweiz jährlich zurückgelegt, was 3,1 Mio. Erdum
wicklung in der Schweiz ist die Zunahme der Dis rundungen entspricht. Die Anzahl der jährlich beför
tanzen. Im lnlandverkehr haben die zurückgelegten derten Personen auf dem Schienennetz (ohne den
Distanzen zwischen 1984 und 2005 um etwa ein innerhalb der Gemeinden stattfindenden Verkehr)
Drittel zugenommen. Das Verhältnis von MIV und zeigt die stärksten Belastungen in den Agglomerati
ÖV hat sich in diesem Zeitraum nur wenig verändert; onsräumen, auf der Ost-West-Achse durch das Mittel
feststellbar ist eine leichte Erhöhung des ÖV-Anteils. land sowie in der Genferseeregion. Im Güterverkehr
Diese Zunahme der zurückgelegten Distanzen werden pro Jahr 29,5 Mrd. Tonnenkilometer Güter
führte zusammen mit dem recht starken Bevölke- transportiert, davon 59 % auf der Straße. 1 nsbeson
dere der alpenquerende Güterverkehr/Transitverkehr
trägt stark zum Verkehrsaufkommen auf der Nord
Verkehrsinfrastruktur Süd-Achse bei. Im schweizerischen Binnenverkehr
liegt die größte Belastung im Ost-West-Güterverkehr.
Die Schweiz besitzt ein Verkehrsnetz von
Bis zum Jahr 2030 werden voraussichtlich die Gü
71 000 km Straßen und 5100 km Schienen.
terverkehrsleistung auf Straße und Schiene auf ca.
Jede in der Schweiz wohnhafte Person legt pro
31-42 Mrd. Tonnenkilometer steigen (Vergleichsjahr
Tag durchschnittlich 37 km zurück. Seit 2000
2000: 24 Mrd. Tonnenkilometer) (Faktenblätter zur
nahmen die mit der Bahn gefahrenen Distan
Verkehrspolitik des Bundes 2011: 19, 21-23). Eine
zen stärker zu als die Autokilometer.
Die schweizerische Flugplatzinfrastruktur Zustandsbeschreibung der Netzbelastungen im Per
sonen- und Güterverkehr der Schweiz bieten Abb. 94
besteht aus den drei Landesflughäfen Zü
und 95).
rich, Genf-Cointrin, Basel-Mulhouse, elf Re
gionalflugplätzen sowie insgesamt rund 100
Flugfeldern, Helikopterlandeplätzen und Ge
Hohe volkswirtschaftliche Bedeutung
birgslandeplätzen. Zu den weiteren wichtigen des Verkehrs
Der hohe Stellenwert des Verkehrs in einer hoch
Verkehrsträgern gehören 640 Seilbahnen (60
gradig arbeitsteiligen und von starken Güterströmen
Standseilbahnen und 580 Luftseilbahnen) mit
geprägten Wirtschaft ist unbestritten (Danielli & Mai
eidgenössischer Konzession. Daneben wer
den noch 210 Seilbahnen sowie rund 1300 bach 2007). Darüber hinaus bietet der Verkehrssek
tor einer großen Zahl von Menschen Arbeit. Dies gilt
Schlepplifte mit kantonaler Bewilligung betrie
nicht nur für den öffentlichen Verkehr, für Garagen
ben. Ende 2009 waren 1789, 1 km National
oder Tankstellen: Obwohl die Schweiz keine eigene
straßen in Betrieb. Sie hatten 220 Tunnel mit
einer Gesamtlänge von mehr als 220km. Wei Autoindustrie mehr hat, spielen viele Firmen als Zu
lieferer - beispielweise von Airbag-Zündern oder In
tere 50 Tunnel sind im Bau oder in der Bau
bzw. Projektierungsphase. Der Bund investierte nenverkleidungen - eine wichtige Rolle
2010 fast 2, 1 Mrd. CHF in das Nationalstra Der Verkehr verursacht aber auch hohe Kosten.
Die letzte aktuelle offizielle schweizerische Trans
ßennetz, davon fast eine Milliarde in den Bau
portkostenrechnung weist für 2005-2006 jährli
neuer Abschnitte.
che Gesamtkosten von 82 Mrd. CHF aus, pro Person
m, �,...�
0"'1\l-81l<ldbwn11 IIM u1....,t. V..ek ,. Erierg•e VhU �111Ut1l�i.l(IH (Hr, H�l lt,
f,tkf"'f,UJ"" "" �r,nr,d,1,1 d,s ll<•ndel. S 14; u..,-,ti, fW,, fl:010),
also etwa 11 OOOCHF. 70,5 Mrd. CHF entfallen auf
Mol>,11<\1 uoo l'e1>.eflr 2!110. N!!J!:nä)elS38 (Fl�,lv). S.6S!Sdlc,,h,.,,,l.S.14
(zurückgeleg1ekm pro Person): Bundesamt für Slraßen (ASTRA) (2010): Straßen und
den Straßen- und ll,4Mrd.CHF auf den Schie
Verkehr in Zahlen und Fakten 2010 S 6 (km der Nalionalstraßenl, S 8 (km der Tunnel),
S 14 (lnvesl1tion des Bundes)
nenverkehr. Der wichtigste Kostenfaktor sind dabei
die Verkehrsmittel (Anschaffung, Betrieb und Un-
129
1 Abb. 941Personenverkehr
Netzbelastung im öffentlichen Personenverkehr A auf Schweizer Schienen
auf dem schweizerischen Schienennetz (A) und Schweizer Straßen
im Jahr 2008 (8) im Jahr 2008.
Millionen Personen
pro Jahr
- < 1 Mio
-- < 5Mio
-- <10Mio
- <20Mio
- <30Mio
- >30Mio
1
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:i Netzbelastung im Personenverkehr auf dem B
J schweizerischen Straßennetz im Jahr 2008
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pro Jahr
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- >30Mio
50km
terhalt). Im Straßenverkehr machen sie 66 %, im Verkehrsleistung gedeckt, sondern auf Dritte abge
Schienenverkehr 53 % der Kosten aus. Der Anteil wälzt werden (Faktenblätter zur Verkehrspolitik des
der lnfrastrukturkosten liegt im Straßenverkehr bei Bundes 2010: 26).
11 % und beim Schienenverkehr bei 41 % der Ge
samtkosten. Bei den Unfall- und Umweltkosten sind Vom Eisenbahnfieber zur Autoeuphorie:
die Verhältnisse umgekehrt. Im Straßenverkehr lag historische Grundlinien bis 1970
der Anteil 2005 bei 14 % und im Schienenverkehr Im 19.Jh. ließen die föderalistischen Strukturen
bei 2 %. Ein nicht unbedeutender Teil dieser Kosten die Schweiz gegenüber ihren Nachbarländern im
sind sog. externe Kosten, die nicht vom Erbringer der Eisenbahnbau zunächst in Rückstand geraten. In
130
25 50km
0
N
1
25 50km
der zweiten Hälfte des 19.Jh. setzte dann ein hek Bewusst wurde dabei aus nationalen Interessen
tischer, unkoordinierter und von regionalpolitischen auf Strom aus Wasserkraft gesetzt, um so die Ab
Rivalitäten geprägter Eisenbahnbau ein. Der Kon hängigkeit von ausländischer Kohle zu beseitigen.
kurrenzkampf erwies sich für viele Bahnen als ru Nach dem Zweiten Weltkrieg war das schweizeri
inös. Erst der Entscheid des Schweizer Volkes von sche Bahnnetz fast vollständig elektrifiziert, was
1898 zur Verstaatlichung der großen Privatbahnen sich langfristig gegenüber den Bahnen in den Nach
zu den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) schuf barländern als wesentlicher Vorteil erweisen sollte,
die Basis für eine nachhaltige Entwicklung des Ei kurzfristig aber staatliche Eingriffe zu Entschuldung
senbahnverkehrs. Als wichtiger Erfolgsbaustein er der Bahn nach sich zog (Balthasar 1993, Bärtschi
wies sich dabei die frühe Elektrifizierung der Bahn. 1997).
131
Erstfeld 81asca
470m j
Trotz der Bahnaffinität und regionaler Widerstän lehnte sie weitergehende Ausbauten des Straßennet
de setzte sich in der Schweiz das Auto als Transport zes in der Folge häufig ab und forderte stattdessen ei
mittel im internationalen Vergleich früh durch. Eine nen (wieder) verstärkten Ausbau des öffentlichen Ver
wichtige Rolle spielten dabei die Verkehrsverbände, kehrs. Im Rahmen einer sog. Gesamtverkehrskonzep
denen es u. a. gelang, schon in den 1920er-Jahren tion (GVK) suchte das politische System in der Folge
eine erste Zweckbindung der Benzinzölle für den nach einer adäquaten Antwort auf diese neue Situa
Straßenbau zu erzielen. Damit wurde eine Finanzie tion. Die GVK stellt im Rahmen der Politikberatung
rungsautomatik geschaffen, dank welcher mit der in der Schweiz die bis heute größte Anstrengung dar.
zunehmenden Massenmotorisierung immer mehr Obwohl eine aus den Arbeiten der GVK entwickelte
Mittel für neue Straßenbauten freigesetzt wurden. Vorlage in der Volksabstimmung von 1987 aufgrund
Nachdem der Straßenbau lange Zeit Sache der divergierender Interessen abgelehnt wurde, konnten
Kantone war, wurde in den 1950er-Jahren rasch letztlich die wichtigsten Vorschläge der GVK realisiert
klar, dass das von breiten Kreisen immer lauter ge werden. Dazu gehörte u. a. die Idee einer neuen Ei
forderte Autobahnnetz trotz aller föderalistischer senbahntransversalen durch das Mittelland mit dem
Bedenken nur vom Bund rechtzeitig und qualita Kernstück einer 45 km langen Neubaustrecke Matt
tiv befriedigend realisiert werden konnte. Trotzdem stetten-Rothrist auf der Hauptlinie Zürich-Bern in der
führten der regionalpolitische Ausgleich und zuneh verbesserten Version der „Bahn 2000". Außerdem
mende Ansprüche an die Umweltverträglichkeit der ging die Einführung der Schwerverkehrsabgabe 1984
Straßen dazu, dass das Autobahnnetz der Schweiz auf eine Anregung der GVK zurück.
überdurchschnittlich eng gestrickt und entspre Stark von europapolitischen Motiven geprägt ist
chend teuer wurde. der Bau der „Neuen Eisenbahn-Alpentransversalen"
(NEAT ). Diese umfasst neben Verbesserungen der
Doppelförderung von Auto und Bahn Zufahrtsstecken den Bau von zwei neuen Eisenbahn
nach der Umweltwende (ab 1970) basistunnels am Lötsehberg (eröffnet 2007) und
Nach 1970 stellte die wachsende Besorgnis um die am Gotthard (geplante Eröffnung 2017), den Ceneri
Umwelt die Autoeuphorie erstmals ernsthaft infrage. (geplante Eröffnung 2019) sowie den Anschluss an
Obwohl die Schweizer Bevölkerung nicht bereit war, das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz (Haefeli
umfassend auf das liebgewonnene Auto zu verzichten, 2006) (Abb. 96).
132
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Eisenbahn-Alpentransversale NEAT des Bundes, eingeführt wurde, stellt ein umweltgerechtes In a
wobei Basistunnel durch den Gotthard (Abb. 96), strument zur Besteuerung des Straßengüterver i'
]
den Ceneri und den Lötsehberg gebaut werden. kehrs dar. Demnach bezahlen Halter von Lastwa
Diese durch die Basis der Gebirgsmassive füh gen für jede Fahrt auf allen Schweizer Straßen
renden Strecken (Gotthard-Basistunnel 57, 1 km eine distanz-, gewichts- und emissionsabhängige
zwischen Erstfeld im Kanton Uri und Bodio im Abgabe, die alle im Inland und Ausland regist
Kanton Tessin; Lötsehberg 34,6 km zwischen Fru rierten Straßengüterfahrzeuge mit einem Gesamt
tigen im Berner Oberland und Ravon im Wallis) gewicht von mehr als 3,5 Tonnen betrifft. Sie
haben weniger Gefälle, ermöglichen höhere Ge schafft teilweise Kostenwahrheit nach dem Ver
schwindigkeiten und den Einsatz schwerer Gü ursacherprinzip, ist ein Anreiz, den Güterverkehr
terzüge. 2007 wurde der Lötsehberg-Basistunnel auf die Schienen zu verlagern und dient der Fi
eröffnet, ab 2017 soll der Gotthardtunnel in nanzierung von Bahnprojekten.
Insgesamt glichen sich die Investitionen in MIV der Gewichtslimits für LKWs an die Werte der EU for
und ÖV in der Zeit nach 1970 an - eine Entwicklung, derte. Mit dem Landverkehrsabkommen von 2002,
die als Doppelförderung auf hohem Niveau bezeich einem von mehreren bilateralen Abkommen der
net werden kann und die öffentlichen Finanzen kon Schweiz mit der EU, wurde versucht, beiden Anlie
tinuierlich einer hohen Belastung aussetzt (Abb. 97). gen gerecht zu werden. Einerseits wurde bei der Frage
Maßnahmen zur Begrenzung des Verkehrswachstums der Gewichtslimits den EU-Forderungen stattgege
wurden dagegen kaum umgesetzt, weshalb das Ver ben, andererseits wurde versucht, mit der Einführung
kehrssystem als Ganzes immer mehr an seine Kapazi einer „Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabga
tätsgrenzen stößt, ohne dass sich für einen weiteren be" (LSVA), welche 2001 die pauschale Schwerver
Ausbauschub der Infrastruktur Finanzierungspers kehrsabgabe ablöste, die entsprechenden Produkti
pektiven abzeichnen. vitätsgewinne wieder abzuschöpfen und teilweise in
die Förderung des Schienenverkehrs zu investieren
Güterverkehrspolitik im Zeichen der Europapolitik (Höschen 2007). Allein im Jahr 2007 betrugen die
Die Attraktivität des LKW-Verkehrs wurde lange Zeit Einnahmen aus der LSVA 1336 Mio. CHF. Zwei Drit
mit vergleichsweise niedrigen Gewichtslimits und ei tel der Nettoeinnahmen aus der LSVA fließen in den
nem Nachtfahrverbot beschnitten. Diese Politik wurde Fonds für die Finanzierung von lnfrastrukturvorhaben
vom Schweizer Volk mitgetragen, was den Auftrag zur des öffentlichen Verkehrs. Die LSVA führte zu einer
Verlagerung des alpenquerenden Durchgangsverkehrs Effizienzsteigerung: Während die Verkehrsleistung,
u. a. aus Gründen des Umweltschutzes mit Annahme also die befristete Gütermenge zunahm (8 %), sank
der sog. Alpeninitiative 1994 gegen den Willen des die Anzahl der Lastwagen um 10 % (Bundesamt für
Bundesrates sogar noch verschärfte. Anderseits er Statistik 2010: Faktenblätter zur Verkehrspolitik des
höhte sich in den l 990er-Jahren auch der Druck der Bundes). Die Ziele der Alpenschutzinitiative haben
Europäischen Union, die insbesondere die Anpassung sich mit den bisher getroffenen Maßnahmen aller-
133
15000
; 10000
5000
0
1950-54 1955-59 1960-64 1965-69 1970-74 1975-79 1980-84 1985-90 1990-94 1995-99 2000-05
lnvestionen Schiene: lnvestionen in Anlagen und Einrichtungen lnvestionen Straße: Neubau, Verbesserungen,
;;
" inkl. Erneuerungen und baulichem Unterhalt Ausbau, Landerwerb und baulicher Unterhalt
a
dings nicht verwirklichen lassen. Deshalb wird in Abonnements für den öffentlichen Verkehr eine In
jüngster Zeit vermehrt über die Möglichkeit einer auf novation, welche von den anderen Agglomerationen
Transitkontingenten beruhenden „Alpentransitbörse" rasch übernommen wurde. Viel aufwendiger, aber
diskutiert (Ecoplan/Rapp Trans AG 2004). ebenso erfolgreich war die Einführung der ersten
schweizerischen S-Bahn-Systeme. Die Vorreiterrolle
Stadtverkehr spielte hier Zürich, wo 1990 das erste und bis heute
In der stark verstädterten Schweiz spielt sich der weit weitaus größte S-Bahn-System der Schweiz in Be
aus größte Teil des Verkehrs in städtischen Agglome trieb genommen wurde. Darüber hinaus wurde eine
rationen ab. Deshalb entbehrte es nicht einer gewis ganze Reihe von betrieblichen Fördermaßnahmen
sen Logik, dass die Städte in früheren Jahrzehnten im für den öffentlichen Verkehr konsequent umgesetzt,
Rahmen der Autobahnplanung dafür plädierten, die was der Stadt Zürich in ganz Europa den Ruf einer
Autobahnen als sog. Expressstraßen mitten in die In eigentlichen ÖV-Hochburg eintrug. Im internationa
nenstädte zu führen. Für die Städte spielte dabei eine len Vergleich ist der Anteil des öffentlichen Verkehrs
entscheidende Rolle, dass Autobahnen im Gegensatz in den Schweizer Städten aufgrund der Gesamtheit
zu allen anderen Verkehrswegen mit Bundesmitteln fi dieser Maßnahmen sehr hoch, gleichzeitig ist es ge
nanziert wurden; die Städte hofften also, ihre lokalen lungen, die Motorisierungszunahme in den urbanen
Verkehrprobleme mit Bundesmitteln lösen zu können. Gebieten zu drosseln. Bedeutsam ist dabei, dass die
Die Führung der Autobahnen in die Innenstädte traf se verstärkte Förderung des öffentlichen Verkehrs aus
aber bald auf heftigsten Widerstand, v. a. weil dazu einer betriebs- wie volkswirtschaftlichen Sicht deut
bedeutende Eingriffe in die historische Bausubstanz lich besser abschneidet als eine auf stärkere Autodo
vorgesehen waren. In der Folge wurde entweder eine minanz ausgerichtete Verkehrspolitik.
weniger zentrale Linienführung gewählt (Bern) oder die Angesichts von zunehmenden Kapazitätsengpäs
Ausführung des Autobahnbaus verzögerte sich drama sen hat der Bund 2004 beschlossen, sich im Rah
tisch, sodass beispielweise das Autobahnnetz in Zürich men von sog. ,,Agglomerationsprogrammen" entge
und Basel um 2000 noch große Lücken aufwies. gen der bisherigen Praxis an der Finanzierung von
Dass der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in den lokaler Verkehrsinfrastruktur in städtischen Räumen
schweizerischen Städten in den Boomjahren der zu beteiligen (Haefeli 2008a, 2008b).
Nachkriegszeit anders als etwa in Deutschland im
Wesentlichen ohne Bundesmittel finanziert werden Ausblick
musste, hat den Städten langfristig mehr Vor- als Die schweizerische Verkehrspolitik der letzten Jahr
Nachteile gebracht. Die Pläne für aus heutiger Sicht zehnte ist von dem Willen geprägt, sowohl das Stra
wenig geeignete und überdimensionierte Infrastruktu ßennetz als auch den öffentlichen Verkehr mit staat
ren wie beispielsweise Stadtautobahnen oder U-Bah lichen Mitteln zu fördern und dazu immer wieder
nen in Mittelstädten konnten hierzulande im Gegen bedeutende Investitionen zu tätigen. Es ist jedoch
satz zu Deutschland nicht realisiert werden. Daraus fraglich, ob diese auf Mengenausweitung gerichtete
erklärt sich, dass die schweizerischen Städte heute Politik in Zukunft finanzierbar ist und ob sich das
dank einer relativ effizienten Kombination von indivi Ziel der Nachhaltigkeit im Verkehr damit erreichen
duellem und kollektivem Verkehr über ein wesentlich lässt. Die seit längerer Zeit laufenden Diskussionen
leistungsfähigeres Verkehrssystem verfügen als fast um eine verursachergerechtere Finanzierung des Ver
alle anderen europäischen Länder. Die Umweltwende kehrssystems (road pricing, Abbau von Subventionen
von 1970 wirkte sich zuerst hauptsächlich in einer des öffentlichen Verkehrs usw.) werden sich deshalb
plebiszitären Blockierung neuer Straßenverkehrs in den nächsten Jahren wohl intensivieren. Nach
investitionen aus. In den l 980er-Jahren verstärkte wie vor vernachlässigt wird dagegen eine langfristig
sich jedoch auf nationaler Ebene die Förderung des besonders zentrale Maßnahme gegen das uferlose
öffentlichen Verkehrs. 1984 gelang in Basel mit der Verkehrswachstum: die Begrenzung der Zersiedlung
Einführung eines stark verbilligten Umweltschutz- durch raumplanerische Mittel.
134
D andere
Agglomerationen
Kerngemeinde der
anderen Agglomerationen
D Einzelstädte
Oie grenzüber
schreitenden
Agglomerationen
sind nicht
dargestellt.
nach
Gemeinden
l
N
0 25 50 km
1�
Agglomerationspolitik des Blind 135
wie z.B. die Umnutzung weitflächiger Industrieräu Ständige Wohnbevölkerung im städtischen und ländlichen Raum
me in Wert setzen zu können. Daher haben sich neue am Jahresende, in Tausend 2005 2006 2007 2008 2009
Notwendigkeiten ergeben, die Starrheit von gegebe
nen, politisch-administrativen Grenzen zu ü berden Total 7459,1 7508,7 7593,5 7701,9 7785,8
ken und diese ggf. durch neue Funktionalräume zu städtische Gebiete 1 5468,8 5508,4 5577,3 5665,6 5733,4
relativieren. Deshalb gibt es seit geraumer Zeit eine ländliche Gebiete 1 1990,4 2000,4 2016,2 2036,3 2052,4
schweizweit geführte Debatte über bestehende und
Die größten Agglomerationen
neue Grenzziehungen. Seit dem Jahr 2000 haben
dabei 263 autonom agierende Gemeinden das Mittel Zürich 1101,7 1111,9 1132,2 1154,5 1170,2
der Gemeindefusionen gewählt. Genf 493,4 497,4 503,6 513,2 521,4
Basel 486,1 487 489,9 494,3 498
Multidimensionale Ansätze zur Bern 343,8 344,7 346,3 348,7 350,8
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Lausanne 310 313,1 317 324,4 330,9
von Städten und Regionen
Die größten Städte
Zum Erhalt der Funktionsfähigkeit im verschärften
Wettbewerb der Städte und Regionen um Investo Zürich 347,5 350,1 358,5 365,1 368,7
ren, Unternehmen, Innovationsfähigkeit, Bewohner Genf 178,7 178,6 180 183,3 186
und Touristen hat der Bund im laufe der Jahrzehnte Basel 163,9 163,1 163,5 164,9 166,2
verschiedene Programme und Maßnahmen lanciert. Bern 122,2 122,4 122,7 122,9 123,5
Diese legten jedoch in der operativen Umsetzung Lausanne 117,4 118 119,2 122,3 125,9
den Fokus überwiegend auf den ländlichen Raum 1 gemäß der Definition der Volkszählung 2000
und die Berggebiete (vgl. Kap. ,,Strukturwandel im
ländlichen Raum und in den Alpen/Strukturwandel, 1 Tab. 26 I Ständige Wohnbevölkerung im städtischen und ländlichen Raum.
Neuer Finanzausgleich und Neue Regionalpolitik").
Dass Städte selbst strukturelle und langfristige Prob steigernden Maßnahmen des New Public Manage-
leme haben und dass Städte, pointiert gesagt, Gefahr ment. Dabei handelte es sich um eine Reform der
laufen, neue strukturschwache Gebiete der Schweiz öffentlichen Verwaltungen auf der Grundlage be-
zu werden, wurde nur zögernd erkannt. triebswirtschaftlicher Effizienzkriterien und Control-
In den 1990er-Jahren begannen öffentliche Ver lingkonzepten zur Ergebnissteuerung. Diese wurde 1 Abb. 99 I
Wichtigstes
waltungen in der ganzen Schweiz mit den effizienz- von vielen Städten, Gemeinden und Kantonen ei- Pendlerziel 2000.
Schweiz 57,3%
Wegpendler 200 0
--- 50
1
N
nach Gemeinden
0 25 50 km
136
genständig veranlasst, um schwindende Finanzmittel Zu den großen Politikinstrumenten, welche die Wett
gezielter einsetzen und den Erfolg solcher Allokatio bewerbsfähigkeit von Schweizer Regionen vorantrei
nen besser kontrollieren zu können. Auch wenn dies ben sollten, gehören:
keine leichte Aufgabe war, schufen gleichzeitig Wis ■ der Neue Finanzausgleich (NFA) von 2008, der
senschaftler, Städte und der Schweizerische Städte ressourcenstarke Kantone stärker als bisher in die
verband das Bewusstsein dafür, dass es sich bei den Umverteilung zugunsten der ressourcenschwachen
Entwicklungen der Städte um Probleme handelt, die Kantone einbindet (s. Kap. .,Strukturwandel im
nicht mehr die Städte oder einzelne Kantone schul ländlichen Raum und in den Alpen/Strukturwandel,
tern können, sondern die zu den Führungsaufgaben Neuer Finanzausgleich und Neue Regionalpolitik").
auf Schweizer Bundesebene gehören. Statt zweckgebundener Bundesbeiträge sieht der
Daher ging der Bund dieser Problematik in den NFA Leistungs-, Ziel- oder Programmvereinbarun
ausgehenden 1990er-Jahren gezielt auf den Grund gen und Globalbeiträge vor. Bund und Kantone
und zeichnete Lösungsansätze auf allen staatlichen vereinbaren partnerschaftlich, welche öffentlichen
und räumlichen Ebenen auf. Mehrere große, kom Aufgaben wahrgenommen werden sollen und wel
plementäre Maßnahmen und Politiken wurden in chen Beitrag der Bund zahlt. Die Kantone erhalten
Angriff genommen, die sich in ihrer Gesamtheit auf einen größeren Handlungsspielraum und Anreize
Bundesebene als wohl orchestrierte Aktion zur Abfe zur effizienten Aufgabenerfüllung, denn der Bund
derung struktureller Schwächen verstehen lassen. Zu kontrolliert die Zielerreichung. Damit wird das New
den Maßnahmen, die eine Analyse und Erfassung von Public Management auf die Beziehungen zwischen
räumlichen Entwicklungen sowie die Kontrolle von Bund und Kantonen übertragen (Frey 2001a, b).
Planungen und Mittelallokationen erlauben, gehör ■ die Neue Regionalpolitik (NRP) von 2007, die
ten beispielsweise die regionalstatistische Neuorga seit 2008 wirksam ist. Die Neue Regionalpolitik
nisation von Gebieten von 2005 (Bundesamt für Sta fokussiert auf bottom up gestütztem Wachstum
tistik BFS (Hrsg.) 2005: Die Raumgliederungen der aufgrund von Innovation und regionaler Wert
Schweiz). Hierbei wurden für Analysezwecke und die schöpfung anstatt der früheren top down gelenkten
laufende Raumbeobachtung und das Gesellschafts Verteilung (s. Kap. .,Strukturwandel im ländlichen
monitoring neue, relevante Raumgliederungen defi Raum und in den Alpen/Strukturwandel, Neuer
niert, damit verschiedene Phänomene der Entwick Finanzausgleich und Neue Regionalpolitik"). Leis
lung je nach Thema und Häufigkeit präziser erfasst tungs- und Zielvereinbarungen sowie Public Private
und geeignet präsentiert werden können. Dazu ge Partnerships gelten dabei als Schlüssel der Inno
hören z. B. mobilite spatiale-(MS)-Regionen (s. Kap. vationsförderung. Als flächendeckende Regional
.,Wirtschaft/Wirtschaftsräume und Wirtschaftsent politik integriert die NRP nicht nur wirtschaftlich
wicklung in der Schweiz"), die Pendlereinzugsberei schwächere (Berg-)Gebiete, sondern auch Agglo
che bzw. funktional verflochtene Räume abbilden. So merationen und Grenzregionen (Staatssekretariat
lassen sich Entwicklungen innerhalb der Schweiz in für Wirtschaft (Hrsg.) 2008: Die Regionalpolitik
solchen Funktionalräumen klarer erfassen als in den des Bundes: 5).
traditionellen Verwaltungseinheiten. Aus dem glei ■ das Raumkonzept Schweiz 2005. Das zusammen
chen Grund wurden statistische Großregionen (siehe mit Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden,
o. g. Kapitel) geschaffen. Die räumlichen Gliederun Wirtschaft und Zivilgesellschaft erarbeitete Kon
gen und Typologien, welche in der regionalisierten zept der nachhaltigen räumlichen Entwicklung
Darstellung und statistischen Analyse der Entwick das Raumkonzept Schweiz (vgl. Kap. .,Umwelt
lungen der Schweiz verwendet werden, sind: probleme und Umgang mit Naturgefahren/Nach
■ institutionelle Gliederungen: Gemeinden, Bezirke, haltigkeit in der Schweizer Raumplanung") - zeigt
Kantone mögliche, wenn auch in unterschiedlichem Maße
■ regionalpolitische Gliederungen bzw. Regionen wünschenswerte Szenarien der Entwicklung der
der Raumentwicklungspolitik: Raumplanungsregi Schweiz auf:
onen, IHG-Berggebietsregionen (nach der Investi ■ Szenario 1 „Metropolitanbildung", wenn sich
tionshilfegesetzgebung für die Berggebiete, s. Kap. Trends der letzten Jahrzehnte fortsetzen, obwohl
„Strukturwandel im ländlichen Raum und in den dies wegen zu großen Energie- und Flächenver
Alpen/Strukturwandel, Neuer Finanzausgleich und brauchs nicht wünschenswert wäre (Abb. lO0A).
Neue Regionalpolitik"), wirtschaftliche Erneue ■ Szenario2 „Zersiedlung", dem wegen extrem ho
rungsgebiete hen Flächenverbrauchs entgegengewirkt werden
■ Analyseregionen: Großregionen, Sprachgebiete, soll (Abb. lO0B).
MS (mobilite spatiale)-Regionen, Agglomerationen ■ Zusätzlich ist das Szenario 3 „Polyzentrische
und Metropolitanräume, städtische und ländliche urbane Schweiz - vernetztes Städtesystem"
Gebiete, Tourismusregionen (Abb. lO0C) möglich, das wegen seiner Ähnlich
■ räumliche Typologien: Gemeinde- und Agglomera keit mit dem Status qua ein wahrscheinliches
tionstypologie nach Größenklassen, Typologie der Szenario ist, jedoch radikale Reformen benötigt,
MS-Regionen (z. B. Kernagglomeration, suburba um z.B. die Verdichtung (anstatt Zersiedelung)
ne Zone, periurbane Zone, rurale agroindustrielle und die Städtekooperation zu fördern.
Zone, agrotouristische Region, agrarische Region) ■ Schließlich gibt es das Szenario4 „Schweiz der
und Gemeinden. Regionen" (Abb. 100 D), das von der realisti-
137
c:5 (C) Ein multipolarer Raum und verlassene Gebiete (D) Gebiete, die ihre Entwicklung selbst gestalten
;:::
" Nach mehreren Jahrzehnten, in denen die s,ch ergänzenden Angebote und die Spez1a- Im Jahr 2031 ist die „Schweiz der Regionen" in elf sehr dynamische Regionen mit
8 lisierungen der einzelnen Städte allmählich verstärkt wurden. besitzt die Schweiz im äußerst unterschiedlichen Spezialisierungen und einer Bevölkerung mit starkem innerem
� Jahr 2031 ein feinmaschiges Zusammenhalt aufgeteilt.
� Städtenetz Zwischen den
f( verschiedenen Städten
§ liegen Agrar- und
il Naturschutzgebiete.
i
25 50km
sehen Grundannahme von steigenden Energie ■ die Agglomerationspolitik des Bundes von 2001. IAbb.1001 Das Raumkon
preisen und gedämpftem Wirtschaftswachstum Die vom Bundesrat 2001 beschlossene Agglo zept Schweiz. (A) Szenario
ausgeht und in dem sich Wirtschaft und Politik in merationspolitik versteht Städte und ihr Umland 1: .,Metropolitanbildung".
Ein stark polarisierter
Städten und Teilräumen zu politisch handelnden als komplexes, zusammenhängendes „System" Raum. (8) Szenario 2:
Regionen formieren. Diese pflegen aktiv Außen (Funktionalregion). Dabei sollten Städte und ihre ,,Zersiedelung". Ein zer
beziehungen, eine starke Politik der Wirtschafts Umlandgemeinden gemeinsam auf die Herausfor stückelter Raum. (C) Sze
förderung, der Bildung von strategischen Allian derungen des Wettbewerbs reagieren, miteinander nario 3: .,Polyzentrische
zen und des Ausbaus komplementärer Stärken. agieren und den globalen Herausforderungen wir urbane Schweiz - vernetz
In der „Schweiz der dynamischen Regionen" sol kungsvolle Kräfte entgegenstellen. tes Städtesystem". Ein
len unterschiedliche Spezialisierungen entstehen multipolarer Raum und
verlassene Gebiete. (0)
und die Bevölkerung soll einen starken inneren Agglomerationspolitik des Bundes Szenario 4: ,,Schweiz der
Zusammenhalt entwickeln (vgl. Kap. ,.Umwelt Die Agglomerationspolitik des Bundes rückte erst Regionen". Gebiete, die
probleme und Umgang mit Naturgefahren/Nach malig die Agglomerationen in das Zentrum der pla ihre Entwicklung selbst
haltigkeit in der Schweizer Raumplanung"). nungsbezogenen Betrachtung. Grundlage ist Art. 50 gestalten.
Das Raumkonzept Schweiz schuf Bewusstsein Abs. 3 der Bundesverfassung, wonach sich der Bund
für Entwicklungstrends in der Schweiz und sollte verpflichtet, bei seinem Handeln auf die besondere
die Notwendigkeit des Zusammenarbeitens über Situation der Städte und Agglomerationen sowie der
Gemeinde- und Kantonsgrenzen hinweg unter Berggebiete Rücksicht zu nehmen (Eidgenössisches
streichen, welche in der Agglomerationspolitk Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kom
des Bundes beinhaltet ist. munikation UVEK, Eidgenössisches Volkswirtschafts-
138
departement EVD, Bundesamt für Raumentwicklung merationen, z. T. durch neu intermediäre Instituti
ARE & Staatssekretariat für Wirtschaft SECO (Hrsg.) onen, Organisations- und Gouvernanz-Strukturen
2006). ■ die Verbesserung der vertikalen Zusammenarbeit
Leitgedanken der Agglomerationspolitik des Bun zwischen Bund, Kantonen, Städten und Gemein
des sind: den
■ Einfluss der Agglomerationen auf den Wirtschafts ■ die Ausrichtung von Sektoralpolitiken auf die At
standort Schweiz. Die Konkurrenzfähigkeit des traktivität und Qualität urbaner Räume und Verbes
Wirtschaftsstandortes Schweiz wird maßgeblich serung der Koordination von Sektoralpolitiken
von der Funktionsfähigkeit und Lebensqualität der ■ die Anbindung des Schweizer Städtenetzes an das
Agglomerationen beeinflusst. europäische Städtenetz, wozu insbesondere ver
■ Verstärkte Zusammenarbeit zur Problemlösung. kehrspolitische und verkehrstechnische Maßnah
Funktionsfähigkeit und Lebensqualität der Agglo men dienen
merationen können nur erhalten werden, wenn ■ die Förderung des Erfahrungsaustauschs zwischen
Kernstädte und Agglomerationsgemeinden nicht den verschiedenen Akteuren der Agglomerations
länger versuchen, ihre Probleme im Alleingang zu entwicklung und Sensibilisierung von Politik, Ver
lösen, sondern zusammenarbeiten, wobei Bund waltung und Bevölkerung für die urbane Realität
und Kantone sie darin mit der Schaffung geeigne der Schweiz.
ter Rahmenbedingungen unterstützen.
■ Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Aspekt der Erhal Funktionale Räume für die Gemeinde
tung und Verbesserung der wirtschaftlichen Attrak zusammenarbeit - auf dem Weg zur
tivität und Lebensqualität in den Agglomerationen. Urban und Regional Governance
Der Fokus auf der nachhaltigen Entwicklung von Ob eine Gemeinde, die nicht zu einer Kernzone ge
Städten und Stadtregionen beinhaltet Ansätze zur hört und zusätzlich eventuell gar in einem anderen
Stärkung des schweizerischen Städtenetzes in sei Kanton angesiedelt ist, sich zu einer Agglomera
ner Gesamtheit sowie Ansätze zur verstärkten Sied tion zugehörig fühlt, ist statistisch natürlich nicht
lungsentwicklung nach innen, um der Zersiedelung zu definieren. Zusammengehörigkeit und Zusam
in der Fläche Einhalt zu gebieten. menarbeit in einem selbstbestimmten funktionalen
Raum (Perimeter) sind aber zentrale Elemente der
Der Bund entwickelte fünf Strategien für die Umset Agglomerationspolitik. Perimeter der i nterkom mu
zung dieser Leitlinien in die Realität: nalen Zusammenarbeit, die horizontal gestärkt wer
■ die Schaffung von Anreizen für die horizontale Zu den soll, können jedoch wegen der ausgeprägten
sammenarbeit innerhalb und zwischen den Agglo- Gemeindeautonomie in der Schweiz nicht politisch
139
.,von oben" bestimmt werden. Sie sind in erster Li das Instrument so konzipiert, dass neben den Berei
nie das Ergebnis eines politischen Aushandlungspro chen Verkehr und Siedlung auch weitere Politikberei
zesses. So sind beispielsweise Einrichtungen wie die che wie Kultur, Soziales, Wirtschaft, Gesundheit oder
Regionalplanungsverbände oder kommunale Zweck 1 nfrastruktur behandelt werden können. Die Mehrheit
verbände, die in Deutschland seit Jahrzehnten ein der heute vorliegenden Agglomerationsprogramme
Begriff und operativ tätig sind, ein in der Schweiz konzentriert sich (vorläufig noch) auf die Bereiche
in dieser Form unbekanntes Konzept und a priori Verkehr und Siedlung (Eidgenössisches Departement
nicht mit dem kulturell immer noch stark veran für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation
kerten Selbstverständnis von Kantonen als quasi UVEK Eidgenössisches, Volkswirtschaftsdepartement
unabhängigen Staaten in einem Bundesstaat und EVD, Bundesamt für Raumentwicklung ARE&Staats
derzeit 2551 Gemeinden als autonom entscheiden sekretariat für Wirtschaft SECO (Hrsg.) 2006).
den Entitäten vereinbar. Konzepte interkommunaler,
multidimensionaler Zusammenarbeit in funktionalen Koordination und Verbesserung
Regionen - eventuell sogar über Kantonsgrenzen hin der vertikalen Zusammenarbeit
weg- fanden in der Schweiz erst mit der Agglome Nachdem in der Schweiz lange Zeit kein Handlungs
rationspolitik des Bundes eine gewisse Beachtung. bedarf für eine „nationale Städtepolitik" erkannt
1 nterkommunale Zusammenarbeit war zuvor eher auf wurde, ist es nun umso bemerkenswerter, dass der
einzelne Aspekte wie eine gemeinsame Feuerwehr Bund mit der Agglomerationspolitik nicht nur die
oder Polizei in jenen Gemeinden beschränkt, die Rahmenbedingungen, sondern gleich auch den in
nicht über genügende Mittel oder eine ausreichend stitutionellen Modus lieferte, um die vertikale Zu
große Bevölkerung für die Einrichtung eigener Kapa sammenarbeit zwischen den 2551 Gemeinden, 26
zitäten verfügten. Kantonen und dem Bund aufzubauen und laufend zu
verbessern. Der Bundesbericht benannte die Proble
Model/vorhaben me der vertikalen Zusammenarbeit explizit: Demnach
Um das System der Zusammenarbeit zu testen und gab es nur periodischen oder vereinzelten Kontakt
im Bewusstsein zu verankern, wurden 50 sog. Mo mit Städten/Gemeinden über Kantone hinweg, nicht
dellvorhaben der nachhaltigen Raumentwicklung aber im Rahmen koordinierter Aktionen. Die Zusam
vom Bund vorgezeichnet. Sie wurden bewusst in ei menarbeit mit Städten/Gemeinden war nur selten in
nem kleinen Perimeter gestartet, um die Startphase Gesetz, Verordnungen oder in besonderen Strukturen
und behutsame Annäherungen in einer interkommu verankert und konzentrierte sich nur auf Vollzug des
nalen und eventuell interkantonalen horizontalen Zu Bundes oder der Kantone.
sammenarbeit nicht zusätzlich zu erschweren; eine Zur Optimierung von Direktkontakten zwischen
schrittweise Erweiterung ist jedoch möglich. Bei den Bund und Gemeinden schuf der Bund die Tripartite
Modellvorhaben sollten wichtige Anliegen der Raum Agg!omerationskonferenz (TAK) als eine gemeinsame
entwicklungspolitik, innovative Projekte und Zusam Plattform von Bund, Kantonen sowie Gemeinden und
menarbeit über administrative Grenzen hinweg lan Städten. Sie wurde im Februar 2001 vom Bundesrat,
ciert werden. Für die Zusammenarbeit gibt es ver der Konferenz der Kantonsregierungen, dem Schwei
schiedene Modelle: So gibt es projektorientierte Zu zerischen Gemeindeverband und dem Schweizeri
sammenarbeit, institutionalisierte Zusammenarbeit schen Städteverband gegründet.
auf freiwilliger Basis und verbindliche Formen der Ziel der TAK ist, dass der Bund, die Kantone so
Zusammenarbeit (Eidgenössisches Departement für wie die Gemeinden und Städte enger zusammenar
Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK beiten und eine gemeinsame Agglomerationspolitik
Eidgenössisches, Volkswirtschaftsdepartement EVD, entwickeln. Um die Bedeutung einer solchen Insti
Bundesamt für Raumentwicklung (ARE)&Staats tution zu würdigen, sei daran erinnert, dass Artikel
sekretariat für Wirtschaft SECO (Hrsg.) 2006). Zu 50 der Bundesverfassung die Gemeindeautonomie
Letzteren gehören Gebietsreformen, kurzfristig ge im Rahmen des kantonalen Rechts garantiert und
meinde- bzw. kantonsübergreifende Formen der Zu ferner von der kantonalen Verfassung und der jewei-
sammenarbeit oder die Schaffung von Agglomerati 1 igen Gemeindeordnung abhängig macht, welche
onsinstitutionen (kommunale Zweckverbände, in der Rechte eine Gemeinde besitzt. Die Schweizer Ge
Schweiz auch „Zweckgemeinden" genannt). meindeautonomie wurde de jure durch den Bundes
gerichtsentscheid lC 181 vom 9. August 2007 noch
Agglomerationsprogramme zur Verbesserung einmal gestärkt, als Gemeinden im Kanton Tessin
der horizontalen Zusammenarbeit das übergeordnete Recht zur Konsu ltativabsti m
Die Agglomerationsprogramme sollen den Städten mung (auch entgegen kantonaler Beschlussfassung)
und Gemeinden einer Agglomeration ermöglichen, bestätigt wurde.
eine gesamtheitlichen Entwicklungsstrategie aufzu Neben der gegenseitigen Information will die TAK
stellen, Prioritäten zu setzen und Ressourcen dort v. a. zur Stärkung der Zusammenarbeit in den Agglo
einzusetzen, wo der größte Nutzen für die Agglomera merationen beitragen und konkrete Agglomerations
tion zu erwarten ist. Die jeweils beteiligten Kantone, probleme anpacken (Tripartite Agglomerationskon
Städte und Gemeinden entscheiden jedoch selbst, ferenz TAK (Hrsg.) 2004: 3). Dabei können neue
ob sie ein Agglomerationsprogramm erarbeiten und Strukturen wie z. 8. ein Agglomerationsrat eingelei
welche Inhalte es umfassen soll. Grundsätzlich ist tet werden (Abb. 101), die zahlreiche bestehende
140
1 1
1--------'l l ]
IAbb.1021 Agglomera
Gemeinden Gemeinden
tionsrat- die Vorteile
überzeugen.
Organisationen zusammenführen und klare Schnitt finanzielle Umverteilung zwischen Stadt und Umland
stellen schaffen (Abb. 102). Die Entscheide des sowie durch neue Formen der städtischen und regio
Agglomerationsrates sollen für alle Agglomerations nalen Gouvernanz. Diese neuen Formen der Gouver
gemeinden gelten und eine flächendeckende Umset nanz erfordern z.B. mit rechtlichen und planerischen
zung der gemeinsamen Strategie gewährleisten. Die Befugnissen ausgestattete Stadt-Umland-Verbände,
Mitglieder des Agglomerationsrates sollen vom Volk welche die bestehenden föderativen Strukturen in
gewählte Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten der Schweiz nicht aushebeln, sondern um eine wei
sein. Dank Initiativ- und Referendumsrecht kann tere Dimension ergänzen, die sich an den Bedürf
das Volk mitbestimmen. Diese Modelle, die in den nissen nach Lösungskompetenz in der heutigen Zeit
kommunalen Zweckverbänden oder Regionalpla orientiert. Die Zeichen in der Schweiz standen nie
nungsverbänden in Deutschland und in Frankreich günstiger, um die Stadt- und Regionalentwicklung
ihre Gegenstücke haben, sind in der Schweiz noch multidimensional, breit abgestützt und in neuen
weitgehend im Aufbau bzw. noch nicht realisiert. zweckgebundenen Institutionen anzugehen. Es wird
Gegenwärtig ist die Zusammenarbeit in Agglomera- sich zeigen, inwieweit diese Chance ergriffen wird.
141
1 Abb. I
103 Periurbani
Überblick sierung im Alpenvorland
mit Blick auf die Glarner
■ Räumliche Ungleichgewichte gab es bereits im Agrarzeitalter. Mit der Bahnanbindung der Alpen an Alpen: Früher wurden in
die europäischen Märkte entstanden neue räumliche Hierarchien, die durch die Industrialisierung Dottikon Strohhüte her
verstärkt wurden. gestellt. 1913 kam eine
■ Vier große sozio-kulturelle Gegensätze begleiten die Schweiz seit jeher: die Rivalität zwischen Stadt
und Landorten, die Wirtschaftsweisen von Berggebieten und Mittelland, die Identitäten von vier
Sprengstofffabrik dazu.
Heute wandelt sich das
Industriedorf im Kanton
Sprachen und seit der Reformation die konfessionelle Spaltung. Zusammen haben sie dazu geführt, Aargau zur Wohngemeinde
dass der regional-territoriale Ausgleich stärker beachtet wird als die soziale Gleichentwicklung. für Arbeitspendler und ist
■ Landwirtschafts- und alpwirtschaftliche Nutzflächen (38% der Gesamtfläche der Schweiz) prägen Teil des Metropolraums
Zürich.
das Landschaftsbild. Es dominieren Wiesen- und Weideflächen, in der Landwirtschaft die Tierpro
duktion und kleine Familienbetriebe unter 20ha. Dabei ist die Anzahl der Landwirtschaftsbetriebe
wie auch der landwirtschaftlich Beschäftigten rückläufig.
■ Bis in die 1960er-Jahre wurden diese Disparitäten im Großen und Ganzen politisch in Kauf ge
kommen. Dann versuchte der bundesstaatliche Finanzausgleich von 1959, mittels Umverteilung
wirtschafts- und finanzschwächere Kantone in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben wahrzunehmen.
Trotz mehrerer Verbesserungen führten falsche Anreize zu einer schleichenden Schwächung des
schweizerischen Föderalismus.
■ Der Neue Finanzausgleich erlaubte eine Reform der Regionalpolitik des Bundes. Die früheren Pro
gramme (vor allem Investitionshilfe für Berggebiete, regionale Wirtschaftsförderung) wurden per
2008 in einem einzigen Bundesgesetz zusammengefasst. Anstelle des Abbaus regionaler Disparitä
ten steht bei der Neuen Regionalpolitik die Wachstums- und Innovationsförderung im Vordergrund.
142 t ukturwandel im ländlichen Raum und in den Alpen
Die heutigen Raumwissenschaften betrachten die Krieg (zuletzt der Sonderbundskrieg 1847 (s. Kap.
ganze Schweiz als „urban". Häufig wird in der Öf ,,Geschichte und Politik/Geschichte der Schweiz").
fentlichkeit - quer durch alle politischen Lager - Das ist an sich nicht einzigartig, doch das über
von der „ Metropole Schweiz" gesprochen. Dieser leben dieser Struktur bis in die jüngste Zeit ist eine
Sichtweise Iiegt zugrunde, dass die Erreichbarkeit Ausnahme. Einen Erklärungsansatz hierfür bietet
aller Landesteile hoch ist und die nationale Wert die „cleavage theory" (Rokkan& Urwin 1983). Da
schöpfung in den großen Agglomerationen generiert nach ist es gerade die Überlagerung verschiedener
wird oder von diesen abhängt. Eine großräumige Gegensätze oder cleavages, die den Zusammenhalt
Trennung von Wohn- und Arbeitsort ist zur Norm der Schweiz als multikulturelle und mehrsprachige
geworden. Heute leben drei Viertel der Bevölkerung Willensnation garantieren. Die Vielzahl der Bruchli
in urbanen, sub- und periurbanen Städten und Ge nien war nie deckungsgleich, sondern erzeugte im
meinden. Damit weist die Schweiz einen hohen Ur mer verschiedene Gemeinsamkeiten und Gegensätze.
banisierungsgrad auf. Die Lebensstile haben sich Städte und Protestantismus hingegen waren weitge
angeglichen. hend deckungsgleich, Sprach- und Konfessionsgren
Ist damit alles „urban", haben die regionalen Un zen jedoch nicht. Auch die großen Naturräume sind
terschiede an Bedeutung verloren? im Folgenden soll sprachlich und konfessionell vielfach zerschnitten.
gezeigt werden, dass die Urbanisierung und Met Es ist gerade die Überkreuzung verschiedenster c/ea
ropolisierung die regionalen Ungleichgewichte der vages, die das Gesamtsystem stabilisiert hat.
Schweiz verändert hat, diese aber nicht verschwun Daraus entstand eine ausgeprägte Sensibilität, Ver
den sind, sondern in neuer und teils verstärkter Form teilungsfragen nach räumlich abgrenzbaren sozialen
reproduziert werden. Unterschieden zu behandeln. Profitiert haben dabei
v. a. die territorial gebundenen Wirtschaftsformen.
Mehrfache Risse als Voraussetzung Die soziale Frage, die durch die Industrialisierung
für territorialen Zusammenhalt hervorgerufen wurde, hatte demgegenüber immer
Gegensätze kennzeichneten die Alte Eidgenossen ein vergleichsweise geringes Gewicht, obwohl die
schaft von Anfang an; sie waren auch für die föde Schweiz im 18.Jh. mit der Protoindustrie und dann
ralistische Schweiz, wie sie seit 1848 besteht, be wieder in den l 960er-Jahren eines der am stärks
stimmend. Diese Gegensätze führten dazu, dass dem ten industrialisierten Länder Europas war. Ergebnis
regionalen Ausgleich oder regionalen Kompromiss dieser sich territorial äußernden sozialen Sensibili
stärkeres Gewicht beigemessen wurde als dem sozi tät war ein über lange Zeit unangefochtener Konsens
alen Kompromiss zwischen Schichten und Klassen. des regionalen Ausgleichs und die daraus geformte
Territorial sind vier große soziokulturelle Wider Regionalpolitik. Interessanterweise war diese mehr
sprüche zu erkennen (Joye et al.1992): heitlich eine Berggebietspolitik, obwohl die Bergge
■ Der frühe Gegensatz zwischen Land und Stadt. Die biete, im Unterschied zu anderen Alpenländern, nie
Alte Eidgenossenschaft entstand im 14. und 15.Jh. zur Gänze benachtei Iigt waren, und das länd Iiche
aus Vereinbarungen zwischen den (zuletzt) sechs Mittelland phasenweise ebenfalls starker Verarmung
Land- und sieben Stadtorten. Nur so konnte sie ausgesetzt war.
zwischen den damaligen europäischen Großmäch Darüber hinaus bestehen weitere regionale und
ten bestehen. lokale Trennlinien. Erwähnenswert ist eine kulturelle
■ Der Gegensatz zwischen unterschiedlich zu be „fünfte Grenze" entlang der Kantonsgrenze von Bern
wirtschaftenden Territorien, abhängig von der und Luzern (Brünig-Napf-Linie), die als Mundart
Wirtschafts- und Sozialstruktur. Am stärksten zeigt und Konfessionsgrenze innerhalb des alemannischen
sich dieser Gegensatz zwischen Berggebiet (Alpen, Sprachgebiets etwa 50-100 km östlich der roma
Jura) und Mittelland. nisch-germanischen Sprachgrenze verläuft.
■ Die vier Sprachregionen, die zwar sehr ungleich in Die alten Bruchlinien sind nach wie vor präsent
der Größe sind (s. Kap. ,,Bevölkerung, Kultur und und entfalten neue Wirkungen. Einer eher etatistisch
Gesellschaft/Sprachenlandschaft in der Schweiz geprägten westlichen Landeshälfte steht eine eher
im Wandel"), die aber über die Zeit konstant blei individualistisch wirtschaftende östliche gegenüber.
ben, sieht man von der Erosion des Rätoromani Sichtbar wird dies beispielsweise an niedrigeren
schen ab. Gemeindesteuersätzen im östlichen und einer höhe
■ Die konfessionelle Spaltung seit der Reformation, ren Belastung im westlichen Landesteil (Abb. 104)
bei der die Städte Zürich und Genf einerseits und (Thierstein et al. 2003).
die katholische lnnerschweiz andererseits eine
zentrale Rolle spielten. Räumlich-wirtschaftliche
Ausditferenzierung der Schweiz bis 1970
Jede der vier großen Bruchlinien der Schweiz hat
te in der Vergangenheit das Potenzial zu einer Es Räumliche Ungleichgewichte im Agrarzeitalter
kalation und führte zu Kantonsspaltungen (z.B. die Neben den großen Bruchlinien bestimmte die wirt
1833 gewaltsam herbeigeführte Teilung des Kantons schaftliche Dynamik die territoriale Entwicklung. Im
Basel), im Fall der Religionsfrage auch zu direktem 18. und 19.Jh. erfuhr die Landwirtschaft auf der
143
28] -12,0-13,9
544 _ 11,2 -11,9
540 -10,5-11,1
616 - 9, 0 -10, 4
654 7,5 - 8,9
260 2,0-
Schweiz 10,2%
l
N
unbewohnte
Exklaven
nach Gemeinden 0 25 50 km
Alpennordseite infolge der Spezialisierung auf reine La Chaux-de-Fonds gezielt als Zentrum der 1 Abb. 1041 Unterschiede
Milchwirtschaft einen Produktivitäts- und Innovati Uhrenmanufakturen und organisierte den Wiederauf der Steuerbelastung.
onsschub. Als neues Produkt entstand ein Hartkäse, bau im Schachbrettgrundriss (vgl. Abb. 67).
der lagerfähig war. Dieser Käse war ein gefragtes Ex Auf der anderen Seite gab es immer wieder Aus
portprodukt, u. a. für Schiffsexpeditionen. Die neue wanderungswellen, die nicht nur die Berggebiete
Produktionsweise ermöglichte eine größere Sied betrafen. So gab es 1850 bis 1900 eine Periode
lungsdichte als früher und erlaubte eine ganzjähri großer Abwanderung aus den Getreideanbaugebieten
ge Besiedelung höher gelegener Gebiete. Von dieser des ländlichen Mittellandes. Die Alpengebiete waren,
regionalen Blüte v. a. im Kanton Bern, aber auch in mit Ausnahme der Südalpen, nicht flächenhaft davon
der lnnerschweiz, zeugen noch heute die stattlichen betroffen.
Bauernhäuser aus jener Zeit. Innerhalb eines kurzen
Zeitfensters - während der Zeit des Dreißigjährigen Anbindung der Alpen an die europäischen
Krieges, als andere Handelsrouten unsicher gewor Märkte: neue räumliche Hierarchien
den waren - wurde der internationale Salzhandel Mit der Industrialisierung Ende des 19.Jh. erhielten
über den Simplonpass geführt. Die Initiative ging von die ländlichen Gebiete und die Alpen Anschluss an
dem lokalen Unternehmer Jodok Stockalper aus, der das europäische Verkehrsnetz, und die agrarische
mit dem Aufbau eines europäischen Handelsnetz Subsistenzwirtschaft wurde aufgegeben. Damit ging
werks die Stadt Brig kurzfristig zu einem internatio auch eine Periode zu Ende, in der die ländlichen Ge
nalen Zentrum machte (Aerni 2003). Ähnlich wie in biete der Schweiz eine Blütezeit erlebt hatten und
England sorgte freies Handelskapital für eine frühe überproportional gewachsen waren. Einen solchen
(Proto-)lndustrialisierung von einzelnen, überwie Bedeutungsgewinn sollten die ländlichen Räume erst
gend protestantischen Regionen. In Glarus stammte wieder mit Beginn der l 970er-Jahre erleben.
das Handelskapital von „Militärunternehmern", die Die neuen Industrien (Erfindung der Aluminium
Söldner in fremde Dienste vermittelt hatten und zu Elektrolyse 1886) und der Tourismus (v.a. seit etwa
Reichtum gekommen waren. Voralpine Textilgebiete 1880) füllten die durch den kontinuierlichen Nie
waren das Zürcher Oberland, Toggenburg und Appen dergang der Landwirtschaft entstandene Lücke nur
zell. In den Hochtälern des Jura wurde die Schwei teilweise. Zwar ist die Schweiz die Geburtsstätte des
zer Uhrenindustrie gegründet, wo sie heute noch Alpentourismus und begründete die dafür maßgebli
ist. Nach einem Großbrand 1794 positionierte sich chen Innovationen wie z.B. 1873 die erste Zahnrad-
144
J
Strukturwandel im ländlichen Raum und in den Alpen
IAbb.1061 /m Rh6neta/
konzentrieren sich Alumi
nium- und Biotechindus
trie, 2004.
Bewohner an die sub- und periurbanen Gemeinden der Formel „sozialer Zusammenhalt durch Wohl
verloren. Es kam ab 1974 in den ländlichen Räu standswachstum und Umverteilung" zusammenfas
men tatsächlich zu einem Abwanderungsstopp und sen und dominierte drei Jahrzehnte lang die euro
einer leichten Zuwanderung, die beide nicht nur päische Nachkriegsentwicklung. Mit den Erkennt
während der Rezessionsphasen Anfang der l 970er nissen aus dem Meadows-Bericht 1972 (,,Grenzen
und Anfang der 1990er-Jahre, sondern auch in der des Wachstums") und der ersten Ölkrise 1973 war
wirtschaftlich sehr starken Phase der l 980er-Jahre dieses Paradigma zwar seiner Grundlagen beraubt, in
Bestand hatten und bis Mitte der l 990er-Jahre an der Schweiz aber bestanden diese Grundlagen wei
dauerten. Dies ist erstaunlich, denn die langfristige ter: Die wirtschaftliche Prosperität war nach wie vor
Raumentwicklung in ganz Europa zeigt bis heute eine vorhanden, der gesellschaftliche Konsens ebenfalls,
kontinuierliche Konzentration der Urbanisierung (Pu und die Instrumente der Regionalpolitik wurden ge
main 2004). rade erst eingeführt.
Die Erklärung für die lange Periode des Wachstums Es ist typisch für gesellschaftliche Paradigmen
der ländlichen Räume ist, dass einerseits die dezen (sog. Regime), dass grundlegende Wechsel erst
tralen Industrien bis in die 1990er-Jahre von Bedeu langfristig und zeitverzögert ihre Wirkung entfal
tung blieben, andererseits der wachsende Dienstleis ten. Tatsächlich wurde der Paradigmenwechsel
tungssektor dem gesellschaftspolitischen Konsens erst Mitte/Ende der l 990er-Jahre mit einem neu
der flächendeckenden Versorgung des Landes unter en Selbstbewusstsein der Städte räumlich sichtbar.
lag, nicht nur im Bereich der Gesundheitsversorgung Von da an kehrte sich die Entwicklung der Bevöl
und des Einzelhandels, sondern auch im Bankenwe kerung und der Arbeitsplätze um, was als „zweite
sen, im öffentlichen Verkehr und in der Infrastruktur Trendwende" bezeichnet wird. Diese Trendwende ist
allgemein. Dieser gesellschaftliche Konsens schuf mit einer Stärkung der Metropolfunktionen in den
die Grundlagen für eine entsprechende Regionalpo drei großen Zentren der Schweiz verbunden (Zü
litik. Das 1974 in Kraft getretene Investitionshilfe rich: Finanzdienstleistungen, Basel: Life Sciences,
gesetz für Berggebiete (IHG) kam zwar in Bezug auf Genf: Internationale Organisationen). Der Werkplatz
die Landflucht der l 950er-/l 960er-Jahre zu spät, Schweiz geriet in Schwierigkeiten (Crevoisier et al.
aber es stabilisierte ein gesellschaftliches Regime 2001, s. Kap. ,,Wirtschaft/Der Weg der Schweiz zum
des regionalen Ausgleichs, das eigentlich zu Beginn Werkplatz, Finanzplatz, Denkplatz und zurück") -
der l 970er-Jahre bereits am Ende war. Dieses als die ländlichen Räume und auch die mittelgroßen
„ fordistisches Modell" bezeichnete gesellschaftliche Agglomerationen blieben über die gesamte erste
Paradigma des regionalen Ausgleichs lässt sich mit Dekade des neuen Jahrtausends im Wachstum zu-
146 kturwandel im ländlichen Raum und in den Alpen
80,D
IAbb.1071 Anteil der ruralen Arbeitsplätze nach Wirt
schaftssektoren ( 1939-2008).
%
70,D
Primärer Sektor Erläuterung: Die ruralen Gebiete verlieren gegenüber den
urbanen Räumen im langfristigen Verlauf kontinuierlich an
Arbeitsplätzen. Dabei steigt ihr Anteil an den wertschöp
60,D fungsschwächeren Wirtschaftssektoren ( Landwirtschaft und
binnenmarktorientierte Industrie). Der Anteil der Arbeitsplät-
ze bei Dienstleistungen geht hingegen zurück, nachdem er
?
c
50,0 sich zwischen 1975 und 1998 stabilisiert hatte und zwi
sehen 1985 und 1995 sogar ein leichtes Wachstum aufwies.
{
40,0
Es kommt zu einer Zweiteilung: Auf der einen Sei
� te befinden sich die Kernstädte und suburbanen Ge-
30,0
Sekundärer Sektor ;ll
Schweiz
W biete der Metropolräume, in denen sich die globalen
20,0 � Entscheidungszentren konzentrieren, auf der anderen
Tertiärer Sektor 8 Seite die in die Metropolregionen integrierten ländli
10,0 §c chen Gebiete, die zu Pendlergemeinden oder Frei-
f zeitlandschaften werden. Sichtbar wird dies anhand
0,0 -'-,------,--,----,--,---,----,-----,--,-------,----,-----,--,---,---, j der Entwicklung der Arbeitsplätze im ländlichen
1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 _;; Raum (Abb. 107).
Jahr
] Die Berggebiete entwickeln sich dort stark, wo
die internationale Anbindung gegeben ist und die
rück. Mit der 2008 in Kraft getretenen „Neuen Re Landschaft das beste Image hat. Dazu gehören die
gionalpolitik", welche das IHG-Gesetz abgelöst hat, weltbekannten Destinationen St. Moritz, Davos, Zer
wurde die Schweizer Regionalpolitik nach Kriterien matt oder Crans-Montana, die sich vom traditionellen
regionaler Innovationspotenziale reorganisiert. Zu Tourismus zu resort towns und Filialen internationa
dem formulierte der Bund eine explizite Agglome ler Geschäftszentren weiterentwickelt haben. Zudem
rationspolitik, die v. a. Verkehrsvorhaben in städti gehören die Seeregionen insbesondere um Zürich,
schen Räumen fördert und erstmals eine dezidierte Genf, Luzern und Lugano dazu. Wo hingegen Investo
Intervention im urbanen Raum darstellt (s. Kap. ren kein Urbanisierungspotenzial sehen, also außer
„Siedlung und Landschaft/Agglomerationspolitik halb der Agglomerationen und Resorts, entwickeln
des Bundes"). sich die Berggebiete schwach (Abb. 108).
Die beiden Trendwenden der Schweizer Regional Diese polarisierende Entwicklung kann keinesfalls
entwicklung liefern zwei wichtige Ergebnisse: Erstens als „Verödung" der Peripherie bezeichnet werden.
zeigen sie, wie wandelnde Wertesysteme erst mit Die verschobene Bedeutung zugunsten der Metropol
beträchtlicher Verzögerung räumlich wirksam und räume einschließlich ihrer Alpenparks spiegelt eine
sichtbar werden. Zweitens belegen sie die Bedeutung veränderte Perzeption und Präferenz mit veränderten
politischer Regulationen, die auch für die regionale Sozialbeziehungen und Machtverschiebungen wider.
Ressourcenverteilung (Breiten- versus Spitzenförde Die neuen Wohn- und Freizeitnutzungen im Alpen
rung) einen gesellschaftlichen Konsens darstellen. raum stellen eine neue lnwertsetzung dar, bei der frü
Darüber hinaus bestätigt die über einen relativ lan here Gemeingüter wie Landschaftsqualität zu raren
gen Zeitraum befristet ausgesetzte H ierarchisierung und verkäuflichen Ressourcen werden. Nicht nur die
der Schweizer Territorialentwicklung einmal mehr Präferenzen sind neu, sondern auch die Akteure: Es
die eingangs wiedergegebene These, wonach in der ist jetzt eine mehrheitlich urbane Bevölkerung, die
Schweiz die Vermeidung regionaler Disparitäten über die Bedürfnisse formuliert und neue Standards setzt.
lange Zeit von besonderer Wichtigkeit gewesen ist.
In der Phase des wirtschaftlichen Strukturwandels Die maskierte Ungleichentwicklung
der l 990er-Jahre, als v. a. die Metropolitanregionen, Ein hervorragend ausgebautes Netz des öffentlichen
insbesondere Zürich und Genf-Lausanne wuchsen, Verkehrs, hohe soziale Mobilität sowie ein überdurch
ließ sich dieses Bekenntnis allerdings nicht mehr so schnittlicher Lebensstandard ermöglichen einen
konsequent einhalten. Wohnsitz im landschaftlich attraktiven Berggebiet
und das Arbeiten im ökonomisch und kulturell at
Metropolen und Parks traktiven urbanen Raum. Räumlich gesehen gibt es
Die Berggebiete werden als Freizeitlandschaften oder im Alpenraum keine „Armutstaschen" mehr, denn
Parks in die Metropolregionen (offizielle Bezeichnung Armut in der Schweiz ist heute (v. a.) ein urbanes
in der Schweiz: Metropolitanregion) integriert, jedoch Thema (vgl. Kap. ,,Soziale Disparitäten und Exklusi
politisch nur noch unterstützt, wenn sie sich urba on/Armut und Reichtum in der Schweiz").
nen Lebensformen öffnen. Die Metropolkerne benö Die heutigen regionalen Disparitäten lassen sich
tigen die Berggebiete, weil durch sie die notwendige nicht mehr in Einkommensunterschieden und Brut
landschaftliche und kulturelle Differenz entsteht, die toinlandsprodukt pro Kopf ausdrücken. Sie definieren
eine hohe Lebensqualität (amenities, Annehmlich sich vielmehr über eine Ungleichentwicklung der be
keiten) für hoch qualifizierte Arbeitskräfte darstellt sonderen Chancen und besonderen Lasten. Die um
und als Standortfaktor in Wert gesetzt werden kann. gekehrte Perzeption und Reputation der ländlichen
Räumliche Dispari
Räume und der Metropolregionen spielt dabei eine IAbb.108I Die ehemals selbstständige Gemeinde Casta
wichtige Rolle. Auch die internationalen Wanderun segna (190 EWJ an der Grenze zu Italien.
gen sind von großer Bedeutung. Die Zuwanderer, ob Erläuterung: Das Bergell Ist eines der drei italienlschsprachl
hoch oder gering qualifiziert, suchen zumeist den ur gen Südtäler Graubündens, die mit starker Bevölkerungsab
nahme zu kämpfen haben. Heute leben hier 1600 EW. 2010
banen Raum. Die urbane Bevölkerungsmehrheit be fusionierten die fünf Einzelgemeinden des Tales zur Gemeinde
stimmt durch ihr Konsum- und Abstimmungsverhal Bergei 1. Die ehemals selbstständige Gemeinde Castasegna ist
ten über die Nutzung der Berggebiete und ländlichen das letzte Dorf vor der Grenze zu Italien. Mit dem Abbau der
Räume, über Investitionen und Desinvestitionen mit. europäischen Grenzen sind den Randgebieten weitere, ehe
mals wichtige territoriale Funktionen verloren gegangen.
Investoren und Regionalpolitik ziehen sich aus poten
zialarmen Teilräumen zurück.
Nachdem die Alpen lange Zeit mythisch überhöht Aargau oder der Thurgau, die zur Aufnahme der sper
worden sind, ist jetzt eher das Gegenteil zu beobach rigen Infrastruktur prädestiniert scheinen und damit
ten: Die Schweiz sieht sich selbst als eine einzige zu „B-Regionen" werden: Hier finden sich Bahntras
Metropole - eine Entwicklung, die in den Nachbar sen, Brennstofflager, Billigläden, Baumärkte und Bra
staaten, in denen die Schweiz nach wie vor haupt chen, während die früher schlecht beleumundeten
sächlich als Alpenland gilt, zumeist nicht verstanden Kernstädte der Metropolregionen zu gesuchten „Me
wird. In den Alpen und im Jura sind v. a. die mittle tropolen der Annehmlichkeiten" geworden sind. Vor
ren Lagen negativ betroffen, denn sie sind in dop allem hoch qualifizierte alleinstehende Zuwanderer
pelter Hinsicht ein Zwischenraum: In der Vertikalen sind bereit, für kleinere Wohnungen mehr zu zahlen,
leiden sie unter mangelnder Schneesicherheit und was für Einheimische einen Verdrängungseffekt an
schlechter Erreichbarkeit, enge Talabschnitte bieten die Agglomerationsränder bedeutet (Graf et al. 2010).
wenig Sonne und Aussicht. 1 n der Horizontalen lie Die neuen Raumnutzungen mit der Unterteilung
gen sie zwischen zwei Metropolregionen, sind eben in hoch produktive Metropolen und Freizeitland
falls schlecht erreichbar um.l weilgetieru.l u111Jekc11111l. �cl 1dflen sind stark selektiv und nutzen in erster
Geographisch betrifft das v. a. die oberen Teile des Linie die kommerzialisierbaren Eigenschaften wie
Tessins, den Kanton Uri, die Surselva in Graubünden, Landschaftsschönheit, Ruhe und Renommee - Ei
das Gams im Oberwallis, das Napfgebiet zwischen genschaften, die häufig in der Form von mehreren
Luzern und Bern sowie im Jura das Grenzgebiet zu Wohnsitzen wahrgenommen werden. Die Auswirkun
Frankreich. Die Gebirgsfuß- und die Hochlagen hin gen dieser selektiven Nutzungen lassen sich in zwei
gegen sind funktional in die Metropolräume integ Punkten zusammenfassen:
riert und für diese zu einem hochwertigen Trumpf im ■ Die Tendenz zu einer Aufteilung des Lebens
Standortwettbewerb geworden. Es sind daher weniger alltags auf Stadt- und Landwohnung entkräftigt
die Alpen, die von Disparitäten negativ betroffen sind, das Argument, das dem verdichteten Wohnen in
als andere, weniger spektakuläre Landesteile wie der den Städten eine haushälterische Flächennutzung
148 itJU 1r\A/andel im ländlichen Raum und in den Alpen
bescheinigt - ein Argument, das v. a. gegen die drain dieser Regionen zunimmt (Egger et al. 2003).
Landschaftszersiedelung angeführt wird. Dies gilt Deshalb hat sich nicht nur die Wahrnehmung von
insbesondere, wenn der zur Distanzüberbrückung Stadt und Land zugunsten der Metropolräume ver
notwendige Verkehr miteingerechnet wird. ändert, sondern auch die reale Bedeutung.
■ Darüber hinaus bedeuten die neuen selektiven Nut Damit hat sich die Ausdifferenzierung in Entschei
zungen, dass die Zukunftschancen der einzelnen dungs- und Ausführungsregionen weiter polarisiert.
Regionen langfristig stark eingeengt werden. Regio Die Einkommensdisparitäten sind großräumig zwar
nen, die nur als Wohn- und Freizeitregionen genutzt kleiner geworden, die Disparitäten der regionalen
werden, verlieren die attraktivsten Arbeitsplätze, Entwicklungschancen hingegen gewachsen. Die be
und die Bevölkerungsstruktur verändert sich zu schriebenen Ungleichentwicklungen können daher
gunsten vorwiegend konsumierender Einwohner, die als „neuartige regionale Disparitäten" bezeichnet
nur zeitweise anwesend sind. Dabei steigt durch werden. Sie sind Ergebnis großräumiger räumlicher
aus die am Ort zur Verfügung stehende Kaufkraft. Arbeitsteilungen und veränderter ökonomischer und
Die Zuwanderer sind jedoch ortsungebunden; es ist politischer Kräfteverhältnisse. Für die Metropolen
ungewiss, inwieweit sie sich am Ort innovativ oder und Parks scheint es positive Entwicklungsperspekti
passiv verhalten. Für junge Leute bieten sich hinge ven zu geben, für die Gebiete dazwischen stehen die
gen geringe Arbeitsmöglichkeiten, sodass der brain Lösungen noch aus.
Die Schweiz ist ein Grasland schaftliche Produkte und Dienstleistungen im Wert
Zur Schweiz gehören verschiedene Kulturen und von 8,3Mrd.CHF. Dabei stammten 4,8Mrd.CHF oder
Sprachen. Genauso vielfältig sind auch die Land 58% aus dem Verkauf von tierischen Erzeugnissen,
schaften: Hohe Gebirge, tiefe Täler, steile Berg 2,5Mrd.CHF oder 30% von pflanzlichen Produkten
wiesen und Hügelgebiete machen rund zwei Drittel und rund 1Mrd.CHF aus vielfältigen Dienstleistun
der Landesfläche aus. Äcker, Wiesen, Wälder und gen wie z.B. dem Verkauf von Produkten aus dem
Siedlungen prägen das flache Mittelland, das Ge Hofladen, agrotouristischen Angeboten oder aus Ar
biet zwischen Jura und Alpen, wo die Bedingun beiten, die für Dritte erledigt werden (vgl. Abb. 111)
gen für die Landwirtschaft am besten sind, die Mit der inländischen Produktion können rund
Bevölkerungsdichte aber auch am höchsten ist. 60 % des Verbrauchs der Schweizer Bevölkerung
Entsprechend begehrt ist das vorhandene Kultur gedeckt werden. Bei tierischen Produkten sind es
land. über 90 % und bei den pflanzlichen Erzeugnissen
Von der gesamten Landesfläche nutzt die Land etwa 45%. Die Schweiz ist also auf den Import ei
wirtschaft rund 38 %. Ein Drittel dieser landwirt nes erheblichen Teils der Kalorien angewiesen. In
schaftlich genutzten Flächen entfallen auf die Alp den letzten Jahren hat sich auch der Export stark
flächen. Im Sommer weiden dort während rund drei entwickelt, wobei nebst Käse v. a. verarbeitete Pro
Monaten um die 140 000 Kühe, 120 000 Stück dukte wie Schokolade oder Suppen und Saucen
Jungvieh, 25 000 Schafe und 6000 Ziegen. Auf ausgeführt werden. Insgesamt wurden 2010 Land
vielen Alpen wird die Milch an Ort und Stelle zu wirtschaftsprodukte im Wert von ll,5Mrd.CHF ein
würzigem Alpkäse verarbeitet, der keine Absatzpro geführt. Demgegenüber wurden Produkte im Wert
bleme kennt. Auch bei den eigentlichen landwirt von 7,8Mrd.CHF ausgeführt. Die EU ist dabei der
schaftlichen Nutzflächen dominieren Wiesen und wichtigste Handelspartner: Drei Viertel der impro
Weiden (Abb. 109, Abb. 110), denn knapp 60 % tierten Landwirtschaftsprodukte stammen aus dem
der landwirtschaftlichen Nutzflächen von etwas EU-Raum und über zwei Drittel werden dorthin ex
über 1 Mio. ha oder rund 25 % der Gesamtlandes portiert.
fläche liegen im Hügel- und Berggebiet, dem Ge Wie in anderen industrialisierten Ländern ist der
biet, das sowohl klimatisch als auch topographisch Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandprodukt
für Ackerbau wenig geeignet ist. In den letzten mit 0,8 % relativ bescheiden. Zusammen mit den
Jahrzehnten sind die landwirtschaftlich genutzten der Landwirtschaft vorgelagerten Branchen und der
Flächen allerdings laufend zurückgegangen, im Verarbeitungsindustrie und dem Handel sind es 7%.
