Sie sind auf Seite 1von 240

22439-5__Laenderkunde_Schweiz_RZ:Reihe Länderkunde 15.11.

2011 11:17 Uhr Seite 1

G E O G R A P H I E · G E S C H I C H T E · W I R T S C H A FT · P O LI T I K

WBG-LÄNDERKUNDEN
R I TA S C H N E I D E R - S L I WA ( H R S G . ) I hre Lage, ihre Geschichte und ihre

SCHWEIZ
Rita Schneider-Sliwa, geb. 1953,
studierte Geographie, Anglistik und politische Gegenwart als föderalis-
Geologie an der TH-Aachen sowie Geo- tischer, mehrsprachiger Staat machen

Schweiz
graphie, Volkswirtschaftslehre, Agrar- die Schweiz zu einem wichtigen Teil
ökonomie und Soziologie an der Ohio Europas, gleichzeitig stellt sie aber auch
State University in Columbus, USA. einen „Sonderfall“ dar. In dieser Länder-
Nach ihrer Promotion und einer Assis- kunde erläutern die Autoren um Rita
tenzprofessur in den USA folgte die Schneider-Sliwa alle wichtigen Themen-
Habilitation an der Freien Universität feldern aus Gesellschaft, Geschichte,

S C H N E I D E R - S L I WA
Berlin. Heute ist Rita Schneider-Sliwa Politik und Geographie der Schweiz.
Professorin für Geographie an der Uni-
versität Basel, Schweiz, wo sie dem
Geographischen Institut (Abteilung für
Humangeographie/Stadt- und Regio-
Die vorliegende Länderkunde bietet den aktuell umfassendsten Überblick über die geo-
nalforschung) vorsteht. Bei der WBG
graphischen, ökonomischen, historischen und politischen Aspekte der Schweiz. Rita
bereits erschienen: ›Länderkunde USA‹
Schneider-Sliwa folgt dabei mit ihrem Expertenteam einem interdisziplinären Ansatz und
(2005).
geht neben einer Darstellung der naturräumlichen Grundlagen, der Geschichte und des
politischen Systems auch Fragen zur kulturellen Vielfalt und der komplexen Sprachland-
schaft nach. Darüber hinaus werden verschiedene Entwicklungsprozesse erläutert, die das
aktuelle Gesicht der Schweiz stark prägen: Neben der Tertiärisierung und dem Struktur-
wandel im ländlichen Raum gehen Schneider-Sliwa und ihre Autoren auch auf neue Raum-
planungskonzepte, auf den Umgang mit dem Klimawandel und anderen Naturgefahren
sowie auf die Bedeutung des Tourismus ein. Schließlich wird die Schweiz durch eine Dar-
stellung ihrer politischen und wirtschaftlichen Position innerhalb Europas und in der Welt
in einen größeren Bezugsrahmen gesetzt.

u umfassendste Länderkunde der Schweiz u bezieht auch jüngste Entwicklungen


u interdisziplinäre Konzeption ein wie bspw. den Umgang mit dem
u ausgewiesenes Expertenteam Klimawandel und die aktuelle politische
und wirtschaftliche Position der Schweiz
in Europa und der Welt

L Ä N D E R U N D R E G I O N E N D E R E R D E Z E I TG E M Ä S S P R Ä S E N T I E R T
u Umfassende Informationen zu Geographie, Geschichte, Wirtschaft und Politik
u Systematische Gliederung, einprägsame Zusammenfassungen
Umschlagabbildungen: u Modernes farbiges Layout mit vielen Fotos, Karten, Abbildungen und Tabellen
vorn: Matterhorn, u Literaturhinweise, ausführliche Sach- und Ortsregister
hinten links: Bern, u Attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis
Fotos: Schweizer Luftwaffe;
hinten rechts: Rhätische Bahn,
Foto: Peter Donasch www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-22439-5
Umschlaggestaltung:
Peter Lohse, Heppenheim
Rita Schneider-Sliwa (Hrsg.)

Schweiz
Einwohner Eisenbahn Gletscher
II über 1 000 000 Fernverkehrsstrecke über 3 000
500 000 - 1 000 000 sonstige wichtige Verbindung 1 500 - 3 000


1 00 000 - 500 000 ----J-+-- Tunnel 1 000 - 1 500
0 20 000 - 100 000 � Autobahn 750 - 1 000
500 - 750
unter 20 000 Fernstraße
200 - 500
geschlossene Besiedlung @ internationaler Flughafen
100 - 200
Einzelzeichen 0 - 100
=:>-- Fluss 6 Schloss, Burg 3210 Berghöhe
Kanal 6 Kirche, Kloster spnst{ge
541
c::::J See )( Pass Höheriangabe
Stausee,
Verwaltung Staumauer
Staatsgrenze Maßstab 1 : 1 000 000
Bern Hauptstadt ----•10=====2„0___30 km

Topographische Karte der Schweiz


Schweiz
Rita Schneider-Sliwa (Hrsg.)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation
in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.


Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen,
Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung
durch elektronische Systeme.

©2011 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt


Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder
der WBG ermöglicht.
Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim
Layout, Satz und Prepress: schreiberVIS, Seeheim
Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier
Printed in Germany
Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-22439-5

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:


eBook (PDF): 978-3-534-73021-6
eBook (epub): 978-3-534-73022-3
VII

Inhaltsverzeichnis
Die Schweiz-,,Sonderfall" oder „Modellfall"? ■ Rita Schneider-Sliwa (Hrsg.) . . . . . IX
Die Schweiz- Lebensnerv Europas......................................... . ... IX
Grundidee und Konzept .................................................... X
Verwendete Daten ..................................... . ............ . ... . . XI
Danksagung ........................................................ . . • . XI

Naturraum und räumliche Gliederung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1


Naturraum und natürliche Ressourcen ■ Heinz Veit .............................. . . 2
Klima und Klimawandel in der Schweiz ■ Stephan Bader ......................... . . . 8

Bodenschutz in der Schweiz: Vielfalt- Probleme-Perspektiven Roland Bono, Peter Lüscher. .. 14
Exkurs: Leitbild Bodenschutz Schweiz-zehn Eckpunkte. ......................... . . . 18
Exkurs: Sachplan Fruchtfolgeflächen ................ ..................... .. . . 18
Die Alpen-ein sensibles Ökosystem ■ Heinz Veit, Wilfried Haeberli ..................... 19

Geschichte und Politik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25


Geschichte der Schweiz Kreis ....................................... , .
■ Georg 26
Exkurs: Der Rütlischwur- Beginn der Eidgenossenschaft ........... , .......... . . . . .. 26
Schweizerische Demokratie: 1 nstitutionen - Prozesse - Perspektiven ■ Wolf Linder .... . . . . . . 31
Die heutigen politischen Landschaften der Schweiz ■ Pierre-Emmanuel Dessemontet,
Martin Schuler ......................................... , ............ .... 37

Wirtschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
Der Weg der Schweiz zum Werkplatz, Finanzplatz, Denkplatz und zurück Paul Messerli .. . .. ■ 43
Wirtschaftsräume und Wirtschaftsentwicklung ■ Urs Müller, Tina Haisch ............ . . . .. 49
Tourismus ■ Thomas Sehader, Christian Hunziker ............................ . . .. . 55
Wirtschaftssystem der Schweiz ■ Rene L. Frey ............................. . . . . . . 61

Steuersystem, Steuerpolitik und Standortförderung Rene L. Frey ... . ........... . . . . . . 64
Exkurs: Steuerparadiese ............................................ . . . .. . 66
Exkurs: Eigenmietwert in der Schweiz. ...................... . ........... • . . .. . 67

Bevölkerung, Kultur und Gesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10


Bevölkerungsentwicklung ■ Christophe Mager, Antonio Da Cunha, Laurent Matthey. . . . . . . .. . 71
Exkurs: Alter als Ressource ....................................... . . . . . . . • . 72
Sprachenlandschaft in der Schweiz im Wandel ■ Georges Lüdi .................... , . . . 75
Vielfalt in kleinem Land ■ Georg Kreis...................................... , ... 81
Exkurs: Einbürgerung in der Schweiz. ............................... . . . ....... 82
Exkurs: Ausländer-Anteil der Muslime .................................. , . , ... 85
Schweiz-Gesellschaft im Wandel ■ Rene Levy................... ........... . . . ... 87

Soziale Disparitäten und Exklusion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95


Migration ■ Rita Schneider-Sliwa .............................. ............... 96
Exkurs: Verordnung über die Integration von Ausländerinnen und Ausländern. .............. 99

Soziale Entwicklungen in den Städten Laurent Matthey, Antonio Da Cunha, Christophe Mager 100
Armut und Reichtum ■ Ueli Mäder ............................................ 105
Exkurs: Unkonventionelle Reiche ........................... . ................ 107

Sozialhilfe in der Schweiz Remo Saner, Rita Schneider-Sliwa ........................ 109
Exkurs: Räumliche Segmentierung der Armut in der Stadt ... . .. .. . . • . ... • . . . . .... .. . 110
Exkurs: Wer ist arm?. ........... . ................ . . . .. . . • .... • . . . . .. . ... • 110
Exkurs: Soziale Ungleichheit in Basel ............................. , .. . . . . .... . 112
Exkurs: Sozialhilfe in der Schweiz-Zahlen und Fakten . ....... , .... • ...... . . . . . . .... 113
Geschlechterungleichheiten in der Schweiz ■ Elisabeth Bühler .. , .. .. . ...... . . . .. . . .. . 114

Siedlung, Landschaft und Verkehr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118



Siedlungsentwicklung und Kulturlandschaftswandel Hans-Rudolf Egli. , .... , .. . . . . . . ... 119
Verkehrsentwicklung und Kernprobleme der Verkehrspolitik ■ Ueli Haefeli .... . . . . . . . . . . . . 127
Exkurs: Verkehrsinfrastruktur . . ............................. . ... . . . . . . . . . .. . 128
Exkurs: Bahn 2000, Neue Alpentransversale NEAT
und leistungsabhäng1ge Schwerverkehrsabgabe LSVA .................... , . . . . 132
Agglomerationspolitik des Bundes ■ Rita
Schneider-Sliwa............ . .. . . .. . . ...... . 134
Exkurs: Agglomerationen-technische Definition ................. . . .. . ... . . .. .. .. . 138

Strukturwandel im ländlichen Raum und in den Alpen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141


Räumliche Disparitäten ■ Martin Schuler, Manfred Perlik .... . . . . . . . .. . . . . . . . ... .. . . . 142

Struktur der Landwirtschaft und Wandel der Agrarpolitik Werner Har der....... . . . . .... . . 148
Strukturwandel, Neuer Finanzausgleich und Neue Regionalpolitik ■ Rene L. Frey ... .. .. ... • 154
Die Entdeckung der L andschaft als öffentliche Aufgabe ■ Paul Messerli ................. , 160
Exkurs: Wie der Mensch zu seiner Landschaft kam . . .................... . . . ... ... • 162
Exkurs: Bewertungsdimensionen der Landschaft. .. . ........... ......... • . . ...... • 163

Umweltprobleme und Umgang mit Naturgefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168


Umweltveränderungen und Naturgefahren ■ Wilfried Haeberli ...... . . ....... • . ....... • 169
Exkurs: Bundesgesetz über den Umweltschutz ....... . . ... . ... . . .. . .. . . • . . . . . . . . . 170
Ressourcenschutz ■ Daniel Schaub. .... . . . . .. . ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . • 175
Exkurs: Zivile Schießanlagen in der Schweiz-,,Fast jedes Dorf hat seine Bleimine". .. .. .. . .. • 179

Nachhaltigkeit in der Schweizer Raumplanung Daniel Wachter... . .. ........ . . .. .. . .. 180
Exkurs: Raumkonzept Schweiz . ................................... , . , . ... . . . 182
Exkurs: Fortschreitender Bodenverbrauch. ..................... ...... . . ....... .. 183

Die Schweiz in der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186


Schweiz und Europa Georg Kreis ........................ .. . . . . . .. . .. . . ..... .
■ 187
Exkurs: Bilaterale Abkommen Schweiz-EU(! und II). ............. . .. . . . . . .. . .. . . . . 189

Die Schweiz in der Weltwirtschaft L uzius Wasescha. . . . . ... . . .. . . . . . . .. . . . .. .. . . . . 191
Die Schweiz in der Entwicklungszusammenarbeit ■ Matthias Meyer.. . . . . . ... . . . . .. .. .. . 195

Lebensläufe der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . , . . . . . . . 202

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

Abbildungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

Tabellenverzeichnis ............... ,... . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

Ortsregister........................................................... 211

Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
IX

Die Schweiz-,,Sonderfall" oder „Modellfall"? ■ Rita Schneider-Sliwa (Hrsg.)

,,Die Schweiz- ein kleines Europa. Mit dessen Aus­ sourcen war sie in wirtschaftlicher Hinsicht von jeher
schluss." (Heinrich Wiesner 2010) in der Pflicht, das Beste zu leisten, Exzellenz zu er­
halten, Lebensqualität zu bieten, Wissen zu generie­
Als föderalistischer, mehrsprachiger Staat im Herzen ren, hoch innovativ den jeweils erreichten ökonomi­
Europas garantiert die Direktdemokratie der Schweiz schen Vorsprung zu sichern und auf dem Weltmarkt
ihren Bürgerinnen und Bürgern eine starke Teilhabe zu bestehen. Neue Herausforderungen wie die Har­
an politischen Prozessen. Dies ist Kulturelement und monisierung des universitären Bildungswesens zur
Überlebensnotwendigkeit, war doch die Schweiz von Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit trug die Schweiz
jeher sprachlich-kulturell, konfessionell und geo­ als Vorreiterin in Europa mit. Das Bankgeheimnis -
graphisch fragmentiert und hat sich erst durch Ge­ einen wichtigen wirtschaftlichen Stützpfeiler des
schichtsmythen, Solidarität, Bereitschaft zur I nno­ steuergeschützten Finanzplatzes - gibt die Schweiz in
vation bei gleichzeitiger Bewahrung erhaltenswerter begründeten Verdachtsfällen auf, und sie verhandelte
Substanz ihre nationale Identität geschaffen. Ihre zahlreiche Doppelbesteuerungsabkommen neu. Über­
Einheit als Staatenbund erkämpfte sie sich über regulierung und Einschränkung von Entfaltungsmög­
Jahrhunderte, den Bundesstaat der Schweizerischen lichkeiten, die mit der EU-Mitgliedschaft in Zusam­
Eidgenossenschaft ab 1848 erarbeitete sie sich menhang gebracht und als unvereinbar mit dem eige­
durch Verhandlungen und Kompromisse teuer. Als nen Demokratieverständnis gelten, werden jedoch mit
Bundesstaat setzte die Schweiz demokratische Me­ Vorsicht betrachtet. Mit dem bilateralen Weg verfolgt
chanismen ein, die das Volk - nicht die Regierung­ die Schweiz eine pragmatische lnteressenspolitik in
zum Souverän machen. Bindungskraft gaben dieser Europa, die innenpolitisch mitgetragen wird (Credit
vielfach fragmentierten multikulturellen Gesellschaft Suisse: Interview mit Urs Bucher vom 12.12.2005).
ihre direktdemokratischen Institutionen, darunter In vielerlei Hinsicht kultiviert die Schweiz ihren Sta­
auch die Volksabstimmung, in der die Stimme des tus und Mythos als Sonderfall in Europa, sieht sich
Einzelnen zählt. Auf das mit der EU-Mitgliedschaft aber gleichzeitig als Modell für das vereinte Europa.
verbundene Stimmrecht in europäischen Institutio­ Dem „Sonderfall Schweiz", v. a. aber der Frage,
nen verzichtet die Schweiz jedoch, auch wenn die was das tatsächlich Besondere an der Schweiz ist,
EU wichtigste Handelspartnerin der Schweiz ist. muss innerhalb und außerhalb der Schweiz entspre­
Wirtschaftlich gesehen ist die Schweiz ein Export­ chend Aufmerksamkeit gewidmet werden. Es ist Auf­
land, dessen weltweite wirtschaftliche Vernetzungen gabe einer Länderkunde, verschiedene Perspektiven
immer schon einen Teil ihres Erfolgs darstellten. In aufzuzeigen, Wissen zu vermitteln und dem Leser
Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und patentierfähi­ die Möglichkeit zu bieten, selbst Aneignungserfah­
ger Wissensproduktion besitzt die Schweiz Weltklas­ rung zu diesem Nicht-EU-Land im Herzen Europas
seniveau, denn als kleines Land ohne natürliche Res- zu machen.

Die Schweiz- Lebensnerv Europas


In der zentralen Verkehrsachse gelegen, verbindet Hochgebirgsregionen, Hügelzüge im Bereich des
die Schweiz Nordeuropa mit dem mediterranen Jura, das dazwischenliegende Mittelland und die
Europa. Der Gotthardpass war lange Zeit die wich­ Kammerung in kleinräumige topographische Ein­
tigste Nord-Süd-Verbindung über die Alpen, und heiten mit unterschiedlichen Lebenswelten, innerer
das am Gotthard seit dem Mittelalter organisierte Mehrsprachigkeit und Vielfalt der Dialekte innerhalb
Transportwesen machte diese Verbindung zu einem des Schweizerdeutschen bestimmen in der Schweiz
Herzstück der Wirtschafts- und Handelsentwicklung Siedlungs- und Wirtschaftsräume, die besonders
des kontinentalen Europa, so wie es die Hanse für anfällig und sensibel sind. Teils handelt es sich um
die nörd Iichen Meere war. Transit, Güterverkehr, Peripherregionen mit geringerem naturräumlichen
Versorgung, lebens- und wirtschaftsnotwendige In­ Potenzial und höheren Risiken, teils sind es Räume
frastrukturen, die heute wichtig sind, waren schon mit großer kulturräumlicher Heterogenität, Menta­
vor 700 Jahren in der sich langsam entwickelnden litätsunterschieden und Lebensformen, die auch
Alten Eidgenossenschaft bedeutend. Die Schweiz spezifische Formen der ökonomischen Nutzung her­
ist auch als kontinentale Wasserscheide ein Lebens­ vorgebracht haben. Dazu gehören die jahrhunderte­
nerv Europas: Über große Flüsse und Kanäle ist alte Almwirtschaft ebenso wie das Bankgeheimnis,
die Schweiz mit vier Meeren verbunden - über den welches das Land während der Großen Depression
Rhein mit dem Atlantik, über den Rhein-Rhöne­ in Ermangelung anderer wichtiger „Zugpferdindus­
Kanal mit dem Mittelmeer, über den Rhein-Main­ trien" aus einer relativen wirtschaftlichen Schwäche
Donau-Kanal mit dem Schwarzen Meer und über die herausholte und Wettbewerbsvorteile verschaffte.
Verbindungskanäle, die vom Rhein über die Ems zur Heute lagert ein großer Teil des globalen Privatver­
Elbe und schließlich bis nach Lübeck führen, auch mögens auf Schweizer Banken. Zu den innovativen
mit der Ostsee. Anpassungsmechanismen der rohstoffarmen Schweiz
X Dill Schl'{eiz- ,,Sonderiall" oder Modellfall?

gehörten schon im 17. Jh. der Export von Söldnerhee­ erpolitik, der globalen Sicherheitspolitik und nicht
ren nach Europa und die Entsendung der Schweizer zuletzt des humanitären Engagements und der inter­
Garde in den Vatikan. Innovativ war auch die Erfin­ nationalen Verhandlungsführung besetzen konnte. Es
dung des Steuerparadieses im Kanton Zug mit der versteht sich, dass diese Innovationskraft auch stets
wirtschaftsfreundlichen Steuergesetzgebung von im Geist der protestantischen Ethik gewinnbringend
1947, um dem europäischen Wiederaufbau im Nach­ genutzt wurde und dem Wohlergehen des Gemeinwe­
kriegseuropa ausreichend Möglichkeiten zu bieten, sens wesentliche Impulse verlieh.
Unternehmen neu zu gründen und diese unbehindert Geht man mit Lefebvre (1974) von einer sozia­
von einer hohen Steuerlast prosperieren zu lassen. len Produktion des Raums aus, so lassen sich die
Auch im Bereich des Ingenieurwesens ist die Schweiz Schweiz, ihre Räume, Regionen und Stadtlandschaf­
ein weltweiter Markenführer, v. a. im Bereich des ten besonders gut als Produkte gesellschaftlicher
Tunnelbaus und der Maschinen für den Tunnelbau, Geschichte und verschiedener Normen der Politik
der Seilbahnen und Standseilbahnen. Die Schweiz verstehen, die in Vergangenheit und Gegenwart be­
war dazu ,gezwungen', sich dieses Wissen und diese trieben wurde. Soziale Beziehungen, Kultur und eine
Disziplinen anzueignen, da sie die für den Verkehr politische Kultur, die auch die Wirtschafts- und So­
schwierige Topographie überwinden wollte. Das ist ihr zialpolitik im weiteren Sinne einschließt, geben der
gelungen, und sie hat eines der dichtesten öffentli­ heutigen Schweiz ihr Gesicht. Zum Verständnis der
chen Verkehrssysteme der Welt, das zudem tief in die Schweiz gehört daher einerseits die Kenntnis der
Alpen hinein und durch die Alpen hindurchgeht. geschichtlichen Entwicklung der Gesellschaft und
Die Schweiz als Land mit gewissen naturräumli­ ihrer politisch-kulturellen Grundlagen, die wie öko­
chen Beschränkungen hinsichtlich der wirtschaft­ nomische oder soziodemographische Determinanten
lichen Nutzung verfügt trotz der relativen Armut an den Raum mitprägen, andererseits jedoch auch Pro­
natürlichen Ressourcen über einen der höchsten blemfelder von Politik und Gesellschaft, die im In­
Lebensstandards der Welt. .,Wo rauer Boden Ernte und Ausland diskutiert werden. Die Verflechtungen
versagt, sind die Früchte des Geistes gefragt" - diese der Schweiz mit Europa und der Welt hinsichtlich
Zeile aus einem amerikanischen Gedicht von John der politischen wie auch wirtschaftlichen Interessen
Greenleaf Whittier in „Our State" (,,what the rugged sind ebenfalls Teil einer vertieften Betrachtung der
soil denies, the harvest of the mind supplies") trifft Schweiz. Daher wurde diese Länderkunde nicht im
in hohem Masse auf die Schweiz zu: Ihrer Innova­ Sinne einer lnventarisierung konzipiert, sondern ei­
tionskraft verdankt sie es, dass sie immer wieder ner auf Verstehen ausgerichteten Analyse des Raums
Nischen der Produktion, der Wirtschafts- und Steu- und des Landes.

Grundidee und Konzept


Das herausragende Merkmal am selbst gewählten num ohne Gesichtsverlust verlaufen und der über
Status der Schweiz als Sonderfall ist das demokra­ Jahrhunderte erarbeitete soziale Frieden innerhalb
tische Selbstverständnis. 700 Jahre des Zusammen­ eines Vielvölkerstaates als Garant des Wohlstands
schlusses gegen außen, die Entwicklung zu einem gewahrt bleibt. Zuwiderhandelnde im konsensorien­
Staatenbund und später zu einem Bundesstaat eta­ tierten System erfahren subtile Formen der Sankti­
blierten das komplizierte Verhältnis der Schweiz ge­ onierung durch das System- in bewährter Konsens­
gen größere, externe Kräfte. Dies hat Spuren in der findungsmanier-, so geschehen mit dem vormals
heutigen Politik, der Kultur, der Mentalität und den populären rechtspopulistischen Bundesrat Blocher.
alltäglichen Umgangsformen eingegraben: Kantone Dessen Alleingänge, nicht abgesprochene Äußerun­
waren im damaligen Staatenbund der Confoederatio gen und persönliches Auftreten widersprachen dem
Helvetica eigene Staaten, und dies erklärt auch heute traditionellen Schweizer Understatement und wurden
noch den ausgeprägten Föderalismus in der Schweiz. für das Ansehen der Schweiz nach innen und außen
Im Bundesstaat Schweiz ist man auch heute noch in als abträglich erachtet, weswegen er in einer gemein­
erster Linie Bürger einer Gemeinde bzw. eines Bür­ samen Aktion der bundesrätlichen Kollegen aus dem
gerortes oder eines Kantons, jedoch nicht in erster Amt geleitet wurde. Eine breit abgestützte Konsens­
Linie Bürger der Schweiz. Breite Mitsprache ist der findung funktioniert naturgemäß besser in einem
Garant der Stabilität der Schweiz: kein Komitee, das Land, das nicht einmal 8 Mio. EW hat, als beispiels­
nicht aus Vertretern aller Gruppierungen besetzt sein weise in einem Land mit über 80 Mio. Personen. Al­
muss, kein schweizweites Gremium, das nicht Vertre­ lerdings blieb auch in der kleinen Schweiz nicht un­
ter aller Landesteile und der verschiedenen Sprachen erkannt, dass diese Entscheidungsfindungsprozesse
einschließen muss, kein Thema, das nicht durch mühsam und zeitintensiv sein können und in einigen
partizipative Aushandlungsprozesse friedlich gelöst Fällen, wo schnelle Entscheidungen getroffen werden
werden kann, keine offizielle Sitzung, der nicht im müssten, eher hinderlich sind.
Vorfeld intensive Absprachen und Konsensfindungs­ Wurden europäische Länder noch von Königen,
prozesse mit allen Parteien hinter den Kulissen vor­ Kaisern, Fürsten und später gewählten Vertretern re­
angingen, damit die Auseinandersetzungen im Pie- giert, die sich in absolutistischer Manier zur Schau
stellten, so hatte die Schweizer Konföderation die Exponenten in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft
Herrschaft der Habsburger, die doch stets als fremde abdeckt. Die vorliegende Schweiz-Länderkunde be­
Besatzungsmacht galt, seit dem 13.Jh. abgeschafft. handelt die Schweiz also nicht nur geographisch-inte­
Fest verankert in einem jeden Schweizer ist der Wi­ grativ, sondern auch wissenschaftlich-interdisziplinär
derwillen, sich in den Vordergrund zu drängen und in einem Netzwerk, zu dem die in den jeweiligen The­
nicht selber (mit-)bestimmen zu können. Tief verwur­ menbereichen kompetentesten und angesehensten
zelt ist die Überzeugung, keine Fremdherrschaft zu wissenschaftlichen Köpfe der Schweiz zählen.
akzeptieren. Dies ist noch heute in der Haltung der Ziel ist in erster Linie, das interkulturelle Verständ­
Schweiz gegenüber dem Ausland und internationalen nis für das besondere Land Schweiz zu stärken: nicht
Organisationen sichtbar, z.B. darin, dass bis zur Ge­ eine Anhäufung von Informationen, sondern deren
genwart kein EU-Beitritt erfolgte und auch der UNO­ Strukturierung und eine bewusste Schwerpunktbil­
Beitritt sehr spät geschah. dung dienen dazu. Als moderne Länderkunde wird
Dabei wird die schweizerische Zurückhaltung nicht dieser Ansatz gewählt, um behutsam mit kulturel­
nur als vornehm gepflegt, sondern bereits im Kindes­ ler Differenz umzugehen, das entsprechende Fach­
alter als Lebensmaxime vermittelt. Für ein erfolgrei­ wissen sachkompetent zu transportieren und die
ches Leben im föderativen Schweizer System, das als Wesensmerkmale der modernen Schweiz vor dem
Ganzes herausragend sein möchte und ist, wird es Hintergrund ihrer kulturellen Traditionen herauszu­
zum gesellschaftlichen Muss für den Einzelnen, sich kristallisieren. Das Buch stellt somit gleichzeitig die
zurücknehmen zu können. Zu groß wäre die Gefahr, Leistungsfähigkeit von integrativ ansetzenden wis­
durch einen Alleingang Empfindlichkeiten zu wecken senschaftlichen Länderkunden in einer neuen Form
und politisch-kulturell inkorrekt zu handeln. Vor die­ dar und gibt breit abgestützt einen Überblick und
sem gesellschaftlichen Hintergrund wäre eine alleini­ Einblicke zu wichtigen, repräsentativen Themenfel­
ge Autorenschaft für diese Länderkunde nicht akzep­ dern in Gesellschaft, Geschichte, Politik und Geogra­
tiert gewesen. Vielmehr wurde dieses Buchprojekt in phie der Schweiz. Diese Länderkunde stellt damit ein
schweizerisch bewährter Manier breit abgestützt und wissenschaftliches Abbild der föderativen und basis­
ein Team von Autoren gebildet, das die Bereiche einer demokratischen Schweiz in ihrer Vielfalt von Kultu­
solchen Länderkunde durch in der Schweiz wichtige ren, Themen und Gesellschaftsfragen dar.

Verwendete Daten
In der Schweiz wurde 2010 die klassische Zensus­ Omnibus-Erhebungen: Informationen zur weiteren
Vollerhebung durch die sogenannte Neue Volkszäh­ raschen Beantwortung von aktuellen politischen oder
lung abgelöst. Diese verwendet keine Vollerhebungen wissenschaftlichen Fragestellungen werden mit einer
mehr, sondern beruht auf (1) Registererhebungen: sogenannten Omnibus-Erhebung telefonisch bei ins­
Verwaltungsdaten wie den kantonalen und kommu­ gesamt 3000 Personen erfasst.
nalen Einwohnerregistern, dem Bundespersonen­ Der Stichtag für die erste Registererhebung war
register sowie dem eidgenössische Gebäude- und der 31. Januar 2011, alle Schweizer Kantone bezie­
Wohnungsregister, (2) ergänzenden Stichprobenerhe­ hungsweise 2584 Gemeinden haben die für die neue
bungen: eine jährliche schriftliche Strukturerhebung eidgenössische Volkszählung notwendigen Daten aus
bei 200 000 Personen (2,7% der Wohnbevölkerung den Einwohnerregistern an das Bundesamt für Sta­
der Schweiz) zur Struktur der Bevölkerung, (3) the­ tistik übermittelt. Erste Ergebnisse daraus wurden
matischen Erhebungen bei 10 000 bzw. 40 000 Per­ ab August 2011 erwartet. Neuste Daten zu verschie­
sonen für fünf Themen, abwechselnd einem pro Jahr dene Spezialthemen, die in diesem Buch behandelt
(2010: Mobilität und Verkehr, 2011: Aus- und Wei­ werden, werden bis 2015 nach den neuen Verfahren
terbildung, 2012: Gesundheit, 2013: Familien und erhoben, sodass im gesamten vorliegenden Buch die
Generationen, 2014: Sprache, Religion und Kultur, jeweils letzten aktuell verfügbaren Daten vor dem
2015: Mobilität und Verkehr), wobei auch Resulta­ neuen System der Volkszählung als Grundlage ge­
te über 3 bis 5 Jahre kumuliert werden können, (4) nommen wurden.

Danksagung
Eine Länderkunde zur Schweiz kann nicht im Allein­ schaft, Gesellschaft und Politik einbrachten, mach­
gang erstellt werden. Das an der Universität Basel ten dieses interdisziplinäre Projekt mit ihrer Zusage
über 16 Jahre erlebte produktive Arbeitsumfeld, in und ihrem Einsatz möglich. Ihnen danke ich ganz
dem die intergrativ arbeitende Geographie eine hun­ herzlich für ihre Bereitschaft, ihr Engagement, ihren
dertjährige Tradition hat, legte dazu einen Grund­ Rat und ihre Geduld.
stein. Mehr als 30 namhafte Autoren der Schweiz, Den Verlagsleitern Herrn Andreas Auth und Herrn
die ihre Expertise zur Geographie, Geschichte, Wirt- Jörn Laakmann sowie der Redaktion der Wissen-
XII OleSchWeiz- .,Sonderfall" oder Modellfall?

schaftlichen Buchgesellschaft, insbesondere Herrn Forschungseinheit Boden- Wissenschaften des WSL;


Wolfram Schwieder, Herrn Rainer Aschemeier, Herrn Marie-Jose Portmann, Services du Parlement (Par­
Jens Seeling, Frau Britta Henning, Frau Barbara Wel­ lamentsdienste) in Bern; Alain Jarne; Alessia Con­
zel und Frau lnga Deventer sei dafür gedankt, dass tin (Museum für Gestaltung Zürich); Christian und
sie die Länderkundliche Reihe der Wissenschaftli­ Vreni Perret; Selin Ciprian; Esther Gloor, Katharina
chen Buchgesellschaft Darmstadt für die gezielte Seider und Stephan Parlow (Geographisches Institut
Wissensvermittlung zur Schweiz mit einem Multi­ Universität Basel); Marina Roque de Pinho; Thomas
Autorenteam zur Verfügung stellten und das Buch­ Altnöder (Keystone); Caspar Frei; Regine Flury; Ari­
projekt umsichtig betreuten. el Leuenberger (Caritas Zürich); Daniela Rondelli
Dank gebührt einer großen Anzahl von Mitarbei­ (Schweizer Tafel); Geri Kuster; Christoph Bickel (Amt
terinnen für ihre unermüdliche Mithilfe sowie enga­ für Landschaft und Natur / Abteilung Landwirtschaft);
gierte Unterstützung und Solidarität in allen Phasen Fritz Bieri, Heinz Rieder, Karin Helfenstein (Emmi
des Buchprojekts: Herzlicher Dank gilt besonders Schweiz); Andreas Lienhard (Fachstelle Naturschutz,
Katharina Seider für die professionelle Koordination Amt für Landschaft und Natur, Baudirektion Kanton
und Korrespondenz mit den Autoren und Fotografen, Zürich); Marcel Hunziker (Eidg. Forschungsanstalt
die Manuskriptbegleitung sowie die sorgsame digita­ für Wald, Schnee und Landschaft WSU; Brigitte
le Archivierung der Materialien und digitale Zusam­ Schrade (Bundesamt für Umwelt BAFU); Monika
menstellung des Buches. Gedankt sei auch Nadezh­ Frehner (Forstingenieurbüro Sargans); A. Stöckli;
da Sliwa und Esther Gloor für vielfältige ergänzende Hans Peter Tobler und Walter Bruderer (Entsorgungs­
Recherchen sowie die intensive Mitwirkung bei der amt der Stadt St. Gallen); Henri Leuzinger; ferner
redaktionellen Bearbeitung der Beiträge, zusammen Benjamin Zweifel ( WSL-lnstitut für Schnee- und La­
mit Veronika Frei und Heike Schmidt. Besonderer winenforschung SLF); Yvonne Pruss; Christoph Mühl­
Dank gilt auch der Kartographin und Landkarteninge­ häuser (Schweizerische Nationalbank), der Presseab­
nieurin Leena Baumann für die kartographische und teilung der World Trade Organization sowie Mei Lin
reprotechnische Bearbeitung zahlreicher Abbildungs­ (Sun Yatsen University in Guangzhou). Dank gilt auch
entwürfe sowie Thomas Braun für seine Mitwirkung allen Autoren für die zur Verfügung gestellten Fotos.
im kartographischen Bereich, ferner Charlotte Ciprian Sehr herzlich gedankt sei auch den nachfolgend
für die tatkräftige Unterstützung. genannten Bundesämtern für ihre freundliche Unter­
Mein Dank gilt insbesondere auch den nachfolgend stützung und die Erlaubnis, Statistiken, Materialien
genannten Institutionen, Firmen und Privatpersonen und Karten zu verwenden und wieder abzudrucken:
für ihre großzügige Abdrucksbewilligung von Foto­ allen voran das Bundesamt für Statistik (BFS), fer­
materialien. In erster Linie gebührt der Schweizer ner das Amt für Landschaft und Natur/Abteilung
Luftwaffe Dank, die dem Projekt sämtliche Luftauf­ Landwirtschaft, das Bundesamt für Landwirtschaft
nahmen wohlwollend zur Verfügung stellte. Mein (BLW), das Bundesamt für Straßen (ASTRA), das
ganz herzlicher Dank gilt insbesondere Herrn Helmut Bundesamt für Umwelt (BAFU), das Bundesamt
Steck vom Fachdienst Luftaufklärung/Luftbildarchiv für Verkehr (BAV), das Eidgenössische Departement
der Schweizer Luftwaffe, der mit großem Einsatz bei für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation
der Beratung und Auswahl von Luftbildern mitwirk­ (UVEK).
te. Bildmaterial wurde ebenfalls dankenswerterweise Ich danke allen Personen und Institutionen, die
bereit gestellt von: Sandra Beerli (Rhätische Bahn); das Buchprojekt mit Arbeit, Wohlwollen, Rat und
Adrian Kienzi; Gerard Benoit a la Guillaume; Charles Geduld unterstützt haben. Gewidmet ist dieses Buch
Lehmann; Daniel Gerstgrasser (MeteoSchweiz); der Nadezhda und Rene.

Basel, im Sommer 2011


Rita Schneider-Sliwa

Im gesamten Text gelten personenbezogene Begriffe


als geschlechtsneutral.
Naturraum und
räumliche Gliederung

1 Abb. 11 Blick auf den


Überblick Tschiervag/etscher mit
■ Die Schweiz lässt sich naturräumlich grob in drei landschaftliche Einheiten gliedern: die Alpen
(60%), das Mittelland (30%) und den aus dem Mittelland empor ragenden Jura (10%).
Piz Bernina, Piz Scerscen,
Piz Roseg.

■ Aufgrund der Klimagunst und der fruchtbaren Böden ist das Mittelland die am intensivsten agra­
risch genutzte und am dichtesten besiedelte Landschaft der Schweiz. Die Hochlagen des Jura sind
verkarstet. schwach besiedelt und von Wald und Weidewirtschaft gekennzeichnet. Die Alpen unter­
liegen unterschiedlichsten Nutzungsformen.
■ Das Klima der Schweiz wird stark durch den nahen Atlantik bestimmt - das ganze Jahr hindurch
fällt in den meisten Gebieten ausreichend Niederschlag.
■ Die Alpen wirken als markante Klimaschranke zwischen der Nord- und der Südschweiz. Eine spe­
zifische Eigenheit ist der Föhn. Er bringt v. a. der Alpensüdseite beachtliche Niederschlagsmengen
und der Alpennordseite trockene Fallwinde, die oft Sturmstärke erreichen.
■ Seit Beginn der systematischen Messungen 1864 ist es in der Schweiz in allen Jahreszeiten signi­
fikant wärmer geworden. Die Erwärmungsrate liegt zwischen 0,9 und 1,3 ° C pro 100 Jahre.
■ Der Klimawandel beeinflusst die Alpen teils direkt, wie z.B. die Gletscher, den Permafrost, die
Schneebedeckung oder die Vegetationsverbreitung, und teils indirekt, wie z.B. die Abflussverhält­
nisse, die Murgänge sowie die Felssturz- und Bergsturzaktivität.
■ Böden sind die knappste nicht erneuerbare Ressource der Schweiz. Gesunde Böden und eine aus­
reichende Bodenfläche sind aber keine Selbstverständlichkeit mehr. Bodenzerstörung durch Flä­
chenverbrauch, mechanische Belastung durch Erosion und Verdichtung sowie die Belastung durch
Schadstoffe haben unverkennbare Spuren hinterlassen.
Naturraum und natürliche Ressourcen ■ Heinz Veit

1 Abb. 21 Die drei großen Großstruktur Durch die enorme Einengung des Ablagerungsraums
naturräumlichen Einheiten Die Schweiz lässt sich grob in drei große Typland­ von ursprünglich über 1000 km auf eine heutige
der Schweiz: Blick vom schaften untergliedern (Abb. 2): die Alpen, das Mit­ Gebirgsbreite von rund 120 km kam es zu Verfal­
Jura über das Mitte/land
auf die Alpenkette mit
telland und den Jura. Jede dieser Landschaften hat tungen und Deckenüberschiebungen, sodass heute
Mont Blanc. spezifische naturräumliche Charakteristika, die eng Gesteine unterschiedlichen Alters übereinanderge­
mit der geologisch-tektonischen Entstehung und der stapelt liegen (Abb. 3). Die großen tektonischen De­
geomorphologischen Überprägung durch Abtragungs­ ckeneinheiten werden als Helvetikum, Penninikum,
und Formungsprozesse im laufe der Erdgeschichte Ostalpin und Südalpin bezeichnet. Das Helvetikum
verbunden sind (Labhart 2005). Horizontale und verti­ kennzeichnet dabei die Sedimente auf dem Schelf
kale Bewegungen der Erdkruste, mehrfache Eiszeiten am Nordrand des ehemaligen Tethys-Meeres. Penni­
mit intensiven Vergletscherungen, Verwitterung und nische Gesteine sind im Wallis südlich der Rhone,
Abtragung, Materialtransport und Ablagerung durch im Tessin, im Westteil Graubündens und im Enga­
Gletscher, Wasser und Wind führten letztendlich zu din verbreitet und stammen aus dem Tiefseebereich
dieser landschaftstypologischen Dreigliederung. der Tethys. Ostalpine Gesteine wurden ehemals am
Südrand der Tethys abgelagert und stammen vom
Alpen Sehelfbereich und dem ehemaligen Kontinentalrand
Die Schweiz gilt als Gebirgsland. Das verdankt sie Afrikas. Südalpine Gesteine treten in der Schweiz nur
v. a. den Alpen, deren Silhouette in der Schweiz mit kleinflächig auf. Sie sind durch die Ost-West verlau­
einer ganzen Reihe von Viertausendern wie z.B. dem fende lnsubrische Linie- die größte Störungszone
weltbekannten Matterhorn (4478ml, der Dufourspit­ der Alpen, die die tektonische Grenze zwischen Eu­
ze (4634 m), dem Piz Bernina (4049 m) oder der ropa und Afrika markiert- von den Zentralalpen ge­
Jungfrau (4158ml gekrönt wird. trennt. Die kristallinen Zentralmassive (z.B. Aar- und
Die Alpen nehmen rund 60 % der Fläche der Gotthardmassiv) sind Teile des alten europäischen
Schweiz ein und sind ein komplex aufgebautes, geo­ Grundgebirges, wie es auch im Schwarzwald und in
logisch junges Falten- und Deckengebirge, dessen den Vogesen zu Tage tritt.
tektonische Verformung und Heraushebung im We­ Die Deckenüberschiebungen erfolgten weitgehend
sentlichen am Ende der Kreidezeit und im Tertiär er­ unter dem Meeresspiegel. Als Gebirge und damit als
folgte. In der Kreide bewegten sich die afrikanische Festland sichtbar wurden die Alpen erst im Tertiär.
Kontinentalplatte im Süden und die Europäische Die Heraushebung als Hochgebirge ist ein geologisch
Platte im Norden aufeinander zu und verschluckten relativ junges Phänomen seit dem Jungtertiär. Mit
dabei die ozeanische Kruste und die mesozoischen der Festlandsphase setzte die Entwicklung des Ge­
Sedimente des dazwischenliegenden Tethys-Meeres. wässernetzes ein und damit der Abtrag nach außen
-- -- - ./-
� :-

\ Profillinie
0 25 5 km
0

t
Legende N
Sedimente des Tertiärs Ostalpin
Molasse (Jura, Mittelland, Südalpen), Rheingraben; Quartär der Po-Ebene - Sedimente: Perm und Mesozoikum

1111
Nagelfluh
subalpine Molasse (überschoben) kristallines Grundgebirge

Jura, Helvetikum Südalpin


Tafeljura: Perm und Mesozoikum Sedimente: Perm und Mesozoikum
Faltenjura: Mesozoikum kristallines Grundgebirge (lnsubrisches Kristallin)

1111 Helvetische Decken, Autochthon: Paläozoikum, Mesozoikum und Tertiär


kristallines Grundgebirge: Zentralmassive, Schwarzwald, Vogesen
mit Permokarbon-Trögen - granitische Gesteine: Tertiär: Adamello, Bergell, Sondrio;

1111
Herzynisch: Mt. Blanc-, Aar- und Gotthardmassiv;
Penninikum Baveno, Schwarzwald, Vogesen
Sedimente: (Paläozoikum), Mesozoikum und Tertiär Vulkanite Miozän: Hegau; Perm: Südtessin
mit 0phiolithen
--- größere alpine Störungen: lnsubrische Linie, Simplon-Linie,
0phiolithmassen: Serpentin, basische Gesteine (Basalt, Gabbro) Engadiner Linie, Giudicarie-Linie,
1111 kristallines Grundgebirge Centovalli-Linie
Quelle: Kündiget al 1997

Basel Passwang Giswiler Stöcke Grimsel Goms Centovalli


Penninische Klippen
lnsubrische Linie
1 l
Tafeljura Faltenjura 1 'kum
Helvet1 ZenLlmlssive Penninikum [ Südalpin
1
Qm

I
;;
0
-50 0 m c______ ______ ___________ _______...__........_

1 Abb. 3 I Geologisch-tektonische Gliederung der Schweiz und geologisches Querprofil.
4 Naturraum und räumliche Gliederung

1 Abb. 41Quartäre und


heutige Vergletscherung
der Schweiz.

./
Borog�
.. Gletscher

'-'�
�E
!!
Würm-Vergl etsc herung

_;
Riss-Vergletscherung o<

si
...:..:c.J

;!
G Livorno Mi ndel-Vergletscherung
südliche pleistozäne
� Permafrostgrenze

/
0 50 100 km
( Alpengrenze 00!

in die nördlichen und südlichen Vorländer (Molasse). raten (Nagelfluh), Sandsteinen und Mergeln verfes­
Das Mittelland besteht zum großen Teil aus diesem tigt. Die Landschaft der tertiären Molasse wechselte
Abtragungsschutt. Mehrfache Eiszeiten der letzten mehrfach zwischen marinen Verhältnissen und ter­
2,5 Mio. Jahre, bei denen die Schweizer Alpen häufig restrischen Sumpflandschaften (Meeres- bzw. Süß­
bis auf einige hoch aufragende Gipfel (Nunatacker) wassermolasse), deren Sedimente am Alpenrand ins­
nahezu vollständig von Gletschern bedeckt waren gesamt bis zu mehr als 6000 m mächtig werden kön­
(Abb.4), führten durch Glazialerosion und Schmelz­ nen und sich über einen Zeitraum von rund 30 Mio.
wasserströme schließlich zu dem heute bekannten Jahren angesammelt haben. Nach Norden zu nimmt
Bild des alpinen Hochgebirges. die Mächtigkeit bis auf wenige hundert Meter ab. Im
Mittelland kommt die Molasse in charakteristischen,
Mitte/land meist bewaldeten Bergen an die Oberfläche, wie z.B.
Das Mittelland schließt nordwestlich an die Alpen an dem Napf (Nagelfluh, 1408 m) bei Luzern oder dem
und wird im Norden und Westen vom Jura begrenzt. Es Bantiger und dem Gurten (Sandstein, 947 m und
umfasst rund 30 % der Fläche der Schweiz mit etwa 864 m) bei Bern. Direkt am Alpenrand wurde die Mo­
2'3 der Bevölkerung und weist damit die höchste Be­ lasse noch durch das weitere Vorstoßen des Alpenkör­
völkerungsdichte und die intensivsten landwirtschaft­ pers überfahren, überschoben und teilweise gefaltet
lichen Aktivitäten in der Schweiz auf. Das Mittelland (s. Abb. 3, Faltenmolasse, subalpine Molasse). Unter
ist eine Beckenzone von etwa 300km Länge zwischen den Molasseschichten folgen noch mesozoische Se­
Genfer See und Bodensee, deren Breite von 40 km im dimente aus Trias, Jura und Kreide mit Mächtigkei­
Westen auf 70 km im Osten zunimmt und sich nach ten zwischen 800-2500 m. Darunter liegt im tiefen
Deutschland und Österreich fortsetzt (s. Abb. 3, Mo­ Untergrund das kristalline Grundgebirge, das in den
lasse). Ganz im Westen, im Bereich südlich des Gen­ Zentralmassiven der Alpen oder auch in den Vogesen
fer Sees, setzt es aus, da sich hier die Alpen und der und dem Schwarzwald an die Oberfläche kommt.
Jura berühren. Das hügelige Mittel land erreicht seine Verbreitet ist die tertiäre Molasse von quartären
höchste Erhebung im Napfbergland (1408 m), liegt je­ Lockersedimenten bedeckt, die sich infolge der
doch im Durchschnitt wesentlich tiefer. wechselnden Eiszeiten und Warmzeiten in den letz­
Der Untergrund des schweizerischen Mittellandes ten 2,5 Mio. Jahren abgelagert haben und Mächtig­
besteht aus Molasse. Im Tertiär, während des Auf­ keiten von einigen Metern bis zu mehreren hundert
stiegs der Alpen über den Meeresspiegel, war das Metern erreichen können. Es handelt sich dabei v. a.
Mittelland das Auffangbecken für den Abtragungs­ um kaltzeitliche Moränen, Schmelzwasser-Sande und
schutt aus den Alpen. Diese Lockersedimente - Kie­ Kiese, kaltzeitlichen Flugstaub (Löss) und warmzeit­
se, Sande und Tone - haben sich mittlerweile zu liche, tonige Seeablagerungen. Große Vorlandseen
mehr oder wenigen festen Gesteinen wie Konglome- (z.B. Genfer See, Zürichsee, Bodensee, Lago Maggi-
ore) werden von Endmoränen der letzten Vergletsche­ formt sind. Der Hauptteil des Gebirges wird vom Fal­
rungsphase des Würms, als vor rund 2 0 000 Jahren tenjura eingenommen (Abb. 5).
die alpinen Gletscher bis weit ins Vorland drangen, Diesen kann man noch weiter in Kettenjura und
umrandet. Nach dem Abschmelzen füllten sich diese Plateaujura untergliedern:
„Zungenbeckenseen" im übertieften Bereich hinter ■ Die markanten, gefalteten Höhenzüge des Ketten­
den Endmoränen auf. jura bestehen aus den Faltenscheiteln (Antiklina­
In den am tiefsten gelegenen Regionen des Mittel­ len), die oft mehr oder weniger parallel verlaufen.
landes wie dem Berner Seeland kam es durch häufige Die Faltenmulden (Synklinalen) bilden die dazwi­
Überflutungen auch in der Nacheiszeit, dem Holo­ schen liegenden Täler und Becken. Durchbrochen
zän, während der letzten 10 000 Jahre immer wieder werden diese Strukturen von schluchtartigen Quer­
zur Ablagerung von jungen, feinkörnigen Sedimenten tälern, den Klusen.
und zu Vermoorungen (Großes Moos). Nachdem der ■ Der Plateaujura reicht im Nordwesten nach Frank­
Grundwasserspiegel im Rahmen der Juragewässerkor­ reich hinein und ist durch die wasserarmen Hoch­
rekturen abgesenkt wurde, sind diese Gebiete heute flächen (Freiberge) gekennzeichnet.
mit ihren fruchtbaren Böden und dem milden Klima ■ Der ungefaltete Tafeljura tritt kleinräumig im Nord­
der „Gemüsegarten" der Schweiz. osten bei Basel und im Nordwesten im Kanton Jura
auf. Er ist tektonisch gesehen Teil des südwest­
Jura deutschen bzw. französischen Schichtstufenlandes.
Der Jura ist ein Mittelgebirge, dessen höchste Erhe­
bungen in der Schweiz im Westen mit Mont Tendre Der Jura ist geologisch eine Fortsetzung der Alpen.
(1679 m), La Döle (1677m), Chasseron (1607m) Im Mittelland ziehen die entsprechenden Gesteine in
und Chasseral (1607m) erreicht werden. Er umfasst großer Tiefe unter den jüngeren Ablagerungen durch
rund 10% der Landesfläche der Schweiz. Als eigen­ (Abb. 3). Die Sedimente wurden in einem tropischen
ständiges Gebirge löst er sich im Westen bei Cham­ Flachmeer am Nordrand der Tethys abgelagert. Die
bery von den Alpen ab, wo er dem Mittelland Platz Verfaltungen sind im Kontaktbereich zum Mittel­
macht, und setzt sich nach Osten und Norden im land am größten. Hier ragt der Jura oft steil über
schwäbischen und fränkischen Jura in Deutschland das Mittelland auf. Nach Norden und Westen neh­
fort. Der Jura bildet die Nordwestgrenze der Schweiz. men die Gebirgshöhen ab, und der Jura geht sanft in
Er besteht vorwiegend aus mesozoischen Gesteinen- das französische Vorland über. Der Zusammenschub
hauptsächlich Kalksteinen, Tonen und Mergeln aus (2-3 0km) und die Faltung erfolgten im Zuge der !Abb.SI Faltenjura, Vallon
dem Zeitalter des Jura-, die nicht (Tafeljura) oder ausklingenden Alpenfaltung im Jungtertiär über ei­ de St-lmier, Courtelary,
unterschiedlich intensiv (Faltenjura) tektonisch ver- ner Gleitschicht aus Steinsalz und Anhydrit der Trias. Blick Richtung St-lmier.
6

Seitdem der Jura im Tertiär (Eozän) über die Mee­ Hinsichtlich der Bausteine ist die Schweiz, be­
resoberfläche gehoben und damit Festland wurde, dingt durch die geologische Vielfalt, ein reiches
unterliegen die löslichen Karbonatgesteine der Ver­ Land. Aus dem Mittelland stammen Sandsteine und
witterung und Verkarstung, mit den bekannten Er­ Muschelkalksteine der Molasse, die viele historische
scheinungen wie Dolinen, Höhlen und Karstquellen. Gebäude und ganze Stadtkerne prägen, wie z.B. die
1 n einigen Dolinen und Karstspalten haben sich noch grünlichen Sandsteine der Oberen Meeresmolasse
die alttertiären Verwitterungsbildungen in Form von (Berner Sandstein) der Städte Bern und Freiburg/
tropischem Kalkstein-Rotlehm ( Terra Rossa). Bahner­ Fribourg. Der Jura liefert mit Ausnahme der Keu­
zen und Quarzsand erhalten. Durch die Verkarstung persandsteine v. a. Kalksteine. Die Bausteine der
versickert das meiste Niederschlagswasser, und die Alpen wechseln je nach geologischer Situation. Im
Entwässerung erfolgt v.a. unterirdisch. Norden sind es v.a. Kalksteine und Flyschsandstei­
Auch der Jura war im Quartär mehrfach verglet­ ne, in den Zentralmassiven Granite, Serpentinite und
schert, zeigt aber eher kleinräumige, regionale Mo­ Specksteine. Das Penninikum hat z. B. mit Gneisen,
ränenablagerungen. Große Findlinge aus alpinen Ge­ Marmoren, Serpentiniten und Prasiniten die größte
steinen zeigen zudem die ehemalige Eis-Obergrenze Vielfalt. Aus dem Südalpin sind Liaskalke von Be­
des Rhönegletschers an, der im Quartär mit seinem deutung. Die Produktion von Bausteinen liegt bei
nördlichen Zweig am Jura entlanggeflossen ist. Als 3-4 Mio.t/Jahr.
relativ weit verbreitetes eiszeitliches Sediment findet Mergel und Tone werden überwiegend im Mittel­
sich Löss, der -verwittert und entkalkt zu Lösslehm - land (zu 2'3) und nachgeordnet im Jura (1'3) abge­
die Kalksteine überzieht und die Ökologie der Stand­ baut. Für die Ziegeleiindustrie und die Herstellung
orte maßgeblich verändert. von Backsteinen werden jährlich 1.4 Mio. t gewon­
Der Jura besitzt große Waldflächen, die mit offenen nen. Die größte Bedeutung haben dabei die Molas­
Weiden durchsetzt sind. Die Baumgrenze liegt klima­ semergel (1991: 63,6%) und quartäre Bändertone,
tisch bedingt bei 1400-1500 m. In den Becken und Seebodentone und Lösse (18%) aus dem Mittelland
Tälern wird Ackerbau und intensive Weidewirtschaft sowie der Opalinuston (12,3%) aus dem Jura.
betrieben. Die stark geneigten Hänge des Jurasüdfu­ Beim Schweizer Salz handelt es sich v. a. um
ßes eignen sich zusammen mit der ausgleichenden Steinsalz. Die Zentren befinden sich am Hochrhein
Wirkung der Jurarandseen auf das Lokalklima hervor­ und in der Gegend von Bex im Waadtland. Die Sa­
ragend für Weinbau. linen von Schweizerhalle und Riburg am Hochrhein
produzieren jährlich rund 250 000-350 000 t, in
Natürliche Ressourcen Bex werden rund 30 000-40 000 t Salz pro Jahr
abgebaut. Das Salz stammt insgesamt aus drei geo­
Gesteine, Erze, Kohlenwasserstoffe logischen Einheiten: der Anhydritgruppe aus dem
Die größte Bedeutung in der Schweiz haben - noch Muschelkalk (die bei der Jurafaltung als Gleitfläche
vor den Festgesteinen - die quartären Lockergestei­ gedient hat; s.o.), dem Gipskeuper und der Trias des
ne. Kies und Sand stellen gewichts- und volumen­ Ultrahelvetikums.
mäßig die wichtigste Gruppe der nutzbaren Gesteine Die Vorkommen von Erzen (wie z.B. Eisen, Man­
der Schweiz dar. Sie sind Produkte der Abtragung, gan, Blei-Zink, Kupfer, Nickel, Kobalt, Molybdän,
v. a. durch die Gletscher und deren Schmelzwässer Gold, Uran) und Kohlenwasserstoffen (Erdgas, Erdöl)
in den Kaltzeiten, und deshalb speziell im Mittelland spielen heute in der Schweiz keine Rolle. Bekannte
weit verbreitet. Die Hauptnutzung erfolgt durch die und historisch genutzte Vorkommen sind entweder
Bauindustrie (z.B. Zuschlag für Beton). In der Pe­ heute nicht lohnend nutzbar, oder ihre Lagerstätten
riode der Hochkonjunktur der 1980er-Jahre wurden sind kleinräumig tektonisch stark zerstückelt und
rund 55-65 Mio. t/Jahr abgebaut. Heute kollidiert deshalb meist wenig bekannt und untersucht.
dieser Abbau immer stärker mit anderen Interessen,
wie z. B. dem Grundwasserschutz, dem Landschafts­ Wasser
schutz sowie dem Erhalt von Waldflächen oder Sied­
lungen. Dadurch zeichnet sich in naher Zukunft eine Wasservorkommen und Wasserspeicherung
Mangelsituation ab (Die Schweizerische Geotechni­ Die Schweiz ist reich an qualitativ hochwertigen
sche Kommission SGTK 2011). Wasservorkommen in Form von Oberflächenwasser,
Grundwasser und gespeichert in Form von Schnee,
Mittlerer Bei- Flächen- Überpropor- Gletschereis und Permafrost. Die Alpen sind das
trag der Alpen anteil des tionalität „Wasserschloss" Europas. Bedingt durch die mit der
zum Gesamt- Alpen- des Alpen- Höhe ansteigenden Niederschläge und die Abnah­
abfluss (%) raums (%) raums me der Verdunstung liegt der Gebietsabfluss um ein
Rhein 34 15 2,3 � Mehrfaches über dem der Vorländer (Abb. 6).
Rhöne 23 1,8 Obwohl z.B. die Alpen nur 15% des gesamten
41
J
C

Einzugsgebiets des Rheins ausmachen, trägt dieser


Po
Donau
53
26
35
10
1,5
2,6
!
alpine Anteil zu 34% zum totalen Abfluss in die
� Nordsee bei (Tab. l). Im Winter sind es rund 30%,
1 Tab. 11 Beitrag der Alpen zum Gesamtabfluss von : im Sommer 70%. Bei der Rhöne liegt der alpine
Rhein, Rh6ne, Po und Donau. 8 Gebietsanteil bei 23 %, der aber zu 41 % des Vor-
landabflusses beiträgt. Beim Po sind die Verhältnisse P = Niederschlag
35% zu 53%. Hinzu kommt die Wasserspeicherung E = Verdunstung

in Form von Gletschern, Schnee, Permafrost und in


6S = Speicheränderung
:ll (vor allem
den Seen, die in der Schweiz der drei- bis vierfachen "' R = Abfluss-·
Gletscherabflu$SJ

Menge des Niederschlags entspricht. f


Dem gesamtschweizerisch durchschnittlichen ;;i
Niederschlag von 1458 mm/Jahr stehen 469 mm !l
Verdunstung gegenüber. Zusammen mit den 2 mm,
die aus den Speichern jährlich freigesetzt werden, }··)
��
ergibt das eine Abflusshöhe von 991 mm/Jahr.
Dies entspricht einem mittleren Jahresabfluss der �
Schweiz (1961 -1990) von 1297 m 3/s (Schäd- �
ler & Weingartner 2002). In hochalpinen Gebie- �l1
ten gelangen aber bis zu 90% des Niederschlags ,,,
zum Abfluss, mit Abflusshöhen von bis zu mehr !
als 2000 mm/Jahr. Die größte Wassermenge in der �
Schweiz ist in Form der natürlichen Seen gespei-
chert, gefolgt von Gletschern, Grundwasser und den
Stauseen (Tab. 2).
!
;

•.

Speicher - Wass� � Wasser- Anteil


menge (km3) höhe (mm) (%)
Stauseen 4 97 1,1
Grundwasser 50 1210 14,1
Gletscher 67 1610 18.7
natürliche Seen 235 5690 66,1
ITab.21 Wasserreserven der Schweiz.

Die natürlichen Seen bedecken rund 3,5 % ohne jede Aufbereitung direkt zum Verbraucher gelei­ IAbb. GI Wasserbilanz der
(1422 km 2) der Fläche der Schweiz - ungefähr so viel tet werden kann. Neben den hohen Niederschlägen Schweiz: jährliche Wasser ­
wie die Gletscher-, aber die gespeicherte Wasser­ und den Alpen als bedeutenden Wasserlieferanten höhen in mm, Periode
menge ist in den Seen um ein Vielfaches größer als ist die weite Verbreitung der quartären Schottervor­ 1961-1990,
in den Gletschern (Spreafico & Weingartner 2005). kommen und Sande ein wesentlicher Grund für den
Die größten Seen sind der Genfer See (581,3 km 2) Reichtum an Grundwasser. Dabei sind v. a. die poren­
und der Bodensee (536,0 km2), wobei der Genfer See reichen fluvioglazialen Ablagerungen von Bedeutung.
fast doppelt so viel Wasser enthält wie der Bodensee. Die Moränen sind demgegenüber wegen ihres hohen
Rund 16% (168Mio. m3) des gesamten Wasserver­ Feinmaterialanteils eher schlechte Aquifere. Weitere
brauchs in der Schweiz werden aus 30 Seewasser­ bedeutende Grundwasservorkommen liegen in den
werken entnommen. Klüften in Festgesteinen (Tab. 3). Durch Karstwas­
Das Wasserreservoir im Gletschereis schwin­ ser werden rund 18% des Bedarfes gedeckt, so trägt
det mit der Klimaerwärmung rapide. Die rund z.B. die im Jura gelegene Merlinquelle deutlich zur
2000 Gletscher der Schweiz bedecken insgesamt Wasserversorgung der Stadt Biel bei. Dadurch, dass
1050 km2 (im Jahr 2000), d. h. 2,5% der Fläche die Verweilzeit des Wassers im Gestein aufgrund der
der Schweiz, mit einem Eisvolumen von 55 km 3 Verkarstung meist nur wenige Stunden bis Tage be­
(Maisch et al. 2004). Der Flächenverlust seit dem trägt, ist die Filterwirkung und damit die Verschmut­
Ende der Kleinen Eiszeit um das Jahr 1850 beträgt zungsgefahr relativ groß.
750 km 2. Das Eisvolumen schrumpfte dabei von
110 km3 (1850) auf 55 km 3 (im Jahr 2000). Al­ Grund- Flächen- Anteil an Fließdauer
lein im Hitzesommer des Jahres 2003 verloren die wasserleiter anteil Wasser- pro km
Schweizer Gletscher mehr als 5% ihres Volumens gewinnung
(Haeberli et al. 2004),
locker-
Trink- und Brauchwasser
Neben den rund 16 % des Trinkwassers, das aus
Seen stammt, werden mehr als 80% des Trink- und
m
� Karst
gestein 6%

16%
36%

18%
0,5-2Jahre

5-50
Stunden
Brauchwassers aus dem Grundwasser entnommen.
Davon stammen 36% (377 Mio. m3 ) aus Brunnen ..
�0
;;
Klüfte im
.g Festgestein 78% 30%
2 Tage
bis 1 Jahr
und 48% (491 Mio. m3 ) aus Quellen (im Jahr 2001,
nach Spreafico & Weingartner 2005). Die Wasser-
i
qualität ist so gut, dass fast die Hälfte davon (46%)

a
1 Tab. 3 I Grundwasservorkommen in der Schweiz
Voraussetzungen. Noch zu Beginn der l 970er-Jahre
stammten fast 90 % der inländischen Stromproduk­
tion aus Wasserkraft. Dieser Antei I nahm durch die
Inbetriebnahme der schweizerischen Kernkraftwerke
bis 1985 auf rund 60% ab und liegt heute bei rund
57 % (Bundesamt für Energie 2009). Der Wasser­
kraftwerkspark der Schweiz besteht heute aus 538
Zentralen (Kraftwerke mit einer Leistung von mindes­
tens 300kW), welche pro Jahr durchschnittlich rund
35 500 Gigawattstunden (GWh) Strom produzieren.
Davon werden rund 47% in Laufwasserkraftwerken,
49% in Speicherkraftwerken und rund 4% in Pump­
speicherkraftwerken erzeugt. Die Wasserkraftnutzung
hat ein Marktvolumen von gegen 2 Mrd. CHF und
stellt somit einen wichtigen Zweig der schweizeri­
schen Energiewirtschaft dar. Im europäischen Ver­
gleich liegt die Schweiz mit ihrem Wasserkraftanteil
an der Stromerzeugung hinter Norwegen, Österreich
und Island an vierter Stelle.

Holz
Die Schweiz ist ein waldreiches Land. Der Wald be­
deckt rund 12 746 km2 und damit rund ein Drittel
der Fläche der Schweiz (Eidgenössische Forschungs­
anstalt WSL 2007). Besonders stark bewaldet ist
die Alpensüdseite mit 51 %, etwa halb so groß ist
der Waldanteil im Mittelland mit 25%. Seit über
150 Jahren nimmt die Waldfläche zu, in den letzten
21 Jahren um 0,38% jährlich. Allein in den letz­
ten 11 Jahren hat der Wald gesamtschweizerisch
um 4,9% zugenommen, in den Alpen und auf der
Alpensüdseite um je 9%. Diese Zunahme resultiert
v. a. aus nicht mehr genutzten landwirtschaftlichen
Flächen im Alpenraum und auf der Alpensüdseite.
Der Wald im stark besiedelten Mittelland steht flä­
chenmäßig nach wie vor unter Druck. Dort hat der
Holzvorrat eher abgenommen.
Nur zwei Drittel des gesamten jährlichen Holzzu­
wachses werden genutzt. Die kleinstrukturierte Be­
wirtschaftung der Wälder in der Schweiz und zu wenig
IAbb. 71 Das Wasser­ Energiegewinnung Zusammenarbeit sind wichtige Gründe dafür, dass
kraftwerk Ova Spin befin­ Neben Trink- und Brauchwasser spielt die Energiege­ die Produktionskosten in der Waldwirtschaft oft höher
det sich am Rand des winnung durch Wasserkraft (Abb. 7) in der Schweiz sind als die Erlöse. Obwohl die Holzpreise in den letz­
Nationalparks in der Spöl­
eine große Rolle. Hohe Abflüsse in Verbindung mit ei­ ten Jahren markant gestiegen sind, ist die wirtschaft-
sch/ucht im Engadin.
ner ausgeprägten Topographie bieten hierzu optimale 1 iche Lage vieler öffentlich er Forstbetriebe defizitär.

Klima und Klimawandel in der Schweiz ■ Stephan Bader

Das Klima der Schweiz wird stark durch den nahen Alpen hin auswirkt. Statt milder Atlantikluft gelangt
Atlantik bestimmt. Mit den vorherrschenden Strö­ dann mit einer Ostströmung, bekannt als Bise, tro­
mungen aus westlichen Richtungen gelangt vorwie­ ckene Kaltluft zur Schweiz. Die Tieflagen nördlich
gend feucht-milde Meeresluft in die Schweiz. Im der Alpen verschwinden bei solchen Lagen entspre­
Sommer wirkt sie kühlend, im Winter wärmend, und chend lang unter einer kompakten Hochnebeldecke.
das ganze Jahr hindurch fällt in den meisten Gebie­ Die Alpen wirken praktisch bei jeder Strömungsla­
ten ausreichend Niederschlag. Phasenweise kann der ge als markante Klimaschranke zwischen der Nord­
atlantische Einfluss jedoch unterbrochen werden. Vor und der Südschweiz. Die aus Westen und Nord­
allem im Winterhalbjahr begünstigt die große eura­ westen heranziehende feuchte Atlantikluft bringt
sische Landmasse die Entwicklung eines über Tage v. a. nördlich der Alpen Niederschläge, während die
oder sogar Wochen andauernden Kaltlufthochs über Südschweiz im Schutze der Alpenkette dabei oft
Nordosteuropa und Westrussland, das sich bis zu den trocken bleibt. Niederschlag erhält die Südschweiz
9

1 Abb. 81 Niederschlags­
Die inneralpine Trockenheit Wolkenauflösung profil der Schweiz.
sowohl bei Nord- als auch bei Südanströmung
+ wenig Niederschlag

��

!ll!////!L
Adelboden Vlsp
= SimPIGn-Dorf Lug_ano
:l346mm 599 m- m_____1.,..2
::',1:c-:6::--
mm 1§45 mm
1i

a--=-----------------------------------------
0

v. a. durch südwestliche und südliche Strömungen. und der Nordschweiz (Region Basel) sowie im Flach­
Auch die Bisenströmung aus Osten ist meist nur ein land ganz im Süden der Schweiz. Hier sind Winter
Phänomen der Alpennordseite. Der von West nach ohne Schneedecke keine Seltenheit.
Ost sich erstreckende Querriegel der Alpen bildet für
die Südschweiz einen wirksamen Schutz vor kühlen Die Temperaturen - von mediterran bis arktisch
nördlichen Luftmassen. Das Temperaturregime süd­ Die Temperaturen in der Schweiz sind primär abhän­
lich der Alpen wird denn auch weitgehend vom nahen gig von der Höhenlage. Im nördlichen Flachland liegt
Mittelmeer bestimmt. Deshalb unterscheidet sich die die Durchschnittstemperatur im Januar bei rund 1 °C,
Südschweiz vom Norden v. a. durch deutlich mildere im Juli bei rund 17°C. Im Flachland der Südseite lie­
Winter. gen die entsprechenden Durchschnittstemperaturen
2-3 °C höher. In Höhenlagen von rund 1500m ü. M.
Trockenes Klima im Innern der Alpen liegt die Durchschnittstemperatur im Januar bei
Neben ihrer dominanten Wirkung als Klimaschran­ rund -5 °C, im Juli bei rund 11°C. Der durchschnitt­
ke zwischen Nord und Süd erzeugen die Alpen als lich wärmste Ort der Schweiz mit einer verfügbaren
kompliziertes Gebirge zusätzlich mehrere verschie­ Messreihe ist Locarno-Monti in der Südschweiz mit
dene Klimabereiche. Ein ausgeprägt eigenes Klima einem Jahresmittel von 11,5 ° C, der durchschnitt-
zeigen die inneralpinen Täler, da sie sowohl gegen
die Niederschlagsaktivität aus Norden als auch aus 1 Abb. 91Künstliche
Süden abgeschirmt sind (Abb. 8). Die Folge sind tro­ Bewässerung (Niwa Suon)
ckene Bedingungen. Typische Vertreter sind hier das bei St. German.
Wallis in der Südwestschweiz und das Engadin in
der Südostschweiz. Während entlang der nördlichen
Voralpen, in den Alpen sowie in der Südschweiz die
durchschnittliche Niederschlagsmenge bei ungefähr
2000 mm/Jahr Iiegt, beträgt sie im Wal Iis regional
zwischen 500 und 600 mm/Jahr, im Engadin re­
gional zwischen 700 und 8 00 mm/Jahr. Im Flach­
land nördlich der Alpen beträgt die Menge etwa
1000-1500 mm/Jahr. Die Niederschlagsmengen
sind im Sommer mit Ausnahme des Wallis ungefähr
doppelt so hoch wie im Winter. Als Folge der gerin­
gen Niederschläge im Wallis war hier im Sommer
seit jeher die künstliche Bewässerung der Anbauge­
biete dringend notwendig, z.B. durch Heranführen
von Gletscherschmelzwasser. Seit der Zeit der Rö­
mer, insbesondere jedoch seit dem Mittelalter, gibt
es hier ein System von Wasserleitungen (Suonen)
(Abb.9).

Winterschnee
Ab einer Höhenlage von 1200-1500m ü. M. fällt der
Niederschlag im Winter vorwiegend als Schnee, so­
dass hier oft eine monatelang geschlossene Schnee­
decke vorhanden ist. Vergleichsweise selten schneit
es in den Tieflagen der Westschweiz (Region Genf)
IAbb.101 Schema des
Föhn ver/aufs. Süd Föhn mauer Föhn- Nord

m ü.M
3000
Front

1000
Warm­
luft Kaltluft
Kaltluft

Appennin Po-Ebene Südseite Alpen Nordseite

lieh kälteste Ort das Jungfraujoch auf 3580 m ü. M. Als Besonderheit tritt in den Alpen im Abschnitt
mit einem Jahresmittel von - 7,5 °C. Auf den bisher ihres West-Ost-Verlaufs beidseits des Gebirges Föhn
absolut höchsten gemessenen Wert von + 41,5 °C auf. Der klassische Südföhn (im Folgenden nur als
stieg die Temperatur am 11. August während des Hit­ Föhn bezeichnet) ist dabei die wesentlich ausge­
zesommers 2003 in Grono in der Südschweiz, auf prägtere Erscheinung. Er ist v. a. vom Herbst bis
den absolut tiefsten Wert von -41,8 °C sank sie am zum Frühling aktiv. Der Nordföhn, in der Schweiz in
12.Januar 1987 in La Brevine im Jura. den Tälern der Alpensüdseite (Kantone Tessin und
Graubünden) wirksam, hat regional aber eine eben­
Der Föhn als spezielles Klimaelement so große Bedeutung. Besonders nach den hier häufig
1 Abb. 11 I Föhnfenster
auftretenden winterlichen Trockenphasen, wenn viel
über den Glarner- und
St. Gai/er Alpen am Süd- und Nordföhn trockenes Laub und Geäst am Boden I iegt, kann der
30. Oktober 2010. Die Eine ganz spezifische Eigenheit des Schweizer Kli­ Nordföhn wesentlich zur Ausweitung von Waldbrän­
Föhnmauer direkt mas ist der bekannte Föhn (Abb. 10 und Abb. 11). den beitragen.
über dem Alpenkamm Föhn tritt global überall dort auf, wo Gebirgsketten Die klassische Südföhn-Situation ist mit einer
sowie die prächtigen von kräftigen Winden überströmt werden. Als wesent­ starken Staubewölkung am Alpensüdhang verbun­
Föhnfische (Linsenwolken) licher Effekt des Föhns treten auf der strömungsabge­ den. Durch die Hebung der Luftmassen können die
im Schönwetterbereich
sind gut zu sehen. Der wandten Seite des Gebirges warme und v. a. trockene Stauniederschläge auf der Alpensüdseite beachtliche
dunkle Wolkendecke/ am Fallwinde auf, welche häufig Sturmstärke erreichen. Mengen annehmen, welche immer wieder Erdrutsche
oberen Bildrand ist die In den betroffenen Gebieten stellt der Föhn eine der und Überschwemmungen bewirken. Die Wolkenwand
aufziehende Front. markantesten Wettererscheinungen überhaupt dar. am Alpensüdhang wird von der Nordseite her als sog.
11

Föhnmauer wahrgenommen. Nicht selten reichen da­ extreme Bedingungen wie Überflutungen durch an­
bei die Wolken etwas über den Alpenkamm hinweg haltende Starkniederschläge, Hitzewellen oder auch
nach Norden, sodass auch etwas nördlich des Al­ Lawinenwinter sind für jedermann wahrnehmbar.
penkamms noch Niederschlag fallen kann. Mit dem Allerdings wird in solchen Situationen die Klima­
Absinken der Luftmassen lösen sich die Wolken auf. entwicklung allzu oft nur auf Extremereignisse und
Dieser Bereich mit sehr klarer Luft und fast blauem insbesondere auf die Änderungen in deren Häufig­
Himmel wird als Föhnfenster bezeichnet. keit und Intensität reduziert. Doch gerade hierzu sind
meist keine verlässlichen Aussagen möglich, da die
Auswirkungen des Föhns seltenen Extremereignisse statistisch schlecht erfass­
Es erstaunt nicht, dass eine so markante Wetterer­ bar sind (Frei & Schär 2001; Organe consultatif sur
scheinung wie der Föhn auch zahlreiche Einflüsse les changements climatiques - OcCC 2003). In der
auf die Umwelt ausübt. Durch die erwärmte Föhn­ sozusagen alltäglichen Klimaentwicklung von Jahr zu
luft und die dank Wolkenauflösung verlängerte Son­ Jahr oder von Jahrzehnt zu Jahrzehnt kommen Än­
nenscheindauer wird das Klima der Föhntäler und in derungen hingegen viel eindeutiger zum Ausdruck,
geringerem Maße auch der übrigen Zentral- und Ost­ wie die Klimamessreihen des Bundesamtes für Me­
schweiz milder. Die mittlere Jahrestemperatur wird in teorologie und KI imatologie MeteoSchweiz belegen
Altdorf und im Rheintal durch den Föhn zwar nur um (Bader& Bantle 2004; Begert et al. 2005), denn das

Winter (Dez., Jan., Feb.,) 1864/65-2008/09 Frühling (März, Apr., Mai) 1864-2008
p 6,0 p 6, 0

� 4,0
Trend: 1,3 °C / 100 Jahre � Trend: 1,0 °C / 100 Jahre
� 4,0

··�-hi ]�,,,.,
1 fr,,I
·� 2.0 � 2,0

I''
.0 .0

)! "fll
<( <(
0, 0 l
i
-2,0 -2,0

-4,0 -4, 0

-6,0 -6,0
1860 1880 19 00 192 0 1940 196 0 1980 20 0 0 1860 1880 19 00 1920 194 0 1960 1980 2000

Sommer (Jun., Jul., Aug.,) 1864-2008 Herbst (Sept., Okt., Nov.) 1864-2008
p 6,0 p 6,0

l
� Trend: 0,9 °C / 100 Jahre "" Trend: 1,2 °C / 100 Jahre
� 4,0 � 4,0
u

q, o ltLi&:
1!
.0
2,0 � 2,0
� J l,411
.0

r"'r
-1- I
·,
<( <(
o.o �� I
-2, 0 -2,0

-4,0 -4,0

-6.0 -6, 0
186 0 1880 19 00 1920 1940 1960 1980 2000 186 0 1880 1900 1920 1940 196 0 1980 2000

etwa 0, 5 °C erhöht; in föhnreichen Monaten steigt IAbb.12I Langjähriger Verlauf der ja/1reszeitlichen Temperatur (Winter, Frühling, Som­
das Monatsmittel jedoch um bis zu 3 °C an. mer, Herbst) gemittelt über die gesamte Schweiz.
Die rasche Schneeschmelze und die herbstlichen Erläuterung: Dargestel lt ist die jährliche Abweichung der saisonalen Temperatur von der
Föhnlagen verlängern die Vegetationsperiode und Norm 1961-1990 (rot=positive Abweichungen, blau=negative Abweichungen). Als Daten­
basis dienen die verfügbaren zwölf homogenen Messreihen der Schweiz (Stand 2009).
führen damit zu einer bemerkenswerten landwirt­
schaftlichen Begünstigung. Neben dieser klimati­
schen Begünstigung ist der Föhn jedoch wegen seiner Klima ist nichts Konstantes, sondern eine Abfolge
erheblichen Sturmschäden gefürchtet: Hausdächer, von deutlich wechselnden Bedingungen. Je nach
Obstgärten, ja ganze Waldgebiete sind gefährdet. An­ Jahreszeit haben sich in der langfristigen Klimaent­
gefacht durch heftige Föhnböen haben sich in der wicklung dabei nicht nur Wechsel, sondern eigent­
Vergangenheit zahlreiche verheerende Dorfbrände liche Klimasprünge ereignet, welche durchaus auch
ereignet. Bekannt dafür ist v. a. der Kantonshauptort mit einer gewissen Dramatik verbunden sind.
Glarus, welcher auf diese Weise mehrmals von Feu­
ersbrünsten heimgesucht wurde. Die Temperaturentwicklung
Hinsichtlich der langfristigen Temperaturentwicklung
Klimaschwankungen seit Messbeginn zeigen die Jahreszeiten Herbst und Winter ein sehr
Die Diskussion um die langfristige Klimaentwicklung ähnliches Muster. Noch näher kommen sich die Tem­
wird in der Öffentlichkeit immer wieder dann aktu­ peraturmuster der beiden Jahreszeiten Frühling und
ell, wenn sich Dramatisches abspielt. Kurzfristige Sommer (Abb. 12).
12

Herbst und Winter Schweiz einen sehr ähnlichen Entwicklungsverlauf


In der Zeit seit 1864 änderte sich das Temperatur­ zeigt, was den Zusammenzug zu einer gesamtschwei­
regime der Jahreszeiten Herbst und Winter zweimal zerischen Temperaturkurve rechtfertigt, sind beim
grundlegend. Zwischen 1880 und 1900 sanken die Niederschlag große regionale Unterschiede vorhan­
Temperaturen insbesondere im Winter innerhalb den, sodass die Darstellung einer gesamtschweize­
weniger Jahre für kurze Zeit auf ein bedeutend tie­ rischen Niederschlagskurve wesentliche regionale
feres Niveau. Eine weitere Phase mit tiefen Tempe­ Unterschiede verschleiern kann.
raturen, diesmal v. a. im Herbst ausgeprägt, folgte Ein markanter Unterschied zwischen Nord und
zwischen 1900 und 1920. Rund 100 Jahre später Süd ergibt sich z.B. in der Niederschlagsentwicklung
vollzog sich mit dem Winter 1987/88 ein sprung­ während der letzten Jahre im Frühling. Die im Süden
artiger Wechsel zu einer ausgeprägten Warmwinter­ auffallende Rückkehr zu wieder trockeneren Früh­
phase. Ab diesem Zeitpunkt sind wiederholt auf­ lingsbedingungen nach einer niederschlagsreicheren
tretende hohe Temperaturen, etwas weniger stark Phase um die l 980er-Jahre ist an den nordalpinen
ausgeprägt auch im Herbst, das typische Merkmal Messstandorten nicht zu beobachten.
bis zum Übergang ins 21.Jh. Das Fehlen sehr tie­ Regionale periodische Schwankungen der Nie­
fer Winter- und Herbsttemperaturen gegen Ende derschlagssummen sind das typische Merkmal der
des 20. Jh. macht ebenfalls deutlich, dass sich Niederschlagsmessreihen in der Schweiz. Im 20. Jh.
eine grundlegende Änderung im Temperaturregime konnte eine langfristige signifikante Zunahme der
eingestellt hat. Bis in die 1960er-Jahre traten hin gesamtschweizerischen Jahressumme um rund
und wieder sehr kalte Winter auf. Anschließend ver­ 120 mm (oder 8 %) festgestellt werden, die v. a. auf
schwand dieses Muster jedoch vollständig aus der die Zunahme der Winterniederschläge zurückzufüh­
Klimatologie des Winters. ren war. Seit den 1990er-Jahren hat aber in vielen
In der Zeit zwischen diesen Ausschlägen ist ins­ Regionen wieder ein deutlicher Rückgang der Winter­
gesamt ein eher ruhiger langfristiger Verlauf der niederschläge eingesetzt. Über die gesamte Messpe­
Herbst- und Wintertemperatur zu beobachten. Mit riode betrachtet, ist deshalb heute (Stand 2009) in
einem linearen Temperaturtrend von +1,2 °C pro 100 der Schweiz keine eindeutige Niederschlagsänderung
Jahre (Herbst) bzw. +1,3 °C pro 100 Jahre (Winter) zu beobachten.
zeigen beide Jahreszeiten dieselbe langfristige Tem­
peraturzunahme. Beachtenswert ist die jüngst aufge­ Die Klimazukunft der Schweiz
tretene seltsame Folge von drei Jahreszeiten, welche Auch im 21.Jh. wird es auf der Erde wärmer werden.
die bisher extremsten Mitteltemperaturen gebracht Die mittlere globale Temperatur wird von 1990 bis
haben: Der Herbst 2006, der Winter 2006/07 sowie 2100 zwischen l,4 °C und 5,8 °C zunehmen. Dieser
der Frühling 2007 haben über die ganze Schweiz Bereich ergibt sich aus den verschiedenen Klima­
gemittelt je eine Abweichung von rund +3,0 °C er­ modellen und den Emissionsszenarien, die sämt­
reicht. liche plausiblen Entwicklungen der Bevölkerung,
Wirtschaft und Technologie berücksichtigen (1 PCC
Frühling und Sommer 2007a; IPCC 2007b).
Das Muster des langjährigen Temperaturverlaufs von Was bedeutet diese Prognose für die Klimazu­
Frühling und Sommer wird durch die überdurch­ kunft der Schweiz? Um ein aktuelles Bild über die
schnittlich warmen 1940er-Jahre sowie den Tempe­ zukünftige Klimaentwicklung und deren Auswirkun­
ratursprung im laufe der l980er-Jahre geprägt. Die gen in der Schweiz zu erhalten, wurde an der Eid­
Frühlingstemperaturen weisen zudem auch vor 1940 genössischen Technischen Hochschule Zürich ETHZ
eine recht ruhige langfristige Temperaturentwicklung ein regionales Klimaszenario berechnet (Frei 2006)
auf. Ausgesprochen ruhig im langfristigen Tempera­ und im Rahmen eines umfangreichen Berichts zur
turverlauf zeigten sich die Frühlings- und Sommer­ Klimazukunft der Schweiz vom Organe consultatif sur
temperaturen zwischen 1960 und 1980. Mit einem /es changements climatiques - OcCC und vom Pro­
linearen Temperaturtrend von +l,0 °C pro 100 Jah­ Clim- Forum for Climate and Global Change (2007)
re (Frühling) bzw. +0,9 °C pro 100 Jahre (Sommer) publiziert. Das Szenario basiert auf einer großen Zahl
zeigen beide Jahreszeiten dieselbe langfristige Tem­ globaler und regionaler Klimamodellrechnungen aus
peraturzunahme. Sie liegt etwas tiefer als im Herbst dem Forschungsprojekt der Europäischen Union Pre­
und Winter. diction of Regional scenarios and Uncertainties for
Defining European Climate change risks and Effects
Die Niederschlagsentwicklung PRUDENCE (Christensen et al. 2002). Mit den heu­
Erwartungsgemäß treten in den Niederschlagsmess­ te verfügbaren Mitteln lassen sich allerdings keine
reihen z. T. recht verschiedene regionale Muster auf. hoch aufgelösten spezifischen Klimaszenarien z.B.
Dies ist v. a. darauf zurückzuführen, dass sich in der für das Wallis oder die lnnerschweiz berechnen. Die
Schweiz ein nordalpines und ein südalpines Nieder­ aktuellen Szenarien liefern Angaben über die zukünf­
schlagsregime mit ihren bereits beschriebenen spe­ tige saisonale Entwicklung der Temperatur und des
zifischen Eigenheiten gegenüberstehen. Es kommt Niederschlags im Großraum Alpennordseite und Al­
hinzu, dass die Niederschlagsentwicklung im Innern pensüdseite. Als Ausgangbasis für die Berechnung
der Alpen phasenweise anders verlief als im Alpen­ der Änderungen wird immer der Zustand von 1990
vorland. Während die Temperatur in allen Teilen der verwendet.
�-
gr--:
'5�
�� Nordschweiz Frühling
U
Jahres-
zeit
Winter
Temperaturänderung
in •c gegenüber 1990
+1,8
+1,8
Unsicherheits- Niederschlagsänderung Unsicherheits-
handbreite in •c in % gegenüber 1990 handbreite in %
+0,9
+0,8
bis
bis
+3,4
+3,3
+8
0
-1 bis +21
-11 bis +10
Kurz vor Drucklegung dieses
Werkes sind neue Klimaszena­
rien für die Schweiz publiziert
worden (CH2011J.
Bezüglich der Temperaturent­
wicklung bis 2050 zeigen sich
H bis 2050 Sommer +2,7 +1,4 bis +4,7 -17 -31 bis -7 dabei keine wesentlichen Än­
derungen gegenüber den hier
bis -1
U_Q

.S!� Herbst +2,1 +1,1 bis +3,5 -6 -14 präsentierten Szenarien. Deut­

1182 Südschweiz
�§
Winter +1,8 +0,9 bis +3,1 +11 +1 bis +26 liche Änderungen ergeben sich
hingegen in der Niederschlags­
Frühling +1,8 +0,9 bis +3,3 -4 -15 bis +5 entwicklung. Gemäß den Sze­
1ll, bis 2050
C-5 Sommer +2,8 +1,5 bis +4,9 -19 -36 bis - 6 narien CH2011 ist bis 2050 in
<'>� allen Jahreszeiten keine signi­
Herbst +2,2 +1,2 bis +3,7 -4 -14 bis +4
F! fikante Niederschlagsänderung
H I Tab. 41 Erwartete Änderung der jahreszeitlichen Temperatur und der jahreszeitlichen Niederschläge bis ins Jahr
�\l 2050 gegenüber 1990.
zu erwarten. Ab 2050 zeichnet
sich im Sommer eine leichte
Niederschlagsabnahme ab.
00

Szenarienrechungen sind mit relativ großen Un­ möglich. Die gesamte Zusammenstellung aller vier­
sicherheiten verbunden. Deshalb wird neben der Jahreszeiten gibt Tab. 4.
Berechnung der Temperatur- und Niederschlags­
änderung immer auch der dazugehörige Unsicher­ Anpassungsstrategien der Schweizer Regierung
heitsbereich der Aussage bestimmt. 1 m Folgenden Angesichts der zu erwartenden Klimaänderung
wird jeweils das 95%-Vertrauensintervall ange­ verstärkt die Schweizer Regierung ihre Anstren­
geben. Das bedeutet, dass sich die Änderung mit gungen im Bereich Klimapolitik und fokussiert auf
95% Wahrscheinlichkeit inne.rhalb der angegebe­ Anpassungsstrategien. So legt beispielsweise das
nen Unsicherheitsbandbreite bewegen wird. C0 2 -Gesetz, das seit dem 1.5.2000 in Kraft ist,
den Grundstein für eine nachhaltige Energie- und
Temperatur Klimapolitik. Danach müssen bis ins Jahr 2010
Bis 2050 wird es in der Nord- und Südschweiz in die COrEmissionen aus der Verbrennung fossi­
allen Jahreszeiten wärmer werden. Nördlich der ler Energie insgesamt um 10% unter das Niveau
Alpen wird im Winter eine Erwärmung um + 1,8 •c von 1990 gesenkt werden. Zudem sind im Gesetz
(Unsicherheits-Bandbreite +0,9 bis +3,4 °C) und Teilziele verankert: für Brennstoffe minus 15%, für
im Sommer eine Erwärmung um +2,7 °C (Unsicher­ Treibstoffe minus 8%. Der vom BAFU (Bundesamt
heits-Bandbreite +1,4 bis +4,7 °C) erwartet. Auf für Umwelt) im Rahmen der Gesamtstatistik des
der Alpensüdseite ist die Erwärmung nur unwesent­ Bundes jährlich erhobenen C0 2-Statistik lässt sich
lich stärker. Im Winter beträgt sie ebenfalls +l,8 °C entnehmen, ob die Schweiz auf Zielkurs ist. Zwar
(Unsicherheits-Bandbreite +0,9 bis +3,1 °C), und im sollten die Ziele des Gesetzes vorerst mit freiwilli­
Sommer +2,8 °C (Unsicherheits-Bandbreite +1,5 bis gen Maßnahmen erreicht werden, doch beschloss
+4,9 °C). In den Übergangsjahreszeiten Frühling und der Bundesrat 2005, eine C0 2-Abgabe auf Brenn­
Herbst sind beidseits der Alpen ähnliche Tempera­ stoffen einzuführen.
turzunahmen wie im Winter zu erwarten. Die voll­ Der Bundesrat beauftragte ferner im Jahr 2009 das
ständige Zusammenstellung für alle vier-Jahreszeiten Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr,
gibt Tab.4. Energie und Kommunikation (UVEK), in Zusammen­
Die Unsicherheits-Bandbreite umfasst das 95%­ arbeit mit dem Eidgenössischen Departement des
Vertrauensintervall. Das bedeutet, dass sich die er­ Innern, dem Eidgenössischen Finanzdepartement,
wartete Änderung mit 95% Wahrscheinlichkeit in­ dem Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement
nerhalb der angegebenen Unsicherheits-Bandbreite und dem Departement für Verteidigung, Bevölke­
bewegen wird. rungsschutz und Sport, klimabedingte Risiken zu
analysieren, nationale Anpassungsstrategien ausge­
Niederschlag wählter EU-Länder zu untersuchen und bis 2011
Die Niederschläge werden bis 2050 im Winter Anpassungsstrategien für die Schweiz zu entwickeln.
beidseits der Alpen zunehmen. Für die Alpennord­ Sie sollen als Grundlage zum schweizweit koordinier­
seite zeigt das Szenario eine Zunahme der Winter­ ten Vorgehen bei der Anpassung an die Klimaände­
niederschläge um rund +8% (Bandbreite -1% bis rung dienen.
+ 21 %), für die Alpensüdseite eine Zunahme von Die Ausarbeitung der Anpassungsstrategien be­
+ 11 % (Bandbreite + 1% bis + 26 %). 1 n die um­ züglich des Klimawandels umfasst folgende Berei­
gekehrte Richtung weisen die Niederschlags-Sze­ che: Landwirtschaft, Forst- und Wassermanagement,
narien für den Sommer. Auf der Alpennordseite ist Energieproduktion und Tourismus, Biodiversitätsma­
bis 2050 mit einer Abnahme um -17% (Bandbreite nagement, Regionalentwicklung, Gesundheit und
-7% bis -31 %), auf der Alpensüdseite mit einer Naturgefahren-Prävention. In diesen Bereichen wer­
Abnahme um -19% (Bandbreite -6% bis -36%) den die wichtigsten Auswirkungen des Klimawandels
zu rechnen. Im Frühling und Herbst sind sowohl sowie die wichtigsten Handlungsfelder identifiziert
Niederschlagszu- als auch Niederschlagsabnahmen (s. BAFU/UVEK 2008 2010 und UVEK 2007).
14

Bodenschutz in der Schweiz: Vielfalt - Probleme - Perspektiven


■ Roland Bono, Peter Lüscher
Übersicht zu den Böden in der Schweiz Landestopographie 2004) im Maßstab 1: 200 000
beurteilt werden. Dieses Kartenwerk ist das einzige,
Die Entstehung der Böden das flächendeckend bodenkundliche Informationen
Boden zählt zu den nicht erneuerbaren Ressourcen, für die gesamte Schweiz enthält.
da zur Entstehung - bezogen auf ein Menschen­
leben - sehr viel Zeit benötigt wird. Böden bilden Bodenvielfalt in der Schweiz
die oberste Schicht der Erdkruste und reichen von Mit der Vielfalt und den kleinräumlich stark variie­
der Oberfläche bis zum Ausgangsgestein. Sie ent­ renden Bodenbildungsfaktoren entstand in den ein­
stehen durch das Zusammenwirken der Faktoren zelnen Regionen der Schweiz eine Vielzahl verschie­
Ausgangsgestein, klimatische Voraussetzungen, Re­ dener Böden (Abb. 14).
liefsituation und Organismen, welche im Lauf der
Zeit die Prozesse der Bodenbildung beeinflussen. Jura
Zu den wichtigsten Bodenbildungsprozessen gehö­ Im Jura sind auf karbonatreichen Gesteinen ver­
ren die chemische, physikalische und biologische breitet alkalische oder nur oberflächlich saure, we­
Verwitterung, die Verlagerung von Stoffen aus ober­ nig entwickelte Böden entstanden (Walthert et al.
flächennahen in tiefere Bereiche, die Mineralneu­ 2004). Rohböden aus Karbonatgestein (Rendzinen)
bildung sowie die Humus- und die Gefügebildung. bilden sich durch physikalische, chemische und
Dadurch erfährt das Erscheinungsbild der Böden biologische Verwitterung des Gesteins, wobei die
eine vertikale Differenzierung mit einer Abfolge von chemische Verwitterung im Wesentlichen eine Aus­
sog. Bodenhorizonten mit ganz spezifischen Eigen­ waschung der Karbonate und Sulfate bewirkt. Bei
schaften. der Verwitterung werden Silikate und Oxide freige­
Was im Alltag von den Böden wahrgenommen setzt, welche als Lösungsrückstand die Feinerde des
wird, beschränkt sich meist nur auf die Bodenober­ Bodens bilden. Die Menge der Feinerde ist umso
fläche. Der Bodenaufbau an der Oberfläche spiegelt größer, je stärker das Gestein zerkleinert, je höher
die Bewirtschaftungsart wider. Im Unterschied zu sein Gehalt an karbonatfreien Beimengungen und je
landwirtschaftlich genutzten Böden sind Waldböden größer die Auflösungsgeschwindigkeit der Karbona­
oft noch natürlich gelagert, also nicht mechanisch te ist. Die bodenbildenden Prozesse sind in Tälern
bearbeitet und nicht durch chemische Hilfsstoffe und Becken deutlich weiter fortgeschritten als auf
beeinflusst. Höhenzügen.
Ausgewählte Bodeneigenschaften wie Gründigkeit,
Steingehalt, Wasser- und Nährstoffspeichervermö­ Mitte/land
gen, Wasserdurchlässigkeit und Vernässungkönnen Die Bodenbildung im Mittelland setzte meist mit
mithilfe der Bodeneignungskarte der Schweiz (Eid­ dem Rückgang der Vergletscherung ein. Daneben
genössisches Justiz- und Polizeidepartement: Bun­ spielen örtlich nacheiszeitliche geomorphologische
desamt für Raumplanung et al. 1980; Bundesamt für Prozesse eine wichtige Rolle. Die häufig vorkom-

IAbb. 131 Zersiedelung im


Schweizerischen Mitte/­
land. Moosseedorf, Schön­
bühl, Münchenbuchsee.
Bodenschutz in der Schweiz: Vielfalt - Probleme - Perspektiven 15

1 Abb. 141 Bodenkarte der


Schweiz.

Gesteins­
rohböden
Ranker,
Regosole
-- Rendzinen
(Jura, Kalkalpen)
Rendzinen,
mit org. Auflage
"saure 11
Braunerden
- Parabraunerden
Braun­
podsole
- Podsole
hydromorphe
Böden

menden Braunerden sind durch Verbraunung und Südschweiz entstehen im Zusammenhang mit Kas­
Tonmineralneubildung gekennzeichnet, die durch tanienwäldern spezielle, einma Iige Podsolierungs­
die Silikatverwitterung hervorgerufen werden. Para­ formen. In den T älern der Südschweiz sind haupt­
braunerden zeichnen sich durch eine Tonverlagerung sächlich ehemalige Auenböden, Braunerden sowie
innerhalb des Bodenprofils aus und neigen örtlich Nassböden prägend.
zu Ausprägungen mit Staunässe (Zimmermann et al.
2006). Auf Molassestandorten ohne Moränebede­ Gefährdung und Zukunft der Böden
ckung bilden sich aus karbonatfreiem, sandigem
Material oft saure Braunerden. Entlang von Fluss­ Gefahr von Übernutzung und Zerstörung
läufen können diese Böden auch durch Grundwasser Kernmerkmale der Böden sind die Dreidimensionali­
vernässt sein. tät in Raum und Tiefe, die Funktionalität als Teil des
Ökosystems Landschaft und als eigenes Ökosystem,
Alpenrandgebiete ihr Charakter als begrenzte Ressource mit beschränk­
1 m häufig niederschlagsreichen Alpenrandgebiet ter Regenerationsfähigkeit sowie die zeitlichen Dimen­
mit teilweise feinkörnigen Sedimenten dominieren sionen von jahrtausendelanger natürlicher Entstehung
Nassböden, regional kommen kleinflächig auch or­ einerseits und der Gefahr einer raschen Belastung
ganische Böden vor. Zudem entstanden auf sandi­ und Zerstörung durch den Menschen andererseits.
ger Molasse saure Braunerden. Ebenso ergeben sich Der Mensch nutzt und beansprucht Böden und
aus der Nagelfluh je nach Zusammensetzung der Bodenfläche auf vielfältige Weise. 1 n der Schweiz
Skelettrückstände nährstoffreichere, weniger saure weisen die Zahlen der aktuellen Bodennutzung 37 %
Braunerden. als Landwirtschaftsflächen aus, 31 % als Wald, 25 %
als sog. unproduktive Flächen und 7 % als Siedlungs­
Alpen und lnfrastrukturflächen (BAFU, BFS 2009). Der
In den Alpen sind die bodenbildenden Substrate ex­ Mensch prägt die Böden mit: in ihrer Morphologie,
trem heterogen. Neben rohen Bodenbildungen wie in ihren Eigenschaften und in ihrem Erscheinungs­
Gesteinsrohböden, Ranker, Regosole und rendzi­ bild in der Fläche. In historischen Zeiten waren es
nen, sowie Verwitterungsböden treten häufig durch in erster Linie die Art und Weise der Bewirtschaftung
Verlagerungsprozesse gekennzeichnete Böden auf oder Maßnahmen zur sog. landwirtschaftlichen Bo­
(Blaser et al. 2005). Im Podsol sind Verwitterungs­ denverbesserung, welche die Böden beeinflussten.
und Verlagerungsprozesse weit fortgeschritten. Ihr So wurden in der Schweiz im Zuge der planmäßigen
Erscheinungsbild zeigt einen hellen, gebleichten Förderung der Landwirtschaft zur Sicherung der Nah­
Oberboden und darunter liegend einen intensiv rungsmittelversorgung während des Zweiten Weltkrie­
gefärbten Anreicherungsbereich. In Hanglagen der ges große Bodenflächen entwässert. Böden, die von
16

11 11
IAbb. 151 Die wichtigsten bodenrelevante Bodenzerstörung Schadstoffanreicherung Schädigung der
Krankheitsbilder(,, Syn­ Nutzungen im Boden Bodenstruktur
drome") der Böden in der
Schweiz.
Wohnen Bella casa-Syndrom
Anmerkung: Der Begriff „erd­ Ausbreitung der Siedlungsgebiete
verlegte Life-lines" bezeich­
net große, erdverlegte Ver­ Shoppy-Syndrom Schlot-Syndrom
und Entsorgungsleitungen 1 ndustrie/Gewerbe Wachstum von Handels-. Verteil­ Schadstoffdeposition
wie Hochspannungs-, Kana­ und Gewerbezentren von Einzelemittenten
lisations-, Wasser- und Hoch­
druckgasleitungen. Mit „39
Tonnen-Syndrom" ist die Bo­ Mobilität
§ Al-Syndrom
u Bodenverschmutzung und -zerstörun l
denverdichtung und Schädi­ !;_ durch Straßenverkehr :J
gung d e r B o d e n s t ruktur
durch schwere Landwirt­ Event-Syndrom
Edelweiß-Syndrom C,

schaftsmaschinen gemeint.
__J

Tourismus/Freizeit Bodenzerstörung durch "' Bodenbeanspruchung durch


Tourismus in den Alpen
D
Sport- und Freizeitanlässe

Ex und Hopp-Syndrom Maulwurf-Syndrom


Ver-/Entsorgung Bodenbelastung durch Bodenverdichtung durch
Abfall-/Recyclingd ünger erdverlegte Life-lines

Kotelett-Syndrom 39 Tonnen-Syndrom
Landwirtschaft Stoffeintrag durch hohe Bodenverdichtung und Schädigung
Schweinedichten der Bodenstruktur
Humus bachab-Syndrom Zweier! i-Syndrom
Bodenerosion Bodenbelastung im Reb- und Obstbau

Torf adieu-Syndrom Ratatouille-Syndrom


Moorschwund und -zerstörung Bodenbelastung im Gemüsebau

Landesverteidigung Tell-Syndrom
Bodenbelastung und -zerstörung auf Schiessplätzen und -anlagen

Stau- oder Grundwasser geprägt waren, verschwan­ nicht, Erosionsspuren auf Ackerflächen verschwinden
den auf diese Weise. Die Nutzung der organischen schnell wieder, und überbauter und damit zerstörter
Böden im Berner Seeland für die intensive Gemüse­ Boden erfährt sogar eine massive ökonomische Wert­
bauproduktion führt aktuell zu einer fortschreitenden steigerung. So entziehen sich die Probleme von Bö­
Mineralisierung dieser Böden. Schließlich führt die den der individuellen und gesellschaftlichen Wahr­
Urbanisierung des schweizerischen Mittellandes zu nehmung. Es ist deshalb hilfreich, die vier im mittel­
einer tief greifenden Veränderung vieler natürlich ge­ europäischen Raum klassischen Bodengefährdungen
wachsener Böden hin zu eigentlichen Technosolen. ■ Bodenzerstörung durch Flächenverbrauch
Dies sind Böden, deren Eigenschaften und Entste­ ■ mechanische Bodenbelastung durch Schädigung
hung durch technische und menschliche Einflüsse der Bodenstruktur infolge Erosion, Verdichtung,
gekennzeichnet sind (Bundesanstalt für Geowissen­ Überschüttung und Umlagerung
schaften und Rohstoffe 2008). ■ stoffliche Bodenbelastung durch Eintrag und An­
Dies ist der augenfälligste Ausdruck davon, dass reicherung von Schadstoffen
die Ansprüche der Menschen an die Böden und die ■ biologische Bodenbelastung durch invasive, pa­
Bodenfläche in den letzten Jahrzehnten stetig ge­ thogene oder gentechnisch veränderte Organis­
wachsen sind. Die Nutzungskonflikte haben zuge­ men nach dem Syndromansatz (Wissenschaftli­
nommen und belasten die Böden oder zerstören sie cher Beirat 1994) zu betrachten. Dabei werden
gar. So schließt die Nutzung des Bodens als Standort die Gefährdungen der Böden anhand eigentlicher
für Gebäude oder lnfrastruktureinrichtungen wesent­ "Krankheitsbilder" veranschau I icht. Diese Syn­
liche ökologische Funktionen aus, denn überbaute drome (Abb. 15) sind Zeichen der Ü bernutzung
Böden können kein Niederschlagswasser mehr spei­ und der Zerstörung von Böden. Sie haben letztlich
chern oder filtern. Doch zunehmend wird erkannt, komplexe Ursachen, auch wenn sich das primäre
dass Böden und Bodenfläche als endliche Ressour­ Krankheitsmerkmal z. T. auf einfache Ursache-Wir­
ce nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen und dass kungs-Beziehungen zurückführen lässt.
der Übernutzung und dem Flächenverbrauch Gren­
zen gesetzt sind. Gesunde Böden und ausreichend Die Befunde lassen sich wie folgt zusammenfassen
freie Bodenfläche sind für die heutige Schweiz keine (Mosimann 1996; BAFU, BFS 2009):
Selbstverständlichkeit mehr. ■ Es gibt in der Schweiz, wie in Mitteleuropa allge­
mein, keine völlig unbelasteten Böden mehr. Zwei
Syndrome: Bodengefährdungen sichtbar gemacht Drittel der Schweizer Bodenfläche sind gering bis
Stinkende Luft, verschmutzte Gewässer oder Ver­ durchschnittlich belastet. Das verbleibende Drittel
kehrslärm sind unmittelbar mit den Sinnen erfass­ zeigt deutliche Belastungsspuren in vielfältiger
bar. Anders beim Boden: Cadmium im Boden riecht Form.
Bodenschutz in der Schweiz: Vielfalt - Probleme - PerSQE!ktlven 17

■ Der Hauptteil der Bodenbelastungen und Boden­ damit verbundenen großen Pendlerströmen mit ent­
zerstörungen konzentriert sich auf ein Drittel der sprechenden Verkehrs- und anderen lnfrastrukturein­
Landesfläche, d. h. primär auf die Agglomerations­ richtungen.
räume im schweizerischen Mittelland.
■ Hauptproblem ist die schleichende, immer weiter Die vier Säulen des Bodenschutzes in der Schweiz
gehende Verstädterung, verbunden mit dem lnfra­ Bund und Kantone in der Schweiz sind aufgrund von
strukturausbau. Artikel 73 der schweizerischen Bundesverfassung
■ Bezüglich der Landwirtschaft sind die physikali­ seit 1999 (Schweizerische Eidgenossenschaft 1999)
schen Bodenbelastungen wie Erosion und Verdich­ dazu verpflichtet, für ein auf Dauer ausgewogenes
tung inzwischen als mindestens gleichbedeutend Verhältnis zwischen der Natur und ihrer Erneue­
einzustufen wie die Spuren von Schadstoffen. rungsfähigkeit einerseits sowie der Beanspruchung
durch den Menschen anderseits zu sorgen. Gemäß
Die Dynamik in der Raum- und Bodennutzung Artikel 74 erlässt der Bund Vorschriften zum Schutz
Die Schweiz zeichnet sich wie andere hoch entwi­ des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor
ckelte Gesellschaften durch einen hohen Flächen­ schädlichen oder lästigen Einwirkungen. In Arti­
verbrauch bei gleichzeitig geringer Ausnutzung der kel 75 schließlich legt der Bund die Grundsätze für
Bodenfläche aus. Das Monitoring der Raumnutzung die Raumplanung fest; die Kantone setzen sie mit
in der Schweiz - die sog. Arealstatistik- belegt die dem Ziel der zweckmäßigen und haushälterischen
intensive Bautätigkeit, verbunden mit dem Verlust an Nutzung des Bodens sowie der geordneten Besie­
Kulturland. Nach wie vor gehen in der Schweiz täg­ delung des Landes um. Die Kantone unterschei­
lich 11 ha Kulturland bzw. 1, 3 m2 Bodenfläche pro den sich in ihren Umsetzungsstrategien jedoch z. T.
Sekunde verloren (BFS 2001; BAFU, BFS 2009). beträchtlich.
Der jährliche Verlust an Bodenfläche durch Überbau­ Schutz und nachhaltiger Umgang mit der Ressour­
ung beläuft sich auf rund 40 km2 und entspricht so­ ce Boden ist in der Gesetzgebung als Querschnitts­
mit ziemlich genau der Fläche des Bielersees. Auch aufgabe verankert. Maßnahmen in verschiedenen
wenn sich diese Entwicklung in den letzten Jahren Bereichen - wie Raumplanung, Umweltschutz,
etwas abgeschwächt hat, kann dies nicht als nach­ Land- und Forstwirtschaft, Luftreinhaltung, Abfall­
haltige Bodennutzung bezeichnet werden. gesetzgebung, Umgang mit Produkten, Chemikalien
Gleichzeitig vergrößerte sich die Waldfläche der und Organismen, um nur einige zu nennen - sollen
Schweiz als Folge ihres rechtlichen Schutzes und die Belastung der Böden verhindern und den Bo­
der Extensivierung der Landwirtschaft in Randregi­ denverbrauch minimieren. Dabei haben das Bun­
onen und ertragsschwachen Lagen leicht. Dadurch desgesetz über die Raumplanung (Schweizerische
gerät die noch „freie Landschaft" zwischen dem Eidgenossenschaft 1979) und das Umweltschutzge­
Siedlungs- und dem Waldgebiet weiter unter Druck. setz (Schweizerische Eidgenossenschaft 1983) den
Dies ist der Raum, in welchem sich die Nutzungs­ höchsten Stellenwert. Die sich daraus ergebenden
konflikte am intensivsten manifestieren: Diese frü­ vier Säulen der schweizerischen Bodenschutzpolitik
her über Jahrhunderte hinweg der landwirtschaftli­ umfassen
chen Nutzung und damit der Produktion von Nah­ ■ Maßnahmen gegen Flächenverluste (quantitativer
rungsmitteln vorbehaltene Fläche wird zunehmend Bodenschutz),
überbaut. Es ist der Schweiz in den letzten Jahr­ ■ gegen stoffliche Belastungen,
zehnten nur ungenügend gelungen, diese Bodenbe­ ■ gegen physikalische Belastungen sowie
anspruchung und Bodenzerstörung zu lenken oder ■ gegen biologische Belastungen (qualitativer Bo-
gar spürbar einzudämmen. Dies ist deshalb bedenk­ denschutz).
lich, weil der Verlust an Bodenfläche immer auch
Verlust an Bodenvolumen bedeutet, denn Boden ist Hinsichtlich des Bodenschutzes ist auch die lange
dreidimensional. Damit geht die Funktionalität der Tradition der Waldgesetzgebung erwähnenswert: So
Böden verloren. erfolgte die Verankerung des Grundsatzes der Nach­
Aus raumplanerischer Sicht ist der Flächenver­ haltigkeit in Bezug auf die Waldfläche in der Schweiz
brauch und damit verbunden die Zersiedlung der bereits im Jahr 1876. Der Wald darf gemäß Wald­
Landschaft in den Fokus gerückt. In der Analyse gesetz (Schweizerische Eidgenossenschaft 1991)
der Siedlungs- und lnfrastrukturentwicklung in der weder in seiner Fläche noch in seiner räumlichen
Schweiz (Jaeger et al. 2008) wird eindrücklich das Verteilung beeinträchtigt werden.
Ausmaß der fortschreitenden Zersiedelung der Land­ In jüngerer Zeit haben die Bundesbehörden ein
schaft dokumentiert. Ursachen dafür sind u. a. das Leitbild zum Bodenschutz in der Schweiz formu­
Bedürfnis nach Wohnen im Grünen und die Suche liert, in welchem der Weg zum behutsamen Umgang
nach günstigem Bauland. Die Zersiedelung geht mit der Ressource Boden aufgezeigt wird (s. Exkurs
mit Bodenversiegelung sowie der Verkleinerung und ,,Leitbild Bodenschutz Schweiz").
Zerstückelung von Lebensräumen für Pflanzen und
Tiere einher. Die Auswirkungen reichen vom Verlust Erhaltung gesunder Böden als Schutzziel
an Freiflächen und Naherholungsgebieten, gerin­ Die Bodenschutzbestimmungen im Umweltschutz­
ger Bebauungs- und Bevölkerungsdichte bis hin zur gesetz werden in der eidgenössischen „Verordnung
räumlichen Trennung von Wohnen und Arbeiten und über Belastungen des Bodens" (VBBo) vom 1. Juli
Leitbild Bodenschutz Schweiz - zehn Eckpunkte
1. Verankerung des Wissens um die Verletzlich­ 4. Nachhaltige, schonende und sparsame Nut­
keit des Bodens und seine zentrale Stellung zung des Bodens bezüglich Fläche, Menge
im Naturhaushalt: und Qualität sind zu gewährleisten.
■ Sensibilisierung der Bevölkerung durch Ins­ 5. Belastete Böden sind soweit zu sanieren,
titutionen, Natur- und Umweltschutzverbän­ dass die Gefahren beseitigt werden.
de sowie Schulen 6. Wer Boden nutzt, ist auch für dessen Schutz
■ Unterstützung und Koordination durch die verantwortlich.
entsprechenden Behörden 7. Die Integrität des Bodens muss durch rechtli­
■ Öffentlichkeitsarbeit der Behörden (wissen­ che Normen gesichert werden.
schaftliche Untersuchungen, Rechtsgrund­ 8. Der Schutz des Bodens ist Gesellschaftsauf­
lagen) trag. Für einen unabhängigen Bodenschutz
2. Vorsorglicher Schutz des fruchtbaren Bodens müssen die institutionellen Voraussetzungen,
gegenüber chemischen, biologischen und die personellen und finanziellen Ressourcen
physikalischen Belastungen. Eingebunden verbessert werden.
sind Behörden, Industrie und Gewerbe, Ak­ 9. Eine enge Vernetzung aller Bodenschutzak­
teure wie Landwirte, Förster oder Bauherren. teure (Bodenschutzbehörden, Wissenschaft,
3. Koordinierte und langfristige Bodenbeobach­ Bodenkundliche Gesellschaft u. a.) ist unent­
tung und -Überwachung. Der schweizerische behrlich.
Bund betreibt dazu das nationale Referenz­ 10. Die Zusammenarbeit mit der Raumplanung
netz NABO (Nationale Bodenbeobachtung), sowie der Land- und Forstwirtschaft als wich­
das von Kantonen regional ergänzt wird. Ver­ tigen Partnern des Bodenschutzes muss in­
gleichbarkeit und Austauschbarkeit der Da­ tensiviert werden.
ten sollen mittels einer nationalen Datenbank
gewährleistet werden.
Quelle Nach E1dgen6ss1sches Departement für Umwelt Verkehr. Energie und Komrnunikat10n (UVEK) und Bundesamt ror Umwelt (BAFU) 2007 ßoden!'.Chutz Schweiz - ein Le1tbilO

1998 (Schweizerisches Bundesamt für Umwelt, drückt etwa mit „gesundem Boden" umschrieben
Wald und Landschaft 2001) konkretisiert. Schutz­ werden kann, bezieht sich auf die standorttypische
ziel ist hier - in Ergänzung zur Erhaltung offener Bo­ Funktionsfähigkeit eines Bodens, sei es als Lebens­
denflächen im Raumplanungsgesetz - die langfris­ raum, als Grundlage für die Pflanzenproduktion oder
tige Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit. Der Begriff als Teil biogeochemischer Stoffkreisläufe. Der Be­
der „Bodenfruchtbarkeit" ist in der schweizerischen griff der Bodenfruchtbarkeit umfasst auch die lang­
Gesetzgebung weit gefasst. Was populär ausge- fristige Erhaltung der Multifunktionalität und der

Sachplan Fruchtfolgeflächen
Der Sachplan Fruchtfolgeflächen (FFF) wurde einen ganzheitlichen Ansatz und es kommen auch
am 8. April 1992 durch Beschluss des Bundes­ andere raumordnungs- und staatspolitische Zie­
rates erlassen. Er legte für die gesamte Schweiz le - beispielsweise die Erhaltung gesunder Böden
die Ausdehnung der Fruchtfolgeflächen auf oder die Erhaltung von Trenngürteln zwischen den
438 560 ha fest und verteilte Kontingente auf die Siedlungen - zum Tragen, welche die Mehrdimen­
einzelnen Kantone. Die Gesetzgebung zur Raum­ sionalität des Sachplanes FFF erkennen lassen
planung definiert die FFF als ackerfähiges Kul­ (Bundesamt für Raumentwicklung ARE 2006).
turland, v. a. Ackerland und die Kunstwiesen in Die Kantone müssen dafür sorgen, dass die FFF
Rotation sowie ackerfähige Naturwiesen. Sie sind den Landwirtschaftszonen zugeteilt werden. Sie
mit Blick auf die klimatischen Verhältnisse, die müssen sicherstellen, dass der zugewiesene Min­
Beschaffenheit des Bodens und die Geländeform destumfang dauernd erhalten bleibt, und die Ver­
zu bestimmen; zudem sind die Bedürfnisse des änderungen von Lage, Umfang und Qualität der
ökologischen Ausgleichs zu berücksichtigen (Bun­ Fruchtfolgeflächen überwachen.
desamt für Raumentwicklung ARE 2006). Gemäß Der Sachplan FFF hat vielerorts zu einem be­
der Vollzugshilfe zum Sachplan Fruchtfolgeflä­ wussteren Umgang mit Böden und Bodenfläche
chen dient der Sachplan nicht nur dem Schutz geführt und den Stellenwert der Böden in raum­
des agronomisch besonders wertvollen Teils des planerischen Abwägungen bei Nutzungskonflikten
für die landwirtschaftliche Nutzung geeigneten spürbar erhöht. Trotzdem konnte er den stetigen
Kulturlandes der Schweiz und damit der Ernäh­ Verlust an Kulturland bislang nicht entscheidend
rungssicherung des Landes, sondern verfolgt auch verlangsamen oder gar stoppen.
Regenerationsfähigkeit von Böden und damit die Bodenschutzbilanz mit Lichtblicken
Ertragsfähigkeit. Die schweizerische Bodenschutzbilanz fällt zwiespäl­
Weil sich Böden von Belastungen -wenn über­ tig aus. Positiv zu vermerken sind Erfolge in der Ver­
haupt - nur sehr langsam erholen, und großflächige ringerung stofflicher Belastungen, in der Förderung
Bodensanierungen unrealistisch sind, ist die Vorgabe einer multifunktionalen, ökologisch ausgerichteten
der „Langfristigkeit" gleichzeitig eine Verpflichtung, Landwirtschaft, in der Flächensicherung im Natur­
Bodenbelastungen überhaupt zu vermeiden. Das und Landschaftsschutz sowie im höheren Stellenwert
Schwergewicht der Maßnahmen im Bodenschutz in der Siedlungsverdichtung, d.h. der Siedlungsentwick­
der Schweiz liegt daher, mehr noch als in anderen lung nach innen. Insgesamt erfreulich ist der vielfach
Umweltbereichen, bei der Vorsorge. bewusstere Umgang mit der Ressource Boden.
Auf dem Weg zur Nachhaltigkeit ist die Schweiz
Bedeutung des Sachplans Fruchtfolgeflächen allerdings noch nicht am Ziel. Nachholbedarf besteht
Ackerfähiges Kulturland genießt in der Schweiz ei­ namentlich in der Bereitstellung von Wissen über die
nen erhöhten Schutz. In dem vom Bundesrat festge­ Böden -etwa in Form detaillierter Bodenkarten -so­
legten Sachplan Fruchtfolgeflächen FFF (Eidgenös­ wie im Umgang mit physikalischen Belastungen wie
sisches Justiz- und Polizeidepartement et al. 1992) Erosion und Verdichtung speziell in der Landwirt­
ist festgeschrieben, dass es in einem Mindestum­ schaft. Nicht zuletzt könnte die sich abzeichnende
fang dauernd erhalten bleiben muss (s. Exkurs). Klimaänderung mit vermehrten Starkniederschlägen
Ursprünglich diente der Sachplan Fruchtfolgeflä­ die Erosion auf Ackerflächen akzentuieren. Auch
chen durch Erhaltung der für die Landwirtschaft ge­ die Raumordnung muss sich nach wie vor großen
eigneten Flächen der Ernährungssicherung für die Herausforderungen stellen, spielt sie doch in der
Schweiz - heute ist er eines der wenigen wirksamen flächenhaften Erhaltung der Ressource Boden die
Instrumente, um die Erhaltung zumindest eines Schlüsselrolle. Inwieweit es der Schweiz gelingt, die
Teils der landwirtschaftlich genutzten Bodenfläche Bodenbeanspruchung und namentlich den haushäl­
sicherzustellen (Bundesamt für Raumentwicklung terischen Umgang mit der Bodenfläche nachhaltig zu
ARE 2006). gestalten, wird die Zukunft weisen müssen.

Die Alpen - ein sensibles Ökosystem ■ Heinz Veit, Wilfried Haeberli

Die Alpen, sensibel?


Von vielen Ökosystemen wird behauptet, sie seien
sensibel: das Wattenmeer, die Küsten, der tropische
Regenwald und eben auch Hochgebirge, zu denen
die Alpen zählen. Aber inwiefern und wodurch sind
die Alpen „sensibel"? Im allgemeinen Sprachge­
brauch bedeutet dies, dass sie stark auf äußere Ein­
flüsse reagieren, seien diese nun natürlich, wie z.B.
durch den Klimawandel in der Zeit vor dem rasanten
Anstieg der Treibhausgase, oder vom Menschen ver­
ursacht, wie z.B. durch Tourismus oder Land- und
Forstwirtschaft. Das Spezielle am Ökosystem der Al­
pen ist dabei, dass die auslösenden Ursachen und
anfänglichen Veränderungen (z.B. Klima, Landnut­
zung) zwar häufig gar nicht gravierend sind, aber das
System durch eine Reihe von Kettenreaktionen und
Rückkopplungsprozessen stark verändert wird. War­
um ist dies so?
Die Alpen sind, geologisch gesehen, ein relativ
junges Hochgebirge, das sich immer noch mit bis zu
1-2 mm/Jahr hebt. Als Folge dieser Heraushebung
und der erosiven Überformung durch den vielfachen
Wechsel von Kalt- und Warmzeiten haben sie verbrei­
tet ein Steilrelief mit starken Hangneigungen und
hoher Reliefenergie. Hier sind alle Abtragungsprozes­
se, die direkt der Schwerkraft unterliegen, besonders
intensiv. Steinschläge, Felsstürze, Muren, Rutschun­
gen oder Lawinen gehören zum alpinen Lebensraum
und stellen eine fortwährende Bedrohung der Men­
schen und der Infrastrukturen wie z.B. Verkehrswe-
gen und Siedlungen dar (Abb. 16). IAbb.161 Lawinenverbauungen im Berner Oberland.
20

IAbb.171 Der Rh6neglet­


scher im 19. und 20. Jh.,
links im Jahr 1856, rechts
1998.

Durch die vertikale Erstreckung über teils mehrere in internationalen Programmen Untergovernmental
Tausend Meter ändern sich zudem die klimatischen Panel on Climate Change, Global Climate Obser­
Bedingungen mit der Höhe. Pflanzen, Tiere, Verwitte­ ving System) neben den instrumentellen Messun­
rungs- und Abtragungsprozesse sowie Böden passen gen der Luft- und Meeresoberflächentemperatur
sich an diese Änderungen an und bilden charakte­ als natürliche Schlüsselindikatoren im komplexen
ristische Höhenstufen. Da der Übergang von einer Klimasystem gelten (United Nations Environment
Höhenstufe zur nächsten meist thermisch bedingt Programme UNEP 2007).
ist, führen bereits geringe Temperaturschwankungen ■ Permafrost als der „langfristig Unsichtbare" re­
zu deutlich sichtbaren Veränderungen. Am bekann­ agiert außerordentlich langsam, aber auch lang
testen sind hierfür die Gletscher mit ihren starken anhaltend und zudem tief im Inneren der Berge
Volumen- und Längenänderungen (Abb. 17). (Abb.18). Nicht nur die Beobachtung, auch all­
In dieses hoch komplexe Ökosystem greift der fällig notwendige Maßnahmen sind hier schwierig
Mensch seit Jahrtausenden durch Entwaldung, und aufwendig.
Landwirtschaft, Wasserkraftnutzung, Verbauung der
Fließgewässer und Tourismus ein und verändert den Sowohl die Gletscher wie der Permafrost hängen stark
Naturhaushalt. In vielen Bereichen der Alpen gerät von der Entwicklung des Schnees und den damit zu­
das System dadurch aus dem Gleichgewicht, oft sammenhängenden Unberechenbarkeiten ab. Hoch
mit langfristigen Folgen. Die Alpen sind damit ein auflösende Klimamodelle, gekoppelt mit GIS-basierten
sensibles „Frühwarnsystem", in dem sich natürliche räumlichen Simulationen für Schnee und Eis, können
und anthropogene Umweltveränderungen besonders in Zukunft die Folgen komplexer Interaktionen ab­
intensiv und schnell auswirken (vgl. Veit 2002; Bät­ schätzen helfen. Wichtigste Entscheidungsgrundlage
zing 2003). bleibt jedoch die direkte Beobachtung in der Natur.
Im Jahr 2000 bedeckten die Gletscher der Schweiz
Reaktion der Alpen auf den Klimawandel eine Fläche von rund 1050 km 2 , d. h. 2,5 % der Flä­
che der Schweiz (Spreafico & Wei ngartner 2005).
Schnee, Gletscher und Permafrost Etwa die Hälfte des Gletschervolumens (ca. 0,5 %
Das Bild der Alpen als Hochgebirgslandschaft wird pro Jahr) in den europäischen Alpen ist seit der Mitte
durch Schnee und mehr oder weniger „ewiges" Eis des letzten Jahrhunderts bis zur Aufnahme der Glet­
geprägt. Dabei spielen die Kryosphärenkomponen­ scherinventare in den l 970er-Jahren verschwunden.
ten Schnee, Gletscher und Permafrost sehr unter­ Seither und bis zur Jahrtausendwende haben die Al­
schiedliche Rollen (vgl. die Übersichten von Haeber­ pengletscher nochmals etwa ein Viertel des verblei­
li& Maisch 2007, 2008): benden Gesamtvolumens (ca. 1 % pro Jahr) einge­
■ Der stark von kurzfristigen Wetterabläufen abhängi­ büßt, und im ersten Jahrzehnt des 21. Jh. sind die
ge Schnee ist primär eine „nervöse Grenzschicht" Verluste auf etwa 2 % pro Jahr gestiegen (Haeberli
zwischen Himmel und Erde. Mit fortgesetztem at­ et al. 2007). Ursache des Gletscherschwundes ist
mosphärischem Temperaturanstieg könnte langfris­ v. a. der nach der Kleinen Eiszeit bis heute stattfin­
tig unten zu wenig und oben zu viel Schnee fallen. dende Temperaturanstieg. Im Vergleich zur globalen
Die letzten Jahre weisen allerdings auf die erheb­ Erwärmung von rund 0,6 ° C im 20.Jh. war die Er­
liche interannuelle Variabilität der alpinen Schnee­ wärmung im Alpenraum im 20.Jh. mehr als doppelt
verhältnisse (Laternser&Schneebeli 2003) und da­ so hoch (1,2-1,5 °C). Bei einer globalen Erwärmung
mit auf die Unsicherheit solcher Projektionen hin. um 2-3 °C in unserem Jahrhundert könnten die
■ Ein „sicherer Zeiger" sind hingegen die Gletscher, Alpengletscher bis auf kleine Reste im Bereich der
die mit ihrer langfristigen Sehwundtendenz heute höchsten Gipfel verschwinden (Abb. 20).
21

IAbb.181 Blockgletscher
im Binntal.
Erläuterung: Aktive Block­
gletscher sind gut sichtbare
Zeichen für das Auftreten
von Permafrost. Es handelt
sich hierbei um Kriechprozes­
se oder Hangbewegungen im
eisreichen Untergrund. Die
Permafrostverbreitung im
Fels ist wesentlich schwieri­
ger zu erfassen.

Durch die abschmelzenden Gletscher würde dann Schwund der Gletscher entstehen neue Seen, die für
zunehmend ein Regulativ fehlen, das gerade in den die Energieproduktion und den Tourismus attraktiv
trockenen Sommermonaten zum Abfluss beiträgt. Die sein können, die aber auch ein neues Gefahrenpo­
starke Reduktion des Wasserspeichers „Gletscher", tenzial (Hochwasser, Flutwellen, Seeausbrüche) dar­
kombiniert mit trockeneren Sommern, und ein infol­ stellen.
ge der höheren Temperaturen stärkerer Abfluss im Ein Blick in die weiter zurückliegende Vergangen­
Winter hätten massive Auswirkungen auf den Wasser­ heit zeigt, dass die Gletscher bereits seit Jahrtausen­
haushalt und die saisonale Abflussverteilung (Birsan den sehr dynamische Gebilde sind und immer sensi­
et al. 2005; Casassa et al. 2009). Noch bilden die bel auf Klimaschwankungen reagiert haben (Abb. 19).
rund 2000 Schweizer Gletscher ein Wasserreservoir, In der Zukunft dürften Ausmaß und Geschwindigkeit
das mit seinem Anteil von rund 18% in seiner Be­ dieser Vorgänge jedoch weit jenseits historischer
deutung direkt nach den Seen (66, 1 %) kommt. Das Erfahrung liegen und markante Veränderungen der
Abschmelzen der Gletscher führt - ebenso wie das Hochgebirgslandschaft verursachen (Fischlin & Ha­
Abtauen des Permafrostes- durch die Bereitstellung eberli 2008; Haeberli & Hohmann 2008).
von unbewachsenem Lockermaterial zu einer Inten­ Auch der Permafrost, zunächst nicht so sichtbar wie
sivierung von Murtätigkeit und Felsstürzen. Mit dem die Gletscher, reagiert sensibel auf den Klimawandel.

IAbb.191 Veränderungen
Ausdehnung [Jahr] Längeänderung [ml der Zunge des Großen
Aletschgletschers während
der letzten 3200 Jahre.
-lOOO

1926/27
1957

--4000
1130 v. Chr. 615 25 n. Chr. 680 1000 1250 1500 l 750 2000
3000 2500 2000 1500 aBP
Bronzezeit Eisenzeit I Römerzeit 1 Mittelalter Neuzeit
C Geoo"aphisches Institut der Um'leßillt Bern, 2002 Kartographil!: A Broctbeck
°'o 100 -
1

"°'
.....
- gesamte Alpen
-- Schweiz
C: 80
0 ',\ •••• · Italien
\� -- Frankreich

,
� '\ Österreich
Q)
·.. ·, • • • • Deutschland

,
:0
Q) 60
\\ \_
C:
0 .. \
'.' '• ..
:::,
E 40
:::,
-"'
'\
','. \
' \
'
·..· ·.
...
-"' ' '
<(
"' \ \ � .... ....
Q)
.c
u
1

l
\ \
.. ' '
.� 20
'
. --- - -·
.�
-"'

0 �---- �------, -
-
0 2 3 4 5
Temperaturänderung ["Cl

IAbb.19I Modellierter Rückgang der Vergletscherung in den verschiedenen Alpenländern bei verschiedenen Szenarien des Temperaturanstiegs.
Erläuterung: Nicht berücksichtigt sind Niederschlagsänderungen. Das Total von 100% entspricht der Vergletscherung der Referenzperiode (1971-1990),

Er betrifft heute ca. 4-5% der Schweizer Alpen, tritt mer geworden (Harris et al. 2009). Den Gesetzen der
je nach Exposition v. a. in Höhenlagen oberhalb von Wärmediffusion folgend wird sich die entsprechende
ca. 2400m auf. An der Untergrenze seiner Verbreitung thermische Anomalie weiter in die Tiefe, also in den
taut er, und gleichzeitig wird die sommerliche Auftau­ Berg hinein, fortpflanzen (Noetzli&Gruber 2009).
schicht an der Oberfläche mächtiger. Dadurch entste­
hen I nstabi I itäten in vorher gefrorenen Sedimenten Vegetation
wie auch im geklüfteten Fels - mit der Konsequenz Die Vegetation reagiert auf den Klimawandel u. a.
1 Abb. 21 I
Felssturz in von vermehrten großkalibrigen Felsstürzen und Muren mit räumlichen Wanderungen (vertikal und horizon­
Randa, Bezirk Visp im (Abb. 21). In europäischen Gebirgen ist der Permafrost tal) und mit Änderungen in der Zusammensetzung
Wa/lis 1991. in den obersten rund 50 m im 20. Jh. bis zu 2°C wär- von Pflanzengemeinschaften (Biodiversität). Mit
dem Ende der letzten Eiszeit und dem starken Ab­
schmelzen der Gletscher breiteten sich die Pflanzen
von ihren eiszeitlichen Refugien ausgehend wieder
aus, wenn auch mit unterschiedlicher Geschwin­
digkeit. So hat sich die Vegetation über die Jahrtau­
sende immer wieder geändert. Waren es zu Beginn,
im Präboreal, noch vorwiegend Kiefern und Birken,
die das Waldbild dominierten, so begannen sich von
Osten her im Boreal die Fichtenwälder in der mon­
tanen und subalpinen Stufe auszubreiten. In den
Westalpen trat die Fichte verbreitet erst vor ca. 5000
Jahren auf. Eine markante Reaktion auf klimatische
Änderungen ist auch die Waldgrenze (Abb. 22). Sie
hängt im Wesentlichen von der Sommertemperatur
ab und spiegelt somit deren Schwankungen wider. In
den letzten Jahrtausenden kommt der menschliche
Einfluss mit der Rodungstätigkeit hinzu.
Im Zuge des aktuellen Klimawandels lassen sich
eine Vielzahl von Phänomenen beobachten. Die Pflan­
zen wandern durch die Erwärmung nach oben - je
nach Art unterschiedlich schnell. In den letzten Jahr­
zehnten waren bereits Änderungen der Artenzahlen
auf Berggipfeln messbar (Grabherr et al. 1994; Wal­
ther et al. 2005). Manche Arten werden mit der wei­
teren schnellen Erwärmung eventuell gar nicht mehr
Schritt halten können. Die sich nur langsam (meist
vegetativ) ausbreitenden Arten der alpinen Höhenstu­
fe könnten z.B. durch die schnellere Ausbreitung der
subalpinen Sträucher und Gebüsche verdrängt wer­
den. Arten, die bereits heute auf die höchsten Positi­
onen beschränkt sind, könnten lokal völlig verschwin­
den. Prognosen erschwerend kommt hinzu, dass sich
mit der Höhe nicht nur die Temperatur ändert, son­
dern auch der geologische Untergrund, die Böden,
die Schneedecke, die Strahlungsverhältnisse und das
Relief, und dass neben den Temperaturänderungen
auch noch Niederschlagsänderungen, Änderungen
des C02-Gehalts der Luft und Düngungseffekte durch
Luftfremdstoffe berücksichtigt werden müssen.
Mit fortschreitendem Temperaturanstieg in der
Atmosphäre verschieben sich die Höhenstufen also
nicht einfach parallel zueinander, da Teilsysteme
wie „die Gletscher", .,die alpinen Matten" oder „der
Wald" nicht synchron reagieren. Die Höhenstufen
werden sich aber auch nicht einfach verformen (aus­
dehnen/kontrahieren), da einzelne Prozesse wie „Ab­
trag", .,Bodenbildung", .,Veränderungen von Flora und
Fauna" .,Gletscherschmelze" oder „Wärmediffusion
im tieferen Untergrund" innerhalb der verschiedenen
Teilsysteme mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten
ablaufen. Das wahrscheinlichste Szenario ist daher
die Entwicklung von zunehmenden Ungleichgewich­
ten. Um mit der entsprechenden Dynamik angemes­
sen umgehen zu können, muss eine „Wissenschaft
der Ungleichgewichte" entwickelt werden. ■ Die Nutzung der alpinen Wiesen - durch Jäger, als I
1 Abb. 22 Höhenstufen
Hochweiden sowie mittels Brandrodung im Bereich der Alpen, deutlich
Reaktionen auf anthropogene Einflüsse der Waldgrenze - ist bereits aus dem Neolithikum erkennbar ist die Wald­
grenze. Gadmertal, Wen­
Die Alpen werden seit Jahrtausenden vom Menschen bekannt.
dengletscher, Tttlis.
genutzt und stellen heute mit rund 11 Mio. Einwoh­ ■ Zudem führten der Kupferbergbau in der Bronze­
nern das am dichtesten bevölkerte Gebirge der Welt zeit und später der Eisenabbau zu einem großen
dar (Bätzing 2003). Entsprechend stark sind die an­ Holzbedarf für die Verhüttung der Erze und somit
thropogenen Einflüsse auf die Ökosysteme: zu weitflächigen Rodungen.
24

■ Eine abwechslungsreiche Kulturlandschaft erhöht


die Artenvielfalt, starke Düngung führt zum Gegen­
teil.
■ Zu starker Viehbesatz kann Bodenerosion auslösen
(Abb. 23). Bereits kleine Störungen der Grasnarbe
können der Ansatzpunkt für großflächige Erosions­
folgen oder tiefe Erosionsgräben sein. Böden, die
Jahrhunderte bis Jahrtausende für ihre Entwick­
lung gebraucht haben, werden unwiederbringlich
weggespült.
■ Planierte Skipisten mit teils völ I iger Vegetations­
zerstörung in sensiblen Hochlagen oder eine deut­
liche Verkürzung der Vegetationsperiode und eine
Erhöhung des Abflusses durch das Aufbringen von
Kunstschnee führen zu ähnlichen Auswirkungen.
Der Kohlenstoffvorrat in den Böden sinkt, das
Wasserhaltevermögen nimmt ab. Muren bis in die
Tieflagen können die Folge sein, wertvolle Böden
können verloren gehen.
■ Die Gewässer im Alpenraum sind fast alle verbaut,
in Kanäle gezwängt und durch Stauseen reguliert.
Die Abflussverhältnisse (Sehwal !betrieb, Restwas­
sermenge, Ausgleichszonen) ändern sich dadurch
1 Abb. 23 I Zerstörung der ■ In der Römerzeit stieg der Holzbedarf durch die komplett und beeinflussen die Ökologie bis in die
Rasendecke und Bodensa­ Eingliederung des Alpenraums in das Römische Talregionen.
ckungen (Viehgangeln) in Reich erneut, gefolgt von den großen mittelal­
der sensiblen alpinen
Höhenstufe.
terlichen Rodungen im 8.-14.Jh. In diesen Zeit­ Fazit
raum fallen auch die Wanderungsbewegungen der Als Folge der rasch voranschreitenden globalen Er­
Walser, einer alemannischen Volksgruppe, die im wärmungstendenzen besonders in den höchsten Re­
Mittelalter - ausgehend von Regionen im heutigen gionen prägen Verlorenes, aus dem Gleichgewicht
Kanton Wallis - Teile der östlichen Alpenregionen Gebrachtes und neu Aktiviertes die an Intensität
in der Schweiz und im heutigen grenznahen Ös­ zunehmende Dynamik der Landschaft im Hoch­
terreich besiedelten und die Kulturlandschaften gebirge als Lebens-, Erlebens- und Wirtschafts­
durch ihre Wirtschaftsweise nachhaltig prägten. raum. Zieht man in Betracht, wie schnell Gletscher
■ Das 19. Jh. stand im Zeichen des Raubbaus am Ge­ schwinden und wie langsam Böden entstehen, die
birgswald. Als Folge der gleichzeitig auftretenden Waldgrenze steigt oder Wärme in den Untergrund
Überschwemmungen, v. a. der Flutkatastrophe von geleitet wird, so ergibt sich ein mögliches Bild der
1868, kam es 1876 zum Inkrafttreten des Forst­ künftigen alpinen Hochgebirgslandschaft mit weit
polizeigesetzes für den Gebirgswald der Schweiz. ausgedehnter Schuttzone bei langsam abschmel­
Heute breitet sich der Wald in der Schweiz v. a. in zendem Untergrundeis und stellenweise intensi­
den Alpen wieder aus - eine Folge der Auflassung viertem Abtrag durch reduzierte Hangstabilität und
der landwirtschaftlichen Flächen um rund 9 % in häufigere Starkniederschläge und Hochwasser. Der
den letzten 11 Jahren. Begriff der Nachhaltigkeit wird unter solchen Um­
ständen problematisch, wenn nicht gar illusorisch.
Im 20.Jh. verstärkte sich der gegensätzliche Trend Prävention und Adaption werden in solchen Szena­
von Extensivierung und Abwanderung aus vielen Re­ rien komplementäre Notwendigkeiten. Die Komple­
gionen sowie der Intensivierung in anderen Gebieten. xität der sich verändernden, hoch vernetzten Syste­
Im Zuge der Globalisierung werden einerseits endo­ me erfordert dabei eine integrale Betrachtungswei­
gene Ressourcen aus Land- und Forstwirtschaft und se, die, über die Grenzen traditionell-disziplinärer
Rohstoffe entwertet, weil sie im außeralpinen Raum Forschung hinausgehend, die Wissensbasis für eine
viel preiswerter zur Verfügung stehen, andererseits Umwelt wachsender Ungleichgewichte aufbaut. Das
wird die Funktion der Alpen für Erholung, Wasser, Ziel muss sein, die Entwicklung des Systems mit
Energie und Verkehr (Transit) immer bedeutsamer. modernsten Methoden wahrzunehmen, die entspre­
In Gunsträumen wie den gut erreichbaren T älern und chende Information rasch und in geeigneter Weise
ausgewählten Hochlagen herrscht eine starke Kon­ aufzubereiten und an die Entscheidungsträger wei­
zentration und Übernutzung vor. In den großflächigen terzuleiten, sowie mit robusten Modellen mögliche
Ungunsträumen wird dagegen die Nutzung eingestellt. Szenarien für die Zukunft zu simulieren. Die Kom­
Die Reaktionen auf die menschlichen Einflüsse munikation zwischen Alpenforschung und Gesell­
sind vielfältig: schaft muss nicht nur intensiviert, sondern quali­
■ landwirtschaftliche Aktivitäten verändern die Ve­ tativ auf dem Niveau der steigenden Bedürfnisse
getationszusammensetzung. garantiert werden.
25

Geschichte und Politik

1 Abb. 241 Die Rütliwiese


Überblick am südlichen Arm des
Vierwaldstättersees
■ Die ältere Epoche der Schweizer Geschichte (bis 1798) ist im kollektiven Bewusstsein stärker ge­ sagenumwobene Geburts­
wichtet als die jüngere. Die über Bündnisse zwischen Orten und ein schwaches Zentralorgan zusam­ stätte der Eidgenossen­
mengehaltene Eidgenossenschaft war jedoch noch kein einheitliches Gebilde. Einziges Zentralorgan schaft.
bis 1798 war die Tagsatzung, die übrigens oft in Baden tagte.
■ 1848 gelang der Wechsel von einem lockeren Staatenbund zu einem Bundesstaat, der sich über
eine gesamtschweizerische Zusammengehörigkeitsvorstellung als eine Willensnation versteht, die
nicht über gemeinsame Sprache, Konfession oder Ethnie bestimmt ist.
■ Hauptelemente des schweizerischen Politiksystems sind der Föderalismus, die direkte Demokratie
sowie die politische Machtteilung (Konkordanz) - mit dem Bundesrat, dem Zweikammersystem des
Parlaments sowie dem Bundesgericht.
■ Die schweizerische direkte Demokratie kennt, neben den Wahlen in den Nationalrat, auch die Inst­
rumente des obligatorischen und des fakultativen Referendums sowie der Verfassungsinitiative.
■ Die regionale Ausprägung der vier politischen Faktoren „links-rechts", ,,liberal-konservativ", ,,ökolo­
gisch-technokratisch" sowie „traditionell-modern" ist nicht deckungsgleich. Im Bild der Schweizer
Volksabstimmungen nach 2000 ergibt sich eine eher rechts stehende, konservative, aber ökologi­
sche Deutschschweiz, eine sozialstaatlich orientierte, international offenere, aber eher technokra­
tische Westschweiz und eine italienische Schweiz, die sich links und ökologisch positioniert, sich
aber nach außen abschottet.
26

Geschichte der Schweiz ■ Georg Kreis

Geschichte der Schweiz - ein Mythos?