Mittelland v. a. wegen Siedlungsbau und Verkehr, Total sind in der Ernährungswertschöpfungskette der
auf den Alpflächen als Folge der Aufgabe der Schweiz 400 000 Personen beschäftigt, was 9% an
Bewirtschaftung. der Gesamtbeschäftigung ausmacht.
IAbb.1091 Landwirtschaft
in der Schweiz.
sonstige pflanzliche
Erzeugnisse 2%
Milch 26%
Wein 5%
58% Obst 6%
Wiesen
und Gemüsebau 8%
Weiden Rindvieh
Kartoffeln,
Zuckerrüben 4% '�----
15%
Getreide 5%
Schweine 11 %
sonstige tierische
Erzeugnisse 1 % Geflügel, Eier 5%
Anzahl Betriebe Veränderung pro Jahr in % in Frankreich oder Deutschland. In Österreich, das
fi bezüglich seiner naturräumlichen Voraussetzungen
1990 2000 2010 1990-2000 2000-2010 J am ehesten mit der Schweiz vergleichbar ist, sind die
Betriebe 92815 70 537 59 065 -2,7 -1,8 !
Betriebsgrößen ähnlleh wie In der Schweiz.
Talregion
Hügelregion
41590
24541
31 612
18957
26297
16221
-2,7
-2,5
-1,8
-1,5
j
Multifunktionalität und Nachhaltigkeit:
� zwei Pfeiler der Schweizer Agrarpolitik
Bergregion 26684 19968 16547 -2,9 -1,9 i:;Die Schweizer Landwirtschaft wird von der Gesell
J�sc haft getragen. Das Schweizer Volk hat 1996 mit
Haupterwerb 64242 49239 41 434 -2,6 -1,7
�';großem Mehr einem Verfassungsartikel tür die Land
Nebenerwerb 28573 2 1 298 17 631 -2,9 -1,9 ��wirtschaft zugestimmt. Die darin verankerten Ziele
Besc::häftigte 253561 203 793 167 462 -2,2 -1,9 2,:':machen deutlich, dass die Landw irtschaft in der
�;Schweiz Aufgaben erfüllt, die über die reine Nah
1 Tab. 27 I Entwicklung der Anzahl der Betriebe und der Beschäftigten.
J�rungsmittelproduktion hinausgehen. Solche weitere
Aufgaben der Landwirtschaft sind die Erhaltung der
Betriebe oder rund drei Viertel betreiben Landwirt natürlichen Lebensgrundlagen, die Landschaftspfle
schaft als Haupttätigkeit. Gerade im Berggebiet der ge und dezentrale Besiedlung. Man spricht deshalb
Schweiz haben traditionellerweise viele Landwirte von der Multifunktionalität der Landwirtschaft. Die
noch ein weiteres, teils saisonales, außerlandwirt se Leistungen liegen im öffentlichen Interesse der
schaftliches Einkommen. Schweiz, lassen sich über den Markt aber nur teil
2010 waren in der Schweiz 167 000 Personen, weise oder gar nicht abgelten. Direkte Zahlungen an
davon 61000 Frauen und 106 000 Männer, in der die Landwirte sind deshalb ein fester Bestandteil der
Landwirtschaft tätig. 45 % waren Vollzeit beschäf Schweizer Agrarpolitik.
tigt (Frauen: 20%, Männer: 60%). Im Durchschnitt Der zweite wichtige Pfeiler der Schweizer Agrar
bewirtschaftet ein Landwirtschaftsbetrieb in der politik ist die Nachhaltigkeit. Die Schweizer Land
Schweiz 18ha Land. In der Regel steht hinter dem wirtschaft soll die Leistungen mit einer nachhalti
Betrieb eine Familie - entsprechend sind die Fami gen, auf den Markt ausgerichteten Produktion er
lienbetriebe das Rückgrat der Schweizer Landwirt bringen. Klar ist damit auch, dass das Schweizer
schaft. Im Durchschnitt liefert ein Betrieb pro Jahr Volk eine produzierende Landwirtschaft will und das
rund 125 000 kg Milch an die Molkereien und Kä vorhandene Produktionspotenzial optimal genutzt
sereien. Insgesamt werden in der Schweiz 3,4 Mio. t werden soll.
Milch verarbeitet, und 600 000 Kühe stehen in den Die konkreten agrarpolitischen Maßnahmen der
Ställen der Milchproduzenten. Schweiz werden in drei Bereiche eingeteilt:
Mit ihrer durchschnittlichen Größe der landwirt ■ Produktion und Absatz: Schaffung guter Rahmen
schaftlichen Betriebe (Abb. 1 12) liegt die Schweiz bedingungen für Produktion und Absatz von Nah
in Europa im Mittelfeld. In osteuropäischen Län rungsmitteln, z.B. Unterstützung bei der Qualitäts
dern, aber auch in Italien, sind die Betriebe im produktion und Qualitätssicherung, bei der Absatz
Durchschnitt kleiner. In osteuropäischen Ländern förderung, bei der Kennzeichnung von Produkten
gibt es fast überall sehr viele Kleinstbetriebe mit nur oder bei der Organisation in Produzenten- oder
2-3 ha, daneben aber auch wenige sehr große Be Branchenorganisationen.
triebe. Mehr Fläche pro Betrieb als in der Schweiz ■ Direktzahlungen: Diese Zahlungen gelten Leistun
wird v. a. in Regionen bewirtschaftet, in denen die gen zugunsten der Gesellschaft wie das Offenhal
natürlichen Bedingungen besser sind, viel flaches ten und die Pflege der Kulturlandschaft oder die
Land vorherrscht und Ackerbau betrieben wird, so Förderung von Flächen für die Biodiversität ab. Di
rektzahlungen erhält nur, wer nachweist, dass bei
1 Abb. 112 I Betriebsgröße der Bewirtschaftung strenge ökologische Vorgaben
im europäischen Vergleich. Rumänien
eingehalten werden.
Griechenland ■ Grundlagenverbesserung: Mit diesen Maßnahmen
Polen - werden Investitionen in Strukturen unterstützt,
8c
�j die sowohl eine effiziente als auch ökologische
Ungarn
Niederlande
r_!i_:=_:=�====:===�:=_:=_:=_:=�_:=_:=_:=��-�
Deutschland ��Umfassende Reform der Agrarpolitik
Frankreich �jauf inneren und äußeren Druc�
Vereinigt. �-';Ende der 1980er- und zu Beginn der l990er-Jah
Königreich ��re waren häufig negative Meldungen zur Schweizer
0 10 20 30 40 50 60 ��Landwirtschaft zu hören und zu lesen. Begriffe wie
landwirtschaftliche Nutzfläche (ha) - u
8§,,Butterberge", ,,Milchseen" oder „Umweltsünder"
Struktur der Landwirtschaft und Wandel der Agrarpol' 151
machten die Runde. Der Landwirtschaft wurde vor Duft und die intensiven Farben der Rapsfelder sowie
geworfen, sie produziere zu viel, verursache zu hohe blühende Obstbäume im Vorsommer sind nur einige
Kosten, räume die Landschaft aus und verschmutze Beispiele für Leistungen, die es ohne Landwirtschaft
die Umwelt. Gleichzeitig hatte das Bild einer klein nicht gäbe.
strukturierten und umweltschonend produzierenden
Landwirtschaft in der Gesellschaft eine große Strahl Unternehmerischer
kraft. Die 1985 eingereichte erste Kleinbauerniniti Handlungsspielraum der Landwirte
ative, die eine beträchtliche Anhängerschaft hatte, Mit dem Inkrafttreten des neuen Landwirtschafts
gab dieser Sehnsucht vieler Schweizerinnen und gesetzes 1999 begann eine neue Ära. Preis- und
Schweizern ein konkretes Gesicht. Kontrapunkt zu Absatzgarantien, die seit dem Zweiten Weltkrieg die
diesen idyllischen Vorstellungen bildete die Uruguay Schweizer Agrarpolitik bestimmt hatten, fielen sofort,
Runde des GATT, in der seit Mitte der l 980er-Jahre oder wie bei der Milch, schrittweise weg. Der Bund
darüber verhandelt wurde, die Landwirtschaft in das zog sich weitgehend aus den Märkten zurück. Auf
Welthandelssystem zu integrieren. Der Schutz der rechterhalten blieb hingegen der Grenzschutz, der
Landwirtschaft sollte reduziert und landwirtschaftli nach dem Abschluss der Uruguay-Runde des GAT T
che Produkte sollten, wie andere Güter auch, mög zwar reduziert werden musste, aber nach wie vor ein
lichst frei gehandelt werden. höheres Preisniveau als in der EU ermöglichte.
Dieser Druck von innen und außen war Antriebs Der Rückzug des Bundes aus dem Marktbereich
kraft für die umfassende Schweizer Agrarreform, die fordert die Schweizer Landwirte verstärkt als Unter
1993 mit der Reduktion von Milch-, Fleisch- und nehmer: Sie haben zwar mehr Handlungsspielraum,
Getreidepreisen sowie der Einführung von einkom aber auch mehr Druck. Schweizer Bauernfamilien
mensergänzenden und ökologischen Direktzahlungen sind mit großem Engagement neue Wege gegangen
eingeleitet wurde. Damit war das Feld vorbereitet, und haben dabei Risiken auf sich genommen. Lange
um die Konsequenzen des GAT T-Abschlusses von bewährte Konzepte wurden überdacht, neu auf den
1994 verkraften zu können, der den internationalen Weg gebracht oder gar über Bord geworfen. Produ
Handelsverkehr liberalisierte und protektionistischen ziert wird sowohl bei der Tierproduktion als auch im
Maßnahmen und Handelshemmnissen, insbesonde Ackerbau immer mehr von spezialisierten Profis, und
re bei der Landwirtschaft, entgegenwirkte. Mit den immer häufiger bauen Landwirte gemeinsam tierge
ökologischen Direktzahlungen wurden Anreize ge rechte und arbeitssparende Ställe. So sind z.B. be
schaffen, um der Ökologie einen höheren Stellenwert reits rund 200 Melkroboter im Einsatz. Mit der Auf
einzuräumen. hebung staatlicher Garantien müssen die Landwirte
1 n den Jahren nach 1993 wurden in teilweise den Absatz ihrer Produkte auch wieder selber in die
schwierigen und für viele Beteiligte schmerzhaften Hand nehmen. Sie organisieren sich nun in Produ
Prozessen Lösungen für die umfassende Reform der zenten- oder in Branchenorganisationen zusammen
Agrarpolitik erarbeitet. Die Veränderungen waren der mit Partnern aus der Verarbeitung und teilweise dem
art grundsätzlich, dass die Reform in der Schweiz ein Handel.
neues Landwirtschaftsgesetz zur Folge hatte, welches Gemäß Verfassung soll die Schweizer Landwirt
das alte Landwirtschaftsgesetz von 1951 ablöste und schaft ihre vielfältigen Leistungen erbringen, indem
am 1. Januar 1999 in Kraft trat. Basierend auf dem sie Rohstoffe und Nahrungsmittel produziert. Die
Verfassungsartikel stellte das neue Gesetz zur Land Landwirtschaft kommt diesem Auftrag nach und
wirtschaft sowohl formell als auch inhaltlich einen konnte ihre Produktion im Vergleich zum Anfang der
Meilenstein in der Schweizer Agrarpolitik dar: for l 990er-Jahre sogar noch leicht steigern: So ist die
mell, weil es erstmals eine Vielzahl agrarpolitischer Produktion pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzflä
Erlasse in einem Einheitsgesetz zusammenfasste; che um rund 9% gestiegen. Dies ist umso bemer
inhaltlich, weil es Neuerungen umsetzte, die für kenswerter, als die Märkte heute weit offener und der
die Schweizer Landwirtschaft von großer Tragweite Absatz der Erzeugnisse nicht mehr staatlich garan
waren. tiert ist. Diese Entwicklung wie auch die Zunahme
Die Agrarreform steht für einen großen Wandel in bei der Arbeitsproduktivität zeugen vom technischen
der Schweizer Agrarpolitik. Mehr Markt, eine sozial Fortschritt und der Innovationskraft der Landwirt
verträgliche Entwicklung und mehr Ökologie waren schaft.
Stichworte für die Ziele der Reform, kurz zusammen Etwa 10 000 der insgesamt 60 000 Landwirt
gefasst: eine nachhaltige Entwicklung. Dies bedeu schaftsbetriebe liefern heute Rohstoffe für die
tet, dass ökonomische, soziale und ökologische Ziele gefragten Produkte mit geschützter Ursprungsbe
bei der Ausgestaltung der agrarpolitischen Rahmen zeichnung (GUB) wie dem Gruyere-Käse oder ge
bedingungen den gleichen Stellenwert haben sollen. schützter geographischer Angabe (GGA) wie der
Vision für die Schweizer Agrarpolitik ist eine multi St. Galler Bratwurst. Zusammen mit mehr als 1300
funktionale Landwirtschaft, die neben der marktge Verarbeitungsbetrieben stellen sie über 70 000 t
rechten, sozialverträglichen und umweltschonenden der renommierten Spezialitäten her. Der jährliche
Produktion von Nahrungsmitteln Leistungen erbringt, Umsatz hat mittlerweile die 700-Millionen-Marke
die nicht auf dem Markt eingekauft und schon gar (inCHF) überstiegen. Mehr als 6000 Betriebe in der
nicht importiert werden können. Sattgrüne Wiesen Schweiz produzieren biologisch und tragen damit
mit weidenden Tieren, wogende Ährenfelder, der zur Befriedigung einer weiter steigenden Nachfrage
152 rO�t.i,irw.andel im ländlichen Raum und in den Alpen
Ökologische Produktion
der Schweizer Landwirtschaft
Landwirtschaft bedeutet Eingriffe in die Natur, ohne
die es nicht möglich wäre, die Bevölkerung zu ernäh
IAbb.1131 Der größte nach biologischen Lebensmitteln bei. Eine weitere ren. Nach den Erfahrungen des zweiten Weltkrieges
Felsenkel/er der Schweiz Stärke der Schweizer Landwirtschaft sind die Pro war es in der Schweizer Bevölkerung lange Zeit un
(Kaltbach-Höhle) am dukte aus dem Berggebiet oder von der Alp, v. a. bestritten, dass in der Landwirtschaft die Produkti
Rande des Wauwiler Moo on von Nahrungs- und Futtermitteln im Vordergrund
Milch- und Fleischerzeugnisse. Diese werden nicht
ses im Kanton Luzern.
nur in der Region erfolgreich vermarktet, sondern stehen muss. Erst in den 1980er-Jahren wurden die
auch die Großverteiler haben entsprechende Label negativen Folgen der einseitigen Ausrichtung auf die
geschaffen, weil sie bei den Schweizer Konsumen reine Produktion für die Landschaft und für die Um
ten beliebt sind. welt immer deutlicher wahrgenommen und zuneh
Für Schweizer Konsumenten lohnt es sich heute mend kritisiert.
weniger als früher, im benachbarten Ausland ein Die Ökologie wurde darum zu einem wichtigen
kaufen zu gehen, weil sich der Preisabstand v. a. in Pfeiler der Schweizer Agrarreform, was in dem neuen
den letzten Jahren verringert hat. In der Schweiz Verfassungsartikel (Art. 104) klar zum Ausdruck kam.
sind zwar die Ausgaben für Nahrungsmittel in ab Darin wurde explizit festgehalten, dass für den Be
soluten Zahlen nach wie vor höher als in den Nach zug von Direktzahlungen ein ökologischer Leistungs
barstaaten, doch Frische, Qualität und Auswahl sind nachweis erbracht werden muss. Dieser war nebst der
Spitzenklasse, und mit rund 7 % zählt der Anteil Aufhebung der Preis- und Absatzgarantien ein Kern
an den Haushaltausgaben zu den niedrigsten in element der Reform. Einen bedeutenden Beitrag zur
Europa. Verbesserung der Situation leisteten vier der sechs
Voraussetzungen für die Erfüllung des ökologischen
Sozialverträglichkeit trotz großer Umwälzungen Leistungsnachweises: eine ausgeglichene Düngerbi
Zu Beginn der Agrarreform gab es eine große Unsi lanz, eine geregelte Fruchtfolge, ein gezielter Einsatz
cherheit und viele Befürchtungen, u. a. dass die stär von Pflanzenschutzmitteln sowie ein geeigneter Bo
kere Marktausrichtung viele Bauernfamilien vor exis denschutz. Diese Maßnahmen haben Wirkung gezeigt:
tenzielle Probleme stellen werde, da sie nicht mehr Stickstoff und Phosphor werden heute effizienter ein
in der Lage seien, ein ausreichendes Einkommen zu gesetzt als noch vor 15 bis 20 Jahren. So wurde etwa
erzielen. In der Tat reduzierte der Wegfall von Preis der Überschuss beim Einsatz von Phosphordünger
und Absatzgarantien die Erlöse aus dem Produktver seit 1990 von rund 20 000 auf rund 5000 t redu
kauf, doch der Ausbau der Direktzahlungen in der ziert. Auch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln
Landwirtschaft ermöglicht zumindest teilweise einen wurde laufend optimiert. Zudem wurden 2008 sog.
Ausgleich und erlaubt die Entschädigung für die über Ressourcenprogramme eingeführt, und heute werden
den Markt nicht bezahlten Leistungen. 120000ha als ökologische Ausgleichsflächen (ÖAF)
Die Schweizer Bauernfamilien wollen für ihre Ar bewirtschaftet, was 11 % der landwirtschaftlichen
beit angemessen entlohnt werden und an der all Nutzfläche entspricht (Abb.114).
gemeinen Wohlstandsentwickl ung tei I haben. Der Nicht nur Äcker, Wiesen, Weiden, Rebberge,
Abstand zwischen dem Arbeitsverdienst in der Land Obstbäume, weidende Tiere, blumengeschmückte
wirtschaft und jenem der übrigen Bevölkerung ist seit Bauernhäuser oder moderne Stallbauten prägen das
Beginn der Reform etwa gleich hoch geblieben, wobei Bild in den ländlichen Gebieten der Schweiz. Seit
er in der Bergregion größer ist als im Tal. Schon seit der Agrarreform reichern wieder vermehrt Hecken,
Struktur der Landwirtschaft und Wandel der Agr�(P.olf�lk 153
Tiere war bei der Agrarreform ebenfalls ein großesj� ökolQg1<che Ausgleichs- ökologische Ausgleichs- ökologische Ausgleichsflächen
-
Anliegen, weswegen auch der Tierschutz eine An-:� - flai;hen vor 2002 flächen ab 2002 von besonderer biologischer
forderung beim ökologischen Leistungsnachweis ist. J�
Qualität und/oder Vernetzung'
pflege wichtig. Nur 16 % finden, die Landwirte lehn erfolgreichen, ökologisch optimalen und sozial ver
ten ökologische Produktionsformen ab. In letzterem antwortungsbewussten Nahrungsmittelproduktion die
Bereich hat der stärkste Meinungswandel stattgefun Bedürfnisse der Konsumenten und die Erwartungen
den, wurde doch diese Aussage im Jahr 2000 noch der Bevölkerung erfüllen.
von knapp einem Drittel der Befragten bejaht. Für Multifunktionalität und Nachhaltigkeit sind heu
die Befragten sind drei Aufgabenfelder der Land te Begriffe, die auch international immer mehr an
wirtschaft besonders wichtig: die Produktion von Le Bedeutung gewinnen. Die Begriffe sind dabei nicht
bensmitteln, die umweltfreundliche Bewirtschaftung nur Worthülsen geblieben, sondern wurden mit kon
sowie die tierfreundliche Haltung. Am wenigsten kreten Inhalten gefüllt. So hat sich in der Schweiz
Bedeutung wird der Besiedlung abgelegener Gebiete eine unternehmerisch und gleichzeitig ökologisch
beigemessen. ausgerichtete Landwirtschaft entwickelt, die Agrar
produkte von hoher Qualität produziert, maßgeblich
Ausblick zu einem vielfältigen Landschaftsbild beiträgt und
Im August 2010 veröffentlichte das Bundesamt für mit zahlreichen Initiativen die Vitalität der ländli
Landwirtschaft das Strategiepapier „Land- und Er chen Schweiz stärkt. Mit der Strategie „Land- und
nährungswirtschaft 2025": Im Jahr 2025 soll die Ernährungswirtschaft 2025" wird dieser Weg konse
Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft multi quent weiterverfolgt.
funktional und nachhaltig, also mit einer ökonomisch
Im Folgenden wird gezeigt, wie die Schweizer Po Mitte des 20. Jh. war die Schweiz eindeutig ein Indus
litik im laufe der letzten Jahrzehnte auf den wirt trieland: 45 % der Beschäftigten waren im sekundär
schaftlichen und regionalen Strukturwandel des Lan en Sektor tätig. Nach 1960 setzte die Desindustriali
des reagierte. Anfang 2008 traten zwei für die räum sierung ein und 2009 beschäftigte die Industrie nur
liche Entwicklung der Schweiz wichtige Reformen in noch 23 %. Auf den tertiären Sektor, die Dienstleis
Kraft, die inhaltlich miteinander zusammenhängen: tungen, entfielen 73,3 % der Erwerbstätigen, während
der Neue Finanzausgleich (NFA) und die Neue Regi es 1950 erst 38 % gewesen waren (Abb. 116).
onalpolitik (NRP). Der höhere Anteil des primären und der niedrigere
Anteil des tertiären Sektors hatten in den ländlichen
Wirtschaftlicher und regionaler Strukturwandel Gebieten hinsichtlich der Beschäftigung ein unter
Während in der Schweiz 1950 17 % der Erwerbstäti durchschnittliches Wachstum zur Folge. Auch be
IAbb.1151 Haus der gen in der Land- und Forstwirtschaft, also im primä züglich Wertschöpfung und Einkommen verloren sie
Kantone in Bern. ren Sektor arbeiteten, waren es 2009 nur noch 3, 7 %. gegenüber den städtischen Gebieten an Boden. Wie
reagierte die Schweizer Politik auf diesen Struktur
wandel? Soweit sich die Disparitäten in Unterschie
den zwischen finanzstarken und finanzschwachen
Kantonen äußerten, führten sie zum Finanzausgleich.
Standen hingegen das Stadt-Land- und das Zentrum
Peripherie-Gefälle im Vordergrund, zeigte sich der
Wunsch nach einer ausgleichenden Regionalpolitik.
• -
ten, was auf Bundesebene beschlossen worden war. teilung zwischen Bund und Kantonen (kurz Neuer
Finanzausgleich oder NFA) besteht aus sechs Ele
mittelstarke menten:
Kantone ■ der Aufgabenentflechtung Bund-Kantone: Von 31
Gemeinschaftsaufgaben wurden im Zuge der Auf
gabenentflechtung 15 Aufgaben vollständig in die
Zug Schwyz Graubünden Verantwortung der Kantone und sechs in diejenige
Basel-Stadt Basel-Landschaft Freiburg des Bundes verlagert.
Genf Aargau Uri ■ der vertikalen Zusammenarbeit Bund-Kantone: Bei
Bundesaufgaben, die durch die Kantone vollzo
Zürich Waadt Jura
gen werden, beschränkt sich der Bund inskünftig
Nidwalden Schaffhausen Wallis darauf, strategische Entscheidungen zu treffen.
Tessin Obwalden Die operativen Belange sind Sache der Kantone.
Thurgau Diese neue Form der vertikalen Zusammenarbeit
St. Gallen zwischen Bund und Kantonen soll verhindern, dass
0
Glarus die Kantone sich v. a. darum bemühen, hohe Bun
i Solothurn desbeiträge zu ergattern.
Bern ■ der interkantonalen Zusammenarbeit mit Lasten
Luzern ausgleich und Abgeltung von spillovers: 1 n den
Neuenburg Metropolregionen stimmen angesichts der his
Appenzell Ausserrhoden torisch gewachsenen Kantonsgrenzen die räum
Appenzell lnnerrhoden lichen Kreise der Nutznießer, Kostenträger und
Entscheidungsträger von öffentlichen Leistungen
immer weniger überein. Spil/overs (räumliche ex
j I Tab. 281 Einteilung der Kantone nach Finanzkraft für terne Nutzen und Kosten) erschweren die optimale
.li' die Jahre 2006/2007, vor Inkrafttreten des Neuen
t Finanzausgleichs. Versorgung der Bevölkerung. Diesen Mangel will der
Neue Finanzausgleich durch Regeln zur interkanto-
156 f:1.1 turwandel im ländlichen Raum und in den Alpen
BS IAbb.1181 Ausgleichszah
lungen der einzelnen Kan
tone im Jahr 2010.
VD
JU 104,2 1534
0 25 50km vs 420,5 1451
GL 52,0 1363
ow 38,5 1161
FR 293,7 1148
Ausgleichszah I ungen Leistung der ressourcenstarken TG 233,2 995
2010 in Mio. CHF Kantone pro Einwohner 948
SG 437,1
Kantone erhalten AR 46,7 890
Gesamt in Mio. CHF pro Person in CHF
- mehr als 300 LU 310,8 873
ZG 215,6 203?.
- von 100 bis 300 BE 787,5 -817
GE 314,5 -721
so 190,8 -773
weniger als 100 BS 110,3 -578
GR 125,8 -657
Kantone bezahlen
ZH 617,7 -478
Al 9,6 -642
sz 60,8 -445
AG 210,l -370
weniger als 100
NW -375
- von 100 bis 300 VD
14,7 Tl 20,9 l 65
BL
56,9 1102
NE 11,0 l 65
- mehr als 100 4,7 1 18 SH 4,0 1 55
über 20 Mrd. CHF gefördert werden. Die vom Bund zeine Gebiete im Tessin, im Glarnerland und in der
eingesetzten Mittel betrugen 3,2 Mrd. CHF. In den Al Ostschweiz. In der Folge setzte sich der Bund 1979
pen, Voralpen und im Jura wurden 54 !HG-Regionen mit den Finanzierungsbeihilfen zugunsten wirtschaft-
gefördert (Abb. 119). Das Fördergebiet umfasste über 1 ich bedrohter Regionen - nach dem damaligen Di
1200 Gemeinden, zwei Drittel der Landesfläche und rektor des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und
ein Viertel der schweizerischen Bevölkerung (Frey Arbeit meist als Bonny-Beschluss bezeichnet - das
2008: 122). Ziel, die Abhängigkeit von einzelnen dominierenden
Das IHG hat zwar die interkommunale Zusam Branchen abzubauen. Im Rahmen des Bonny-Be
menarbeit im Berggebiet und auf diese Weise die schlusses konnte der Bund in Zusammenarbeit mit
Idee „Region" deutlich gefördert, und die Investiti den Kantonen und Banken Zinsvergünstigungen und
onshilfe des Bundes hat auch dazu beigetragen, die Steuererleichterungen gewähren und mit der Über
Wohnattraktivität im Berggebiet zu verbessern, doch nahme von Bürgschaftsverpflichtungen die F inan
führte sie nicht zu einem signifikanten Anstieg der zierung von privaten Investitionen erleichtern. Damit
unternehmerischen Aktivitäten in wirtschaftsschwa sollten Innovationen, Diversifikationen, Betriebs
chen Regionen - im Gegenteil: Seit 1998 haben erweiterungen und Neugründungen gefördert werden.
sich die Probleme dieser Gebiete sogar verschärft. Zahlreiche Kantone bauten in den 1970er-Jahren
Eine Evaluation der Universität St. Gallen (Bieger ihrerseits eine Wirtschaftsförderung auf, die, wie
et al. 2004) spricht von einer „ frappanten Wachs der Bonny-Beschluss, mit Steuererleichterungen,
tumsschwäche". Zinsvergünstigungen und Bürgschaften - ergänzt
durch die Zurverfügungstellung von Grundstücken
Regionale Wirtschaftsförderung und Liegenschaften - arbeitete. Diese Kantone
Mitte der 1970er-Jahre wurde die ganze Schweiz von setzten durch, dass der jeweils befristete Bonny
einem starken Konjunktureinbruch erfasst (reales Beschluss immer wieder verlängert wurde. Weil es
BIP 1975: -7,3%, 1976: -1,4%). Besonders stark unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftsförderung
betroffen waren die Uhrenregionen im Jura sowie ein- wenig attraktiv ist, von „wirtschaftlich bedrohten
158 t k\urwandel im ländlichen Raum und in den Alpen
�
28 St:hw,mrr.11M«
29 1r111Cn\eho1d TG
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184 Pri\fipil
185 Schainfr
187 Bfff:lll_ju.
54 1 HG-Regionen
der Schweiz 0 25 50km
Regionen" zu sprechen, ging man in den 1990er andere als regionalpolitische Ausgleichsmotive im
Jahren zum Begriff „wirtschaftliche Erneuerungsge Vordergrund. Seit 1967 gibt es spezielle Hotel- und
biete" über (Abb.120). Kurortskredite, seit 1976 Bürgschaften und Zinskos
tenbeiträge für kleine und mittlere Unternehmungen
Zusätzliche kleinere Förderprogramme (KMU) im Berggebiet, seit 1997 „Regio Plus" zur
Neben dem IHG und dem Bonny-Beschluss ver Unterstützung des Strukturwandels im ländlichen
abschiedete der Bund noch eine Reihe kleinerer Raum, seit 1998 „lnnoTour" zur Förderung von Inno
Förderprogramme. Dabei standen allerdings meist vation und Zusammenarbeit im Tourismus und seit
1990 „lnterreg" zur Förderung der grenzüberschrei relevanten Sektoralpolitiken gehören insbesondere
tenden Kooperation. die Landwirtschafts-, die Umwelt- und die nationa
le lnfrastrukturpolitik (v. a. Nationalstraßen und die
Neue Regionalpolitik Neue Eisenbahn-Alpentransversale NEAT) sowie die
Unter dem Druck der Globalisierung und des ver Raumplanung. Die meisten dieser Politikbereiche
schärften internationalen Standortwettbewerbs seit verfügen über deutlich größere finanzielle Mittel als
Ende der l 990er-Jahre wurden verschiedene Poli die Regionalpolitik.
tikbereiche des Bundes einer Revision unterzogen.
Vereinfacht formuliert ging es darum, die Wettbe Einschätzung der Reformen
werbsfähigkeit der Firmen, Branchen und Regionen In einem ausgeprägt föderalistischen Land wie der
zu stärken. Schweiz besteht die Gefahr, dass die hohe Kantons
Auch die Regionalpolitik erfuhr eine Neuaus und Gemeindeautonomie zu einem Auseinanderdrif
richtung, deren Auslöser der Neue Finanzausgleich ten der einzelnen Gebietskörperschaften führt. Mit
war. Weil dieser den Disparitätenabbau wirksamer dem 1959 geschaffenen Finanzausgleich und den ab
erreicht, konnte die Regionalpolitik von dieser Auf den 1970er-Jahren entwickelten regionalpolftischen
gabe entlastet werden. Sie kann sich nunmehr auf Programmen versuchte der Bund, regionale Dispari
die Wachstums- und Innovationsförderung konzent täten zu verringern. Die entsprei;:henden Maßnahmen
rieren. Ansatzpunkt der Neuen Regionalpolitik sind haben allerdings nicht verhindern können, dass sich
innovative Unternehmer, nicht mehr wie bisher lokale seit Ende der l 990er-Jahre die Situation der wirt
und regionale Standortfaktoren (IHG) oder einzelne schattsschwächeren Regionen verschlechterte. Mit
Betriebe (Bonny-Beschluss). Von einer rigiden Ab dem Neuen Finanzausgleich und der Neuen Regio
grenzung und Institutionalisierung der Regionen wird nalpolitik wurden 2008 zwei bedeutende Reformen
abgesehen; Leitvorstellung ist vielmehr die „variable in Kratt gesetzt. Ob es gelingen wird, mit den neuen
Geometrie". Tab. 29 fasst die Hauptausrichtungen Konzepten die Wirtschaftskraft der Problemgebie
der Neuen Regionalpolitik, ihre Ziele und Akteure im te zu stärken, den brain drain zu bremsen und den
Überblick zusammen. Zusammenhalt der Willensnation Schweiz zu fördern,
Die Innovationsförderung des Bundes wird im muss vorläufig offenbleiben.
Weiteren nicht mehr wie bisher durch Projektfinan Die Globalisierung stellt an die Wettbewerbsfä
zierung, sondern durch Programmförderung erfolgen. higkeit aller Teile des Landes erhöhte Anforderun
Die Hauptverantwortung liegt bei den Kantonen. gen. Die Metropolregionen und die renommierten
2006 wurden die bisherigen regionalpolitischen Pro alpinen Tourismusgebiete weisen in der modernen
gramme des Bundes in einem neuen Bundesgesetz Dienstleistungsgesellschaft wirtschaftlich besse
über Regionalpolitik zusammengefasst. Aus dem re Voraussetzungen auf als die meisten ländlichen
früheren !HG-Fonds entstand ein Fonds zur Regio und peripheren Gebiete - zumindest wenn ein
nalentwicklung: Der Bonny-Beschluss wurde in mo mal die Folgen der Finanzkrise der Jahre ab 2008
difizierter Form beibehalten, sein Förderperimeter überwunden sein werden. Schädlich für das Land als
jedoch eingeschränkt. Ganzes wäre, wenn die politische Stärke der zahl
Man war sich bewusst, dass die räumlichen Struk reichen kleinen ländlichen Kantone die ökonomische
turen auch in Zukunft außerhalb der eigentlichen Stärke der wenigen Wirtschaftszentren schwächen
Regionalpolitik beeinflusst werden. Zu den raum- würde.
160 ru� urwandel im ländlichen Raum und in den Alpen
Der Schutz von „Landschaften von nationaler Be ist eine breit abgestützte Landschaftsinitiative, die
deutung" geht in der Schweiz auf die l 970er-Jahre im Kern ein Moratorium von 20 Jahren verlangt,
zurück (Bundesinventar von Landschaften und Na das verbietet, weitere Baugebiete auszuweisen. Der
turdenkmäler von Nationaler Bedeutung BLN 1977, Umweltschützer Franz Weber lancierte gleich zwei
Bundesamt für Umwelt des Departements Umwelt, Initiativen: Die erste besagt, dass der Zweitwoh
Verkehr, Energie und Kommunikation 2010). Land nungsbestand auf 20 % des Wohnungsbestandes pro
schaften als schutzwürdig einzustufen ist also nicht Gemeinde beschränkt werden soll, was in einigen
neu, doch stand lange der konservierende Schutz Regionen zum Baustopp führen würde; die andere
und das Fernhalten menschlicher Nutzungen im richtet sich gegen Großprojekte wie z.B. Einkaufs
Vordergrund. Neu an der heutigen Debatte ist die zentren und Freizeitanlagen auf der grünen Wiese
Einsicht, dass das, was zwischen den Schutzgebie (Tandeminitiative). Als Gegenvorschlag des Bundes
ten und dem Siedlungsraum liegt, ein knappes Gut rates zu den Initiativen wird im Parlament derzeit
geworden ist, weil genau dieses Gebiet im breiteren die Revision des Schweizer Raumplanungsgesetzes
gesellschaftlichen Verständnis als „die Landschaft" beraten. Eine Volksabstimmung findet frühestens
gesehen wird. Weil alle den freien Blick auf die 2011 statt.
Landschaft suchen, dehnt sich der Siedlungsrand Mit dem erweiterten Natur- und Heimatschutzge
in die noch freien Flächen unseres Territoriums aus. setz von 1966 wurde im Jahre 2009 die Schaffung
Die Mehrheit der Schweizer wünscht sich den freien von regionalen Naturparks ermöglicht. Mit Unterstüt
Blick auf die Berge und gleichzeitig die Nähe zur zung des Bundes und der beteiligten Kantone haben
Arbeit, Bildung und Versorgung bietenden Stadt, was zwölf Park-Projekte 2009 die Arbeit aufgenommen.
den Raum für „freie Landschaft" immer mehr ein Im Bericht des Bundesrates zur Neuordnung und
engt (Abb. 121). Zielorientierung der Direktzahlungen (2009) wird ne
Im Folgenden soll aufzeigt werden, wie aus einer ben dem flächenbezogenen Ressourcenschutz auch
neuen Aufmerksamkeit und öffentlichen Wahrneh der Biodiversität und der regionalen Landschafts
mung die Voraussetzungen für eine umfassende qualität (strukturelle Vielfalt, regionale Eigenart)
Landschaftspolitik geschaffen werden. Rechnung getragen. Schließlich ist der Entwurf ei
nes Raumentwicklungsgesetzes zur Ablösung des
Chronologie zur neuen Aufmerksamkeit Raumplanungsgesetzes in der Vernehmlassung, das
für „unsere Landschaft" die Bundeskompetenzen gegenüber den Kantonen
Nicht weniger als drei Volksinitiativen wurden 2007 stärken soll.
eingereicht, um der Zersiedlung des offenen Landes Die künftige Raumentwicklung in der Schweiz soll
Einhalt zu gebieten. ,,Raum für Mensch und Natur" zu einer quantitativen Begrenzung der Baugebiete
Die Entdeckung der Landschaft als öffentliche Aul 161
und einer qualitativen Aufwertung der Lebensräume Landschaft Schweiz (50 Mio. CHF), aus dem seither
für Mensch und Natur verpflichtet werden und damit eine große Zahl von Projekten zur Erhaltung traditio
einen zentralen Beitrag zur Strategie der nachhalti neller Kulturlandschaften unterstützt wurde. Ein wei
gen Entwicklung leisten. terer Meilenstein war das nationale Symposium 1989
Begonnen hat diese neue Aufmerksamkeit mit zur Zukunft der Kulturlandschaft in der Schweiz im
der Veröffentlichung des ersten Berichtes über das UNESCO-Biosphärenreservat Entlebuch. Es wür
Brachlandproblem in der Schweiz 1972, mit den digte v. a. den Gestaltungsspielraum, der das neue
größten ausgewiesenen Gebieten in den Kantonen Landwirtschaftsgesetz (1998) mit der Trennung von
Tessin und Wallis. Die gewonnene Erkenntnis dar Preispolitik (Markt) und Einkommenspolitik (Direkt
aus war, dass sich der Wald zurückholt, was ihm die zahlungen) für die Arbeit in der Landschaft eröffnete.
Landnutzer einst abgerungen hatten. Damit ging aber Dieser Paradigmenwechsel bedeutete die Integration
auch das Empfinden eines Kontrollverlustes über die der Landwirtschaft in eine moderne Dienstleistungs
natürliche Dynamik auf Flächen, die durch regelmä gesellschaft und die Diversifikation der agrarwirt
ßige Nutzung während Generationen ökologisch sta schaftlichen Produktion (Marktgüter, Kollektivgüter,
bil gehalten wurden, einher. Um dem Rückzug der Dienstleistungen).
bäuerlichen Arbeit aus der Fläche entgegenzuwirken, Seit 1997 besitzt die Schweiz ein Landschafts
wurde 1996 das Flächenbeitragssystem in der Ag konzept mit Festlegungen auf der Zielebene und seit
rarpolitik eingeführt, nach welchem jeder Landwirt 2003 ein Leitbild „Landschaft 2020" zur Konkreti
einen Direktzahlungsbetrag pro Hektar und Jahr für sierung der Ziele in acht Aktionsfeldern:
die Bewirtschaftung seiner Landflächen erhielt. ■ Landschaft und Landnutzung
Die in den l 980er-Jahren durchgeführte Man ■ Landschaft und Raumordnungspolitik
and Biosphere-Forschung (Beitrag zum UNESCO ■ Landschaft und Gewässer
Programm Man and Biosphere) hatte die Werte der ■ Arten und Lebensräume
bäuerlichen Kulturlandschaften in vier Testgebieten ■ der Mensch in der Landschaft: Wahrnehmung und
des schweizerischen Alpenraums (Pays-d'Enhaut Erlebnis
im Kanton Waadt, Grindelwald im Kanton Bern, das ■ Partizipation
Aletschgebiet im Wallis und Davos in Graubünden) ■ wirtschaftliche Instrumente und Ressourcenver-
untersucht und kurz zusammengefasst, diese seien brauch
nachhaltig produktiv, ökologisch stabil, erhöhten die ■ Früherkennung und Forschung (Abb.122)
Biodiversität und würden hohe ästhetische Ansprü
che erfüllen. Wieder nahm die Agrarpolitik die Bot Dies ist zwar das einzige formelle Planungsinstru
schaft auf und forderte im siebten Landwirtschafts ment des Bundes für Natur und Landschaft, seines
bericht 1992 eine flächendeckende Bewirtschaftung breiten Landschaftsverständnisses wegen diente es
der Kulturlandschaften in der Schweiz. aber u. a. auch als Beispiel für die Erarbeitung der
Zur 700-Jahr-Gründungsfeier der Schweizerischen Landschaftskonvention des Europarates (Konvention
Eidgenossenschaft 1991 stiftete diese den Fonds von Florenz 2004).
IAbb.1221 Strategische
Prinzipien der Umweltpolitik Umsetzune Schwerpunkte und
im Rahmen der nachhaltigen in den Aktionsfeldern Umsetzung der
Entwicklung des Leitbildes Landschaftspolitik.
..
• Schutz des Menschen und der Mitwirkung 2 Landschaft und
Umwelt vor Beeinträchtigungen; • schützen Raumordnungs
Vorsorge- und Verursacherprinzip politik
• sanieren Schutz
(Art. 74 BV) 3 Landschaft
...
• Zweckmäßige und haushälte • nachhaltig nutzen und Gewässer
rische Nutzung des Bodens durch Anreize 4 Arten und
• 1 nformation
Raumplanung (Art. 75 BV)
• Schutz und haushälterischer • Mitwirkung
Support
--+ Lebensräume
5 der Mensch in
Umgang mit Wasser (Art. 76 BV) • Kooperation der Landschaft:
• Gcwährlcintung oller Wahrnehmuns
• Anreize setzen und Erlebnis
Waldfunktionen (Art. 77 BV)
• Rücksichtnahme auf Natur und • Verursacher 6 Partizipation
in die Pflicht nehmen 7 wirtschaftliche
Landschaft; Schutz der Arten
und Lebensräume (Art. 78 BV) 1 nstrumente
und Ressourcen
• Erhaltung der natürlichen Lebens
verbrauch
grundlagen und der Kulturland
schaft bei der landwirtschaft 8 Früherkennung
lichen Nutzung und Forschung
(Art.104 Abs. l Bst. b BV)
162
Rechtsgrundlagen:
Raumplanungs Natur- und Heimat
gesetz schutzgesetz
Verfassung
Landschaftskonzept Schweiz
ein Konzept nach Art. 13 des Raumplanungsgesetzes
für die 13 Politikbereiche des Bundes
-· !i
1
t
2 8
IAbb.1271 Parkland
schaften in der Schweiz. Parklandschaften in der Schweiz
1 Schweizerischer Nationalpark GR
2 RNP UNESCO Biosphäre Entlebuch
3 RNP Thal
4 NEP Wildnispark Zürich-Sihlwald
5 RNP Biosfera Val Müstair
6 NP Park Adula
7 RNP Severin
8 RNP Landschaftspark Binntal
9 PNR Chasseral
10 RNP Diemtigtal
11 PNR du Doubs
12 RNP Park Ela
13 RNP Gantrisch
14 PNR Gruy�re Pays-d'Enhaut
15 RNP Jurapark Aargau
16 PNR Jura vaudois
17 RNP Pfyn-Finges
18 RNP Thunersee-Hohgant
19 RNP Urschweiz
20 PNR Biosph�re
Val d'Herens
1
N
Eidgenlls:sischesDepartementlar
Umwelt, Verkehr, Ellefiie und Kommunikation UVEK
Parks in Errichtung 1111 Parks von nationaler Bedeutung
llitodeartllhlrV�lflAfU
Parks in Errichtung mit - Schweizerischer Nationalpark GR
Stand 27.8 2010 provisorischem Perimeter
- Aufgrund internationaler Erfahrungen soll es in der Schweiz künftig drei verschiedene Park
kategorien geben, abgestuft nach der Schutzwürdigkeit und den Nutzungsmöglichkeiten.
Nationalparks zeichnen sich als unberührte Naturlandschaften aus. In ihrer Kernzone sind
grundsätzlich keine menschlichen Eingriffe möglich. Die Umgebungszone kann naturnah
bewirtschaftet werden. Wanderer müssen sich strikt auf den dafür vorgesehenen Pfaden
bewegen. Der bestehende Naturpark im Unterengadin wird nach diesen Kriterien geführt.
Naturerlebnis Naturerlebnisparks liegen in der Regel in der Nähe von Ballungsräumen. In den äußeren Zo
parks nen kann sich die Bevölkerung erholen, joggen und die Natur genießen. Naturerlebnisparks
können Schulen als Natur-Ausbildungsstätten dienen.
1 Tab.301 Parkkategorien der Schweiz.
nächsten Zeit systematisch in die übrigen Sektoral der Einrichtung regionaler Naturparks erfolgen. 17
politiken integriert. Gesuche wurden seit 2008 eingereicht (Abb. 127),
Die gemäß Bundesinventaren geschützten Gebiete Zwölf weitere Projektideen sind bekannt. Allein im
(Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Kanton Bern - mit vier Projekten - wird das Gebiet
Bedeutung, Hoch- und Übergangsmoore, Auenge mit landschaftlich besonderen Qualitäten 25% der
biete, Moorlandschaften von besonderer Schönheit) Gesamtfläche ausmachen. Um das Qualitätslabel
machen zurzeit etwa 23% der Landesfläche aus. Al „Regionaler Naturpark" zu erwerben, müssen die in
lerdings ist ihr Schutzstatus sehr unterschiedlich. Bis einer Leistungsvereinbarung festgelegten Ziele er
2030 sollen zudem 10% der Waldfläche der Schweiz reicht werden.
als Waldreservate ausgewiesen werden. Ein zusätzli Mit der neuen Parkverordnung des Bundes und
cher quantitativer Sprung der landschaftlich heraus den Parkkategorien (Abb. 127 und Tab. 30) werden
gehobenen Flächen wird in den nächsten Jahren mit wesentliche Schritte in die richtige Richtung getan:
167
Die L andschaftsentwicklung wird als ganzheitliche Wirklichkeit nicht zu weit auseinanderklaffen. Wenn
Aufgabe regional verankert. Sie fordert die breite Mit etwas zur öffentlichen Aufgabe gemacht werden soll,
wirkung der Bevölkerung und will besondere Land weil die anderen Institutionen und Regelungsebenen
schaftsqualitäten als Quelle zusätzlicher regionaler versagen, dann ist das ein starker Hinweis darauf,
Wertschöpfung fördern. Damit rückt sie in die Nähe dass eine gesellschaftliche Ressource umstritten,
der Neuen Regionalpolitik und bietet v. a. für länd knapp oder ungenügend vorhanden ist, weil keiner
liche Gebiete (Jura, voralpines Hügelland, Voralpen sie in genügendem Ausmaß und ausreichender Qua
und Alpen) eine wirtschaftliche Alternative. Ein lität bereitstellen will. Jene Landschaften, die wir als
schränkend muss allerdings festgestellt werden, dass „unsere Landschaften" bezeichnen können, sind in
das Ziel, Landschaft als kollektive und aktiv anzu vielen Teilen der Schweiz knapp geworden, was die
gehende Aufgabe zu betrachten, noch nicht erreicht starken Forderungen der Landschaftsinitiativen er
ist. Im schweizerischen Mittelland mit den stärksten klärt.
Zersiedelungstendenzen hat diese Arbeit noch nicht Einiges ist in Gang gekommen: So wurde ein Be
ernsthaft begonnen. Ohne verbindliche Zusammen wusstsein über die Notwendigkeit einer nachhaltigen
arbeit auf regionaler Ebene verhindert die kommu Landschaftsentwicklung in der breiten Bevölkerung
nale Hoheit über die bauliche Entwicklung, dass geschaffen.
Landschaft aus dem Status eines Residualproduktes Die konzeptionellen, materiellen und methodi
in den eines gestaltungswürdigen und -bedürftigen schen Beiträge der Landschaftsforschung sollten
Produktes gehoben wird. zusammen mit den Anstrengungen der Politik Rah
menbedingungen schaffen und Steuerungsinstru
Landschaften gemeinsam schaffen mente bereitstellen, um auf regionaler Ebene Gestal
Für viele Schweizer steht die Landschaft an erster tungsprozesse in Gang zu bringen und fachlich zu
Stelle weit vor Sicherheit, Demokratie und Neutra unterstützen. Letztlich sollte bedacht werden, dass
lität. Daraus resultiert eine Verpflichtung, dafür zu die Landschaften der Schweiz ein weiterer Trumpf im
sorgen, dass Erwartungen und die vorgefundene internationalen Standortwettbewerb sind.
168
Umweltprobleme und
Umgang mit Naturgefahren
Bedrohliche und bedrohte Natur Im Vordergrund der Diskussion stand dabei der
,,Bedrohliche und bedrohte Natur" - so lautet der Ti durch den Eisenbahnbau (Holzschwellen) intensivier
tel des Buches von Franr;ois Walter (1996) über die te Kahlschlag der Bergwälder. Nach dem verheeren
U mweltgeschichte der Schweiz, in dem der Wandel den Hochwasser von 1868, das im Tessin mit seinen
der Wahrnehmung von Natur, Gefahr und Umwelt in umfangreichen Holzausfuhren in die Lombardei be
der Gesellschaft bis etwa 1990 dargestellt wird. sonders schwere Schäden verursacht hatte, gab es kei
Die Begriffe „Berg" und „Wald" spielten für die ne Zweifel mehr und im Forstgesetz für Bergregionen
veränderte Wahrnehmung der Natur im 18.Jh. eine von 1897/98 sowie im Bundesgesetz von 1902 über
zentrale Rolle. Im Zuge der verbreiteten Alpenreisen die Forstpolizei wurde festgelegt, dass die gesamte IAbb.129I Übersicht über
war aus den „montes horribiles" ein verklärter „Alpen Waldfläche der Schweiz nicht verringert werden dür die größeren Flusskorrek
mythos" geworden (s. Haller 1708-1777, in Akade fe. Auch wenn die wissenschaftlichen Hinweise auf turen im 18. und 19.Jh.
mien der Wissenschaften Schweiz 2009). Der vordrin
gende Rationalismus hatte dem christlichen Weltbild
Übersicht über die größeren
von der Unterwerfung der Natur durch den Menschen Flusskorrekturen im
einen bewundernden Blick auf das für die Schweiz so 18. und 19.Jh.
einzigartige „Gemisch aus wilder Natur und mensch Orange markiert
sind die
licher Betriebsamkeit" (Jean-Jacques Rousseau, korrigierten
1672-1747; Taurek 2009) entgegengesetzt. Schön Abschnitte.
und nützlich sollte die Natur sein. Mit zunehmender Rhein
/w'·
P • Pressures l • Impact
stoffe, Energie, Verschmutzung) ins Ausland exportiert, � lännbedingte
Llirmemissionen
wesentliche Probleme bleiben hingegen hausgemacht. !! Gesundheitsprobleme
Erfolge kann die schweizerische Umweltpolitik im �
Kampf gegen die Verschmutzung der Luft, des Was- �
sers und der Böden sowie in der Abfallbewirtschaf- 1 „Sind diese Veränderungen
von Bedeutung?"
,.,.;,rt1·
tung, in der ökologischen Landwirtschaft und beim �
S • State
internationalen Schutz der Ozonschicht verzeichnen. J Lärmimmission,
Moderne Lebens- und Konsumgewohnheiten machen § Lirmbelaatung
jedoch viele beim Umweltschutz erzielte Fortschritte % der Bevölkerung
wieder zunichte. übermäßige Konzentrationen von 8
Stickstoffverbindungen, Ozon und Feinstaub beein
trächtigen nach wie vor die Luftqualität, in den Ge IAbb.1321 Steingletscher beim Sustenpass mit Gwäch IAbb.1311 OPSIR- Dia
wässern werden neue Mikroverunreinigungen durch tenhorn. gramm zur Einschätzung
hormonaktive Stoffe, Pestizidrückstände und eine Erläuterung: Der markante Moränenkamm in der unteren von Umweltproblemen.
große Zahl von noch kaum untersuchten Chemikalien Bildmitte zeigt den Gletscherstand um 1850, am Ende der
nachgewiesen. Die Biodiversität nimmt weiter ab, in „Kleinen Eiszeit", an. Der See hat sich als Folge der seither
ablaufenden globalen Erwärmung und des dadurch verur
vasive Arten stellen zunehmend eine Bedrohung ein sachten Gletscherschwundes in den 1940-er Jahren zu bil
heimischer Arten und ihrer Lebensräume dar und die den begonnen. Ein Teil-Ausbruch des Sees im Jahr 1956
Bevölkerung ist zu hohen Lärmpegeln ausgesetzt. Die verursachte massive Schäden im Gadmertal.
IAbb.133I Ausbreitung Nachhaltigkeit der Ressourcennutzung wird dadurch schätzten mittleren Bedingungen gegen Ende un
einer durch den Sturm infrage gestellt. Dies gilt ganz besonders und rasch seres Jahrhunderts. Seit der Jahrtausendwende hat
Vivian 1990 entwaldeten zunehmend im Hinblick auf die, gerade im Gebirgs sich der Gletscherschwund weltweit rapid beschleu
Hangfläche bei Sedrun,
land Schweiz mit seinen klimasensitiven Schnee nigt und in den Alpen jährliche Volumenverluste von
Graubünden (Westflanke
des Uaul Bugnei). Die und Eisvorkommen, unübersehbaren Auswirkungen rund 2-3% verursacht (Organe consultatif sur les
Bildfolge zeigt eindrück des Klimawandels. changements climatiques 2007, 2008) (Abb. 132).
lich die Schwierigkeiten Bei den zu rund 50% über den Verkehr (verdop Ausgerechnet der „ewige Firn" der einst so stark
des Erholungsprozesses pelter Individualverkehr und verdreifachter Güterver romantisch verklärten und ideologisierten Alpen
nach Waldschäden im kehr auf der Straße seit 1970) und die Haushalte (Haeberli &Zumbühl 2003) - weltweit ein starkes
Waldgrenzbereich und im Symbol für eine intakte Mensch-Umwelt Beziehung
gesteuerten Treibhausgas-Emissionen kann das Land
steilen Gelände des Gebir
ges. seine international vereinbarten Reduktionsziele nur wird nun zum unique demonstration object in inter
mit Zukauf von Emissionsrechten aus dem Ausland nationalen Klimabeobachtungs-Programmen (United
einhalten. Die Verkehrsemissionen liegen weit über Nations Environment Programme 2007).
dem Zielpfad. Der Hitzesommer 2003 und der re Eine auffällige Reihe von außerordentlichen Na
kordwarme Winter 2006/07 sind - gemessen an den turkatastrophen (Hochwasser 1987, 1999, 2005;
instrumentellen Messreihen der Vergangenheit- weit Lawinenwinter 1999; Winterstürme Vivian 1990
jenseits statistisch sinnvoller Wahrscheinlichkeiten und Lothar 1999, Abb.133) beendet die lange Ru
einzuordnen, entsprechen hingegen ziemlich genau hephase im 20. Jh., richtet enorme Schäden an und
den mit hoch auflösenden Klimamodellen abge- vermittelt ein eindrückliches Bild davon, wie sich
Umweltveränderungen und Naturgefahren 173
• Schwellenwerte • Zielkonflikte
1Teilweise durch Programme des Schweizerischen Nationalfonds abgedeckt (etwa Nationales Forschungsprogramm 57: Nichtionisierende Strahlung)
ein energetisch zunehmend aufgeladenes Klimasys aus Wissenschaft, Wirtschaft und Bundesverwaltung IAbb.1341 Schwerpunkte
tem zukünftig verhalten könnte. Der Siedlungsdruck sowie aufgrund eines breiten Vernehmlassungsver der Umweltforschung
bringt immer höhere materielle Werte in gefährdete fahrens bei interessierten Kreisen - hinsichtlich Schweiz 2008-2011.
Zonen, und die Anfälligkeit der Infrastruktur nimmt wissenschaftlicher und politikrelevanter Fragen
zu. Fragen nach Sicherheit gegenüber Naturge Schwerpunkte definiert. Entscheidende Träger der
fahren erhalten gerade im Wasserbau eine neue Umweltforschung sind, neben dem Bund (Ressort
Dimension: Zustand und Eignung der historischen forschung) und den vier Akademien der Wissenschaf
Flussverbauungen (z.B. Linth) müssen ernsthaft ten Schweiz, v.a. die Hochschulen und der Schwei
überprütl werden, der Überlastfall muss grundsätz zerische Nationalfonds mit seinen politikrelevanten
lich Teil der Überlegungen sein, ein abgestuftes Nationalen Forschungsprogrammen (NFP), in jüngs
Schutzkonzept muss unterschiedlichen Schaden ter Zeit etwa zu den Themen „ Landschaften und
potenzialen gerecht werden, und die Abschätzung Lebensräume der Alpen" (NFP48: 2002-2007),
von Maximalabflüssen und Eintrittswahrscheinlich .,Hormonaktive Stoffe in der Umwelt'1 (NFP50:
keiten muss über die statistische Extrapolation von 2002-2007), ,. Nachhaltige Siedlungs- und I n-fra
Daten unter Annahme eines unveränderten Systems strukturentwicklung" (NFP54; 2005-2010), ,.Nicht
hinausgehen (Pfister 2002; Eidgenössisches Depar ionisierende Strahlung- Umwelt und Gesundheit"
tement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommu (NFP57; 2006-2009), ,,Nutzen und Risiken der
nikation/Bundesamt für Umwelt 2008). Der Bedarf Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen"
für ein umfassendes Risikomanagement hinsicht (NFP59; 2007-2011), .,Nachhaltige Wasserver
lich veränderter Naturgefahren und technischer sorgung und -nutzung" (NFP61; 2010-2014)
Störfälle - wie etwa beim Chemiebrand Schweizer oder „Chancen und Risiken von Nanomaterialien"
halle von 1986 mit massivster Verschmutzung des (NFP64; 2010-2013). Die für die Umweltforschung
Rheins und Auslöschung der gesamten Aaipopula bereit gestellten Mittel betragen rund 500 Mio.CHF
tion über eine Distanz von 400 km - wird dringlich. pro Jahr und werden zu etwa drei Vierteln durch
Die größte Herausforderung für die nahe Zukunft die öffentliche Hand und zu etwa einem Viertel
besteht darin, die vermeintliche Unvereinbarkeit durch private Förderung aufgebracht. Dringendste
umweltschützerischer und wirtschaftlicher Inte Forschungsbedürfnisse werden in einer Matrix von
ressen zu überwinden und die wissenschaftlichen Schwerpunktthemen und Wissensformen definiert
Grundlagen für eine angemessene Beurteilung kom (Abb.134). Letztere beinhalten neben dem klas
plexer Entwicklungen zu schaffen (vgl. dazu Klötz sischen Systemwissen auch Ziel- und Handlungs
li &Stadelmann 2008). wissen. Dies entspricht einetn trarisdlszipl i nären
Im „Forschungskonzept Umwelt für die Jahre Forschungsansatz vorausschauenden und partizj.
2008-2011" des Bundesamts für Umwelt (Bun pativ-entscheidungsorientierten Denkens mit visio
desamt für Umwelt 2007b) werden - unterstützt närem Charakter (vgl. dazu Conseil des academies
durch ein „ Beratendes Organ für Umweltforschung scientifiques suisses/ProClim-forum for climate and
des Bundesamts für Umwelt" mit Vertreterinnen global change 1997). Neben dem Schutz vor Schad-
stoffen und Belastungen, der schonenden Ressour der klimatisch relativ stabilen Nacheiszeit haben
cennutzung, der Abschätzung von Klimafolgen und entwickeln können. Eine neue Wissenschaft von Un
Fragen des integralen Risikomanagements stehen gleichgewichten in hoch vernetzten Systemen muss
deshalb folgerichtig die Handlungsmöglichkeiten aufgebaut werden. Die zunehmende Geschwindig
von Mensch, Gesellschaft und Wirtschaft im Vor keit der Veränderungen reduziert jedoch mehr und
dergrund. Die Dringlichkeit wächst, die Komplexität mehr unsere Möglichkeiten, die Prozesse rechtzeitig
nimmt zu und der Spielraum wird enger. und in ihrer vollen Komplexität zu verstehen und
quantitativ- d. h. mit raum-zeitlichen numerischen
Jenseits von Empirie und Machbarkeit Modellen - zu beschreiben. Sie schränkt auch die
Über sektorielle Mehrjahrespläne hinaus zeichnen Freiheitsgrade demokratischer Entscheid u ngspro
sich sehr ernste Herausforderungen ab. Komplexe zesse immer mehr ein: Die Aare-Hochwasser in Bern
Systemzusammenhänge wie etwa die Feinstaub 1999 und 2005 zeigen, wie schwierig es wird, bei
problematik mit ihren Teilaspekten in Sektoren wie abnehmender Planungszeit und zunehmender Un
Energie, Verkehr, Gesundheit, Umwelt müssen in sicherheit hinsichtlich zukunftsorientierter Dimen
vernetzt-transdiszipi inärer Arbeit mit verbesserter sionieru ngsgru ndlagen ausgewogene, breit abge
Unterstützung der Forschungsförderung bis zur Ent stützte und konsensfähige Projekte zu entwickeln.
scheidungsreife analysiert werden. Die Illusion von Gezielte und systematische Beobachtungen mit ei
frei verfügbaren, leicht restituierbaren und im Pro ner Kombination von lokaler Verantwortlichkeit und
duktionsprozess externalisierten Ressourcen ( Ener modernsten Technologien der terrestrischen und
gie, Wasser, seltene Rohstoffe) muss überwunden satellitengestützten Vermessung sowie der Geoinfor
werden - die Ressourcenökonomie kann nicht dem matik werden immer zentraler, wenn es darum geht,
freien Markt überlassen werden. langfristig muss die zukünftigen Entscheidungsgrundlagen in einem
auch die Diskrepanz zwischen betrachteten Zeitska intensiven und kontinuierlichen Lernprozess zu ver
len beseitigt werden. Ökonomische Modelle gehen bessern.
kaum über ein paar Jahre hinaus - die entscheiden Die Kosten der Erhaltung unserer Lebensgrund
den Umwelt- und Naturgefahrenprobleme liegen aber lagen- beispielsweise im Hochwasserschutz- sind
bei den Entwicklungen über die kommenden Jahr hoch und steigen weiter an. Bei limitiertem Bun
zehnte. Nicht der kurzfristige und privatisierte Vor deshaushalt stellt sich letztlich die Frage, was auf
teil, sondern die Lebensgrundlagen für kommende Kosten von wem oder was Priorität erhalten soll.
Generationen müssen entscheidend sein. Mit einer Damit einher geht die Perspektive der lrreparabilität
solchen Umstellung der Werte sind nicht nur ethi von Schäden. Wenn in der zweiten Jahrhunderthälfte
sche Aspekte der Solidarität, sondern auch grund Hitzesommer wie 2003 tatsächlich mehr und mehr
sätzliche Probleme der Empirie und der Machbarkeit zur Regel werden sollten, werden die veränderten
verbunden, die beim Klimaproblem besonders deut Schneeverhältnisse und die inzwischen verschwun
lich werden. denen Gletscherflächen das Abflussregime der Alpen
Eine globale Temperaturänderung von einigen °C flüsse völlig verändern und im Sommer möglicherwei
entspricht der Dimension eines Eiszeitexkurses der se zu wochenlangen Dürren führen. Die Interaktion
Erde und droht, die Lebensbedingungen im Ge und Rückkoppelung von Problemen auf der Seite
birgsland Schweiz wie auch weltweit dramatisch zu des Wasserangebots (minimale Abflüsse, langsame
verändern. Eine solche Entwicklung führt weit über FI ießgeschwi ndigkeiten, höhere Wassertem peratu
die Variationsbreite nacheiszeitlich-vorindustrieller ren, tiefere Grundwasser- und Seespiegel, veränderte
Zustände hinaus und entfernt sich damit immer wei aquatische Ökosysteme, verringerte Stromproduk
ter von unserer schmalen empirischen Wissensbasis. tion) und von gesteigertem Bedarf auf der Nachfra
Besonders deutlich ist dies bereits jetzt im Hochge geseite (mehr Wasser für Haushalte, Landwirtschaft,
birge zu erkennen, wo der anhaltende Schwund der Stromproduktion und Waldbrandbekämpfung) wird
Gletscher und die tief wirkenden Wärmeanomalien zu harten Zielkonflikten führen, die ein kontinentales
im Permafrost bisher unbekannte Situationen (neue Ausmaß und eine entsprechende internationale Di
Seen) und Gefahren (große Felsstürze) entstehen mension haben. Schon jetzt kann der Schaden wegen
lassen. der Trägheit der beteiligten Systemkomponenten für
Gerade im Bereich der Naturgefahren müssen be Generationen nicht mehr wieder gut gemacht wer
stehende Entscheidungsgrundlagen wie Chroniken, den. langfristig sinnvolle, sozialverträgliche und in
Statistiken oder stumme Zeugen zunehmend durch ternational-politisch akzeptable Anpassungsmaßnah
Modellszenarien für eine Zukunft ersetzt werden, men werden Kombinationen von intensiver werden
die anders sein dürfte als jegliche bekannte Ver den Stressfaktoren berücksichtigen müssen: Weltweit
gangenheit des historisch gewachsenen und weiter dringendste Umweltprobleme- Wasserversorgung,
expandierenden menschlichen Lebensraums. Auf Bodendegradation, Toxizität, Biodiversitätsverlust,
grund der unterschied I ichen Reaktionszeiten ein Klimawandel- sind miteinander in vielfältiger Weise
zelner Komponenten (z.B. Wasserkreislauf schnell, verknüpft und beeinflussen mit der Wasserversorgung
Vegetation in Jahrzehnten bis Jahrhunderten, Bo und der Nahrungsmittelproduktion lokal wie global
den in Jahrhunderten bis Jahrtausenden) entfernen elementarste Lebensgrundlagen der Menschheit. Ge
sich die betroffenen Ökosysteme von dynamischen sellschaft, Politik und Wirtschaft müssen im Bereich
Gleichgewichtszuständen, wie sie sich im Verlaufe Umwelt einen neuen Konsens entwickeln, der vom
175
bisher vorwiegend reaktiven zu einem antizipierenden turn in globalen Programmen eine glaubwürdige Vor
Verhalten führt. bildfunktion einnehmen. Mlt solchen Perspektiven
Die massive Ausweitung räumlicher und zeitli sind ethische Fragen grundsätzlicher Art verbunden:
cher Skalenbereiche gehört zu den markantesten Die geplanten unterirdischen Lager für mittel- und
Aspekten der laufenden Entwicklung. Gerade das hoch-radioaktive Abfälle beispielsweise müssen auf
Klimaproblem ist ein globales Problem mit Zeitbe grund der entsprechenden Halbwertszeiten für 1 Mio.
reichen von Jahrhunderten und Jahrtausenden. Eine Jahre von der Biosphäre isoliert werden. Sie müssen
schweizerische Umweltpolitik muss sich als Teil also nicht nur erdbebensicher sein, sondern auch
langfristiger weltweiter Anstrengungen verstehen und die tief greifenden Effekte der nächsten rund 10 bis
ist demnach auch mehr und mehr in internationale 15 (!) Eiszeiten unbeschadet überstehen. Modernes
Abkommen und Anstrengungen (z. 8. Kyoto-Protokoll Umweltmanagement baut auf die Eigenverantwort
zum Klimawandel) eingebettet. Die Schweiz ist keine lichkeit des Menschen - zunehmend auch in erdge
(kleine) Insel, sie kann mit ihrem Wissen und Reich- schichtlichen Zeitdimensionen.
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0 oO 0 OOO ARA) brachten nur vorüber
gehenden Erfolg, sodass als
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200 0 Oo weitere Schritte eine künstli
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0 che Sauerstoffzufuhr in tiefe
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Sanier µf1gsz1el werden. Das Fernziel einer
nährstoffarm sich selbsterhaltenden Popu
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lation an Edelfischen (Felchen)
1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Jahr wird jedoch erst in zehn Jah
ren erreicht sein.
Die Schweizer Luft auf einen Blick
Obwohl die Atemluft in der Schweiz in den letzten
Werden die Grenzwerte eingehalten? 25 Jahren generell sauberer geworden ist, werden
250%-r---------- - -------------� � die Grenzwerte beim Stickstoffdioxid, beim boden
Jahresmittel 2009 max. 24h- max. lh- i nahen Ozon und beim Feinstaub weiterhin massiv
überschritten (Abb. 138). Die Luftverschmutzung in
Mittel Mittel
J
200% " der Schweiz verursacht jedes Jahr externe Kosten in
• a; Höhe von mehreren MilliardenCHF; allein die Kosten
* � wegen Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen
••
150%
'••
t �
3
werden vom Bundesamt für Umweltschutz (BAFU)
100%
••
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auf 5 Mrd. CHF geschätzt. In der Landwirtschaft wer
den aufgrund der Ozonbelastung je nach Kultur- und
� Witterungsbedingungen Ernteeinbußen von bis zu
•• J 15 % angenommen.
50%
•• J
Eine zukünftig noch stärkere Reduktion der Emis
'
� sionen in der Schweiz erfordert die konsequente
s Einführung der besten Technologie bei Fahrzeugen,
8 bei Industrie- und Landwirtschaftsanlagen sowie bei
0%
Planung und Umweltverträglichkeitsprüfung über mehr als Dünger verwertet werden. 2008 startete
die Ausschreibung bis zur Rekultivierung und Fol der Bund ein großes Anreizprogramm zur Sanierung
gebewirtschaftung. Die BBB ist auf der Baustelle der Bleibelastung von Böden im Bereich der in der
weisungsbefugt und kann den Bau bei ungünstigen Schweiz häufigen Schießanlagen (Abb. 139 und Ex
Witterungsbedingungen einstellen. Die Erfahrungen kurs Zivile Schießanlagen"), inklusive dem künftigen
mit der BBB werden heute von allen Beteiligten als Quellenstopp durch den Einbau künstlicher Kugel
gut bezeichnet. fänge. Bezüglich physikalischer B elastungen müs
Schwierigkeiten bereitet nach wie vor die stoffli sen Landwirtschaftsbetriebe bei festgestellter Bo
che Bodenbelastung. Als Maßnahme zur Verbesse denerosion neu mit Kürzungen der Direktzahlungen
rung der Bodenqualität gilt Klärschlamm seit Ende rechnen (Prasuhn et al. 2007). Weitere Maßnahmen
2006 rechtlich als Siedlungsabfall und darf nicht dürften in den nächsten Jahren folgen.
IAbb.1401 Raumtypen
der Schweiz.
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periurbaner ländlicher Raum alpine Tourismuszentren peripherer ländlicher Raum
der Regionen und Verbesserung ihrer Wettbewerbs ,,Grundzüge der Raumordnung Schweiz" von 1996, IAbb.141I Zersiedelung
fähigkeit formulierte die Leitidee eines vernetzten Systems im Schweizer Mitte/land -
■ ein territorialer Zusammenhalt durch gute Stadt von städtischen und ländlichen Räumen (Schweize Zofingen.
land-Beziehungen, ausgewogene Erreichbarkeits rischer Bundesrat 1996). Durch eine hervorragende
bedingungen und gleichwertigen Zugang zu Infor Vernetzung der Städte und der ländlichen Regionen
mation und Wissen sollen die wirtschaftlichen Potenziale der verschie
■ ein verantwortlicher Umgang mit natürlichen Le denen Teilräume (Abb. 140) gebündelt und Synergi
bensgrundlagen, ein sparsamer Flächenverbrauch en nutzbar gemacht werden. Gleichzeitig soll die für
und Bodenschutz, der Schutz der Umwelt sowie das mehrsprachige und föderalistische Land wich
der Schutz vor Naturgefahren tige dezentrale Siedlungsstruktur erhalten und der
■ Siedlungen mit hoher Lebensqualität Landschaftsraum vor weiterer Zersiedlung bewahrt
■ die Erhaltung und sorgsame Nutzung des bauli- werden.
chen und landschaftlichen Kulturerbes. Die „Grundzüge" enthalten unter dem allgemeinen
Oberziel, eine nachhaltige Entwicklung des Landes
Nachhaltige Ziele der sicherzustellen, folgende Hauptstoßrichtungen (s. Ex
Schweizer Raumplanung kurs „Raumkonzept Schweiz"):
Mit dem Verfassungsartikel von 1969 und dem Bun ■ Städtische Räume sollen optimal miteinander und
desgesetz über die Raumplanung von 1979 erhielt mit den ländlichen Räumen vernetzt werden. Fer
die schweizerische Raumplanung den Auftrag der ner werden angesichts des teilweise ungeordneten
haushälterischen Bodennutzung und der Koordinie Wachstums der Agglomerationen (Abb. 141) und
rung wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer An des großen anstehenden Erneuerungsbedarfs an
liegen im Raum. Das Raumplanungsgesetz enthält Gebäuden und Infrastrukturen Ordnungs- und Er
in Art. 1 (Ziele) und Art. 3 (Planungsgrundsätze) zu neuerungsstrategien dargelegt.
allen Merkmalen einer nachhaltigen Raumentwick ■ Ländliche Räume sollen in ihrer Funktion als
lung Ziele und Grundsätze. Das zum Zeitpunkt der Wirtschafts- und Lebensraum für die ansässige
Abfassung dieses Kapitels gültige Raumentwick Bevölkerung gestärkt werden. Es sollen daher
lungskonzept des Bundesrates, festgelegt im Bericht Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es
182
den ländlichen Räumen erlauben, ihre eigenen teilhaben. Dies wird weiter dadurch belegt, dass die
Potenziale besser zu nutzen. Wichtig ist aber auch wirtschaftlichen Disparitäten zwischen den Kanto
eine verbesserte Vernetzung mit den städtischen nen, gemessen an den kantonalen Volkseinkommen
Räumen. pro Kopf und den Steuererträgen der natürlichen
■ Schonung des Natur- und Landschaftsraums mit Personen, in den letzten Jahren stabil blieben oder
ökologischen Leitplanken für die wirtschaftliche sich gar leicht verminderten (Bundesamt für Statistik
Entwicklung ist ein weiteres Ziel. 2008: 36). Welchen Beitrag die Raumentwicklungs
■ Die Notwendigkeit einer besseren Einbindung der politik zur Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz und ih
Schweiz in Europa, z.B. beim Hochgeschwindig rer Regionen leistet, lässt sich nicht quantifizieren.
keits-Eisenbahnnetz, wird dargelegt. Aus der Tatsache, dass die Schweiz seit langem in
Problemsicht, Handlungsansätze und Strategien in verschiedenen Rankings zur Wettbewerbsfähigkeit
den „Grundzügen" stimmen in weiten Teilen mit EU von Ländern regelmäßig eine Spitzenposition ein
REK, ,,Territorialer Agenda" und CEMAT-Leitlinien nimmt (z. B. im „Global Competitiveness Report"
überein. 2008/09 des World Economic Forum den zweiten
Platz hinter den USA), darf indirekt geschlossen wer
Nicht nachhaltige Entwicklungstrends den, dass räumliche Voraussetzungen für die Wirt
Die räumlichen Entwicklungstrends in der Schweiz schaft in ausreichender Qualität geschaffen werden.
weichen von den Zielvorstellungen ab, wie insbe Die geschilderte räumlich-wirtschaftliche Entwick
sondere der Raumentwicklungsbericht 2005 des lung entspricht allerdings nur bedingt der in den
Bundesamtes für Raumentwicklung (Bundesamt für ,.Grundzügen" postulierten Form einer polyzentri
Raumentwicklung 2005) umfassend dokumentierte. schen Raumentwicklung. Ganz im Gegenteil: Es zeigt
sich eine wachsende Dominanz weniger Großzentren
Polyzentrische Raumentwicklung bei gleichzeitig disperser Siedlungsentwicklung mit
und Wettbewerbsfähigkeit der Regionen immer weiter ausufernden Pendlerströmen (s.Kap.