Von der Schweiz sagt man, dass ihre Geschichte Der Rütlischwur -
deshalb besonders wichtig sei, weil das Land seine Beginn der Eidgenossenschaft
nationale Gemeinschaft mangels anderer konstituie­
render Gemeinsamkeiten (Sprache/Religion) v. a. über Der „Rütlischwur", bei dem sich der Sage nach die
eine gemeinsame Vergangenheit definiere. Abgesehen Eidgenossen Walter Fürst aus Uri, Werner Stauffa­
davon, dass sich sehr viele andere Nationen eben­ cher aus Schwyz und Arnold von Melchthal aus Un­
falls über ihre Geschichte verstehen (Flacke 2001), terwalden den ewigen Bund zum Beistand schworen
gibt es im Fall der Schweiz ein spezifisches Problem: und beschlossen, ,,die fremden V ögte" aus dem
Wenn man den Anfang der Schweizer Geschichte mit Land zu vertreiben, ist ein schweizerischer Mythos.
dem 13.Jh. ansetzt, was diskutabel ist, dann entwi­ Tatsächlich erneuerten 1291 Vertreter angesehener
ckelten sich weite Teile der späteren Schweiz wäh­ Familien der Täler Uri und Schwyz sowie aus Nid­
rend beinahe einem halben Jahrtausend (bis 1815) walden ein bereits bestehendes Bündnis (confoede­
außerhalb dieser Alten Eidgenossenschaft. Das tra­ ratio) auf unbefristete Zeit. Es ging um Friedenssi­
ditionelle Geschichtsbild orientiert sich am Modell cherung, den Ausschluss Auswärtiger aus Rechts­
eines kleinen Nukleus, der beinahe teleologisch ei­ streitigkeiten und die Fortführung der bestehenden
nem immanenten Plan entsprechend über stets neue Herrschaftsordnung. Der Bund wurde möglicherwei­
Mitgliedschaften territorial gewachsen ist. Erst das se auch deshalb erneuert, weil nach dem Tod Kö­
nation building des 19. Jh. hat dann dazu geführt, nig Rudolfs von Habsburg 1291 Unruhen erwartet
dass die später Hinzugekommenen die Geschichte wurden. Der Legende nach erfolgte der Schwur auf
der älteren Bündnispartner zu ihrer eigenen gemacht der Rütliwiese am südlichen Arm des Vierwaldstät­
haben. Wie die Algerier in der Schule aufsagten „nos tersees. 1 n den folgenden Jahrhunderten geriet der
ancetres, /es Gaulois" (,,unsere Vorfahren, die Galli­ Bund in Vergessenheit. Rückgreifend auf den heu­
er"), sagten nun die Waadtländer „ nos ancetres de te noch erhaltenen Bundesbrief, der „Gründungs­
Morgarten et Sempach" (,, unsere Vorfahren von Mor­ urkunde" der Eidgenossenschaft, welche auf den
garten und Sempach"), was auf alteidgenössische „Anfang des Monats August" datiert, wurde er am
,,Befreiungskriege" (Schlachten von 1315 und 1386) 1. August 1891 mit dem 600-jährigen Bundesjubi­
Bezug nimmt, die als bäuerliche Aufstände gegen die läum erstmalig gefeiert. Daher auch der 1. August
österreichischen Adligen auch in Norddeutschland, als Nationalfeiertag.
Italien und Osteuropa Signalwirkung hatten.
Der Bundesbrief von 1291 (Abb. 25), eine Verein­
barung, von denen es eine ganze Reihe gab, wurde drei Lokaleinheiten, wie sie - die heutigen Landes­
erst 600 Jahre später aus dem Bedürfnis, keine le­ grenzen überlappend und außerhalb diesen - auch
1 Abb. 25 IDie drei Eidge­ gendäre Rebellion als Ausgangspunkt des eigenen ohne die berühmten Rütli-Eidgenossen immer wieder
nossen mit dem Bundes­
brief von 1291. Monument Staatswesens, sondern eine ordentliche und ordent­ mal abgeschlossen wurden (Sablonier 2008). Das
von James Vibert 1914 im lich dokumentierte Staatsurkunde als Ursprung zu begünstigt das Missverständnis, dass man beim sa­
neuen Parlamentsgebäude haben, zur Gründungscharta erhoben (Kreis 1991). genhaften Rütlischwur die spätere Schweiz vor Augen
der modernen Schweiz. Der Vertrag war ein Verteidigungsversprechen unter hatte (s. Exkurs „Der Rütlischwur"). Anders als bei
der heutigen Europäischen Union war indessen eine
Erweiterungsklausel nicht von Anfang an im Vertrag.

Periodisierungen der Schweizer Geschichte


Die klassische Unterteilung der Schweizer Geschich­
te sieht die folgende Periodisierung vor:
■ eine Unterscheidung zwischen der Zeit der Alten
Eidgenossenschaft bis 1798
■ und der anschließenden, wenn auch nie so be-
nannten Neuen Eidgenossenschaft.

Die Alte Zeit wird auf unterschiedliche Weise struk­


turiert:
■ nach den sog. Bundesbeitritten der Orte,
■ nach Schlachten,
■ nach der Distanzierung vom Heiligen Römischen
Reich Deutscher Nationen zunächst im Schwa­
benkrieg nach 1499, dann in der berühmten
Exemption vom Reich 1648 im Westfälischen
Frieden, als Johann Rudolf Wettstein die formelle
Bestätigung der faktischen Ablösung vom Reich
erreichte, oder
Geschichte der Sahwelz 27

,,.
reformiert
Konfessionen um 1530
katholisch
J; Bischofssitz
ehemaliger Bischofssitz

25 _j 50km jJ

IAbb.261 Konfessionen um 1530.

■ nach dem Eintreten in den seit 1515 stets stär­ 19 gleichberechtigten Kantonen - die „Schweize­
ker werdenden Einflussradius Frankreichs. Dieser rische Eidgenossenschaft".
Nachbarschaft war die Schweiz bis 1870 ausge­ ■ Die Große Restauration 1815-1830. Der Bun­
setzt. Von 1870 bis 1918 rutschte sie dann in das desvertrag von 1815 war ein Vertrag zwischen 24
Magnetfeld des zweiten deutschen Kaiserreichs. souveränen Kantonen und Halbkantonen (Staaten­
bund) der Schweizerischen Eidgenossenschaft und
Eine andere Zäsur bildet die Aufspaltung in zwei bildete die Rechtsgrundlage bis 1848.
konfessionelle Lager in den 1520er-Jahren (Abb. 26) ■ Die Regeneration 1830-1848, die in die Ära des
nach Einführung der Reformation in Zürich bis unge­ modernen Bundesstaats mündet. Prinzipien aus
fähr 1712. Sie bestimmte bis in den konfessionell ge­ der Zeit der Helvetik werden im Zuge kantonaler
prägten Bürgerkrieg von 1847 (.,Sonderbundskrieg") Verfassungsrevisionen wieder aufgegriffen. Die
und nochmals im Kulturkampf in den 1870er-Jahren Zeit ist einerseits durch liberale Reformen und
in hohem Maße die schweizerischen Verhältnisse. Zu­ wirtschaftliche Modernisierung, andererseits aber
letzt war sie noch in der Volksabstimmung von 1973 auch in verschärftem Maß durch konfessionelle
zur Aufhebung der „Jesuiten-Artikel" zu spüren. und politische Gegensätze geprägt.
Die Neue Zeit ist durch folgende Zeitabschnitte ■ Eine weitere Periodisierung orientiert sich an den
gekennzeichnet: Kriegen von 1914-1918 und 1939-1945.
■ Die zentralistische Helvetik von 1798-1803.
Nachdem Frankreichs Truppen 1798 die Schweiz Gegen die meisten dieser Zäsuren lässt sich eine
besetzten, wurde die Alte Eidgenossenschaft der Menge Argumente für andere Einteilungen anfüh­
Helvetischen Republik zunächst durch einen Ein­ ren. Einerseits kann man Kontinuitäten z.B. über die
heitsstaat nach französischem Vorbild abgelöst, in Revolution von 1798 nachweisen, anderseits lassen
dem die Kantone nur noch Verwaltungseinheiten, sich Gleichzeitigkeiten von Unterschiedlichem gera­
nicht mehr Staaten waren. de in der Zeit von 1815-1848 feststellen, oder man
■ Die Kleine Restauration in der sog. Mediationszeit kann mit guten Gründen die Jahre 1938-1948 als
1803-1815. Sie bezeichnet die Umgestaltung der Einheit verstehen (Jost 1998). Ein Beispiel: Die Ein­
zentralistischen Helvetik in einen Staatenbund von führung der obligatorischen Alters- und Hinterblie-
28

benenversicherung (AHV) auf eidgenössischer Ebene te aber im September 1848 zu bleibenden Errungen­
und auf Gesetzesstufe im Mai 1947 kann man als schaften.
Folge des Kriegserlebnisses interpretieren. Sie wurde
aber in der Zwischenkriegszeit vorbereitet- mit einer 1848
ersten Volksabstimmung von 1925 auf Verfassungs­ Die in der Phase der Regeneration a b 1830 von den
stufe und mit konkretisierenden Entwürfen 1938. Liberalen auf kantonaler Ebene schrittweise errun­
Wäre es nicht zum Krieg gekommen, wäre sie viel­ genen Machtübernahmen bildeten einen soliden
leicht schon früher realisiert worden. Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Revolution.
Klare Periodisierungen nach Innovationen sind Zudem wurde schon 1832/33 mit substanziellen
auch darum schwierig, weil viele Erneuerungen zu­ Verfassungsentwürfen eine Art „Vorarbeit" geleistet,
erst auf kantonaler Ebene einsetzten (z. B. das Fa­ welche die weitere Umsetzung 1847 /48 erleichterte.
brikgesetz, das Proporzwahlrecht, das Frauenstimm­ Als vorteilhaft für die Reform erwies sich schließlich,
recht [s. Kap. .,Geschichte und Politik/Schweizeri­ dass die konservativen Kräfte nicht wie im Ausland
sche Demokratie"], Umweltschutzbestimmungen und über Berufstruppen verfügten, die man zur Repressi­
eben die Sozialgesetzgebung wie die AHV und das on von Volksaufständen hätte einsetzen können.
Krankenkassenobligatorium) und die gesamtschwei­ Inwiefern waren die wirtschaftlichen Bedürfnis­
zerischen Lösungen sich erst später durchsetzten. se bei der Schaffung eines gesamtschweizerischen
Die klassische Periodisierung orientiert sich an (Wirtschafts-)Raums der Hauptimpuls? In den
der politischen Geschichte. Andere Periodisierungen l 960er- und l 970er-Jahren unterstrich man unter
können sich etwa an der Verkehrsgeschichte orien­ dem Einfluss des „historischen Materialismus" (der
tieren: am frühen Ausbau des Gotthardtransits im Veränderungen von Produktionsweisen und der Öko­
13. Jh., am vergleichsweise späten Bau der Eisen­ nomie einer Epoche als Triebkräfte gesellschaftlicher
bahnen in der zweiten Hälfte des 19. Jh. sowie an Prozesse sieht) die strukturellen Notwendigkeiten
der Motorisierung des Verkehrs im 20.Jh. Sie können und ökonomischen Zwänge, also die Macht der ei­
aber auch auf der Industrialisierung und der Entwick­ nen erweiterten Binnenmarkt anstrebenden Produk­
lung der Wirtschaftszweige von der Textil- über die tionskräfte (Abschaffung der kantonalen Binnenzölle
Maschinenindustrie zur chemischen Industrie fußen, 1848, Errichtung eines gemeinsamen Außenzolls,
also auf der fortschreitenden Elektrifizierung. Einführung einer gesamtschweizerischen Niederlas­
sungs- und Gewerbefreiheit). Heute kann man auf­
Transnationale und nationale Entwicklungen grund einer differenzierten wirtschaftsgeschichtlichen
Bei der Vermittlung der Schweizer Geschichte steht Betrachtungsweise erkennen, dass von der wirtschaft­
man- wie im Falle jeder anderen Nationalgeschich­ lichen Problematik keine klar programmierende Kraft
te- vor dem Problem, einerseits die allgemeine Ent­ ausging. Es bestand kein gesamtschweizerisches In­
wicklung aufzeigen zu müssen, wie sie auch in an­ teresse an einem freien Binnenmarkt, und es fehlte
deren Ländern in ähnlicher Weise stattgefunden hat, auch der weitgehende Konsens im Bereich der Au­
etwa in der Entwicklung der Kommunikationsmittel ßenhandelsbeziehungen. Die unterschiedlichen Wirt­
(Telegraf, Telefon, Telex, Internet). Anderseits steht schaftsinteressen der Kantone haben als zusätzliches
man vor der Aufgabe, die landesgeschichtliche Va­ Konfliktpotenzial das Projekt der Verfassungsrevision
riante der besonderen Ausgestaltung herauszulesen, eher behindert als gefördert. Es brauchte offenbar
wie etwa in Form der Eisenbahngeschichte (erste den auf keinen weiteren Faktor zurückführbaren poli­
Strecke auf Schweizer Boden 1844 in Basel) mit der tischen Willen zum Nationalstaat als Vehikel zur Ver­
Konsequenz des Parlamentsentscheids von 1852, wirklichung des gesellschaftlichen Aufbaus.
der den Bahnbau den Privatunternehmen überließ, Dieser modernisierende Griff nach der Zukunft
aber kantonale Konzessionserteilungen vorsah, was suchte seine Legitimation auch in der alten Ge­
dann zu speziellen Ergebnissen und Entwicklungen schichte. Es sind nicht die Aristokraten des Ancien
führte. Sodann prägten auch die topographischen Regime (bis 1798), sondern die Bürgerlichen der
Besonderheiten des Alpenlandes (Bau des Gotthard­ neuen Ära, welche die alteidgenössischen Mythen
tunnels in den 1870er-Jahren) die weitere Entwick­ und damit eine „prähistorische" Dimension in das
lung. Eine weitere Folge aus der Kombination von neuzeitliche Massenbewusstsein, in die kollektive
allgemeinen und besonderen Gegebenheiten ist die Identität der Schweiz einbrachten: beispielsweise die
dem vergleichsweise dichten Netz von Flussläufen Geschichten von den bösen Vögten und den arrogan­
entsprechende dezentrale Anordnung der schweize­ ten Rittern, den ehrlichen und tapferen Bauern usw.
rischen Fabrikindustrie und die Vermeidung von gro­ Man kann die 1848 geschaffene Staatsordnung
ßen dicht bevölkerten Industriearbeiter- und Elends­ der Schweiz als Produkt einer maßvollen Revolution
vierteln in den Städten. des „juste milieu" (bürgerliche Mitte) bezeichnen.
Mit Blick auf Europa im 19. Jh. ist ein zentraler, Das Maßhalten fand seinen fassbaren Ausdruck im
weil den modernen Bundesstaat von 1848 ermög­ Verzicht auf einen radikalen Zentralstaat und in der
lichender Vorgang bemerkenswert: In der Schweiz Errichtung der beiden Kammern, dem Rat der indi­
setzte sich im Herbst 1847, mithin einige Monate viduell-nationalen und dem Rat der ständisch-kanto­
vor den europaweiten Revolutionsausbrüchen, die li­ nalen Vertretungen. Die „Revolution" von 1847/48
berale Revolution durch. Dies geschah im Übrigen hatte letztlich weniger revolutionären als stabilisie­
nicht ohne kriegerische Auseinandersetzungen, führ- renden Charakter. Es war eine kontrollierte Revoluti-
on von oben, welche weiteren, wenig kontrollierbaren welche den großen Landesstreik vom November 1918
Revolutionsversuchen entgegenwirkte, wie sie in den als vom Ausland importierten Revolutionsversuch
Freischarenzügen von 1844/45 von unten unternom­ deuteten bzw. auch verunglimpften. Ähnlich verhielt
men worden waren. Einige Radikale waren denn auch es sich mit dem Missverständnis im Falle der faschis­
über das Ergebnis der Revolution von 1848 recht tophilen (,.frontistischen"l Bewegungen, die nicht
enttäuscht. einfach übernahmen ausländischer Bewegungen,
Mit dem Einbau von Reform- bzw. Revisionsme­ sondern zu einem bedeutenden Teil „auf dem eige­
chanismen entstand immerhin ein ziemlich zukunfts­ nen Mist" gewachsen waren. In diesem Fall kann man
tauglicher Staatsgrundriss. 1848 brachte eine Ord­ sogar sagen, dass dem rechtsnationalen Populismus
nung, die es ermöglichte, die Notwendigkeit eines jener Jahre mehr Zulauf beschieden gewesen wäre,
steten Wandels mit den Kontinuitätsanforderungen wenn er nicht durch außenpolitische Verwandtschaf­
eines Staatswesens auf produktive Weise zu kombi­ ten diskreditiert worden wäre. Das nationale Abgren­
nieren. Die weitere Entwicklung vollzog sich kaum zungsbedürfnis bewahrte in diesem Fall vor Schlim­
mehr in Revolutionen, sondern in Transformationen. merem.
Wie bei den meisten Nationalgeschichten wird auch
Söldnerwesen die Schweizer Geschichte gerne als Geschichte von
Zu Beginn des 16. Jh. nahm das Söldnerwesen - der Bedrohungsmomenten und Bewährungsantworten
von der schweizerischen Seite organisierte Fremde verstanden - und alles in allem als success story.
Dienst insbesondere für Frankreich, aber auch für 1848 war tatsächlich ein „success". Die verschie­
viele andere Mächte - größere Ausmaße an. Dies denen Kriege und Kriegsmomente wurden gut über­
ermöglichte eine erwünschte Reduktion des Bevöl­ standen: 1859 der Neuenburger-Konflikt gegenüber
kerungsüberschusses und sicherte erhebliche Ein­ den drohenden Preußen, 1870/71 der deutsch-fran­
kommensrückflüsse. Bekannt sind die Einsätze der zösische Krieg, 1914-1918 der Erste Weltkrieg und
Schweizergarde bei der Verteidigung der Tuillerien 1939-1945 der Zweite Weltkrieg. Obwohl keine Ge­
1792 in Paris und bei der Niederschlagung der libe­ fahr bestand, wurden -mindestens in der Zeit selbst­
ralen Revolution von 1830 ebenfalls in der französi­ die Jahre des Kalten Krieges (1948 bis in die 1960er­
schen Hauptstadt. Nach 1848 wurden die Fremden Jahre) als Bedrohungsjahre verstanden, in denen man
Dienste in Etappen, 1859 definitiv verboten. Die auf mitten in Europa mit enormem militärischem und po­
das Jahr 1505 zurückgehende Garde für den Papst lizeilichem Aufwand (Staatsschutz) den kleinen „Al­
besteht dagegen bis heute. penstaat" glaubte schützen zu müssen. Groß waren
Empörung, Anteilnahme und Hilfsbereitschaft gegen­
Sonderweg über den Opfern der sowjetischen Repression 1956 in
Sowohl im Selbst- wie im Fremdverständnis spielt Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei. Flüchtlin­
die Kategorie des „Sonderwegs" eine wichtige Rol­ ge aus Vietnam und Chile wurden nicht mehr mit der
le. Das angeblich oder tatsächlich Besondere ergibt gleichen Begeisterung aufgenommen, weil sie nicht
sich aus Vergleichen mit den Nachbarstaaten und aus dem europäischen West-Ost-Gegensatz hervorgin­
-gesellschaften. Man denkt da insbesondere an die gen und außereuropäischer Herkunft waren.
plurikulturelle Struktur der Schweiz. Es ist aber fest­
zuhalten, dass die Schweiz soziokulturell nicht viel­ Armee
fältiger ist als andere Gesellschaften, dass aber die Die schweizerische Militärorganisation leistete, ab­
binnenstaatlichen Strukturen der Eidgenossenschaft gesehen von ihrem zentralen Auftrag der Landesver­
dieser Vielfalt mehr Rechnung tragen (vgl. auch Kap. teidigung, einen wichtigen Beitrag zum Staatsaufbau
„Bevölkerung, Kultur und Gesellschaft/Vielfalt in im 19. Jh. Einerseits verstand man das moderne
kleinem Land"). In Fortführung der Hinweise im vor­ Wehrwesen als Statthalter des alteidgenössischen
angegangenen Abschnitt stellt sich die Frage, inwie­ Kriegertums, anderseits förderte die Armee die Ko­
fern die schweizerische Entwicklung gleichsam aus häsion zwischen den Landesteilen und bis zu ei­
sich selbst hervorging oder durch „fremde" Einflüsse nem gewissen Grad zwischen den sozialen Klassen.
bestimmt war oder, bei einer leicht anderen Frage­ Mithilfe der allgemeinen Dienstpflicht konnte auch
stellung, was sie im Guten wie im Schlechten Europa eine minimale Erziehung des männlichen Volks z.B.
verdankte und was sie - umgekehrt - diesem gleich­ in Hygienefragen sichergestellt werden. Und über
sam zur Verfügung stellte. Das 1863/64 geschaffene die jährlichen „pädagogischen Rekrutenprüfungen"
"Rote Kreuz" etwa hat den Status eines schweizeri­ wurde das Bildungsniveau der Kantone gemessen,
schen „Geschenks an die Welt". was - wie heute bei PISA (Programme for Interna­
Umgekehrt besteht die Tendenz, negative Erschei­ tional Student Assessment) - einen gewissen Wettbe­
nungen (wie in unserer Zeit etwa die Vogelgrippe) als werbseffekt in sich trug. Das „Milizsystem" mit der
Ansteckungen des Auslands zu verstehen. Sicher hat­ allgemeinen Wehrpflicht und der außerdienstlichen
ten stärkere und frühere Bewegungen des Auslands Weiterbildung wurde auch für zivile Engagements in
zuweilen eine gewisse Vorbildwirkung. Die Resonanz der Schweiz zum Modell, insbesondere für die Über­
dieser Vorbilder muss man aber aus den endogenen nahme öffentlicher Ämter, die meist neben einem
Landesverhältnissen erklären, und die politische Beruf ausgeübt werden.
Verantwortung für allfällige Nachahmungen hat man Die Fähigkeit zur nationalen Selbstverteidigung
ohnehin stets selber. So griffen die Interpretationen, bildete eine Voraussetzung für die Glaubwürdigkeit
30

der Neutralität (vgl. unten). Es herrscht die Über­ Neutralität wird das Verdienst zugesprochen, dass die
zeugung, dass die Armee in beiden Weltkriegen Schweiz auch im Zweiten Weltkrieg unversehrt blieb.
ihre Funktion erfüllt hat. Diese bestand v. a. in der Die seit dem Ersten Weltkrieg bestehende und bis
Abschreckung bzw. im Kalkül, dass eine Besetzung in die Jahre des Kalten Krieges andauernde ideolo­
einen uninteressanten hohen Eintrittspreis kosten gische Überhöhung der Neutralität erfuhr zu Beginn
würde. Allgemein (auch in der Schweiz) rechnete der l 990er-Jahre wiederum eine Reduktion auf den
man 1940 nicht mit einem Widerstand, der über ein völkerrechtlichen Kerngehalt. Im August 1990 erklär­
paar Tage hinaus gegangen wäre. Hinzu kam, dass te sich die Schweiz bereit, (wie zu Völkerbundszeiten
NS-Deutschland, das als einziger Aggressor infrage bis 1938) an den Wirtschaftssanktionen der UNO - in
gekommen wäre, bereits über fast alles verfügte, was diesem Fall gegen den Irak- teilzunehmen. Inzwi­
man von der Schweiz brauchte (z.B. Rüstungsexport, schen sieht man in der Neutralität nicht mehr ein
Gütertransit nach Italien, Finanzdrehscheibe). zwingendes Hindernis für vermehrte Militärkooperati­
War das Ansehen der Armee bis in die 1950er-Jah­ on mit dem Ausland. Die Beteiligung an unterstützen­
re unbestritten, erhielt sie in den folgenden Jahren den, aber nicht an kombattanten Blauhelm-Einsätzen
die Züge einer „Heiligen Kuh". Dennoch oder gera­ ist möglich, und es gibt eine NATO-Kooperation im
de deswegen wurde auf dem Weg der Volksinitiative Rahmen der Partnership for Peace. Offiziel I ist die
deren Abschaffung verlangt. In der Volksabstimmung Neutralität auch kein Hindernis mehr für einen EU­
von 1989 erwies sich jedoch, dass der Anteil der Beitritt. Allerdings wird nun gerne in dem Maß, wie
Befürworter dieser Liquidation bemerkenswert hoch die Neutralität diese Hindernisfunktion eingebüßt
war, insbesondere in der Altersklasse, die im Ernstfall hat, in der direkten Demokratie (und etwas abge­
zur kämpfenden Truppe gehört hätte. Die Armee mit schwächt im Föderalismus) ein fundamentales Hin­
obligatorischer Wehrdienstpflicht für Männer besteht dernis für eine EU-Mitgliedschaft gesehen (vgl. Kap.
bis heute und ist dem eidgenössischen Departement .,Die Schweiz in der Welt/Schweiz und Europa").
für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport zu­
geordnet. Frauenstimmrecht
Vorsprung konnte auch Rückstand zur Folge haben.
Neutralität Das demokratische Mitspracherecht der Männer bil­
Die Neutralität bildet eine zentrale, zwischen Selbst­ dete für die Einführung des Frauenstimmrechts ein
und Fremdbestimmung oszillierende Politikkatego­ Hindernis. Wäre die Frage vom Parlament alleine -
rie. Sie ist darum „zentral", weil sie als dem Wesen ohne Beteiligung des Stimmvolks - entschieden wor­
der Schweiz entsprechend verstanden wird, weil sie den, wäre die Gleichstellung der Frauen in staats­
Teil der sog. Identität ist und darum, mythologisiert, politischen Rechten „schon" in den 1950er-Jahren
auch als älter angenommen wird, als sie ist. Die Neu­ eingeführt worden.
tralität gründet teilweise auf eigener Einsicht, auf Erste, ablehnende Abstimmungen fanden 1919/21
„weiser Selbstbeschränkung", nachdem sich in den statt. Die Einführung des Frauenstimmrechts über das
italienischen Feldzügen (Marignano 1515) im frü­ Plebiszit war schließlich nach gescheitertem Anlauf
hen 16.Jh. gezeigt hatte, dass man an die Grenzen 1959 - auf gesamtschweizerischer Ebene - erst 1971
v. a. der logistischen Kapazität gestoßen war, jedoch erfolgreich. Auf kantonaler und kommunaler Ebene
auch darauf, dass die innere religiöse und politische gingen einzelne Teile der Schweiz voraus. Den Anfang
Spaltung ein direktes und gemeinsames militärisches machten Kantone der französischen Schweiz, die in
Eingreifen im Ausland nicht mehr zuließ. diesen Fragen aufgeschlossener waren (Waadt und
Teilweise ist die Neutralität aber auch auf eine Rol­ Neuenburg/Neuchätel 1959, Genf 1960). Die politi­
lenzuteilung durch fremde Mächte zurückzuführen. sche Gleichstellung von Mann und Frau hinsichtlich
Deutlich wird dies in den Entscheiden des Wiener des Stimmrechts bedeutete aber bloß einen Teilerfolg.
Kongresses (bzw. des Pariser Friedens von 1814). 1981 musste man - gegen die rechtsnationalen Kräfte
Damals wurde die Neutralität bzw. die Nichtzugehö­ mit dem späteren Bundesrat Christoph Blocher an der
rigkeit zu einer anderen Macht als „im Interesse Eu­ Spitze - um die Verankerung des Gleichheitsprinzips
ropas" definiert. Eine ideologisierte Aufwertung erfuhr in der Verfassung kämpfen (zur Gleichstellung in der
die Neutralität erst gegen Ende des 19. Jh. im Kontext Schweiz s. Kap... soziale Disparitäten und Exklusion/
der Mächterivalitäten unter den Nachbarnationen. Geschlechterungleichheiten in der Schweiz").
Da die Neutralität primär als außenpolitische Maxi­
me verstanden wird, übersieht man gerne die mindes­ Verfassungsfragen
tens ebenso wichtige innenpolitische Funktion: Die Wegen der direkten Demokratie besteht in der
außenpolitische Enthaltsamkeit ersparte der Schweiz Schweiz eine besondere Grundeinstellung zur Ver­
innenpolitische Kontroversen über differierende au­ fassung. Das Grundgesetz steht grundsätzlich nicht
ßenpolitische Interessen, sie stand also im Dienste über dem Bürger und der Bürgerin, vielmehr ist es
der nationalen Kohäsion. Wie wichtig diese war, zeig­ geradezu umgekehrt. Dies lässt sich aus Äußerungen
ten die ersten Monate nach dem Kriegsausbruch von heraushören, welche über eine unbequeme Verfas­
1914, als unter Preisgabe des Prinzips der Unpartei­ sungsnorm leichthin sagen, dass man diese, wenn
lichkeit die beiden großen Landesteile in entgegen­ sie störe, eben abändern werde. Seit 1848 gibt es
gesetzter Richtung mit den kriegführenden Nachbarn die Möglichkeit, Teil- oder Totalrevisionen der Bun­
Deutschland und Frankreich sympathisierten. Der desverfassung anzustreben. Eine erste Totalrevisi-
31

an kam 1874 zustande, eine zweite wurde in den er dem Staatswesen und der politischen Geschichte
l 930er-Jahre von rechtsnationalen Kräften (erfolg­ in traditioneller Weise scheinbar zu viel Beachtung
los) angestrebt, ein groß angelegter Versuch in den schenkte und die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
l 960er-/l 970er-Jahren scheiterte, wei I er zu pro­ vernachlässigte. Darum zog man es vor, von Regional­
gressiv war. In den 1990er-Jahren gelang eine mo­ geschichte zu sprechen. Der Regionenbegriff konnte
deratere Reform unter dem besänftigenden Titel der auch für sich in Anspruch nehmen, den wirklichen
,, Nachführung" (Kreis 2009). Gegebenheiten, die sich teilweise mit Agglomerati­
onsbildung über alte Staatsstrukturen hinwegsetzten,
Kantone und Gemeinden eher zu entsprechen. Daneben genossen die Ortsge­
Es gibt zwar so etwas wie eine umfassende Schweizer schichten, ob in traditioneller Weise verfasst oder
Geschichte, aber ein großer Teil der Geschichte des methodologisch auf neuestem wissenschaftlichem
Staatenbundes vor 1848 sowie des Staatenbundes Stand, anhaltende Beliebtheit.
seit 1848 besteht aus den 22 oder, wenn die Halb­ Die kantonalen Territorien werden gerne als bei­
kantonsverhältnisse berücksichtigt werden, aus 25 nahe naturgewachsen und mindestens als historisch
einzelnen Kantonsgeschichten. Der Jura kam 1978 gegeben verstanden, obwohl sie „künstlich", d. h. po­
als 26. Kanton hinzu. litische Artefakte, sind. In den letzten Jahren war die
Die Bedeutung der Kantone als Staaten spiegelt Gebietsreform zwar ein beliebtes Medien- und Poli­
sich immer noch in der Tatsache, dass sich ein gro­ tikerthema und nach längerer Vorbereitungszeit kam
ßer Teil der Historiographie auf dieser Ebene abspielt es 2002 sogar zu einer Abstimmung über die Fusion
und die meisten Kantone stattliche und substanziel­ der Kantone Waadt und Genf, doch wurde diese mit
le Kantonsgeschichten haben, während es dazu auf 77 -80 % deutlich abgelehnt.
gesamtschweizerischer Ebene kaum Entsprechungen Ganz anders verhalten sich die Dinge bei den Ge­
gibt. Die Kantone haben keine Mühe, die Erarbeitung meindefusionen. Obwohl die Gemeindefreiheit z. T.
oder Überarbeitung ihrer Kantonsgeschichten mit be­ auch mit (falscher) historischer Argumentation als
trächtlichen Mitteln offiziell in Auftrag zu geben - die Grundelement der Eidgenossenschaft bezeichnet wird
analoge Erteilung eines entsprechenden Auftrags für und auf den Landesausstellungen stolz die Fähnchen
eine gesamtschweizerische „Staatsgeschichte" ist der vormals über 3000 Gemeinden gezeigt wurden, re­
dagegen völlig undenkbar. Immerhin arbeitet man duzierte sich die Zahl der Gemeinden infolge von Fusio­
zurzeit mit beträchtlichen Bundesmitteln an der He­ nen rasant auf derzeit weniger als 2600, und ein Ende
rausgabe eines 13-bändigen „Historischen Lexikons ist nicht abzusehen. Die Ursache sind wirtschaftliche
der Schweiz", von denen sechs Bände bereits er­ Überlegungen sowie der Mangel an politischem Perso­
schienen sind. Doch auch da nehmen die Kantonsge­ nal, das für die Selbstverwaltung nötig ist. Zum Teil
schichten viel Platz ein, eine Schweizer Geschichte bestehen auf kantonaler Ebene ähnliche Gegebenhei­
als solche wird darin nicht zu finden sein. ten, doch lösen sie nicht die gleiche Reformbereit­
Der Begriff der Kantonsgeschichte war jedoch in schaft aus.
der Historiographie auch vorübergehend verpönt, weil

Schweizerische Demokratie: Institutionen - Prozesse - Perspektiven ■ Wolf Linder

Die Staatsgründung von 1848 - der Hindernisse der Staatsgründung verlangte Zeit.
multikulturell und von unten 1798, nach der Besetzung durch die französischen
Die Schweiz ist eine „Willensnation", die weder Revolutionstruppen, war die Alte Eidgenossenschaft
ethisch, noch sprachlich oder religiös gesehen, eine untergegangen. Napoleons Versuch, aus den Kanto­
Einheit bildet. Sie ist seit 1848 ein Bundesstaat nen einen Einheitsstaat (1798) oder wenigstens eine
und damit nach den USA der zweitälteste der Welt Föderation (1803) zu machen, scheiterte. 1815,
(www. admin. eh, Schweizerische Eidgenossenschaft nach dem Ende der Französischen Revolution, ver­
2008). Die Geschichte der modernen Schweiz be­ langten die Kantone ihre Eigenstaatlichkeit zurück
ginnt mit der Bundesverfassung von 1848 (Kölz und verbanden sich wie früher mit einem bloßen
1992). Die damals souveränen Kantone fanden sich Vertrag zur gegenseitigen Hilfe und zur Sicherung
bereit, einen gemeinsamen Staat zu gründen und ei­ der gemeinsamen Unabhängigkeit (Kästli 1998). Ab
nen Teil ihrer Hoheitsrechte an einen föderalen Staat 1830 kam es in mehreren Kantonen zu einer Demo­
abzugeben. Dass es dazu kam, war nicht selbstver­ kratisierungsbewegung, und die Industrialisierung rief
ständlich, denn es gab kein einheitliches Staatsvolk. nach einem größeren Markt ohne kantonale Grenzen.
Die Kantone waren von unterschiedlicher Geschichte, Die Gründung des Nationalstaats hatte dennoch
Kultur, Sprache oder Religion geprägt, und alle muss­ große Interessengegensätze zwischen länd I ichen
ten unter dem gleichen Dach gleichberechtigt zu­ und städtischen, katholischen und protestantischen
sammenfinden. Darum bestimmte die Verfassung von Kantonen zu überwinden. Eine Absetzbewegung der
1848, dass die Eidgenossenschaft aus den Kantonen katholischen Kantone 1847 wandte sich gegen einen
und ihren Völkern bestehe. Das Konzept dieses Staats gemeinsamen Staat. Sie wurde im Sonderbundskrieg
war damit multikulturell angelegt. Die Überwindung von 1847 nach kurzen Scharmützeln mit der Nieder-
32

1 Abb. 27 I Bundeshaus
Bern.

lage der Katholiken beendet. Das öffnete der libera­ gebende, ausführende und richterliche Behörden. Die
len, eher städtischen und protestantischen Mehrheit Kantone haben ihre eigene Verfassung; der Bestand
den Weg. Ihr Verfassungsvorschlag wurde 1848 von der Gemeinden ist durch die Verfassung garantiert.
der Mehrheit der Kantone - zumeist in Volksabstim­ Kantone und Gemeinden organisieren sich selbst, er­
mungen - angenommen (Ernst 1998). Das bedeu­ heben eigene Steuern und verfügen damit über einen
tete - im Gegensatz zu Napoleons Versuchen - eine hohen Grad politischer Autonomie. Die Autonomie
Staatsgründung von unten. Die Kantone und ihre der Gemeinden in protestantischen, französischspra­
Gemeinden behielten die meisten Kompetenzen. chigen Kantonen ist bedeutend geringer als in den
Dem Bund wurden nur wenige Kompetenzen über­ deutschsprachigen. Dies, und die geringere Bedeu­
tragen. Bis heute ist der schweizerische Staat sehr tung der direkten Demokratie, gehören zu den wich­
wenig zentralisiert, was zwei Gründe hat: Zunächst tigsten institutionellen Unterschieden zwischen den
bestimmt die Bundesverfassung, dass neue Aufgaben Kantonen der Deutschschweiz und der Romandie.
und Kompetenzen dem Bund nur dann übertragen Wesentliches Kennzeichen des schweizerischen
werden, wenn neben einer Volksmehrheit auch die Föderalismus ist die starke Beteiligung der Kanto­
Mehrheit der Kantone zustimmt. Sodann verbinden ne an der Willensbildung des Bundes. Föderalismus
sich in der Schweiz Ideen des Liberalismus mit der verteilt staatliche Macht auf verschiedene Ebenen,
Idee der Subsidiarität: Der Staat soll nur jene Aufga­ soll in der Schweiz aber auch dem Schutz der ver­
ben übernehmen, welche die Kräfte von Wirtschaft, schiedenen Sprachen und Kulturen sowie dem wirt­
Familie oder Gesellschaft übersteigen, und im Staat schaftlichen Ausgleich der verschiedenen Regionen
soll die Gemeinde zuerst tätig werden, bevor Kanton dienen. Die Kantone wirken v. a. bei Konsultationen
oder Bund eingreifen. Die Idee des Staatsaufbaus zu Gesetzgebungsprojekten oder vor internationalen
von unten hat sich nicht nur in der geringen Zent­ Verhandlungen, im Zweikammersystem des Parla­
ralisierung erhalten, sondern auch in der politischen ments und im Rahmen von Volksabstimmungen mit,
Kultur oder in den Eigenheiten des schweizerischen in denen neben dem Volksmehr auch das Stände­
Bürgerrechts. Wer das Bürgerrecht als Ausländer er­ mehr (Mehrheit der Kantone) zu beachten ist.
werben will, muss es zuerst in seiner Wohngemeinde
und dann in seinem Wohnkanton erhalten, bevor ihm Die Behörden des Bundes
der Schweizer Pass ausgestellt wird.
Das Parlament (Legislative)
Föderalismus Die Schweiz verfügt über ein gleichberechtigtes
Der schweizerische Föderalismus organisiert den Zweikammersystem (Lüthi 2006): den Nationalrat
schweizerischen Staat auf drei Ebenen: den Bund, und den Ständerat (Abb. 27, Abb. 28, Abb. 29).
die 26 Kantone (Vatter 2002) und die rund 2600 Ge­ Der Nationalrat (Große Kammer, 200 Sitze) vertritt
meinden (Horber-Papazian 2006). Sie teilen sich die das Volk. Wahlkreise sind die Kantone, wobei die Zahl
öffentlichen Aufgaben. Alle drei Ebenen sind gewal­ der Sitze gemäß der Bevölkerungsgröße zugewiesen
tenteilig aufgebaut, verfügen also jeweils über gesetz- wird. Der bevölkerungsreichste Kanton - Zürich mit
33

über 1 Mio. Einwohnern - stellt 34 Nationalräte, wäh­ Die schweizerischen Parlamente bezeichnen sich
rend einige Kleinkantone wie Uri, Glarus, Ob- und durchwegs als Milizparlamente, deren Mitglieder ne­
Nidwalden auf einen einzigen Sitz kommen. Gewählt benberuflich tätig sind. De facto sind die eidgenös­
wird nach dem Proportionalsystem, das insgesamt sischen Räte ein halbprofessionelles Parlament, das
zu einer Zusammensetzung der Volkskammer führt, seine Arbeitsbedingungen und -fähigkeiten durch ver­
die der Wahlstärke der einzelnen Parteien entspricht schiedene Reformen stark denjenigen von Berufsparla­
(Lutz&Selb 2006). menten angeglichen hat. Beide Kammern beraten die
Im Ständerat (Kleine oder Ständekammer, 46 Sit­ gleichen Geschäfte und Gesetzesvorlagen. Die meisten
ze) sind die 20 Vollkantone mit je zwei, die sechs Vorlagen sind von der Regierung vorbereitet. Das Par­
Halbkantone (Appenzell Inner- und Außerrhoden, lament und seine Kommissionen können aber auch
Basel Stadt und Land, Ob- und Nidwalden) mit je selbstständig Vorlagen ausarbeiten und beschließen.
einer Stimme vertreten. Anders als im Nationalrat
sind die Kantone nach dem föderalistischen Prinzip Der Bundesrat (Exekutive)
der Gleichwertigkeit der Gliedstaaten vertreten. Das Die Landesregierung besteht aus sieben gleichberech­
begünstigt die kleinen Kantone: 23 Mitglieder des tigten Mitgliedern (Klöti 2006). Sie werden in einer
Ständerats aus den kleinsten Kantonen können eine gemeinsamen Sitzung von National- und Ständerat,
Sperrminorität bilden, vertreten dabei aber nur rund der Vereinigten Bundesversammlung, gewählt. Die
20 % der Bevölkerung. Gesamterneuerung erfolgt alle vier Jahre, Teilerneu-

1 Abb. 28 IStänderatssaal
... Wahl (links) und Nationalrats­
Volk
.,_ Kontrolle saal (rechts) im Bundes­
(Souverän) (Geschäftsprüfungskommission) haus in Bern.

l
+- Vorschlag (Volk: Volksinitiative;
Regierung: Gesetzesvorschlag;
Parlamente Motion betr.
Amtsführung)
.,_ Diskussion (Debatte: zwischen
Bundesverfassung den Parlamentskammern:
Differenzberernigung)
(.,Grundgesetz")
... Beschluss (Gesetze unterstehen
dem obligatorischen oder

t
fakultativen Referendum)

Regierung Zweikammer-Parlament
Bundesrat
(7 Mitglieder) Ständerat __., Bundesgericht
davon 1 Bundespräsident - (kleine Kammer,
(abwechselnd für 1 Jahr) 46 Mitglieder)

Bundes- Verord-
verwa ltung nungen
Bundesgesetze 1 Abb. 291Der politische
Aufbau in der Schweiz
und die Kompetenzen.
34

erungen bei vorzeitigem Rücktritt von einzelnen Mit­ dem Volksmehr der abgegebenen Stimmen muss das
gliedern. Die Mitglieder des Bundesrats werden ein­ Ständemehr von 12 Stimmen erreicht werden. Dabei
zeln gewählt; erforderlich ist das absolute Mehr der gilt jeder annehmende Vollkanton als eine Stimme,
stimmenden Räte. Es gibt kein Misstrauensvotum ge­ jeder Halbkanton als halbe Stimme.
gen den Bundesrat, das die Regierung stürzen könnte. Dem obligatorischen Referendum untersteht auch
Das macht Regierung und Parlament voneinander un­ der Beitritt zu supranationalen Organisationen wie
abhängiger als beispielsweise im parlamentarischen z.B. zu den Vereinten Nationen.
System Deutschlands. Die Mitglieder des Bundesrates
führen je ein Ministerium (Departement) und verhan­ Das (fakultative) Gesetzesreferendum
deln als Kollegium gleichberechtigt die gemeinsamen Gegen jede Gesetzesänderung, die das Parlament be­
Regierungsgeschäfte. Eines der Mitglieder wird von schließt, kann innerhalb von 100 Tagen durch das
der Bundesversammlung jeweils für ein Jahr zum Re­ Sammeln von 50000 Unterschriften ein Referendum
gierungspräsidenten gewählt, der auch die Rolle des verlangt werden. Verstreicht diese Frist ungenutzt,
Staatspräsidenten übernimmt. Die Schweiz kennt we­ so tritt der Parlamentsbeschluss in Kraft. Wird das
der das dauerhafte Amt eines Staatspräsidenten noch Referendum hingegen von 50 000 Bürgerinnen und
dasjenige eines Regierungschefs mit Weisungsrechten Bürgern verlangt, findet eine Volksabstimmung über
gegenüber den anderen Ministern. das Gesetz statt. Für die Annahme oder Verwerfung
der Vorlage zählt nur das Volksmehr.
Das Bundesgericht (Judikative) Dem fakultativen Referendum unterstehen neben
Das Bundesgericht mit Sitz in Lausanne und Luzern den Gesetzen auch wichtigere völkerrechtliche Verträge.
ist das Verfassungsgericht und die letzte Instanz für
die meisten Angelegenheiten des öffentlichen Rechts Die Volksinitiative
sowie des Zivil-, Prozess- und Strafrechts, die vorher Mit 100000 Unterschriften können die Bürgerinnen
auf unterer Stufe der Bezirks- und Kantonsgerichte und Bürger ein Volksbegehren auf Änderung der Ver­
entschieden werden. Die Verfassungsgerichtsbarkeit fassung einreichen. Regierung und Parlament neh­
für die eidgenössischen Gesetze ist beschränkt, da men Stellung zum Volksbegehren und unterbreiten
sie nur in der Anwendung, nicht aber der abstrak­ es mit einer Empfehlung der Volksabstimmung. Zur
ten Normenkontrolle dem Bundesgericht unterstehen Annahme des Volksbegehrens ist analog zum Verfas­
(Kälin & Rothmayr 2006). sungsreferendum das doppelte Mehr erforderlich.

-----------------------------" Zusammenfassung
Wahlrecht Wahl des National- und des Ständerats t E Die schweizerische Stimmbürgerschaft entscheidet
.x
obligatorisches Referendum bei Verfassungsänderungen E jährlich über rund zehn Referenden und Volksiniti­
Stimmrecht liativen; Vorlagen in den Kantonen und Gemeinden
fakultatives Referendum bei Änderungen von Gesetzen
1 nitiativrecht Volksinitiative: il.hommen hinzu. Direkte Demokratie ersetzt die parla­
(,.Forderungen stellen") innerhalb von 18 Monaten 100 000 Unterschriften �lmentarische Demokratie nicht, sondern ergänzt sie.
fakultatives Referendum sofern innerhalb von 100 Tagen)�So wird nur etwa gegen 7% der Gesetzesvorlagen ein
Referendumsrecht rgReferendum verlangt, und nur rund 10% der Volksin­
(.,So nicht!") nach Publikation des Erlasses (Bundesgesetz, Bundesbe­
;= itiativen haben direkten Erfolg. Das obligatorische Re­
schluss, gewisse Staatsverträge) 50000 Unterschriften
ITab. SI Mitbestimmungsrechte des Schweizer Volks im Überblick.
!i
ferendum hat jedoch langfristig die Entwicklung des
J �Verfassungssystems stark geprägt. Nichtzentra I isie­
rung, ein kleiner Anteil an den Gesamteinnahmen und
Direkte Demokratie -ausgaben des föderalen Systems, ein relativ beschei­
Die Bürgerinnen und Bürger der Schweiz besitzen dener Sozialstaat mit bescheidener Verwaltung sowie
nicht nur Wahlrechte, sondern zusätzlich das Recht eine zurückhaltende Außenpolitik im Zeichen der po­
auf die Letztentscheidung über die Änderungen von litischen Neutralität sind von der direkten Demokratie
Gesetz und Verfassung (Linder 2005; Tab. 5). Die geprägt, die nur kleinere Innovationsschritte zulässt.
Abstimmungsdemokratie entstand gleichzeitig mit
den frühen Demokratisierungsbewegungen der Kan­ Machtteilung (Konkordanz)
tone in der ersten Hälfte des 19. Jh. und hat sich Seit 1959 bis 2007 bestand die schweizerische Re­
in der Folge auf allen Ebenen durchgesetzt. Sie ist gierung aus einer Koalition der vier Regierungspar­
v. a. ein Oppositionsinstrument gegen die Politik der teien: der Schweizerischen Volkspartei (SVP), der
Behörden (Linder et al. 2009). Ihre wichtigsten For­ Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP), der Christ­
men beim Bund sind: lich-Demokratischen Volkspartei (CVP) sowie der
■ das (obligatorische) Verfassungsreferendum Sozialdemokratischen Partei (SP). Sie repräsentierte
■ das (fakultative) Gesetzesreferendum rund drei Viertel der schweizerischen Wählerschaft,
■ die Volksintiative. befindet sich zur Zeit aber im Umbruch.
Für die dauerhafte Zusammenarbeit der Regie­
Das (obligatorische) Verfassungsreferendum rungsparteien gibt es mehrere Gründe:
Jede Änderung der Bundesverfassung muss Volk und ■ Die föderalistischen Gegensätze und die starke
Ständen zur Abstimmung unterbreitet werden. Zur Stellung der Kantone setzten der Zentralgewalt von
Annahme ist das doppelte Mehr erforderlich: Neben Anfang an enge Grenzen.
Schweizerische Demokratie: Institutionen - Prozesse - Perspektiven 35

IAbb.301 Politische Ent­


Vollzugskomplex Vorparlamentarischer Entscheidungsprozess scheidungsprozesse in der
Schweiz.
Departemente, Ämter Vollzugsbeteiligte, 1 nteressensgruppen,
Beauftragte Dritte, Private, Kantonale beratende Kommissionen
Expertenkommissionen des Bundesrates

starke informelle Kontakte

Antrag auf
Venrdnwrr1F- �
u �Tlull!SI? flll tlns

Vollzug Vorprojekt

r
1)3 e11l� :d /l I e/, deSBLl nfäs
be I r;:i�ttr I g nd wa e

lnlfflatts:&lillQJf Expertenentwurf
du eh \'01'1 Bandes.rat
Bundesrat

Abstimmung
dcrp;;ell,, ,.l�h
lü: 1/ l�ssure:;.o t�.
Bun1les1a1
als la end!.
e d�
-

1
BllllilllSYill e.llMOllf
naclil Auswertung
lll1 r V.cn:nt>.l m e

r Votlfa ni,,.;-

1
llr.biv r t Gw;a 11

fal<ultat ves ,l'I• l,;rn ·11ars;:1


Roi1 r!.lru m 11LI LI ;:

Mitwirkung des Volkes Parlamentarischer Entscheidkomplex


Wahlen National- und Ständerat, Zwei gleichberechtigte Kammern mit je
Nachentscheidung Verfassungs- und Gesetzesvolagen, 12 ständigen Kommissionen und
Verfassungsinitiative, 11 gemeinsamen Delegationen und Kommissionen,
kantonale Initiative und Mitwirkung an der Differenzbereinigungsverfahren,
Vernehmlassung nach kantonalem Recht Fraktionen und informelle Interessengruppen

■ Das Proportionalwahlrecht, eingeführt 1918, hat tiger gesellschaftlicher Spaltungen von Sprache und
zu einem Vielparteiensystem geführt, in der es kei­ Religion erleichtert, spielen aber auch in der aktuel­
ner Partei gelang, eine Vorrangstellung zu erringen. len Politik eine erhebliche Rolle (Linder et al. 2008).
■ Vor allem aber ist das Referendum ein Oppositions­
instrument, das vielen Gruppen erlaubt, ein Gesetz Der politische Entscheidungsprozess
oder eine Verfassungsänderung zu Fall zu bringen. Im Prozess der Verfassungs- und Gesetzgebung wir­
ken verschiedene Entscheidungskomplexe zusam­
Diese drei Elemente liefern den politischen Parteien men (Linder 2005, Sciarini 2006). Betrachtet man
einen starken Anreiz- wenn nicht Zwang- zusam­ diesen Prozess als einen Politikzyklus, der auch die
menzuarbeiten. Die Zusammenarbeit äußert sich in Umsetzung und ihre Evaluation als Anlass neuerli­
der proportionalen Zusammensetzung aller wichtigen cher Verfassungs- und Gesetzesänderungen umfasst,
Organe des Bundes (Bundesrat, Bundesgericht, par­ so findet man die fünf folgenden Entscheidungskom­
lamentarische Kommissionen, z. T. auch die Spitzen­ plexe, Akteure und Etappen des Entscheidungspro­
positionen in der Verwaltung) sowie der Praxis, poli­ zesses (Abb. 30).
tische Konflikte nicht durch Mehrheitsentscheidung,
sondern durch Verhandeln und Kompromiss zu lösen Vorparlamentarischer Entscheidungskamp/ex
(Konkordanzpolitikl. Diese beiden Strategien, die pro­ Anstöße für eine Verfassungs- oder Gesetzesreform
portionale Beteiligung und die Konfliktlösung durch gehen nicht nur vom Parlament, sondern auch von
Verhandeln, haben historisch die Überwindung wich- Volksinitiativen oder von der Verwaltung aus. Exper-
36

tenkommissionen bereiten erste Entwürfe vor. Ihre ferendum eingeleitet wird. Von den eingereichten
Mitglieder rekrutieren sich sowohl aus wissenschaft- Volksinitiativen haben weniger als 10% direkten
1 ichen Fachexperten wie aus Vertretern von Kanto­ Erfolg. Auch abgelehnte Forderungen haben als po-
nen und interessierten Verbänden. Darauf folgt ein 1 itisches Signal häufig Einfluss auf die spätere Ge­
sog. Vernehmlassungsverfahren, in welchem Par­ setzgebung. Die Stimmbeteiligung schwankt stark
teien, Kantone, Verbände und weitere Interessierte und beträgt heute durchschnittlich 45%. Einkom­
zur geplanten Rechtsreform Stellung nehmen kön­ mensschwache und bildungsferne Schichten betei­
nen. Beide Abschnitte des vorparlamentarischen ligen sich deutlich weniger als einkommensstarke
Verfahrens dienen dazu, die Realisierungschancen und bildungsnahe.
der Vorlage mit Hinsicht auf ein Referendum ab­
zuklären. Akteure, die Nachteile erwarten, dro­ Die Verwaltung
hen ggf. mit Opposition. Ihre Forderungen werden Die Verwaltung nimmt doppelt Einfluss: Einerseits
berücksichtigt, soweit dies das Risiko einer Nieder­ unterstützt sie den vorparlamentarischen Prozess
lage in einer eventuellen Volksabstimmung mini­ über ihr Fachwissen, versucht zwischen gegensätzli­
miert. chen Interessen zu vermitteln und kann dabei auch
ihre Eigeninteressen einbringen (Varone 2006). An­
Parlamentarischer Entscheidungskomplex dererseits ist sie im Politikvollzug erfahren und gibt
Die Ergebnisse des vorparlamentarischen Verfahrens häufig Anlass zur Revision bestehender Regulierun­
werden dem Parlament in Form einer bundesrätli­ gen, die in einen neuen Politikzyklus einfließen.
chen Botschaft zugeleitet. Sie werden vor den Ver­
handlungen im Ratsplenum in den Fraktionen und Die Regierung
in den Kommissionen von National- und Ständerat Neben seiner materiellen Einflussnahme ist der
behandelt. Die beiden Kammern sind gleichberech­ Bundesrat in erster Linie die zentrale Schaltstelle
tigt und bestimmen für jedes Geschäft, wer Erstrat des gesamten Politikprozesses. Er gibt grünes Licht
ist. Aus den Verhandlungen der Räte können unter­ für die meisten Etappen des Entscheidungsprozes­
schiedliche Vorschläge entstehen; diese müssen im ses, bestimmt die Akteure sowie den Gang des vor­
sog. Differenzbereinigungs- oder Einigungsverfahren parlamentarischen Verfahrens und nimmt starken
bereinigt werden. Kommt es zu keinem gleichlauten­ Einfluss auf die Terminierung aller Geschäfte. Ne­
den Ergebnis beider Räte, ist die Vorlage gescheitert. ben dieser Verfahrensleitung vertreten die Bundes­
Der parlamentarische Kompromiss kommt unter räte als zuständige Departementchefs die Vorlagen
Beteiligung aller Parteien zustande und kann sich im Parlament und bei Volksabstimmungen in der
von den Ergebnissen des vorparlamentarischen Ver­ Öffentlichkeit. In den letzten 20 Jahren konnte das
fahrens deutlich unterscheiden. Die Mehrheiten im Parlament seine Stellung gegenüber der Regierung
Parlament wechseln von Fall zu Fall, hängen aber stärken und nimmt heute größeren Einfluss auf die
auch von den Politikbereichen ab: In der Finanz-, Gesetzgebung als früher. Umgekehrt führt die Glo­
Steuer- und Wirtschaftspolitik stimmt das bürgerli­ balisierung wie in anderen Ländern zum stärkeren
che Lager auch heute zumeist einheitlich gegen die Einfluss der exekutiven Politik.
SP und die Grünen. In der Sozialpolitik kommt es zu
häufigen Koalitionen von CVP mit der Linken von SP Perspektiven
und Grünen, während in der Außenpolitik sowie bei 1992 hat die Stimmbürgerschaft den EWR-Vertrag
staatspolitischen Fragen die politische Linke und die abgelehnt, mit der das Land - ohne eigentliche Mit­
bürgerliche Mitte der konservativen SVP gegenüber­ gliedschaft - in den Europäischen Wirtschaftsraum
stehen. integriert worden wäre. Trotzdem hat die Schweiz
ihre Beziehungen zur EU durch bilaterale Verträge
Direktdemokratischer Entscheidungskomplex stark erweitert. Als exportorientierter Kleinstaat ist
Im Fall eines Referendums versuchen Befürwor­ sie auch dem übrigen Anpassungsdruck der Globa­
ter und Gegner in mehrwöchigen Kampagnen, die lisierung stark ausgesetzt und politisch verwundba­
Stimmbürgerschaft zu mobilisieren und auf ihre rer geworden. Die Europafrage hat eine gespaltene
Seite zu ziehen: Parteien geben Parolen für ein Ja Schweiz hinterlassen und bleibt ungelöst. Während
oder Nein aus, Verbände unterstützen deren Kampa­ ein EU-Beitritt wenig populär ist, weiß niemand, wie
gnen, und die Medien räumen dem Thema breiten weit der Weg des Bilateralismus in die wirtschafts­
Raum ein. Die Erfolgsquote des Regierungslagers politische Abhängigkeit ohne ein Mitspracherecht in
ist unterschiedlich. Sie hängt nicht zuletzt davon Brüssel ist (Freiburghaus 2009). Die Globalisierung
ab, ob alle Parteien die Vorlage unterstützen (was bietet vielen Wirtschaftszweigen neue Chancen. Dem
selten ist), oder ob eine der Regierungsparteien, stehen Globalisierungsverlierer gegenüber, nämlich
vornehmlich die SP oder die SVP, ,,fallweise Oppo­ v. a. die Landwirtschaft, Teile des Gewerbes, Ge­
sition" betreibt (Kriesi 2005). Rund drei Viertel der werkschaften und generell die gering qualifizierten
Verfassungsvorlagen (obligatorisches Referendum) Arbeitskräfte. Soziale Gegensätze zwischen Stadt
werden angenommen; beim fakultativen Gesetzes­ und Land, Kapital und Arbeit sowie die politische
referendum sind es nur etwas mehr als die Hälfte. Spaltung zwischen Anhängern und Gegnern der Glo­
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass, wie bereits balisierung bzw. der europäischen Integration haben
erwähnt, nur gegen etwa 7 % der Gesetze ein Re- zugenommen.
37

Das schweizerische Politiksystem steht daher in bleibt. Die Gegensätze zwischen den Regierungspar­
starkem innerem Wandel (Linder 2009), der vom teien machten anlässlich der Gesamterneuerung des
Aufstieg der SVP zur größten Partei, die sich als Bundesrats 2007 auch im Ausland Schlagzeilen, als
rechtskonservative und europaskeptische Gruppie­ der charismatische Leader der SVP als amtierender
rung profiliert, geprägt ist. Die Konkordanzpolitik ist Bundesrat nicht wiedergewählt wurde und sich sei­
wegen zunehmender Polarisierung und dem Verlust ne Partei während eines Jahres nicht mehr in der
von Gemeinsamkeiten zwischen den vier Regierungs­ Regierung vertreten sah. Die Zusammensetzung der
parteien starken Belastungsproben ausgesetzt. Der Konkordanzregierung wird auch künftig weniger stabil
ehedem geschlossene Bürgerblock hat sich in vielen sein als in der Vergangenheit. Trotzdem ist mit einer
Fragen aufgelöst, was zur Bündelung von drei Haupt­ Ablösung der Allparteien- durch eine Mehrheitsregie­
kräften führte: rung auf absehbare Zeit nicht zu rechnen. Anders als
■ die wachsende national-konservative Rechte der etwa in den Niederlanden, wo sich die großen Koali­
SVP tionen aufgrund eines gemeinsamen Programms bil­
■ das stagnierende linke Lager von SP und Grünen, den, unterliegt die schweizerische Konkordanz dem
und institutionellen Zwang des Referendums und des Fö­
■ die geschwächte bürgerliche Mitte von FDP und deralismus zur Kooperation. Damit bleibt die Schweiz
CVP. neben Holland und Belgien ein klassisches Beispiel
der Consensus democracy (Vatter 2008), jenes Typs
Diese Veränderungen haben institutionelle Reformen - von Demokratie, der sich nach Lijphart (1999) vom
etwa die Stärkung des Parlaments, die eher formale vorherrschenden Muster der Majoritarian democracy
Totalrevision der Bundesverfassung oder die Neuge­ angelsächsischer Prägung unterscheidet, aber gerade
staltung des föderalistischen Finanzausgleichs - nicht für die Integration kultureller und sprachlicher Min­
unmöglich gemacht, und der parlamentarische Kom­ derheiten gewisse Vorzüge aufweist und deshalb in
promiss funktioniert weiterhin durch wechselnde Ko­ entsprechenden Ländern (z.B. Irland, Südafrika oder
alitionen, in denen die bürgerliche Mitte federführend Indien) an Boden gewinnt.

Die heutigen politischen Landschaften der Schweiz


■ Pierre-Emmanuel Dessemontet, Martin Schuler

Vielfalt politischer Meinungen liegenden Studie ist eine erneute Standortbestim­


Das politische System der Schweiz kennt seit über mung der politischen Landschaft der Schweiz, indem
einem Jahrhundert die Institutionen der direkten De­ die Abstimmungsresultate ab dem 1. Januar 2000
mokratie, so z.B. die 1891 eingeführte Volksinitiative. miteinbezogen werden. Ziel war es, die politischen
Diese direktdemokratischen Institutionen ermöglichen Brüche neu zu interpretieren sowie die thematischen
es dem Bürger, über vom Volk eingereichte Gesetzes­ und geographischen Entwicklungen zu benennen, die
und Verfassungsinitiativen abzustimmen (100 000 diesen Differenzierungen zugrunde liegen. Die Studie
Unterschriften für die Volksinitiative) sowie über Par­ vereint die 85 Volksabstimmungen auf Bundesebene,
lamentsbeschlüsse, die dem obligatorischen oder dem die zwischen März 2000 und Mai 2009 stattgefunden
fakultativen Referendum (50000 Unterschriften, s.o.) haben, gestützt auf die 2620 Gemeinden, dem Stand
unterliegen. Seit Gründung der modernen Schweiz im von Mai 2009. Anhand einer Hauptkomponentenana­
Jahr 1848 sind dem Volk mehr als 500 Geschäfte zur lyse wurden kommunale Daten analysiert und nach
Abstimmung vorgelegt worden, die Mehrzahl davon in der Anzahl der Stimmenden gewichtet. Diese Methode
den letzten 30 Jahren. Diese Abstimmungen betrafen ergibt neun Hauptdimensionen, wovon vier mehr als
alle politisch relevanten Themen und stellen somit zwei Abstimmungen betreffen. Die Analyse zeigt eine
eine unerschöpfliche Datenquelle dar, anhand derer rückläufige politische Polarisierung in der Schweiz.
man die großen politischen Verwerfungen der Schweiz Sie bestätigt zwar die Hauptlinien, welche die vorher­
untersuchen kann. gehenden Studien offenlegten, benennt jedoch auch
Die geographische Ausprägung der politischen signifikante Verschiebungen, sowohl bezüglich der De­
Brüche war seit 2000 Thema mehrerer Studien, so finition der Polarisierungen wie auch der betroffenen
beispielsweise von Hermann&Leuthold (2003) .,Die territorialen Einheiten.Die politische Polarisierung der
politischen Landschaften der Schweiz", von Schu­ Schweiz bleibt ziemlich konstant, die geographischen
ler et al. (2007) ,,Atlas des räumlichen Wandels der Brüche sind jedoch im Wandel begriffen.
Schweiz" sowie von Linder et al. (2008) ,,Gespaltene
Schweiz - geeinte Schweiz". Die erstgenannte Publi­ Die links-rechts Polarisierung
kation brachte die Hauptdimensionen der politischen Die erste Dimension der Analyse der Volksabstim­
Polarisierung auf den neusten Stand: links-rechts, mungen erklärt fast 30 % der totalen Abweichung:
konservativ-! iberal, ökologisch-technokratisch. Diese 33 der 85 Abstimmungen wurden mit dieser Dimen­
Resultate bestätigte auch der o. g. Atlas, wenn auch sion erfasst, 39 weitere weisen einen Korrelations­
gezeigt wurde, dass sich die politische Landschaft faktor von über 0,5 auf. Diese Dimension umfasst ei­
der Schweiz im Wandel befand. Gegenstand der vor- nerseits klassische linke Anliegen, wie das Bewahren
38

-- ---
Al Gemeindekarte der Dimension Bl Gemeindekarte der Dimension
links-rechts liberal-konservativ
-links -liberal

...

--
D) Gemeindekarte der Dimension
modern-traditionell
- Modem

� ..
1 Abb. 31 I Dimension und Ausdehnen des Staates, der sozialen Sicherheit, Die italienische Schweiz und der Jurabogen befinden
A) Links-Rechts, des Service Public und der Kampf gegen steigende sich in ihrem Wahlverhalten stark links, wobei die am
B) Liberal-Konservativ, Militärausgaben - auf der anderen Seite umfasst meisten links stehenden Städte Delemont, La Chaux­
C) Ökologisch­
sie die Forderungen nach einer Reform des Sozial­ de-Fonds und Bellinzona sind. Der rote Gürtel um
Technokratisch,
D) Modem-Traditionell; staates und nach wirtschaftlicher Liberalisierung im Genf von Carouge nach Vernier sowie der Westen von
Abstimmungen der Jahre Allgemeinen. Es handelt sich um eine links-rechts Lausanne schließen sich an. In der Deutschschweiz
2000-2009. Polarisierung mit den Gewerkschaften und den tra­ gibt es dagegen kaum Regionen, die weiter links po­
ditionellen Linksparteien auf der einen Seite und sitioniert sind als der Landesdurchschnitt: Am ehes­
den wirtschaftsliberalen Regierungsparteien auf der ten sind es die großen und mittleren Zentren (jedoch
anderen. ohne jene der Ostschweiz) sowie die ländlichen Regi­
Im zeitlichen Vergleich scheint sich diese Polari­ onen des Oberwallis.
sierung zu verstärken und betrifft unterdessen fast Auf der Gegenseite formiert sich die ganze Ost­
die Hälfte der Abstimmungen. Die Themen sind mit schweiz, Thurgau, Appenzell und St. Gallen. Noch
den vorhergehenden Studien vergleichbar, das The­ klarer wirtschaftsliberal sind die Bewohner der bei­
ma des Pazifismus scheint sich jedoch abzuschwä­ den Zürichsee-Ufer, wo die am stärksten rechts orien­
chen. Die Tendenz geht offenbar in Richtung einer tierten Gemeinden der Schweiz liegen. Das Aargauer
stärkeren Polarisierung zwischen den Anhängern des Freiamt, das Luzerner Mittelland und die reichen
Sozialstaates und jenen neoliberaler Reformen. Gemeinden der Zentralschweiz gehören ebenfalls in
Viel deutlicher sind die Veränderungen aus räum­ diese Gruppe. Dabei ist ein räumliches Gefälle offen­
licher Sicht (Abb. 3 lA). Die Achse unterscheidet sichtlich: Die am nächsten an der Sprachgrenze lie­
zwischen der lateinischen Schweiz und fast der ge­ genden Regionen - Basel-Landschaft, Solothurn und
samten deutschsprachigen Schweiz und bildet daher die Agglomeration Bern - sind eindeutig stärker so­
einen offensichtlichen Sprachgraben. Auf beiden zialstaatlich geprägt als die weiter östlich liegenden
Seiten des Grabens gibt es regionale Eigenheiten: Regionen. Rechts orientierte Gemeinden sind in der
39

Westschweiz - außer in einem Teil der reichen Gen­ und sogar den Bündner und Oberwalliser Agglome­
ferseegemeinden und einigen isolierten Waadtländer rationen.
Gemeinden - selten. Diese Resultate beschwören das Dahingegen zeigt die italienische Schweiz eine klar
Bild eines Sprachgrabens, den man seit 1992 eher konservative Ausrichtung. Alle Tessiner Gemeinden,
mit der Europafrage assoziiert, der jedoch allmählich mit Lugano an der Spitze, sind gegenüber einer eu­
schwindet, wie im Folgenden gezeigt wird. ropapolitischen Öffnung „Hochburgen des Misstrau­
Im Vergleich zu den Ergebnissen der Vorgängerstu­ ens", denn die Nähe der Mailänder Metropole wird
dien hat sich die Deutschschweiz wenig verändert, als bedrohlich empfunden. In der Deutschschweiz ist
die Westschweiz dagegen hat einen deutlichen Links­ die konservative Gesinnung am stärksten in der Pe­
rutsch vollzogen, denn früher waren weite Teile der ripherie verankert, so an den Rändern der Gotthard­
Westschweiz rechts orientiert (französisches Wal Iis, Achse, in den Berner Voralpen, im Napfgebiet (im
Waadtland, Berner Jura). 2009 stimmten diese Re­ Grenzland zwischen Bern und Luzern gelegen, bildet
gionen stärker links als der Landesdurchschnitt. Die es die ländlichste Region der Schweiz), in den länd­
italienische Schweiz, die bereits klar links stand, hat lichen Teilen der Zentralschweiz und im südlichen
sich seither noch radikalisiert. Der politische Gra­ Teil des Kantons Aargau. Der Konservatismus prägt
ben ist seit 2000 immer präsent gewesen, doch hat somit die ländlichen Gebiete und einige Kleinstädte
sich nun die Tonalität verändert: Er manifestiert sich der Deutschschweiz. Mittlerweile kommen aus der
jetzt bei Abstimmungen zu „links-rechts Themen". Westschweiz auch der ganze Berner Jura, ein Teil der
Zudem waren die Mehrheiten nur in wenigen Abstim­ Ajoie, weite Teile des Freiburgerlandes und, sehr aus­
mungen regional unterschiedlich, und bei einigen geprägt, der sozial schwächere Vorstadtgürtel Genfs
Abstimmungen war die Westschweiz sogar siegreich. dazu. Die Westschweizer Einheit von 1992 existiert
Als der Sprachgraben Gegner und Anhänger einer eu­ also nicht mehr.
ropäischen Öffnung trennte, war das Trennende viel Der Schwerpunkt der Analyse muss daher auf die
grundsätzlicher. extreme Radikalisierung der italienischen Schweiz fo­
kussiert sein. Im Umgang mit der Europafrage deutet
Die liberal-konservative Polarisierung alles darauf hin, dass sich die Westschweiz in den
Die zweite Dimension der Analyse vereint etwas letzten Jahren „ent-ideologisiert" und die Deutsch­
mehr als 20 % der totalen Abweichung. Bei 23 der schweiz entkrampft hat. Die italienische Schweiz
85 Abstimmungen ist sie bestimmend, bei 31 Ab­ dagegen hat einen zunehmend kompromisslosen
stimmungen liegt der Korrelationsfaktor über 0,5. und einsamen Kurs eingeschlagen. Ideen für eine
Diese zweite Dimension vereint einerseits alle Ab­ Öffnung nach außen werden kategorisch abgelehnt,
stimmungen zu den Verträgen mit der Europäischen vielleicht im Wissen darum, dass die Meinung ohne
Union (Abb.32), zu UNO-Beitritt, Schulharmoni­
sierung, Auslandseinsätzen der Armee und zur er­
leichterten Einbürgerung. Auf der Gegenseite stehen
Vorschläge der Konservativen, der Verfechter des
Alleingangs, der Vertreter einer restriktiven Einwan­
derungspolitik und der Befürworter einer strengeren
Justiz. Diese Dimension unterteilt die Bevölkerung
klar in Anhänger einer Öffnung in der Außen- und
Ausländerpolitik und in Anhänger des Alleingangs,
der Abschottung gegen außen und einer härteren
Justiz. Kurz gesagt handelt es sich um die Opposi­
tion zwischen Gesellschaftsliberalen und Wertkon­
servativen.
Nach der Analyse der Ergebnisse dieser Dimen­
sion muss das Bild der offenen Romands und der
misstrauischen Deutschschweizer revidiert werden
(s. Abb.31B). Es stimmt allerdings, dass sich die
SCHENGEN
NEIN
Westschweiz liberal positioniert: Die Genferseeregi­
on liegt an der Spitze, dort liegen auch einige der
gesellschaftlich liberalsten Gemeinden des Landes.
5
� SCHENGEN-DUBLIN
Im Herzen dieser Region liegt Lausanne, die libe- ! 05.06.2005
ralste der großen Schweizer Städte. Die meisten ill
welschen Agglomerationen drücken sich ebenfalls
abstimmungspolitisch liberal aus, ebenso die Ag­ 1 Abb. 32 IPlakate für die Volksabstimmung vom 5. Mai 2005.
glomeration Bern, deren Zentrumsgemeinde unter­ Erläuterung: In der Volksabstimmung vom 5. Mai 2005 wurde dem „Souverän" (der Gesamt­
dessen offener als die Stadt Genf ist. Neben Bern heit der Stimm- und Wahlberechtigten des Landes) die Frage unterbreitet, ob die Schweiz
haben auch zahlreiche wichtige Deutschschweizer den europäischen Abkommen zur freien Zirkulation der Personen innerhalb des „Schengen"­
Agglomerationen auf die liberale Seite gewechselt - Raums beitreten solle. Die Vorlage wurde mit 54,6% der Stimmenden angenommen. Das
politische Plakat hat eine lange Tradition in der Schweiz und ist ein klassisches Element im
mit Basel und Zürich an der Spitze, gefolgt von So­ öffentlichen Raum. Das Museum für Gestaltung in Zürich besitzt eine vollständige Samm­
lothurn, Luzern, Zug, Baden, Winterthur, St.Gai len lung der Plakate der eidgenössischen Volksabstimmungen.
40

Konsequenzen bleibt, dass es reine Grundsatzopposi­ ten der Deutschschweiz ergänzt: Die Zentralschweiz,
tion ist: Eine Alternative für die italienische Schweiz Solothurn, Aargau, Thurgau, das Berner Oberland
scheint nicht in Reichweite. Diesen Alarmschrei und Emmental gehören dazu. Nahe dem Landesmit­
oder gar verzweifelten Widerstand darf der Rest der tel positionieren sich St. Gallen, die Zentralschweiz
Schweiz nicht einfach ignorieren. und das Oberwallis.
Das Kartenbild hat mit solchen von vorherigen Stu­
Ökologisch-technokratische Polarisierung dien große Ähnlichkeit. Wahrscheinlich ist jedoch eine
Die dritte Dimension der Hauptkomponenten-Ana­ Entkoppelung zwischen den zunehmend „grünen"
lyse der Abstimmungen über Volksinitiativen erklärt Städten, die ihre Gesinnung klar zum Ausdruck brin­
etwa 15% der totalen Abweichung. Für 14 der 85 gen, und dem Rest des Landes, der sich in wirtschaft­
Abstimmungen ist es der wichtigste Faktor, und licher Hinsicht immer weniger gehört fühlt, im Gange.
bei 16 liegt der Korrelationsfaktor über 0,5. Die Im Zeichen des Klimawandels scheinen ökologische
Dimension umschreibt die ökologischen Anliegen Fragen die Schweiz mehr und mehr zu trennen. Der
und die Ziele der nachhaltigen Entwicklung. Die­ Graben verläuft zwischen wachstumskritischen Groß­
se Abstimmungen vermischen sich mit keiner an­ städten (am ausgeprägtesten in der Deutschschweiz)
deren Abstimmungsgruppe, daher umschreibt die­ und einem von der Globalisierung vernachlässigten
se Dimension den Gegensatz zwischen Anhängern ländlichen und kleinstädtischen Raum, dessen Be­
und Gegnern der politischen Ökologie. Grüne und wohner um ihre Arbeitsplätze bangen.
.,Anti-Grüne" stehen sich bei dieser Opposition ge­ Seit der Klimawandel Ängste weckt, scheint die
genüber. Letztere sind schwierig zu definieren, es Ökothematik ein Kampfplatz zu werden, wo Deutsch­
ist eine lose Gruppe von Automobilisten, Libertären schweizer Großstädte mit großer Medienresonanz auf
und Technokraten, die in der Literatur ausführlich einen schweigenden, aber nicht minder aufgebrach­
beschrieben werden. Diese Gruppierungen verfügen ten Rest des Landes treffen, der mehr und mehr
nicht mehr über eine eigene Parteistruktur, nach­ zweifelt, aber weniger betroffen ist.
dem die in den 1980er-Jahren gegründete „Auto­
partei" sich aufgelöst hat. Die vierte Dimension: Tradition gegen Modeme
In der jüngsten Vergangenheit ergänzten die Ab­ Die vierte Dimension erklärt 5 von 85 Abstimmun­
stimmungen über Tierversuche und Gentechnik die gen und ist für ungefähr 5% der Abweichung in der
Dimension der politischen Ökologie, die im Gegen­ analysierten Abstimmungsgruppe verantwortlich.
satz zu Abstimmungen über die Förderung der pro­ Der Begriff „modern" bezeichnet in diesem Zusam­
duktionsorientierten Landwirtschaft stand. Diese menhang eine Moderne der Laizität, der Urbanität
Komponenten sind unterdessen nicht mehr enthal­ und des Lebensstils. Die Dimension umschließt ei­
ten, ebenso jene zur Nuklearenergie, die gleicher­ nerseits Abstimmungen zur Modernisierung der Ge­
maßen zu dieser Dimension wie zur Links-rechts­ sellschaft (Abstimmungen zum Schwangerschafts­
Polarisierung gehört. Gleichzeitig hat der Stellenwert abbruch, Stammzellenforschung), der Infrastruktur
dieses Themenbereichs sehr an Stärke eingebüßt: (urbane Verkehrsprojekte) und des strukturellen
In den vorhergehenden Studien betraf die Dimensi­ Überbaus des Landes (etwa eine Vorlage zur Justiz­
on mehr als ein Viertel der Abstimmungen und der reform), demgegenüber stehen die Verteidiger von
Abweichung, in dieser Studie ist es noch etwa ein Tradition, Religion und ländlichem Lebensstil, die
Sechstel. Das Thema hat gleichzeitig an Kraft verlo­ sich bewusst sind, dass sie nicht an allen Vorteilen
ren und an Kohärenz gewonnen. Die Hauptthemen der Urbanität des Landes teilhaben können. Struk­
sind nun Transport, Energie und Klimawandel. turell wäre anzunehmen, dass sich noch die histo­
Die dritte Dimension hebt geographisch die drei rische konfessionelle Polarisierung zwischen Protes­
großen Deutschschweizer Städte besonders her­ tanten und Katholiken abbildet, doch widerlegt die
vor (s. Abb. 31C): Zürich, Bern und Basel sind die Karte (s. Abb. 31D) diese Interpretation weitgehend:
drei ökologischsten Städte des Landes. Die großen Zwar ist diese Spaltung in der Westschweiz noch
Deutschschweizer Agglomerationen gehören eben­ leicht zu erkennen (die protestantischen Kantone
falls klar zu diesen Gebieten: die Kantone Zürich, Genf, Waadt und Neuenburg versus die katholischen
Basel-Stadt und Basel-Landschaft, Schaffhausen Kantone Wallis, Freiburg und Jura) und das katholi­
und die Agglomeration Bern bilden die Vorhut der sche Tessin stellt sich resolut auf die Seite der lai­
Umweltpolitik. Die Kantone Graubünden und Tessin zistischen Moderne, doch in der deutschsprachigen
sind ebenfalls Teil davon. In den ländlichen Gebieten Schweiz unterscheiden sich die Großstädte und de­
der Westschweiz finden sich hingegen die schärfs­ ren Umland vom ländlichen Raum, sei er nun katho­
ten Widersacher der Umweltpolitik: Die ökologie­ lisch (lnnerschweiz, Ostschweiz, Aargauer und Solo­
kritischsten Städte sind Martigny und Monthey im thurner Jura) oder protestantisch geprägt (ländliches
Wallis sowie Bulle im Kanton Freiburg/Fribourg, die Bern, Thurgau, Appenzell A. Rh. oder Teile Graubün­
spät industrialisiert wurden. Der gesamte ländliche dens). Der Graben trennt also Großstädte und Peri­
Raum der Westschweiz und der Jurabogen schließen pherie und wird zudem von einem Gegensatz zwi­
sich an. Nur die größten Städte Genf und Lausanne schen Gewinnern und Verlierern der modernen und
haben eine betont ökologische Ausrichtung. Der an­ flexiblen Globalisierung überlagert.
tiökologische Westschweizer Block wird in größerem Abb. 3 lD zeichnet nicht nur einen Gegensatz zwi­
Abstand von den periurbanen und ländlichen Gebie- schen Gewinnern und Verlierern der Globalisierung,
Die heutigen politischen Landschaften der Schweiz Pierre-Emmanuel Dessemontet, Martin S'chuler 41

sondern auch einen zwischen unterschiedlichen nem Hyper-Konservatismus in der Außenpolitik. Eine
Familienmodellen. Schließlich wird auch eine Op­ politische Typologie der Schweizer Gemeinden nach
position zwischen Regionen mit ungleichen Mobi­ dem Vorbild der Typologie über den Wandel zeigt drei
litätsmustern ihrer Bevölkerung und unterschiedli­ ungleiche politische Bilder der Schweiz:
chen Erreichbarkeitsverhältnissen abgebildet: eine ■ eine eher rechts stehende Deutschschweiz mit Ten­
metropolitane und touristische Schweiz versus eine denz für eine konservative, aber auch grüne Orien­
kleinstädtische und periphere Schweiz. Der Religi­ tierung
onsgraben hat sich zu einer Polarisierung zwischen ■ eine sozialstaatliche Westschweiz, offener gegen
metropolitanen Modernisten und peripheren Traditio­ außen und weniger ökologisch, sowie
nalisten gewandelt. Mehr und mehr gesellen sich die ■ eine sehr linke italienischsprachige Schweiz mit
ärmeren Großstadtquartiere als angebliche Verlierer Abschottungstendenzen gegen Europa.
der Modernisierung der Gesellschaft zu letzteren.
Jeder Landesteil scheint sich autonom in Funktion
Wohin bewegt sich die Schweiz? seines politischen Paradigmas und mit Blick auf
Das Verblassen des Europa-Grabens zwischen West­ seine Medien zu bewegen, ohne sich besonders um
und Deutschschweiz kann als positive Tendenz in die restlichen Teile zu kümmern. Die Schweiz bildet
der politischen Landschaft der Schweiz gewertet jedoch eine Willensnation: Sie muss sich um einen
werden. Es gibt jedoch auch beunruhigende Signa­ nationalen Zusammenhang bemühen. Dieser ist zwar
le, am offensichtlichsten jenes des Abdriftens des vordergründig nicht bedroht, doch die Tendenzen zu
Tessins einerseits nach links, andererseits hin zu ei- Sprachregionalismen sind keinesfalls harmlos.
Wirtschaft

1 Abb. 33 I Finanzplatz
Zürich. Überblick
■ Der spezialisierte, wissensintensive Werkplatz Schweiz, kombiniert mit hochwertigen Dienstleistun­
gen, ist nicht nur Abbild eines bewährten dualen Bildungssystems, sondern auch in der Tradition
der Veredelungswirtschaft zu sehen.
■ Die wirtschaftlich wichtigsten Regionen der Schweiz sind die Regionen Basel und Zürich/Aargau
sowie das Bassin Lemanique. Mit einigem Abstand folgen die Zentralschweiz, die Südschweiz, der
Espace Mittelland und die Ostschweiz, welche eine leicht unterdurchschnittliche Wirtschaftskraft
aufweisen.
■ Nach der Chemisch-Pharmazeutischen Industrie, der Metall- und Maschinen- sowie der Uhrenin­
dustrie stellt der Fremdenverkehr in der Schweiz die fünftgrößte Exportbranche dar. In struktur­
schwachen Gebieten der Schweiz ist der Tourismus hingegen die eigentliche Leitindustrie.
■ Die Geschichte der schweizerischen Wirtschaftspolitik spiegelt die Suche nach der besten Mischung
von markt- und staatswirtschaftlichen !:lementen wider.
■ Das schweizerische Steuersystem spiegelt den föderalistischen Staatsaufbau wider. Jeder Kanton
hat sein eigenes Steuergesetz und kann alle Abgaben, die nicht dem Bund vorbehalten sind, erhe­
ben. Eingeschränkt wird die Autonomie durch die formelle Steuerharmonisierung.
■ Da die Steuersätze der wichtigsten Steuern in der Verfassung verankert sind und Verfassungs­
änderungen dem obligatorischen Referendum unterliegen, bilden Volksabstimmungen eine wirksa­
me Hürde gegen Steuererhöhungen. Zusammen mit dem Steuerwettbewerb der Kantone unterein­
ander erklärt dies die im Vergleich zu anderen Ländern niedrige Steuerbelastung der Schweiz.
Der Weg der Schweiz zum Werkplatz, Finanzplatz, Denkplatz und zurück
■ Paul Messerli

Wirtschaftliches Erfolgsmodell doch auch nach der Gründung des Bundesstaates


Die Schweiz als Staatswesen und als eine Gesell­ 1848 mit einheitlichem Binnenmarkt, dass sich der
schaft verschiedener Sprachgemeinschaften und Einfluss der unterschiedlichen Feudalregimes bis in
Kulturen beruht zu einem großen Teil auf einem wirt­ die heutige Wirtschaftslandschaft fortsetzt.
schaftlichen Erfolgsmodell, das wesentlich durch die
Lage in Europa, die Beschaffenheit des Landes sowie Handel und Verkehr im Raum der Schweiz
gesellschaftliche Toleranz und Offenheit begründet Seit der römischen Zeit sind die Zu- und Alpenüber­
werden kann. Als kleine offene Volkswirtschaft mit gänge im Westen (Jura, Großer St. Bernhard), im
langjährigen Spitzenplätzen auf der globalen Wohl­ Osten (Julier- und Splügenpass) und seit dem 13.Jh.
standsliste hat die Schweiz den Antrieb, das Erwor­ im Zentrum (Gotthardpass, Abb. 34) Transitachsen
bene zu bewahren, aber auch zu verteidigen, wenn es auf dem heutigen Territorium der Schweiz, die das
von außen bedroht wird. Dieses Erfolgsmodell beruht Land bis in die Gegenwart in den europäischen Ent­
auf der frühen Notwendigkeit, aufgrund begrenzter wicklungskontext einbinden. Ob militärstrategisch
Größe und fehlender Rohstoffe eine Veredelungswirt­ oder handelspolitisch motiviert, das Gebiet der
schaft mit hochwertigen Produkten zu entwickeln, die Schweiz stand damit im Spannungsfeld europäischer
sich über die Industrialisierung und Tertiärisierung bis Herrschaftshäuser und Mächte. Dies gab Anlass zur
in die heutige Wirtschaftsstruktur erhalten hat. Dieser Gründung und Selbstbehauptung der Schweizeri­
einigenden Gemeinsamkeit steht aber eine institutio­ schen Eidgenossenschaft, eröffnete aber auch Chan­
nelle Verschiedenheit der frühen Gebietskörperschaf­ cen zu wichtigen Außenbeziehungen im Transitver­
ten der Alten Eidgenossenschaft gegenüber, die bis kehr, Söldnerwesen und frühen Handel. So lässt sich
heute in den unterschiedlichen Wirtschaftsmentalitä­ die These begründen, die Entwicklung des schwei­
ten des Landes zum Ausdruck kommt. zerischen Wirtschaftsraums sei seit früher Zeit nur
Die folgende Darstellung nimmt das Argument der mit Bezug auf die Entwicklung seiner Nachbarräume 1 Abb. 341 Gotthardpass­
Pfadabhängigkeit der Entwicklung auf, zeigt sich zu verstehen. Die Wachstumsbegrenzung durch die straße.
44

C Champagne
Wirtschaft mit zwei Dritteln der Exporte, vier Fünf­
tein der Importe und dem höchsten Anteil an Direkt­
D Donau-
investitionen aufs Engste mit dem europäischen
becken
Wirtschaftsraum und seinem Wachstumspotenzial
H Hansestädte verflochten.
O Oberitalien Mit den bilateralen Verträgen 1 (1999) und II
M Rhein-Main- (2004) musste deshalb sichergestellt werden, dass
Neckar die Freizügigkeiten im Waren-, Kapital- und Per­
N Niederlande sonenverkehr nach dem Nein zum Europäischen
S Sachsen Wirtschaftsraum 1992 (EWR) soweit wie möglich
übernommen werden konnten. Wenn auch viele
R Rh6nemündung Schweizer Firmen längst in allen wichtigen Märk­
_
,...( Ir) 1 Großer
St. Bernhard
ten dieser Welt präsent sind, so bleibt für das Gros
der Schweizer Wirtschaft die fortwährende wirt­
�---��

-
2 Gotthardpass schaftliche Integration in den wachsenden europäi­
schen Binnenmarkt die wohl wichtigste Perspektive

- -
3 Bündner Pässe
(s. auch Kap. ,.Die Schweiz in der Welt/Schweiz und
Europa").
l wirtschaftliche
Austausch­ Institutionelle Unterschiede im
beziehungen Ancien Regime mit langfristigen Folgen
zwischen den Vom 15. bis 18.Jh. bis zum Einmarsch der Fran­
wichtigen da­
zosen 1798 war Bern als mächtigster Stadtstaat
maligen Wirt­
schaftsräumen
nördlich der Alpen eine Territorialmacht, die ihren
und großen Reichtum in physiokratischer Überzeugung aus einer
0 Messen Europas modernisierten Agrarwirtschaft bezog. Dies führte
zum legendären bernischen Staatsschatz, den Napo­
leon kurzerhand nach Paris abführen ließ. Die Berner
1 Abb. 351 Das Territorium Kleinheit des Binnenmarktes und die Knappheit oder Aristokratie, bestehend aus den patrizischen Fami­
der Schweiz im mittelal­ das Fehlen industriell wichtiger Rohstoffe erforderte lien, verschrieb sich der Staatskunst, der Kriegs­
terlichen Europa: Transit­ die Kenntnis und den Zugang zu den relevanten Be­ führung und der Landwirtschaft, zeigte aber wenig
achsen und bedeutende
Märkte.
schaffungs- und Absatzmärkten im Ausland. Interesse für das kaufmännische und industrielle Un­
Mit Abb. 35 soll diese Ausgangssituation im Spät­ ternehmertum, das sie der Führungselite der Land­
mittelalter veranschaulicht werden: Die wichtigen städte überließ.
Handelsrouten zwischen den großen europäischen Ganz anders verlief die Entwicklung in Zürich und
Märkten und Messeplätzen führten durch die Basel, wo aus der zünftischen Aristokratie eine wirt­
Schweiz. Mit dem Bau der Gotthardstrecke am Ende schaftliche Führungselite hervorging, die sich am
des 19.Jh. und der Mont d'Or-Simplon-Linie zu Be­ internationalen Handel und am Aufbau der Indus­
ginn des 20.Jh. erfolgte die Integration des schwei­ trie beteiligte. Genf, die Stadt Calvins, verdankt die
zerischen Wirtschaftsraums in das moderne Trans­ Gründung der Uhrenindustrie nicht nur den Glau­
portsystem Europas. Mit dem Autobahnbau durch die bensflüchtlingen aus Frankreich, wie z.B. den Huge­
Alpen (Simplon, Gotthard und San Bernardino) und notten, sondern auch dem von Calvin durchgesetzten
den neuen Alpentransversalen (Lötsehberg, Simplon Verbot, öffentlich Schmuck zu tragen. Als Folge da­
2008, Gotthard ca. 2017) bleibt die Schweiz ein von stellten die Juweliere ihr Gewerbe auf Uhren um.
wichtiges Glied im europäischen Nord-Süd-Verkehr. Es ist generell die protestantische Schweiz, welche
Der Schweizer Wirtschaft bleiben die Zugänge zu den die institutionellen Voraussetzungen schuf, dass sich
dynamischen Wirtschaftsräumen und internationalen am Ende des 18.Jh. protoindustrielle Wirtschafts­
Warenterminals Europas erhalten. regionen als Vorläufer der industriellen Entwicklung
Seit der Prozess der wirtschaftlichen Integration in bilden konnten.
Europa mit den Römischen Verträgen 1957 in Gang Paradox ist, dass der Kanton Bern als Pionier im
gekommen ist, gilt der Korridor von Südostengland Aufbau seiner raumerschließenden modernen Infra­
über die Rheinmündung und entlang des Rheins struktur (Eisenbahn, Elektrizitätsnetz, Bildungswe­
durch die Schweiz bis in die Lombardei als dyna­ sen) wirtschaftlich zurückblieb. Seine Führungs­
mische Entwicklungsachse Westeuropas (.,Blaue Ba­ schicht hielt lange am physiokratischen Dogma fest,
nane"). In diesem dynamischen Wachstumskorridor der Staat nähre sich am sichersten aus den Grund­
liegt der schweizerische Wirtschaftsraum, der be­ renten, und die flächendeckende teure Infrastruktur
sonders in den späten l 950er- und l 960er-Jahren sei der Weg zur Erschließung der regionalen Wachs­
mit seinen exportorientierten Branchen partizipieren tumspotenziale. So muss man heute nach Berns glor­
konnte. Wenn auch seit den l 980er-Jahren neue reichen auch von Berns verpassten Zeiten sprechen.
Handelspartner v. a. im asiatischen Raum hinzu­ 1 n der heutigen Wirtschaftslandschaft ist das Erbe
gekommen sind und ferne Märkte mit Direktinves­ dieser historischen Zustände wiederzuerkennen: Zwi­
titionen erschlossen wurden, bleibt die Schweizer schen den dynamischen Wirtschaftsräumen im Osten
Der Weg der Schweiz zum Werkplatz, Finanzplatz, Denkplatz und zur 45

(Großraum Zürich), Norden (Basel) und im Westen


(Bassin Lemanlque) mit Genf und Lausanne blieben
die Kantone des Espace Mittelland (Bern, Freiburg,
Solothurn) nach dem generellen Wachstumsboom der
l 950er- und l 960er-Jahre, der strukturelle Mängel
(Dominanz der Landwirtschaft, Industrie und Verwal­
tung) und institutionelle Differenzen überdeckte, in
der wirtschaftlichen Entwicklung z.urück. Es bleibt
die Feststellung, dass wirtschaftliche Mentalitätsun­
terschiede innerhalb der Schweiz von nachhaltiger
Wirkung sind.

Der Eintritt der Schweiz ins Industriezeitalter


Das Industriezeitalter der Schweiz begann nicht
etwa dort, wo die Agrarmodernisierung früh einsetz­
te (etwa im bernischen Mittelland), sondern dort, wo
die Heimarbeit in den kleinbäuerlichen ländlichen
Strukturen Fuß fassen konnte, weil tüchtige Verle­
ger die geschickte, unausgelastete und billige Ar­
beitskraft in einem dezentralen Produktionssystem
einzusetzen verstanden, nämlich im Hügelland der
Ostschweiz und der Bodenseeregion. sondere in Zürich, Abb. 36) und zur Integration in IAbb.361 Der Paradeplatz
Mit dem Verlagssystem entstand auch die erste die internationalen Kapitalmärkte. in Zürich.
Exportwirtschaft, weil feudale Restriktionen (Zuntt­ Mit der Gründung des modernen Bundesstaates
verfassungen) noch keine freie Entfaltung Von Hand­ im Jahr 1848 entstand der erste Binnenmarkt mit
werk und Gewerbe zuließen. Dies dauerte noch weit einheitlichem Münz- und Postwesen sowie einheit­
bis ins 19. Jh. hinein, wobei die Handelsleute bei der lichen Maßen und Gewichten; zudem wurden alle
später einsetzenden Mechanisierung der Produkti­ Binnenzölle abgeschafft. 1850 gab es aber erst
on eine wichtige Rolle spielten. Beim anfänglichen sieben städtische Gemeinden mit über 10 000
Fehlen von Industriekapital unterstützten sie Unter­ Einwohnern, sodass die Absorbationskraft dieses
nehmen erfolgreich mit Kapital und Dienstleistungen Binnenmarktes für industrielle Produkte noch sehr
für die Beschaffung von Rohstoffen und den Export bescheiden war. Mit dem Eisenbahnbau verlagerte
der Fertigprodukte. Die industrielle Modernisierung sich die Fabrikindustrie in Richtung Gleisanlagen
beschränkte sich vorerst auf die Baumwollspinnerei, und Bahnhofsareale. Durch diesen Konzentrations­
während in den anderen europäischen Industrielän­ prozess setzte ein starkes Wachstum der Industrie­
dern die Spinnerei, Weberei und Maschinenindustrie und Arbeiterstädte ein.
gleichzeitig vorangetrieben wurden. Die reichliche Abb. 37 zeigt die räumliche Verteilung der wichti­
Wasserkraft ersetzte in der Schweiz noch für einige gen Leicht- und Leitindustrien der ersten lndustrlali­
Zeit die teure Kohle und kompensierte so die Kosten, sierungsphase, welche dann die Metall- und Maschi­
die die große Entfernung zu den Häfen und Welt­ nenindustrie sowie das Baugewerbe nach sich zog.
märkten mit sich bringt. Durch eine aggressive Eisenbahnpolitik machte sich
Um 1850 arbeiteten erst 12 % der Erwerbstätigen Zürich zum Zentrum des schweizerischen Verkehrs­
in Fabriken. Mit der Ausbreitung des Fabriksystems systems sowie der Mascl1inen- und Elektroindustrie.
wurde die Heimarbeit entwertet. Allerdings mach­ Den damit erlangten Vorsprung in der Standortquali­
ten die Fabriken vor den Bergtälern halt, was zur tät und wirtschaftlichen Entwicklung gab Zürich .seit­
Abwanderung aus den Berggebieten führte. Der Ei­ dem nicht mehr ab.
senbahnbau, der um 1850 einsetzte, beschleunigte Der Satz „Jeder zweite Schweizer Franken wird im
die wirtschaftliche Integration: Durch die Reduktion Ausland verdient" hat sich nicht nur in den Köpfen
der Transportkosten entstanden Standortvorteile für der Politiker festgesetzt., sondern ganz allgemein das
neue Exportbranchen, die sich in der internationa­ Bild einer Exportwirtschaft geprägt, die erfolgreich
len Arbeitsteilung verstärkt spezialisierten. Mit den aus der Mitte des alten Kontinents heraus operiert
hohen Investitionen in den Eisenbahnbau trocknete und mit ihren Markenprodukten auf den Weltmärk­
der Arbeitsmarkt erstmals aus, die ländliche Armut ten präsent ist. Die Zweiteilung der schweizerischen
ging zurück, und die Reallöhne stiegen an. Inner­ Wirtschaft in Export- und Binnenwirtschaft hat in der
halb von 30 Jahren (1850-1880) verwandelte sich Umgehung feudaler Restriktionen durch die Verlags­
die Schweiz vom Niedrig- in ein Hochlohnland und industrte (Heimindustrie) und In der Kleinheit des
beschleunigte die Mechanisierung der Industrie. Binnenmarktes ihren Ursprung. Die Spezialisierung
Gleichzeitig kam es zur Abkehr von Stapelgütern auf wertsteigernde Tätigkeiten entstand aus der Not­
hin zu wissens1ntensiven Spezialprodukten. Mit dem wendigkeit, Distanzkosten und zunehmende Kosten
großen Kapitalbedarf für den Ausbau der industrie­ der Enge zu kompensieren. Seit der Gründerzeit
fördernden Infrastruktur kam es zur Gründung der (1885-1914), mit Unterbrechung der Kriegsjahre
großen Geschäftsbanken und Kreditinstitute (insbe- und der Großen Depression, hat sich dieses Wirt-
46 chaft

1 Abb. 371Standorte der


wichtigsten Industrie­
zweige um 1880. ♦·o
o l
[]
Zürich
lo
Oo
o oo
ler (')Biel Luzern Zug
O l
i:uchiltel
O
Bern ©
1° 0o 0
[] 0
0
0 0chur
0
()
Fribourg o 0

r
N

0 25 50 km

Leinen, Baumwolle, Wolle ♦ Steinsalz Siedlungen 1iJ


> 30 000 Einwohner

Seide l mit □ 20 000 - 30 000


Hochofen, Gießerei Ei nwohnerzah 1 © 10 000-20 000
- Uhrmacherei © 5000- 10 000
0 1000- 5000

schaftsmodell bis in die 1970er-Jahre als äußerst nem Roman „Käserei in der Vehfreude" (1850),
erfolgreich erwiesen. Als Weg der nachholenden Ent­ wie die Ausbreitung der Talkäsereien zur Verarmung
wicklung im bereits industrialisierten Europa gibt es der Bergregionen führte. Zwischen 1813 und 1857
Parallelen zu der nachholenden Industrialisierung entstanden allein im Kanton Bern über 350 Talkäse­
südostasiatlscher Länder - mit dem Unterschied, reien. Die Vergrünlandung der einstigen mittelländi­
dass in der Schweiz der Schutz der Binnenwirtschaft schen Kornkammern, die auch unter dem Druck bil­
über Jahrzehnte aufrechterhalten wurde. Doch seit liger Getreideimporte aus Osteuropa entstand, setzte
der negativen EWR-Abstimmung im Jahr 1992 ist die Komplementarität zwischen Berg- und Talgebiet,
aus dem erfolgreichen „Sonderfall" ein „Sanierungs­ also zwischen Viehwirtschaft und Ackerbau, außer
fall" geworden. Die wettbewerbspolitische Forderung Kratt. Mit dem Eisenbahnbau ab 1852, der die Al­
nach einer Öffnung des Binnenmarktes von Seiten pentäler erst am Ende des 19. Jh. erreichte, verschob
der Exportwirtschaft und der Konsumenten ist mit der sich die dezentrale Heimindustrie aus den voralpinen
staatspolitischen Forderung nach sozialem und regio­ Hügelzonen an die wichtigen Knotenpunkte des neu­
nalem Ausgleich immer mehr in Widerspruch geraten. en Transportsystems, was erst aufgrund der Ablösung
Erst mit dem bilateralen Nachvollzug der europäi­ von Wasserkraft durch Kohle möglich wurde. In die
schen Binnenmarktregeln und dem schweizerischen Alpentäler drang die Industrie erst im 20.Jh. vor, als
Binnenmarktgesetz wurde die schrittweise Öffnung Arbeitskräfte im Mittelland knapp wurden und die
und Deregulierung der Binnenmärkte eingeleitet. günstige Energieversorgung für die Eisen- und Alu­
Nach den aktuellen Zahlen stammen etwa 40% mini umwerke sowie die Chemische Industrie zum
der Wertschöpfung aus der Exportwirtschaft, mit ei­ Standortfaktor wurde. Die Agrarmodernisierung im
nem erheblichen Anteil der internationalisierten klei­ Talgebiet, der leichtere Zugang zu den europäischen
nen und mittleren Unternehmen (KMU), die anderen Agrarmärkten und die industriellen Entwicklungss­
60% der Wertschöpfung stammen aus der Lokalwirt­ tandorte im Mittelland führten lm schweizerischen
schaft mit über 90% der Arbeitsplätze. (Bundesamt Wirtschaftsraum zu einer Neuverteilung von Gunst
für Statistik 2007 und 2010). und Ungunst. Die großräumigen Disparitäten zwi­
schen Berg- und Talgebiet verstärkten sich in der ers­
Entstehung und Entwicklung der ten Hälfte des 20. Jh. noch, um erst mit der Breiten­
dualen Schweiz: Berg- und Talgebiet entwicklung der Tourismuswirtschaft im Berggebiet
Als zeitkritischer Beobachter des großen Umbruchs in ein kleinräumiges Muster überzugehen.
in der wirtschaftlichen Beziehung zwischen Berg­ Die Arbeitsplatzentwicklung im Zeitraum von 1900
und Talgebiet beschrieb Jeremias Gotthelf in sei- bis 1980 zeigt, wie der sektorale Wandel im Agrar-
Der Weg der Schweiz zum Werkplatz, Finanzplatz, Denkplatz und zur 47

kanton Bern gegenüber dem Industriekanton Zürich steht im Zusammenhang mit dem massiven Abbau
verzögert ablief. Zürich nahm quantitativ mit einem von Arbeitsplätzen im Inland, wogegen in den Grün­
hohen Anteil kommerzieller Dienstleistungen die derjahren gleichzeitig mit dem Ausbau der schwei­
wirtschaftliche Spitzenposition ein, und Genf bau­ zerischen Unternehmen im Ausland die Binnenwirt­
te seine Position als internationale Stadt mit einem schaft gewaltig wuchs.
überragenden tertiären Sektor aus. Bezogen auf die Die sechste Schweiz markierte aber auch einen
schweizerischen Berggebiete fällt auf, dass der Jura weitreichenden Strukturwandel, der v. a. die Export­
trotz der Uhrenkrise von 1970 bis 1985 einen star­ wirtschaft nach dem Ölschock von 1973 erfasste.
ken industriellen Sektor behalten hat. Im Alpenraum Mit dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen, ver­
sorgte die zwischen 1950 und 1980 stark ausgebau­ bunden mit einer starken Aufwertung des Schweizer
te Tourismuswirtschaft für einen starken Dienstleis­ Frankens und dem Rückgriff vieler Staaten zu pro­
tungssektor, der nach dem Bau von Kraftwerken ein tektionistischen Maßnahmen, kam die historisch ein­
starkes Baugewerbe aufrechterhält. Das Arbeitsplatz­ malige Wachstumsdynamik der Nachkriegszeit, die
wachstum im Berggebiet blieb allerdings hinter je­ im „Treibhausklima" stabiler Wechselkurse, liberaler
nem im Mittelland zurück. Handelsbeziehungen und dem Wiederaufbau in Euro­
Heute zeigen sich die regionalen Disparitäten in ei­ pa entstanden war, abrupt zum Stehen.
nem kleinräumigen differenzierten Muster. Während Von 1970 bis 1983 verschwanden 320 000 oder
die international bekannten touristischen Destinatio­ 10 % aller Arbeitsplätze im Industriesektor der
nen im Wallis, im Berner Oberland und in Graubün­ Schweiz. Im Ausland nahmen sie jedoch um 150000
den sowie die kleinen und mittleren Zentren in den zu, und im Inland legte der Dienstleistungssektor in
Haupttälern mit einem ausgebauten Dienstleistungs­ dieser Zeit um 210000 Arbeitsplätze auf einen An­
sektor aufgeholt haben, bleiben die zwar zahlenmä­ teil von 55% aller Arbeitsplätze zu. Im Urteil vieler
ßig abnehmenden Regionen, die der agrarischen, Zeitgenossen war diese strukturelle Erschütterung
agrartouristischen oder industriellen Peripherie zu­ die Folge eines verschlafenen Strukturwandels, in­
gerechnet werden, weit hinter dem schweizerischen dem in den l960er-Jahren Industrie und Baugewer­
Durchschnitt des Pro-Kopf-Einkommens zurück. be mit ausländischen Arbeitskräften expandierten,
Die Abwanderung aus dem Alpenraum hat eine der Dienstleistungssektor aber vernachlässigt wurde.
lange Tradition: Über 100 000 ausländische Arbeitskräfte wurden in
■ vor 1800 in fremde Kriegsdienste, der Folge zur Rückwanderung gezwungen. In dieser
■ im 19.Jh., bedingt durch Agrarkrisen, Zeit dezentralisierte sich die Industrie der Schweiz
v. a. in die USA, und durch den Abbau in den Industriestädten (Zürich,
■ nach 1880 in die Industriezentren der Schweiz. Winterthur, Brugg und Baden, Basel, Städte des Ju­
rasüdfußes, Bern und Genf). Die dabei entstandenen
Eine explizite Politik zugunsten der Berggebiete setz­ Industriebrachen bilden bis heute die wichtigsten
te in den 1950er-Jahren mit dem bundesstaatlichen städtebaulichen Entwicklungsgebiete. Gleichzeitig
Finanzausgleich ein, gefolgt von einer differenzierten wuchs der Dienstleistungssektor mit klaren Konzen­
Agrarpolitik, und seit Mitte der 1970er-Jahre mit trationstendenzen in den großen Städten und ihren
der Einführung der Regionalpolitik, die in jüngster Agglomerationen.
Zeit durch den Neuen Finanzausgleich (NFA) und Der Boom der zweiten Hälfte der l980er-Jahre
die Neue Regionalpolitik (NRP) erweitert wurde (vgl. hinterließ seine Spuren auf dem Arbeitsmarkt: Ins­
Kap. .,Strukturwandel im ländlichen Raum und in gesamt wurden im Jahrzehnt von 1980 bis 1990
den Alpen/Strukturwandel, Neuer Finanzausgleich etwa 530 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen,
und Neue Regionalpolitik"). mit einem hohen Anteil an weiblichen Arbeitskräf­
ten. Darin zeigt sich der Ausbau des Dienstleistungs­
Vom Werkplatz zum Finanz- sektors generell, speziell aber des Gastgewerbes, der
und Denkplatz und zurück Bildung, der öffentlichen Verwaltung und des Detail­
Die „sechste Schweiz" ist seit dem gleichnamigen handels.
Buch von Borner & Wehrli (1984) ein stehender Be­ Die l990er-Jahre gelten als ein Jahrzehnt mit
griff. Dieser Ausdruck bezeichnete mit einem Perso­ einer ausgesprochenen Wachstumsschwäche. Zwi­
nalbestand 1980 von rund 660 000 Beschäftigten schen 1991 und 1995 gingen netto 220 000 Ar­
das Wachstum der Schweizer Firmen im Ausland, beitsplätze verloren; gleichzeitig bauten die Schwei­
was 20% der Beschäftigten im Inland entsprach. zer Unternehmen ihre Position im Ausland mit
Dieses Phänomen war allerdings nicht neu. Im Ver­ 300 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen aus (vgl. Tab. 6
gleich dazu war die Schweizer Industrie vor dem und Tab. 7). Der wirtschaftliche Strukturwandel blieb
Ersten Weltkrieg mit gleich vielen Beschäftigten im also voll im Gang: durch die Auslagerung von Arbeits­
Ausland wie im Inland bereits wesentlich stärker in­ plätzen aus Kostengründen zur Präsenz auf wichtigen
ternationalisiert. Die Gründe waren Handelsschran­ Kundenmärkten und zunehmend als Maßnahme, den
ken im Zugang zu den wichtigen Wachstumsmärkten unmittelbaren Zugang zu den Forschungsmärkten zu
und hohe Lohnkosten im Inland. sichern. Diese Internationalisierung der Wertschöp­
Die Wahrnehmung einer sechsten Schweiz - die fungsketten hat in den l 980er-Jahren auch zuneh­
fünfte bezeichnet die Auslandschweizer, die anderen mend die KMU (kleine und mittlere Unternehmen
vier bezeichnen die Sprachregionen der Schweiz - mit weniger als 250 Beschäftigten) erfasst.
---
48 c�att

Das Strukturbild der Schweizer Wirtschaft präsen­


·. ·. tierte sich 2008 wie folgt (Bundesamt für Statistik
2010): 0,4% der Unternehmen mit über 250 Ar­
Banken 98 72 28 beitskräften beschäftigten 33,4% aller Beschäftig­
Versicherungen 100 32 68 ten, aber 87% der Unternehmen beschäftigten nur
Transport 62 36 64 ein bis neun Arbeitskräfte.
Durch Fusionen bei den Banken, den Versiche­
Detailhandel 28 73 27 rungen, der Pharmaindustrie, den industriellen
Übrige 53 8 92 Mischkonzernen und Firmen im Rohstoffhandel sind
Dienste 3 41 44 56 weltweit tätige Unternehmensgruppen entstanden,
Maschinen 87 33 67 die zwar als Flaggschiffe der Schweizer Wirtschaft
gelten, durch ihre Größe und erfahrene Krisenan­
Versorgung 22 12 88
fälligkeit aber auch eine Risikokonzentration für die
Chemie 17 32 68 Schweizerische Valkswirtschaft darstellen.
Pharma 192 15 85 Die Schweizer Wirtschaft wurde mit der Armbrust
Nahrungsmittel 242 7 93 als Qualitätssiegel in der Welt b ekannt. Die Ver­
Elektrotechnik 228 9 91 edelung von Rohmaterial in hochwertige Güter und
Dienstleistungen entstand aufgrund der einst große
Uhren 17 56 44 Distanzen zu den Märkten, den relativ hohen Lohn­
Medizinaltechnik 2 58 42 kosten und der Kleinheit des Binnenmarktes. Der
Bau 129 19 81 Anteil der Wertschöpfung, die durch Arbeit und Ka­
Metalle 34 32 68 pitaleinsatz erzeugt wird, musste stets hoch bleiben,
was zur Teilnahme am internationalen technischen
Papier 6 39 61
Fortschritt zwang.
Kabel/Reifen/Übrige 175 6 94 Mit dem Aufbau einer starken internationalen Fi­
Industrie 1150 15 85 nanzindustrie, die in den Jahren 200 4 bis 2007 mit
Total 120 000 Beschäftigten ca. 12% der Wertschöpfung
108 Gesellschaften 1490 21 79 erzeugte, entstand zunehmend ein Konflikt zwischen
Werkplatz und Finanzplatz. Der Grund dieses Konflik­
1 Tab. GI
Die sechste Schweiz: Persona/bestand bör-
tes lag in der laufenden Höherbewertung des Schwei­
sennotierter Gesellschaften, 1990-1996.
zer Frankens gegenüber wichtigen Handelspartnern,

111111111
was die Chancen der Schweizerischen Exportwirt­
Branchen schaft einschränkte, aber gleichzeitig das Interesse
. . an Kapitalanlagen in der Schweiz erhöhte und damit
alle Branchen 3 3 41 923 357747 11 den Finanzsektor förderte. Diese Erosion des Werk­
Aktiengesell­ platzes hat v. a. die weniger wissensintensiven Bran­
1 747638 357747 20 chen wie die Textil- und Bekleidungsindustrie sowie
schaften (CH 2005)
Marktwirtschaft 2650248 357747 13 die Holz- und Möbelindustrie getroffen.
Der Druck auf den Werkplatz Schweiz zwingt die
öffentlicher Sektor 691 675 0 0
Industriebranchen, den Standortnachteilen mit ei­
Industrie total 987 478 225 65 4 23 ner angepassten Fortsetzung der Veredelungsstra­
Chemie tegie zu begegnen: zum einen durch eine flexible
108 383 45193 42
und Pharma und international ausgerichtete Gestaltung der Wert­
Maschinen­ 17 schöpfungsketten, zum andern durch den Ausbau
281695 49095
industrie des Innovationsstandortes Schweiz für erfolgreiche
Baugewerbe 281658 12186 4 Schlüsselbranchen wie Biotechnologie und Pharma­
Dienstleistungen zie, Maschinenbau, Uhren, Medizinaltechnik, Che­
2 35 4 4 45 132093 6 mie und Lebensmittelindustrie, Ingenieurwesen und
total
Dienstleistungen Architektur.
ohne öffentlichen 1 662 770 132093 8 Es gibt gute Gründe, den Werkplatz Schweiz im na­
Sektor tionalen Innovationssystem bewusst zu stärken. Ein
Finanz­ tertiärer Pol wäre durch die relative Enge des Dienst­
194 771 89558 46 leistungsportfolios im Finanz- und Versicherungssek­
dienstleistungen
Immobilienwesen 4276 203 5 tor, das begrenzte Beschäftigungspotenzial daselbst
und das große Standortrisiko aufgrund der hohen
ITab. 71 Beschäftigungsanteile börsennotierter Unter­ Mobilität der Anbieter dieser Dienste gefährdet.
nehmen 2008 in Vollzeitäquivalenten. Auch wenn sich der Vorsprung gegenüber Ländern
Annahme bei Aktiengesellschaften: Teilzeit entspricht 50%­ wie Dänemark, Belgien und Deutschland verringert,
Anstellung); bö�ennolierte Unternehmen: Hochrechnung der hält die Schweiz im internationalen Innovationswett­
Befragungsergebnisse. Marktwirtschaft Schweiz total ohne
die Beschäftigung im öffentlichen Sektor (definiert als öf­ bewerb eine Spitzenposition (Konjunkturforschungs­
fentliche Verwaltung, Landesverteidigung, Sozialversicherun­ stelle der ETH Zürich 2010). Folgende Aussage gilt
gen, Unterrichtswesen und Gesundheits- und Sozialwesen). somit nicht nur für die Schweizer Wirtschaft, aber für

Wirtschaftsräume und Wirtschaltsentyt l'l�l 49

sie besonders: Ohne Werkplatz mit direktem Bezug attraktiven Arbeitsbedingungen für hoch qualifizierte
zu kommerziell verwertbaren Problemlösungen kann ausländische Arbeitskräfte begründet ist, seine Pro­
auch der Denkplatz, der im Bildungssystem und in duktivität nicht entfalten.

Wirtschaftsräume und Wirtschaftsentwicklung ■ Urs Müller, Tina Haisch

Regionen im Standortwettbewerb für Statistik (BFS) 106 für die mikroregionale Analy­
Der Standortwettbewerb zwischen Regionen ist heu­ se ausgewiesen hat (Abb. 38).
te in Wirtschaft und Politik ein viel beachtetes und 1 m innerschweizerischen Steuerwettbewerb be­
diskutiertes Thema. Es sind die Regionen innerhalb wegt sich beispielsweise die Diskussion primär auf
einer Volkswirtschaft, die ihre wirtschaftliche Stärke der Kantons- und sekundär auf der Gemeindeebene.
und Spezialisierung gezielt nach außen tragen, um Für regionalökonomische Fragestellungen bieten sich
weitere wirtschaftliche Akteure (z.B. Kapitalgeber, sog. ,,funktionale Wirtschaftsregionen" an, in denen
Arbeitskräfte, Unternehmen, Forschungs- und Bil­ die Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital, Boden und
dungseinrichtungen) anzuziehen, um attraktiver zu Wissen in besonders enger Verflechtung zueinander
werden und letztendlich um zu wachsen. stehen, z.B. in Pendlereinzugsgebieten. Der Be­
Im Zuge der Globalisierung führen eine stärkere griff der funktionalen Wirtschaftsregion wird in der
Verflechtung des Güterhandels und eine Zunahme Schweiz von verschiedenen Organisationen verwen­
grenzüberschreitender Direktinvestitionen zu einer det, welche ihren Wirtschaftsraum nach unterschied-
erhöhten Mobi Iität der Produktionsfaktoren. Als 1 ichen Kriterien abgrenzen. Ein Beispiel hierfür ist
Folge der Intensivierung internationaler Warenströ­ die unterschiedliche Definition des Metropolitan­
me stehen die Volkswirtschaften - bei gleichzeitig raums Zürich. Nach der Abgrenzung einerseits durch
steigendem Wettbewerb - in zunehmender Abhän­ die Greater Zurich Area AG, ein Dienstleistungsun­
gigkeit zueinander. Im Rahmen des internationalen ternehmen, das sich mit der Vermarktung des Wirt­
Standortwettbewerbs buhlen nicht nur Staaten um schaftsraums Zürich befasst (www.greaterzuricharea.
die Gunst attraktiver Unternehmen und hoch qua­ eh), und andererseits des Vereins Metropolitanraum
lifizierter Arbeitskräfte, sondern es stehen vielmehr Zürich (http://www. metropol itanrau m-zuerich .eh),
auch funktionale Wirtschaftsräume (Regionen) inner­ der Trägerschaft der Metropolitankonferenz, umfasst
halb von Volkswirtschaften oder über Landesgrenzen der Metropolitanraum Zürich jeweils acht Kantone
hinweg miteinander im Wettstreit. Vor diesem Hin­ (Abb.39), die jedoch nicht deckungsgleich sind.
tergrund des globalen Wettbewerbdrucks rücken
subnationale Wirtschaftsräume und die Steuerung Die sieben Schweizer Großregionen
des regionalen Erfolgs durch öffentliche Akteure Die Verwendung des funktionalen Konzeptes zur Ab­
vermehrt ins Zentrum des Interesses. Im Folgenden grenzung von zusammenhängenden Wirtschaftsräu­
wird deshalb der Frage nachgegangen, wie die Wirt­ men gelangt einerseits bei der Datenverfügbarkeit an
schaftskraft innerhalb der Schweiz verteilt ist und seine Grenzen, da in der Schweiz viele Wirtschafts­
warum sich manche Regionen besser entwickeln als daten von offiziellen statistischen Ämtern nur auf
andere. kantonaler Ebene erhältlich sind. Andererseits sorgt
Man geht im Allgemeinen davon aus, dass der in der Schweiz eine ausgeprägte kantonale Identität
Erfolg von Wirtschaftsräumen neben globalen wirt­ und Verbundenheit für ein großes Interesse am eige­
schaftsdynamischen (z.B. konjunkturellen) Prozes­ nen Wohn- oder Arbeitskanton. Künstlich abgegrenz­
sen sowie nationalen und regionalen Rahmenbe­ te Aggregate funktionaler Wirtschaftsregionen stoßen
dingungen auch hauptsächlich von der Wirtschafts­ deshalb sehr schnell an die Grenzen der Akzeptanz.
struktur abhängt, also der Zusammensetzung der Basel Economics AG (BAKBASEL) definierte Ende
Branchen innerhalb eines Wirtschaftsraums. der 1980er-Jahre aufgrund ihrer Wirtschaftskraft sie­
ben Schweizer Großregionen (Bassin Lemanique, Es­
Funktionale Wirtschaftsregionen pace Mittelland, Südschweiz, Basel, Zürich/Aargau,
Der Begriff Region oder Wirtschaftsraum wird zwar Zentralschweiz, Ostschweiz), die sowohl funktionale
in akademischen Publikationen und im allgemeinen Kriterien als auch politisch-administrative Gren­
Sprachgebrauch häufig verwendet, ist aber selten ge­ zen berücksichtigen. 1 m Jahr 1997 definierte das
nau definiert.Wenn man die wirtschaftliche Dynamik Schweizerische Bundesamt für Statistik ebenfalls
über einen bestimmten Zeitraum verfolgt und mit an­ sieben Großregionen, die von den BAK-Großregionen
deren Räumen vergleicht, ist es jedoch wichtig, eine leicht abweichen (Abb. 40). In funktionaler Hinsicht
passende und einheitliche Methodik der regionalen sind mit dem Bassin Lemanique, Zürich/Aargau und
Abgrenzung zu verwenden. Unter Regionen werden Basel drei Großregionen aus einem klaren urbanen
je nach Fragestellung z.B. Städte, Agglomerationen, Oberzentrum und dessen Einzugsgebiet gebildet.
Kantone, Großregionen oder MS-(mobilite spatiale) Beim Espace Mittelland handelt es sich um ein
Regionen verstanden, eine den Pendlereinzugsberei­ Städtesystem (Bern, Thun, Biel, Solothurn, Fribourg/
chen vergleichbare mikroregionale, teils kantonsüber­ Freiburg, Neuchatei/Neuenburg) mit dem jeweiligen
greifende Zwischenebene, von denen das Bundesamt Umland. Bei der Ost- und der Zentralschweiz han-
50 Ä: chaft

25 50 km

1 Abb. 38 I MS-Regionen und Kantone der Schweiz.

sich bei allen Großregionen um Aggregate von Kan­


tonen handelt.
Abb. 40 zeigt die wirtschaftliche Stärke der sieben
TG Schweizer Großregionen, gemessen am nominalen

.. Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf im Jahr 2008,


dem wohl gebräuchlichsten Indikator, um die Wirt­
schaftskraft von Volkswirtschaften oder Regionen
miteinander zu vergleichen. Die bevölkerungsmäßig
dicht besiedelten Regionen Basel (826 EW/km2),
Zürich/Aargau (630 EW/km2) und das Bassin Lema­
SC nique (370 EW/km2 ) weisen ein deutlich höheres
BIP pro Kopf auf als die restlichen Großregionen und
�liegen damit über dem gesamtschweizerischen Mit­
]telwert von 69000CHF im Jahr 2008. Das höchste
�BIP pro Kopf kommt 2008 der flächenmäßig kleins­
jten Region Basel zu (107000CHF), noch vor Zürich/
0Aargau und dem Bassin Lemanique. Mit einigem Ab­
�stand folgen die Zentralschweiz, die Südschweiz, das
' jEspace Mittelland und die Ostschweiz, welche eine
10 ,o 30 km
Jlleicht unterdurchschnittliche Wirtschaftskraft aufwei­
Kernbereich Grenzlinien für §sen. Die wichtigste Region der Schweiz ist die Region
Metropolitanraum Zürich i,Zürich/Aargau: Hier erwirtschafteten im Jahr 2008
Ausstrahlungsbereich
und Agglomeration Luzern �25% der Schweizer Bevölkerung 28% des Bruttoin­
gemäß Bundesamt für Statistik
ilandsproduktes. Am zweitwichtigsten ist das Espace
Mittelland, in welchem im selben Jahr 22,5 % der
1 Abb. 39 I Metro­ delt es sich um geographisch zusammenhängende Bevölkerung 19% des BI Ps erwirtschafteten. Aus
politanraum Zürich. Gebiete mit jeweiligen wichtigen regionalen Ober­ diesem Vergleich wird deutlich, dass sich die unter­
zentren (St. Gallen, Luzern), und die Südschweiz schiedlichen Niveaus der Wirtschaftskraft nicht nur
deckt wesentliche Teile des Schweizer Alpenraums durch bloße Agglomerationsvorteile erklären lassen.
ab. Politisch-administrative Grenzen werden bei den Abb. 41 zeigt die wirtschaftliche Entwicklung in
verwendeten Regionen insofern berücksichtigt, als es den Großregionen sowie der gesamten Schweiz im
51

1 Abb. 401 Bevölkerung und Bruttoinlandsprodukt (BIP)


pro Kopf in 1000 CHF in den sieben Großregionen der Großregionen der Schweiz
Schweiz, definiert nach Basel Economics (A) und nach nach BAKBASEL
BFS(B). A

Zeitraum von 1980 bis 2008, gemessen am Wachs­


tum des realen BIPs. Man erkennt in der gesamten
Schweiz ein relativ starkes Wachstum um durch­
schnittlich 2,2 % in den 1980er-Jahren, mit nur
leichten Unterschieden zwischen den einzelnen Groß­
regionen. In diesem Zeitraum entwickelten sich die
Zentralschweiz (2,7 %) und die Region Zürich/Aargau
(2,4 %) überdurchschnittlich. Nach einer Zeit der
Vollbeschäftigung verfiel die Schweiz in den 1990er­
Jahren in eine wirtschaftliche Stagnation mit einem
durchschnittlichen BIP-Wachstum von 1,1 %. Als
mögliche Gründe für diesen deutlichen Wachstums­
rückgang erscheinen die Erblasten aus der konjunk­
turellen Überhitzung der späten l 980er-Jahre, die Legende
826436 Bevölkerung 2008 in den Großregronen der Schweiz Schweiz
im Bau- und Immobiliensektor besonders gravierend Südschweiz Name der Großregion Bevölkerung 2008: 7701856
60,0 BIP pro Kopf 2008 (nommell ,n Tsd CHF) BIP pro Kopf 2008 (nominell 1n Tsd CHF): 69, 1
war, sowie die auf Inflationsbekämpfung ausgerichte­
te, sehr restriktive Geldpolitik zu Beginn dieser Peri­
Großregionen der Schweiz
ode (Gehrig 2001). Auch der erhöhte internationale nach BFS
Wettbewerbsdruck, der die Strukturschwächen der B
ehemals geschützten Schweizer Wirtschaft ans Licht
brachte, spielte eine Rolle.
Die 1990er-Jahre waren von einem tief greifen­
den Strukturwandel geprägt, der v. a. die auf den
Tourismus ausgerichtete Südschweiz, das auf den
Finanzsektor ausgerichtete Bassin Lemanique, die
industriell geprägte Ostschweiz sowie das Espace
Mittelland betraf. Die Regionen Basel, Zürich/Aargau
und Zentralschweiz entwickelten sich dagegen leicht
überdurchschnittlich.
Im Zeitraum von 2000 bis 2008 erreichte die wirt­
schaftliche Dynamik der Gesamtschweiz wieder den
Wachstumswert der l 980er-Jahre (+ 2,3 %). Allen vo­
ran wies die Region Basel ein durchschnittliches rea­
25
les Wertschöpfungswachstum von 3,4% auf, vor der !:Okm

Zentralschweiz (2,8%) und dem Bassin Lemanique


(2,5%). Etwas abgeschlagen ist die Region Zürich,
die sich im Zeitraum 2000-2008 mit einem Wachs­
tum von 2,0% genauso entwickelte wie die Ost- und
die Südschweiz. Ausschlaggebend hierfür sind die
Wachstumseinbrüche zu Beginn des neuen Jahrtau­
sends sowie im Jahr 2008, die beide stark mit Rück­
gängen an den Finanzmärkten korrelieren. Die Region
Zürich/Aargau wuchs 2008 nur um 0,6 % und bildete
damit das Schlusslicht unter den Regionen.

Die wichtigsten Exportbranchen der Schweiz


zusammenfassend kann festgehalten werden, dass
die Region Zentralschweiz zwischen 1980 und
2008 die größte Wachstumsdynamik (2, 1%) auf­
wies, gefolgt von der Region Basel (2,0%) und der
Region Zürich/Aargau (1, 7 %). Die Gründe für diese
unterschiedliche Dynamik werden im Folgenden in
einer vergleichenden Branchenanalyse gesucht. Da-

I Wirtschaftliche Dynamik in den Schweizer


1 Abb. 41 -- Bassin Lemanique - Espace Mittelland - Basel - Zürich/Aargau
Großregionen (reales BIP-Wachstum 1980-2008, -- Zentralschweiz - Ostschweiz Südschweiz - Schweiz
Indexwerte 1980= 100).
52 chaft

bei werden die vier wichtigsten Exportbranchen der einer starken Abhängigkeit der Basler Wirtschaft von
Schweiz - die Chemie, die Finanzbranche, die Inves­ dieser Industrie. Sie ist Hauptbestandteil der Ufe­
titionsgüterindustrie und der Tourismus - nach ihrer Sciences-Branche, dem Zugpferd der Region Basel.
räumlichen Konzentration und Dynamik untersucht. Ebenfalls hohe Konzentrationen weisen der Touris­
Weitere wichtige Branchen sind die unternehmens­ mus in der Südschweiz, die Finanzbranchen in Zü­
bezogenen Dienstleistungen, der Bausektor und der rich/Aargau und die Investitionsgüterindustrie in der
Handel, welche aber stark derivativen Charakter ha­ Ostschweiz auf.
ben und deshalb hier nicht speziell analysiert werden.
Tab. 8 zeigt deutlich, wie unterschiedlich die Chemisch-pharmazeutische Industrie:
Großregionen strukturiert sind. Die größten Gemein­ Zugpferd der Region Basel und
samkeiten sind zwischen dem Espace Mittelland, Wachstumsfaktor im Bassin Lemanique
der Zentralschweiz und der Ostschweiz ersichtlich. Wie kaum eine andere Branche weist die Chemie eine
Die Spezialisierung der einzelnen Großregionen auf außerordentlich starke Konzentration in der Region
die vier wichtigsten Wirtschaftsbranchen, gemessen Basel auf, in welcher 34 % aller Erwerbstätigen der
anhand des Standortquotienten (SQ), ist in Tab. 9 chemischen Industrie 52% der nominalen Brutto­

■IMlllllllllfl«i■IIIIIII
dargestellt. Mit einem SQ-Wert von 4,6 ist die Re­ wertschöpfung der Branche erwirtschaften. Demnach
gion Basel von allen Regionen am stärksten auf eine ist die Region Basel die wichtigste Region für die
einzige Branche (chemisch-pharmazeutische Indus­ chemisch-pharmazeutische Industrie in der Schweiz.
trie) spezialisiert. Diese starke Spezialisierung birgt Die Region Basel und das Bassin Lemanique
große Chancen, aber auch gewisse Risiken im Sinne konnten die reale Bruttowertschöpfung der che­
misch-pharmazeutischen Industrie über die hier
betrachteten Zeiträume (1980-1990, 1990-2000
und 2000-2008) kontinuierlich steigern: Im Bassin
Lemanique in den 1980er-Jahren um durchschnitt­
Standortt1uo1ien1en• verschiedener Branchen und Wirtschaftsregionen lich 2,2%, in den 1990er-Jahren, in denen weite
chemische Teile der Schweizer Wirtschaft eine Stagnation er­
Industrie 10 7 52 11 4 7 9 lebten, konnte hier ein Wertschöpfungswachstum
von 8% und in jüngster Zeit (2000-2008) sogar
Finanz-
branche 18 9 7 48 5 5 8 ein Wachstum von 10,6 % erzielt werden. Dieses
enorme Wachstum kann nur mit einer intensiven
lnvesti-
Innovationstätigkeit, dem damit einhergehenden
tionsgüter-
industrie 11 27 6 24 10 15 7 technologischen Fortschritt und einer gestiegenen
Wettbewerbsfähigkeit erklärt werden. Die Region
Tourismus 15 19 6 22 10 9 20 Basel (Abb. 42) verzeichnet ähnlich hohe Wachs­
1 Tab. BI
Verteilung der vier wichtigsten Exportbranchen in den Großregionen der tumsraten wie das Bassin Lemanique: Die che­
Schweiz (Anteil an der gesamtschweizerischen nominalen Bruttowertschöpfung misch-pharmazeutische Industrie wuchs hier in den
2008 in Prozent). l 980er-Jahren um durchschnittlich 2,3 %, in den
• Erläuterung: Der Standortquotient ist ein Maß für die räumliche Konzentration der Wirt­ l 990er-Jahren um 6, 1 % und in jüngster Vergangen­
schaftsbranche x im Teilraum y, im Verhältnis zur selben Branche in der gesamten Schweiz heit (2000-2008) gar um 8,9%.
an der schweizerischen Gesamtwirtschaft (Quotient der Branchenanteile minus eins, siehe
z.B. Bathelt&Glückler 2003). Der Wert Null bedeutet demnach eine durchschnittliche
Spezialisierung, Werte unter Null beschreiben eine unterdurchschnittliche und Werte über Finanzbranche:
Null eine überdurchschnittliche Spezialisierung einer Großregion auf eine Branche. Der Hohe Konzentration in Zürich/Aargau
Standortquotient sagt damit etwas über die Wichtigkeit, aber auch über die Abhängigkeit Die Finanzbranche ist ein Aggregat aus Banken,
einer Region von einer bestimmten Branche aus.
Versicherungen und sonstigen Finanzdienstleistern,
z.B. unabhängigen Vermögensverwaltern oder Versi­
cherungsbrokern. Anders als die Chemie ist die Fi­
nanzbranche hauptsächlich in den Regionen Zürich/
Aargau und dem Bassin Lemanique konzentriert.
Standortquotienten* verschiedener Branchen und Wirtschaftsregionen Der Standortquotient von 0,7 in der Region Zürich/
Aargau (Tab. 9) zeigt zwar eine deutliche Spezialisie­
chemische
-0,34 -0,65 4,64 -0,60 -0,57 -0,32 0,01 rung, lässt jedoch zusätzlich erkennen, dass die ge­
Industrie
samte wirtschaftliche Leistung der Region auf mehre­
Finanz- re Branchen verteilt ist, was zu einer weniger starken
0,18 -0,53 -0,29 0,70 -0,42 -0,48 -0,16
branche
regionalen Krisenanfälligkeit führt. Trotz der relativ
lnvesti- geringen Spezialisierung der Region Zürich/Aargau
tionsgüter- -0,25 0,42 -0,38 -0,17 0,11 0,56 -0,24 erwirtschaften hier rund 42% der Erwerbstätigen in
industrie
der Finanzbranche 48% der Branchenwertschöpfung
Tourismus -0,05 -0,04 -0,31 -0,23 0,11 -0,11 1,18 der Schweiz. Knapp die Hälfte der wirtschaftlichen
• Standortquotient O=Schweizer Mittel; SQ>O=Branche ist überproportional vertreten, Aktivität in der Schweizer Finanzindustrie findet also
SQ<O=Branche ist unterproportional vertreten
in der Region Zürich/Aargau statt, welche damit für
ITab. 91 Rä/Jmliche Konzentration der vier wichtigsten Schweizer Ei<portbranchen die Finanzindustrie die mit Abstand wichtigste Regi­
2008 (StEndortquotienten berechnet aus der nominalen BruttowertschöpfUng 2008). on ist. Die zweitwichtigste Region ist das Bassin Le-
Wirtschaftsräume und Wirtschaftsent.wlWfil • 53

manique, in dem 19% der Erwerbstätigen 18% der ehe (ebenfalls 11%) der wichtigste Exportzweig der IAbb.421 Blick auf Base/-
Branchenwertschöpfung erwirtschaften. Eine Analy­ Schweiz. Den höchsten Standortquotienten (0,56) Stadt.
se auf Kantonsebene zeigt auch für das Tessin eine und damit die höchste Spezialisierung auf die Inves­
überdurchschnittliche Konzentration. titionsgüterindustrie (zusammengesetzt aus der Me­
Betrachtet man die Entwicklung der Finanzbran­ tallindustrie, dem Maschinenbau und der Elektroin-
che in den drei Untersuchungsperioden, schneidet dustrie) weist die Ostschweiz auf (s. Tab. 9). Eine fast
die Region Zürich/Aargau durchschnittlich am besten ebenso hohe Spezialisierung zeigt das Espace Mittel-
ab. Im gesamten Zeitraum von 1980 bis 2008 wuchs land (SQ=0,42), vor der Zentralschweiz (SQ=0,11).
die Branche in Zürich/Aargau um durchschnittlich Alle anderen Regionen sind in der Investitionsgüter­
4,8%, gefolgt von der Zentralschweiz (4, 7%), dem industrie unterdurchschnittlich vertreten.
Espace Mittelland (4, 1 %), dem Bassin Lemanique Das Espace Mittelland ist für die I nvestitionsgü­
(3,9%) und der Südschweiz (3,8%). terindustrie die bedeutendste Region. Hier erwirt­
Im Zeitraum von 2000 bis 2008 machten sich schaften 30 % der Erwerbstätigen 27% der realen
die Börseneinbrüche in den Wachstumsraten der re­ Bruttowertschöpfung dieser Branche (s. Tab. 8). Der
alen Bruttowertschöpfung jedoch deutlich bemerk­ Ostschweiz kommt hingegen trotz hoher Spezialisie­
bar. Lediglich um 1,2% konnte die Region Zürich/ rung eine etwas weniger bedeutende Rolle zu: Hier
Aargau ihre Bruttowertschöpfung im betrachteten erwirtschaften 16% der Erwerbstätigen 15 % der
Zeitraum steigern und lag damit hinter den Regi­ nominalen Wertschöpfung (Stand 2008). Trotz der
onen Zentralschweiz (2,6 %), Espace Mittelland unterdurchschnittlichen Spezialisierung der Region
(1,5%) und Bassin Lemanique (+ 1,4%). Nur die Zürich/Aargau (SQ=-0,17) erwirtschafteten hier
Südschweiz wies ein noch niedrigeres Wachstum auf 22% der Erwerbstätigen rund 24% der nominalen
(+0,7%). Bruttowertschöpfung (Stand 2008). Somit ist die
Region Zürich/Aargau nicht nur die wichtigste Regi­
Investitionsgüterindustrie: on für den Finanzsektor, sondern spielt auch in der
spezialisierte Ostschweiz und Espace Mittelland Investitionsgüterindustrie eine bedeutende Rolle.
Die Investitionsgüterindustrie macht 11% der nomi­ Vor allem in den 1990er-Jahren erlebte die In­
nalen Bruttowertschöpfung der Schweizer Wirtschaft vestitionsgüterindustrie eine Stagnation: Das reale
aus und ist damit zusammen mit der Finanzbran- Bruttowertschöpfungswachstum belief sich, über
54

alle Regionen betrachtet, auf lediglich 0,9 %. Be­ litten und verzeichnete einen Wachstumseinbruch
sonders stark vom Strukturwandel betroffen waren von durchschnittlich -2,4%. Im Tourismus fand in
die Regionen, die stark auf die Investitionsgüterin­ jüngster Vergangenheit ein starker Strukturwandel
dustrie spezialisiert waren und wenig andere Wirt­ statt, der immer noch anhält. Einzig die Region Ba­
schaftszweige beheimateten. In erster Linie war das sel konnte im Zeitraum 2000 bis 2008 ein leichtes
die Ostschweiz, die in den l 980er-Jahren in diesem Wachstum von 0,3% verzeichnen, was sie sicherlich
Industriesegment ein starkes Wachstum aufwies ihrer einzigartigen Stellung als Gastgeberin von in­
(3,6%), was dann im Zeitraum 1990 bis 2000 stark ternational bekannten Messen wie der Art Basel oder
zurückging (1,6 %). Neben der Ostschweiz erfuh­ der Uhren- und Schmuckmesse Base/world verdankt,
ren aber auch alle anderen Regionen einen starken die jährlich Tausende von Besuchern aus aller Welt
Wachstumsrückgang. Den Erfolg eines tief greifen­ in die Region locken. Auch hier wird die Zukunft
den Strukturwandels, der sich immer noch fortsetzt, zeigen, welche Regionen sich in der komplexer und
lässt sich an den Wachstumsraten ablesen: Die Re­ wettbewerbsintensiver werdenden Tourismusindustrie
gion Bassin Lemanique erreichte im Zeitraum 2000 durchsetzen werden.
bis 2008 ein Wachstum der realen Wertschöpfung
von 4,6%, vor der Region Südschweiz (3, 7 %), der Zusammenfassung
Zentralschweiz (3,2%) und Basel (2,8%). Dennoch Die Regionen Zürich/Aargau, Basel und das Bassin
erreichen die meisten Regionen aktuell nicht mehr Lemanique verdanken ihre wirtschaftliche Stärke zu
die Wachstumsraten der l 980er-Jahre, und es wird einem guten Teil ihrer Branchenstruktur: Die Region
sich weisen, wer im aktuellen Strukturwandel be­ Zürich/Aargau ist wirtschaftlich betrachtet vor dem
steht. Espace Mittelland die verhältnismäßig wichtigste
Region der Schweiz. Hier erwirtschafteten im Jahr
Tourismus: Ferienregionen 2008 25 % der Bevölkerung 28% des Bruttoinlands­
Südschweiz und Zentralschweiz produktes. Nebst ihrer Vormachtstellung in der Fi­
Der Tourismus sorgte im Jahr 2008 für lediglich nanzbranche ist die Region Zürich/Aargau ebenfalls
2 % der nationalen Wertschöpfung. Die höchste die wichtigste Schweizer Region für den Tourismus.
Spezialisierung auf den Tourismus weist dabei die Zusätzlich spielen die Investitionsgüterindustrie und
Südschweiz (SQ = 1, 18) auf, vor der Region Zent­ die Chemie für die wirtschaftliche Stärke der Region
ralschweiz (SQ=0,11, Tab.9). Im Gegensatz bei­ eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zur Region Basel,
spielsweise zu den Regionen Basel und Zürich/Aar­ die ihre Stärke und ihr Wachstum v. a. der chemisch­
gau (Messetourismus) ist die Südschweiz sehr stark pharmazeutischen Industrie zu verdanken hat, ist die
auf den Urlaubstourismus ausgerichtet. Skigebiete Region Zürich/Aargau aber ausreichend stark diver­
wie Zermatt oder Davos ziehen jährlich Tausende sifiziert und damit weniger krisenanfällig. Die Ost­
nationale und internationale Gäste in die Region. schweiz und die Südschweiz haben in jüngster Ver­
Aber auch im Sommer ist die Südschweiz eine gut gangenheit beide mit einem starken Strukturwandel
frequentierte Ferienregion. zu kämpfen: erstere Region im Bereich der Investiti­
In der offiziellen Wirtschaftsstatistik wird die Tou­ onsgüterindustrie und letztere im Bereich Tourismus.
rismusbranche nicht mit allen Bereichen geführt Es wird sich in der Zukunft zeigen, ob und wie die
und muss deshalb abgeschätzt werden. Für die Regionen die strukturellen Veränderungen zu ihren
hier durchgeführte Analyse wurde angenommen, Gunsten nutzen können. In jüngster Zeit weisen die
dass sich die Tourismusbranche in den jeweiligen Regionen Basel, Zentralschweiz und das Bassin Le­
Regionen anhand der Anteile des Gastgewerbes manique die höchsten BIP-Wachstumsraten auf. Das
abschätzen lässt. Dies kann allerdings zu einigen Bassin Lemanique holt v.a. in der chemisch-phar­
Verzerrungen führen, da wichtige Ausgaben, die im mazeutischen Industrie stark auf und zeigt großes
Tourismus getätigt werden (z.B. Transportdienst­ Potenzial.
leistungen oder Detailhandel/Einzelhandel), nicht Neben den hier analysierten Exportbranchen sind
berücksichtigt werden. Mit diesen Einschränkungen auch die unternehmensbezogenen Dienstleistungen,
zeigt Tab.8, dass in der Region Zürich/Aargau 22 % der Bausektor und der Handel für wirtschaftliche
der realen Bruttowertschöpfung des Tourismus er­ Leistung und Dynamik der Schweizer Großregionen
wirtschaftet werden (von 21 % der Erwerbstätigen). entscheidend. Sie unterliegen jedoch starken Agglo­
Damit ist Zürich/Aargau neben der Finanzbranche merationseffekten und wurden deshalb hier nicht
auch für den Tourismus die wichtigste Region. Eine betrachtet. Abgesehen von der Branchenstruktur
fast ebenso große Bedeutung kommt dem Touris­ sind zusätzlich regionale Standortvorteile für die
mus in den Regionen Südschweiz und dem Espace wirtschaftliche Leistung und Dynamik ausschlagge­
Mittelland zu. In der Südschweiz, der zweitwichtigs­ bend. Die Regionen Basel, Zürich/Aargau und das
ten Tourismusregion, erwirtschafteten im Jahr 2008 Bassin Lemanique profitieren beispielsweise stark
20% der Erwerbstätigen 20 % der Bruttowertschöp­ von ihrer international guten Erreichbarkeit durch die
fung, und im Espace Mittelland erwirtschafteten Flughäfen. Einen wesentlichen Einfluss haben außer­
21 % der Erwerbstätigen rund 20% der nominalen dem die Steuern, die jedoch auf kantonaler Ebene
Bruttowertschöpfung. erhoben werden und innerhalb der Schweiz starken
Auch die Tourismusbranche hat stark unter dem regionalen Schwankungen unterliegen und so den in­
konjunkturellen Einbruch in den 1990er-Jahren ge- ternen Standortwettbewerb beleben.
55

Tourismus ■ Thomas Sehader, Christian Hunziker

Bedeutung der Schweizer Tourismuswirtschatt am Bruttoinlandsprodukt - also an der gesamtwirt­


Der Tourismus ist nach der Erdöl- und Autoindus­ schaftlichen Leistung - von ca. 3 % (BFS 2010).
trie der drittgrößte Faktor der Weltwirtschaft. Er Insbesondere in peripheren Regionen spielt der Tou­
zählt neben der Telekommunikation und der Elek­ rismussektor für die regionale Volkswirtschaft eine
tronik zu den wichtigsten Wachstumssparten der wichtige Rolle: Er bringt Arbeitsplätze und Einkünf­
Gegenwart. So nahm beispielsweise die Zahl der te in diese meist strukturschwachen Gebiete und
Auslandsreisenden im Zeitraum von 1970 bis 2008 ist in diesen Regionen die eigentliche Leitindustrie.
von jährlich 166Mio. auf rund 922Mio. Personen Diese Aussage wird insbesondere durch Wertschöp­
zu (World Tourism Organization 2009). Wachsender fungsstudien gestützt, die für einige dieser Regionen
Wohlstand, immer mehr Freizeit, ständig bessere durchgeführt wurden. Für das Wallis beispielsweise
Verkehrsverbindungen sowie ein zügiger Ausbau wurde der direkte und indirekte Beschäftigungseffekt
des Tourismusangebotes haben diese Entwicklung des Tourismus auf rund 27 % und der Wertschöp­
ermöglicht und werden gemäß einer Schätzung der fungseffekt auf 25 % geschätzt (Rütter et al. 2001).
Welttourismusorganisation (World Tourism Orga­ Im Kanton Graubünden macht der Tourismus sogar
nization 2009) dazu führen, dass sich diese Zahl rund 30 % der regionalen Wirtschaftsleistung aus
der internationalen Ankünfte bis 2020 auf 1,6Mrd. (Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur
erhöht. 2008).
Für die Schweizer Volkswirtschaft stellt der Tou­ Aufgrund der volkswirtschaftlichen Bedeutung des
rismus einen wichtigen Faktor dar. Er ist hinter der Tourismus, aber auch aufgrund der traditionell stark
chemisch-pharmazeutischen Industrie , der Metall­ föderalen Struktur gibt es in der Schweiz vielfältige
und Maschinenindustrie, dem Finanzsektor sowie der Tourismusorganisationen und -strategien (Abb. 44).
Uhrenindustrie die fünftwichtigste Exportbranche. übergeordnetes Ziel ist eine starke Positionierung
2009 gaben die ausländischen Gäste in der Schweiz der Marke Schweiz auf internationaler Ebene, wo­
rund 15 Mrd. CHF aus. 1 n der Fremdenverkehrsbi­ bei auf Qualitätssteigerung und innovative Konzepte
lanz zeigte sich 2009 ein positiver Saldo von rund gesetzt wird. Im Rahmen einer Bündelung von Mar­
3,5Mrd.CHF, d. h. dass ausländische Gäste in der ketinginstrumenten und Synergieeffekten werden
Schweiz deutlich mehr Geld ausgeben als Schweizer einzelne Destinationen als Dachmarken - z.B. ,,En­
Reisende im Ausland. Der Tourismussektor erwirt­ gadin-St. Moritz" vermarktet und präsentieren sich
schaftete 2009 rund 14,5Mrd. an Wertschöpfung nach au Ben unter einem Qualitätsmarkennamen
(Tab.10). Er erbrachte damit einen direkten Anteil (Abb.43).

II
Touristische Bruttowertschöpfung1, Bruttowertschöpfung2 Nachfrage
Nachfrage und Beschäftigung 2009
zu laufenden zu laufenden .

Preisen, in Mio. CHF Preisen, in Mio. CHF .

Total 14455 34904 145684


A. tourismusspezifische Produkte 14026 26777 143291
Al tourismuscharakteristische Produkte 10857 22025 109041
1 Beherbergung 3714 5244 36197
davon Beherbergung in der Hotellerie 2137 4435 32 951
2 Verpflegung in Gaststätten und Hotels 2411 5185 37176
3 Passagierverkehr 2256 7294 16208
davon Bahnverkehr 448 1016 3603
davon Luftverkehr 905 4395 4718
4 Reisebüros und Tourismusvereine 1574 2544 12964
5 Kultur 148 294 1947
6 Sport und Unterhaltung 440 910 3273
7 diverse Dienstleistungen 315 553 1283
A2 Tourismusverwandte Produkte 3169 4753 34250
B. nicht tourismusspezifische Produkte 429 8127 2393
1 Jährliche Indikatoren zum Satellitenkonto Tourismus der Schweiz (erste Schätzungen)
2 Bruttowertschöplung: Errechnet sich aus dem Gesamtwert der im Produktionsprozess erzeugten Waren und Dienstleistungen (Bruttoproduktionswert)
abzüglich des Werts der im Produktionsprozess verbrauchten, verarbeiteten oder umgewandelten Waren und Dienstleistungen (Vorleistungen).

1 Tab. 101 Touristische Bruttowertschöpfung, Nachfrage und Beschäftigung in der Schweiz 2009.
56

IAbb.431 Engadin­
St. Moritz, der welt­
berühmte Ferienort
auf 1856m.

1 Abb. 441 Träger der


Schweizer Tourismus­
politik.

Träger der Schweizer Tourismuspolitik Strategien

parlamentarische Gruppe ■ Voraussetzungen schaffen


·····" für Tourismus und Verkehr ► Akzeptanz für Tourismus erhöhen -eine Voraus­
(informelle Information
setzung für erfolgreicheres Wirtschaften schaffen

• •
über Tourismusgeschäfte)
► Grundlagen für Innovationen schaffen -ein
Kantone Instrument für nachhaltiges Wachstum
(Kantonale ► internationale Rahmenbedingungen verbessern -
Tourismuspolitik)
die Interessen der Schweiz international vertreten

■ den Marktauftritt stärken


(tourismuspolitische ► die Marke Schweiz stärken - Schlüssel z. Weltmarkt
Koordination ► strategische Produkte entwickeln -den Wandel
mit den Departementen,
den Kantonen und der der Nachfrage mitmachen
(Förderung des Tourismus und
der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft) ► die Qualität der Dienstleistungen steigern - mit
Wirtschaft) Spitzenleistungen Preisnachteile kompensieren
► den Einsatz der Telematik verstärken -mit dem
technischen Fortschritt vorangehen

Schweiz Schweizerische ■ die Standortattraktivität erhöhen


Tourismus (ST) Gesellschaft für
Hotelkredit (SGH) ► Humankapital aufbauen - den Unterschied zur
(Kommunikation ( 1 nteressenvertretu ng, (Beratung und Konkurrenz schaffen
und 1 nformation Erneuerung ► Arbeitskräfte gewinnen - die Kundschaft
Destinationsmarketing) und Beratung) der Hotellerie) zufriedenstellen
► den Strukturwandel im Beherbergungsbereich
fördern - eine marktgerechte touristische
lncoming-Cesellschaften lnteressensgemeinschaften Leitindustrie erhalten
Dachverbände und -organisationen ► die Infrastruktur aufwerten -das 21.Jh. vorbereiten
Tourismusvereine
(SHV, GastroSuisse, SVS, VöV, VSTD, RDK. SRV) ► den Raum ordnen, die Landschaft erhalten und
nachhaltig nutzen -den Weg für die Zukunft des
Nat,onale Unternehmungen (SBB, Post. Swiss) Tourismus offenhalten

Die für die Schweizer Tourismuspolitik tätigen Tourismusorganisationen haben klare Aufgaben und unterstützen die Realisierung der festgelegten Strategien
57

Performance der Schweizer Tourismuswirtschaft 120


-- Schweiz -- Italien
Entwicklung der Tourismusnachfrage 115 -- Deutschland -- Frankreich
Abb. 45 zeigt die Entwicklung der Zahl der Hotel­ -- Österreich -- EU4
übernachtungen in der Schweiz und in den umlie- 110
genden Ländern im Zeitraum 2000 bis 2008, also in
einem Zeitraum, in dem die Schweiz von den Auswir- 105
kungen der wirtschaftlichen Krise noch kaum betrof-
fen war. Allerdings ist seither - insbesondere seit der 100
Wintersaison 2010/2011 - in der Schweizer Touris-
muswirtschaft ein spürbarer Nachfragerückgang ein­ 95
getreten, der mit der Stärke des Schweizer Frankens
und der Auslandsnachfrage in Verbindung gebracht
wird. Allerdings wird dabei der Binnennachfrage eine 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008
stabilisierende Rolle attestiert (EVD, SECO Medien­ indexiert, Kalenderj ahr 2000 = 100
mitteilung vom 20.5.2011). Es zeigt sich, dass die CH: Schätzung BAKBASEL für 2004, IT: prov Ergebnisse gemäß Eurostat für 2008
Quelle: BAKBASEL. BFS. Eurostat, Statistik Austna. INSEE, lstat, Statistisches Bundesamt Deutschland
Schweizer Tourismuswirtschaft über den gesamten
Zeitraum betrachtet nicht ganz mit denjenigen in den
umliegenden Ländern mithalten konnte. Zwischen beigetragen. Der Wachstumsbeitrag der zehn größten IAbb.451 Entwicklung der
2000 und 2008 legte die Zahl der Hotelübernach­ Schweizer Städte betrug 1,2 Prozentpunkte. Sie leg­ Zahl der Hotelübernach­
tungen in der Schweiz jährlich durchschnittlich um ten bei der Zahl der Hotelübernachtungen jährlich tungen in der Schweiz und
in den umliegenden Län­
rund 1% zu, während in den umliegenden Ländern um durchschnittlich 5,1% zu (Schweiz: +3,4%). dern.
eine durchschnittliche Zunahme um rund 1,3% zu Einen verhältnismäßig geringen Wachstumsbeitrag
beobachten war. Vor allem in den ersten Jahren der hingegen leisteten die Südschweizer Ferienregionen.
Untersuchungsperiode entwickelte sich die Touris­ Trotz ihrer hohen Bedeutung für die Tourismuswirt­
musnachfrage in der Schweiz unerfreulich. Die Zahl schaft trugen die drei Regionen Wallis, Graubünden
der Hotelübernachtungen ging zwischen 2000 und und Tessin zusammen nur 0,7 Prozentpunkte zum
2003 jährlich um durchschnittlich 2,8 % zurück, Gesamtwachstum bei. Die größte Wachstumsrate bei
während in den umliegenden Ländern eine Stagna­ der Zahl der Hotelübernachtungen weist die Region
tion zu beobachten war. Ab 2004 setzten dann aber Fribourg auf(+ 7,8%), doch bleibt der Wachstums­
Aufholprozesse ein, und die Schweizer Tourismus­ beitrag aufgrund ihres relativ kleinen Anteils am Ge­
wirtschaft konnte ihre Performance stark verbessern. samttourismus gering. Und die einzige Region mit
Aufschlussreich ist stets eine regionale Betrach­ einem negativen Wachstumsbeitrag ist die struktur­
tung der Schweizer Tourismuswirtschaft. Abb. 46 schwache Region „Neuchatei/Jura/Berner Jura".
zeigt, in welchen Ferienregionen der Schweiz das Abb. 47 zeigt die Wachstumsbeiträge der verschie­
starke Wachstum in der zweiten Hälfte des o. g. Un­ denen Herkunftsmärkte. Die größten Beiträge ka­
tersuchungszeitraums generiert wurde. Den größten men aus den beiden wichtigsten Herkunftsmärkten
Wachstumsbeitrag leistete zwischen 2003 und 2008 Deutschland und Schweiz. Die inländische Nachfra­
die Region Zürich mit einem Beitrag von 0,6 Prozent­ ge konnte zwar mit einem Wachstum um 1,5% nur
punkten am Gesamtwachstum der Hotelübernach­ leicht zulegen, aufgrund der generell großen Bedeu­
tungen in der Schweiz von 3,4%. Auch die beiden tung des inländischen Tourismus war der Wachstums­
anderen Zentrumsregionen Basel und Genf weisen beitrag aber dennoch hoch. Auch der deutsche Markt
einen vergleichsweise hohen Wachstumsbeitrag auf. ist für den Schweizer Tourismus entscheidend. 0,6%
Diese drei Metropolitanräume machen zusammen des Wachstums von 2003 bis 2008 gingen auf die
zwar weniger als ein Viertel der touristischen Ge­
samtnachfrage aus, trugen aber mehr als 35% zum 10% Wachst ums-
Gesamtwachstum bei. Generell hat der Städtetouris­ Fribourg Basel beitrag
if Region Region
mus viel zum Tourismusboom der vergangenen Jahre 8",o'
'"ci. 1�
Genf Zentral-
schweiz
Zürich
Region o,6% l
1 Abb. 461 Wachstumsbeitrag der Ferienregionen 00
0 6% O.:l%)
"'
0 Schweizer 1
2003-2008. Wachstumsbeiträge, Anteil und Verände­ Mittelland �'r•
1
rung der ZE/11 der Hotelübernachtungen in der Schweiz. :,,11 rr,
4':lo Ost-
"'
�l a"'
schweiz
Erläuterung: Abb. 46 zeigt die Wachsturnsbeiträge der�
Schweizer Ferienregionen. Aul der y-Acllse ist die Entw1ck- g 2% Genferseegebiet
(W aadtl and)
Berner
lung der Nachfrage abgetragen, auf der -Achse der Anteils� .., Oberland
Wallis Graubünden
der jeweiligen Region an der Gesamtnachfrage. Der Wachs-!� � Tessin
Cl 0�
turnsbeitrag wird durch die Größe (ler Kreise dargestellt. Die-&1 >
ser Wachstumsbeitrag hängt von der Bedeutung der Ferien-,g.;,
region für die Gesamtnachfrage wie auch vom Wachstum der�.!ä -2% «, c h"
�=� , j���
ura/
Nachfra.ge ab. Ein hoher Wact1stumsbeltrag kann einerseitsiil'g ne
dank eines hohen Anteils einer Region bei gleichzeitig nur
moderatem Wachstum resultieren. Andererseits können we- �,,
2� -4%
0% 2% 4% 6% 8% 10% 12% 14% 16% 18% 20%
niger bedeutende Ferienregionen dank starken Wachstumsra-g � Anteil an den Hotelübern achtungen
ten einen hohen Wachstumsbeitrag leisten. 8.§
58 chaft

Auslastung der Kapazitäten


,,,
Oslauropa Wachstums. § Bei der Beurteilung der Performance der Schweizer
ro 14 'l'a
ci.
beitrag • Tourismuswirtschaft interessiert neben der Nachfra­
1% J geentwicklung auch die Auslastung der vorhandenen
g 12!-o 0,6%.
N
0,3% � Kapazitäten. Der Vergleich der Auslastung der vor-
§ 10% ES 0,JA! � handenen Hotelbetten berücksichtigt die betriebs­
1

N ) 1:1 wirtschaftlich wichtige Sichtweise des Nutzungsgra­


� 8%
Rest �';;des vorhandener Kapazitäten.
� 6% 11 Die Auslastung der vorhandenen Hotelbetten lag
t;; Al' F!l UK ��in der Schweiz im Jahr 2008 bei 37,8%. Damit er-
> 4% ' TAs1er1 �s
8 DE ;iijreichte die Schweizer Hotellerie exakt den gleichen
2% ��Wert, wie ihn die umliegenden Länder im Durch­
USA CH ��schnitt erreichen. Von allen Anrainerländern waren
0% �-------- - - ------ -
- ------ lf�in Frankreich und Österreich spOrbar höhere Auslas-
0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40% 45% so% .a�.
,,.,tungs2I'ffern zu beo bac I1ten, t·Iefere AusI astungsza h -
Anteil an den Hotelübernachtungen
��len wiesen hingegen die deutsche und die italieni­
sche Hotellerie auf.
IAbb.471 Wachstums­ Nachfrage aus Deutschland zurück. Die mit Abstand Seit 2000 konnte die Auslastung in der Schweizer
beitrag der Herkunftslän­ höchsten Wachstumsraten wurden bei den osteuropä­ Hotellerie um 1,9% gesteigert werden. Diese an sich
der 2003-2008. Wachs­ ischen Märkten beobachtet (+ 14 %). Die traditionel­ erfreuliche Entwicklung relativiert sich allerdings
len westeuropäischen Märkte (Belgien, Italien, Frank­ beim Vergleich mit den Nachbarländern. Während
tumsbeiträge, Anteil und
Veränderung der Zahl der
Hotelübernachtungen in reich, Österreich, Niederlande und Vereinigtes König­ die Schweiz im Jahr 2000 das Ranking in Bezug
der Schweiz, nach Her­ reich) zeigten sich mit Wachstumsraten von 3,5-7 % auf die Auslastung noch anführte, wurde sie bis zum
kunftsland des Gastes. ebenfalls sehr dynamisch. Einen vergleichsweise ge­ Jahr 2008 von der österreichischen und v. a. von der
ringen Wachstumsbeitrag leisteten die Gäste aus den französischen Hotellerie übertrumpft. In beiden Ver­
USA und aus Asien. Dies hat insbesondere damit zu gleichsländern stieg die Zahl der Hotelübernachtun­
tun, dass diese beiden Gästesegmente in der zweiten gen an, während die Bettenzahl zurückging. In der
Jahreshälfte 2008 aufgrund der weltwirtschaftlichen Schweiz hingegen stieg die Zahl der Hotelübernach­
IAbb.481 Skilift am Arosa Entwicklung stark eingebrochen sind, während andere tungen weniger stark an, aber die Bettenzahl legte
Hörnli. Märkte erst zeitverzögert beeinträchtigt wurden. leicht zu.
59

Entwicklung der Erwerbstätigenzah/


Bei der Betrachtung der Performance eines Touris­ 4,0%
Gesamtwirtschaft
musstandorts interessiert neben der Entwicklung der 3,5% Gastgewerbe
Tourismusnachfrage und der Auslastung der Kapazi­
täten auch die Entwicklung der Erwerbstätigenzahl. 3,0%
Der Tourismus ist ein wichtiger Arbeitgeber, der 2,5%
v. a. für Randregionen Beschäftigungsmöglichkeiten
bietet, die sich sonst aufgrund der peripheren Lage 2,0%
nicht ergeben würden. Zudem schafft der Tourismus 1,5%
Arbeitsstellen, die nicht nur den „Hochqualifizier­
ten" vorbehalten sind und erfüllt damit eine wichtige 1,0%
volkswirtschaftliche Aufgabe. Aus volkswirtschaftli­
0.5%
cher Sicht ist ein Tourismusstandort entsprechend
dann als erfolgreich zu bewerten, wenn er Arbeits­
plätze schafft. Schweiz EU4 Italien Deutschland Frankreich Österreich
Abb. 49 zeigt die durchschnittliche jährliche Ent­
wicklung der Erwerbstätigenzahl im Schweizer Gast­
gewerbe als eine Kernbranche des Tourismussektors- sumentenpreise im Gastgewerbe - Kernbranche der IAbb.491 Entwicklung der
und in der Gesamtwirtschaft im Vergleich mit den Tourismuswirtschaft- zeigt eine deutliche Differenz Erwerbstätigenzahlen im
umliegenden Ländern. Im Gegensatz zu den umlie­ zwischen der Schweiz und den umliegenden Län­ internationalen Vergleich
(2000-2008). Entwick­
genden Ländern zeigt sich im Schweizer Gastgewerbe dern, auch wenn sich die preisliche Wettbewerbsfä­
lung der Zahl der Erwerbs­
nur eine sehr leichte Zunahme der Erwerbstätigen­ higkeit im Schweizer Gastgewerbe seit der Jahrtau­ tätigen im Gastgewerbe
zahl (+ 0,3 % pro Jahr). In allen Vergleichsländern sendwende deutlich verbessert hat. Im Vergleich zum und in der Gesamtwirt­
ist zudem die Zahl der Erwerbstätigen im Gastgewer­ Durchschnitt der vier EU-Mitgliedsländer Deutsch­ schaft, per annum in%.
be stärker angestiegen als in der Gesamtwirtschaft, land, Frankreich, Österreich und Italien ergibt sich
was in der Schweiz zwischen 2000 und 2008 nicht für das Jahr 2008 eine Preisdifferenz von 15%. Die
der Fall war. In Bezug auf die Funktion als Arbeit­ deutlichsten Differenzen zeigen sich zwischen der
geber lässt sich deshalb sagen, dass das Schweizer Schweiz und Österreich bzw. Deutschland, wo die
Gastgewerbe in der Untersuchungsperiode stark un­ Preisunterschiede 2008 rund 20% betrugen. Erfreu­
terdurchschnittlich abschneidet. Es war 2008 mit licher fällt der Vergleich mit Frankreich aus (Preisdif­
einem Erwerbstätigenanteil an der Gesamtwirtschaft ferenz von 7 %). In der jüngsten Vergangenheit dürfte
von 5, 7 % zwar immer noch ein wichtiger Arbeitge­ sich aber die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der
ber, seine Bedeutung nimmt aber seit der Jahrtau­ Schweizer Tourismuswirtschaft als Folge der ausge­
sendwende ab (2000: 6, 1 %). prägten Euro-Schwäche wieder verschlechtert haben.
Trotz der eindeutigen Verbesserung der preislichen
Wettbewerbsfähigkeit der Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Gastgewerbes
Schweizer Tourismuswirtschatt war die Preisdifferenz im Jahr 2008 noch immer
Die bisherigen Analysen haben gezeigt, dass die Per­ beträchtlich. Es stellt sich daher die Frage, weshalb
formance der Schweizer Tourismuswirtschaft im Un­ diese Differenzen bestehen: Zum einen ist- wie oben
tersuchungszeitraum 2000 bis 2008 zwar insgesamt erwähnt - festzustellen, dass die Arbeitskosten im
positiv, im Vergleich mit den umliegenden Ländern Gastgewerbe der umliegenden Länder im Jahr 2008
aber eher unterdurchschnittlich ausfällt. Im Folgen­ im Durchschnitt um rund 15% niedriger waren als
den wird nun den Gründen dieser unterdurchschnitt­ im Schweizer Gastgewerbe. Zum anderen bestehen
lichen Entwicklung nachgegangen, wozu einige wich­ auch bei den Kosten für die Vorleistungen für das
tige Bestimmungsfaktoren der Wettbewerbsfähigkeit Schweizer Gastgewerbe beträchtliche Nachteile. Dies
genauer untersucht werden. Die nachfolgende Analy­ gilt insbesondere für die Bereiche Nahrungsmittel,
se dient aber auch der Untersuchung der Potenziale Bau und Energie.
der Tourismuswirtschaft und zeigt auf, wie sich die
Schweizer Tourismuswirtschaft im internationalen Qualifikationsstruktur
Vergleich positioniert (vgl. auch BAKBASEL 1998 , Im Tourismussektor werden die Leistungen der Ar­
2005, 2008,2009a,2009W. beitskräfte direkt beim Gast abgeliefert. Der direkte
Kundenkontakt führt dazu, dass die Qualifikation
Preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Mitarbeiter von zentraler Bedeutung ist, denn
Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit ist ein zentra­ die Qualität der erbrachten Leistungen hängt ent­
ler Bestimmungsfaktor der Wettbewerbsfähigkeit. scheidend von der Qualifikation der Beschäftigten
In besonderem Ausmaß spielen dabei die Preise ab. Im Vergleich zur Gesamtwirtschaft weist das
relativ zu den Konkurrenzländern eine wichtige Rol­ Schweizer Gastgewerbe eine deutlich niedrigere
le. Gemäß einer Untersuchung von BAKBASEL be­ Qualifikationsstruktur auf. Allerdings hat sich in den
dingt eine Verteuerung des Schweizer Tourismus um vergangenen Jahren der Antei I der Erwerbstätigen
10% einen Rückgang der ausländischen Nachfrage mit einem Tertiärabschluss im Gastgewerbe - relativ
um 5% (BAKBASEL 2009a). Die Preiselastizität ist betrachtet- deutlich stärker erhöht als in der Ge­
also relativ hoch. Der Vergleich der relativen Kon- samtwirtschaft. Auch im Vergleich mit den umlie-
60

� Beherbergungsbereich zukunftsweisend voranzutrei­


Sternkategorien Jjffltitj ■@Jjjfüj -
•----■■u■■■- ben. Häufig fällt es den Hotels ohne Stern zudem
kein Stern 67 43 "'§ aus Kostengründen schwer, gut ausgebildetes Perso-
� nal einzustellen. Die mangelhafte Qualität in Hotels
Ein- und
6 14 i ohne Stern ist auch eine Folge weitgehend fehlender
Zweisterne-Hotels j Qualitätsstandards. Die Zahlen über die Vergabe der
Dreisterne- <'i�Qualitäts-Gütesiegel für den Schweizer Tourismus
Hotels
17 28 �Bbelegen, d-ass von den Betrieben ohne Stern gerade
�!mal 1 % mit einem QualitätscGClteslegel ausgezeich­
Vier- und /J-
:2inet ist.
10 15
Fünfsterne-Hotels }t Ein internationaler Vergleich der Hotelstruktur ist
��aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung der
1 Tab. III Struktur der schweizerischen und öster­ � �Hotelklassierung äußerst schwierig. Ein Vergleich mit
reichischen Hotellerie, nach Sternkategorien (in %).
�f Österreich deutel darauf hin, dass in der Schweizer
Hotellerie in Bezug auf die Struktur ein Defizit be­
genden Ländern weist das Schweizer Gastgewerbe steht. Dies zeigt sich insbesondere im äußerst hohen
ein höheres Qualifikationsniveau auf. Der Anteil der Anteil an Betrieben ohne Stern, der in der Schweiz
Erwerbstätigen mit einem Tertiärabschluss ist im im Jahr 2008 rund zwei Drittel betrug, während er in
Schweizer Gastgewerbe spürbar höher als in den Österreich bei rund 43% lag (Tab.11).
Nachbarländern, der Anteil der Arbeitskräfte mit Um ein hochwertiges Hotelangebot aufrechterhal­
dem niedrigsten Bildungsabschluss niedriger. Auch ten zu können, ist es notwendig, laufend in Hotels
im internationalen Vergleich konnte in den letzten zu investieren. Nur so kann die Qualität der Leistung
Jahren die Qualifikationsstruktur relativ gesehen beibehalten und verbessert werden. Einiges deutet
verbessert werden. diesbezüglich auf ein Defizit in der Schweiz hin: Ins-
besondere in den 1990er-Jahren und zu Beginn des
Hotelangebot neuen Jahrtausends hatte das Schweizer Gastgewer­
Für große Hotelbetriebe besteht die Möglichkeit, be offensichtlich Mühe, die notwendigen Investitio­
Skalenerträge (Economies of scale) zu erwirtschaf­ nen zu tätigen, was u. a. darauf zurückzuführen war,
ten. Bei steigender Produktionsmenge kann zu tiefe­ dass die Branche in diesem Zeitraum eine schwache
ren Durchschnittskosten produziert werden, was die Rentabilität aufwies und die Finanzinstitute bei der
Wettbewerbsfähigkeit der touristischen Betriebe und Kreditvergabe an Gastgewerbebetriebe sehr restrik­
damit der Tourismuswirtschaft insgesamt erhöht. tiv agierten. Die im Vergleich zu den 1980er-Jahren
Die durchschnittliche Betriebsgröße lag in der tiefen Bauinvestitionen in Hotels und Restaurants
Schweiz im Jahr 2008 bei rund 48,5 Betten pro lassen vermuten, dass in der Schweizer Hotellerie
Betrieb. Damit waren die Betriebe in der Schweizer ein Investitionsdefizit vorhanden ist, allerdings deu­
Hotellerie im Vergleich mit dem EU4-Schnitt kleiner. ten die derzeitig zahlreichen geplanten Hotelprojekte
Mit Ausnahme von Frankreich haben sich die Betrie­ in der Schweiz darauf hin, dass dieses strukturelle
be im Durchschnitt in allen Vergleichsländern in den Problem erkannt wurde.
letzten Jahren vergrößert - eine Tendenz, die sich
insbesondere bei langfristiger Betrachtung verdeut­ Al/gemeine Rahmenbedingungen
licht. Eine für den Strukturwandel in der Schweizer Nicht nur tourismusspezifische Wettbewerbsfaktoren
Hotellerie typische Tendenz ist ein Rückgang der An­ sind für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Tou­
zahl Betriebe bei konstant bleibender Anzahl Betten, rismuswirtschaft von Bedeutung, sondern es spielen
sodass die durchschnittliche Betriebsgröße kontinu­ auch eine Reihe von Standortfaktoren, die für die ge­
ierlich anstieg. samte Wirtschaft relevant sind, eine wichtige Rolle,
Neben der Betriebsgröße ist für ein wettbewerbs­ wie die Besteuerung von Unternehmen und die Regu­
fähiges Angebot auch die Hotelstruktur wichtig. Ein lierung der Arbeits- und Produktmärkte.
hochwertiges Hotelangebot mit einem hohen Anteil Die Steuerbelastung stellt für die touristischen
an Erstklass- und Luxusbetrieben hat den Vorteil, Leistungserbringer letztendlich einen Kostenfaktor
dass dadurch tendenziell zahlungskräftigere Gäste dar. Die diesbezüglichen Voraussetzungen sind für
angezogen werden, von welchen letztlich die gesamte die schweizerische Tourismusindustrie im Vergleich
Tourismuswirtschaft profitiert. Zudem können die Be­ zu anderen Ländern sehr vorteilhaft. Besonders deut­
triebe der Erstklass- und Luxushotellerie in der Regel lich sind die Steuervorteile der Schweiz im Vergleich
ihre Kapazitäten besser auslasten. Umgekehrt deutet zu Deutschland, wo die Steuerabgaben um mehr als
ein hoher Anteil von nicht klassierten Betrieben auf vier Fünftel höher als in der Schweiz sind.
ein Qualitätsdefizit hin. Zum einen können als Folge Hinsichtlich der Regulierung der Arbeits- und Pro­
fehlender Investitionen Qualitätsdefizite in der Infra­ duktmärkte ist zu sagen, dass übermäßig stark regu­
struktur existieren, zum anderen gibt es aber auch im lierte Märkte sich oft weniger dynamisch zeigen als
Managementbereich Defizite. Vor allem im Bereich flexible, dem Wettbewerb ausgesetzte Märkte. Die
der Kleinstbetriebe, die sehr stark von der Restaura­ Schweiz ist sowohl bezüglich der Arbeitsmarktre­
tion abhängig sind, fehlen oft Managementfähigkei­ gulierung als auch bei der Produktmarktregulierung
ten, Qualitätsbewusstsein und auch der Wille, den überdurchschnittlich liberal. Vor allem in Bezug auf
Wirtschaftssystem der Sch 61

den Arbeitsmarkt bietet dies auch in der Tourismus­ wirtschaft als ausgezeichnet zu bewerten. Gemäß
wirtschaft einen großen Vorteil, da in diesem Sek­ dem „ Travel & Tourism Competitiveness Index"
tor der flexible Einsatz von Arbeitskräften besonders (WEF 2009) ist die Schweiz als Tourismusdesti­
wichtig ist. nation gar eines der attraktivsten Länder der Welt.
Dies deutet darauf hin, dass der Tourismus auch in
Fazit Zukunft eine wesentliche Säule der Schweizer Wirt­
Die Analyse der Kennzahlen zum Erfolg zeigt, dass schaft bleiben kann. Jedoch gilt es derzeit noch De­
die Performance des Tourismusstandortes Schweiz fizite im Bereich des Preis-Leistungs-Verhältnisses
in den letzten Jahren durchwachsen ausfällt. Gene­ und im Bereich des Beherbergungsangebotes zu
rell sind die Potenziale der Schweizer Tourismus- überwinden.

Wirtschaftssystem der Schweiz ■ Rene L. Frey


Das Wirtschaftssystem der Schweiz wird häufig als auf die Bedürfnisse der Volkswirtschaft auszu­
,,marktwirtschaftlich" bezeichnet. Rein marktwirt­ richten, konkret Inflation und Deflation sowie in­
schaftlich ist die Schweiz jedoch angesichts einer direkt auch Arbeitslosigkeit zu verhindern und ein
Staatsquote von über 30 % (Antei I der Ausgaben nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu ermögli­
von Bund, Kantonen und Gemeinden am Bruttoin­ chen.
landsprodukt, Statistisches Jahrbuch der Schweiz ■ Es muss vollkommene Konkurrenz herrschen. Die
2009: 399), teilweise recht weitgehender Regulie­ staatliche Wettbewerbspolitik muss die Entstehung
rungen und starker Einkommensumverteilungen über von Monopolen und Kartellen verhindern und für
den Staat und die Sozialversicherungen schon lange freien Marktzugang sorgen. Wichtig ist insbeson­
nicht mehr. Ein wesentliches Element der Marktwirt­ dere, dass lnnovatoren sich rasch durchsetzen und
schaft ist das Privateigentum an den Produktions­ träge Produzenten vom Markt verdrängen können
mitteln, ein Merkmal, das häufig mit dem Adjektiv (Konkurs als Sanktionsinstrument).
,,kapitalistisch" versehen wird. ■ Es darf keine externen Effekte geben. Um Markt­
verzerrungen zu verhindern, müssen externe Kos­
Marktwirtschaftliche Elemente ten (z.B. durch Anwendung des Verursacherprin­
Marktwirtschaft bedeutet nicht die Abwesenheit des zips im Verkehrs- und Umweltbereich) internalisiert
Staates. Damit die Herstellung und Verteilung von und externe Erträge (z.B. im Forschungsbereich)
Waren und Dienstleistungen für Millionen von Kon­ abgegolten werden.
sumenten effizient erfolgen kann, braucht es „Spiel­ ■ Die Wirtschaftssubjekte müssen gut über die Fol­
regeln", die vom Staat aufgestellt und überwacht gen ihrer Entscheidungen informiert sein, sich rati­
werden und deren Einhaltung nötigenfalls hoheitlich onal verhalten und sich rasch an Datenänderungen
durchgesetzt wird. Der hohe Wohlstand der Schweiz anpassen.
ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass dieses ■ Die Einkommens- und Vermögensverteilung muss
Land über ein gutes Eigentums-, Haftungs-, Gesell­ als gerecht empfunden werden, sonst wird das
schafts-, Zivi 1- und Strafrecht (Obi igationenrecht marktwirtschaftliche System gesellschaftlich und
OR, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht SchKG, politisch nicht akzeptiert.
Zivilgesetzbuch ZGB und Strafgesetzbuch StGB)
verfügt und die entsprechenden Regeln in den aller­ Staatswirtschaftliche Elemente
meisten Fällen eingehalten werden. Dies erleichtert Wenn es nicht gelingt, fehlende Marktvorausset­
die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeit­ zungen (wieder-)herzustellen, ersetzt der Staat die
nehmern, Produzenten und Konsumenten, Sparern Marktsteuerung durch staatswirtschaftliche Maßnah­
und Investoren. Dank niedriger Transaktionskosten men. Er übernimmt entweder selbst wirtschaftliche
erfolgen die Millionen von Einzelentscheidungen, Funktionen oder greift direkt in das Wirtschaftsge­
die tagtäglich gefällt werden, reibungslos. Nur in den schehen ein. Dies ist der Fall:
wenigsten Fällen treten Konflikte auf, die vor Gericht ■ bei der Bereitstellung von Kollektivgütern, d. h.
gelöst werden müssen. Die knappen Produktionsfak­ bei Leistungen, die aus technischen Gründen
toren Arbeit, Kapital und Boden werden im Großen nicht verkauft werden können und daher von pri­
und Ganzen optimal eingesetzt. vaten Unternehmen nicht angeboten würden. Als
Das marktwirtschaftlich-kapitalistische Wirtschafts­ wichtigste Beispiele gelten die Infrastruktur (z.B.
system führt jedoch nur dann zu befriedigenden Er­ Verkehr, Ver- und Entsorgung) und die öffentliche
gebnissen, wenn über das allgemeine Wirtschafts­ Sicherheit (Polizei, Militär).
recht hinaus bestimmte Bedingungen erfüllt sind - ■ bei der Sicherstellung der Versorgung der Bevölke­
ist dies nicht der Fall, kommt es zu Marktversagen rung mit lebensnotwendigen oder besonders wich­
und Wohlstandsverlusten: tigen Gütern. Dazu zählen Bildungs-, Gesundheits­
■ Es braucht eine stabile Geld-, Kredit- und Wäh­ und Kulturleistungen sowie, teilweise umstritten,
rungsordnung. Die Schweizerische Nationalbank Lebensmittel, Post, Telekommunikation, Radio
hat die Aufgabe, die Geld- und Kreditversorgung und Fernsehen. Seit den 1990er-Jahren ist in der
62

gen führen ebenfalls zu Wohlstandsverlusten. Die


Einnahmen von Privaten Ausgaben an Private
schweizerische Wirtschaftspolitik ist von einem per-
53,0 (31 %) Bund 41,9 (25%) '"manenten Bestreben, markt- und staatswi rtschaftl i-
� iche Elemente zu verbinden, gekennzeichnet. Dabei
11.1 FA
1,2
HLA
�1 muss sich das Wirtschaftssystem jedoch auch an we-
� sniger gut beeinflussbare demographische, wirtschaft­
fi Iiche, gesellschaftliche, technische und politische
70,6 (42%) 26 Kantone 79,8 (47%) ifäahmenbedingungen anpassen.
��
5,8 FA
1,9
HLA FA 3,9 �fEntwicklung des
i hchweizerischen Wirtschaftssystems
45,8 (27%) ca. 2800 Gemeinden 47,7 (28%)
.3J
§�Höhepunkt des Wirtschaftsliberalismus
FA= vertikaler Finanzausgleich HLA = horizontaler Lastenausgleich
ZMoer ausgeprägte Schweizer Wirtschaftsliberalismus
,Her lebte in der zweiten Hälfte des 19. Jh. einen Hö-
hepunkt: Auf der einen Seite waren die wirtschafts­
1 Abb. SOi Finanzföderative Schweiz in diesem Zusammenhang vom Service beschränkenden Eingriffe der Zünfte und der Kanto­
Struktur der Schweiz Pub/ic die Rede. ne abgebaut, auf der anderen Seite waren nach der
2005 (in Mrd. CHFJ. ■ bei Geboten und Verboten zur Verhinderung oder Gründung des Bundesstaates im Jahre 1848 weder
Verringerung von externen Kosten. Beispielsweise die Eidgenössischen Räte noch der Bundesrat oder
dienen Verkehrsvorschriften dem Gesundheits­ die damals kleine Bundesverwaltung in der Lage, eine
schutz, raumplanerische Maßnahmen der geordne­ aktive Wirtschaftspolitik zu betreiben. Trotzdem wurde
ten Besiedlung des Landes, der Umweltschutz der die Infrastruktur zügig ausgebaut und teilweise sogar
Bewahrung ökologischer Ressourcen. vollständig neu geschaffen. Die Errichtung des Eisen­
■ bei der Einkommensumverteilung. Diese erfolgt bahnnetzes und die Gründung von Bahngesellschaften
einerseits über die ordentlichen staatlichen Bud­ erfolgten z.B. durch Private. In diesem Umfeld konn­
gets (u. a. Sozialhilfe), andererseits über die So­ ten sich die Marktkräfte weitgehend frei entfalten.
zialversicherungswerke (wie Alters- und Hinterlas­ Die Landflucht sorgte dafür, dass Arbeitskräfte dort
senenversicherung AH V, lnvalidenversicherung I V, eingesetzt wurden, wo sie wirtschaftlich den höchs­
Arbeitslosenversicherung ALV). ten Ertrag abwerfen konnten. Die Städte wuchsen, die
■ bei der Finanzpolitik. Staatsaufgaben sind meist Einkommen stiegen, und die Schweiz entwickelte sich
mit Staatsausgaben verbunden. Deren Deckung vom armen Bauernstaat zum reichen Industriestaat.
erfolgt über Gebühren, Steuern, Sozialversiche­
rungsbeiträge oder Verschuldung. Die Aufgabe der Suche nach einer systematischen Wirtschaftspolitik
Finanzpolitik besteht darin, öffentliche Aufgaben In der zweiten Hälfte des 19.Jh. machten sich neben
zu ermöglichen, ohne dass die der Volkswirtschaft Stärken des sog. manchesterliberalen (d. h. staatli­
zur Verfügung stehenden Ressourcen überfordert cherseits nicht regulierten) Wirtschaftssystems auch
werden und Inflation ausgelöst wird. dessen Schattenseiten bemerkbar: eine zunehmen­
de Kluft zwischen Arm und Reich sowie starke Kon­
Die aufgezählten Staatstätigkeiten werden durch die junkturschwankungen. Die Periode bis zum Ersten
Parlamente von Bund, Kantonen und Gemeinden be­ Weltkrieg war von der Suche nach einer Wirtschafts­
schlossen (zur föderativen Struktur vgl. Abb. 50 und politik gekennzeichnet, die diese beiden Hauptsor­
Kap. .,Geschichte und Politik/Schweizerische Demo­ gen lindern konnte. Es entstanden Fabrikgesetze zur
kratie"). Im Unterschied zu den meisten anderen Verbesserung der Situation der Arbeiter - bemerkens­
Ländern haben die Stimmbürger in der Schweiz dank werterweise zuerst in ländlichen Gebieten (Kanton
weitgehender direktdemokratischer Mitwirkungsrech­ Glarus). Mit Subventionen und Schutzzöllen versuch­
te (Initiative und Referendum) ein gewichtiges Wort te man, die Landwirtschaft, die unter dem raschen
mitzureden. Die Konkretisierung der Gesetze erfolgt Strukturwandel besonders litt, zu schützen. Die Kan­
durch die Regierungen der drei föderativen Ebenen tone führten progressive Einkommenssteuern ein.
von Bund, Kantonen und Gemeinden (siehe o. g. Ka­ Eine Ursache für das starke Auf und Ab der Wirt­
pitel). Der Vollzug ist Sache der jeweiligen öffentli­ schaftsentwicklung mit Überhitzung und Arbeitslo­
chen Verwaltung. Da der Bund nur in wenigen Berei­ sigkeit lag in der unzureichenden Geldversorgung.
chen über einen eigenen dezentralen Verwaltungsap­ Zwar wurde der Schweizer Franken bereits 1848
parat (z.B. Zoll, Militär, Eidgenössische Technische geschaffen und der Bund mit dem Münzmonopol
Hochschulen) verfügt, beauftragt er die Kantone, ausgestattet, der Druck und die Verteilung der Bank­
z. T. aber auch öffentliche und private Unternehmen noten an Bevölkerung und Wirtschaft waren indessen
mit dem Vollzug seiner Rechtserlasse. Oberste Kont­ Sache der Kantonalbanken. Erst nach langem Seil­
rollinstanz der Staatstätigkeit sind die Gerichte. ziehen zwischen dem Bund und den Kantonen wur­
So, wie die Marktwirtschaft in der Wirklichkeit de die Schweizerische Nationalbank gegründet. Sie
nicht lehrbuchmäßig funktioniert, d. h. Marktversa­ nahm 1907 ihre Tätigkeit auf.
gen auftritt, funktioniert auch der öffentliche Bereich Bis zum Ersten Weltkrieg war die Wirtschaftspo­
nicht perfekt. Staats-, Politik- und Bürokratieversa- litik weitgehend unsystematisch. Damals fehlten
Wirtschaftssystem der Sch 63

noch die theoretischen Grundlagen. Der Bedarf nach Europäische Integration,


einer systematischen Wirtschaftspolitik zeigte sich Globalisierung und Liberalisierung
erst nach dem Ersten Weltkrieg. Die Schweiz über­ Zu größeren Diskussionen führte in der zweiten Hälfte
stand diesen Krieg in wirtschaftlicher Hinsicht zwar des 20. Jh. die europäische Integration. Die Schweiz
vergleichsweise gut, die Folgen waren jedoch gravie­ konnte sich nicht entschließen, den institutionellen
rend. Soziale Spannungen (,,Kriegsgewinnler" auf der Weg der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG
einen Seite, inflationsbedingt verarmte Arbeiterschaft (bzw. Europäischen Gemeinschaft EG und Europä­
auf der anderen) entluden sich im Landesstreik von ischen Union EU) zu beschreiten. Sie war jedoch
1918 (s. Kap. ,,Geschichte und Politik/Geschichte 1957 maßgeblich an der Gründung der Europäischen
der Schweiz"). Gewisse Forderungen der Streikenden Freihandelsassoziation (EFTA) beteiligt. Mit dem Frei­
wurden dank der guten Wirtschaftsentwicklung der handelsabkommen Schweiz-EWG von 1972 und den
1920er-Jahre bald obsolet. Andere sind aus heuti­ Bilateralen Abkommen 1 (1999) und II (2004) ist es
ger Sicht alles andere als revolutionär (Altersversi­ der Schweiz zudem gelungen, von vielen Vorteilen des
cherung und Invalidenversicherung, Proporzwahl des großen europäischen Binnenmarktes zu profitieren.
Nationalrats, Frauenstimm- und -wahlrecht, Arbeits­ Die europäische Integration ist als Teil der Globalisie­
zeitreduktion auf 48 Stunden pro Woche). rung zu verstehen. Technische Neuerungen (v. a. in der
Es brauchte eine Reihe weiterer Schocks, bis das Informations- und Kommunikationstechnologie) sowie
schweizerische Wirtschaftssystem auf eine systema­ sinkende Transportkosten für Personen, Waren, Dienst­
tische Grundlage gestellt werden konnte. Die große leistungen und Informationen machten die Welt „klei­
Krise der 1930er-Jahre Iieß den Keynesian ismus ner". Nationale Grenzen erwiesen sich immer mehr als
entstehen. Er wies dem Staat zur Sicherung von Hindernisse. Im Rahmen des GATT von 1947 (General
Vollbeschäftigung eine aktive Rolle zu (Ankurbelung Agreement on Tariffs and Trade) und seiner Nachfolge­
der Wirtschaft durch defizitfinanzierte Staatsausga­ organisation WTO von 1995 (World Trade Organization)
ben, antizyklische Finanzpolitik). Im Hinblick auf die wurden weltweit Zölle, nichttarifäre Handelshemm­
Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik nach 1945 nisse und sonstige Erschwernisse der internationa­
entstand als Alternative zum „ Laissez-faire-Libera­ len Arbeitsteilung abgebaut (v. a. Meistbegünstigung,
lismus" (,,Manchester-Liberalismus"), zur Planwirt­ Nichtdiskriminierung, Liberalisierung im Dienstleis­
schaft des sozialistisch-kommunistischen Typs sowie tungsbereich, Eigentumsrechte, Beschaffungswesen,
zur ständischen Wirtschaftsordnung des Faschismus Konfliktschlichtung, Entwicklungsförderung).
das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft (Spielarten Die Globalisierung hat den internationalen Stand­
dazu Neo- und Ordoliberalismus). ortwettbewerb seit den 1990er-Jahren verschärft.
In der Schweiz erfolgte die rechtliche Umset­ Alle Länder, nicht nur die Schweiz, waren gezwun­
zung dieser neuen wirtschaftspolitischen Konzepte gen, die Politik stärker auf Effizienz zu trimmen und
194 7 mit den sog. Wirtschaftsartikeln der Bundes­ ihren Unternehmen attraktive Standortbedingungen
verfassung und der Schaffung der AHV (Alters- und zur Verfügung zu stellen. Dies führte zu Steuersen­
Hinterlassenenversicherung). Die Grundidee der kungen (v.a. zugunsten der Wirtschaft), zu einer grif­
Wirtschaftsartikel beruhte einerseits auf der Gewähr­ figeren Wettbewerbspolitik sowie zu einer stärker auf
leistung der Handels- und Gewerbefreiheit (HGF), die Bedürfnisse der Unternehmungen ausgerichteten
andererseits auf der Festlegung der Bereiche, die lnfrastrukturpolitik und Regulierung.
Abweichungen von der HGF rechtfertigen: Erhaltung Zu Beginn des 20. Jh. war man noch der Auffas­
wichtiger und gefährdeter Wirtschaftszweige und sung, die Infrastruktur sei grundsätzlich eine Staats­
Berufe, Erhaltung der Landwirtschaft, Schutz wirt­ aufgabe. In der Schweiz wurden, so wie generell in
schaftlich bedrohter Landesteile, Landesversorgung Europa, die entsprechenden Unternehmen verstaat­
in Kriegs- und Krisenzeiten, Bekämpfung volkswirt­ licht (z.B. Nationalisierung der Privatbahnen und
schaftlich und sozial schädlicher Kartelle. Gründung der Schweizerischen Bundesbahnen SBB).
Bereits im Jahre 1937 wurde mit dem Friedens­ Die Vereinigten Staaten wählten stattdessen den Weg
abkommen zwischen Arbeitgeberschaft und Gewerk­ der Regulierung. Man versteht darunter die staatliche
schaft der Klassenkampf in der Maschinen- und Kontrolle privater Unternehmen durch Investitions-,
Uhrenindustrie überwunden. Damit wurde die Grund­ Angebots- und Preiskontrollen. Die europäische Lö­
lage für die Sozialpartnerschaft und die Gesamtar­ sung hatte den Vorteil, dass die Staatsbetriebe in
beitsverträge gelegt. Letztere entsprechen den in den Dienst der Politik gestellt werden konnten (z.B.
Deutschland üblichen Manteltarifverträgen. Regionalpolitik und Service Public). Als Nachteil er­
Die 1950er- und 1960er-Jahre waren in wirt­ wies sich der mit nationalen Monopolen verbundene
schaftlicher Hinsicht weitgehend problemlos. Sor­ schwache Effizienz- und Innovationsdruck.
gen bereiteten lediglich Phasen der konjunkturellen Unter den Zwängen des globalen Standortwett­
Überhitzung mit drei unerwünschten Auswirkungen: bewerbs sah sich die Schweiz Ende des 20. und zu
Inflation, Zustrom von ausländischen Arbeitskräften Beginn des 21. Jh. veranlasst, Bundesbetriebe voll
und Überfremdungsängste. Weitere Turbulenzen er­ oder teilweise zu privatisieren sowie private und halb­
gaben sich durch starke Konjunktureinbrüche in den staatliche Unternehmungen zu deregulieren und sie
l 970er-Jahren. Verschiedene Nachbesserungen und dem Wind der Konkurrenz auszusetzen. Die Schwei­
Ergänzungen der Wirtschaftsartikel von 1947 wurden zerischen Bundesbahnen wurden in die S88 AG um­
vorgenommen. gewandelt, die PT T-Betriebe in die Post und Swiss-
64

com aufgespalten, Radio und Fernsehen erhielten Marktwirtschaft. Der Staat und d ie Zentralbanken
Konkurrenz durch private Sender. Im Energiebereich mussten in vielen Ländern Millia rdenbeträge ein­
wurde dereguliert. Auf kantonaler Ebene wurde den setzen, um das Bankensystem vor dem Kollaps zu
Hochschulen, Krankenhäusern und Kulturinstitutio­ retten. In der Schweiz zeigte sich, dass die beiden
nen eine größere Autonomie zugestanden. Auf einen international tätigen Großbanken (UBS und Credit
einfachen Nenner gebracht, bedeuten diese Maßnah­ Suisse) für die letztlich doch kleine Volkswirtschaft
men der Liberalisierung mehr Markt, weniger Politik, Schweiz offensichtlich zu groß geworden sind. Sie
weniger Bürokratie. Die Privatisierungen und Dere­ stellen ein Systemrisiko dar; sie sind „too big to
gulierungen haben die Angebotsvielfalt, die Kunden­ fai/".
orientierung und die Produktionseffizienz verbessert Es bleibt derzeit offen, wie die Finanzkrise das
und auf diese Weise die internationale Wettbewerbs­ schweizerische Wirtschaftssystem beeinflussen wird.
fähigkeit der schweizerischen Volkswirtschaft erhöht. Die bisherigen Erfahrungen mit Verstaatlichung,
Planwirtschaft und nationalem Protektionismus sind
Ausblick alles andere als ermutigend. So wird wohl kaum et­
Im ausgehenden ersten Jahrzehnt des 21.Jahrhun­ was anderes übrig bleiben, als das Schwergewicht
derts erschütterten Fehlentwicklungen und Miss­ auf die Verbesserung der Marktvoraussetzungen und
wirtschaft im Bankenbereich das Vertrauen in die der Regulierungen zu legen.

Steuersystem, Steuerpolitik und Standortförderung ■ Rene L. Frey

Überblick über das schweizerische Steuersystem Die Kantone (und im Rahmen des kantonalen
Auf den ersten Blick ist das schweizerische Steuer­ Rechts die Gemeinden) sind frei, weitere Abgaben
system kompliziert und intransparent. Der Grund zu erheben. Alle Kantone und/oder Gemeinden ken­
liegt in seiner föderalistischen Vielfalt. Die 26 Kan­ nen Einkommens- und Vermögenssteuern, Grund­
tone verfügen bei der Festlegung der Steuersätze stückgewi nnsteuern (jedoch keine umfassenden
und Abzüge über eine hohe Autonomie. Auch die Vermögensgewinnsteuern), Handänderungssteuern
rund 2700 Gemeinden sind in der Festlegung ihrer auf Liegenschaftstransaktionen (Änderungen des
Steuerbelastung weitgehend frei. Dies bewirkt einen Besitztitels im Grundbuch) sowie Erbschafts- und
kleinräumigen Steuerwettbewerb. Im Unterschied zu Schenkungssteuern (mit Ausnahme des Kantons
anderen Ländern werden die Steuern der Arbeitneh­ Schwyz). Lediglich einzelne Kantone und/oder Ge­
mer nicht vom Lohn abgezogen und vom Arbeitgeber meinden erheben Liegenschaftssteuern und Spiel­
an den Fiskus überwiesen, sondern alle Steuerpflich­ bankenabgaben sowie Besitz- und Aufwandsteuern
tigen müssen jährlich eine Steuererklärung ausfüllen, (Motorfahrzeug-, Hunde-, Vergnügungssteuern). Auch
die das Finanzdepartement prüft und daraus die vom hinsichtlich der Gebühren und Beiträge sind die Kan­
Steuerpflichtigen zu zahlende Steuer berechnet. Die tone und Gemeinden frei.
meisten Schweizerinnen und Schweizer reichen ihre Die Autonomie der Kantone und Gemeinden wird
Steuererklärung ohne Zuhilfenahme eines Steuerbe­ durch die Steuerharmonisierung eingeschränkt. Ge­
raters ein - offensichtlich ist das Steuersystem doch mäß Art. 129 legt der Bund „Grundsätze über die
nicht so kompliziert, wie es zunächst erscheinen mag. Harmonisierung der direkten Steuern von Bund, Kan­
tonen und Gemeinden fest. [...] Die Harmonisierung
Rechtliche Grundlagen erstreckt sich auf Steuerpflicht, Gegenstand und
Die Grundlage für den föderalistischen Staatsauf­ zeitliche Bemessung der Steuern, Verfahrensrecht
bau bildet Artikel 3 der Bundesverfassung (BV): und Steuerstrafrecht. Von der Harmonisierung ausge­
.,Die Kantone sind souverän, soweit ihre Souveräni­ nommen bleiben insbesondere die Steuertarife, die
tät nicht durch die Bundesverfassung eingeschränkt Steuersätze sowie die Steuerfreibeträge." Mit ande­
ist; sie üben alle Rechte aus, die nicht dem Bund ren Worten: Die Schweiz kennt lediglich eine formel­
übertragen sind." Gemäß Artikel 128 BV kann der le, nicht aber eine materielle Steuerharmonisierung.
Bund „eine direkte Steuer erheben: 1. von höchs­ Diese Regelung trat erst 1993 in Kraft. Vorher waren
tens 11,5 % auf das Einkommen der natürlichen Per­ die Gliedstaaten in der Ausgestaltung ihrer Steuern
sonen, 2. von höchstens 9,8 % auf den Reinertrag völlig autonom.
von juristischen Personen, 3. von höchstens 0,824 Charakteristisch für das schweizerische Steuersys­
Promille auf das Kapital und auf die Reserven von tem ist, dass die Steuersätze der wichtigsten Steu­
juristischen Personen." (Diese Obergrenzen werden ern in den Verfassungen des Bundes bzw. der Kan­
zurzeit nicht ausgeschöpft.) Weiter hat der Bund das tone verankert sind. Da Verfassungsänderungen dem
ausschließliche Recht, eine Mehrwertsteuer (Art.130 obligatorischen Referendum unterliegen, müssen
BV), besondere Verbrauchssteuern auf Tabak, ge­ Steuererhöhungen und -senkungen in Volksabstim­
brannte Wasser, Bier, Automobile und Treibstoffe mungen angenommen werden. Überdies können die
(Art.131), Stempelsteuern auf Wertpapiere, Versi­ Stimmbürger mittels Initiativen Steueränderungen
cherungsprämien und dergleichen (Art.132) sowie verlangen. Regierung und Parlament müssen Initi­
auf Zölle (Art. 133) zu erheben. ativen behandeln und den Bürgern vorlegen. Volks-
Steuerbelastung bei
einem Arbeitsein­
kommen von ... CHF:*

Bund 53 246 709 2832 42648 100648


Hauptorte (Kantone)
Zürich (Zürich) 48 145 598 1704 3349 5927 13538 95712 230202
Bern (Bern) 395 2361 6101 9548 19 654 107020 241 104
Luzern (Luzern) 50 50 367 2015 4283 6977 15142 85 020 180820
Altdorf (Uri) 30 371 1313 2635 5159 8003 17286 92672 191 628
Schwyz (Schwyz) 51 437 1431 2954 4739 10517 55636 116 053
Sarnen (Obwalden) 598 1468 2908 5083 7189 13196 55977 117 091
Stans (Nidwalden) 50 75 530 1785 4240 7006 14539 68910 142870
Glarus (Glarus) 224 1321 2922 4760 8239 17 638 95720 211427
Zug (Zug) 2 324 1368 3235 7 825 49418 104114
Freiburg (Freiburg) 148 598 2510 5065 8064 18564 107059 220768
Solothurn (Solothurn) 40 40 516 2344 5247 8792 19 181 105 799 225476
Basel (Basel-Stadt) 162 3352 7846 19280 99645 226537
Liestal
2806 6588 17 602 110609 251 726
(Basel-Landschaft)
Schaffhausen
60 133 879 2726 5380 8128 16 939 94793 194106
(Schaffhausen)
Herisau (Appenzell
116 1101 3026 5652 8408 17 595 87245 178464
Außerrhoden)
Appenzell (Appenzell
76 364 903 1920 3710 6046 13 031 64323 131966
lnnerrhoden)
St. Gallen (St. Gallen) 292 2042 4730 8020 18 306 105 560 220853
Chur (Graubünden) 760 2995 5559 13 952 83948 187169
Aarau (Aargau) 52 384 1382 3362 5978 14323 92550 209 293
Frauenfeld (Thurgau) 903 3542 6683 15539 90766 209311
Bellinzona (Tessin) 40 40 40 621 1522 4045 13882 102174 228 891
Lausanne (Waadtl 1186 5025 10040 18 938 113197 265380
Sitten (Wallis) 34 34 567 2400 4326 6702 15 426 100836 217 086
Neuenburg
162 660 2424 6563 10054 22554 119406 244630
(Neuenburg)
Genf (Genf) 25 25 25 25 3165 6521 17849 113450 262560
Delsberg (Jura) 5 727 2935 6635 10803 22489 120992 270062
• In der Sch1•iciz setzt die ßestou runit e,sl bei Einkommen obe1halb der Almutsgrcnl<! ein. Die l\rmutsgreri1.e wird gam�ss Bun\lesamt filr StaUslik'IBFS)
auf der Grundlage der R10htlm1en der Sd,weizcnscheo Konferenz filr Soli lhllfe (SKOS) de1inle11 O,a Armutsgren�o berOoks,cht1gt den Grundbedarf für
den Leben,unter]lall l)l'mihs SKOS-R,cMhrnen, die Wohnkosten im marktlJbllchen ll'llhmen und die Pram1e11 rnr •l�e obllgatorlscl,e Krankenversicherung.
Die so d [lnierte ArmL1t,;grenze lag 2006 IJe1 2200CHF pro Monat für Alle1ns!ehendo, 3BOOCHf rnr Alle1ristehende mit zwei Kindern und 4600CMF für
Verheiralr.te mit zwei Kindern

ITab.121 Steuerbelastung des Arbeitseinkommens nach Kantonshauptorten 2008. (Direkte Bundessteuer sowie
Kantons-, Gemeinde- und Kirchensteuer; verheirateter Unselbstständigerwerbender mit 2 Kindern, in CHF).

abstimmungen als wirksame Schranke gegen Steuer- des-, Kantons-, Gemeinde- und Kirchensteuern, im
erhöhungen und der Steuerwettbewerb der Kantone Kantonshauptort mit der höchsten Belastung, Dels-
erklären die vergleichsweise niedrige Steuerbelastung berg/Delemont (Kanton Jura), dagegen 6881 CHF
der Schweiz. oder 8,6 %. Das ist 4,3-mal so viel. Für einen Groß-
verdiener mit einem Einkommen von einer halben
Steuerbelastung MillionCHF beträgt der Steuerbetrag im Kanton Zug
Wie aus Tab.12 ersichtlich ist, bestehen bei der Ein- 92 066 CHF und in Delsberg 163 640, was dem
kommenssteuer natürlicher Personen - der wichtigs- 1,8-Fachen entspricht.
ten direkten Steuer- große Belastungsunterschiede. Warum werden derart große Steuerbelastungsun-
Bei einem mittleren Einkommen von 80 000CHF terschiede politisch überhaupt akzeptiert? Diese Fra-
zahlt ein verheirateter Steuerpflichtiger mit zwei Kin- ge drängt sich insbesondere vor dem Hintergrund der
dem im Kanton Zug 1614CHF oder 2,0% an Bun- Tatsache auf, dass die Bürger in Steuerfragen über
66 rtschaft

Steuerparadiese
Zum Kanton Zug gehören elf Gemeinden um den
Zugersee (Abb. 51), mit insgesamt 114 711 Ein­
wohnern, 28 000 eingetragenen Firmen ( Kanton
Zug, Volkswirtschaftsdirektion/Economic Promoti­
on). Die Stadt Zug mit ihren 26 500 Unterneh­
men hat mehr als 31 800 Arbeitsplätze (Stadt
Zug, Zug in Zahlen 2010).
Werden dem Vergleich nicht Kantonshauptorte,
sondern alle Gemeinden zugrunde gelegt, erge­
ben sich noch größere Unterschiede. Zudem ver­
lagern sich die Steuerparadiese in den Kanton
Schwyz (Freienbach und Wollerau am oberen Zü­
richsee), die „Steuerhöllen" in den Kanton Neu­
enburg (Val-de-Travers).
I
1 Abb. 51 „Steuerparadies" Kanton Zug- Zugerberg
mf,t Zugersee und Blick auf die Stadt Zqg.

direktdemokratische Einwirkungsmöglichkeiten ver­ Gemeinden zwingt, ihre Leistungen effizient zu er­


fügen. Eine erste Erklärung ist, dass nicht nur die bringen und gut auf die Bedürfnisse der Bevölkerung
Steuern, sondern auch die öffentlichen Dienste und und Wirtschaft auszurichten. Andernfalls erfolgt die
Sozialleistungen von Gemeinde zu Gemeinde unter­ Sanktion durch Wegzug (voting by feet, Abstimmung
schiedlich sind. Zweitens wird ein Teil der Steuerbe­ mit den Füßen bzw. dem Möbelwagen). Der födera­
lastungsunterschiede kapitalisiert. In Gemeinwesen listische Steuerwettbewerb ist allerdings nicht un­
!Abb. 521 Mittelwert der
mit niedrigen Steuersätzen sind die Liegenschafts­ umstritten. Die Sozialdemokratische Partei hat eine
steuerbaren Einkommen preise höher als in solchen mit hohen Sätzen. Und Volksinitiative eingereicht, die die Kantone und
(inCHFJ auf Gemeinde­ drittens ist in der Schweiz die Auffassung weit ver­ Gemeinden zu einer Mindestbelastung bei höheren
ebene. breitet, dass der Steuerwettbewerb die Kantone und Einkommen und Vermögen zwingen will (Abb. 52,

Wert zwischen Anzahl Gemeinden: 2749


(Stand 2006)
- 20 980 - 43 000
Minimum: 20 979
- 43 000 - 51 000 Maximum: 338 779
51 000 - 57 000 Median: 59 024

57 000 - 62 000 (Anzahl Gemeinden


62 000 - 70 000 2011: 2551)
70 000 - 96 000
- 96 000 - 338 799

1
N

0 25 50 km
67

Abb. 53). In der Volksabstimmung wurde die Vorlage


Anzahl Personen mit Reineinkommen über l Mio. CHF (2005)
Ende November 2010 abgelehnt.
Was für die Einkommenssteuer für natürliche Per-�
sonen festgestellt wurde, gilt im Großen und Ganzen J
Kt. Zürich

auch für die Vermögenssteuer natürlicher Personen� Kt. Genf


und die Gewinnsteuer juristischer Personen. Gemäß�
Kt. Schwyz
einer Untersuchung von BAK Basel betrug der ef-�
fektive durchschnittliche Gewinnsteuersatz im Jahr� Kt. Zug
2009 in Zug 13%, in Zürich 18%, in Basel und!
Genf 21 %. Noch geringer oder ähnlich niedrig war 1 Kt. Waadt
die Belastung durch die Gewinnsteuer nur in Hong- � Kt. Bern 107
kong (10%) und Irland (14%). In den größeren eu-�
gesamte Schweiz: 2476
ropäischen Ländern bewegten sich die Sätze deutlich} Kt. St. Gallen 104
höher: in Italien und Deutschland betrugen sie 26%,)§
in Großbritannien 28%, in Frankreich 31% und in�� 0 100 200 300 400 500 600 700 800
Personen
den USA (Boston) 36%. ��

Einzelne Steuern Wie bereits erwähnt, sind die Kantone bezüglich !Abb. 531 Anzahl der Ein­
Auf Steuern, d. h. Zwangsabgaben ohne spezifische Tarif und Abzügen autonom. Teilweise gilt dies auch kommensmillionäre in der
Gegenleistung, entfielen im Jahre 2007 rund 73 % für die Gemeinden. In den meisten Kantonen können Schweiz nach Wohnort
2005.
der Einnahmen von Bund, Kantonen und Gemein­ die Gemeinden jedoch den Steuertarif nicht selbst
den (ohne Sozialversicherungswerke). Das Schwer­ festlegen; sie erheben vielmehr einen bestimmten
gewicht der Erträge der direkten Steuern lag ein­ Prozentsatz der kantonalen Einkommenssteuer (sog.
deutig bei den Kantonen (49,3%) und Gemeinden Steuerfuß). Zum Ausgleich der kalten Progression
(34,5%). Auf den Bund entfielen lediglich 16,2%. werden die Tarife und Abzüge periodisch der Teue­
Die direkte Bundessteuer wird nach Bundesrecht rung angepasst.
durch die Kantone erhoben. Diese lieferten dem
Bund 83% des Ertrags ab. Der Kantonsanteil betrug Vermögenssteuer
somit 17%. Die Vermögenssteuer natürlicher Personen wird le­
Die indirekten Steuern bilden die Haupteinnah­ diglich durch die Kantone und Gemeinden erhoben.
mequelle des Bundes. Am wichtigsten sind die Steuerbar ist das gesamte Vermögen. Für das be­
Mehrwertsteuer und die verschiedenen Verbrauchs­ wegliche Vermögen zählt der Wohnsitz des Steuer­
abgaben. Seit dem weltweiten Abbau sind die Zöl­ pflichtigen. Liegenschaften werden durch dasjenige
le mit knapp 1 % der Steuereinnahmen quantita­ Gemeinwesen besteuert, in dem sie sich befinden.
tiv unbedeutend geworden. Teilweise wurden sie Schulden können abgezogen werden. Wie bei der
durch Verbrauchsabgaben ersetzt (z.B. Treibstoff­ Einkommenssteuer gilt die Familienbesteuerung,
abgaben). d. h. die Vermögen der Ehegatten und minderjährigen

Einkommenssteuer
Der Einkommenssteuer unterliegen natürliche Per­ Eigenmietwert in der Schweiz
sonen, die ihren Wohnsitz in der Schweiz haben.
Ebenfalls steuerpflichtig sind Personen mit Wohnsitz Der Eigenmietwert ist eine Schweizer Beson­
im Ausland für Einkommen aus Liegenschaften und derheit. Unter dem Eigenmietwert versteht
Betriebsstätten in der Schweiz. Die Schweiz kennt man den Mietwert einer selbst genutzten
kein Splitting. Nach dem Grundsatz der Familien­ oder zu seiner eigenen Verfügung freigehalte­
besteuerung werden die Einkommen von Ehegatten nen Liegenschaft oder Wohnung. Er wird dem
und minderjährigen Kindern zusammengezählt. Be­ Wohneigentümer aus steuerlicher Sicht zum
steuert wird das Gesamteinkommen, bestehend aus Einkommen hinzugerechnet, auch wenn die
Lohneinkommen, Kapitaleinkommen, Einkünften Wohnung nicht vermietet ist und der Eigentü­
aus Renten und Pensionen sowie dem Eigenmietwert mer tatsächlich nichts einnimmt. Der Eigen­
selbst bewohnter Liegenschaften (s. Exkurs „Eigen­ mietwert ist also ein fiktives Einkommen, das
mietwert in der Schweiz"). Vom Bruttoeinkommen besteuert wird, von dem jedoch diverse Kosten
sind die sog. Gewinnungskosten (Aufwendungen zur (Hypothekenzinsen, Verwaltung, Renovations­
Erzielung der Einkünfte), die Freibeträge und allge­ kosten usw.) abgezogen werden dürfen. Selbst
meinen Abzüge (für Versicherungsbeiträge, Schuld­ bei Ferienwohnungen oder Immobilienbesitz
zinsen, zweitverdienende Ehegatten sowie Sozialab­ im Ausland muss der Eigenmietwert versteuert
züge für Kinder und unterstützte Personen) abzugs­ werden, auch wenn die Immobilie das ganze
fähig. Dies bewirkt eine indirekte Progression. Die Jahr über leer steht. Der Fiskus orientiert sich
Tarife selbst sind progressiv ausgestaltet. Für Verhei­ bei der Besteuerung des Eigenmietwerts am
ratete und Einelternfamilien kommt ein günstigerer Marktwert, also der Miete, die der Eigentümer
Tarif zur Anwendung als für die übrigen Steuerpflich­ erzielen könnte.
tigen (sog. Doppeltarif).
68

Kinder werden zusammengezählt. Soweit möglich er­ (für gastgewerbliche Leistungen). Der Normalsatz
folgt die Bewertung des Vermögens nach dem Ver­ liegt deutlich unter dem Mindests atz der EU von
kehrswert (Marktwert). Die Tarife sind progressiv 15%.
ausgestaltet. Durch Abzüge kommt eine indirekte
Progression zustande. Stempelsteuer
Die Eidgenössischen Stempelabgaben bestehen aus
Erbschaftssteuer einer Emissionsabgabe (Ausgabe von Aktien, Obli­
Gegenstand der Erbschaftssteuer ist der Vermögens­ gationen und sonstigen Beteiligungsrechten), einer
übergang vom Erblasser zum Erben. Um zu verhin­ (Börsen-)Umsatzabgabe sowie einer Abgabe auf
dern, dass diese Abgabe durch Schenkungen vor Prämien der Haftpflicht-, Feuer-, Kasko- und Haus­
dem Tod umgangen werden kann, wird sie durch eine ratsversicherung (nicht aber Sozial-, Kranken- und
(gleich ausgestaltete) Schenkungssteuer ergänzt. Die Unfallversicherung). Diese Steuer e rfasst den Ban­
Steuerhoheit liegt bei den Kantonen, in wenigen Fäl­ ken- und Versicherungssektor, der nicht der Mehr­
len bei den Gemeinden. Die Erbschafts- und Schen­ wertsteuer unterliegt. Um den Finanzplatz Schweiz
kungssteuer ist als sog. Anfallsteuer ausgestaltet; angesichts der Internationalisierung des Wertpapier­
steuerpflichtig sind die Erben bzw. Beschenkten. Es handels und der Konkurrenz durch ausländische Bör­
sind daher auch deren Merkmale, die bei der Steuer­ sen attraktiv zu halten, sind in den letzten Jahren
berechnung berücksichtigt werden. Überlebende zahlreiche Ausnahmen eingeführt worden.
Ehegatten sind befreit, in vielen Kantonen auch die
direkten Nachkommen. Grundsätzlich gilt: Je ent­ Besondere Verbrauchsabgaben
fernter der Verwandtschaftsgrad und je größer die Die oben vorgestellten Steuern beruhen auf dem
Erbschaft (Schenkung), desto höher der Steuersatz. Leistungsfähigkeitsprinzip: Belastet werden Per­
sonen und Unternehmen, die in wirtschaftlicher
Gewinn- und Kapitalsteuer Hinsicht eine besondere Stärke aufweisen, kon­
Juristische Personen (Kapitalgesellschaften, Genos­ kret über ein hohes Einkommen, Vermögen oder
senschaften u. a.) unterliegen der Gewinnsteuer (in einen hohen Gewinn verfügen und viel konsumie­
der Schweiz als Ertragssteuer bezeichnet) und Kapi­ ren. Im Unterschied dazu basieren die besonderen
talsteuer. Die Steuerhoheit liegt im Falle der Gewinn­ Verbrauchsabgaben auf dem Äquivalenz- oder dem
steuer bei allen drei bundesstaatlichen Ebenen. Seit Verursacherprinzip. Beim Äquivalenzprinzip werden
1998 verzichtet der Bund auf die Kapitalsteuer. Personengruppen, die einen spezifischen Nutzen von
Der Bund kennt für die Gewinnsteuer einen pro­ öffentlichen Leistungen haben (z.B. Automobilisten,
portionalen Tarif mit einem Satz von 8,5%. Gewisse die Straßen benutzen), fiskalisch zur Kasse gebeten.
Kantone erheben ebenfalls proportionale Gewinn­ Mit der Anwendung des Verursacherprinzips wer­
steuern, andere stufen nach der Höhe der Ertrags­ den Personen und Betriebe belastet, die beim Staat
intensität oder des Gewinns ab. Bei international oder bei Dritten Kosten auslösen, z.B. den Bau von
tätigen Unternehmen müssen Gewinne in dem Land Straßen nötig machen, Belästigungen in Form von
versteuert werden, in dem sie entstehen. Da nicht Lärm und Abgasen verursachen oder zu Umwelt­
immer klar ist, wie viel Gewinn wo anfällt, nutzen schäden führen. Diese Steuern sind entweder als
Firmen den Spielraum, um den Gewinn in einem Sozialkostenabgaben (Internalisierung von externen
Land mit niedrigen Steuern, häufig in der Schweiz, Kosten) oder als Lenkungsabgaben ausgestaltet. Bei­
zu versteuern. Sonderregelungen gelten für Genos­ spiele sind die Tabak-, Bier- und Spirituosensteuer,
senschaften, Beteiligungsgesellschaften, Holding­ die Treibstoff- und Automobilsteuer, die Autobahnvi­
gesellschaften und Domizilgesellschaften. Dabei geht gnette, die leistungsabhängige Schwerverkehrsabga­
es v.a. darum, Mehrfachbelastungen zu verhindern. be (LSVA) sowie neuerdings diverse Umweltabgaben
Wenn zwei oder mehrere Staaten oder Kantone die (z.B. VOC- volatile organic compounds- Stoffe, die
Steuerhoheit beanspruchen, erfolgt eine Steueraus­ als Lösungsmittel in diversen Produkten eingesetzt
scheidung. Zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung werden und eine schädigende Wirkung haben, C02).
werden die Gewinne aufgeteilt.
Steuerpolitik und Standortförderung
Mehrwertsteuer Mit Steuern können grundsätzlich drei Ziele ver­
Die Mehrwertsteuer ist eine allgemeine Konsumsteu­ folgt werden: erstens Allokationseffizienz, d. h.
er. Die Steuer wird auf sämtlichen Produktionsstufen optimale Nutzung knapper Ressourcen, zweitens
sowie bei der Einfuhr erhoben. Um wettbewerbs­ Verteilungsgerechtigkeit, d. h. Ausgleich zwischen
verzerrende Wirkungen zu vermeiden, erfolgt ein Vor­ wirtschaftlich Starken und wirtschaftlich Schwa­
steuerabzug. Entlastet werden die Ausfuhren. Es gilt chen, und drittens Stabilität, d. h. Konjunkturglät­
das Bestimmungslandprinzip. Nach drei erfolglosen tung (Dämpfung in Boomphasen und Stimulierung
Versuchen ersetzte der Bund 1995 die frühere Wa­ in Rezessionsphasen). Im Hinblick darauf wurden
renumsatzsteuer, eine Einphasenumsatzsteuer, durch in der Steuertheorie sog. Besteuerungsgrundsätze
die Mehrwertsteuer nach europäischem Vorbild. Von entwickelt. Diese fordern einerseits eine kosten­
der EU nicht übernommen wurden die Steuersätze. günstige Steuererhebung (beim Staat und bei den
Diese betragen seit 2011 8,0% (Normalsatz), 2,5% Steuerpflichtigen) und möglichst geringe Störungen
(reduzierter Satz für lebenswichtige Güter) und 3,8% des Wirtschaftsgeschehens. Andererseits konkretisie-
69

ren sie die genannten drei Ziele. Das schweizerische terziehung und Steuerbetrug für Ausländer aufgege­
Steuersystem schneidet unter diesen Gesichtspunk­ ben wurde. Steuerhinterziehung (z.B. das „Verges­
ten im Großen und Ganzen recht gut ab. Dennoch sen" von Einkommenselementen) gilt in der Schweiz
bestehen mehrere Baustellen. als fahrlässiges Vergehen, Steuerbetrug (z.B. das be­
Der Abbau der tarifären und nichttarifären Han­ wusste Fälschen von Dokumenten) als vorsätzliches
delshemmnisse im Zuge der europäischen Integration Delikt. Die OECD-Länder hätten am liebsten einen
und der weltweiten Liberalisierungen hat die natio­ automatischen Informationsaustausch. Das würde
nalen Grenzen durchlässiger gemacht. Güter, Pro­ bedeuten, dass die Schweizer Banken von sich aus
duktionsfaktoren und Informationen sind mobiler die Finanzämter anderer Länder über die bei ihnen
geworden. Der dadurch ausgelöste intensivere Fir­ angelegten Vermögen von Ausländern informieren
menwettbewerb ist zu einem verschärften Standort­ müssten. Die Schweiz zieht Abzüge auf Kapitaler­
wettbewerb zwischen Regionen und Nationen mu­ träge vor - analog zur eigenen Verrechnungssteuer
tiert. Die Gebietskörperschaften und Nationalstaaten (35 %). Die Einnahmen würden bei dieser Lösung
sahen sich gezwungen, neben Deregulierungen und an den Wohnsitzstaat überwiesen und bei korrekter
Verbesserungen der öffentlichen Leistungen (beson­ Deklaration an die Steuerpflichtigen rückerstattet.
ders im lnfrastrukturausbau) auch Steuerreformen Für die EU ist die unterschiedliche steuerliche Be­
vorzunehmen. Der internationale Steuerwettbewerb handlung von schweizerischen und ausländischen
hat sich verstärkt. Die Steuern sind zu einem der Holdinggesellschaften ein Stein des Anstoßes. Diese
wichtigsten Standortfaktoren geworden. Davon ha­ Praxis bewirke eine integrationshemmende Wettbe­
ben v. a. die internationalen Unternehmungen und werbsverzerrung. Offen ist, ob sich die Schweiz wird
die mobilen Produktionsfaktoren profitiert. In der anpassen müssen.
Schweiz wurden die Gewinnsteuersätze gesenkt, um Umstritten ist auch die Pauschalbesteuerung. Sie
Firmen zu halten oder anzuziehen. Die Progression kann von natürlichen Personen, die in der Schweiz
der Einkommenssteuer wurde abgeflacht, um güns­ keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, in Anspruch ge­
tige Bedingungen für Kader und hochqualifizierte Ar­ nommen werden. Gerechtfertigt wird sie mit dem
beitskräfte zu schaffen. Wettbewerbshemmende Ele­ Argument, dass die Ermittlung des weltweiten Ein­
mente wurden bei diversen Steuern eliminiert (z.B. kommens und Vermögens einer sehr wohlhabenden
bei den Stempelabgaben). steuerpflichtigen Person mit erheblichen praktischen
Im internationalen Steuerwettbewerb hat die Schwierigkeiten verbunden sei. Anstelle des Einkom­
Schweiz gute Karten. Diese Tatsache erzeugt bei mens wird daher als Steuerbemessungsgrundlage der
Ländern (genauer Finanzministern), für die der „Lebensaufwand" herangezogen, in der Regel der
Steuerwettbewerb keine positiven Gefühle auslöst, fünffache Wert der Wohnungsmiete oder des Eigen­
Abwehrreaktionen. Befürchtet wird eine Steuerspi­ mietwerts. Gesamtschweizerisch werden rund 5000
rale nach unten (race to the bottom), bis der Staat Personen pauschal besteuert. Gut 90 % von ihnen
mangels Finanzen zugrunde geht. Die Schweiz ist leben in den Kantonen Graubünden, Waadt, Wallis
der reale Beweis, dass diese Gefahr nicht zwingend und Genf. 2009 führte eine Volksabstimmung im
ist. Sie zählt in internationalen Rankings bezüglich Kanton Zürich zur Abschaffung der kantonalen Pau­
Lebensqualität, Wettbewerbsfähigkeit und Staatsver­ schalsteuer.
schuldung regelmäßig zu den besten der Welt. Dies Auf eine Abflachung der Steuerprogression zielen
wäre nicht möglich, wenn die staatlichen Leistungen Reformen, die unter dem Stichwort f/at tax diskutiert
schlecht wären, weil es an öffentlichen Mitteln fehlt. werden und in einzelnen Kantonen bereits realisiert
Auch wenn viele Schweizerinnen und Schweizer wurden. Es geht darum, bei der Einkommenssteuer
dies nicht so sehen, hat der äußere Druck auf ge­ natürlicher Personen lediglich einen einzigen Steuer­
wisse Steuerpraktiken der Schweiz durchaus positive satz anzuwenden und die Progression ausschließlich
Seiten. Beispielsweise darf das Bankkundengeheim­ durch großzügige Freibeträge indirekt zustande zu
nis nicht dazu missbraucht werden- was bei gewis­ bringen. Ein Kanton, Obwalden, wollte sogar einen
sen Banken der Fall war-, um Ausländern zur Steu­ degressiven Steuertarif einführen. Durch sinkende
erhinterziehung zu verhelfen. Interventionen der Ver­ Steuersätze bei hohen Einkommen sollten „gute"
einigten Staaten, Deutschlands und der OECD haben Steuerzahler angelockt werden. Das Bundesgericht
dazu geführt, dass die in der Schweiz seit Jahrzehn­ hat diesen Versuch allerdings als mit dem Leistungs­
ten bestehende Unterscheidung zwischen Steuerhin- fähigkeitsprinzip nicht vereinbar unterbunden.
70

Bevölkerung, Kultur und Gesellschaft

1 Abb. 541 Die demographi­


sche Zukunft der Schweiz Überblick
ist interkulturell.
■ Der demographische Alterungsprozess wird den Anteil der über 65-Jährigen von aktuell 16,6% bis
zum Jahr 2050 auf 28% ansteigen lassen.
■ Mehr als jeder fünfte Einwohner ist kein Schweizer Bürger, wobei 86,3% davon Staatsangehörige
eines europäischen Staates sind.
■ Die Schweiz bekennt sich seit der Formierung zum Nationalstaat im 19.Jh. zu ihren drei Landes­
sprachen Deutsch, Französisch und Italienisch. 1937 kam als vierte Landessprache das Rätoroma­
nisch hinzu. Heute zählt die Schweizer Viersprachigkeit zu einer der weltweit bekanntesten Eigen­
arten des Landes und bildet eine wichtige Komponente des helvetischen Selbstverständnisses.
■ Ein wichtiges Charakteristikum der Schweiz ist ihre Vielfalt. Über die traditionelle Vielfalt der Lan­
dessprachen, Dialekte, konfessionellen Unterschiede, politischen, steuerlichen und schulischen Sys­
teme hat sich eine neue Vielfalt mit zwei Gesichtern gelegt: einerseits seit den l 960er-Jahren ein
sozialer Pluralismus, andererseits die gleichzeitig beginnende und stetig zunehmende Einwanderung.
■ Die Schweiz hat einen tief greifenden Wandel durchgemacht, der sich auf mehreren Ebenen vollzieht:
der Ausbau von zentralen gesellschaftlichen Strukturen, ein grundlegender Strukturwandel von der
agrarischen zur industriellen bis hin zur Dienstleistungsgesellschaft, eine Verstärkung der wirtschaft­
lichen Verflechtung mit wichtigen Folgen, eine Verstärkung des Konkurrenzdrucks auf den Märkten,
eine Diversifizierung der Lebenswelten und ein damit einhergehender, verstärkter Individualismus.
71

Bevölkerungsentwicklung ■ Christophe Mager, Antonio Da Cunha, Laurent Matthey

Das Bevölkerungswachstum fluss auf das Bevölkerungswachstum. Heute jedoch


der Schweiz im Lauf der Zeit ist der jährliche Bevölkerungssaldo hauptsächlich an
Seit 1860 hat sich die Schweizer Wohnbevölkerung den fast immer positiven Wanderungssaldo gekop­
verdreifacht: von 2,515 Mio. auf 7,870 Mio. Einwoh­ pelt. Das natürliche Bevölkerungswachstum in der
ner im Jahr 2010, wovon 1,766 Mio. Personen aus­ Schweiz hat sowohl aus konjunkturellen wie struktu­
ländischer Nationalität sind (BFS 2010a; zur räum­ rellen Gründen abgenommen:
lichen Verteilung s. Abb. 55). Seit Ende des zweiten ■ Das Durchschnittsalter der verheirateten Mütter
Weltkrieges macht die Einwanderung einen wichtigen bei der Erstgeburt verschiebt sich zu höheren Al­
Teil des Bevölkerungswachstums aus, das die sinken­ tern und lag 2009 bei 30,1 Jahren. Im gleichen
de natürliche Wachstumsrate kompensiert und die Jahr wurden 17,9% der Kinder außerehelich gebo­
Überalterung der Bevölkerung verlangsamt. ren (Bundesamt für Statistik 2010b).
Seit 1860 liegt das jährliche Wachstum der ■ In der Schweiz fehlt eine Familienpolitik, die auf
Schweizer Wohnbevölkerung bei ungefähr 0,8%. Das die Erhöhung der Geburtenrate ausgerichtet wäre.
stärkste Wachstum wurde in den Jahren 1950 bis
1970 verzeichnet: In dieser Zeitspanne betrug das Die Schweiz: ein Einwanderungsland
durchschnittliche jährliche Wachstum fast 1,5% mit In der Zeit von 1946-1995 ist die Bevölkerung auf­
Spitzen von mehr als 2% zwischen 1961 und 1963. grund der Einwanderung schätzungsweise um 35%
Dagegen verlangsamte sich das Bevölkerungswachs­ gewachsen (Bundesamt für Statistik 2008a). Dank
tum zwischen 1970 und 1980 (0,15%), als die Wirt­ der höheren Geburtenziffer ausländischer Frauen
schaftskrise zu einer freiwi 11 igen oder erzwungenen (1,9 Kinder pro Frau) im Vergleich zu den Schweize­
Auswanderung von Ausländern (Nichtverlängerung rinnen (1,3 Kinder pro Frau), bleibt die Geburtenrate
der Aufenthaltsbewilligung) sowie zu einer Verminde­ ein relevanter Faktor der Bevölkerungsentwicklung.
rung der Geburtenrate führte. Die meisten Immigranten kommen aus europäischen
Ländern: 2009 waren 17% der ständigen ausländi­
Die entscheidende Rolle des Wanderungssa/dos schen Wohnbevölkerung Italiener, gefolgt von Deut­
Obwohl der Wanderungssaldo von 1860 bis heu­ schen (14,7 %), Immigranten aus Portugal (12 %)
te positiv geblieben ist (mit Ausnahme des Jahres und Bürgern aus Serbien und Montenegro (10,6%), 1 Abb. 55 I Ausländeranteil
1918 wegen der spanischen Grippe), hatte er nur bis Frankreich (5,4%) und der Türkei (4,2%). Im Jahr in der Schweiz 2009.
Ende der l 980er-Jahre einen entscheidenden Ein- 2007 waren die Deutschen (40 900) und Portugiesen

Anteil an der ständigen


Wohnbevölkerung, in %

- ae30,0
- 25,0-29,9

20,0-24,9
15,0- 19,9
10,0- 14,9
< 10,0
nach Bezirken

0
0

1
N

0 25 50 km
72 lkerung, Kultur und Gesellschaft

(15 400) die wichtigsten Einwanderungsgruppen,


Alter als Ressource gefolgt von den Italienern (2900). Seit Inkrafttreten
des Freizügigkeitsabkommens mit der EU hat sich
In der Schweiz besitzen Rentner ein durchschnittliches Privatvermögen von die jährliche Zahl von Einwanderern aus Deutschland
207000CHF pro Person, im Kanton Zürich sogar 600 000CHF. Jeder ach­ von 14 100 (2001) auf 33 900 (2010) erhöht. Um­
te Zürcher Rentner ist Millionär. Der Finanztransfer dieser Rentner an die gekehrt waren im Jahr 2009 über ein Fünftel der wie­
,,junge Generation" durch Liegenschaften, Erbvorbezüge, Pensionskassen­ der Ausgewanderten Deutsche (15,3 %) und Italiener
und Vorsorgegelder wird in den kommenden 20 Jahren rund 900 Mrd. CHF (6%). In der Schweiz ist die Einwanderung statistisch
betragen. Der jährliche Vermögensübertrag an die Generation der 30- bis besonders relevant, da nur wenig Ausländer eingebür­
45-Jährigen beträgt derzeit 5,5- 7 Mrd. CHF, die gesamtschweizerische gert werden. 2009 erwarben 2,5% der in der Schweiz
Erbsumme beträgt rund 29 Mrd. CHF pro Jahr. Vermögensübertragungen lebenden Ausländer das Bürgerrecht (Bundesamt für
von Alt auf Jung infolge von Erbfällen gehören im Bereich des Private Ban­ Statistik 2010c, Bezugsjahr 2009).
king zu den Boomgeschäften der Branche (Müller&Cernak 2005). Auch wenn mehr als die Hälfte der im Ausland
geborenen Ausländer seit mehr als zehn Jahren un-

Total Alter der Schweizer Bevölkerung Staatsangehörigkeit Stadt/Land**


0-19 20-64 >64 Altersquotient* Schweizer Ausländer Stadt Land

Total 7785 806 1636 125 4840990 1308 691 27,0 6 071 802 1 714004 5 733 369 2 052437
Genferseeregion 1 462210 324 775 905330 232105 25,6 1 010319 451891 1 148555 313655
Waadt 701526 160 756 431333 109 437 25,4 487907 213 619 524 303 177 223
Wallis 307392 65005 190 742 51645 27,1 244598 62794 174522 132 870
Genf 453 292 99 014 283 255 71 023 25,1 277814 175478 449 730 3562
Espace Mittelland 1 741923 366140 1 066 873 308910 29,0 1 469306 272617 1 105 197 636726
Bern 974235 193 191 598 248 182 796 30,6 847153 127 082 608 635 365 600
Freiburg 273 159 66 616 168 731 37 812 22,4 224 802 48357 151 949 121210
Solothurn 252748 51678 156 780 44 290 28,2 203859 48 889 195434 57 314
Neuenburg 171647 38 448 101 802 31397 30,8 131981 39666 127 920 43 727
.g
j
Jura 70134 16 207 41312 12615 30,5 61 511 8623 21259 48 875 ß
Nordwestschweiz 228153 �

i
1 060753 213 498 664 250 183 005 27,6 821118 239 635 832600
Basel-Stadt 187 898 30 870 118304 38 724 32,7 128716 59182 187 898 0
Basel-Landschaft 272815 54 260 166388 52167 31,4 221119 51696 250365 22 450 ,ll'
Aargau 600040 128368 379 558 92 114 24,3 471283 128757 394 337 205 703 �o;i
Zürich 1351 297 265718 865 247 220 332 25,5 1 031109 320188 1 284877 66 420 N


Ostschweiz 1 094202 237876 674903 181423 26,9 875077 219125 620 884 473318 ;:::
Glarus 38 479 8266 23 489 6724 28,6 30 866 7613 0 38 479 �

Schaffhausen 75657 14 530 46 310 14 817 32,0 58 358 17299 57298 18359 1
Appenzell A. Rh. 53043 11 597 31 704 9742 30,7 45693 7350 28237 24 806 2
Appenzell 1. Rh. 15681 3874 9214 2593 28,1 14112 1569 0 15 681 1'
St. Gallen 474676 106 131 292349 76196 26,1 371609 103067 317 818 156 858
Graubünden 191861 39038 119 336 33 487 28,1 160928 30933 95998 95 863
j
Thurgau
Zentralschweiz
244 805
739701
54 440
164608
152 501
460142
37 864
114 951
24,8
25,0
193 511
614492
51294
125209
121533
448384
123 272
291317 ti
f
.g
Luzern 372964 82 620 231 203 59141 25,6 311967 60997 190037 182 927
Uri 35335 7782 21 457 6096 28,4 32 005 3330 0 35 335 �
Schwyz 144 686 32435 90 380 21871 24,2 118574 26 112 116016 28 670 1
Q.
Obwalden 35032 8420 21347 5265 24,7 30524 4508 0 35 032
�-
Nidwalden 40794 8653 25 740 6401 24,9 36415 4379 35 771 5023 :�
Zug 110890 24698 70015 16 177 23,1 85 007 25883 106560 4330 �
'"
Tessin 335720 63 510 204245 67 965 33,3 250381 85339 292872 42 848
• Der Altersquotient beschreibt das Verhältnis der >64-Jährigen zu den 20- bis 64-Jährigen ... Gemäß Definition VZ 2000, a,
©

1 Tab. 131 Struktur der ständigen Wohnbevölkerung nach Kantonen, 2009.


73

unterbrochen in der Schweiz lebt und zwei Drittel Bevölkerung in 1000 Wachstum Wachstum
der ausländischen Kinder und Jugendlichen in der
Kanton
in% in%
Schweiz geboren sind (2007: 67,9%), bleiben Aus­ 1990 2007 2009 1990-2007 1990-2009
länder sozial verwundbarer als die Schweizer:
■ Besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist Genferseeregion 1207,9 1408,8 1462,2 51,9 64,6
die Arbeitslosigkeit bei Ausländern in der Schweiz Genf 376,0 438,2 453,3 16,5 20,6
im Schnitt deutlich höher als bei Schweizern Wallis 248,3 298,6 307,4 20,2 23,8
(6,2% gegenüber 2,5% im April 2009).
Waadt 583,6 672,0 701,5 15,1 20,2
■ Die mittleren Einkommen von Ausländern sind
geringer als die der Schweizer. Im Jahr 2008 lag
!- Espace Mittelland 1606,3 1715,8 1741,9 50,5 59,7
der monatliche Medianlohn von Ausländern mit Bern 945,6 963,0 974,2 1,8 3,0
Jahresaufenthaltsgenehmigung (Ausweis 8), mit Freiburg 207,8 263,2 273,2 26,7 31,5
unbeschränkter Aufenthaltsbewilligung (Ausweis -
:';

5,9 6,8
Jura 65,7 69,6 70,1
C) sowie bei den Kurzaufenthaltern deutlich un­
N

ter dem Monatlichen Bruttolohn der Schweizer. In


l Neuenburg 160,6 169,8 171,6 5,7 6,9
allen Fällen waren Frauen schlechter gestellt als � Solothurn 226,7 250,2 252,7 10,4 11,5
Männer (Bundesamt für Statistik 201 la). '" Nordwestschweiz 918,2 1035,9 1060,8 30,7 37,4
■ Junge Ausländer sind in der höheren Berufsaus­ �-
Aargau 496,3 581,6 600,0 17,2 20,9
bildung und in den höheren Schulen (Fachhoch­
schulen) schlechter vertreten. Sie arbeiten öfter in Basel-Landschaft 230,1 269,1 272,8 17,0 18,6
Branchen, die besonders konjunkturanfällig sind - Basel-Stadt 191,8 185,2 187,9 -3,4 -2,0
oder in Bereichen mit niedrigem Lohnniveau, nicht 1 Zürich 1150,5 1307,6 1351,3 13,6 17,4
selten auch in atypischen Arbeitsverhältnissen.
f Ostschweiz
Dies sind auch Gründe dafür, warum Ausländer in
971,0 1073,9 1094,2 59,1 70,7

der Schweiz häufiger von Armut betroffen sind als � Appenzell A. Rh. 51,5 52,7 53,0 2,3 3,1
Schweizer oder zu den warking paar zählen (Bun­ f Appenzell 1. Rh. 13,6 15,5 15,7 14,0 15,5
desamt für Statistik 2008, 201 lb). i\l Glarus 37,6 38,2 38,5 1,6 2,2
j Graubünden 170,4 188,8 191,9 10,8 12,6
Allerdings bestehen je nach Herkunft Unterschiede:
49% der Ausländer aus Nord- und Osteuropa waren � St. Gallen 420,3 465,9 474,7 10,9 12,9
in führenden (Kader-)Positionen oder in akademi­ � Schaffhausen 71,7 74,5 75,7 3,9 5,5
schen Berufen tätig (2009), im Vergleich zu 26% i Thurgau 205,9 238,3 244,8 15,7 18,9
der Schweizer (Bundesamt für Statistik 2011 b). Die­ i Zentralschweiz 115,3 129,9
se Ausländergruppen sind aber aufgrund ihrer sozio­
610,1 722,9 739,7
f Luzern 319,5 363,5 373,0 13,8 16,7
professionellen Kategorien gut ausgebildet und als
gute Steuerzahler geschätzt. ! Nidwalden 32,6 40,3 40,8 23,5 25,0
Obwalden 28,8 34,0 35,0 18,0 21,6
Die Schweiz: eine alternde Gesellschaft § Schwyz 110,5 141,0 144,7 27,6 30,9
Der durchschnittliche Schweizer ist 40,9 Jahre alt.
Uri 33,7 35,0 35,3 4,0 5,0
Die Alterspyramide hat sich im laufe der vergan­ 2
genen 40 Jahre tief greifend verändert. Der Anteil c Zug 84,9 109,1 110,9 28,5 30,6
der unter 20-Jährigen ist von 31 % (1970) auf heu- .;; Tessin

286,7 328,6 335,7 14,6 17, 1
te 21,2% zurückgegangen, während der Anteil der ;;
über 65-Jährigen steigt und heute 16,6% gegenüber �
ITab.141 Bevölkerungswachstum 1990-2009, nach Kantonen.
11,5% im Jahr 1970 erreicht. Die in der Schweiz am
häufigsten vertretenen Altersgruppen sind die Jahr­ Stelle folgt der Kanton Bern mit 12,5%, wobei des­
gänge um 1965 (s. Exkurs „Alter als Ressource"). sen Position in den vorderen Rängen auch das Re­
sultat des großen Kantonsgebiets ist. Auffallend ist
Regionale Demographie ein sehr starkes Wachstum in einigen Kantonen zwi­
Die Hälfte der Schweizer Bevölkerung lebt in fünf schen 1990 und 2009, z.B. Zug (30,6%), Schwyz
Kantonen: Zürich, Bern, Waadt, Aargau und St. Gallen. (30,9%), Freiburg/Fribourg (31,5%), Nidwalden
Die Region Espace Mittelland ist von den sieben Groß­ (25,0%), Aargau (20,9%), Wallis (23,8%) sowie die
regionen am stärksten bevölkert (2009: 1 741 923 vergleichsweise schwache Dynamik im Kanton Jura
Mio. EW), danach folgen das Genferseegebiet (1 462 210 (6,8%) und Basel-Stadt (-2,0%) (Tab. 14).
Mio. EW) und die Region Zürich (1 351 297 Mio. Das regionale Wachstum kann in Zusammenhang
EW) (Tab. 13). Fast Dreiviertel der Bevölkerung leben gesehen werden mit:
in urbanen Zonen (73% im Jahr 2008). ■ Standortentscheidungen der Unternehmen, d. h.
mit dem Arbeitsplatzangebot in der Schweiz:
Regionales Bevölkerungswachstum Standorte in den zentralen Kantonen verursachen
Der Kanton Zürich verzeichnet die höchste Einwoh­ hohe Kosten und werden daher vermieden; sie­
nerzahl aller Kantone: 1 351 297 Mio. EW (2009) deln sich Unternehmen hingegen in der unmit­
oder 17,3 % der Gesamtbevölkerung. An zweiter telbaren Peripherie dieser Regionen an, können
74


� gegenüber 5,4% in der Schweiz). Deutsche leben ge­
Bestand am 31. Dezember 2009 } häuft in der Nordwestschweiz, in Zürich und in der
Total Schweizer Ausländer ili Zentralschweiz (2009: zwischen 18,5% und 32,1%;
f Schweiz: 14,7%). Und mehr als die Hälfte der im
absolut in% .., Tessin lebenden Ausländer sind Italiener (58%). An­
Zürich 368677 256 248 112429 30,5 ! nähernd ein Drittel der Türken in der Schweiz lebt
e in der Nordwestschweiz (2009: 30, 9%). Die Zentral­
Genf 185 958 102316 83642 45,0 � und Ostschweiz weisen eine ähnlich hohe Dichte von
Basel 166173 111 225 54 948 33,1 �
Bürgern aus Bosnien und Herzegowina, Serbien und
Bern 123466 94 787 28679 23,2 ; Montenegro, Slowenien, Kroatien und Mazedonien
Lausanne 125885 75397 50488 40,1 � auf (Bundesamt für Statistik 2010).
Winterthur 99377 76 603 22774 22,9
� Metropole Schweiz
St.Gallen 72642 52124 20518 28,2 f 2009 wohnten 73,6% der Schweizer in städtischen
Luzern 59509 47929 11 580 19,5 55 Gebieten. Die Hälfte der Stadtbewohner (50,1 %)
Lugano 55 060 34874 20186 36,7 j wohnte in einer der fünf Schweizer Großstadtre­
Biel 50455 36 281 14174 28,1 t gionen Zürich, Basel, Genf, Bern und Lausanne
' (Tab.15). Der Bevölkerungsantei I der ländlichen Re­
Thun 42330 37558 4772 11,3 i gionen lag 2009 bei 26,4% (Bundesamt für Statistik
Köniz 38 261 32 604 5657 14,8 ; 2010).
La Chaux­ Bis in die l970er-Jahre verzeichneten die städti-
37413 26 821 10592 28,3 �
c

de-Fonds sehen Gemeinden ein stärkeres Bevölkerungswachs-


f
Schaff­ ::. turn als die ländlichen Gemeinden. Zwischen 1970
hausen
34564 25395 9169 26,5 1 und 1998 kehrte sich der Trend um, und höhere
Freiburg 34490 23 280 11 210 32,5 Geburtenraten und Wanderungssaldi stärkten die
Chur 33377 27383 E}
S:: ländlichen Gemeinden. Seit 1998 ist der Zuwachs
5994 18,0
1 wiederum in den Städten größer. Auf dem Land ist
Neuenburg 32770 22393 10377 31,7
� zwar die Geburtenrate höher als in den Städten, der
Vernier 32374 18163 14 211 43,9 * Wanderungssaldo dagegen war geringer.
Uster 31954 25027 6927 21,7 �� Innerhalb der Agglomerationen ist das Bevölke­
Sion 29718 21770 7948 26,7 Hrungswachstum in den Umlandgemeinden stärker,
l�während die Kerngemeinden zwischen 1981 und
ITab.151 Städte mit 30000 und mehr Einwohnern
2009.
:i:l 1999 schrumpften (mit Ausnahmen von 1990 bis
ail992). Seit 2000 ist auch die Entwicklung in den
Kernstädten wieder positiv, liegt jedoch hinter jener
Grundstückkosten reduziert und es kann von der der Umlandgemeinden zurück.
Nähe der Märkte profitiert werden (hoch qualifi­
ziertes Personal, Nähe der Informationsnetzwerke, Ausblick - Baustellen der Zukunft
Verkehrsinfrastruktur, usw.). Das Gleiche gilt für In Bezug auf die Bevölkerungsentwicklung in der
Haushalte, die in den letzten Jahrzehnten ein Le­ Schweiz lassen sich drei Hauptaspekte ausmachen:
ben im Einfamilienhaus in der periurbanen Zone ■ Es gilt, einen demographischen Alterungsprozess
bevorzugten und somit zum Bevölkerungswachs­ zu bewältigen, der Herausforderungen für das Ren­
tum der agglomerationsnahen Kantone beitrugen. tensystem (AHV - Alters- und Hinterbliebenenver­
■ Steuerpolitik: Seit 2007 haben mehrere Kantone sicherung), die Kostenkontrolle im Gesundheitswe­
aktive Steueranreize für Firmen und Bewohner ge­ sen und die wirtschaftliche Dynamik birgt, selbst
schaffen (s. Kap. .,Wirtschaft/Steuersystem, Steu­ wenn die älteren Generationen als Konsumenten­
erpolitik und Standortförderung"). gruppen spezifische Produkte und Dienstleistun­
■ Stadt-, Regional- und Standortmarketing, darunter gen nachfragen werden.
die Änderung städtischer Verwaltungsstrukturen ■ Das oft niedrigere Bildungsniveau von Erwerbsper­
(Gouvernanz) und gemeindeübergreifende Initiativen, sonen mit Migrationshintergrund im Vergleich zur
ferner regionalpolitische Maßnahmen wie der Auf­ Schweizer Bevölkerung verstärkt deren fragilen so­
bau von Hochschulstandorten, Forschungsinstituti­ zioökonomischen Status und stellt die soziale Ko­
onen und wertschöpfungsorientierten Infrastrukturen. häsion des Landes infrage.
■ Trotz eines durchschnittlichen jährlichen Bevölke­
Die ausländische Bevölkerung ist in der Schweiz rungswachstums von unter 1% bleibt der Druck
räumlich nicht homogen verteilt, sondern konzentriert auf die Umwelt groß: Der Energiekonsum nahm
sich in den Stadt-Kantonen wie Genf (2009: 38,7%) zwischen 1990 und 2006 um 11% zu, 2006 fie­
oder Basel-Stadt (31,5%). Welche Nationalitäten do­ len in den Städten 700 kg Abfall pro Person an,
minieren, ist stark von der in der jeweiligen Region die Flächen für Wohnen und Infrastruktur dehnen
gesprochenen Sprache abhängig: Franzosen und Bel­ sich um 0,9 m 2 pro Sekunde aus, und die Zersie­
gier sind in der Genferseeregion überdurchschnittlich delung der Schweiz nahm in den letzten 70 Jahren
vertreten (Franzosen im Kanton Waadt 2009: 15,6 % um 112% zu (Bundesamt für Umwelt 2008).
75

Sprachenlandschaft in der Schweiz im Wandel • Georges Lüdi


Verteilung der Hauptsprachen
Betrachtet man die Schweiz als Ganzes, so verteilen
sich die Hauptsprachen wie in Abb. 56 dargestellt,
wobei sich das prozentuale Verhältnis zwischen den J Deutsch 72,1 69,4 64,9 65,0 63,6 63,7 4640359
Landessprachen in den letzten Jahrzehnten wenig � Französisch 20,3 18,9 18,1 18,4 19,2 20,4 1 485056
g� Italienisch 5,9 9,5 11,9 0,8 7,6 6,5 470 961
verändert hat (Tab.16).
Während das proportionale Gewicht des Französi­ j Rätoromanisch 1,0 0,9 0,8 0,8 0,6 0,5 35095
schen sich von 1950 bis 2000 nicht verändert hat i Nichtlandessprache 0,7 1,4 4,3 6,0 8,9 9,0 656 539
(zu beiden Zeitpunkten rund 20%), verlor allerdings
1
Deutsch (ohne Unterscheidung von Dialekt und Stan­ a ITab.161 Prozentuales Verhältnis der Sprachen, 1950-2000.
dardsprache) rund 8%. Die Entwicklung des Italie­
nischen spiegelt die Phasen der italienischen Immi­ dingungen eine interne Migration aus Arbeitsgründen
gration (von rund 6% im Jahr 1950 auf knapp 12% zunehmend nicht mehr notwendig machten. Entspre­
1970 und zurück auf 6,5% im Jahr 2000). Beunruhi­ chend wichtig ist die Beibehaltung einer zweiten Lan­
gend ist der Rückgang des Rätoromanischen (von 1% dessprache ab Primarschulstufe für alle Schülerin­
auf 0,5%) auch in absoluten Zahlen, obwohl sich die nen und Schüler mit dem Argument, dass in einem
Schweizer Wohnbevölkerung im selben Zeitraum fast mehrsprachigen Land eine zweite Landessprache aus
verdoppelt hat. Die Abnahme des Rätoromanischen staatspolitischen Gründen weiterhin zum Repertoire
fand statt, obwohl dessen legaler Status auf eidge­ der früh gelernten Sprachen gehören müsse. Aller­
nössischer Ebene gefestigt wurde und der Bund große dings äußern sich weder das „Bundesgesetz über die
finanzielle Anstrengungen unternahm, die Sprache zu Landessprachen und die Verständigung zwischen den
stützen. Das rätoromanische Sprachgebiet schrumpft Sprachgemeinschaften" (Sprachengesetz vom 5. Ok­
wohl auch und gerade wegen des Territorialprinzips, tober 2007, vgl. SpG, 2007) noch die Konferenz der
welches die Förderung der Minderheitssprache außer­ kantonalen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren
halb ihres angestammten Sprachgebiets erschwert. (Beschluss der Plenarversammlung vom 25. März
So leben z.B. zahlreiche Rätoromanischsprachige in 2004) eindeutig zur umstrittenen Frage der Ein­
Zürich, wo aber zurzeit keine Möglichkeit der schu­ stiegsfremdsprache. Gemäß einer „ 1 nterkantonalen
lischen Unterstützung rätoromanischer Familien be­ Vereinbarung über die Harmonisierung der obligato­
steht. Im Sprachgebiet selbst haben wirtschaftsför­ rischen Schule" vom 14. Juni 2007 sollen Richtziele
dernde Maßnahmen eine ambivalente Wirkung, weil für Kompetenzen in einer zweiten Landessprache und
oft Menschen die neu geschaffenen Arbeitsplätze in Englisch am Schluss der obligatorischen Schulzeit
besetzen, die der lokalen Sprache nicht mächtig sind. fixiert werden - für beide Sprachen dieselben. Hinge­
Wer von der 1982 neu geschaffenen Standardsprache gen sollen sich die Kantone regional darüber einigen
Rumantsch Grischun - einer Hochsprache des Räto­
romanischen, das in sich große Dialektunterschiede
aufweist-, die seit 2001 auch als Amtssprache des
Wohnbevölkerung nach Hauptsprache 2000: Landessprachen
Dominierende Landessprache Dominanz

• •
Kantons Graubünden dient, eine spracherhaltende

• •
Französisch mittel: 70-84,9%
Wirkung erhoffte, sieht sich von deren mangelnder Deutsch Italienisch Rätoromanisch
stark: "85%
Akzeptanz in der Bevölkerung enttäuscht, namentlich
auch von Seiten der Behörden in den dominant räto­ mittel stark mittel stark mittel stark mittel stark keine nach Gemeinden
romanischsprachigen Gemeinden.
Quelle: OBFS, Tne­
mat<art. Neuchälel
Zweite Landessprache 2005, E1dgen0ss,sche
Volkszählung 2000.
Mit Ausnahme der Sprachgrenzgebiete (zu denen au:. Lüd1 etal (2005)
Sprachen1andsc:haf1 in der
auch die gesamte Rätoromania zu zählen ist, wo alle Schwell S 12

Rätoromanischsprachigen auch Deutsch sprechen) ist


die quasi-natürliche Fähigkeit, mehrere Landesspra­
chen sprechen zu können, zurückgegangen, auch
weil die wesentlich verbesserten Verkehrsbe- 25 50 km

1 Abb. 561 Sprachenlandschaft der Schweiz.


Erläuterung: Deutschsprachige Kantone sind
Aargau, Appenzell lnnerrhoden, Appenzell
Ausserrhoden, Basel-Stadt, Basel-Landschaft,
Glarus, Luzern, Nidwalden, Obwalden, Schaff­
hausen, Schwyz, Solothurn, St. Gallen, Thur­
gau, Uri, Zürich, Zug. Französischsprachige
Kantone sind Genf, Jura, Neuenburg,
Waadt. Das Tessin ist italienischsprachig.
Mehrsprachige Kantone sind Bern,
F reiburg/Fribourg, Graubünden und
das Wallis.
76

zer Armee ernsthafte Verständigungsprobleme an; oft


1,6
% Serbisch/ § würden in der Deutschschweiz bzw. in der Französi­
Kroatisch �
l, 4 - -" sehen Schweiz eingebürgerte Immigranten gleicher
Albanisch g
Por1:ugresisctr � Herkunft Dolmetscherfunktionen übernehmen oder
1,2 j man weicht auf das Englische aus. Dennoch wird ge­
j mäß der Erhebung linguadu/t.ch der Sinn des Lan­
1,0
i dessprachenunterrichts nicht grundsätzlich infrage
0,8 1' gestellt {Zustimmung zum Unterricht in einer zweiten
� Landessprache in der Deutschschweiz bei 8 6%, in
0,6 � der Italienischen Schweiz bei 91 °/o und in der Ro­
::: mandie gar bei 92 %).
0, 4 N,ieder- �
Tamil Ara- lan-
0,2
bisch disch Rus- Chine­ � Nichtlandessprachen und
sisch sisch Thai 0
Integration von Anderssprachigen
0,0 Dramatisch zugenommen hat in den letzten Jahr­
c!::'.

in% absolut in% absolut Lzehnten der Anteil der Sprecher von Nichtlandesspra­
Serbisch/Kroatisch 1,4 103 350 Arabisch 0,2 14 345 ��chen (von 0,7% der Bevölkerung 1950 auf 9% im
Albanisch 1,3 94 937 Niederländisch 0,2 11 840 MJahre 2000). Die am häufigsten vertretenen Sprach­
Portugiesisch 1,2 89 527 Russisch 0,1 9 003 §�gruppen waren: Serbisch/Kroatisch (103 350), Alba­
Spanisch 1,1 77 506 Chinesisch 0,1 8 279
Englisch
;�nisch (94 937), Portugiesisch (89 527), Spanisch
1,0 73 425 Thai 0,1 7 569
Türkisch 0,6 44 523 Kurdisch 0,1 7 531 ��(77 506 ), Englisch (73 425), Türkisch (44 523) und
Tamil 0,3 21 816 Mazedonisch 0,1 6 415 tJTamil (21816) {Abb. 57).
�� Der Anstieg derer, die Nichtlandessprachen spre­
chen, scheint allerdings durch die „Neue Zuwande­
IAbb. 571 Anteile der 15 können, ob mit Englisch oder mit einer zweiten Lan­ rung" von gut qualifizierten Personen vornehmlich
häufigsten Nichtlandes­ dessprache als Einstiegsfremdsprache begonnen wird. aus dem gleichsprachigen Ausland und die sprach­
sprachen in der Wohnbe­ Damit haben Erziehungsdirektorenkonferenz und Par­ liche Integration der Zuwanderer gestoppt worden zu
völkerung (in% und abso­
lament zugleich ihre Verantwortung für eine gesamt­ sein. Nicht nur in Zeiten von Wahlen wird viel über
lut), 2000.
schweizerische Regelung wahrgenommen und eine die sprachliche Integration durch den Erwerb der
heikle Konfrontation vermieden. Für die zweite Lan­ örtlichen Landessprache gesprochen. Entsprechen­
dessprache haben sich inzwischen alle Westschweizer de Forderungen wurden bei der Diskussion des Aus­
Kantone und das Tessin, alle zwei- oder mehrspra­ ländergesetzes und bei Erwägungen zu Integrations­
chigen Kantone sowie die Sprachgrenzkantone So­ maßnahmen in einigen Kantonen laut. So fordert das
lothurn, Basel-Landschaft und Basel-Stadt entschie­ neue Ausländergesetz für Arbeitsimmigranten und
den. Alle übrigen Deutschschweizer Kantone werden Asylbewerber aus sozial unterprivilegierten Schich­
mit Englisch beginnen. Die angeregten Diskussionen ten und Drittländern den Besuch oder gar den erfolg­
über diese Regelung sind vor dem Hintergrund der reichen Abschluss von Sprachkursen. Die Daten der

--
Tatsache zu sehen, dass zunehmend Zweifel an Sinn Volkszählung über den Gebrauch der lokalen Landes­

1 •·--
und Resultat des Landessprachenunterrichts aufge­ sprache in der Familie erlaubten es 1990 und 2000,
kommen sind. So deuten z.B. vorläufige Ergebnisse die sprachliche Integration verschiedener Sprach­
einer punktuellen Rekrutenbefragung in der Schwei- gruppen zu vergleichen und auch „ältere" und „jün­
gere" Migrationswellen einander gegenüberzustellen.
Der in Tab. 17 aufgeführte Vergleich zwischen 1990
und 2000 weist durchaus auf einen Erfolg der bishe­
"I III "I III "I III rigen Integrationspolitik hin. Auffällig sind die Unter­
schiede zwischen den Sprachgebieten: unabhängig
deutsches von der Herkunftssprache ist die sprachliche lnteg-
25,4% 36,6% 18,7% 24,0% 28,8% 31,7% 58,8% 50,9%
Sprachgebiet
§ ration im italienischen Sprachgebiet am ausgepräg-
französisches · ·
47,1% 55,8% 36,0% 43,6% 38,5% 38,6% 53,3% 51,4% @ testen und in der Deutschschwe1z am schwac
N „ h st en.
Sprachgebiet Die Unterschiede zwischen den Herkunftssprachen
italienisches
54,7% 72,1% 40,8% 54,5% 35,2% 41,2% 45,4% 55,4% i sind nicht ohne Weiteres im Sinne unterschiedlicher
Sprachgebiet � 1 ntegrationsanstrengungen zu interpretieren. Bei­
g° spielsweise hängen die geringeren Zahlen der Por­
1 Tab. 171 Verwendung der lokalen Landessprache in der Familie von Sprechenden
von Nichtlandessprachen, nach Sprachgebieten 1990 und 2000. � tugiesisch- im Vergleich zu den Spanischsprachigen
Erläuterung: In der Tabelle sind die Anteile der Sprechenden von Nichtlandessprachen, die } möglicherweise lediglich damit zusammen, dass die
die lokale Landessprache in der Familie verwenden, ausgewiesen (z.B. Deutsch von Spa- "' Spanischsprachigen schon länger in der Schweiz an­
nischsprachigen in der Deutschschweiz). Die Prozentangaben beziehen sich auf die Ge- � sässig sind.
samtheit aller Personen, welche die entsprechende Nichtlandessprache als Hauptsprache �
Die bisherige Folgerung war deshalb, ,.dass bei
angaben und eine Angabe zur Familiensprache gemacht haben. Gefragt wurde nach der/ :"
den regelmäßig in der Familie gesprochenen Sprache(n) (mehrere Antwortmöglichkeiten). ; einer länger dauernden Anwesenheit der Immigran­
Angegeben sind die Werte der vier Sprachen, die 1990 und 2000 unter den wichtigsten J ten deren Integration deutlich zunimmt.(... ) Ob die
Nichtlandessprachen figurierten. Die Stichprobengröße belief sich auf 800-40000 pro : ,jüngeren' Migrantengruppen aus dem Balkan {Ser­
untersuchtem Bereich. �
bokroatisch und Albanisch) gleich reagieren werden,
77

Wohnbevölkerung nach Wohnbevölkerung nach


Hauptsprache 2000: Hauptsprache 2000:
Nichtlandessprachen Nichtlandessprachen
Al Englisch Bl Spanisch
nach
Gemeinde{gruppe)n

Anteil in%
0,2

Wohnbevölkerung nach
• • • • a 2.5
25

Schweiz:
2000: 1,1%
50km

Anteil in%
<0,2

Wohnbevölkerung nach
0,2-0,4 0,5-0,9 1,0-1,4
--
l.5-2,4 22,5
25 50km

Schweiz:
2000: 1.1%

Hauptsprache 2000: Hauptsprache 2000:


Nichtlandessprachen Nichtlandessprachen
D) Serbisch
und Kroatisch

"''
N

J Anteil in%

1
0,2 0,2-0,4 0,5-0,9 1,0-1,4
• •
1,5-2.4 1t 2,5
Schweiz:
25

2000: 1,2%
50km

Anteil in%
0,2

Wohnbevölkerung nach
0,2-0,4
• • •
0,5-0,9 1,0-1,4 1,5-2,4
-
z 2,5
50km

Schweiz:
2000: 1,4%

Wohnbevölkerung nach
Hauptsprache 2000: Hauptsprache 2000:
Nichtlandessprachen Nichtlandessprachen

F) Türkisch
nach
Gemeinde(gruppe)n

Q Anteil in%
� 02 02-04

05-09
-.-
l 0- 1,4 1,5 - 2,4 1: 2,5
Schweiz:
25

2000: 1,3%
50km

Anteil in%
0,2 0,2 -0,4 0,5- 0,9 1,0-1,4
• •
1,5- 2,4 1t 2,5
Schweiz:
2000: 0,6%

IAbb. 581 Wohnbevölkerung nach Hauptsprachen, 2000. A Englisch, 8 Spanisch, C Portugiesisch, D Serbisch und Kroatisch, E Albanisch, F Türkisch.
78

bleibt abzuwarten. Zu vermuten ist es. Ihre Werte sonen) sinnvoll, wie dies z. B. der Kanton Basel­
für 2000 liegen jedenfalls nicht wesentlich unter je­ Stadt kürzlich beschlassen hat.
nen für Türkisch im Jahre 1990" (Lüdi et al. 2005, ■ Viertens geht die wichtigste Aufgabe der Schule
S. 36). Sprachgeographisch gruppieren sich Immi­ über die Vermittlung grundlegender Sprachkom­
granten gleicher Herkunftssprachen häufig in den petenzen hinaus und besteht in der Vermittlung
gleichen Gegenden (z.B. Portugiesischsprachige in einer diskursiven Autonomie, d. h. der Fähigkeit,
der Westschweiz und Sprecher der südslawischen die Sprache im Sinn von Autoren wie Habermas,
Sprachen in der Deutschschweiz), mit einer beson­ Levinas u. a. selbstständig und gleichberechtigt
deren Konzentration in den städtischen Ballungsge­ mit den lnteraktionspartnern zu verwenden (vgl.
bieten (vgl. Abb. 58). Freilich kommt es nirgends zu Gürtler 2001, 202ff.).
eigentlichen Sprachinseln. Migranten unterschiedli­
cher Herkunft und Schweizer aus ähnlichen sozialen Mit anderen Worten: Es geht also auch im Interesse
Schichten leben durchmischt, wodurch z.B. im Stra­ der Aufnahmegesellschaft selbst (optimale Ausnut­
ßenbild Klein-Basels zwar sehr viele verschiedene zung der Begabungsreserven, Vermeidung von So­
Sprachen präsent sind, Deutsch aber die lingua fran­ zialkosten) um ein „empowerment", eine „Ermäch­
ca unter Zuwanderern geblieben ist (Lüdi 2007a, tigung" der Anderssprachigen in der Schweiz und
Lüdi 2008). um die Verstärkung ihrer Mitwirkungsmöglichkeiten
Bei der Integration Anderssprachiger spielen die auf allen Ebenen von Wirtschaft und Gesellschaft.
Bildungssysteme eine sehr bedeutende Rolle: Einer­ Und in der Tat scheinen politische und schulische
seits, weil der Anteil an nicht ortssprachigen Schü­ Bemühungen zur Integration der Fremdsprachigen,
lern - insbesondere in den größeren Städten - stark namentlich der Jugendlichen, statistisch messbare
angestiegen ist und dies allenfalls einen Einfluss auf Erfolge gezeitigt zu haben.
die Qualität der Schulen haben könnte, und ande­
rerseits, weil die Schule nach wie vor das wichtigs­ Die Bedeutung des Englischen
te Instrument für die (sprachliche) Integration der Die in Tab. 17 aufgeführten Werte für den Gebrauch
jüngeren Zugezogenen darstellt. Personen ausländi­ der örtlichen Landessprache in der Familie durch
scher Herkunft, die ihre obligatorische Schulausbil­ Anderssprachige wurden bereits kommentiert (s.o.).
dung ganz oder teilweise in der Schweiz oder ganz Allerdings passten die Werte für das Englische nicht
im Ausland absolviert haben, bleiben überdurch­ ganz zu diesem Bild. Sie wurden einerseits mit der
schnittlich häufig ohne nachobligatorischer Ausbil­ größeren Fluktuationsrate der Anglophonen inter­
dung (Bundesamt für Statistik BFS 2011: Berufs­ pretiert, allerdings ist andererseits zu vermuten,
bildungsindikatoren - Sekundarstufe II. Neuchatei). dass diese Werte auch in Zusammenhang mit ei­
Wenn man davon ausgeht, dass das Schulsystem ner qualitativ anderen Migration stehen und dass
nicht nur bei der Erziehung von Kindern und Jugend­ Englisch aufgrund der zurzeit gültigen Hierarchie
lichen zu mündigen, autonomen Bürgerinnen und der Sprachen auf eine ganz andere Akzeptanz in
Bürgern eine wichtige Rolle spielt, sondern auch ent­ der örtlichen Bevölkerung stößt als die Sprachen
scheidende Beiträge zum Abbau sozialer Ungleich­ der klassischen Immigranten. Diese Frage ist vor
heiten zu leisten hat, ist seine Aufgabe in diesem dem Hintergrund der Tatsache besonders relevant,
Zusammenhang allerdings komplex: dass die Zuwanderung von hoch qualifizierten Ar­
■ Erstens ist, wer die dominante Mehrheitssprache beitskräften aus aller Welt zunimmt (Avenir Suisse
einer Gesellschaft nicht sprechen kann, von der 2008). Gemäß Bundesamt für Statistik (2011) ist
Information, der Entscheidungsfindung und von v.a. die Zunahme der Deutschen in der Schweiz be­
vielen Positionen auf dem Arbeitsmarkt ausge­ deutsam, deren Zahl von 96 906 im Jahre 1995 auf
schlossen. Daraus kann die Pflicht zur optimalen 278 726 im Jahre 2010 anstieg. Aber auch die Zahl
Unterstützung beim Erwerb der örtlichen Landes­ qualifizierter Immigranten aus nicht gleichsprachi­
sprache abgeleitet werden. gen Ländern ist deutlich gestiegen. In dem Maße,
■ Da man weiß, dass eine fundierte Kenntnis der wie die Schweiz immer stärker mit der globalen
Erstsprache die beste Voraussetzung für den um­ Weltwirtschaft verflochten ist, steigt auch hier die
fassenden Erwerb einer Zweitsprache darstellt, Bedeutung des Englischen als globaler lingua fran­
trägt die Schule zweitens auch Mitverantwor­ ca. Obwohl es als Muttersprache nicht nennenswert
tung dafür, dass die Eltern in der Weitergabe ih­ verbreitet ist, wird aufgrund hoher Werte für Eng­
rer Herkunftssprache an die nächste Generation lisch am Arbeitsplatz, namentlich bei Akademikern,
unterstützt werden und allenfalls beschränkte der Ruf nach seiner früheren und besseren Vermitt­
Sprachkompetenzen gewisser Migrantenkinder lung in der Schule immer lauter. Gleichzeitig wird
in ihrer Herkunftssprache schulisch erweitert die Forderung nach sprachlicher Integration, die
werden. gegenüber unqualifizierten Arbeitsmigranten und
■ Weil sich Mehrsprachigkeit nach dem Urteil aller Asylbewerbern sehr strikt erhoben wird (s.o.). bei
Experten möglichst frühzeitig entwickeln sollte, ist Elitemigranten mit guten Englischkenntnissen auf­
drittens ein möglichst frühzeitiges „Eintauchen" geweicht (Anerkennung des Englischen als Schul­
der Zuwandererkinder in die Aufnahmesprache sprache). Wenn die Schweizer und anderssprachige
mittels Krippen, Kleinkindergärten u.ä. durch Ausländer - besonders die gut qualifizierten - ver­
speziell geschulte Erzieher (nicht Sprachlehrper- mehrt Englisch sprechen und sich somit an die
Sprachenlandschaft in der Schweiz im 79

Erwerbstätige nach Sprache im Beruf, 2000 Erwerbstätige nach Sprache im Beruf, 2000
A) Englisch B) Französisch
m1chBemken nach Bezirken

�"'
8""

tl
.g
C

• • • •
1"
'

• •
ei.m

j Anteil in% Anteil in%

1 2,5 2,5-49 5,0-7,11 7,5-9,9 10,0-12,4 „ 12,5 25 2.5 · �.9 50-99 100 !89 600-699 � 70.0

z Erwerbstätige nach Sprache im Beruf, 2000 Erwerbstätige nach Sprache im Beruf, 2000
� C) l\alienisch D) Deutsch

nachBeZlfken nach Bezirken

2

J
i

• • • •
25 ::1),,.