Die Schweizer Raumentwicklung ist vom Phänomen „Siedlung und Landschaft/Verkehrsentwicklung und
der Metropolisierung geprägt (Odermatt & Wach Kernprobleme der Verkehrspolitik in der Schweiz"
ter 2004: 195 f.). Das bedeutet, dass die raum und Kap. ,.Siedlung und Landschaft/Agglomerations
wirtschaftliche Entwicklung immer stärker von der politik des Bundes").
Hauptmetropole Zürich sowie den weiteren Met
ropolen Basel und Genf-Lausanne dominiert wird. Territorialer Zusammenhalt und
Im Süden des Landes hat Lugano eine gewisse ausgewogene Erreichbarkeitsbedingungen
Sonderstellung als Nebenzentrum von Mailand auf Die Schweiz hat ihr traditionell überliefertes, de
schweizerischem Territorium. Die gute Verteilung der zentrales Siedlungssystem mit einer stützenden
Wachstumspole über die Schweiz sorgt dafür, dass Verkehrs- und lnfrastrukturpolitik gestärkt. Das ei
alle sprachregionalen Landesteile in relativ ausge senbahnpolitische Konzept „Bahn 2000" beispiels
wogener Weise an der wirtschaftlichen Entwicklung weise legte bewusst den Schwerpunkt nicht auf die
Raumkonzept Schweiz
Das Bundesamt für Raumentwicklung ARE erar den, was die Teilziele einschließt, die räumlichen
beitet zusammen mit Kantonen und Gemeinden Qualitäten zu stärken, die natürlichen Ressourcen
ein „Raumkonzept Schweiz", das ab ca. 2012 zu schonen, die Mobilität zu steuern, die Wettbe
die „Grundzüge der Raumordnung Schweiz" von werbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Schweiz
1996 ablösen und für die nächsten 15 bis 20 zu stärken und die Solidarität unter den Regionen
Jahre einen neuen raumordnungspolitischen Ori zu leben. Als Strategien werden verfolgt:
entierungsrahmen bilden soll. Es soll die Koordi ■ die polyzentrische Raumentwicklung zu unter
nation von raumwirksamen Sachpolitiken auf der stützen
Bundesebene sowie deren Abstimmung mit den ■ Zusammenarbeit und Partnerschaft insbeson
Raumplanungen der Kantone unterstützen. Es dere unter den an Funktionalräumen beteilig
wird den gleichen grundlegenden Prinzipien wie ten Gebietskörperschaften zu pflegen
die „Grundzüge" verpflichtet sein, aber mit einer ■ Siedlungen nachhaltig weiterzuentwickeln
umfassenden Aktualisierung und Modernisierung ■ das kulturelle Erbe zu pflegen
einhergehen. So bildet die „Siedlungsentwicklung ■ die Vielfalt der Landschaft zu erhalten und
nach innen" weiterhin einen wichtigen Grundsatz, mit der Umwelt sorgsam umzugehen
gleichzeitig anerkennt es als Realität, dass sich ■ Energieversorgung und Raumentwicklung
in den vergangenen Jahrzehnten ausschweifende aufeinander abzustimmen
Metropolitanräume mit einer wenig koordinierten ■ Verkehrsinfrastruktur und Raumentwicklung
Siedlungsentwicklung ausgebildet haben. aufeinander abzustimmen.
Als Hauptziel soll eine vielfältige, solidarische
und wettbewerbsfähige Schweiz gefördert wer-
183
Beobachlungsperiode
*
Gebäude außerhalb Bauzone (Anzahl) +3000 +3700 +2600 ®
Anlagen (Anzahl) +206 +172 +244 +413 ®
Lokalstraßen/Wege (km) +2505 +1726 +1385 +1841 ®
Obstbäume (Anzahl) -54 780 -39770 -99671 -66695 ®
Bachläufe eingedeckt (km) +86 +92 +85 +119 ®
Einzelbäume (Anzahl) +730 +6240 +11418 +9637 ©
Hecken (km) +33 +55 +156 +62 ©
Bachläufe, neu offene (km) +9 +20 +85 +153 ©
Waldflächen (ha) +1700 +750 +1960 +1339 @
Gebüsch (ha) +156 +75 +159 +574 @
• Gebäude außerhalb Bauzone: Wegen zum Analysezeitpunkt noch fehlender Grundlagendaten konnte diese Teilauswertung nicht vorgenommen werden.
Aus anderen, noch unveröffentlichten Analysen geht hervor, dass von keiner Trendumkehr auszugehen ist
sammenarbeit formuliert werden, um die Planung ,,Raumkonzept Schweiz"). Das öffentliche Konsulta
in Funktionsräumen zu stärken (s. Kap. ,,Siedlung tionsverfahren sowie die Überarbeitung des Entwurfs
und Landschaft/Agglomerationspolitik des Bundes"). des Raumkonzepts auf Basis der Rückmeldungen
Zusätzlich zur Erneuerung des Raumplanungsrechts waren 2011 noch nicht abgeschlossen. Sollten die
wird ein „Raumkonzept Schweiz" erarbeitet, das die rechtlichen Verbesserungen nicht oder nur teilweise
raumordnungspolitischen Ziele aktualisieren und die umgesetzt werden können, bliebe die Aufgabe, im
„Grundzüge der Raumordnung Schweiz" ablösen Interesse einer nachhaltigen Raumentwicklung den
wird sowie vielversprechende, vielfältige und den Vollzug des bereits geltenden Rechts weiter zu ver
Teilräumen angepasste Strategien vorsieht (s. Exkurs bessern.
Die Schweiz in der Welt
IAbb.1421 Hauptgebäude
der UNO in Genf. Überblick
■ Europapolitik ist ein zentrales Anliegen der Schweizer Außenpolitik, da die EU der mit Abstand
wichtigste Handelspartner der Schweiz ist. Doch obwohl die Schweiz Mitglied vieler völkerrechtli
cher, wirtschaftlicher und internationaler wissenschaftlicher Einrichtungen ist, werden die gemein
samen Interessen der Schweiz und der EU in bilateralen Vertragswerken geregelt. Mit dem EU
Beitritt selbst tut sich die Schweiz allerdings schwer.
■ Die ersten Elemente der Handelspolitik des 1848 gegründeten, rohstoffarmen schweizerischen Bun
desstaats waren niedrige Importzölle (u. a. um Rohstoffe aus anderen Ländern einzuführen), Marktzu
gang zu anderen Ländern im Prinzip ohne Exportzölle und eine starke Rechtssicherheit im Allgemeinen.
■ Herausforderungen für die Schweiz liegen in der wachsenden Bedeutung des Dienstleistungshan
dels, der zunehmenden Verschiebung des Handels zwischen Industrieländern zum Handel zwischen
Entwicklungsländern sowie im steigenden Anteil des lnterfirmenhandels am Welthandel. Diesen
neuen Herausforderungen wird u. a. mit einer guten internationalen Vernetzung im Rahmen der
WTO, mittels bilateraler Verträge mit der EU sowie anderen Abkommen zur Stärkung der Drittland
beziehungen begegnet.
■ Die Entwicklungszusammenarbeit macht heute 4,29 % der Bundesausgaben, allerdings nur 0,47 %
des Bruttonationaleinkommens aus. Sie ist in zwei Bundesämtern verankert. Eine wichtige Heraus
forderung für die Zukunft bleibt die Schaffung einer Bundesstelle, welche die Kohärenz zwischen
der Entwicklungspolitik und anderen Politikfeldern, die den Süden betreffen (Handelspolitik, Bank
geheimnis, Investitionsförderung) prüft.
187
Die Schweiz in europäischen Organisationen in dem sie gerade 2009/10 wieder mit einigem in
Vorweg muss gesagt werden, dass auch die Schweiz nenpolitischen Stolz das Präsidium wahrnahm.
ein Teil Europas Ist und die Schweiz aufgrund ihrer Obwohl die Europäische Gemeinschaft für Kohle
Vielfalt von vielen Denkern sogar als Modell Europas und Stahl (EGKS) nicht politischer war als die Mar
verstanden wurde. Die Thematisierung von „Schweiz shallplan-Organisation (OEEC), kam eine schweize
Und Europa" zielt aber auf das Verhältnis der Schweiz rische Teilnahme auf keinen Fall infrage, weil die
zum europäischen Integrationsprojekt ab, obwohl In se mit Ihrer supranationalen „hohen Autorität' (der
früheren Jahren gerne betont wurde, dass die EWG/ späteren l<ommissi(:ln) die nationale Souveränität
EG nicht mit Europa gleichgesetzt werden könne. Mit eingeschränkt hätte. Gleiches galt für die Römischen
den 27 Ländern der EU und mit einer Gesamtbevöl Verträge von 1957 (EWG/EAG) und alle Folgeverträ
kerung von rund 501 Mio. (Eurostat 2010) ist die ge von Maastricht 1992 bis Lissabon 2007. Als mit
Gleichsetzung von Europa und EU jedoch berechtigt. dem Unabhängigkeitswillen vereinbar wurde dage
Das integrierte Europa ist gemäß der variablen gen die Mitgliedschaft mit der 1960 als Gegenmo
Geometrie auf verschiedenen Ebenen angesiedelt, dell zur EWG geschaffenen Freihandels�ssoziation
und das Verhältnis der Schweiz zu Ihm ist je nach (EFTA) verstanden. Problemlos erschien auch das
Ebene ein anderes. Im Falle rein lnternationaler Ge aus diesem Status heraus 1972 mit dem EWG-Block
bilde mit Elnstlmmigkeitserfordernissen (also Veto abgeschl· ossene Freihandelsabkommen (s. Kap. ,.Die
Möglichkeiten) hat die Schweiz in der Regel wenig Schweiz In der Welt/Die Schweiz in der Weltwirt
Mühe mit einer Mitgliedschaft. Typisches Beispiel ist schaft''). Die Formel lautete: wirtschaftliche Inte
die 1948 gegründete OEEC (seit 1960 OECD) oder gration ohne politische Partizipation. Der Grad der
die 1975 finalisierte KSZE, später OSZE, in der die wirtschaftlichen Integration der Schweiz 1st an ihren
Schweiz 1996 sogar stolz die Präsidentschaft inne Außenhandelswerten abzulesen: 2008 exportierte die
hatte. Schweizer Industrie Waren im Wert von 132 Mrd. CHF
Im Falle des ebenfalls „bloß" international ange in die EU, während sie aus der tu Waren im Wert von
legten und 1949 geschaffenen Europarats hatte die 154Mrd.CHF importierte (Eidgenössisches Departe
Schweiz längere Zeit (bis 1963) dennoch Probleme ment für auswärtige Angelegenheiten EDA/Eidgenös
mit einer Mitwirkung, weil sie befürchtete, dass sich sisches Volkswirtschaftsdepartement EVD (2009):
diese Organisation zu einem politischen Gebilde ent Bilaterale Abkommen Schweiz-EU, S. 6).
wickeln würde, dem ein neutraler Staat schlecht an De facto Ist die Schweizer Regierung durch Diplo
gehören könne. Wie gegenüber der UNO praktizierte maten und unabhängige Sachverständige In wichtigen
die Schweiz auch gegenüber Europa eine zwar wenig Gremien Europas vertreten, darunter die Europäische
eindeutige, aber doch praktische Unterscheidung Konferenz der Verkehrsminister (CEMT), die Europä
zwischen „technischen" Organisationen, bei denen ische Patentorganisation, die Europäische Zivilluft
man problemlos mitwirken konnte und kann (Europä fahrt-Kommission (CEAC/ECAC), das Europäische
ische Zahlungsunion EZU Und European Organization Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC),
for Nuclear Research CERN), und den „politischen" das Europäische l<omitee für Normung (CEN) und
Organisationen, bei denen ein Dabeisein nicht in die Konferenz der europäischen Post- und Fernmel
frage kam. Im Juni 1951 nannte Max Petltpierre, devenvaltungen (CEPT), ferner in wissenschaftHchen
der für die Außenpolitik zuständige Bundesrat, in Organisationen und Konferenzen wie der Europäi
einer nationalrätlichen I nterpel lationsbeantwortung schen Organisation für Kernforschung (CERN), der
nebst den militärpolitischen Bedenken weitere, für Europäischen l<onferenz und dem Europäischen
die schweizerische Haltung typische Vorbehalte: Der Laboratorium für Molekularbiologie in Heidelberg
Europarat sei eines der orga11es crees de. toutes
11 (EMBC/EMBU, der Europäischen Südsternwarte in
pieces" (ein aus verschiedenen Stücken zusammen Garching (ESO). der Europäischen Weltraumorganisa
gesetztes Organ), eine „instilution superf/ue" (eine tion (ESA), dem Europäischen Laboratorium für Syn
überflüssige Einrichtung) und eine „organisation dont chronstrahlung (ESRF), dem Europäischen Zentrum
l'inefficacite est incontestable" (eine Organisation, für mittelfristige WetteNorhersage im englischen Rea
deren Ineffizienz unbestritten ist). Wie der Schwei ding (EZMW), der Europäischen Zusammenarbeit auf
zer Historiker Hans Ulrich Jost darlegt, beruhte die dem Gebiet der wissenschaftlichen und techntschen
schweizerische Distanzierung zum Europarat in erster Forschung (COST) sowie der Initiative für grenzüber
Linie auf der Be.fürchtung, dass sich der Europarat schreitende Kooperationsprojekte in marl(torientierter
zu einem starken Gebilde entwickeln und die Hand industrieller Forschung und Entwicklung (EUREKA).
lungsfreiheit der Schweiz insbesondere in außenwlrt Zudem verfügt die Schweiz bei verscl1ledenen inter
schaftlichen Fragen einschränken könnte. Als sich nationalen Organisationen Liber eine ständige Vertre
der Europarat nicht in diese Richtung entwickelte, tung {Mission) oder über eine ständige Delegation:
blieb die ablehnende Haltung der Schweiz dennoch Beispiele sind die ständigen Vertretungen beim Euro
bestehen und drückte sich mitunter dann im Vorwurf parat (Strasbourg), In FAO, !FAD, WFP (Rom), NATO
des genauen Gegenteils aus - im Vorwurf der Schwä (Brüssel), OECD (Paris), OSZE (Wien), UNESOO (Pa
che und Bedeutungslosigkeit. Inzwischen ist der Eu ris), UNO (New York) und internationale Organisatio
roparat ein von der Schweiz sehr geschätztes Forum, nen wie die WTO/EFTA (Genf).
188
Schweizer Haltung zur europäischen Integration sogar diese Mittelstellung ab und blieb vorerst ganz
draußen (Ablehnung von 50,3 % Bevölkerungsstim
Das Verhältnis zum men und 6 von 23 Kantonsstimmen, bei außeror
Europäischen Wirtschaftsraum (EWRJ dentlich hoher Stimmebeteiligung von 78, 7 %).
Die schweizerische Haltung gegenüber europäischen Der negative Entscheid vom 6. Dezember 1992,
Integrationsprojekten war stets offiziell höflich (be von entschiedenen Befürwortern des EWR-Beitritts
gleitet von den besten Wünschen), intern aber skep wie Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz als „schwar
tisch, ja von der Hoffnung getragen, dass sie nicht zer Sonntag" empfunden, markierte eine starke
gelingen würden, weil deren Erfolg der Schweiz nur Zäsur im Verhältnis Schweiz-Europa. Die Landesre
Probleme schaffen und sie isolieren würde. Nicht gierung hatte sich dies aber selbst eingebrockt. Der
untypisch ist die von einem Kommentator vorgenom EWR wurde, weil die Regierung im Zuge der allge
mene Gegenüberstellung: auf der einen Seite das meinen Beitrittsdynamik (s.o.) noch vor der EWR
vermessene, seines Erachtens viel zu schnell hochge Abstimmung ein Beitrittsgesuch deponiert hatte, nur
zogene und mit dem Turmbau von Babel vergleichba als Zwischenstufe (,.Trainingslager") gesehen. Bei
re EWG-Projekt, auf der anderen Seite die sorgfältig den Beitrittsgegnern aber herrschte die Befürchtung,
und über ein Jahrzehnt in beharrlicher Aufbauarbeit dass die Schweiz wie ein Würfelzucker in der Teetas
entwickelte OEEC, die riskiere, unter den Trümmern se Europa aufgehen werde. Es kamen aber auch kon
des „unvermeidlichen" EWG-Einsturzes begraben zu kretere Politsorgen hinzu. Befürchtet wurden eine
werden (Peter Aebi, Monatshefte 1958). Man muss Erhöhung der Arbeitslosigkeit und eine Verstärkung
sich die sonderbaren Diskurse vergegenwärtigen, mit des Transitverkehrs. Auffallend war die klare Auftei
denen noch in den l 960er-Jahren (etwa Kurt Brot lung: Zugestimmt hatten die französische Schweiz
beck, Bern 1963) das Fernbleiben der Schweiz aus (!es Romands) und alle größeren Städte (selbst Lu
der EWG begründet wurde: Die Schweiz befinde sich zern in der lnnerschweiz), hingegen nicht St. Gallen
auf einer höheren Stufe als das benachbarte Aus in der Ostschweiz und Lugano im diesbezüglich stets
land, sie könne sich schon darum nicht unter das deutlich ablehnenden Tessin.
„Machtgebilde" unterordnen und wolle abwarten, bis Um die Konsequenzen des Nein zum EWR bzw.
Europa zu einer Schweiz werde und seinerseits (wie um die Frage, ob und inwiefern die Entwicklung der
die Schweiz) der Menschheit den Weg in die Freiheit schweizerischen Wirtschaft unter dem Nein zum
weise. EWR tatsächlich zu leiden hatte, dreht sich eine
Die über die Jahre stets derart hochgehaltene Di größere Debatte. So wird auch ein Zusammenhang
stanz konnte gegen Ende der l 980er-Jahre nicht zwischen der fehlenden Luftfreiheit und dem Expan
plötzlich aufgegeben werden, als die Regierung re sionskurs der Schweizer Fluggesellschaft Swissair
lativ unvermittelt einen radikalen Kurswechsel ein mit ihren fatalen Aufkäufen von kleineren europäi
zuschlagen versuchte . .,Europa" oder „Brüssel" schen Fluggesellschaften gesehen, der letztlich zum
bildeten bereits zuvor wie auch danach eine Fläche Bankrott führte. Nach dem Nein zum multilateralen
für allgemeine Negativprojektionen. Immer wieder Pauschalvertrag von 1992 musste die Schweiz ihr
mussten unzutreffende und auch unlautere Behaup Verhältnis zur EU sektoriell und bilateral in einem
tungen korrigiert werden, welche nicht davor zurück Prozess regeln, der aus Respekt vor dem Volks-Nein
schreckten, das demokratische und polyzentrische vom Dezember 1992 stets unter dem Integrations
Europaprojekt mit dem undemokratischen und hege niveau des EWR zu bleiben hatte. Die auf diesem
monialen Europa gleichzusetzen, wie es vom „Dritten Weg getroffenen Teillösungen waren aber immer dem
Reich" angestrebt worden war. Auch später prakti Verdacht ausgesetzt, die Schweiz würde sich auf die
zierten, wie ein Beispiel aus dem Jahr 2000 zeigt, se Weise näher an die unerwünschte Vollintegration
die Europagegner in der Schweiz hemmungslose Po bringen.
lemik: Als eine größere Zahl von EU-Regierungen auf
Distanz zu Österreich gingen, weil die rechtsnationale Die Bilateralen Verträge
FPÖ an der Regierung beteiligt wurde, brandmarkten Die sog. "Bilateralen I" umfassten sieben Bereiche,
sie dies als „modernes Despotentum" und begrün von denen einige von der einen Seite, einige von der
deten ihr Nein zur EU mit dem Argument, ,.damit anderen Seite eingebracht worden waren, und einige
wenigstens ein Fleck in Europa den Willen der Bür von beiden gewünscht wurden. Es handelte sich um
gerinnen und Bürger respektieren darf" (Inserat NZZ Abkommen bezüglich Personenfreizügigkeit, Land
vom 17. Februar 2000). und Luftverkehr, Forschung, technische Handels
Der gegen Ende der l 980er-Jahre entworfene Eu hemmnisse, öffentliches Beschaffungswesen sowie
ropäische Wirtschaftsraum (EWR) hätte aus Sicht der Handel mit Agrarprodukten (s. Exkurs „Bilaterale Ab
damaligen EG potenzielle Beitrittskandidaten eigent kommen Schweiz-EU (1 und II)").
lich davon abhalten sollen, gleich eine Vollmitglied Das in einer langen Verhandlungszeit von fünf
schaft anzustreben. Im Falle der 1995 aufgenomme Jahren ( 1994-1999) erarbeitete Ergebnis brachte
nen drei Länder Österreich, Schweden, Finnland ge nach dem Prinzip des do ut des (lat.: Ich gebe, da
lang das Abhalten jedoch nicht. Nur Norwegen nebst mit du gibst) oder des give and take je nach Bereich
Liechtenstein und Island begnügten sich mit dieser unterschiedliche Zufriedenheiten, musste aber als
Mittelstellung zwischen Dabei- und Nichtdabeisein. Gesamtpaket genommen werden. Eine Guillotine
Die Schweiz lehnte 1992, wenn auch sehr knapp, Klausel sah bei der Kündigung eines einzigen Be-
189
reichs die Hinfälligkeit des ganzen Pakets vor. Eine EU-Raum neue Verträge auszuhandeln. Wünschens
beachtliche Mehrheit von 67,2% hieß diese Vorlage wert wären, wie das bei Sehengen/Dublin halbwegs
in einer Volksabstimmung vom Mai 2000 gut. Die der Fall ist, dynamisierbare Abkommen, die sich
beruhigende Botschaft hatte gelautet, es sei ein sozusagen automatisch der Entwicklung anpassen.
rein wirtschaftliches und absolut kein politisches Wünschenswert wäre ferner ein Rahmen- oder Man
Abkommen. telabkommen für sämtliche bisherigen und künftigen
In den folgenden Jahren einigte man sich auf die Verständigungen.
„Bilateralen II" mit neun weiteren Bereichen, die Die „Bilateralen" haben den Nachteil, dass es tra
nun aber nicht mehr untereinander verknüpft waren. ditionelle statische Abkommen sind, die Entwicklung
Es waren dies Sehengen/Dublin, die Zinsbesteue jedoch weitergeht. Das bekam die Schweiz bei der
rung und Betrugsbekämpfung, landwirtschaftliche zweifachen EU-Osterweiterung 2004 durch zehn und
Verarbeitungsprodukte, Umweltagentm, Statistik, 2007 durch zwei weitere Mitglieder deutlich zu spü
Filmförderung und Ruhegehälter. Einzig gegen den ren. Beide Male mussten die schweizerischen Bürge
Beitritt zum Sicherheitssystem von Sehengen/Dublin rinnen und Bürger an die Urne (September 2005 und
(internationale Polizeikooperation/Bekämpfung von Februar 2009), beide Male stand das gesamte Paket
Mehrfachasylanträgen) wurde das Referendum er der „Bilateralen I" auf dem Spiel, doch beide Male
griffen, weswegen eine Volksabstimmung nötig war. kam es wiederum zu einem Ja von 56% und 59,6%.
Diese ergab im Juni 2005 wiederum eine Mehrheit Beim Beitritt Kroatiens wird man in der Schweiz er
von 54,6%, die immerhin zur hoch symbolischen neut abstimmen müssen, obwohl es eigentlich eine
Aufhebung von direkten Grenzpersonenkontrollen Wahl ohne wirkliche Wahlmöglichkeit ist.
zustimmte. Im November 2006 war noch eine Abstimmung
Jüngst war immer wieder von den „Bilateralen III" zu einem besonderen Geschäft fällig. Die offizielle
v. a. zur Dienstleistungs- und Strommarktliberalisie Schweiz trug der Einsicht Rechnung, dass man nicht
rung die Rede, aber auch davon, dass es nicht ewig vorn Marktzugang der Osterweiterung profitieren
so weitergehen könne, für jede Anpassung an den kann, ohne sich an den Kosten des Transformati-
190
Zusätzlich zu den genannten drei klassischen Ein Die weitere Annäherung der Schweiz an die EU
wänden wurde auch der Schutz des schweizerischen bleibt jedoch, gelinde gesagt, ein heikles Thema. Das
Bankgeheimnisses bzw. der Schutz von Fluchtgel kann man daran erkennen, dass die Politik diese Fra
dern aus Steuerhinterziehung und Steuerbetrug zu ge jeweils vor den Wahlen nicht anrühren mag, weil die
einem gewichtigen Argument gegen die EU gemacht. Wahrscheinlichkeit besteht, dass man mit der Befür
Der auf mehr Transparenz bzw, 1 nformationsaus wortung einer weitergehenden Integration in die EU
tausch zielende Druck kam aber nicht von der EU nur Stimmen verlieren könnte. Anderseits schwindet
selbst, sondern von einzelnen Mitgliedstaaten wie mit dem weiter verfolgten Ausbau der EU laufend die
Deutschland, Frankreich und Italien, außerdem aus .Bedeutung der nationalen Souveränität, die man mit
den USA und von internationalen Institutionen wie dem Abseitsstehen doch verteidigen möchte. Es wäre
den G20 und der OECD. Wird einmal das schweize an der Zelt und den heutigen Verhältnissen angemes
rische Bankgeheimnis noch stärker den internatio sen, wenn in dem während mindestens elnes guten
nalen Standards angepasst, dürfte ein wesentliches Jahrhunderts (aber auch nicht viel länger) argwöhnisch
Argument gegen die Vollmitgliedschaft hinfällig wer auf den Alleingang bedachten Klelnstaat die Einsicht
den. Anderseits spürt die Schweiz Immer wieder, wie an Boden gewänne, dass man Souveränität nicht nur
sehr sie auf eine enge Kooperation mit der EU ange im Alleingang verteidigen kann, sondern auch und mög
wiesen ist. 2009/2010 war dies z.B. bei der in der licherweise sogar besser mit einem Mitgliedsstatus. Die
Schweiz nur mit Verspätung zustande gekommenen ser Mitgliedsstatus würde es gestatten, die Souveränität
Zulassung der Impfstoffe gegen die Scl1weinegrlppe auf Integrierte und kooperative Weise zu praktizieren -
der Fall. so wie es noch heute die Kantone in der Schwe. iz tun.
leistungen (Wartung, Know-How-Transferl und geis Überwachung durch die anderen GATT-Mitglieder
tiges Eigentum (Software, Innovation) (World Trade führen konnte. 1968, 1988 1990 Und 1992 wur
Organization, World Trade Report 2009. 2010). de diese Gelegenheit von den Partnern der Schweiz
genutzt.
Einbindung der Schweiz in Am 1.Juli 1995 lrat die Schweiz der WTO als
1 nstitutionen der Weltwirtschaft Gründungsmitglied bei, einem Verhandlungsforum,
Die Schweiz ist dem GATT (General Agreement das u. a. die Anwendung der Abkommen aus Welt
on Tariffs and Trade) 1958 zunächst provisorisch handelsrunden, nationale Außenwirtschaftspolitiken
beigetreten. Das Regelwerk des GATT und der spä und die allgemeine Entwicklung des Welthandels
teren Welthandelsorganisation (W TO) in Genf wur überwach1 sowie die Integration der Entwicklungs
de 1945-1948 erarbeitet, stützte sich auf den länder in den Welthandel zu verbessern sucht. Für
Grundsatz der Nichtdiskriminierung und war ur die Schweiz fielen mit dem Übergang zur WTO die
sprünglich auf Güter anwendbar, doch waren z. B. Sonderregelungen weg. In der Landwirtschaft galt
die für Entwicklungsländer wichtige Textil- und Be nun das Prinzip ,,an der Grenze gibt es nur noch Zöl
kleidungsindustrie ausgeklammert. Mit der 1986 le", Alle anderen Maßnahmen mussten In lölle um
lancierten Uruguay-Runde wurden die GAT T-Regeln gewandelt werden, was zu einer sehr hohen Zollbe
auf Dienstleistungen und geistiges Eigentum aus lastung auf Landwirtschaftsprodukten führte. 1991
geweitet. trat die Schweiz dann der Weltbank und dem IMF bei
Die USA stellten bereits Anfang der 1950er-Jahre und übernahm die Zollnomenklatur des l1armonisier
als Erste fest, dass die Grundprinzipien des GATT ten Systems.
nicht mit ihrer Landwirtschaftspolitik vereinbar Obschon wirtschaftlich gewichtig, ist die Schweiz
waren. Mit der Gründung der Europäischen Wirt von vielen umstrittenen Fragen in der WTO nicht be
schaftsgemeinschaft (EWG) 1957 entstand eine troffen: Sie führt keine aktive Antidumping" und An
gemeinsame europäische Agrarpolitik, .die ebenfalls tisubventionspolitik; sie hat nur ein einziges Mal in
die Grundprinzipien des GATT ignorierte. Die feh einem Streitfall als Klägerin mitgewirkt und auch die
lende Mitgliedschaft der Schweiz in der Weltbank Sonderschutzklausel bei der Landwirtschaft nur ein
und 1m internationalen Währungsfonds (IMF), das einziges Mal angewendet. Mit ihrer bewusst weltof
Fehlen einer GATT-kompatiblen Zollnomenklatur fenen Außenwirtschaftspolitik stellt sie für ihre Han
und eine Schweizer Landwirtschaft, die mit hohen delspartner selten ein Problem dar. Die zukünftigen
Zöllen, Mengenbeschränkungen (Kontingenten) und Herausforderungen, die im Welthandelssystem einer
weiteren Maßnahmen vor der ausländischen Kon baldigen Regelung bedürfen, werden die Schweiz
kurrenz geschützt wurde, erforderten Sonderlösun hingegen tangieren. Dazu gehört die Vereinbarkeit
gen. Das Beitrittsprotokoll der Schweiz vom 1. Au von Weltwirtschaftregeln und Sicherung der globalen
gust 1966 sah denn auch eine Sonderregelung für Gouvernanz beispielsweise im Finanz- und Investiti
die Landwirtschaft vor, die alle zwei Jahre zu einer onssektor.
194
Die Schweizer Strategie im globalen Welthandel für spätere Verhandlungen in der WTO bilden. Sol
Wichtigster Handelspartner der Schweiz ist die EU che Abkommen sind in der WTO ausdrücklich vor
(60% Exporte, 77,9% Importe) (SECO, Schweizer gesehen (Art. XXIV GATT und Art. V G ATS) und wer
Außenhandelsstatistik 2009, www.seco.admin.ch) den im Ausschuss für regionale Abkommen der WTO
und so ist das Verhältnis zwischen Schweiz und EU überprüft.
von größter Bedeutung (s. Kap. ,,Die Schweiz in der
Welt/Schweiz und Europa"). Trotzdem ist der Han Kohärenz zwischen der Weltwirtschafts
del mit außereuropäischen Partnern immer wichti politik und der Binnenwirtschaftspolitik
ger geworden. Der Bundesrat verabschiedete 2005 Für ein exportorientiertes Land wie die Schweiz, in
eine auf drei Säulen ruhende außenwirtschaftspo der zwei von drei Franken dank der Außenwirtschaft
litische Strategie, die im Folgenden zusammenge verdient werden und der Binnenmarkt mit 7, 78 Mio.
fasst wird. Einwohnern (2009) relativ klein ist, macht es kei
nen Sinn, eine eigene spezifische Wirtschaftspolitik
Marktzutritt und größere Rechtssicherheit zu entwickeln. Die globalen Trends schlagen sich in
Den Errungenschaften bezüglich Marktzutritt und der nationalen Wirtschaftspolitik nieder. Es hat sich
größerer Rechtssicherheit in der WTO kommt größte in der Krise gezeigt, dass die wirkungsvollsten Maß
Bedeutung zu. Dank der Meistbegünstigung kommt nahmen diejenigen der Handelspartner der Schweiz
die Schweiz wie alle WTO-Mitglieder in den Ge waren, die auch neue Aufträge für die Schweizer Ex
nuss von Verhandlungsvorteilen, die sich andere portindustrie brachten. Ferner braucht die Schweiz
WTO-Mitglieder im Rahmen der WTO gegenseitig Reformen, um die Wettbewerbsvorteile ihrer Wirt
zusprechen. Seit 1996 wurden allerdings in der schaft zu erhöhen.
WTO keine Verbesserungen erzielt. An der ersten
WTO-Ministerkonferenz wurde ein Informations Solidarität mit schwachen Wirtschaftspartnern
technologie- und Zollliberalisierungspaket verab Die wirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit
schiedet, doch seither konnte in der WTO keine enthält die folgenden drei Kategorien:
weitere Liberalisierung verabschiedet werden; die ■ Im Rahmen der vertraglichen Beziehungen der
laufende DOHA-Runde stagniert. Das Regelwerk Schweiz zur EU können Projekte in den zehn ost
der WTO behält jedoch seine Wichtigkeit, weil die und südeuropäischen Ländern finanziert werden,
Schweiz und ihre Handelspartner ihre Handels die 2005 EU-Mitglieder wurden. Das Gleiche gilt
politik nach der WTO ausrichten müssen. Damit für Bulgarien und Rumänien, die 2007 der EU bei
entsteht in diesen Politikbereichen eine gewisse getreten sind.
Konvergenz. In den 1990er-Jahren begannen zahl ■ Im Rahmen der Stimmrechtsgruppen der Schweiz
reiche Handelspartner damit, bilaterale und regio in der Weltbank und im IMF sowie der Europäi
nale Freihandelsabkommen auszuhandeln. Diese schen Entwicklungsbank (EBRB, London) werden
haben zur Folge, dass Exporteure aus der Schweiz Projekte für Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan,
auf diesen Märkten schlechter gestellt werden, weil Polen, Serbien, Tadschikistan, Turkmenistan und
sie im Gegensatz zu ihren Konkurrenten noch Zölle Usbekistan finanziert.
bezahlen müssen. ■ Im Rahmen der Freihandelsbeziehungen der
Der Abschluss von Freihandelsabkommen ist des Schweiz mit Entwicklungsländern werden handels
halb eine wesentliche Strategie, um Marktzutritt und relevante Projekte in diesen Ländern unterstützt.
größere Rechtssicherheit für Schweizer Produkte zu ■ Insgesamt wendete die Schweiz 2009 für solche
erhalten. Solche Abkommen handelt die Schweiz Programme 226 Mio. CHF auf (SECO, Bericht zur
normalerweise im Rahmen der Europäischen Freihan Außenwirtschaftspolitik 2009, Bern 2010). Ferner
delszone EFTA (bestehend aus Island, Liechtenstein, nimmt sie an multilateralen Programmen teil.
Norwegen, Schweiz) aus. Mit der EU (im Rahmen des
ersten Freihandelsabkommens 1972), den Färöer-In Die Schweiz und die europäische Integration
seln (1980) und Japan (2008/2009) verhandelte die Auf die Integration der Schweiz in Europa wird hier
Schweiz bilateral. nicht näher eingegangen - hier sei auf Kapitel „Die
Insgesamt schloss die Schweiz bis heute 22 Ab Schweiz in der Welt/Schweiz und Europa" verwiesen.
kommen ab. Sie enthalten meist folgende Kapitel:
Güterhandel und Ursprungsregeln, Handel mit Ag Die Schweizer Wirtschaft 2010
rargütern (bilaterale Protokolle), Dienstleistungen, Vierzehnter Exporteur im Bereich der Güter, achter
geistiges Eigentum, öffentliches Beschaffungswe Exporteur von Dienstleistungen, größte Patentdichte
sen, Wettbewerb, Investitionsschutz, horizontale und der Bevölkerung pro Kopf, fünftgrößter Finanzplatz
institutionelle Fragen. Ausgangspunkt dieser Ver der Welt, weltweit höchste Innovationsleistung. Wie
handlungen sind jeweils die in den WTO-Abkommen schafft die Schweiz das bloß? Zahlreiche Gründe er
vorhandenen Regeln. Eine Ausnahme bilden die In klären diese Leistung, denn in der Schweiz sind die
vestitionen, die - mit Ausnahme der Dienstleistun Rahmenbedingungen für die Wirtschaft gut:
gen - im WTO-System noch keine recht! iche Basis ■ politische Stabilität
haben. Aus Schweizer Sicht sind die meisten Prä ■ Arbeitsfrieden (Dialog zwischen den Sozialpart
ferenzabkommen eine Weiterentwicklung des WTO nern)
Systems. Sie werden wahrscheinlich die Grundlage ■ lernfähige und lernwillige Bevölkerung
195
■ das berufliche Ausbildungssystem, das die Op kaum wahrgenommen wird. Die Veränderungen seit
tion einer Berufslehre mit der Möglichkeit zum 1945 führen dazu, dass die Schweiz nicht mehr so
anschließenden Fachstudium nebst dem akademi oft gebraucht wird wie damals. Wenn sich angesichts
schen Bildungsweg anbietet dieser Entwicklungen die öffentliche Meinung in der
■ ein flexibler Arbeitsmarkt Schweiz verstärkt in ein geistiges „Reduit" zurück
■ positive Begleitung ausländischer Investitionen zieht, wird die Öffnung gegenüber Europa und der
■ wenig Grenzschutz (mit Ausnahme der Landwirt Welt nicht erleichtert.
schaft) Mit den Wachstumszonen USA, Südamerika und
■ Kontaktnetz zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften Asien konkretisiert sich die Idee einer multipolaren
und Politik Welt. Unter diesen Polen finden Absprachen statt,
■ funktionierende Infrastrukturen weil die USA auch in diesen Regionen wirtschaftlich,
■ soziale Sicherheit politisch und mll ltärlsch stark präsent sind. Europa
■ einige Großbetriebe, die globale Konzerne wurden ist es nicht und droht somit, isoliert zu werden. Da
(Pharma, Chemie, Nahrungsmittel, Banken, Versi die EU heute 27 Mitglieder zählt, hat die Kommissi
cherungen, Seeschifffahrt, Logistik) und zahlreiche on eine gewisse Legitimität, für Europa zu sprechen.