Anteil in%
2,5 2.S-4,9 5,0-9,9
• •
l0,0-59,': 60,0 -69 9 „10,0
Anteil in%
10,0 10.0-199 200-599 60,0-69,9 70,0-79,9 80,0

Englischsprachigen anpassen statt umgekehrt, wird nomischen Wert der betreffenden Sprache auf dem IAbb. 591 Erwerbstätige
der Integrationsdruck auf diese Anderssprachigen Sprachenmarkt, obwohl rein juristisch alle Spra­ nach Sprache, 2000. A
deutlich reduziert. Der Fraktionschef der Freisinnig­ chen außer der jeweiligen Landessprache grund­ Englisch im Beruf, B Fran­
zösisch im Beruf, C Italie­
demokratischen Partei (FDP), Felix Gutzwiller, hat sätzlich denselben Status besitzen. Das ist in der nisch im Beruf, D Deutsch
bereits am 5. Oktober 2007 in einer parlamentari­ Schweiz nicht anders als im benachbarten Ausland, im Beruf.
schen Anfrage den Bundesrat gebeten, ,,im Interes­ muss aber bei der Darstellung der schweizerischen
se einer fortschrittlichen und weltoffenen Schweiz" Sprachenlandschaft im Wandel berücksichtigt wer­
die Einführung von Englisch als vierter Amtssprache den (Abb. 59).
zu prüfen; diese Forderung stieß allerdings mehr­
heitlich auf Ablehnung. Schweizer Dialektformen
Versucht man, diese Befunde aus der Perspektive und Mehrsprachigkeit
der Integration Fremdsprachiger zu interpretieren, Eine (Deutsch-)Schweizer Besonderheit stellt die
so gilt es zunächst festzustellen, dass die Anders­ sehr starke Verankerung der alemannischen Dialek­
sprachigen keine homogene Gruppe darstellen. te in allen sozialen Schichten der Bevölkerung dar.
Gruppen von Fremdsprachigen bzw. von Fremd­ Die Wahrung der schweizerischen Identität durch
sprachen sind offensichtlich mit sozialen Faktoren die Pflege des Dialekts und die Erhöhung der kom­
verbunden, wie z.B. dem Bildungsniveau der El­ munikativen Reichweite durch die Förderung des
tern. Mit anderen Worten sind Fremdsprachige im Standarddeutschen werden oft als Widerspruch
System der gesellschaftlichen Ungleichheiten und empfunden. Hinter der Dominanz des Deutschen
Privilegien an unterschiedlichen Positionen ange­ (Standarddeutsch und/oder Dialekt) bei den zu
siedelt. Gleichzeitig besteht eine starke Beziehung Hause (89,5%), bei der Arbeit (98%), in der obli­
zwischen dem Anteil der Angehörigen einer Sprach­ gatorischen Schule (99,2%) sowie in der Ausbil­
gruppe in weiterführenden Schulen (z.B. Maturi­ dung (99%) gesprochenen Sprachen verbirgt sich
tätsschulen) und dem symbolischen und/oder öko- eine Komplementarität von Deutsch und „Schwy-
80

großen Teil von Ausländerinnen und Ausländern.


Die Schweizer selbst sind in der Familie zu 90,8%
einsprachig in Schwyzertütsch. Etwas anders sehen
die Werte in der Arbeitswelt aus. Der Schweizer­
deutschgebrauch erreicht zwar h ohe 98 %, Stan­
darddeutsch sprechen hingegen immerhin 46,4%.
Dies bedeutet, dass knapp die Hälfte aller Erwerbs­
tätigen auch Standarddeutsch spricht (jeweils allen­
falls mit einer weiteren Sprache), aber auch, dass
über die Hälfte dies nicht tut. Die Sprecher des
Standarddeutschen verteilen sich dabei sehr unter­
schiedlich auf die sozioprofessionellen Kategorien.
Dessen Gebrauch ist, im Gegensatz zu jenem von
Schwyzertütsch, offensichtlich sozial diskriminie­
rend (vgl. Lüdi et al. 2005). Zwar war die Tendenz
von 1990 bis 2000 generell steigend, verharrte aber
2000 namentlich bei den ,anderen Selbstständigen'
(z.B. Bauern und selbstständige Handwerker), den
,Ungelernten' (darunter viele Migranten) und den
,qualifizierten manuellen Berufen' (Arbeiter und
Angestellte mit Lehrabschluss) bei tiefen 37,1 %,
34,8 % oder gar 25, 9 %, während die ,freien Be­
1 Abb. 601 Schweizerdeutsch - eine eigene Sprache. rufe' 73,5% und die ,akademischen Berufe/oberes
Erläuterung: Chrüsimüsi = Durcheinander, Chriesi = Kirschen, Chrottepösche = Löwenzahn, Kader' gar 74,5 % erreichten. Es erstaunt deshalb
Chuchichäschtli = Küchenschrank, Chüttene = Quitten, Chölä = Geld (umgangssprachl.). nicht, dass Bildungsverantwortliche - namentlich
Chlämmerli /Chlüpli= Wäscheklammern, chrampfe = schwer arbeiten, chlööne= sich bekla­ mit dem Hinweis auf die Chancengleichheit- ver­
gen, jammern, chörble=erbrechen, chüschele=flüstern, chom go=komm um zu ...
mehrte schulische Anstrengungen bei der Vermitt­
lung der Standardvarietät fordern. Deutschkenntnis­
zertütsch", d. h. Dialekt, im Sinne einer echten se seien Schlüsselqualifikationen; PISA ( .. Program­
„Diglossie". Bei der Hauptsprache gab es nur eine me for International Student Assessment") 2000
Auswahlmöglichkeit, Mehrsprachige mussten sich für und die Folgeuntersuchungen hätten ergeben, dass
eine ihrer Sprachen entscheiden (Abb.60). Bei den für die Sprachförderung aller Schülerinnen und
Umgangssprachen konnte man mehrere Sprachen Schüler vermehrte Anstrengungen nötig seien. Die
ankreuzen und auch zwischen Deutsch und Schwy­ konsequente Verwendung von Hochdeutsch als Un­
zertütsch differenzieren. Am mehrsprachigsten ist terrichtssprache in allen Fächern ist eine von meh­
die Arbeitswelt mit total 158,3% für das deutsche reren sprachfördernden Maßnahmen. Der hohe Wert
Sprachgebiet (Details in Lüdi et al. 2005, Tab.14, des Standarddeutschen auf dem Arbeitsmarkt führt,
25, 35-36 sowie Tab.Al). analog z.B. des Englischen, zu einer Schwächung
Der Vollständigkeit halber sei hier festgehalten, des Integrationsdrucks auf Deutsche und Österrei­
dass es „Schwyzertütsch" eigentlich gar nicht gibt; cher, deren Integration in den Deutschschweizer
es handelt sich um einen Oberbegriff für sämtliche Alltag über den Dialekt laufen müsste, wobei viele
lokalen Schweizer Varietäten des Alemannischen. In Deutschschweizer auf den Dialektgebrauch durch
Wirklichkeit spricht also niemand „Schwyzertütsch", Deutsche sehr ambivalent reagieren: Sprechen die
sondern Bäärndüütsch, Züritütsch, Baaseldiitsch Deutschen den Dialekt nicht, heißt es, sie seien ar­
usw. Dennoch funktioniert die lnterkommunikation rogant - tun sie es, wird ihnen Anbiederung vorge­
hervorragend: Wenn in einer Runde jede und jeder worfen (vgl. Lüdi 2007b).
ihren/seinen lokalen Dialekt- oft etwas abgeflacht­ Zu guter Letzt soll bei den Formen der Kommu­
spricht, verstehen sich alle gegenseitig; nur die nikation unter den Sprechern unterschiedlicher
Mundarten gewisser Alpentäler sind manchmal etwas Sprachen eine bedeutende Dynamik erwähnt wer­
widerspenstiger. den. Neben dem oder anstelle des traditionellen
Dabei liegt, im Gegensatz zu Fergusons Annahme „Schweizer Kommunikationsmodells" (jeder spricht
von 1959, keine soziale Verteilung in dem Sinne die Sprache des anderen) treten vermehrt unter­
vor, dass die Unterschicht Dialekt und die Ober­ schiedliche Formen der „mehrsprachigen Rede" auf
schicht Standard spräche. Quer durch alle Schich­ (Mischsprachen, code switching), aber unter jünge­
ten und Regionen ist der Dialekt die Umgangsspra­ ren Gebildeten - gefördert durch die Globalisierung
che aller; Standarddeutsch ist für die Schriftlichkeit von Wissenschaft und Wirtschaft- auch die Verwen­
und formelle Kommunikationsereignisse reserviert. dung von mehr oder weniger approximativen Varietä­
Die o. g. 89,5% für „Deutsch zu Hause" teilen sich ten des Englischen. Insbesondere in Forschung und
wie folgt auf: nur Standarddeutsch 3,4 %, Stan­ Wirtschaft nutzen die Akteure ihre mehrsprachigen
darddeutsch und Schwyzertütsch 5,6%, nur Schwy­ Repertoires zu ihrem und zum gesellschaftlichen
zertütsch 80,5 %. Die beiden Nennungen für Stan­ Nutzen optimal aus (vgl. ten Thije& Zeevaert 2007,
dard deutsch (zusammen 9 %) stammen zu einem Lüdi& Py 2009).
81

Vielfalt in kleinem Land ■ Georg Kreis

Die alte Vielfalt züglich sagt man Ähnliches von Europa), welche
Vielfalt wird traditionellerweise v. a. bezüglich Spra­ mit ihrer kleinkammerigen Struktur die Siedlungs­
che und Religion/Konfession wahrgenommen. So­ und Wirtschaftsstruktur mitbestimmt hat. Bekannt­
zioökonomische Variablen kommen hinzu, etwa das lich hat das dichte Gewässernetz der Schweiz zu
Stadt-Land-Paradigma oder die „ Bauernschweiz" einer polyzentralen Anordnung von Industriebetrie­
versus die „Bankenschweiz" und dann innerhalb ben geführt.
der Bauernschweiz die Mittelland- und die Voral­ Mit „alter Vielfalt" ist in erster Linie die traditio­
penlandwirtschaft, innerhalb der Bankenschweiz nelle Buntheit der vier Landessprachen, der vielen
die verbliebenen zwei Großbanken neben den zahl­ Dialekte, der konfessionellen Unterschiede, des rei­
reichen Kantonal- und Privatbanken, bei den Un­ chen Brauchtums, der Brot-, Käse- und Weinsorten,
ternehmen die ganz Großen Nestle, Novartis, Hoff­ auch der regional unterschiedlichen Häusertypen
mann-La Rache, ABB sowie die vielen klein- und (Abb. 61), der von Kanton zu Kanton variierenden
mittelständischen Unternehmen (KMUs) und die politischen Systeme, Schul- und Steuersysteme (vgl.
namenlosen ganz Kleinen. Prägende Grundlage ist Kap. ,,Wirtschaft/Steuersystem, Steuerpolitik und
die ebenfalls vielfältige Topographie (auch diesbe- Standortförderung"), der Wirtshauszeiten, der Jass-

1 Abb. 61 I Beispiel kultureller Vielfalt: Ursprüngliche Haustypen in der Schweiz.


Erläuterung: 1. Jura - Traditionelles Bauernhaus Bauernhaus (Vielzweckbau) bei Appenzell Al. ser Alpen typische bäuerliche Wohnhäuser (Ein­
(Vielzweckbau) in Les Cerlatez JU. 2. Emmental - 6. Bündnerland - Traditionell gebautes Bauern­ zweckbauten) in Vex VS. 9. Berner Oberland- Tra­
Traditionelles Bauernhaus (Vielzweckbau) in Rünk­ haus (Vielzweckbau) in Bergün GR, das heute nur ditionelles bäuerliches Wohnhaus bei Saanen BE.
hofen BE. 3.Zentralschweiz- Traditionelles bäuer­ als Wohnraum genutzt wird (Einzweckbau). 7. Tes­ Es gibt eine wissenschaftliche Bauernhausfor­
liches Wohnhaus in Haltikon SZ. 4. T hurgau - sin - Traditionelles Rustico im Valle Verzasca in schung mit einer auf 36 Bände angelegten Publi­
Traditioneller Vielzweckbau (Fachwerkbau) in Sonogno Tl, das heute als Wohn- und Ferienhaus kationsreihe zum T hema „Die Bauernhäuser der
Uesslingen-Buch TG. 5.Appenzell- Traditionelles genutzt wird. 8. Wallis- Traditionelle, für die Walli- Schweiz", vgl. URL: www.zug.ch/bhf/.
82

den Status von Teilstaaten oder Substaaten haben.


Einbürgerung in der Schweiz Aus historischen Gründen nennen sich einige Kan­
tone noch explizit Staaten, und alle haben eigene
Ein Einbürgerungsgesuch kann jeder stellen, Staatssymbole, die überall angebracht sind: auf den
der seit 12 Jahren in der Schweiz wohnhaft ist. amtlichen Dokumenten, auf den Fahnen öffentlicher
Die in der Schweiz verbrachten Jahre zwischen wie privater Gebäude, auf den Nummernschildern der
dem vollendeten 10. und 20. Lebensjahr zäh­ Autos beispielsweise. Damit pflegt man die kantonale
len doppelt. Der Bund überprüft im Regelfall Identität. Die Kantonsfarben werden aber recht oft in
nur, ob auf Bundesebene Informationen be­ Kombination mit der Schweizerfahne oder sogar mit
stehen, die eine Einbürgerung verhindern (Be­ allen anderen 25 Fahnen verwendet.
achtung der Rechtsordnung, kein Sicherheits­ Wichtig ist die Vielfalt auch innerhalb der Kanto­
risiko). Den Kantonen und Gemeinden obliegt ne, die u.a. - aber nicht nur - durch die Kommu­
die Überprüfung der übrigen Einbürgerungsvo­ nalstruktur bedingt wird. Neben der kantonalen ist
raussetzungen, so z. B. Wohnsitzvoraussetzung, in der Tat auch die kommunale Ebene wichtig. Die
Integration, Vertrautsein mit schweizerischen knapp 2600 Gemeinden bilden die erste oder unters­
Verhältnissen, Verpflichtungen im Bereich von te Ebene und haben einige politische Kompetenzen:
Zwangsvollstreckung, Konkurs und Steuern. zur Selbstverwaltung, zur Festlegung eines Teils der
Kantonale und kommunale Erhebungsberichte Steuern, zur Aufnahme neuer Bürger beispielsweise
dienen dem Bund als Grundlage. (s.Kap. ,.Geschichte und Politik/Schweizerische De­
Quelle: Bundesamt (ür Migralion www.bfm admin eh (SUlnd: 30 9 2010) mokratie"). Oft sind es ein paar Hundert Gemeinde­
angehörige, die entscheiden, ob jemand Schweizer
wird oder nicht.
karten (Jass= ein Schweizer Kartenspiel), der Arten Die Vielzahl und Vielfalt der Gemeindewelt wird zu­
der Kaffeezubereitung beispielsweise gemeint. weilen ebenfalls heraldisch zum Ausdruck gebracht.
Ein Teil der Vielfalt (z.B. der Schulsysteme oder Berühmt sind die Fahnenhimmel der Landesausstel­
der Schützenvereine) ist durch die Kantonsstruktur lungen von 1939 und 1964 mit dem implizit de­
gegeben. Diese Vielfalt ist politisch verfasste Vielfalt monstrativen Gestus: Das ist die Schweiz! Die Bilder
(wiederum ähnlich der europäischen „Vielstaaterei"). täuschen jedoch: Alle Fahnen sind gleich groß - die
Lange waren auch militärische Einheiten der Infante­ Gemeinden (Tab. 18) wie die Kantone sind in Wirk­
rie kantonal zusammengesetzt. Die Schweiz besteht lichkeit aber unterschiedlich groß, unterschied­
aus 26 Kantonen, die ihrem Selbstverständnis nach lich wohlhabend und unterschiedlich stark (s.Kap.
„Strukturwandel im ländlichen Raum und in den
Alpen/Strukturwandel, Neuer Finanzausgleich und
Zürich 368677 Corippo (Kt. Tessin) 18 Neue Regionalpolitik"). Der Kanton mit der größten
Genf 185958 Martisberg (Kt. Wallis) 20 Bevölkerung ist Zürich mit 1,35Mio. EW, der mit der
Basel 166173 Portein (Kt. Graubünden) 23 kleinsten Uri mit 35 335 EW (Stand: 2009, Bundes­
amt für Statistik 2011).
1 Tab. 181 Die drei demographisch größten und kleins- Mit Blick auf die kantonale und kommunale Vielfalt
� ten Gemeinden der Schweiz (2009).
besagt ein gängiges Diktum, dass es in der Schweiz
eigentlich nur Minderheiten gebe. Aber das ist Ideolo­

MIMIDfiHMMldll gie und entspricht nicht der Wirklichkeit. Das Diktum


kommt aus dem Munde der Mehrheit und der Star­
ken, die damit die Situation für die wirklichen Min­
Wohnbevölkerung 7288010 100,0 100,0 100,0
derheiten und die wirklich Schwachen erträglicher
protestantisch 1 2569124 35,3 42,7 6,3
machen soll. Klassische Mehrheits- und Minderheits­
römisch-katholisch 3047 887 41,8 41,2 44,4 kriterien sind Sprache und Religion bzw. Konfession.
christkatholisch 13312 0,2 0,2 0,0 In sprachlicher Hinsicht setzt sich die schweize-
§N rische Gesamtheit gemäß letzter Volkszählung von
christlich-orthodox 131 851 1,8 0,5 6,9
j§ 2000 aus 63,7% Deutschsprachigen, 20,4% Franzö-
andere christliche Gemeinschaften 14385 0,2 0,2 0,3 sischsprachigen, 6,5% ltalienischsprachigen, 0,5%
:!!
jüdische Glaubensgemeinschaft 17914 0,2 0,2 0,3
0
Rätoromanischsprachigen und 9% ,.anderen" zusam­
§ men (s. Kap. ,.Bevölkerung, Kultur und Gesellschaft/
islamische Gemeinschaften 4,3 0,6 18,3
i
310807
� Sprachenlandschaft in der Schweiz im Wandel").
andere Kirchen Wichtig sind in unserem Zusammenhang die „ande­
57 126 0,8 0,3 2,5
und Religiongemeinschaften ren", die aufgrund der Einwanderung zwischen 1950
fg
keine Zugehörigkeit 809838 11,1 "'
10,8 12,3 und 1990 kontinuierlich von 0,7% auf 9% zugenom­
ohne Angabe 315766 4,3 3,2 8,7 �� men haben und eine neue Vielfalt bilden. Die kon­
2 fessionellen Großgruppen bilden Katholiken (41,8%),
1 inkl. neuapostolische Kirchen und Zeugen Jehovas
· Protestanten (35,2%) und „andere" (23%) (Tab. 19).
!" Diese Pauschalangaben sagen nur beschränkt etwas
1 Tab. 191 Wohnbevölkerung in der Schweiz nach Religionen gemäß letzter Volkszäh­ .::
lung 2000. ;; aus. Wichtig ist die räumliche Verteilung und die Ver­
:§ teilung auf die 26 Kantone (Abb. 62).
- -
83

protestantisch römisch-katholisch
Anteil in% Anteil in%
> 49, 9 > 79,9
- 40,0 -49 ,9 - 60,0 -7 9 ,9
- 25, 0 -39,9 - 40, 0 -59, 9
�� 1 0,0 - 24, 9 - 30,0 -39, 9
< 30 ,0

--
andere Religionen
Anteil in%
> 8, 9
8, 0 -8,9
7, 0 -7,9
5,0 -6,9
0 5-01.nt
keine Zugehörigkeit
Anlell In 'IE.
-
- 16,0-24.9
>24.9

10,0- 14.9
5,0-9.9
50 wm

< 5,0

0 50 km 50km

Die Schweiz ist nicht nur aus verschiedenartigen, ritorialitätsprinzip weitgehend gesichert, das besagt, IAbb. 621 Wohnbevölke­
sondern insbesondere auch aus nicht übereinstim­ dass die Sprache in den Schulen, im Verkehr mit der rung unterteilt nach Reli­
menden Einheiten zusammengesetzt, weshalb sich Verwaltung und vor den Gerichten territorial definiert gion für das Jahr 2000:
protestantisch, römisch­
die Grenzen nicht decken und es zu keinen kumu- ist. Konkret: Ein deutschsprachiger Schweizer muss
katholisch, andere Religio­
1 ierten Trenneffekten kommt. Die konfessionelle Ver­ in der französischen Schweiz die dortige Sprache ak­ nen, keine Zugehörigkeit.
teilung hat ihre Bedeutung zu einem großen Teil ein­ zeptieren und kann sich nicht darauf berufen, dass
gebüßt. Vor 1848 konnte sich kein Reformierter in seine Sprache national anerkannt ist.
den katholischen Stammlanden niederlassen, und In der Schweiz lautet die staatspolitische Haupt­
konfessionell gemischte Ehen waren ein Ding der Un­ frage nicht, wie man den traditionellen Minderhei­
möglichkeit. Noch um 1900 konnte jemand auf die ten gerecht werden kann. Die Hauptfrage lautet: Wie
Frage, ob er Katholik sei, antworten, nein er sei Bas­ kann die Schweiz trotz des großen Respekts vor tra­
ler oder Zürcher, weil dies „rein" reformierte Kanto­ ditionellen Minderheiten eine Nation sein - ., une et
ne waren. In diesen Kantonen wurde es noch in den indivisible". Sie kann es, und dies könnte den Um­
1960er-Jahren als Besonderheit aufgefasst, wenn ein kehrschluss erlauben, dass eine Nation nicht infrage
Katholik eine Kaderstelle innehatte. gestellt wird, wenn sie die Minderheiten respektiert.
Die Sprachproblematik ist geblieben (s. Kap. .,Be­ Im Gegenteil, es ist Schweizer Erfahrung und Über­
völkerung, Kultur und Gesellschaft/Sprachenland­ zeugung, dass die Kohäsion des Ganzen in dem Maße
schaft in der Schweiz im Wandel"). Die Schweiz gestärkt wird, wie die Rechte der einzelnen Teile res­
erkennt vier Landessprachen an, die Gesetze und pektiert werden. Man kann noch weiter gehen und
Amtsschriften werden automatisch mehrsprachig ver­ sagen, dass es der Mehrheit gut tut, Minderheiten
fasst und im nationalen Parlament wird dreisprachig zu haben, auf die sie Rücksicht nehmen muss, denn
gesprochen. Die öffentlichen Radio- und Fernsehan­ das bewahrt sie davor, sich selbst zu verabsolutieren.
stalten produzieren und senden in den vier Sprachen. Sicher gibt es auch den z. T. mühsamen regionalen
Der sprachliche Status quo ist durch das sog. Ter- Egoismus, den Partikularismus und den sog. Kan-
84

tönligeist. Aber es gibt keine Sezessionstendenzen. stimmungen, weswegen ein derartiges Projekt völlig
Manchmal kann es vorkommen, dass in den Medien aussichtslos ist. Erstaunlicherweise kommt es mit sol­
oder in den kantonalen Parlamenten im Namen eines chen Abstimmungen hier und da doch zu Gemeinde­
Kantons aus einer momentanen Verärgerung erklärt fusionen; so beschloss z.B. der Kanton Glarus 2006,
wird, dass man ja „austreten" könne, z.B. Genf, nur noch drei statt 26 Gemeinden zu haben. Aufgrund
wenn ihm der Gesamtstaat z.B. keine Lizenz für ein derartiger Fusionen ist auch die Zahl der Schweizer
Spielcasino geben will. Das ist aber nur une fa9on de Gemeinden von rund 3000 auf derzeit 2551 (Stand:
parler und im Gegenteil Ausdruck dafür, dass man 2011) zurückgegangen. Einzelne Gemeinden (Muggio
eben freiwillig (und grundsätzlich gerne) zur Schweiz im einen oder San Nazzaro in einem anderen Fall),
gehört. die sich z.B. im Tessin nicht über eine Volksabstim­
Die Schweiz definiert sich weder über Sprache mung dazu bewegen und über eine regierungsrätliche
noch über Religion. Die beiden wichtigsten konsti­ Anweisung gefügig machen ließen, konnten über ei­
tutiven Elemente sind die Geschichte und der Wil­ nen Bundesgerichtsentscheid sogar zur Aufgabe ihrer
le, eine Nation zu bilden. Um 1800 hätte die ita­ separaten Existenz gezwungen werden. Am 25. No­
lienischsprachige Schweiz leicht zu Italien gehen vember 2007 wurde die Fusion der neun Gemein­
können. Sie machte eine Rechnung und kam zum den am Südufer des Lago Maggiore zur Gemeinde
Schluss, dass es ihr als Minderheit in der Schweiz Gambarogno von den Stimmberechtigten von acht
besser gehe. Im Großen und Ganzen kann man das Gemeinden -Caviano, Contone, Gerra (Gambarogno),
von der französischen Schweiz ebenfalls sagen: Wäre lndemini, Magadino, Piazzogna, Sant'Abbondio und
sie nur ein Departement des französischen Nach­ Vira (Gambarogno)-gutgeheißen.
barstaates, hätte sie einen schlechteren Status.
Das ist aber von einer wirklichen Respektierung der Die neue Vielfalt
Minderheiten begleitet, die den Minderheiten wenn Über die alte Vielfalt hat sich eine neue Vielfalt dop­
möglich sogar eine überproportionale Vertretung pelter Art gelegt: Die eine Art besteht aus dem sich
oder Anrechnung einräumt. Eine etwas kleinliche, seit den l 960er-Jahren stark entfaltenden sozia­
aber signifikante Rechnung: Die Romands machen len Pluralismus. Die andere Art ergab sich aus der
rund 20 % aus, in der Landesregierung sind sie je­ gleichzeitig einsetzenden und im laufe der Zeit stark
doch mit 2 von 7 Mitgliedern mit 29% vertreten. Die angestiegenen Einwanderung. Der Pluralismus lässt
italienischsprachige Schweiz kommt hingegen nicht sich nicht leicht erfassen und quantifizieren. Er zeigt
immer so gut weg. Man achtet auch darauf, dass alle sich z.B. daran, dass es in den letzten Jahren, was
Teile des Landes in der Bundesverwaltung „gerecht" vorher undenkbar gewesen wäre, mit großer Selbst­
vertreten sind. Auch wenn das nicht immer erreicht verständlichkeit eine jüdische Bundesrätin und einen
wird, ist es eine allgemein anerkannte Norm. Die Nationalratspräsidenten mit gleichgeschlechtlichem
Ausstattungen von Radio und Fernsehen der Min­ Partner gab.
derheiten sind selbstverständlich überproportional; Pluralismus drückt sich in einer Vielzahl von Le­
die italienischsprachige Schweiz mit ihren 6,5 % bensstilen und einer privaten Religiosität aus, die
Bevölkerung bekommt 22.7 % des schweizerischen sich auf Kosten der großen Landeskirchen entwickelt
Budgets. Das rechtfertigt sich auch damit, dass die hat. Die Modernisierungseffekte, denen die schwei­
Studios unabhängig von der Größe der Zuhörer und zerische Gesellschaft wie viele andere europäische
Zuschauer feste Grundkosten haben. Gesellschaften ausgesetzt ist, zeigen gegenläufige
Im Zusammenleben der schweizerischen Teile ist Wirkungen: Einerseits führen sie zu Homogenisierun­
allerdings nicht alles gut. Die Landesteile leben z. T. gen, anderseits aber auch zu einer weiteren Hetero­
stark separierte Parallelexistenzen, was allerdings genisierung. Ersteres stellten wir uns auch als Ame­
auch Vorteile haben kann. Die friedliche Koexistenz rikanisierung ( Mc Donaldisierung) vor, letzteres als
unter den Landesteilen kann man mit dem Bonmot patchwork- oder a la carte-Kultur, als Multikulti- und
erklären: .. 11s s'entendent bien, car il ne se com­ als Ego-Gesellschaft.
prennent pas." (Sie verstehen sich gut, wei I sie sich Aus dem Umgang mit der alten Vielfalt und alten
nicht verstehen). Der Ausdruck „Leben und leben Minderheiten hat die Schweiz allerdings keinen Er­
lassen" und die traditionell verankerte Strategie der fahrungsvorsprung für den Umgang mit der neuen
gegenseitigen Unkenntnis voneinander sind aber in Vielfalt und den neuen Minderheiten, also mit den
der heutigen Zeit, in welcher der gegenseitige Eintritt aus anderen Kulturkreisen eingewanderten Menschen
in das jeweilige Sprachgebiet des anderen zur Nor­ gewonnen. Um welche Größenordnungen es da geht,
malität gehört, schwierig geworden. kann man an den neuen Erstsprachen (s. Kap...Be­
Eine besondere Schwierigkeit besteht darin, dass völkerung, Kultur und Gesellschaft/Sprachenland­
die historisch gewachsenen kleinen Kantonseinheiten schaft in der Schweiz im Wandel") und bisher in der
dringend den neuen gesellschaftlichen Gegebenhei­ Schweiz kaum vertretenen Religionen ablesen (s. Ex­
ten angepasst und insbesondere aus rationalen und kurs „Ausländer-Anteil der Muslime").
rationellen Gründen zu funktionalen Großräumen zu­ 22 % der Dauerbevölkerung in der Schweiz sind
sammengelegt werden sollten. Es besteht die Idee, sog. Ausländer. Etwa die Hälfte davon sind aber in
die 26 Kantone auf 7 Einheiten zu reduzieren (s. auch der Schweiz geboren oder schon länger als 15 Jahre
Kap... Siedlung und LandschafUAgglomerationspolitik in der Schweiz, mithin eine Art Einheimische, aber
des Bundes"). Dies geht aber nicht ohne Volksab- ohne politische Rechte. Die Demokratie muss auf sie
85

Ausländer - Anteil der Muslime


Die Schweizer Bevölkerung ist seit 1990 von
6,7Mio. auf über 7,24Mio. (2000) bzw. 7,78Mio.
(2009) angewachsen, wobei die Anzahl Auslän­
der von 1,127 Mio. (1990) auf knapp 1,5 Mio.
(2000) bzw. 1,714 Mio. (2009) stieg. Der Aus­
länderanteil erhöhte sich von 18,1% (1990) auf
22% (2009).
Der Anteil der Muslime in der Schweiz nahm
von 2,2% (1990) auf 4,3% (2000) zu, Moscheen
sind häufig (Abb. 63). Diese Verdoppelung wird
v. a. auf Wanderungsströme aus dem Kosovo,
Bosnien-Herzegowina, der Republik Mazedonien
und der T ürkei zurückgeführt. Einwanderungen
aus den Balkan-Staaten und anderen Ländern
Mittel- und Osteuropas führten aber auch zu ei­
ner schnellen Vergrößerung christlich-orthodoxer
Gemeinschaften, die in der Schweiz mit 131851
Personen (2000) die viertgrößte christliche Kon­
fession ausmachten.

IAbb. 631 Die Moschee von Petit-Saconnex in Genf.

keine Rücksicht nehmen, und die politische Rechte An der Zunahme der sprachlichen Vielfalt zwi­
kann über sie schlecht reden, weil sie sich nicht mit schen 1990 und 2000 können wir die Zunahme der
dem Stimmzettel in der Hand dagegen wehren kön­ neuen Multikulturalität ablesen: 8,9% (1990) bzw.
nen. Im Gegensatz zu den alten Minderheiten verfü­ 9,5% (2000) der Bevölkerung in der Schweiz haben
gen die neuen Minderheiten auch über keine eigenen als Erstsprache eine nichtschweizerische Sprache,
Territorien und kaum über starke Vereinsstrukturen, d.h. mehr als die beiden kleineren Kategorien der
welche die Interessen bündeln. Ihre Rechte können Schweizer Landessprachen zusammen. Noch 1950
sie, da sie meist nur statistisch eine Gruppe bilden, lag diese letzte, besonders interessante Kategorie mit
bloß individualrechtlich geltend machen. Die Karte 0,7% unter der 1%-Marke, nahm dann aber stark zu
(Abb.64) zeigt, dass es in bestimmten Regionen zwar und verzeichnete 1960 1,4%, 1970 4,3%, 1980
auffallende Konzentrationen bestimmter Ausländerka­ 6,0% und 1990 eben die erwähnten 8,9%. Mit der
tegorien gibt, aber grundsätzlich sind sie einfach eine neuen Art der Erfassung von Censusdaten werden
auf das ganze Land verteilte Diaspora. Vollerhebungen mittlerweile nicht mehr duchgeführt,
Vielleicht ist es kleinlich, auf dem Unterschied sondern durch ein grundlegend anderes Erfassungs­
zwischen Multikulturalismus als gewolltem Zustand system ersetzt
und Multikulturalität als sozialer Tatsache zu beste­
hen.Man kann auch Eidgenossen immer wieder- be­ Zur religiösen- und konfessionellen Vielfalt
sonders in der französisch- und italienischsprachigen Die Gruppe der „anderen" (nichtkatholischen und
Variante - stolz sagen hören, dass die Schweiz multi­ -protestantischen) Konfessionen und Religionen
kulturell sei. Gemeint ist damit in den meisten Fällen nahm in den Jahren von 1990 bis 2000 von 5,0%
jedoch bloß die traditionelle Vielfalt.Multikulturalität auf 7,5% zu, die Gruppe der Konfessionslosen von
bezeichnet aber die neue, von Individuen und klei­ 7,4% auf 11,1% und die Gruppe ohne Angaben von
nen Gruppen getragene Vielfalt. Ein Blick in die Sta­ 1,5% auf 4,3%. In der Sammelkategorie von 5%
tistik zeigt, wie kleinteilig die einzelnen Kategorien bzw. 7,5% bildet der Islam mit 2,2% bzw. 4,3% die
z.B. in sprachlicher Hinsicht sind. Die acht größten größte Gruppe, wobei in den amtlichen Unterlagen
Gruppen der nichtschweizerischen Sprachen sind vermutet wird, dass der Anteil noch größer ist, weil
Slawische Sprachen des ehemaligen Jugoslawien, Al­ sich ein Teil der muslimischen Ausländer als konfes­
banisch, Portugiesisch, Spanisch und Türkisch, wo­ sionslos eingetragen habe. Bei den Ausländern liegt
bei sich alle Anteile zwischen 1% und 2% bewegen der Anteil derer „ohne Angaben" mit 8,7% wesent­
(vgl. Kap. ,,Bevölkerung, Kultur und Gesellschaft/ lich höher als bei den Schweizern mit 3,2%. Inklu­
Sprachenlandschaft in der Schweiz im Wandel" für sive der damit verbundenen Dunkelziffer, einen Teil
Details). Aberdutzende von anderen Sprachen mit der Saisonniers und anderer Aufenthaltskategorien
Anteilen unter 0,2% bilden dann innerhalb der gro­ eingeschlossen, ergibt sich eine geschätzte Gesamt­
ßen Varia-Gruppe die kleine Varia-Gruppe mit 1,7%, zahl von rund 200 000-400 000 Muslimen in der
darunter z.B. 4419 Dänisch oder 3555 Finnisch Schweiz. Auch diese in früheren Jahren kleiner gewe­
sprechende Menschen (2009). sene Größe ist gewiss ein Indikator für die Zunahme
86 kerong, Kultur und Gesellschaft

IAbb.641 Zuzügler
aus Nordwesteuropa
nach Gemeinden
(Total 2007-2009).


•• �• ••·. •
. . '
.. .

l
N

25 50 km

der Multikulturalität in der Schweiz. Die zweitgrößte Zur Vielfalt der Nationalitäten
religiöse Minderheitengruppe bilden die Ostkirchen­ Selbst in einer schnellen Beschreibung der heutigen
Orthodoxen mit 1 % (1990) bzw. 1,8 % (2000). Vielfalt darf ein Hinweis auf die verschiedenen Na­
Es mag interessieren, dass unsere Quelle, das offi­ tionalitäten bzw. Staatsbürgerschaften nicht fehlen.
zielle Statistische Jahrbuch der Schweiz, Religion als Heutzutage wird v. a. der hohe Anteil der EWR-Aus­
Unterkapitel unter dem Haupttitel „Kultur und Medi­ länder unter der ständigen ausländischen Wohnbevöl­
en" führt, dass es nicht zwischen Konfession und Re­ kerung (mit B- und C-Ausweisen) betont. Ende 1995
ligion richtig zu unterscheiden vermag (in der deut­ machten sie 62,2 % des Gesamtbestandes aus, wo­
schen Statistik hingegen werden Judentum, Chris­ bei 62 % davon EU- und 0,2 % EFTA-Ausländer wa­
tentum, Islam als verschiedene Konfessionen und in ren- allesamt in einem negativen Wanderungssaldo.
der französischen Römischer Katholizismus, Christ­ 2009 machten die in der Schweiz lebenden Europäer
katholizismus und Ostkirchlicher Katholizismus als 86,3 % der ausländischen Wohnbevölkerung aus; sie
verschiedene Religionen bezeichnet) und dass es die konzentrieren sich in den großen Städten (Abb. 64).
muslimische Kategorie in der deutschen Version des Die politische Funktion dieser Hervorhebungen ist,
Jahrbuchs lange unter der ziemlich falschen Bezeich­ die Einheimischen mit der Botschaft zu beruhigen,
nung der Mohammedaner führte. Kategorisierungen dass diese Ausländer im Großen und Ganzen doch
haben den großen Nachteil, dass sie mit ihren Un­ die gleichen Menschen wie die Schweizer seien. So
terscheidungen immer auch pauschalisieren. So för­ sehr diese Botschaft an sich zu begrüßen ist, ist sie
dert die Feststellung, dass 1990 152 217 Muslime insofern doch zwiespältig und schon mittelfristig kon­
registriert worden sind, die fatale Vorstellung, dass traproduktiv, als sie eine Kategorie von Ausländern
es sich dabei um eine homogene Gruppe handle. Al­ entproblematisiert, indem sie die andere, nichteuro­
lenfalls ist man in der Lage, zwischen Schiiten und päische, zusätzlich problematisiert und indem sie Dif­
Sunniten zu unterscheiden. Die zahlreichen anderen ferenz bzw. Multikulturalität zudeckt, statt sie zuzuge­
Islam-Varianten, die aus unterschiedlichem Religi­ ben und sie mit der Botschaft zu versehen, dass man
onsverständnis und unterschiedlicher Herkunftsbe­ mit ihr- d. h. ihren unangenehmen, aber auch ange­
ziehung entstanden sind, kann und will man sich nehmen Seiten - zu leben lernen muss. Das in den
aber nicht vorstellen. Solche Zahlen sind bekanntlich l 990er-Jahren vorübergehend für maßgebend dekla­
auch darum problematisch, weil sie kein Abbild der rierte Einwanderungsmodell reihte beispielsweise Slo­
Realität sind, weil sie in der Summe schnell nach wenien (wie afrikanische und asiatische Staaten) in
mehr aussehen, als ihre gestreute Präsenz tatsäch­ den Bereich der wenig erwünschten Herkunftsländer
lich bedeutet, so wie umgekehrt Durchschnittswerte ein, dies im Gegensatz zu den erwünschteren Ländern
lokale Konzentrationsprozesse verschweigen oder ver­ der EU. Inzwischen sind alle 27 EU-Mitglieder ins Re­
harmlosen. Statistische Zahlen können insofern auch gime der Personenfreizügigkeit einbezogen.
Angst vor und Ablehnung von Minderheiten fördern, Von der Schweiz könnte man meinen, dass sie
da sie etwas nähren, das nur in unseren Köpfen lebt mit der Multikulturalität weniger Mühe bekunde als
und wuchert. andere Staaten oder Gesellschaften wie etwa die
87

deutsche oder französische, weil die Schweiz nie mo­ sind, gut umzugehen. Hingegen muss sie noch ler­
nokulturelle Verhältnisse gehabt habe. Auf der ideo­ nen, sich den neuen Diasporaminderheiten gegenüber
logischen und mythologischen Ebene besteht in der angemessen zu verhalten. Die Rätoromanen werden
Tat die Vorstellung von der besonderen Befähigung als historische Größe rechtlich geschützt und finan­
im Umgang mit Andersartigem. Seit die Schweiz in ziell gefördert, es gibt aber mehr Türkisch als Räto­
gesteigertem Maße glaubte, sich nationalistisch von romanisch sprechende Menschen im Land; und die
ihrem Umfeld abgrenzen zu müssen, d. h. seit den Spanisch sprechende Gruppe ist zweimal, die Por­
letzten Jahrzehnten des 19. Jh., definierte sie sich tugiesisch sprechende dreimal so groß wie diejenige
als Land, in dem verschiedene Kulturen friedlich der Rätoromanen. Da genügt es nicht, wenn man den
zusammenlebten und die Einheimischen dem Frem­ Zugewanderten einfach befiehlt, dass sie sich assimi­
den mit besonderer Toleranz begegnen würden. In­ lieren sollten. Man muss ihnen substanzielle Integra­
zwischen hat sich herumgesprochen, dass dies eher tionshilfe zur Verfügung stellen. In Spitälern und z.B.
propagierte Ideologie als eingelöste Realität war. Die bei Fahrprüfungen hat man gegenüber Nichtschwei­
Schweiz ist jedoch nicht fremdenfeindlicher als etwa zern nicht auf dem Territorialitätsprinzip beharrt und
die Nachbarländer, sondern das Besondere besteht ist ihnen entgegengekommen. So konnte man bis vor
darin, dass die xenophoben Kräfte wegen des Stimm­ Kurzem die Fahrprüfung in sechs nichtschweizeri­
rechts einen recht großen Einfluss haben können. schen Sprachen (Englisch, Spanisch, Portugiesisch,
Deswegen sollte man aber nicht übersehen, dass das Serbokroatisch, Türkisch und Albanisch) ablegen.
Verhältnis zwischen den Alteingesessenen und den In der Schweiz leben etwa 100 000 niedergelasse­
neuen Minderheiten alles in allem doch recht gut ist. ne Kosovo-Albaner (wovon 40000 die schweizerische
In Wirklichkeit ist die Schweiz entweder gar nicht Staatsbürgerschaft haben), weitere 100 000 haben
anders als die anderen, oder sie hat es sogar beson­ den Flüchtlingsstatus, und zusammen entspricht
ders schwer, weil die Idee von der bereits vorbildlich dies etwas der Bevölkerung der drei „Gründungskan­
gelebten Multikulturalität den Blick auf die Realität tone" Uri, Schwyz und Unterwalden. Die Zahl der
verstellt bzw. die Notwendigkeit nicht aufscheinen Kosovaren ist so groß, dass ein schweizerisches Ma­
lässt, eine Idee oder ein Konzept zur Bewältigung der gazin (L'Hebdo Nr. 8 vom 22. Februar 2007) einmal
anfallenden Fragen zu entwickeln. So hat man sich vom 27. Kanton der Albaner sprach. Der wesentliche
in der vormals eher als einsprachig zu bezeichnenden Unterschied besteht aber darin, dass sie über kein
Gesellschaft Deutschlands mehr mit der Mehrspra­ zusammenhängendes Territorium verfügen.
chigkeit einer Gesellschaft beschäftigt als in einem Die traditionelle Toleranz der Schweiz galt und gilt
Land wie der Schweiz, das meint, diese Herausfor­ in erster Linie den territorial definierbaren Minderhei­
derung seit jeher ohne Konzept bestens bewältigt zu ten, den Talschaften und Anhöhengemeinschaften,
haben. Die kürzlich nur mit größter Mühe zustande den vielen Geländekammern, kulturellen Exklaven
gebrachte Revision des Sprachenartikels BV Art.116 oder Enklaven. Ihre konzeptionelle Basis ist das Ter­
mit Neuerungen zugunsten des Rätoromanischen ritorialitätsprinzip, das der Ortskultur eine absolute
musste sich zu einem nicht unwichtigen Teil auf aus­ Dominanz einräumt, zum Schutze vor kultureller Un­
ländische Positionen abstützen, in diesem Fall auf terwanderung und Verschiebung von Kulturgrenzen.
die Charta des Europarates von 1992 zum Schutze Das Recht auf individuelle Kulturpraxis wird in dem
der Minderheiten- und Regionalsprachen. Maße eingeschränkt, wie man darin eine Gefährdung
Die Schweiz weiß mit den traditionellen Minderhei­ des labilen kulturellen Gleichgewichts der plurikultu­
ten, die alle auch territorial definierte Minderheiten rellen Schweiz sieht.

Schweiz - Gesellschaft im Wandel ■ Rene Levy

Welche Schweiz? Welcher Wandel? etwa der Familie. Diese Gesellschaftsbereiche stellen
Trotz seiner scheinbaren Einfachheit, ja Selbstver­ auf makroskopischer Ebene den Kern der Sozialorga­
ständlichkeit deckt der Name eines Landes vielerlei nisation dar und sind daher für die Strukturierung der
ab. Im Folgenden wird die „Schweiz" soziologisch Lebenswelten, in denen die Bewohner des Landes ihre
als eine Gesellschaft betrachtet, die auf einem be­ Alltagserfahrungen machen, besonders wichtig. Auch
stimmten Territorium existiert und eine Geschichte die räumliche Gliederung ist eine nicht zu vernach­
hat. Die Organisation einer modernen Gesellschaft lässigende Dimension der Sozialorganisation. Gesell­
ist in verschiedene Funktionsbereiche gegliedert, die schaftliches Leben und seine Organisation stehen in
alle grundsätzlich von strukturellen und kulturellen direkter Beziehung zum Territorium: Einerseits ist jede
Elementen gekennzeichnet sind. So zeichnet sich die Sozialorganisation an einen geographischen Raum
Wirtschaft u. a. durch eine bestimmte Sektorenstruktur gebunden, andererseits wird dieser Raum sozial „ver­
aus, aber auch durch das eingesetzte Spezialwissen waltet"; die relevanten territorialen Räume können ih­
oder das vorherrschende Arbeitsethos. Analoges gilt rerseits verschieden umfassend sein - von der lokalen
für die Politik, das Bildungswesen und andere Berei­ bis zur globalen Ebene. Die territoriale Differenzierung
che des sozialen Lebens, seien sie auf der makrosozi­ kann in diesem Zusammenhang, wenn auch stark ver­
alen Ebene angesiedelt oder auf der mikrosozialen wie einfachend, in erster Linie mit „zentral/peripher" oder
88

rung des Schulobligatoriums, das seither schrittweise


HÖHERE BERUFSBILDUNG HOCHSCHULSTUFE bis auf neun Jahre ausgedehnt wurde; nur Genf hat-
� te bereits bei der Calvinschen Reformation (1536)
:§ ein allgemeines Schulwesen etabliert. Mit Ausnah­
"' me der Universität Basel (1460) stammen auch
m die meisten Schweizer Universitäten und die sog.
Polytechnischen Hochschulen (z.B. ETH) aus der
:u!
,::: Gründerzeit des Bundesstaates im 19. Jh. Besonde­
i
- direkter Zugang
Zusatzqualifikationen � res Merkmal des schweizerischen Bildungssystems
erforderlich (Abb. 65, Abb. 66) ist, dass es - salopp gesagt - erst
U
- dabei ist, eines zu werden, denn aufgrund der stark
Allgemeinbildende
eidgenössisches eidgenössisches Fähigkeitszeugnis Schulen :g föderalistischen Staatsstruktur Iiegt die Schu I hoheit
Berufsattest (3 oder 4 Jahre)
(2 Jahre) J bei den Kantonen, sodass die Eidgenossenschaft
o nur beschränkte Einflussmöglichkeiten wahrnehmen
berufliche Grundbildung Jiskann (sie tut dies v. a. auf der Tertiärstufe, d. h. bei
BrOcke11a11�ebule .i:universitäten und Fachhochschulen sowie bei der
��_Berufsbildung). Deshalb kann auch heute, trotz lang­
obligatorische Schulzeit f {jähriger Koordinationsbemühungen, gesagt werden,
8�dass jeder Kanton sein eigenes Schulsystem besitzt.
Eine weitere Besonderheit, welche die Schweiz mit
1 Abb. 65 I Das duale ausdrücklicher und gezielter mit „reich/arm" gleich­ Deutschland und Österreich teilt, ist ihr stark ausge­
Bildungssystem. gesetzt werden. Auf globaler Ebene ist zu vermerken, bautes duales Berufsbildungssystem (Abb. 65): Rund
dass die Schweiz im internationalen Sozialraum eine zwei Drittel der Jugendlichen entscheiden sich nach
spezifische Position einnimmt. Gebraucht man die der obligatorischen Schulzeit für eine Berufsbildung
Windrosenmetapher, so gehört sie zum westlichen (2008: 66,7 %; Eidgenössisches Volkswirtschafts­
Norden, d. h. zur Gruppe der besonders stark entwi­ departement und Bundesamt für Berufsbildung und
ckelten, postindustriellen Nationen des „Westens" Technologie 2010: 14).
bzw. der Ersten Welt, welche über den Kolonialismus In den 1960er- und 1970er-Jahren erfuhren die
und die auf ihn folgende wirtschaftliche Durchdrin­ Mittelschulen (Sekundarstufe II) einen entscheiden­
gung der übrigen Welt durch westliche multinationale den Ausbau, was einem wachsenden Anteil der Ju­
Konzerne zum globalen Herrschaftszentrum geworden gendlichen ermöglichte, überobligatorische Stufen
ist. Zwar hat die Schweiz als Nation nicht an der Kolo­ der allgemeinen Bildung zu erreichen. Kann die Si­
nialisierung teilgenommen, wohl aber Teile ihrer Wirt­ tuation der 1960er-Jahre mit der Anekdote illustriert
schaft. Seit Jahrhunderten ist die Schweiz auch auf werden, dass der Personalchef eines Mittel- bis Groß­
vielfältigste Weise mit der sie umgebenden Welt, v. a. betriebs angesichts der Wahl zwischen zwei Maturan­
mit der europäischen, stark verflochten. Spätestens den (Abiturienten) gleich beide einstellte, so gelten
seit dem Zweiten Weltkrieg gehört sie zu den reichsten heute Jugendliche, die nur die obligatorische Schul­
Ländern der Welt. zeit absolviert haben, als bildungsarm und sind auf
Der Begriff „Wandel" kann genauso vieldeutig sein dem Arbeitsmarkt ernsthaft benachtei I igt, während
wie ein Landesname - im Zusammenhang mit einer die früher relativ prestigeträchtige Matura (Abitur)
nationalen Gesellschaft schon deshalb, weil sie kom­ heute kaum mehr „wert" ist als der Lehrabschluss.
plex ist und sich nicht alle ihre Komponenten ohne Die genannte Expansion des Bildungssystems er­
Weiteres im selben Sinne und im selben Ausmaß folgte v. a. in einem territorialen Sinne: Während vor­
verändern. Hier soll der mittelfristige Wandel im Vor­ her Mittelschulen, v. a. jene mit Matura, nur in den
dergrund stehen, d. h. Prozesse, die sich im Verlauf größten Städten und teils sogar nur in den reicheren
des 20. Jh. und besonders in den letzten Jahrzehnten Kantonen existierten, wurde diese mittlere Bildungs­
abgespielt haben. Dabei steht hier dauerhafter und stufe nun stärker dezentralisiert. Dadurch wurden
grundlegender Wandel im Mittelpunkt; von kurzfristi­ hinsichtlich der Bildungschancen zwei von drei gra­
gen Schwankungen wird abgesehen. Es geht dabei um vierenden Ungleichheiten reduziert:
Veränderungen, die besonders folgenreich sind, weit­ ■ Reduktion der räumlichen Ungleichheit. Mittelschu­
gehend unabhängig davon, wie intensiv sie von der len wurden für Kinder aus weniger zentralen und da­
Gesellschaft selbst wahrgenommen oder miteinander mit meist auch ärmeren Wohnlagen zugänglicher.
in Beziehung gesetzt werden. Schließlich ist auch ■ Reduktion der Geschlechterungleichheit. In ge­
nach Nichtveränderungen zu fragen, denn nicht alles wissen Kantonen konnte die Matura bis Ende der
ändert sich, und wie der Wandel ist auch die Stabilität 1960er-Jahre nur in einer einzigen, teilweise als
sozialer Formen nicht selbstverständlich, sondern so­ religiösem Internat geführten Schule erworben
zial konstruiert und insofern erklärungsbedürftig. werden, die keine Mädchen aufnahm. Inzwischen
haben Frauen in der Schweiz bildungsmäßig stark
Bildung aufgeholt, wenn auch regional unterschiedlich
Wie die meisten europäischen Länder kennt die und nicht in allen höheren Kadern des Manage­
Schweiz ein der ganzen Bevölkerung zugängliches ments sowie Positionen an Hochschulen gleicher­
Bildungssystem erst seit dem 19.Jh. - nach Einfüh- maßen.
Schweiz-Gesellschaft im 89

■ Reduktion der Ungleichheit aufgrund der sozialen eines der zentralsten sozialen Güter-nicht nur auf
Schicht der Eltern. Auch die institutionelle Ex­ der Ebene der effektiven Lebensverläufe, wie sie
pansion verminderte die in der sozialen Schicht statistisch nachvollzogen werden können, sondern
der Eltern begründete Ungleichheit nur bedingt. auch im Bewusstsein der Bevölkerung.
Noch immer gelangt ein wesentlich geringerer An­
teil von Kindern der unteren sozialen Schicht bis Wirtschaft
zur Universität. Der Bericht zur sozialen Lage der Für alle westlichen Wirtschaften war die Industri­
Studierenden 2005 untersuchte die Schichtzuge­ alisierung ein entscheidender Umbruch, der oft zu
hörigkeit von Studierenden aufgrund der höchs­ starken sozialen und politischen Verwerfungen ge­
ten beruflichen Stellung und dem höchsten Bil­ führt hat. Die Schweiz hat diese Umbruchsphase be­
dungsabschluss der Eltern. Die darauf basierende sonders schnell und zugleich auf eine besondere Art
Einteilung in die vier Gruppen niedrige, mittlere, durchlaufen, die hier knapp angedeutet werden soll.
gehobene und hohe Schicht zeigte 28% der Stu­ Einerseits erscheint sie aufgrund wirtschaftshistori­
dierenden in der hohen, 28% in der gehobenen, scher Analysen als gleich früh „industrialisiert" wie
26 % in der mittleren, aber nur 18% in der nied­ die industrielle Führungsnation England (- 1830),
rigen sozialen Schicht (Bundesamt für Statis­ obgleich der Prozess in der Schweiz später einsetzte
tik 2007: Soziale Lage der Studierenden 2005. als dort, andererseits kannte die Schweiz bereits im
Neuchatei). 18.Jh. in einigen Schlüsselregionen eine Protoin­
dustrialisierung, deren Besonderheit es war, dass sie
Die jüngste markante Veränderung in der Schweizer sich nicht in den Städten entwickelte, sondern auf
Bildungslandschaft besteht einerseits in der schweiz­ dem Land (v.a. die Textilherstellung und -veredelung
weiten Einführung von Fachhochschulen mit Univer­ in den Basler oder Zürcher Landgegenden, aber auch
sitätsrang (,,Berufsuniversitäten"), die allerdings v.a. etwa im Kanton Glarus, teils auch die Uhrenfabrika­
mithilfe einer Rangerhöhung bereits bestehender In­ tion im Jura). Das war -nebst der Tatsache, dass es
stitutionen (z.B. Technika, Schulen für Sozialarbeit) sich um Veredelungs- und nicht um Schwerindustrie IAbb.661 Das Bildungs­
erfolgte und insofern nur beschränkt als Strukturwan­ handelte - einer der wichtigsten Gründe dafür, dass wesen in der Schweiz
del angesehen werden kann, und andererseits in der die Industrialisierung vorwiegend als technische, (vereinfacht).
Durchsetzung der Bologna-Reform auf Universitäts­
und Fachhochschulebene. Die konkreten sozialen
Auswirkungen beider Maßnahmen zeigen sich noch
nicht deutlich, sind erst im Entstehen und bisher
noch kaum untersucht.
Das Bildungssystem ist sozial deshalb besonders
wichtig, weil es derjenige Gesellschaftsbereich ist,
in dem die persönliche Bildung erworben wird, und
weil von der Erstausbildung in einem sehr weitge­
henden Ausmaß abhängt, wo und v. a. wie „hoch"
sich junge Frauen und Männer in der Berufswelt
positionieren können. Es wurde schon angedeutet,
dass die Bildungsvererbung von den Eltern auf die
Kinder in der Schweiz - wie in den meisten euro­
päischen oder OECD-Ländern - relativ stark ins
Gewicht fällt, obwohl dank der Bildungsexpansi­ a:�
t;' 2
on in der zweiten Hälfte des 20.Jh. ein gewisser ::,
� 1
„Fahrstuhleffekt" der kollektiven Bildungsmobilität
zustande kam: Die Bildungsverteilung in der Bevöl­
kerung hat sich nach oben verschoben, ohne dass "'(3 - 9
dadurch die Bildungsungleichheiten im Sinne der z u.J
::, "- 8
sozialen Schichtung markant verringert worden wä­ sc::,
� t; 7
ren. Außerdem hat sich die hierarchische Struktur 6 Primarschule '<
der Wirtschaft nicht im selben Ausmaß und gleich­ 5 F�
zeitig verändert. Im Gegenteil: Aufgrund neuer Ma­
"'
4

nagementpraktiken (z.B. Jean management) und 3 i


Konzentrationstendenzen (z.B. Fusionen) wurden
�� 2
-=>
:f � 1 0 j
in den l 980er-Jahren mittlere Chargen eher aus­ f
;� •
gedünnt, sodass heute mit einem relativ „guten" Vorschule
Bildungsabschluss weniger hoch gestellte Berufspo­
sitionen erreichbar sind als noch vor zwanzig oder
dreißig Jahren. De facto hat daher die Vergrößerung •••••••••••• ISCED-Klassifikationsschema der UNESCO
des Bildungsvolumens zu einer gewissen Inflation J parallel zur drei- oder vierjährigen beruflichen Grundbildung oder ein Jahr im Anschluss an die Lehre
2 Zur höheren Berufsbildung gehören Ausbildungsgänge an hOheren Fachschulen (HF), die eidgenössischen Berufsprüfungen (BP),
des Mobilitätswertes der verschiedenen Bildungs­ die eidgenössischen höheren Fachprüfungen (HFP) und vom Bund nicht reglementierte hOhere Berufsprüfungen.
niveaus geführt. Trotzdem ist Bildung nach wie vor
90 lk�rüng, Kultur und Gesellschaft

Maximum von 51 % (1963, Industrie insgesamt); an­


schließend sank er wieder auf 23% (2009). Dagegen
stieg der Anteil des Dienstleistungssektors konstant
von 24% (1900) auf 73, 3% (2009) (vgl. hierzu Kap.
„Strukturwandel im ländlichen Raum und in den
Alpen/Strukturwandel, Neuer Finanzausgleich und
Neue Regionalpolitik" und Kap. ,,Wirtschaft/Der Weg
der Schweiz zum Werkplatz, Finanzplatz, Denkplatz
und zurück"). Dieser wirtschaftliche Wandel betraf
nicht nur die Branchenstruktur, er brachte tief ge­
hende soziale Veränderungen mit sich. Dazu nur eine
einzige Illustration: Die Situation der wirtschaftlichen
Selbstständigkeit wurde zum Minderheitsphänomen,
denn die große Mehrheit der Schweizer Erwerbstä­
tigen war lohnabhängig geworden (2009 betrug die
Selbstständigenquote nur noch 8, 5 %). Der alte, auf
Selbstständigkeit beruhende Mittelstand von Bauern,
Handwerkern und Händlern wurde im Wesentlichen
durch weniger homogene Mittelschichten ersetzt,
deren Status nicht auf Eigentum, sondern auf Qua­
lifikation beruht. Wer weder über Besitz noch über
Qualifikation verfügt, sieht sich mit einem massiven
Armutsrisiko konfrontiert.
Die gleichzeitig in mehreren Schüben stattfindende
Expansion der Wirtschaft und damit der Beschäftig­
tenzahl führte einerseits dazu, dass Arbeitslosigkeit
seit dem Zweiten Weltkrieg in der Schweiz kein Mas­
senphänomen wurde, sondern im Gegenteil im Allge­
meinen sehr gering war und nur während kurzer Re­
zessionsphasen anstieg. Allerdings ist die Berufstä­
tigkeit an sich in den vergangenen 10 bis 15 Jahren
keine Garantie gegen Armut mehr, und die Schweiz
verfügt mittlerweile über ein nicht zu vernachläs­
sigendes Segment von working poor: 3,8 % bzw.
118000 Personen, die Vollzeit arbeiteten, zählten
2008 dazu (Bundesamt für Statistik 2011 b, 2010 a,
vgl. Kap. ,,Soziale Disparitäten und Exklusion/Armut
und Sozialhilfe in der Schweiz" und Kap. ,.Soziale
Disparitäten und Exklusion/Armut und Reichtum in
der Schweiz"). Die wirtschaftliche Expansion ermög­
lichte jedoch v. a. in den auf den Zweiten Weltkrieg
folgenden rund 25 Jahren mehreren Generationen
1 Abb. 67 I La Chaux-de­ nicht aber als soziale Revolution ablief, und somit schweizerischer Erwerbstätiger, beruflich aufzustei­
Fonds im Kanton Neu­ auch wesentlich reibungsloser als in anderen Län­ gen, während die unteren beruflichen Ränge durch
chatei/Neuenburg, 1935 dern. Dazu trug auch bei, dass die Mechanisierung Arbeitsimmigranten aufgefüllt wurden. Der Auslän­
und 2009.
zuerst kaum in Fabriken stattfand, sondern eher in deranteil unter den Beschäftigten stieg von einem
den Häusern der Heimarbeiter, und dass in einer da­ Kriegsminimum von rund 5% (1941) auf 27,7%
rauf folgenden Übergangsphase viele Fabrikarbeiter (2009) und ist damit europaweit einer der höchsten.
nebenher weiterhin im kleinen Maßstab Landwirt­ Diese Einwanderung erfolgte in mehreren Wellen,
schaft betrieben (,,Arbeiterbauern"). Der in anderen die schwerpunktmäßig aus immer wieder anderen
Industrieländern beschleunigt voranschreitende Ur­ Ländern kamen, sodass die kulturelle Heterogenität
banisierungsprozess verlief in der Schweiz weitaus der schweizerischen Bevölkerung stark zugenommen
langsamer und führte nur vereinzelt zu eigentlichen hat und integrative Institutionen wie etwa die Schule
1 ndustriestädten (La Chaux-de-Fonds, Winterthur) stark fordert. Die Herkunftsländer lagen zunächst im
(Abb.67). katholischen Südeuropa (Italien, Spanien, Portugal),
In einer ersten Phase lag der wichtigste wirtschaft­ anschließend im Balkan und der Türkei, sodass in ge­
liche Strukturwandel in der Entwicklung der Indust­ wissen Regionen der Anteil der Katholiken und auch
rie auf Kosten der Landwirtschaft. Arbeiteten 1900 der Muslime weit über ihr historisches Maß anstieg
31 % der Beschäftigten im Primärsektor, waren es (vgl. Kap. ,.Bevölkerung, Kultur und Gesellschaft/
2009 nur noch 3,7%. Der Beschäftigungsanteil der Sprachenlandschaft in der Schweiz im Wandel").
Industrie entwickelte sich zunächst umgekehrt und So zählt etwa Genf, historisch als „protestantisches
stieg von 18% (1900, nur Fabrikarbeit) bis zu einem Rom" bekannt, der letzten Volkszählung von 2000
91

zufolge nur noch einen Protestantenanteil von 17%, Spezialisten gehandhabt werden. Die exorbitanten
während der Islam nach den christlichen Konfessi­ Einkommen einiger Spitzenmanager der Schweiz
onen zur drittstärksten Religion der Schweiz gewor­ (der höchste bekannte jährliche Managerlohn ent­
den ist, wenn auch mit großem Abstand (4,3%) (vgl. spricht dem gut 17-fachen des Lebenslohns einer
Kap. .,Bevölkerung, Kultur und GesellschaftNielfalt Person, die den von den Gewerkschaften geforder­
in kleinem Land"). ten, aber noch nicht in allen Branchen realisierten
Bereits die relative Deindustrialisierung seit den Minimallohn von 3000CHF pro Monat verdient) sind
1970er-Jahren ist im Rahmen der verstärkten Glo­ dabei nur ein besonders sichtbares und öffentlich
balisierung zu sehen, die durch zunehmende Produk­ diskutiertes Element einer wesentlich vielfältige­
tionsauslagerungen und weitere Formen internatio­ ren hierarchischen Realität im Wirtschaftsleben der
naler Expansion gekennzeichnet ist. Börsennotierte Schweiz, deren Legitimität nach langer Latenzzeit
Schweizer Firmen, die heute rund 350000 Mitarbei­ problematischer wird. Die Konzentration wirtschaft­
ter in der Schweiz beschäftigen (11% der Gesamtbe­ licher Macht hat, ab einem gewissen Ausmaß, auch
schäftigung) haben den größten Anteil ihrer Beschäf­ politische Konsequenzen im Sinne eines übermä­
tigten im Ausland (vgl. Kap. ,.Wirtschaft/Der Weg der ßigen politischen Einflusses der Großunternehmen
Schweiz zum Werkplatz, Finanzplatz, Denkplatz und oder gar eines wirtschaftlichen Klumpenrisikos, wie
zurück"). es die Probleme des Finanzsektors in der Rezessi­
In den vergangenen 10 bis 20 Jahren schlug sich on 2008-2009 illustrierten: 2009 entfielen in der
diese Entwicklung auch in der feineren Branchen­ Schweiz allein auf den Finanzsektor 5,8% der Be­
struktur nieder: Im industriellen Sektor halten sich schäftigten, fast 12% des Bruttoinlandproduktes
v. a. hoch veredelnde, stark exportorientierte Spezi­ und 12 -15% des Steueraufkommens (Swis Ban­
alproduktionen im Land, im Dienstleistungsbereich king 2009, S. 1 f.).
sind es „mehrwertintensive" Aktivitäten wie For­ In territorialer Hinsicht sind die Kantone nach wie
schung, Verwaltung, Steuerung und Beratung von vor wichtige wirtschaftliche Subsysteme, obwohl sich
Unternehmen. Gemeinsamer Nenner dieser Globa­ gerade die Zusammenarbeits- und Kontrollstruktu­
lisierungsgewinner unter den Wirtschaftstätigkeiten ren der Unternehmen kaum mehr an deren Grenzen
ist, dass sie besonders hoch qualifizierte Arbeitskräf­ orientieren. Das historische Gefälle zwischen ärme­
te mobilisieren, was die gering qualifizierten Bevölke­ ren, vorwiegend katholischen und reicheren protes­
rungsteile vermehrt unter Prekarisierungsdruck setzt. tantischen Kantonen hat sich zwar abgeschwächt,
Die starke wirtschaftliche Verknüpfung der Schweiz ist aber nicht völlig verschwunden (die erste lndus­
mit dem Ausland wurde bereits erwähnt und ist his­ trialisierungsphase war auf protestantische Kantone
torisch kein neues Phänomen, hat sich aber weiter beschränkt, was das wirtschaftliche und politische
verstärkt. Der Außenhandel verbindet sie v. a. mit Machtgefälle zwischen protestantischen und katho­
Europa: 2009 gingen 58,6% der Schweizer Expor­ lischen Regionen nachhaltig verschärfte).
te in den EU-Raum, während 77,4% der Importe Die schweizerische Wirtschaft ist also heute sehr
in die Schweiz von dort kamen (Bundesamt für Sta­ stark vom Dienstleistungssektor geprägt, besonders
tistik 2011c, 201 ld, vgl. Kap. ,.Die Schweiz in der unter dem Gesichtspunkt der Beschäftigung. Qua­
Welt/Schweiz und Europa". Darin könnte eine ent­ lifikation spielt für die beruflichen Entfaltungsmög­
scheidende Auslandsabhängigkeit gesehen werden; lichkeiten eine entscheidende Rolle, und entgegen
diese wird aber u. a. dadurch relativiert, dass der gewissen Diskussionen der l 980er-Jahre ist der
Wirtschaftsumfang der Schweiz im internationalen Druck (,.Stress") in der Arbeitswelt in den letzten
Vergleich, obwohl überproportional zum Territorium Jahrzehnten, besonders aber seit den l990er-Jahren,
oder zur Bevölkerung, eher bescheiden ist, sodass enorm gewachsen. Diese Entwicklung steht v. a. mit
Nischenstrategien für die Exportwirtschaft und damit der zunehmenden Exposition gegenüber der interna­
auch für die nationale Ökonomie tragfähiger sind als tionalen Konkurrenz und mit der starken Ausrichtung
in größeren Ländern. der Führung besonders größerer und börsennotierter
Eine weitere Besonderheit der schweizerischen Unternehmungen auf den shareho/der value im Zu­
Wirtschaft ist die starke Präsenz der kleinen und sammenhang.
mittleren Unternehmen (KMU): Nur 0,4% der Be­
triebe in der Schweiz beschäftigten 2008 mehr als�
250 Mitarbeiter, während 99,6% zu den kleinen U Größenklassen
nach Vollzeitäquivalenten
Unternehmen Beschäftigte
und mittleren Betrieben mit bis zu 249 Beschäftig- �� Anzahl % Anzahl %
ten zählten (Tab. 20). Ihre Bedeutung hat seit den i�
311707 2327802 66,6
1990er-Jahren stetig zugenommen. j� KMU (bis 249)
�i
Eine Stärke der KMU sind die meist relativ direk- Mikrounternehmen (bis 9) 272346 869206 24,9
ten Bezieh_ungen zwischen_ Leitun� und Mitarbeiter,§; kleine Unternehmen 00-49) 33 183 760 780 21,8
_ .
wahrend sich die Entsche1dungstrager von Großun-I:; mittlere Unternehmen (50-249) 6178 697816 20,0
ternehmen in einer vom übrigen Personal stark ab-�� große unternehmen (250 und mehr) 1154 0,4 1 166 269 33,4
geschotteten Sphäre mit ihren eigenen normativen U
Bezugssystemen bewegen. Die hierarchischen Dis-i;, al
Total 312861 100,0 3494071 100,0

tanzen haben zugenommen und sind durch abstrak-!� !Tab. 201 Marktwirtschaftliche Unternehmen und Beschäftigte nach Größenklassen
te Managementtechnologien mediatisiert, die von�§ 2oos.
92

Diese Umorientierung führte dazu, dass ein Grund­ eben erwähnten Generalstreik nur unwesentlich
stein des berühmten Schweizer Arbeitsfriedens in verändert. Zu den erwähnenswerten Ausnahmen ge­
vielen Bereichen zumindest stark infrage gestellt hört v. a. die Einführung der politischen Rechte für
wurde, nämlich das Prinzip der gleichmäßigen Ver­ Frauen 1971 und die Gründung des Kantons Jura
teilung der Resultate aus Produktivitätsfortschritten 1978, während etwa die Zugestehung politischer
zwischen Arbeit und Kapital. Löhne gelten in dieser Rechte an gewisse Kategorien von Immigranten
Perspektive nicht mehr als legitime Beteiligung von (Niedergelassene) bisher nur in den zwei Kantonen
Sozialpartnern am Unternehmenserfolg, sondern Neuenburg und Jura realisiert werden konnte. Diese
vorrangig als zu minimierender Kostenfaktor. Das relative Stabilität ist allerdings nicht ohne Proble­
Ausmaß der hierarchischen und lohnmäßigen Un­ me. Strukturell beinhaltet das politische System der
gleichheiten hat zumindest im Bereich der Großun­ Schweiz zwei direkte Konfliktlinien. Die eine ist die
ternehmen entgegen gewisser Erwartungen nicht ab-, Diversität und Autonomie der Kantone, die im Zwei­
sondern zugenommen. kammerprinzip von Nationalrat (Repräsentation der
Kantone gemäß Bevölkerungsgröße) und Ständerat
Politik (zwei Repräsentanten pro Voll-, einer pro Halbkan­
Obwohl die Schweiz auf ihre jahrhundertealte ton) institutionalisiert ist (vgl. Kap. ,, Geschichte
demokratische Tradition stolz ist, stammt die ge­ und Politik/Schweizerische Demokratie"). Die zwei­
genwärtige politische Struktur erst aus dem 19. Jh. te stark institutionalisierte Konfliktlinie ist jene der
Das davor herrschende „Ancien Regime" ist kaum Klassenpolarität, also der lnteressensgegensatz zwi­
demokratisch zu nennen; der Einmarsch Napoleons schen Arbeit und Kapital (etwa durch die parteipo­
erschütterte es 1798 entscheidend und leitete eine litische Zusammensetzung des Bundesrats). Andere
politische Instabilität ein, die bis zur Jahrhundert­ lnteressensdivergenzen, wie etwa Umweltprobleme
mitte dauerte und sogar einen kurzen Sezessions­ oder die Probleme der größeren Städte gegenüber
krieg zwischen fortschritt! ichen protestantischen den sie umgebenden Regionen, sind nicht struktu­
und konservativen katholischen Kantonen einschloss rell vorgesehen und müssen über die normalen Pro­
(Sonderbundskrieg, vgl. Kap. ,, Geschichte und Poli­ zesse der politischen Themenbearbeitung behandelt
tik/Geschichte der Schweiz"). Die 1848 installierte werden; dieser Weg ist entsprechend aufwendiger
politische Struktur ist dem US-amerikanischen Sys­ und langsamer.
tem nachgebildet und wurde in zwei Schritten weiter Eine wichtige Veränderung liegt in der verstärk­
demokratisiert (Einführung der Volksinitiative 1891, ten wirtschaftlichen Globalisierung der letzten
ferner die Einführung des Proporzwahlsystems für Jahrzehnte begründet. Sie besteht aus einer wach­
die große Parlamentskammer, die als Resultat des senden Kluft zwischen der Steuerungsfähigkeit der
einzigen schweizerischen Generalstreiks von 1918 international tätigen Unternehmen, die sehr mobil
angesehen werden kann, siehe o. g. Kapitel). Diese geworden sind und damit ihre Bindung an ein fes­
Struktur ist durch einen stark ausgeprägten Födera­ tes Territorium stark vermindert haben, und den Ein­
lismus und damit auch einen relativ schwachen Zen­ flussmöglichkeiten des kommunalen, kantonalen und
tralstaat gekennzeichnet. Auf die drei Hauptebenen nationalen politischen Systems, das ans Territorium
der politischen Organisation entfallen denn auch und seine Ressourcen gebunden bleibt. Daraus- wie
die der öffentlichen Hand zur Verfügung stehenden auch aus der Machtkonzentration in der nationalen
finanziellen Mittel zu ähnlichen Teilen (Gemeinden Wirtschaft- resultiert ein tendenzieller Machtverlust
26%, Kantone 40%, Bund 33%; laut konsolidier­ des politischen Systems, der auch die demokratische
tem Rechnungsabschluss 2008, Bundesamt für Sta­ Teilnahmebereitschaft der Bürgerinnen und Bürger
tistik 2011 f, 2011 g). Vor allem auf Bundesebene untergräbt.
bestehen gewisse Ausgleichsmaßnahmen zwischen Was sich in jüngerer Zeit ebenfalls verändert hat,
finanzschwachen und finanzstarken Kantonen (vgl. ist die Gewichtung der politischen Kräfte in Form
Kap. ,.Strukturwandel im ländlichen Raum und in der Parteien insbesondere auf Bundesebene. Davon
den Alpen/Strukturwandel, Neuer Finanzausgleich ist weniger die Grundaufteilung in Links und Rechts
und Neue Regionalpolitik"). Eine weitere Besonder­ berührt als das Verhältnis innerhalb der beiden „Blö­
heit des schweizerischen politischen Systems ist der cke". Im bürgerlichen Lager hat sich die Schweize­
starke Ausbau der Volksrechte (vgl. Kap. ,,Geschichte rische Volkspartei immer stärker rechtskonservativ
und Politik/Schweizerische Demokratie"): Bürger und profiliert und seit Ende der l 980er-Jahre auf Kos­
Bürgerinnen (diese erst seit 1971) können nicht nur ten der anderen bürgerlichen Parteien beträchtlich
wählen, sondern auch über politische Sachgeschäf­ an Stimmen gewonnen. Auf der Gegenseite hat die
te abstimmen und solche Abstimmungen einleiten. Grüne Partei sich bei wachsenden Stimmenanteilen
Allerdings braucht es für die erfolgreiche Benutzung gegenüber der Sozialdemokratischen Partei stärker
der entsprechenden Instrumente (Volksinitiative, Re­ links positioniert und auch von der wieder gewachse­
ferendum) beträchtliche Mittel, weshalb denn auch nen öffentlichen Aufmerksamkeit bezüglich Umwelt­
das wichtigste Gewichtungskriterium von Interessen problemen profitiert. Insgesamt hat sich so in den
im politischen Prozess die Referendumsfähigkeit der letzten 20 Jahren in der Schweiz eine gewisse Pola­
entsprechenden Gruppierungen ist. risierung der politischen Kräfte entwickelt, die den
Die politische Struktur der Schweiz hat sich in oft gehörten Behauptungen über die schwindende
den Jahrzehnten seit dem Ersten Weltkrieg und dem Relevanz der Links-rechts-Dimension deutlich wider-
Schweiz - Gesellschaft Im 93

spricht und wohl nicht unwesentlich zur Animierung Zentralwert (Median), in Franken - 1 Abb. 681 Monatlicher
des politischen Lebens beigetragen hat (vgl. Kap.. privater und öffentlicher Sektor (Bund) zusammen Bruttolohn nach Alter und
„Geschichte und Politik/Die heutigen politischenjt 8000 Geschlecht 2008.
Landschaften der Schweiz"). ��
Der politische Bereich der Gesellschaftsorgan!-��
sation ist wichtig, wei I er einerseits der gesamt-��
gesellschaftlichen Steuerung dient und KonflikteH
reguliert, die in anderen Gesellschaftsbereichen:gj
entstehen - andererseits ist er der einzige dieser Be-�i
reiche, der demokratisch verfasst ist und direkt aufU
Absichtserklärungen aus der Bevölkerung reagieren��
muss, während etwa die Wirtschaft dies nur indirekH�
aufgrund des Marktverhaltens der Konsumenten H
tut. Die Politik bietet also wie kein anderer Gesell-:�
20-29 Jahre 30-39 Jahre 40-49 Jahre 50-63/65 Jahre
schaftsbereich den Bürgerinnen und Bürgern Mög-U
lichkeiten, ihre Lebensumstände zu beeinflussen.
Zu deren Absichtserklärungen gehören nicht nur die Raum und in den Alpen/Räumliche Disparitäten")
institutionell vorgesehenen Formen, sondern auch und damit das politische Konfliktpotenzial mäßi­
spontanere Ausdrucksmittel wie z. B. Demonstrati­ gen, anstatt - was auch denkbar wäre - parallel
onen. In diesem erweiterten Feld politischer Mei­ zu liegen und sich so gegenseitig zu verstärken.
nungsäußerungen fallen einige mittelfristige Verän­ Auch auf weniger makroskopischer Ebene gibt es
derungen der Probleme auf, die Teile der Bevölke­ die Gemengelage von Wandel und Konstanz, wofür
rung mobilisiert haben: Umweltprobleme haben seit ein einziges Beispiel zur Illustration genügen soll.
den späten 1960er-Jahren deutlich an politischer Ausgehend von ihrer radikalen lnfragestellung durch
Brisanz zugenommen, wenn auch anfänglich nur die zweite Welle der Frauenbewegung seit Ende der
langsam und mit einer zwischenzeitlichen Baisse 1960er-Jahre ist die Schlechterstellung der Frauen
während der frühen l 980er-Jahre. Klassische und sozial und politisch immer illegitimer geworden,
weniger klassische linkspolitische Anliegen haben und Frauen haben zunehmend ihre Anteile auch auf
in den ausgehenden 1960er- und frühen l 970er­ den mittleren Ebenen der Bildungs-, Berufs- und
Jahren nach starker und rascher Zunahme einen politischen Hierarchie verbessert. Verstecktere Ele­
Mobilisierungshöhepunkt erreicht (,,Neue Linke") mente der Geschlechterdifferenzierung sind hinge­
und sind seither wieder etwas zurückgegangen, gen relativ stabil geblieben, etwa die innerfamiliale
wenn auch nicht auf ihr besonders geringes Niveau Arbeitsteilung- besonders nach der Geburt von Kin­
während der Zeit des Nachkriegsaufschwungs, die dern - oder die Geschlechtstypisierung von Berufen
auch die Zeit des ideologisch heißen Kalten Krie­ in der Ausbildung und in der Arbeitswelt (vgl. Kap.
ges war. Spezifischere Themen konnten nur punk­ ,,Soziale Disparitäten und Exklusion/Geschlechter­
tuell mobilisieren, so z.B. die Unabhängigkeit des ungleichheiten in der Schweiz"). Laut Schweizer
Kantons Jura. Oft haben diese Mobilisierungen zur Lohnstrukturerhebung 2008 (Bundesamt für Statis­
Hauptfunktion, ein Thema in die institutionellen po­ tik 2009) sind bis zu 40% der Einkommensunter­
litischen Verfahren einzuspeisen, und verschwinden schiede (Abb. 68, Tab.21) zwischen Männern und
in dem Maße wieder aus der Mobilisierungsszene, Frauen nicht durch anderweitig erklärbare Merkmale
wie sie vom politischen System aufgenommen wer­ hervorgerufen, also auf Lohndiskriminierung zurück­
den. Beispiele hierfür sind Xenophobie und Isolati­ zuführen.
onismus. Weniger wurde bisher vom Kulturwandel, der
ebenfalls stattfindet, gesprochen. Einerseits hat die
Wandel und Konstanz Schweiz den Wertewandel mitgemacht, der in den
Dieser sehr knapp und selektiv gehaltene Rundgang privilegierten Ländern der Welt seit den 1970er­
durch drei zentrale Gesellschaftsbereiche (s. o.) hat Jahren diagnostiziert wurde und weg von Präferen­
einige Beispiele folgenreicher Veränderungen zu zen des Typs „Ruhe und Ordnung" hin zu Werten wie
Tage befördert wie die strukturelle Expansion von Selbstentfaltung und Soziabilität führte, andererseits
Bildungssystem und Wirtschaft, der Wandel der haben die strukturelle Differenzierung zusammen mit
wirtschaftlichen Sektorenstruktur, die verstärkte der verschärften Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt
Einbindung in internationale Verflechtungen oder sowie die zunehmende Vorherrschaft des neolibera­
die Tendenz zur Verstärkung bestehender sozialer len Diskurses in den vergangenen 20 Jahren einen
Ungleichheiten und struktureller Differenzierung. kompetitiven Individualismus gefördert, der nur be­
Daneben gibt es auch eine Reihe dauerhafter Struk­ dingt mit den eben erwähnten „neuen" Werten ver­
turelemente, zu denen die privilegierte internatio­ träglich ist und v. a. deren Soziabilitätskomponente
nale Position der Schweiz gehört, ihre territoriale in relativ unverbindliche Zonen des Privatlebens zu
und politische Struktur sowie die bisher nicht he­ verdrängen droht.
rausgehobene Tatsache, dass mehrere gesellschaft­ Eine direkte Folge des Strukturwandels ist die Di­
liche Konfliktlinien sich Oberkreuzen (cross-cutting versifizierung der konkreten Lebenswelten (vgl. Kap.
c/eavages) (vgl. Kap. ,,Strukturwandel im ländlichen ,,Soziale Disparitäten und Exklusion/Soziale Entwick-
94

Beschäftigungsgrad Anforderungsniveau gesellschaftlichen Problemlagen und lnteressensdi­


vergenzen) und Stabilität (etwa der politischen Insti­
Vollzeit+ Teilzeit Total 1+2 3 4 tutionen und ihrer Kapazität zur Problembearbeitung)
resultieren. Es zeichnet sich eine relative Verminde­
Frauen 5040 6508 5147 4131
rung der staatlichen Steuerungskapazität ab, ange­
Männer 6248 8068 5852 4868 sichts zunehmend außerhalb nationaler Grenzen an­
Vollzeit: 90% und mehr gesiedelter Problemquellen.
Dazu gesellt sich in Ansätzen eine Deregulierung
Frauen 4990 6449 5000 4066 der individuellen Lebensläufe, deren Planbarkeit ab­
Männer 6284 8116 5863 4925 nimmt, was die Sicherheit zentraler biographischer
Teilzeit: zwischen 75% und 89% Übergänge betrifft, besonders von der Bildungs- in
die Berufsphase, und umgekehrt von jenen aus
Frauen 5499 6810 5551 4268 der Berufswelt hinaus (z.B. bei Müttern oder als
Männer 6148 7581 5893 4677 Zwangspensionierung für "Modernisierungsverlie­
Teilzeit: zwischen 50% und 74% rerlnnen"). Vor diesem Hintergrund sind auch zwei
grundlegende kulturelle Veränderungen zu sehen,
Frauen 5158 6584 5464 4244 die sich teilweise zu widersprechen scheinen. Die
Männer 5499 7215 5547 4420 Tendenz zur politischen Polarisierung mag einer­
Teilzeit: zwischen 25% und 49% seits direkt mit den praktischen Erfahrungen der
Bevölkerung in ihren vom skizzierten Strukturwandel
Frauen 4688 6095 5099 4105 geprägten divergierenden Lebenswelten zusammen­
Männer 4695 6929 5069 4057 hängen, andererseits auch mit den eben erwähnten
Teilzeit: unter 25% Tendenzen des Kulturwandels. V erschiedene der
dargestellten Veränderungen dürften eine verstärkte
Frauen 4603 6355 5043 4168 Entfremdung zwischen Machteliten und allgemeiner
Männer 4675 7465 5200 4078 Bevölkerung bewirken, aus der sich ein politisches
Spannungspotenzial mit individualistischer Aus­
1 Tab. 21 I Monatlicher Bruttolohn im privaten und richtung ergibt, das für populistische Taktiken mit
öffentlichen Sektor (Bund) 2008, nach Geschlecht.
repressiver und isolationistischer Ausrichtung ein
günstiges Terrain darstellt. Insgesamt ist für die un­
lungen in den Städten"), die ihrerseits einen starken mittelbare Zukunft zu erwarten, dass die Spannung
strukturellen Anstoß zu verstärktem Individualismus zwischen der zukunftsorientierten Verwaltung der in­
darstellt. Zu den grundlegenden, vermutlich nachhal- ternational privilegierten Situation der Schweiz und
tigen Veränderungen gehört zudem die Entstehung ihrem internen Konfliktpotenzial weiter zunimmt
von Problematiken, die aus dem teilweisen Ausein- und die politische Aufmerksamkeit weiter auf sich
anderdriften von Veränderungen (Diversifizierung der konzentrieren wird.
95

Soziale Disparitäten und Exklusion

69 I Basel - Armut
1 Abb.
Überblick mitten in der Stadt.
■ Einwanderer, die sich im laufe der Zeit gut integrierten, tragen seit langem zum wirtschaftlichen
Erfolg der Schweiz bei. Die jüngsten Migrationsströme brachten Menschen mit unterschiedlichen
Bildungsbiographien aus immer weiter entfernt gelegenen Ländern in die Schweiz.
■ Die städtische Bevölkerung in der Schweiz ist aufgrund internationaler und innerstädtiscl1er Wan­
derung relativ stabil, dennoch zeigt sich eine verstärkte soziale Segregation: Einkommensschwache
wohnen hauptsächlich in den Stadtzentren, einkommensstärkere Bevölkerungsschichten ziehen da­
gegen in die periurbanen Gemeinden.
■ Die Schweiz ist ein reiches Land. Immer weniger Personen verfügen über immer mehr privates Net­
tovermögen. Allerdings gibt es auch zahlreiche Menschen, die trotz eigener Erwerbstätigkeit kaum
in der Lage sind, ihre Existenz zu sichern.
■ Die sozialen Gegensätze zwischen den warking paar und den durch Erwerbsarbeit oder Erbschaften
reich Gewordenen stellt auch die Schweiz vor neue Herausforderungen.
■ Im Jahr 2009 erhielten 3 % der Gesamtbevölkerung Sozialhilfeunterstützung. Die leichte Zunahme
der Zahlen derer, die auf staatliche Unterstützung für ihre Existenzsicherung angewiesen sind. hielt
damit generell an.
■ Trotz umfangreicher Anstrengungen durch Institutionen des Bundes, der Kantone und Gemeinden
und vieler privatwirtschaftlicher Organisationen konnte die faktische Gleichstellung der Geschlech­
ter in der Schweiz bisher nicht vollends realisiert werden. Entsprechende statistische Indikatoren
positionieren die Schweiz im europäischen Mittelfeld.
96 jale Disparitäten und Exklusion

Migration ■ Rita Schneider-Sliwa

Migration - ein politisiertes Thema tikulturellen Welt scheint jedoch im ersten Jahrzehnt
Migration in der Schweiz- das ist v. a. ein politisches des 21.Jahrhunderts nicht nur in der Schweiz, son­
und stark politisiertes Thema. Blickt man vom Aus­ dern auch andernorts nicht länger als Ideal zu taugen:
land auf die Schweiz, so sind es v. a. die eindrück­ ,,Multikulti hat ausgedient"- war der jüngste partei­
lichen politischen Plakate und Karikaturen, die das politische Schlachtruf in Deutschland, der impliziert,
Gesamtbild von der Schweiz und ihrem Umgang mit dass Multikulturalismus grundsätzlich nicht mehr mit
Migranten prägen und trüben (Abb. 70). Wenn der­ gesellschaftlicher Integration zu vereinbaren sei.
zeit der kulturelle Hintergrund in den gesellschaft­ Generell wird in der Schweiz nicht vergessen, dass
lichen Vordergrund gerückt wird, so drückt dies eine die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung
Sorge aus. Es ist die Sorge, dass in der traditionell der Schweiz, ihr Wohlstand und die starke Position
mehrsprachigen und multikulturellen Schweiz, die wichtiger Wirtschaftszweige über Jahrhunderte in ganz
ihre Stabilität und soziale Kohäsion jeden Tag durch erheblichem Maße durch Migranten vorangetrieben
Konsensfähigkeit und Kompromissbereitschaft erar­ wurde. Waren es im 16. und 17.Jh. Hugenotten und
beitet, Parallelwelten mit Werten und Gesetzen ent­ jüdische Glaubensflüchtlinge, die die Uhrenindustrien
stehen, die mit dem Schweizer Gesellschaftssystem in Genf und im Jura begründeten und einen erhebli­
nicht im Einklang sind und das gesamte Fundament chen Einfluss auf den Aufbau der Textilindustrie hat­
des Gemeinwesens Schweiz erschüttern könnten. ten, so waren es im ausgehenden 19. Jh. und frühen
Die Politik und insbesondere die Parteienpolitik in 20.Jh. italienische und andere Einwanderer, die die
der Schweiz schürt seit Jahrzehnten v. a. in Zeiten der Tunnel, Brücken, Eisenbahntraßen und Staudämme
Konjunkturschwäche gekonnt Ängste. Überfremdungs­ bauten, welche die Lebensadern der gesamten Wirt­
diskurse beherrschten in der Schweiz die parteipoliti­ schaft wurden. Betrachtet man nicht nur ökonomische,
schen Debatten der 1960er- und 1970er-Jahre, welche sondern übergeordnete Aspekte des Wertesystems der
ihren Höhepunkt in der sog. Schwarzenbach-Initiative Schweiz und fundamentale Werte wie Fleiß, Sparsam­
vom 6./7. Juni 1970 hatten; die 1980er-Jahre des keit, Zuverlässigkeit, Leistungsorientiertheit, so wurden
Wohlstands erlaubten einen Paradigmenwandel und auch diese von Migranten wie Calvin und anderen in
die Entdeckung der „multi kulturellen Gesellschaft". der Schweiz propagiert. Als Protestantische Ethik be­
Dieses Leitbild einer friedvoll zusammenlebenden mul- kannt wurden sie zum Allgemeingut und Fundament

IAbb. 701 Politisches Pla­


kat und Karikaturen als
Ausdruck der direkten
Demokratie.

Ausschaffungs­
initiative

1
� -- - - - - - - - -
�� --- --------- '------'-- --------
_,"'
Migration 97

von Wirtschaft und Gesellschaft. Migranten und Migra-i in Tausend in %


tion gaben in der Vergangenheit der Schweiz als Staa-l
tenbund und als Bundesstaat stets wichtige Impulse,� Total 6417 100,0
die zum Wohlergehen des Gemeinwesens beitrugen. i' Bevölkerung ohne Migrationshintergrund 4362 68,0
schweizerische Staatsangehörige 4360 67, 9
Die multikulturelle Schweiz i
und die Multioptionsgesellschaft � davon Eingebürgerte 15 0,2
Die Schweiz war von jeher eine fragmentierte, mehr-! ausländische Staatsangehörige (3. Generation) 2 0,0
sprachige Gesellschaft, die sich durch eine gemein-i Bevölkerung mit Migrationshintergrund 1965 30,6
same Geschichte und Geschichtsmythen, Solidarität,� schweizerische Staatsangehörige 651 10,1
Bereitschaft zur Innovation und Bewahrung erhaltens-�
davon Eingebürgerte 583 9,1
werter Substanz ihre Identität schuf. Als kleines Land� -,;;
ohne Ressourcen war sie in l'."irtschaftllcher Hinsichtn ausländische Staatsang ehörige (1. u nd - Generation) 1315 20,5
_ _ _ �
in der Pflicht, das Beste zu leisten, Exzellenz zu erhal- �== Personen mit n1chtbest1mmbaren M1grat1onsstatus 89 1,4
ten, L�bensqualität �u bieten. Wissen zu gene�ieren, U I Tab. 221 Ständige Wohnbevölkerung ab 15 Jahren nach Migrationsstatus.
hoch innovativ den Jeweils erreicht en ökonomis chen g � Erläuterung: Migrationshintergrun d berücksichtlgl die Mlgratlonserfal1rung einer Person
_
Vorsprung zu sichern und auf dem Weltmarkt zu be-�! unabhängig von der aktueller, Staatsangehörigkeit. Konkret gehören alle Personen dazu,
stehen. In Bezug auf ihre eigene multikulturelle und ii t deren Eltern Im Ausland geboren wurden. Dieses Konzept erweitert die klassische Unter­
keit und 1st
fragmentierte Vergangenheit haben sich über Jahr-�� schei�un� zwischen Personep_ inländischer und ausländischer Staatsangehörig
sachdienlicher für lntegratlonsbemOhungen.
hunderte hinweg Städte, Untertanengebiete und zu-a �
gewandte Orte zu einem lockeren Bündnisgeflecht,
der Alten Eidgenossenschaft, zusammengeschlossen granten-Altersgruppen, die zunächst in der Schweiz als
und sich somit die Einheit durch Verhandlungen und Tabuthemen galten, dann statistisch erfasst und nach­
Kompromisse teuer erkämpft. Als Bundesstaat der gewiesen wurden, bei Versicherungen Handlungsbedarf
Schweizerischen Eidgenossenschaft ab 1848 hat sie auslösten und letztlich von öffentlicher Seite abgelehnt
demokratische Mechanismen eingesetzt, die das Volk- wurden. Natürlich sind es auch die vielen ganz alltäg­
nicht die Regierung- zum Souverän machen. Bin­ lichen Kulturunterschiede, die subtiler auffallen, wie
dungskraft in dieser vielfach fragmentierten multikul­ z.B. dass sich Ausländer aus südlichen Ländern viel
turellen Gesellschaft wurde durch direktdemokratische im öffentlichen Raum aufhalten und als Gruppen auf­
Institutionen geschaffen, in denen jeder seine Meinung treten und dadurch mehr auffallen.
zu Gehör bringen kann, wie beispielsweise durch die Parallelwelten gelten für das soziale Gefüge der
Volksabstimmung, andererseits jedoch durch demokra­ Schweiz, die Lebensqualität, den Wettbewerbsvor­
tisch breit abgestützte Konsensfindungsprozesse, in teil einer stabilen Wirtschaft als nicht förderlich. Sie
denen alle Parteien aufeinander zugehen müssen. In laufen der Schweizer Kultur entgegen, die sich über
der multikulturellen, mehrsprachigen Schweiz konnten Jahrhunderte als Confoederatio formierte, als Bundes­
so Konflikte an kulturellen und sprachlichen Grenzen staat ab 1848 zur Willensnation bekannt hat und in
wie in Belgien langfristig verhindert werden. Erarbeitet der Konsensfindung und Anpassungsfähigkeit nicht nur
wird diese Stabilität an jedem Tag und im Alltag durch kulturelle Werte sind, sondern seit je den sozialen Frie­
immer die gleichen Werte wie Anpassungsfähigkeit, den des Gemeinwesens gesichert haben. Parallelwelten
Kompromissbereitschaft, Konsensfindung, breite Ab­ werden auch als nicht kompatibel mit der modernen
stützung in der Schweiz als „Willensnation", sowohl in Multioptionsgesellschaft Schweiz erachtet, denn eine
der Bevölkerung als auch auf allen politischen Ebenen. solche Gesellschaft beruht auf eigenbestimmten Optio­
Es sind nicht die kulturkompatiblen Lebensformen nen für alle. Diese werden jedoch in einem bestimmten
der Mehrheit der Migranten, welche in der Schweiz oft Teil der Parallelgesellschaften nicht gesehen, in denen
auf Ablehnung stoßen, sondern gewisse Praktiken in Mädchen und Frauen fremdbestimmt agieren müssen
den Parallelwelten weniger Migranten-communities, oder in denen Stammestraditionen über gesellschaft­
die als nicht konform mit der Schweizer Kultur- und liche und Rechtsnormen gestellt werden und das Le­
Rechtsnorm erachtet werden. Ein extremes Beispiel ben und Verhalten von Menschen beherrschen. Wie
dafür ist die in einigen Migranten-communities in der die Berner Politikwissenschaftlerin Regula Stämpfli
Schweiz heimlich praktizierte Mädchenbeschneidung, am 28. November 2010 in der ZDF-Sendung heute.
mit der in der Schweiz jeder fünfte Gynäkologe konfron­ de Politik ausführte: ,,Während in Deutschland und
tiert ist (Jäger et al. 2002, Trechsel &Schlauri 2005, Frankreich [ ...] politische Diskussionen mit Demons­
Nyfeler&Beguin 1994, Schweizerisches Komitee für trationen auf der Straße ausgetragen werden, können
UNICEF 2005). Auch Zwangsverheiratung und Tötun­ die Schweizer halt ein Volksbegehren lancieren."
gen von Frauen um der Familienehre willen zählen zu
jenen Praktiken in fremdkulturellen communities, die Die ausländische Bevölkerung in der Schweiz
mit Schweizerischen Kultur- und Rechtsnormen nicht Im Jahr 2008 registrierte die Schweizerische Arbeits­
im Einklang stehen. Ebenso das als „Balkan-Raser" kräfteerhebung SAKE 20,5% der ständigen Wohnbe­
(Mäder 2008) bekannte Phänomen, bei dem überwie­ völkerung als ausländische Staatsangehörige in der
gend junge Männer aus Ländern des Balkan sich auf ersten und zweiten Generation und 30,6 % als Be­
den Straßen Autorennen oft mit tödlichem Ausgang völkerung mit Migrationshintergrund (Tab. 22). Dazu
liefern, gehört zu den Problemen von ausgewählten Mi- gehören alle Personen unabhängig von ihrer Staats-
98

1Abb.711 Bevölkerung Nord- und Westeuropäer als Führungskräfte oder in


nach Migrationsstatus Ständige Wohnbevölkerung , akademischen Berufen tätig, bei den Schweizer E r ­
2008. ab einem Alter von 15 Jahren gebürtige ; werbstätigen waren es hingegen nur 26 % . Arbeits­
Schweizer ! kräfte aus dem Westbalkan und der Türkei (27 %)
einge­ !-. sowie aus Südeuropa (23 %) sind zu einem erhebli­
68,0o/o
bürgerte
Schweizer
f� chen Maß in handwerklichen Berufen tätig, während
�cl' der Prozentsatz bei Nord- und Westeuropäern (8,0 %)
B8VOlkerung
ohne �!sowie bei den Schweizer Erwerbstätigen (13 %) deut­
Mfgt,lliom.­ U lieh niedriger ist. Staatsangehörige nord- und west­
66,9% Ausländer
hlnlergtund �!europaischer Staaten sind auch überdurchschnittlich
Uoft in Kaderpositionen vertreten. Bei ihnen betrug der
h Anteil der Arbeitnehmenden mit Vorgesetztenfunkti­
�f on oder in der Unternehmensleitung 41 % gegenüber
§� 30 % bei den schweizerischen Erwerbstätigen (Aus­
1,4%1 Personen mit nicht �� länder total: 32 %) (Bundesamt für Statistik 2010.
bestimmbarem 2jMigration und Integration - Analysen. Die auslän-
Migrationsstatus
81'dische Bevölkerung in der Schweiz. Lohn- und Po-
sitionsunterschiede auch zwischen Ausländern und
angehörigkeit, deren Eltern im Ausland geboren Anteil der Angestellten mit Führungsfunktion).
wurden, also die in die Schweiz Eingewanderten wie Das Lohnniveau der ausländischen Arbeitskräfte
auch deren in der Schweiz geborene direkte Nach­ variiert je nach Aufenthaltskategorie bei den in der
kommen. Ein Drittel der Personen mit Migrationshin­ Statistik sogenannten Kurzaufenthaltern, Aufent­
tergrund besitzt die schweizerische Staatsangehörig­ haltern, Niedergelassenen, Grenzgängern erheblich
keit (Abb. 71) (Bundesamt für Statistik 2010 Mig­ und liegt im Durchschnitt zumeist unter dem Durch­
ration und Integration - Analysen. Die ausländische schnittslohn der schweizerischen Arbeitnehmer. Die
Bevölkerung in der Schweiz 2009). Auswirkungen wirtschaftlich schwieriger Zeiten zei­
Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern hat gen sich deutlicher bei ausländischen als bei ein­
die Schweiz einen der höchsten Ausländeranteile. heimischen Arbeitskräften. Als Zielbevölkerung der
Dies ergibt sich aus den großen Einwanderungswellen Integration ist sie stärker von anhaltender Arbeits­
und ferner der restriktiven Einbürgerungspolitik: Ein losigkeit betroffen (Bundesamt für Statistik 2010.
Fünftel aller Ausländer (20,7 %) ist in der Schweiz Migration und Integration - Analyse: 1 ntegration.
geboren und gehört somit zur zweiten oder sogar Anteil der Langzeitarbeitslosen). Bezüglich prekärer
dritten Ausländergeneration und ist dennoch nicht Beschäftigungsverhältnisse, die mit dem Indikator
eingebürgert. Ferner steht der hohe Ausländerantei 1 „Antei I der befristeten Arbeitsverträge von weniger
mit der demographischen Dynamik der ausländischen als 6 Monaten" gemessen wird, sind schweizerische
Bevölkerung in Zusammenhang (Bundesamt für Sta­ und Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit Mig­
tistik 2010. Migration und Integration - Indikatoren rationshintergrund ähnlich vertreten (Bundesamt für
Ausländische Bevölkerung: Staatsangehörigkeit, Stän­ Statistik 2010. Migration und Integration - Analyse:
dige ausländische Wohnbevölkerung nach Staatsan­ 1 ntegration Antei I der befristeten Arbeitsverträge).
gehörigkeit). Statistisch sind sie als warking paar einzustufen, d. h.
ihr Gesamteinkommen aus einer oder mehreren Ar­
Integration über den Arbeits­ beitsstellen liegt unter dem Armutsniveau. Dies hängt
markt und seine Teilmärkte damit zusammen, dass einige Herkunftsgruppen
Der Arbeitsmarkt ist für die Integration von entschei­ einen überproportionalen Anteil an Personen ohne
dender Bedeutung, sind doch 27, 7 % der Erwerbsbe­ nachobligatorische Ausbildung aufweisen, ferner, weil
völkerung ausländische Arbeitskräfte und ist selbst­ diese häufiger in Branchen mit allgemein niedrigem
ständiger Erwerb des Lebensunterhalts und die damit Lohnniveau tätig sind. Im Bereich der weniger gut ge­
verbundene Teilhabe an anderen Bereichen des ge­ bildeten Ausländer, die zudem auch kulturell bedingt
sellschaftlichen Lebens nur durch den Arbeitsmarkt vergleichbar große kulturelle Unterschiede aufweisen,
möglich (Bundesamt für Statistik 2010. Migration wird Integration somit noch zusätzlich erschwert.
und Integration - Analyse: Integration, Arbeitsmarkt). Weiterhin erschwerend kommt hinzu, dass es gerade
Die Struktur der ausländischen und einheimischen diejenigen sind, die durch ihre Arbeit (Niedriglohnar­
Erwerbstätigen unterscheidet sich in mehrfacher Hin­ beit, Schicht, warking paar, usw.) wiederum vermehrt
sicht: So sind ausländische Erwerbstätige jünger und in Berufen arbeitstätig sein werden, welche von ei­
seltener teilzeitarbeitend. Letzteres bedeutet, dass nem minimalen Anteil an Schweizern ausgeübt wer­
sie in einem wichtigen Maß zum Gesamtarbeitsvo­ den. Hierbei ist die Integration über den Arbeitsmarkt
lumen in der Volkswirtschaft beitragen. Im Arbeits­ somit doppelt erschwert. Das Modell der Integration
markt sind zwischen Schweizern und Ausländern im über den Arbeitsmarkt funktioniert also besser, wenn
Allgemeinen, aber auch nach Staatsangehörigkeit man qualifiziert, in wirtschaftlich guter Umgebung
und selbst unter den Ausländern deutliche Unter­ arbeitet und zu den kulturell nicht sehr fern stehen­
schiede festzustellen. Gemäß BFS (Bundesamt für den Migrantengruppen gehört. Es funktioniert deut­
Statisktik) waren im zweiten Quartal 2009 48 % der lich schlechter oder gar nicht bei Migrantengruppen,
Migration 99

welche aufgrund von Bildungsdefiziten und großer


kultureller Distanz ohnehin Mühe haben, sich in die Verordnung über die Integration von Ausländerinnen
Gesellschaft und Kultur zu integrieren.
und Ausländern (VlntA}
Integration nach dem Der Schweizerische Bundesrat, gestützt auf Artikel 55 Absatz 3, 58 Absatz
Modell „Fördern und Fordern" 5 und 87 Absatz 1 Buchstabe a des Bundesgesetzes vom 16. Dezember
In der multikulturellen Schweiz gehört die gute Tra­ 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG) sowie auf Artikel 119
dition von Konsensfähigkeit, Kompromissbereitschaft des Asylgesetzes vom 26. Juni 1982 (AsylG), verordnet (vom 24. Oktober
und gelebter Integrationsbereitschaft zum „alten Ka­ 2007):
pital", das gleichermaßen das Zukunftskapital dar­
stellt. Identitätsstiftende Mechanismen zu stützen Art. 2 Grundsätze und Ziele (Art. 4 und 53 AuG)
und verbindliche eigenverantwortliche Verpflichtun­ 1 Ziel der Integration ist die chancengleiche Teilhabe der Ausländerinnen
gen zur Integration in der Gesellschaft sind daher das und Ausländer an der schweizerischen Gesellschaft.
Postulat der Gesellschaft an die Migranten. Geleistet 2 Die Integration ist eine Querschnittaufgabe, welche die eidgenössischen,
werden muss dies laut gängiger Migrationspolitik von kantonalen und kommunalen Behörden zusammen mit den nichtstaat­
den Migranten über die Verpflichtung zum Spracher­ lichen Organisationen, einschließlich der Sozialpartner und der Auslän­
werb, zu Bildung und zur unbedingten Einhaltung derorganisationen, wahrzunehmen haben. Sie hat in erster Linie über
� die Regelstrukturen zu erfolgen, namentlich über die Schule, die Berufs­
der Rechtsnormen. Integration für das Leben in der .�
Wissensgesellschaft Schweiz gilt als lebenslange Ver- bildung, die Arbeitswelt sowie die Institutionen der sozialen Sicherheit
pflichtung. Parallelwelten mit mangelnder Sprach- j und des Gesundheitswesens. Den besonderen Anliegen von Frauen, Kin­
kenntnis, Ausleben fremdkultureller Traditionen und G
dern und Jugendlichen ist Rechnung zu tragen. Spezifische Maßnahmen
Normen ohne Rechtsgrundlage in der Schweiz gelten :g für Ausländerinnen und Ausländer sind nur im Sinne einer er-gänzenden
als Sprengkraft der sozialen Kohäsion, die jedoch das " Unterstützung anzubieten.
Fundament der guten Lebenschancen und des Wohl- "' 2. Kapitel: Beitrag und Pflichten der Ausländerinnen und Ausländer:
standes für alle ist. Wenn in den nächsten Jahren i
laut Credit Suisse (zit. in Berner Zeitung 13.9.2010 � Art. 4 Beitrag der Ausländerinnen und Ausländer zur Integration
.,Struktur der Schweizer Wirtschaft 1998-2020" � (Art.4 AuG)
Martin Neff, Chefökonom der Credit Suisse Schweiz) ( Der Beitrag der Ausländerinnen und Ausländer zu ihrer Integration zeigt
eine Million zusätzliche Zuwanderer zu erwarten % sich namentlich:
sind, wird das Prinzip der auch von Migranten anzu- ;,: a. in der Respektierung der rechtsstaatlichen Ordnung und der Werte der
strebenden und eingeforderten Integration im gesell- D Bundesverfassung;
schaftlichen Kontext der Schweiz einmal mehr von ] b. im Erlernen der am Wohnort gesprochenen Landessprache;
Bedeutung sein. " c. in der Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen in der Schweiz;
Da die Integration über den Arbeitsmarkt wiederum d. im Willen zur Teilnahme am Wirtschaftsleben und zum Erwerb von
erfolgreiche Bildungsbiographien voraussetzt, sind D
Bildung.
aktuell vielfältige Schulreformen im Gang. Dazu zählt ] Art. 5 Integrationsvereinbarung (Art. 32 Abs. 2, 33 Abs. 2, 54 Abs. 1 AuG)
beispielsweise die „Interkantonale Vereinbarung über � 1 Bei der Erteilung oder Verlängerung der Aufenthalts- oder Kurzaufent­
die Harmonisierung der obligatorischen Schule" 2 haltsbewilligung können die zuständigen Behörden mit Ausländerinnen
(HarmoS-Konkordat), die von der Schweizerischen i und Ausländern Integrationsvereinbarungen abschließen.
Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren ü 2 Die Integrationsvereinbarung hält nach Prüfung des Einzelfalles die Zie­
(EDK), also den 26 kantonalen „Bildungsministern", : le, die vereinbarten Maßnahmen sowie die möglichen Folgen im Falle
erarbeitet wird. Diese soll die obligatorische Schule � einer Nichterfüllung fest.
. E
1n der Schweiz weiter harmonisieren, zur Qualitäts- 62 3 Ziel der Integrationsvereinbarung ist insbesondere die Förderung des Er­
sicherung beitragen und v. a. Durchlässigkeit im Bil- "' werbs der am Wohnort gesprochenen Landessprache sowie von Kennt­
dungssystem zwischen Kantonen und Schulzweigen � nissen über:
gewährleisten und Mobilitätshindernisse abbauen. a. die gesellschaftlichen Verhältnisse und Lebensbedingungen in der
c;J

Vielfältige andere Maßnahmen wurden ausgebaut �


5 Schweiz;
(s. Exkurs „Verordnung über die Integration von Aus- b. das schweizerische Rechtssystem;
ländern"). Demnach ergibt sich, dass überall dort, wo j c. die grundlegenden Normen und Regeln, deren Befolgung eine uner­
sich bei den Einwanderern Defizite ergeben, diese "' lässliche Voraussetzung für ein geordnetes Zusammenleben ist.
sofort kompensiert werden müssen, sei es durch Bil­
dung in sprachlicher wie beruflicher Hinsicht, soziale ! Art. 6 Verpflichtung zur Teilnahme an Integrationsmaßnahmen
Vernetzung oder gezielte Beratung, denn die Schweiz ! 1 Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Personen, die Sozialhilfe be­
ziehen, können zur Teilnahme an Integrationsmaßnahmen wie Aus­
kann nur durch Wissen, Forschung und Know-how fl
existieren und muss dafür eine möglichst breite Basis bildungs- oder Beschäftigungsprogrammen verpflichtet werden.
f
in der Bevölkerung mit und ohne Migrationshinter- ._� 2 Kommen sie dieser Verpflichtung ohne entschuldbaren Grund nicht
nach, können die Sozialhilfeleistungen nach kantonalem Recht oder
grund schaffen. Dies bedeutet ferner, dass Leistungen DI_
auch eingefordert werden müssen. Derzeit sind rund "' nach Artikel 83 Absatz 1 Buchstabe d AsylG gekürzt werden.
30 % der Gesamtbevölkerung Immigranten oder ha- 3 Die erfolgreiche Teilnahme an einem Ausbildungs- oder Beschäftigungs­
ben einen Migrationshintergrund. In Basel beispiels- ! programm wird bei der Prüfung eines Gesuchs um Erteilung einer Auf­
enthaltsbewi 11 igung nach Artikel 84 Absatz 5 AuG mitberücksichtigt.
weise liegt der Anteil der Kinder aus immigrierten
oder internationalen Familien bei 40-50%.
100

Integration ist nicht einseitig - liehen Ebene die Zahlen, so zeigt sich, dass Migration
das Basler Integrationsmodell in der Vergangenheit und Gegenwart zum wirtschaftli­
In der Schweiz sieht man die Verpflichtung zur Integra­ chen Wohlergehen des Landes beigetragen hat und in
tion nicht einseitig als gesellschaftliche Aufgabe, son­ der Gegenwart und Zukunft einen wichtigen Beitrag
dern beidseitig, also auch bei den Migranten (Caritas zum demographischen Ausgleich und Erhalt wichti­
Schweiz 2008 „Integration als gesellschaftliche Auf­ ger infrastruktureller und wirtschaftlicher Funktionen
gabe". Themenheft Integration, S.2). In den 1980er­ leistet. Gemäß Thomas Kessler, dem langjährigen
und frühen 1990er-Jahren gab es noch kaum systema­ (vormaligen) Migrationsbeauftragten des Kantons
tische Integration und so konnten sich Integrationsde­ Basel-Stadt, wird in der Logik eines vorausschau­
fizite von Mutter oder Vater auf die Kinder vererben. enden und proaktiven Staates Integrationspolitik als
Das für die Schweiz führende „Basler Integrations­ Innovationsfaktor zur Modernisierung des Staates
modell" setzt, wie es das Integrationsleitbild des Kan­ gesehen, die sich vom Defizit- zum Potenzialansatz,
tons Basel-Stadt auf Integration als „tatsächliche Her­ vom aufwendigen Therapie- und Strafstaat zum dyna­
stellung der Chancengleichheit mit Zugang zu allen mischen und präventiven Förder- und Forderansatz,
Statuspositionen" definiert, auf einen gegenseitigen vom verwaltenden zum gestaltend unternehmeri­
Prozess des Gebens und Nehmens bzw. des Förderns schen Staat hin entwickelt. Zum Förderansatz gehört
und Forderns. Diese Politik ist auf den Erfolg des das Verständnis, dass nicht alle Integrationsprobleme
einzelnen Individuums ausgerichtet und ausdrück­ als Probleme der Migranten anzusehen sind, sondern
lich nicht kulturalistisch; die Menschen werden also dass auch eine adäquate Förderstruktur geboten wer­
nicht nach Nation, Religion, Sprache oder anderen den muss, die Arbeit, schulische und berufliche Bil­
Merkmalen pauschalisiert und in gutgemeinten, aber dung bei Migranten, darunter auch intensive Frühför­
undifferenzierten Projekten pseudointegriert. Defizite, derung unterstützt. Zum Forderansatz gehören Maß­
welche die Chancengleichheit beeinträchtigen, wie nahmen, die das Engagement der Migranten sich zu
fehlende Sprachkenntnisse, nicht anerkannte Diplo­ integrieren einfordern (z.B. Sprachkenntnisse) und
me, ungenügende Informationen über die Angebote, die scharfe Sanktionen gegen lntegrationsunwillige
fehlende soziale Kontakte usw., werden in Basel-Stadt verhängen. Dazu zählen beispielsweise Integrations­
durch Information, Motivation und ausreichende Kurs­ vereinbarungen, die zwischen dem Migrationsamt
' Treffpunkt- und Beratungsangebote ab der ersten und Migranten aus Drittstaaten geschlossen werden
Stunde der Anmeldung angegangen (Kessler 2008). können. Darin können Migranten mit Sprachdefiziten,
Für Eltern, die schulpflichtige Kinder haben, wird sozialer Isolation (besonders Frauen aus bestimmten
beispielsweise der Kurs „Ich lerne Deutsch fürs Herkunftsgebieten) oder Problemen der Einhaltung
Kind" angeboten. Dieser Kurs ist obligatorisch, wenn von Gesetzen und Rechtsordnungen, Langzeitsozi ­
die Behörden feststellen, dass die Sprachkenntnisse alhilfebezug oder der Nichtwahrnehmung von Erzie­
nicht ausreichen, um die Kinder schulisch zu unter­ hungspflichten zum Besuch von Sprach-, Integra­
stützen und mit den Lehrern ohne Dolmetscher zu tions- oder Staatskundekursen verpflichtet werden.
kommunizieren. Jugendliche Migranten ohne aus­ AktuelI wird die Basler Integrationspolitik in der
reichende Deutschkenntnisse werden in Empfangs­ ganzen Schweiz übernommen und weiterentwickelt.
und Übergangsklassen unterrichtet. Ein langjähriges Danach wird das Potenzial der Migranten erfasst, ge­
Projekt, bei dem Mütter, die nicht in Kurse kommen fördert, eingefordert und genutzt. Dazu gehören Wel­
können, unterrichtet werden, ist das „Lernen im come-Massnahmen, Information, Service, Beratung,
Park", bei dem Kursleiter dorthin gehen, wo die aus­ Bildungsangebote, Motivation zu Engagement, das
ländischen Mütter sich mit ihren Kindern aufhalten, Einbinden in die aktive Gesellschaft und das Zahlen
die dann vor Ort unterrichtet werden. von Steuern. Das Bildungssystem spielt hierbei eine
besondere Rolle, denn ein höheres Bildungsniveau in
Fazit den Schulklassen bedeutet weniger Symptomkosten
Löst man sich von der parteipolitischen Debatte zur für Erziehungs- und Integrationsdefizite und bessere
Migration in der Schweiz und betrachtet auf der sach- Zukunftschancen in der Wissensökonomie der Schweiz.

Soziale Entwicklungen in den Städten ■ Laurent Matthey, Antonio Da Cunha, Christophe Mager

Die Zeiten ändern sich ... langsam Raums im Sinne einer Segmentierung führt: Der
Die Sozialgeographie sucht nach Strukturen und suburbane Ring absorbiert die nicht qualifizierten
definiert Indikatoren für mögliche Bruchlinien. Seit Haushalte, Arbeiter und Angestellten; die einkom­
ungefähr zwei Jahrzehnten dehnen sich die Schwei­ mensschwachen Haushalte müssen mit den Zent­
zer Städte aus und bilden Metropolregionen (Walter ren vorlieb nehmen, welche sich „dualisieren" statt
1995). Diese Metropolisierung der Schweiz ist mehr ,,gentrifizieren" (Abb. 72).
als das Resultat eines Wachstums großer Zentren In der folgenden Analyse werden diese Prozesse
(Cunha & Both 2004: 7). Es handelt sich um eine in der Schweiz anhand von drei Thesen beschrieben.
neue Form und eine andere Größenordnung urba­ Die erste Hypothese behauptet, dass die Ausdehnung
ner Räume, die zugleich zur sozialen Spaltung des der Stadt eine deutliche soziale Trennung des Raums
Soziale Entwicklungen in den Städten 101

!Abb. 721 Die Cite du Lig­


non im Westen von Genf.

mit sich bringt. Die zweite Hypothese vertieft diesen Bevölkerung aus (Tab. 23) und konzentrieren sich
Ansatz, indem sie den Zusammenhang zwischen Ver­ v.a. auf die periurbanen Zonen. Gleiches gilt für die
städterung und Diversifizierung der Wohn- und Le­ „akademischen Berufe und oberes Kader" und die
bensstile untersucht, wodurch soziale Ungleichheiten .,Selbstständigen" (Cunha & Both 2004) . .,Arbeiter"
verstärkt werden. Die dritte Hypothese legt die sozi­ und „nicht qualifizierte Berufe" sind dagegen am
alen Veränderungen in den Schweizer Stadtzentren stärksten in den Zentrumsgemeinden und suburba­

•111■■
nicht als Gentrifikation, sondern als Dualisierung nen Zonen vertreten (Cunha & Both 2004).
aus - die Ausprägung von gleichzeitiger Elitebildung Festzuhalten ist, dass die obersten und untersten
und Verarmung. Kategorien der Hierarchie des soziokulturellen Status
Daran anschließend werden stadtpolitische Ansät­
ze behandelt, die als Antwort auf die beschriebenen
Tendenzen konzipiert wurden. Es sind Bedingungen, Sozioprofessionelle
welche die wichtigsten Faktoren der sozialen Verän­
derungen in den Schweizer Städten kennzeichnen.
Kategorie
. . '.. ( t' ,. ,.
oberstes 0,94 1,21
Eine soziale Aufteilung des Raums 3,4 0,92 0,99
Management
Verstädterung und Metropolisierung unserer Lebens­ freie Berufe 2,1 1,21 0,68 0,69 1,37
räume scheinen zu einer diffusen Vereinheitlichung
der Lebensbedingungen zu führen. Es zeigt sich jedoch übrige Selbständige 10,2 0,87 0,92 1,01 1,30
auch, dass Verstädterung und Metropolisierung eine akademische Berufe 0,80
14,5 1,20 0,79 1,13
klare Ausdifferenzierung des Raums, eine Neuauftei­ und oberes Kader
lung und Neuordnung bewirken (Cunha & Both 2004). intermediäre Berufe 22,2 0,98 0,99 1,02 1,03
Die Verstädterung hat die Tendenz zur Raumaneig­ qualifizierte nicht-
nung von wohlhabenden Bevölkerungsschichten und manuelle Berufe: 26,3 0,96 1,06 1,07 0,91
die räumliche Segregation verstärkt (Cunha 2007). Angestellte
Die sozioprofessionel len Kategorien „oberstes qualifizierte manu-
Management" und „freie Berufe" machen laut der 7,4 0,82 1,15 1,16 0,94
eile Berufe: Arbeiter
letzten Volkszählung (2000), die als Vollerhebung nichtqual ifizierte
durchgeführt wurde und 2010 durch ein völlig neues 13,9 1,08 1,14 1,01 0,69
Berufe
Erfassungssystem ersetzt wurde, in den fünf großen
Agglomerationen der Schweiz (Zürich, Basel, Bern, ITab.231 Erwerbstätige Bevölkerung in den Großagglomerationen, nach soziokultu-
reller Kategorie und Zentralitätsstufe (Lokalisationsindex), 2000.
Lausanne, Genf) nur 3,4 bzw. 2, 1 % der aktiven
102

Gemeindetypen (9)
--- Zentren

suburbane Gemeinden
einkommensstarke Gemeinden -- periurbane Gemeinden

touristische Gemeinden
industrielle und tertiäre Gemeinden
--- ländliche Pendlergemeinden
agrar-gemischte Gemeinden

agrarische Gemeinden

IAbb. 731 Gemeindetypen und des Ausbildungsniveaus nicht die gleichen pe­ Abschottung ist zweitrangig. Der Spruch „Gleich und
der Schweiz nach dem ripheren Stadtzonen bevorzugen. Die wohlhabenden gleich gesellt sich gern" trifft hier zwar zu, aber es
Zentren-Peripherie-Model/ Haushalte, die sich ein Einfamilienhaus leisten und/ muss anerkannt werden, dass diese Segregation auf
von 2000.
oder die Nachteile der Siedlungsdichte vermeiden Wohnwünsche zurückgeht, die sich gleichzeitig auf
können, ziehen in die periurbanen Räume, Familien­ ein Lebensmodell - ein biographisches Projekt- be­
haushalte mit beschränkten finanziellen Mitteln und/ rufen.
oder mit Vorlieben für Genossenschaftswohnungen Wohnvorlieben sind Lebensmodelle, die sich im
ziehen eher in die suburbanen Gemeinden (Bochet Raum festschreiben (Kaufmann et al.2009). Die­
et al. 2007). Auf der Ebene der fünf großen Schwei­ se Lebensmodelle werden durch drei Dimensionen
zer Agglomerationen beobachtet man daher eine Ten­ definiert: gesellschaftliche Aspekte, Zugang zu
denz zur sozialen Polarisierung des Raums, wie sie Infrastruktur und Möglichkeiten des städtischen
bereits Huissoud et al. ( 1999) beschrieben haben. Wohnens. Die Kombination dieser Dimensionen be­
Diese Polarisierung ist u. a. auf die Struktur des Im­ schreibt stark unterschiedliche Lebensqualitäten,
mobilienmarktes, die Verfügbarkeit von Wohnraum, je nachdem ob im Stadtzentrum, im suburbanen
Wohnpräferenzen und die finanziellen Möglichkeiten oder periurbanen Raum gewohnt wird (Abb. 73).
der Haushalte zurückzuführen. Ob der eine oder der andere Raum gewählt wird,
entscheidet über den Umgang mit Mitmenschen,
Räumliche Verteilung von über den Zugang zu Infrastruktur und über einen
Lebensentwürfen und Wohngewohnheiten bestimmten Typ städtischer Lebensart (Kaufmann
Zusammen mit einer funktionalen Homogenisierung et al. 2009).
spiegelt diese Polarisierung eine klare räumliche
Verteilung von Lebensentwürfen und Wohngewohn­ Inflationäre Wohnformen
heiten wider. Periurbanes Wohnen ist hauptsächlich Die Ausbreitung der Stadt und die Periurbanisie­
eine Entscheidung für ein bestimmtes Lebensmodell; rung bringen, wie gezeigt, eine Diversifizierung von
die von bestimmten sozialen Schichten gewünschte Wohnformen mit sich. Kaufmann et al. (2009) haben
für die Schweiz sieben Wohnformen definiert, die
sie mit spezifischen Raumtypen ergänzen. .,Beken­
nende Städter" fühlen sich vom städtischen Um­
feld angesprochen, .,Gemeinschafter" werten den
nachbarlichen Gemeinschaftssinn stärker als indi­
viduelle Wohnansprüche. .,Bürgerliche" legen Wert
auf eine hohe Wohnqualität, Sicherheit und einen
guten Ruf des Quartiers. .,Unzufriedene Gleichgülti­
ge" sind eher passiv in der Suche nach einer pas­
senden Wohnform und sind chronisch unzufrieden.
Die „flexiblen Individualisten" bewerten Kriterien der
Verkehrserschließung, die „Landnostalgiker" vermei­
den Städte nach Möglichkeit und die „Friedfertigen"
mit einem erweiterten sozialen Netz bevorzugen das
Einzelheim und investieren wenig Energie in die Ge­
staltung ihres Lebensumfelds.
Interessanterweise schafft die Periurbanisierung
wachsende Möglichkeiten des „städtischen Woh­
nens" (Matthey 2008; Abb.74). Die Frage bleibt
jedoch offen, ob diese Wohnformen mit sozialen Ka­
tegorien korrelieren und ob sie somit einen „Habitus"
nach Pierre Bourdieu (1982) definieren.
2000 weisen für die fünf Großagglomerationen des IAbb. 741Innerstädtisches
Lebensstile und -veränderungen Landes auf eine vorsichtige Anwendung des Begriffs Wohnen in Zürich.
Entspricht das periurbane Wohnen der Wahl eines hin.
Lebensstils, so bedeutet es auch eine Lebensver­
änderung mit bestimmten sozialen Konsequenzen. Eine zögerliche „Rückkehr in die Stadt"
Einerseits verfügt die Mehrheit der bewusst im pe­ Das Bevölkerungswachstum der Stadtzentren (Tab. 24)
riurbanen Raum Wohnenden über die nötigen finan­ ist weniger das Resultat einer Rückwanderung der
ziellen Mittel, um dort auf einer anderen Ebene zu Vorstadt-Exilierten als das der Wanderungsbewegun­
leben, womit sie sich mehr Möglichkeiten und ein ur­ gen zwischen den Städten, familiärer Zusammenfüh­
banes Lebensgefühl erwerben- andererseits bedingt rungen und der neuen internationalen Zuwanderung.
der Umzug in die Peripherie eine Veränderung des Der Anteil der Stadtrückkehrer am Bevölkerungs­
Zeitbudgets (z.B. Verlängerung der Transportwege, wachstum beträgt höchstens 8 %. 1 n den Zentren
familiäre Arbeitsaufteilung), was familiäre, soziale konzentrieren sich Einzelhaushalte, Ausländer und
und wirtschaftliche Spannungen erzeugen kann so­ Betagte. Statt einer Gentrifikation beobachtet man in
wie Auswirkungen auf die Umwelt hat (Rerat et al. den Stadtzentren eine „Zerbröckelung des sozialen
2008). Netzwerks" (Cunha & Both 2004). Sie ist von einer
zunehmenden Zahl von Einzelhaushalten und einer
Zweiteilung der Zentren Überalterung der Bevölkerung gekennzeichnet, ver­
Oftmals werden Lebensstile ohne klare Vorstellungen stärkt durch die Rückkehr einiger Senioren, die als
gelebt, und einige Menschen bleiben, trotz fester Ab­ Pioniere in die Vorstädte gezogen waren (Rerat et al.
sicht zum Wegzug, in den Stadtzentren blockiert, so 2008), aber abgeschwächt durch den Zuzug junger
z.B. die zahlreichen Haushalte, die im suburbanen Erwachsener in Ausbildung.
Stadtring hängen bleiben. Es zeigt sich jedoch, dass
das periurbane Ideal mit den Vorteilen, die damit Zuzügler Wegzügler
assoziiert werden (Wohnen im Grünen, preiswerterer
Wohnraum, erschwingliche Einfamilienhäuser und Zonenart absolut in% in% der absolut in% der
Grundstücke), in der Bevölkerung stark verankert ist. Herkunftsort Binnen- Binnen­
Diese Tatsache führt zu zwei Folgerungen: Einerseits wanderung wanderung
ist es sehr wahrscheinlich, dass die „unzufriedenen innerhalb der
Gleichgültigen" in der Typologie von Kaufmann, Pat­ 57292 29,4 46,0 84 944 64,4
Agglomeration
taroni und Thomas in den Stadtzentren stark ver­ andere urbane Zone 46692 24,0 37,5 31 650 24,0
treten sind. Andererseits muss trotz Bevölkerungs­
wachstums in den Stadtzentren die These der Gen­ ländliche Gemeinde 20656 10,6 16,6 15 383 11,7
trifikation der Schweizer Städte eingehend geprüft Ausland 124640 64,0 100 131 977 100
werden. Total Wanderung 70046 36,0 N.D.*
Die Gentrifikation - also die Rückkehr von wirt­ Zonenart Herkunftsort 194 686 100 131977
schaftlich, kulturell und sozial gut situierten Bewoh­
* Daten nicht verfügbar: Im Ausland wohnhafte Personen wurden nicht erhoben.
nern, die die Stadt in einer bestimmten Lebensphase
verlassen hatten, in die Stadt- soll im Folgenden ge­ ITab. 241Wanderungsbewegungen in den Stadtzentren der Großagglomerationen,
nauer betrachtet werden. Die Daten der Volkszählung nach Zonenart der Herkunftsgemeinde, 1995/2000.
104

Einfluss internationaler Migration suchen Schweizer Gemeinden nun nach Maßnahmen,


Die internationale Zuwanderung trägt bedeutend die einerseits steuerkräftige Haushalte in die Stadt
zum Bevölkerungswachstum der Städte bei. Die fünf zurückholen, andererseits einkommensstarke Haus­
Schweizer Großstädte absorbieren etwa 25 % die­ halte in den Städten zurückhalten. Zusätzlich werden
ser Zuzüge. Die Daten der letzten Volkszählung von Integrationsmaßnahmen konzipiert, die sich bis auf
2000 zeigen, dass 36 % der 194 686 in der inter­ die Ebene des Wohnblocks auswirken (Arend 2004).
zensalen Periode in die Zentrumsgemeinden zugezo­ Einige Gemeinden reduzieren bei im Baurecht
genen Personen aus dem Ausland stammen. vergebenen Bauprojekten den Anteil subventionier­
Die Gründe für den Zuzug sind Arbeitsplätze, ter Wohnungen und versuchen so, Ghettoisierungs­
Wohngelegenheiten oder Bekannte. Die Zentrumsge­ tendenzen zu vermeiden. Zusätzlich entwickeln sie
meinden bieten in dieser Hinsicht am meisten un­ Wohnbauprojekte, die den gehobenen Erwartungen
qualifizierte Arbeitsplätze, hauptsächlich im Dienst­ der Vorstadtbewohner entsprechen und diese Schich­
leistungssektor. Zudem offeriert der Wohnungsmarkt ten zurückbringen könnten. Mit so kombinierten Maß­
„faktische Sozialwohnungen", wie es A. Da Cunha nahmen wird die soziale Durchmischung zu einem
und J.-F. Both nennen; gemeint sind kostengünsti­ Instrument der sozialen Optimierung des Raums (Bo­
ge Wohnungen, ,,manchmal alt und ohne Komfort", nard&Matthey 2010): Sie vermindert Ungleichheiten,
wenn nicht gar heruntergekommen. Zudem führt eine Probleme wie Schulschwierigkeiten, Arbeitslosigkeit,
bereits vorhandene Konzentration von Migranten in schwache Einkommen, aber auch Privilegien wie
den Stadtzentren (Cunha et al. 2003) zu einer Bün­ schulischen Erfolg oder ein hohes Einkommensni­
delung der Migrationsströme. veau. So soll die soziale Optimierung des Raums das
Mit dem Beitritt der Schweiz zum Sehengen-Raum kollektive Wohlergehen fördern und einen Ausgleich
hat sich dieses Muster verändert, indem höher quali­ im Hinblick auf das Lebensumfeld und Steuerauf­
fizierte Arbeitskräfte zum Bevölkerungswachstum der kommen der unterschiedlichen Räume schaffen.
Städte und auf ihre Weise zu deren Dualisierung beitra­ Die Maßnahmen der öffentlichen Hand sind Aus­
gen. Diese höher qualifizierten Bevölkerungsschichten druck einer wachsenden Sorge um den prekären Zu­
besetzen auf dem bereits stark segmentierten Immo­ stand der Stadt, der sich in der zunehmenden Armut
bilienmarkt Wohnungen mit einem höheren Standard. in den Stadtzentren der Schweiz zeigt. Seit 1990
Möglicherweise wird die von Einigen beschworene sind der Kampf gegen Armut und prekäre Arbeits­
Gentrifikation der Schweizer Städte teilweise durch bedingungen, die Maßnahmen zur Integration von
diese neue Form der Zuwanderung von höher gebilde­ Migranten sowie Gewalt- oder Suchtprävention die
ten, sozial besser gestellten und kulturell versierten zentralen Achsen der kommunalen Agenden und sti­
Personen erzeugt. mulieren in der Schweiz die Erfindung neuer Formen
von Intervention und von Gouvernanz. Ohne Zweifel
Zunehmende Verarmung bi Iden sie zentrale Stützen der städtischen, sozialen
Seit 1990 ist gleichzeitig eine Verarmung in den Entwicklungen. Das Gemeinsame dieser neuen Stra­
Stadtzentren der Schweiz zu beobachten. In den Sta­ tegien ist eine „ermächtigende" Konzeption sozialer
tistiken wird sie daran sichtbar, dass fast ein Viertel Gerechtigkeit (Sen 2000), soweit sie auf eine Rheto­
der 234 000 Sozialhilfe beziehenden Personen ge­ rik des empowerment zurückgreift.
mäß den Daten von 2007 in den fünf Großstädten der Zu den Maßnahmen gegen die gesellschaftliche
Schweiz wohnt. Diese Armut hat viele verschiedene Marginalisierung gehört z.B. auch, dass viele Schwei­
Gründe: prekäre Lebenssituationen, eine wachsende zer Gemeinden ihre Bürger in prekären Verhältnissen
Zahl von working poor, das Sich-Einrichten in Hilfs­ unterstützen, ihre Wohnung behalten zu können oder
dispositiven und das Absolvieren von sog. ,,Sozialkar­ eine zu beziehen, und sie somit ermächtigen, den
rieren" (Bavoux& Paugam 2008), ferner Regulations­ Wohnvertrag zu behalten oder zu erhalten (Schmid
maßnahmen und Anreizstrukturen, die paradoxerwei­ 2007a). Diese Ermächtigung geschieht, indem die
se die prekären Situationen verschärfen können. Person beraten und in ein Netz eingebunden wird,
Auf großmaßstäblicher Ebene entstanden Armuts­ wo sie das selbstständige Wohnen oder die Schulden­
herde neben Wohlstandsinseln; letztere sind umso kontrolle erlernt.
stärker wahrzunehmen, weil sie oft als innerstädtische Diese Konzeption von sozialer Gerechtigkeit greift
Aufwertungsprojekte stark mediatisiert werden. Die oft auf Werkzeuge der Gemeinschaftsaktion oder der
vom Immobilienmarkt geförderten Segregationsprozes­ Mobilisierung eines „dritten Sektors" (Marengo et al.
se, bei der hohe Mieten die am wenigsten rentablen 2004) zurück, bei der die Betroffenen aktiv einge­
Nutzungen und einkommensschwächsten Schichten bunden und selbstbefähigt werden. Die Quartiere
verdrängten, hatten der Dualisierung der Zentren in sind ein wichtiger Ort der Vermittlung von Solidarität
der Schweiz Vorschub geleistet. Zusätzlich hatte die zwischen Personen oder Generationen. Gleiches gilt
Bau- und Zuteilungslogik der Sozialwohnungen Dua­ für die Ausländervereine, die in einigen Schweizer
lisierungsprozesse verstärkt (Cunha&Schmid 2007b). Gemeinden die Rolle von soziokulturellen Animato­
ren übernehmen (Matthey&Steiner 2009a), indem
Zunehmende Sorge um den fragilen Zustand sie z.B. an den Sommerprogrammen der Freizeitor­
der Stadt ganisationen teilnehmen.
Um diese Prozesse, die auch in der Schweiz zu brü­ Die Schweizer Städte spielen oft im Rahmen der
chigen und zweigeteilten Zentren führen, zu stoppen, neuen, von einer staatlichen /eadership geprägten In-
tegrationspolitik eine innovative Rolle beim Versuch, Ausblick
neue Formen der Gouvernanz anzuwenden, aber auch Die hundertjährige Tendenz des Schweizer Städte­
Identitäten der Migration zu vermitteln. Das Resultat wachstums setzt sich fort, und der periurbane Raum
dieser Bemühungen ist die Bildung von „weltgerech­ bleibt attraktiv und begehrt. Die Bewohner aus dem
ten Identitäten" (Matthey&Steiner 2009b). dritten Stadtgürtel kehren jedoch nur zöger! ich zu­
Auch die Maßnahmen zur Gewaltbekämpfung und rück. Dieser Ist-Zustand führt zu einer ausgeprägten
Erhöhung des Sicherheitsgefühls (Noseda & Racine sozialen Fragmentierung der Schweizer Metropolitan­
2005) wollen die Einflussnahme der Bewohner auf räume. Dies wird durch das Fehlen einheitlicher
ihr Lebensumfeld vergrößern oder das Kontrollgefühl Politiken für Stadtregionen sowie ökonomische Aus­
erhöhen. Entsprechend sollen die Bewohner im öf­ differenzierung von Zentren mit unterschied Iicher
fentlichen Raum mehr Verantwortung übernehmen, Wertschöpfung und Kapazität, Steueraufkommen
sei es im Rahmen eines gemeinsamen Budgets (wie zu generieren, verstärkt. Wirtschafts- und finanzpo­
beispielsweise in der Gemeinde Vernier im Kanton litische Reformstrategien wie auch staatspolitische
Genf) oder auf unterschiedlichen Ebenen (von der Reformen werden angemahnt oder z.T. umgesetzt
Straßenmöblierung bis zur Quartierspolitik). (Blöchliger&Avenir Suisse 2005).
Gleiches gilt in der Politik der Suchtprävention und Diese soziale Fragmentierung erklärt sich teilwei­
bei der Unterstützung von Süchtigen. Die Strategien, se aus dem Wunsch, unter sich zu bleiben, jedoch
die die metropolitanen Zentrumsgemeinden gewählt ebenso durch neue Wohnmöglichkeiten, die die
haben, beabsichtigen, Selbstkontrolle und Wider­ raumgreifende Verstädterung schafft. Diese Wohn­
standskraft der Betroffenen zu erhöhen. Ebenso geht formen repräsentieren verschiedene Lebensqua I itä­
es darum, die Randständigen in Hilfsnetze einzubin­ ten, welche die spezifischen Räume prägen. Gewisse
den, was ihnen erlaubt, ein Sozialkapital zu bilden, Lebensbedingungen sind jedoch nicht das Resultat
das zur schnelleren Wiedereingliederung in die Gesell­ einer bewussten Entscheidung, und viele Haushalte
schaft mobilisiert werden kann (Cunha et al. 2009). bleiben in der Prekarität gefangen.