Klein- und Mittelbetriebe, die im Export als Ni Dadurch wird die Schweiz ins Abseits gedrängt, da sie
schenplayer und als Zulieferer eine wichtige Rolle als Tell Europas und sogar als Mitglied der EU wahr
spielen genommen wird, auch wenn sie kefn EU-Mitglied Ist.
■ angenehme Umwelt und überschaubare Städte. In der heutigen Zeit interessieren die Nuancen,
die für die Schweizer lebenswichtig sind, die Großen
Bis in die l 970er-Jahre gehörten diese Vorteile zum dieser Welt nicht. Wenn die Scliwelz dies begreift,
Alleinstellungsmerkmal der Schweiz. Inzwischen kann sie dank den außerordentlichen Leistungen ih
aber haben andere Länder aufgeholt, auch wenn die rer Wirtschaft und ihrer Arbeitnehmer ihr hohes Ni
.,Normalisierung" der Schweiz (weg vom „Sonder veau halten. Dies erfordert jedoch Mut, Dynamik und
fall") von denjenigen, die nicht ins Ausland reisen, 1 nnovationslust.
UNO-Organisationen), die DEZA im Bereich jener Hebelwirkung über die bescheidenen Mittel der bila
UNO-Organisationen, die technische Entwick teralen Hilfe hinaus bewirken konnte.
lungshilfe betreiben. Bei wichtigen Entscheiden Nach einer knapp gewonnenen Volkabstimmung
konsultieren sich DEZA und SECO. trat die Schweiz 1992 dem IWF und der Weltbank
■ die Zielsetzung der schweizerischen EZA: Im Vor gruppe bei, wo sie im Exekutivrat permanent eine
dergrund standen seit den l 970er-Jahren die Ar Stimmrechtsgruppe leitet, der osteuropäische und
mutsbekämpfung sowie die ärmeren Entwicklungs zentralasiatische Länder angehören. Damit wur
länder und -regionen, wobei der Hilfe zur Selbsthil de auch Zentralasien zu einem neuen regionalen
fe und dem ökologischem Gleichgewicht eine hohe Schwerpunkt der bilateralen Ostzusammenarbeit.
Priorität zukam. Diese und ähnlich zusammengesetzte Stimmgrup
■ Rahmenkredite als Erweiterung des Handlungs pen verliehen der Schweiz in der gleichzeitig ge
spielraums der EZA: Der Bundesrat erhielt mittels gründeten Entwicklungsbank für Osteuropa und
parlamentarisch bewilligter, mehrjähriger Rahmen Zentralasien und im Globalen Umweltfonds ein er
kredite Spielraum zur Planung und Durchführung hebliches institutionelles Gewicht. 2002 schließlich
von EZA. Diese Beiträge figurieren im jährlichen trat die Schweiz nach einem knappen Sieg im Volks
Staatshaushalt und unterliegen den üblichen referendum auch der UNO bei, was nach der spekta
Ausgabenkontrollen. Grundlage für solche Pau kulären Abstimmungsniederlage von 1986, bei der
schalzuweisungen sind sog. Botschaften an das 76 % der Stimmbürger und alle Kantone gegen den
Parlament, in denen konkrete Entwicklungsziele, Beitritt gestimmt hatten, von vielen nicht erwartet
Projektarten und Instrumente beschrieben werden. worden war.
■ die Schaffung eines verwaltungsinternen Koordi
nationsorgans und einer beratenden Kommission Gute Regierungsführung
für Entwicklungsfragen: Mitglieder der Kommissi Mit dem Fall der Berliner Mauer verlor Entwicklungs
on sind sowohl Parlamentarier als auch Vertreter hilfe als Allianz gegen den Kommunismus ihren Stel
von lnteressensgruppen für Entwicklungsfragen lenwert. Vorher hatten sich die multilateralen Institu
(Arbeitgeber, private Hilfswerke, Universitäten, Ge tionen auf wirtschaftliche und soziale Unterstützung
werkschaften, Journalisten). Der Kommission wer der Entwicklungsländer beschränkt und Fragen der
den Reformvorschläge in einzelnen Gebieten, neue guten Regierungsführung, einschließlich der Kor
1 nterventionsformen, internationale Beurtei Iungen ruption, im Namen der nationalen Souveränität aus
der Schweizer Hilfe und Evaluationen der vergan geklammert. Jetzt wurde es möglich, die Effizienz
genen Tätigkeit vorgelegt. der staatlichen Einrichtungen, einschließlich seiner
demokratischen Verankerung und rechtsstaatlichen
Diese vier Regelungen erlaubten einen starken Aus Ausrichtung zu unterstützen. Auch die Schweizer
bau der Entwicklungsaktivitäten beider Bundesäm EZA befasste sich jetzt mit Themen wie
ter, also der DEZA-Direktion für Entwicklungszu ■ der Stärkung demokratischer und rechtsstaatlicher
sammenarbeit und des SECO-Staatssekretariats für 1 nstitutionen,
Wirtschaft. Der Kern des DEZA-Mandates umfasste ■ guter Regierungsführung (good governance),
ursprünglich v.a. Projekte mit Kleinbauern, Hand ■ der Reform der öffentlichen Verwaltung,
werkern und Kleinindustriellen, ferner soziale Dienst ■ der Schaffung und Unterstützung dezentraler
leistungen und Infrastruktur. Das SECO hingegen Strukturen und
unterstützte Entwicklungsländer bezüglich Schulung ■ der Förderung privater Eigentumsrechte, unabhän
und Beratung im Außenhandel, Zugang lokaler Un giger Gerichte und der Einhaltung der Menschen
ternehmen zu Finanzierung und Investitionen sowie rechte durch den Staat (z.B. humane Gefängnisse,
Projekte in der Wirtschaftinfrastruktur. Mit der Über Arbeitsrechte).
schuldung und Stagnation vieler Entwicklungsländer
in den l 980er-Jahren ging das SECO - wie auch die Neue Ostzusammenarbeit und Migrationspolitik
Weltbank und der IWF - dazu über, Strukturanpas Staatsreformen waren v. a. in den neuen Demokrati
sungs- und Zahlungsbilanzhilfe (spätere Budget en Osteuropas, des Balkans, des südlichen Kaukasus
hilfe) zu leisten und Entschuldungsprogramme zu und Zentralasiens erforderlich. Die seit den 1990er
finanzieren. Jahren betriebene Ostzusammenarbeit der Schweiz
fokussiert nebst der nachhaltigen Entwicklung auch
1990 bis heute: neue Horizonte auf der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, Demokra
tie und Menschenrechten sowie Stabilität und Si
Verstärkung der multilateralen Hilfe cherheit in der europäischen Nachbarschaft.
Die Schweiz gab der bilateralen EZA stets den Vor Eine weitere Rolle spielt aber auch das außen
rang vor multilateralen Kanälen. Die multilaterale wirtschaftliche Interesse am Wachstum osteuropäi
Hilfe beschränkte sich auf die Beteiligung an drei scher Märkte sowie die Migrationsbewegung aus dem
regionalen Entwicklungsbanken und verschiedenen südöstlichen Europa (Bundesrat 2006: Botschaft
UNO-Einrichtungen. Dies entsprach jedoch nicht über die Weiterführung der Zusammenarbeit mit
dem langfristigen Interesse des Kleinstaates Schweiz, den Staaten Osteuropas und der GUS vom 15.De
der über seine Einflussnahme auf Entwicklungspoli zember 2006). Migrationspolitik ist seither Teil der
tik und Projekte multilateraler Organisationen eine schweizerischen EZA. Über die DEZA können Ent-
197
wicklungsbedingungen in den Ursprungsländern von schenrechte des EDA (Eidgenössisches Departement 1 Abb. 146 I
Schwerpunkt
Arbeitsmigranten verbessert und es kann ein Beitrag für auswärtige Angelegenheiten) oft, aber nicht im länder von DEZA und
zur Integration von Rückkehrern geleistet werden. mer in den gleichen Ländern wie die Sonderprogram SECO und Sonder
programme der DEZA.
Über das Entwicklungsbudget des Bundes werden me. Dazu zählen u. a. die Förderung von Dialog und
heute zudem auch Ausgaben für Asylsuchende in der Mediation zwischen Konfliktparteien, die Hilfe bei
Schweiz verbucht. Vergangenheitsbewältigung und Wiedergutmachung
nach schweren Menschenrechtsverletzungen sowie
Fragile Staatlichkeit die Unterstützung von Wahlprozessen. Ein schwei
Eng verbunden mit dieser neuen „politischen" Aus zerischer Expertenpool steht für Einsätze im Ausland
richtung hat die DEZA eine Reihe von Sonderpro zur Verfügung. Die Beteiligung von Schweizer Sol
grammen in Staaten und Sub-Regionen lanciert, in daten an internationalen Friedenaktionen (.,militäri
denen die Bevölkerung unter einer schwachen Regie sche Friedensförderung") vervollständigt die zivilen
rungsführung leidet (.,fragile Staatlichkeit"), Minder Aktionen.
heiten und marginale Gruppen benachteiligt werden,
bewaffnete Konflikte schwelen oder die Verletzlich Umweltschutz in Entwicklungsländern
keit gegenüber Epidemien und Naturkatastrophen Seit dem Umweltgipfel in Rio de Janeiro 1992 wur
groß ist (Abb.146). Die Ursachen der Instabilität den Umwelt- und Klimaschutz sowie die Anpassung
oder der möglichen Katastrophen werden identifi an den Klimawandel in armen Entwicklungsländern
ziert, um dann Projekte durchzuführen, welche die ein Schwerpunkt der schweizerischen EZA. Das
politischen Spannungen oder die Auswirkungen von Bundesamt für Umwelt BAFU ist hierbei für multi
Naturkatastrophen und Epidemien nachhaltig ent laterale Aspekte zuständig, z.B. die schweizerische
schärfen sollen. Beteiligung am Globalen Umweltfonds, der Projekte
in Entwicklungsländern finanziert. SECO und DEZA
Friedensförderung und Wahrung der Menschenrechte konsultieren das BAFU, wenn sie sich an Projekten
Ergänzend zur humanitären Hilfe und zu den Son mit speziellen Umweltaspekten beteiligen, was häu
derprogrammen der DEZA laufen Maßnahmen zur fig vorkommt. Hauptaktivität des BAFU auf interna
zivilen Friedensförderung und Stärkung der Men- tionaler Ebene sind jedoch die Verhandlungen bei
198
·1 ._., , . .
0,4 0,38
o,�1 0,32 0,32 0,32
0,29
0,3
1
0,26 0,21
0,2
11 °1
0,1
200
Lieferbindung langfristig eine positive Wirkung auf Umfang von 1,7 Mrd.CHF zwischen 2003 und 2010
die Exporte des Ursprungslandes in das begünstigte an die Regierungen von allein sechs Entwicklungs
Entwicklungsland. ländern sowie eine Gesetzesänderung, die „Lex Duva
Ein Missverständnis gilt es auszuräumen: Ent lier" von 2011, wonach die Regierung in Bern Gutha
wicklungspolitische Kreise in der Schweiz machen ben ehemaliger ausländischer Machthaber beschlag
manchmal einen Unterschied zwischen guter Hilfe, nahmen und ohne Gerichtsurteil an deren Länder
nämlich jener, welche direkt armutsbezogen ist und zurückgeben kann. Zudem wurden in der Bundesver
von der DEZA geleistet wird, und weniger guter, der waltung Arbeitsgruppen geschaffen, die sich mit Ent
des SECO, welche sich wirtschaftlicher Prozesse, wicklungsaspekten im Welthandel, in der Forschung,
der Infrastruktur und privaten Produktion annimmt in Klima- und Energie- sowie Korruptionsfragen und
(Laubseher 2010). Sicher ist, dass in armen Län der Süd-Nord-Migration befassen. Verwaltungsinterne
dern, deren Zukunft von Produktions- und Exportstei Abkommen wurden verabschiedet, so z.B. bezüglich
gerung abhängt, beides gebraucht wird. Wirtschaft der Gesundheitsaußenpolitik (grenzüberschreitende
liche Zusammenarbeit ist also für die Verminderung Dimension von Gesundheitspolitik und Zugang zu
der Armut genauso relevant wie andere Maßnahmen lebensnotwendigen Medikamenten). Erforderlich wä
der Entwicklungszusammenarbeit. Armutsbezogene ren aber zum einen verbindliche Regeln, welche die
Wirkungen ergeben sich sowohl durch die unterstütz verwaltungsinterne Prüfung der Kohärenz an wich
te Aktivität, z.B. die Förderung von Kleinunterneh tigen Schnittstellen zwischen Entwicklungspolitik
men, als auch durch die Umverteilungs- und Sozial und anderen Politiken einfordern, und zum anderen
politik der Regierung, die nur dann nachhaltig sein bräuchte es auch eine hochrangige Stelle in der Bun
kann, wenn sie sich auf eine expandierende, arbeits desverwaltung, die für solche Evaluationen zuständig
intensive Wirtschaft stützt. wäre. In Norwegen, Finnland, Schweden und den
In der Schweiz besteht noch immer ein verkrampf Niederlanden, die zu den wenigen Ländern gehören,
tes Verhältnis zu multilateralen Organisationen. Mit die ihr Soll an öffentlicher Entwicklungshilfe nach
dem Argument fehlender Transparenz und zweifel UNO-Maßstäben erfüllen, sind solche Instanzen be
hafter Effizienz hat das Parlament im jetzt laufenden reits am Werk.
Rahmenkredit für EZA im Süden ein Dach für multi
laterale Ausgaben von 40 % eingefügt (OECD 2009: Unvollendete Reformen
33). In den letzten Jahren hatten sich die multila Die zweiköpfige Organisation der schweizerischen
teralen schweizerischen Leistungen auf etwa einem Entwicklungszusammenarbeit (DEZA und SECO, die
Viertel der Gesamtausgaben eingependelt, einem jeweils von verschiedenen Bundesräten geführt wer
noch kleineren Anteil als in früheren Dekaden. Hier den) war immer kontrovers und wurde mehrmals in
ist noch viel Aufklärungsarbeit vonnöten. der Geschichte der EZA infrage gestellt, überprüft,
um dann doch wieder bestätigt zu werden. 2008
Die Herausforderungen der Zukunft wurde die bisher letzte Reform mit drei Neuerungen
Bei der Schweizer EZA sind mehrere Aspekte ver beschlossen:
besserungswürdig. Einerseits sollte das Volumen der ■ Gemeinsames Auftreten: Die Rahmenkredite beider
EZA im Einklang mit der UNO-Zielvorgabe erhöht Amtsstellen für die Zusammenarbeit mit Südlän
werden, andererseits müsste sowohl die Kohärenz dern wurden einer gemeinsamen Strategie unter
der schweizerischen Süd- und Ostpolitik wie auch stellt. Diese Neuerung macht deutlich, dass beide
deren Qualität gesteigert werden. Ämter, obwohl in verschiedenen Sektoren und Län
dern tätig, dieselben Ziele verfolgen.
Kohärenz ■ Bündelung der Kräfte und Effizienzsteigerung der
Der Bundesrat formulierte bereits 1994 im Leitbild Mittel: Die Anzahl der Schwerpunktländer der EZA
Nord-Süd die Vision einer kohärenten Südpolitik. wird verringert, gleichzeitig dem Koordinationsbü
Dabei handelte es sich darum, dass z.B. Handels-, ro in den Empfängerländern mehr Verantwortung
Investitions- und Steuerbeziehungen der Schweiz mit übertragen und der Richtwert für den Minimalein
Entwicklungsländern den Zielen dieser Länder, die in satz von Mitteln in diesen Ländern bestimmt, um
gewissen Fällen auch über die EZA unterstützt wur die geographische Verzettelung der Hilfsgelder zu
den, nicht zuwiderlaufen (DEZA 1994), und ferner unterbinden.
ging es darum, ein faires Handels- und Finanzsys ■ Trennung der Schwerpunktländer von DEZA und
tem, einen zoll- und quotenfreien Marktzugang für SECO: Während sich die DEZA weiterhin mit den
Exporte der am wenigsten entwickelten Länder und ärmsten Ländern befasst, konzentriert sich das
die Verfügbarkeit von erschwinglichen Basismedika SECO nun auf eine kleine Anzahl von Entwicklungs
menten zu ermöglichen. Diese Kohärenz wird nicht ländern mittleren Einkommens (z.B. in Afrika aus
nur im Rahmen der OECD, sondern auch innerhalb schließlich auf Ägypten, Ghana und die Südafrika
der UNO-Millennium development goa/s eingefordert. nische Republik).
Allerdings wurde die Vision einer kohärenten Süd
politik in der Schweiz bisher nur in kleinen Bruchstü Die Zielerreichung der Reform darf aus mehreren
cken umgesetzt. Der wohl spektakulärste Erfolg ist Gründen bezweifelt werden:
die Rückgabe der von Machthabern gestohlenen und ■ Eine Hauptursache für die Verzettelung der bila
auf Schweizer Banken gelagerten Staatsgelder im teralen Hilfe der Schweiz liegt in der Auslagerung
Die Schweiz in der Entwicklungszusan,rrren_arbelt 201
von Projekten an Dritte: Die DEZA gibt Beiträge an gegangen werden. In diesem Sinne sind Richtlinien
Programme der v. a. privaten NGOs der Schweiz für die minimale Höhe des 'finanziellen Beitrags an
und delegiert einzelne Projekte an sie. Ein Teil die einzelne Länder begrüßenswert. Diese Schwerpunkte
ser Gelder geht so naturgemäß an andere als die sollten jedoch stärker als bisl1er von der Nachfrage
definierten Schwerpunktländer. Das SECO wieder der Entwicklungsländer selbst nach schweizerischen
um hat selbst nicht genügend Personal, um Projek Qualitätsleistungen und der Harmonisierung bzw.
te eigenständig durchzuführen und greift daher auf Bündelung der Leistungen aller Geberländer abhän
multilaterale technische Organisationen zurück. gen. Entschieden werden sollte, auf welchen Gebie
■ Diese Projekte sind teils regional oder beinhalten ten die Schweiz qualitativ hoch stehende Dienstleis
in erster Linie Beiträge an Programme der multi tungen anbieten und wie sie diese in die Hiltsverte1-
lateralen Partner. Es ist anzunehmen, dass die lung an Entwicklungsländer einbringen kann. Anstatt
Anzahl derartiger Projekte mit der Abnahme der sich weiterhin z. B. In Afrika auf wenige erfolgreiche
Schwerpunktländer zunehmen wird, während de Reformländer zu konzentrieren, sollte die Bereitschaft
ren Wirkung punktuell bleiben könnte. für Bündnisse auch mit neuen afrikanischen Partnern
■ Die Relmm betrifft nur einen Tell der Südkoopera gestärkt werden.
tion, aber weder die Sonderprogramme in lragilen
Staaten und Subregionen, die mittelfristig nicht Stärkere Biindelung der Hilfe mit a11dem Gebern
abnehmen, noch die Ostzusammenarbeit. Eine solcl1e Akzentsetz�1ng müsste auch bedeuten,
■ Die Trennung der Schwerpunktländer von DEZA dass sich die Schweiz stärker als bisher an regionalen
und SECO erhöht die Anzahl der Empfängerländer Programmen und multilateralen Institutionen beteili
und leistet der Verzettelung Vorschub. Diese Tren gen würde, in denen Methoden entwickelt und Hilfe
nung ist weder von der Sache her gerechtfertigt auf den Gebieten geleistet wird, wo schweizerische
noch ist sie Im Sinne des Entwicklungsgesetzes Expertise besteht(z. B. in Bergländern, insbesondere
von 1976, das eine Priorität aLJf Armutsbekän1p im Bereich der Wasserversorgung und Erschließung
fung und eben nicht auf Länder mit mittlerem Ein im ländlichen Raum). Die Schweiz müsste ihre Stel
kommen setzte. Gerade jetzt, wo arme und ärmste lung in multilateralen Organisationen ausbauen und
Länder wieder Zugang zu Investitionen gefunden 1hr entwicklungspolitisches Wissen einbringen. Der
haben und Ihre wirtschaftliche Regierungsführung zeit ist die fachliche Unterstützung der Schweizer
sich verbessert, wäre die wirtschaftliche und han Vertreter In diesen Organisationen nicht optimal.
delspolitische Zusammenarbeit des SECO mit be
sonders armen Ländern vordringlich. Ver/Jesserung von Qualität und Zie/errelc/11mg
Damit die schweizerische EZA in ausgewählten Spar
Die Schweiz als Niscllenanbieterfn ten einen besonderen Beitrag leisten kann, braucht
Die Prüfung eines neuen Ansatzes ware lohnens sie Experten, die Felderfahrung haben und gleich
wert. Da das Volumen der Schweizer EZA internati zertig fachliche Kompetenz In den Kerngebieten der
onal gesehen sehr klein Ist, sollte sie sich auf ihre schweizerischen EZA mitbringen. Damit Erfahrung
Stärken beslnhen und ihre „komparativen Vorteile'' und Wissen langrrlstig gesichert werden, müssen die
ausspielen. So hat die DEZA beispielsweise in der entsprechenden Bedingungen geschaffen werden.
Unterstützung von Kleinbauern der ärmsten Länder Hier besteht Verbesserungsbedarr.
und der ländlichen Infrastruktur über lange Zeit viel Die Herausforderungen an die Schweizer EZA, ih
Erfahrung gesamrnell und sowohl mit Sonderpro ren Ruf als qualitativ hoch stehende Nischenanbie
grammen In fragilen Staaten als auc::h mit der Un terin in die Zukunft zu retten, sind also beträchtlich.
terstützung von dezentralen Verwaltungen wichtige Benötigt wird mehr Personal, und die tachlicl1en Vo
Zeichen gesetzt. Und das SECO hat schon immer nur raussetzungen bei der Rekrutierung müssen stärker
in Nischen gearbeitet, wozu Investltionen in Kleinun betont werden. Beide Amtsstellen müssen mehr in
ternehmen in armen Ländern, die Verbesserung der die fachliche Weiterbildung und die Qualitätskon
Finanzinstrumente zugunsten lokaler Unternehmen trolle Ihrer Mitarbeiter investieren. Außerdem muss
und der Aufbau von Kapazität und Institutionen im sichergestellt werden, dass Qualität und Erfolg von
Internationalen Handel gehörten. Pro1ekten noch systematischer und ölter evaluiert
Natürlich müssen Länderschwerpunkte gesetzt und werden und Ergebnisse in die Planung neuer Aktivi
langfristige Engagements mit einzelnen Ländern ein- täten einfließen.
202 lebe"släUfe der Autoren
Prof. Dr. Rita Schneider-Sliwa, Studium der Ang Prof. Dr. Martin Schuler, Studium der Geogra wicklung, Stabsstelle Raumökonomie; seit
listik, Geographie und Geologie an der RWTH phie an der Universität Zürich, Promotion an 2001 Leiter der Sektion Nachhaltige Ent
Aachen. Studium der Geographie, Ökonomie der Eidgenössischen Technischen Hochschule wicklung im Bundesamt für Raumentwick
und Agrarökonomie an der Ohio State Univer Lausanne. Leiter der „Communaute d'etudes lung (ARE), welche die Politik der nachhal
sity, Ph. D. Geographie 1982; Assistenzpro pour l'amenagement du territoire" (CEAT) an tigen Entwicklung auf Bundesebene sowie
fessur an der University of Maryland in Col der ETH-Lausanne. Publikation von mehreren gegenüber den Kantonen und Gemeinden ko
lege Park, Md. und Habilitation an der FU thematischen Atlanten. Arbeitsschwerpunkte: ordiniert. Titularprofessor an der Universität
Berlin (1995 am John-F.-Kennedy-lnstitut für Raumanalysen, raum- und sozialstatistische Zürich mit Lehrveranstaltungen zur Nachhal
Nordamerikastudien). Seit 1995 Ordentliche Definitionen sowie Forschungen zu Demogra tigen Entwicklung und Raumentwicklung.
Professorin und Vorsteherin am Geographi phie, Arbeitsmarkt und räumlicher Mobilität,
schen Institut der Universität Basel. Arbeits Fragen der Raumentwicklung, der Raumpla Dr. iur. Luzius Wasescha, Promotion Universi
schwerpunkte: Stadt- und Sozialgeographie; nung und Urbanistik. tät Lausanne 1980; 1971 -1977 Zentralse
Wettbewerbsfähige Regionen; Entwicklungs kretär der EUROPA-UNION SCHWEIZ, Re
länder und Entwicklungszusammenarbeit; Prof. Dr. Heinz Veit, Studium der Geographie, daktor der Zeitschrift „ Europa"; 1977-1980
Kulturelle Topographien. Leiterin des Nach Botanik, Bodenkunde in Frankfurt/M.; Pro Juristischer Mitarbeiter in der FIDECONTO
diplomstudiengangs Stadt- und Regionalma motion an der Universität Bayreuth 1987. SA, Bellinzona; 1980 Eintritt in den Bun
nagement an der Universität Basel. 1988 - 1991 F e odor-Lynen-Sti pend ium desdienst im Integrationsbüro EDA/EVD; seit
der Alexander von Humboldt-Stiftung an 1.9. 2000 Botschafter; bis 2007 Delegierter
Dipl.-Volkswirt Thomas Schoder, Studium der der Universität La Serena in Chile. 1991- für Handelsverträge und Chef des Leistungs
Volkswirtschaft mit dem Schwerpunkt Sta 1996 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der bereichs Welthandel, Mitglied der Geschäfts
tistik/Ökonometrie und Politikwissenschaf Universität Bayreuth; Habilitation 1996. Seit leitung SECO; zusätzlich seit 2005 Lehrbe
ten an den Universitäten Tübingen und Frei 1996 Ordentlicher Professor für Paläo-Geo auftragter an der Universität St. Gallen und
burg i. Br. Seit 1994 bei BAK Basel/Basel ökologie, Geographisches Institut, Universi Präsident „Naturpark Ela"; seit 1 . 1. 2002
Economics. Verantwortlich für Regionalanaly tät Bern. Chefunterhändler der Schweiz in den WTO
sen und -beratung in der Schweiz sowie für Verhandlungen und seit 1. April 2007 Leiter
das nationale und internationale Branchen Prof. Dr. Daniel Wachter, Studium der Geogra der Ständigen Mission der Schweiz bei der
Benchmarking mit den Schwerpunkten Tou phie und Volkswirtschaftslehre an der Uni WTO und EFTA in Genf. Seit August 2008
rismus sowie Life-Sciences-Sektor. Seit 2006 versität Zürich. Promotion 1990, Habilitation Vorsitz der Verhandlungsgruppe für Industrie
Mitglied der Geschäftsleitung. 1995; seit 1996 Bundesamt für Raument- güter (NAMA) an der WTO (DOHA-Runde).
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Abb.l: Blick auf den Tschierva- Abb.9: Künstliche Bewässerung Abb.18: Blockgletscher im Binntal . . . 21
gletscher mit Piz Bernina, (Niwa Suon ) bei St.German 9 Abb.19: Veränderungen der Zunge
Piz Scerscen, Piz Roseg ..... 1 Abb. 10: Schema des Föhnverlaufs .... 10 des Großen Aletschgletschers
Abb.2: Die drei großen Abb. 11: Föhnfenster über den Glarner- während der letzten
naturräumlichen Einheiten und St.Galler Alpen ........ 10 3 200Jahre . . . . ' ' . . . . . . . 21
der Schweiz ' . ' ' .... ..
' ' . 2 Abb. 12: langjähriger Verlauf der jahres- Abb.20: Modellierter Rückgang der
Abb.3: Geologisch-tektonische zeitlichen Temperatur gemittelt Vergletscherung in den
Gliederung der Schweiz über die gesamte Schweiz ... 11 verschiedenen Alpenländern
und geologisches Querprofil 3 Abb.13: Zersiedelung im Schweizerischen bei verschiedenen Szenarien
Abb.4: Quartäre und heutige Mittelland: Moosseedorf, des Temperaturanstiegs ..... 22
Vergletscherung der Schweiz 4 Schönbühl, Muchenbuchsee .. 14 Abb.21: Felssturz in Randa, Bezirk Visp
Abb.5: Faltenjura, Val Ion de St-lmier, Abb.14: Bodenkarte der Schweiz ..... 15 im Wallis 1991 ........... 22
Courtelary ............... 5 Abb.15: Die wichtigsten Krankheitsbilder Abb. 22: Höhenstufen der Alpen . . . ' . 23
Abb.6: Wasserbilanz der Schweiz, (,,Syndrome") der Böden in der Abb.23: Zerstörung der Rasendecke
Periode 196 1-1990 ....... 8 Schweiz ................ 16 und Bodensackungen
Abb. 7: Das Wasserkraftwerk Ova Spin am Abb.16: Lawinenverbauungen im Berner (Viehgangeln ) in der sensiblen
Rand des Nationalparks in der Spöl- Oberland . . . . . . . . . . . . . . . 19 alpinen Höhenstufe .. ...... 24
schlucht im Engadin ... ...
' 7 Abb.17: Der Rhönegletscher im 19.und Abb.24: Die Rütliwiese am südlichen
Abb.8: Niederschlagsprofil der Schweiz 9 20.Jh. ................. 20 Arm des Vierwaldstättersees .. 25
Abbildungsverzeichnl 215
Abb.25: Die drei Eidgenossen mit dem Abb.51: ,.Steuerparadies" Kanton Abb.78: Schematische Darstellung
Bundesbrief von 1291 ...... 26 Zug - Zugerberg mit des Systems der sozialen
Abb.26: Konfessionen um 1530 ..... 27 Zugersee und Blick Sicherheit in der Schweiz .... 112
Abb.27: Bundeshaus in Bern ....... 32 auf die Stadt Zug ......... 66 Abb.79: Ergebnisse gleichstellungs
Abb.28: Nationalratssaal (links) und Abb.52: Mittelwert der steuerbaren relevanter Volksabstimmungen;
Ständeratssaal (rechts) Einkommen auf Gemeinde- Anteil Ja-Stimmen am Total
im Bundeshaus in Bern ..... 33 ebene .................. 66 der gültigen Stimmen nach
Abb.29: Der politische Aufbau in der Abb.53: Anzahl der Einkommens- Sprachregionen und Siedlungs
Schweiz und die Kompetenzen 33 millionäre in der Schweiz typen in der Schweiz .. . .... 114
Abb.30: Politische Entscheidungs- nach Wohnort 2005 ....... 67 Abb.80: ,.Wenn sie 40 sind ... "
prozesse in der Schweiz ..... 35 Abb.54: Die demographische Zukunft Aktion zur Gleichstellung im
Abb.31: Dimension Links-Rechts, der Schweiz ist interkulturell .. 70 Kanton Basel-Landschaft .... 115
Liberal-Konservativ, Ökolo Abb.55: Ausländeranteil in der Schweiz Abb.81: Index der Geschlechterkultur
gisch-Technokratisch, Modern 2009 .................. 71 und Index der Geschlechter
Traditionell; Abstimmungen der Abb.56: Sprachenlandschaft ungleichheit nach Schweizer
Jahre 2000-2009 . ....... 38 der Schweiz ... . ........ . 75 Kantonen .......... . .... 117
Abb.32: Plakate für die Volksabstim- Abb.57: Anteile der 15 häufigsten Nicht Abb.82: Autobahnausfahrt Oensingen,
mung vom 5.Mai 2005 ..... 39 landessprachen in der Wohn Klus bei Balsthal ..... . .... 118
Abb. 33: Finanzplatz Zürich ......... 42 bevölkerung (in% und absolut), Abb.83: Die Landschaftstypen
Abb.34: Gotthardpassstraße ........ 43 2000 .................. 76 der Schweiz ........ . .... 119
Abb.35: Das Territorium der Schweiz Abb.58: Wohnbevölkerung nach Haupt- Abb.84: Ortsnamen als
im mittelalterlichen Europa: sprachen, 2000 .......... 77 Indikatoren
Transitachsen und bedeutende Abb.59: Erwerbstätige nach Sprache, der Besiedlingsphasen ...... 120
Märkte ................. 44 2000 .................. 79 Abb.85: Stadtgründungen im 13.Jh.
Abb.36: Der Paradeplatz in Zürich .... 45 Abb.60: Schweizerdeutsch - im Gebiet der heutigen
Abb.37: Standorte der wichtigsten eine eigene Sprache ... ..... 80 Schweiz ........... . .... 121
Industriezweige um 1880 ... 46 Abb.61: Beispiel kultureller Vielfalt: Abb.86: Gemengeflur bei Kriechen-
Abb.38: MS-Regionen und Kantone Ursprüngliche Haustypen wil, Blick Richtung
der Schweiz ........... .. 50 in der Schweiz .......... . 81 Avenches ... . ....... .... 122
Abb. 39: Metropolitanraum Zürich 50 Abb.62: Wohnbevölkerung unterteilt Abb.87: Die Siedlungs- und Flurformen
Abb.40: Bevölkerung und Brutto nach Religion für das als landschaftsprägende Merk
inlandsprodukt (BIP) Jahr 2000 .............. 83 male des ländlichen Raums
pro Kopf in lOOOCHF Abb.63: Die Moschee von Petit- der Schweiz . . ..... . . . . .. 122
in den sieben Großregionen Saconnex in Genf ......... 85 Abb.88: Kleinflächige Blockfluren im
der Schweiz ............. 51 Abb.64: Zuzügler aus Nordwesteuropa Oberwallis .............. 123
Abb.41: Wirtschaftliche Dynamik in den nach Gemeinden Abb.89: Industriedorf Haslen, Glarus .. 124
Schweizer Großregionen .... 51 (Total 2007-2009) ........ 86 Abb.90: Einzelhofsiedlung beim
Abb.42: Blick auf Basel-Stadt ....... 53 Abb.65: Das duale Bildungssystem ... 88 Vallee de la Brevine,
Abb.43: Träger der Schweizer Abb.66: Das Bildungswesen Neuchatei ........... . . .. 125
Tourismuspolitik .. . .... . .. 56 in der Schweiz (vereinfacht) .. 89 Abb.91: Basel, Schweizerische Bundes
Abb.44: Engadin - St.Moritz, Abb.67: La-Chaux-de-Fonds im Kanton bahnen (SBB) .... . .. . .... 127
der weltberühmte Ferienort Neuchatei/Neuenburg, 1935 Abb.92: Bahn- und Personenkilometer
auf 1856 m ............. 56 und 2009 ............... 90 in der Schweiz 2005 .. . .... 127
Abb.45: Entwicklung der Zahl Abb.68: Monatlicher Bruttolohn nach Abb.93: Alpenquerender Güterverkehr
der Hotelübernachtungen Alter und Geschlecht 2008 .. 93 1980-2008 ............. 128
in der Schweiz und in den Abb.69: Basel - Armut mitten Abb.94: Personenverkehr auf Schweizer
umliegenden Ländern ...... 57 in der Stadt ............. 95 Straßen (A) und Schweizer
Abb.46: Wachstumsbeitrag der Abb.70: Politisches Plakat und Schienen (B) im Jahr 2008 .. 129
Ferienregionen 2003-2008. Karikaturen als Ausdruck Abb.95: Netzbelastung im Güterver
Wachstumsbeiträge, Anteil der direkten Demokratie ..... 96 kehr auf dem schweizerischen
und Veränderung der Zahl Abb.71: Bevölkerung nach Migrations- Schienennetz (Al und
der Hotelübernachtungen status 2008 ......... . ... 98 schweizerischen Straßennetz
in der Schweiz ........... 57 Abb.72: Die Cite du Lignon im Westen (B) im Jahr 2008 ..... .... 130
Abb.47: Wachstumsbeitrag von Genf .......... . .... 101 Abb.96: Der Gotthard mit dem Basis-
der Herkunftsländer 2003- Abb.73: Gemeindetypen der Schweiz tunnel im Profil mit Lage des
2008.Wachstumsbeiträge, nach dem Zentren-Peripherie- Profils im Satellitenbild ..... 131
Anteil und Veränderung der Zahl Modell von 2000 .......... 102 Abb.97: 1 nfrastrukturinvestitionen für
der Hotelübernachtungen Abb.74: Innerstädtisches Wohnen Straße und Schiene pro 5 Jahre,
in der Schweiz, nach Herkunfts- in Zürich ............... 103 1950-2005 ............. 133
land des Gastes ........... 58 Abb.75: Zürich, Blick auf die Abb.98: Agglomerationen, Einzelstädte
Abb.48: Skilift am Arosa Hörnli ...... 58 „Goldküste" ............. 106 und Metropolen der Schweiz .. 134
Abb.49: Entwicklung der Erwerbstätigen Abb.76: Aktion „wir sind arm" Abb.99: Wichtigstes Pendlerziel
zahlen im internationalen von Caritas Zürich, 2000 .................. 135
Vergleich (2000-2008) .... 59 Frühling 2010 ........... 108 Abb.100: Das Raumkonzept Schweiz ... 137
Abb.50: Finanzföderative Struktur der Abb.77: Quote der Sozialhilfeempfänger Abb.101: Das Modell für eine funktions-
Schweiz 2005 ........ . . . 62 2008 nach Kantonen ....... 111 fähige Agglomeration ... .... 140
216 lbeltenverzeichnis
Abb.102: Agglomerationsrat - Abb.117: Finanzflüsse gemäß NFA (in Abb.132: Steingletscher beim Susten-
die Vorteile überzeugen 140 Mio.CHF, bezogen auf 2009) 156 pass mit Gwächtenhorn .. ... 171
Abb.103: Periurbanisierung im Alpen- Abb.118: Ausgleichszahlungen der Abb.133: Ausbreitung einer durch den
vorland mit BIick auf die einzelnen Kantone Sturm Vivian 1990 entwalde
Glarner Alpen ............ 141 im Jahr 2010 ............ 157 ten Hangfläche bei Sedrun,
Abb.104: Unterschiede der Steuer- Abb. 119: Die 54 !HG-Regionen Graubünden (Westflanke
belastung ............... 143 der Schweiz ....... ...... 158 des Uaul Bugnei ) . ..... ... 172
Abb.105: Hotel Alpenrose in Sils im Abb.120: Gebiete regionaler Abb.134: Schwerpunkte der Umwelt
Engadin aus der Gründerzeit Strukturförderung ......... 158 forschung Schweiz
des Alpentourismus, heute Abb.121: Ein großes Missverständnis : 2008-2011 ............. 173
umgenutzt zu vermieteten Die Landschaft beginnt Abb.135: Reinigungsanlage Hafen:
Apartment-Wohnungen .. . .. 144 nicht am Siedlungsrand ..... 160 ein Tropfkörper in Betrieb . ... 176
Abb.106: Im Rhönetal konzentrieren Abb.122: Strategische Schwerpunkte Abb.136: Der Hallwilersee . . ... .. ... 177
sich Aluminium- und und Umsetzung Abb.137: Phosphatbelastung des
Biotechindustrie .......... 145 der Landschaftspolitik ...... 161 Hallwilersees ... . ........ 177
Abb.107: Anteil der ruralen Arbeits- Abb.123: Verhandelbare Dimensionen Abb.138: Übersicht der Schadstoff
plätze nach Wirtschafts- von Landschaft ........... 163 belastungen 2009 im Ver-
sektoren (1939-2008) ..... 146 Abb.124: Welche Landschaft wollen wir? gleich zu den Immissions
Abb.108: Die ehemals selbstständige Verhandlungsbereich, Schönheit, grenzwerten der Luftreinhalte
Gemeinde Castasegna (190 EW ) Stimulanz, Vertautheit . ..... 164 Verordnung ..... . ........ 178
an der Grenze zu Italien ..... 147 Abb.125: Das Landschaftskonzept des Abb.139: Schießanlage Thun-Guntelsey . 179
Abb.109: Landwirtschaft in der Bundes als normative Vorgabe Abb.140: Raumtypen der Schweiz ..... 180
Schweiz ................ 149 für die Sektoralpolitiken ..... 164 Abb.141: Zersiedelung im Schweizer
Abb.110: landwirtschaftliche Abb.126: Vision Landschaft 2020 ..... 164 Mittelland - Zofingen ....... 181
Nutzfläche .............. 149 Abb.127: Parklandschaften Abb.142: Hauptgebäude der UNO
Abb.111: Zusammensetzung des land in der Schweiz ........... 166 in Genf ........ ...... ... 186
wirtschaftlichen Wirtschafts Abb.128: Luzern mit Seebecken Abb.143: Eine gute Zusammenarbeit . .. 190
bereichs ................ 149 und Pilatus .............. 168 Abb.144: Frühe Verkehrsverbindung
Abb.112: Betriebsgröße im Abb.129: Übersicht über die zwischen Nord und Süd :
europäischen Vergleich ..... 150 größeren Flusskorrekturen Die Gotthard-Passstraße
Abb.113: Der größte Felsenkeller der im 18.und 19.Jh. ........ 169 vom heutigen Hospental
Schweiz (Kaltbach-Höhle ) 152 Abb.130: Lawinenverbauungen und ein in Richtung Gotthardpass .... 191
Abb.114: ökologische Ausgleichs- kombinierter Lawinen-/Mur Abb. 145: WTO in Genf am Tag der
flächen in der Schweizer gang-Rückhaltedamm für offenen Tür 2010 ......... 193
Land-wirtschaft ........... 153 Lawinen und Murgänge aus der Abb.146: Schwerpunktländer von DEZA
Abb.115: Haus der Kantone in Bern 154 Permafrostzone bei Pontresina 169 und SE CO und Sonder-
Abb.116: Beschäftigte nach Abb.131: DPSIR-Diagramm zur programme der DEZA . . . . ... 197
Sektoren 1900 bis 2009 Einschätzung von Umwelt Abb.147: Die Schweiz im internationalen
(in Prozent ) ............. 155 problemen .............. 171 Vergleich 2009 .. ......... 199
Talbellenverzeichnis
Tab.l: Beitrag der Alpen zum Gesamt Tab.8: Verteilung der vier wichtigsten Tab.15: Städte mit 30000 und mehr
abfluss von Rhein, Rhöne, Exportbranchen in den Groß- Einwohnern 2009 ......... 74
Po und Donau ............ 6 regionen der Schweiz ...... 52 Tab.16: Prozentuales Verhältnis
Tab.2: Wasserreserven Tab.9: Räumliche Konzentration der der Sprachen, 1950-2000 .. 75
der Schweiz .. ........... 7 vier wichtigsten Schweizer Tab.17: Verwendung der lokalen Landes
Tab.3: Grundwasservorkommen Exportbranchen 2008 ...... 52 sprache in der Familie von
in der Schweiz ........... 7 Tab.10: Touristische Bruttowertschöpfung, Sprechenden von Nichtlandes
Tab.4: Erwartete Änderung der Nachfrage und Beschäftigung sprachen, nach Sprachgebieten
jahreszeitlichen Temperatur in der Schweiz 2009 ....... 55 1990 und 2000 .......... 76
und der jahreszeitlichen Tab. 11: Struktur der schweizerischen Tab.18: Die drei demographisch größten
Niederschläge bis ins und österreichischen und kleinsten Gemeinden
Jahr 2050 gegenüber Hotellerie, nach Sternkategorien der Schweiz ( 2009) .. . .. ... 82
1990 .................. 13 (in%). ................. 60 Tab.19: Wohnbevölkerung in der Schweiz
Tab. 5: Mitbestimmungsrechte Tab. 12: Steuerbelastung des Arbeits nach Religionen gemäß letzter
des Schweizer Volks einkommens nach Kantons- Volkszählung 2000 ........ 82
im Überblick ............. 34 hauptorten 2008 .......... 65 Tab.20: Marktwirtschaftliche Unter
Tab.6: Die sechste Schweiz: Tab.13: Struktur der ständigen Wohn nehmen und Beschäftigte
Personalbestand börsen- bevölkerung nach Alter und nach Größenklassen 2008 ... 91
notierter Gesellschaften ..... 48 Staatsangehörigkeit (2009) Tab.21: Monatlicher Bruttolohn
Tab.7: Beschäftigungsanteile börsen sowie Stadt/Land (2008) .... 72 im privaten und öffentlichen
notierter Unternehmen 2008 Tab.14: Bevölkerungswachstum 1990- Sektor (Bund ) 2008,
in Vollzeitäquivalenten ...... 48 2009, nach Kantonen ...... 73 nach Geschlecht ....... ... 94
©rtsregistar 217
Tab. 22: Ständige Wohnbevölkerung Tab. 25: Vermögensstatistik der vor Inkra fttreten des
ab 15 Jahren nach Migrations- natürlichen Personen in der Neuen Finanzausgleichs .... 155
status ........ . ......... 97 Schweiz , Steuerperiode Tab. 29: Die Ausrichtungen der
Tab. 23: Erwerbstätige Bevölkerung 2006 .................. 105 Neuen Regionalpolitik
in den Großagglomerationen , Tab. 26: Ständige Wohnbevölkerung und ihre Akteure ..... . .... 159
nach soziokultureller Kategorie im städtischen und ländlichen Tab. 30: Parkkategorien der Schweiz .. 166
und Zentralitätsstu fe Raum ................. . 135 Tab. 31: Jährliche Landschafts
(Lokalisationsindex 2000) ... 101 Tab. 27: Entwicklung der Anzahl veränderungen ...... ..... 184
Tab. 24: Wanderungsbewegungen der Betriebe und der Tab. 32: Entwicklung der öffentlichen
in den Stadtzentren der Groß Beschäftigten ........... . 150 Entwicklungshilfe (APD) und
agglomerationen , nach Zonenart Tab. 28: Einteilung der Kantone der privaten Spenden der NGOs
der Herkunftsgemeinde , nach Finanzkraft der Schweiz 1960, 1980, 2000,
1995/2000 ............. 103 für die Jahre 2006/2007, 2008und 2009 ..... . .... 198
Ortsregister
Aareebene 126 Bodensee 4, 7 Region 9, 57, 74, 101,128, La Brevine 10, 125
Aargau 38ff., 49 - 54, 73, 75, Bodensee , Region 45 146, 182 La Chaux-de-Fonds 90, 125,
141, 147 Bodio 132, 144 Stadt 38-40, 44, 47, 85, 143
Aletschgebiet 161 Bosnien 74, 85 88, 90, 96, 101, 125, 142, La Döle 5
Aletschgletscher 22 Brienzersee 126 186, 192f. Lago Maggiore 84
Alpen 19-24 Brig 126, 143 Genfer See 4, 7, 39, 73f., Lausanne 34, 38-40, 44, 74,
Berner Voralpen 39 Brugg 47 106,123, 126, 192 101, 146,182
Glarner Alpen 141 Bulle 40 Gerra (Gambarogno ) 84 Le Locle 125
St.Galler Alpen 10 Glarnerland 157 Locarno-Monti 9
Alpenrhein 175 Carouge 38 Glarus Lombardei 44, 169, 191
Altdorf 11, 144 Castasegna 147 Kanton 33, 62, 75, 84, 89, Lötsehberg 44, 131f., 144
Appenzell Ausserrhoden 33,75 Caviano 84 124, 143 Lugano 39, 132, 146, 182,
Appenzell lnnerrhoden 33, 75 Chambery 5 Kantonshauptort 11 188, 192
Appenzell , Kantonshauptort Chasseral 5 Gomsl47 Luzern
Appenzell 1.Rh. 33, 38, 40, 81, Chasseron 5 Gotthardmassiv 2 Kanton 38f., 75, 152
143 Chile 29 Graubünden 2, 10, 40, 47, 55, Stadt 4, 34, 50, 142, 146f.,
Arosa Hörn Ii 58 Contone 84 57, 69, 75, 147, 161, 172, 192 168, 188
Asien 58, 192, 195-199 Courtelary 5 Grindelwald 161
Atlantik IX, 1, 8 Crans-Montana 146 Grono 10 Magadino 84
Avenches 122 Großer St. Bernhard 43 Mailand 39, 182, 192
Averstal 192 Davos 44, 146, 161, 178 Großes Moos 5 Marignano 30, 191
Delsberg 65 Gurten 4 Martigny 40
Baden 25, 39, 47 Deutschland 4f., 26, 30, Mattstetten 131
Balsthal , Klus 118 34,49, 57-60, 67, 72, Hallwilersee 176f. Mazedonien 74, 85
Bantiger 4 191 Haslen , Glarus 124 Merlinquelle 7
Basel Donau IX, 6 Heidelberg 187 Mittellandseen 126
Stadt 47, 53, 78 Dufourspitze 2, 120 Herzegowina 74, 85 Mittelmeer IX, 9
Landscha ft 38, 40, 75 f., Hochrhein 6 Mont Tendre 5
115 Emmental 40, 81 Hafen 176 Montenegro 71, 74
Kanton Basel-Stadt 33, 40, Engadin 2, 8f., 55f., 144, Hospental 191 Monthey 40
73-76, 78, 100, 110-112 166, 170 Mt. Blanc 2
Bassin Lemanique 42,44, England , Südostengland 44 lndemini 84 Muggio 84
49-54 Espace Mittelland , Region 42, Italien , Norditalien 192 Murtensee 126
Bellinzona 38 45, 49-54,73
Bergell (Bregaglia) 147 Europa IXf., 36f., 43-47, Jungfraujoch 10, 178 Napf 4, 142
Bern 63, 90f., 116, 132f., Jura Bergland 4
Kanton 44, 46f., 73, 75, 142f., 143-145, 186-196, 198 Aargauer Jura 40 Gebiet 39, 124, 147
161, 166 Gebirge IX, 1-7, 10, 14, Neuenburg
Stadt 4, 6, 32f., 38-40, 44, Freiberge 5 43, 126, 143, 147f., 167 Kanton 30, 40, 66, 75,90, 92
50, 74, 101,126, 131, Freiburg Kanton 5, 31, 47, 65, 73, 75, Stadt 50
154, 174 Kanton 40, 45,73, 75 81, 89, 92f., 96, 119f., Neuenburgersee 126
Berner Oberland 19, 40, Stadt 6, 50 125f., 157 Nidwalden 26, 33, 73, 75
47,81, 132 Solothurner Jura 40 Niederlande 37, 58, 116, 200
Berner Seeland 5, 16 Gadmertal 23, 171 Nordamerika 192
Bex 6 Gambarogno 84 Kaltbach 152 Nordsee 6
Biel 7, 50, 125 Garching 187 Kander 169, 175
Bielersee 17, 176 Genf Kriechenwil 122 Obwalden 69, 75
Binntal 21 Kanton 30f., 67, 69, 74f., 111 Kroatien 74, 189 Oensingen 118
218 hregister
Sachregister
A la carte-Kultur 84 -politik 84,118,134-140, -kamm lOf. Amerikanisierung 84
Aare-Hochwasser 174 146,182,185 -mythos 169 Analyseregion 136
ABB 81 -programm 139 -nordseite 1,9,12 f. Anbauschlacht 170
Abfallgesetzgebung 17 -rat 140 -pässe 123 Ancien Regime 28,44 f.,92
Abflussverhältnis 1,24 -raum 17,128,134 -raum,Wohn- und Freizeit- Anerbenrecht 123
Abflussverteilung,saisonal 21 -Vorteile 51 nutzung 146 Anhöhengemeinschaft 87
Abgaben 42,64,105 Agrarkrise 47 -staat 29 Anhydrit 5
Ablagerung,fluvioglaziale 7 Agrarlandschaft,traditionelle 119 -Südseite 1,8,10,12f. Anhydritgruppe 6
Ablagerungsraum 2 Agrarmärkte,europäische 46 -transitbörse (ATB) 133 Anpassung,Klimaänderung 13
Absatzmarkt 44 Agrarmodernisierung 45 f.,123, -übergänge 43 Antiklinale 5
Abschottungstendenz 41 126 Hochgebirgslandschaft 20 f., 24 Aquifere 7
Abtragung 2,6 Agrarmodernisierungsphase 123 Alpwirtschaft 123, 165 Äquivalenzprinzip 68
Abtragungsprozess 19f. Agrarpolitik 47,126,148-154, Alpwirtschaftsgebäude 125 Arbeiterbauern 90,144
Abtragungsschutt 4 161,193 Alte Eidgenossenschaft 27,31, Arbeiterstädte 45
Abwanderung 24,156,170 Agrarpolitik, Reform 150f. 142 Arbeits- und Produktmärkte,
Alpenraum 47,134,143 agrarpolitische Maßnahmen 150f., Alte Vielfalt 81-84 Regulierung 60
Berggebiete 45 183 Alter Finanzausgleich 154 f. Arbeitsbedingungen,prekäre 104,
Abwanderungsstopp 145 Agrarreform 151-153 ältere Generation,Konsumenten- 109
Abwässer,Schwermetalle Agrarsystem 121,123, 125 gruppe 74 Arbeitsethos 87
in industriellen Abwässern 176 Agrarzeitalter 141 f. alternde Gesellschaft 73 Arbeitsformen,unentgeltliche 116
Abwasserreinigung l76 f. Alleinerziehende 108f.,111, Alters- und Hinterlassenen- Arbeitsfrieden 92,194
Ackerbau 6,46,123,148,150f. 113,156 versicherung (AHV) 28,62 f., Arbeitsimmigranten 76,90
Agglomeration 38-40,138-140, Alleinlebende 108 74,109,113 Arbeitslosenversicherung (ALV) 62,
145 Allmende 125 Altersgruppe 111 110,113
Verdrängungseffekt 147 Allokationseffizienz 68 Alterspyramide 73 Arbeitslosigkeit 61 f.,73, 90,98,
Agglomerations Alpen 19-24 Alterungsprozess 70,74 104,110,112, 188
-gürtel 134 -faltung 5 Altlasten l75f. Arbeitsmarkt 45,47,61,78,80,
-institutionen 139 -forschung 24 Aluminiumproduktion 144 88,93,98 f.,195
Saohre_gister 219
für Migration (BFM) 198 Deregulierung der Binnenmärkte Departement für auswärtige Erosionsfolgen 24
für Raumentwicklung (ARE) 182 46 Angelegenheiten (EDA) 195, Erosionsgraben 24
für Statistik (BFS) XI,49 f.,110, Desintegration 112 197f. Erosionsspur 16
116, 170 Destinationen,touristische 57, Departement für Umwelt, Erreichbarkeitsbed ingung
für Umwelt (BAFU) 13, 170, 55,146 Verkehr, Energie und Korn- 181-183
178, 197f. Deutschschweiz 25,32,38-41, munikation (UVEK) 13 Erreichbarkeitsverhältnisse 41
Bundesbetriebe 63 76, 78,115-117 Departement für Verteidigung, Erster Weltkrieg 29 f., 47, 62 f.,
Bundesbrief von 1291 26 DEZA,Schwerpunktländer 197f., Bevölkerungsschutz und 92,126,144
Bundesgericht 25, 34 f., 69 200f. Sport (VBS) 198 Erstklasshotellerie,
Bundesgesetz DEZA,Sonderprogramme 197, Eigenmietwert 67 Luxushotellerie 60
Natur- und Heimatschutz 170 201 Eigentumsrecht 63,196 Ertragssteuer 68
Raumplanung 17f.,170, 181, Dialekt, alemannischer 79f., 142 Einbürgerung 39,82 Erwärmungstendenz,globale 24
184 Dialekt, Umgangssprache 80 Einbürgerungsgesuch 82 Erwerbsarbeit 95, 108f., 116
Schutz der Gewässer 170 Dialektform 79f. Einigungsverfahren 36 Erwerbsbeteiligung, Frauen 116
Umweltschutz 170,17 5 Dienstleistungen,unternehmens- Einkommens- und Vermögens- Erwerbsbiographie 108
Wald 170 bezogene 52,54 verteilung 61 Erwerbsintegration 108 f.
Bundesrat 13,19, 25,33-37, Dienstleistungs Einkommensrückfluss 29 Espace Mittelland 42,49-54, 73
62,69, 99,137,139, 156, -darf 124 Einkommenssteuer 65,67 EU
164, 177, 184f., 187,190, -gesellschaft 70,159,161,171 progressive 69 -Beitritt XI, 30, 36, 190
194,196,200 -portfolio 49 Einkommenssteuerverteilung 112 -Beitrittsgesuch 188, 190
Bundesrätliche Botschaft 36 -sektor 47,90f., 104,145 Einkommensumverteilung 62,111 -Mitgliedschaft XI,30
Bundesstaat IXf., 25, 27 f.,31, -unternehmen 49 Einkommensunterschiede 93 -Osterweiterung 2004 189
43,45,47,62,68,88, 97, Differenz,kulturelle 146 Einwanderung 70-72,82,84, 90 Europa
139, 169,186 Direktinvestition 44, 49 Einwanderungsland 71-73 Charta des Europarates 1992 87
Bundesverfassung 17, 31-34, Direktion für Entwicklung Einzelhof 121,123-125 Entwicklungsachse Westeuropa
37,63f.,99, 126f., 137,139, und Zusammenarbeit (DEZA) Einzelhofgebiete 125 44
155,170 195-201 Eisen 6 Initiative für grenzüber-
Bündnisgeflecht 97 Direktzahlungen 150-152, Eisen- und Aluminiumwerke 46 schreitende Kooperations-
bürgerliche Mitte,juste milieu 28, 160f.,163 f.,180,183 Eisenbahn projekte im marktorientierten
36f. ökologische151 -bau25f.,129f.,169,192 industriellen Europa 187
Bürgerrecht 32,72 Diskriminierung 112, 116 -fieber 129-131 Wirtschaftsraum 36,44,188
Bürgschaftsverpflichtungen 157 Disparitäten 95-117 -linie 121, 124, 126,144 Europafrage 36, 39
Bürokratieversagen 62 Bergland-Flachland 141 -netz 62,126, 182 Europäische
Butterberge 151 regionale 148,156, 159 -transversale 131 Entwicklungsbank (EBRB) 194
Stadt-Land 141 Eis-Obergrenze 6 Freihandelsassoziation (EFTA)
Calvinsche Reformation 88 Doing Gender 114 Eiszeit, kleine 7, 20, 171 63,187,194
Chancengleichheit 80,100 Doline 6 Elektrizitätsnetz 44 Gemeinschaft (EG) 83, 187f.,
Charta, Europarat 1992 87 Domizilgesellschaft 68 Emissionsabgabe 68 190
Chemie 48, 52,195 Doppelbesteuerung 68,189 Emissionsbegrenzung 178 Gemeinschaft für Kohle und
Christlich-Demokratische Volks- Doppelverdienst 109 Ern issionsszenarien 12 Stahl (EGKS) 187
partei (CVP) 34, 36f., 190 Dorfgemeinschaft 124 Energiegewinnung 8,175 Konferenz der Verkehrsminister
Cleavages 93, 142 DPSIR,Modell zur Einschätzung Energiekonsum 74 (CEMT) 187
Cleavage theory 142 von Umweltproblemen 171 Energieproduktion 13, 21,175 Patentorganisation 187
C02-Abgabe 13 Dreifelderwirtschaft 124 f. Entscheidungsprozess 35f., 162, Südsternwarte (ESO) 187
C02 -Gesetz 13 Dreizelgensystem 124 174 Union (EU) 36, 63,68 f.,
Code switching 80 Dritte Schweiz 39 Entwicklungs 72,86,118, 132, 148,151,
Confoederatio Helvetica (CH) X Drittes Reich 188 -budget,Bund 197 186-191, 194f.
Consensus democracy 37 Duale Schweiz 46f. -chancen, regionale 148 Weltraumorganisation (ESA) 187
Containerfracht 132 Dualisierung, soziale 101 -finanzierung 198 Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)
Controllingkonzept 135 Dualisierung, Zentren 104 -zusammenarbeit 186, 63,187 f.,193
Credit Suisse 64, 99 Düngerbilanz,ausgeglichene 152 194-201 Zahlungsunion (EZU) 187
Durchschnittsalter 71 -zusammenarbeit,Rahmen- Zivi11 uftfahrt-Kommission
Dachmarken, Engadin- kredit 196,200 (CEAC/ECAC) 187
St. Moritz 55 Economies of scale (Skalen- Eozän 6 Europäischer Wirtschaftsraum
Deckeneinheiten,tektonische 2 erträge) 60 Erbschaften 95, 106 (EWR) 44, 188,190
Deckengebirge 2 Ego-Gesellschaft 84 Erbschaftssteuer 68 Europäisches
Deckenüberschiebung 2 Ehegatten, zweitverdienende 67 Erbsumme, gesamt- Komitee für elektrotechnische
Defizitansatz 100 Eidgenössische schweizerische 72 Normung (CENELEC) 187
Deindustrial isierung 91 Kommission für Lufthygiene Erbvorbezug 72 Komitee für Normung (CEN)
Demographie,regionale 73 (EKL) 177 Erdölindustrie, Autoindustrie 55, 187
Demokratie,direkte 25, 34,190 Stempelabgabe 68f. 128 Laboratorium für Molekular-
Demokratisierungsbewegung 31, Technische Hochschule Ergebnissteuerung 135 biologie (EMBC/EMBL) 187
34 (ETH) 62 Ernährungssicherung 18f. Laboratorium für Synchron-
Denkplatz Schweiz 43-49 Technische Hochschule Zürich Ernährungswertschöpfungskette strahlung (ESRF) 187
Dependenzthese 199 (ETHZ) 49,88,192 148 Raumentwicklungskonzept
Depression,große IX,45 Eidgenössisches Erosion,Glazial- 4 (EUREK) 180
Sachregister 221
Zentrum für mittelfristige Flächenverbrauch 1, 16 f., 136, Funktionalregion 137 penninische 2
Wettervorhersagen (EZMW) 181 Fusion 31, 84 südalpine 2
187 Flächenverlust 7, 17 Gesundheit 13, 108, 139, 155f.,
Europapolitik 132, 186, 190 Flachmeer, tropisches 5 Gastgewerbe 59 f. 174, 176f., 189
Europarat 67, 161, 180, 187, Flachmoor 126 Konsumentenpreise 59 Gesundheitswesen 74, 99, 183
189 Fiat tax 69 Gebietskörperschaften, Getreidebau 123, 125f.
Europarats-Mitgliedschaft 190 Fließgewässer, Verbauung 20 Alte Eidgenossenschaft 43 Getreidegebiete 143
European 0rganization for Flüchtlinge 29, 99, 110 Gebietsplanungskompetenz 184 Getreideimport 46
Nuclear Research (CERN) 187 Flüchtlingsstatus 87 Gebirgsbreite 2 Gewaltprävention 104
Euro-Schwäche 59 Flughafen 54, 128 Gebirgsland 2, 172, 174 Gewannfluren 124-126
Eutrophierung 176 Flugplatzinfrastruktur 128 Gebirgsvergletscherung 168 Gewässer, Phosphatbelastung
EWR-Vertrag 36 Flurzwang 124 f. Geburtenrate 71, 74 170, 177
Exekutive 33 f., 36, 185 Flussbau, Schutzprojekte 169 Geburtenziffer, Gewässerkorrektur 168
Existenzminimum, Schutz 110 Flusskorrektur 118, 169 ausländische Frauen 71 Gewässernetz 2, 81
Exklusion 95 Flussverbauung 173 Geld- und Kreditversorgung 61 Gewässerschutz 168, 175
Export Flyschsandstein 6 Gemarkungsgrenzen 125 Gewerbe, ländliches 123
-branche 42, 45, 51 f., 54 f. Föderalismus25, 30, 32, 37, 92, Gemeinde Gewerkschaft 36, 38, 63, 91,
-wirtschaft 45-48, 91 120, 127, 141, 155f., 190 -autonomie 120, 134, 192, 195f.
-wirtschaft, Wertschöpfung 46 Föderalismusreformen 155 138-140, 159 Ghettoisierung 104
Extensivierung der Landwirtschaft Föhn -freiheit 31 Glaubensflüchtlinge, jüdische 96
17 Nord- l0f. -fusion 31, 84, 135 Gleichheitsprinzip 30
Extremereignis 11 Süd- l0f. -präsidenti n, Gemeinde- Gleichstellung der Frau 30
Föhnböen 11 präsident 140 Gleichstellung, faktische 95,
Fabrikgesetz 28, 62 Föhnfenster l0f. -steuersatz 142 116
Fabrikindustrie 28, 45 Fonds Landschaft Schweiz (FLS) Gemeinschaftsaufgaben 155 Gletscher
Fabrikindustriedorf 124 161f. Gemüsegarten 5 abschmelzende 21, 24
Fabriksystem 45 Förderansatz 100 General Agreement on Tariffs Alpen- 20
Faltengebirge 2 Fordistisches Modell 145 and Trade (GATT) 63, 151, Block- 21
Faltenjura 5, 125 Forschungseinrichtung 49 193f. Hangbewegung 21
Familien Forschungsinstitution 74 Uruguay-Runde 151, 193 Kriechprozesse 21
-betrieb 141, 148, 150 Forschungsmärkte 48 Genf, Stadt Calvins 44 Längenänderung 20
-dynastie 106 Forstbetriebe 8 Genossenschaft 68, 123 Sehwundtendenz 20
-modell 41, 117 Forstgesetz für Bergregionen Gentrifikation 101, 103f. Volumen 20
-politik 71 1897 /98 169 Geographische Informations- Wasserreservoir 7, 21
Farbenindustrie 192 Forstmanagement 13 systeme (GIS) 20, 110 Gletschereis 6 f.
Feinmaterialanteil 7 Forstwirtschaft 17 -19, 24, Gesamtarbeitsverträge 63 Gletscherschmelzwasser 9
Feinstaubproblematik 168, 153-155, 162, 192 Gesamtmelioration 121 Gletscherschwund 20, 171 f.
174 Forum Landschaft 162 Gesamtverkehrskonzeption Gliederung, institutionelle 136
Feldzüge, italienische 30 Fragmentierung, soziale 105 (GVK) 131 Global Climate 0bserving System
Felssturz 1, 19, 22, 174 Französisches Vorland 5 Geschäftszentren, (GCOS) 20
1 ntensivierung 21 Frauen, erwerbstätige 116 internationale 146 Globalisierung 24, 36, 40f., 49,
Ferienregion 54, 57 Frauenanteil 116f. Geschichte 63, 80, 91 f., 110, 159
Ferienwohnung 67 Frauenstimmrecht 28, 30, l 15f. Kantonal- 31 Gneis 6
Festgestein 6 f. Freiflächen 17 Regional- 31 Gold 6
Festlandsphase 2 Freihandelsvertrag 190 Schweiz 25-31 Goldküste, Zürich 106
Feuerversicherung 68 Freisinnige Demokratische Partei Geschichtsmythen IX, 97 Good Governance,
Finanz- und Investitionssektor (FDP) 34, 79, 190 Geschlechter-Arrangement gute Regierungsführung 196
193 Freizeit- und Tourismuslandschaft Ansatz 117 Gotthardpass IX, 43, 191
Finanzausgleich 37, 154-159, 119 Geschlechterkultur 117 Gotthardtransit 28
183 Freizügigkeitsabkommen 72 1 ndex der 117 Gotthardtunnel 28, 132
bundesstaatlicher 47, 141 Fremdenfeindlichkeit 87 Geschlechterungleichheit 88, Gouvernanz 74, 104f., 138,
Finanzbedarfsausgleich 156 Fremdenverkehr 42 114-117 140, 193
Finanzbranche 52-54 Fremdverständnis 29 Gesellschaft, multikulturelle IX, Granit 6
finanzföderative Struktur 62 Friedensaktion, internationale 197 96f. Grasland 148
Finanzindustrie, internationale 48 Friedensförderung 197 f. Gesellschaft, Wandel 87-94 Greater Zurich Area AG 49
Finanzmarkt 51 militärische 197 f. gesellschaftliche Problemlagen Grenze
Finanzplatz IX, 42, 48, 68, 90f., zivile 197 94 fünfte 142
145, 192, 194 frontistische Bewegung 29 Gesellschaftsliberale 39 politisch-administrative 49f.
Schweiz 68 Fruchtfolge 18f., 152 Gesetzesänderung 34 f., 200 tektonische 2
Finanzpolitik 62, 178 Fruchtfolgeflächen 18 f. Gesetzesreferendum 34, 36 Grenzgänger 98
antizyklische 63 frühmittelalterliche Gesetzgebung! 7 f., 35f., 114 Grenzpersonenkontrolle 189
Findlinge 6 Ausbauphase 120 Gesteine Grenzregion 136
Firmenwettbewerb 69 Landnahmeperiode 120 Karbonat- 6, 14 Grenzschicht, nervöse 20
Firn, ewiger 172 Frühwarnsystem, sensibles 20 mesozoische 2, 4f. Großraum, funktionaler 84
Fischerei 123, 176 Funktionalräume 135f., 182, nutzbare 6 Grundbedarf 108, 113
Flächensicherung 19 184 ostalpine 2 Grundbuch, Besitztitel 64
222 ctnegister
Gründerzeit (1855-1914) 55, Höhle 6, 152 Verordnung über die Integration Karstquelle 6
88,126,144 Holdinggesellschaft 68f. von Ausländerinnen und Karstspalte 6
Grundgebirge 2, 4 Holozän 5 Ausländern (VlntA) 99 Kartell 61, 63
Grundgesetz 30 Homogenisierung 84, 102 Welcome-Maßnahmen 100 Käseproduktion 123
Grundrente 44 Hotel- und Kurortskredite 158 1 ntegrations Katholiken 32, 40, 82, 90
Grundstückgewinnsteuer 64 Hotellerie 58, 60 -bereitschaft, gelebte 99 Kerngemeinde 7 4,138
Grundstückkosten 74 Hotelübernachtungen 57f. -bericht 190 Kernkraftwerk 8
Gründungscharta 26 Hufenflur 132, 126 -hilfe 87 Kettendorf 126
Grundversorgung 112f. Hugenotten 44,96 -maßnahme 76, 99, 104 Kettenjura 5
Grundwasserschutz 6 Hypothekenzinsen 67 -vereinbarung 99f. Keupersandstein 6
Grundzüge der Raumordnung 1 nteressensdivergenzen 92, 94 Keynesianismus 63
Schweiz,1996 181 f., 184f. Immigration,italienische 75 lnteressensgruppen 185, 196 Kies 4, 6
Grüne Partei 92 Immissionsmessung 177 lntergovernmental Panel on Cli- Kirchensteuer 65, 143
Gruppensiedlung 123 Individualismus 70, 93f. mate Change (IPCC) 20 Kläranlage 176
Güterhandel 49, 192, 194 lndividualitätsgrundsatz 113 interkantonale Zusammenarbeit Klassenkampf 63
Güterproduktion,industrielle 144 Individualprinzip 113 139,155 Kleinbauerninitiative 151
Gütertransit 30 Industrialisierung 28, 31, 43, interkonfessionelle Kämpfe 192 kleine und mittlere Unter-
Güterverkehr 89, 105f.,118, 126, 141- Internalisierung, externe Kosten nehmen (KMU) 46, 48,91
alpenquerender 127f. 144, 169f. 68 Klima
Ost-West 128 nachholende 46 Internationaler Währungsfonds -bedingungen 120
Güterzusammenlegung 121, 123, Industrie 18, 44-48, 52, 54f., (IMF) 193f. -entwicklung 11 f.
125 90, 126,144, 146, 154, Internationalisierung 48, 68 -gunst 1
157, 175,187, 192 Invalidenversicherung (IV) 62f., -messreihe 11
Haftpflichtversicherung 68 Aufbau 44 109 -modell 12, 20,172
Handänderungssteuern 64 chemische 46 1 nvestitionsgüteri ndustrie 52-54 -politik 13
Handel ehern isch-Pharmazeutische Investitionshilfe für Berggebiete -problem 174 f.
Agrargüter 194 52 OHG) 136, 146, 141, 156-159 -schranke 1, 8 f.
transatlantischer 192 Industriebrachen 47, 178 Islam 85f., 91 -szenario, regional 12
Handels- und Gewerbefreiheit industrielle Mischkonzerne 48 trockenes 9
(HGF) 63 industrieller Sektor 47, 91 Judikative 34 -wandel 1, 8, 13, 19-23,40,
Handelsbeziehungen, liberale 47 industrielles Unternehmertum Jungtertiär 2, 5 172, 174 f., 197
Handelspartner IX, 44,48, 148, 44 Jura IX, 1-7, 10,14, 31, -zukunft 12
186, 193f. 1 ndustriestaat 62 40, 43,47, 125f., 142f., Lokal- 6
Handelspolitik 186, 191 f.,194 Industriestädte 47, 90 147f. Klumpenrisiko, wirtschaftliches 91
Handelsschranken 47 Industriezeitalter 45, 162 -bogen 38, 40 Klus 5, 118
Hangstabilität, reduzierte 24 1 nformationsnetzwerk 7 4 -faltung 6 Kobalt 6
Harmonisierung der obliga- Infrastruktur, wertschöpfungs- -gewässerkorrektion 169 Kohäsion
torischen Schule (HarmoS- orientierte 74 -südfuß 6, 47 zwischen Landesteilen 29
Konkordat) 75, 99 lnfrastrukturfläche 15 nationale 30
Hartkäseproduktion 123 Ingenieurwesen X, 48 Kaderposition 98 Kohäsionsmilliarde 190
Haufendorf 124 Initiative für grenzüberschreitende Kalkstein 5 f. kollektiver Entscheidungsprozess
Häusertypen 81 Kooperationsprojekte in markt- Muschel- 6 162
Hausratversicherung 68 orientierter industrieller For- Kaltlufthoch 8 Kolonialisierung 88
Heiliges Römisches Reich Deut- schung und Entwicklung Kanderdurchstich 169 Kommunaler Zweckverband 139f.
scher Nation 26 (EUREKA) 187 Kantonalbank 62 Kompromissbereitschaft 96f., 99
Heimatgefühl 169 lnnoTour 158 kantonale Identität 49, 82 Konferenz der europäischen
Heimarbeit 45, 90, 192 1 nnovations Kantone Post- und Fernmeldeverwaltung
Heimindustrie 45f., 126 -förderung 136, 141, 159 Finanzkraft 155 (CEPT) 187
Helvetik (1798-1803) 27 -leistung 194 finanzschwache 154 konfessionelle Spaltung 142
Helvetikum 2 -orientiertes Land 192 finanzstarke 155 Konfessionsgrenze 142
Herrschaftshäuser, europäische 43 -standort Schweiz 48 mittelstarke 155 Konjunkturforschungsstelle (KOF)
Heterogenisierung 84 -system, nationales 48 KantönIigeist 140 49
Hilfe, multilaterale 196 -tätigkeit 52 Kantons Konjunkturglättung 68
Hilfeprinzip 113 -wettbewerb 49 -geschichte 31 Konkordanzpolitik 35, 37
Hilfsdispositiv 104 Input-Output-Tabelle 46 -hauptort 11, 65f. Konkordanzregierung 37
Hitzewelle 11 1 nstitutionen, direkt- -spaltung 142 Konsensfähigkeit 96, 99
Hochgebirge 2,4, 19, 24, 174 demokratische 97 -steuer 65, 143 Konservativ 25, 28, 36-39,41,
Hochgebirgslandschaft 20,21, 24 lnsubrische Linie 2 -struktur 82 92, 115-117
Hochlohnland 45 1 ntegration Kapitalerträge, Abzüge 69 Konservativismus, Hyper- 41
Hochmoorverordnung 170 Empfangsklasse 100 Kapitalgesellschaft 68 Konsultativabstimmung 139
Hochschulstandort 74 Lernen im Park 100 Kapitalverkehr 44 Kontinentalplatte 2
Hochwasserschutz 168f., 174, Pflichten 99 Karbid- und Düngemittel- Kontrollinstanz der Staatstätigkeit
176 Querschnittaufgabe 99 fabrik 144 62
Hochweide 23 Rechte 99 Karbonate 14 Konzessionserteilung, kantonale
Hoffmann-La Rache 81 sprachliche 76, 78 Karrieremodelle, 28
Höhenlage 9, 22, 125 Übergangsklasse 100 betriebliche 117 Kooperationsprinzip 170
223
Kornkammer, mittelländische 46 staatliche Garantien 151 Man and Biosphere-Forschung Millennium Development Goals
Kosovo-Albaner 87 Strukturveränderung 152 161 f. (MDGs) 200
Krankenkassenobligatorium 28 Landwirtschaftsfläche 15, 124, Managementfähigkeiten 60 Mineralisierung 16
Krankenkassenprämien 110 138, 183 Mangan 6 Misstrauensvotum 34
Kreide 2, 4 Landwirtschaftsgesetz 151, Marke Schweiz 55 Mitbestimmungsrecht 34
Kriegsdienste 47 161f. Markenprodukt 45 Mittelgebirge 5
Kriegsgewinnler 63 Landwirtschaftspolitik 193 Marketinginstrument 55 Mittelland 1-6,8,14, 17,38,
Kriegshandwerk 191 Lärmschutzverordnung 170 Markt 42,45-47,49-54, 81,120 f.,
Kulturerbe 181,183 Lastenausgleich,horizontaler 156 -kräfte 62, 108, 156 123-126, 128, 131, 134, 142,
Kulturland 17f., 134,148 Lastwagenlobby, nationale 118 -orte 124 148, 167,170, 176, 178, 181,
ackerfähiges 18 f. lateinische Schweiz 38, 116 -steuerung 61 183
produktives Lawinenrückhaltedamm 169 -versagen 61 f. Mittelschule 88
Kulturlandschaft 24, 118, 121, Lawinenschutz 168 -verzerrung 61 Mobilität XI,127, 146, 182
150, 153, 161 Lawinenverbauung 19, 169 -voraussetzung 61, 64 Mobilität der Produktionsfaktoren
Kulturlandschaftswandel Lawinenwinter 11,172 -wirtschaft 61-64, 91 49
119-126 Leadership, staatlich 104 Marmor 6 Modellvorhaben, nachhaltige
Kulturleistungen 61 Lean Management 89 Maschinenbau 48, 53, 192 Raumentwicklung 139, 180
Kupfer 6 Lebensformen,Wandel IX, 108 Maschinenindustrie 28,45, 55, Modernisierung der Gesellschaft
Kurzaufenthalter 73 Lebensmittelindustrie 48, 189 106, 125 40 f.