Armut und Reichtum ■ Ueli Mäder

Reiche Schweiz Steuerpflichtigen zusammengenommen. 68 % hin­


Die Schweiz ist ein kleines Land. Was ihre Fläche be­ gegen verfügen über weniger als l00 000 CHF steu­
trifft, liegt sie auf dem 140. Platz der Weltrangliste, erbares Nettovermögen - sie besitzen nur 6% des
hier lebt l%o der Weltbevölkerung. Bei den Exporten Gesamtvermögens (Schi 11iger 2007). Die Vermö­
liegt die Schweiz auf dem 20. Platz der Weltranglis­ gen der 300 Reichsten aber stiegen laut dem Wirt­
te, bei den Importen auf dem 19. Platz (Levy 2009). schaftsmagazin Bilanz (22 /2009:61) in 20Jahren
Bei den Finanzgeschäften ist die Schweiz ein Impe­
rium: Sie nimmt bei den direkten Investitionen im Vermögensstatistik, Pflichtige Reinvermögen
Ausland mit 632 Mrd.CHF proJahr den 4.Platz ein. :a: Steuerperiode 2006
Historisch betrachtet geht diese starke Position u. a. � Stufe des Reinvermögens absolut Prozent- in Mio. CHF Prozent-
auf den geringen Zentralismus und die bescheidenen 0 in lO00CHF anteile anteile
Abgaben an den Feudaladel zurück, wodurch mehr [\
,\'
Mittel in die frühe Industrialisierung flossen. Hinzu " 0 1 196048 25,67 0,0
kommt die protestantische Ethik, die Sparsamkeit �
und Fleiß verlangt. Fehlende Bodenschätze erhöhten � 0- 50 1 400473 30,05 24400,2 1,95
seit jeher den Innovationsdruck. ; 50- 100 485963 10.43 35 323,5 2,83
In der Schweiz besteht aber auch eine ausgepräg- '§
� 100- 200 506457 10,87 73 109,9 5,86
te Ungleichverteilung der Vermögen, wie folgende �
Zahlen illustrieren. Weniger als 3% der privaten J 200- 500 587181 12,60 188233,9 15,08
Steuerpflichtigen besitzen mehr Nettovermögen wie �
die restlichen 97% (Mäder et al. 2010). Laut dem � 500- 1000 278924 5,99 193808,7 15,53
Verteilungsbericht des Schweizerischen Gewerk- j 1000- 2000 125412 2,69 171 671,9 13,75
schaftsbundes (SGB) verfügen 2% der Steuerpflich- �
2000- 3000 34 047 0.73 82 639.4 6,62
tigen über gleichviel Vermögen wie 98% (Lampard s
& Galluser 2011). Und nach der Credit Suisse besit- m 3000- 5000 23100 0,50 87944,6 7,05
zen 1 % der Steuerpflichtigen 58, 9 % der Vermögen ]
5000-10000 13 811 0,30 94 394,0 7,56
(Credit Suisse 2010: 120). Das sind deutlich mehr 1
als die übrigen 99%. Fast 70% verfügen über weni- � > 10 000 8626 0,19 296574.7 23.76

ger als 100000 Franken steuerbares Nettovermögen "
(vgl. Kap...soziale Disparitäten und Exklusion/Armut 1
Total 466 0 042 100,00 1248100,7 100,00
und Sozialhilfe in der Schweiz"). Und rund 163 000 � ITab. 251 Vermögensstatistik der natürlichen Personen in der Schweiz, Steuerperi-
Personen mit mehr als 1 Mio.CHF Vermögen besitzen ; ade 2006.
mit 540 Mrd.CHF insgesamt mehr als alle 4,2 Mio. a
106

IAbb. 751 Zürich, Blick von 86 Mrd.CHF (1989) auf 459 Mrd.CHF (2008), weitergeben: Drei Viertel der vererbten Vermögen blei­
auf die „Goldküste". fielen leicht auf 449 Mrd. CHF (2009) und stie­ ben innerhalb der reichsten 10 % (Stutz et al. 2007).
gen 2010 wieder auf 470 Mrd.CHF (Bilanz 22/10: Von den rund 40 Mrd.CHF, die im Jahr 2010 vererbt
3.12.2010). Schweizer Banken verwalten über wurden, entfielen über die Hälfte an Millionäre.Wich­
4000 Milliarden Franken private Vermögen. Gut die tig ist aber auch die Börse, die bis zur Finanzkrise im
Hälfte davon kommt aus dem Ausland. Mit einem Jahr 2009 vielen dazu verholfen hat, ihr Vermögen zu
Marktanteil von 27 % ist die Schweiz der größte Off­ vermehren. Die Reichen konnten ihr Vermögen auch
shore-Finanzplatz der Welt. Ein Offshore-Finanzplatz in schlechten Börsenjahren stärker vermehren als der
ist eine Steueroase mit hoher Vertraulichkeit, aber Durchschnitt der Bevölkerung (Mäder et al. 2010).
wenig Aufsicht und Regulierung. Dabei erweist sich
die politische Stabilität als zentral; zusammen mit Typologie
der Verschwiegenheit und Bereitschaft der Banken, Unter den Schweizer Multimilliardären sind v.a. Ver­
Steuerhinterziehung zu akzeptieren. Die Schweiz treter führender Schweizer Unternehmen vertreten.
nimmt auch bei den direkten Investitionen im Aus­ Sie stammen vorwiegend aus den Bereichen Phar­
land mit 632 Milliarden Franken weltweit den vierten mazie, Maschinenindustrie, Biotechnologie, Uhren­
Platz ein. Und Schweizer Investoren spielen auf dem industrie und Elektrotechnik, (Privat-)Banken und
internationalen Markt für Hedgefonds eine zentrale Versicherung sowie Verkehr und Logistik. Sozialräum-
Rolle. Hedgefonds verfolgen eine spekulative Anlage­ 1 ich kumuliert sich der Kreis der Wohlhabenden in
strategie. Sie gehen für hohe Gewinne hohe Risiken steuergünstigen Gemeinden am Zürichsee (,,Goldküs­
ein. Jeder siebte Franken, der in London oder New te", Abb.75), Zugersee und Vierwaldstättersee, am
York in Hedgefonds fließt, kommt aus der Schweiz Genfersee sowie in Basel (Schilliger 2007).
(Mäder 2011: 94). Im Rahmen von Studien zum Thema „Reichtum in
Jeder zehnte Milliardär der Welt wohnt in der der Schweiz" (Mäder&Streuli 2002) und „Wie Rei­
Schweiz. Die Familie bildet noch immer das Zentrum che denken und lenken" (Mäder et al. 2010) wurde
des ökonomischen Reichtums und ein großer Teil untersucht, wie sich sozialer Wandel vollzieht und in
des Reichtums wird vererbt (Schilliger 2007). Etwa Lebensgeschichten, Haltungen und biographischen
die Hälfte der 300 Reichsten der Schweiz ist durch Wendungen dokumentiert. Die Auswahl von 30 Rei­
Erbschaften reich geworden. Das Schweizer Erbrecht chen, mit denen diesbezüglich vertiefende Gespräche
richtet sich stark an den Wohlhabenden aus, sodass geführt wurden, orientierte sich an den 300 Reichs­
Familiendynastien ihren Reichtum über Generationen ten der Schweiz, die folgendermaßen typologisiert
Armut und Reichtum 107

wurden: Zur ersten Gruppe zählen Angehörige aus sich jüngere Führungskräfte mit Entlassungen. Es
Familien der ehemaligen Aristokraten und Patrizi­ gibt offenbar Reiche und Reiche: Stolze Reiche, die
er, zur zweiten Mitglieder von Familien, die mit der machtbewusst, manchmal sogar protzend, mit ihrem
Industrialisierung reich geworden sind. Die dritte Einfluss umgehen, und verschämte Reiche, die ihren
Gruppe ist mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der Reichtum verbergen und ihr Licht unter den Scheffel
Nachkriegszeit in der zweiten Hälfte des 20. Jh. ent­ stellen. Es gibt großzügige Reiche und „knausrige"
standen. Als vierte wurden Softwaremillionäre hinzu­ Reiche. Die alten Reichen in der Schweiz verstecken
genommen, die von den Möglichkeiten der Informa­ ihr Geld, sie sind humanistisch gebildet und zeigen
tions- und Kommunikationstechnologie profitierten. sich nicht nur in der Oper, sondern spielen auch sel­
Dabei wurden auch Personen berücksichtigt, die ihr ber Geige. Die neuen Reichen hingegen zeigen gerne
Kapital dank dem Börsenboom der l 990er-Jahre ver­ ihr Geld. Sie lassen ohne Weiteres mit sich über ein
mehren konnten. Bei den Gesprächen stand die Fra­ Sponsoring verhandeln, das beiden Seiten nutzen
ge nach der Sozialverträglichkeit des Reichtums im muss. Bei den alten Reichen gilt: Man gibt, aber sagt
Vordergrund. Dabei interessierten auch Unterschiede nichts. Und in allen vier Gruppen der Reichen in der
zwischen dem alten und neuen Reichtum. Alte Rei­ Schweiz gibt es auch solche, die so oder ähnlich sa­
che lassen sich beispielsweise nur ungern mit einer gen: Mir macht es Angst, wenn sich der Reichtum
Luxuslimousine ablichten. Es genügt ihnen, reich zu konzentriert und das gesellschaftliche Korrektiv auf­
sein und ihr Geld gewinnbringend anzulegen . .,Das weicht. Es besteht die Gefahr, dass sich vermehrt
alte Velo genügt", sagen sie zu ihren eigenen Kindern. autoritäre Kräfte durchsetzen, die den sozialen Zu­
Bei neuen Reichen ist das anders: Sie tragen ihren sammenhalt gefährden. Was bei den Gesprächen mit
Reichtum eher zur Schau und protzen sogar damit. Reichen über Reiche in der Schweiz auffallend war,
Die goldene Armbanduhr scheint an Symbolwert zu sei hier thesenartig zusammengefasst:
gewinnen. Aber es gibt auch unkonventionelle Reiche, ■ Viele Reiche in der Schweiz verfügen über ein
wie ausgewählte Beispiele (s. Exkurs „Unkonventio­ Selbstverständnis, das selbstbewusst wirkt. Ihr
nelle Reiche") andeuten. Selbstvertrauen deutet auf eine gut ausgestattete
Grundsicherheit hin.
Selbstverständnis ■ Reiche geraten allerdings öfters in Situationen,
Heute kommt ein anderer Führungstyp in die Chef­ die folgenschwere Entscheidungen erfordern und
etagen als früher. Bis in die l 980er-Jahre betrach­ Krisen auslösen können. Das hängt mit der Verwal­
teten Firmenchefs Massenentlassungen eher als letz­ tung des Reichtums und der beruflichen Position
ten Ausweg aus einer Notsituation. Seither brüsten zusammen, aber auch mit der persönlichen Ten-

Unkonventionelle Reiche
,,Wer arbeitet, hat keine Zeit zum Geld verdienen", Herr F. wiederum ist 50-jährig und besitzt meh­
sagte uns ein Reicher. Er tut dies offenbar geschickt rere Dutzend Häuserblocks. Sein weitgehend er­
und ist stolz darauf, hohe Geldbeträge am Fiskus erbtes Vermögen liegt bei über 100 Mio. Franken.
vorbeizuführen. Der autonomen Szene stellt er An einer Vermehrung des Geldes ist er nicht inter­
Häuser zur Zwischennutzung zur Verfügung. Haupt­ essiert. Herr F. ist Single und spendet regelmäßig
sache, die Jugendlichen sind gegen den Staat. größere Beträge für gute Zwecke. Bei Erdbeben
Selbst wohnt dieser Herr C. im südlichen Ausland. Überschwemmungen und ähnflcheri Katastrophen
In der Schweiz gehören ihm „ein paar Straßenzüge". muss er nicht lange überlegen, um zum Scheck­
Er zählt zu den neueren Reichen, die vom Wachs­ buch zu greifen. Herr F. kennt die hintersten Win­
tumsboom der Sechzigerjahre des 20.Jh. profitieren kel der Welt, bereiste alle Kontinente und über
konnten. Herr C. ist vorwiegend mit Spekulations­ hundert Länder. Er war mehrmals in Indien und
geschäften im I rnmobi liensektor reich geworden hat gesehen wie das ist, wenn man kein Dach
und konnte seine Gewinne dank dem rechtzeitigen über dem Kopf hat. Er spricht „nebst den übli­
Umstieg auf den Handel mit Aktien weiter verbes­ chen Sprachen" - gemeint sind Englisch, Franzö­
sern. sisch, Italienisch und Spanisch - Neugriechisch
Anders Herr D.: Er ist bald 80-jährig und melkt je­ und Japanisch. Drei Jahre lang hat Herr F. das
den Morgen seine Kühe selbst. Umzonungen haben Privatisieren gut ausgehalten. Dann fragte er sich:
vor ein paar Jahrzehnten den Wert seines Landes Was tun? Chinesisch lernen und noch ein weiteres
um mehrere Millionen Franken erhöht. Der Land­ Land bereisen? Herr F. bewarb sich auf ein paar
wirt wollte aber kein Land abtreten. Er ließ lediglich gewöhnliche Stellen und hatte Glück. Ein Versi­
auf einer kleinen Parzelle etwas bauen, das seinen cherungsunternehmen übertrug ihm, dem stu­
künstlerisch tätigen Kindern, die erwachsen sind und dierten Anglisten, eine ausführende Tätigkeit im
fleißig privatisieren, ein Auskommen ermöglicht. Bereich Internationale Kontakte. Niemand wusste
Selbst hilft er dem Pächter täglich etwa acht Stunden von seinem Geld.
und lebt mit seiner Frau im „Stöckli" (kleines
Gebäude auf dem Hof für die Elterngeneration).
108

denz, offensive Strategien zu wählen, die eher kon­ ■ Auch die soziale Frage liegt vielen Reichen am Her­
fliktiv sind. zen. Menschen, die unverschuldet in Not geraten,
■ Reiche in der Schweiz stellen sich, auch wenn sollen gezielt unterstützt werden. Wer reich ist, soll
sie nach weiterem Reichtum trachten, durchaus freiwillig dazu beizutragen. Große Skepsis besteht
immer wieder die Frage nach dem Sinn des Le­ gegenüber einer staatlich verordneten Umverteilung.
bens. Gerade weil sie scheinbar fast alles haben ■ Reiche Menschen favorisieren das Primat der Wirt­
(können), erhält die Sinnfrage ein besonderes Ge­ schaft. Sie haben großes Vertrauen in die Markt­
wicht. Die einen setzen sich philosophisch damit kräfte und billigen dem Staat bloß eine korrektive
auseinander. Sie lieben es, im trauten Kreis oder Ordnungsfunktion zu. Was sozioökonomische Vor­
wenn immer möglich darüber zu diskutieren. Ande­ stellungen betrifft, haben Reiche, auch wenn sie
re leiden, schier depressiv, unter der Ungewissheit persönlich gerne in neue Technologien investieren,
und dem Bewusstsein der Endlichkeit. Christlich eher wertkonservative Haltungen.
motivierte Reiche wissen, dass der Mensch nicht ■ Reiche schreiben die Vermehrung ihres Reichtums
vom Brot allein lebt. Sie kennen den Bibelspruch, überwiegend persönlichen Fähigkeiten zu und attes­
demzufolge „eher ein Kamel durch ein Nadelöhr tieren diese auch Personen, die hauptsächlich viel
geht, denn ein Reicher in den Himmel kommt". geerbt haben. Wer reich ist, scheint daran ein per­
■ Kinder von Reichen haben besondere Gründe, sich sönliches Verdienst zu haben. Reiche haben- teil­
ab und zu recht einsam zu fühlen. Die einen wach­ weise aufgrund ihrer materiellen Ressourcen- das
sen auf einer schönen Insel auf, auf der sie aber Gefühl, über ungewöhnliche Fähigkeiten zu verfügen.
nicht ewig verweilen können, andere erleben schon ■ Reiche Menschen verbindet- bei allen Unterschie­
früh turbulente Stürme, die tendenziell Mechanis­ den - eine innere Verwandtschaft. Sie erkennen
men der Abschottung fördern. sich gegenseitig am Habitus und den feinen Un­
■ Reiche sind bezüglich vieler Lebensfragen eher terschieden, auch wenn sie nur wenig voneinander
aufgeschlossen. Sie legen bei ihren Lebensentwür­ wissen.
fen viel Wert auf eine gute Ausbildung. Gegenüber
ökologischen Fragen ist eine erhöhte Sensibilität Armut und Ausschluss
festzustellen. In der Schweiz erlebten nach dem Zweiten Weltkrieg
■ Reiche sind kulturell besonders interessiert und en­ breite Bevölkerungskreise einen materiellen Auf­
gagiert. ,,Alte Reiche" in der Schweiz fördern vor­ schwung, der den „sozialen Kitt" zu fördern schien.
wiegend traditionelle Einrichtungen wie die Oper Seit den rezessiven Einbrüchen der l 970er-Jahre
und das klassische T heater, während „ Neue Rei­ steigen jedoch die Lebenshaltungskosten für Nah­
che" gerne avantgardistische Projekte unterstützen. rung, Mieten und Gesundheit stärker als Teile der
unteren Einkommen. Das System der sozialen Sicher­
IAbb. 761 Aktion „wir sind heit, das zwar relativ gut ausgebaut ist, hält mit dem
arm" von Caritas Zürich, Wandel der Lebensformen (Zunahme von Alleinleben­
Frühling 2010. den und Alleinerziehenden) nicht Schritt. Es geht von
Voraussetzungen aus, die mit der Zeit immer weniger
zutreffen. Weder existieren Vollbeschäftigung mit kon­
tinuierlichen Erwerbsbiographien, noch mehrheitlich
traditionelle Familien, bei denen ein Einkommen für
einen Haushalt ausreicht (s. auch Abb. 76).
Die neuere Armutsforschung befasst sich intensiv
mit Fragen der Integration und des Ausschlusses.
Die beiden Begriffe deuten an, dass die Armutsfrage
weit über den finanziellen Kontostand und die ma­
terielle Versorgung hinaus reicht. Relationale und
soziale Bezüge stehen im Vordergrund. Neue soziale
Differenzierungen verändern im Kontext der Individu­
alisierung alte Klassen- und Schichtkonzepte. Aber
wie? Geschieht dies in ergänzender oder ersetzender
Weise? Kennzeichnen Prozesse der (Des-)lntegration
und des Ausschlusses eine neue soziale Frage, die
weniger stark von der materiellen Not geprägt ist als
die alte? Und was bedeutet das für die Sozialhilfe?
Der „Ausschluss" gilt weithin als neue soziale Fra­
ge des 21.Jh., der eine besondere Form der sozialen
Ungleichheit dokumentiert. Aber sind damit frühere
Klassenanalysen passe, welche die alte soziale Frage
als Arbeiter- und Armutsfrage verstanden? Aus der
Studie zur Sozialhilfe in der Schweiz von Kutzner
et al. 2009 geht hervor, wie eng Prozesse der Inte­
gration und des Ausschlusses miteinander verknüpft
sind und die Armutsfrage in der Schweiz prägen. Resignation und Empörung
Zum einen gibt es neue Formen der sozialen Integra­ In einer früheren Armutsstudie zur Schweiz (Mäder
tion durch den beruflichen Ausschluss, weil Betroffe­ et al.1991) wurde bereits die Dynamik zwischen In­
ne mehr Zeit für sich und ihre sozialen Beziehungen tegration und Ausschluss untersucht und teilweise
haben, zum anderen gibt es aber auch neue Formen anders beurteilt als in der neuen Studien über die So­
des sozialen Ausschlusses aufgrund der beruflichen zialhilfe (Kutzner etal. 2009) und über die working
1 ntegration in prekäre Arbeitsbereiche. poor (Kutzner 2004). Damals überwog der Eindruck,
Unter den Sozialhilfeabhängigen kristal Iisieren bei den Armutsbetroffenen seien insbesondere die
sich drei Gruppen heraus: working poor als erwerbstätige Arme relativ gut in­
■ Die Sozialhilfe in der Schweiz will ihre Anstren­ tegriert. Sie bräuchten, so die Annahme, wie Allein­
gungen auf Sozialhilfeabhängige konzentrieren, die erziehende vorwiegend Geld, um ihre existenziellen
noch intakte Chancen haben, im ersten Arbeits­ Bedürfnisse zu befriedigen. In der neuen Studie über
markt eine Beschäftigung zu finden. Wer zu dieser working poorwar indes eine Kumulation sozialer Prob­
ersten Gruppe gehört, erhält weniger Mittel für den leme feststellbar, die sich mit anhaltender Abhängig­
erweiterten Grundbedarf, aber mehr Geld, wenn keit ergibt und selbst bei zunehmender Erwerbsinteg­
die Erwerbsintegration zustande kommt. Die finan­ ration gleichzeitig gegenläufige Ausschlusstendenzen
ziellen Anreize erweitern den individuellen Hand­ verstärkt. Konkret wurde die soziale Lage von 260 ak­
lungsspielraum bei der Kombination zwischen der tuellen und 140 ehemaligen working poor analysiert.
Erwerbsarbeit und der ergänzenden Sozialhilfe. Bei diesen ehemaligen working poor, die mittlerweile
Etliche Sozialhilfeabhängige schätzen das, denn ihre finanzielle Situation verbesserten, erzielten rund
sie fühlen sich ernst genommen, stärker beachtet 25 % dank Weiterbildung ein höheres Einkommen.
und akzeptieren mögliche finanzielle Einbußen. Weitere 25% erhöhten ihr Salär, weil sie zusätzliche
Andere Sozialhilfeabhängige fühlen sich durch die Jobs zu vorwiegend prekären Arbeitsbedingungen an­
privatisierten Risiken stärker gestresst. Sie erleben nahmen, und weitere 25% stabilisierten ihre Situa­
unter diesen Bedingungen selbst die erfolgreiche tion über eine Sozialversicherung wie die Alters- und
Erwerbsintegration als Ausschluss, denn diese In­ Hinterlassenen- bzw. Invalidenversicherung (AHV, IV).
tegration findet primär im Niedriglohnsektor statt, Die restlichen 25% steigerten ihr Einkommen durch
was soziale Beziehungen belastet und zu einem die Veränderung der Lebensform, beispielsweise durch
(Teil-)Ausschluss durch Integration führen kann. Heirat mit Doppelverdienst oder endende Unterstüt­
■ Eine zweite Gruppe bilden die Personen, die zwar zungspflichten beim Auszug von Kindern. Bei allen
nicht mehr für den ersten Arbeitsmarkt infrage erwähnten Gruppen konnten sich viele Einzelpersonen
kommen, aber für den zweiten, geschützten Ar­ und Familien auch deshalb finanziell verbessern, weil
beitsmarkt oder für Gegenleistungsmodelle. Bei sie in kleinere, günstigere Wohnungen in Quartieren
den Gegenleistungen hängt die Unterstützung von mit hoher Verkehrsdichte umzogen. Sie verbesserten
der Bereitschaft ab, eine sozial, kulturell oder öko­ ihre finanzielle Lage also, indem sie ihre Wohnsitu­
logisch relevante Arbeit zu verrichten. ation verschlechterten. Die Integration im einen Be­
■ Eine dritte Gruppe bilden Sozialhilfeabhängige, die reich basierte auf dem Rückzug bzw. Ausschluss aus
sich laut Schweizerischer Konferenz für Sozialhilfe einem andern. Eine frühere Armutsstudie (Mäder et al.
weder in den ersten Arbeitsmarkt integrieren kön­ 1991) zeigte einen starken inneren Rückzug sozial
nen, noch in der Lage sind, als Gegenleistung für Benachteiligter: Viele Armutsbetroffene fühlten sich
ihre Unterstützung gemeinnützige T ätigkeiten zu relativ stark selbst für Verhältnisse verantwortlich, die
verrichten. Sie erhalten das Geld nun mit weniger primär gesellschaftlich verursacht sind. Dieser Rück­
Auflagen. Den einen entspricht diese Vereinfa­ zug wurde durch den hohen gesellschaftlichen lndi­
chung, können sie doch auf Pro-forma-Bewerbun­ vidualisierungsgrad und die verbreitete Tabuisierung
gen verzichten und sich verstärkt dem widmen, was der Armut in der Schweiz erklärt. Das Schweigen führt
sie gerne tun. Der Ausschluss aus der Erwerbsarbeit dazu, dass Betroffene nach au Ben den Anschein er­
gibt ihnen die Möglichkeit, sich um ihre soziale In­ wecken, alles sei in bester Ordnung, auch wenn sie
tegration zu kümmern, sodass der Ausschluss also selbst einen hohen Leidensdruck verspüren.
paradoxerweise ihre Integration fördert. Ein Journa­ Heute weisen etliche Anzeichen darauf hin, dass
list, der psychisch erkrankt ist, kann nun dank der sich resignative Haltungen und depressive Verstim­
Verortung in diese „Gruppe der Abgeschobenen" mungen teilweise auch in Empörung verwandeln. Das
interessante Geschichten schreiben, statt „Kurz­ mag mit Schlagzeilen über „abgehobene Managerlöh­
meldungen für den Medienmarkt zu produzieren", ne" und mit der persönlichen Wahrnehmung sozialer
wie er sagt. Andere, die zu dieser dritten „Gruppe Ungleichheit zu tun haben. Wenn Eltern erleben, wie
der Ausgemusterten" gehören, suchen verzweifelt ihre Kinder keine Lehrstelle finden, während andere
einen „richtigen Job". Sie wehren sich gegen die sehr hohe Saläre erzielen, empfinden sie Wut. Diese
vorgenommene Kategorisierung, die sie als Stigma­ kann sich unterschiedlich auswirken: Die Empörung
tisierung erleben. ,.Ich will Arbeit und keine Ren­ kann die Bereitschaft fördern, sich mehr für eigene
te", sagt eine gut fünfzigjährige Bezügerin von So­ Interessen einzusetzen. Sie kann aber auch die Ge­
zialhilfe. Sie spricht mehrere Sprachen, hat schon fahr erhöhen, Halt bei autoritären und populistischen
zwei Bücher publiziert und erlebt den Ausschluss Kräften zu suchen, die eine rigide Ordnungsruhe mit
nicht als Chance zur sozialen Integration. strukturellen Ausgrenzungen anstreben.
Sozialhilfe in der Schweiz ■ Remo Saner, Rita Schneider-Sliwa

Die Schweiz liegt bezüglich Ungleichverteilung von


Einkommen und Vermögen in der „Spitzengruppe Wer ist arm?
westlicher Industrieländer" (Mäder & Streuli 2002 ).
Insbesondere infolge eines Verlusts des Arbeitsplat­ Als arm gelten alle Personen im erwerbstätigen
zes geraten immer mehr Menschen zumindest vor­ Alter (20-59 Jahre), die in einem Haushalt le­
übergehend in Armut (Kehrli & Knöpfe! 2006). Die ben, dessen Einkommen abzüglich der Sozialver­
gesamtschweizerische Sozialhilfestatistik, die seit sicherungsbeiträge und Steuern unterhalb der im
2004 erhoben wird, gibt Auskunft über Risikogrup­ Text genannten Armutsgrenzen liegt. Sollten die­
pen, soziodemographischen und familiären Hinter­ se Personen erwerbstätig sein, im selben Haus­
grund der Sozialhilfeempfänger sowie die Höhe und halt leben und zusammen mindestens 36 Stun­
Dauer der bezogenen Sozialhilfeleistung und liefert den pro Woche arbeiten, fallen sie in die Katego­
damit Grundlageninformationen für die Sozialpolitik rie der working poor. 2006 war schweizweit jede
(Bundesamt für Statistik 2010). elfte Person (9 %) im Alter zwischen 20 und
Im Jahr 2005 lag die Schweiz mit einem Anteil 59 Jahren von Armut betroffen. Bei rund 39%
von über 8% relativ armer Menschen nur noch knapp dieser Armen handelt es sich um working poor,
unterhalb des OECD-Durchschnitts (Guggenbühl was - gemessen an der Gesamtzahl der Erwerbs­
2008: 15) und es besteht auch hier die Gefahr der tätigen in einem Haushalt mit mindestens einer
räumlichen Segmentierung von Armen in den Städ­ Vollstelle - wiederum eine working-poor-Quote
ten (s. Exkurs „Räumliche Segmentierung in der von 4,5% bedeutet und ungefähr 146000 Per­
Stadt"). sonen umfasst. Zusätzlich waren weitere rund
Seit den frühen l 990er-Jahren veränderte sich 63 000 Personen erwerbstätig und arm. Diese
die sozioökonomische Situation in der Schweiz. Glo­ fallen aber nicht unter die Kategorie working
balisierung, Einbrüche des Baugewerbes, zunächst poor, da sie in einem Haushalt leben, dessen
zögerliche Investitionstätigkeit in die Wissensöko­ Mitglieder zusammen weniger als 36 Stunden
nomie und ein auf Wachstum ausgerichtetes Wirt­ pro Woche arbeiten. Insgesamt waren folglich
schaftsregime ohne entsprechendes Wachstum der etwa 45% der armen Bevölkerung im Jahr 2006
Arbeitsstellen haben die schweizerische Gesellschaft entweder nichterwerbstätig oder arbeitslos.
AuS. BundKmr.t t"rS&aillti lka.l (20081: Armut von Personen 1m Erwerbsalter­
nachteilig beeinflusst (Da Cunha 1999: 37). Wie in W1rtschaf11iche und soziale S111,1,1.i!OO der Bevölkerung Neuchätel
den meisten Industrieländern, hat sich ein dualer
Arbeitsmarkt (Microsoft-McDonalds phenomenon)
mit weniger hoch- und deutlich mehr niedrigqualifi­ 1999:37). Die Arbeitslosigkeit bleibt die größte Sorge
zierten Arbeitsplätzen entwickelt, der auch die sozial­ der Schweizerinnen und Schweizer; dies zeigen die
räumliche Struktur der Schweiz mit prägt (Da Cunha Resultate einer Umfrage des schweizerischen For­
schungsinstituts für Politik, Kommunikation und Ge­
sellschaft (gfs.bern) aus dem Jahr 2005- also noch
Räumliche Segmentierung der Armut in der Stadt vor der Finanz- und Wirtschaftskrise-, wonach 71%
der Befragten Angst um ihren Arbeitsplatz hatten
Sozial� Ungleic� _ heiten sind im Stadtbild sichtbar und Ausdruck gesell­ (NZZ Online 2005). Die Armut befindet sich auf dem
schaftl1�her Veranderungen und der Funktionsweisen von Wohnungsmärk­ Vormarsch, die Erwerbsmöglichkeiten verringern sich,
ten (Keim 1999: 10). Inwiefern beispielsweise in Basel räumliche Kon­ soziale Leistungen werden gekürzt und die Kantone
zentrationen von armen Bevölkerungsgruppen existieren in welchen Stadt­ und Gemeinden müssen künftig mit größeren Aus­
teilen sie sich manifestieren, wie sie sich im Zeitrau� der Jahre 2002 gaben im Sozialhilfebereich rechnen. Dies alles sind
bis
_ 2008 verändert haben und welche negativen Aspekte damit verbunden Gründe, die für den Bedeutungszuwachs der Schwei­
sind, wurde von Saner 2009 mithilfe Geographischer Informationssysteme zer Sozialhilfe als Einkommensquelle sprechen (Kutz­
(9IS) auf Baublockebene �nhand von Individualdaten von Sozialhilfeemp­ ner et al. 2009: 13). Wie das Bundesamt für Statistik
_
fangern untersucht, d Ie eI ner internen KIientenstatistik der öffentlichen in der Sozialhilfestatistik 2009 ausführte, war eine
�ozialhilf�- Basel entstammten. Die GIS-gestützte Untersuchung der räum­ Zunahme des Sozialhilfebezugs in jenem Jahr v. a. da­
llchen Veranderung der Verteilungsmuster im Sozialhilfebezug zeigte in Ba­ rauf zurückzuführen, dass Ausländer und Flüchtlinge,
_
sel zwischen 2002 und 2008 ganz offensichtlich die Tendenz zur räumli­ die einen vorläufigen Aufenthaltsstatus hatten, jedoch
chen Verdichtung von Armut in einzelnen Wohnblöcken und Wohnvierteln
länger als sieben Jahre in der Schweiz lebten, erstma­
Dies war sichtbar, obwohl die Fallzahlen derer, die Sozialhilfe beziehen:
_ lig in der Statistik berücksichtigt wurden. Die gestie­
aus zwei Gründen rückläufig waren: erstens aufgrund der guten Konjunktur
genen Arbeitslosenzahlen durch die Wirtschaftskrise
seit 2006 und zweitens aufgrund der Tatsache, dass der Kanton Basel­
hingegen hatten sich noch nicht in den Sozialhilfs­
Stadt diverse Sozialleistungen wie die Subventionierung von Krankenkas­
statistiken 2009 niedergeschlagen (Bundesamt für
senprämien und Mieten sowie Steuerentlastungen und den Schutz des
Statistik 2010). Ebenso beinhalten die Zahlen noch
Existenzminimums ausbaute, was die verfügbaren Einkommen effektiv
erhöhte. Auch individuell zugeschnittene Programme für Arbeitssuchende nicht den Zuwachs der Sozialhilfefälle, der nach der
bewirkten eine Verbesserung der Arbeitsintegration. sog. Aussteuerung von über 16000 Arbeitslosen zum
Quellen: Saner. R �2010): Sozialhilfebezug in Basel - V�rteilung und soz1oOkonomische Struktur der Betroffenen Eine GIS-ge5lülzte Untersu­
1. Apri 1 2011 als Folge der 4. Revision des Gesetzes
ug s
�� � 3�� �����7
Urnv Basel Saner, R (2010) Sozialhilfe 1n Basel- Raumliche Strukturmuster und deren Dynamik In: Reg10 Basiliensis, über die Arbeitslosenversicherung zu erwarten ist,
über das das Volk am 26. September 2010 abstimm-
Sozialhilfe in der Schweiz 111

te und bei der Leistungskürzungen und Erhöhungen Sozialhilfequote


der Lohnprozente beschlossen wurden (NZZ Online, - a,4, 5
V. 8.2.2011). - 3, 0 -4, 4
- 2, 0 -2, 9
- 1, 5 -1, 9
Armutsgrenze und " 1, 4
Armutssituation
Schweiz
Analog zur Sozialhilfe wird die Armutsgrenze in der 2,9%
Schweiz von den Richtlinien der Schweizerischen Kon­
ferenz für Sozialhilfe abgeleitet. Die vom Bundesamt
für Statistik zu statistischen Zwecken operationalisierte
Armutsgrenze belief sich im Jahr 2006 auf monatlich
2200CHF für Alleinstehende, 3800CHF für allein­
erziehende Personen mit zwei Kindern und 4650CHF
für Ehepaare mit zwei Kindern. Mit etwa 55,3 % des
Medianeinkommens (nach Abzug der Steuern und So­
zialbeiträge) lag die Armutsgrenze in der Schweiz für
das besagte Jahr höher als die mit 50% des Median­
einkommens festgelegte Armutsgrenze der OECD-Län­
der (BFS 2008: 1 und Exkurs „Wer ist arm?").
Wie weit das Einkommen armer Haushalte unter­
halb der Armutsgrenze liegt, wird in der Schweiz
durch die sog. Armutslücke angegeben. Diese be­ in der Gesamtbevölkerung. Während sie dort etwa ein IAbb. 771 Quote der Sozi­
rechnet sich über die Division des durchschnittli­ Fünftel ausmachen, beträgt ihr Anteil an den Sozial­ alhilfeempfänger 2008
chen Haushaltseinkommens der Armutsbevölkerung hilfeempfängern 45,3% (Stand 2009, BFS 2010). nach Kantonen.
durch die Armutsgrenze, wobei das Ergebnis dieser Kantone mit einem überdurchschnittlich hohen Aus­
Berechnung in Prozent gemessen wird. Für das Jahr länderanteil (z.B. Genf, Waadt, Basel-Stadt oder Zü­
2006 resultierte, bezogen auf Personen im erwerbs­ rich) weisen generell auch hohe Ausländeranteile in
fähigen Alter, eine durchschnittliche Armutslücke der Sozialhilfestatistik auf. Geschiedene Personen
von 79-85% bei den working poor. Das bedeutet, und Alleinerziehende haben ebenfalls ein stark er­
dass bei der armen Bevölkerung das Einkommen höhtes Sozialhilferisiko (BFS 2009a:12f.). 88,2%
im Durchschnitt 21% unter der definierten Armuts­ der unterstützten Fälle betreffen Privathaushalte,
grenze liegt. Da der Median der Armutslücke 84% 7% leben in Heimen und die restlichen 4,8% sind
ergibt, wird ersichtlich, dass die Hälfte der Armen anderen Wohnformen zuzuordnen. Dass das Sozial­
ein Einkommen bezieht, welches weniger als 84% hilferisiko ganz wesentlich mit der Berufsausbildung
der als Armutsgrenze definierten Geldsumme beträgt. zusammenhängt, spiegelt sich im hohen Anteil der
Im Vergleich dazu beläuft sich das Durchschnitts­ Sozialhilfeempfänger, die über keinen beruflichen
einkommen von nicht armen Haushalten auf einen Abschluss verfügen (55,4 %), wider. Mit 30 % liegt
Betrag, der 2,2-mal so hoch ist wie die monetäre A r ­ dieser Anteil an der Gesamtbevölkerung deutlich tie­
mutsgrenze (BFS 2008:3). fer (BFS 2009a:14-17).

Aktuelle Sozialhilfedaten der Schweiz Soziale Ungleichheit in der Schweiz


Bislang galt in der Schweiz die Devise, mittels Aus­ Die Schweiz zählt gemessen am Bruttosozialprodukt
bau von Sozialversicherungen, Vollbeschäftigung pro Kopf zu den reichsten Ländern der Welt (vgl.
und ergänzender Einkommensumverteilung die So­ auch Kap. .,Soziale Disparitäten und Exklusion/Ar­
zialhilfe nach und nach zu einer marginalen Größe mut und Reichtum in der Schweiz"). Zahlreiche Ar­
schrumpfen zu lassen (Kutzner et al. 2009: 13). mutsstudien der letzten zwei Dekaden (u. a. Leu et al.
2007 konnte zum ersten Mal seit Einführung der 1997, Mäder 1991, Ulrich&Binder 1998) haben
bundesweiten Sozialhilfeempfängerstatistik im Jahr jedoch offenbart, wie ungleich Einkommen und Ver­
2004 ein Rückgang der gesamtschweizerischen mögen in der Schweiz verteilt sind (Mäder&Streuli
Anzahl unterstützter Personen verzeichnet werden 2002: 11). Im Jahr 1992 verfügten die einkommens­
(4,8 % weniger als im Jahr 2006). Zwischen den stärksten 10% der Bevölkerung über ein Viertel des
kantonalen Sozialhilfequoten - also den Quoten der gesamten verfügbaren Einkommens, die reichsten
Sozialhilfeempfänger - bestehen jedoch große Diffe­ 5% noch über ein Siebtel (Leu et al. 1997:439).
renzen (Abb.77), wobei es zu berücksichtigen gilt, 1 m Gegensatz dazu flossen lediglich 2,4 % des ver­
dass nicht jeder Kanton der Sozialhilfe vorgelagerte fügbaren Einkommens in die Taschen des einkom­
Bedarfsleistungen anbietet (BFS 2009a:10). mensschwächsten Zehntels (Leu et al. 1997:347).
Kinder und junge Erwachsene haben in der Obwoh I sich während den l 990er-Jahren bis zur
Schweiz das höchste Sozialhilferisiko. Obwohl die Jahrtausendwende keine Zunahme der Ungleichheit
Sozialhilfequote in der Altersgruppe der 36- bis nachweisen lässt, existieren weiterhin markante Un­
45-Jährigen nochmals steigt, nimmt sie tendenziell terschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsseg­
mit zunehmendem Alter ab. Des Weiteren sind Aus­ menten (Stamm et al. 2001:2). Im Jahr 1999 gab
länder in der Sozialhilfe deutlich stärker vertreten als es in der Schweiz z.B. 120000 Millionärshaushalte
112

grenzung (Clerc 1993, zit. in Da Cunha 1999:37).


Soziale Ungleichheit in Basel Ein Trend hin zu individualisierten urbanen Gesell­
schaften, die von zunehmenden Ungleichheiten und
Die Steuerstruktur in Basel-Stadt deutet darauf hin, dass auch in Basel die Desintegration bedroht sind, kann auch in Schweizer
Kluft zwischen Reich und Arm immer größer wird. Gemäß der prozentua­ Städten und Agglomerationen beobachtet werden (Da
len Einkommenssteuerverteilung aus dem Jahr 2007 sind 2,1% der Steu­ Cunha 1999:37). So weisen Städte in der Schweiz
erpflichtigen für 21,8% der Steuereinnahmen aller natürlichen Personen u. a. den größten Anstieg an arbeitssuchenden Perso­
verantwortlich. Im Gegensatz dazu entrichtet rund ein Fünftel der Steuer­ nen auf, bei denen die Verweildauer in der Arbeitslo­
pflichtigen überhaupt keine Steuern (Bösinger 2007: 15). Noch gravieren­ sigkeit zusätzlich immer länger wird. Dennoch scheint
der erscheint die Ungleichheit beim Betrachten der Vermögenssteuerver­ die soziale Situation in schweizerischen Städten we­
teilung: Einer Erhebung der Eidgenössischen Steuerverwaltung aus dem niger stark alarmierend als in ihren Nachbarländern,
Jahr 2003 (mit Daten aus dem Jahr 1997) zufolge sind in Basel-Stadt wo sich die räumlichen und sozialen Spaltungsprozes­
5305 Millionäre sesshaft- sechs davon sind Milliardäre. Das bedeutet, se eindeutiger offenbaren (Da Cunha 1999:42).
dass 4,2 % der Steuerpflichtigen in Basel über knapp 72% des gesam­
ten Nettovermögens verfügen. Anders ausgedrückt: Jene 311 Personen, System der sozialen
die ein Reinvermögen von mindestens 10 Mio. CHF versteuern, repräsen­ Sicherheit und Sozialhilfe
tieren mehr als 40 % des gesamten Reinvermögens von Basel. Beinahe In der Schweiz existiert ein subsidiär aufgebautes,
zwei Drittel der steuerpflichtigen Basler besitzen entweder kein Vermögen mehrstufiges System sozialer Sicherheit (Abb. 78).
oder versteuern ein Reinvermögen von bis zu 50 000CHF und 99,5% der Als Basisstufe gilt die Grundversorgung, welche
Haushalte in Basel-Stadt verfügten im Jahr 2000 über gleich viel steuer­ für alle zugänglich ist und sowohl das Bildungs-,
bares Vermögen wie die reichsten 0, 5% (Bösinger 2007: 15). Mäder zu­ Rechts- und Gesundheitssystem als auch die öf­
folge nimmt die soziale Brisanz in Basel zu: Einerseits steigert sich die fentliche Sicherheit umfasst. Weiter bilden die drei
Empörung über die sozialen Gegensätze in der Gesellschaft, andererseits Stufen Sozialversicherungen, Bedarfsleistungen und
entsteht der Eindruck bei Jugendlichen, Arbeit bzw. Leistung zahle sich Sozialhilfe die sog. sozialen Transferleistungen, die
nicht mehr aus (Mäder 2007, zit. in Bösinger 2007: 15). auf kantonaler Ebene unterschiedlich zum Einsatz
kommen können. Hierbei ersetzen Sozialversiche-

(entspricht 3 % aller Haushalte), welche die Hälfte Grundversorgung:


des gesamten Privatvermögens besassen. Von diesen z.B. Bildungssystem. Rechtssystem, Gesundheitssystem
Haushalten wiederum verfügten 12 000 Haushalte
(entspricht 0,3% aller Haushalte) mit mindestens Sozialversicherungen:
5 Mio. CHF über ein Viertel des gesamten Privatver­ - Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV)
mögens. 1997 besaßen hingegen 60% der Steuer­ - Invalidenversicherung (IV)
Arbeitslosenversicherung (ALV)
pflichtigen weniger als 3% des Privatvermögens (Mä­ - berufliche Vorsorge (BV)
der&Streuli 2002:49, 51). - Unfallversicherung
Da sich das Einkommen eines Haushalts europa­ Krankenversicherung
weit zu 70% aus dem Arbeitseinkommen generiert, Mutterschaftsentschädigung (MSE)
scheint dessen Verteilung aus der Perspektive der So­ Bedarfsleistungen:
zialpolitik weitaus bedeutungsvoller als die Betrach­ - Ergänzungsleistungen der AHV/IV
- kantonale Beihilfen zu den
tung der Vermögensverteilung (Drilling 2004b: 1). Ergänzungsle istungen
Hinsichtlich der Einkommensverteilung zeigen sich der AHV/IV
in der Schweiz zudem deutliche geschlechtsspezi­ - Alimenten­
fische Unterschiede. Während in den Lohnklassen bevorschussung
- Elternschaftsbeihilfe
über 9000 CHF prozentual fünfmal so viele Männer
- Arbeitslosenhilfe
wie Frauen vertreten sind, präsentiert sich die Si­ - Wohnkosten-
tuation bei den niedrigsten Löhnen mit fünfmal so beihilfe
vielen Frauen wie Männern genau umgekehrt. Gemäß Sozial­
Mäder und Streuli lassen sich die geschlechtsspe­ hilfe
zifischen Lohndifferenzen zur einen Hälfte auf Un­
terschiede in der Bildung und Berufserfahrung zu­
rückführen, die andere Hälfte sei wiederum nur mit Armut
Diskriminierung erklärbar (Mäder&Streuli 2002:60).
Der Vergleich von Bildung und Erwerbseinkommen IAbb. 781 Schematische Darstellung des Systems der
liefert wenig überraschend das Ergebnis, dass Per­ sozialen Sicherheit in der Schweiz.
sonen mit lediglich einer Primärbildung mehrheitlich Erläuterung: Die unterste Stufe des Systems sozialer Sicher­
heit umfasst diejenigen Bevölkerungsteile, welche vom Si­
zu den 10% der am wenigsten Verdienenden gehören cherungsnetz nicht aufgefangen werden und deren Existenz
(Mäder&Streuli 2002: 75). gemäß vorgegebener Richtwerte nicht gesichert ist. Zwischen
den einzelnen Stufen besteht eine Abhängigkeit, wodurch
Städtische Armut in der Schweiz sich z.B. Änderungen bei gewissen Sozialversicherungen auf
die Sozialhilfe und die Armut auswirken. Folglich sind Aus­
Städte gelten im Allgemeinen als wichtige Zentren maß und Struktur der Armut ein hilfreicher Indikator zur Be­
von Innovationen und Wirtschaftswachstum, sind aber wertung der Wirksamkeit von vorgelagerten Leistungen und
nebenher auch „Produktionsstätten" sozialer Aus- der Sozialhilfe (BFS 2009b:6).
rungsleistungen beispielsweise das durch Krankheit,
Alter, Invalidität, Arbeitslosigkeit oder Mutterschaft Sozialhilfe in der Schweiz -
ausfallende Erwerbseinkommen, unabhängig vom fi­
nanziellen Status des versicherten Haushalts. Kann
Zahlen und Fakten
das Prinzip der vorgelagerten Sicherung aufgrund der
spezifischen Situation einer Person nicht angewendet
Wer bezieht Sozialhilfe?
1 n der Schweiz beziehen weit über 200 000
werden, liegt es am Staat, die bestehende materielle
Personen ganz oder tei !weise Leistungen der
Not gezielt zu lindern und allfällige Existenzrisiken
Sozialhilfe. Rund 60% der Sozialhilfebezie­
mithilfe von Sozialhilfe- oder anderen Bedarfsleistun­
henden sind Alleinstehende, 22 % sind Al­
gen zu reduzieren (BFS 2009b:6).
leinerziehende, und 14% sind Familien mit
Kindern. Auch die Gruppe der working poor
Sozialhilfe in der Schweiz
(Familien mit niedrigem Einkommen) ist oft
Die Sozialhilfe in der Schweiz stellt das letzte Auf­
auf Sozialhilfe angewiesen. Ältere Menschen
fangnetz im System der sozialen Sicherheit dar, das
beziehen selten Sozialhilfe, da die Ergänzungs­
erst zum Einsatz kommt, wenn sämtliche private und
leistungen zur AHV das Existenzminimum
öffentliche Hilfsquellen erschöpft sind. Sie richtet
garantieren. Fachleute schätzen, dass in der
sich grundsätzlich an Personen, die ihren Lebens­
Schweiz bis zu 50% der anspruchsberechtig­
unterhalt und den ihrer Familie nicht selbstständig
ten Personen keine Sozialhilfe beantragen, da
bewerkstel I igen können (Thommen 2009: 20). Unter
die Abhängigkeit von Sozialhilfe vielerorts als
anderem ist es ein Ziel der Sozialhilfe, mittels finan­
sehr stigmatisierend empfunden wird.
zieller Unterstützung den minimalen Bedarf von be­
dürftigen Personen und Haushalten abzudecken. In Was kostet die Sozialhilfe?
einem weiteren Schritt soll die wirtschaftliche Un­ Gesamtschweizerisch werden für die über
abhängigkeit der unterstützten Einheit mit gezielten 200000 Personen, die Sozialhilfe beziehen,
Maßnahmen wieder herbeigeführt werden. Deshalb jährlich rund 3 Mrd. CHF aufgewendet, was
spricht man bei der Sozialhilfe auch von bekämpfter rund 3 % der gesamten Sozialausgaben ent­
Armut, da sie einerseits beim Überbrücken temporä­ spricht. Die Sozialhilfe ist somit weitaus kos­
rer Notlagen hilft und anderseits mit ihren Leistungen tengünstiger als beispielsweise die Invaliden­
eine aktive Reintegration ins gesellschaftliche und oder die Arbeitslosenversicherung.
wirtschaftliche Leben anstrebt (BFS 2009b: 6). Die
Sozialhilfe lässt sich also im Bezug auf ihre Kennzei­
Wie werden die Richtlinien der SKOS
festgelegt?
chen einfach ausgedrückt auf zwei Merkmale redu­
Maßgebend für die Bemessung des Grundbe­
zieren: das Hilfe- und das Individualprinzip. Analog
darfs für den Lebensunterhalt ist ein statistisch
des Hilfeprinzips werden die Leistungen der Sozia 1-
und wissenschaftlich anerkannter „Warenkorb",
h ilfe mit der Erwartung ausgerichtet, dass sie einen
also die realen Kosten für bestimmte, für den
Beitrag zur selbstständigen Beseitigung der Notlage
Lebensunterhalt notwendige Waren. Diese ba­
durch den Empfänger liefern. Sozialhilfe soll keine
sieren auf der schweizerischen Einkommens­
dauerhafte, sondern eine vorübergehende Alimentie­
und Verbrauchsstatistik des Bundesamtes für
rung darstellen. Der lndividualitätsgrundsatz impli­
Statistik. Die Berechnung des Grundbedarfs
ziert, dass die Art der Sozialhilfe auf die jeweiligen
stützt sich dabei auf das Konsumverhalten
Einzelfälle und ihre Probleme abgestimmt wird. Zum
der einkommensschwächsten 10% der Bevöl­
Beispiel benötigen Drogenabhängige andere Hilfsan­
kerung. Die Richtlinien werden vom Vorstand
gebote als Alleinerziehende (Kutzner et al. 2009: 11 ).
der SKOS festgelegt, dem alle Kantone, das
Fürstentum Liechtenstein, verschiedene Bun­
Richtlinien für die Ausgestaltung und
desämter, Städte und Gemeinden sowie private
Bemessung der Sozialhilfe in der Schweiz
Organisationen angehören.
Um den Wohlstand eines Haushalts bzw. einer Per­
son zu erfassen, verwendet man häufig das verfügba­ Wie setzen sich die Sozialhilfeleistungen
re Einkommen als Messgröße (monetäre Armut). Das zusammen?
Festlegen von Einkommensgrenzen (auch Armutsri­ Sozialhilfeleistungen setzen sich aus dem Grund­
sikogrenzen genannt) dient folglich zur Unterschei­ bedarf für den Lebensunterhalt (Nahrungsmit­
dung von armen und nicht armen Personen. In der tel, Kleider, Verkehrsauslagen, Ausgaben für die
Schweiz sind die Richtlinien der Schweizerischen laufende Haushaltsführung), den Wohnkosten,
Konferenz für Sozialhilfe als solche Grenzen weit ver­ der medizinischen Grundversorgung und in be­
breitet und kommen in vielen Kantonen und Gemein­ stimmten Fällen situationsbedingten Leistungen
den zur Anwendung (BFS 2009b: 7). zusammen. Je nach Situation kommen Leistun­
gen mit Anreizcharakter wie Einkommensfreibe­
Bedeutung der Richtlinien träge und Integrationszulagen hinzu.
Die von der Schweizerischen Konferenz für Sozial­
hilfe (SKOS) ausgearbeiteten Richtlinien (s. Exkurs Ubernommen aus Schwe,zensche Kooferenz rur Sozialhilfe SKOS (2C07): Häufig gestellte
Fragen, S 2, 5 (hl1p:/lv,w.y skos ch/store./pdf_O'lpublikalionen/grund!agendokumenle/FAQ
„Sozialhilfe in der Schweiz - Zahlen und Fakten") für pdf, Zugritt: 14 11 2011)
die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe in
114

der Schweiz sind Empfehlungen für die Sozialhilfeor­ bindlich. Die SKOS-Richtlinien dienen demzufolge
gane des Bundes, der Kantone, der Gemeinden sowie als Referenz für die Rechtsprechung, wodurch sie in
der Organisationen der privaten Sozialhilfe. Grundle­ erster Linie mehr Gewähr für Rechtssicherheit und
gende Prinzipien der Richtlinien sind von allen be­ -gleichheit schaffen, aber zusätzlich auch Spielraum
teiligten Trägern der öffentlichen und privaten Sozi­ für einzelfall- und bedürfnisgerechte Lösungen bie­
alhilfe zu beachten, damit im Rahmen verschiedener ten. Bei allen längerfristig unterstützen Personen, die
Institutionen und Strukturen wirksame Hilfe geleistet in Privathaushalten leben und fähig sind, den damit
werden kann. Obwohl die SKOS-Richtlinien im lau­ verbundenen Verpflichtungen nachzukommen, kön­
fe der Zeit innerhalb der Praxis und Rechtsprechung nen die Richtlinien geltend gemacht werden. Aus­
zunehmend an Bedeutung gewonnen haben, werden geschlossen sind Asylsuchende und vorläufig Aufge­
sie erst durch die kantonale Gesetzgebung, die kom­ nommene sowie im Ausland lebende Schweizerinnen
munale Rechtsetzung und die Rechtsprechung ver- und Schweizer (SKOS 2008:3-4).

Geschlechterungleichheiten in der Schweiz ■ Elisabeth Bühler

Überlegungen zum Verständnis der Geschlechter­ rausforderung dar. Obwohl die Gleichberechtigung
ungleichheiten in einer Gesellschaft formal in den meisten westlichen Gesellschaften
Die Geschlechtszugehörigkeit bildet ein Merkmal so­ festgeschrieben ist, wird Ungleichheit zwischen
zialer Differenz, auf dessen Basis systematisch so­ den Geschlechtern auf subtilere Art und in Wech­
ziale Ungleichheiten generiert werden (z.B. Stamm selwirkung mit anderen Identitätsmerkmalen (z.B.
et al. 2003). Im Unterschied zu anderen Ungleich­ Bildung, Beruf, Generativität, Alter, sexuelle Orien­
heit generierenden Merkmalen, z.B. der erworbenen tierung, Staatsbürgerschaft, Ethnizität) fortlaufend
Ausbildung, dem ausgeübten Beruf, der Staatsbür­ reproduziert. Erkennbar werden diese anhaltenden
gerschaft oder der Ethnizität, wird der Einfluss der Geschlechterungleichheiten erst in Kombination
Geschlechtszugehörigkeit auf den Zugang zu gesel 1- mit solchen zusätzlichen Merkmalen sozialer Dif­
schaftlich geschätzten Gütern (Einkommen, Prestige, ferenz im Rahmen von lntersektionalitäts-Analysen
soziale Sicherheit) oft mit Rekurs auf die Biologie (Winker& Degele 2009). Es reicht nicht, nur eine
bzw. die Naturhaftigkeit erklärt und gerechtfertigt. soziale Ebene zu analysieren, um die Wirkungswei­
Dieser Ansicht ist jedoch in den letzten Jahrzehnten se des Merkmals Geschlecht für die Generierung
durch die Wissenschaft, insbesondere durch die Ge­ von Ungleichheit zu erfassen. Bereits 1986 hielt die
schlechterforschung, umfangreiche Kritik erwachsen. amerikanische Wissenschaftstheoretikerin Sandra
In den Sozialwissenschaften gilt es deshalb mittler­ Harding fest, dass eine angemessene Analyse nicht
weile als „völlig trivial" (Bourdieu 2005 [franz. Orig. nur die Prozesse der persönlichen Identitätskonsti­
1998]: 43), dass die Geschlechtsidentität und deren tution (Mikroebene), sondern auch die strukturellen
1 Abb. 791 Ergebnisse soziale Konsequenzen als ein gesellschaftliches Phä­ Verhältnisse in den verschiedenen gesellschaftli­
gleichstellungsrelevanter nomen zu begreifen sind. chen Institutionen (Makroebene), die kulturellen
Volksabstimmungen;
Anteil Ja-Stimmen am
Die angemessene Behandlung des Merkmals Ge­ Symbole (Repräsentationsebene) sowie die wechsel­
Total der gültigen Stim­ schlecht für die Genese und Aufrechterhaltung so­ seitigen Beziehungen zwischen diesen Ebenen in
men nach Sprachregionen zialer Ungleichheit ist jedoch keineswegs trivial, einem bestimmten geographischen und historischen
und Siedlungstypen in der sondern stellt auch nach rund 50 Jahren Geschlech­ Kontext in den Blick nehmen müsse (Harding 1991
Schweiz. terforschung eine theoretische und methodische He- [engl. Orig. 1986], s.auch Winker& Degele 2009).
Das länderkundliche Format des vorliegenden Bei­
100 trags zu Geschlechterungleichheiten in der Schweiz
% legt es nahe, nachfolgend den Blick auf die Ebenen
der (geschlechter-)kulturellen Symbole (Werte, Leit­
80
bilder und Normen) sowie der gleichstellungsrele­
vanten institutionellen Strukturen in der Schweiz zu
60 richten. Dabei sollte jedoch nicht außer Acht gelassen
50 werden, dass es stets die handelnden Menschen sind,
40 die im Sinne eines doinggender(West&Zimmermann
1987) soziale Strukturen herstellen und kulturelle
Werte vertreten, reproduzieren oder ggf. unterminie­
20
ren und verändern. Werte, Leitbilder und Normen
zum Verhältnis der Geschlechter in der Schweiz wer­
den im nachfolgenden Abschnitt diskutiert. Anschlie­
ßend werden relevante Ungleichheitsstrukturen in der
Schweiz thematisiert und in einem internationalen
Frauenstimmrecht 1959 - Gleichstellungsartikel 1981- Mutterschaftsversicherung 1999 Vergleich beurteilt. Die Frage nach den Wechselwir­
Frauenstimmrecht 1971 - neues Eherecht 1985 - Mutterschaftsversicherung 2004 kungen zwischen den verschiedenen sozialen Ebenen
wird abschließend nochmals aufgegriffen.
Geschlechterungleichheiten in der Schweiz 115

IAbb. 801 „ Wenn sie 40


sind . . . "Aktion zur Gleich­
stellung im Kanton Base/­
Landschaft.

Gleichstellungsrelevante Volksabstimmungen sätzlich wandeln können - im vorliegenden Fall der


in der Schweiz als Ausdruck der Geschlechterkultur Schweiz in Richtung einer größeren Akzeptanz der
Die Schweiz kann insofern als „sozialwissenschaft­ Geschlechter-Gleichstellung. zweitens geht aus den
licher Glücksfall" (Hermann 1998) bezeichnet wer­ dargestellten Resultaten hervor, dass Innerhalb der
den, als dank der großen Häufigkeit eidgenössischer Schweiz deutliche regionale Unterschiede in den
Volksabstimmungen umfangreiche Datensätze zu dominierenden (geschlechter-)k� 1 turel len Werten
politisch-weltanschaulichen Äußerungen der Bevöl­ und Leitbildern bestehen. Sei es in Bezug auf die
kerung existieren, welche sonst in keinem anderen Gewährleistung gleicher formaler politischer Rech­
Land der Welt zu finden sind. Diese Datensätze er­ te, sei es in Bezug auf das Ziel einer tatsächlichen,
möglichen auf sehr kleinräumiger Maßstabsebene materiellen Gleichstellung der Geschlechter in Be­
statistisch repräsentative Analysen, auch wenn dabei ruf, Ausbildung und Familie oder sei es in Bezug
stets berücksichtigt werden muss, dass ein bedeu­ auf die soziale Absicherung des Verdienstausfalls
tender Anteil der Wohnbevölkerung- Personen ohne bei Mutterschaft: Stets ist im Abstimmungsverhal•
schweizerische Staatsbürgerschaft - von den Volks­ ten der Bevölkerung in den nichtdeutschsprachigen
abstimmungen ausgeschlossen ist, und die Beteili­ Landesteilen im Durchschnitt ein stärkerer Wille
gung der stimmberechtigten Personen an den Ab­ zum Abbau bestehender Geschlechterungleichhei­
stimmungen selten über der 50%-Marke liegt (Ins­ ten zu erkennen. Die größten Diskrepanzen zeigen
titut für Politikwissenschaft Universität Bern&Annee sich zwischen den ländlichen Siedlungstypen der
Politique Suisse 2009). Deutschschweiz und den städtischen Siedlungsty•
Die sechs gleichstellungsrelevanten Abstim­ pen der französischsprachigen Schweiz. Während
mungsvorlagen, deren Resultate in Abb. 79 darge­ in den städtischen Gebieten .der frnnzösischsprachi­
stellt sind, betreffen unterschiedliche Aspekte der gen Schweiz sämtliche sechs Vorlagen angenommen
Geschlechterkultur, und jede Abstimmungsvorlage wurden, lehnten die Stimmenden In den ländlichen
ist in einen bestimmten historischen, gesellschafts­ Gebieten der deutschsprachigen Schweiz sämtliche
politischen Kontext eingebettet (s. Aregger 1998; sechs Vorlagen ab.
Bühler 2001a, 2001b; Senti 1994). Aber auch Diese auch unter einer historischen Betrachtung
ohne Kenntnis der spezifischen Entstehungsum­ erstaunlich stabilen regionalen Differenzen korres­
stände der einzelnen Abstimmungen lassen sich aus pondieren bis zu einem gewissen Grad mit den po­
Abb. 79 interessante Schlussfolgerungen ziehen: litisch-weltanscl1aulichen Grundhaltungen entlang
Erstens zeigen die je zweimaligen Abstimmungen der Achsen links-rechts sowie konservativ-liberal
über dieselbe Vorlage (Frauenstimmrecht 1959 und (s. Kap . .,Geschichte und Politik/Die heutigen politi­
1971, Mutterschaftsversicherung 1993 und 2004), schen Landschaften der Schweiz"); sie gehen jedoch
dass sich (geschlechter-)kulturelle Werte und Leit­ nicht vollständig darin auf. Zwar Ist aus empirischen
bilder einer Gesellschaft im laufe der Zeit grund- Analysen bekannt, dass die (Stimm-)Bevölkerung
116

in der nichtdeutschsprachigen Schweiz im Durch­ Statistik 2009: 6). Wissenschaftliche Analysen be­
schnitt öfters eine linke Weltanschauung vertritt als legen, dass rund 60% dieser Lohnunterschiede auf
in der Deutschschweiz (Kriesi et al. 1996) und dass sog. .,erklärbare" Faktoren zurückgeführt werden
gleichstellungspolitische Abstimmungsvorlagen be­ können (z. 8. geringer Frauenanteil in Kaderstellen,
sonders gut mit linken und linksliberalen Positionen hoher Frauenanteil in Niedriglohnbranchen), und
harmonieren (Hermann & Leuthold 2003), aus einer die restlichen 40% als direkte Diskriminierung der
inhaltsanalytischen Auswertung der Berichterstattung weiblichen Erwerbstätigen interpretiert werden müs­
in Schweizer Tageszeitungen unterschiedlicher politi­ sen (Bundesamt für Statistik & Eidgenössisches Büro
scher Ausrichtung über gleichstellungspolitische Ab­ für die Gleichstellung von Frau und Mann 2008:
stimmungsvorlagen (Aregger 1998) geht jedoch klar 21) (s. Kap. .,Bevölkerung, Kultur und Gesellschaft/
hervor, dass selbst innerhalb derselben politischen Schweiz - Gesellschaft im Wandel"). Mit diesen
Grundhaltung Differenzen im gleichstellungspoliti­ Kennziffern klassiert sich die Schweiz im europäi­
schen Diskurs zwischen der Deutschschweiz und der schen Mittelfeld und weist ähnliche Werte auf wie
lateinischen Schweiz bestehen. So haben beispiels­ die west- und nordeuropäischen Staaten. Von den
weise selbst katholisch-konservative Zeitungen aus der direkten Nachbarländern der Schweiz stehen keine
französischsprachigen Schweiz von Anfang an die Ein­ vergleichbaren Daten zur Verfügung (Bundesamt für
führung des Frauenstimmrechts befürwortet, während Statistik 2008: 24-25).
selbst liberale Zeitungen aus der Deutschschweiz die­
sem Anliegen anfänglich kritisch gegenüberstanden. Erwerbsbeteiligung
Die Erwerbsquoten sowohl der Männer als auch der
Die strukturelle Ebene der Geschlechterungleich­ Frauen in der Schweiz gehören zu den höchsten in
heit - die Schweiz im internationalen Vergleich Europa (Bundesamt für Statistik 2009b: 9). Im Ge­
Die faktische Gleichstellung der Geschlechter in der gensatz zu den männlichen Erwerbstätigen, die zu
Schweiz konnte trotz umfassender Anstrengungen rund 90% Vollzeit erwerbstätig sind, ist die hohe Er­
der letzten Jahrzehnte auf allen Ebenen des föderati­ werbsquote bei den weiblichen Erwerbstätigen durch
ven Systems und in vielen privatwirtschaftlichen Ein­ einen sehr hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigten
richtungen nicht erreicht werden (Schweizerischer geprägt (57 % aller erwerbstätigen Frauen arbeiten
Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen nur Teilzeit). Innerhalb Europas wird dieser Umfang
Forschung SNF 2009). weiblicher Teilzeitarbeit nur noch von den Nieder­
Zwar wurden auf allen sozialen Ebenen unbestreit­ landen übertroffen (Bundesamt für Statistik 2009b:
bare Fortschritte in Richtung eines Abbaus bestehen­ 10). In anderen Ländern Europas dagegen, insbe­
der Privilegien des männlichen Geschlechts erzielt, sondere in Ländern des ehemaligen Ostblocks, spielt
doch ein grundsätzlicher Wandel der Geschlech­ die Teilzeitarbeit sowohl bei weiblichen als auch bei
terungleichheiten in der Schweiz steht noch aus männlichen Beschäftigten nur eine marginale Rolle
(Bühler & Heye 2005). Auch heute noch absolvieren (Bundesamt für Statistik 2008: 18-20).
Frauen in der Schweiz seltener als Männer eine hö­
here Berufsbildung, und geschlechtsstereotype Aus­ Haus- und Familienarbeit (unbezahlte Arbeit)
bildungsentschiede sind weiterhin weit verbreitet. In Mehr als 90% der Arbeitsstunden für nicht entlohn­
wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsgre­ te Tätigkeiten werden in der Schweiz für Haus- und
mien bilden Frauen bis heute eine Minderheit. Auch Familienarbeiten aufgewendet (Bühler 2003: 45).
in den Familien hat sich bei der Verteilung von Haus­ In der Schweiz, wie auch in allen anderen europäi­
arbeit und Betreuungsarbeit wenig geändert, und schen Ländern, investieren Frauen im Durchschnitt
häusliche Gewalt stellt nach wie vor ein Grundprob­ viel mehr Zeit in unentgeltliche Arbeitsformen, wäh­
lem in der Beziehung der Geschlechter dar (Abb. 80). rend Männer zeitlich stärker in der Erwerbsarbeit
Diese Feststellungen lassen sich auch durch zahl­ engagiert sind (Bundesamt für Statistik 2008:
reiche statistische Indikatoren belegen. Im Sinne 26-29). Selbst in Paarbeziehungen ohne Kinder
eines Monitoring veröffentlicht das Bundesamt für werden die unbezahlten Arbeiten nicht egalitär
Statistik seit 1993 in regelmäßigen Abständen ak­ zwischen den Geschlechtern aufgeteilt; die größ­
tualisierte Kennziffern zur Beurteilung von Stand ten Unterschiede bestehen jedoch in Haushalten
und Entwicklung der Gleichstellung in der Schweiz mit Kindern. Im Jahr 2007 arbeiteten Väter in der
und stellt diese zum Vergleich in den internationalen Schweiz im Durchschnitt 32 Stunden pro Woche für
Kontext (z.B. Bundesamt für Statistik 2003, 2008, Haushalt und Familie, Mütter dagegen 60 Stunden,
2009a, 2009c). Beispielhaft werden nachfolgend wenn Kinder unter 7 Jahren bei ihnen im gemein­
ausgewählte Indikatoren der Geschlechterverhältnis­ samen Haushalt lebten (Bundesamt für Statistik
se im Arbeitsleben diskutiert. 2009c: 8).

löhne aus Erwerbsarbeit Vereinbarkeit von Beruf und Familie


Erwerbstätige Frauen verdienen in der Schweiz Obwohl die Unterschiede zwischen den europäischen
seit Jahren - bezogen auf eine Vollzeitstelle - im Staaten teilweise beträchtlich sind, ist eine wirklich
Durchschnitt stets rund 25% weniger Lohn als ihre egalitäre Aufteilung der Erwerbsarbeit und der unbe­
männlichen Kollegen (Eidgenössisches Büro für die zahlten Haus- und Familienarbeit zwischen Frauen
Gleichstellung von Frau und Mann & Bundesamt für und Männern, die in einem gemeinsamen Haushalt
117

leben, überall die Ausnahme (Bundesamt für Statis-"'


tik 2009a: 18). Unter einem gleichstellungspoliti-�
sehen Gesichtspunkt ist diese geringere Erwerbsbe-�
teiligung von Frauen in der Schweiz und in vieleni 0as GE
anderen europäischen Ländern zwiespältig zu beur-i.
teilen. Einerseits eröffnet Teilzeitarbeit heute vielen �j
Müttern (und wenigen Vätern) eine Möglichkeit, Be-�j
ruf und Familie zu verbinden, andererseits wirkt sie:!'�
sich eindeutig negativ auf das Einkommen, die be-�i JU
ruflichen Aufstiegsmöglichkeiten und die Leistungen H Tl
der Sozialversicherungen aus. �� Median Gesc:hlechlerunBlcichheit (0,45)
Nicht nur in statistischen Kennziffern, auch in �.l: Ovs
Gesetzen und Institutionellen Regulierungen (z.B. i� NW
ZG

In Arbeitszeitregulierungen, Ausbildungsreglemen-i!
ten, betrieblichen Karrieremodellen) kommen gesell-U
schaftliche Ungleichheitsstrukturen zum Ausdruck, g !
Dominierende Werte, Normen und Leitbilder- u. a. !!
auch zu den wünschenswerten Beziehungen der�� 0,0 +--�---,-------.- ---.t - -------.- ---.----,,---,----,
- -----1
Gesclilechter - bilden dabei die Grundlage der Ge-�! 0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1,0
Index der Geschlechterkultur (6 gleichstellungsrelevante Volksabstimmungen)
staltungsprlnzipien gesetzlicher und Institutioneller.§�
Regulierungen, welche ihrerseits für individuelles
Handeln einen ermöglichenden oder begrenzenden (Bühler 2001a) wird zudem belegt, dass neben die­ IAbb.811 Index der
Rahmen darstellen (Winker&Degele 2009: 74). sen klaren sprachregionalen Diskrepanzen das eben­ Geschlechterkultur und
falls feststellbare Stadt-Land-Gefälle deutlich in den Index der Geschlechte r ­
Wechselwirkungen Hintergrund tritt. Selbst in ländlichen Gebieten der ungleichheit nach
Schweizer Kantonen.
Im Folgenden werden die Wechselwirkungen zwi­ französischsprachigen Schweiz werden gleichstel­
schen den o. g. Ebenen noch einmal aufgegriffen. l ungsfreund Iichere kulturelle Werte vertreten, und
In Abb. 81 werden die kulturelle und die strukturel­ es bestehen teilweise geringere Geschlechterun­
le Ebene von Geschlechterungleichheit für die 26 gleichheiten als in einigen städtischen Gebieten der
Schweizer Kantone graphisch miteinander in Bezie­ Deutschschweiz (s.auch Bühler 2001b).
hung gesetzt. Der Darstellung der kulturellen Ebene Die Soziologin Birgit Pfau-Effinger stellt mit ihrem
(Index der Geschlechterkultur) liegt eine Index-Be­ Geschlechter-Arrangement-Ansatz einen Erklärungs­
rechnung auf der Basis aller sechs in Abb. 79 vorge­ rahmen zur Verfügung, der es erlaubt, Unterschie­
stellten Abstimmungsergebnisse zugrunde (Berech­ de in der Gleichstellung der Geschlechter zwischen
nungsdetails in: Bühler 2001b). Für die Berechnung Staaten und Regionen vergleichend zu analysieren
des Index der Geschlechterungleichheit (strukturelle (Pfau-Effinger 2000). Darin werden insbesonde­
Ebene) wurden folgende fünf Kennziffern verwendet: re differierende kulturelle Werte und Leitbilder zur
Frauenanteile am Beschäftigungsvolumen 2001, Familie und zu den Geschlechterbeziehungen als
Frauenanteile in unternehmerischen Führungspositi­ ursächlich verantwortlich für raum-zeitliche Unter­
onen 2000, Frauenanteile in kantonalen Parlamen­ schiede von Geschlechterungleichheiten betrachtet.
ten 2004, Bildungsrückstand weiblicher Personen Die Art und Weise, in der die staatliche Politik diese
2000, Antei I traditioneller bürgerlicher Familien­ kulturellen Grundlagen aufgreift und umsetzt, vari­
modelle 2000 (für Details s.Bühler 2001a, 2001b, iert gemäß Pfau-Effinger noch einmal in charakte­
2005). ristischer Weise zwischen eher sozialdemokratisch,
Aus dieser Graphik geht deutlich hervor, dass zwi­ bürgerlich-! i beralen oder christlich-konservativen
schen der kulturellen Ebene (Abstimmungsindex) Staatsauffassungen (Pfau-Effinger 2001). Die relativ
und der strukturellen Ebene (Ungleichheitsindex) ein größeren Fortschritte in Richtung einer Gleichstel-
Zusammenhang besteht. So korreliert beispielsweise 1 ung der Geschlechter in den französischsprachigen
eine relativ hohe Geschlechterungleichheit mit einer Landesteilen der Schweiz können demnach sowohl
ausgesprochen gleichstellungskritischen Haltung der mit gleichstel Iungsfreu nd Iicheren Geschlechter­
Stimmbevölkerung. Diese Kombination ist für viele kulturen als auch mit einem eher sozialdemokra­
ländliche oder periurbane Kantone der Deutsch­ tisch, etatistisch geprägten Staatsverständnis (Her­
schweiz typisch. Am entgegensetzten Pol befinden mann & Leuthold 2003) in der Romandie begründet
sich die französischsprachigen Kantone, welche die werden. Fundierte Analysen des Ungleichheit ge­
vergleichsweise geringste Geschlechterungleichheit nerierenden Zusammenspiels dieser Ebenen in der
aufweisen, und deren Bevölkerung gleichzeitig auch sozialen Praxis individueller und kollektiver Akteure
am gleichstellungsfreundlichsten abgestimmt hat. in den Schweizer (Sprach-)Regionen stehen bislang
Im Frauen- und Gleichstellungsatlas der Schweiz jedoch noch aus.
Siedlung, Landschaft und Verkehr

1 Abb. 821 Autobahn­


ausfahrt Oensingen, Überblick
Klus bei Balsthal.
■ bisIn derinsheutigen Kulturlandschaft der Schweiz pausen sich noch immer Entwicklungen durch, die
Frühmittelalter zurückreichen. Im 19. und 20. Jh. waren dann Flusskorrekturen und groß­
flächige Trockenlegungen von Sümpfen und Mooren, der Bau der Eisenbahn und in der Folge die
Industrialisierung und Verstädterung Ursachen des Kulturlandschaftswandels - nach dem Zweiten
Weltkrieg waren es die starke Bevölkerungszunahme und der Wirtschaftsaufschwung.
■ Vor allem durch die frühe Elektrifizierung der Bahn ist der Stellenwert des öffentlichen Verkehrs in
der Schweiz hoch: Er deckt etwa ein Viertel der zurückgelegten Distanzen ab. Die zurückgelegten
Pendlerdistanzen nahmen in den letzten Jahrzehnten massiv zu, während sich das Verhältnis zwi­
schen privatem und öffentlichem Verkehr nur wenig veränderte.
■ Aufgrund ihrer zentralen geographischen Lage spielen der Transit- und Tourismusverkehr in der
Schweiz in Wirtschaft und Gesellschaft traditionell eine wichtige Rolle.
■ Im Spannungsfeld zwischen dem Volksauftrag zur Verlagerung des LKW-Transitverkehrs auf die
Schiene und dem Anspruch von EU und nationaler Lastwagenlobby auf frei zugängliche Verkehrs­
räume versucht die Schweiz, mit hohen Investitionen beidem gerecht zu werden.
■ Suburbanisierung und die Verstädterung des ländlichen Raumes haben gravierende Folgen, darunter
sinkende städtische Steuereinnahmen und stärkere Beanspruchung zentralörtlicher Dienstleistungen
aus dem Umland, rasanter Landschaftsverbrauch und nachhaltige Beeinträchtigung der Umwelt.
■ In der gängigen Planungspolitik sind beherzte Korrekturen vonnöten, die seit 2001 mit einer neuen
Agglomerationspolitik angegangen werden.
119

Siedlungsentwicklung und Kulturlandschaftswandel ■ Hans-Rudolf Egli

Persistenz und Wandel in 31 f.). Dies kann dazu führen, dass über lange Zeit
der Landschaftsentwicklung gewachsene Strukturen derart erstarren, dass sie auf­
Siedlung und Landschaft prägen die innere und äu­ gebrochen oder sogar zerstört werden müssen, um
ßere Wahrnehmung eines Landes in starkem Maße. neuen Bedürfnissen angepasst zu werden.
Die heutigen Landschaftsstrukturen sind einerseits Siedlungen und Landschaft werden im allgemeinen
das Ergebnis eines jahrhundertelangen Prozesses, Spracl1gebrauch und vielfach auch in der Raumpla­
andererseits die räumlichen Voraussetzungen für die nung als sich ergänzende Raumkategorien bezeichnet.
zukünftige Entwicklung. Die Landschaft umfasst jedoch den gesamten Raum
Eine charakteristische Eigenschaft der Siedlungen innerhalb und außerhalb der Siedlungen (Bundesamt
und Fluren ist ihre hohe Persistenz. Kulturlandschafts­ für Umwelt, Wald und Landschaft 2003: 18). Als
elemente sind durch Investitionen - früher v. a. in Landschaft werden die sinnlich wahrgenommene Aus­
Form von Arbeit, in jüngerer Zeit meistens auch mo­ stattung eines Landschaftsraums und deren Beschaf­
netär - geschaffen worden. Je größer die Investitionen fenheit verstanden (Wagner 1999: 230). Sie müssen
in Fluren, Siedlungen oder Verkehrswege waren, desto eine minimale Größe umfassen, um als Landschaft
größer ist in der Regel der Widerstand, diese Elemen­ erkannt zu werden. Eine einzelne Flur oder ein terras­
te aufzugeben oder zu verändern, auch wenn sich die sierter Hang sind lediglich Landschaftselemente. Mit
wirtschaftlichen, gesellschaftlichen oder politischen der Beschaffenheit der Elemente sind funktionale,
Rahmenbedingungen verändert haben und die Nut­ emotionale oder historisch-genetische Eigenschaften
zung nicht mehr optimal ist. Dies führt zur Pfadab­ erfasst. Die einzigartigen und einmaligen Landschaf­
hängigkeit von Entwicklungen, indem Weichenstel­ ten können aufgrund der landschaftsprägenden Merk­ 1 Abb. 83 IDie Landschafts­
lungen die Entwicklung eines Landschaftselementes male zu Landschaftstypen zusammengefasst werden. typen der Schweiz. (A)
über längere Zeit auf einem bestimmten Pfad halten. Für die Schweiz können zusammenfassend „naturna­ Naturnahe Landschaft
Ma/ojapass, Ma/oja, Sils
Je mehr Kapital oder Know-how in eine Institution he Landschaften", .,traditionelle Agrarlandschaften", (8) Traditionelle Agrarland­
oder in eine Technologie investiert wurde, desto grö­ .,moderne Agrarlandschaften", .,Freizeit- und Touris­ schaft im Jura (C) Touris­
ßer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der dadurch ein­ muslandschaften" sowie „Stadtlandschaften" unter­ muslandschaft Zermatt (0)
geschlagene Pfad weitergegangen wird (Flury 2009: schieden werden (Abb. 83). Stadtlandschaft Basel.
120

Unterschiede des Landschaftsbildes wird durch die regionalen und überregionalen Wirt­
Das Image der Schweiz ist auch heute noch sehr schaftsräume überlagert, die durch Agglomerationen,
stark mit der Landschaft verbunden. Ein charak­ Tourismuszentren, Verkehrsachsen und große lnfra­
teristisches Merkmal der Schweiz ist die Vielfalt strukturanlagen geprägt sind. Dies führt zu zahlrei­
auf kleinem Raum. Allein die vertikale Gliederung chen räumlichen Nutzungskonflikten, die oft zuguns­
zwischen 193m ü.M. im Tessin und 4634 m ü.M. ten der wirtschaftlichen Entwicklung entschieden
(Dufourspitze) auf nur 70 km Distanz hat stark dif­ werden.
ferenzierte Relief-, Klima- und Vegetationsbedingun­
gen zur Folge, die sich auf die landwirtschaftliche Besied/ungsvorgang
Nutzung und Siedlungsentwicklung auswirken. Auch Die Mehrzahl der heutigen Siedlungen im ländlichen
die überlagernden kulturellen, politischen und so­ Raum geht auf die frühmittelalterliche Landnahme­
zialen Entwicklungen verstärken die kleinräumige periode oder auf die früh- und hochmittelalterliche
Vielfalt in starkem Maße. Die ausgeprägte Gemein­ Ausbauphase zurück. Die Ortsnamen weisen auf
deautonomie, die direktdemokratischen Traditionen die Entwicklung von der vielsprachigen Schweiz im
sowie der ausgeprägte Föderalismus verstärken das 1. Jahrtausend v. Chr. zur viersprachigen Schweiz
Beharrungsvermögen der kleinräumigen Strukturen in der Neuzeit hin, wobei die Ortsnamen älter oder
zusätzlich. jünger sein können als die zugehörige Siedlung. Die
Ein besonderes Merkmal des ländlichen Raums der Ortsnamen mit Endungen auf .. -ingen" gehen auf die
Schweiz ist die hohe Nutzungsintensität. Da nur ein alemannische Überlagerung seit dem 5. Jh. n. Chr.
Viertel der Landesfläche landwirtschaftlich genutzt zurück (Abb. 84).
werden kann, ist die Bearbeitung sehr intensiv. Die Siedlungstypen und einzelne Siedlungen entwi­
Bauern bewirtschaften das Land bis an die Parzel­ ckelten sich seit ihrer Gründung ganz unterschied­
lengrenze, vielerorts bis an den Straßenrand. Die lich. Mit den zahlreichen Rodungsflurnamen ist die
ökologisch wichtigen Übergangs- und Pufferzonen flächenhafte Ausdehnung des Siedlungsraums in das
sind weitgehend verschwunden. In den letzten Jahr­ höhere Mittelland, in den Jura und den Alpenraum
zehnten wurden allerdings durch finanzielle Anreize markiert - Gebiete, die vorher nur entlang der Haupt­
wiederum ökologische Ausgleichsflächen geschaffen, täler linear besiedelt waren. Dieser Rodungsprozess
aber auch diese müssen aus rechtlichen Gründen veränderte die Landschaft tief greifend.
parzellenscharf deklariert werden. Dem lntensivie­ Um 1200 machte der Wald im schweizerischen
rungsprozess im landwirtschaftlichen Kerngebiet der Mittelland noch etwa 40% der Fläche aus, was be­
tieferen Lagen steht ein Extensivierungsprozess v. a. deutet, dass damals schon mehr als die Hälfte des
im Hügel- und Berggebiet gegenüber. Dadurch wer­ ehemals weitgehend bewaldeten Gebietes gerodet
den die Unterschiede des Landschaftsbildes immer und der landwirtschaftlichen Nutzung zugeführt wor­
größer. Das kleinräumige Mosaik der Landnutzung den war (von Fellenberg 1981 :88). Die in weiten

{t$J� �..
1 Abb. 841 Ortsnamen als
Indikatoren der Besied­
lungsphasen. €)..A••I 1•• •:\• ...
__.
.. • • •• - .......� -� ••• ,,. 1

. ·1c· .. .....•. ,... ..... . .


•�··· .. i",.... .. .
..
: , • . .... •f!'l •.;."- .
• 1. ... • •• r• •


-1..:;. -� ., .J
•• ' • ' :-:1 ·�·�"
•• •• • ••
•• ••':" \::. rr w,.

..... .:-, ... ..... . ··'· ...


•.
0.,. .. ... •• .,

• , .. . ,-·:'\6·-�. ·\ .:'. .. '


.
.ß._ .
.... �

�--
. ... . ,-. 1111 : • • .. •
• •• ·-·� ..1 • •• ..

,-\••(
·.
.. ,. .. ,., -�
... .,•: .."\-;.,� � - •• 1 . .
• •• ..... ••

·, ..�.,-
"l • • '·

. �· . . ·�
... .
<"

.
.,

... .... ...


.
;· •

. ,.
. . ..-i.·_,• ·, ·�\.. . . .�:..
. , . •:·�·�··· :-. , . .... . ..� ·t
..
♦_
.
..
,/- •••

..
• • • .t • •.'( tl
::;::.
.:••· . , ,
..

0 25 50 km

Siedlungsentwicklung und Kulturlandschafl.sWäliUl


i(OO 121
Seil ffhause� c!:,...._
$ Steikhorn ••u
• Städte um 1160 Neunklfo�
,..,.•
t •Dl n·.'
11<>'feri Sle,n Gotlliebeii"onstanz
C:... �'.h�imnr . ,
• Städte um 1300 • • •Eglisau rauenfoltl fJütglen
• Ktingnau Kitl\e�hJltl • A.1bon-a)
Rheinfelden 1
• abgegangene Städte Brugg R e� sberg
•'llh1etl1Jt
:111 98,w:hul.rnll
\_
• KyblUR -�
slein
BIIJl!J�toul
•e�n o , Rhelhi!'t
• Gl•rt< nbe'll Tanne�• S011warzenb.,Ql • ,
w,w r1t1IIfll Adliltl • • �lellrrit;en• St.Gailene J
.
• .,, . • tonzbu,g O Zür1ctf • Greltonsee ,) • lctiten,1e Ig /\lt;Uitten
l Bercher 011 ,
• A;uttura B,amg� , n .c,ou11111�
2 Lucens
3 Beimont Wiedl,swr.h r"d•� •1ohn�en 1a>(lh11,111duq r
4 St-Martin ! �ppe sw��
Solothurn \
5 Surpierre An, uo • \llran r, Su, •
Rli;twn5i4ree • f'· Andrea2 znach Werdenberg
M�1eJll,e,g • ?ug
81cl
I •
Bllr,n K� 1 chilerll
Mullwll
• • 5 ,,,.! h
'
o[,chau�:..:h • Weesen

Walenstadt •

Nl<ilU IYlll 1 "8U ,,.c •Rolhenpurg


• Aarberg •Burgdorf Wolhusen• • Meggenhorn
Luzern •
e,:n1p5rten
•f¾ilfll

Hanz

• •
Unterseen
Sp1ez

N�edergestein

Locarno
As,t.l)IY e e

Teilen Europas nachgewiesenen spätmittelalterlichen sehr stark (Bickel 2010). Das hochmittelalterliche 1 Abb. 85 I
Stadtgründun­
Ortswüstungen konnten in den wenigen untersuchten Städtenetz prägt auch heute noch die Siedlungs­ gen im 13.Jh. im Gebiet
Regionen der Schweiz ebenfalls festgestellt werden struktur der Schweiz, insbesondere weil die Städte der heutigen Schweiz.
(Kantone Schaffhausen, Zürich, Teile Berns), wobei seit dem 18. Jh. Kreuzungspunkte der Landstraßen,
häufig Einzelhöfe und Weiler aufgelassen wurden, im 19.Jh. der Eisenbahnlinien und im 20.Jh. der
und die Bewohner in die Dörfer umzogen. Die Fluren Autobahnen wurden. Erst mit der Entwicklung der
wurden weiter bewirtschaftet, sodass sich die Sied­ Agglomerationen nach dem zweiten Weltkrieg bil­
lungen viel stärker veränderten als das Landschafts­ deten sich mit den Metropolitanräumen eigentliche
bild. Stadtlandschaften.

Städtegründungen Prägung der Siedlungs- und


Die Siedlungsstruktur veränderte sich im Zuge der Flurformen durch Agrarsysteme
hochmittelalterlichen Städtegründungsphase grund­ Die Landschaft ist in starkem Maße von der land­
legend. Die Zahl der Städte stieg im Gebiet der heu­ wirtschaftlichen Nutzung geprägt. Die unterschied-
tigen Schweiz von etwa 35 um das Jahr 1200 auf 1 ichen Agrarsysteme haben zu ganz verschiedenen
das Fünffache um 1300 (Abb. 85). Es handelte sich Landschaftsformen und Landschaftselementen ge­
allerdings meist um Klein- oder sogar Zwergstädte. führt, sodass in der heutigen Kulturlandschaft ältere
Ursprünglich war es v. a. der wirtschaftliche Auf­ Agrarsysteme noch deutlich abzulesen sind, mit Aus­
schwung, der zu Stadtgründungen führte, im 13.Jh. nahme der durch Güterzusammenlegungen und Ge­
dann aber in erster Linie der Konkurrenzkampf zwi­ samtmeliorationen grundlegend überprägten Fluren.
schen Herrschaftsträgern, was besonders im zent­ Die verschiedenen Siedlungstypen und Flurformen
ralen westlichen Mittelland zu einer „überfüllten konnten sich jedoch nicht alle gleich gut an neue
Städtelandschaft" führte (Flückiger 1984: 275). Nutzungsbedürfnisse anpassen und weisen auch
Dies hatte zur Folge, dass rund die Hälfte der Städ­ heute unterschiedliche Entwicklungspotenziale auf.
te nicht überlebensfähig war. Die Verdrängung von Mit dem Betriebssystem eng verbunden waren die
Fürstentum und Adel durch die Eidgenossen hemm­ gesellschaftliche Organisationsform und die rechtli­
te die Stadtentwicklung v. a. in den Landkantonen chen Verhältnisse, insbesondere das Erbrecht.
122

1 Abb. 86 I
Gemengeflur
bei Kriechenwil, Blick
Richtung Avenches.

- -
--
kleinflächige Blockfluren mit große städtische
geschlossenen Dörfern Siedlungsassoziation im Jura Siedlungsgebiete

nordalpine Streusiedlungen Waldhufenfluren im Jura unproduktive Gebiete


1 Abb. 871 Die Siedlungs­ großflächige Blockfluren mit
Einzelhöfen, Weilern und Dörfern Weinbaugebiete mit geschlossenen Dörfern
und Flurformen als land­
schaftsprägende Merkmale Dreizelgen- und Gewannfluren mit größere Gebiete mit Güterzusammenlegungen
des ländlichen Raums der Weilern und Dörfern (vorwiegend ehemalige Gewannfluren)
Schweiz.
Eine erste grundlegende Unterscheidung ist zwi­
schen den Einzelhöfen mit arrondierten Wirtschafts­
flächen (Streifen- und Hufenflur, z. T. auf gerodeten
Flächen) und den Gemengefluren (Abb. 86) zu ma­
chen. Bei Letzteren verfügt jeder Bauer über meh­
rere Parzellen, in gewissen Fällen einige hundert,
die im Gemenge mit den Parzellen der anderen
Bauern liegen. Damit eng verbunden ist die Sied­
lungsform, die mehr oder weniger regelmäßig sein
kann. Die Gebäude stehen mit unterschiedlichem
Abstand zueinander - als zusammengebaute Häu­
serreihen in den Weinbaudörfern oder als lockere 1

Gruppensiedlung in vielen Bauerndörfern. Auch aus _g
der Siedlungsform und Siedlungsdichte ergeben
sich unterschiedliche bauliche Entwicklungs- und
Veränderungsmöglichkeiten. In Abb. 87 sind die
heute noch erkennbaren Siedlungs- und Flurformen
generalisiert dargestellt. In den einzelnen Teilräu- i-��:..:....:2:..:..:l...%.�:..,_j
men sind die landschaftsprägenden Typen gezeigt.
Eingestreut entwickelten sich fast überall vereinzelt Seitentälern sind die Fluren weitgehend aufgelassen 1 Abb. 881 Kleinflächige
auch andere Formen, die vielfach aber nicht land­ und die Siedlungen sind, soweit sie nicht auch wüst­ Blockfluren im Oberwallis.
schaftsprägend waren. gefallen sind, von Wald umgeben.
Die ursprünglich übliche Sei bstversorgungswirt­
schaft mit Ackerbau und Viehwirtschaft, vielerorts Nordalpine Streusiedlungen
ergänzt mit Obst-, Gemüse- und Weinbau, wurde seit Im nördlichen Alpenraum war das Agrarsystem im
der frühen Neuzeit in einzelnen Regionen durch eine Mittelalter mit Ackerbau und Viehwirtschaft ebenso
Spezialisierung abgelöst, die die Fluren und Sied­ auf Selbstversorgung ausgerichtet wie im inner- und
lungen grundlegend veränderte. Im 18.Jh. wurde in südalpinen Gebiet. Die städtischen Märkte im Mit­
der ersten Agrarmodernisierungsphase der Ackerbau telland bildeten zunehmend Absatzmöglichkeiten für
mit dem Anbau neuer Pflanzen und dem Einsatz von Vieh- und Milchwirtschaftsprodukte wie Butter und
Jauche und Mist stark verändert und intensiviert. Käse und sicherten gleichzeitig die Versorgung mit
Im 19.Jh. wurde im Mittelland die Käseproduktion Brotgetreide, sodass sich das Nordalpengebiet vom
eingeführt. Mit der Entwicklung von Geräten und Genfersee bis ins St. Galler Voralpengebiet ab dem
Maschinen wurde die Bewirtschaftung nochmals 14. Jh. auf die Viehwirtschaft spezialisieren konnte.
grundlegend intensiviert (mechanische Agrarmoder­ Die relativ hohen Niederschläge begünstigten die
nisierung). Im 20. Jh. hatte die Motorisierung und Gras- und Weidewirtschaft und führten zu Wohlstand,
Chemisierung einen weiteren lntensivierungsschub was noch heute - etwa an den prächtigen Bauern­
zur Folge. häusern des Simmentals - abzulesen ist.
Die zweckmäßige Siedlungsform waren Einzel­
Kleinflächige Blockfluren höfe, zudem wurde auf jeder größeren Parzelle ein
Kleinflächige Blockfluren waren früh in den inner­ Heustall errichtet, sodass die für diese Zone charak­
und südalpinen Gebieten verbreitet und durch die teristischen Streusiedlungen entstanden. Das Vieh
Mehrzweckwirtschaft mit Getreidebau, Viehwirtschaft ging zum Futter, entweder zum Weidegang auf der
und bewässerten Wiesen geprägt, im Wallis und Tes­ Sömmerungsalp und im Früh- und Spätsommer auf
sin vielfach ergänzt mit Rebbau (Abb. 88). Die kol­ die Vorsass-Stufe (Maiensäss) oder im Winter zum
lektive Alpwirtschaft und das Bewässerungssystem Heu, das in den verschiedenen Stallscheunen gela­
mit bis zu 32 km langen Wasserleitungen (Bisse de gert war. Die Realteilung wurde durch das Anerben­
Saxon) setzten eine eng verbundene, lokale Gesell­ recht abgelöst, das dazu führte, dass die einzelnen
schaftsform (Korporationen, Genossenschaften) vor­ Betriebe und Parzellen beim Erbgang nicht aufge­
aus, die Erneuerungen sehr erschwerte. Die extreme teilt wurden. Während die Bauern im Tal und auf
Parzellierung als Folge der Realteilung bei Erbgängen der Vorsass-Stufe bis heute weitgehend individuell
machte Anpassungen des Agrarsystems weitgehend wirtschaften können, schlossen sie sich schon im
unmöglich. Die vorwiegend an Hängen liegenden Flu­ Mittelalter für die Alpbewirtschaftung zusammen -
ren wurden terrassiert und sind deshalb noch heute einerseits, damit sie das Vieh gemeinsam hüten
als ehemalige Ackerfluren zu erkennen. Die Kleinst­ konnten, andererseits, weil später für die Hartkä­
parzellen ließen eine maschinelle Bewirtschaftung seproduktion große Milchmengen nötig waren, über
kaum zu; die extreme Zersplitterung des Besitzes die ein einzelner Bauer nicht verfügte. Die Dörfer in
verhinderte in den meisten Fällen auch eine Güter­ diesem Gebiet entwickelten sich vorwiegend im Zu­
zusammenlegung, sodass diese Fluren nach dem sammenhang mit dem Verkehr über die Alpenpässe,
Zweiten Weltkrieg weitgehend aufgelassen wurden mit den Viehmärkten und dem ländlichen Gewerbe,
und vielerorts verbuschen, sofern sie nicht extensiv an den Seeufern mit dem Schiffsverkehr und mit
als Weideland genutzt werden. Auch in den Tessiner der Fischerei. Im 19.Jh. entstanden dann auch Ver-
waltungs- und Dienstleistungsdörfer sowie Zentren worden und der Wald hat dort seit 1870 um 65 %
der Heimindustrie, und im östlichen Teil der nordal­ zugenommen. Heute sind in diesem Gebiet 59 % der
pinen Zone auch eigentliche Fabrikindustriedörfer Gesamtfläche bewaldet (Essig et al. 2008: 74). Da­
(Abb.89). mit ist die landschaftliche Vielfalt stark gefährdet,
Die nordalpine Streusiedlung war im Vergleich zur was aus ökologischen Gründen und wegen der Nah­
inneralpinen Siedlungsstruktur sehr anpassungsfähig erholungsfunktion für die nahen Agglomerationen
an neue landwirtschaftliche Bedürfnisse, und der ungünstig ist.
einzelne Bauer konnte seinen Betrieb weitgehend 1 n den größeren T älern entwickelten sich auf den
unabhängig von der Dorfgemeinschaft weiterentwi­ hochwassergeschützten Terrassen Siedlungen als
ckeln. Auch der im 19.Jh. aufkommende Tourismus zentrale Orte, v. a. als Marktorte. Die Ackerfluren
fand in den Dörfern günstige Voraussetzungen, weil wurden seit dem Mittelalter im D reizelgensystem
diese relativ locker gebaut waren und die Landwirt­ angebaut, das jedoch seit Jahrzehnten durch die in­
schaftbetriebe über die ganze Talzone verstreut la­ dividuelle Bewirtschaftungsform abgelöst ist. Diese
gen. Entscheidend war auch, dass dieses Gebiet vom weitgehend ebenen Landwirtschaftsflächen stehen
Mittelland her schon früh verhältnismäßig gut und unter dem Druck neuer Siedlungszonen und Ver­
bequem mit Kutschen und Schiffen zu erreichen war kehrsflächen.
und schon kurz nach 1850 erste Eisenbahnlinien er­
öffnet wurden (Egli 2000: 13 ff.). Dreifelderwirtschaft und Gewannfluren im Mitte/land
Die Gewannfluren stellen mit den geschlossenen,
Einzelhöfe und großflächige Blockfluren ursprünglich mit einer Hecke oder einem Zaun um­
im Höheren Mitte/land gebenen Haufendörfern die interessantesten und am
Das erst im späten Frühmittelalter und im Hoch­ meisten beschriebenen Flur- und Siedlungsformen
mittelalter besiedelte hügelige Gebiet des höheren der Schweiz dar. Sie entwickelten sich aus der be­
Mittellandes ist von Einzelhöfen und Weilern ge­ reits im Frühmittelalter angelegten Zwei- oder Drei­
prägt. Die Wirtschaftsflächen der Betriebe sind ent­ felderwirtschaft im Hochmittelalter zu einem Drei­
weder arrondiert oder auf wenige großflächige und zelgensystem. Da die meisten Bauern in allen drei
unregelmäßige Blockparzellen verteilt. Die Wälder Ackerzelgen mehrere Parzellen besaßen, spricht man
sind ebenfalls in kleine Areale aufgelöst, sodass von einer Gemengelage. Durch die Realteilung wur­
das Siedlungs- und Landschaftsbild zusammen mit den die einzelnen Parzellen mit der Zeit so klein,
dem kleinräumigen Relief sehr abwechslungsreich dass sie nicht mehr einzeln durch Wege erschlos­
ist. Die Bewirtschaftungsverhältnisse sind schwierig, sen werden konnten. Flurzwang mit abgesprochenen
der Tourismus spielt als Ergänzung nur eine geringe Aussaat- und Ernteterminen waren unabdingbar. Die
Rolle. In den schlecht erschlossenen Gebieten wie Folge war ein außerordentlich enges Wirtschafts- und
beispielsweise im Napfgebiet sind in den letzten Gesellschaftsleben innerhalb der einzelnen Siedlung,
Jahrzehnten schon sehr viele Betriebe aufgegeben zusätzlich verstärkt durch die gemeinsame Allmend-

1 Abb. 891 Industriedorf


Haslen, Glarus.
nutzung als weiteres Merkmal der Gewannflur (Egli mit Getreidebau und Viehwirtschaft, in den Einzel­ 1 Abb.901 Einzelhof­
1988). Dieses Agrarsystem hatte eine außerordentli­ hofgebieten vorwiegend Viehwirtschaftsbetriebe, die siedlung beim Vallee de
che Erstarrung zur Folge, die im 19. oder sogar erst seit dem 18.Jh. von eingewanderten Täuferfamilien la Brevine, Neuchatei.
im 20. Jh. nur durch einen vollständigen Aufbruch bewirtschaftet werden. Die Alpwirtschaftsbetriebe
gelöst werden konnte. Die Allmenden wurden aufge­ gehören nicht zu den Talsiedlungen wie im Alpen­
teilt, die Parzellen zusammengelegt und mit Wegen raum, sondern sind Sömmerungsweiden von Ein­
erschlossen, sodass der einschränkende Flurzwang zelpersonen oder Gemeinden aus dem Mittelland.
aufgehoben und die Dörfer über die alten Gemar­ Die Namen der Sennereibetriebe (metairies) weisen
kungsgrenzen hinaus erweitert werden konnten. Alle noch heute auf die bis in das 13. Jh. zurück rei­
ehemaligen Gewannfluren wurden seit dem 19. Jh. chenden Besitzverhältnisse hin: Metairie du Milieu
teils mehrmals vollständig umgestaltet, insbesonde­ de Bienne (Stadt Biel), Metairie de Graffenried (Pa­
re durch Güterzusammenlegungen, den Bau neuer trizierfamilie aus Bern).
Wege und die Sanierung oder den Neubau landwirt­ Die Höhenlage, die steilen Hänge und das raue
schaftlicher Siedlungen. Das Landschaftsbild hat Klima des Jura sind für die Landwirtschaft un­
sich in den ehemaligen Gewannflurgebieten tief grei­ günstige Voraussetzungen. Die Einführung der Uh­
fend gewandelt: heute sind dies die modernen Agrar­ renindustrie seit etwa 1700 von Genf aus und seit
landschaften. 1750 von Le Locle und La Chaux-de-Fonds (s. Kap.
,,Strukturwandel im ländlichen Raum und in den Al­
Die Agrarlandschaft im Jura pen/Räumliche Disparitäten") als zweitem Innova­
Im Faltenjura kommt eine spezielle Siedlungsas­ tionszentrum war eine willkommene Ergänzung zur
soziation mit Gewanndörfern im Tal, Einzelhöfen kargen Landwirtschaft. Für die leichten und hoch­
auf einer Zwischenstufe auf rund 1000 m ü. M. wertigen Uhren spielten die ungünstigen Verkehrs­
und Sömmerungsweiden mit Alpwirtschaftsgebäu­ verhältnisse lange Zeit eine untergeordnete Rolle.
den auf über 1100 m ü. M. hinzu. Diese drei Sied- Die Uhrenindustrie und später auch die Maschinen­
1 u ngstypen gehören wirtschaftlich nicht zusam­ industrie, die die Präzisionswerkzeuge für die Uh­
men. In den Dörfern und in den Einzelhofgebieten renherstellung entwickelte, spielten für die Bauern
(Abb. 90) bestehen selbstständige Landwirtschafts­ im Jura eine ähnliche Rolle wie der Tourismus im
betriebe. In den Tälern sind es Mehrzweckbetriebe Alpenraum.
126

Die Terrassenlandschaften der Weinbaugebiete re 1911 (Brugger 1978: 103). Die Versorgungskrise
Die Weinberge, vorwiegend an den sonnenexponier­ während des Ersten Weltkrieges und die Wirtschafts­
ten Hängen der Mittellandseen, im Wallis und im krise in den 1920er-Jahren hatten indirekt zur Folge,
Tessin sind Sonderformen der kleinflächigen Block­ dass zwischen 1936 und 1945 das Schweizerische
fluren. Die Parzellen sind sehr klein und die Dörfer Anbauwerk realisiert wurde, mit dem die Ackerflä­
dicht bebaut. Die hohe Wertschöpfung pro Flächen­ che von 183 000 ha auf 367 000 ha erhöht wurde.
einheit ermöglichte es, den sehr aufwändigen Wein­ Die Ausnutzung der letzten Reserven (z.B. Kartoffel­
bau bis heute zu erhalten, sofern die Weinberge nicht anbau auf dem Bundesplatz im Zentrum von Bern)
als Wohngebiete umgenutzt wurden. Wo die Rebflu­ unter Einbezug der Industrie und rund 500000 zivi­
ren und die Winzerdörfer noch erhalten sind, gehören ler Arbeitskräfte (Frauen, Studierende, Jugendliche
sie zu den schönsten und eindrücklichsten Kultur­ u. a.) ermöglichten, dass in der Schweiz als einzigem
landschaften der Schweiz. Ohne besonderen Schutz Land des Kontinents Kartoffeln und Gemüse nie ra­
sind sie allerdings durch den Siedlungsdruck stark tioniert werden mussten. langfristig noch wichtiger
gefährdet, insbesondere weil nicht nur der Weinbau war, dass der schweizerische Bauernstand wieder
sehr arbeitsintensiv ist, sondern auch, weil die Erhal­ Selbstvertrauen und Selbstsicherheit erlangte, und
tung der Terrassen und Rebmauern außerordentlich das Verständnis der nichtlandwirtschaftlichen Bevöl­
aufwendig ist (Lingeri et al. 2007). kerung für die Bauern für Jahrzehnte gesichert war
Auch im nordöstlichen Tafeljura sind in den Tälern (s. Kap. .,Strukturwandel im ländlichen Raum und in
geschlossene Dörfer mit Gewannfluren und auf den den Alpen/Struktur der Landwirtschaft und Wandel
Plateaus Einzelhöfe, teilweise auch Weiler, zu finden. der Agrarpolitik").
Die Alpzone fehlt in diesem Gebiet. Durch die gute
Erreichbarkeit und die Nähe zu den Agglomerationen Schlussfolgerungen
nördlich und südlich des Mittellandes stehen die Tal­ Die Kulturlandschaften werden laufend den neuen
dörfer unter starkem Siedlungsdruck. Bedürfnissen der siedelnden und wirtschaftenden
Im westlichen Jura wurden im Spätmittelalter Menschen angepasst. 1 ntensive Transformations­
planmäßig Waldhufenfluren mit Reihen- und Ket­ phasen, die lokal oder regional Nutzungsinten­
tendörfern angelegt, die durch die lineare Anord­ sivierungen oder -extensivierungen zur Folge ha­
nung der Häuser entlang der Hauptstraßen und die ben, wechseln mit Phasen relativer Konstanz oder
zahlreichen Hecken und Steinmauern zwischen den Kontinuität ab. Die früh- und hochmittelalterliche
langen Besitzparzellen noch heute auffallen. Es Rodungsphase, die Städtegründungsperiode des
handelt sich um die einzigen älteren Planfluren der 13. Jh., die Folgen der landwirtschaftlichen Spezi­
Schweiz. alisierungen in der frühen Neuzeit und die Agrar­
modernisierungen im 19. und 20. Jh., die großen
Der Umbau des Mittellandes im 19. und 20.Jh. Trockenlegungen von Sümpfen, die Industrialisie­
Mit dem Bau des dichten Eisenbahnnetzes ab 1847 rungs- und die Verstädterungsphase der Gründerzeit
wurden im Landesinnern die Voraussetzungen zur im Zusammenhang mit der Eisenbahnentwicklung
Industrialisierung und Verstädterung sowie zur wirt­ und schließlich die Suburbanisierung und inten­
schaftlichen Vernetzung mit Europa geschaffen. Das sive Verkehrserschließung als Folge und Ursache
schweizerische Mittelland entwickelte sich in der der enormen Mobilitätszunahme hatten stets Um­
Folge wesentlich stärker als der Alpenraum, und die brüche der Kulturlandschaften zur Folge. Die Men­
Landschaft und die Siedlungen gerieten durch den schen setzten wohl zu jeder Zeit alle verfügbaren
Bau der Eisenbahnlinien und deren Folgen unter technischen Möglichkeiten und Instrumente ein.
starken Druck. Ab 1863 wurden die großen Talebe­ Die heute geforderte nachhaltige Entwicklung war
nen und Flachmoore systematisch trockengelegt. wahrscheinlich schon in den früheren Umbruchpha­
Voraussetzung für die Realisierung der großen Tro­ sen nur partiell und räumlich sehr unterschiedlich
ckenlegungen von Sümpfen, die in der Regel mehre­ umgesetzt worden.
re Kantone betrafen, war der Artikel 21 in der ersten In jüngster Zeit ist die Gefahr irreversibler Zerstö­
Bundesverfassung von 1848, der der Eidgenossen­ rungen gewachsener Kulturlandschaften aufgrund
schaft die Möglichkeit gab, sog. .,Öffentliche Werke" der technischen Mittel zwar größer als in früheren
zu errichten oder finanziell zu unterstützen. In der Jahrhunderten, aber nicht neu. Kulturlandschaften
Folge wurden die Rheinebene Landquart-Bodensee, und Siedlungsstrukturen sollten in Zukunft nicht nur
die Rhöneebene zwischen Brig und Genfersee, die der wirtschaftlichen lnwertsetzung, sondern auch der
Aareebenen östlich des Brienzersees und zwischen gesellschaftlichen und ökologischen Wertvermehrung
Thun und Bern, das Große Moos im Seeland zwi­ dienen, unter gleichzeitiger Berücksichtigung der
schen Bieler-, Neuenburger- und Murtensee, die Landschaftsästhetik und der Pflege der Landschafts­
Limmatebene sowie die Broye- und Orbeebene tro­ elemente als kulturelle Werte (s. Kap. .,Strukturwan­
ckengelegt (Egli 1986). del im ländlichen Raum und in den Alpen/Die Entde­
Die Eröffnung der Eisenbahnlinien hatte zur Folge, ckung der Landschaft als öffentliche Aufgabe"). Of­
dass große Mengen billigen Getreides aus dem Aus­ fen bleibt die Frage, ob der Rückzug aus der Fläche
land importiert werden konnten. Der schweizerische und damit die großflächigen Extensivierungsprozesse
Getreidebau brach zusammen, die Anbaufläche sank zu steuern versucht werden sollen, indem sie geför­
von 300000ha um 1850 auf 105000ha im Jah- dert oder behindert werden.
127

Verkehrsentwicklung und Kernprobleme der Verkehrspolitik ■ Ueli Haefeli

Nachhaltige Verkehrsentwicklung in der Schweiz


Aufgrund ihrer geographischen Lage im Herzen des
Kontinents ist die Schweiz eine europäische Ver­
kehrsdrehscheibe, wobei die Bewältigung des Tran­
sit- wie auch des vom Tourismus bedingten Verkehrs
durch die Alpen eine besondere Herausforderung
darstellt. Dementsprechend hat sich in der Schweiz
die Verkehrspolitik zu einem besonders wichtigen Po­
litikfeld entwickelt, das von zwei zentralen Instituti­
onen der schweizerischen Demokratie geprägt wird:
■ vom stark ausgeprägten Föderalismus, der die gute
Erschließung von Randregionen begünstigt und
tendenziell zu einem Überangebot an Verkehrsinfra­
struktur (wenn auch nicht im Bereich des öffentli­
chen Verkehrs) führt.
■ von den Mechanismen der direkten Demokratie,
die der lokal von Verkehrsprojekten betroffenen Be­
völkerung hohes Gewicht einräumt und Partizipati­
onsverfahren zu einem unverzichtbaren Bestandteil
erfolgreicher Politikgestaltung macht.

Wegen der Bedeutung des öffentlichen Verkehrs,


insbesondere des Schienenverkehrs, sieht sich
die Schweiz als Vorreiterin einer nachhaltigen Ver­
kehrsentwicklung (Abb. 91). Dieses Bild ist das Er­
gebnis einer Politik der Verkehrsverlagerung von „Verkehrsinfrastruktur"): Im Durchschnitt wurden 1 Abb. 91 I Basel, Schwei­
der Straße auf die Schiene, die vom Schweizer Volk pro Person 2005 etwa dreimal so viele Kilometer mit zerische Bundesbahnen
1994 mit der Zustimmung zur „Alpeninitiative" fest­ dem motorisierten Individualverkehr (MIV; v. a. mit (SBBJ.
geschrieben (Alpenschutzartikel Art. 84 der Bundes­ dem Auto) zurückgelegt wie mit dem öffentlichen
verfassung) und mehrfach bestätigt wurde. Zu den Verkehr (ÖV). Vier Fünftel der Schweizer Haushalte
Hauptinstrumenten der Verkehrsverlagerung in der besitzen ein Auto, mehr als 30% mindestens zwei.
Schweiz zählen Zwei Drittel der Distanzen im Inland werden mit dem
■ die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe Auto zurückgelegt, wobei 30% der Autofahrten nicht
(LSVA) länger als 3 km, und 45% nicht länger als 5 km sind.
■ die Modernisierung der Schieneninfrastruktur, ins­ Der durchschnittliche Besetzungsgrad im Auto be­
besondere der Bau der Neuen Eisenbahn-Alpen­ trägt in der Schweiz 1,57 Personen. Nur 19% der
transversale NEAT Schweizer Haushalte sind autofrei. Rund 48% der
■ die Öffnung des Bahnmarktes (Bundesamt für Ver­ Bevölkerung über 16 Jahre hat ein Abonnement für
kehr 2010: Bericht über die Verkehrsverlagerung den öffentlichen Verkehr (Bundesamt für Statistik
vom November 2009). und Bundesamt für Raumentwicklung 2007: Mo­
bilität in der Schweiz. Ergebnisse des Mikrozensus
Im Bahnpersonenverkehr legte im Jahr 2005 jeder
Schweizer im Schnitt 1929km zurück, d. h. in kei-"
nem anderen Land der Welt wird die Eisenbahn sol Bahn- und Personenkilometer 2005
rege benutzt wie in der Schweiz (Abb. 92). :
Im Vergleich zu den Nachbarländern Frankreich� CH 1929
und Österreich werden in der Schweiz 65% des al- � 1926
penquerenden Güterverkehrs auf der Schiene und j
JP

nur 35% auf der Straße transportiert, während es� FR 1290


in Frankreich und Österreich genau umgekehrt ist. j 1149
RU
Hinsichtlich des Gesamtvolumens des alpenque-j
renden Güterverkehrs wird in der Schweiz ebenfalls B UK 1118
mehr auf der Schiene als auf der Straße transportiert�
A 1047
(Abb. 93) (Bundesamt für Statistik 2010: Alpenque-�
render Güterverkehr). � NL 904
:2
Grunddaten der Verkehrsentwicklung DE 880

Trotz des hohen Anteils des öffentlichen Verkehrs� ITA 807 IAbb.921 Bahn- und Per­
gilt aber nach wie vor auch für die Schweiz, dass: sonenkilometer in der
der Verkehrsalltag vom Auto geprägt wird (s. Exkurs� Schweiz 2005.
128

IAbb. 931 Alpenque- in Mio. Nettotonnen


render Güterverkehr 40 40 40
1980-2008. Frankreich Schweiz Osterreich
35 35 35- ,
30 30 30
Straße Straße I

/
25 25 25

pi
r
20 20 20
15 15 15
10 ,, Schiene
10 10 Schiene
Straße
5 5 5
0 0 0
1980 1990 2000 2008 1980 1990 2000 2008 1980 1990 2000 2008
Alpensegment: Mt. Cenis/Frejus bis Brenner

2005 zum Verkehrsverhalten in der Schweiz: 7 f., rungswachstum dazu, dass sich die Verkehrsleistung
26-29; Anm.: Der Mikrozensus zu Verkehrsverhalten und -belastung in der Schweiz seit 1970 bis zur
in der Schweiz wird alle fünf Jahre erhoben und zwei Gegenwart ungefähr verdoppelt hat. Rund 116 Mrd.
Jahre darauf veröffentlicht). Personenkilometer werden im Landverkehr in der
Ein weiteres Hauptmerkmal der Verkehrsent­ Schweiz jährlich zurückgelegt, was 3,1 Mio. Erdum­
wicklung in der Schweiz ist die Zunahme der Dis­ rundungen entspricht. Die Anzahl der jährlich beför­
tanzen. Im lnlandverkehr haben die zurückgelegten derten Personen auf dem Schienennetz (ohne den
Distanzen zwischen 1984 und 2005 um etwa ein innerhalb der Gemeinden stattfindenden Verkehr)
Drittel zugenommen. Das Verhältnis von MIV und zeigt die stärksten Belastungen in den Agglomerati­
ÖV hat sich in diesem Zeitraum nur wenig verändert; onsräumen, auf der Ost-West-Achse durch das Mittel­
feststellbar ist eine leichte Erhöhung des ÖV-Anteils. land sowie in der Genferseeregion. Im Güterverkehr
Diese Zunahme der zurückgelegten Distanzen werden pro Jahr 29,5 Mrd. Tonnenkilometer Güter
führte zusammen mit dem recht starken Bevölke- transportiert, davon 59 % auf der Straße. 1 nsbeson­
dere der alpenquerende Güterverkehr/Transitverkehr
trägt stark zum Verkehrsaufkommen auf der Nord­
Verkehrsinfrastruktur Süd-Achse bei. Im schweizerischen Binnenverkehr
liegt die größte Belastung im Ost-West-Güterverkehr.
Die Schweiz besitzt ein Verkehrsnetz von
Bis zum Jahr 2030 werden voraussichtlich die Gü­
71 000 km Straßen und 5100 km Schienen.
terverkehrsleistung auf Straße und Schiene auf ca.
Jede in der Schweiz wohnhafte Person legt pro
31-42 Mrd. Tonnenkilometer steigen (Vergleichsjahr
Tag durchschnittlich 37 km zurück. Seit 2000
2000: 24 Mrd. Tonnenkilometer) (Faktenblätter zur
nahmen die mit der Bahn gefahrenen Distan­
Verkehrspolitik des Bundes 2011: 19, 21-23). Eine
zen stärker zu als die Autokilometer.
Die schweizerische Flugplatzinfrastruktur Zustandsbeschreibung der Netzbelastungen im Per­
sonen- und Güterverkehr der Schweiz bieten Abb. 94
besteht aus den drei Landesflughäfen Zü­
und 95).
rich, Genf-Cointrin, Basel-Mulhouse, elf Re­
gionalflugplätzen sowie insgesamt rund 100
Flugfeldern, Helikopterlandeplätzen und Ge­
Hohe volkswirtschaftliche Bedeutung
birgslandeplätzen. Zu den weiteren wichtigen des Verkehrs
Der hohe Stellenwert des Verkehrs in einer hoch­
Verkehrsträgern gehören 640 Seilbahnen (60
gradig arbeitsteiligen und von starken Güterströmen
Standseilbahnen und 580 Luftseilbahnen) mit
geprägten Wirtschaft ist unbestritten (Danielli & Mai­
eidgenössischer Konzession. Daneben wer­
den noch 210 Seilbahnen sowie rund 1300 bach 2007). Darüber hinaus bietet der Verkehrssek­
tor einer großen Zahl von Menschen Arbeit. Dies gilt
Schlepplifte mit kantonaler Bewilligung betrie­
nicht nur für den öffentlichen Verkehr, für Garagen
ben. Ende 2009 waren 1789, 1 km National­
oder Tankstellen: Obwohl die Schweiz keine eigene
straßen in Betrieb. Sie hatten 220 Tunnel mit
einer Gesamtlänge von mehr als 220km. Wei­ Autoindustrie mehr hat, spielen viele Firmen als Zu­
lieferer - beispielweise von Airbag-Zündern oder In­
tere 50 Tunnel sind im Bau oder in der Bau­
bzw. Projektierungsphase. Der Bund investierte nenverkleidungen - eine wichtige Rolle
2010 fast 2, 1 Mrd. CHF in das Nationalstra­ Der Verkehr verursacht aber auch hohe Kosten.
Die letzte aktuelle offizielle schweizerische Trans­
ßennetz, davon fast eine Milliarde in den Bau
portkostenrechnung weist für 2005-2006 jährli­
neuer Abschnitte.
che Gesamtkosten von 82 Mrd. CHF aus, pro Person
m, �,...�
0"'1\l-81l<ldbwn11 IIM u1....,t. V..ek ,. Erierg•e VhU �111Ut1l�i.l(IH (Hr, H�l lt,
f,tkf"'f,UJ"" "" �r,nr,d,1,1 d,s ll<•ndel. S 14; u..,-,ti, fW,, fl:010),
also etwa 11 OOOCHF. 70,5 Mrd. CHF entfallen auf
Mol>,11<\1 uoo l'e1>.eflr 2!110. N!!J!:nä)elS38 (Fl�,lv). S.6S!Sdlc,,h,.,,,l.S.14
(zurückgeleg1ekm pro Person): Bundesamt für Slraßen (ASTRA) (2010): Straßen und
den Straßen- und ll,4Mrd.CHF auf den Schie­
Verkehr in Zahlen und Fakten 2010 S 6 (km der Nalionalstraßenl, S 8 (km der Tunnel),
S 14 (lnvesl1tion des Bundes)
nenverkehr. Der wichtigste Kostenfaktor sind dabei
die Verkehrsmittel (Anschaffung, Betrieb und Un-
129

1 Abb. 941Personenverkehr
Netzbelastung im öffentlichen Personenverkehr A auf Schweizer Schienen
auf dem schweizerischen Schienennetz (A) und Schweizer Straßen
im Jahr 2008 (8) im Jahr 2008.

Millionen Personen
pro Jahr
- < 1 Mio
-- < 5Mio
-- <10Mio
- <20Mio
- <30Mio
- >30Mio

1
25 50km

0
"'
:i Netzbelastung im Personenverkehr auf dem B
J schweizerischen Straßennetz im Jahr 2008

Millionen Personen
pro Jahr
< 1 Mio
< 5 Mio
< 10 Mio
< 20 Mio
<30 Mio
- >30Mio

50km

terhalt). Im Straßenverkehr machen sie 66 %, im Verkehrsleistung gedeckt, sondern auf Dritte abge­
Schienenverkehr 53 % der Kosten aus. Der Anteil wälzt werden (Faktenblätter zur Verkehrspolitik des
der lnfrastrukturkosten liegt im Straßenverkehr bei Bundes 2010: 26).
11 % und beim Schienenverkehr bei 41 % der Ge­
samtkosten. Bei den Unfall- und Umweltkosten sind Vom Eisenbahnfieber zur Autoeuphorie:
die Verhältnisse umgekehrt. Im Straßenverkehr lag historische Grundlinien bis 1970
der Anteil 2005 bei 14 % und im Schienenverkehr Im 19.Jh. ließen die föderalistischen Strukturen
bei 2 %. Ein nicht unbedeutender Teil dieser Kosten die Schweiz gegenüber ihren Nachbarländern im
sind sog. externe Kosten, die nicht vom Erbringer der Eisenbahnbau zunächst in Rückstand geraten. In
130

IAbb. 951 Netzbelastung


im Güterverkehr auf dem Netzbelastung im Güterverkehr auf dem A
schweizerischen Schie­ schweizerischen Normalspur-Schienennetz
nennetz (A) und schweize­ im Jahr 2008
rischen Straßennetz (8) im Millionen Tonnen
Jahr 2008. pro Jahr
-- 1 Mio
<
-- 25 Mio
<
-- 5 Mio
<
- 7.5 Mio
<
- <125Mio
- >12.5Mio

25 50km

Netzbelastung im Güterverkehr auf dem B


schweizerischen Straßennetz im Jahr 2008
Millionen Personen
pro Jahr
< 1 Mio
< 25 Mio
< 5 Mio
< 75 Mio
- <125Mio
- >125Mio

0
N

1
25 50km

der zweiten Hälfte des 19.Jh. setzte dann ein hek­ Bewusst wurde dabei aus nationalen Interessen
tischer, unkoordinierter und von regionalpolitischen auf Strom aus Wasserkraft gesetzt, um so die Ab­
Rivalitäten geprägter Eisenbahnbau ein. Der Kon­ hängigkeit von ausländischer Kohle zu beseitigen.
kurrenzkampf erwies sich für viele Bahnen als ru­ Nach dem Zweiten Weltkrieg war das schweizeri­
inös. Erst der Entscheid des Schweizer Volkes von sche Bahnnetz fast vollständig elektrifiziert, was
1898 zur Verstaatlichung der großen Privatbahnen sich langfristig gegenüber den Bahnen in den Nach­
zu den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) schuf barländern als wesentlicher Vorteil erweisen sollte,
die Basis für eine nachhaltige Entwicklung des Ei­ kurzfristig aber staatliche Eingriffe zu Entschuldung
senbahnverkehrs. Als wichtiger Erfolgsbaustein er­ der Bahn nach sich zog (Balthasar 1993, Bärtschi
wies sich dabei die frühe Elektrifizierung der Bahn. 1997).
131

1 Abb. 96 IDer Gotthard


NEAT mit
St. Golthanlposs mit dem Basistunnel im
Gotthard-Basistunnel 2091m
�--·.-si Autobahn A2 mitTunnel
Profil mit Lage des Profils
--+--� Eisenbahn mit Tunnel im Satellitenbild.
Gotthard-Passstraße

Erstfeld 81asca
470m j

Trotz der Bahnaffinität und regionaler Widerstän­ lehnte sie weitergehende Ausbauten des Straßennet­
de setzte sich in der Schweiz das Auto als Transport­ zes in der Folge häufig ab und forderte stattdessen ei­
mittel im internationalen Vergleich früh durch. Eine nen (wieder) verstärkten Ausbau des öffentlichen Ver­
wichtige Rolle spielten dabei die Verkehrsverbände, kehrs. Im Rahmen einer sog. Gesamtverkehrskonzep­
denen es u. a. gelang, schon in den 1920er-Jahren tion (GVK) suchte das politische System in der Folge
eine erste Zweckbindung der Benzinzölle für den nach einer adäquaten Antwort auf diese neue Situa­
Straßenbau zu erzielen. Damit wurde eine Finanzie­ tion. Die GVK stellt im Rahmen der Politikberatung
rungsautomatik geschaffen, dank welcher mit der in der Schweiz die bis heute größte Anstrengung dar.
zunehmenden Massenmotorisierung immer mehr Obwohl eine aus den Arbeiten der GVK entwickelte
Mittel für neue Straßenbauten freigesetzt wurden. Vorlage in der Volksabstimmung von 1987 aufgrund
Nachdem der Straßenbau lange Zeit Sache der divergierender Interessen abgelehnt wurde, konnten
Kantone war, wurde in den 1950er-Jahren rasch letztlich die wichtigsten Vorschläge der GVK realisiert
klar, dass das von breiten Kreisen immer lauter ge­ werden. Dazu gehörte u. a. die Idee einer neuen Ei­
forderte Autobahnnetz trotz aller föderalistischer senbahntransversalen durch das Mittelland mit dem
Bedenken nur vom Bund rechtzeitig und qualita­ Kernstück einer 45 km langen Neubaustrecke Matt­
tiv befriedigend realisiert werden konnte. Trotzdem stetten-Rothrist auf der Hauptlinie Zürich-Bern in der
führten der regionalpolitische Ausgleich und zuneh­ verbesserten Version der „Bahn 2000". Außerdem
mende Ansprüche an die Umweltverträglichkeit der ging die Einführung der Schwerverkehrsabgabe 1984
Straßen dazu, dass das Autobahnnetz der Schweiz auf eine Anregung der GVK zurück.
überdurchschnittlich eng gestrickt und entspre­ Stark von europapolitischen Motiven geprägt ist
chend teuer wurde. der Bau der „Neuen Eisenbahn-Alpentransversalen"
(NEAT ). Diese umfasst neben Verbesserungen der
Doppelförderung von Auto und Bahn Zufahrtsstecken den Bau von zwei neuen Eisenbahn­
nach der Umweltwende (ab 1970) basistunnels am Lötsehberg (eröffnet 2007) und
Nach 1970 stellte die wachsende Besorgnis um die am Gotthard (geplante Eröffnung 2017), den Ceneri
Umwelt die Autoeuphorie erstmals ernsthaft infrage. (geplante Eröffnung 2019) sowie den Anschluss an
Obwohl die Schweizer Bevölkerung nicht bereit war, das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz (Haefeli
umfassend auf das liebgewonnene Auto zu verzichten, 2006) (Abb. 96).
132

Bahn 2000, Neue Alpentransversale NEAT 0

"
0

und Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe LSVA


Hinter dem Begriff „Bahn 2000" steht ein Kon­ Betrieb sein. Der Gotthard-Basistunnel, dessen
zept, das 1984-85 im Auftrag der SBB (Schwei­ Durchschlag am 15. Oktober 2010 erfolgte, wird
zerische Bundesbahn) entwickelt wurde und das mit 57,1 km Länge der längste Tunnel der Erde
zur netzweiten Aufwertung des schweizerischen sein. Bestandteil dieser Ausbauprojekte ist auch
Bahnsystems führen sollte. Beim Großprojekt der Anschluss an die Hochgeschwindigkeitsnet­
„Bahn 2000" handelt es sich um 130 Aus- und ze der Nachbarländer, insbesondere Frankreichs
Neubauprojekte, die eine Verbesserung von An­ und Deutschlands, wobei die d eutschen Zu­
schlüssen (.,Knotenkonzept") und eine Fahrplan­ bringerbahnlinien aktuell erst im Bau sind. Für
verdichtung im Halbstundentakt auf den wich­
tigsten Verbindungen in der Schweiz erlaubte.
den alpenquerenden Güterverkehr ist mit dem
NEAT-System erst ein Teilsieg errungen, da noch j
Bei der Umsetzung des Projektes „Bahn 2000"
wurden ab 1997 alle zwei Jahre Teilprojekte in
nicht alle Tunnel des Alpentransitkorridors auf
eine Höhe von 4 m, sondern nur auf eine Höhe j
Betrieb genommen. Das Herzstück, die Doppel­ von 3,80 m ausgerichtet sind. Für eine effiziente
spur Neubaustrecke im Bernischen Mittelland Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schienen
von nur 44,5 km Länge, verkürzte die Reisezeit müssen die 4 m hohen Sattelauflieger, welche
zwischen Bern und Zürich ab 2004 auf unter die 3,80 m hohe Containerfracht abgelöst haben
eine Stunde (Departement für Umwelt, Verkehr, und heute 80 % des Straßentransits ausmachen,
Energie und Kommunikation 2010:48). auf die Schiene verlagert werden.

Neue Alpentransversale NEAT. Das zweite Schwerverkehrsabgabe LSVA. Die Leistungsab­


Großprojekt neben der „Bahn 2000" ist die Neue hängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA), die 2001 0

Eisenbahn-Alpentransversale NEAT des Bundes, eingeführt wurde, stellt ein umweltgerechtes In­ a
wobei Basistunnel durch den Gotthard (Abb. 96), strument zur Besteuerung des Straßengüterver­ i'
]
den Ceneri und den Lötsehberg gebaut werden. kehrs dar. Demnach bezahlen Halter von Lastwa­
Diese durch die Basis der Gebirgsmassive füh­ gen für jede Fahrt auf allen Schweizer Straßen
renden Strecken (Gotthard-Basistunnel 57, 1 km eine distanz-, gewichts- und emissionsabhängige
zwischen Erstfeld im Kanton Uri und Bodio im Abgabe, die alle im Inland und Ausland regist­
Kanton Tessin; Lötsehberg 34,6 km zwischen Fru­ rierten Straßengüterfahrzeuge mit einem Gesamt­
tigen im Berner Oberland und Ravon im Wallis) gewicht von mehr als 3,5 Tonnen betrifft. Sie
haben weniger Gefälle, ermöglichen höhere Ge­ schafft teilweise Kostenwahrheit nach dem Ver­
schwindigkeiten und den Einsatz schwerer Gü­ ursacherprinzip, ist ein Anreiz, den Güterverkehr
terzüge. 2007 wurde der Lötsehberg-Basistunnel auf die Schienen zu verlagern und dient der Fi­
eröffnet, ab 2017 soll der Gotthardtunnel in nanzierung von Bahnprojekten.