Lebensqualität IX,69,97, 102, Massenmotorisierung 131 Modernisierungseffekt 84
Lagerstätte 6 105, 138,146,176, 181 Materialismus, historischer 28 Molasse 4
Laissez-faire-Liberalismus 63 Lebensraum, Mc Donaldisierung 84 Molybdän 6
Laizität 40 Pflanzen und Tiere 17 Meadows-Bericht 1972 145 Monitoring der Raumnutzung 17
Land- und Ernährungswirtschaft Lebenssituation, prekäre 104 Mechanisierung 45, 90,192 Mont d'Or-Simplon-Linie 44
2025 154 Lebensstandard X, 146 Medianeinkommen 111 Moräne 4,7
Landesausstellung 31,82 Lebenssti 1, ländIicher 40 Mediation 1803-1815 27 Moränenablagerungen 6
Landeskirche 84 Lebensunterhalt 98,113 Medizinaltechnik 48 Motorisierter Individua !verkehr
Landesregierung 33,84, 188 Lebenswelten IX, 70,87,93f. Meeresluft 8 (MIV) 127f., 132
Landessprachen 70, 75,81, 83, Leichtindustrie 45 Mehrsprachigkeit IX, 78f., 87 Multifunktionalität 18,150, 154
85 Leistungsabhängige Schwer- Mehrwertsteuer 64,67 f. Multikulti 84, 96
Landesteile 10,30, 63, 84, 115, verkehrsabgabe (LSVA) 68, 127, Mehrzweckbetrieb 125 Multikulturalität 85-87
117, 142,147,182 132, 172 Mehrzweckwirtschaft 123 Multimilliardär 106
Kohäsion 29 Leistungserbringer, touristische 60 Meinungsäußerung, politische 93 Multioptionsgesellschaft 97
Landesverkehrsabkommen 2002 Leistungsfähigkeitsprinzip 68f. Melkroboter 151 multipolare Welt 195
132 Leitindustrie 42, 55 Menschenrechte 189, 196 f. Mundartgrenze 142
Landesversorgung 63 Lenkungsabgaben 68 Menschenrechtsverletzung 197 Münzmonopol 62
Landesverteidigung 29 liberal 25, 37-39,60, 115 Mergel 4-6 Münzwesen 45
Landflucht 62,145 Liberalisierung, Massnahmen 38, Messeplatz 44 Mure 19,22,24
Landschaft 63f., 194 Messstandorte,nordalpine 12 Murgang 1, 169
2020 161-165 Liegenschaft 67 Metall- und Maschinenindustrie -Rückhaltedamm 169
Bewertungsdimensionen 163 Liegenschaftspreis 66 45 Murtätigkeit, Intensivierung 21
Einheiten 1 Liegenschaftstransaktion 64 Metropole Schweiz 74, 142, 162 Muslime 85 f.,90
öffentliche Aufgabe 126, Life Sciences 52, 145 Metropolen der Annehmlichkeiten Mutterschaftsversicherung 115
160-167 Life-Lines, erdverlegte 16 147
nationale Bedeutung 160 Life-Science-Branche 52 Metropolfunktionen 145 Nacheiszeit 5, 174
naturnahe 119 Lingua franca 78 Metropolisierung lOO f., 142, Nachhaltigkeit 17,19,24,133,
Landschafts Linkspartei 38 182f. 138, 150,154, 170,172,
-bild 120f., 124f., 141, 153f. Linsenwolken 10 Metropolitanbildung 136f. 180-185
-elemente 119,121, 126, 183 Linthkorrektion 169 Metropolitanraum Zürich 49f. Nagelfluh 4, 15
-entwicklung 163 Lockergesteine,quartäre 6 Metropolregion,Metropolitanregion Naherholungsgebiete 17
-konzept 161, 164 Lockersedimente 4 100,146f.,149, 159 Nährstoffbelastung,Landwirtschaft
-pflege 150, 154, 162 Lohnniveau,niedriges 73, 98 Microsoft-McDonalds phenomenon 177
-politik 160-164 Lokalisationsindex 101 110 Napfgebiet 39, 124, 147
-qualität 146, 160,167 Lokalwirtschaft 46 Migrantengruppe 76, 98f. Napoleon 44
-schutz 6, 19, 162f., 183 Löss 4,6 Migration 75, 78, 96-100, Napoleonische Kriege 192
-struktur 119 Lösslehm 6 104f., 198,200 Nation Building 26
-veränderung 163, 183 f. Lösungskompetenz 140 Migrationserfahrung 97 Nation, une et indivisible 83
-verbrauch 118 Lufthygiene 168,177 Migrationshintergrund 74, 97- Nationale Forschungsprogramme
Landwirte,Unternehmer 151 f. Luftreinhalte-Verordnung 170, 99 (NFP) 173
Landwirtschaft 178 Migrationspolitik 99, 196 Nationales Beobachtungsnetz für
geschützte geographische Luftreinhaltung 17 Milchseen 151 Luftfremdstoffe (NABEL) 177 f.
Angabe (GGA) 151 Luftverschmutzung 178 Milchwirtschaft 123, 143 Nationalfeiertag 26
Generationenwechsel 152 Milchwirtschaftsprodukte 123 Nationalität 71,74, 86
geschützte Ursprungs- Mädchenbeschneidung 97 Militärunternehmer 143 Nationalpark, Engadin 8, 170
bezeichnung (GUB) 151 Maiensäss 123 Milizparlament 33 Nationalrat 25,32, 63,92
Multifunktionalität 18, 150,154 Majoritarian democracy 37 Milizsystem 29 Große Kammer 32
224
Proporzwahl 28, 63, 92 OECD-Länder 69, 89,198 Personenverkehr 44, 127, 129 Raumentwicklung 18, 139,145,
Nationalratssaal 33 öffentliche Pfadabhängigkeit 160,168,180-185
Nationalstaat 28, 31, 69 f. Entwicklungshilfe (Aide Publique der Entwicklung 43 Raumentwicklungspolitik 136,
Nationalstraßen 128, 159, 170, au Developpement,APD) 198f. Pflanzenschutzmittel 152,176 139, 182,184
184 Finanzen 134 Pharmaindustrie 48 Raumgliederung 136
NATO-Kooperation 30 Verwaltung 135,156 Pharmazie 48, 106 Raumkategorien 119
Natur- und Heimatschutzgesetz Werke 126 Phosphatbelastung 170,177 Raumkonzept Schweiz 136f.,
1996 160,162 öffentliches Beschaffungswesen physiokratisches Dogma 44 182,185
Natur- und Umweltschutzverbände 188f., 194 Plan Wahlen 170 räumliche
18 ökologische Ausgleichsflächen Planungspolitik 118 Gliederung 1-24, 87, 178
Naturgefahren 13, 134, 162, 120,152f. Plateaujura 5 Typologie 136
168-185 ökologische Produktion 150, 152, Plebiszit 30,133, 190 Ungleichgewichte 141 f.
Naturgefahrenprobleme 174 154 plebiszitäre Blockierung 133 räumliches Gefälle 38
Naturkatastrophe 169,172, 195, ökologischer Leistungsnachweis plurikulturelle Struktur 29 Raumnutzung 17, 147, 163,
197 152 Podsol 15 173
Naturpark 160,166 Ökosystem 15, 19f., 23, 163, Podsolierungsform 15 Raumnutzungsansprüche 163
Naturraum 1-24, 142 174 Polarisierung der Schweiz 37 Raumordnungspolitik 161, 180
Naturwiese, ackerfähige 18 Opalinuston 6 Polytechnische Hochschulen 88 Raumplanung 17 f., 119, 159,
Neo- und Ordoliberalismus 63 Opposition 36,39-41 Politikprozess 36 162, 168,170,178,180-185
Nestle 81 Organisation for Economic politische Landschaften 37-41 Raumplanungsgesetz 18, 160,
Nettovermögen 95, 105, 112 Co-operation and Development politische Machtteilung, 181, 184
Neue Eidgenossenschaft 26 (OECD) 69, 89, 110, 187, Konkordanz 25,34 f.,37 Raumplanungspolitik 184
Neue Eisenbahn-Alpentransversale 191,198-200 politischer Aufbau 33 Raumplanungsrecht 178, 184 f.
(NEAT) 127, 131 f.,159 Organisationen, internationale XI, politischer Entscheidungs- Reallohn 45
Neue Linke 93 145, 187, 192 prozess 35f. Realteilung 123 f.
Neue Regionalpolitik (NRP) 47, Ortskultur 87 politisches Paradigma 41 Rebbau 123
136, 154-159 Ortsnamen 120 polyzentrische urbane Schweiz Recht auf die Letztentscheidung
Neue Zuwanderung 76 Ortswüstungen, spätmittelalter- 136f. 34
Neuenburger-Konflikt 29 liehe 121 Postwesen 45 Recht auf individuelle Kultur-
Neuer Finanzausgleich (NFA) ostalpin 2 Potenzialansatz 100 praxis 87
154-159 Osthilfegesetz 190 Präferenzabkommen 194 Referendum 25, 34f., 37, 42,
Neuorganisation,Gebiete 136 Ostkirche 86 Prekarisierungsdruck 91 62,64, 92,189 f.
Neutralität 30, 34, 190, 195 Ostzusammenarbeit 196,199, Primat der Wirtschaft 108 Gesetzes- 34
New Public Management 135f. 201 Privatbahnen,Nationalisierung obligatorisches 36
Nickel 6 Oxide 14 63, 130 Oppositionsinstrument 35
Niedergelassene 92, 98 Private Banking 72 Verfassungs- 34
Niederlassungs- und Gewerbe- Parabraunerden 15 Privateigentum 61 Referendumsrecht 34,140
freiheit 28 Parallelexistenzen 84 Privatvermögen IX, 72, 111 Reformation, Zürich 27
Niederschlag,Stark- 11, 19, 24 Parallelwelten 96 f., 99 Problemlösung,kommerziell Reformstrategie, finanzpolitische
Niederschlags Pariser Frieden 30 verwertbare 49 105
-abnahme 13 Parklandschaften,Schweiz 166 ProClim 173 Regeneration 1830-1848 27 f.
-aktivität 9 parlamentarische Demokratie 34 Produkte, tierische 148 Regierung 33f., 36f., 64, 97,
-änderung 12 f., 21, 23 Parlamentsbeschluss 34, 37 Produktion, Mechanisierung 45 187f., 190,200
-entwicklung 12 Parlamentsentscheid 28 Produktionsauslagerung 91 Regierungspräsident 34
-kurve, gesamtschweizerische 12 Parteien 33,35f., 92, 87, 185, ProduktmarktreguIierung 60 Regio Plus 158
-mengen 1, 9 195,199 Prognose 12, 23 Region
-messreihen 12 Parteienpolitik 96 Programme for International agrarische 136
-profil, Schweiz 9 Partikularismus 83 Student Assessment (PISA) agrotouristische 136
-regime 12 Partnership for Peace 30 29,80 Großregionen 49-52, 54, 73,
-zunahme 13 Parzellengrenze 120 Proporzwahlrecht 28 136
Nischenstrategien, Export- Patchwork-Kultur 84 Proporzwahlsystem 92 MS-(mobilite spatiale)
wirtschaft 91 Patentdichte 194 Protektionismus, Regionen 49
Nordschweiz 9 Patrizier 106, 125 nationaler 64 Randregion 17, 59,127
Nord-Süd-Verkehr 44 patrizische Familien 44 protektionistische Wachstumsschwäche 47,157
Nothilfe,humanitäre 195 Pauschalbesteuerung 69 Maßnahme 47,151 regionale Entwässerungspläne
Novartis 81 Pendlerdistanz 118 Protestanten 40, 82, 90 (REP) 176
Nutzflächen, alpwirtschaftliche Pendlereinzugsbereiche 49,136 protestantische Ethik 96, 105 Regionalentwicklung 13, 140,
141 Penninikum 2,6 Protestantismus 142 146, 159
Nutzflächen, landwirtschaftliche Pensionskassengelder 72 Regionalplanungsverband 139 f.
141, 148, 183 periurbane Zone 136 Quartär 4, 6 f. Regionalpolitik 47,63, 141 f.,
Nutzungsbedürfnis 121 Periurbanisierung 102f., 142, Quartierspolitik 105 145-147, 154-159, 167
Nutzungsintensität 120 145 Quarzsand 6 Reiche
Nutzungskonflikt 16-18, 120 Permafrost 1, 6 f.,20-22,174 alte 106, 108
-verbreitung 21 Rätoromanisch 70, 87 christlich motivierte 107
Obere Meeresmolasse 6 Personenfreizügigkeit 86, Raum, Ausdifferenzierung 101, neue 108
Obligationenrecht (OR) 61 188-190 105, 142, 148 unkonventionelle 107
Sacttreglstet 225
Reichtum 7, 44, 105-109, 143, Schienenverkehr 127-129, 132, Binnennachfrage 57 Seen 4-7,21,24,1 21,126,
175 189 Erwerbstätigenanteil 58 170, 174, l 76f.,179,197
Sozialverträglichkeit 106,152 Schiffsexpedition 143 Nachfragerückgang 57 natürliche 7
Reihendorf 126 Schiffsverkehr 123 Performance 57-59,61 Zungenbeckenseen 5
Reliefbedingungen 120 Schiiten 86 Preisdifferenz Nachbarländer Seewasserwerk 7
Reliefenergie 19 Schlüsselbranchen 48 59 Segmentierung, räumliche 110
Reliefsituation 14 Schmelzwässer-Kiese, Preis-Leistungs-Verhältnis 61 Seide 46
Religion XI, 26, 31, 35, 40f., -Sande 4 Wettbewerbsfähigkeit 52, 59f. Seilbahn, Standseilbahn,
81-86,91,100 Schmelzwasserströme 4 Schweizer Wirtschaft 44, 48 f., Luftseilbahn X,128
Rendzinen 14 Schneebedeckung 1 51-54, 6lf.,99,134,194 Sektoralpolitik 138, 159,164,
Renovationskosten 67 Schneedecke 9,23 Flaggschiffe 48 166
Rentensystem 74 Schottervorkommen,quartäre Krisenanfälligkeit 48, 52 Selbstverantwortungsprinzip 170
Rentner 72 7 Lohnkosten 47 f. Selbstversorgungswirtschaft 123
Resort towns 146 Schuldbetreibungs- und Qualitätssiegel 48 Selbstverständnis 70, 82,107,
Ressourcen Konkursrecht (SchKG)61 Risikokonzentration 48 139
materielle 108 Schuldenkontrolle 104 Schlüsselbranchen 48 helvetisches 70
natürliche IX,6-8 Schuldzins 67 Strukturbild 48 Selektionsprozesse, negative 140
nicht erneuerbare 14 Schulharmonisierung 39 Wertschöpfung 46, 48,51-55, Sennereibetriebe 125
Ressourcenökonomie 174 Schulreform 99 74,105, 126,136, 142, 146, Serpentinit 6
Ressourcenschutz 160, 164, Schulschwierigkeit 104 148, 153f.,159, 162, 167 Service public 38, 62 f.
175-180 Schulsystem 78, 82, 88 Schweizerdeutsch IX, 80 Sezessionstendenz 84
Ressourcenverteilung,regionale Schutz der Minderheiten- und Schweizergarde X, 29 Shareholder value 91
146 Regionalsprachen 87 Schweizerhalle,Chemiebrand Sicherstellung der Versorgung 61
Restauration Schutzgebiete 160, 170 1986 173 Siedlungs
große(l815-1830)27 Schwangerschaftsabbruch 40 Schweizerische -assoziation 122, 125
kleine 27 Schwarzenbach-! nitiative 96 Arbeitskräfteerhebung(SAKE) -entwicklung 119-126,165,
Restriktion,feudale 45 Schweiz der Regionen 136 97 167,182f.
Revision des Schweizer Raum- Schweiz in der Entwicklungs- Bundesbahnen (SBB) 63,127, -entwicklung,nach Innen 19,
planungsgesetzes 160 zusammenarbeit 195-201 130 138,182
Revolution Schweiz in der Weltwirtschaft Bundesverfassung 17,31-34, -fläche 134, 183
1847/48 28 191-195 37, 63f., 99, 126f., 137, -qualität 183
von oben 29 Schweiz und Europa 187-191 139, 155,170 -raum 120, 160
Rezessionsphase 68, 90, 144 f. Schweiz Demokratie 31-37, 62,82, 92, -struktur, inneralpine 124
Rhönegletscher 6, 20 Bankenschweiz 81 127 -typen 114 f., 120f., 125
Richtplan,kantonaler 184 Bauernschweiz 81 Eidgenossenschaft IX,17, -verdichtung 19
Risikomanagement 173 f. fünfte 47 25-27, 29,31,34,43, -wasserwirtschaft 168, 175 f.
Rodungsprozess 120 italienische 25, 38-40 88, 97,99, 126,142, 161, Silikate 14
Rodungstätigkeit 23 kleinstädtische 41 191 f.,195 Silikatverwitterung 15
rohstoffarmes Land 192 periphere 41 Entwicklungszusammenarbeit Simplon-Linie 3, 44
Rohstoffe 24,43,45,151, 171, sozialwissenschaftlicher 186,194-201 Skipiste 24
175,186,192, 199 Glücksfall 114 Konferenz für Sozialhilfe Softwaremillionäre 106
Rohstoffhandel 48 wissensintensive 42 (SKOS)65, 109f.,113 Söldner 143
Rohstoffverknappung 169 Schweizer Militärorganisation 29 Söldnerwesen 29, 43
Römerzeit 24 Agrarpolitik 150f. Nationalbank (SNB)XII,61 f., Sömmerungsalp 123
Römische Verträge 44, 187 Alpen 4, 22 154 Sömmerungsweide 125
Rotes Kreuz 29 Banken IX, 69,200 Tourismuswirtschaft, Qualitäts- Sonderbundskrieg 27, 31, 92,
Rückkoppelungsprozess 19 Bundesebene, Führungs- Gütesiegel 60 142, 192
Rückwanderung 47, 103 aufgaben 136 Transportkostenrechnung 128 Sonnenscheindauer 11
rurale agroindustrielle Zone 136 Erbrecht 106 Volkspartei (SVP) 34, 92 Souverän IX, 33, 39,97
Rüstungsexport 30 Exportwirtschaft 48 Schweizerischer Sozialabzüge 67
Rütli-Eidgenossen 26 Firmen,Ausland 44, 47, 91 Gemeindeverband 139 Sozialdemokratische Partei(SP)
Rutschung 19 Franken 45, 47f., 57, 62 Nationalfonds(SNF)162,173 34,66,92
Gastgewerbe 59f. Städteverband 136,139 soziale
Saisonniers 85 Gesellschaftssystem 96 Schweizerisches Differenz 108
Salz 6 Gletscher 7,21 Mittelland 4, 16 f., 126, 167, Entwicklung 100-105
Salzhandel 143 Industrie 47,187 176, 181 Frage 108, 142
Sand 6 Kommunikationsmodell 80 Politiksystem 25, 37 Gegensätze 36
Sandstein 4, 6 Konsumenten 152 Schwemmkanalisation 176 Kohäsion 74, 96
Säumergenossenschaften 191 Lohnstrukturerhebung 93 Schwyzertütsch 80 Lage 89, 109
Säumerweg 192 Raumplanung 160,180-185 Sedimente 2, 4f. Schicht 78f.,89,102
Schadstoffbelastung 178 Regionalpolitik 146, 156 feinkörnige 4, 15 Sicherheit 38,99, 108,
Schadstoffe 1, 16f., 176,178f. Sozialhilfe 110 gefrorene 22 112-114,195
Sehengen 39,189 Schweizer Tourismuswirtschaft 55, mesozoische 3 f. Strukturen 114
Schenkungssteuer 64,68 57-61 tertiäre 3 Transferleistungen 112
Schichtstufenland 5 Arbeitsstellen 59, 98, 110 Seeablagerungen 4 sozialer
Schienennetz 128-130 Auslandsnachfrage 57 Seebodentone 6 Kitt 108
226
Pluralismus 70, 84 Staat, korrektive Ordnungsfunktion Steuerharmonisierung 42,64 Tabak-, Bier- und Spirituosen-
Zusammenhalt 107,145 108 Steuerhoheit 68,190 steuer 68
soziales Netzwerk 103 Staatenbund IX,X,25, 27, 31, Steuerhölle 66 Tafeljura 3,5, 126
Sozialgesetzgebung 28 97 Steuern 32, 43, 55,62,64,69, ungefaltet 5
Sozialhilfe Staatlichkeit,fragile 197 82, 100, 110-112 Täler,inneralpine 9
Einkommensfreibeträge 113 Staats Bemessung 64,69 Talgebiet 46
Ergänzende 108 -angehörigkeit 72,97 f. Besteuerungsgrundsätze 68 Talkäserei 46
Integrationszulagen 113 -aufbau, föderalistischer 62,64 Eigenmietwert 67, 69 Talschaft 87
-empfänger l lOf. -aufgabe 62 f. Gewinnsteuersatz 67,69 Talzone 124
-empfängerstatistik 111 -ausgaben, defizitfinanzierte 63 indirekte Progression 67 f. Tandeminitiative 160
-leistungen 99,113 -gründung, von unten 31 f. Steuerparadies X,66 T äuferfamilien 125
-risiko 111 -haushalt 33,196 Steuerpflicht 64 Technokratisch 25, 37f., 40
-unterstützung 95 -präsident 34 Steuerpolitik 10,64-69,74,81, Technosol 16
Sozialkarriere 104 -schatz,Bern 44 178 Temperatur 12f., 2023
Sozialleistung 66,110 -schutz 29 Steuersätze, Festlegung 64 -entwicklung 11 f.
Sozialorganisation 87 -Sekretariat für Wirtschaft Steuersenkung 63 -kurve 12
Sozialpartnerschaft 63 (SECO) 136, 138 f., 195f., Steuerstrafrecht 64 -regime 9, 12
Sozialpolitik X,36, 110,112, 198 Steuersystem 42, 64-69,74, 81, -verlauf, langjähriger 12
200 -symbole 82 156, 178, 190 jahreszeitliche 11,13
Sozialversicherung 48, 61 f., 67, -urkunde 26 Steuertarif 64, 67 saisonale 11 f.
109-112, 117 Stadt- und Regionalentwicklung Steuertarif,degressiver 69 Durchschnitts- 9
Sozialversicherungswerk 62,67 140 Steuertheorie 68 Sommer- 12, 23
Sozialwohnungen 104 Stadt, Rückkehr 103 Steuerwettbewerb 49,69 Winter- 12
faktische 104 Städte, Unwirtlichkeit der Städte 1 nternationaler 69 Terra Rossa 6
Soziokulturelle Widersprüche 142 144 Kantone 42,65f. Terrassenlandschaft 126
Soziokultureller Status 101 städtebau Iiche Entwicklungs- Kleinräumiger 64 territoriale Agenda 180, 182
Sozioprofessionelle Kategorie 73, gebiete 47 Steuerzahler 69,73 Territorialitätsprinzip 83, 87
80,101 Städtegründung 121 Stiftung Landschaftsschutz Tertiär 26
Spanische Grippe 71 Städtegründungsphase 121,126 Schweiz (SU 162 Tethys-Meer 2,5
Spätmittelalter 44,121,126 Städtenetz,Europa 138 Stimmbürgerschaft 34,37 Textil 204
Speckstein 6 Städtenetz,Schweiz 121,137 f. Stimmrecht IX,30,34,87,194, -gebiete 155
Speicherkraftwerk 8, 144 Städtepolitik, nationale 139 196 -herstellung 101
Sperrminorität 33 Stadt-Land-Gefälle 154 Stoffkreislauf, -industrie 40, 60,108, 204 f.
Spezialisierung,wertsteigernde Stadtlandschaft 119 biogeochemischer 18 -veredelung 89
Tätigkeit 45 Stammzellenforschung 40 Strafgesetzbuch (StGB) 61 thermische Anomalie 22
Spezialitätenchemie 144 Ständemehr (Mehrheit der Strafrecht 34,61, 64 Tierschutz 153
Spinnerei 45 Kantone) 32,34 Straßenmöblierung 105 Tone 46
Sprache Ständerat (Kleine oder Stände- Straßennetz 128131,133, 183 Tonmineralneubildung 15
Anderssprachige 76 f. kammer) 32-36,92 Streusiedlung 122-124 Totalrevision der Bundesverfassung
Aufnahme- 78 Standort Stromerzeugung 8 31,37
Einstiegsfremd- 75 f. -entscheidung 73 Stromproduktion 8,174 Tourismus
Empowerment 78, 104 -förderung 64-69,74,81,159, strukturelle Schwächen 136 -boom 57
englische 75-80, 87, 107, 178,190 strukturschwache Gebiete 42, 55, -gebiete, alpine 159
187 -nachteiJe 48 57, 135, 144 -nachfrage 57, 59
Erst- 78, 84 f. -qualität 45,134 Strukturwandel 47, 51, 54,56, -organisation 55f.
Fremd- 75 f.,79 -quotient (SQ) 52-54 60, 62,70,82,89f.,92-94, -standort Schweiz 61
Landessprachenunterricht 76 -vorteile 45, 54 125 f., 135f., 141-167 -strategie 55 f.
Mehrheits- 78 -wettbewerb 49, 54,63,69, Verschlafener 47 -verkehr 118
Minderheits- 75 147,159 Wirtschaftlicher 48 -wirtschaft 47, 55,57-61
Nichtlandessprachen 76 f. Statistische Großregionen 136 Sturmschäden 11 Agro- 153
Schul- 79 Staubewölkung 10 Subsistenzwi rtschaft, Traditionell 25, 38
Standard- 7 5 Stausee 7, 24 agrarische 143 Traditionen, direktdemokratische
Sprachenartikel,BV Art. 116 87 Steinsalz 5 f.,46 Suchtprävention 104 f. 120
Sprachenlandschaft der Schweiz Steinschlag 19,169 Südalpin 2f., 6,12,123 Transaktionskosten 61
75-80,82-85,90,142 Stempelsteuer 64, 68 Sulfate 14 Transit IX,24,28,30, 43f.,
Sprachförderung 80 Steueranreiz 74 Sumpflandschaft, 132,133
Sprachgebiet,rätoromanisches 75 Steueraufkommen 91, 104f. terrestrische 4 -gebühr 191
Sprachgraben 38f. steuerbares Einkommen 66 Sunniten 86 -verkehr 43, 118,127 f.,188,191
Sprachgrenze, romanisch- steuerbares Vermögen 112 Suone 9 -verkehr, LKW- 118
germanische 142 Steuerbelastung,niedrige 42, 65 Swissair 188 Transport IX, 2, 40, 48,54,103,
Sprachproblematik 83 Steuerbemessungsgrundlage, Syndrom 16 131,191,198
Sprachregionale Diskrepanz 117 Lebensaufwand 69 Syndromansatz 16 -kosten 45,63
Sprachregionen 47,114,142, Steuereinnahmen, Synklinale 5 -kostenrechnung 128
168 städtische 118 System der sozialen Sicherheit, -system,Europa 44, 46
Spurenstoffe, organische 176 Steuererhöhung 42,64 f. Schweiz 108,112f. Travel & Tourism Competitiveness
St.Galler Voralpengebiet 123 Steuerfreibetrag 64 Szenarienrechnung 13 lndex 61
Sachre 1 227
Treibstoff- und Automobilsteuer 68 Vegetationsbedingungen 120 Verwaltung 34-36,45,47,62, -knappheit 175
Trendwende, zweite 145 f. Vegetationsperiode, Verkürzung 67,83,91, 94,107,135,138, -kraftnutzung 8,20
Trias 4-6 24 156,196,198,201 -kraftwerk 8
Tripartite Ag glomerations- Vegetationsverbreitung 1 Verwaltungsstruktur 74 -leitung 9, 123
konferenz CTAK) 139f. Vegetationszusammensetzung 24 Verwitterung 2,6,14f.,20 -management
Trockenlegung 118,126 Verbrauchssteuer 64 Verwitterungsbildungen, -qualität 13
Typlandschaft 2 Verbraunung 15 alttertiäre 6 -rahmenrichtlinie (WRR) 176
Veredelungswirtschaft 42 f. Viehbesatz 24 -reservoir 7, 21
Überalterung 71,103 Verein Metropole Schweiz 162 Viehwirtschaft 46,123,125 -schloss Europas 6
Überflutungen 5, 11 Verein Metropolitanraum Zürich Vielstaaterei 82 -versorgung 7,153, 173-176,
Überformung,erosive 19 49 Viersprachigkeit 70 195,201
Überfremdungsangst 63 Vereinigte Bundesversammlung Viertausender 2 -vorkommen 6 f.,175
Übergangsjahreszeiten 13 33f. Vierte Landessprache 70 -zinsen 144
Überprägung, Verfassungs Volatile Organic Compounds (VOC) Brauch- 7 f.
geomorphologische 2 - änderung 34 f.,42,64 68,178 Grund- 5-7,15,174-177,179
Überschwemmung 10,24, 107, - artikel, Landwirtschaft Völkerbund 30 Karst- 7
169 150-152 Volks Oberflächen- 6
UBS 64 -gebung 35 -abstimmung IX,25, 27f., 30, Trink- 7, 175f.
Uhren 44,48,54, 125 -gericht 34 32,34,36f.,39,42,64,67, Weberei 45
-herstellung 125 -gerichtsbarkeit 34 69,84,97,114f.,131, 160, Wegzug 66,103,134
-industrie 42,44, 55,63,106, -system 34 170,189 Wehrpflicht 29
125,143, 192 Verformung,tektonische 2 -begehren 34,97 Weideland,extensive Nutzung
-manufakturen 143 Vergangenheitsbewältigung 197 -initiative 30,34-37,40,66, 123
Umgangssprache 80 Vergletscherung 4,14,21 92,160 Weidewirtschaft 1,6,123
Umlandgemeinde 74, 137 modellierter Rückgang 21 -kammer 33 Weiler 121,124, 126
Umsatzabgabe 68 Vergrünlandung 46 -mehr 32, 34 Weltanschauung,linke 115
Umwelt Verhandlungen,internationale 32 -wirtschaftsdirektion, Weltbank 193-196
-fragen 168 Verkarstung 6 f. Economic Promotion 66 Weltgerechte Identitäten 105
-geschichte, Schweiz 169f. Verkehr X-XII,13,24,43f.,56, Vollbeschäftigung 51, 63,111 Welthandelsorganisation (WTO)
-management 175 61,83,106,118, 123,127f., Vollzugsföderalismus 155 63,186f.,193 f.
-politik 40, 161,170 f.,173, 132-134,137,139f., 144 f., Voraussetzungen,klimatische Weltwirtschaftspolitik 194
175 148,156,160,171-175,177 14 Werkplatz Schweiz 42-49
-probleme 92 f.,134,136f., Verkehrs Vorlandseen,große 4 Wertesystem 96,146
168-185 -drehscheibe,europäische 127 Vorparlamentarischer Wertkonservative 39,108
-schutz 17 f.,28,62,132 f., -entwicklung,nachhaltige 127 Entscheidungsprozess 35 Wertschöpfungsketten 48
155, 160, 162,168,170f., -infrastruktur 127 f., 133, 182 Vorparlamentarisches Verfahren Wertschöpfungsstudien 55
173,175, 178,197 -politik 127-133,182f. 35f. Wertschöpfungswachstum 51-53
-Schutz-Abonnement 133 -system X,45,132f. Vorsorgegelder 72 Wertsteigerung,ökonomische 16
-Schutzgesetz (USG) 17,170, -verband 131 Vorsorgeprinzip 170 Westfälischer Frieden 26
175,179 Verlagssystem 45 Voting by feet 66 Wettbewerbsfähigkeit IX,52, 59 f.,
-sünder 151 Verlängerte Werkbank Europas 64,69,134-136,159, 170,
-verträglichkeit 131,180 144 Wachstum, Industrie- 181f.
-wende 131,133 Vermarktung, Wirtschaftsraum und Arbeiterstädte 45 Bestimmungsfaktoren 59
Bodennutzung 134 Zürich 49 Wachstums Preisliche 59
UNESCO Biosphärenreservat Vermögensgewinnsteuer 64 -begrenzung 48 wettbewerbshemmende Elemente
Entlebuch 153,161,166 Vermögensstatistik,gesamt- -einbruch 51,54 69
Ungleichentwicklung 146,148 schweizerische 105f. -faktor 52 Wettbewerbsverzerrung 69
Ungleichheit, gesellschaftliche 79 Vermögenssteuer 64,67,112 -potenzial 44 Wettbewerbsvorteile IX, 194
Ungleichheit,soziale 78,93,101, Vermögensübertrag 72 -schwäche 47,157 Wiener Kongress 30
108-112,114 Vernehmlassung 35,160 Wahlrecht 28,34f.,63 Wildnisgebiete 183
Ungleichverteilung,Einkommen Vernehmlassungsverfahren 36, Wald Willensbildung des Bundes 32
109 173,185 -anteil 8 Willensnation 25,31,41,97,
UNO 30,186f.,195f.,198-200 Verrechnungssteuer 69 -flächen 6,184 142,159
-Beitritt XI,39 Verschmutzungsgefahr 7 -gesetz 17,168,170 Winter,Warmwinterphase 12
Unsicherheits-Bandbreite 13 Versicherung 28,61-63,68,74, -grenze 23 f. Winterschnee 9
Unternehmer, Landwirte 151, 159 109-115,117 -hufenflur 126 Winzerdorf 126
Unternehmungen, halbstaatliche Versicherungsbeiträge 62,110 -sterbedebatte 162 wirtschaftliche
63 Versorgung,Entsorgung IX,61, Bewirtschaftung 8 Dynamik 49,51,74, 142
Unterstützungspflichten 109 108,123, 145,155,160 Kastanien- 15 Erneuerungsgebiete 136, 158
Uran 6 Verstädterung 17,101,105,118, Wanderungsbewegung 24,103 Führungselite 44
Urbanisierung 16, 142, 145 126,170 Wanderungssaldo 71,74,86 1 ntegration 44 f. 187
Urbanisierungspotenzial 146 Verteilungsgerechtigkeit 68 Warenverkehr 44 1nteressen 191
Urbanisierungsgrad 142 Vertrag von Lissabon 2007 187 Wärmediffusion 22f. Stagnation 51
Urbanität 40 Vertrag von Maastricht 1992 187 Wasser wirtschaftliches Erfolgsmodell 43
Ursprungsregeln 194 Verursacherprinzip 61,68,132, -bilanz 7 Wirtschafts
Uruguay-Runde 151,193 161, 170,178 -Dargebot,jahreszeitliches 168 -aufschwung 118
228
-entwicklung 49, 62f., 136 -system, manchesterliberales „bekennende Städter" 103 Zersiedelung, Zersiedlung 17,
-flächen, arrondierte 123f. 62 „Bürgerliche" 103 74, 133f., 136-138, 1 48,
-förderung, regionale 141, 157 -system, marktwirtschaftlich „flexible Individualisten" 103 160, 181
-kraft 42, 49-51, 159 kapitalistisches 61 „Friedfertige" 103 Ziegeleiindustrie 6
-landschaft 43f. Wissensgesellschaft 99 „Gemeinschafter" 103 Zivile Schiessanlagen 179f.
-leistung, regionale 55 Wissensökonomie, Investitions- „Landnostalgiker" 103 Zivilgesetzbuch (ZGB) 61
-liberalismus 62 tätigkeit 100, 110 ,,unzufriedene Gleichgültige" Zivilrecht 34, 61
-mentaI ität 43 Wohlstandsliste, globale 43 103 Zölle 63f., 67, 189, 192-194
-politik 36, 42, 62f., 193-195 Wohlstandsverlust 61 f. Wolkenauflösung 11 Zusammenarbeit
-raum IX, 24, 36, 43f., 46, 49, Wohnbevölkerung, Schweiz XI, Working paar 73, 90, 95, 98, Bund-Kantone 155
120, 136, 144, 183, 188 71, 75 104, 109-111, 113 Interkantonale 139, 155
-räume, funktionale 49, 134 Wohnbevölkerung, ständige WTO-Ministerkonferenz 194 vertikale 139
-region, funktionale 49 ausländische 71, 86, 97f. Würm-Vergletscherung 5 Zwangsverheiratung 97
-region, protoindustrielle 44 Wohnen 17, 74, 102-104, Zweikammersystem
-standort Schweiz 138, 182 134, 147, 153 Zentralalpen 2 des Parlaments 25, 32
-struktur 43, 49, 81, 175 Wohnen im Grünen 17, 103 Zentrum-Peripherie-Gefälle 154 Zweiter Weltkrieg 15, 29f., 71,
-struktur, historische 191 Wohnen/Arbeiten 17, 134 Zentrumsgemeinden 101, 104 f., 88, 90, 108, 118, 121, 123,
-system 61-64 Wohnformen 102f., 105, 111 134 130, 144, 15lf., 170, 177