Insgesamt glichen sich die Investitionen in MIV der Gewichtslimits für LKWs an die Werte der EU for­
und ÖV in der Zeit nach 1970 an - eine Entwicklung, derte. Mit dem Landverkehrsabkommen von 2002,
die als Doppelförderung auf hohem Niveau bezeich­ einem von mehreren bilateralen Abkommen der
net werden kann und die öffentlichen Finanzen kon­ Schweiz mit der EU, wurde versucht, beiden Anlie­
tinuierlich einer hohen Belastung aussetzt (Abb. 97). gen gerecht zu werden. Einerseits wurde bei der Frage
Maßnahmen zur Begrenzung des Verkehrswachstums der Gewichtslimits den EU-Forderungen stattgege­
wurden dagegen kaum umgesetzt, weshalb das Ver­ ben, andererseits wurde versucht, mit der Einführung
kehrssystem als Ganzes immer mehr an seine Kapazi­ einer „Leistungsabhängigen Schwerverkehrsabga­
tätsgrenzen stößt, ohne dass sich für einen weiteren be" (LSVA), welche 2001 die pauschale Schwerver­
Ausbauschub der Infrastruktur Finanzierungspers­ kehrsabgabe ablöste, die entsprechenden Produkti­
pektiven abzeichnen. vitätsgewinne wieder abzuschöpfen und teilweise in
die Förderung des Schienenverkehrs zu investieren
Güterverkehrspolitik im Zeichen der Europapolitik (Höschen 2007). Allein im Jahr 2007 betrugen die
Die Attraktivität des LKW-Verkehrs wurde lange Zeit Einnahmen aus der LSVA 1336 Mio. CHF. Zwei Drit­
mit vergleichsweise niedrigen Gewichtslimits und ei­ tel der Nettoeinnahmen aus der LSVA fließen in den
nem Nachtfahrverbot beschnitten. Diese Politik wurde Fonds für die Finanzierung von lnfrastrukturvorhaben
vom Schweizer Volk mitgetragen, was den Auftrag zur des öffentlichen Verkehrs. Die LSVA führte zu einer
Verlagerung des alpenquerenden Durchgangsverkehrs Effizienzsteigerung: Während die Verkehrsleistung,
u. a. aus Gründen des Umweltschutzes mit Annahme also die befristete Gütermenge zunahm (8 %), sank
der sog. Alpeninitiative 1994 gegen den Willen des die Anzahl der Lastwagen um 10 % (Bundesamt für
Bundesrates sogar noch verschärfte. Anderseits er­ Statistik 2010: Faktenblätter zur Verkehrspolitik des
höhte sich in den l 990er-Jahren auch der Druck der Bundes). Die Ziele der Alpenschutzinitiative haben
Europäischen Union, die insbesondere die Anpassung sich mit den bisher getroffenen Maßnahmen aller-
133

Millionen Franken 1 Abb. 97 Ilnfrastrukturin­


"' 30000 vestitionen für Straße und
,,, Schiene pro 5 Jahre,
- Schiene 1950-2005.
� 25000
M
C - Straße
20000

15000

; 10000

5000

0
1950-54 1955-59 1960-64 1965-69 1970-74 1975-79 1980-84 1985-90 1990-94 1995-99 2000-05
lnvestionen Schiene: lnvestionen in Anlagen und Einrichtungen lnvestionen Straße: Neubau, Verbesserungen,
;;
" inkl. Erneuerungen und baulichem Unterhalt Ausbau, Landerwerb und baulicher Unterhalt
a
dings nicht verwirklichen lassen. Deshalb wird in Abonnements für den öffentlichen Verkehr eine In­
jüngster Zeit vermehrt über die Möglichkeit einer auf novation, welche von den anderen Agglomerationen
Transitkontingenten beruhenden „Alpentransitbörse" rasch übernommen wurde. Viel aufwendiger, aber
diskutiert (Ecoplan/Rapp Trans AG 2004). ebenso erfolgreich war die Einführung der ersten
schweizerischen S-Bahn-Systeme. Die Vorreiterrolle
Stadtverkehr spielte hier Zürich, wo 1990 das erste und bis heute
In der stark verstädterten Schweiz spielt sich der weit­ weitaus größte S-Bahn-System der Schweiz in Be­
aus größte Teil des Verkehrs in städtischen Agglome­ trieb genommen wurde. Darüber hinaus wurde eine
rationen ab. Deshalb entbehrte es nicht einer gewis­ ganze Reihe von betrieblichen Fördermaßnahmen
sen Logik, dass die Städte in früheren Jahrzehnten im für den öffentlichen Verkehr konsequent umgesetzt,
Rahmen der Autobahnplanung dafür plädierten, die was der Stadt Zürich in ganz Europa den Ruf einer
Autobahnen als sog. Expressstraßen mitten in die In­ eigentlichen ÖV-Hochburg eintrug. Im internationa­
nenstädte zu führen. Für die Städte spielte dabei eine len Vergleich ist der Anteil des öffentlichen Verkehrs
entscheidende Rolle, dass Autobahnen im Gegensatz in den Schweizer Städten aufgrund der Gesamtheit
zu allen anderen Verkehrswegen mit Bundesmitteln fi­ dieser Maßnahmen sehr hoch, gleichzeitig ist es ge­
nanziert wurden; die Städte hofften also, ihre lokalen lungen, die Motorisierungszunahme in den urbanen
Verkehrprobleme mit Bundesmitteln lösen zu können. Gebieten zu drosseln. Bedeutsam ist dabei, dass die­
Die Führung der Autobahnen in die Innenstädte traf se verstärkte Förderung des öffentlichen Verkehrs aus
aber bald auf heftigsten Widerstand, v. a. weil dazu einer betriebs- wie volkswirtschaftlichen Sicht deut­
bedeutende Eingriffe in die historische Bausubstanz lich besser abschneidet als eine auf stärkere Autodo­
vorgesehen waren. In der Folge wurde entweder eine minanz ausgerichtete Verkehrspolitik.
weniger zentrale Linienführung gewählt (Bern) oder die Angesichts von zunehmenden Kapazitätsengpäs­
Ausführung des Autobahnbaus verzögerte sich drama­ sen hat der Bund 2004 beschlossen, sich im Rah­
tisch, sodass beispielweise das Autobahnnetz in Zürich men von sog. ,,Agglomerationsprogrammen" entge­
und Basel um 2000 noch große Lücken aufwies. gen der bisherigen Praxis an der Finanzierung von
Dass der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in den lokaler Verkehrsinfrastruktur in städtischen Räumen
schweizerischen Städten in den Boomjahren der zu beteiligen (Haefeli 2008a, 2008b).
Nachkriegszeit anders als etwa in Deutschland im
Wesentlichen ohne Bundesmittel finanziert werden Ausblick
musste, hat den Städten langfristig mehr Vor- als Die schweizerische Verkehrspolitik der letzten Jahr­
Nachteile gebracht. Die Pläne für aus heutiger Sicht zehnte ist von dem Willen geprägt, sowohl das Stra­
wenig geeignete und überdimensionierte Infrastruktu­ ßennetz als auch den öffentlichen Verkehr mit staat­
ren wie beispielsweise Stadtautobahnen oder U-Bah­ lichen Mitteln zu fördern und dazu immer wieder
nen in Mittelstädten konnten hierzulande im Gegen­ bedeutende Investitionen zu tätigen. Es ist jedoch
satz zu Deutschland nicht realisiert werden. Daraus fraglich, ob diese auf Mengenausweitung gerichtete
erklärt sich, dass die schweizerischen Städte heute Politik in Zukunft finanzierbar ist und ob sich das
dank einer relativ effizienten Kombination von indivi­ Ziel der Nachhaltigkeit im Verkehr damit erreichen
duellem und kollektivem Verkehr über ein wesentlich lässt. Die seit längerer Zeit laufenden Diskussionen
leistungsfähigeres Verkehrssystem verfügen als fast um eine verursachergerechtere Finanzierung des Ver­
alle anderen europäischen Länder. Die Umweltwende kehrssystems (road pricing, Abbau von Subventionen
von 1970 wirkte sich zuerst hauptsächlich in einer des öffentlichen Verkehrs usw.) werden sich deshalb
plebiszitären Blockierung neuer Straßenverkehrs­ in den nächsten Jahren wohl intensivieren. Nach
investitionen aus. In den l 980er-Jahren verstärkte wie vor vernachlässigt wird dagegen eine langfristig
sich jedoch auf nationaler Ebene die Förderung des besonders zentrale Maßnahme gegen das uferlose
öffentlichen Verkehrs. 1984 gelang in Basel mit der Verkehrswachstum: die Begrenzung der Zersiedlung
Einführung eines stark verbilligten Umweltschutz- durch raumplanerische Mittel.
134

Agglomerationspolitik des Bundes ■ Rita Schneider-Sliwa

Attraktive und konkurrenz­ damit auf der besten landwirtschaftlichen Nutzfläche


fähige Schweizer Städte als Siedlungsfläche neu genutzt (Bundesamt für Rau­
Rund drei Viertel der Schweizer Bevölkerung lebt in mentwicklung ARE (Hrsg.) 2004; Eidgenössisches
städtischen Gebieten (Abb. 98 und Tab. 26) und der Justiz- und Polizeidepartement EJPD& Bundesamt
größte Teil der volkswirtschaftlichen Leistung wird in für Raumplanung (Hrsg.)).
städtischen Gebieten erwirtschaftet. Auch Schwei­ Arbeitsplatz- und Bevölkerungsverluste haben auch
zer Städte werden heute mit Bedingungen konfron­ in der Schweiz die Finanzkraft und Steuerungsfähig­
tiert, die es so in der jüngeren Vergangenheit nicht keit von Städten erodieren lassen. Damit schwinden
gab: Abwanderung, wachsende Defizite und soziale auch in der Schweiz wie in anderen westlichen Län­
Probleme, funktionale und soziale Entmischung der dern planungspolitische Möglichkeiten, Stadtent­
Kernstädte als Folge von Suburbanisierung und Zer­ wicklung und Standortqualitäten zu gestalten, da
siedlung. Eine kumulative Selbstverstärkung einmal die stadtregionalen Politik- und Handlungsebenen
in Bewegung gekommener unerwünschter Entwick­ vielfach zu zersplittert sind (s. Akademie für Raum­
lungen zeigt sich in den vier Bereichen „Verkehr", forschung und Landesplanung ARL (Hrsg.) 2004).
„Umwelt/Bodennutzung", ,.Wohnen/Arbeiten" und Die Standortqualität von Städten und Agglomerati­
,.Öffentliche Finanzen", die den Wegzug von Perso­ onsräumen wird jedoch als zentral für die Wettbe­
nen und Betrieben aus den Zentrumsgemeinden in werbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft erachtet:
die Agglomerationsgürtel und ins ländliche Gebiet Es ist volkswirtschaftlich von Bedeutung, dass die
fördern (Frey 1994, 1996, 2001a und b). Die Städ­ Schweizer Städte und Agglomerationen für Menschen
te dehnen sich über ihre Grenzen aus, und der Pen­ und Unternehmen attraktiv bleiben (Eidgenössisches
delverkehr über immer weitere Distanzen nimmt zu Justiz- und Polizeidepartement EJ PD & Bundesamt
(Abb. 99): 90 % der Erwerbstätigen in der Schweiz für Raumplanung (Hrsg.) 2003).
waren im Jahr 2000 als Pendler unterwegs (Frick Traditionell stark föderale Strukturen und die eben­
et al. 2004). Jeden Tag verschwinden in der Schweiz falls sehr ausgeprägte Gemeindeautonomie von aktu­
11 ha Kulturland - knapp 1,3 m2 /s (s. Kap. ,.Umwelt­ ell 2551 Gemeinden erschweren jedoch die Möglich­
IAbb. 981 Agglomeratio­ probleme und Umgang mit Naturgefahren/Nachhal­ keiten, sich in größeren, funktionalen Wirtschafts­
nen, Einzelstädte und tigkeit in der Schweizer Raumplanung"). Rund zwei räumen aufzustellen, gemeinsam stark aufzutreten,
Metropolen der Schweiz. Drittel davon werden überwiegend im Mittelland und individuelle Stärken zu optimieren und Potenziale

LI Agglomerationen, zugehörig zu einer Metropole

Kerngemeinde von Agglomerationen,


zugehörig zu einer Metropole
Einzelstädte, zugehörig zu
�-...: einer Metropole

D andere
Agglomerationen
Kerngemeinde der
anderen Agglomerationen

D Einzelstädte

Oie grenzüber­
schreitenden
Agglomerationen
sind nicht
dargestellt.

nach
Gemeinden

l
N

0 25 50 km
1�
Agglomerationspolitik des Blind 135

wie z.B. die Umnutzung weitflächiger Industrieräu­ Ständige Wohnbevölkerung im städtischen und ländlichen Raum
me in Wert setzen zu können. Daher haben sich neue am Jahresende, in Tausend 2005 2006 2007 2008 2009
Notwendigkeiten ergeben, die Starrheit von gegebe­
nen, politisch-administrativen Grenzen zu ü berden­ Total 7459,1 7508,7 7593,5 7701,9 7785,8
ken und diese ggf. durch neue Funktionalräume zu städtische Gebiete 1 5468,8 5508,4 5577,3 5665,6 5733,4
relativieren. Deshalb gibt es seit geraumer Zeit eine ländliche Gebiete 1 1990,4 2000,4 2016,2 2036,3 2052,4
schweizweit geführte Debatte über bestehende und
Die größten Agglomerationen
neue Grenzziehungen. Seit dem Jahr 2000 haben
dabei 263 autonom agierende Gemeinden das Mittel Zürich 1101,7 1111,9 1132,2 1154,5 1170,2
der Gemeindefusionen gewählt. Genf 493,4 497,4 503,6 513,2 521,4
Basel 486,1 487 489,9 494,3 498
Multidimensionale Ansätze zur Bern 343,8 344,7 346,3 348,7 350,8
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Lausanne 310 313,1 317 324,4 330,9
von Städten und Regionen
Die größten Städte
Zum Erhalt der Funktionsfähigkeit im verschärften
Wettbewerb der Städte und Regionen um Investo­ Zürich 347,5 350,1 358,5 365,1 368,7
ren, Unternehmen, Innovationsfähigkeit, Bewohner Genf 178,7 178,6 180 183,3 186
und Touristen hat der Bund im laufe der Jahrzehnte Basel 163,9 163,1 163,5 164,9 166,2
verschiedene Programme und Maßnahmen lanciert. Bern 122,2 122,4 122,7 122,9 123,5
Diese legten jedoch in der operativen Umsetzung Lausanne 117,4 118 119,2 122,3 125,9
den Fokus überwiegend auf den ländlichen Raum 1 gemäß der Definition der Volkszählung 2000
und die Berggebiete (vgl. Kap. ,,Strukturwandel im
ländlichen Raum und in den Alpen/Strukturwandel, 1 Tab. 26 I Ständige Wohnbevölkerung im städtischen und ländlichen Raum.
Neuer Finanzausgleich und Neue Regionalpolitik").
Dass Städte selbst strukturelle und langfristige Prob­ steigernden Maßnahmen des New Public Manage-
leme haben und dass Städte, pointiert gesagt, Gefahr ment. Dabei handelte es sich um eine Reform der
laufen, neue strukturschwache Gebiete der Schweiz öffentlichen Verwaltungen auf der Grundlage be-
zu werden, wurde nur zögernd erkannt. triebswirtschaftlicher Effizienzkriterien und Control-
In den 1990er-Jahren begannen öffentliche Ver­ lingkonzepten zur Ergebnissteuerung. Diese wurde 1 Abb. 99 I
Wichtigstes
waltungen in der ganzen Schweiz mit den effizienz- von vielen Städten, Gemeinden und Kantonen ei- Pendlerziel 2000.

Wichtigstes Pendlerziel jeder Gemeinde (falls über 50 Personen)


sowie Wegpendleranteil, in %

394 - 80, 0 - 94, 4


984 - 7 0 , 0 - 79,9
750 - 60,0 - 69,9
368 50 , 0 - 59,9
1 93 40,0 - 49,9
2 05 1,3 - 39,9

Schweiz 57,3%

Wegpendler 200 0

--- 50

1
N

nach Gemeinden

0 25 50 km
136

genständig veranlasst, um schwindende Finanzmittel Zu den großen Politikinstrumenten, welche die Wett­
gezielter einsetzen und den Erfolg solcher Allokatio­ bewerbsfähigkeit von Schweizer Regionen vorantrei­
nen besser kontrollieren zu können. Auch wenn dies ben sollten, gehören:
keine leichte Aufgabe war, schufen gleichzeitig Wis­ ■ der Neue Finanzausgleich (NFA) von 2008, der
senschaftler, Städte und der Schweizerische Städte­ ressourcenstarke Kantone stärker als bisher in die
verband das Bewusstsein dafür, dass es sich bei den Umverteilung zugunsten der ressourcenschwachen
Entwicklungen der Städte um Probleme handelt, die Kantone einbindet (s. Kap. .,Strukturwandel im
nicht mehr die Städte oder einzelne Kantone schul­ ländlichen Raum und in den Alpen/Strukturwandel,
tern können, sondern die zu den Führungsaufgaben Neuer Finanzausgleich und Neue Regionalpolitik").
auf Schweizer Bundesebene gehören. Statt zweckgebundener Bundesbeiträge sieht der
Daher ging der Bund dieser Problematik in den NFA Leistungs-, Ziel- oder Programmvereinbarun­
ausgehenden 1990er-Jahren gezielt auf den Grund gen und Globalbeiträge vor. Bund und Kantone
und zeichnete Lösungsansätze auf allen staatlichen vereinbaren partnerschaftlich, welche öffentlichen
und räumlichen Ebenen auf. Mehrere große, kom­ Aufgaben wahrgenommen werden sollen und wel­
plementäre Maßnahmen und Politiken wurden in chen Beitrag der Bund zahlt. Die Kantone erhalten
Angriff genommen, die sich in ihrer Gesamtheit auf einen größeren Handlungsspielraum und Anreize
Bundesebene als wohl orchestrierte Aktion zur Abfe­ zur effizienten Aufgabenerfüllung, denn der Bund
derung struktureller Schwächen verstehen lassen. Zu kontrolliert die Zielerreichung. Damit wird das New
den Maßnahmen, die eine Analyse und Erfassung von Public Management auf die Beziehungen zwischen
räumlichen Entwicklungen sowie die Kontrolle von Bund und Kantonen übertragen (Frey 2001a, b).
Planungen und Mittelallokationen erlauben, gehör­ ■ die Neue Regionalpolitik (NRP) von 2007, die
ten beispielsweise die regionalstatistische Neuorga­ seit 2008 wirksam ist. Die Neue Regionalpolitik
nisation von Gebieten von 2005 (Bundesamt für Sta­ fokussiert auf bottom up gestütztem Wachstum
tistik BFS (Hrsg.) 2005: Die Raumgliederungen der aufgrund von Innovation und regionaler Wert­
Schweiz). Hierbei wurden für Analysezwecke und die schöpfung anstatt der früheren top down gelenkten
laufende Raumbeobachtung und das Gesellschafts­ Verteilung (s. Kap. .,Strukturwandel im ländlichen
monitoring neue, relevante Raumgliederungen defi­ Raum und in den Alpen/Strukturwandel, Neuer
niert, damit verschiedene Phänomene der Entwick­ Finanzausgleich und Neue Regionalpolitik"). Leis­
lung je nach Thema und Häufigkeit präziser erfasst tungs- und Zielvereinbarungen sowie Public Private
und geeignet präsentiert werden können. Dazu ge­ Partnerships gelten dabei als Schlüssel der Inno­
hören z. B. mobilite spatiale-(MS)-Regionen (s. Kap. vationsförderung. Als flächendeckende Regional­
.,Wirtschaft/Wirtschaftsräume und Wirtschaftsent­ politik integriert die NRP nicht nur wirtschaftlich
wicklung in der Schweiz"), die Pendlereinzugsberei­ schwächere (Berg-)Gebiete, sondern auch Agglo­
che bzw. funktional verflochtene Räume abbilden. So merationen und Grenzregionen (Staatssekretariat
lassen sich Entwicklungen innerhalb der Schweiz in für Wirtschaft (Hrsg.) 2008: Die Regionalpolitik
solchen Funktionalräumen klarer erfassen als in den des Bundes: 5).
traditionellen Verwaltungseinheiten. Aus dem glei­ ■ das Raumkonzept Schweiz 2005. Das zusammen
chen Grund wurden statistische Großregionen (siehe mit Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden,
o. g. Kapitel) geschaffen. Die räumlichen Gliederun­ Wirtschaft und Zivilgesellschaft erarbeitete Kon­
gen und Typologien, welche in der regionalisierten zept der nachhaltigen räumlichen Entwicklung­
Darstellung und statistischen Analyse der Entwick­ das Raumkonzept Schweiz (vgl. Kap. .,Umwelt­
lungen der Schweiz verwendet werden, sind: probleme und Umgang mit Naturgefahren/Nach­
■ institutionelle Gliederungen: Gemeinden, Bezirke, haltigkeit in der Schweizer Raumplanung") - zeigt
Kantone mögliche, wenn auch in unterschiedlichem Maße
■ regionalpolitische Gliederungen bzw. Regionen wünschenswerte Szenarien der Entwicklung der
der Raumentwicklungspolitik: Raumplanungsregi­ Schweiz auf:
onen, IHG-Berggebietsregionen (nach der Investi­ ■ Szenario 1 „Metropolitanbildung", wenn sich
tionshilfegesetzgebung für die Berggebiete, s. Kap. Trends der letzten Jahrzehnte fortsetzen, obwohl
„Strukturwandel im ländlichen Raum und in den dies wegen zu großen Energie- und Flächenver­
Alpen/Strukturwandel, Neuer Finanzausgleich und brauchs nicht wünschenswert wäre (Abb. lO0A).
Neue Regionalpolitik"), wirtschaftliche Erneue­ ■ Szenario2 „Zersiedlung", dem wegen extrem ho­
rungsgebiete hen Flächenverbrauchs entgegengewirkt werden
■ Analyseregionen: Großregionen, Sprachgebiete, soll (Abb. lO0B).
MS (mobilite spatiale)-Regionen, Agglomerationen ■ Zusätzlich ist das Szenario 3 „Polyzentrische
und Metropolitanräume, städtische und ländliche urbane Schweiz - vernetztes Städtesystem"
Gebiete, Tourismusregionen (Abb. lO0C) möglich, das wegen seiner Ähnlich­
■ räumliche Typologien: Gemeinde- und Agglomera­ keit mit dem Status qua ein wahrscheinliches
tionstypologie nach Größenklassen, Typologie der Szenario ist, jedoch radikale Reformen benötigt,
MS-Regionen (z. B. Kernagglomeration, suburba­ um z.B. die Verdichtung (anstatt Zersiedelung)
ne Zone, periurbane Zone, rurale agroindustrielle und die Städtekooperation zu fördern.
Zone, agrotouristische Region, agrarische Region) ■ Schließlich gibt es das Szenario4 „Schweiz der
und Gemeinden. Regionen" (Abb. 100 D), das von der realisti-
137

(A) Ein stark polarisierter Raum (B) Ein zerstückelter Raum


Grosse Kontraste prägen Nach mehreren Jahrzehnten der Zersiedlung
das Gebiet der „Schweiz präsentiert sich die Schweiz
der Metropolen" im Jahr 2031 belastet
,m Jahr 2030. und geschwächt.

c:5 (C) Ein multipolarer Raum und verlassene Gebiete (D) Gebiete, die ihre Entwicklung selbst gestalten
;:::
" Nach mehreren Jahrzehnten, in denen die s,ch ergänzenden Angebote und die Spez1a- Im Jahr 2031 ist die „Schweiz der Regionen" in elf sehr dynamische Regionen mit
8 lisierungen der einzelnen Städte allmählich verstärkt wurden. besitzt die Schweiz im äußerst unterschiedlichen Spezialisierungen und einer Bevölkerung mit starkem innerem
� Jahr 2031 ein feinmaschiges Zusammenhalt aufgeteilt.
� Städtenetz Zwischen den
f( verschiedenen Städten
§ liegen Agrar- und
il Naturschutzgebiete.
i

25 50km

sehen Grundannahme von steigenden Energie­ ■ die Agglomerationspolitik des Bundes von 2001. IAbb.1001 Das Raumkon­
preisen und gedämpftem Wirtschaftswachstum Die vom Bundesrat 2001 beschlossene Agglo­ zept Schweiz. (A) Szenario
ausgeht und in dem sich Wirtschaft und Politik in merationspolitik versteht Städte und ihr Umland 1: .,Metropolitanbildung".
Ein stark polarisierter
Städten und Teilräumen zu politisch handelnden als komplexes, zusammenhängendes „System" Raum. (8) Szenario 2:
Regionen formieren. Diese pflegen aktiv Außen­ (Funktionalregion). Dabei sollten Städte und ihre ,,Zersiedelung". Ein zer­
beziehungen, eine starke Politik der Wirtschafts­ Umlandgemeinden gemeinsam auf die Herausfor­ stückelter Raum. (C) Sze­
förderung, der Bildung von strategischen Allian­ derungen des Wettbewerbs reagieren, miteinander nario 3: .,Polyzentrische
zen und des Ausbaus komplementärer Stärken. agieren und den globalen Herausforderungen wir­ urbane Schweiz - vernetz­
In der „Schweiz der dynamischen Regionen" sol­ kungsvolle Kräfte entgegenstellen. tes Städtesystem". Ein
len unterschiedliche Spezialisierungen entstehen multipolarer Raum und
verlassene Gebiete. (0)
und die Bevölkerung soll einen starken inneren Agglomerationspolitik des Bundes Szenario 4: ,,Schweiz der
Zusammenhalt entwickeln (vgl. Kap. ,.Umwelt­ Die Agglomerationspolitik des Bundes rückte erst­ Regionen". Gebiete, die
probleme und Umgang mit Naturgefahren/Nach­ malig die Agglomerationen in das Zentrum der pla­ ihre Entwicklung selbst
haltigkeit in der Schweizer Raumplanung"). nungsbezogenen Betrachtung. Grundlage ist Art. 50 gestalten.
Das Raumkonzept Schweiz schuf Bewusstsein Abs. 3 der Bundesverfassung, wonach sich der Bund
für Entwicklungstrends in der Schweiz und sollte verpflichtet, bei seinem Handeln auf die besondere
die Notwendigkeit des Zusammenarbeitens über Situation der Städte und Agglomerationen sowie der
Gemeinde- und Kantonsgrenzen hinweg unter­ Berggebiete Rücksicht zu nehmen (Eidgenössisches
streichen, welche in der Agglomerationspolitk Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kom­
des Bundes beinhaltet ist. munikation UVEK, Eidgenössisches Volkswirtschafts-
138

Agglomerationen - technische Definition


Agglomerationen sind in der Schweiz als zusam­ 3. Das Bevölkerungswachstum im vorangegange­
menhängende Gebiete mehrerer Gemeinden mit nen Jahrzehnt liegt bei Gemeinden, die noch
insgesamt mindestens 20 000 Einwohnern defi­ keiner Agglomeration angehört haben, um
niert. Jede Agglomeration besitzt eine Kernzone, 10% über dem schweizerischen Mittel.
die aus der Kerngemeinde und ggf. weiteren Ge­ 4. Mindestens ein Drittel der wohn haften Er­
meinden besteht, die jede mindestens 2000 Ar­ werbstätigen arbeitet in der Kernzone. Schwel­
beitsplätze und mindestens 85 Arbeitsplätze (in lengemeinden, die an zwei Agglomerationen
der Gemeinde arbeitende Personen) auf 100 an­ angrenzen, erfüllen dieses K riterium auch
sässige Erwerbstätige aufweist. Diese Gemeinden dann, wenn mindestens 40 % der Erwerbstä­
müssen ferner entweder mindestens ein Sechstel tigen in beiden Kernzonen zusammenarbeiten
ihrer Erwerbstätigen in die Kerngemeinde entsen­ und auf jede einzelne mindestens ein Sechstel
den, mit dieser baulich verbunden sein oder an entfällt.
sie angrenzen. Ob eine Gemeinde, die nicht zu 5. Der Anteil der Erwerbstätigen im ersten Wirt­
einer Kernzone gehört, Teil einer Agglomeration schaftssektor (Wohnortsprinzip) darf das Dop­
ist, kann statistisch definiert werden, wenn min­ pelte des gesamtschweizerischen Anteils nicht
destens ein Sechstel ihrer Erwerbstätigen in der überschreiten.
Kernzone arbeitet und mindestens drei der fünf
folgenden Kriterien erfüllt sind: Eine Stadt ist eine Gemeinde mit mindestens
1. Die Gemeinde ist baulich mit der Kerngemein­ 10 000 Einwohnern. Sofern sie nicht Teil einer
de verbunden, Baulücken durch Nichtsied­ Agglomeration ist, wird der Begriff isolierte Stadt
lungsgebiet (Landwirtschaftsland, Wald) über­ oder Einzelstadt verwendet.
schreiten 200 m nicht.
2. Die kombinierte Einwohner-/Arbeitsplatzdichte
Quelle: nach Schuler, M (1997): Die Raumgliederung der Schwe!z Bundesamt für Slal1st1k,
pro Hektar Siedlungs- und Landwirtschaftsflä­ Bern und Bundesamt für Stat1sl1k, Sekl1on Räumliche Analysen, Überarbeitung der Agglome­
rationsdeflnilion Grundlagenslud1e zur Bestandesanalyse und Bedürfnisabklärung Schlussbe­
che (ohne Alpweiden) übersteigt 10. richt vom 29 Juni 2007, Bern

departement EVD, Bundesamt für Raumentwicklung merationen, z. T. durch neu intermediäre Instituti­
ARE & Staatssekretariat für Wirtschaft SECO (Hrsg.) onen, Organisations- und Gouvernanz-Strukturen
2006). ■ die Verbesserung der vertikalen Zusammenarbeit
Leitgedanken der Agglomerationspolitik des Bun­ zwischen Bund, Kantonen, Städten und Gemein­
des sind: den
■ Einfluss der Agglomerationen auf den Wirtschafts­ ■ die Ausrichtung von Sektoralpolitiken auf die At­
standort Schweiz. Die Konkurrenzfähigkeit des traktivität und Qualität urbaner Räume und Verbes­
Wirtschaftsstandortes Schweiz wird maßgeblich serung der Koordination von Sektoralpolitiken
von der Funktionsfähigkeit und Lebensqualität der ■ die Anbindung des Schweizer Städtenetzes an das
Agglomerationen beeinflusst. europäische Städtenetz, wozu insbesondere ver­
■ Verstärkte Zusammenarbeit zur Problemlösung. kehrspolitische und verkehrstechnische Maßnah­
Funktionsfähigkeit und Lebensqualität der Agglo­ men dienen
merationen können nur erhalten werden, wenn ■ die Förderung des Erfahrungsaustauschs zwischen
Kernstädte und Agglomerationsgemeinden nicht den verschiedenen Akteuren der Agglomerations­
länger versuchen, ihre Probleme im Alleingang zu entwicklung und Sensibilisierung von Politik, Ver­
lösen, sondern zusammenarbeiten, wobei Bund waltung und Bevölkerung für die urbane Realität
und Kantone sie darin mit der Schaffung geeigne­ der Schweiz.
ter Rahmenbedingungen unterstützen.
■ Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Aspekt der Erhal­ Funktionale Räume für die Gemeinde­
tung und Verbesserung der wirtschaftlichen Attrak­ zusammenarbeit - auf dem Weg zur
tivität und Lebensqualität in den Agglomerationen. Urban und Regional Governance
Der Fokus auf der nachhaltigen Entwicklung von Ob eine Gemeinde, die nicht zu einer Kernzone ge­
Städten und Stadtregionen beinhaltet Ansätze zur hört und zusätzlich eventuell gar in einem anderen
Stärkung des schweizerischen Städtenetzes in sei­ Kanton angesiedelt ist, sich zu einer Agglomera­
ner Gesamtheit sowie Ansätze zur verstärkten Sied­ tion zugehörig fühlt, ist statistisch natürlich nicht
lungsentwicklung nach innen, um der Zersiedelung zu definieren. Zusammengehörigkeit und Zusam­
in der Fläche Einhalt zu gebieten. menarbeit in einem selbstbestimmten funktionalen
Raum (Perimeter) sind aber zentrale Elemente der
Der Bund entwickelte fünf Strategien für die Umset­ Agglomerationspolitik. Perimeter der i nterkom mu­
zung dieser Leitlinien in die Realität: nalen Zusammenarbeit, die horizontal gestärkt wer­
■ die Schaffung von Anreizen für die horizontale Zu­ den soll, können jedoch wegen der ausgeprägten
sammenarbeit innerhalb und zwischen den Agglo- Gemeindeautonomie in der Schweiz nicht politisch
139

.,von oben" bestimmt werden. Sie sind in erster Li­ das Instrument so konzipiert, dass neben den Berei­
nie das Ergebnis eines politischen Aushandlungspro­ chen Verkehr und Siedlung auch weitere Politikberei­
zesses. So sind beispielsweise Einrichtungen wie die che wie Kultur, Soziales, Wirtschaft, Gesundheit oder
Regionalplanungsverbände oder kommunale Zweck­ 1 nfrastruktur behandelt werden können. Die Mehrheit
verbände, die in Deutschland seit Jahrzehnten ein der heute vorliegenden Agglomerationsprogramme
Begriff und operativ tätig sind, ein in der Schweiz konzentriert sich (vorläufig noch) auf die Bereiche
in dieser Form unbekanntes Konzept und a priori Verkehr und Siedlung (Eidgenössisches Departement
nicht mit dem kulturell immer noch stark veran­ für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation
kerten Selbstverständnis von Kantonen als quasi­ UVEK Eidgenössisches, Volkswirtschaftsdepartement
unabhängigen Staaten in einem Bundesstaat und EVD, Bundesamt für Raumentwicklung ARE&Staats­
derzeit 2551 Gemeinden als autonom entscheiden­ sekretariat für Wirtschaft SECO (Hrsg.) 2006).
den Entitäten vereinbar. Konzepte interkommunaler,
multidimensionaler Zusammenarbeit in funktionalen Koordination und Verbesserung
Regionen - eventuell sogar über Kantonsgrenzen hin­ der vertikalen Zusammenarbeit
weg- fanden in der Schweiz erst mit der Agglome­ Nachdem in der Schweiz lange Zeit kein Handlungs­
rationspolitik des Bundes eine gewisse Beachtung. bedarf für eine „nationale Städtepolitik" erkannt
1 nterkommunale Zusammenarbeit war zuvor eher auf wurde, ist es nun umso bemerkenswerter, dass der
einzelne Aspekte wie eine gemeinsame Feuerwehr Bund mit der Agglomerationspolitik nicht nur die
oder Polizei in jenen Gemeinden beschränkt, die Rahmenbedingungen, sondern gleich auch den in­
nicht über genügende Mittel oder eine ausreichend stitutionellen Modus lieferte, um die vertikale Zu­
große Bevölkerung für die Einrichtung eigener Kapa­ sammenarbeit zwischen den 2551 Gemeinden, 26
zitäten verfügten. Kantonen und dem Bund aufzubauen und laufend zu
verbessern. Der Bundesbericht benannte die Proble­
Model/vorhaben me der vertikalen Zusammenarbeit explizit: Demnach
Um das System der Zusammenarbeit zu testen und gab es nur periodischen oder vereinzelten Kontakt
im Bewusstsein zu verankern, wurden 50 sog. Mo­ mit Städten/Gemeinden über Kantone hinweg, nicht
dellvorhaben der nachhaltigen Raumentwicklung aber im Rahmen koordinierter Aktionen. Die Zusam­
vom Bund vorgezeichnet. Sie wurden bewusst in ei­ menarbeit mit Städten/Gemeinden war nur selten in
nem kleinen Perimeter gestartet, um die Startphase Gesetz, Verordnungen oder in besonderen Strukturen
und behutsame Annäherungen in einer interkommu­ verankert und konzentrierte sich nur auf Vollzug des
nalen und eventuell interkantonalen horizontalen Zu­ Bundes oder der Kantone.
sammenarbeit nicht zusätzlich zu erschweren; eine Zur Optimierung von Direktkontakten zwischen
schrittweise Erweiterung ist jedoch möglich. Bei den Bund und Gemeinden schuf der Bund die Tripartite
Modellvorhaben sollten wichtige Anliegen der Raum­ Agg!omerationskonferenz (TAK) als eine gemeinsame
entwicklungspolitik, innovative Projekte und Zusam­ Plattform von Bund, Kantonen sowie Gemeinden und
menarbeit über administrative Grenzen hinweg lan­ Städten. Sie wurde im Februar 2001 vom Bundesrat,
ciert werden. Für die Zusammenarbeit gibt es ver­ der Konferenz der Kantonsregierungen, dem Schwei­
schiedene Modelle: So gibt es projektorientierte Zu­ zerischen Gemeindeverband und dem Schweizeri­
sammenarbeit, institutionalisierte Zusammenarbeit schen Städteverband gegründet.
auf freiwilliger Basis und verbindliche Formen der Ziel der TAK ist, dass der Bund, die Kantone so­
Zusammenarbeit (Eidgenössisches Departement für wie die Gemeinden und Städte enger zusammenar­
Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK beiten und eine gemeinsame Agglomerationspolitik
Eidgenössisches, Volkswirtschaftsdepartement EVD, entwickeln. Um die Bedeutung einer solchen Insti­
Bundesamt für Raumentwicklung (ARE)&Staats­ tution zu würdigen, sei daran erinnert, dass Artikel
sekretariat für Wirtschaft SECO (Hrsg.) 2006). Zu 50 der Bundesverfassung die Gemeindeautonomie
Letzteren gehören Gebietsreformen, kurzfristig ge­ im Rahmen des kantonalen Rechts garantiert und
meinde- bzw. kantonsübergreifende Formen der Zu­ ferner von der kantonalen Verfassung und der jewei-
sammenarbeit oder die Schaffung von Agglomerati­ 1 igen Gemeindeordnung abhängig macht, welche
onsinstitutionen (kommunale Zweckverbände, in der Rechte eine Gemeinde besitzt. Die Schweizer Ge­
Schweiz auch „Zweckgemeinden" genannt). meindeautonomie wurde de jure durch den Bundes­
gerichtsentscheid lC 181 vom 9. August 2007 noch
Agglomerationsprogramme zur Verbesserung einmal gestärkt, als Gemeinden im Kanton Tessin
der horizontalen Zusammenarbeit das übergeordnete Recht zur Konsu ltativabsti m­
Die Agglomerationsprogramme sollen den Städten mung (auch entgegen kantonaler Beschlussfassung)
und Gemeinden einer Agglomeration ermöglichen, bestätigt wurde.
eine gesamtheitlichen Entwicklungsstrategie aufzu­ Neben der gegenseitigen Information will die TAK
stellen, Prioritäten zu setzen und Ressourcen dort v. a. zur Stärkung der Zusammenarbeit in den Agglo­
einzusetzen, wo der größte Nutzen für die Agglomera­ merationen beitragen und konkrete Agglomerations­
tion zu erwarten ist. Die jeweils beteiligten Kantone, probleme anpacken (Tripartite Agglomerationskon­
Städte und Gemeinden entscheiden jedoch selbst, ferenz TAK (Hrsg.) 2004: 3). Dabei können neue
ob sie ein Agglomerationsprogramm erarbeiten und Strukturen wie z. 8. ein Agglomerationsrat eingelei­
welche Inhalte es umfassen soll. Grundsätzlich ist tet werden (Abb. 101), die zahlreiche bestehende
140

----------------------------------------� �� tionen meist freiwillig, unverbindlich und nicht opti­


strategische mal koordiniert (Tripartite Agglomerationskonferenz
Entscheide
� TAK (Hrsg.) 2004: 9).
,ttmmberec:htl&te
lnltlatlve/Reletendum
��Ausblick
ij Neue Rahmenbedingungen für Städte erfordern Mut
i�für neue Konzepte. Mil einem umfassenden Polltik-
3.] bündel, darunter auch die Agglomerationspolltlk, hat
:�der Bund die Weichen für eine Zukunftsgestaltung
Vorbereitung
der Entscheide/
1
1 ! �jder Regionen mit urban governance--Formen gestellt,

! --i---- ----�---- ---4----i____t___f__ Ji


Koordination der
1 Raum­
: }iwelche die Verktustungen bestehender administrati­
1
Politikbereiche Verkehr Kultur Weitere
1
ordnung -
Kommissionen
l ver Grenzen (Gemeindeautonomie, .,Kantönligeist")
j 1 1 1 1 il� aufbrechen können. Eine zukunftsgerichtete Stadt-
_Jjj entwlcklungspolitik der Schweiz in der heutigen Zeit
[� kann und muss sich den negati�en Selektionsprozes­
Realisierung
Produkte
Dritte �-� sen entgegenstellen: durch Steigerung der Stand­
l�ort- und Umfeldqualität, durch eine ausgewogene

IAbb.1011 Das Modell für


eine funktionsfähige Heute Zukunft
Agglomeration.
Kanton Kanton

Verbund Konferenz Verein Weitere Agglomerat1onsrat


Verkehr Kultur Raumordnung , .

1 1

1--------'l l ]
IAbb.1021 Agglomera­
Gemeinden Gemeinden
tionsrat- die Vorteile
überzeugen.

Organisationen zusammenführen und klare Schnitt­ finanzielle Umverteilung zwischen Stadt und Umland
stellen schaffen (Abb. 102). Die Entscheide des sowie durch neue Formen der städtischen und regio­
Agglomerationsrates sollen für alle Agglomerations­ nalen Gouvernanz. Diese neuen Formen der Gouver­
gemeinden gelten und eine flächendeckende Umset­ nanz erfordern z.B. mit rechtlichen und planerischen
zung der gemeinsamen Strategie gewährleisten. Die Befugnissen ausgestattete Stadt-Umland-Verbände,
Mitglieder des Agglomerationsrates sollen vom Volk welche die bestehenden föderativen Strukturen in
gewählte Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten der Schweiz nicht aushebeln, sondern um eine wei­
sein. Dank Initiativ- und Referendumsrecht kann tere Dimension ergänzen, die sich an den Bedürf­
das Volk mitbestimmen. Diese Modelle, die in den nissen nach Lösungskompetenz in der heutigen Zeit
kommunalen Zweckverbänden oder Regionalpla­ orientiert. Die Zeichen in der Schweiz standen nie
nungsverbänden in Deutschland und in Frankreich günstiger, um die Stadt- und Regionalentwicklung
ihre Gegenstücke haben, sind in der Schweiz noch multidimensional, breit abgestützt und in neuen
weitgehend im Aufbau bzw. noch nicht realisiert. zweckgebundenen Institutionen anzugehen. Es wird
Gegenwärtig ist die Zusammenarbeit in Agglomera- sich zeigen, inwieweit diese Chance ergriffen wird.
141

Strukturwandel im ländlichen Raum


und in den Alpen

1 Abb. I
103 Periurbani­
Überblick sierung im Alpenvorland
mit Blick auf die Glarner
■ Räumliche Ungleichgewichte gab es bereits im Agrarzeitalter. Mit der Bahnanbindung der Alpen an Alpen: Früher wurden in
die europäischen Märkte entstanden neue räumliche Hierarchien, die durch die Industrialisierung Dottikon Strohhüte her­
verstärkt wurden. gestellt. 1913 kam eine
■ Vier große sozio-kulturelle Gegensätze begleiten die Schweiz seit jeher: die Rivalität zwischen Stadt­
und Landorten, die Wirtschaftsweisen von Berggebieten und Mittelland, die Identitäten von vier
Sprengstofffabrik dazu.
Heute wandelt sich das
Industriedorf im Kanton
Sprachen und seit der Reformation die konfessionelle Spaltung. Zusammen haben sie dazu geführt, Aargau zur Wohngemeinde
dass der regional-territoriale Ausgleich stärker beachtet wird als die soziale Gleichentwicklung. für Arbeitspendler und ist
■ Landwirtschafts- und alpwirtschaftliche Nutzflächen (38% der Gesamtfläche der Schweiz) prägen Teil des Metropolraums
Zürich.
das Landschaftsbild. Es dominieren Wiesen- und Weideflächen, in der Landwirtschaft die Tierpro­
duktion und kleine Familienbetriebe unter 20ha. Dabei ist die Anzahl der Landwirtschaftsbetriebe
wie auch der landwirtschaftlich Beschäftigten rückläufig.
■ Bis in die 1960er-Jahre wurden diese Disparitäten im Großen und Ganzen politisch in Kauf ge­
kommen. Dann versuchte der bundesstaatliche Finanzausgleich von 1959, mittels Umverteilung
wirtschafts- und finanzschwächere Kantone in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben wahrzunehmen.
Trotz mehrerer Verbesserungen führten falsche Anreize zu einer schleichenden Schwächung des
schweizerischen Föderalismus.
■ Der Neue Finanzausgleich erlaubte eine Reform der Regionalpolitik des Bundes. Die früheren Pro­
gramme (vor allem Investitionshilfe für Berggebiete, regionale Wirtschaftsförderung) wurden per
2008 in einem einzigen Bundesgesetz zusammengefasst. Anstelle des Abbaus regionaler Disparitä­
ten steht bei der Neuen Regionalpolitik die Wachstums- und Innovationsförderung im Vordergrund.
142 t ukturwandel im ländlichen Raum und in den Alpen

Räumliche Disparitäten ■ Martin Schuler, Manfred Perlik

Die heutigen Raumwissenschaften betrachten die Krieg (zuletzt der Sonderbundskrieg 1847 (s. Kap.
ganze Schweiz als „urban". Häufig wird in der Öf­ ,,Geschichte und Politik/Geschichte der Schweiz").
fentlichkeit - quer durch alle politischen Lager - Das ist an sich nicht einzigartig, doch das über­
von der „ Metropole Schweiz" gesprochen. Dieser leben dieser Struktur bis in die jüngste Zeit ist eine
Sichtweise Iiegt zugrunde, dass die Erreichbarkeit Ausnahme. Einen Erklärungsansatz hierfür bietet
aller Landesteile hoch ist und die nationale Wert­ die „cleavage theory" (Rokkan& Urwin 1983). Da­
schöpfung in den großen Agglomerationen generiert nach ist es gerade die Überlagerung verschiedener
wird oder von diesen abhängt. Eine großräumige Gegensätze oder cleavages, die den Zusammenhalt
Trennung von Wohn- und Arbeitsort ist zur Norm der Schweiz als multikulturelle und mehrsprachige
geworden. Heute leben drei Viertel der Bevölkerung Willensnation garantieren. Die Vielzahl der Bruchli­
in urbanen, sub- und periurbanen Städten und Ge­ nien war nie deckungsgleich, sondern erzeugte im­
meinden. Damit weist die Schweiz einen hohen Ur­ mer verschiedene Gemeinsamkeiten und Gegensätze.
banisierungsgrad auf. Die Lebensstile haben sich Städte und Protestantismus hingegen waren weitge­
angeglichen. hend deckungsgleich, Sprach- und Konfessionsgren­
Ist damit alles „urban", haben die regionalen Un­ zen jedoch nicht. Auch die großen Naturräume sind
terschiede an Bedeutung verloren? im Folgenden soll sprachlich und konfessionell vielfach zerschnitten.
gezeigt werden, dass die Urbanisierung und Met­ Es ist gerade die Überkreuzung verschiedenster c/ea­
ropolisierung die regionalen Ungleichgewichte der vages, die das Gesamtsystem stabilisiert hat.
Schweiz verändert hat, diese aber nicht verschwun­ Daraus entstand eine ausgeprägte Sensibilität, Ver­
den sind, sondern in neuer und teils verstärkter Form teilungsfragen nach räumlich abgrenzbaren sozialen
reproduziert werden. Unterschieden zu behandeln. Profitiert haben dabei
v. a. die territorial gebundenen Wirtschaftsformen.
Mehrfache Risse als Voraussetzung Die soziale Frage, die durch die Industrialisierung
für territorialen Zusammenhalt hervorgerufen wurde, hatte demgegenüber immer
Gegensätze kennzeichneten die Alte Eidgenossen­ ein vergleichsweise geringes Gewicht, obwohl die
schaft von Anfang an; sie waren auch für die föde­ Schweiz im 18.Jh. mit der Protoindustrie und dann
ralistische Schweiz, wie sie seit 1848 besteht, be­ wieder in den l 960er-Jahren eines der am stärks­
stimmend. Diese Gegensätze führten dazu, dass dem ten industrialisierten Länder Europas war. Ergebnis
regionalen Ausgleich oder regionalen Kompromiss dieser sich territorial äußernden sozialen Sensibili­
stärkeres Gewicht beigemessen wurde als dem sozi­ tät war ein über lange Zeit unangefochtener Konsens
alen Kompromiss zwischen Schichten und Klassen. des regionalen Ausgleichs und die daraus geformte
Territorial sind vier große soziokulturelle Wider­ Regionalpolitik. Interessanterweise war diese mehr­
sprüche zu erkennen (Joye et al.1992): heitlich eine Berggebietspolitik, obwohl die Bergge­
■ Der frühe Gegensatz zwischen Land und Stadt. Die biete, im Unterschied zu anderen Alpenländern, nie
Alte Eidgenossenschaft entstand im 14. und 15.Jh. zur Gänze benachtei Iigt waren, und das länd Iiche
aus Vereinbarungen zwischen den (zuletzt) sechs Mittelland phasenweise ebenfalls starker Verarmung
Land- und sieben Stadtorten. Nur so konnte sie ausgesetzt war.
zwischen den damaligen europäischen Großmäch­ Darüber hinaus bestehen weitere regionale und
ten bestehen. lokale Trennlinien. Erwähnenswert ist eine kulturelle
■ Der Gegensatz zwischen unterschiedlich zu be­ „fünfte Grenze" entlang der Kantonsgrenze von Bern
wirtschaftenden Territorien, abhängig von der und Luzern (Brünig-Napf-Linie), die als Mundart­
Wirtschafts- und Sozialstruktur. Am stärksten zeigt und Konfessionsgrenze innerhalb des alemannischen
sich dieser Gegensatz zwischen Berggebiet (Alpen, Sprachgebiets etwa 50-100 km östlich der roma­
Jura) und Mittelland. nisch-germanischen Sprachgrenze verläuft.
■ Die vier Sprachregionen, die zwar sehr ungleich in Die alten Bruchlinien sind nach wie vor präsent
der Größe sind (s. Kap. ,,Bevölkerung, Kultur und und entfalten neue Wirkungen. Einer eher etatistisch
Gesellschaft/Sprachenlandschaft in der Schweiz geprägten westlichen Landeshälfte steht eine eher
im Wandel"), die aber über die Zeit konstant blei­ individualistisch wirtschaftende östliche gegenüber.
ben, sieht man von der Erosion des Rätoromani­ Sichtbar wird dies beispielsweise an niedrigeren
schen ab. Gemeindesteuersätzen im östlichen und einer höhe­
■ Die konfessionelle Spaltung seit der Reformation, ren Belastung im westlichen Landesteil (Abb. 104)
bei der die Städte Zürich und Genf einerseits und (Thierstein et al. 2003).
die katholische lnnerschweiz andererseits eine
zentrale Rolle spielten. Räumlich-wirtschaftliche
Ausditferenzierung der Schweiz bis 1970
Jede der vier großen Bruchlinien der Schweiz hat­
te in der Vergangenheit das Potenzial zu einer Es­ Räumliche Ungleichgewichte im Agrarzeitalter
kalation und führte zu Kantonsspaltungen (z.B. die Neben den großen Bruchlinien bestimmte die wirt­
1833 gewaltsam herbeigeführte Teilung des Kantons schaftliche Dynamik die territoriale Entwicklung. Im
Basel), im Fall der Religionsfrage auch zu direktem 18. und 19.Jh. erfuhr die Landwirtschaft auf der
143

Steuerbelastung des Einkommens, 2002


Belastung durch Kantons-, Gemeinde- und Kirchensteuern
(ohne direkte Bundessteuer) in % des Bruttoarbeitseinkommens bei
einem steuerpflichtigen Einkommen von 80000 CHF,
verheiratetes Paar ohne Kinder

28] -12,0-13,9
544 _ 11,2 -11,9
540 -10,5-11,1
616 - 9, 0 -10, 4
654 7,5 - 8,9
260 2,0-

Schweiz 10,2%

l
N

unbewohnte
Exklaven

nach Gemeinden 0 25 50 km

Alpennordseite infolge der Spezialisierung auf reine La Chaux-de-Fonds gezielt als Zentrum der 1 Abb. 1041 Unterschiede
Milchwirtschaft einen Produktivitäts- und Innovati­ Uhrenmanufakturen und organisierte den Wiederauf­ der Steuerbelastung.
onsschub. Als neues Produkt entstand ein Hartkäse, bau im Schachbrettgrundriss (vgl. Abb. 67).
der lagerfähig war. Dieser Käse war ein gefragtes Ex­ Auf der anderen Seite gab es immer wieder Aus­
portprodukt, u. a. für Schiffsexpeditionen. Die neue wanderungswellen, die nicht nur die Berggebiete
Produktionsweise ermöglichte eine größere Sied­ betrafen. So gab es 1850 bis 1900 eine Periode
lungsdichte als früher und erlaubte eine ganzjähri­ großer Abwanderung aus den Getreideanbaugebieten
ge Besiedelung höher gelegener Gebiete. Von dieser des ländlichen Mittellandes. Die Alpengebiete waren,
regionalen Blüte v. a. im Kanton Bern, aber auch in mit Ausnahme der Südalpen, nicht flächenhaft davon
der lnnerschweiz, zeugen noch heute die stattlichen betroffen.
Bauernhäuser aus jener Zeit. Innerhalb eines kurzen
Zeitfensters - während der Zeit des Dreißigjährigen Anbindung der Alpen an die europäischen
Krieges, als andere Handelsrouten unsicher gewor­ Märkte: neue räumliche Hierarchien
den waren - wurde der internationale Salzhandel Mit der Industrialisierung Ende des 19.Jh. erhielten
über den Simplonpass geführt. Die Initiative ging von die ländlichen Gebiete und die Alpen Anschluss an
dem lokalen Unternehmer Jodok Stockalper aus, der das europäische Verkehrsnetz, und die agrarische
mit dem Aufbau eines europäischen Handelsnetz­ Subsistenzwirtschaft wurde aufgegeben. Damit ging
werks die Stadt Brig kurzfristig zu einem internatio­ auch eine Periode zu Ende, in der die ländlichen Ge­
nalen Zentrum machte (Aerni 2003). Ähnlich wie in biete der Schweiz eine Blütezeit erlebt hatten und
England sorgte freies Handelskapital für eine frühe überproportional gewachsen waren. Einen solchen
(Proto-)lndustrialisierung von einzelnen, überwie­ Bedeutungsgewinn sollten die ländlichen Räume erst
gend protestantischen Regionen. In Glarus stammte wieder mit Beginn der l 970er-Jahre erleben.
das Handelskapital von „Militärunternehmern", die Die neuen Industrien (Erfindung der Aluminium­
Söldner in fremde Dienste vermittelt hatten und zu Elektrolyse 1886) und der Tourismus (v.a. seit etwa
Reichtum gekommen waren. Voralpine Textilgebiete 1880) füllten die durch den kontinuierlichen Nie­
waren das Zürcher Oberland, Toggenburg und Appen­ dergang der Landwirtschaft entstandene Lücke nur
zell. In den Hochtälern des Jura wurde die Schwei­ teilweise. Zwar ist die Schweiz die Geburtsstätte des
zer Uhrenindustrie gegründet, wo sie heute noch Alpentourismus und begründete die dafür maßgebli­
ist. Nach einem Großbrand 1794 positionierte sich chen Innovationen wie z.B. 1873 die erste Zahnrad-
144
J
Strukturwandel im ländlichen Raum und in den Alpen

handelbaren Ware und zum Kern einer neuen Wirt­


schaftsbranche, deren Entscheidungsträger zumeist
außerhalb des Berggebietes angesiedelt waren, von
der jedoch die Standortgemeinden - verglichen mit
den anderen Alpenländern und anderen Einnahme­
quellen - hohe Abgeltungen (Wasserzinsen, während
einer Laufzeit von 80 Jahren) erhielten. Damit ent­
standen im lange Zeit strukturschwachen Berggebiet
punktuell wohlhabende Gemeinden, was mit der Zeit
einen innerkantonalen Finanzausgleich unumgäng­
lich machte (s. Kap. ,, Strukturwandel im ländlichen
Raum und in den Alpen/Strukturwandel, Neuer Fi­
nanzausgleich und Neue Regionalpolitik").
Die großen lnfrastrukturbauten im Berggebiet wa­
ren nur auf der Grundlage vorgängiger umfassender
Erschließungsarbeiten möglich. Sie hatten den er­
wünschten Nebeneffekt, abgeschlossene Bergdörfer
mit Fahrstraßen z. T. erstmals für den allgemeinen
Verkehr zugänglich zu machen und an die Stromver­
sorgung anschließen zu können. Die Erschließung
traf zudem mit den Bedürfnissen einer starken und
dezentral organisierten Armee zusammen.
Die großräumige Trennung von Produktion und
Verbrauch der Energie verhinderte eine flächenhafte
1 Abb. 1051 Hotel Alpen­ bahn auf die Rigi als Aussichtsberg über dem Vier­ Ausdehnung der Industrie in den Gebirgskantonen.
rose in Sils im Engadin waldstättersee bzw. die Palasthotels auf dem Gipfel Entlang der Verkehrslinien v. a. im Wallis, aber auch
aus der Gründerzeit des (Abb. 105), aber der Tourismus entwickelte sich zu­ im Tessin (Stahlwerke Monteforno in Bodio) und in
Alpentourismus, heute nächst nur für eine schmale Gesellschaftsschicht an Altdorf (Kanton Uri) wurden einige großindustrielle
umgenutzt zu vermieteten
Apartment-Wohnungen, ausgewählten Orten. Anlagen angesiedelt (Abb. 106). Die Lonza AG in
2004. Die industrielle Güterproduktion entwickelte sich Visp wurde 1897 als Karbid- und Düngemittelfabrik
an Standorten lokaler Energie (Wasserkraft) und ent­ gegründet und wandelte sich über die Spezialitäten­
lang der Eisenbahnlinien. Das Konzept der Eisen­ chemie zum biotechnologischen Unternehmen. Die
bahnlinien entlang der großen Quertäler (Gotthard, Standorte im Wallis entwickelten sich weiter, u. a. auf
Lötschberg-Simplon) erleichterte den Touristen das der Basis eines regionsspezifischen Arbeiterbauern­
Kommen und den Güteraustausch mit dem außeral­ tums (Börst 2006).
pinen Raum, verhinderte jedoch das Entstehen eines In den 1960er-Jahren wurde der Alpenraum zu­
zusammenhängenden Wirtschaftsraums innerhalb dem zur „verlängerten Werkbank Europas". Zahl­
der Alpen. Der Aufschwung war nur kurz, denn mit reiche Firmen gründeten in den Alpentälern Zweig­
der Fernübertragung von Strom war die Güterpro­ betriebe und nutzten die besonderen Vorteile des
duktion nicht mehr standortgebunden und die Alpen Umbruchs im Berggebiet. Mit dem Rückgang der
verloren ihre regionsspezifischen Ressourcen. Mit Landwirtschaft standen handwerklich gut ausgebilde­
Beginn des Ersten Weltkrieges brach der touristische te Arbeitskräfte zu niedrigeren Kosten zur Verfügung
Markt abrupt zusammen. Gleichwohl konnten die (Brugger et al.1984, Gebhardt 1990). Zu Beginn der
ländlichen Räume (und besonders in den Alpen) in l 970er-Jahre bestand nach wie vor ein Wohlstands­
der Periode der Industrialisierung wirtschaftlich star­ gefälle zwischen den Alpen und dem außeralpinen
ke Zweige herausbilden - wenn auch verspätet und Raum, doch hatte sich der Abstand verringert. Rück­
nur für kurze Zeit. blickend zeigen die langjährigen Datenreihen der
Bevölkerungs- und Arbeitsplatzentwicklung, dass in
Der Aufha/prazess im 20. Jahrhundert den wirtschaftlichen Aufschwungphasen des 20. Jh.
In der Zwischenkriegszeit wurde in fast allen Alpen­ v. a. die Städte von der Dynamik profitierten, während
ländern mit dem Bau großer Speicherkraftwerke be­ in Rezessionsphasen die ländlichen Räume weniger
gnnm�n. rJiPsP PrnjPktP, rliP ncich rlPm 7wpitpn WPlt­ stark in Mitleidenschaft eezoeen wurden.
krieg laufend ausgebaut wurden, standen von Anfang
an im Dienst der nationalen Energiesicherung (nur im Regionaler Zusammenhalt durch
Wallis dienen sie auch heute noch in nennenswertem Wachstum und Umverteilung
Ausmaß dem regionalen Strombedarf, insbesondere Wie haben sich nun die einzelnen Regionen der
der seit 1908 aufgebauten Aluminiumproduktion). Schweiz in den letzten 40 Jahren entwickelt? Als
Aufgrund ihrer Größe überstiegen die Wasserkraftpro­ verlässlichste Indikatoren erscheinen nach wie vor so
jekte die regionalen Finanzierungsmöglichkeiten. Als einfache Parameter wie Bevölkerungs- und Arbeits­
Investoren traten private und institutionelle Investo­ platzentwicklung.
ren aus den industriellen Zentren auf den Plan. Mit Es war die Zeit, in der über die „Unwirtlichkeit
den neuen Speicherkraftwerken wurde der Strom zur der Städte" geschrieben wurde und die Städte viele
Räumliche Disparitäten 145

IAbb.1061 /m Rh6neta/
konzentrieren sich Alumi­
nium- und Biotechindus­
trie, 2004.

Bewohner an die sub- und periurbanen Gemeinden der Formel „sozialer Zusammenhalt durch Wohl­
verloren. Es kam ab 1974 in den ländlichen Räu­ standswachstum und Umverteilung" zusammenfas­
men tatsächlich zu einem Abwanderungsstopp und sen und dominierte drei Jahrzehnte lang die euro­
einer leichten Zuwanderung, die beide nicht nur päische Nachkriegsentwicklung. Mit den Erkennt­
während der Rezessionsphasen Anfang der l 970er­ nissen aus dem Meadows-Bericht 1972 (,,Grenzen
und Anfang der 1990er-Jahre, sondern auch in der des Wachstums") und der ersten Ölkrise 1973 war
wirtschaftlich sehr starken Phase der l 980er-Jahre dieses Paradigma zwar seiner Grundlagen beraubt, in
Bestand hatten und bis Mitte der l 990er-Jahre an­ der Schweiz aber bestanden diese Grundlagen wei­
dauerten. Dies ist erstaunlich, denn die langfristige ter: Die wirtschaftliche Prosperität war nach wie vor
Raumentwicklung in ganz Europa zeigt bis heute eine vorhanden, der gesellschaftliche Konsens ebenfalls,
kontinuierliche Konzentration der Urbanisierung (Pu­ und die Instrumente der Regionalpolitik wurden ge­
main 2004). rade erst eingeführt.
Die Erklärung für die lange Periode des Wachstums Es ist typisch für gesellschaftliche Paradigmen
der ländlichen Räume ist, dass einerseits die dezen­ (sog. Regime), dass grundlegende Wechsel erst
tralen Industrien bis in die 1990er-Jahre von Bedeu­ langfristig und zeitverzögert ihre Wirkung entfal­
tung blieben, andererseits der wachsende Dienstleis­ ten. Tatsächlich wurde der Paradigmenwechsel
tungssektor dem gesellschaftspolitischen Konsens erst Mitte/Ende der l 990er-Jahre mit einem neu­
der flächendeckenden Versorgung des Landes unter­ en Selbstbewusstsein der Städte räumlich sichtbar.
lag, nicht nur im Bereich der Gesundheitsversorgung Von da an kehrte sich die Entwicklung der Bevöl­
und des Einzelhandels, sondern auch im Bankenwe­ kerung und der Arbeitsplätze um, was als „zweite
sen, im öffentlichen Verkehr und in der Infrastruktur Trendwende" bezeichnet wird. Diese Trendwende ist
allgemein. Dieser gesellschaftliche Konsens schuf mit einer Stärkung der Metropolfunktionen in den
die Grundlagen für eine entsprechende Regionalpo­ drei großen Zentren der Schweiz verbunden (Zü­
litik. Das 1974 in Kraft getretene Investitionshilfe­ rich: Finanzdienstleistungen, Basel: Life Sciences,
gesetz für Berggebiete (IHG) kam zwar in Bezug auf Genf: Internationale Organisationen). Der Werkplatz
die Landflucht der l 950er-/l 960er-Jahre zu spät, Schweiz geriet in Schwierigkeiten (Crevoisier et al.
aber es stabilisierte ein gesellschaftliches Regime 2001, s. Kap. ,,Wirtschaft/Der Weg der Schweiz zum
des regionalen Ausgleichs, das eigentlich zu Beginn Werkplatz, Finanzplatz, Denkplatz und zurück") -
der l 970er-Jahre bereits am Ende war. Dieses als die ländlichen Räume und auch die mittelgroßen
„ fordistisches Modell" bezeichnete gesellschaftliche Agglomerationen blieben über die gesamte erste
Paradigma des regionalen Ausgleichs lässt sich mit Dekade des neuen Jahrtausends im Wachstum zu-
146 kturwandel im ländlichen Raum und in den Alpen

80,D
IAbb.1071 Anteil der ruralen Arbeitsplätze nach Wirt­
schaftssektoren ( 1939-2008).
%
70,D
Primärer Sektor Erläuterung: Die ruralen Gebiete verlieren gegenüber den
urbanen Räumen im langfristigen Verlauf kontinuierlich an
Arbeitsplätzen. Dabei steigt ihr Anteil an den wertschöp­
60,D fungsschwächeren Wirtschaftssektoren ( Landwirtschaft und
binnenmarktorientierte Industrie). Der Anteil der Arbeitsplät-
ze bei Dienstleistungen geht hingegen zurück, nachdem er
?
c
50,0 sich zwischen 1975 und 1998 stabilisiert hatte und zwi­
sehen 1985 und 1995 sogar ein leichtes Wachstum aufwies.
{
40,0
Es kommt zu einer Zweiteilung: Auf der einen Sei­
� te befinden sich die Kernstädte und suburbanen Ge-
30,0
Sekundärer Sektor ;ll
Schweiz
W biete der Metropolräume, in denen sich die globalen
20,0 � Entscheidungszentren konzentrieren, auf der anderen
Tertiärer Sektor 8 Seite die in die Metropolregionen integrierten ländli­
10,0 §c chen Gebiete, die zu Pendlergemeinden oder Frei-
f zeitlandschaften werden. Sichtbar wird dies anhand
0,0 -'-,------,--,----,--,---,----,-----,--,-------,----,-----,--,---,---, j der Entwicklung der Arbeitsplätze im ländlichen
1940 1945 1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 _;; Raum (Abb. 107).
Jahr
] Die Berggebiete entwickeln sich dort stark, wo
die internationale Anbindung gegeben ist und die
rück. Mit der 2008 in Kraft getretenen „Neuen Re­ Landschaft das beste Image hat. Dazu gehören die
gionalpolitik", welche das IHG-Gesetz abgelöst hat, weltbekannten Destinationen St. Moritz, Davos, Zer­
wurde die Schweizer Regionalpolitik nach Kriterien matt oder Crans-Montana, die sich vom traditionellen
regionaler Innovationspotenziale reorganisiert. Zu­ Tourismus zu resort towns und Filialen internationa­
dem formulierte der Bund eine explizite Agglome­ ler Geschäftszentren weiterentwickelt haben. Zudem
rationspolitik, die v. a. Verkehrsvorhaben in städti­ gehören die Seeregionen insbesondere um Zürich,
schen Räumen fördert und erstmals eine dezidierte Genf, Luzern und Lugano dazu. Wo hingegen Investo­
Intervention im urbanen Raum darstellt (s. Kap. ren kein Urbanisierungspotenzial sehen, also außer­
„Siedlung und Landschaft/Agglomerationspolitik halb der Agglomerationen und Resorts, entwickeln
des Bundes"). sich die Berggebiete schwach (Abb. 108).
Die beiden Trendwenden der Schweizer Regional­ Diese polarisierende Entwicklung kann keinesfalls
entwicklung liefern zwei wichtige Ergebnisse: Erstens als „Verödung" der Peripherie bezeichnet werden.
zeigen sie, wie wandelnde Wertesysteme erst mit Die verschobene Bedeutung zugunsten der Metropol­
beträchtlicher Verzögerung räumlich wirksam und räume einschließlich ihrer Alpenparks spiegelt eine
sichtbar werden. Zweitens belegen sie die Bedeutung veränderte Perzeption und Präferenz mit veränderten
politischer Regulationen, die auch für die regionale Sozialbeziehungen und Machtverschiebungen wider.
Ressourcenverteilung (Breiten- versus Spitzenförde­ Die neuen Wohn- und Freizeitnutzungen im Alpen­
rung) einen gesellschaftlichen Konsens darstellen. raum stellen eine neue lnwertsetzung dar, bei der frü­
Darüber hinaus bestätigt die über einen relativ lan­ here Gemeingüter wie Landschaftsqualität zu raren
gen Zeitraum befristet ausgesetzte H ierarchisierung und verkäuflichen Ressourcen werden. Nicht nur die
der Schweizer Territorialentwicklung einmal mehr Präferenzen sind neu, sondern auch die Akteure: Es
die eingangs wiedergegebene These, wonach in der ist jetzt eine mehrheitlich urbane Bevölkerung, die
Schweiz die Vermeidung regionaler Disparitäten über die Bedürfnisse formuliert und neue Standards setzt.
lange Zeit von besonderer Wichtigkeit gewesen ist.
In der Phase des wirtschaftlichen Strukturwandels Die maskierte Ungleichentwicklung
der l 990er-Jahre, als v. a. die Metropolitanregionen, Ein hervorragend ausgebautes Netz des öffentlichen
insbesondere Zürich und Genf-Lausanne wuchsen, Verkehrs, hohe soziale Mobilität sowie ein überdurch­
ließ sich dieses Bekenntnis allerdings nicht mehr so schnittlicher Lebensstandard ermöglichen einen
konsequent einhalten. Wohnsitz im landschaftlich attraktiven Berggebiet
und das Arbeiten im ökonomisch und kulturell at­
Metropolen und Parks traktiven urbanen Raum. Räumlich gesehen gibt es
Die Berggebiete werden als Freizeitlandschaften oder im Alpenraum keine „Armutstaschen" mehr, denn
Parks in die Metropolregionen (offizielle Bezeichnung Armut in der Schweiz ist heute (v. a.) ein urbanes
in der Schweiz: Metropolitanregion) integriert, jedoch Thema (vgl. Kap. ,,Soziale Disparitäten und Exklusi­
politisch nur noch unterstützt, wenn sie sich urba­ on/Armut und Reichtum in der Schweiz").
nen Lebensformen öffnen. Die Metropolkerne benö­ Die heutigen regionalen Disparitäten lassen sich
tigen die Berggebiete, weil durch sie die notwendige nicht mehr in Einkommensunterschieden und Brut­
landschaftliche und kulturelle Differenz entsteht, die toinlandsprodukt pro Kopf ausdrücken. Sie definieren
eine hohe Lebensqualität (amenities, Annehmlich­ sich vielmehr über eine Ungleichentwicklung der be­
keiten) für hoch qualifizierte Arbeitskräfte darstellt sonderen Chancen und besonderen Lasten. Die um­
und als Standortfaktor in Wert gesetzt werden kann. gekehrte Perzeption und Reputation der ländlichen
Räumliche Dispari

Räume und der Metropolregionen spielt dabei eine IAbb.108I Die ehemals selbstständige Gemeinde Casta­
wichtige Rolle. Auch die internationalen Wanderun­ segna (190 EWJ an der Grenze zu Italien.
gen sind von großer Bedeutung. Die Zuwanderer, ob Erläuterung: Das Bergell Ist eines der drei italienlschsprachl­
hoch oder gering qualifiziert, suchen zumeist den ur­ gen Südtäler Graubündens, die mit starker Bevölkerungsab­
nahme zu kämpfen haben. Heute leben hier 1600 EW. 2010
banen Raum. Die urbane Bevölkerungsmehrheit be­ fusionierten die fünf Einzelgemeinden des Tales zur Gemeinde
stimmt durch ihr Konsum- und Abstimmungsverhal­ Bergei 1. Die ehemals selbstständige Gemeinde Castasegna ist
ten über die Nutzung der Berggebiete und ländlichen das letzte Dorf vor der Grenze zu Italien. Mit dem Abbau der
Räume, über Investitionen und Desinvestitionen mit. europäischen Grenzen sind den Randgebieten weitere, ehe­
mals wichtige territoriale Funktionen verloren gegangen.
Investoren und Regionalpolitik ziehen sich aus poten­
zialarmen Teilräumen zurück.
Nachdem die Alpen lange Zeit mythisch überhöht Aargau oder der Thurgau, die zur Aufnahme der sper­
worden sind, ist jetzt eher das Gegenteil zu beobach­ rigen Infrastruktur prädestiniert scheinen und damit
ten: Die Schweiz sieht sich selbst als eine einzige zu „B-Regionen" werden: Hier finden sich Bahntras­
Metropole - eine Entwicklung, die in den Nachbar­ sen, Brennstofflager, Billigläden, Baumärkte und Bra­
staaten, in denen die Schweiz nach wie vor haupt­ chen, während die früher schlecht beleumundeten
sächlich als Alpenland gilt, zumeist nicht verstanden Kernstädte der Metropolregionen zu gesuchten „Me­
wird. In den Alpen und im Jura sind v. a. die mittle­ tropolen der Annehmlichkeiten" geworden sind. Vor
ren Lagen negativ betroffen, denn sie sind in dop­ allem hoch qualifizierte alleinstehende Zuwanderer
pelter Hinsicht ein Zwischenraum: In der Vertikalen sind bereit, für kleinere Wohnungen mehr zu zahlen,
leiden sie unter mangelnder Schneesicherheit und was für Einheimische einen Verdrängungseffekt an
schlechter Erreichbarkeit, enge Talabschnitte bieten die Agglomerationsränder bedeutet (Graf et al. 2010).
wenig Sonne und Aussicht. 1 n der Horizontalen lie­ Die neuen Raumnutzungen mit der Unterteilung
gen sie zwischen zwei Metropolregionen, sind eben­ in hoch produktive Metropolen und Freizeitland­
falls schlecht erreichbar um.l weilgetieru.l u111Jekc11111l. �cl 1dflen sind stark selektiv und nutzen in erster
Geographisch betrifft das v. a. die oberen Teile des Linie die kommerzialisierbaren Eigenschaften wie
Tessins, den Kanton Uri, die Surselva in Graubünden, Landschaftsschönheit, Ruhe und Renommee - Ei­
das Gams im Oberwallis, das Napfgebiet zwischen genschaften, die häufig in der Form von mehreren
Luzern und Bern sowie im Jura das Grenzgebiet zu Wohnsitzen wahrgenommen werden. Die Auswirkun­
Frankreich. Die Gebirgsfuß- und die Hochlagen hin­ gen dieser selektiven Nutzungen lassen sich in zwei
gegen sind funktional in die Metropolräume integ­ Punkten zusammenfassen:
riert und für diese zu einem hochwertigen Trumpf im ■ Die Tendenz zu einer Aufteilung des Lebens­
Standortwettbewerb geworden. Es sind daher weniger alltags auf Stadt- und Landwohnung entkräftigt
die Alpen, die von Disparitäten negativ betroffen sind, das Argument, das dem verdichteten Wohnen in
als andere, weniger spektakuläre Landesteile wie der den Städten eine haushälterische Flächennutzung
148 itJU 1r\A/andel im ländlichen Raum und in den Alpen

bescheinigt - ein Argument, das v. a. gegen die drain dieser Regionen zunimmt (Egger et al. 2003).
Landschaftszersiedelung angeführt wird. Dies gilt Deshalb hat sich nicht nur die Wahrnehmung von
insbesondere, wenn der zur Distanzüberbrückung Stadt und Land zugunsten der Metropolräume ver­
notwendige Verkehr miteingerechnet wird. ändert, sondern auch die reale Bedeutung.
■ Darüber hinaus bedeuten die neuen selektiven Nut­ Damit hat sich die Ausdifferenzierung in Entschei­
zungen, dass die Zukunftschancen der einzelnen dungs- und Ausführungsregionen weiter polarisiert.
Regionen langfristig stark eingeengt werden. Regio­ Die Einkommensdisparitäten sind großräumig zwar
nen, die nur als Wohn- und Freizeitregionen genutzt kleiner geworden, die Disparitäten der regionalen
werden, verlieren die attraktivsten Arbeitsplätze, Entwicklungschancen hingegen gewachsen. Die be­
und die Bevölkerungsstruktur verändert sich zu­ schriebenen Ungleichentwicklungen können daher
gunsten vorwiegend konsumierender Einwohner, die als „neuartige regionale Disparitäten" bezeichnet
nur zeitweise anwesend sind. Dabei steigt durch­ werden. Sie sind Ergebnis großräumiger räumlicher
aus die am Ort zur Verfügung stehende Kaufkraft. Arbeitsteilungen und veränderter ökonomischer und
Die Zuwanderer sind jedoch ortsungebunden; es ist politischer Kräfteverhältnisse. Für die Metropolen
ungewiss, inwieweit sie sich am Ort innovativ oder und Parks scheint es positive Entwicklungsperspekti­
passiv verhalten. Für junge Leute bieten sich hinge­ ven zu geben, für die Gebiete dazwischen stehen die
gen geringe Arbeitsmöglichkeiten, sodass der brain Lösungen noch aus.

Struktur der Landwirtschaft und Wandel der Agrarpolitik ■ Werner Harder

Die Schweiz ist ein Grasland schaftliche Produkte und Dienstleistungen im Wert
Zur Schweiz gehören verschiedene Kulturen und von 8,3Mrd.CHF. Dabei stammten 4,8Mrd.CHF oder
Sprachen. Genauso vielfältig sind auch die Land­ 58% aus dem Verkauf von tierischen Erzeugnissen,
schaften: Hohe Gebirge, tiefe Täler, steile Berg­ 2,5Mrd.CHF oder 30% von pflanzlichen Produkten
wiesen und Hügelgebiete machen rund zwei Drittel und rund 1Mrd.CHF aus vielfältigen Dienstleistun­
der Landesfläche aus. Äcker, Wiesen, Wälder und gen wie z.B. dem Verkauf von Produkten aus dem
Siedlungen prägen das flache Mittelland, das Ge­ Hofladen, agrotouristischen Angeboten oder aus Ar­
biet zwischen Jura und Alpen, wo die Bedingun­ beiten, die für Dritte erledigt werden (vgl. Abb. 111)
gen für die Landwirtschaft am besten sind, die Mit der inländischen Produktion können rund
Bevölkerungsdichte aber auch am höchsten ist. 60 % des Verbrauchs der Schweizer Bevölkerung
Entsprechend begehrt ist das vorhandene Kultur­ gedeckt werden. Bei tierischen Produkten sind es
land. über 90 % und bei den pflanzlichen Erzeugnissen
Von der gesamten Landesfläche nutzt die Land­ etwa 45%. Die Schweiz ist also auf den Import ei­
wirtschaft rund 38 %. Ein Drittel dieser landwirt­ nes erheblichen Teils der Kalorien angewiesen. In
schaftlich genutzten Flächen entfallen auf die Alp­ den letzten Jahren hat sich auch der Export stark
flächen. Im Sommer weiden dort während rund drei entwickelt, wobei nebst Käse v. a. verarbeitete Pro­
Monaten um die 140 000 Kühe, 120 000 Stück dukte wie Schokolade oder Suppen und Saucen
Jungvieh, 25 000 Schafe und 6000 Ziegen. Auf ausgeführt werden. Insgesamt wurden 2010 Land­
vielen Alpen wird die Milch an Ort und Stelle zu wirtschaftsprodukte im Wert von ll,5Mrd.CHF ein­
würzigem Alpkäse verarbeitet, der keine Absatzpro­ geführt. Demgegenüber wurden Produkte im Wert
bleme kennt. Auch bei den eigentlichen landwirt­ von 7,8Mrd.CHF ausgeführt. Die EU ist dabei der
schaftlichen Nutzflächen dominieren Wiesen und wichtigste Handelspartner: Drei Viertel der impro­
Weiden (Abb. 109, Abb. 110), denn knapp 60 % tierten Landwirtschaftsprodukte stammen aus dem
der landwirtschaftlichen Nutzflächen von etwas EU-Raum und über zwei Drittel werden dorthin ex­
über 1 Mio. ha oder rund 25 % der Gesamtlandes­ portiert.
fläche liegen im Hügel- und Berggebiet, dem Ge­ Wie in anderen industrialisierten Ländern ist der
biet, das sowohl klimatisch als auch topographisch Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandprodukt
für Ackerbau wenig geeignet ist. In den letzten mit 0,8 % relativ bescheiden. Zusammen mit den
Jahrzehnten sind die landwirtschaftlich genutzten der Landwirtschaft vorgelagerten Branchen und der
Flächen allerdings laufend zurückgegangen, im Verarbeitungsindustrie und dem Handel sind es 7%.
Mittelland v. a. wegen Siedlungsbau und Verkehr, Total sind in der Ernährungswertschöpfungskette der
auf den Alpflächen als Folge der Aufgabe der Schweiz 400 000 Personen beschäftigt, was 9% an
Bewirtschaftung. der Gesamtbeschäftigung ausmacht.

Tierproduktion dominiert in Familienbetriebe als Rückgrat


der Schweizer Landwirtschaft der Schweizer Landwirtschaft
Im Grasland Schweiz hat die Produktion von Milch 2010 wurden in der Schweiz 59000 landwirtschaft­
und Milchprodukten sowie Fleisch und Fleischpro­ liche Betriebe gezählt (Tab. 27), wovon rund 38 000
dukten einen besonderen Stellenwert. Insgesamt er­ auf Tierhaltung bzw. -produktion und rund 5000 vor­
zeugte die Schweizer Landwirtschaft 2010 landwirt- wiegend auf Ackerbau ausgerichtet waren. 41 000
Struktur der Landwirtschaft und Wandel der Agrarpo1it 149

IAbb.1091 Landwirtschaft
in der Schweiz.

Total 10,7 Mrd. Fr.

sonstige pflanzliche
Erzeugnisse 2%
Milch 26%
Wein 5%
58% Obst 6%
Wiesen
und Gemüsebau 8%
Weiden Rindvieh
Kartoffeln,
Zuckerrüben 4% '�----
15%

Getreide 5%
Schweine 11 %
sonstige tierische
Erzeugnisse 1 % Geflügel, Eier 5%

1 Abb. 1101 landwirtschaftliche Nutzfläche (LN): IAbb.1111 Zusammensetzung des landwirtschaftlichen


rund 1 Mio. (ha). Wirtschaftsbereichs.
150 ktllrwandel im ländlichen Raum und in den Alpen

Anzahl Betriebe Veränderung pro Jahr in % in Frankreich oder Deutschland. In Österreich, das
fi bezüglich seiner naturräumlichen Voraussetzungen
1990 2000 2010 1990-2000 2000-2010 J am ehesten mit der Schweiz vergleichbar ist, sind die
Betriebe 92815 70 537 59 065 -2,7 -1,8 !
Betriebsgrößen ähnlleh wie In der Schweiz.
Talregion
Hügelregion
41590
24541
31 612
18957
26297
16221
-2,7
-2,5
-1,8
-1,5
j
Multifunktionalität und Nachhaltigkeit:
� zwei Pfeiler der Schweizer Agrarpolitik
Bergregion 26684 19968 16547 -2,9 -1,9 i:;Die Schweizer Landwirtschaft wird von der Gesell­
J�sc haft getragen. Das Schweizer Volk hat 1996 mit
Haupterwerb 64242 49239 41 434 -2,6 -1,7
�';großem Mehr einem Verfassungsartikel tür die Land­
Nebenerwerb 28573 2 1 298 17 631 -2,9 -1,9 ��wirtschaft zugestimmt. Die darin verankerten Ziele
Besc::häftigte 253561 203 793 167 462 -2,2 -1,9 2,:':machen deutlich, dass die Landw irtschaft in der
�;Schweiz Aufgaben erfüllt, die über die reine Nah­
1 Tab. 27 I Entwicklung der Anzahl der Betriebe und der Beschäftigten.
J�rungsmittelproduktion hinausgehen. Solche weitere
Aufgaben der Landwirtschaft sind die Erhaltung der
Betriebe oder rund drei Viertel betreiben Landwirt­ natürlichen Lebensgrundlagen, die Landschaftspfle­
schaft als Haupttätigkeit. Gerade im Berggebiet der ge und dezentrale Besiedlung. Man spricht deshalb
Schweiz haben traditionellerweise viele Landwirte von der Multifunktionalität der Landwirtschaft. Die­
noch ein weiteres, teils saisonales, außerlandwirt­ se Leistungen liegen im öffentlichen Interesse der
schaftliches Einkommen. Schweiz, lassen sich über den Markt aber nur teil­
2010 waren in der Schweiz 167 000 Personen, weise oder gar nicht abgelten. Direkte Zahlungen an
davon 61000 Frauen und 106 000 Männer, in der die Landwirte sind deshalb ein fester Bestandteil der
Landwirtschaft tätig. 45 % waren Vollzeit beschäf­ Schweizer Agrarpolitik.
tigt (Frauen: 20%, Männer: 60%). Im Durchschnitt Der zweite wichtige Pfeiler der Schweizer Agrar­
bewirtschaftet ein Landwirtschaftsbetrieb in der politik ist die Nachhaltigkeit. Die Schweizer Land­
Schweiz 18ha Land. In der Regel steht hinter dem wirtschaft soll die Leistungen mit einer nachhalti­
Betrieb eine Familie - entsprechend sind die Fami­ gen, auf den Markt ausgerichteten Produktion er­
lienbetriebe das Rückgrat der Schweizer Landwirt­ bringen. Klar ist damit auch, dass das Schweizer
schaft. Im Durchschnitt liefert ein Betrieb pro Jahr Volk eine produzierende Landwirtschaft will und das
rund 125 000 kg Milch an die Molkereien und Kä­ vorhandene Produktionspotenzial optimal genutzt
sereien. Insgesamt werden in der Schweiz 3,4 Mio. t werden soll.
Milch verarbeitet, und 600 000 Kühe stehen in den Die konkreten agrarpolitischen Maßnahmen der
Ställen der Milchproduzenten. Schweiz werden in drei Bereiche eingeteilt:
Mit ihrer durchschnittlichen Größe der landwirt­ ■ Produktion und Absatz: Schaffung guter Rahmen­
schaftlichen Betriebe (Abb. 1 12) liegt die Schweiz bedingungen für Produktion und Absatz von Nah­
in Europa im Mittelfeld. In osteuropäischen Län­ rungsmitteln, z.B. Unterstützung bei der Qualitäts­
dern, aber auch in Italien, sind die Betriebe im produktion und Qualitätssicherung, bei der Absatz­
Durchschnitt kleiner. In osteuropäischen Ländern förderung, bei der Kennzeichnung von Produkten
gibt es fast überall sehr viele Kleinstbetriebe mit nur oder bei der Organisation in Produzenten- oder
2-3 ha, daneben aber auch wenige sehr große Be­ Branchenorganisationen.
triebe. Mehr Fläche pro Betrieb als in der Schweiz ■ Direktzahlungen: Diese Zahlungen gelten Leistun­
wird v. a. in Regionen bewirtschaftet, in denen die gen zugunsten der Gesellschaft wie das Offenhal­
natürlichen Bedingungen besser sind, viel flaches ten und die Pflege der Kulturlandschaft oder die
Land vorherrscht und Ackerbau betrieben wird, so Förderung von Flächen für die Biodiversität ab. Di­
rektzahlungen erhält nur, wer nachweist, dass bei
1 Abb. 112 I Betriebsgröße der Bewirtschaftung strenge ökologische Vorgaben
im europäischen Vergleich. Rumänien
eingehalten werden.
Griechenland ■ Grundlagenverbesserung: Mit diesen Maßnahmen
Polen - werden Investitionen in Strukturen unterstützt,
8c
�j die sowohl eine effiziente als auch ökologische
Ungarn

j� Produktion ermöglichen. Unterstützt werden auch


Italien
Österreich
�� Programme zur Diversifizierung der landwirt­
�� schaftlichen Tätigkeiten. In diesen Bereich fällt
Schweiz E-"

Norwegen �� auch die Förderung von Forschung, Bildung und


&:�
�� Beratung.
Spanien cO

Niederlande

r_!i_:=_:=�====:===�:=_:=_:=_:=�_:=_:=_:=��-�
Deutschland ��Umfassende Reform der Agrarpolitik
Frankreich �jauf inneren und äußeren Druc�
Vereinigt. �-';Ende der 1980er- und zu Beginn der l990er-Jah­
Königreich ��re waren häufig negative Meldungen zur Schweizer
0 10 20 30 40 50 60 ��Landwirtschaft zu hören und zu lesen. Begriffe wie
landwirtschaftliche Nutzfläche (ha) - u
8§,,Butterberge", ,,Milchseen" oder „Umweltsünder"
Struktur der Landwirtschaft und Wandel der Agrarpol' 151

machten die Runde. Der Landwirtschaft wurde vor­ Duft und die intensiven Farben der Rapsfelder sowie
geworfen, sie produziere zu viel, verursache zu hohe blühende Obstbäume im Vorsommer sind nur einige
Kosten, räume die Landschaft aus und verschmutze Beispiele für Leistungen, die es ohne Landwirtschaft
die Umwelt. Gleichzeitig hatte das Bild einer klein­ nicht gäbe.
strukturierten und umweltschonend produzierenden
Landwirtschaft in der Gesellschaft eine große Strahl­ Unternehmerischer
kraft. Die 1985 eingereichte erste Kleinbauerniniti­ Handlungsspielraum der Landwirte
ative, die eine beträchtliche Anhängerschaft hatte, Mit dem Inkrafttreten des neuen Landwirtschafts­
gab dieser Sehnsucht vieler Schweizerinnen und gesetzes 1999 begann eine neue Ära. Preis- und
Schweizern ein konkretes Gesicht. Kontrapunkt zu Absatzgarantien, die seit dem Zweiten Weltkrieg die
diesen idyllischen Vorstellungen bildete die Uruguay­ Schweizer Agrarpolitik bestimmt hatten, fielen sofort,
Runde des GATT, in der seit Mitte der l 980er-Jahre oder wie bei der Milch, schrittweise weg. Der Bund
darüber verhandelt wurde, die Landwirtschaft in das zog sich weitgehend aus den Märkten zurück. Auf­
Welthandelssystem zu integrieren. Der Schutz der rechterhalten blieb hingegen der Grenzschutz, der
Landwirtschaft sollte reduziert und landwirtschaftli­ nach dem Abschluss der Uruguay-Runde des GAT T
che Produkte sollten, wie andere Güter auch, mög­ zwar reduziert werden musste, aber nach wie vor ein
lichst frei gehandelt werden. höheres Preisniveau als in der EU ermöglichte.
Dieser Druck von innen und außen war Antriebs­ Der Rückzug des Bundes aus dem Marktbereich
kraft für die umfassende Schweizer Agrarreform, die fordert die Schweizer Landwirte verstärkt als Unter­
1993 mit der Reduktion von Milch-, Fleisch- und nehmer: Sie haben zwar mehr Handlungsspielraum,
Getreidepreisen sowie der Einführung von einkom­ aber auch mehr Druck. Schweizer Bauernfamilien
mensergänzenden und ökologischen Direktzahlungen sind mit großem Engagement neue Wege gegangen
eingeleitet wurde. Damit war das Feld vorbereitet, und haben dabei Risiken auf sich genommen. Lange
um die Konsequenzen des GAT T-Abschlusses von bewährte Konzepte wurden überdacht, neu auf den
1994 verkraften zu können, der den internationalen Weg gebracht oder gar über Bord geworfen. Produ­
Handelsverkehr liberalisierte und protektionistischen ziert wird sowohl bei der Tierproduktion als auch im
Maßnahmen und Handelshemmnissen, insbesonde­ Ackerbau immer mehr von spezialisierten Profis, und
re bei der Landwirtschaft, entgegenwirkte. Mit den immer häufiger bauen Landwirte gemeinsam tierge­
ökologischen Direktzahlungen wurden Anreize ge­ rechte und arbeitssparende Ställe. So sind z.B. be­
schaffen, um der Ökologie einen höheren Stellenwert reits rund 200 Melkroboter im Einsatz. Mit der Auf­
einzuräumen. hebung staatlicher Garantien müssen die Landwirte
1 n den Jahren nach 1993 wurden in teilweise den Absatz ihrer Produkte auch wieder selber in die
schwierigen und für viele Beteiligte schmerzhaften Hand nehmen. Sie organisieren sich nun in Produ­
Prozessen Lösungen für die umfassende Reform der zenten- oder in Branchenorganisationen zusammen
Agrarpolitik erarbeitet. Die Veränderungen waren der­ mit Partnern aus der Verarbeitung und teilweise dem
art grundsätzlich, dass die Reform in der Schweiz ein Handel.
neues Landwirtschaftsgesetz zur Folge hatte, welches Gemäß Verfassung soll die Schweizer Landwirt­
das alte Landwirtschaftsgesetz von 1951 ablöste und schaft ihre vielfältigen Leistungen erbringen, indem
am 1. Januar 1999 in Kraft trat. Basierend auf dem sie Rohstoffe und Nahrungsmittel produziert. Die
Verfassungsartikel stellte das neue Gesetz zur Land­ Landwirtschaft kommt diesem Auftrag nach und
wirtschaft sowohl formell als auch inhaltlich einen konnte ihre Produktion im Vergleich zum Anfang der
Meilenstein in der Schweizer Agrarpolitik dar: for­ l 990er-Jahre sogar noch leicht steigern: So ist die
mell, weil es erstmals eine Vielzahl agrarpolitischer Produktion pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzflä­
Erlasse in einem Einheitsgesetz zusammenfasste; che um rund 9% gestiegen. Dies ist umso bemer­
inhaltlich, weil es Neuerungen umsetzte, die für kenswerter, als die Märkte heute weit offener und der
die Schweizer Landwirtschaft von großer Tragweite Absatz der Erzeugnisse nicht mehr staatlich garan­
waren. tiert ist. Diese Entwicklung wie auch die Zunahme
Die Agrarreform steht für einen großen Wandel in bei der Arbeitsproduktivität zeugen vom technischen
der Schweizer Agrarpolitik. Mehr Markt, eine sozial­ Fortschritt und der Innovationskraft der Landwirt­
verträgliche Entwicklung und mehr Ökologie waren schaft.
Stichworte für die Ziele der Reform, kurz zusammen­ Etwa 10 000 der insgesamt 60 000 Landwirt­
gefasst: eine nachhaltige Entwicklung. Dies bedeu­ schaftsbetriebe liefern heute Rohstoffe für die
tet, dass ökonomische, soziale und ökologische Ziele gefragten Produkte mit geschützter Ursprungsbe­
bei der Ausgestaltung der agrarpolitischen Rahmen­ zeichnung (GUB) wie dem Gruyere-Käse oder ge­
bedingungen den gleichen Stellenwert haben sollen. schützter geographischer Angabe (GGA) wie der
Vision für die Schweizer Agrarpolitik ist eine multi­ St. Galler Bratwurst. Zusammen mit mehr als 1300
funktionale Landwirtschaft, die neben der marktge­ Verarbeitungsbetrieben stellen sie über 70 000 t
rechten, sozialverträglichen und umweltschonenden der renommierten Spezialitäten her. Der jährliche
Produktion von Nahrungsmitteln Leistungen erbringt, Umsatz hat mittlerweile die 700-Millionen-Marke
die nicht auf dem Markt eingekauft und schon gar (inCHF) überstiegen. Mehr als 6000 Betriebe in der
nicht importiert werden können. Sattgrüne Wiesen Schweiz produzieren biologisch und tragen damit
mit weidenden Tieren, wogende Ährenfelder, der zur Befriedigung einer weiter steigenden Nachfrage
152 rO�t.i,irw.andel im ländlichen Raum und in den Alpen

langem tragen in vielen Regionen der Schweiz au­


ßerlandwirtschaftliche T ätigkeiten zum Einkommen
bei. Diese Einnahmen sind kontinuierlich gestiegen:
Das durchschnittliche landwirtschaftliche Jahresein­
kommen liegt bei 60 000CHF, wozu 25000CHF aus
außerlandwirtschaftlichen Tätigkeiten kommen.
Betriebsübergaben und -aufgaben erfolgen nach
wie vor im Normalfall im Generationenwechsel. Die
angestrebte Kontinuität trat ein, während abrupte
Strukturveränderungen ausblieben. Härtefälle und
Konkurse gibt es auch in der Landwirtschaft, doch
bleiben sie mit den neuen Rahmenbedingungen die
Ausnahme. Schließlich wurden die Anstrengungen
zur Betreuung von Bäuerinnen und Bauern in kriti­
schen Situationen in den letzten zehn Jahren ver­
stärkt. So haben verschiedene Kantone Anlaufstellen
für Bauernfamilien in Schwierigkeiten geschaffen,
die sie bei der Bewältigung von wirtschaftlichen und
familiären Problemen unterstützen.

Ökologische Produktion
der Schweizer Landwirtschaft
Landwirtschaft bedeutet Eingriffe in die Natur, ohne
die es nicht möglich wäre, die Bevölkerung zu ernäh­
IAbb.1131 Der größte nach biologischen Lebensmitteln bei. Eine weitere ren. Nach den Erfahrungen des zweiten Weltkrieges
Felsenkel/er der Schweiz Stärke der Schweizer Landwirtschaft sind die Pro­ war es in der Schweizer Bevölkerung lange Zeit un­
(Kaltbach-Höhle) am dukte aus dem Berggebiet oder von der Alp, v. a. bestritten, dass in der Landwirtschaft die Produkti­
Rande des Wauwiler Moo­ on von Nahrungs- und Futtermitteln im Vordergrund
Milch- und Fleischerzeugnisse. Diese werden nicht
ses im Kanton Luzern.
nur in der Region erfolgreich vermarktet, sondern stehen muss. Erst in den 1980er-Jahren wurden die
auch die Großverteiler haben entsprechende Label negativen Folgen der einseitigen Ausrichtung auf die
geschaffen, weil sie bei den Schweizer Konsumen­ reine Produktion für die Landschaft und für die Um­
ten beliebt sind. welt immer deutlicher wahrgenommen und zuneh­
Für Schweizer Konsumenten lohnt es sich heute mend kritisiert.
weniger als früher, im benachbarten Ausland ein­ Die Ökologie wurde darum zu einem wichtigen
kaufen zu gehen, weil sich der Preisabstand v. a. in Pfeiler der Schweizer Agrarreform, was in dem neuen
den letzten Jahren verringert hat. In der Schweiz Verfassungsartikel (Art. 104) klar zum Ausdruck kam.
sind zwar die Ausgaben für Nahrungsmittel in ab­ Darin wurde explizit festgehalten, dass für den Be­
soluten Zahlen nach wie vor höher als in den Nach­ zug von Direktzahlungen ein ökologischer Leistungs­
barstaaten, doch Frische, Qualität und Auswahl sind nachweis erbracht werden muss. Dieser war nebst der
Spitzenklasse, und mit rund 7 % zählt der Anteil Aufhebung der Preis- und Absatzgarantien ein Kern­
an den Haushaltausgaben zu den niedrigsten in element der Reform. Einen bedeutenden Beitrag zur
Europa. Verbesserung der Situation leisteten vier der sechs
Voraussetzungen für die Erfüllung des ökologischen
Sozialverträglichkeit trotz großer Umwälzungen Leistungsnachweises: eine ausgeglichene Düngerbi­
Zu Beginn der Agrarreform gab es eine große Unsi­ lanz, eine geregelte Fruchtfolge, ein gezielter Einsatz
cherheit und viele Befürchtungen, u. a. dass die stär­ von Pflanzenschutzmitteln sowie ein geeigneter Bo­
kere Marktausrichtung viele Bauernfamilien vor exis­ denschutz. Diese Maßnahmen haben Wirkung gezeigt:
tenzielle Probleme stellen werde, da sie nicht mehr Stickstoff und Phosphor werden heute effizienter ein­
in der Lage seien, ein ausreichendes Einkommen zu gesetzt als noch vor 15 bis 20 Jahren. So wurde etwa
erzielen. In der Tat reduzierte der Wegfall von Preis­ der Überschuss beim Einsatz von Phosphordünger
und Absatzgarantien die Erlöse aus dem Produktver­ seit 1990 von rund 20 000 auf rund 5000 t redu­
kauf, doch der Ausbau der Direktzahlungen in der ziert. Auch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln
Landwirtschaft ermöglicht zumindest teilweise einen wurde laufend optimiert. Zudem wurden 2008 sog.
Ausgleich und erlaubt die Entschädigung für die über Ressourcenprogramme eingeführt, und heute werden
den Markt nicht bezahlten Leistungen. 120000ha als ökologische Ausgleichsflächen (ÖAF)
Die Schweizer Bauernfamilien wollen für ihre Ar­ bewirtschaftet, was 11 % der landwirtschaftlichen
beit angemessen entlohnt werden und an der all­ Nutzfläche entspricht (Abb.114).
gemeinen Wohlstandsentwickl ung tei I haben. Der Nicht nur Äcker, Wiesen, Weiden, Rebberge,
Abstand zwischen dem Arbeitsverdienst in der Land­ Obstbäume, weidende Tiere, blumengeschmückte
wirtschaft und jenem der übrigen Bevölkerung ist seit Bauernhäuser oder moderne Stallbauten prägen das
Beginn der Reform etwa gleich hoch geblieben, wobei Bild in den ländlichen Gebieten der Schweiz. Seit
er in der Bergregion größer ist als im Tal. Schon seit der Agrarreform reichern wieder vermehrt Hecken,
Struktur der Landwirtschaft und Wandel der Agr�(P.olf�lk 153

blumenreiche Wiesen oder Kleinstbiotope das Land-�


Okologische Ausgleichsflächen OAF
schaftsbild an. Die Abwechslung ist groß, und did Beitragsberechtigte Flächen' Inkrafttreten der ökologischen
Landschaft wirkt fein herausgeputzt. -' in 1000 ha Qualitätsverordnung
Biologische Vielfalt bezieht sich nicht nur auf die]i,; 140
natürliche Vielfalt von Arten und Lebensräumen, son-}•: 120
den, auch auf die Vielfalt von Kulturpflanzen und Tier--'ll 100
rassen in der Landwirtschaft selbst. Der wirtschaftll- jl
80
ehe Druck hat in den letzten 50 Jahren dazu geführt, .:l�
dass die Landwirtschaft zunehmend auf wenige, da-�� 60
für sehr ertragreiche Sorten bei Getreide, Kartoffeln, -i,i:l 40
Äpfeln oder Gemüse sowie auf wenige Rassen in deri� 20
Milch- und Fleischproduktion gesetzt hat.
Den Schweizerinnen und Schweizern ist es wich-:;;'§
fJ
0 -'----'---L__L-�--'---'--'--''----'-__L---'--'-_L.,.-'-.L.___________
1996 1999 2005
1993 2002 2008
tig, wie die Tiere gehalten werden. Das Wohl derj:� 1 die Anzahl der Hochstamm-Feldobstbäume ist in Flächeneinheiten umgerechnet 2 gemäß Cko-Qualitätsverordnung

Tiere war bei der Agrarreform ebenfalls ein großesj� ökolQg1<che Ausgleichs- ökologische Ausgleichs- ökologische Ausgleichsflächen
-
Anliegen, weswegen auch der Tierschutz eine An-:� - flai;hen vor 2002 flächen ab 2002 von besonderer biologischer
forderung beim ökologischen Leistungsnachweis ist. J�
Qualität und/oder Vernetzung'

Darüber hinaus schaffen zwei Programme finanzielle


Anreize für Leistungen, die über den Anforderungen beteiligt ist (s. Kap. ,.Strukturwandel im ländlichen IAbb.1141 Ökologische
des Tierschutzgesetzes liegen. Das eine nennt sich Raum und in den Alpen/Strukturwandel, Neuer Fi­ Ausgleichsflächen in der
RAUS, bei dem Tiere regelmäßig ins Freie gelassen nanzausgleich und Neue Regionalpolitik"). Diese Schweizer Landwirtschaft.
werden, das andere BTS, bei dem es um die beson­ Projekte stärken die branchenübergreifende Zu­
ders tierfreundliche Haltung in den Ställen geht. Die sammenarbeit zwischen Landwirtschaft und land-
Beteiligung hat sich bei beiden Programmen positiv wirtschaftsnahen Sektoren, namentlich Gewerbe,
entwickelt. Drei Viertel der Nutztiere können regel­ Tourismus, Holz- und Forstwirtschaft. Sie können
mäßig ins Freie, und etwa die Hälfte wird in beson­ aber auch Maßnahmen zur Umsetzung öffentlicher
ders tierfreundlichen Ställen gehalten. Anliegen ökologischer, sozialer oder kultureller Na­
tur umfassen. Ein wichtiger werdendes Standbein
Landwirtschaft als ist auch der Agrotourismus. Fast 6 % der Schweizer
Belebung des ländlichen Raums Landwirtschaftsbetriebe bieten mittlerweile auch
Die Bedeutung der Landwirtschaft wird manchmal eine Beherbergung an. Nicht zu vergessen ist der
auf ihren Beitrag zum Bruttoinlandprodukt reduziert, Beitrag zur Verbesserung und zum Unterhalt der
der konstant sinkt, da die Landwirtschaft nicht wie ländlichen Infrastruktur. Vor allem in Gemeinden des
ein Industriebetrieb wachsen kann: Die Natur und Berggebietes werden namhafte Investitionen in Weg­
die begrenzte Verfügbarkeit von fruchtbaren Böden erschließungen und Wasserversorgungen getätigt. Im
setzen ihr Grenzen. Wird man der Landwirtschaft ge­ Rahmen der Diversifizierung ist die Produktion von
recht, wenn man sie nur an einer einzigen Zahl misst? alternativer Energie eine interessante Einkommens­
Die in der Landwirtschaft Beschäftigten machen quelle. Elektrische Energie aus Kleinwasserkraft-,
2,2 % der Gesamtbevölkerung der Schweiz aus. Der Wind-, Solar- und Biogasanlagen werden in die Netze
Beitrag zum Bruttoinlandprodukt liegt unter 1 %, und eingespeist, und Kleinwärmeverbunde können den
trotzdem spielt die Landwirtschaft für die Wirtschaft einheimischen Rohstoff Holz effizient nutzen. Über
des ländlichen Raum eine bedeutende Rolle. Jedes 600 Bauernfamilien erbringen soziale Dienstleistun­
Jahr kauft sie für mehr als 6,5Mrd. CHF Leistungen gen wie betreutes Wohnen und Arbeiten oder thera­
ein. Dazu gehören Futtermittel oder Saatgut, aber peutische Aufenthalte. 500 Betriebe bieten auf dem
auch Dienstleistungen wie Reparaturen oder Ver­ Bauernhof eine Schule an - ein Angebot, von dem
sicherungen. Zudem investiert die Landwirtschaft jedes Jahr über 20000 Schülerinnen und Schüler
jährlich rund 1,6Mrd. CHF v. a. in Gebäude und Ma­ profitieren.
schinen. Mit der Pflege der Kulturlandschaft trägt die
Landwirtschaft auch zur Attraktivität von Wohn- oder Anerkennung der Leistungen der Schweizer
Tourismusregionen in der Schweiz bei, wie das Bei­ Landwirtschaft durch die Bevölkerung
spiel Entlebuch zeigt, das zum UNESCO Biosphä­ In der Schweiz hatte die Landwirtschaft noch zu Be­
renreservat im UNESCO-Programm Mensch und Bio­ ginn der 1990er-Jahre einen eher schlechten Ruf,
sphäre erklärt wurde und mit einer außerordentlich sie hat aber inzwischen viel Boden gut gemacht. Der
wirksamen Marketingstrategie die Region zur Marke unermüdliche Einsatz der Bauernfamilien dafür, dass
,.Echt Entlebuch" machte (s. www.biosphaere.ch). die Bevölkerung täglich Qualitätsprodukte auf dem
In verschiedenen Regionen kann die Wertschöp­ Tisch hat und sich an schönen Landschaften erfreu­
fung der Landwirtschaft in Zusammenarbeit mit an­ en kann, zeigt Wirkung.
deren Branchen noch verbessert werden. Seit 2007 Gemäß der letzten Erhebung (gfs-zürich 2009)
werden deshalb vom Bund Projekte zur regionalen sind acht von zehn Befragten der Meinung, die
Entwicklung und zur Förderung einheimischer und Schweizer Bauern seien bestrebt, das zu produzie­
regionaler Produkte mit Investitionshilfen unter­ ren, was die Konsumenten wünschen. Drei Viertel
stützt, sofern vorwiegend die Landwirtschaft daran sind der Ansicht, den Bauern sei die Landschafts-
154 kturwandel im ländlichen Raum und in den Alpen

pflege wichtig. Nur 16 % finden, die Landwirte lehn­ erfolgreichen, ökologisch optimalen und sozial ver­
ten ökologische Produktionsformen ab. In letzterem antwortungsbewussten Nahrungsmittelproduktion die
Bereich hat der stärkste Meinungswandel stattgefun­ Bedürfnisse der Konsumenten und die Erwartungen
den, wurde doch diese Aussage im Jahr 2000 noch der Bevölkerung erfüllen.
von knapp einem Drittel der Befragten bejaht. Für Multifunktionalität und Nachhaltigkeit sind heu­
die Befragten sind drei Aufgabenfelder der Land­ te Begriffe, die auch international immer mehr an
wirtschaft besonders wichtig: die Produktion von Le­ Bedeutung gewinnen. Die Begriffe sind dabei nicht
bensmitteln, die umweltfreundliche Bewirtschaftung nur Worthülsen geblieben, sondern wurden mit kon­
sowie die tierfreundliche Haltung. Am wenigsten kreten Inhalten gefüllt. So hat sich in der Schweiz
Bedeutung wird der Besiedlung abgelegener Gebiete eine unternehmerisch und gleichzeitig ökologisch
beigemessen. ausgerichtete Landwirtschaft entwickelt, die Agrar­
produkte von hoher Qualität produziert, maßgeblich
Ausblick zu einem vielfältigen Landschaftsbild beiträgt und
Im August 2010 veröffentlichte das Bundesamt für mit zahlreichen Initiativen die Vitalität der ländli­
Landwirtschaft das Strategiepapier „Land- und Er­ chen Schweiz stärkt. Mit der Strategie „Land- und
nährungswirtschaft 2025": Im Jahr 2025 soll die Ernährungswirtschaft 2025" wird dieser Weg konse­
Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft multi­ quent weiterverfolgt.
funktional und nachhaltig, also mit einer ökonomisch

Strukturwandel, Neuer Finanzausgleich und Neue Regionalpolitik ■ Rene L. Frey

Im Folgenden wird gezeigt, wie die Schweizer Po­ Mitte des 20. Jh. war die Schweiz eindeutig ein Indus­
litik im laufe der letzten Jahrzehnte auf den wirt­ trieland: 45 % der Beschäftigten waren im sekundär­
schaftlichen und regionalen Strukturwandel des Lan­ en Sektor tätig. Nach 1960 setzte die Desindustriali­
des reagierte. Anfang 2008 traten zwei für die räum­ sierung ein und 2009 beschäftigte die Industrie nur
liche Entwicklung der Schweiz wichtige Reformen in noch 23 %. Auf den tertiären Sektor, die Dienstleis­
Kraft, die inhaltlich miteinander zusammenhängen: tungen, entfielen 73,3 % der Erwerbstätigen, während
der Neue Finanzausgleich (NFA) und die Neue Regi­ es 1950 erst 38 % gewesen waren (Abb. 116).
onalpolitik (NRP). Der höhere Anteil des primären und der niedrigere
Anteil des tertiären Sektors hatten in den ländlichen
Wirtschaftlicher und regionaler Strukturwandel Gebieten hinsichtlich der Beschäftigung ein unter­
Während in der Schweiz 1950 17 % der Erwerbstäti­ durchschnittliches Wachstum zur Folge. Auch be­
IAbb.1151 Haus der gen in der Land- und Forstwirtschaft, also im primä­ züglich Wertschöpfung und Einkommen verloren sie
Kantone in Bern. ren Sektor arbeiteten, waren es 2009 nur noch 3, 7 %. gegenüber den städtischen Gebieten an Boden. Wie
reagierte die Schweizer Politik auf diesen Struktur­
wandel? Soweit sich die Disparitäten in Unterschie­
den zwischen finanzstarken und finanzschwachen
Kantonen äußerten, führten sie zum Finanzausgleich.
Standen hingegen das Stadt-Land- und das Zentrum­
Peripherie-Gefälle im Vordergrund, zeigte sich der
Wunsch nach einer ausgleichenden Regionalpolitik.

Vom alten zum Neuen Finanzausgleich


Alter Finanzausgleich
Der bundesstaatliche Finanzausgleich wurde 1959
eingeführt. Im Laute der Jahrzehnte entwickelte er
sich zu einem unsystematischen, undurchsichtigen
und nicht mehr steuerbaren Geflecht von Finanz­
strömen zwischen Bund und Kantonen. Einzelne
finanzschwache Kantone bezogen fast 50 % ihrer ge­
samten Einnahmen aus Finanztransfers des Bundes.
Der bisherige Finanzausgleich bestand zur Hauptsa­
che aus zwei Elementen:
■ erstens aus Kantonsanteilen am Ertrag der direkten
Bundes- und der Mineralölsteuer sowie am Gewinn
der Schweizerischen Nationalbank,
■ zweitens aus projektgebundenen Bundesbeiträgen
an die Kantone (Subventionen: Finanzhilfen und
Abgeltungen).
Strukturwandel, Neuer Finanzausgleich und Neue Regionalpolitik 155

100 IAbb.1161 Beschäftigte


Die Höhe der Transfers bemaß sich nach der Finanz-� nach Sektoren 1900 bis
kraft der Kantone. Der alle zwei Jahre neu berechne-ll
%
'' 2009 (in Prozent).
te Index umfasste: j 80
:Tertiärer Sektor:
1 Dienstleistungen
■ das kantonale Pro-Kopf-Einkommen, � ''
, -+ räumlich konzentrierte Struktur
■ die kantonalen und kommunalen Steuereinnahmen]
je Einwohner, �� 60
■ die durchschnittliche kantonale Steuerbelastung undU '
''
1

■ den Anteil des Berggebiets an der Kantonsfläche. H


�� 40 '
1 Sekundärer Sektor:
Der Index der Finanzkraft diente der Einteilung der!I l Industrie, Bau
-+ räumlich teilweise
Kantone in drei Gruppen: finanzstarke, mittelstarkej� 20 1 konzentrierte Struktur
und finanzschwache Kantone (Tab. 28). Für die fi-��
U
PilmlrJr Sektor:
nanzstarken Kantone galten niedrige Anteile an der Land- und Forstwirtschaft

direkten Bundessteuer und niedrige Subventions-�,s; 0


-+ räumlich disperse Struktur
1900 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2009
sätze bei Bundesbeiträgen, für die finanzschwachen�]
Kantone deutlich höhere Werte. Bei den finanzstar-
ken Kantonen betrug der Anteil der Einnahmen aus Neuer Finanzausgleich
Bundesquellen 2005 im Durchschnitt 15,6 %, bei Um den teilweise verkrusteten schweizerischen
den mittelstarken Kantonen 23,0 % und bei den Föderalismus zu revitalisieren, die Autonomie der
finanzschwachen 31,0 % (eigene Berechnung auf­ Kantone zu stärken, die Steuerbarkeit und Wirksam­
grund Eidgenössische Finanzverwaltung: Öffentliche keit des Finanzausgleichs zu verbessern und den
Finanzen der Schweiz 2007). Trend zum Vollzugsföderalismus zu brechen, leite­
Im laufe der Zeit hatten sich auf Seite der Auf­ ten der Bund und die Kantone 1992 gemeinsam
gaben zahlreiche Verbundelemente zwischen Bund eine weitreichende Reform der föderalen Finanz­
und Kantonen eingeschlichen. Bildung, Kultur und beziehungen ein. Während Deutschland und Öster­
Gesundheit beispielsweise fielen zwar im Wesentli­ reich Mühe bekundeten, grundlegende Föderalis­
chen in die Zuständigkeit der Kantone und Gemein­ musreformen durchzuziehen, stimmten die Schwei­
den, doch redete der Bund als Mitfinanzierer ein ge­ zerinnen und Schweizer 2004 an der Urne mit einer
wichtiges Wort mit. Beim Sozial- und Verkehrswesen Mehrheit von fast 65 % der Stimmenden und 23
sowie beim Umweltschutz, der Raumordnung und der 26 Kantone einer Reform des Finanzausgleichs
der Landwirtschaft teilten sich die föderativen Ebe­ zu. Wie groß der Schritt tatsächlich war, geht dar­
nen der Schweiz ebenfalls die Verantwortung. Es ent­ aus hervor, dass 27 dar 196 Artikel der schweizeri­
stand die Tendenz zu einem „Vollzugsföderalismus", schen Bundesverfassung geändert wurden. Die Neu­
bei dem Kantone häufig nur noch umzusetzen hat­ gestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgaben­

• -
ten, was auf Bundesebene beschlossen worden war. teilung zwischen Bund und Kantonen (kurz Neuer
Finanzausgleich oder NFA) besteht aus sechs Ele­
mittelstarke menten:
Kantone ■ der Aufgabenentflechtung Bund-Kantone: Von 31
Gemeinschaftsaufgaben wurden im Zuge der Auf­
gabenentflechtung 15 Aufgaben vollständig in die
Zug Schwyz Graubünden Verantwortung der Kantone und sechs in diejenige
Basel-Stadt Basel-Landschaft Freiburg des Bundes verlagert.
Genf Aargau Uri ■ der vertikalen Zusammenarbeit Bund-Kantone: Bei
Bundesaufgaben, die durch die Kantone vollzo­
Zürich Waadt Jura
gen werden, beschränkt sich der Bund inskünftig
Nidwalden Schaffhausen Wallis darauf, strategische Entscheidungen zu treffen.
Tessin Obwalden Die operativen Belange sind Sache der Kantone.
Thurgau Diese neue Form der vertikalen Zusammenarbeit
St. Gallen zwischen Bund und Kantonen soll verhindern, dass
0
Glarus die Kantone sich v. a. darum bemühen, hohe Bun­
i Solothurn desbeiträge zu ergattern.
Bern ■ der interkantonalen Zusammenarbeit mit Lasten­
Luzern ausgleich und Abgeltung von spillovers: 1 n den
Neuenburg Metropolregionen stimmen angesichts der his­
Appenzell Ausserrhoden torisch gewachsenen Kantonsgrenzen die räum­
Appenzell lnnerrhoden lichen Kreise der Nutznießer, Kostenträger und
Entscheidungsträger von öffentlichen Leistungen
immer weniger überein. Spil/overs (räumliche ex­
j I Tab. 281 Einteilung der Kantone nach Finanzkraft für terne Nutzen und Kosten) erschweren die optimale
.li' die Jahre 2006/2007, vor Inkrafttreten des Neuen
t Finanzausgleichs. Versorgung der Bevölkerung. Diesen Mangel will der
Neue Finanzausgleich durch Regeln zur interkanto-
156 f:1.1 turwandel im ländlichen Raum und in den Alpen

nalen Zusammenarbeit und die Abgeltung von spi/1- Regionalpolitik im Wandel


overs (horizontaler Lastenausgleich) korrigieren. Der Bund hat im laufe der Zeit verschiedene Rah­
■ dem Ressourcenausgleich: Der als Ressourcen­ menbedingungen gesetzt, um wirtschaftliche Ent­
ausgleich bezeichnete Finanzkraftausgleich ver­ wicklungen anzukurbeln. Dabei vollzog sich in der
folgt neu ausschließlich Umvertei I ungsziele. 1 m Schweizer Regionalpolitik über mehr als drei Jahr­
Unterschied zum früheren Index der Finanzkraft zehnte ein deutlicher Wandel weg von einem top
richtet sich der Ressourcenindex nach dem kan­ down gelenkten Verteilungsansatz hin zu einem
tonalen Steuerpotenzial, nicht nach der tatsächli­ bottom up gestützten Wachstumsansatz seit den
chen Ausschöpfung dieses Potenzials. Die Kantone 1990er-Jahren, der mit der Neuen Regionalpolitik
können die eigene Finanzkraft nicht mehr direkt 2008 eine neue Grundlage erhielt.
beeinflussen, um Bundesmittel zu bekommen. Im Folgenden werden einige der wichtigsten Ins­
■ dem Finanzbedarfsausgleich (Abgeltung von Son­ trumente der Schweizer Regionalpolitik im Einzelnen
derlasten): Der Finanzbedarfsausgleich besteht behandelt.
aus zwei Elementen. Über den geographisch­
topographischen Belastungsausgleich wird bei Investitionshilfe für Berggebiete
den Bergkantonen den Mehrkosten der dünnen Bis Anfang der l 970er-Jahre vertraute man in der
Besiedlung (Kosten der Weite) und den schwie­ Schweiz entsprechend einem liberalen Wirtschafts­
rigen naturräumlichen Verhältnissen Rechnung modell darauf, dass Marktkräfte und Binnenwan­
getragen. Der soziodemographische Belastungs­ derung die regionalen Entwicklu ngsu nterschiede
ausgleich berücksichtigt Sonderlasten, die den entschärfen und das Wohlstandsgefälle verringern
Kernstädten durch die ungünstige Bevölkerungs­ würden. Diese sog. passive Sanierung wurde mit
zusammensetzung entstehen (A-Stadt mit hohem steigendem Wohlstand politisch nicht mehr tole­
Anteil an Armen, Alten, Ausländern, Auszubilden­ riert. Der Bundesrat zeigte sich in seinen Richtli­
den, Alleinstehenden, Alleinerziehenden, Arbeits­ nien zur Regierungspolitik für die Legislaturperi­
losen usw.). ode 1971-1975 daher „gewillt, zwischen länd­
■ dem Härteausgleich: Über einen befristeten Här­ lichen und städtischen, zwischen wirtschaftlich
teausgleich wird vermieden, dass bisher finanz­ schwachen und wirtschaftlich starken Gebieten
schwache Kantone durch den Systemwechsel Ver­ mit finanz- und raumordnungspolitischen Mitteln
luste erleiden. einen sinnvollen Ausgleich anzustreben, auf eine
Angleichung des Wohlstands in den verschiede­
Durch den Neuen Finanzausgleich werden zwischen nen Regionen hinzuwirken und [. .. ] insbesondere
wirtschaftsstarken und wirtschaftsschwachen Kanto­ die von der Abwanderung erfassten oder bedroh­
nen insgesamt deutlich mehr Mittel umverteilt als zu­ ten Regionen mit gezielten Maßnahmen zu för­
vor (rund 3,5 Mrd. gegenüber zuvor rund 2,5 Mrd. CHF dern und zu stärken" (Schweizerischer Bundesrat
pro Jahr, vgl. Abb. 117). Man erhofft sich davon eine 1971:32).
Stärkung des schweizerischen Föderalismus. Die effi­ Diese Phase läutete den Beginn einer aktiven
zienz- und innovationsfördernden Elemente des inter­ Regionalpolitik in der Schweiz ein. Als Hauptur­
kantonalen Wettbewerbs werden sowohl auf der Leis­ sache für räumliche Entwicklungsprobleme und
tungs- als auch der Steuerseite gefördert. Zugleich regionale Disparitäten wurde die Unterausstattung
wird der Wettbewerb sozialverträglicher gemacht. mit Infrastruktur diagnostiziert. 1974 wurde das
IAbb.1171 Finanzflüsse Wie Abb. 118 zeigt, sind es gerade die steuergünsti­ Bundesgesetz über Investitionshilfe für Berggebie­
gemäß NFA (in Mio. CHF, gen, einkommensstarken Kantone, die im Umvertei­ te (kurz Investitionshilfegesetz I HG) verabschiedet,
bezogen auf 2009). lungsverfahren die schwächeren Kantone stützen. das den Ausbau der lokalen und regionalen Infra­
struktur bezweckte. Durch Bauten in den Bereichen
Kultur, Bildung, Gesundheit, Erholung und Sport,
Bund
Ver- und Entsorgung, öffentliche Verwaltung, Ver­
kehr, Konsummöglichkeiten und Schutz vor Ele­
mentarschäden sollten die Standortfaktoren und
Wohnbedingu ngen von benachtei Iigten Regionen
Lastenausgleich Ressourcenausgleich verbessert werden. Man wollte damit private In­
Berggebiet Zentren vestitionen anziehen und den Abwanderungsdruck
verringern.
Das I nstru mentari um der Berggebietsförderung
bestand aus 1. Bundesbeiträgen an die Erarbeitung
von regionalen Entwicklungskonzepten, 2. Zinskos­
tenbeiträgen zugunsten von Investoren und 3. Rest­
finanzierungen durch Gewährung, Vermittlung oder
Kantone mit Sonderlasten Verbürgung von Darlehen. Die Finanzierung erfolgte
über einen lnfrastrukturfonds, der aus allgemeinen
ressourcenschwache Kantone ressourcenstarke Kantone Steuermitteln und Rückzahlungen von !HG-Krediten
gespeist wurde. Von 1974 bis 2006 konnten so rund
9000 lnfrastrukturprojekte mit Gesamtkosten von
Strukturwandel, Neuer Finanzausgleich und Neue Region?!Qolltlk 157

BS IAbb.1181 Ausgleichszah­
lungen der einzelnen Kan­
tone im Jahr 2010.

VD

Gesamt in Mio. CHF pro Person in CHF


UR 71,4 1,

JU 104,2 1534
0 25 50km vs 420,5 1451
GL 52,0 1363
ow 38,5 1161
FR 293,7 1148
Ausgleichszah I ungen Leistung der ressourcenstarken TG 233,2 995
2010 in Mio. CHF Kantone pro Einwohner 948
SG 437,1
Kantone erhalten AR 46,7 890
Gesamt in Mio. CHF pro Person in CHF
- mehr als 300 LU 310,8 873
ZG 215,6 203?.
- von 100 bis 300 BE 787,5 -817
GE 314,5 -721
so 190,8 -773
weniger als 100 BS 110,3 -578
GR 125,8 -657
Kantone bezahlen
ZH 617,7 -478
Al 9,6 -642
sz 60,8 -445
AG 210,l -370
weniger als 100
NW -375
- von 100 bis 300 VD
14,7 Tl 20,9 l 65
BL
56,9 1102
NE 11,0 l 65
- mehr als 100 4,7 1 18 SH 4,0 1 55

über 20 Mrd. CHF gefördert werden. Die vom Bund zeine Gebiete im Tessin, im Glarnerland und in der
eingesetzten Mittel betrugen 3,2 Mrd. CHF. In den Al­ Ostschweiz. In der Folge setzte sich der Bund 1979
pen, Voralpen und im Jura wurden 54 !HG-Regionen mit den Finanzierungsbeihilfen zugunsten wirtschaft-
gefördert (Abb. 119). Das Fördergebiet umfasste über 1 ich bedrohter Regionen - nach dem damaligen Di­
1200 Gemeinden, zwei Drittel der Landesfläche und rektor des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und
ein Viertel der schweizerischen Bevölkerung (Frey Arbeit meist als Bonny-Beschluss bezeichnet - das
2008: 122). Ziel, die Abhängigkeit von einzelnen dominierenden
Das IHG hat zwar die interkommunale Zusam­ Branchen abzubauen. Im Rahmen des Bonny-Be­
menarbeit im Berggebiet und auf diese Weise die schlusses konnte der Bund in Zusammenarbeit mit
Idee „Region" deutlich gefördert, und die Investiti­ den Kantonen und Banken Zinsvergünstigungen und
onshilfe des Bundes hat auch dazu beigetragen, die Steuererleichterungen gewähren und mit der Über­
Wohnattraktivität im Berggebiet zu verbessern, doch nahme von Bürgschaftsverpflichtungen die F inan­
führte sie nicht zu einem signifikanten Anstieg der zierung von privaten Investitionen erleichtern. Damit
unternehmerischen Aktivitäten in wirtschaftsschwa­ sollten Innovationen, Diversifikationen, Betriebs­
chen Regionen - im Gegenteil: Seit 1998 haben erweiterungen und Neugründungen gefördert werden.
sich die Probleme dieser Gebiete sogar verschärft. Zahlreiche Kantone bauten in den 1970er-Jahren
Eine Evaluation der Universität St. Gallen (Bieger ihrerseits eine Wirtschaftsförderung auf, die, wie
et al. 2004) spricht von einer „ frappanten Wachs­ der Bonny-Beschluss, mit Steuererleichterungen,
tumsschwäche". Zinsvergünstigungen und Bürgschaften - ergänzt
durch die Zurverfügungstellung von Grundstücken
Regionale Wirtschaftsförderung und Liegenschaften - arbeitete. Diese Kantone
Mitte der 1970er-Jahre wurde die ganze Schweiz von setzten durch, dass der jeweils befristete Bonny­
einem starken Konjunktureinbruch erfasst (reales Beschluss immer wieder verlängert wurde. Weil es
BIP 1975: -7,3%, 1976: -1,4%). Besonders stark unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftsförderung
betroffen waren die Uhrenregionen im Jura sowie ein- wenig attraktiv ist, von „wirtschaftlich bedrohten
158 t k\urwandel im ländlichen Raum und in den Alpen

IAbb.119I Die 54 IHG­ Nummer/Name der IHG·Re& oo


Regionen der Schweiz. 11 Z�n:tocr llcti:Pblt! 232 e,'l'l)lllk:h"""'i 241 CanfflllUT:1
21 Obt!ö Emmen111' 233 lfiip�tfü;t, R.vOll 242 Val-de-Travers
22 Ju1"l-Btu1'1e 234 l1uk 243 Vat-de-Ruz
.,.....,,1
23 Olmtand-Otit 235 Siene 261 Jura
24 236 Sion
237 Martigny
�� ��'l�=&aMnllfl" 238 Chablais
27 Kleu.h\1


28 St:hw,mrr.11M«
29 1r111Cn\eho1d TG

\ •��
;r
31 LUlfflll!fBab.�1Ef

'" rAlf
41 u,,
51 Elns:M,.ln ._Sv..
52 1nnersd?iJi17
61�1
71 Wduhiert
81 Olim!r Hln!.!fl.11111--Serrt ll Al
101 Se!ise ill ltl
102 Orv,m
103 OIIM-VPtej!i,E SG
104 Ham--SaliM.
111 ih•I '(--­
r.�z
151 .AnpEnnlf � R11
161 Appfflld L Rh
171 Tac.nbu,1,
172�·
Walcru..M
181 SmJ.i!I�•
182 Ml,'l(!3af10
183 A�Vliim3t.
184 Pri\fipil
185 Schainfr
187 Bfff:lll_ju.

54 1 HG-Regionen
der Schweiz 0 25 50km

Regionen" zu sprechen, ging man in den 1990er­ andere als regionalpolitische Ausgleichsmotive im
Jahren zum Begriff „wirtschaftliche Erneuerungsge­ Vordergrund. Seit 1967 gibt es spezielle Hotel- und
biete" über (Abb.120). Kurortskredite, seit 1976 Bürgschaften und Zinskos­
tenbeiträge für kleine und mittlere Unternehmungen
Zusätzliche kleinere Förderprogramme (KMU) im Berggebiet, seit 1997 „Regio Plus" zur
Neben dem IHG und dem Bonny-Beschluss ver­ Unterstützung des Strukturwandels im ländlichen
abschiedete der Bund noch eine Reihe kleinerer Raum, seit 1998 „lnnoTour" zur Förderung von Inno­
Förderprogramme. Dabei standen allerdings meist vation und Zusammenarbeit im Tourismus und seit

IAbb.120I Gebiete regio­


naler Strukturförderung.
Strukturwandel, Neuer Finanzausgleich und Neue RegionaJpol 159

Ausrichtungen NRP Schwerpunkt/Ziel Akteure


Stärkung von Innovation, Der Bund fördert Initiativen, Projekte und Programme Bund, Kantone und
� Wertschöpfung und zur Entwicklung von lnnovatlon und Wertschöpfung. Regionen, zusammen
Wettbewerbsfähigkeit Ziel: St_efge,rung der regionalen Wettbewerbsfähigkeit mit der Wirtschaft.
in den Regionen und Anpassung an den Strukturwandel. Verantwortlich für die
Diese erste Ausrichtung ist die wichtigste. Umsetzung: die Kantone.
g Kooperation und Ziel: Kooperiition/Synergien der Reg1onalpolltlk mit Verantwortlich für die
� Synergien zwischen raumrelevanten Sektoralpolitiken des Bundes wie der Umsetzung: der Bund.
� Regionalpolitik u. Innovations-. BIidungs-, Agrar-, Umwelt-, Energie-,
Sektoralpolitiken Tourismus- und KMU-Politlk u. Standortförderung.
Wissenssystem Der Bund schafft mit dieser Ausrichtung Angebote zur Verantwortlich für die
14 Regionalentwicklung, besseren Vernetzung und zum Wissensaustausch. Umsetzung: der Bund.
1; iJ Qualifizierung des Ziel: Unterstützung der Akteure bei der Umsetzung der
�I
ßt
Regionalmanagements Neuen Regionalpolitik und bei der Nutzung vorr Wissen
·" zur Entwicklung, Realisierung und Vermarktung von Pro­
!:?�
-g duliten und 0ienstleistungen. Anlaufstelle, regiosuisse.
�� Ausrichtung als Begleitung der ersten beiden Ausrich-
i.l tungen zur Erleichterung der Umsetzung
'::�
],
o„ 1 Tab. 291 Die Ausrichtungen der Neuen Regionalpolitik und ihre Akteure.

1990 „lnterreg" zur Förderung der grenzüberschrei­ relevanten Sektoralpolitiken gehören insbesondere
tenden Kooperation. die Landwirtschafts-, die Umwelt- und die nationa­
le lnfrastrukturpolitik (v. a. Nationalstraßen und die
Neue Regionalpolitik Neue Eisenbahn-Alpentransversale NEAT) sowie die
Unter dem Druck der Globalisierung und des ver­ Raumplanung. Die meisten dieser Politikbereiche
schärften internationalen Standortwettbewerbs seit verfügen über deutlich größere finanzielle Mittel als
Ende der l 990er-Jahre wurden verschiedene Poli­ die Regionalpolitik.
tikbereiche des Bundes einer Revision unterzogen.
Vereinfacht formuliert ging es darum, die Wettbe­ Einschätzung der Reformen
werbsfähigkeit der Firmen, Branchen und Regionen In einem ausgeprägt föderalistischen Land wie der
zu stärken. Schweiz besteht die Gefahr, dass die hohe Kantons­
Auch die Regionalpolitik erfuhr eine Neuaus­ und Gemeindeautonomie zu einem Auseinanderdrif­
richtung, deren Auslöser der Neue Finanzausgleich ten der einzelnen Gebietskörperschaften führt. Mit
war. Weil dieser den Disparitätenabbau wirksamer dem 1959 geschaffenen Finanzausgleich und den ab
erreicht, konnte die Regionalpolitik von dieser Auf­ den 1970er-Jahren entwickelten regionalpolftischen
gabe entlastet werden. Sie kann sich nunmehr auf Programmen versuchte der Bund, regionale Dispari­
die Wachstums- und Innovationsförderung konzent­ täten zu verringern. Die entsprei;:henden Maßnahmen
rieren. Ansatzpunkt der Neuen Regionalpolitik sind haben allerdings nicht verhindern können, dass sich
innovative Unternehmer, nicht mehr wie bisher lokale seit Ende der l 990er-Jahre die Situation der wirt­
und regionale Standortfaktoren (IHG) oder einzelne schattsschwächeren Regionen verschlechterte. Mit
Betriebe (Bonny-Beschluss). Von einer rigiden Ab­ dem Neuen Finanzausgleich und der Neuen Regio­
grenzung und Institutionalisierung der Regionen wird nalpolitik wurden 2008 zwei bedeutende Reformen
abgesehen; Leitvorstellung ist vielmehr die „variable in Kratt gesetzt. Ob es gelingen wird, mit den neuen
Geometrie". Tab. 29 fasst die Hauptausrichtungen Konzepten die Wirtschaftskraft der Problemgebie­
der Neuen Regionalpolitik, ihre Ziele und Akteure im te zu stärken, den brain drain zu bremsen und den
Überblick zusammen. Zusammenhalt der Willensnation Schweiz zu fördern,
Die Innovationsförderung des Bundes wird im muss vorläufig offenbleiben.
Weiteren nicht mehr wie bisher durch Projektfinan­ Die Globalisierung stellt an die Wettbewerbsfä­
zierung, sondern durch Programmförderung erfolgen. higkeit aller Teile des Landes erhöhte Anforderun­
Die Hauptverantwortung liegt bei den Kantonen. gen. Die Metropolregionen und die renommierten
2006 wurden die bisherigen regionalpolitischen Pro­ alpinen Tourismusgebiete weisen in der modernen
gramme des Bundes in einem neuen Bundesgesetz Dienstleistungsgesellschaft wirtschaftlich besse­
über Regionalpolitik zusammengefasst. Aus dem re Voraussetzungen auf als die meisten ländlichen
früheren !HG-Fonds entstand ein Fonds zur Regio­ und peripheren Gebiete - zumindest wenn ein­
nalentwicklung: Der Bonny-Beschluss wurde in mo­ mal die Folgen der Finanzkrise der Jahre ab 2008
difizierter Form beibehalten, sein Förderperimeter überwunden sein werden. Schädlich für das Land als
jedoch eingeschränkt. Ganzes wäre, wenn die politische Stärke der zahl­
Man war sich bewusst, dass die räumlichen Struk­ reichen kleinen ländlichen Kantone die ökonomische
turen auch in Zukunft außerhalb der eigentlichen Stärke der wenigen Wirtschaftszentren schwächen
Regionalpolitik beeinflusst werden. Zu den raum- würde.
160 ru� urwandel im ländlichen Raum und in den Alpen

IAbb.121I Ein großes


Missverständnis: Die
Landschaft beginnt nicht
am Siedlungsrand.

Die Entdeckung der Landschaft als öffentliche Aufgabe ■ Paul Messerli

Der Schutz von „Landschaften von nationaler Be­ ist eine breit abgestützte Landschaftsinitiative, die
deutung" geht in der Schweiz auf die l 970er-Jahre im Kern ein Moratorium von 20 Jahren verlangt,
zurück (Bundesinventar von Landschaften und Na­ das verbietet, weitere Baugebiete auszuweisen. Der
turdenkmäler von Nationaler Bedeutung BLN 1977, Umweltschützer Franz Weber lancierte gleich zwei
Bundesamt für Umwelt des Departements Umwelt, Initiativen: Die erste besagt, dass der Zweitwoh­
Verkehr, Energie und Kommunikation 2010). Land­ nungsbestand auf 20 % des Wohnungsbestandes pro
schaften als schutzwürdig einzustufen ist also nicht Gemeinde beschränkt werden soll, was in einigen
neu, doch stand lange der konservierende Schutz Regionen zum Baustopp führen würde; die andere
und das Fernhalten menschlicher Nutzungen im richtet sich gegen Großprojekte wie z.B. Einkaufs­
Vordergrund. Neu an der heutigen Debatte ist die zentren und Freizeitanlagen auf der grünen Wiese
Einsicht, dass das, was zwischen den Schutzgebie­ (Tandeminitiative). Als Gegenvorschlag des Bundes­
ten und dem Siedlungsraum liegt, ein knappes Gut rates zu den Initiativen wird im Parlament derzeit
geworden ist, weil genau dieses Gebiet im breiteren die Revision des Schweizer Raumplanungsgesetzes
gesellschaftlichen Verständnis als „die Landschaft" beraten. Eine Volksabstimmung findet frühestens
gesehen wird. Weil alle den freien Blick auf die 2011 statt.
Landschaft suchen, dehnt sich der Siedlungsrand Mit dem erweiterten Natur- und Heimatschutzge­
in die noch freien Flächen unseres Territoriums aus. setz von 1966 wurde im Jahre 2009 die Schaffung
Die Mehrheit der Schweizer wünscht sich den freien von regionalen Naturparks ermöglicht. Mit Unterstüt­
Blick auf die Berge und gleichzeitig die Nähe zur zung des Bundes und der beteiligten Kantone haben
Arbeit, Bildung und Versorgung bietenden Stadt, was zwölf Park-Projekte 2009 die Arbeit aufgenommen.
den Raum für „freie Landschaft" immer mehr ein­ Im Bericht des Bundesrates zur Neuordnung und
engt (Abb. 121). Zielorientierung der Direktzahlungen (2009) wird ne­
Im Folgenden soll aufzeigt werden, wie aus einer ben dem flächenbezogenen Ressourcenschutz auch
neuen Aufmerksamkeit und öffentlichen Wahrneh­ der Biodiversität und der regionalen Landschafts­
mung die Voraussetzungen für eine umfassende qualität (strukturelle Vielfalt, regionale Eigenart)
Landschaftspolitik geschaffen werden. Rechnung getragen. Schließlich ist der Entwurf ei­
nes Raumentwicklungsgesetzes zur Ablösung des
Chronologie zur neuen Aufmerksamkeit Raumplanungsgesetzes in der Vernehmlassung, das
für „unsere Landschaft" die Bundeskompetenzen gegenüber den Kantonen
Nicht weniger als drei Volksinitiativen wurden 2007 stärken soll.
eingereicht, um der Zersiedlung des offenen Landes Die künftige Raumentwicklung in der Schweiz soll
Einhalt zu gebieten. ,,Raum für Mensch und Natur" zu einer quantitativen Begrenzung der Baugebiete
Die Entdeckung der Landschaft als öffentliche Aul 161

und einer qualitativen Aufwertung der Lebensräume Landschaft Schweiz (50 Mio. CHF), aus dem seither
für Mensch und Natur verpflichtet werden und damit eine große Zahl von Projekten zur Erhaltung traditio­
einen zentralen Beitrag zur Strategie der nachhalti­ neller Kulturlandschaften unterstützt wurde. Ein wei­
gen Entwicklung leisten. terer Meilenstein war das nationale Symposium 1989
Begonnen hat diese neue Aufmerksamkeit mit zur Zukunft der Kulturlandschaft in der Schweiz im
der Veröffentlichung des ersten Berichtes über das UNESCO-Biosphärenreservat Entlebuch. Es wür­
Brachlandproblem in der Schweiz 1972, mit den digte v. a. den Gestaltungsspielraum, der das neue
größten ausgewiesenen Gebieten in den Kantonen Landwirtschaftsgesetz (1998) mit der Trennung von
Tessin und Wallis. Die gewonnene Erkenntnis dar­ Preispolitik (Markt) und Einkommenspolitik (Direkt­
aus war, dass sich der Wald zurückholt, was ihm die zahlungen) für die Arbeit in der Landschaft eröffnete.
Landnutzer einst abgerungen hatten. Damit ging aber Dieser Paradigmenwechsel bedeutete die Integration
auch das Empfinden eines Kontrollverlustes über die der Landwirtschaft in eine moderne Dienstleistungs­
natürliche Dynamik auf Flächen, die durch regelmä­ gesellschaft und die Diversifikation der agrarwirt­
ßige Nutzung während Generationen ökologisch sta­ schaftlichen Produktion (Marktgüter, Kollektivgüter,
bil gehalten wurden, einher. Um dem Rückzug der Dienstleistungen).
bäuerlichen Arbeit aus der Fläche entgegenzuwirken, Seit 1997 besitzt die Schweiz ein Landschafts­
wurde 1996 das Flächenbeitragssystem in der Ag­ konzept mit Festlegungen auf der Zielebene und seit
rarpolitik eingeführt, nach welchem jeder Landwirt 2003 ein Leitbild „Landschaft 2020" zur Konkreti­
einen Direktzahlungsbetrag pro Hektar und Jahr für sierung der Ziele in acht Aktionsfeldern:
die Bewirtschaftung seiner Landflächen erhielt. ■ Landschaft und Landnutzung
Die in den l 980er-Jahren durchgeführte Man ■ Landschaft und Raumordnungspolitik
and Biosphere-Forschung (Beitrag zum UNESCO­ ■ Landschaft und Gewässer
Programm Man and Biosphere) hatte die Werte der ■ Arten und Lebensräume
bäuerlichen Kulturlandschaften in vier Testgebieten ■ der Mensch in der Landschaft: Wahrnehmung und
des schweizerischen Alpenraums (Pays-d'Enhaut Erlebnis
im Kanton Waadt, Grindelwald im Kanton Bern, das ■ Partizipation
Aletschgebiet im Wallis und Davos in Graubünden) ■ wirtschaftliche Instrumente und Ressourcenver-
untersucht und kurz zusammengefasst, diese seien brauch
nachhaltig produktiv, ökologisch stabil, erhöhten die ■ Früherkennung und Forschung (Abb.122)
Biodiversität und würden hohe ästhetische Ansprü­
che erfüllen. Wieder nahm die Agrarpolitik die Bot­ Dies ist zwar das einzige formelle Planungsinstru­
schaft auf und forderte im siebten Landwirtschafts­ ment des Bundes für Natur und Landschaft, seines
bericht 1992 eine flächendeckende Bewirtschaftung breiten Landschaftsverständnisses wegen diente es
der Kulturlandschaften in der Schweiz. aber u. a. auch als Beispiel für die Erarbeitung der
Zur 700-Jahr-Gründungsfeier der Schweizerischen Landschaftskonvention des Europarates (Konvention
Eidgenossenschaft 1991 stiftete diese den Fonds von Florenz 2004).

IAbb.1221 Strategische
Prinzipien der Umweltpolitik Umsetzune Schwerpunkte und
im Rahmen der nachhaltigen in den Aktionsfeldern Umsetzung der
Entwicklung des Leitbildes Landschaftspolitik.

• Grundsatz der Nachhaltigkeit • vorsorgen neue Wege 1 Landschaft


(Art. 2 Abs. 4 und Art. 73 BV) und Landnutzung
• gestalten

..
• Schutz des Menschen und der Mitwirkung 2 Landschaft und
Umwelt vor Beeinträchtigungen; • schützen Raumordnungs­
Vorsorge- und Verursacherprinzip politik
• sanieren Schutz
(Art. 74 BV) 3 Landschaft

...
• Zweckmäßige und haushälte­ • nachhaltig nutzen und Gewässer
rische Nutzung des Bodens durch Anreize 4 Arten und
• 1 nformation
Raumplanung (Art. 75 BV)
• Schutz und haushälterischer • Mitwirkung
Support
--+ Lebensräume
5 der Mensch in
Umgang mit Wasser (Art. 76 BV) • Kooperation der Landschaft:
• Gcwährlcintung oller Wahrnehmuns
• Anreize setzen und Erlebnis
Waldfunktionen (Art. 77 BV)
• Rücksichtnahme auf Natur und • Verursacher 6 Partizipation
in die Pflicht nehmen 7 wirtschaftliche
Landschaft; Schutz der Arten
und Lebensräume (Art. 78 BV) 1 nstrumente
und Ressourcen­
• Erhaltung der natürlichen Lebens­
verbrauch
grundlagen und der Kulturland­
schaft bei der landwirtschaft­ 8 Früherkennung
lichen Nutzung und Forschung
(Art.104 Abs. l Bst. b BV)
162

Wie der Mensch zu seiner Landschaft kam


Von der Wortbedeutung her ist „Landschaft" In einer sehr vereinfachten historischen Re­
nicht etwas aus sich heraus Gewordenes (Natürli­ konstruktion kam der moderne Mensch über drei
ches), sondern etwas von Menschen Gemachtes, unterscheidbare Stufen zu „seiner Landschaft".
Geschaffenes (scaf=shape=schaben oder schaf­ ■ Agrargesellschaften erlebten Landschaft als Ar­
fen). Somit gilt: Ohne Menschen gibt es keine beit, um zu leben und zu überleben.
Landschaft, und zwar im doppelten Sinn, denn ■ Für die nicht mehr in der Landschaft tätigen
der Mensch ist sowohl als Produzent wie auch feudalen Eliten und später das Bürgertum wur­
als Konsument unverzichtbar. Wenn Landschaft de Landschaft zum „Kunstwerk" nach ästheti­
heute oft allein als Wahrnehmungsprodukt aufge­ schen Prinzipien, wie es in der aufkommenden
fasst wird, dann fallen die beiden Funktionen im Landschaftsmalerei des 17. und 18.Jh. reprä­
Wahrnehmungsakt zusammen. Wer von der Land­ sentiert ist.
schaft spricht, der meint damit die sichtbare ma­ ■ Seit dem Industriezeitalter hat sich die poten­
terielle Umwelt, die den Menschen umgibt. Diese zielle Eingriffstiefe in den Naturhaushalt und
erbringt aus sich heraus Leistungen, aber auch die materielle Umwelt so verstärkt, dass neue
solche, die menschliche Nutzung voraussetzen. Regeln im Umgang mit Natur und Umwelt de­
Wer von meiner oder unserer Landschaft spricht, finiert werden mussten (Natur-, Umweltschutz
meint dagegen die Bedeutung, die dieser Umwelt und Raumplanung).
zugeschrieben wird, und die Wertschätzung, wel­
che die Gesellschaft ihr entgegenbringt. Die ma­ Landschaft ist dabei zum Marktplatz der ver­
terielle Umwelt der menschlichen Gesellschaften schiedenen Nutzungsinteressen geworden und
ist nicht statisch, sondern verändert sich unter als Resultat vieler interessengeleiteter Entschei­
dem Einfluss natürlicher und kultureller Kräfte. dungen und Handlungen auf individueller und
Dieses Verhältnis unterliegt einer Eingriffs- und kollektiver Ebene ein meist unbeabsichtigtes Pro­
Regelungskompetenz, die jede Gesellschaft defi­ dukt, das in der heutigen Wahrnehmung Vieler
nieren muss. unerwünscht ist.

In der öffentlichen Wahrnehmung (Landschaftsin­ Hochschulen und der Fachhochschulen im „Forum


itiativen), auf der Verwaltungsebene (Leitbild Land­ Landschaft" zusammengefasst, und der „Verein Met­
schaft 2020) und auf der bundespolitischen Ebene ropole Schweiz" hat das Thema Landschaft zu einem
(neues Landwirtschaftsgesetz, revidiertes Natur- und neuen Projekt gemacht (2009).
Heimatschutzgesetz, neues Raumentwicklungsge­ Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz setzt sich
setz) sind Prozesse ausgelöst und sichtbar geworden, seit den l 970er-Jahren für die Erhaltung und Pflege
die deutlich machen, dass Landschaft als Residual­ wertvoller Kulturlandschaften ein, unterstützt durch
produkt aus den privaten und öffentlichen Nutzungs­ den „Fonds Landschaft Schweiz". Die Brachlandfor­
entscheidungen nicht mehr akzeptiert ist, und neue schung der l 970er-Jahre hatte sich neben den Wie­
Wege der Entwicklungssteuerung gefunden werden derbewaldungs- und Stabilitätsfragen auch mit dem
müssen. Problem erhöhter Naturgefahren und damit mit der
Der Schritt zu einer expliziten Landschaftspolitik ökonomischen Dimension der Landschaftspflege be­
bedeutet, dass private und öffentliche Akteure in fasst. Die Waldsterbedebatte der l 980er-Jahre griff
einen kollektiven Entscheidungsprozess einbezogen dieses Thema wieder auf. Der ökonomische Wert der
werden müssen. Die flächenwirksamen Hauptakteure Schutzwälder war Gegenstand verschiedener Stu­
wie Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Naturschutz so­ dien. Mit der gleichzeitig initiierten Man and Bio­
wie Siedlungs- und lnfrastrukturplanung stehen dann sphere-Forschung (sozioökonomische Entwicklung
gesellschaftlichen Anspruchsgruppen als Nachfrager und ökologische Belastbarkeit im schweizerischen
gegenüber. Schließlich muss Landschaft als Erschei­ Berggebiet) wurde die Landschaftsforschung um die
nung sowie als strukturelle und inhaltliche Qualität ökologische (Stabilität, Diversität) und die ästheti­
Gegenstand gesellschattl1cher Aushandlung gemacht sche lJ1mens1on erweitert und in einer synthetischen
werden, damit gesellschaftliche Wertschätzung in Beurteilung der bäuerlichen Kulturlandschaften der
landschaftliche Wertschöpfung zugunsten der Produ­ Schweiz zusammengefasst.
zenten überführt werden kann. Erst mit dem nationalen Forschungsprogramm des
Schweizerischen Nationalfonds „Landschaften und
Der Beitrag der Forschung zur Lebensräume der Alpen" (2007) rückte die Land­
Verhandelbarkeit von Landschaften schaft umfassend als Wirtschafts-, Lebens- und Er­
Landschaftsforschung hat sich in den letzten 20 holungsraum ins Zentrum der Forschung mit dem
Jahren international als interdisziplinäres For­ Auftrag, alle gesellschaftlich relevanten Dimensio­
schungsfeld mit eigenen Fachorganen etabliert. In nen der Landschaft zu erschließen und einem Ziel­
der Schweiz sind die aktiven Forschungsgruppen findungs- und Umsetzungsprozess zugänglich zu
der Universitäten, der Eidgenössischen Technischen machen. Wird nun Landschaft nicht mehr als Fol-
Die Entdeckung der Landschaft als öffentliche,Aufgalfe 163

geprodukt verschiedenster Raumnutzungsansprüche


verstanden, sondern zum Gegenstand einer Aus­
handlung und Vereinbarung zwischen verschiedenen
Anspruchsgruppen gemacht, dann bedarf dies einer
begründeten Festlegung von Verhandlungs- und Be­
wertungsdimensionen (Abb.123 und Exkurs „Bewer­
tungsdimensionen der Landschaft").
Es bleibt die Frage nach der politischen Steuerung
und praktischen Bewältigung dieser anspruchsvollen
Aufgabe. Die politische Steuerung auf Bundes- und
Kantonsebene muss dort wirksam werden, wo allge­
mein anerkannte Umweltqualitätsziele mit minima­
len Standards flächendeckend durchgesetzt werden
sollen. Der entscheidende Schritt erfolgt dann zur
regiona I differenzierten Landschaftsentwicklung,
wodurch der Kreis der beteiligten Akteure erweitert,
und das Verfahren zur Aushandlung der Ziele und
Prioritäten auf die regionale Ebene delegiert wird.
Dabei soll das Expertenwissen der lokalen und regi­
onalen Organisationen, die im Umwelt-, Natur- und
Landschaftsschutz tätig sind, einbezogen werden.
Auf diese Weise wird die Landschaftsentwicklung als der nötigen Anreiz- und Abgeltungssysteme, ist die IAbb.1231 Verhandelbare
kollektive Aufgabe dort verankert, wo Betroffenheit große Herausforderung, das Bemühen um die Qua­ Dimensionen von Land­
besteht und Verantwortung wahrgenommen werden lität der Landschaften zum zentralen Element der schaft.
kann (Abb. 124). nachhaltigen Entwicklung zu machen.
Zu diesem partizipativen Ansatz gibt es Vorläufer:
Zum Beispiel wurden im Rahmen der Regionalpla­ Eine Landschaftspolitik für die
nung regionale Landschaftsentwicklungskonzepte Schweiz: Grundlagen und Ansätze
erarbeitet, mit z. T. breit abgestützten partizipativen In der Vision "Landschaft 2020 - Leitbild" des Bun­
Verfahren. Die Ausdehnung dieser Praxis auf alle Ge­ desamtes für Umwelt (BAFU 2003) heißt es einlei­
biete der Schweiz, verbunden mit der Ausgestaltung tend: .,Das Engagement von allen ist gefordert!" Die-

Bewertungsdimensionen der Landschaft


Landschaft ist in vier verschiedenen Welten re­ und Laien signifikante Unterschiede, was bei
präsentiert (Abb. 123): partizipativen Verfahren zu berücksichtigen ist.
■ In der mentalen Welt erscheint sie als Bild und Landschaftsveränderungen werden dann nicht
Vorstellung mit den Bewertungsdimensionen negativ beurteilt, wenn sich die Bevölkerung da­
Gefallen (Ästhetik), Lesbarkeit und Vertrautheit rin als Verursacher und Spurenmacher erkennt
(1 nformations- und Symbolgehalt). (Lesbarkeit der Veränderung).
■ In der biophysischen Welt steht sie für Lebens­ Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen
gemeinschaften und ökosystemare Leistungen Landschaft und Biodiversität, von der geneti­
mit den Bewertungsdimensionen Vielfalt im schen bis zur Ebene der Lebensgemeinschaften
Kleinen und im Großen (Biodiversität) sowie und der Vielfalt der Landnutzung. Vielfältige
Stabilität und Sicherheit des Lebensraums. Kulturlandschaften sind somit Voraussetzung für
■ In der ökonomischen Welt stehen Nutz- und eine hohe Biodiversität im umfassenden Sinn,
Schutzwerte mit preislicher Bewertung im Zent­ was entsprechende Anforderungen an das Inst­
rum. rument der landwirtschaftlichen Direktzahlungen
■ Durch Eigentums- und Nutzungsrechte, Verbote, stellt. Mit dem Ansatz des „ecosystem-service",
Gebote und Anreizsysteme ist sie im politisch­ der eine monetäre Bewertung der Nutz- und
rechtlichen Ordnungs- und Steuerungssystem Schutzleistungen der Landschaft als Mosaik von
verankert. Ökosystemen anstrebt, werden die Landschafts­
leistungen auf einem einheitlichen Maßstab
Die Aushandlung eines „Leistungsauftrages Land­ abgebildet, was die Güterabwägung erleichtern
schaft'' kann nun entlang dieser vier Dimensio­ kann. Diese Hinweise sollen belegen, dass die
nen erfolgen, zu denen heute einschlägige empi­ Landschaftsforschung darauf angelegt ist, die
risch abgesicherte Erkenntnisse vorliegen (Leh­ Aushandlung der erwünschten Landschaftsent­
mann et al. 2007). So bestehen in der Bewertung wicklung zu systematisieren und mit entspre­
von Landschaften und Landschaftsveränderungen chenden Methoden und Instrumenten zu unter­
bezüglich visueller Qualität zwischen Experten stützen.
164 uk urwandel im ländlichen Raum und in den Alpen

IAbb.124I Welche Land­ ses Leitbild beschreibt acht Aktionsfelder (Abb.122)


schaft wollen wir? mit Qualitätszielen und Programmelementen und
Verhandlungsbereich stützt sich als inhaltliche Konkretisierung auf das
Schönheit, Stimulanz,
1997 vom Bundesrat genehmigte Landschaftskon­ 1 Es bestehen genü­ 8 Ökologische
Vertautheit. (A: heutiger
Zustand; B: Nutzungs­ zept Schweiz, das für 13 Politikbereiche des Bun­ gend grossflächige Ausgleichsflächen
Schutzgebiete, in ergänzen und ver­
intensivierung; C: tradi­ des Verbindlichkeiten auf der Zielebene festlegt. Am denen die Natur netzen Lebensräume
5 Die regional typi­
tionelle Kulturlandschaft; Beispiel der Weiterentwicklung der Direktzahlungen Vorrang hat. schen Waldstruktu­ und können als
0: Wiederbewaldung). an die Landwirtschaft kann illustriert werden, wie 2 In kleineren und ren sind erhalten Pufferzonen für
grösseren stadtna­ oder ablesbar, die Schutzgebiete und
die Umsetzung dieser Ziele erfolgen soll (Abb.125 hen Gebieten wird jeweiligen Funktio­ als Auffangräume für
und Abb. 126). Die Direktzahlungen werden so aus­ die Natur ihrer nen sind dauernd Hochwasser dienen.
differenziert, dass sie auf jeweils einen Zielbereich eigenen dynami­ gewährleistet. 9 Waldreservate
schen Entwicklung 6 Die natürliche sichern in allen
(z.B. Ressourcenschutz, Biodiversität, ökologi­ überlassen. und kulturelle Regionen Waldge­
scher Ausgleich) fokussieren, für den die Umwelt­ 3 Wo die Land­ Eigenart und Vielfalt sellschaften und
nutzung aus wirt­ der Landschaft ist -formen, die eine
qualitätsstandards des Bundesamtes für Umwelt erkennbar; besonde­ besondere Bedeu­
schaftlichen Grün­
übernommen werden. In dieser Logik mischt sich den nicht mehr re Kulturlandschaf­ tung für die Vielfalt
der Arten und Land­
Landschaftspolitik als Quersch nittsaufgabe in alle aufrecht erhalten ten sind mit den
schaften haben
werden kann, kann darin heimischen
flächen- und raumwirksamen Sektoralpolitiken ein, der freien Entwick­ Arten erhalten. 10 Geschützte Bio-
IAbb.125I Das Land­ da diese wirkungsmächtig sind und über die Mittel lung der Natur 7 Der Mensch ver­ • tope tragen zur Er-
schaftskonzept des Bun­ wieder Raum haltung der Vielfalt
des als normative Vorgabe
verfügen, finanzielle Anreize für Verhaltensänderun­ gegeben werden.
ändert Landschaft
an Arten und Lebens­
für die Sektoralpolitiken. gen zu schaffen. Diese Umweltziele werden in der räumen entscheidend 1
bei; sie sind unterein­
ander vernetzt.

Q Die Instrumente der schweizerischen Landschaftspolitik

Rechtsgrundlagen:
Raumplanungs­ Natur- und Heimat­
gesetz schutzgesetz
Verfassung

Landschaftskonzept Schweiz
ein Konzept nach Art. 13 des Raumplanungsgesetzes
für die 13 Politikbereiche des Bundes

-· !i

1
t
2 8

.Le;tb;ld Laadschaft 2020" -


Strategie des BAFU für Natur und Landschaft
�,
Q fi
i�
(nachhaltige Landschaftsentwicklung, Qualitätsziele,
Vorgehensziele, Aktionsplan)
g�
��
'.l-
!11
��
- Umsetzung im Einzelfall §j
"'
Terrain: - R��ll�ml\tel'mrt•�re� ll
- Erfolgskontrolle ��
��
&.;llAbb.126I Vision Landschaft 2020.
Die Entdeckung der Landschaft als öffentliche AVfgaH 165

11 landwirtschaft­ 13 Die Siedlungs­ 19 Gewässer weisen 23 Die Gestaltung 29 Bauten und


liche Vorrangsflächen entwicklung eine gute Wasser­ der Siedlungen Anlagen werden
sind für die nachhal­ konzentriert sich qualität auf, die nimmt auf das mit Respekt vor
tige Nutzung in ihrer auf Schwerpunkte, heimischen Arten Bedürfnis nach Erho­ Natur und Land­
Ausdehnung und erfolgt flächensparend 17 Bewohnerinnen kommen entspre­ lung und Begegnung schaft gestaltet.
Qualität gesichert. und nach innen. und Bewohner betei­ chend ihrem natür­ Rücksicht und lässt 30 Nicht ersetz­
12 Der Anteil 14 Zwischen den ligen sich verantwor­ lichen Verbreitungs­ Freiräume. bare Landschafts­
versiegelten Bodens Siedlungen bestehen tungsbewusst an der gebiet vor. 24 Naturnahe und elemente und
nimmt nicht zu unbebaute Räume; Gestaltung ihres 20 Flüsse und Bäche natürliche Gebiete Lebensräume
die Siedlungsränder Lebensraumes. verfügen über aus­ ermöglichen Erho­ bleiben erhalten.
sind erkennbar. 18 Die Landschaft reichenden Raum, lung und bieten
15 Standorte und ist grundsätzlich lrei 21 Flüsse und Bäche Erfahrungen für alle
zugänglich Sinne
25 Die Menschen
finden in ihrer Wohn­
umgebung Oasen
der Ruhe,
166

IAbb.1271 Parkland­
schaften in der Schweiz. Parklandschaften in der Schweiz

1 Schweizerischer Nationalpark GR
2 RNP UNESCO Biosphäre Entlebuch
3 RNP Thal
4 NEP Wildnispark Zürich-Sihlwald
5 RNP Biosfera Val Müstair
6 NP Park Adula
7 RNP Severin
8 RNP Landschaftspark Binntal
9 PNR Chasseral
10 RNP Diemtigtal
11 PNR du Doubs
12 RNP Park Ela
13 RNP Gantrisch
14 PNR Gruy�re Pays-d'Enhaut
15 RNP Jurapark Aargau
16 PNR Jura vaudois
17 RNP Pfyn-Finges
18 RNP Thunersee-Hohgant
19 RNP Urschweiz
20 PNR Biosph�re
Val d'Herens

1
N

RNP/PNR Regionaler Naturpark


NEP Naturerlebnispark
lo 25 50km
NP Nationalpark

Eidgenlls:sischesDepartementlar
Umwelt, Verkehr, Ellefiie und Kommunikation UVEK
Parks in Errichtung 1111 Parks von nationaler Bedeutung
llitodeartllhlrV�lflAfU
Parks in Errichtung mit - Schweizerischer Nationalpark GR
Stand 27.8 2010 provisorischem Perimeter

- Aufgrund internationaler Erfahrungen soll es in der Schweiz künftig drei verschiedene Park­
kategorien geben, abgestuft nach der Schutzwürdigkeit und den Nutzungsmöglichkeiten.

Nationalparks zeichnen sich als unberührte Naturlandschaften aus. In ihrer Kernzone sind
grundsätzlich keine menschlichen Eingriffe möglich. Die Umgebungszone kann naturnah
bewirtschaftet werden. Wanderer müssen sich strikt auf den dafür vorgesehenen Pfaden
bewegen. Der bestehende Naturpark im Unterengadin wird nach diesen Kriterien geführt.

Regionale Naturparks sind ein erfolgreiches Instrument, um wertvolle Kulturlandschaften im


ländlichen Raum zu erhalten und neu zu beleben. Sie schaffen die Voraussetzung dafür, dass
eine ganzheitliche und nachhaltige Entwicklung der Region möglich ist. Die Bewirtschaftung
der Naturparks ist möglich. Betont wird die regionale Vermarktung von einheimischen Produk­
ten. Dazu sind Landwirtschaft, Gewerbe und Dienstleistungsunternehmen eingebunden.

Naturerlebnis­ Naturerlebnisparks liegen in der Regel in der Nähe von Ballungsräumen. In den äußeren Zo­
parks nen kann sich die Bevölkerung erholen, joggen und die Natur genießen. Naturerlebnisparks
können Schulen als Natur-Ausbildungsstätten dienen.
1 Tab.301 Parkkategorien der Schweiz.

nächsten Zeit systematisch in die übrigen Sektoral­ der Einrichtung regionaler Naturparks erfolgen. 17
politiken integriert. Gesuche wurden seit 2008 eingereicht (Abb. 127),
Die gemäß Bundesinventaren geschützten Gebiete Zwölf weitere Projektideen sind bekannt. Allein im
(Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Kanton Bern - mit vier Projekten - wird das Gebiet
Bedeutung, Hoch- und Übergangsmoore, Auenge­ mit landschaftlich besonderen Qualitäten 25% der
biete, Moorlandschaften von besonderer Schönheit) Gesamtfläche ausmachen. Um das Qualitätslabel
machen zurzeit etwa 23% der Landesfläche aus. Al­ „Regionaler Naturpark" zu erwerben, müssen die in
lerdings ist ihr Schutzstatus sehr unterschiedlich. Bis einer Leistungsvereinbarung festgelegten Ziele er­
2030 sollen zudem 10% der Waldfläche der Schweiz reicht werden.
als Waldreservate ausgewiesen werden. Ein zusätzli­ Mit der neuen Parkverordnung des Bundes und
cher quantitativer Sprung der landschaftlich heraus­ den Parkkategorien (Abb. 127 und Tab. 30) werden
gehobenen Flächen wird in den nächsten Jahren mit wesentliche Schritte in die richtige Richtung getan:
167

Die L andschaftsentwicklung wird als ganzheitliche Wirklichkeit nicht zu weit auseinanderklaffen. Wenn
Aufgabe regional verankert. Sie fordert die breite Mit­ etwas zur öffentlichen Aufgabe gemacht werden soll,
wirkung der Bevölkerung und will besondere Land­ weil die anderen Institutionen und Regelungsebenen
schaftsqualitäten als Quelle zusätzlicher regionaler versagen, dann ist das ein starker Hinweis darauf,
Wertschöpfung fördern. Damit rückt sie in die Nähe dass eine gesellschaftliche Ressource umstritten,
der Neuen Regionalpolitik und bietet v. a. für länd­ knapp oder ungenügend vorhanden ist, weil keiner
liche Gebiete (Jura, voralpines Hügelland, Voralpen sie in genügendem Ausmaß und ausreichender Qua­
und Alpen) eine wirtschaftliche Alternative. Ein­ lität bereitstellen will. Jene Landschaften, die wir als
schränkend muss allerdings festgestellt werden, dass „unsere Landschaften" bezeichnen können, sind in
das Ziel, Landschaft als kollektive und aktiv anzu­ vielen Teilen der Schweiz knapp geworden, was die
gehende Aufgabe zu betrachten, noch nicht erreicht starken Forderungen der Landschaftsinitiativen er­
ist. Im schweizerischen Mittelland mit den stärksten klärt.
Zersiedelungstendenzen hat diese Arbeit noch nicht Einiges ist in Gang gekommen: So wurde ein Be­
ernsthaft begonnen. Ohne verbindliche Zusammen­ wusstsein über die Notwendigkeit einer nachhaltigen
arbeit auf regionaler Ebene verhindert die kommu­ Landschaftsentwicklung in der breiten Bevölkerung
nale Hoheit über die bauliche Entwicklung, dass geschaffen.
Landschaft aus dem Status eines Residualproduktes Die konzeptionellen, materiellen und methodi­
in den eines gestaltungswürdigen und -bedürftigen schen Beiträge der Landschaftsforschung sollten
Produktes gehoben wird. zusammen mit den Anstrengungen der Politik Rah­
menbedingungen schaffen und Steuerungsinstru­
Landschaften gemeinsam schaffen mente bereitstellen, um auf regionaler Ebene Gestal­
Für viele Schweizer steht die Landschaft an erster tungsprozesse in Gang zu bringen und fachlich zu
Stelle weit vor Sicherheit, Demokratie und Neutra­ unterstützen. Letztlich sollte bedacht werden, dass
lität. Daraus resultiert eine Verpflichtung, dafür zu die Landschaften der Schweiz ein weiterer Trumpf im
sorgen, dass Erwartungen und die vorgefundene internationalen Standortwettbewerb sind.
168

Umweltprobleme und
Umgang mit Naturgefahren

IAbb.1281 Luzern mit


Seebecken und Pilatus. Überblick
■ und
Erfolgreichen Maßnahmen im Bereich des Umweltschutzes (z.B. Waldgesetz, Gewässerkorrektur
Gewässerschutz) und der Naturgefahren-Prävention (z. 8. Lawinen- und Hochwasserschutz)
stehen zunehmend problematische Entwicklungen gegenüber (z.B. Rückgang der Biodiversität,
Feinstaubproblematik).
■ Die Ausweitung räumlicher und zeitlicher Skalenbereiche von Umweltfragen sowie ernste Aspekte
der lrreparabilität stellen neue Dimensionen von Beeinträchtigungen des Lebensraums dar. Beson­
ders deutlich wird dies im Zusammenhang mit der Klimaänderung (Verlust der Gebirgsvergletsche­
rung, Veränderung des jahreszeitlichen Wasserangebots).
■ Die Siedlungswasserwirtschaft gehört zu den zentralen Dienstleistungen der öffentlichen Hand und
ist wie der Schutz aller natürlichen Ressourcen ent5prechend der föderalistischen Struktur an die
kantonalen Behörden delegiert. Die Werterhaltung der bestehenden Anlagen stellt jedoch eine fi­
nanzielle Herausforderung dar.
■ Bei der Verbesserung der Lufthygiene versprechen Maßnahmen im Bereich des motorisierten Indi­
vidualverkehrs zwar eine große Wirkung, sind aber politisch umstritten.
■ Die schweizerische Raumplanung verfolgt das Ziel einer polyzentrischen Raumentwicklung. Kon­
zentrierte und gut vernetzte Siedlungen sollen sich über das ganze Land, insbesondere auch die
Sprachregionen verteilen, der Landschaftsraum soll geschont werden. Die reale räumliche Entwick­
lung entspricht der Zielvorstellung allerdings nur bedingt, ist sie doch von der wachsenden Domi­
nanz weniger Großzentren, funktionalen Spezialisierungen und Konzentrationen, einer dispersen
Siedlungsentwicklung und immer weiter ausgreifenden Pendlerströmen gekennzeichnet.
Umweltveränderungen und Naturgeta�ren 169

Umweltveränderungen und Naturgefahren ■ Wilfried Haeberli

Bedrohliche und bedrohte Natur Im Vordergrund der Diskussion stand dabei der
,,Bedrohliche und bedrohte Natur" - so lautet der Ti­ durch den Eisenbahnbau (Holzschwellen) intensivier ­
tel des Buches von Franr;ois Walter (1996) über die te Kahlschlag der Bergwälder. Nach dem verheeren­
U mweltgeschichte der Schweiz, in dem der Wandel den Hochwasser von 1868, das im Tessin mit seinen
der Wahrnehmung von Natur, Gefahr und Umwelt in umfangreichen Holzausfuhren in die Lombardei be­
der Gesellschaft bis etwa 1990 dargestellt wird. sonders schwere Schäden verursacht hatte, gab es kei­
Die Begriffe „Berg" und „Wald" spielten für die ne Zweifel mehr und im Forstgesetz für Bergregionen
veränderte Wahrnehmung der Natur im 18.Jh. eine von 1897/98 sowie im Bundesgesetz von 1902 über
zentrale Rolle. Im Zuge der verbreiteten Alpenreisen die Forstpolizei wurde festgelegt, dass die gesamte IAbb.129I Übersicht über
war aus den „montes horribiles" ein verklärter „Alpen­ Waldfläche der Schweiz nicht verringert werden dür­ die größeren Flusskorrek­
mythos" geworden (s. Haller 1708-1777, in Akade­ fe. Auch wenn die wissenschaftlichen Hinweise auf turen im 18. und 19.Jh.
mien der Wissenschaften Schweiz 2009). Der vordrin­
gende Rationalismus hatte dem christlichen Weltbild
Übersicht über die größeren
von der Unterwerfung der Natur durch den Menschen Flusskorrekturen im
einen bewundernden Blick auf das für die Schweiz so 18. und 19.Jh.
einzigartige „Gemisch aus wilder Natur und mensch­ Orange markiert
sind die
licher Betriebsamkeit" (Jean-Jacques Rousseau, korrigierten
1672-1747; Taurek 2009) entgegengesetzt. Schön Abschnitte.
und nützlich sollte die Natur sein. Mit zunehmender Rhein

Besorgnis wurde deshalb der Rückgang des Waldes


im Zuge der beginnenden Industrialisierung und das
Bevölkerungswachstum mit entsprechendem Bau
neuer Häuser und der Produktion von Holzkohle wahr­
genommen. Die befürchtete Rohstoffverknappung
trat zwar infolge der aufkommenden Nutzung fossiler
Brennstoffe nicht ein, das Problem wurde hingegen in
einem neuen Verständnis der Mensch-Umwelt-Bezie­
hung erkannt. Dieses in der Schweiz neue Verständnis
erlaubte es auch, mithilfe der unterirdischen Ablei­
tung der Abwässer die hygienische Krise im städti­
schen Lebensraum aufzufangen (llli 1987) und erste
groß angelegte Schutzprojekte im Flussbau vorzuneh­
men (Kanderdurchstich 1711-1714, Vischer 1986).
In einer Schweiz, deren Identität im 19. Jh. vorerst
mehr in der „Landschaft" als im politischen Gebilde
begründet war, wurden die Berge zentraler Teil des
„Heimatgefühls" und entsprechend oft beschworenes
Symbol der Helvetischen Republik (1798) wie auch
später des Bundesstaates (1848) und der Kurorte. Die
romantisch-patriotische Überhöhung der harten alpi­
nen Realität ging mit rasch expandierendem Touris­
mus einher. Zudem förderte die Idee der individuellen
Freiheit im Sinne eines Naturrechts umweltfeindliches
Verhalten. Toleranz gegenüber der Verschandelung der
Landschaft begleitete dann auch die entsprechen­
de Eroberung der Natur durch planlose individuel­
le Bauten. Gestärkte zentrale Finanzen erlaubten es
dem Staat, mit Flusskorrektionen (Abb. 129) (Linth­
korrektion 1807-1816, 1. Juragewässerkorrekti­
on 1868-1891, Vischer 1986) malariaverseuchte
Sümpfe trockenzulegen und gruße GelJiele rrulLl.JcH LU
machen. Die Begradigungen und Eindämmungen von
Fluss- und Bachläufen bedeuteten gleichzeitig einen
massiven Ausbau des Hochwasserschutzes. Verhee­
rende Überschwemmungen (1834, 1839, 1868) und IAbb. 1301 Lawinenverbauungen und ein kombinierter Rückhaltedamm für Lawinen
andere Naturkatastrophen wie etwa die Bergstürze und Murgänge aus der Permafrostzone bei Pontresina.
von Arth-Goldau 1806 und Elm 1881 oder eine gan­ Erläuterungen: Viele Siedlungen im Alpenraum dehnten sich v.a. seit der Mitte des 20.Jh. in
ze Reihe weiterer Ereignisse (Windschäden, Lawinen, historisch bekannte Naturgefahren-Zonen aus. Das Schadenpotenzial und damit das Risiko
haben dadurch stark zugenommen. Die Klimaänderung verändert nun auch zunehmend die
Steinschlag) wurden mehr und mehr dem Einfluss des Prozesse in der Natur. Moderne, zukunftsorientierte und integrale Schutzkonzepte und Ver­
Menschen zugeschrieben (Abb. 130). bauungesmaßnahmen werden als Anpassungsstrategie notwendig.
ökologischem Verständnis ermöglichten 1936 die
Bundesgesetz über Einsetzung der „Eidgenössischen Natur- und Heimat­
schutzkommission". In den Sachzwängen des zweiten
den Umweltschutz Weltkrieges (v. a. bei der agrarischen Anbauschlacht
(Umweltschutzgesetz, USG) und der Abschöpfung des Waldkapitals im bundesrät­
lichen „Plan Wahlen" zur Selbstversorgung der Be­
Grundlage der Umweltschutzgesetzgebung
völkerung im Krieg) hatten diese Anliegen allerdings
in der Schweiz ist der Artikel 74, Abs.1 von zurückzustehen. Mit dem Kampf der Schutzverbände
1983 der Bundesverfassung: .,Der Bund er­
gegen das einsetzende „Baummorden" begannen je­
lässt Vorschriften über den Schutz des Men­ doch ökologisch-wirtschaftliche Überlegungen (He­
schen und seiner natürlichen Umwelt vor cken und Baumreihen als Windschutz und Zufluchts­
schädlichen oder lästigen Einwirkungen." Ge­
ort für Insekten vertilgende Vögel) die bisherigen
stützt auf diesen, in der Volksabstimmung von ästhetisch-patriotischen Argumente abzulösen. Eine
1971 angenommenen Verfassungsartikel, aber
integrative, vorausschauende Haltung war möglich
verzögert wegen der wirtschaftlichen Rezession
geworden. Sie zeigte sich beispielsweise in ersten
nach 1973 wurde das Bundesgesetz vom 7.0k­
Anstrengungen zum Schutz der Wasserqualität. Nach
tober 1983 über den Umweltschutz (Umwelt­
wie vor blieb jedoch die Rentabilität im technisch­
schutzgesetz, USG) erlassen. Die überarbeitete
ökonomischen Modell der Beziehung zur Natur im
Version ist seit 1997 in Kraft. Als Meilenstein
Vordergrund. Die Umwelt als Ressource wurde nicht
der Umweltgeschichte der Schweiz realisiert
in die Produktionskosten miteinbezogen.
es vier Prinzipen moderner Umweltpolitik: das
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte ein enormes
Verursacherprinzip, das Vorsorgeprinzip, das
Wachstum mit einer regelrechten Explosion des Ener­
Kooperationsprinzip und das Selbstverantwor­
gieverbrauchs, des Verkehrs (Nationalstraßen) und der
tungsprinzip. Wichtigste Verordnungen sind
Verstädterung ein. Die Wasserkraft wurde ausgebaut,
die Luftreinhalteverordnung (1985), die Lärm­
und der primär auf den mechanisierten Wintersport
schutzverordnung (1987), die Technische Ver­
ausgerichtete Massentourismus überflutete einen Teil
ordnung über Abfälle (1991), die Hochmoor­
des Berggebietes, während andere Teile zusehends
verordnung (1991) und die Auenverordnung
entvölkert wurden. Negative Folgen wie Abfallberge
(1992).
oder die Phosphatbelastung der Gewässer waren of­
Weitere entscheidende Pfeiler der Umwelt­
fensichtlich und bedrohlich. Das Gewässerschutzge­
politik in der Schweiz sind die Bundesgesetze
setz von 1955 wurde im Namen der Volksgesundheit
über den Natur- und Heimatschutz (1966), die
und der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit des
Raumplanung (1979), den Wald (1876/1901,
Landes eingeführt. Bei seiner Erweiterung von 1971
1991) und den Schutz der Gewässer (1957 /
wurde das Verursacherprinzip akzeptiert und mit ent­
1991) (Haefeli 1998).
sprechenden Waschmittelvorschriften ein Übel an der
Wurzel angepackt, womit eine Erholung der schwer
betroffenen Seen im Mittelland eingeleitet werden
die Holzknappheit und die Schutzwirkung des Waldes konnte. Im gleichen Jahr wurde das Bundesamt
gelegentlich etwas legendenartigen Charakter hatten, für Umweltschutz (heute das Bundesamt für Um­
so öffneten doch die Forstfachleute dem Gedanken welt BAFU) geschaffen. Die heftigen Diskussionen
des Umweltschutzes die Tür und verhalfen damit der um den sauren Regen und die Vitalität des Waldes
Schweiz zu einem weltweit vorbildlichen „Waldge­ (,.Waldsterben-Debatte") führten aufgrund von über­
setz". triebenen Darstellungen zu einem bis heute anhalten­
Das Verschwinden unberührter Landschaften zu­ den Glaubwürdigkeitsverlust der Umweltwissenschaft
gunsten des technischen Fortschrittes wurde auch in in der Bevölkerung. Sie betrafen jedoch ein ernstes,
der ersten Hälfte des 20. Jh. vorerst nicht grundsätz­ langfristiges und großräumiges Problem und führten
lich hinterfragt. Industrialisierung, Bahnbau und gi­ international zu Luftreinhalte-Verordnungen und ver­
gantische Kraftwerksprojekte prägten die rasante Ent­ besserten Abgas-Filtertechniken. Dadurch konnte die
wicklung. Die Ausweisung von Schutzgebieten (Nati­ verursachende Schwefelkonzentration in der Atmo­
onalpark im Engadin 1914, Vischer 1946) war noch sphäre Europas seit Mitte der 1970-er Jahre wieder
stark mit Elementen det (wi::,::,e11::,cl1d[llicl1e11) Neugier, u111 1,!lwä Llert Fäklur 2 gesertkl werLlert. Mil Llerri Urri­
der Ästhetik, der Städtefeindlichkeit und des Patrio­ weltgesetz von 1983 hatte sich schließlich die wis­
tismus verbunden. Letzterer spiegelte den in ganz Eu­ senschaftlich fundierte Systemanalyse und Ökologie
ropa verbreiteten Mythos von der „sich erneuernden als neues Leitbild durchgesetzt. Die Grundlage für
ländlichen Gesellschaft" und die entsprechende Idee eine Politik der Nachhaltigkeit war geschaffen - die
einer Innenkolonisation als Mittel gegen die Entvöl­ entscheidende Frage blieb, ob das vorhandene Wissen
kerung des Gebirges und die Abwanderung wider. Die auch entsprechend umgesetzt werden kann.
verklärte „Liebe zur urwüchsigen Schönheit unseres
Landes" zusammen mit dem wachsenden Wider­ Ressourcen, Nachhaltigkeit, Sicherheit
stand in breiten Bevölkerungskreisen gegen weitere Eine „durchwachsene Bilanz" zur Situation zieht der
Staumauer-Projekte (v. a. beispielsweise ein Einstau vom Bundesamt für Umwelt und vom Bundesamt
des Urserentals) sowie erste Ansätze zu umfassendem für Statistik gemeinsam erstellte Bericht „Umwelt
Schweiz 2007" (Bundesamt für Umwelt 2007a, vgl.
dazu auch Bundesamt für Umwelt 2009). Die Analyse DPSIR-Modell Beispiel einer DPSIR-Analyse im Bereich Lärm
berücksichtigt auch die Seite der Sektorialpolitik und
R • Responses
folgt dem gesamteuropäisch harmonisierten DPSIR­ D • Drivlng forces
Emi88ions- und lmmi"."io�-
Verkehr (Luft, Straße, Bahn), ,.,.,.--------. grenzwert
Modell (DPSIR = Driving forces - Pressures - State - lndualriazonen, Bauotellen,
e Empfindltc�ke1ts-
_ '.
Impacts- Responses; Abb.131), das kausale Zusam­ stufen, zei1liche Beschrankung,
1
Sch"e6ständ • Richdinien
menhänge zwischen den beteiligten Faktoren auf­
zeigt. Die Schweiz wird immer urbaner und mobiler. �
Der entsprechend zunehmende Bedarf an Ressourcen 1 ,.Warum bestehen
(
.Wie sieht die
erhöht den Druck auf die Umwelt. Mit fortschreitender � diese Probleme?" Rea ktion aus?"
Umwandlung der Schweiz zu einer Dienstleistungsge- 1
sellschaft wird zwar ein Teil der Umweltprobleme (Roh- "

/w'·
P • Pressures l • Impact
stoffe, Energie, Verschmutzung) ins Ausland exportiert, � lännbedingte
Llirmemissionen
wesentliche Probleme bleiben hingegen hausgemacht. !! Gesundheitsprobleme
Erfolge kann die schweizerische Umweltpolitik im �
Kampf gegen die Verschmutzung der Luft, des Was- �
sers und der Böden sowie in der Abfallbewirtschaf- 1 „Sind diese Veränderungen
von Bedeutung?"
,.,.;,rt1·
tung, in der ökologischen Landwirtschaft und beim �
S • State
internationalen Schutz der Ozonschicht verzeichnen. J Lärmimmission,
Moderne Lebens- und Konsumgewohnheiten machen § Lirmbelaatung
jedoch viele beim Umweltschutz erzielte Fortschritte % der Bevölkerung
wieder zunichte. übermäßige Konzentrationen von 8
Stickstoffverbindungen, Ozon und Feinstaub beein­
trächtigen nach wie vor die Luftqualität, in den Ge­ IAbb.1321 Steingletscher beim Sustenpass mit Gwäch­ IAbb.1311 OPSIR- Dia­
wässern werden neue Mikroverunreinigungen durch tenhorn. gramm zur Einschätzung
hormonaktive Stoffe, Pestizidrückstände und eine Erläuterung: Der markante Moränenkamm in der unteren von Umweltproblemen.
große Zahl von noch kaum untersuchten Chemikalien Bildmitte zeigt den Gletscherstand um 1850, am Ende der
nachgewiesen. Die Biodiversität nimmt weiter ab, in­ „Kleinen Eiszeit", an. Der See hat sich als Folge der seither
ablaufenden globalen Erwärmung und des dadurch verur­
vasive Arten stellen zunehmend eine Bedrohung ein­ sachten Gletscherschwundes in den 1940-er Jahren zu bil­
heimischer Arten und ihrer Lebensräume dar und die den begonnen. Ein Teil-Ausbruch des Sees im Jahr 1956
Bevölkerung ist zu hohen Lärmpegeln ausgesetzt. Die verursachte massive Schäden im Gadmertal.
IAbb.133I Ausbreitung Nachhaltigkeit der Ressourcennutzung wird dadurch schätzten mittleren Bedingungen gegen Ende un­
einer durch den Sturm infrage gestellt. Dies gilt ganz besonders und rasch seres Jahrhunderts. Seit der Jahrtausendwende hat
Vivian 1990 entwaldeten zunehmend im Hinblick auf die, gerade im Gebirgs­ sich der Gletscherschwund weltweit rapid beschleu­
Hangfläche bei Sedrun,
land Schweiz mit seinen klimasensitiven Schnee­ nigt und in den Alpen jährliche Volumenverluste von
Graubünden (Westflanke
des Uaul Bugnei). Die und Eisvorkommen, unübersehbaren Auswirkungen rund 2-3% verursacht (Organe consultatif sur les
Bildfolge zeigt eindrück­ des Klimawandels. changements climatiques 2007, 2008) (Abb. 132).
lich die Schwierigkeiten Bei den zu rund 50% über den Verkehr (verdop­ Ausgerechnet der „ewige Firn" der einst so stark
des Erholungsprozesses pelter Individualverkehr und verdreifachter Güterver­ romantisch verklärten und ideologisierten Alpen
nach Waldschäden im kehr auf der Straße seit 1970) und die Haushalte (Haeberli &Zumbühl 2003) - weltweit ein starkes
Waldgrenzbereich und im Symbol für eine intakte Mensch-Umwelt Beziehung­
gesteuerten Treibhausgas-Emissionen kann das Land
steilen Gelände des Gebir­
ges. seine international vereinbarten Reduktionsziele nur wird nun zum unique demonstration object in inter­
mit Zukauf von Emissionsrechten aus dem Ausland nationalen Klimabeobachtungs-Programmen (United
einhalten. Die Verkehrsemissionen liegen weit über Nations Environment Programme 2007).
dem Zielpfad. Der Hitzesommer 2003 und der re­ Eine auffällige Reihe von außerordentlichen Na­
kordwarme Winter 2006/07 sind - gemessen an den turkatastrophen (Hochwasser 1987, 1999, 2005;
instrumentellen Messreihen der Vergangenheit- weit Lawinenwinter 1999; Winterstürme Vivian 1990
jenseits statistisch sinnvoller Wahrscheinlichkeiten und Lothar 1999, Abb.133) beendet die lange Ru­
einzuordnen, entsprechen hingegen ziemlich genau hephase im 20. Jh., richtet enorme Schäden an und
den mit hoch auflösenden Klimamodellen abge- vermittelt ein eindrückliches Bild davon, wie sich
Umweltveränderungen und Naturgefahren 173

Schwerpunkt 1 Schwerpunkt II Schwerpunkt III Schwerpunkt IV Schwerpunkt V


Handlungsmöglichkeiten Schutz der Umwelt und Schutz und schonende Wandel im Klimasystem Umgang der Gesellschaft
von Mensch, Wirtschaft der menschlichen Gesund­ Nutzung der natürlichen und dessen Auswirkungen mit Naturgefahren und
und Gesellschaft für die heit vor Schadstoffen sowie Ressourcen auf Natur und Gesellschaft technischen Risiken/
Erhaltung und Gestaltung biotischen und physika­ integrales Risikomanage­
einer intakten Umwelt lischen Belastungen ment
-- ---
1
System­ ■ Wertvorstellungen ■ Nanomaterialien • Biodiversität ■ lmpaktforschung • Gewässersysteme und
wissen • Determinanten der • Feinstaub ■ Landnutzung/Land- ■ räumliche/zeitliche bauliche Eingriffe
Umweltpolitik • Neobiota schaft als Lebensraum I Variabilität 1 • Gentechnik 1
■ nichtionisierende
Strahlung 1
■ hormonaktive Stoffe 1

Ziel­ ■ umweltverträgliche • Verminderungs-/ • Risikobewertung


wissen Wirtschaft Anpassungsstrategien (etwa Raumnutzung,
neue Technologien)

• Schwellenwerte • Zielkonflikte

Hand­ • Umgang mit Zielkonflikten


lungs­ ■ Förderung von umweltverträglichem Handeln (etwa Anreizsysteme)
wissen • Umsetzung von Vorsorge-, Vermeidungs- und Anpassungsstrategien
• Umwelttechnologie

1Teilweise durch Programme des Schweizerischen Nationalfonds abgedeckt (etwa Nationales Forschungsprogramm 57: Nichtionisierende Strahlung)

ein energetisch zunehmend aufgeladenes Klimasys­ aus Wissenschaft, Wirtschaft und Bundesverwaltung IAbb.1341 Schwerpunkte
tem zukünftig verhalten könnte. Der Siedlungsdruck sowie aufgrund eines breiten Vernehmlassungsver­ der Umweltforschung
bringt immer höhere materielle Werte in gefährdete fahrens bei interessierten Kreisen - hinsichtlich Schweiz 2008-2011.
Zonen, und die Anfälligkeit der Infrastruktur nimmt wissenschaftlicher und politikrelevanter Fragen
zu. Fragen nach Sicherheit gegenüber Naturge­ Schwerpunkte definiert. Entscheidende Träger der
fahren erhalten gerade im Wasserbau eine neue Umweltforschung sind, neben dem Bund (Ressort­
Dimension: Zustand und Eignung der historischen forschung) und den vier Akademien der Wissenschaf­
Flussverbauungen (z.B. Linth) müssen ernsthaft ten Schweiz, v.a. die Hochschulen und der Schwei­
überprütl werden, der Überlastfall muss grundsätz­ zerische Nationalfonds mit seinen politikrelevanten
lich Teil der Überlegungen sein, ein abgestuftes Nationalen Forschungsprogrammen (NFP), in jüngs­
Schutzkonzept muss unterschiedlichen Schaden­ ter Zeit etwa zu den Themen „ Landschaften und
potenzialen gerecht werden, und die Abschätzung Lebensräume der Alpen" (NFP48: 2002-2007),
von Maximalabflüssen und Eintrittswahrscheinlich­ .,Hormonaktive Stoffe in der Umwelt'1 (NFP50:
keiten muss über die statistische Extrapolation von 2002-2007), ,. Nachhaltige Siedlungs- und I n-fra­
Daten unter Annahme eines unveränderten Systems strukturentwicklung" (NFP54; 2005-2010), ,.Nicht­
hinausgehen (Pfister 2002; Eidgenössisches Depar­ ionisierende Strahlung- Umwelt und Gesundheit"
tement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommu­ (NFP57; 2006-2009), ,,Nutzen und Risiken der
nikation/Bundesamt für Umwelt 2008). Der Bedarf Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen"
für ein umfassendes Risikomanagement hinsicht­ (NFP59; 2007-2011), .,Nachhaltige Wasserver­
lich veränderter Naturgefahren und technischer sorgung und -nutzung" (NFP61; 2010-2014)
Störfälle - wie etwa beim Chemiebrand Schweizer­ oder „Chancen und Risiken von Nanomaterialien"
halle von 1986 mit massivster Verschmutzung des (NFP64; 2010-2013). Die für die Umweltforschung
Rheins und Auslöschung der gesamten Aaipopula­ bereit gestellten Mittel betragen rund 500 Mio.CHF
tion über eine Distanz von 400 km - wird dringlich. pro Jahr und werden zu etwa drei Vierteln durch
Die größte Herausforderung für die nahe Zukunft die öffentliche Hand und zu etwa einem Viertel
besteht darin, die vermeintliche Unvereinbarkeit durch private Förderung aufgebracht. Dringendste
umweltschützerischer und wirtschaftlicher Inte­ Forschungsbedürfnisse werden in einer Matrix von
ressen zu überwinden und die wissenschaftlichen Schwerpunktthemen und Wissensformen definiert
Grundlagen für eine angemessene Beurteilung kom­ (Abb.134). Letztere beinhalten neben dem klas­
plexer Entwicklungen zu schaffen (vgl. dazu Klötz­ sischen Systemwissen auch Ziel- und Handlungs­
li &Stadelmann 2008). wissen. Dies entspricht einetn trarisdlszipl i nären
Im „Forschungskonzept Umwelt für die Jahre Forschungsansatz vorausschauenden und partizj.
2008-2011" des Bundesamts für Umwelt (Bun­ pativ-entscheidungsorientierten Denkens mit visio­
desamt für Umwelt 2007b) werden - unterstützt närem Charakter (vgl. dazu Conseil des academies
durch ein „ Beratendes Organ für Umweltforschung scientifiques suisses/ProClim-forum for climate and
des Bundesamts für Umwelt" mit Vertreterinnen global change 1997). Neben dem Schutz vor Schad-
stoffen und Belastungen, der schonenden Ressour­ der klimatisch relativ stabilen Nacheiszeit haben
cennutzung, der Abschätzung von Klimafolgen und entwickeln können. Eine neue Wissenschaft von Un­
Fragen des integralen Risikomanagements stehen gleichgewichten in hoch vernetzten Systemen muss
deshalb folgerichtig die Handlungsmöglichkeiten aufgebaut werden. Die zunehmende Geschwindig­
von Mensch, Gesellschaft und Wirtschaft im Vor­ keit der Veränderungen reduziert jedoch mehr und
dergrund. Die Dringlichkeit wächst, die Komplexität mehr unsere Möglichkeiten, die Prozesse rechtzeitig
nimmt zu und der Spielraum wird enger. und in ihrer vollen Komplexität zu verstehen und
quantitativ- d. h. mit raum-zeitlichen numerischen
Jenseits von Empirie und Machbarkeit Modellen - zu beschreiben. Sie schränkt auch die
Über sektorielle Mehrjahrespläne hinaus zeichnen Freiheitsgrade demokratischer Entscheid u ngspro­
sich sehr ernste Herausforderungen ab. Komplexe zesse immer mehr ein: Die Aare-Hochwasser in Bern
Systemzusammenhänge wie etwa die Feinstaub­ 1999 und 2005 zeigen, wie schwierig es wird, bei
problematik mit ihren Teilaspekten in Sektoren wie abnehmender Planungszeit und zunehmender Un­
Energie, Verkehr, Gesundheit, Umwelt müssen in sicherheit hinsichtlich zukunftsorientierter Dimen­
vernetzt-transdiszipi inärer Arbeit mit verbesserter sionieru ngsgru ndlagen ausgewogene, breit abge­
Unterstützung der Forschungsförderung bis zur Ent­ stützte und konsensfähige Projekte zu entwickeln.
scheidungsreife analysiert werden. Die Illusion von Gezielte und systematische Beobachtungen mit ei­
frei verfügbaren, leicht restituierbaren und im Pro­ ner Kombination von lokaler Verantwortlichkeit und
duktionsprozess externalisierten Ressourcen ( Ener­ modernsten Technologien der terrestrischen und
gie, Wasser, seltene Rohstoffe) muss überwunden satellitengestützten Vermessung sowie der Geoinfor­
werden - die Ressourcenökonomie kann nicht dem matik werden immer zentraler, wenn es darum geht,
freien Markt überlassen werden. langfristig muss die zukünftigen Entscheidungsgrundlagen in einem
auch die Diskrepanz zwischen betrachteten Zeitska­ intensiven und kontinuierlichen Lernprozess zu ver­
len beseitigt werden. Ökonomische Modelle gehen bessern.
kaum über ein paar Jahre hinaus - die entscheiden­ Die Kosten der Erhaltung unserer Lebensgrund­
den Umwelt- und Naturgefahrenprobleme liegen aber lagen- beispielsweise im Hochwasserschutz- sind
bei den Entwicklungen über die kommenden Jahr­ hoch und steigen weiter an. Bei limitiertem Bun­
zehnte. Nicht der kurzfristige und privatisierte Vor­ deshaushalt stellt sich letztlich die Frage, was auf
teil, sondern die Lebensgrundlagen für kommende Kosten von wem oder was Priorität erhalten soll.
Generationen müssen entscheidend sein. Mit einer Damit einher geht die Perspektive der lrreparabilität
solchen Umstellung der Werte sind nicht nur ethi­ von Schäden. Wenn in der zweiten Jahrhunderthälfte
sche Aspekte der Solidarität, sondern auch grund­ Hitzesommer wie 2003 tatsächlich mehr und mehr
sätzliche Probleme der Empirie und der Machbarkeit zur Regel werden sollten, werden die veränderten
verbunden, die beim Klimaproblem besonders deut­ Schneeverhältnisse und die inzwischen verschwun­
lich werden. denen Gletscherflächen das Abflussregime der Alpen­
Eine globale Temperaturänderung von einigen °C flüsse völlig verändern und im Sommer möglicherwei­
entspricht der Dimension eines Eiszeitexkurses der se zu wochenlangen Dürren führen. Die Interaktion
Erde und droht, die Lebensbedingungen im Ge­ und Rückkoppelung von Problemen auf der Seite
birgsland Schweiz wie auch weltweit dramatisch zu des Wasserangebots (minimale Abflüsse, langsame
verändern. Eine solche Entwicklung führt weit über FI ießgeschwi ndigkeiten, höhere Wassertem peratu­
die Variationsbreite nacheiszeitlich-vorindustrieller ren, tiefere Grundwasser- und Seespiegel, veränderte
Zustände hinaus und entfernt sich damit immer wei­ aquatische Ökosysteme, verringerte Stromproduk­
ter von unserer schmalen empirischen Wissensbasis. tion) und von gesteigertem Bedarf auf der Nachfra­
Besonders deutlich ist dies bereits jetzt im Hochge­ geseite (mehr Wasser für Haushalte, Landwirtschaft,
birge zu erkennen, wo der anhaltende Schwund der Stromproduktion und Waldbrandbekämpfung) wird
Gletscher und die tief wirkenden Wärmeanomalien zu harten Zielkonflikten führen, die ein kontinentales
im Permafrost bisher unbekannte Situationen (neue Ausmaß und eine entsprechende internationale Di­
Seen) und Gefahren (große Felsstürze) entstehen mension haben. Schon jetzt kann der Schaden wegen
lassen. der Trägheit der beteiligten Systemkomponenten für
Gerade im Bereich der Naturgefahren müssen be­ Generationen nicht mehr wieder gut gemacht wer­
stehende Entscheidungsgrundlagen wie Chroniken, den. langfristig sinnvolle, sozialverträgliche und in­
Statistiken oder stumme Zeugen zunehmend durch ternational-politisch akzeptable Anpassungsmaßnah­
Modellszenarien für eine Zukunft ersetzt werden, men werden Kombinationen von intensiver werden­
die anders sein dürfte als jegliche bekannte Ver­ den Stressfaktoren berücksichtigen müssen: Weltweit
gangenheit des historisch gewachsenen und weiter dringendste Umweltprobleme- Wasserversorgung,
expandierenden menschlichen Lebensraums. Auf­ Bodendegradation, Toxizität, Biodiversitätsverlust,
grund der unterschied I ichen Reaktionszeiten ein­ Klimawandel- sind miteinander in vielfältiger Weise
zelner Komponenten (z.B. Wasserkreislauf schnell, verknüpft und beeinflussen mit der Wasserversorgung
Vegetation in Jahrzehnten bis Jahrhunderten, Bo­ und der Nahrungsmittelproduktion lokal wie global
den in Jahrhunderten bis Jahrtausenden) entfernen elementarste Lebensgrundlagen der Menschheit. Ge­
sich die betroffenen Ökosysteme von dynamischen sellschaft, Politik und Wirtschaft müssen im Bereich
Gleichgewichtszuständen, wie sie sich im Verlaufe Umwelt einen neuen Konsens entwickeln, der vom
175

bisher vorwiegend reaktiven zu einem antizipierenden turn in globalen Programmen eine glaubwürdige Vor­
Verhalten führt. bildfunktion einnehmen. Mlt solchen Perspektiven
Die massive Ausweitung räumlicher und zeitli­ sind ethische Fragen grundsätzlicher Art verbunden:
cher Skalenbereiche gehört zu den markantesten Die geplanten unterirdischen Lager für mittel- und
Aspekten der laufenden Entwicklung. Gerade das hoch-radioaktive Abfälle beispielsweise müssen auf­
Klimaproblem ist ein globales Problem mit Zeitbe­ grund der entsprechenden Halbwertszeiten für 1 Mio.
reichen von Jahrhunderten und Jahrtausenden. Eine Jahre von der Biosphäre isoliert werden. Sie müssen
schweizerische Umweltpolitik muss sich als Teil also nicht nur erdbebensicher sein, sondern auch
langfristiger weltweiter Anstrengungen verstehen und die tief greifenden Effekte der nächsten rund 10 bis
ist demnach auch mehr und mehr in internationale 15 (!) Eiszeiten unbeschadet überstehen. Modernes
Abkommen und Anstrengungen (z. 8. Kyoto-Protokoll Umweltmanagement baut auf die Eigenverantwort­
zum Klimawandel) eingebettet. Die Schweiz ist keine lichkeit des Menschen - zunehmend auch in erdge­
(kleine) Insel, sie kann mit ihrem Wissen und Reich- schichtlichen Zeitdimensionen.

Ressourcenschutz ■ Daniel Schaub

Grundsätze zum Schutz zu zeitweiligem Übernutzen des Grundwasserkörpers


der natürlichen Ressourcen führen. Beim Wasserverbrauch liegt die Schweiz mit
Der Schutz der natürlichen Ressourcen Luft, Bo­ 348 1 pro Person und Tag im Vergleich zu anderen
den und Wasser ist in der Schweiz in den Bundes­ Industrienationen im Mittelfeld. Seit 1985 sinkt der
gesetzen zum Umweltschutz (USG 1983, s. Kap. Wasserverbrauch langsam, aber kontinulerlich, was
.,Umweltprobleme und Umgang mit Naturgefahren/ v. a. auf technische Maßnahmen (z. 8. Sanierung von
Umweltveränderungen und Naturgefahren in der Leckverlusten, geschlossene Kreisläufe in der Indust­
Schweiz") und zum Gewässerschutz (GSchG 1991) rie, sparsamere Haushaltsgeräte) zurückzuführen ist.
sowie den darauf basierenden Verordnungen geregelt. Weil der Gewässerschutz in der Schweiz lange Zeit
Mit dieser rechtlichen Grundlage soll die Qualität der v. a. auf Wasserqualität ausgerichtet war, wurde zu
Lebens- und Erholungsräume von Pflanzen, Tieren wenig beachtet, dass immer mehr Gewässer zur Nut­
und Menschen verbessert werden. zung der Wasserkraft, zum Schutz vor Hochwasser
Der Vollzug der Bundesgesetze zum Umweltschutz oder für landwirtschaftliche Meliorationen verbaut
ist entsprechend der föderalistischen Struktur der wurden, was zunehmend die einheimischen Fisch-,
Schweiz an die kantonalen Behörden delegiert. Der Amphibien- und Wasserpflanzenarten bedroht. Mit
Bund erlässt nur dort Vorschriften, wo es rechtlich der neuen Gewässerschutzverordnung von 1998 sol­
oder sachlich notwendig ist. Verantwortlich für das len verbaute Gewässer renaturiert werden, damit sie
Erreichen der Zielgrößen sind die Kantone, indem ihre ursprüngliche Funktion als artenreiche Lebens­
sie die Einzelmaßnahmen und die Ausführungsor­ räume für Tier- und Pflanzenwelt Wieder besser wahr­
ganisation in kantonalen Gesetzen festlegen. Viele nehmen können. Dies setzt angemessene Restwas­
Kontrollfunktionen sind dabei an die Gemeinden de­ sermengen und Vorschriften gegen den übermäßigen
legiert. Obwohl somit in der Schweiz eine zentrale Entwg des Wassers aus Fließgewässern zur Energie­
Vollzugsbehörde fehlt, funktioniert die Umsetzung gewinnung, Bewässerung und Kühlung voraus. Auf
des Ressourcenschutzes in der Schweiz im inter­ einzelnen Streckenabschnitten von Thur, Ernme ur,d
nationalen Vergleich effektiv und effizient (BAFU/ Kander ist dies bereits erfolgreich umgesetzt worden,
BFS 2007). Dies wird allerdings auch durch die weitere Großprojekte sind an der Rhone und am Al­
Wirtschaftsstruktur erleichtert: Umweltbelastende penrhein geplant.
Schwer- und Automobilindustrien fehlen weitge­ In der Schweiz gehört die Siedlungswasserwirt­
hend, und die Energieproduktion basiert zu einem schaft zu den zentralen Elementen der Dienstleis­
großen Teil auf ,,sauberen" Techniken. Durch Import tungen der öffentlichen Hand. Der Durchschnitts­
von Energie und Industriegütern „exportiert" die preis für Trinkwasser beträgt für den Endverbraucher
Schweiz also Umweltbelastungen in die produzieren­ l,50CHF für 1000 1, die Abwassergebühren liegen
den Staaten. im gleichen Bereich. Abwasserentsorgung und Was­
serversorgung gehören zu den anlagenintensivsten
Wasser Dienstleistungen mit hohen, langfristig gebundenen
Kapitalbeträgen. Der Gesamtwert der Anlagen wird
Siedlungswasserwirtschaft und Gewässerschutz auf 150 Mrd. CH F geschätzt. Viele I nfrastrukturbau­
In der niederschlagsreichen Schweiz herrscht allge­ ten kommen nun in eine Phase der Sanierung und
mein keine Wasserknappheit (Schaub 2009). Aller­ Erneuerung (Herlyn 2007). Somit stellen heute be­
dings liegen die bedeutenden Grundwasservorkom­ reits die Werterhaltung und die angemessene Erwei­
men In den Schottern der Talsohlen, d. h. in Räumen, terung und Modernisierung der Anlagen eine großa
welche durch Siedlungen, Verkehr, Industrie und Herausforderung dar, denn allein für den Werterhalt
Altlasten, Landwirtschaft sowie Kiesabbau intensiv der Abwasseranlagen besteht ein jährlicher Bedarf
beansprucht werden. Regional kann dies zumindest von rund 200CHF pro Einwohner.
176 Umweltprobleme und Umgang mit Naturgefahren

große Abwassermengen, die vorerst unbehandelt


Kläranla9e Ho 1 en in die Gewässer abgeleitet wurden. Wegen der Ver­
schmutzung des Trinkwassers brachen immer wieder
Troptkörp er Ansieh,. 1 nfektionskrankheiten aus, die bald zu weiterge­
henden Maßnahmen zwangen. Im eidgenössischen
Fischereigesetz von 1888 wurde die Einleitung von
industriellem Abwasser in Gewässer eingeschränkt.
In St. Gallen wurde 1917 die erste biologisch-me­
chanische Kläranlage der Schweiz (Abb.135) in Be­
trieb genommen.
Heute sind 97% der schweizerischen Haushalte
an eine Abwasserreinigungsanlage angeschlossen.
Rund 900 Kläranlagen und etwa 45 000 km öffent­
liche Kanalisationsleitungen wurden dafür erstellt.
.li Parallel dazu wurde durch gesetzliche Maßnahmen
&l auch bei den Verursachern angesetzt. Beispiele sind
1if
j das Phosphatverbot in Waschmitteln von 1986 sowie
i strenge Grenzwerte für Schwermetalle in industriel­
" len Abwässern. Insbesondere die großen Flüsse sind
i heute nur noch schwach mit Schadstoffen belastet.
f Hingegen genügt die Wasserqualität von Bächen den
"' gesetzlichen Anforderungen teilweise noch nicht.
� Vom Zustand der Bäche hängt jedoch Insbesonde­
re der biologische Zustand dar Flüsse ab, da Bäche
1 Abb. 1351 Tropfkörper Andere künftige Herausforderungen sind die un­ wichtige Lebens- und Rückzugsräume für kleine
der ersten Abwasserreini­ zähligen synthetischen organischen Spurenstoffe aus Wasserorganismen und Jugendstadien der Fische
gungsanlage der Schweiz Pharmaka, Pestiziden und hormonaktive Substanzen, darstellen.
(Hafen, St. Gallen)
die von heutigen Kläranlagen nur unvollständig ab­ Die Entwicklung der Gewässerbelastung durch
gebaut werden. Obwohl noch weitgehend unklar ist, Abwässer (und Schadstoffeinträge aus der Landwirt­
wie sich einzelne Substanzen oder Stoffgemische auf schaft) lässt sich exemplarisch am Zustand des Hall­
die Qualität der Gewässer und unsere Gesundheit wilersees (Abb.136) im schweizerischen Mittelland
auswirken, stehen neue Technologien für weitere Rei­ ablesen (Amt für Umwelt 2007). Dort traten bereits
nigungsschritte heute vor der Einführung, denn die vor 1900 erste Algenblüten als Folge der zunehmen­
Schweiz hat eine Verantwortung für den Schutz der den Überdüngung (Eutrophierung) durch Abwasser
grenzüberschreitenden Gewässer, aus denen Nach­ auf. Ab 1920 wurden ein Rückgang des Edelfischbe­
barländer Trinkwasser beziehen. standes registriert. Doch erst seit den 1960er-Jahren
Um alle Maßnahmen im Einzugsgebiet eines Ge­ war die Öffentlichkeit so weit sensibilisiert, dass
wässers optimal aufeinander abstimmen zu können, Maßnahmen eingeleitet wurden, die den Phosphorge­
kennt das Gewässerschutzgesetz das Instrument der halt im See senkten - heute liegt er wieder unter der
regionalen Entwässerungspläne (REP). Als Erwei­ Schwelle, die eine Eutrophierung bewirkt (Abb.137).
terung der früheren Praxis, welche sich auf die Ab­ Andere Seen im schweizerischen Mittelland haben
wasserentsorgung konzentrierte, berücksichtigt ein eine vergleichbare Entwicklung durchgemacht.
regionaler Entwässenlngsplan auch weitere wichtige Das Trinkwasser in der Schweiz wird zu 80% aus
Einflüsse wie etwa die Straßenentwässerung, den Grundwasser und zu 20% aus Seen entnommen.
Hochwasserschutz oder die Landwirtschaft. Damit Die Wasserversorgung ist sehr stark dezentralisiert:
sollen Eingriffe priorisiert werden, die zu vernünf­ Rund 3000 Wasserversorgungsstellen verteilen ein
tigen Kosten möglichst viel zur Aufwertung des ge­ jährliches Trinkwasservolumen, das etwa dem Inhalt
samten Gewässers beitragen. Dieser Ansatz ist mit des Bielersees entspricht. Dank den Auflagen in den
der Wasserrahmenrichtline (WRR) der Europäischen Schutzzonen um die Anlagen kann rund die Hälfte
Union vergleichbar. des gewonnenen Grundwassers ohne Aufbereitung
direkt als Trinkwasser gebraucht werden. Probleme
Abwasserreinigung und Trinkwasser mit der Qualität gibt es hauptsächlich in den intensiv
Eine intakte Siedlungswasserwirtschaft ist die Basis genutzten Landwirtschaftsgebieten und in den Ag­
der individuellen Lebensqualität und gewährleistet glomerationen, wo erhöhte Gehalte von Nitrat fest­
eine nachhaltige gesellschaftliche und wirtschaftli­ zustellen sind. Bei höhen Nitratwerten werden häufig
che Entwicklung. Sie setzt ausreichende Wasserqua­ auch Spuren von Pflanzenschutzmitteln und deren
lität und Wasserführung sowie ausreichend Platz für Abbauprodukten entdeckt. In Einzelfällen finden sich
die Gewässer voraus. in genutztem Grundwasser auch Chemikalien aus
Wie in anderen europäischen Ländern wurde in industrieller und gewerblicher Nutzung, o.f t ausge­
der Schweiz zu Beginn des 19. Jh. die Siedlungshy­ hend von früheren Betriebsstandorten oder Deponien
giene in den Städten mit dem Bau von Schwemm­ (,.Altlasten"). Häufigste Problemstoffe sind chlorierte
kanal isationen verbessert. Die Folge waren jedoch Kohlenwasserstoffe (CKW). Nach heutigem Wissens-
stand ist jedoch die Gesundheit der Menschen durch Belastung der Luft an. Probleme boten Ruß, Staub, IAbb.136I Der Ha/1-
die festgestellten Schadstoffgehalte im Grundwasser Schwefeldioxid, Schwermetalle, Geruch und beim wilersee.
in der Schweiz nicht gefährdet. Verkehr auch Kohlenmonoxid. In der Folge berief der
Bundesrat 1962 die Eidgenössische Kommission für
Luft Lufthygiene (EKL) ein. Seit Mitte der l 960er-Jahre
Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung nach dem werden systematische Immissionsmessungen durch­
Zweiten Weltkrieg und der Zunahme des motorisier­ geführt, aus denen 1978 das Nationale Beobach­ IAbb.137I Phosphatbe­
ten Individualverkehrs stieg in der Schweiz auch die tungsnetz für Luftfremdstoffe (NABEL) hervorging. /astung des Hallwilersees.
Erläuterung: Ähnlich einer
Fieberkurve lässt sich an­
5 300
.c hand des Phosphorgehalts
a. die Belastungsgeschichte
� % Hallwiiersee
des Hallwilersees ablesen.
0 Erste Maßnahmen (Abwas­
E 250
tib
O 0 0 0 serreinigungsanlagen, kurz

r
0 oO 0 OOO ARA) brachten nur vorüber­
gehenden Erfolg, sodass als

ool
200 0 Oo weitere Schritte eine künstli­
·e �
S: ro
<1>N
0 che Sauerstoffzufuhr in tiefe
00 Wasserschichten (Belüftung)

i
0 0.t
150 0
o..: und ein Anreizprogramm zur
0 0 .c (.'J
Reduktion der Nährstoffbe­
ro �-5
_g (/) lastung in der Landwirtschaft

l
Cl.. (.'J
.c notwendig wurden. Heute ist
100 0
C
Oll
fil,c � Oll
C das Sanierungsziel (kritische
:i'

::,
C ::,
Q)�
� Limite der Überdüngung)
(/)=
,::,
., (1)
:r: nahezu erreicht. 1 n absehba­
50 ..:i
o:: ro
<(
0::
rer Zeit kann auf eine künst­
nährstoffreiß <((.') <( (/) liche Belüftung verzichtet
Sanier µf1gsz1el werden. Das Fernziel einer
nährstoffarm sich selbsterhaltenden Popu­
o+---,- --.----.----.----.----.----.----.--
-
lation an Edelfischen (Felchen)
1950 1955 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015
Jahr wird jedoch erst in zehn Jah­
ren erreicht sein.
Die Schweizer Luft auf einen Blick
Obwohl die Atemluft in der Schweiz in den letzten
Werden die Grenzwerte eingehalten? 25 Jahren generell sauberer geworden ist, werden
250%-r---------- - -------------� � die Grenzwerte beim Stickstoffdioxid, beim boden­
Jahresmittel 2009 max. 24h- max. lh- i nahen Ozon und beim Feinstaub weiterhin massiv
überschritten (Abb. 138). Die Luftverschmutzung in
Mittel Mittel
J
200% " der Schweiz verursacht jedes Jahr externe Kosten in
• a; Höhe von mehreren MilliardenCHF; allein die Kosten
* � wegen Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen
••
150%
'••
t �
3
werden vom Bundesamt für Umweltschutz (BAFU)

100%
••

' -
!.�
<X
auf 5 Mrd. CHF geschätzt. In der Landwirtschaft wer­
den aufgrund der Ozonbelastung je nach Kultur- und
� Witterungsbedingungen Ernteeinbußen von bis zu
•• J 15 % angenommen.
50%
•• J
Eine zukünftig noch stärkere Reduktion der Emis­

'
� sionen in der Schweiz erfordert die konsequente
s Einführung der besten Technologie bei Fahrzeugen,
8 bei Industrie- und Landwirtschaftsanlagen sowie bei
0%

f Heizsystemen. Die größte Wirkung für eine Verbes­


i serung der Luftqualität wird im Bereich des moto-
0� risierten Individualverkehrs gesehen, allerdings ver­
läuft die Umsetzung entsprechender Maßnahmen
wie Parkplatzreglementierung, Geschwindigkeitsbe-
IAbb.1381 Übersicht der Schadstoffbelastungen 2009 grenzung oder Fahrteneinschränkung nur zögerlich,
im Vergleich zu den Immissionsgrenzwerten der Luft­ da sie als einschränkend empfunden werden. Eine
reinhalte-Verordnung. Verhaltensänderung soll daher künftig noch stärker
Erläuterung: In schwarz eingezeichnet sind die Werte für die ökonomisch gelenkt werden, wie dies bereits mit der
einzelnen Stationen (Jahresmittelwerte, bzw. maximale am 1. Januar 2008 eingeführten C0 2-Abgabe auf fos­
Tagesmittelwerte für Kohlenmonoxid und maximale 1 h-Werte
für Ozon). Dargestellt sind die Messwerte für alle NABEL­ sile Brennstoffen begonnen wurde.
Stationen außer den alpinen Stationen Davos und Jungfrau­
joch. Boden
Der Schutz der Ressource Boden (s. Kap. ,, Natur­
Es besteht heute aus 16 Stationen, mit denen alle raum und räumliche Gliederung/Bodenschutz in der
Luftbelastungstypen abgedeckt sind. Schweiz: Vielfalt- Probleme - Perspektiven") in ihrer
Die Luftreinhalteverordnung (LRV) des Bundesra­ flächenmäßigen Ausdehnung (quantitativer Boden­
tes wurde 1985 unter dem Eindruck des Waldster­ schutz) hätte mit den Instrumenten des Raumpla­
bens in Kraft gesetzt. Darin wurden strenge Emis­ nungsrechts sichergestellt werden sollen. Trotzdem
sionsvorschriften für Heizungen, Industrieanlagen gingen in der Schweiz zwischen 1980 und 2000 je­
und Motorfahrzeuge sowie Qualitätsrichtlinien für den Tag durchschnittlich 11 ha gewachsenen Bodens
Brenn- und Treibstoffe erlassen. Die Kosten der durch Überbauung, Versiegelung und Überschüttung
Emissionsbegrenzung wurden nach dem Verursa­ verloren, wodurch im Mittelland und in den Alpentä­
cherprinzip verteilt. Mit dem Luftreinhaltekonzept lern die Flächen an produktivem Kulturland immer
(LRK) schuf der Bund gleichzeitig ein Planungsins­ kleiner wurden. Diese Entwicklung scheint sich in
trument zur Koordination der Aufgaben der Kantone jüngster Zeit durch Anstrengungen zu verdichtetem
bei der Umsetzung der Emissionsvorschriften. Die Bauen und besserer Nutzung von Industriebrachen
Kantone überwachen die Luftverschmutzung auf endlich etwas zu verlangsamen.
ihrem Gebiet. Werden die Immissionsgrenzwerte Der Schutz der Qualität des Bodens hat in der
überschritten, erstellen sie Maßnahmenpläne für Schweiz zeitlich erst nach dem Schutz der Luft und
das betroffene Gebiet und erlassen verschärfte Luft­ des Wassers eine politische Beachtung gefunden.
reinhaltevorschriften, was weitere Maßnahmen auf Diese Geringschätzung liegt v. a. daran, dass der
Bundesebene auslösen kann. Ein Resultat dieses Mensch im Gegensatz zu Luft und Wasser den Bo­
Zusammenspiels sind Lenkungsinstrumente wie die den nicht direkt konsumiert und ein belasteter Boden
leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) daher keine unmittelbare Gesundheitsgefährdung
oder die Abgabe auf flüchtige organische Kohlen­ bedeutet. Da der Boden eine vergleichsweise hohe
wasserstoffe (VOC - Volatile Organic Conpounds, Belastungskapazität hat und träge reagiert, vollzie­
s. Kap. ,,Wirtschaft/Steuersystem, Steuerpolitik und hen sich Bodenveränderungen meist schleichend und
Standortförderung"). Die Luftreinhaltepolitik kann kaum sichtbar.
im Übrigen nur im Zusammenhang mit anderen Be­ Erst nach 1980 setzte sich die Erkenntnis durch,
reichen betrachtet werden, welche die Entwicklung dass die Funktionsfähigkeit des Bodens als ökologi­
des Schadstoffausstoßes wesentlich mitbestimmen. scher Existenzgrundlage des Menschen an vielen Or­
Dies bedingt eine bessere Berücksichtigung der luft­ ten der Schweiz auf Dauer nicht mehr gewährleistet
hygienischen Interessen in der Verkehrs-, Energie-, war. Im Blickpunkt stand die zunehmende Belastung
Raumplanungs-, Landwirtschafts- und Finanzpolitik. mit Schadstoffen aus der Luft, aus der Landwirt-
schaft und der Versickerung von Abwasser. Im Um­ IAbb.139I Schießanlage
weltschutzgesetz von 1983 wurde daher die Erhal­ Zivile Schießanlagen - ,,Fast Thun-Guntelsey.
tung der Fruchtbarkeit des Bodens neu aufgenom­
men, womit ein umfassender Bodenschutz gemeint
jedes Dorf hat seine Bleimine"
war, der die Erfüllung aller Funktionen gewährleistet In der Schweiz gibt es etwa 1800 militärische
und somit über die Produktivität im Sinne landwirt­ Schießübungsanlagen und 2000 zivile 300-m­
schaftlicher Erträge hinausgeht. Schießanlagen, dazu noch 4000 Anlagen, die
Da es sich bei der Bodenfruchtbarkeit um keine seit den l 960er-Jahren aufgrund des zu hohen
direkt messbare Eigenschaft handelt, wurden in der Bleigehalts der Patronen (das Dreifache des
Schweiz 1986 zunächst stoffliche Bodenbelastun­ heute üblichen Gehalts) geschlossen wurden.
gen geregelt (Verordnung über Schadstoffe im Bo­ In der Schweiz bestehen etwa 6000 Kugelfän­
den (VSBo). Um die aktuelle Belastung des Bodens ge von stillgelegten oder noch betriebenen Ge­
abzuklären, wurde das Nationale Bodenbeobach­ meindeschießanlagen.
tungsnetz (NABO) mit 102 Messstellen in Betrieb Die Bleibelastung beträgt beim Kugelfang bis
genommen. Bei festgestellter Überschreitung der zu 100 000 g/t Boden. 1995 wurden 90 Mio.
Richtwerte kam den Kantonen die Aufgabe zu, die Patronen verschossen, 2002 noch 40 Mio. Das
Schadstoffquellen zu ermitteln und einen Schad­ Departement für Verteidigung, Bevölkerungs­
stoffaustritt zu stoppen. Nach ersten Vollzugserfah­ schutz und Sport weist 8000 Altlastenstand­
rungen kam es 1998 mit der Ablösung der VSBo orte aus. Seit 2003 versenkt die Schweizer
durch die Verordnung über Belastungen des Bodens Armee ihre ausgediente Munition jedoch nicht
(VBBo) zu einer wesentlichen Erweiterung dr.s Gf.1- mehr in den Seen, allerdings verlagert sich das
tungsbereichs. Eingeführt wurden die Pflicht zur Blei nun ins Grundwasser. Ein weiteres Prob­
Sanierung belasteter Böden, der Schutz vor physi­ lem ist das Schwermetall Antimon, das zur
kalischen Belastungen (Bodenverdichtung, Boden­ Härtung von Blei (in einer Legierung) verwen­
erosion) und der Schutz gegen umweltgefährdende det wird und hoch löslich sowie hoch giftig ist.
Organismen. Die Sanierung von Altlastenstandarten stellt
Auf dieser Basis wurden für verschiedene Tätig­ eine enorme finanzielle Belastung dar. Die Zu­
keiten detaillierte Vorschriften zum Schutz vor dau­ ständigkeit der Altlastensanierung von militäri­
erhaften Bodenschäden ausgearbeitet, so z. B. die schen Schießanlagen liegt beim Bund, die von
Auflage einer Bodenkundlichen Baubegleitung (BBB) zivilen Schießständen bei den Kantonen.
bei großen Bauvorhaben. Der Einsatzbereich einer
BBB erstreckt sich über alle Projektstufen, von der
180

Planung und Umweltverträglichkeitsprüfung über mehr als Dünger verwertet werden. 2008 startete
die Ausschreibung bis zur Rekultivierung und Fol­ der Bund ein großes Anreizprogramm zur Sanierung
gebewirtschaftung. Die BBB ist auf der Baustelle der Bleibelastung von Böden im Bereich der in der
weisungsbefugt und kann den Bau bei ungünstigen Schweiz häufigen Schießanlagen (Abb. 139 und Ex­
Witterungsbedingungen einstellen. Die Erfahrungen kurs Zivile Schießanlagen"), inklusive dem künftigen
mit der BBB werden heute von allen Beteiligten als Quellenstopp durch den Einbau künstlicher Kugel­
gut bezeichnet. fänge. Bezüglich physikalischer B elastungen müs­
Schwierigkeiten bereitet nach wie vor die stoffli­ sen Landwirtschaftsbetriebe bei festgestellter Bo­
che Bodenbelastung. Als Maßnahme zur Verbesse­ denerosion neu mit Kürzungen der Direktzahlungen
rung der Bodenqualität gilt Klärschlamm seit Ende rechnen (Prasuhn et al. 2007). Weitere Maßnahmen
2006 rechtlich als Siedlungsabfall und darf nicht dürften in den nächsten Jahren folgen.

Nachhaltigkeit in der Schweizer Raumplanung ■ Daniel Wachter

Nachhaltige Raumentwicklung ische Raumentwicklungskonzept (EUREK)" (Euro­


Die nachhaltige Raumentwicklung soll die wirtschaft- päische Kommission 1999), dessen Folgedokument
1 ichen, gesellschaftlichen und ökologischen Ansprü­ .,Territoriale Agenda" von 2007 (Europäische Kom­
che an den Raum dauerhaft miteinander in Einklang mission 2007) sowie die „Leitlinien für eine nach­
bringen. Viele Forschungsarbeiten und maßgebliche haltige räumliche Entwicklung auf dem europäischen
Dokumente der europäischen Raumordnungspolitik Kontinent" des Europarates (CEMAT-Leitlinien) von
weisen in Bezug auf die Merkmale einer nachhalti­ 2000 (Europäische Raumordnungsministerkonferenz
gen Raumentwicklung eine große Übereinstimmung 2000). Demzufolge sind Merkmale einer nachhaltigen
auf. Zu diesen Dokumenten gehören auch das durch Raumentwicklung:
die Raumordnungsminister der Mitgliedstaaten der ■ eine polyzentrische Raumentwicklung aufgrund ei­
Europäischen Union 1999 beschlossene "Europä- ner ausgewogenen sozioökonomischen Entwicklung

IAbb.1401 Raumtypen
der Schweiz.

fnJ GrlmMwJlu
Zl!!:•�1mm\i �5\'!'r!Jrunnen
Ane1ba4;,,
Lenk kendeTII�
Leys LP.ui<:rbotl
Olmtlnl·
011011
Chl!lrnlgnbll

'e�endaz

- -
0 25 50 km

rr
<
periurbaner ländlicher Raum alpine Tourismuszentren peripherer ländlicher Raum

außerhalb Agglomerationen peripherer ländlicher Raum


gute ÖV- und gute MIV-Erreichbarkeit
(> 500 EW/Gem)

mäßige OV-, gute MIV-Erreichbarkeit D innerhalb Agglomerationen


peripherer bevölkerungsarmer
Raum(< 500 EW/Gem)
periphere Zentren
mäßige ÖV- und MIV-Erreichbarkeit (< 5000- 10 000 EW)
• periurbane ländliche Zentren periphere Kleinzentren
Städte und Agglomerationen
15000 bis 10000 EW) (2000-5000 EW)
181

der Regionen und Verbesserung ihrer Wettbewerbs­ ,,Grundzüge der Raumordnung Schweiz" von 1996, IAbb.141I Zersiedelung
fähigkeit formulierte die Leitidee eines vernetzten Systems im Schweizer Mitte/land -
■ ein territorialer Zusammenhalt durch gute Stadt­ von städtischen und ländlichen Räumen (Schweize­ Zofingen.
land-Beziehungen, ausgewogene Erreichbarkeits­ rischer Bundesrat 1996). Durch eine hervorragende
bedingungen und gleichwertigen Zugang zu Infor­ Vernetzung der Städte und der ländlichen Regionen
mation und Wissen sollen die wirtschaftlichen Potenziale der verschie­
■ ein verantwortlicher Umgang mit natürlichen Le­ denen Teilräume (Abb. 140) gebündelt und Synergi­
bensgrundlagen, ein sparsamer Flächenverbrauch en nutzbar gemacht werden. Gleichzeitig soll die für
und Bodenschutz, der Schutz der Umwelt sowie das mehrsprachige und föderalistische Land wich­
der Schutz vor Naturgefahren tige dezentrale Siedlungsstruktur erhalten und der
■ Siedlungen mit hoher Lebensqualität Landschaftsraum vor weiterer Zersiedlung bewahrt
■ die Erhaltung und sorgsame Nutzung des bauli- werden.
chen und landschaftlichen Kulturerbes. Die „Grundzüge" enthalten unter dem allgemeinen
Oberziel, eine nachhaltige Entwicklung des Landes
Nachhaltige Ziele der sicherzustellen, folgende Hauptstoßrichtungen (s. Ex­
Schweizer Raumplanung kurs „Raumkonzept Schweiz"):
Mit dem Verfassungsartikel von 1969 und dem Bun­ ■ Städtische Räume sollen optimal miteinander und
desgesetz über die Raumplanung von 1979 erhielt mit den ländlichen Räumen vernetzt werden. Fer­
die schweizerische Raumplanung den Auftrag der ner werden angesichts des teilweise ungeordneten
haushälterischen Bodennutzung und der Koordinie­ Wachstums der Agglomerationen (Abb. 141) und
rung wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer An­ des großen anstehenden Erneuerungsbedarfs an
liegen im Raum. Das Raumplanungsgesetz enthält Gebäuden und Infrastrukturen Ordnungs- und Er­
in Art. 1 (Ziele) und Art. 3 (Planungsgrundsätze) zu neuerungsstrategien dargelegt.
allen Merkmalen einer nachhaltigen Raumentwick­ ■ Ländliche Räume sollen in ihrer Funktion als
lung Ziele und Grundsätze. Das zum Zeitpunkt der Wirtschafts- und Lebensraum für die ansässige
Abfassung dieses Kapitels gültige Raumentwick­ Bevölkerung gestärkt werden. Es sollen daher
lungskonzept des Bundesrates, festgelegt im Bericht Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es
182

den ländlichen Räumen erlauben, ihre eigenen teilhaben. Dies wird weiter dadurch belegt, dass die
Potenziale besser zu nutzen. Wichtig ist aber auch wirtschaftlichen Disparitäten zwischen den Kanto­
eine verbesserte Vernetzung mit den städtischen nen, gemessen an den kantonalen Volkseinkommen
Räumen. pro Kopf und den Steuererträgen der natürlichen
■ Schonung des Natur- und Landschaftsraums mit Personen, in den letzten Jahren stabil blieben oder
ökologischen Leitplanken für die wirtschaftliche sich gar leicht verminderten (Bundesamt für Statistik
Entwicklung ist ein weiteres Ziel. 2008: 36). Welchen Beitrag die Raumentwicklungs­
■ Die Notwendigkeit einer besseren Einbindung der politik zur Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz und ih­
Schweiz in Europa, z.B. beim Hochgeschwindig­ rer Regionen leistet, lässt sich nicht quantifizieren.
keits-Eisenbahnnetz, wird dargelegt. Aus der Tatsache, dass die Schweiz seit langem in
Problemsicht, Handlungsansätze und Strategien in verschiedenen Rankings zur Wettbewerbsfähigkeit
den „Grundzügen" stimmen in weiten Teilen mit EU­ von Ländern regelmäßig eine Spitzenposition ein­
REK, ,,Territorialer Agenda" und CEMAT-Leitlinien nimmt (z. B. im „Global Competitiveness Report"
überein. 2008/09 des World Economic Forum den zweiten
Platz hinter den USA), darf indirekt geschlossen wer­
Nicht nachhaltige Entwicklungstrends den, dass räumliche Voraussetzungen für die Wirt­
Die räumlichen Entwicklungstrends in der Schweiz schaft in ausreichender Qualität geschaffen werden.
weichen von den Zielvorstellungen ab, wie insbe­ Die geschilderte räumlich-wirtschaftliche Entwick­
sondere der Raumentwicklungsbericht 2005 des lung entspricht allerdings nur bedingt der in den
Bundesamtes für Raumentwicklung (Bundesamt für ,.Grundzügen" postulierten Form einer polyzentri­
Raumentwicklung 2005) umfassend dokumentierte. schen Raumentwicklung. Ganz im Gegenteil: Es zeigt
sich eine wachsende Dominanz weniger Großzentren
Polyzentrische Raumentwicklung bei gleichzeitig disperser Siedlungsentwicklung mit
und Wettbewerbsfähigkeit der Regionen immer weiter ausufernden Pendlerströmen (s.Kap.
Die Schweizer Raumentwicklung ist vom Phänomen „Siedlung und Landschaft/Verkehrsentwicklung und
der Metropolisierung geprägt (Odermatt & Wach­ Kernprobleme der Verkehrspolitik in der Schweiz"
ter 2004: 195 f.). Das bedeutet, dass die raum­ und Kap. ,.Siedlung und Landschaft/Agglomerations­
wirtschaftliche Entwicklung immer stärker von der politik des Bundes").
Hauptmetropole Zürich sowie den weiteren Met­
ropolen Basel und Genf-Lausanne dominiert wird. Territorialer Zusammenhalt und
Im Süden des Landes hat Lugano eine gewisse ausgewogene Erreichbarkeitsbedingungen
Sonderstellung als Nebenzentrum von Mailand auf Die Schweiz hat ihr traditionell überliefertes, de­
schweizerischem Territorium. Die gute Verteilung der zentrales Siedlungssystem mit einer stützenden
Wachstumspole über die Schweiz sorgt dafür, dass Verkehrs- und lnfrastrukturpolitik gestärkt. Das ei­
alle sprachregionalen Landesteile in relativ ausge­ senbahnpolitische Konzept „Bahn 2000" beispiels­
wogener Weise an der wirtschaftlichen Entwicklung weise legte bewusst den Schwerpunkt nicht auf die

Raumkonzept Schweiz
Das Bundesamt für Raumentwicklung ARE erar­ den, was die Teilziele einschließt, die räumlichen
beitet zusammen mit Kantonen und Gemeinden Qualitäten zu stärken, die natürlichen Ressourcen
ein „Raumkonzept Schweiz", das ab ca. 2012 zu schonen, die Mobilität zu steuern, die Wettbe­
die „Grundzüge der Raumordnung Schweiz" von werbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Schweiz
1996 ablösen und für die nächsten 15 bis 20 zu stärken und die Solidarität unter den Regionen
Jahre einen neuen raumordnungspolitischen Ori­ zu leben. Als Strategien werden verfolgt:
entierungsrahmen bilden soll. Es soll die Koordi­ ■ die polyzentrische Raumentwicklung zu unter­
nation von raumwirksamen Sachpolitiken auf der stützen
Bundesebene sowie deren Abstimmung mit den ■ Zusammenarbeit und Partnerschaft insbeson­
Raumplanungen der Kantone unterstützen. Es dere unter den an Funktionalräumen beteilig­
wird den gleichen grundlegenden Prinzipien wie ten Gebietskörperschaften zu pflegen
die „Grundzüge" verpflichtet sein, aber mit einer ■ Siedlungen nachhaltig weiterzuentwickeln
umfassenden Aktualisierung und Modernisierung ■ das kulturelle Erbe zu pflegen
einhergehen. So bildet die „Siedlungsentwicklung ■ die Vielfalt der Landschaft zu erhalten und
nach innen" weiterhin einen wichtigen Grundsatz, mit der Umwelt sorgsam umzugehen
gleichzeitig anerkennt es als Realität, dass sich ■ Energieversorgung und Raumentwicklung
in den vergangenen Jahrzehnten ausschweifende aufeinander abzustimmen
Metropolitanräume mit einer wenig koordinierten ■ Verkehrsinfrastruktur und Raumentwicklung
Siedlungsentwicklung ausgebildet haben. aufeinander abzustimmen.
Als Hauptziel soll eine vielfältige, solidarische
und wettbewerbsfähige Schweiz gefördert wer-
183

Die in der neuen Erhebung 2004/ 09 bereits


Fortschreitender Bodenverbrauch ausgewerteten Gebiete verzeichneten im Zeitraum
1993-2005 insgesamt ein verlangsamtes Sied­
Die Siedlungen der Schweiz dehnen sich auf lungswachstum. Allerdings lag es in diesem Raum
einer Fläche von rund 280 000 ha aus. Dies in der Vorperiode (1981-1993) deutlich über dem
entspricht knapp 7 % der Landesfläche. Davon schweizerischen Durchschnitt. Eine Hochrechnung
entfällt knapp die Hälfte auf Gebäude und die auf die gesamte Schweiz ist aus statistischen Grün­
Grundstücke, auf denen sie stehen, und etwa den nicht möglich, Endergebnisse sind erst 2013
ein Drittel auf Verkehrsflächen. In den letzten zu erwarten. Jedenfalls ist klar, dass die Siedlungen
zwei Jahrzehnten haben sich die Siedlungsflä­ auch in der jüngeren Vergangenheit in einem Ausmaß
chen - hauptsächlich auf Kosten der Landwirt­ weiter gewachsen sind, das als nicht nachhaltig zu
schaftsfläche - unaufhaltsam ausgedehnt. Der bezeichnen ist.
Zuwachs beträgt weiterhin annähernd 1 m2/s. Problematisch sind auch die Landschaftsverän­
Ein Drittel der neuen Siedlungsflächen diente derungen. Diese werden in der Schweiz periodisch
dem Bau von Einfamilienhäusern. mittels des Programms „ Landschaft unter Druck" er­
Quelle: Bundesaml für Raumentwicklung ARE: Raumentwicklungsbericht 2005, S 8 ARE mittelt. Sie werden aufgrund der Änderungen in den
Landeskarten systematisch ausgewertet. In einem
Stichprobenverfahren werden landesweit Flächen­
schnellstmögliche Verbindung der Zentren höchster ausschnitte bestimmt, die Veränderungen anhand
Rangordnung, sondern auf eine S-Bahn-ähnliche von Signaturen erfasst und auf Teilräume und die
Vernetzung aller größeren und mittleren Zentren der gesamte Schweiz hochgerechnet. Die Ergebnisse der
Schweiz. Noch stärker förderte der laufende Ausbau dritten Fortschreibung (Bundesamt für Raumentwick­
des National- und Hauptstraßennetzes eine flächen­ lung& Bundesamt für Umwelt 2007; vgl. Tab. 31) er­
hafte Erschließung. In der Folge entstand ein hervor­ gaben u. a., dass deutlich mehr Anlagen - und dies
ragend integrierter Wirtschaftsraum mit ausgezeich­ häufig außerhalb des Siedlungsgebietes - erstellt
neten Erreichbarkeitsbedingungen (s. .,Siedlung und wurden und dass der Ausbau des überörtlichen und
LandschaftNerkehrsentwicklung und Kernprobleme lokalen Straßennetzes weiterging. Als Folge neuer
der Verkehrspolitik in der Schweiz"). Rund 80% der umwelt- und agrarpolitischer Maßnahmen (z.B. Di­
Schweizer Bevölkerung erreichen in weniger als einer rektzahlungen an Landwirte für ökologische Leistun­
Stunde Fahrtzeit ein Großzentrum. Auch weitere ln­ gen) sind bei einzelnen Landschaftselementen ge­
frastruktursektoren, etwa im Bildungs-/Hochschulbe­ wisse Verbesserungen erkennbar (z.B. Hecken). Die
reich oder im Gesundheitswesen, sowie der Finanz­ ungebremste Zunahme an Wald- und Gebüschflächen
ausgleich zwischen Bund und Kantonen sorgen für ist jedoch zwiespältig zu beurteilen: Einerseits gehen
einen hohen territorialen Zusammenhalt. landschaftliche Vielfalt und Biodiversität zurück, an­
dererseits können wenig beeinflusste „Wildnisgebie­
Verantwortlicher Umgang te" entstehen.
mit natürlichen Lebensgrundlagen
Kehrseite der Metropolisierung und der guten Er­ Siedlungsqualität und Kulturerbe
reichbarkeitsbedingungen ist die daraus entstehen­ Zu Siedlungsqualität und Kulturerbe liegen keine
de Belastung des Lebensraums. Zur Beobachtung umfassenden Analysen vor. Indizien liefern aber Um­
der Veränderungen der Bodennutzung erhebt die fragen zu Sorgen und Zufriedenheit der Schweizer
Arealstatistik im Turnus von zwölf Jahren Daten zu Bevölkerung, die insgesamt eine sehr positive Ein­
Siedlungsflächen, landwirtschaftlichen Nutzflächen, schätzung von Wohnsituation und Wohnumgebung
Wald- sowie unproduktiven Flächen. Zugrunde liegen aufzeigen. Beim bau Iichen und landschaftlichen
in einem 6-Jahres-Rhythmus von Westen nach Osten Kulturerbe stellen private Investoren und die Mittel
erhobene Luftbildaufnahmen (1979/85, 1992/97, des Kulturdenkmal- und Landschaftsschutzes sicher,
2004/09). Gesamtschweizerische Daten liegen noch dass wertvolle Einzelobjekte insgesamt gut gepflegt
immer nur für die Periode 1992 /97 vor. Danach und unterhalten werden. Die disperse Siedlungsent­
nahm die Siedlungsfläche gegenüber der Erhebung wicklung und Landschaftsdegradierung sind aller­
1979/85 hauptsächlich zu Lasten der landwirtschaft­ dings einem schleichenden Erosionsprozess gleich­
lichen Nutzfläche um 13,3% zu, während die Bevöl­ zusetzen.
kerung in der gleichen Zeitperiode um 8,8% anstieg.
Zur Zeit der Abfassung dieses Beitrages wird die drit­ Gründe für die Zielverfehlung
te Arealstatistik 2004/09 erhoben, erfasst sind schon Alles in allem zeigt die Betrachtung der räumlichen
die Westschweiz und das westliche Mittelland. Sie Entwicklungstrends, dass v. a. der ungesteuerte Met­
basiert auf dem Flugprogramm des Bundesamts für ropolisierungsprozess und die disperse Siedlungsent­
Landestopographie und wertet Luftbilder der Jahre wicklung zentrale Problempunkte einer nachhaltigen
2004 bis 2009 aus. Nachdem zuvor die Erhebungs­ Raumentwicklung darstellen. Bei der Suche nach
methode revidiert und modernisiert wurde, erlaubt den Gründen der Zielverfehlung sind verschiedene
dies den Wechsel von analogen zu digitalen Bildern, Aspekte einzubeziehen, z.B. ob die in der Raumpla­
die Trennung von Nutzung und Bedeckung sowie die nung verfolgten Ziele einer nachhaltigen Entwicklung
Anpassung an die EU-Nomenklatur (BFS 2011). entsprechen, ob zielgerechte Maßnahmen und Ins-
eltprobleme und Umgang mit Naturgefahren

Beobachlungsperiode

*
Gebäude außerhalb Bauzone (Anzahl) +3000 +3700 +2600 ®
Anlagen (Anzahl) +206 +172 +244 +413 ®
Lokalstraßen/Wege (km) +2505 +1726 +1385 +1841 ®
Obstbäume (Anzahl) -54 780 -39770 -99671 -66695 ®
Bachläufe eingedeckt (km) +86 +92 +85 +119 ®
Einzelbäume (Anzahl) +730 +6240 +11418 +9637 ©
Hecken (km) +33 +55 +156 +62 ©
Bachläufe, neu offene (km) +9 +20 +85 +153 ©
Waldflächen (ha) +1700 +750 +1960 +1339 @
Gebüsch (ha) +156 +75 +159 +574 @
• Gebäude außerhalb Bauzone: Wegen zum Analysezeitpunkt noch fehlender Grundlagendaten konnte diese Teilauswertung nicht vorgenommen werden.
Aus anderen, noch unveröffentlichten Analysen geht hervor, dass von keiner Trendumkehr auszugehen ist

1 Tab. 31 I Jährliche Landschaftsveränderungen.

trumente bestehen und ob geeignete institutionelle grundsatz Siedlungs-/Nichtsiedlungsgebiet lässt


Regelungen die Zielerreichung unterstützen. sich seit Jahren nur mangelhaft vollziehen und ist
Was die Zielebene betrifft, sind die Ziele und mittlerweile aufgeweicht worden.
Grundsätze des Bundesgesetzes über die Raum­ ■ Ferner sind die Bauzonen als Erbe aus der Zeit vor
planung von 1979 wie erwähnt implizit, und die der Einführung des Bundesraumplanungsgesetzes
„Grundzüge der Raumordnung Schweiz" von 1996 noch immer zu groß und häufig falsch lokalisiert.
explizit dem Nachhaltigkeitsgedanken verpflichtet. Gemäß der ersten landesweiten Bauzonenstatistik
Allerdings sind die Ziele allgemein und qualitativ des Bundesamtes für Raumentwicklung von 2007
formuliert und daher von begrenzter Wirkung auf die gibt es heute knapp 227 000 ha Bauzonen. Un­
Umsetzungs- und Vollzugstätigkeiten. gefähr ein Viertel davon ist noch nicht überbaut.
Die Hauptdefizite liegen v. a. auf den Ebenen der Diese Reserve bietet Platz für zusätzliche 1,4 bis
Instrumente, Maßnahmen, institutionellen Regelun­ 2, 1 Mio. Personen, was über dem für die Schweiz
gen und Vollzugsmechanismen. Gemäß schweizeri­ angenommenen Bevölkerungswachstum liegt. Dies
schem Raumplanungsrecht liegt die Hauptkompetenz fördert eine wenig konzentrierte Bauweise inner­
für die Raumplanung bei den Kantonen mit ihrem In­ halb der Bauzonen.
strument des kantonalen Richtplanes. Sie haben eine ■ Die Raumplanung ist föderalistisch zersplittert, die
umfassende Gebietsplanungskompetenz. Der Bund kantonale und kommunale Kompetenzzuweisung
hat lediglich in einzelnen Rechtsgebieten, wie z.B. erschwert eine zweckmäßige Planung in Funktio­
betreffend Eisenbahnen oder Nationalstraßen, eine nalräumen.
Planungskompetenz und kann Sachpläne erstellen. ■ Die Raumplanungspolitik ist im Vergleich zu den
Darüber hinaus hat er die Aufgabe, diesbezügliche übrigen Sachpolitiken institutionell schwach und
Arbeiten der Kantone zu koordinieren. Während der verfügt über geringe Ressourcen und Kompetenzen.
kantonale Richtplan ein behördenverbindliches Pla­
nungsinstrument darstellt, schließt auf Gemeindestu­ Weiterentwicklung der Raumentwicklungspolitik
fe der grundeigentümerverbindliche, parzellenscharfe Zur Zeit der Niederschrift dieses Beitrages wird in
Nutzungsplan an. Nach Analyse des Raumentwick­ der Schweiz das Raumplanungsrecht in einem ge­
lungsberichts 2005 (Bundesamt für Raumentwick­ staffelten Vorgehen erneuert. Eine erste, Anfang
lung 2005) lauten die wichtigsten Mängel: 2010 vom Bundesrat dem Parlament unterbreitete
■ Das raumplanerische Instrumentarium mit der Revision will die zu großen Bauzonen reduzieren und
Sach-, Richt-, Nutzungsplanung, mit der Trennung vermehrt an zentralere und gut erschlossene Lagen
Baugebiet/Nichtbaugebiet und der Koordination lenken. Eine weitere Revision soll bis 2012 vorberei­
von Raumansprüchen ist nur planerisch-rechtli­ tet werden und weitere Mängel des Raumplanungs­
cher Natur. Es mangelt an Instrumenten, die über rechts beheben. So sollen die inhaltlichen Vorgaben
wirtschaftliche oder finanzielle Anreize auf Akteure an die kantonalen Richtpläne erhöht werden. In die
motivierend wirken würden. gleiche Richtung zielen angestrebte Verbesserungen
■ Es bestehen keine griffigen Instrumente für Sied­ auf institutioneller Ebene, indem höhere Vorgaben
lungsbegrenzung und -verdichtung. Der Trennungs- für die gemeinde- und kantonsübergreifende Zu-
185

sammenarbeit formuliert werden, um die Planung ,,Raumkonzept Schweiz"). Das öffentliche Konsulta­
in Funktionsräumen zu stärken (s. Kap. ,,Siedlung tionsverfahren sowie die Überarbeitung des Entwurfs
und Landschaft/Agglomerationspolitik des Bundes"). des Raumkonzepts auf Basis der Rückmeldungen
Zusätzlich zur Erneuerung des Raumplanungsrechts waren 2011 noch nicht abgeschlossen. Sollten die
wird ein „Raumkonzept Schweiz" erarbeitet, das die rechtlichen Verbesserungen nicht oder nur teilweise
raumordnungspolitischen Ziele aktualisieren und die umgesetzt werden können, bliebe die Aufgabe, im
„Grundzüge der Raumordnung Schweiz" ablösen Interesse einer nachhaltigen Raumentwicklung den
wird sowie vielversprechende, vielfältige und den Vollzug des bereits geltenden Rechts weiter zu ver­
Teilräumen angepasste Strategien vorsieht (s. Exkurs bessern.
Die Schweiz in der Welt

IAbb.1421 Hauptgebäude
der UNO in Genf. Überblick
■ Europapolitik ist ein zentrales Anliegen der Schweizer Außenpolitik, da die EU der mit Abstand
wichtigste Handelspartner der Schweiz ist. Doch obwohl die Schweiz Mitglied vieler völkerrechtli­
cher, wirtschaftlicher und internationaler wissenschaftlicher Einrichtungen ist, werden die gemein­
samen Interessen der Schweiz und der EU in bilateralen Vertragswerken geregelt. Mit dem EU­
Beitritt selbst tut sich die Schweiz allerdings schwer.
■ Die ersten Elemente der Handelspolitik des 1848 gegründeten, rohstoffarmen schweizerischen Bun­
desstaats waren niedrige Importzölle (u. a. um Rohstoffe aus anderen Ländern einzuführen), Marktzu­
gang zu anderen Ländern im Prinzip ohne Exportzölle und eine starke Rechtssicherheit im Allgemeinen.
■ Herausforderungen für die Schweiz liegen in der wachsenden Bedeutung des Dienstleistungshan­
dels, der zunehmenden Verschiebung des Handels zwischen Industrieländern zum Handel zwischen
Entwicklungsländern sowie im steigenden Anteil des lnterfirmenhandels am Welthandel. Diesen
neuen Herausforderungen wird u. a. mit einer guten internationalen Vernetzung im Rahmen der
WTO, mittels bilateraler Verträge mit der EU sowie anderen Abkommen zur Stärkung der Drittland­
beziehungen begegnet.
■ Die Entwicklungszusammenarbeit macht heute 4,29 % der Bundesausgaben, allerdings nur 0,47 %
des Bruttonationaleinkommens aus. Sie ist in zwei Bundesämtern verankert. Eine wichtige Heraus­
forderung für die Zukunft bleibt die Schaffung einer Bundesstelle, welche die Kohärenz zwischen
der Entwicklungspolitik und anderen Politikfeldern, die den Süden betreffen (Handelspolitik, Bank­
geheimnis, Investitionsförderung) prüft.
187

Schweiz und Europa ■ Georg Kreis

Die Schweiz in europäischen Organisationen in dem sie gerade 2009/10 wieder mit einigem in­
Vorweg muss gesagt werden, dass auch die Schweiz nenpolitischen Stolz das Präsidium wahrnahm.
ein Teil Europas Ist und die Schweiz aufgrund ihrer Obwohl die Europäische Gemeinschaft für Kohle
Vielfalt von vielen Denkern sogar als Modell Europas und Stahl (EGKS) nicht politischer war als die Mar­
verstanden wurde. Die Thematisierung von „Schweiz shallplan-Organisation (OEEC), kam eine schweize­
Und Europa" zielt aber auf das Verhältnis der Schweiz rische Teilnahme auf keinen Fall infrage, weil die­
zum europäischen Integrationsprojekt ab, obwohl In se mit Ihrer supranationalen „hohen Autorität' (der
früheren Jahren gerne betont wurde, dass die EWG/ späteren l<ommissi(:ln) die nationale Souveränität
EG nicht mit Europa gleichgesetzt werden könne. Mit eingeschränkt hätte. Gleiches galt für die Römischen
den 27 Ländern der EU und mit einer Gesamtbevöl­ Verträge von 1957 (EWG/EAG) und alle Folgeverträ­
kerung von rund 501 Mio. (Eurostat 2010) ist die ge von Maastricht 1992 bis Lissabon 2007. Als mit
Gleichsetzung von Europa und EU jedoch berechtigt. dem Unabhängigkeitswillen vereinbar wurde dage­
Das integrierte Europa ist gemäß der variablen gen die Mitgliedschaft mit der 1960 als Gegenmo­
Geometrie auf verschiedenen Ebenen angesiedelt, dell zur EWG geschaffenen Freihandels�ssoziation
und das Verhältnis der Schweiz zu Ihm ist je nach (EFTA) verstanden. Problemlos erschien auch das
Ebene ein anderes. Im Falle rein lnternationaler Ge­ aus diesem Status heraus 1972 mit dem EWG-Block
bilde mit Elnstlmmigkeitserfordernissen (also Veto­ abgeschl· ossene Freihandelsabkommen (s. Kap. ,.Die
Möglichkeiten) hat die Schweiz in der Regel wenig Schweiz In der Welt/Die Schweiz in der Weltwirt­
Mühe mit einer Mitgliedschaft. Typisches Beispiel ist schaft''). Die Formel lautete: wirtschaftliche Inte­
die 1948 gegründete OEEC (seit 1960 OECD) oder gration ohne politische Partizipation. Der Grad der
die 1975 finalisierte KSZE, später OSZE, in der die wirtschaftlichen Integration der Schweiz 1st an ihren
Schweiz 1996 sogar stolz die Präsidentschaft inne­ Außenhandelswerten abzulesen: 2008 exportierte die
hatte. Schweizer Industrie Waren im Wert von 132 Mrd. CHF
Im Falle des ebenfalls „bloß" international ange­ in die EU, während sie aus der tu Waren im Wert von
legten und 1949 geschaffenen Europarats hatte die 154Mrd.CHF importierte (Eidgenössisches Departe­
Schweiz längere Zeit (bis 1963) dennoch Probleme ment für auswärtige Angelegenheiten EDA/Eidgenös­
mit einer Mitwirkung, weil sie befürchtete, dass sich sisches Volkswirtschaftsdepartement EVD (2009):
diese Organisation zu einem politischen Gebilde ent­ Bilaterale Abkommen Schweiz-EU, S. 6).
wickeln würde, dem ein neutraler Staat schlecht an­ De facto Ist die Schweizer Regierung durch Diplo­
gehören könne. Wie gegenüber der UNO praktizierte maten und unabhängige Sachverständige In wichtigen
die Schweiz auch gegenüber Europa eine zwar wenig Gremien Europas vertreten, darunter die Europäische
eindeutige, aber doch praktische Unterscheidung Konferenz der Verkehrsminister (CEMT), die Europä­
zwischen „technischen" Organisationen, bei denen ische Patentorganisation, die Europäische Zivilluft­
man problemlos mitwirken konnte und kann (Europä­ fahrt-Kommission (CEAC/ECAC), das Europäische
ische Zahlungsunion EZU Und European Organization Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC),
for Nuclear Research CERN), und den „politischen" das Europäische l<omitee für Normung (CEN) und
Organisationen, bei denen ein Dabeisein nicht in­ die Konferenz der europäischen Post- und Fernmel­
frage kam. Im Juni 1951 nannte Max Petltpierre, devenvaltungen (CEPT), ferner in wissenschaftHchen
der für die Außenpolitik zuständige Bundesrat, in Organisationen und Konferenzen wie der Europäi­
einer nationalrätlichen I nterpel lationsbeantwortung schen Organisation für Kernforschung (CERN), der
nebst den militärpolitischen Bedenken weitere, für Europäischen l<onferenz und dem Europäischen
die schweizerische Haltung typische Vorbehalte: Der Laboratorium für Molekularbiologie in Heidelberg
Europarat sei eines der orga11es crees de. toutes
11 (EMBC/EMBU, der Europäischen Südsternwarte in
pieces" (ein aus verschiedenen Stücken zusammen­ Garching (ESO). der Europäischen Weltraumorganisa­
gesetztes Organ), eine „instilution superf/ue" (eine tion (ESA), dem Europäischen Laboratorium für Syn­
überflüssige Einrichtung) und eine „organisation dont chronstrahlung (ESRF), dem Europäischen Zentrum
l'inefficacite est incontestable" (eine Organisation, für mittelfristige WetteNorhersage im englischen Rea­
deren Ineffizienz unbestritten ist). Wie der Schwei­ ding (EZMW), der Europäischen Zusammenarbeit auf
zer Historiker Hans Ulrich Jost darlegt, beruhte die dem Gebiet der wissenschaftlichen und techntschen
schweizerische Distanzierung zum Europarat in erster Forschung (COST) sowie der Initiative für grenzüber­
Linie auf der Be.fürchtung, dass sich der Europarat schreitende Kooperationsprojekte in marl(torientierter
zu einem starken Gebilde entwickeln und die Hand­ industrieller Forschung und Entwicklung (EUREKA).
lungsfreiheit der Schweiz insbesondere in außenwlrt­ Zudem verfügt die Schweiz bei verscl1ledenen inter­
schaftlichen Fragen einschränken könnte. Als sich nationalen Organisationen Liber eine ständige Vertre­
der Europarat nicht in diese Richtung entwickelte, tung {Mission) oder über eine ständige Delegation:
blieb die ablehnende Haltung der Schweiz dennoch Beispiele sind die ständigen Vertretungen beim Euro­
bestehen und drückte sich mitunter dann im Vorwurf parat (Strasbourg), In FAO, !FAD, WFP (Rom), NATO
des genauen Gegenteils aus - im Vorwurf der Schwä­ (Brüssel), OECD (Paris), OSZE (Wien), UNESOO (Pa­
che und Bedeutungslosigkeit. Inzwischen ist der Eu­ ris), UNO (New York) und internationale Organisatio­
roparat ein von der Schweiz sehr geschätztes Forum, nen wie die WTO/EFTA (Genf).
188

Schweizer Haltung zur europäischen Integration sogar diese Mittelstellung ab und blieb vorerst ganz
draußen (Ablehnung von 50,3 % Bevölkerungsstim­
Das Verhältnis zum men und 6 von 23 Kantonsstimmen, bei außeror­
Europäischen Wirtschaftsraum (EWRJ dentlich hoher Stimmebeteiligung von 78, 7 %).
Die schweizerische Haltung gegenüber europäischen Der negative Entscheid vom 6. Dezember 1992,
Integrationsprojekten war stets offiziell höflich (be­ von entschiedenen Befürwortern des EWR-Beitritts
gleitet von den besten Wünschen), intern aber skep­ wie Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz als „schwar­
tisch, ja von der Hoffnung getragen, dass sie nicht zer Sonntag" empfunden, markierte eine starke
gelingen würden, weil deren Erfolg der Schweiz nur Zäsur im Verhältnis Schweiz-Europa. Die Landesre­
Probleme schaffen und sie isolieren würde. Nicht gierung hatte sich dies aber selbst eingebrockt. Der
untypisch ist die von einem Kommentator vorgenom­ EWR wurde, weil die Regierung im Zuge der allge­
mene Gegenüberstellung: auf der einen Seite das meinen Beitrittsdynamik (s.o.) noch vor der EWR­
vermessene, seines Erachtens viel zu schnell hochge­ Abstimmung ein Beitrittsgesuch deponiert hatte, nur
zogene und mit dem Turmbau von Babel vergleichba­ als Zwischenstufe (,.Trainingslager") gesehen. Bei
re EWG-Projekt, auf der anderen Seite die sorgfältig den Beitrittsgegnern aber herrschte die Befürchtung,
und über ein Jahrzehnt in beharrlicher Aufbauarbeit dass die Schweiz wie ein Würfelzucker in der Teetas­
entwickelte OEEC, die riskiere, unter den Trümmern se Europa aufgehen werde. Es kamen aber auch kon­
des „unvermeidlichen" EWG-Einsturzes begraben zu kretere Politsorgen hinzu. Befürchtet wurden eine
werden (Peter Aebi, Monatshefte 1958). Man muss Erhöhung der Arbeitslosigkeit und eine Verstärkung
sich die sonderbaren Diskurse vergegenwärtigen, mit des Transitverkehrs. Auffallend war die klare Auftei­
denen noch in den l 960er-Jahren (etwa Kurt Brot­ lung: Zugestimmt hatten die französische Schweiz
beck, Bern 1963) das Fernbleiben der Schweiz aus (!es Romands) und alle größeren Städte (selbst Lu­
der EWG begründet wurde: Die Schweiz befinde sich zern in der lnnerschweiz), hingegen nicht St. Gallen
auf einer höheren Stufe als das benachbarte Aus­ in der Ostschweiz und Lugano im diesbezüglich stets
land, sie könne sich schon darum nicht unter das deutlich ablehnenden Tessin.
„Machtgebilde" unterordnen und wolle abwarten, bis Um die Konsequenzen des Nein zum EWR bzw.
Europa zu einer Schweiz werde und seinerseits (wie um die Frage, ob und inwiefern die Entwicklung der
die Schweiz) der Menschheit den Weg in die Freiheit schweizerischen Wirtschaft unter dem Nein zum
weise. EWR tatsächlich zu leiden hatte, dreht sich eine
Die über die Jahre stets derart hochgehaltene Di­ größere Debatte. So wird auch ein Zusammenhang
stanz konnte gegen Ende der l 980er-Jahre nicht zwischen der fehlenden Luftfreiheit und dem Expan­
plötzlich aufgegeben werden, als die Regierung re­ sionskurs der Schweizer Fluggesellschaft Swissair
lativ unvermittelt einen radikalen Kurswechsel ein­ mit ihren fatalen Aufkäufen von kleineren europäi­
zuschlagen versuchte . .,Europa" oder „Brüssel" schen Fluggesellschaften gesehen, der letztlich zum
bildeten bereits zuvor wie auch danach eine Fläche Bankrott führte. Nach dem Nein zum multilateralen
für allgemeine Negativprojektionen. Immer wieder Pauschalvertrag von 1992 musste die Schweiz ihr
mussten unzutreffende und auch unlautere Behaup­ Verhältnis zur EU sektoriell und bilateral in einem
tungen korrigiert werden, welche nicht davor zurück­ Prozess regeln, der aus Respekt vor dem Volks-Nein
schreckten, das demokratische und polyzentrische vom Dezember 1992 stets unter dem Integrations­
Europaprojekt mit dem undemokratischen und hege­ niveau des EWR zu bleiben hatte. Die auf diesem
monialen Europa gleichzusetzen, wie es vom „Dritten Weg getroffenen Teillösungen waren aber immer dem
Reich" angestrebt worden war. Auch später prakti­ Verdacht ausgesetzt, die Schweiz würde sich auf die­
zierten, wie ein Beispiel aus dem Jahr 2000 zeigt, se Weise näher an die unerwünschte Vollintegration
die Europagegner in der Schweiz hemmungslose Po­ bringen.
lemik: Als eine größere Zahl von EU-Regierungen auf
Distanz zu Österreich gingen, weil die rechtsnationale Die Bilateralen Verträge
FPÖ an der Regierung beteiligt wurde, brandmarkten Die sog. "Bilateralen I" umfassten sieben Bereiche,
sie dies als „modernes Despotentum" und begrün­ von denen einige von der einen Seite, einige von der
deten ihr Nein zur EU mit dem Argument, ,.damit anderen Seite eingebracht worden waren, und einige
wenigstens ein Fleck in Europa den Willen der Bür­ von beiden gewünscht wurden. Es handelte sich um
gerinnen und Bürger respektieren darf" (Inserat NZZ Abkommen bezüglich Personenfreizügigkeit, Land­
vom 17. Februar 2000). und Luftverkehr, Forschung, technische Handels­
Der gegen Ende der l 980er-Jahre entworfene Eu­ hemmnisse, öffentliches Beschaffungswesen sowie
ropäische Wirtschaftsraum (EWR) hätte aus Sicht der Handel mit Agrarprodukten (s. Exkurs „Bilaterale Ab­
damaligen EG potenzielle Beitrittskandidaten eigent­ kommen Schweiz-EU (1 und II)").
lich davon abhalten sollen, gleich eine Vollmitglied­ Das in einer langen Verhandlungszeit von fünf
schaft anzustreben. Im Falle der 1995 aufgenomme­ Jahren ( 1994-1999) erarbeitete Ergebnis brachte
nen drei Länder Österreich, Schweden, Finnland ge­ nach dem Prinzip des do ut des (lat.: Ich gebe, da­
lang das Abhalten jedoch nicht. Nur Norwegen nebst mit du gibst) oder des give and take je nach Bereich
Liechtenstein und Island begnügten sich mit dieser unterschiedliche Zufriedenheiten, musste aber als
Mittelstellung zwischen Dabei- und Nichtdabeisein. Gesamtpaket genommen werden. Eine Guillotine­
Die Schweiz lehnte 1992, wenn auch sehr knapp, Klausel sah bei der Kündigung eines einzigen Be-
189

Bilaterale Abkommen Schweiz-EU (1 und II)


,,Die Schweiz verfolgt ihre Änllegen gegenüber ■ öffentliches Besctiaffur,gswesen: Erweiterung
der f._LJ auf dem sog. .,bilateralen Weg''. In aus­ des Zugangs zum euroi:iälschen Beschaffungs­
gewählten Sektoreri, in denen beidseitige Inter­ markt
essen bestehen, verhandeln die beiden Partner ■ Landwirtschaft: Vereinfachung des Handels be­
vertragliche Regelungen. Diese verbessern ei­ stimmter Produkte
nerseits den gegenseitigen Marktzugang für die ■ Landverkehr: Öffnung der Märkte für Straßen­
Unternehmer oder regeln damit vorhandene As­ und Schienenverkehr, Absicherung derVerlage­
pekte betreffend Produktsicherheit, Arbeitneh­ rungspolitik.
merschutz und Gesundheit. Andererseits ermög­ ■ Luftverkehr: gegenseitiger Zugang zum Luftver­
lichen sie eine engere Kooperation in Bereichen kehrsmarkt
wie Forscht.Hlg, Sicherheit. Asyl, Umwelt, BIi­ ■ Forschung: Teilnahme der Schweiz an den EU­
dung und Kultur. Darüber hinaus beteiligt slch Forschungsprogrammen
die Schweiz mit verschiedenen Engagements
am Aufbau Europas. Als Beispiel seien die Er­ Bilaterale II
weiterungsverträge zum Abbau der sozialen und ■ Sehengen/Dublin: Erleichterung des Reisever­
wirtschaftlichen Unterschiede in Europa, die kehrs, Verbesserung der Sicherheitszusammen­
Schweizer Beteiligung an Friedenseinsätzen in arbeit, Koordination des Asylwesens
Südosteuropa oder die Teilnahme am Europarat ■ Zinsbesteuerung: grenzüberschreitende Be­
zur Durchsetzung der Menschen(echte genannt." steuerung von Zinserträgen
( ...) .,Die bilateralen AbkomfT)en basieren auf ■ Betrugsbekämpfung: Kampf gegen Delikte wie
zwischenstaatlicher Zusammenarbeit, d. h. es Schmuggel
werden keine Souveränitätsrechte an eine über­ ■ landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte:
geordnete Instanz (wie etwa an die EU-Organe Abbau von Zöllen und Exportsubventionen für
Kommission, Rat, Parlament und Gerichtshof) Produkte der Lebensmittelindustrie
abgetreten. Die Umsetzung der Abkommen liegt ■ Umwelt: Teilnahme an der EU-Umweltagentur
allein in der Kompeten2 der Vertragspartner." ■ Statistik: Harmonisierung und Austausch sta­
tistischer Daten
Bilaterale 1 ■ Media: Zugang zur EU-Förderung für Film­
■ Personenfreizügigkeit: Öffnung des Arbeits­ schaffende
markts ■ Bildung: Teilnahme an EU-Bildungs1m1grammen
■ technische Handelshemmnisse: Vereinfachung ■ Ruhegehälter: Aufhebung der Doppelbesteue­
der Zulassung von Produkten rung

reichs die Hinfälligkeit des ganzen Pakets vor. Eine EU-Raum neue Verträge auszuhandeln. Wünschens­
beachtliche Mehrheit von 67,2% hieß diese Vorlage wert wären, wie das bei Sehengen/Dublin halbwegs
in einer Volksabstimmung vom Mai 2000 gut. Die der Fall ist, dynamisierbare Abkommen, die sich
beruhigende Botschaft hatte gelautet, es sei ein sozusagen automatisch der Entwicklung anpassen.
rein wirtschaftliches und absolut kein politisches Wünschenswert wäre ferner ein Rahmen- oder Man­
Abkommen. telabkommen für sämtliche bisherigen und künftigen
In den folgenden Jahren einigte man sich auf die Verständigungen.
„Bilateralen II" mit neun weiteren Bereichen, die Die „Bilateralen" haben den Nachteil, dass es tra­
nun aber nicht mehr untereinander verknüpft waren. ditionelle statische Abkommen sind, die Entwicklung
Es waren dies Sehengen/Dublin, die Zinsbesteue­ jedoch weitergeht. Das bekam die Schweiz bei der
rung und Betrugsbekämpfung, landwirtschaftliche zweifachen EU-Osterweiterung 2004 durch zehn und
Verarbeitungsprodukte, Umweltagentm, Statistik, 2007 durch zwei weitere Mitglieder deutlich zu spü­
Filmförderung und Ruhegehälter. Einzig gegen den ren. Beide Male mussten die schweizerischen Bürge­
Beitritt zum Sicherheitssystem von Sehengen/Dublin rinnen und Bürger an die Urne (September 2005 und
(internationale Polizeikooperation/Bekämpfung von Februar 2009), beide Male stand das gesamte Paket
Mehrfachasylanträgen) wurde das Referendum er­ der „Bilateralen I" auf dem Spiel, doch beide Male
griffen, weswegen eine Volksabstimmung nötig war. kam es wiederum zu einem Ja von 56% und 59,6%.
Diese ergab im Juni 2005 wiederum eine Mehrheit Beim Beitritt Kroatiens wird man in der Schweiz er­
von 54,6%, die immerhin zur hoch symbolischen neut abstimmen müssen, obwohl es eigentlich eine
Aufhebung von direkten Grenzpersonenkontrollen Wahl ohne wirkliche Wahlmöglichkeit ist.
zustimmte. Im November 2006 war noch eine Abstimmung
Jüngst war immer wieder von den „Bilateralen III" zu einem besonderen Geschäft fällig. Die offizielle
v. a. zur Dienstleistungs- und Strommarktliberalisie­ Schweiz trug der Einsicht Rechnung, dass man nicht
rung die Rede, aber auch davon, dass es nicht ewig vorn Marktzugang der Osterweiterung profitieren
so weitergehen könne, für jede Anpassung an den kann, ohne sich an den Kosten des Transformati-
190

IAbb.143I Eine gute Referendums wurden daraufhin überprüft, ob sie im


Zusammenarbeit. Falle eines Beitritts noch hätten der Abstimmung
unterbreitet werden können. Die Einschätzung war
nicht einfach, aber für die Landwirtschaftbeschlüsse
wurde festgehalten, dass 80 % von ihnen mit dem
EG-Recht unvereinbar gewesen wären. Auch sechs
Initiativen hätten nicht durchgeführt werden dürfen.
Der Tenor des Befundes war negativ; der Bericht be­
tonte auch, dass die demokratischen Mechanismen
in einer Weise erschüttert würden, dass die traditi­
onelle Identität des Landes tief greifend verändert
würde (Cottier&Kopse 1998: 455). Der Staatsrecht­
ler Dietrich Schindler kam auf der Basis der Jahre
1980-1998 zu einem etwas günstigeren Bild: 9,2%
der Beschlüsse hätten nicht wie gefasst beschlossen
werden können und 18,8 % hätten dem EG-Recht
angepasst werden müssen (ebd.: 458). Es gibt auch
politologische Studien, die aufzeigen, dass der Ein­
onsprozesses zu beteiligen. Darum sah sie vor, abge­ fluss der innenpolitischen Mitwirkung generell stark
stimmt mit der EU und im Sinne einer „freiwilligen überschätzt wird.
Pflicht", auf fünf Jahre verteilt eine sog. Kohäsions­
milliarde beizusteuern, allerdings aus Rücksicht auf Ausblick
das fundamentale Misstrauen in der schweizerischen Die Haltungen der größeren Parteien bezüglich ei­
Bevölkerung nicht in einen großen Topf, sondern in nes Schweizer EU-Beitritts zeigen eine nicht über­
selbst ausgesuchte und kontrollierbare Entwicklungs­ raschende Verteilung: Die Rechte (SVP) ist eine
projekte. Das dazu nötige Osthilfegesetz wurde gegen entschiedene Beitrittsgegnerin, die Linke (SPS) eine
die Referendumsgegner des rechten Spektrums mit engagierte Beitrittsbefürworterin, während die beiden
53,4% angenommen. Mit dieser Abstimmung und Mitteparteien (FDP/CVP) schwanken. Um 2005 woll­
den beiden Ja zur Osterweiterung der Personenfrei­ ten beide von Beitrittsverhandlungen nichts wissen,
zügigkeit ist die Schweiz das einzige Land in Euro­ d. h. nichts mehr wissen, denn wenige Jahre zuvor
pa, das über Plebiszite diesem historischen Erweite­ waren sie doch sehr dafür. 1991 hatte sich die CVP
rungsvorgang zugestimmt hat. für Verhandlungen im Hinblick auf einen schnellen
Beitritt ausgesprochen, und 1998 hatte sie dies er­
Der EU-Beitritt neut euphorisch bekräftigt. 1995 sprach sich eine
Dem EU-Beitritt stehen aus Sicht der Integrations­ knappe Mehrheit der FDP-Delegierten für einen EU­
gegner in der Schweiz drei klassische Einwände Beitritt aus. 1998 sahen Exponenten der FDP die
entgegen: die Neutralität, der Föderalismus und Schweiz sogar bereits im Jahre 2007 in der EU. Im
die direkte Demokratie. Die Neutralität bildete in Oktober 2010 hingegen wurde erneut von den De­
der 1950er-Jahren sozusagen das Haupthindernis legierten mit 91% der Beitritt als strategisches Ziel
für eine europäische Integration (wie in den Vorbe­ aus dem Parteiprogramm wieder gestrichen, 77 %
halten gegen die Europarats-Mitgliedschaft sichtbar waren auch gegen einen EWR-Beirtitt.
geworden, s. o.). In dem Maße, wie die Neutralitäts­ Der Bundesrat lehnt es zwar nach wie vor ab, das
rücksichten redimensioniert und um 1990 auf den eingefrorene Beitrittsgesuch von 1992 zurückzuzie­
Kerngehalt zurückgenommen wurden, avancierte die hen, er hat aber bereits in seiner Klausur vom 26. Ok­
Rücksicht auf die direkte Demokratie zum Hauptar­ tober 2005 das „strategische Ziel des EU-Beitritts"
gument. Das Föderalismushindernis behielt dagegen aufgegeben und sieht im Beitritt nur noch eine „län­
eine mittlere Bedeutung und wurde noch gegen das gerfristige Option" wie im Falle anderer Varianten
Sehengen/Dublin-Assoziationsabkommen ins Feld auch. Die Regierung bekennt sich in seiner Stellung­
geführt, weil es die kantonale Polizeihoheit hätte nahme vom September 2010 eindeutig zum bilate­
tangieren können. Vorbehalte gegen EU-Standards ralen Weg: ,,Unter den aktuellen Gegebenheiten ist
entspringen auch der Rücksicht auf die kantonale der Bundesrat der Ansicht, dass der bilaterale Weg
Steuerhoheit und insbesondere der wettbewerbsver­ dazu geeignet bleibt, die Interessen der Schweiz in
zerrenden Holding-Besteuerungen (vgl. Kap. ,, Wirt­ Europa zu wahren, nämlich ihre Handlungsfreiheit,
schaft/Steuersystem, Steuerpolitik und Standortför­ ihren Wohlstand und ihre Werte zu erhalten. In Bezug
derung"). auf die grundsätzliche Ausrichtung der Europapolitik
Die Schweizer Regierung rechnete in ihrem 1988 soll die Schweiz ihr aktives und solidarisches Enga­
publizierten Integrationsbericht aus, wie groß die gement zur Lösung der gemeinsamen Probleme des
Einbuße an direkter Demokratie gewesen wäre, Kontinentes fortsetzen" (Bericht des Bundesrates
wenn die Schweiz - anstatt sich mit dem Freihan­ über die Evaluation der schweizerischen Europapoli­
delsvertrag von 1972 zu begnügen - damals der EG tik vom 17. Sept. 2010). Die Konferenz der Kantone
beigetreten wäre: Über 400 Beschlüsse der Jahre sprach sich mit dem Bundesrat für ein vereinfachen­
1973-1987 mit dem Status eines obligatorischen des Rahmenabkommen mit der EU aus.
191

Zusätzlich zu den genannten drei klassischen Ein­ Die weitere Annäherung der Schweiz an die EU
wänden wurde auch der Schutz des schweizerischen bleibt jedoch, gelinde gesagt, ein heikles Thema. Das
Bankgeheimnisses bzw. der Schutz von Fluchtgel­ kann man daran erkennen, dass die Politik diese Fra­
dern aus Steuerhinterziehung und Steuerbetrug zu ge jeweils vor den Wahlen nicht anrühren mag, weil die
einem gewichtigen Argument gegen die EU gemacht. Wahrscheinlichkeit besteht, dass man mit der Befür­
Der auf mehr Transparenz bzw, 1 nformationsaus­ wortung einer weitergehenden Integration in die EU
tausch zielende Druck kam aber nicht von der EU nur Stimmen verlieren könnte. Anderseits schwindet
selbst, sondern von einzelnen Mitgliedstaaten wie mit dem weiter verfolgten Ausbau der EU laufend die
Deutschland, Frankreich und Italien, außerdem aus .Bedeutung der nationalen Souveränität, die man mit
den USA und von internationalen Institutionen wie dem Abseitsstehen doch verteidigen möchte. Es wäre
den G20 und der OECD. Wird einmal das schweize­ an der Zelt und den heutigen Verhältnissen angemes­
rische Bankgeheimnis noch stärker den internatio­ sen, wenn in dem während mindestens elnes guten
nalen Standards angepasst, dürfte ein wesentliches Jahrhunderts (aber auch nicht viel länger) argwöhnisch
Argument gegen die Vollmitgliedschaft hinfällig wer­ auf den Alleingang bedachten Klelnstaat die Einsicht
den. Anderseits spürt die Schweiz Immer wieder, wie an Boden gewänne, dass man Souveränität nicht nur
sehr sie auf eine enge Kooperation mit der EU ange­ im Alleingang verteidigen kann, sondern auch und mög­
wiesen ist. 2009/2010 war dies z.B. bei der in der licherweise sogar besser mit einem Mitgliedsstatus. Die­
Schweiz nur mit Verspätung zustande gekommenen ser Mitgliedsstatus würde es gestatten, die Souveränität
Zulassung der Impfstoffe gegen die Scl1weinegrlppe auf Integrierte und kooperative Weise zu praktizieren -
der Fall. so wie es noch heute die Kantone in der Schwe. iz tun.

Die Schweiz in der Weltwirtschaft ■ Luzius Wasescha

Historische Wirtschaftsstruktur und


frühe Elemente der Handelspolitik
Als sich ,m Jahre 1291 die Urkantone Uri, Schwyz
und U nterwalden zur Eidgenossenschaft verbünde­
ten, waren diese Berggebiete der Zentralschweiz Teil
des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation,
Nicht nur der Durst nach Freiheit, sondern auch wirt­
schaftliche Interessen an Transitgebühren über den
Gotthardpass (Abb. 144), der kürzesten Alpenver­
bindung zwischen Süddeutschland und Italien, die
bereits im 13.Jh. jährlich von 12000 Menschen und
10000 Zugtieren in einem genossenschaflllch orga­
nisl�rten Transportsystem {Säumergenossenschaflen)
genutzt wurde, motivierten den Prozess zur Bildung
der heutigen Schweiz. Am Anfang standen also die
Dienstleistungen.
Von den 41 000 km2 des heutigen Staatsgebiets
der Schweiz ist ein Drittel nutzbar. Wie überall in Eu­
ropa entwickelte sich dort eine Landwirtschaft, die
jedoch nie der ganzen Bevölkerung ein genügendes
Einkommen verschaffen konnte. Neben dem Handel
und dem Transitverkehr wandte sich die damalige
Schweiz. dem Kriegshandwerk zu. Bis 1515 waren
die Armeen der Eidgenossen die schlagkräftigste ln­
fanterietruppe Europas. Dies nahm ein Ende, als in
Marignano der französische König erstmals systema­
tisch Artillerie einsetzte, um sich die Vorherrschaft
in der Lombardei zu sichern. Die Eidgenossen hatten
den technischen Fortschritt verpasst.
In den traditionellen Bauernfamilien war der ältes-
te Sohn für die Übernahme des Hofes auserkoren. Ei­
nige Töchter und Söhne leisteten ihre Dienste in der �
Kirche, viele Burschen wurden Soldaten im Dienste t3

1 Abb.1441 Frühe Verkehrsverbindung zwischen Nord


und Süd: Die Golthard-Passstraße vom heutigen Hos­
pental in Richtung Gott/1ardpass.
fremder Herren. Der Handel mit Dienstleistungen er­ • Als innovationsorientiertes Land erkannte man
gänzte das karge Einkommen aus der Landwirtschaft, sehr früh die Notwendigkeit zum Aufbau eigener
in der Milch- und Fleischwirtschaft im Vordergrund Forschungskapazitäten. Die Gründung der Eidge­
standen. nössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zü­
Die Winter waren lang, und die Forstwirtschaft rich 1855 war ein erster Schritt zur innovativen,
vermochte die Bauern nicht voll zu beschäftigen. So technologieorientierten Industrie, die einen steten
entstand im Osten des Landes zunächst über Heim­ wirtschaftlichen Aufschwung ermöglichte. Daraus
arbeit, dann in Fabriken, eine Textilindustrie und im entwickelte sich auch das Bedürfnis nach einem
Westen, insbesondere im französischsprachigen Jura, starken Schutz des geistigen Eigentums.
die Uhrenindustrie (s. Kap. ,,Wirtschaft/Der Weg der
Schweiz zum Werkplatz, Finanzplatz, Denkplatz und Während sich die Schweiz innenpolitisch stetig
zurück"). Gleichzeitig spezialisierte sich die Bevöl­ befriedete (1891 Integration der katholischen Min­
kerung im Alpenraum auf einzelne Handwerke, wie derheit in das politische System, 1920 1 ntegration
etwa in Graubünden, wo die Engadiner als Zucker­ der Bauernpartei, 1943 der Sozialdemokratie und
bäcker Europa und später die ganze Welt versüßten. der Gewerkschaften), tobten in ganz Europa weiter­
Das Verzascatal im Tessin spezialisierte sich auf das hin Kriege. In der Schweiz konnte sich gleichzeitig
Gewerbe der Schornsteinfeger, die v. a. in Mailand der Finanzsektor stärken, der im 19.Jh. wegen des
ihr Auskommen fanden. Jeweils im Herbst trieben enormen Bedarfs an Infrastruktur entstanden war.
die Bauern aus dem Alpenraum die Jungtiere auf Zürich, Basel, Genf und Lugano wurden immer
die Märkte in Norditalien und kauften sich mit dem mehr von europäischen Kunden genutzt, um ihre
Erlös Vorräte und Hausrat. Zeugen aus jener Zeit, Habe in Sicherheit zu bringen. Mit der Gründung
wie alte Säumerwege und alte Natursteinbrücken, des Roten Kreuzes 1863 legte schließlich Genf den
findet man heute noch z.B. im Averstal (Graubün­ Grundstein für die Schweiz als Gastland zahlrei­
den). Die Handelsströme waren naturgegeben nach cher internationaler Organisationen, insbesondere
Süden orientiert, denn der Weg nach Norden war Genf. Vor diesem Hintergrund präsentiert sich die
durch Moorlandschaften versperrt. Der Greyerzerkäse Schweiz den Herausforderungen des globalen Wett­
wurde nach Vevey gefahren und auf dem Genfersee bewerbs.
westwärts Richtung Frankreich exportiert.
Textilien sind unweigerlich mit Farben verbunden. Die Weltwirtschaft heute
Der Bedarf an Farbstoffen führte in Basel im ausge­ Die Entwicklung des Welthandels seit 1945 gestal­
henden 18.Jh. zur Gründung einer Farbenindustrie, tete sich wie folgt: Von 1945-1970 lag der zentrale
aus der 1804 die erste chemische Fabrik entstand. Strom des Welthandels im Industrieproduktebereich
Bis Mitte des 19.Jh. war die Schweiz 300 Jahre zwischen Nordamerika und Europa (transatlanti­
lang mit sich selbst beschäftigt: 1 nterkonfessionelle scher Handel). Anfang der l 970er-Jahre übertraf
Kämpfe spalteten das Land, autokratische Eliten re­ der Handel zwischen Nordamerika und Asien (trans­
gierten in den meisten Kantonen und hatten wenig pazifischer Handel) erstmals den transatlantischen
Sinn für Innovation, und die napoleonischen Kriege Handel. Seit 2006 ist der Handel zwischen Entwick-
forderten einen enormen menschlichen Tribut. Gegen 1 ungsländern erstmals größer als der Handel zwi­
1820 verarmte das Land, und es herrschte eine Hun­ schen Industrieländern (50,4 %). Da es keine juristi­
gersnot. Der russische Zar leistete eine Nahrungsmit­ sche Definition der Bezeichnung „Entwicklungsland"
telhilfe von umgerechnet 25 000 US$, damit sich die gibt, erachten sich viele Schwellenländer wie Süd­
Eidgenossen in der Ukraine Brotgetreide beschaffen korea, Mexiko, Brasilien und Indien immer noch als
konnten. Entwicklungsländer. China ist heute im Güterbereich
Mit der Mechanisierung und dem Eisenbahnbau hinter der Europäischen Union und vor den USA die
industrialisierte und erneuerte sich das Land. 1848 zweite Handelsmacht und betrachtet sich trotzdem
wurde die heutige Eidgenossenschaft gegründet, kurz als Entwicklungsland.
nach den letzten religiösen Wirren (Sonderbundskrieg Bestand das Kerngeschäft im Güterhandel in
1847, s. Kap. ,,Geschichte und Politik/Geschichte den späten l 940er- und l 950er-Jahren aus Indus­
der Schweiz"). triegütern (Autos, Rohstoffen und Halbfabrikaten),
Die ersten Elemente der Handelspolitik konkreti­ zeichnet sich der heutige Welthandel durch einen
sierten sich: großen Anteil an lnterfirmenhandel aus, in welchem
■ Als rohstoffarmes Land wurden Rohstoffe impor­ die Arbeitsteilung global organisiert wird und von
tiert, verarbeitet und wieder exportiert, weswegen den Rohstoffen bis zum Endprodukt die Grenzen
das Land ein Interesse an niedrigen Importzöllen unzählige Male überschritten werden. Dies ist z.B.
hatte. in der chemischen und in der Automobilindustrie
■ Als exportorientiertes Land hatte die Schweiz In­ der Fall.
teresse am Marktzugang zu anderen Ländern (u. a. Während bis etwa 1990 Maschinenbauer Maschi­
niedrige Zölle der anderen Länder) und an Rohstof­ nen exportierten, werden aufgrund der Automati­
fen. sierung und Weiterentwicklung von Elektronik und
■ Als politisch schwaches Land hatte die Schweiz In­ Informatik heute nicht nur Maschinen, sondern gan­
teresse an vertraglichen Vereinbarungen zur Stär­ ze Systeme gehandelt. Man findet also neben dem
kung der Rechtssicherheit. Investitionsgut „Maschine" zusätzlich auch Dienst-
193

IAbb.1451 WTO in Genf


am Tag der offenen Tür
2010.

leistungen (Wartung, Know-How-Transferl und geis­ Überwachung durch die anderen GATT-Mitglieder
tiges Eigentum (Software, Innovation) (World Trade führen konnte. 1968, 1988 1990 Und 1992 wur­
Organization, World Trade Report 2009. 2010). de diese Gelegenheit von den Partnern der Schweiz
genutzt.
Einbindung der Schweiz in Am 1.Juli 1995 lrat die Schweiz der WTO als
1 nstitutionen der Weltwirtschaft Gründungsmitglied bei, einem Verhandlungsforum,
Die Schweiz ist dem GATT (General Agreement das u. a. die Anwendung der Abkommen aus Welt­
on Tariffs and Trade) 1958 zunächst provisorisch handelsrunden, nationale Außenwirtschaftspolitiken
beigetreten. Das Regelwerk des GATT und der spä­ und die allgemeine Entwicklung des Welthandels
teren Welthandelsorganisation (W TO) in Genf wur­ überwach1 sowie die Integration der Entwicklungs­
de 1945-1948 erarbeitet, stützte sich auf den länder in den Welthandel zu verbessern sucht. Für
Grundsatz der Nichtdiskriminierung und war ur­ die Schweiz fielen mit dem Übergang zur WTO die
sprünglich auf Güter anwendbar, doch waren z. B. Sonderregelungen weg. In der Landwirtschaft galt
die für Entwicklungsländer wichtige Textil- und Be­ nun das Prinzip ,,an der Grenze gibt es nur noch Zöl­
kleidungsindustrie ausgeklammert. Mit der 1986 le", Alle anderen Maßnahmen mussten In lölle um­
lancierten Uruguay-Runde wurden die GAT T-Regeln gewandelt werden, was zu einer sehr hohen Zollbe­
auf Dienstleistungen und geistiges Eigentum aus­ lastung auf Landwirtschaftsprodukten führte. 1991
geweitet. trat die Schweiz dann der Weltbank und dem IMF bei
Die USA stellten bereits Anfang der 1950er-Jahre und übernahm die Zollnomenklatur des l1armonisier­
als Erste fest, dass die Grundprinzipien des GATT ten Systems.
nicht mit ihrer Landwirtschaftspolitik vereinbar Obschon wirtschaftlich gewichtig, ist die Schweiz
waren. Mit der Gründung der Europäischen Wirt­ von vielen umstrittenen Fragen in der WTO nicht be­
schaftsgemeinschaft (EWG) 1957 entstand eine troffen: Sie führt keine aktive Antidumping" und An­
gemeinsame europäische Agrarpolitik, .die ebenfalls tisubventionspolitik; sie hat nur ein einziges Mal in
die Grundprinzipien des GATT ignorierte. Die feh­ einem Streitfall als Klägerin mitgewirkt und auch die
lende Mitgliedschaft der Schweiz in der Weltbank Sonderschutzklausel bei der Landwirtschaft nur ein
und 1m internationalen Währungsfonds (IMF), das einziges Mal angewendet. Mit ihrer bewusst weltof­
Fehlen einer GATT-kompatiblen Zollnomenklatur fenen Außenwirtschaftspolitik stellt sie für ihre Han­
und eine Schweizer Landwirtschaft, die mit hohen delspartner selten ein Problem dar. Die zukünftigen
Zöllen, Mengenbeschränkungen (Kontingenten) und Herausforderungen, die im Welthandelssystem einer
weiteren Maßnahmen vor der ausländischen Kon­ baldigen Regelung bedürfen, werden die Schweiz
kurrenz geschützt wurde, erforderten Sonderlösun­ hingegen tangieren. Dazu gehört die Vereinbarkeit
gen. Das Beitrittsprotokoll der Schweiz vom 1. Au­ von Weltwirtschaftregeln und Sicherung der globalen
gust 1966 sah denn auch eine Sonderregelung für Gouvernanz beispielsweise im Finanz- und Investiti­
die Landwirtschaft vor, die alle zwei Jahre zu einer onssektor.
194

Die Schweizer Strategie im globalen Welthandel für spätere Verhandlungen in der WTO bilden. Sol­
Wichtigster Handelspartner der Schweiz ist die EU che Abkommen sind in der WTO ausdrücklich vor­
(60% Exporte, 77,9% Importe) (SECO, Schweizer gesehen (Art. XXIV GATT und Art. V G ATS) und wer­
Außenhandelsstatistik 2009, www.seco.admin.ch) den im Ausschuss für regionale Abkommen der WTO
und so ist das Verhältnis zwischen Schweiz und EU überprüft.
von größter Bedeutung (s. Kap. ,,Die Schweiz in der
Welt/Schweiz und Europa"). Trotzdem ist der Han­ Kohärenz zwischen der Weltwirtschafts­
del mit außereuropäischen Partnern immer wichti­ politik und der Binnenwirtschaftspolitik
ger geworden. Der Bundesrat verabschiedete 2005 Für ein exportorientiertes Land wie die Schweiz, in
eine auf drei Säulen ruhende außenwirtschaftspo­ der zwei von drei Franken dank der Außenwirtschaft
litische Strategie, die im Folgenden zusammenge­ verdient werden und der Binnenmarkt mit 7, 78 Mio.
fasst wird. Einwohnern (2009) relativ klein ist, macht es kei­
nen Sinn, eine eigene spezifische Wirtschaftspolitik
Marktzutritt und größere Rechtssicherheit zu entwickeln. Die globalen Trends schlagen sich in
Den Errungenschaften bezüglich Marktzutritt und der nationalen Wirtschaftspolitik nieder. Es hat sich
größerer Rechtssicherheit in der WTO kommt größte in der Krise gezeigt, dass die wirkungsvollsten Maß­
Bedeutung zu. Dank der Meistbegünstigung kommt nahmen diejenigen der Handelspartner der Schweiz
die Schweiz wie alle WTO-Mitglieder in den Ge­ waren, die auch neue Aufträge für die Schweizer Ex­
nuss von Verhandlungsvorteilen, die sich andere portindustrie brachten. Ferner braucht die Schweiz
WTO-Mitglieder im Rahmen der WTO gegenseitig Reformen, um die Wettbewerbsvorteile ihrer Wirt­
zusprechen. Seit 1996 wurden allerdings in der schaft zu erhöhen.
WTO keine Verbesserungen erzielt. An der ersten
WTO-Ministerkonferenz wurde ein Informations­ Solidarität mit schwachen Wirtschaftspartnern
technologie- und Zollliberalisierungspaket verab­ Die wirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit
schiedet, doch seither konnte in der WTO keine enthält die folgenden drei Kategorien:
weitere Liberalisierung verabschiedet werden; die ■ Im Rahmen der vertraglichen Beziehungen der
laufende DOHA-Runde stagniert. Das Regelwerk Schweiz zur EU können Projekte in den zehn ost­
der WTO behält jedoch seine Wichtigkeit, weil die und südeuropäischen Ländern finanziert werden,
Schweiz und ihre Handelspartner ihre Handels­ die 2005 EU-Mitglieder wurden. Das Gleiche gilt
politik nach der WTO ausrichten müssen. Damit für Bulgarien und Rumänien, die 2007 der EU bei­
entsteht in diesen Politikbereichen eine gewisse getreten sind.
Konvergenz. In den 1990er-Jahren begannen zahl­ ■ Im Rahmen der Stimmrechtsgruppen der Schweiz
reiche Handelspartner damit, bilaterale und regio­ in der Weltbank und im IMF sowie der Europäi­
nale Freihandelsabkommen auszuhandeln. Diese schen Entwicklungsbank (EBRB, London) werden
haben zur Folge, dass Exporteure aus der Schweiz Projekte für Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan,
auf diesen Märkten schlechter gestellt werden, weil Polen, Serbien, Tadschikistan, Turkmenistan und
sie im Gegensatz zu ihren Konkurrenten noch Zölle Usbekistan finanziert.
bezahlen müssen. ■ Im Rahmen der Freihandelsbeziehungen der
Der Abschluss von Freihandelsabkommen ist des­ Schweiz mit Entwicklungsländern werden handels­
halb eine wesentliche Strategie, um Marktzutritt und relevante Projekte in diesen Ländern unterstützt.
größere Rechtssicherheit für Schweizer Produkte zu ■ Insgesamt wendete die Schweiz 2009 für solche
erhalten. Solche Abkommen handelt die Schweiz Programme 226 Mio. CHF auf (SECO, Bericht zur
normalerweise im Rahmen der Europäischen Freihan­ Außenwirtschaftspolitik 2009, Bern 2010). Ferner
delszone EFTA (bestehend aus Island, Liechtenstein, nimmt sie an multilateralen Programmen teil.
Norwegen, Schweiz) aus. Mit der EU (im Rahmen des
ersten Freihandelsabkommens 1972), den Färöer-In­ Die Schweiz und die europäische Integration
seln (1980) und Japan (2008/2009) verhandelte die Auf die Integration der Schweiz in Europa wird hier
Schweiz bilateral. nicht näher eingegangen - hier sei auf Kapitel „Die
Insgesamt schloss die Schweiz bis heute 22 Ab­ Schweiz in der Welt/Schweiz und Europa" verwiesen.
kommen ab. Sie enthalten meist folgende Kapitel:
Güterhandel und Ursprungsregeln, Handel mit Ag­ Die Schweizer Wirtschaft 2010
rargütern (bilaterale Protokolle), Dienstleistungen, Vierzehnter Exporteur im Bereich der Güter, achter
geistiges Eigentum, öffentliches Beschaffungswe­ Exporteur von Dienstleistungen, größte Patentdichte
sen, Wettbewerb, Investitionsschutz, horizontale und der Bevölkerung pro Kopf, fünftgrößter Finanzplatz
institutionelle Fragen. Ausgangspunkt dieser Ver­ der Welt, weltweit höchste Innovationsleistung. Wie
handlungen sind jeweils die in den WTO-Abkommen schafft die Schweiz das bloß? Zahlreiche Gründe er­
vorhandenen Regeln. Eine Ausnahme bilden die In­ klären diese Leistung, denn in der Schweiz sind die
vestitionen, die - mit Ausnahme der Dienstleistun­ Rahmenbedingungen für die Wirtschaft gut:
gen - im WTO-System noch keine recht! iche Basis ■ politische Stabilität
haben. Aus Schweizer Sicht sind die meisten Prä­ ■ Arbeitsfrieden (Dialog zwischen den Sozialpart­
ferenzabkommen eine Weiterentwicklung des WTO­ nern)
Systems. Sie werden wahrscheinlich die Grundlage ■ lernfähige und lernwillige Bevölkerung
195

■ das berufliche Ausbildungssystem, das die Op­ kaum wahrgenommen wird. Die Veränderungen seit
tion einer Berufslehre mit der Möglichkeit zum 1945 führen dazu, dass die Schweiz nicht mehr so
anschließenden Fachstudium nebst dem akademi­ oft gebraucht wird wie damals. Wenn sich angesichts
schen Bildungsweg anbietet dieser Entwicklungen die öffentliche Meinung in der
■ ein flexibler Arbeitsmarkt Schweiz verstärkt in ein geistiges „Reduit" zurück­
■ positive Begleitung ausländischer Investitionen zieht, wird die Öffnung gegenüber Europa und der
■ wenig Grenzschutz (mit Ausnahme der Landwirt­ Welt nicht erleichtert.
schaft) Mit den Wachstumszonen USA, Südamerika und
■ Kontaktnetz zwischen Wirtschaft, Gewerkschaften Asien konkretisiert sich die Idee einer multipolaren
und Politik Welt. Unter diesen Polen finden Absprachen statt,
■ funktionierende Infrastrukturen weil die USA auch in diesen Regionen wirtschaftlich,
■ soziale Sicherheit politisch und mll ltärlsch stark präsent sind. Europa
■ einige Großbetriebe, die globale Konzerne wurden ist es nicht und droht somit, isoliert zu werden. Da
(Pharma, Chemie, Nahrungsmittel, Banken, Versi­ die EU heute 27 Mitglieder zählt, hat die Kommissi­
cherungen, Seeschifffahrt, Logistik) und zahlreiche on eine gewisse Legitimität, für Europa zu sprechen.
Klein- und Mittelbetriebe, die im Export als Ni­ Dadurch wird die Schweiz ins Abseits gedrängt, da sie
schenplayer und als Zulieferer eine wichtige Rolle als Tell Europas und sogar als Mitglied der EU wahr­
spielen genommen wird, auch wenn sie kefn EU-Mitglied Ist.
■ angenehme Umwelt und überschaubare Städte. In der heutigen Zeit interessieren die Nuancen,
die für die Schweizer lebenswichtig sind, die Großen
Bis in die l 970er-Jahre gehörten diese Vorteile zum dieser Welt nicht. Wenn die Scliwelz dies begreift,
Alleinstellungsmerkmal der Schweiz. Inzwischen kann sie dank den außerordentlichen Leistungen ih­
aber haben andere Länder aufgeholt, auch wenn die rer Wirtschaft und ihrer Arbeitnehmer ihr hohes Ni­
.,Normalisierung" der Schweiz (weg vom „Sonder­ veau halten. Dies erfordert jedoch Mut, Dynamik und
fall") von denjenigen, die nicht ins Ausland reisen, 1 nnovationslust.

Die Schweiz in der Entwicklungszusammenarbeit ■ Matthias Meyer

Sechzig Jahre Aufbau und Wandel Rohstoffabkommen mit Preisstützung, schweizeri­


Seit ihren Anfängen in den l 950er-Jahren erweiterte sche Zollpräferenzen für Entwicklungsländer sowie
und veränderte sich die Entwicklungszusammenar­ die Beziehungen mit regionalen Entwicklungsban­
beit (EZA) wesentlich. Dabei sind drei Phasen zu un­ ken und der Weltbank. Es gab also schon früh zwei
terscheiden: die Gründerjahre, die Aufbaupase und Ausrichtungen der Schweizer EZA, die sich zwar
die Phase nach 1990. ergänzten, jedoch zuweilen miteinander in Konflikt
standen.
Die Gründerjahre 1951 bis 1976
Mangels eigener Kapazität unterstützte das Eidge­ Aufbauphase 1976 bis 1990
nössische Departement fi/r auswärtige Angelegen­ Das Bundesgesetz über die internationale Entwick­
heiten EDA (vormals Eidgenössisches Politisches De­ lungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe (Schwei­
partement) anfänglich private Hilfswerke und techni­ zerische Eidgenossenschaft 1976) und die zugeord­
sche UNO-Organisationen mit finanziellen Beiträgen. nete Verordnung (Bundesrat 1977) schufen die we­
Studenten aus Entwicklungsländern erhielten Stipen­ sentliche, bis heute gültige Orientierungshilfe für die
dien. Der damaligen Deutung der schweizerischen Durchführung der schweizerischen EZA. Sie regelte
Neutralität, dem staatspolitischen Interesse und der vier Wichtige Kernpunkte:
Instinktiven Abneigung gegen globale Organisationen ■ die Aufteilung der Entwicklungszusammenarbeit
In Teilen der Schweizer Bevölkerung entsprechend zwischen DEZA und SECO: Die DEZA (Direktion
wurde weder der Beitritt zur UNO, noch zu den In­ für Entwicklung und Zusammenarbeit) ist für den
stitutionen von Bretton Woods (IWF und Weltbank) Hauptteil der bilateralen Projekthilfe (technische
erwogen. Zusammenarbeit und Finanzhilfe) verantwortlich,
Die Phase der direkten Tätigkeit in Entwicklungs­ aber auch für humanitäre Nothilfe im Falle von
projekten begct1111 erst 1961 mit der Schaffung ei­ Naturkatastrophen und nach bewaffneten Konflik­
nes Dienstes der technischen Zusammenarbeit im ten. Das SECO (Schweizerisches Staatssekretariat
Politischen Departement. Dieser Dienst engagierte für Wirtschaft) ist mit wirtschafts- und handelspo-
sich vordringlich mit Bergländern mit ländlichen 1 itischen Maßnahmen betraut, also der Unterstüt­
Basisprojekten (Wasserversorgung und Käsereien). zung von Entwicklungsländern in ihrer Handels­
1968 gründete dann die Handelsabteilung des und Wirtschaftspolitik sowie der Förderung des
Volkswirtschaftsdepartements einen Entwicklungs­ lokalen Privatsektors. Hinsichtlich multilateraler
dienst mit Fokus auf der Integration der Entwick­ Beziehungen ist das SECO für wirtschafts- und
lungsländer im internationalen Handel. Zu den In­ finanzpolitische Institutionen verantwortlich (Ent­
tegrationsbemühungen zählten die Beteiligung an wicklungsbanken, Weltbank, wirtschaftsbezogene
196

UNO-Organisationen), die DEZA im Bereich jener Hebelwirkung über die bescheidenen Mittel der bila­
UNO-Organisationen, die technische Entwick­ teralen Hilfe hinaus bewirken konnte.
lungshilfe betreiben. Bei wichtigen Entscheiden Nach einer knapp gewonnenen Volkabstimmung
konsultieren sich DEZA und SECO. trat die Schweiz 1992 dem IWF und der Weltbank­
■ die Zielsetzung der schweizerischen EZA: Im Vor­ gruppe bei, wo sie im Exekutivrat permanent eine
dergrund standen seit den l 970er-Jahren die Ar­ Stimmrechtsgruppe leitet, der osteuropäische und
mutsbekämpfung sowie die ärmeren Entwicklungs­ zentralasiatische Länder angehören. Damit wur­
länder und -regionen, wobei der Hilfe zur Selbsthil­ de auch Zentralasien zu einem neuen regionalen
fe und dem ökologischem Gleichgewicht eine hohe Schwerpunkt der bilateralen Ostzusammenarbeit.
Priorität zukam. Diese und ähnlich zusammengesetzte Stimmgrup­
■ Rahmenkredite als Erweiterung des Handlungs­ pen verliehen der Schweiz in der gleichzeitig ge­
spielraums der EZA: Der Bundesrat erhielt mittels gründeten Entwicklungsbank für Osteuropa und
parlamentarisch bewilligter, mehrjähriger Rahmen­ Zentralasien und im Globalen Umweltfonds ein er­
kredite Spielraum zur Planung und Durchführung hebliches institutionelles Gewicht. 2002 schließlich
von EZA. Diese Beiträge figurieren im jährlichen trat die Schweiz nach einem knappen Sieg im Volks­
Staatshaushalt und unterliegen den üblichen referendum auch der UNO bei, was nach der spekta­
Ausgabenkontrollen. Grundlage für solche Pau­ kulären Abstimmungsniederlage von 1986, bei der
schalzuweisungen sind sog. Botschaften an das 76 % der Stimmbürger und alle Kantone gegen den
Parlament, in denen konkrete Entwicklungsziele, Beitritt gestimmt hatten, von vielen nicht erwartet
Projektarten und Instrumente beschrieben werden. worden war.
■ die Schaffung eines verwaltungsinternen Koordi­
nationsorgans und einer beratenden Kommission Gute Regierungsführung
für Entwicklungsfragen: Mitglieder der Kommissi­ Mit dem Fall der Berliner Mauer verlor Entwicklungs­
on sind sowohl Parlamentarier als auch Vertreter hilfe als Allianz gegen den Kommunismus ihren Stel­
von lnteressensgruppen für Entwicklungsfragen lenwert. Vorher hatten sich die multilateralen Institu­
(Arbeitgeber, private Hilfswerke, Universitäten, Ge­ tionen auf wirtschaftliche und soziale Unterstützung
werkschaften, Journalisten). Der Kommission wer­ der Entwicklungsländer beschränkt und Fragen der
den Reformvorschläge in einzelnen Gebieten, neue guten Regierungsführung, einschließlich der Kor­
1 nterventionsformen, internationale Beurtei Iungen ruption, im Namen der nationalen Souveränität aus­
der Schweizer Hilfe und Evaluationen der vergan­ geklammert. Jetzt wurde es möglich, die Effizienz
genen Tätigkeit vorgelegt. der staatlichen Einrichtungen, einschließlich seiner
demokratischen Verankerung und rechtsstaatlichen
Diese vier Regelungen erlaubten einen starken Aus­ Ausrichtung zu unterstützen. Auch die Schweizer
bau der Entwicklungsaktivitäten beider Bundesäm­ EZA befasste sich jetzt mit Themen wie
ter, also der DEZA-Direktion für Entwicklungszu­ ■ der Stärkung demokratischer und rechtsstaatlicher
sammenarbeit und des SECO-Staatssekretariats für 1 nstitutionen,
Wirtschaft. Der Kern des DEZA-Mandates umfasste ■ guter Regierungsführung (good governance),
ursprünglich v.a. Projekte mit Kleinbauern, Hand­ ■ der Reform der öffentlichen Verwaltung,
werkern und Kleinindustriellen, ferner soziale Dienst­ ■ der Schaffung und Unterstützung dezentraler
leistungen und Infrastruktur. Das SECO hingegen Strukturen und
unterstützte Entwicklungsländer bezüglich Schulung ■ der Förderung privater Eigentumsrechte, unabhän­
und Beratung im Außenhandel, Zugang lokaler Un­ giger Gerichte und der Einhaltung der Menschen­
ternehmen zu Finanzierung und Investitionen sowie rechte durch den Staat (z.B. humane Gefängnisse,
Projekte in der Wirtschaftinfrastruktur. Mit der Über­ Arbeitsrechte).
schuldung und Stagnation vieler Entwicklungsländer
in den l 980er-Jahren ging das SECO - wie auch die Neue Ostzusammenarbeit und Migrationspolitik
Weltbank und der IWF - dazu über, Strukturanpas­ Staatsreformen waren v. a. in den neuen Demokrati­
sungs- und Zahlungsbilanzhilfe (spätere Budget­ en Osteuropas, des Balkans, des südlichen Kaukasus
hilfe) zu leisten und Entschuldungsprogramme zu und Zentralasiens erforderlich. Die seit den 1990er­
finanzieren. Jahren betriebene Ostzusammenarbeit der Schweiz
fokussiert nebst der nachhaltigen Entwicklung auch
1990 bis heute: neue Horizonte auf der Förderung von Rechtsstaatlichkeit, Demokra­
tie und Menschenrechten sowie Stabilität und Si­
Verstärkung der multilateralen Hilfe cherheit in der europäischen Nachbarschaft.
Die Schweiz gab der bilateralen EZA stets den Vor­ Eine weitere Rolle spielt aber auch das außen­
rang vor multilateralen Kanälen. Die multilaterale wirtschaftliche Interesse am Wachstum osteuropäi­
Hilfe beschränkte sich auf die Beteiligung an drei scher Märkte sowie die Migrationsbewegung aus dem
regionalen Entwicklungsbanken und verschiedenen südöstlichen Europa (Bundesrat 2006: Botschaft
UNO-Einrichtungen. Dies entsprach jedoch nicht über die Weiterführung der Zusammenarbeit mit
dem langfristigen Interesse des Kleinstaates Schweiz, den Staaten Osteuropas und der GUS vom 15.De­
der über seine Einflussnahme auf Entwicklungspoli­ zember 2006). Migrationspolitik ist seither Teil der
tik und Projekte multilateraler Organisationen eine schweizerischen EZA. Über die DEZA können Ent-
197

- Schwerpunktländer und -regionen (DEZA und SECO)


D Sonderprogramme (DEZA)
188;1 ab 2012 kein Schwerpunktland mehr

wicklungsbedingungen in den Ursprungsländern von schenrechte des EDA (Eidgenössisches Departement 1 Abb. 146 I
Schwerpunkt­
Arbeitsmigranten verbessert und es kann ein Beitrag für auswärtige Angelegenheiten) oft, aber nicht im­ länder von DEZA und
zur Integration von Rückkehrern geleistet werden. mer in den gleichen Ländern wie die Sonderprogram­ SECO und Sonder­
programme der DEZA.
Über das Entwicklungsbudget des Bundes werden me. Dazu zählen u. a. die Förderung von Dialog und
heute zudem auch Ausgaben für Asylsuchende in der Mediation zwischen Konfliktparteien, die Hilfe bei
Schweiz verbucht. Vergangenheitsbewältigung und Wiedergutmachung
nach schweren Menschenrechtsverletzungen sowie
Fragile Staatlichkeit die Unterstützung von Wahlprozessen. Ein schwei­
Eng verbunden mit dieser neuen „politischen" Aus­ zerischer Expertenpool steht für Einsätze im Ausland
richtung hat die DEZA eine Reihe von Sonderpro­ zur Verfügung. Die Beteiligung von Schweizer Sol­
grammen in Staaten und Sub-Regionen lanciert, in daten an internationalen Friedenaktionen (.,militäri­
denen die Bevölkerung unter einer schwachen Regie­ sche Friedensförderung") vervollständigt die zivilen
rungsführung leidet (.,fragile Staatlichkeit"), Minder­ Aktionen.
heiten und marginale Gruppen benachteiligt werden,
bewaffnete Konflikte schwelen oder die Verletzlich­ Umweltschutz in Entwicklungsländern
keit gegenüber Epidemien und Naturkatastrophen Seit dem Umweltgipfel in Rio de Janeiro 1992 wur­
groß ist (Abb.146). Die Ursachen der Instabilität den Umwelt- und Klimaschutz sowie die Anpassung
oder der möglichen Katastrophen werden identifi­ an den Klimawandel in armen Entwicklungsländern
ziert, um dann Projekte durchzuführen, welche die ein Schwerpunkt der schweizerischen EZA. Das
politischen Spannungen oder die Auswirkungen von Bundesamt für Umwelt BAFU ist hierbei für multi­
Naturkatastrophen und Epidemien nachhaltig ent­ laterale Aspekte zuständig, z.B. die schweizerische
schärfen sollen. Beteiligung am Globalen Umweltfonds, der Projekte
in Entwicklungsländern finanziert. SECO und DEZA
Friedensförderung und Wahrung der Menschenrechte konsultieren das BAFU, wenn sie sich an Projekten
Ergänzend zur humanitären Hilfe und zu den Son­ mit speziellen Umweltaspekten beteiligen, was häu­
derprogrammen der DEZA laufen Maßnahmen zur fig vorkommt. Hauptaktivität des BAFU auf interna­
zivilen Friedensförderung und Stärkung der Men- tionaler Ebene sind jedoch die Verhandlungen bei
198

Öffentliche ■ Neben den Hauptträgern der Schweizer EZA - der


Entwicklungshilfe DEZA und dem SECO - haben weitere Bundestei­
in der Schweiz len Verantwortung für Teile der EZA übernommen:
in Mio. CHF das Bundesamt für Umwelt, die politische Abtei­
lung IV des EDA (menschliche Sicherheit), das
APD** 15,1 423,1 1510,9 2503,9 2393,2 Bundesamt für Migration und das Departement für
Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (mili­
Bund 15,1 416,7 1488,6 2460,0 2348,2
tärische Friedensförderung).
Kantone und
6,4 22,3 43,9 45,0
Gemeinden Die Schweizer EZA
Bruttonational- im internationalen Vergleich
37066 177 270 450 327 557 495 588 020
einkommen (BNE)*
finanzielles Engagement
APD** in % des BNE 0,04% 0,24% 0,34% 0,45% 0,41%
Tab. 32 zeigt, dass die öffentliche Entwicklungshil­
APO** in % der Aus- fe der Schweiz von 15, 1 Mio. CH F im Jahre 1960
0,56% 2,38% 3,21% 4,30% 4,04%
gaben des Bundes auf 2393,2 Mio. CHF im Jahre 2010 gestiegen ist.
APD** in % der öf- Dies entspricht 0,41 % des schweizerischen Brut­
0,23% 0,90% 1,22% 1,71% 1,60% tonationaleinkommens (BN E), 4,04 % der Bundes­
fentlichen Ausgaben
ausgaben und 1,60 % der öffentlichen Ausgaben
private Spenden
106,6 272,0 380,9 der gesamten Schweiz. DEZA und SECO machten
der NG0s
2009 59,2% der öffentlichen Entwicklungshilfe aus
private Spenden der (2007: 75%). Das Bundesamt für Migration steu­
0,06% 0,06% 0,07%
NGOs in % des BNE erte 15,2 % bei (2009), das EDA 2,6 %, das Eid­
• BNE seil 1995, BSP für die frOheren Jahre, Bis 2006 definitive Zahlen, provtSOn!.,he für 2007 und 2008 genössische Departement für Verteidigung, Bevölke­
(Bundesamt lllr Statistik). FOr 2009 Sch31wng der Eidgenössischen Finanzv !Wallung (März 2010), rungsschnutz und Sport VBS 1,84 %, Kantone und
„APD, ak)e publlque au dil11eloppentent
Gemeinden 1,7 % (DEZA/SECO 2010: Öffentliche
1 Tab. 32 I Entwicklung der öffentlichen Entwicklungshilfe (APO) und der privaten Entwicklungshilfe (APO) der Schweiz). Bilaterale
Spenden der NGOs der Schweiz 1960, 1980, 2000, 2009 und 2010. öffentliche Entwicklungshilfe macht 76 %, multila­
terale 24 % aus (2009). Die bilaterale öffentliche
Umweltabkommen und die schweizerische Beteili­ Entwicklungshilfe der Schweiz fokussiert auf Afrika
gung an deren Durchführung. Da diese Abkommen und Asien (2009: 41 % des Totals), während 14 %
oft auch für Entwicklungsländer von großer Bedeu­ der bilateralen Hilfe Lateinamerika und Europa zu­
tung sind - so z.B. die Vereinbarungen über Klima, kamen.
Biodiversität sowie den Transport und die Lagerung Die Schweiz liegt bezüglich des Volumens ihrer öf­
toxischer Abfälle - ist dieses Bundesamt zu einem fentlichen Entwicklungshilfe im Mittelfeld der Indus­
weiteren Träger der Schweizer Entwicklungspolitik trieländer: Mit einem Beitrag von 0,41 % des BNE
geworden. 2010 lag sie an 12. Stelle der 22 OECD-Staaten,
die im Entwicklungsausschuss dieser Organisati­
Die heutigen Felder der Schweizer EZA on ihre Entwicklungszusammenarbeit koordinieren
Zusammengefasst ist der Einflussbereich der Schwei­ (Abb. 147). Nur sieben kleine und teils einkommens­
zer EZA heute viel umfassender als zur Zeit des Ent­ schwache OECD-Länder trugen 2008 in absoluten
wicklungsgesetzes von 1976: Zahlen weniger bei als die Schweiz, eines der reichs­
■ Mit dem Beitritt zu den hauptsächlichen multilate­ ten Länder der OECD.
ralen Organisationen der Entwicklungsfinanzierung
und der UNO ist die Schweiz jetzt an der global am Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe
meisten ins Gewicht fallenden multilateralen EZA Die Länder der Europäischen Union haben sich dazu
und der damit einhergehenden Harmonisierung der verpflichtet, ihre Leistungen bis 2010 auf 0,56 %,
Hilfe beteiligt. und bis 2015 auf die Richtzahl der UNO von 0,7%
■ Neben der traditionellen technischen und finanzi­ des Bruttonationaleinkommens (B NE) zu erhöhen.
ellen Unterstützung im wirtschaftlichen und sozi­ Obwohl die USA proportional am wenigsten beitra­
alen Aufbau und in der Katastrophenhilfe sind der gen, nehmen sie strategische außenpolitische Ver­
Schutz natürlicher Ressourcen, die Effizienz staat- pflichtungen für die Staatengemeinschaft auf sich.
1 icher Institutionen, die Verhinderung und Stabi- Die Schweiz kann dergleichen nicht geltend machen
1 isierung von Konflikten, menschliche Sicherheit und steht unter internationalem Druck, die öffent­
und die Friedensförderung zu neuen Interventions­ liche Entwicklungshilfe zu erhöhen. Die Schweizer
feldern geworden. EZA wird alle vier bis fünf Jahre vom Entwicklungs­
■ Diese thematische Erweiterung und der Einschluss ausschuss der OECD einer Prüfung unterzogen, zu­
in die EZA von Osteuropa und Zentralasien haben letzt 2009 (OECD 2009). Obwohl der Schweiz gene­
zu einer starken Zunahme der Partnerländer der bi­ rell eine gute Qualität ihrer Leistungen, Armutsorien­
lateralen EZA geführt, trotz wiederholter Versuche, tierung und Innovation attestiert wird, gibt es an der
die Anzahl der Schwerpunktländer zu reduzieren Effizienz und Verwaltung der Schweizer Hilfe, wie im
(Abb. 146). Folgenden dargelegt wird, Kritik.
Die Schweiz in der Entwicklungsz.usamme.nar 199

Die Entwicklungszusammenarbeit tigen Investitions- und Kooperationspartner in Afri­


im Widerstreit der Meinungen ka, eine Renaissance.
Die Entwicklungswelt hat sich insgesamt dahinge­ ■ rechtspopulistische Kritik: Die rechtspopulistische
hend positiv verändert, dass es heute erfolgreiche Kritik in Industrieländern pflegt EZA grundsätzlich
Staaten gibt, deren Pro-Kopf-Einkommen mit denje­ als Verschwendung öffentlicher Mittel zu brand­
nigen von Industrieländern konvergiert. Dies betrifft marken. Hilfe sei ineffizient, weil sie von korrupten
auch einige der ärmsten Länder in Afrika und Asi­ Herrschern für deren Zwecke missbraucht werde.
en, deren Investitionen und Wachstumsraten sich Stattdessen sollten Vorbedingungen für Hilfe ge­
in den letzten fünf bis zehn Jahren massiv erhöht stellt werden, z.B. in Bezug auf gute Regierungs­
haben. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten investie­ ausübung und Rechtsstaatlichkeit.
ren auch arme, kleine Länder, die hauptsächlich
Rohstoffe exportieren, wieder in industrielle Pro­ Das Spektrum der Kritik ist auch in der Schweiz in
duktion und moderne Dienstleistungen. Die Armut den Medien präsent, jedoch hat sich in der Bun­
hat weltweit abgenommen. Allerdings war die EZA despolitik über alle Parteien hinweg ein Konsens
nie ein Hauptfaktor solcher Entwicklungen. Ent­ zugunsten von EZA herausgebildet, auch wenn vie­
scheidend waren der Wille und das Organisations­ le glauben, dass Armut nicht überwunden werden
geschick lokaler wirtschaftlicher und politischer könne (OECD 2009: 32). Meinungen gehen v. a. bei
Leistungsträger beim Aufbau moderner und demo­ Fragen der Motivation und Qualität der Hilfe ausei­
kratischer Institutionen. In etwa 50 fragilen und nander: Es gibt einen Konsens, dass die Solidarität
kleinen Staaten haben sich allerdings die Lebens­ mit Entwicklungsländern und den ärmsten Schich­
bedingungen nur ungenügend verbessert oder sogar ten ihrer Bevölkerung das Hauptmotiv für EZA ist.
verschlechtert. Allerdings scheiden sich die Geister an der Frage,
Entwicklungszusammenarbeit ist in Industrielän­ ob Entwicklungshilfe auch schweizerischen wirt­
dern zwar eine Konstante der Außenpolitik, war aber schaftlichen Interessen nützen soll oder darf. Ein
nie unumstritten. Carbonnier (2010) fasst die Kritik konkretes Beispiel war in den 1970er-Jahren die
folgendermaßen zusammen: Diskussion darüber, ob Mischkredite zur Exportför­
■ neoliberale Kritik: Hilfen verzerren den Markt und derung genutzt und Güter- bzw. Dienstleistungsbe­
reduzieren Produktionsanreize für Unternehmer, schaffung in Entwicklungsprojekten an schweizeri­
blähen ineffiziente Staatsbürokratien auf, unter­ sche Quellen gebunden werden sollten, wie es heute
stützen Machthaber und verhindern Reformen. noch teilweise in der Ostzusammenarbeit gängig
Auch aus Afrika mehren sich die Stimmen, die für ist. Diese zu Recht nicht konsensfähige Nutzung
mehr Markt und Unternehmertum und weniger Hil­ von EZA ist nicht mit der Tatsache zu verwechseln,
fe plädieren (Moyo 2009). dass die schweizerische EZA, selbst wenn sie nicht
■ Dependenzthese: Hilfe schafft Abhängigkeiten ar­ an schweizerische Leistungen gebunden ist, wichti­
mer Länder von den Geberländern und nützt v. a. ge Auswirkungen auf die Nachfrage in der Schweiz
deren multinationalen Unternehmen zur Erweite­ zeigt. Laut Carbonnier (2009) induzierte jeder 2006
rung ihrer Wirtschaftsmacht und Marktpräsenz. für EZA ausgegebene Franken in der Schweiz eine
Diese marxistische These aus den l 960er-Jahren geschätzte direkte und indirekte Nachfrage zwischen
erfährt heute angesichts China, einem neuen wich- 1,4 und 1,64CHF. Demnach zeigt sich auch ohne

IAbb.147I Die Schweiz


1,2 im internationalen Ver­
1,JO 11/9 gleich 2010 (APO in %
1,1
des BNE; APO: öffentliche
1,0 0,97
Entwicklungshilfelaide
0,9
0,90 publique au developpe­
o.u ment).
0,8
Zielvorgabe der UNO: 0,7%
0,7
0,64
0,6
0,56 0, 55 il,5!
o,so durchschnittliche Leistung der Mitgliedsländer des DAC: 0,49 %
0,5
0,,13
0,41

·1 ._., , . .
0,4 0,38
o,�1 0,32 0,32 0,32
0,29
0,3

1
0,26 0,21
0,2

11 °1
0,1
200

Lieferbindung langfristig eine positive Wirkung auf Umfang von 1,7 Mrd.CHF zwischen 2003 und 2010
die Exporte des Ursprungslandes in das begünstigte an die Regierungen von allein sechs Entwicklungs­
Entwicklungsland. ländern sowie eine Gesetzesänderung, die „Lex Duva­
Ein Missverständnis gilt es auszuräumen: Ent­ lier" von 2011, wonach die Regierung in Bern Gutha­
wicklungspolitische Kreise in der Schweiz machen ben ehemaliger ausländischer Machthaber beschlag­
manchmal einen Unterschied zwischen guter Hilfe, nahmen und ohne Gerichtsurteil an deren Länder
nämlich jener, welche direkt armutsbezogen ist und zurückgeben kann. Zudem wurden in der Bundesver­
von der DEZA geleistet wird, und weniger guter, der waltung Arbeitsgruppen geschaffen, die sich mit Ent­
des SECO, welche sich wirtschaftlicher Prozesse, wicklungsaspekten im Welthandel, in der Forschung,
der Infrastruktur und privaten Produktion annimmt in Klima- und Energie- sowie Korruptionsfragen und
(Laubseher 2010). Sicher ist, dass in armen Län­ der Süd-Nord-Migration befassen. Verwaltungsinterne
dern, deren Zukunft von Produktions- und Exportstei­ Abkommen wurden verabschiedet, so z.B. bezüglich
gerung abhängt, beides gebraucht wird. Wirtschaft­ der Gesundheitsaußenpolitik (grenzüberschreitende
liche Zusammenarbeit ist also für die Verminderung Dimension von Gesundheitspolitik und Zugang zu
der Armut genauso relevant wie andere Maßnahmen lebensnotwendigen Medikamenten). Erforderlich wä­
der Entwicklungszusammenarbeit. Armutsbezogene ren aber zum einen verbindliche Regeln, welche die
Wirkungen ergeben sich sowohl durch die unterstütz­ verwaltungsinterne Prüfung der Kohärenz an wich­
te Aktivität, z.B. die Förderung von Kleinunterneh­ tigen Schnittstellen zwischen Entwicklungspolitik
men, als auch durch die Umverteilungs- und Sozial­ und anderen Politiken einfordern, und zum anderen
politik der Regierung, die nur dann nachhaltig sein bräuchte es auch eine hochrangige Stelle in der Bun­
kann, wenn sie sich auf eine expandierende, arbeits­ desverwaltung, die für solche Evaluationen zuständig
intensive Wirtschaft stützt. wäre. In Norwegen, Finnland, Schweden und den
In der Schweiz besteht noch immer ein verkrampf­ Niederlanden, die zu den wenigen Ländern gehören,
tes Verhältnis zu multilateralen Organisationen. Mit die ihr Soll an öffentlicher Entwicklungshilfe nach
dem Argument fehlender Transparenz und zweifel­ UNO-Maßstäben erfüllen, sind solche Instanzen be­
hafter Effizienz hat das Parlament im jetzt laufenden reits am Werk.
Rahmenkredit für EZA im Süden ein Dach für multi­
laterale Ausgaben von 40 % eingefügt (OECD 2009: Unvollendete Reformen
33). In den letzten Jahren hatten sich die multila­ Die zweiköpfige Organisation der schweizerischen
teralen schweizerischen Leistungen auf etwa einem Entwicklungszusammenarbeit (DEZA und SECO, die
Viertel der Gesamtausgaben eingependelt, einem jeweils von verschiedenen Bundesräten geführt wer­
noch kleineren Anteil als in früheren Dekaden. Hier den) war immer kontrovers und wurde mehrmals in
ist noch viel Aufklärungsarbeit vonnöten. der Geschichte der EZA infrage gestellt, überprüft,
um dann doch wieder bestätigt zu werden. 2008
Die Herausforderungen der Zukunft wurde die bisher letzte Reform mit drei Neuerungen
Bei der Schweizer EZA sind mehrere Aspekte ver­ beschlossen:
besserungswürdig. Einerseits sollte das Volumen der ■ Gemeinsames Auftreten: Die Rahmenkredite beider
EZA im Einklang mit der UNO-Zielvorgabe erhöht Amtsstellen für die Zusammenarbeit mit Südlän­
werden, andererseits müsste sowohl die Kohärenz dern wurden einer gemeinsamen Strategie unter­
der schweizerischen Süd- und Ostpolitik wie auch stellt. Diese Neuerung macht deutlich, dass beide
deren Qualität gesteigert werden. Ämter, obwohl in verschiedenen Sektoren und Län­
dern tätig, dieselben Ziele verfolgen.
Kohärenz ■ Bündelung der Kräfte und Effizienzsteigerung der
Der Bundesrat formulierte bereits 1994 im Leitbild Mittel: Die Anzahl der Schwerpunktländer der EZA
Nord-Süd die Vision einer kohärenten Südpolitik. wird verringert, gleichzeitig dem Koordinationsbü­
Dabei handelte es sich darum, dass z.B. Handels-, ro in den Empfängerländern mehr Verantwortung
Investitions- und Steuerbeziehungen der Schweiz mit übertragen und der Richtwert für den Minimalein­
Entwicklungsländern den Zielen dieser Länder, die in satz von Mitteln in diesen Ländern bestimmt, um
gewissen Fällen auch über die EZA unterstützt wur­ die geographische Verzettelung der Hilfsgelder zu
den, nicht zuwiderlaufen (DEZA 1994), und ferner unterbinden.
ging es darum, ein faires Handels- und Finanzsys­ ■ Trennung der Schwerpunktländer von DEZA und
tem, einen zoll- und quotenfreien Marktzugang für SECO: Während sich die DEZA weiterhin mit den
Exporte der am wenigsten entwickelten Länder und ärmsten Ländern befasst, konzentriert sich das
die Verfügbarkeit von erschwinglichen Basismedika­ SECO nun auf eine kleine Anzahl von Entwicklungs­
menten zu ermöglichen. Diese Kohärenz wird nicht ländern mittleren Einkommens (z.B. in Afrika aus­
nur im Rahmen der OECD, sondern auch innerhalb schließlich auf Ägypten, Ghana und die Südafrika­
der UNO-Millennium development goa/s eingefordert. nische Republik).
Allerdings wurde die Vision einer kohärenten Süd­
politik in der Schweiz bisher nur in kleinen Bruchstü­ Die Zielerreichung der Reform darf aus mehreren
cken umgesetzt. Der wohl spektakulärste Erfolg ist Gründen bezweifelt werden:
die Rückgabe der von Machthabern gestohlenen und ■ Eine Hauptursache für die Verzettelung der bila­
auf Schweizer Banken gelagerten Staatsgelder im teralen Hilfe der Schweiz liegt in der Auslagerung
Die Schweiz in der Entwicklungszusan,rrren_arbelt 201

von Projekten an Dritte: Die DEZA gibt Beiträge an gegangen werden. In diesem Sinne sind Richtlinien
Programme der v. a. privaten NGOs der Schweiz für die minimale Höhe des 'finanziellen Beitrags an
und delegiert einzelne Projekte an sie. Ein Teil die­ einzelne Länder begrüßenswert. Diese Schwerpunkte
ser Gelder geht so naturgemäß an andere als die sollten jedoch stärker als bisl1er von der Nachfrage
definierten Schwerpunktländer. Das SECO wieder­ der Entwicklungsländer selbst nach schweizerischen
um hat selbst nicht genügend Personal, um Projek­ Qualitätsleistungen und der Harmonisierung bzw.
te eigenständig durchzuführen und greift daher auf Bündelung der Leistungen aller Geberländer abhän­
multilaterale technische Organisationen zurück. gen. Entschieden werden sollte, auf welchen Gebie­
■ Diese Projekte sind teils regional oder beinhalten ten die Schweiz qualitativ hoch stehende Dienstleis­
in erster Linie Beiträge an Programme der multi­ tungen anbieten und wie sie diese in die Hiltsverte1-
lateralen Partner. Es ist anzunehmen, dass die lung an Entwicklungsländer einbringen kann. Anstatt
Anzahl derartiger Projekte mit der Abnahme der sich weiterhin z. B. In Afrika auf wenige erfolgreiche
Schwerpunktländer zunehmen wird, während de­ Reformländer zu konzentrieren, sollte die Bereitschaft
ren Wirkung punktuell bleiben könnte. für Bündnisse auch mit neuen afrikanischen Partnern
■ Die Relmm betrifft nur einen Tell der Südkoopera­ gestärkt werden.
tion, aber weder die Sonderprogramme in lragilen
Staaten und Subregionen, die mittelfristig nicht Stärkere Biindelung der Hilfe mit a11dem Gebern
abnehmen, noch die Ostzusammenarbeit. Eine solcl1e Akzentsetz�1ng müsste auch bedeuten,
■ Die Trennung der Schwerpunktländer von DEZA dass sich die Schweiz stärker als bisher an regionalen
und SECO erhöht die Anzahl der Empfängerländer Programmen und multilateralen Institutionen beteili­
und leistet der Verzettelung Vorschub. Diese Tren­ gen würde, in denen Methoden entwickelt und Hilfe
nung ist weder von der Sache her gerechtfertigt auf den Gebieten geleistet wird, wo schweizerische
noch ist sie Im Sinne des Entwicklungsgesetzes Expertise besteht(z. B. in Bergländern, insbesondere
von 1976, das eine Priorität aLJf Armutsbekän1p­ im Bereich der Wasserversorgung und Erschließung
fung und eben nicht auf Länder mit mittlerem Ein­ im ländlichen Raum). Die Schweiz müsste ihre Stel­
kommen setzte. Gerade jetzt, wo arme und ärmste lung in multilateralen Organisationen ausbauen und
Länder wieder Zugang zu Investitionen gefunden 1hr entwicklungspolitisches Wissen einbringen. Der­
haben und Ihre wirtschaftliche Regierungsführung zeit ist die fachliche Unterstützung der Schweizer
sich verbessert, wäre die wirtschaftliche und han­ Vertreter In diesen Organisationen nicht optimal.
delspolitische Zusammenarbeit des SECO mit be­
sonders armen Ländern vordringlich. Ver/Jesserung von Qualität und Zie/errelc/11mg
Damit die schweizerische EZA in ausgewählten Spar­
Die Schweiz als Niscllenanbieterfn ten einen besonderen Beitrag leisten kann, braucht
Die Prüfung eines neuen Ansatzes ware lohnens­ sie Experten, die Felderfahrung haben und gleich­
wert. Da das Volumen der Schweizer EZA internati­ zertig fachliche Kompetenz In den Kerngebieten der
onal gesehen sehr klein Ist, sollte sie sich auf ihre schweizerischen EZA mitbringen. Damit Erfahrung
Stärken beslnhen und ihre „komparativen Vorteile'' und Wissen langrrlstig gesichert werden, müssen die
ausspielen. So hat die DEZA beispielsweise in der entsprechenden Bedingungen geschaffen werden.
Unterstützung von Kleinbauern der ärmsten Länder Hier besteht Verbesserungsbedarr.
und der ländlichen Infrastruktur über lange Zeit viel Die Herausforderungen an die Schweizer EZA, ih­
Erfahrung gesamrnell und sowohl mit Sonderpro­ ren Ruf als qualitativ hoch stehende Nischenanbie­
grammen In fragilen Staaten als auc::h mit der Un­ terin in die Zukunft zu retten, sind also beträchtlich.
terstützung von dezentralen Verwaltungen wichtige Benötigt wird mehr Personal, und die tachlicl1en Vo­
Zeichen gesetzt. Und das SECO hat schon immer nur raussetzungen bei der Rekrutierung müssen stärker
in Nischen gearbeitet, wozu Investltionen in Kleinun­ betont werden. Beide Amtsstellen müssen mehr in
ternehmen in armen Ländern, die Verbesserung der die fachliche Weiterbildung und die Qualitätskon­
Finanzinstrumente zugunsten lokaler Unternehmen trolle Ihrer Mitarbeiter investieren. Außerdem muss
und der Aufbau von Kapazität und Institutionen im sichergestellt werden, dass Qualität und Erfolg von
Internationalen Handel gehörten. Pro1ekten noch systematischer und ölter evaluiert
Natürlich müssen Länderschwerpunkte gesetzt und werden und Ergebnisse in die Planung neuer Aktivi­
langfristige Engagements mit einzelnen Ländern ein- täten einfließen.
202 lebe"släUfe der Autoren

Lebensläufe der Autoren


Dr. Stephan Bader, Studium der Geographie und analyse, Geographische Informationssysteme, Arbeitsschwerpunkte: Regionale Ökonomie,
Geologie an der Universität Zürich, Promotion Erreichbarkeitsmessungen sowie Migrations­ Metropolenforschung, Innovation, Dezentrali­
1990. Von 1991 bis 1997 in der Programm­ lhemallk. Mitbegründer und Mitinhaber eines sierung. 2009-2010 Post-Doktoranden-For­
leitung des Nationalen Forschungsprogramms Geo-Marketing-Unternehmens. schung an der Universität Basel, Lehrstuhl
NFP 31 „Klimaänderungen und Naturkatast­ für Humangeographie/Stadt- und Reg1onal­
rophen" zuständig für die Bereiche Klima und Prof. Dr. Hans-Rudolf Egli, Studium der Geogra­ forschung zum Thema Regionale Konvergenz
Wasser. Seit 1998 Wissenschaftlicher Mitar­ phie, Geologie und Gescl1ichte an der Uni­ in der EU.
beiter und Klimatologe bei MeteoSchweiz versität Bern, Promotion 1981, Habilitation
(Bundesamt für Meteorologie und Klimatolo­ 1996, seit 2002 Professor an der Universi­ Dipl.-Geogr. Werner Harder, Studium der Geo­
gie, Zürich); Arbeitsschwerpunkt: Informati­ tät Bern, Wissenschaftlicher Leiter der For­ graphie, Volks- und Agrarwirtschaft, Universi­
onsdienst Klima- und Klimaänderungsfragen. schungsgruppe „Siedlungsgeographie und tät Zürich; seit 1988 im Bundesamt für Land­
Landschaftsgeschichte". Vorstandsfunktio­ wirtschaft tätig. Leiter Fachbereich Ökonomie
Dr. Roland Bono. Studium der Geographie, Zoo­ nen bei zahlreichen Kommissionen zur Kul­ und Soziales im Bundesamt für Landwirt­
logie, Meteorologie und Botanik an der Uni­ turlandschaftsforschung. Arbeitsschwer­ schaft. Arbeitsbereiche: Mitwirkung bei der
versität Basel, Promotion 1985. Mehrjäh­ punkte: Siedlungs- und Verkehrsgeschichte, Konzeption von Direktzahlungen und deren
rige T ätigkeit als Leiter Human Resources Landschaftsgeschichte, Kartographie. Einführung in die Schweizer Agrarpolitik, der
eines international tätigen Unternehmens; Erarbeitung einer neuen Verfassungsgrundla­
seit 1991 tätig im Amt für Umweltschutz und Prof. (em.) Dr. Rene L. Frey, 1970 bis 2004 Or­ ge sowie der Neuausrichtung der Agrarpolitik,
Energie des Kantons Basel-Landschaft. Mit­ dinarius für Nationalökonomie an der Univer­ des Reporting des Bundesamtes für Land­
glied der Geschäftsleitung und Leiter des Be­ sität Basel. 1996-1998 Rektor der Universi­ wirtschaft (Agrarbericht), der Evaluation der
reiches Abfall, Abwasser, Chemikalien und tät Basel, 2004-2007 Präsident des Rats für Schweizer Agrarpolitik, der Beurteilung der
Bodenschutz. Lehrbeauftragter für Regiona­ Raumordnung der Schweiz. Gründer und Lei­ Auswirkungen eines Freihandelsabkommens
len Bodenschutz an der Universität Basel; ter von CREMA-Center for Economics, Ma­ mit der EU im Agrarbereich sowie der Roh­
Präsident der Bodenkundlichen Gesellschaft nagement and the Arts. Arbeitsschwerpunkte stoff- und Ressourcenknappheit der Schweiz.
der Schweiz. in Lehre, Forschung und Beratung: Allgemei­
ne und schweizerische Wirtschaftspolitik, öf­ Dipl.-Geogr. Christian Hunziker, Studium Geo­
Dr. Elisabeth Bühler, Studium der Geographie, fentliche Finanzen und räumliche Wirtschaft graphie und Volkswirtschaft an der Uni­
Volkskunde, Geologie und Mathematik an (Regional-, Stadt-, Verkehrs- und Umweltöko­ versität Zürich mit Schwerpunkten Touris­
der Universität Zürich, Promotion 1984. Seit nomie). Zahlreiche Gutachten, Publikationen, musforschung, Regionalentwicklung und
1992 Senior Research Associate und Dozen­ Vorstandsfunktionen und Mitgliedschaften in Wirtschaftspolitik. Seit 2007 bei BAK Basel
tin am Geographischen Institut der Universi­ Expertenkommissionen. /Basel Economics als Ökonom tätig mit den
tät Zürich. Arbeitsschwerpunkte, Strukturelle Schwerpunktthemen Gastgewerbe und Touris­
und kulturelle Bedeutungen von Geschlecht Prof. Dr. Wilfried Haeberli, Studium der Geogra­ mus (Benchmarking und Prognosen).
und anderen Dimensionen sozialer Differenz phie, Geologie, Biologie und Geschichte an
und Ungleichheit in nationalen, regionalen der Universität Basel, Promotion 1974, Habi­ Prof. Dr. Georg Kreis, Studium der Geschich­
und lokalen Kontexten; Aneignungsprozesse litation 1985 für Glaziologie und Geomorpho­ te, Germanistik, Geographie in Basel, Pa­
öffentlicher Freiräume durch unterschiedliche logie an der ETH Zürich. Seit 1995 Ordinari­ ris und Cambridge; Promotion in Geschichte
soziale Gruppen. Seit 1998 Leitung wissen­ us für Geographie an der Universität Zürich. 1972 an der Universität Basel. 1986-2008
schaftlicher Projekte in verschiedenen natio­ Arbeitsschwerpunkte: Fragen der Klimafol­ Professor an der Universität Basel; Gründer
nalen Forschungsprogrammen, darunter ,,Zu­ gen im Hochgebirge. Von 1986 bis 2010 Di­ und Leiter des Europa-Instituts der Universi­
kunft Schweiz", Wissenschaftliche Analysen rektor des World Glacier Monitoring Service tät Basel seit 1993; Präsident der Eidgenös­
zur Volkszählung 2000 und NFP 54 ,,Nach­ (WGMS). Spezialist für Naturgefahren-Prä­ sischen Kommission gegen Rassismus seit
haltige Siedlungs- l!nd lnfraslrukturentwick­ vention im Hochgebirge und Einsätze mit der 1995; 1991-1992 Beauftragter des Bundes­
lung". Humanitären Hilfe der Schweiz in Südameri­ rates zur Erarbeitung eines historischen Be­
ka und Asien. Von 2003-2006 Vizepräsident richts über den Staatsschutz in der Schweiz
Prof. Dr. Antonio Da Cunha, Promotion im Fach der Schweizerischen Akademie der Naturwis­ zwischen 1935 und 1990, Mitarbeit bei der
Wirtschaftswissenschaften an der Universität senschaften. Seit 2006 Leiter des Beraten­ Bergier-Kommission (1998-2001) über die
Lausanne (1994). 1999-2000 Ordentlicher den Organs für Umweltforschung des Bundes­ Vermögenswerte von Opfern des Nationalsozi­
Professor in Neuchätel, seit 2000 Ordentli­ amts für Umwelt der Schweiz. alistischen Regimes in der Schweiz. Arbeits­
cher Professor an der Universität Lausanne. schwerpunkte: Schweizer Geschichte, die Be­
Arbeitsschwerpunkte: Territoriale Systeme, Prof. Dr. Ueli Haefeli, Studium der Geschichte, ziehung der Schweiz zum Ausland und Fragen
Globalisation und Wirtschaftsentwicklung, Psychologie und Musikwissenschaft an der über Minderheiten. 1985-1993 Leiter des
nachhaltige Stadtentwicklung, Sozialgeogra­ Universität Bern, Promotion 1994, Habili­ Nationalen Forschungsprogramms NFP 21
phie. tation 2007. Seit 2009 Professor für Nach­ ,,Cultural Variety and National ldentity".
haltige Mobilität an der Universität Bern.
Dr. Pierre-Emmanuel Dessemontet, Studium der Arbeitsbereiche: Verkehrsgeschichte, Mobi­ Prof. (em.) Dr. Rene Levy, Studium der Soziolo­
Geographie, Geschichte und Geologie an der lltätsverhalten, Evaluation von Verkehrspro­ gie, Psychologie und Ökonomie, Universität
Universität Lausanne. Mehrere Jahre Senior jekten Zürich; 1980-2006 Professor an der Uni­
Data Analyst in Houston, Texas; Promotion versität Lausanne (Institut d'antllropologie
Universität Lausanne (2010). Wissenschaft­ Dr. Tina Haisch, Studium der Geographie und et de sociologie-lAS, ab 2003 Gründungs­
licher Mitarbeiter, Autor und Co-Autor von Betriebswirtschaftslehre an der Universität direktor des Institut d'etude lnterdlsclpllnalre
thematischen Atlas-Werken, z.B. .,Atlas des Stuttgart, Promotion an der Universität Ba­ des hajectoires biographiques - ITB). Arbeits­
räumlichen Wandels der Schweiz". Arbeits­ sel 2007. 2006- 2010 Wissenschaftliche schwerpunkte: Entwicklung der politischen
schwerpunkte, Angewandte räumliche Daten- Mitarbeiterin bei BAK Basel Economics AG; Mobilisierung in der Schweiz; Quantitative
Lebensläufe der Autoren 203
meso- und makroskalige Analysen zur gesell­ sei und an der Hochschule für Soziale Arbeit prozessen internationaler Finanzinstitutionen
schaftlichen Entwicklung; Soziale Ungleich­ (Fachhochschule Nordwestschweiz). Arbeits­ und bilateraler Entwicklungseinrichtungen;
heiten mit besonderer Berücksichtigung derer schwerpunkte: Soziale Ungleichheit, Kon­ Analyse und Verhandlung von multilateralen
zwischen den Geschlechtern; soziologische flikt- und Lebenslaufforschung. Leitung des Handels- und Entwicklungsfragen.
Analyse von Lebensläufen und ihrer sozialen Soziologischen Seminars und des Nachdi­
Standardisierung. 2000-2008 Mitglied des plomstudiengangs in Konfliktanalysen und Prof. Dr. Urs Müller, Studium an den Universitä­
Nationalen Forschungsrats in der Abteilung Konfliktbewältigung an der Universität Basel. ten von Basel und Harvard (Cambridge, USA),
IV des Schweizerischen Nationalfonds SNF; 1981- 1984 wissenschaftlicher Mitarbeiter
1988-94 Vizepräsident und Präsident der Dr.Christophe Mager, M. Sc. und Ph. D. in Öko­ bei BAK Basel Economics AG, 1985-1989
Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie. nomie, Ecole des Hautes Etudes Commer­ Oberassistent am wirtschaftswissenschaftli­
ciales, Universität Lausanne, und Diplome chen Zentrum (WWZ) der Universität Basel,
Prof. (em.) Dr. Wolf Linder, Jura-Studium in Zü­ d'etudes approfondies (DEA) in Demographie, 1989- 1996 stellvertretender Direktor von
rich, Zweitstudium in Politikwissenschaf­ Ecole des Hautes Etudes en Sciences Socia­ BAK Basel Economics AG, nebenamtlich seit
ten Universität Konstanz, Promotion 1975. les, Paris ; seit 2006 Hochschullehrer in Leh­ 1998 Professor für Nationalökonomie, Vorle­
1982-1987 Professur am IDHEAP Lau­ re und Forschung an der Universität Lausanne. sungen in empirischer Wirtschaftsforschung
sanne. Bis 2009 Direktor am Institut für Po­ Arbeitsschwerpunkte: Räumliche Analysen, und Public Finance an der Universität Ba­
litikwissenschaft der Universität Bern. Haupt­ Umwelt- und Bio-Ökonomie, Quantitative Me­ sel. 1996-2005 Chef der Finanzverwaltung
gebiete der Forschung: Schweizerische thoden, Geographische Informationssysteme. des Kantons Basel-Stadt, seit 2005 stel !ver­
Politik, Demokratieentwicklung in Drittwelt­ tretender Direktor und seit Juli 2007 Direktor
ländern. Zahlreiche Expertisen für schwei­ Dr. Laurent Matthey, seit 2001 Wissenschaftli­ und Chefökonom BAK Basel Economics AG.
zerische Behörden und internationale Or­ cher Mitarbeiter des Geographischen Instituts
ganisationen, Wissenschaftliche Rats- und der Universität Lausanne; Leiter der Fonda­ Dr. Manfred Perlik, Studium der Geographie
Vorstandsfunktionen bei der Schweizerischen tion Braillard Architectes in Genf. Arbeits­ und Hydrologie in Frankfurt/M., Promoti­
Akademie der Geistes- und Sozialwissen­ schwerpunkt: Nachhaltige Stadtentwicklung, on an der Universität Bern 2001. Arbeitsge­
schaften und im Forschungsrat des Schwei­ Städtische Sozialräume und Segregation, biete: Metropolregionen mit ihren Schnitt­
zerischen Nationalfonds. Sozialgeographie und Empirische Sozialfor­ stellen zum Umland, demographische und
schung wirtschaftliche Entwicklung der Berggebie­
Prof. (em.) Dr. Georges Lüdi, Studien der Roma­ te in Europa, multilokales Wohnen, räumli­
nistik und Linguistik in Zürich, Madrid und Prof. (em.) Dr. Paul Messerli, nach Lehreraus­ che Disparitäten. Zahlreiche Veröffentlichun­
Montpellier, Promotion 1971 und Habilitation bildung Studium der Geographie, Physik und gen, u. a. zur Urbanisierung der Alpen, der
1976 an der Universität Zürich; 1979-1982 Mathematik an der Universität Bern. Promo­ Entwicklung der ländlichen Räume in der
Ordentlicher Professor für Allgemeine Sprach­ tion 1976; 1976-86 Programmmanager des Schweiz und zum Phänomen der neuen Be­
wissenschaft an der Universität Neuenburg, Nationalen Forschungsprogrammes „Der wohner in den Berggebieten (,.alpine Gentri­
1982-2009 Ordentlicher Professor für Fran­ menschliche Einfluss auf die Gebirgsökosys­ fizierung"). Mitglied der Redaktion der Re­
zösische Sprachwissenschaft und Leiter des teme" (Maß UNESCO). 1986 Habilitation vue de Geographie Alpine (Grenoble) und
Instituts für Französische Sprach- und Li­ und Berufung ans Geographische Institut der des Vorstandes der Schweizerischen Studi­
teraturwissenschaft an der Universität Ba­ Universität Bern für Wirtschaftsgeographie engesellschaft Raumordnung und Regional­
sel. Arbeitsschwerpunkte: Spracherwerb und und Regionalforschung. Experte in nationa­ politik (ROREP). Seit 2011 assoziierter For­
Sprachenunterricht, Pluri-Linguismus, Lingu­ len und internationalen Gremien (Reg.politik, scher (chercheur associe) der Universität
istische Aspekte von Migration und Sprachen­ Wirtschaftsförderung und Raumentwicklung). Grenoble (UMR Pacte).
politik. Zahlreiche Expertentätigkeiten im Be­ 1998-2008 Forschungsrat und Präsident
reich der Verbesserung von Spracherwerb und der Abteilung IV des Schweizerischen Nati­ Remo Saner, M. Sc., Studium der Geowissen­
Fremdsprachenunterricht in der Schweiz so­ onalfonds SNF; Mitglied des erweiterten Vor­ schaften und Geographie an der Universität
wie für den nachhaltigen Erhalt der linguisti­ standes der Schweizerischen Akademie der Basel (M. Sc. 2010), Masterarbeit zum The­
schen Vielfalt in Europa, u. a. als Berater des Naturwissenschaften SCNAT. ma „Räumliche Strukturmuster von Sozial­
Europarates in Fragen der Sprachpolitik. hilfeempfängern in Basel. Eine GIS-gestütz­
Lic. iur. Matthias Meyer, Jura-Studium an der te Stichdatumsanalyse im Zeitraum der Jahre
Dr. Peter Lüscher, Studium der Forstwissen­ Universität Genf; 1969-1972 Graduale In­ 2002 bis 2008" in Zusammenarbeit mit dem
schaften an der ETH Zürich/Professur für Bo­ stitute for International Studies, Genf, Ph. D. Sozialamt des Kantons Basel-Stadt, eine de­
denphysik, Promotion 1991; seit 1982 Eid­ Program in International Econom ics/1 nter­ taillierte sozioökonomische Untersuchung von
genössische Forschungsanstalt für Wald, national Law, doctoral exams 1972, (ohne Sozialstatusmerkmalen von Sozialhilfebezü­
Schnee und Landschaft -WSL, Birmensdorf, Diss.); Weiterbildung am Institute for Econo­ gern und deren räumlicher Verteilung. Seit
Senior Consultant, Projektleiter gemeinsam mic and Social Planning of the United Na­ 2011 bei der Technischen Verwaltung der Ge­
mit kantonalen Forstdiensten, den Boden­ tions (ILPES/ECLAC), Santiago, Chile und meinde Reinach BL, Abteilung Raumplanung
schutzfachstellen und privaten Ingenieur­ der Universität Bern. Berufliche Tätigkeiten: und Umwelt.
büros. Arbeitsschwerpunkte: Praxisrelevante 1974-1979 sowie 1997-2002 The World
Projekte in angewandter Boden- und Stand­ Bank, 1980-1986 und 1993-1997 Eid­ PD Dr. Daniel Schaub, Geographie-Studium an
ortskunde, u. a. in den Bereichen physikali­ genössisches Volkswirtschaftsdepartement der Universität Basel, Promotion 1989, Ha­
scher Bodenschutz und Hochwasserschutz­ EVD, Staatssekretariat für Wirtschaft SECO; bilitation 1999. Forschungstätigkeiten an
funktion von Wäldern, Lehrbeauftragter am 1987 -1993 lnter-American Development der ETH Zürich, der Cornell University (ltha­
Umweltdepartement der ETH Zürich. Bank, Operations Department. Seit 2005 Pra­ ca NY) und dem Forschungsinstitut für bio­
ximondo, Practitioners for Development, Envi­ logischen Landbau (FiBL, Frick). Seit 1999
Prof. Dr. Ueli Mäder, Studium der Soziologie, ronment and Trade, Genf. Executive Director. Leiter der Sektion Boden und Wasser am De­
Psychologie und Philosophie. Zusatzausbil­ Arbeitsschwerpunkte: 1 nternationale Wirt­ partement Bau, Verkehr und Umwelt des Kan­
dung in Psychotherapie; ordentlicher Pro­ schaftsentwicklung, Verhandlungsführung bei tons Aargau und Lehrbeauftragter an der Uni­
fessor für Soziologie an der Universität Ba- der Politikgestaltung und den Finanzierungs- versität Basel.
204 Llteratu�erzeichnis

Prof. Dr. Rita Schneider-Sliwa, Studium der Ang­ Prof. Dr. Martin Schuler, Studium der Geogra­ wicklung, Stabsstelle Raumökonomie; seit
listik, Geographie und Geologie an der RWTH­ phie an der Universität Zürich, Promotion an 2001 Leiter der Sektion Nachhaltige Ent­
Aachen. Studium der Geographie, Ökonomie der Eidgenössischen Technischen Hochschule wicklung im Bundesamt für Raumentwick­
und Agrarökonomie an der Ohio State Univer­ Lausanne. Leiter der „Communaute d'etudes lung (ARE), welche die Politik der nachhal­
sity, Ph. D. Geographie 1982; Assistenzpro­ pour l'amenagement du territoire" (CEAT) an tigen Entwicklung auf Bundesebene sowie
fessur an der University of Maryland in Col­ der ETH-Lausanne. Publikation von mehreren gegenüber den Kantonen und Gemeinden ko­
lege Park, Md. und Habilitation an der FU thematischen Atlanten. Arbeitsschwerpunkte: ordiniert. Titularprofessor an der Universität
Berlin (1995 am John-F.-Kennedy-lnstitut für Raumanalysen, raum- und sozialstatistische Zürich mit Lehrveranstaltungen zur Nachhal­
Nordamerikastudien). Seit 1995 Ordentliche Definitionen sowie Forschungen zu Demogra­ tigen Entwicklung und Raumentwicklung.
Professorin und Vorsteherin am Geographi­ phie, Arbeitsmarkt und räumlicher Mobilität,
schen Institut der Universität Basel. Arbeits­ Fragen der Raumentwicklung, der Raumpla­ Dr. iur. Luzius Wasescha, Promotion Universi­
schwerpunkte: Stadt- und Sozialgeographie; nung und Urbanistik. tät Lausanne 1980; 1971 -1977 Zentralse­
Wettbewerbsfähige Regionen; Entwicklungs­ kretär der EUROPA-UNION SCHWEIZ, Re­
länder und Entwicklungszusammenarbeit; Prof. Dr. Heinz Veit, Studium der Geographie, daktor der Zeitschrift „ Europa"; 1977-1980
Kulturelle Topographien. Leiterin des Nach­ Botanik, Bodenkunde in Frankfurt/M.; Pro­ Juristischer Mitarbeiter in der FIDECONTO
diplomstudiengangs Stadt- und Regionalma­ motion an der Universität Bayreuth 1987. SA, Bellinzona; 1980 Eintritt in den Bun­
nagement an der Universität Basel. 1988 - 1991 F e odor-Lynen-Sti pend ium desdienst im Integrationsbüro EDA/EVD; seit
der Alexander von Humboldt-Stiftung an 1.9. 2000 Botschafter; bis 2007 Delegierter
Dipl.-Volkswirt Thomas Schoder, Studium der der Universität La Serena in Chile. 1991- für Handelsverträge und Chef des Leistungs­
Volkswirtschaft mit dem Schwerpunkt Sta­ 1996 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der bereichs Welthandel, Mitglied der Geschäfts­
tistik/Ökonometrie und Politikwissenschaf­ Universität Bayreuth; Habilitation 1996. Seit leitung SECO; zusätzlich seit 2005 Lehrbe­
ten an den Universitäten Tübingen und Frei­ 1996 Ordentlicher Professor für Paläo-Geo­ auftragter an der Universität St. Gallen und
burg i. Br. Seit 1994 bei BAK Basel/Basel ökologie, Geographisches Institut, Universi­ Präsident „Naturpark Ela"; seit 1 . 1. 2002
Economics. Verantwortlich für Regionalanaly­ tät Bern. Chefunterhändler der Schweiz in den WTO­
sen und -beratung in der Schweiz sowie für Verhandlungen und seit 1. April 2007 Leiter
das nationale und internationale Branchen­ Prof. Dr. Daniel Wachter, Studium der Geogra­ der Ständigen Mission der Schweiz bei der
Benchmarking mit den Schwerpunkten Tou­ phie und Volkswirtschaftslehre an der Uni­ WTO und EFTA in Genf. Seit August 2008
rismus sowie Life-Sciences-Sektor. Seit 2006 versität Zürich. Promotion 1990, Habilitation Vorsitz der Verhandlungsgruppe für Industrie­
Mitglied der Geschäftsleitung. 1995; seit 1996 Bundesamt für Raument- güter (NAMA) an der WTO (DOHA-Runde).

Literaturverzeichnis
Die Schweiz - ,,Sonderfall" Haeberli, W.; Paul ,F.; Gruber, S.; Hoelzle, M.; to global scale. Hydrology and Earth System
oder „Modellfall"? Kääb, A.; Machguth ,H.; Noetzli, J.; Rothen­ Sciences. 8(6). S. 1016-1029.
■ Rita Schneider -S liwa (Hrsg.) IX bühler, C. (2004): Effects of the extreme sum­
Credit Suisse (2005): Interview mit Urs Bucher, mer 2003 on glaciers and permafrost in the Klima und Klimawandel in der Schweiz
oberster Europabeamter des Bundes. Credit Alps - First impressions and estimations. Geo­ ■ Stephan Bader 8
Suisse vom 12.12. 2005. (https://emagazine. physical Research Abstracts. 6/03063. Bader, S.; Bantle, H. (2004): Das Schweizer Klima
credit-suisse.com/app/article/index.cfm?fuse Kündig, R.; Mummentaler, T.; Eckhardt, P.; im Trend. Temperatur-und Niederschlagsentwick­
action=OpenArticle&aoid= l 22796&Iang=DE, Keussen, H. R.; Schindler, C.; Hofmann, F.; lung 1864-2001. MeteoSchweiz Nr. 68. Zürich.
Zugriff: 22.02. 2011). Vogler, R.; Guntli, P. (1997): Die mineralischen Begert, M.; Schlegel, T.; Kirchhofer, W. (2005):
Lefebvre, H. (1974): La production de l'espace. Rohstoffe der Schweiz. Schweizerische Geo­ Homogeneous temperature and precipitation se­
Paris. technische Kommission (Hrsg.). Zürich. ries of Switzerland from 1864 to 2000. In: Inter­
Wiesner, H. (2010): Die Schweiz - ein kleines Labhart, T. P. (2005): Geologie der Schweiz. national Journal of Climatology. 25/1. S. 65-80.
Europa. Mit dessen Ausschluss. (http://www. 7.Aufl., Bern. Begert, M.; Seiz, G.; Schlegel, T.; Musa, M.; Bau­
dewi-ziehm .de/zitate/schweiz.html, Zugriff: Maisch, M.; Paul, F.; Kääb, A. (2004): Kenn­ draz, G.; Moesch, M. (2003): Homogenisierung von
22.02.2011). grössen der Gletscher und ihre Veränderungen Klimamessreihen der Schweiz und Bestimmung
1850-2000. In: BWG: Hydrologischer Atlas der Normwerte 1961-1990. Schlussbericht des
Naturraum und räumliche Gliederung 1 der Schweiz (Tafel 3.10), Bern. Projekts NORM90. MeteoSchweiz Nr. 67. Zürich.
Naturraum und natürliche Ressourcen Maisch, M.; Wipf, A.; Denneler B.; Battaglia J.; Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie
■ Heinz Veit 2 Benz, C. (1999): Die Gletscher der Schweizer (MeteoSchweiz) (2007): Klima und Wasserkreis­
Bundesamt für Energie (BFE) (Hrsg.) (2009): Alpen - Gletscherhochstand 1850-Aktuelle lauf. Vorlesung von Stephan Bader. (http://www.
Wasser. (http://www.bfe.admin.ch/themen, Vergletscherung- Gletscherschwund-Szenarien. meteoswiss.admin.eh/web/ de/lexikon/f / Foehn.
Zugriff: 05.10. 2010). Schlussbericht NFP 31. Zürich. Par.0001.DownloadFile.tmp/foehn.pdf, Zugriff:
Burri, K. (1995): Schweiz: Suisse, Svizzera, Schweizerische Geotechnische Kommission 31.10.2011)
Svizra: geografische Betrachtungen: Naturraum, (SGTK) (2011): Mineralische Rohstoffe der Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie
Bevölkerung und Siedlungen, Wirtschaft, Typ­ Schweiz. (http://www.sgtk.ch/main.asp? (MeteoSchweiz) (2009): Niederschlagsprofil der
landschaften, Karten und Wetter, Zahlen und content=inhalt/ geschichte/meilensteine/ Schweiz. Zürich.
Begriffe. Zürich. mineral_rohstoffe_ch.htm&nav=536, Zugriff: Bundesamt für Umwelt (BAFU); Eidgenössisches
Eidgenössische Forschungsanstalt (WSL) 31.10. 2011). Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und
(Hrsg.) (2007): Erste Ergebnisse des dritten Veit, H. (2002): Die Alpen - Geoökologie und Kommunikation (UVEK) (Hrsg.) (2008): IDA
Landesforstinventars LFI 3. (http://www.lfi. Landschaftsentwicklung. Stuttgart. Klima. Handlungsfeld „Auswirkungen und Anpas­
ch/news/news/wiss_Fakten_LFl3-de.pdf, Zugriff: Viviroli, D.; Weingartner, R. (2004): The hydro­ sungen an den Klimawandel". Synopse Anpas­
05.10.2010). logical significance of mountains: from regional sungsstrategien EU-Raum. Schlussbericht. Bern.
Literaturverzeich is 205
Bundesamt für Umwelt (BAFU); Eidgenössisches Bodenschutz in der Schweiz: Schweizerische Eidgenossenschaft (Hrsg.) (1979):
Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Vielfalt- Probleme - Perspektiven Bundesgesetz über die Raumplanung. Raumpla­
Kommunikation (UVEK) (Hrsg.) (2010): Schwei­ ■ Roland Bono, Peter Lüscher 14 nungsgesetz (RPG, SR 700) vom 22.Juni 1979.
zer Klimapolitik auf einen Blick. Kurzfassung Blaser, P.; Zimmermann, S.; Luster, J.; Walthert, Stand 1. August 2008. Bern.
des klimapolitischen Berichts 2009 der Schweiz L.; Lüscher, P. (2005): Waldböden der Schweiz. Schweizerische Eidgenossenschaft (Hrsg.) (1983):
an das UNO-Klimasekretariat. Bern. Band 2: Regionen Alpen und Alpensüdseite. Eid­ Bundesgesetz über den Umweltschutz. Umwelt­
CH201 l (2011): Swiss Climate Change Scenarios genössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee schutzgesetz (USG, SR 814.01) vom 7. Oktober
CH201 l, published by C2SM, MeteoSwiss, ETH, und Landschaft. Bern. 1983. Stand 1. Oktober 2009. Bern.
NCCR Climate, and OcCC, Zurich, Switzerland, S. Bundesamt für Landestopographie (swisstopo); Schweizerische Eidgenossenschaft (Hrsg.) (1991):
88 (http://www.ch20l l.ch/, Zugriff: 08.11.2011). Institut für Kartographie der ETH-Zürich (Hrsg.) Bundesgesetz über den Wald. Waldgesetz (WaG,
Christensen, J. H.; Carter T.; Giorgi, F. (2002): (2004): Atlas der Schweiz. Digitale Version des SR 921.0) vom 4. Oktober 1991. Stand l.Janu­
PRUDENCE employs new methods to assess Eu­ thematischen Nationalatlas. Version 2. Bern. ar 2008. Bern.
ropean climate change. In: EOS 83/13. S. 147. Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) (Hrsg.) Schweizerische Eidgenossenschaft (Hrsg.) (1999):
Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, (2006): Sachplan Fruchtfolgeflächen FFF, Voll­ Bundesverfassung der Schweizerischen Eidge­
Energie und Kommunikation (UVEK) (Hrsg.) zugshilfe 2006. Bern. nossenschaft (SR 101) vom 18.April 1999.
(2007): Richtlinie über freiwillige Maßnahmen Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2001): Bo­ Stand 30. November 2008. Bern.
zur Reduktion von Energieverbrauch und C02- dennutzung im Wandel. Arealstatistik Schweiz. Schweizerisches Bundesamt für Umwelt, Wald
Emissionen. (http://www.bafu.admin.ch/klima/ Neuchätel. und Landschaft (BUWAU (Hrsg.) (2001): Ver­
00493/00494/00496/index.html?lang=de, Zu­ Bundesamt für Umwelt (BAFU); Bundesamt für ordnung über Belastungen des Bodens (VBBo,
griff: 28.06. 2010). Statistik (BFS) (Hrsg.) (2009): Umwelt Schweiz SR 814.12) vom 1.Juli 1998. Stand l.Juli
Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, 2009. Bern. 2008. Bern. In: Bundesamt für Umwelt, Wald
Energie und Kommunikation (UVEK) (Hrsg.); Bundesanstalt für Geowissenschaften und Roh­ und Landschaft (BUWAU: Erläuterungen zur Ver­
Hohmann, R.; Köllner, P. (2010): Climate scena­ stoffe (BGR) (Hrsg.) (2008): World Reference ordnung über Belastungen des Bodens (VBBo).
rios as basis for the Swiss adaptation strategy. Base for Soil Resources 2006. Ein Rahmen für Bern.
Vortrag im Rahmen des Climate Change Scenario internationale Klassifikation, Korrelation und Walthert, L.; Zimmermann, S.; Blaser, P.; Luster,
Workshop am 2. März 2010. (http://www.c2sm. Kommunikation. Erstes Update 2007. Deutsche P.; Lüscher, P. (2004): Waldböden der Schweiz.
ethz.ch/news/scen_workshop/presentations/ Ausgabe. Hannover. Band 1: Grundlagen und Region Jura. Eidgenös­
c2sm_wsl0_hohmann.pdf, Zugriff: 28.06. 2010). Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, sische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und
Frei, C. (2006): Die Klimazukunft der Schweiz­ Energie und Kommunikation (UVEK); Bundesamt Landschaft. Bern.
eine probabilistische Projektion. (http://www. für Umwelt (BAFU) (Hrsg.) (2007): Bodenschutz Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung
meteoschweiz.admin.ch/web/ de/ kli ma/ kl ima_ Schweiz- Ein Leitbild. (http://www.bafu.admin. Globale Umweltveränderungen (Hrsg.) (1994):
morgen/ klimaaenderung.Par.0055.Download File. ch/boden/index.html, Zugriff: 02.07. 2010). Welt im Wandel: Die Gefährdung der Böden (Jah­
tmp/occc2005dieklimazukunftderschweizeine Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement resgutachten 1994). Bonn.
probabilistischeprojektion.pdf, Zugriff: (EJPD), Eidgenössisches Volkswirtschaftsde­ Zimmermann, S.; Luster, J.; Blaser, P.; Walthert,
28.06. 2010). partement (EVD); Bundesamt für Raumplanung L.; Lüscher, P. (2006): Waldböden der Schweiz.
Frei, C.; Schär, C. (2001): Detection probability of (BRP); Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) Band 3: Regionen Mittelland und Voralpen. Eid­
trends in rare events: Theory and application to (Hrsg.) (1992): Sachplan Fruchtfolgeflächen genössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee
heavy precipitation in the Alpine region. Journal FFF. Festsetzung des Mindestumfangs der und Landschaft. Bern.
of Climate. 14/7. S. 1568-1584. Fruchtfolgeflächen und deren Aufteilung auf die
IPCC (2007a): Summary for Policymakers. In: Kantone. Bern. Die Alpen - ein sensibles Ökosystem
Solomon, S.; Qin, D.; Manning, M.; Chen, Z.; Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement ■ Heinz Veit, Wilfried Haeberli 19
Marquis, M.; Averyt, K. B.; Tignor, M; Miller, H. L. (EJPD); Bundesamt für Raumplanung (BRP); Bätzing, W. (2003): Die Alpen. Geschichte und
(Hrsg.): Climate Change 2007: The Physical Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement Zukunft einer europäischen Kulturlandschaft.
Science Basis. Contribution of Working Group 1 (EVD); Bundesamt für Landwirtschaft (BLW); München.
to the Fourth Assessment Report of the lntergov­ Eidgenössisches Departement des Innern (EDI); Birsan, M.-V.; Molnar, P.; Burlando, P.; Pfaundler,
ernmental Panel on Climate Change. S. 1-18. Bundesamt für Forstwesen (Hrsg.) (1980): Bode­ M. (2005): Streamflow trends in Switzerland.
Cambridge, New York. neignungskarte der Schweiz 1:200000. Bern. Journal of Hydrology. 314. S. 312-329.
IPCC (2007b): Zusammenfassung für politische Geographisches Institut der Universität Zürich Casassa, G.; L6pez, P.; Pouyaud, B.; Escobar, F.
Entscheidungsträger. In: Solomon, S.; Qin, D.; (Hrsg.) (2010): Bodenkarte der Schweiz. (2009): Detection of changes in glacial run-off
Manning, M.; Chen, Z.; Marquis, M.; Averyt, (http: //www.geo.unizh.ch/ bodenkunde/Figuren/ in alpine basins: examples from North America,
K. B.; Tignor, M; Miller, H. L. (Hrsg.): Klimaände­ BoKa-CH.html, Zugriff: 02. 07.2010). the Alps, central Asia and the Andes. Hydrologi­
rung 2007: Wissenschaftliche Grundlagen. Bei­ Jaeger, J.; Schwick, C.; Bertiller, R.; Kienast, F. cal Processes. 23. S. 31-41.
trag der Arbeitsgruppe I zum Vierten Sachstand­ (2008): Landschaftszersiedelung Schweiz - Fischlin, A.; Haeberli, W. (2008): Auch in der
bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Quantitative Analyse 1935 bis 2002 und Folge­ Schweiz wirkt sich der Klimawandel zunehmend
Klimaänderung (IPCC). Cambridge, New York. rungen für die Raumplanung. Wissenschaftlicher aus. In: Organe consultatif sur les Changements
Organe consultatif sur les changements clima­ Abschlussbericht. Schweizerischer National­ Climatiques/ Akademie der Naturwissenschaften
tiques (OcCC) (Hrsg.) (2003): Extremereignisse fonds, Nationales Forschungsprogramm NFP 54 Schweiz (Hrsg.): Das Klima ändert- was nun?
und Klimaänderung. Bern. .,Nachhaltige Siedlungs- und lnfrastrukturent­ Der neue UN-Klimabericht (IPCC 2007) und
Organe consultatif sur les changements clima­ wicklung". Zürich. die wichtigsten Ergebnisse aus der Sicht der
tiques (OcCC); ProClim - Forum for Climate and Mosimann, T. (1996): Die Gefährdung der Böden Schweiz. S. 21-32. Bern.
Global Change (Hrsg.) (2007): Klimaänderung in der Schweiz. Syndrome der Gefährdung, Ab­ Grabherr, G.; Gottfried, M.; Pauli, H. (1994): Cli­
und die Schweiz 2050 - Erwartete Auswirkungen schätzung der zerstörten und bedrohten Boden­ mate effects on mountain plants. Nature. 369.
auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft. Bern. fläche, Trends. Veröffentlichter Synthesebericht S.448.
Schweizerische Meteorologische Anstalt (1981): im Auftrag des WWF-Schweiz. Zürich. Haeberli, W.; Hoelzle, M.; Paul, F.; Zemp, M.
100 Jahre Schweizerische Meteorologische An­ Pfrunder, M. (2002): Neotopia. Atlas zur gerech­ (2007): lntegrated monitoring of mountain gla­
stalt. Zürich. ten Verteilung der Welt. Zürich. ciers as key indicators of global climate change:
206 turverzeichnis

the European Alps. Annals of Glaciology. 46. Putzger, F. W. (1996): Historischer Atlas zur Welt­ Linder, W.; Zürcher, R.; Bolliger, C. (2008):
S.150-160. und Schweizer Geschichte. 12.Aufl., Berlin. Gespaltene Schweiz - geeinte Schweiz, Gesell­
Haeberli, W.; Hohmann, R. (2008): Climate, gla­ Sablonier, R. (2008): Gründungszeit ohne Eidge­ schaftliche Spaltungen und Konkordanz bei den
ciers and permafrost in the Swiss Alps 2050: nossen. Politik und Gesellschaft in der lnner­ Voksabstimmungen seit 1874. Baden.
scenarios, consequences and recommendations. schweiz um 1300. Baden. Lüthi, R. (2006): Das Parlament. In: Klöti, U.;
In: Kane, D. L.; Hinkel, K. M. (Hrsg.): Ninth In­ Sieber-Lehmann, C. (2007): Die Schweiz im Spät­ Knoepfel, P.; Kriesi, H.; Linder, W. (Hrsg.):
ternational Conference an Permafrost. 1 nstitute mittelalter (14. und 15. Jahrhundert) In: F elder, Handbuch der Schweizer Politik. S. 123-150.
of Northern Engineering. University of Alaska P.; Meyer, H.; Wacker, J. C.: Die Schweiz und Zürich.
F airbanks. Val. 1. S. 607-612. ihre Geschichte. 2.Aufl., Zürich. Lutz, G.; Selb, P. (2006): Die nationalen Wahlen
Haeberli, W.; Maisch, M. (2007): Klimawandel im Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz (HLS) in der Schweiz. In: Klöti, U.; Knoepfel, P.; Kriesi,
Hochgebirge. In: Endlicher, W.; Gerstengarbe, F.­ (Hrsg.) (2010): Historisches Lexikon der H.; Linder, W. (Hrsg.): Handbuch der Schweizer
H. (Hrsg.): Der Klimawandel - Einblicke, Rück­ Schweiz. Befreiungstradition, Bundesvertrag, Politik. S. 427-458. Zürich.
blicke, Ausblicke. S. 98-107. Potsdam. Jura, Landesstreik, Milizsystem, Niederlassungs­ Schweizerische Eidgenossenschaft (Hrsg.) (2008):
Haeberli, W.; Maisch, M. (2008): Alpen ohne Eis? freiheit, Regeneration (http://www.hls-dhs- dss.ch, Der Bund kurz erklärt. Bern.
Geographische Rundschau. 60/3. S.14-21. Zugriff: 19.07. 2010). Schweizerische Eidgenossenschaft (Hrsg.) (2008):
Harris, C.; Arenson, L.U.; Christiansen, H. H.; Die Bundesbehörden. (http://www.admin.ch, Zu­
Etzelmüller, B.; F rauenfelder, R.; Gruber, S.; Schweizerische Demokratie: Institutionen - griff: 31.10. 2011).
Haeberli, W.; Hauck, C.; Hoelzle, M.; Humlum, Prozesse - Perspektiven ■ Wolf Linder 31 Sciarini, P. (2006): Le processus legislatif. In:
O.; lsaksen, K.; Kääb, A.; Kern-Lütschg, M. A.; Bürgergemeinde der Stadt Basel (Hrsg.) (2008): Klöti, U.; Knoepfel, P.; Kriesi, H.; Linder,
Lehning, M.; Matsuoka, N.; Murton, J. B.; Wegleitung zur Einbürgerung. Basel. W. (Hrsg.): Handbuch der Schweizer Politik.
Nötzli, J.; Phillips, M.; Ross, N.; Seppälä, M.; Ernst, A.; Tanner, A.; Weishaupt, M. (Hrsg.) S. 490-526. Zürich.
Springman, S. M.; Vonder Mühl 1, D. (2009): (1998): Revolution und Innovation - Die konflik­ Varone, F. (2006): L'administration federale.
Permafrost and climate in Europe: Monitoring treiche Entstehung des schweizerischen Bundes­ In: Klöti, U.; Knoepfel, P.; Kriesi, H.; Linder,
and modelling thermal, geomorphological and staats von 1848. Zürich. W. (Hrsg.): Handbuch der Schweizer Politik.
geotechnical responses. Earth-Science Reviews. F reiburghaus, D. (2009): Königsweg oder Sack­ S.287-316. Zürich.
92. S. 117-171. gasse? Sechzig Jahre schweizerische Europa­ Vatter, A. (2002): Kantonale Demokratien im
Holzhauser, H.; Zumbühl, H. J. (1999): Nacheis­ politik. Zürich. Vergleich. Entstehungsgründe, Interaktionen
zeitliche Gletscherschwankungen. In: Landes­ Geschichte Schweiz (2003): (http://www.geschich und Wirkungen politischer Institutionen in den
hydrologie und -geologie (Hrsg.): Hydrologischer te-schweiz.ch, Zugriff: 31.10.2011). Schweizer Kantonen. Opladen.
Atlas der Schweiz. Bern. Horber-Papazian, K. (2006): Les communes. Vatter, A. (2008): Vom Extremtyp zum Normalfall?
Laternser M.; Schneebeli, M. (2003): Lang- In: Klöti, U.; Knoepfel, P.; Kriesi, H.; Linder, Die Schweizerische Konsensusdemokratie im
term snow climate trends of the Swiss Alps W. (Hrsg.): Handbuch der Schweizer Politik. Wandel. Eine Re-Analyse von Lijpharts Studie für
(1931-99). International Journal of Climatology. S. 232-58. Zürich. die Schweiz von 1997 bis 2007. Swiss Political
23. S. 733-750. Kälin, W.; Rothmayr, C. (2006): Justiz. In: Klöti, Science Review 14 /1. S. 1-49.
Noetzli, J.; Gruber, S. (2009): Transient thermal U.; Knoepfel, P.; Kriesi, H.; Linder, W. (Hrsg.):
effects in Alpine permafrost. The Cryosphere. 3. Handbuch der Schweizer Politik. S. 177-200. Die heutigen politischen Landschaften
S.85-99. Zürich. der Schweiz ■ Pierre-Emmanuel
Spreafico, M.; Weingartner, R. (2005): Hydrologie Kästli, T. (1998): Die Schweiz, eine Republik in Dessemontet, Martin Schuler 37
der Schweiz: Ausgewählte Aspekte und Resulta­ Europa. Zürich. Hermann M.; Leuthold, H . (2003): Atlas der Poli-
te. Berichte des BWG. Serie Wasser, Nr. 7. Bern: Klöti, U.(2006): Regierung. In: Klöti, U.; Kno­ tischen Landschaften der Schweiz. Zürich.
Bundesamt für Wasser und Geologie. epfel, P.; Kriesi, H.; Linder, W. (Hrsg.): Hand­ Linder, W.; Bolliger, C.; Rielle, Y. (2009): Hand­
United Nations Environment Programme (UNEP) buch der Schweizer Politik. S.151-76. Zürich. buch der eidgenössischen Volksabstimmungen
(2007): Global outlook for ice & snow. Nairobi. Klöti, U.; Knoepfel, P.; Kriesi, H.; Linder, W. 1874-2007. Bern.
Veit, H. (2002): Die Alpen - Geoökologie und (Hrsg.) (2006): Handbuch der Schweizer Politik. Schuler, M.; Dessemontet, M.P. (Hrsg.) (2007):
Landschaftsentwicklung. Stuttgart. 4.Aufl., Zürich. Atlas des räumlichen Wandels der Schweiz.
Walther, G. R.; Beissner, S.; Burga. C.A. (2005): Kölz, A. (1992): Neuere Schweizerische Verfas­ Zürich.
Trends in the upward shift of alpine plants. Jour­ sungsgeschichte. Bern.
nal of Vegetation Science. 16. S. 541-548. Kreis, G. (2009): Schweizerische National­ Wirtschaft 42
Zemp, M.; Haeberli, W.; Hoelzle, M.; Paul. F. geschichte im 20. und 21. Jahrhundert. In: Der Weg der Schweiz zum Werkplatz,
(2006): Alpine glaciers to disappear within Schweizerische Zeitschrift für Geschichte. Vol. Finanzplatz, Denkplatz und zurück
decades? Geophysical Research Letters. 33, 59, Nr. l, S.135-148. ■ Paul Messerli 43
S.13. Kriesi, H. P. (2005): Direct democratic choice: the Bergier, J.F. (1983): Die Wirtschaftsgeschichte
Swiss experience. Lanham. der Schweiz. Zürich.
Geschichte und Politik 25 Lijphart, A. (1999): Patterns of Democracy, Gov­ Borner, S.; Wehrle, F. (1984): Die Sechste
Geschichte der Schweiz ■ Georg Kreis 26 ernment F orms and Performance in Thirty-Six Schweiz - überleben auf dem Weltmarkt. Zürich.
F lacke, M. (Hrsg.) (1998): Mythen der Nationen. Countries. New Haven. Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) (Hrsg.)
Ein europäisches Panorama. München. Linder W. (2005):Schweizerische Demokratie, (2008): Raumkonzept Schweiz. Eine dynamische
F lacke, M. (Hrsg.) (2001): Mythen der Nationen. 1 nstitutionen, Prozesse, Perspektiven. 2.Aufl., und solidarische Schweiz. Ein Entwurf. Bern.
Ein europäisches Panorama. 2.Aufl., München. Bern. Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2007):
Jost, H.-U. (1998): Politik und Wirtschaft im Linder, W. (2009a): Das politische System der Statistik Schweiz. Produktionskonto - Daten,
Krieg. Die Schweiz 1938-1948. Zürich. Schweiz. In: lsmayr, W. (Hrsg.): Die politischen Indikatoren. Produktionskonto nach Branchen.
Kreis, G. (1991): Der Mythos von 1291. Zur Ent­ Systeme Westeuropas. S. 567-605. 4.Aufl., Bruttowertschöpfung nach Branchenaufteilung.
stehung des schweizerischen Nationalfeiertages. Wiesbaden. Neuchatei.
Basel. Linder, W. (2009b): Schweizerische Konkordanz Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2009):
Kreis, G. (2004): Mythos Rütli. Geschichte eines im Wandel. In: Zeitschrift für Staats- und Euro­ Beschäftigungsstatistik und Unternehmensde­
Erinnerungsortes. Zürich. pawissenschaften 7 /2. S. 209-230. mographie. Neuchatei.
207
Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010): Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010): Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2OO8a): La
Marktwirtschaftliche Unternehmen und Beschäf­ Jährliche Indikatoren zum Satellitenkonto Touris­ population etrangere en Suisse. Neuchatei.
tigte nach Grössenklassen, 2008. Neuchatei. mus. Neuchätel. Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2O1Oa):
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt­ Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010): Statistik der Bevölkerung und der Haushalte
entwicklung; Bundesamt für Bauwesen und Statistik Schweiz, Monetäre Aspekte, Daten, In­ (STATPOP). Datenbank: BFS - STAT-TAB, Wohn­
Raumordnung (Hrsg.) (2007): Karten zur Euro­ dikatoren, Fremdenverkehrsbilanz 1975-2009. bevölkerung bei Alter (Kategorie), Staatsangehö­
päischen Raumentwicklung. Berlin, Bonn. Infrastruktur und Nutzung- Indikatoren, Hotelle­ rigkeitskategorie, Region, Statistikjahr, Bevölke­
Hotz-Hart, B. (1995): Künftiges Wirtschaften am rie. Herkunft der Gäste 2010. Neuchatei. rungstyp und Geschlecht. Neuchatei.
Standort Schweiz. Zusammenspiel von Finanz, Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2O1Ob):
Werk- und Denkplatz Schweiz. In: Harabi, Chur (Hrsg.) (2008): Wertschöpfung des Touris­ Bevölkerungsbewegung- Indikatoren. Anteil der
N. (Hrsg.): Wettlauf um die Schweiz 2000. mus in den Regionen Graubündens- Stand und Lebendgeburten von nicht verheirateten Müttern.
S. 37-62. Zürich. Entwicklung. Chur. Neuchatei.
Kanton Bern (Hrsg.) (1973): Historische Pla­ Müller, H. (2008): Freizeit und Tourismus: eine Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2O1Oc):
nungsgrundlagen. Planungsatlas des Kantons Einführung in Theorie und Politik. Bern. Migration und Integration - Indikatoren. Erwerb
Bern. Bern. 3. Lieferung. ROiier, H.; Berwert, A.; Rütter-Fischbacher, U.; des Schweizer Bürgerrecht und rohe Einbürge­
Konjunkturforschungsstelle Swiss Economic Landolt, M. (2001): Der Tourismus im Wallis. rungsziffer. Neuchatei.
Institute, ETH Zürich (Hrsg.) (2010): Inno­ Wertschöpfungsstudie. Rüschlikon. Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2O1 la):
vationsaktivitäten in der Schweizer Wirtschaft. World Economic Forum (WEF) (Hrsg.) (2009): Löhne, Erwerbseinkommen- Indikatoren. Lohn­
Eine Analyse der Ergebnisse der Innovations­ Travel & Tourism Competitiveness Report. niveau- Schweizerinnen/Ausländer! nnen. Mo­
erhebung 2008. KOF Studien Nr. 9, März (http://www.weforum.org, Zugriff: 10.11. 2009). natlicher Bruttolohn, Schweizerinnen und Aus­
2010. (http://www.kof.ethz.ch/publications/ World Tourism Organization (WTO) (Hrsg.) (2009): länderinnen nach Geschlecht, 2008. Neuchatei.
science/studien/ No_9_2O1O_03_Innovations­ Tourism Highlights 2008. (http://www.unwto.org, Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2O11b):
studie.pdf, Zugriff: 25.08. 2010). Zugriff: 12.11. 2009). Migration und Integration- Analysen. Die
ausländische Bevölkerung in der Schweiz. Neu­
Wirtschaftsräume und Wirtschafts­ Wirtschaftssystem der Schweiz chätel.
entwicklung in der Schweiz ■ Urs Müller, ■ Rene L. Frey 61 Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2O11c):
Tina Haisch 49 Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2009): Bevölkerungsstand und -struktur- Indikatoren.
BAK Basel (Hrsg.) (2009): Grossregionen der Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2009. Eid­ Ständige Wohnbevölkerung (Total) nach Kanto­
Schweiz. Basel. genössische Finanzverwaltung. Zürich. nen, 1970-2009. Su-d-1.2.1.1.14. Neuchatei.
Bathelt, H.; Glückler, J. (2003): Wirtschaftsgeo­ Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010): Bundesamt für Statistik (BFS), ESPOP, VZ (2010):
graphie. 2.Aufl., Stuttgart. Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2010. Struktur der ständigen Wohnbevölkerung nach
Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2000): Zürich. Kantonen, 2009. T 1.2.1.2.5. © BFS - Statisti­
Grossregionen der Schweiz nach BFS. Thema­ Eidgenössische Finanzverwaltung (Hrsg.) (2007): sches Lexikon der Schweiz. Neuchätel.
Kart (KOO.O7). Neuchätel. Öffentliche Finanzen der Schweiz 2005. Bundesamt für Statistik (BFS), ESPOP, VZ (2011):
Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2000): MS­ Neuchätel. Bevölkerungsstand und -struktur- Indikato­
Regionen und Arbeitsmarktregionen. Neuchätel. Kanton Zug (Hrsg.) (2009): Einwohnerstatistik ren. Ständige Wohnbevölkerung nach Städten
Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2000): MS­ 2009. Direktion des Inneren. Zug. mit mehr als 30 000 Einwohnern (in 1000).
Regionen und Kantone der Schweiz. ThemaKart Stadt Zug (Hrsg.) (2010): Zug in Zahlen 2010. Zug. Neuchätel.
(KOO.O8). Neuchatei. Bundesamt für Umwelt (BAFU) (Hrsg.) (2008):
Gehrig, B. (2001): Die Schweiz- Ein Wirtschafts­ Steuersystem, Steuerpolitik und L'environnement suisse. Statislique de poche.
standort im Umbruch. Referat am Anlass zum Standortförderung ■ Rene L. Frey 64 Neuchätel, Bern.
2OOjährigen Jubiläum der Handelskammer und BAK Basel (2009): Zürcher Steuerbelastungs- Eidgenössisches Departement des Innern (EDI)
Arbeitgebervereinigung Winterthur. Winterthur. monitor 2009. Basel. (Hrsg.) (2009): Comparaison des statistiques
Greater Zurich Area AG (2010): (http://www. Eidgenössische Steuerverwaltung (Hrsg.) (2006): de l'aide sociale et de la pauvrete. Concepts et
greaterzuricharea.ch, Zugriff: 12. 08.2010). Statistik der direkten Bundessteuer, Natürliche resultats. Neuchatei.
Verein Metropolitanraum Zürich (2010): Personen, Steuerjahr 2006. Bern. Müller, F. K.; Cernak, D. (2005): Morgen, Kin­
(http://www.metropolitanraum-zuerich.ch, Eidgenössische Steuerverwaltung (Hrsg.) (2010): der, wird's was geben. In: Die Weltwoche vom
Zugriff: 12.08. 2010). Steuerbelastung des Arbeitseinkommens nach 10. 03. 2005, 34ff.
s.
Kantonshauptorten 2008. Bern.
Tourismus ■ T homas Schoder, Schweizerische Steuerkonferenz (Hrsg.) (2009): Sprachenlandschaft in der Schweiz
Christian Hunziker 55 Das schweizerische Steuersystem. Bern. im Wandel ■ Georges Lüdi 75
BAK Basel (1998): Internationaler Benchmar- Schweizerische Steuerkonferenz (Hrsg.) (o.J.): Avenir Suisse; Müller-Jenisch, D. (Hrsg.) (2008):
king Report für den Schweizer Tourismus. Basel. Steuerinformationen. Bern (laufend ergänzte Die neue Zuwanderung. Die Schweiz zwischen
BAK Basel (2005): Erfolgsfaktoren im alpinen Loseblattsammlung). (http://www.estv.admin. Brain-gain und Überfremdungsangst. Zürich.
Tourismus. Basel. ch/dienstleistungen/OOO38/OO75O/OO76O/ Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2000):
BAK Basel (2008): Erfolg und Wettbewerbsfä- index.html?lang=de, Zugriff: 05.10. 2010). Eidgenössische Volkszählungen 1990, 2000.
higkeit im alpinen Tourismus. Basel. Neuchätel.
BAK Basel (2OO9a): International Benchmarking Bevölkerung, Kultur und Gesellschaft 70 Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010):
Report 2009. Basel. Bevölkerungsentwicklung Statistisches Jahrbuch der Schweiz. Zürich.
BAK Basel (2OO9b): Tourismus Benchmarking­ ■ Christophe Mager, Antonio Da Cunha, Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2011):
Die Schweizer Tourismuswirtschaft im internatio­ Laurent Matthey 71 Bevölkerungsstand und -struktur- Detaillierte
nalen Vergleich. Basel. Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2008): Daten Ständige und nichtständige Wohnbevöl­
Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2008): Tieflöhne und Working Poor in der Schweiz. Aus­ kerung nach Geschlecht und detaillierter Staats­
Satellitenkonto Tourismus der Schweiz, 2001 mass und Risikogruppen auf der Basis der Lohn­ angehörigkeit. Neuchätel.
und 2005. Grundlagen, Methodik und Ergebnis­ strukturerhebung 2006 und der Schweizerischen Ferguson, C.A. (1959): .,Diglossia". Word, 15,
se. Neuchätel. Arbeitskräfteerhebung 2006. Neuchätel. S. 325-340. Deutsch in: .,Diglossie". In: Steger,
208 Llteratu(verzeichnis

H. (Hrsg.) (1982): Anwendungsbereiche der Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010a): Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010): Be­
Soziolinguistik. Darmstadt. S. 253-276. Working Poor Quote 2008 tiefer als im Vorjahr. völkerungsstudien und Haushaltssurveys 2008.
Gürtler, S. (2001): Habermas und Levinas: alte­ Medienmitteilung. Neuchätel. Neuchatei.
ritäls- und diskursethische Bestimmungen zum Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010b): Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010):
Verhältnis von Sprache und Gewalt. In: Erzgrä­ Löhne, Erwerbseinkommen - Indikatoren. Lohn­ Migration und Integration - Analyse: Integration
ber, U.; Hirsch, A. (Hrsg.): Sprache und Gewalt. niveau nach Geschlecht. Neuchatei. Antei I der befristeten Arbeitsverträge. Neuchatei.
Berlin, S. 201-226. Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2011a): Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010):
Lüdi, G. (2007a): ,,Basel: einsprachig und hetero­ Bildungssystem. Das Bildungswesen der Schweiz Migration und Integration - Analyse: Integration.
glossisch". Zeitschrift für Literaturwissenschaft (vereinfacht). Neuchätel. Anteil der Langzeitarbeitslosen. Neuchatei.
und Linguistik, 148, S. 132-157. Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2011b): Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010):
Lüdi, G. (2007b): ,,Deutsch in der Deutschschweiz: Lebensstandard, soziale Situation und Armut­ Migration und Integration - Analyse: Integration,
eine Fremdsprache?". In: Reder, A. (Hrsg.): Daten, 1 ndikatoren. Working Poor. Neuchatei. Arbeitsmarkt. Neuchatei.
Diskurse und Texte. Festschrift für Konrad Ehlich Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (201lcl: Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010):
zum 65. Geburtstag. Tübingen, S. 616-627. Aussenhandel - Detaillierte Daten. Ausfuhr nach Migration und Integration - Analyse: Integration
Lüdi, G. (2008): ,,Mapping immigrant languages Wirtschaftsräumen und Bestimmungsländern ü bersicht. Neuchatei.
in Switzerland". In: Barni, M.; Extra, G. (Hrsg.) (Eidgen. Zollverwaltung). Neuchatei. Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010): Mi­
(2008): Mapping Linguistic Diversity in Multi­ Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (201 ld): gration und Integration - Analysen. Die ausländi­
cultural Contexts. Berlin, S.195-215. Aussenhandel - Detaillierte Daten. Einfuhr nach sche Bevölkerung in der Schweiz. Neuchatei.
Lüdi, G.; Py, B. (2009): ,,Tobe or not to be ... a Wirtschaftsräumen und Herkunftsländern (Eid­ Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010): Mi­
pluriIingual speaker". 1nternational Journal of gen. Zollverwaltung). Neuchatei. gration und Integration - Analysen. Die auslän­
Multilingualism, 6:2, S. 154-167. Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (20lle): dische Bevölkerung in der Schweiz. Lohn- und
Lüdi, G;, Werlen, 1. etal. (2005): Sprachenland­ Unternehmen - Indikatoren. Größe. Marktwirt­ Positionsunterschiede zwischen Ausländern.
schaft in der Schweiz. Statistik der Schweiz. schaftliche Unternehmen und Beschäftigte nach Neuchätel.
Eidg. Volkszählung 2000. Neuchätel. Bundes­ Größenklassen, 2008. Betriebszählung. Stand Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010):
amt für Statistik (Hrsg.). der Daten: 29.3.2010. Neuchatei. Migration und Integration. Detaillierte Daten.
Thije, J. D. ten; Zeevaert, L. (Hrsg.) (2007): Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2011fl: Die Schweiz im internationalen Vergleich.
Receptive Multilingualism. Linguistic analy­ Öffentliche Finanzen. Rechnungsabschlüsse. Asylsuchende in den EU- und EFTA-Staaten
ses, language policies and didactic concepts. Neuchatei. 1985-2007, pro 100000 Einwohner. Neuchä­
S. 159-178. Amsterdam. Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (201lg): tel.
Finanzstatistik der Schweiz 2008. Jahresbericht. Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010):
Vielfalt in kleinem Land ■ Georg Kreis 81 Herausgegeben von der Eidgenössischen Finanz­ Migration und Integration. Detaillierte Daten.
Bundesamt für Migration (BFM) (Hrsg.) (2010): verwaltung. Neuchatei. Die Schweiz im internationalen Vergleich.
Ordentliche Einbürgerung. (http://www.bfm. Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (201lhl: Einbürgerungen in den EU- und EFTA-Staaten
admin.ch/ bfm/de/ home/themen/ buergerrec hie, Arbeit und Erwerb. Löhne, Erwerbseinkommen - 1990-2008. Neuchatei.
Zugriff: 30. 09.2010). Indikatoren. Lohnniveau - nach Geschlecht. Mo­ Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010): Mi­
Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2000): natlicher Bruttolohn nach Alter und Geschlecht gration und Integration - Indikatoren. Ständige
Volkszählung. Neuchätel. 2008. Neuchätel. ausländische Bevölkerung nach Staatsangehörig­
Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010): Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement keit. Neuchatei.
Bevölkerungsstand und -Struktur- Detaillierte (EVD); Bundesamt für Berufsbildung und Tech­ Caritas Schweiz (2008): Integration - eine gesell­
Daten. Bilanz der ständigen Wohnbevölkerung nologie (BBT) (Hrsg.) (2010): Fakten und Zahlen schaftliche Aufgabe. Themenheft Integration.
nach Bezirken und Gemeinden. Neuchätel. Berufsbildung in der Schweiz. (http://www.bbt. Luzern.
Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010): admin.ch/dokumentation/00335/00400/index. CNN (2010): Which countries are most ,welcom­
Statistisches Jahrbuch 2010. Zürich. html, Zugriff: 03.10.2010). ing' to asylum seekers? (http://edition.cnn.com/
Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2011): Statistisches Amt des Kantons Basel-Stadt i nteractive/2010/10/world/i nteractive.asylum.
Bevölkerungsstand und -struktur - Detaillierte (2010): Muttersprache. Basel. (http://www.sta seekers, Zugriff: 27.11.2010).
Daten. Bilanz der ständigen Wohnbevölkerung tistikbs.ch/themen/ 15/schulen/muttersprache, Credit Suisse (Hrsg.) (2010): «Struktur der
nach Kantonen. Neuchatei. Zugriff: 07.02.2010). Schweizer Wirtschaft 1998-2020», Martin Neff,
Webportal „Islam.eh" (2010): Muslime in Swiss Banking (2009): Der Finanzplatz Schweiz Chefökonom der Credit Suisse Schweiz (zit. in
der Schweiz. (http://www.islam.ch, Zugriff: und seine Bedeutung. Factsheet Finanzplatz Berner Zeitung: 13.09.2010).
20. 9.2010). Schweiz. Herausgegeben von der SBVg-Schwei­ EUROSTAT (Hrsg.) (2010): Pressemitteilung
zerischen Bankiersvereinigung. Basel. 129/2010- 7. September 2010. Luxemburg.
Schweiz - Gesellschaft im Wandel Jäger, F.; Schulze, S.; Hohlfeld, P. (2002): Fe­
■ Rene Levy 87 Soziale Disparitäten und Exklusion 95 male genital mutilation in Switzerland: a survey
Bundesamt für Berufsbildung und Technologie Migration ■ Rita Schneider-Sliwa 96 among gynaecologists. 1n: Swiss Medical Weekly.
(BBT) (Hrsg.) (2010): Das duale System der Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2005): Die 132. s. 259-264.
Berufsbildung in der Schweiz. (http://www.bbt. Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Ergeb­ Kessler, T. (2008): Sozialalmanach Caritas
admin.ch/themen/berufsbildung/00127/index. nisse des Moduls «Mobilität und Migration» der Schweiz 2004. Integrationspolitik im Dienst des
html?lang=de, Zugriff: 03.10.2010). SAKE 2003. Neuchatei. demografischen Gleichgewichts? In: Neue Zür­
Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2007): Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2008): cher Zeitung, Ausgabe: 09.03.2008.
Studien- und Lebensbedingungen an den Bevölkerungsstudien und Haushaltssurveys Mäder, P. (2008): Politiker wollen mit drastischen
Schweizer Hochschulen. Hauptbericht der Stu­ 2008. Ausländerinnen und Ausländer in der Massnahmen Balkan-Raser stoppen. In: Tagesan­
die zur sozialen Lage der Studierenden 2005. Schweiz. Bericht 2008. Historische Darstellung. zeiger (Aktualisiert am 15. 12.2008). Bern.
Neuchatei. Neuchatei. Nyfeler, D.; Beguin Stöckli, D. (1994): Genitale
Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2009): Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2009): Verstümmelung afrikanischer Migrantinnen in
Schweizerische Lohnstrukturerhebung 2008. Migration und Integration - Indikatoren. Bevölke­ der schweizerischen Gesundheitsversorgung.
Neuchätel. rung mit Migrationshintergrund. Neuchatei. Bern.
Literaturverzeichnis 209
Schweizerische Eidgenossenschaft (Hrsg.) (2010): personnes dependantes aux drogues et a l 'alcool Mäder, U. (1991): Armut im Kanton Basel-Stadt.
Systematische Sammlung. Verordnung vom dans le canton de Fribourg. Lausanne. Social strategies. Vol. 23. Basel.
24. Oktober 2007 über die Integration von Aus­ Cunha, A.; Schmid, 0. (2007): Exclusion urbaine Mäder, U.; Aratnam Ganga, J. A.; Schilliger, S.
länderinnen und Ausländern (VlntA). Bern. et logement: de l'urgence au systeme. Lausanne. (2010): Wie Reiche denken und lenken. Zürich.
Schweizerisches Komitee für UNICEF (Hrsg.) Cunha, A.; Schmid, 0. (2007): Sans domicile fixe: Mäder, U.; Streuli, E. (2002): Reichtum in der
(2005): Mädchenbeschneidung in der Schweiz. figures, trajectoires et politiques. Lausanne. Schweiz - Porträts, Fakten, Hintergründe.
Umfrage bei Schweizer Hebammen, Gynäkolo­ Huissoud, Th.; Schuler, M.; Stofer, S.; Cunha, Zürich.
gen/Innen, Pädiatern/Innen und Sozialstellen. A. (1999): Structures et tendances de la dif­ Merrill Lynch; Capgemini (Hrsg.) (2009): World
Zürich. ferenciation dans les espaces urbains en Suisse. Wealth Report. (http://www.ch.capgemini.com/
Stämpfli, R. (2010): Die Stimmung in der Schweiz Lausanne. m/ch/tl/World_Wealth_Report_2009.pdf, Zu­
ist gehässig. Volksentscheid über die Abschie­ Kaufmann, V.; Pattaroni, L.; Thomas, M.-P. griff: 29.03.2010).
bung krimineller Ausländer. (Interview in der (2009): Habitat urbain durable pour les familles. Schilliger, S. (2007): Die soziale Reproduktion von
Sendung ZDF-Sendung heute.de Politik vom. PNR54. Cahiers du Lasur. Lausanne. Reichtum in der Schweiz. Eine Soziologie des
28. November 2010). Marengo, M.; Racine, J.-B.; Blanc, C.-A. (2004): Wirtschaftsbürgertums. In: Denknetz Jahrbuch
Trechsel, S.; Schlauri, R. (2005): Weibliche Geni­ De l'Etat providence a la solidarite communau­ 2007. 8. S. 122-131. Zürich.
talverstümmelung in der Schweiz. Rechtsgutach­ taire. Le monde associatif a Lausanne: vers un Stutz, H.; Bauer, T.; Schmugge, S. (2007): Erben
ten. Zürich. nouveau projet de societe locale. Lausanne. in der Schweiz- eine Familiensache mit volks­
Weber, B. (2008): Positive Bilanz der Personen­ Matthey, L. (2008): Le quotidien des systemes wirtschaftlichen Folgen. Zürich.
freizügigkeit für den Schweizer Arbeitsmarkt. In: territoriaux: lecture d'une pratique habitante.
Die Volkswirtschaft. Das Magazin für Wirtschafts­ Genealogie et description hermeneutique des Sozialhilfe in der Schweiz
politik, 06/2008. S. 48-51. modalites de l'habiter en environnement urbain. ■ Remo Saner, Rita Schneider-SI iwa 109
Bern. Bösinger, R. (2007): Kluft zwischen Reich und
Soziale Entwicklungen in den Städten Matthey, L.; Steiner, B. (2009a): Des identites a Arm wird immer breiter. In: Basler Zeitung (BaZ).
■ Laurent Matthey, Antonio Da Cunha, la mesure du Monde? Mondialite, singularite et Ausgabe: 12. 02.2007, S.15. Basel.
Christophe Mager 100 alterite au spectre des associations de migrants Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2008): Ar­
Arend, M. (2004): La planification urbaine et (un exemple suisse). In: Lieux communs: les mut von Personen im Erwerbsalter - Wirtschaft­
la politique du marche du logement peuvent­ cahiers du LAUA, 12. S.31-44. liche und soziale Situation der Bevölkerung.
elles contribuer a une meilleures integration Matthey, L.; Steiner, B. (2009b): Nous, moi - les Neuchätel.
des migrants ? In : Wicker, H.-R.; Fibbi, R.; autres. Les associations de migrants et la forma­ Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2009):
Haug, W. (Hrsg.): Migration und die Schweiz. tion de l'identite: une approche internaliste. Bern. Junge Erwachsene in der Sozialhilfe. Die wich­
S.227-244. Basel. Noseda, V.; Racine, J.-B. (2005): Violences urba­ tigsten Resultate. Neuchatei.
Avenir Suisse; Blöchliger, H. (Hrsg.) (2005): ines. Une exploration au-dela des interpretations Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2009a):
Baustelle Föderalismus- Metropolitanregionen rei;:ues. Lausanne. Die Schweizerische Sozialhilfestatistik 2007-
versus Kantone: Untersuchungen und Vorschläge Office federal de la statistique (Hrsg.) (2009): Nationale Resultate. Neuchatei.
für eine Revitalisierung der Schweiz. Zürich. Statistiques de l'aide sociale. Resultats nation­ Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2009b):
Boche!, B.; Both, J.-F.; Cunha, A.; Mager, Ch.; aux. Neuchatei. Sozialhilfe- und Armutsstatistik im Vergleich -
Vuagniaux, L. (2007): Etalement urbain, mo­ Paugam, S. (2004): La disqualification sociale. Konzepte und Ergebnisse. Neuchatei.
bilite residentielle et aspirations des menages. Paris. Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010):
L'agglomeration lausannoise. Lausanne. Paugam, S.; Duvoux, N. (2008): La regulation des Sozialhilfe 2009- Detaillierte Informationen.
Bonard, Y.; Matthey, L. (2010): Mixite n'est pas pauvres. Paris. Sozialhilfeempfänger/Innen nach Nationalität
(mecaniquement) justice. La mixite sociale un Rerat, P.; Piguet, E.; Besson R.; Söderström, 0. und Geschlecht. Neuchätel.
optimum de satisfaction societale ? In: Geopoint (2008): Les äges de la ville. Mobilite residentiel­ Cunha, A. (1999): Urban poverty in Switzerland:
2008- Optimisation de l'espace geographique le, parcours de vie et attractivite des villes suis­ Exclusion processes and public policy. In: Geo­
et satisfactions societales. S. 205-211. Avig­ ses. Geographica helvetica. 4. S. 261-271. graphica Helvetica 54/1, S. 37-45.
non. Sen, A. (2000): Repenser l'inegalite. Paris. Drilling, M. (2004a): Young urban poor- Ab­
Bourdieu, P. (1982): Die feinen Unterschiede. Kri­ Walter, F. (1995): La Suisse urbaine: 1750-1950. stiegsprozesse in den Zentren der Sozialstaaten.
tik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt Genf. Wiesbaden.
am Main. Drilling, M. (2004b): Young urban poor- Ab­
Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2004): Ge­ Armut und Reichtum ■ Ueli Mäder 105 stiegsprozesse in den Zentren der Sozialstaaten.
meindetypen der Schweiz nach dem Zentren-Pe­ Bilanz (Hrsg.) (2009): Die 300 Reichsten. Wiesbaden. Download zum Buch: (http://www.
ripherie-Modell von 2000. ThemaKart (K00.18). In: Bilanz. 21/2009. Zürich. jugendarmut.ch/home/documents/Armutsfor­
Neuchätel. Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV); Eidge­ schunginderSchweiz.pdf, (Zugriff: 15.10.2009).
Cunha, A. (2007): Transformations urbaines et nössisches Finanzdepartement (EFD) (Hrsg.) Guggenbühl, H. (2008): Wirtschaft wächst- Ar­
urbanisme durable. In: Vues sur la ville, 17, S. 1. (2009): Gesamtschweizerische Vermögensstatis­ mut auch. In: Basler Zeitung (BaZ). Ausgabe:
Cunha, A.; Both, J.-F. (2004): Metropolisation, tik der natürlichen Personen 2006. Bern. 22.10.2008. S.15. Basel.
villes et agglomerations. Structures et dyna­ Kissling, H. (2008): Reichtum ohne Leistung. Die Kehrli, C.; Knöpfel, C. (2006): Handbuch Armut
miques socio-demographiques des espaces ur­ Feudalisierung der Schweiz. Zürich. in der Schweiz. Luzern.
bains. Neuchätel. Kutzner, S.; Mäder, U.; Knöpfel, C. (2004): Wor­ Keim, R. (1999): Wohnungsmarkt und soziale
Cunha, A.; Huissoud, T.; Stofer, S.; Schuler, M. king poor in der Schweiz- Wege aus der Sozial­ Ungleichheit- über die Entwicklung städtischer
(2003): Structures et tendances de la differen­ hilfe. Zürich. Polarisierungsprozesse. In: Wollmann, H. (Hrsg.):
ciation dans les espaces urbains en Suisse. In: Kutzner, S.; Mäder, U.; Knöpfel, C.; Heinz­ Stadtforschung aktuell, Bd. 72. Basel.
Wicker, H.-R.; Fibbi, R.; Haug, W. (Hrsg.): Migra­ mann, C.; Pakoci, D. (2009): Sozialhilfe in der Kutzner, S.; Mäder, U.; Knöpfel, C. (2004): Wor­
tion und die Schweiz. S.175-196. Basel. Schweiz - Klassifikation, Integration und Aus­ king poor in der Schweiz - Wege aus der Sozial­
Cunha, A.; Mager, Ch.; Schmid, 0. (2009): La schluss von Klienten. Zürich. hilfe. Zürich.
quadrature du cube. Analyse des besoins et des Levy, R. (2009): Die schweizerische Sozialstruk­ Kutzner, S.; Mäder, U.; Knöpfel, C.; Heinzmann,
prestations en matiere de prise en charge des tur. Zürich. C.; Pakoci, D. (2009): Sozialhilfe in der Schweiz-
21 0 Uteraturverzeichnis

Klassifikation, Integration und Ausschluss von ten und Differenzen der Geschlechterungleich­ Pfau-Effinger, B. (2000): Kultur und Frauener­
Klienten. Zürich. heit. In: Geographica Helvetica. 56/2. S. 77-89. werbstätigkeit Europa. Theorie und Empirie des
Leu, R. E.; Burri, S.; Priester, T. (1997): Lebens­ Bühler, E. (2003): Vergeschlechtlichte Orte - Ein­ internationalen Vergleichs. Opladen.
qualität und Armut in der Schweiz. 2. Aufl., Bern. blicke in die aktuelle Gender-Forschung in der Pfau-Effinger, B. (2001): Wandel wohlfahrtsstaat­
Mäder, U. (2004): Soziale Konsequenzen der Schweiz. In: Geographische Rundschau. 55/9. licher Geschlechterpolitiken im soziokulturellen
Globalisierung. In: Mäder, U.; Daub, C.-H. S. 45-48. Kontext. In: Heintz, B. (Hrsg.): Wandel wohl­
(Hrsg.): Soziale Folgen der Globalisierung. Basel, Bühler, E. (2005): Online Frauen- und Gleichstel­ fahrtsstaatlicher Geschlechterpolitiken im sozio­
S.9-30. lungsatlas. Neuchatei. (http://www.bfs.admin. kulturellen Kontext. S. 487-411. Opladen.
Mäder, U.; Streuli, E. (2002): Reichtum in der ch/bfs/portal/de/index/regionen/thematische_ Schweizerischer Nationalfonds zur Förderung der
Schweiz - Porträts, Fakten, Hintergründe. Zü­ karten/gleichstellungsatlas.html, Zugriff: wissenschaftlichen Forschung (SNF) (Hrsg.)
rich. 02.12.2009). (2009): Gleichstellung der Geschlechter. Aus­
NZZ Online (2005): Die Arbeitslosigkeit bleibt Bühler, E.; Heye, C. (2005): Fortschritte und führungsplan des Nationalen Forschungspro­
grösste Sorge der Schweizer - Sorgenbarometer Stagnation in der Gleichstellung von Frauen und gramms NFP 60. Bern.
2005. Zürich. NZZ: 13.12.2005 (http://www. Männern 1970-2000. Neuchatei. Senti, M. (1994): Geschlecht als politischer
nzz.ch/2005/12/ 13/il/articledemcg_l.190417. Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2003): Auf Konflikt - Erfolgsbedingungen einer gleich­
html, Zugriff: 09.11.2009). dem Weg zur Gleichstellung? Dritter statistischer stellungspolitischen Interessensdurchsetzung.
NZZ Online (2011): Tausende werden im April Bericht. Neuchatei. Eine empirische Untersuchung am Beispiel der
ausgesteuert. Zürich: NZZ vom 08.02.2011 Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2008): Schweiz. Bern.
( http://www.nzz.ch/ nachrichten/politik/ schweiz/ Gleichstellung von Frau und Mann: Die Schweiz Stamm, H.; Lamprecht, M.; Nef, R. (2003): Sozi­
tausende_ werden_im_apri !_ausgesteuert_ im internationalen Vergleich. Eine Auswahl von ale Ungleichheit in der Schweiz. Strukturen und
1.9406774.html, Zugriff: 09. 02.2011). Gleichstellungsindikatoren in den Bereichen Bil­ Wahrnehmungen. Zürich.
Saner, R. (2010): Sozialhilfe in Basel - Räumliche dung, Arbeit und Politik. Neuchatei. West, C.; Zimmermann, D. H. ( 1987): Doing Gen­
Strukturmuster und deren Dynamik. In: Regio Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2009): Er­ der. In: Gender & Society 1/2. S.125-151.
Basiliensis, 51/3, S. 169-177. werbsmodelle, Arbeitsteilung und Kinderbetreu­ Winker, G.; Degele, N. (2009): lntersektionalität.
Saner, R. (2010): Sozialhilfebezug in Basel - ung in Paarhaushalten. Einige Aspekte der Ver­ Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld.
Verteilung und sozioökonomische Struktur der einbarkeit von Beruf und Familie: Die Schweiz
Betroffenen. Eine GIS-gestützte Untersuchung. im internationalen Vergleich. Neuchätel. Siedlung, Landschaft und Verkehr 118
Masterarbeit. Geographisches Institut der Uni­ Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2009): Siedlungsentwicklung und Kulturland-
versität Basel Medienmitteilung vom 05.11.2009: Hohe Er­ schaftswandel ■ Hans-Rudolf Egli 119
Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) werbsquote und Teilzeitarbeit in der Schweiz. Baeriswyl, A. (2003): Bern vor dem Hintergrund
(Hrsg.) (2007): Häufig gestellte Fragen zur Sozi­ Neuchätel. der mittelalterlichen Stadtgründungswelle. In:
alhilfe. (http://www.skos.ch/store/pdf_d/faq/ Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2009): Ver­ Schwinges, R. C. (Hrsg.): Berns mutige Zeit.
FAQ.pdf, Zugriff: 25.08.2010). änderungen beim Zeitaufwand für Haus- und Fa­ Das 13. und 14. Jahrhundert neu entdeckt.
Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) milienarbeit: 1997-2007. Zeitvergleiche zu den S.81-85. Bern.
(Hrsg.) (2008): Richtlinien für die Ausgestaltung Resultaten aus dem Modul •Unbezahlte Arbeit• Bickel, A. (2010): Stadtgründungen. In: Histori­
und Bemessung der Sozialhilfe. 4.Aufl., Bern. 1997, 2000, 2004 und 2007 der Schweizeri­ sches Lexikon der Schweiz (H LS). (http://hls­
(http://www.skos.ch/store/pdf_d/richtlinien/ schen Arbeitskräfteerhebung (SAKE). Neuchätel. dhs-dss.ch/textes/d/ D7872-l-3.php, Zugriff:
richtlinien/R L-deutsch_2009.pdf, Zugriff: Bundesamt für Statistik (BFS); Eidgenössisches 19.02.2010).
16. 07.2009). Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann Brugger, H. (1978): Die schweizerische Landwirt­
Stamm, H.; Lamprecht, M.; Nef, R. (2001): Die (Hrsg.) (2008): Auf dem Weg zur Gleichstellung schaft 1850-1914. Frauenfeld.
Wahrnehmung der sozialen Ungleichheit in der von Frau und Mann. Stand und Entwicklung. Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) (Hrsg.)
Schweiz. Zürich: Lamprecht und Stamm Sozi­ Neuchätel. (2006): Raumplanung und Raumentwicklung in
alforschung und Beratung. (http://www.lsweb. Bundesamt für Statistik (BFS); Eidgenössisches der Schweiz. Beobachtungen und Anregungen
ch/filead min/ lsweb-dateien/publikationen/ UGH_ Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann der internationalen Expertengruppe. Bern.
CH_kurz.pdf, Zugriff: 15. 10.2009). (Hrsg.) (2009): Auf dem Weg zur Lohngleich­ Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft
Thommen, M. (2009): Sozialkennzahlen 2008. heit! Tatsachen und Trends. Informationen für (BUWAL) (Hrsg.) (2003): Landschaft 2020. Er­
Basel: Statistisches Amt des Kantons Basel­ Arbeitgebende und Arbeitnehmende. Bern. läuterungen und Programm. Synthese zum Leit­
Stadt. (http://www.statistik-bs.ch/kennzahlen/so­ Harding, S. (1991): Feministische Wissenschafts­ bild des BUWAL für Natur und Landschaft. Bern.
zial1eistungen_08/Sozialkennzahlen_2008.pdf, theorie. Zum Verhältnis von Wissenschaft und Egli, H.-R. (1986): Ländliche Neusiedlungen in
Zugriff: 06.10.2009). sozialem Geschlecht. Hamburg. der Schweiz vom Ende des 19. Jahrhunderts bis
Ulrich, W.; Binder, J. (1998): Armut erforschen: Hermann, M. (1998): Der Weltanschauungsraum - zur Gegenwart. In: Erdkunde 40/3. S.197-207.
eine einkommens- und lebenslagenbezogene Un­ ein Instrument zur integrativen Erfassung men­ Egli, H.-R. (1988): Same T houghts an the Origin
tersuchung im Kanton Bern. Zürich. taler, sozialer und regionaler Differenzierungen. of the Open Field System in Switzerland and its
Zürich. Development in the Middle Ages. In: Geografiska
Geschlechterungleichheiten in der Schweiz Hermann, M.; Leuthold, H. (2003): Atlas der po­ Annaler: B. 29/9. S. 95-104.
■ Elisabeth Bühler 114 litischen Landschaften. Ein weltanschauliches Egli, H.-R. (1990): Landschaft und Siedlung.
Aregger, J. (1998): Presse, Geschlecht, Politik. Portrait der Schweiz. Zürich. In: Schweizerische Gesellschaft für Volkskunde
Gleichstellungsdiskurs in der Schweizer Presse. Institut für Politikwissenschaft Universität Bern; (Hrsg.): Die Bauernhäuser des Kantons Bern. Bd.
Bern. Annee Politique Suisse (Hrsg.) (2009): Swissvo­ 1: Das Berner Oberland. S.11-63. Basel.
Bourdieu, P. (2005): Die männliche Herrschaft. tes. Die Datenbank der eidgenössischen Volksab­ Egli, H.-R. (2000): Kulturlandschaft als Ergebnis
Frankfurt am Main. stimmungen. (http://www.swissvotes.ch/ und Voraussetzung für den Tourismus im Berner
Bühler, E. (2001a): Frauen- und Gleichstellungs­ votes/?listmod=list, Zugriff: 25. 11. 2009). Oberland. In: Egli, H.-R. (Hrsg.): Kulturland­
atlas Schweiz. Zürich. Kriesi, H.; Wernli, B.; Sciarini, P.; Gianni, M. schaft und Tourismus. Bern. Geographica Ber­
Bühler, E. (2001b): Zum Verhältnis von kulturellen (1996): Le clivage linguistique. Problemes de nensia. G 63. S. 9-22.
Werten und gesellschaftlichen Strukturen in der comprehension entre les communautes linguis­ Essig, M.; Atmanagara, J.; Flury, P.; Egli, H.-R.
Schweiz - Das Beispiel regionaler Gemeinsamkei- tiques en Suisse. Neuchätel. (2008): Landschaftstypologie Schweiz: Vor-
Literaturverzeichnis 211
dindustrielle Landschaften. Ein Projekt im portkostenrechnung (TRAKOS). Konzept und Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) (Hrsg.)
Rahmen der europäischen Aktion COST A27 Pilotrechnung. Expertenbericht. (http://www. bfs. (2004): Die brachliegende Schweiz - Entwick­
„Landmarks". Unveröffentlichter Schlussbericht admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/11/02/ lungschancen im Herzen von Agglomerationen.
22.12.2008. blank/key/02/0 l.Document.101893.pdf, Zu­ S. 2f. Bern.
Ewald, K.C.; Klaus, G. (2009): Die ausgewech­ griff: 08.06.2009). Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) (Hrsg.)
selte Landschaft. Vom Umgang der Schweiz mit Bundesamt für Statistik (BFS); Bundesamt für (2005): Raumentwicklungsbericht 2005. Bern.
ihrer wichtigsten natürlichen Ressource. Bern. Raumentwicklung (ARE) (Hrsg.) (2007): Mobili­ Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2005): Die
Fellenberg von, G. (1981): Der Wald. In: Meyer, tät in der Schweiz. Ergebnisse des Mikrozensus Raumgliederungen der Schweiz. Statistik der
P. (Hrsg.): Die Natur. Schönheit, Vielfalt, Ge­ 2005 zum Verkehrsverhalten in der Schweiz. Schweiz 0. Neuchatei.
fährdung. Illustrierte Berner Enzyklopädie 1. Neuchatei. Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010):
S.88-105. Wabern. Bundesamt für Strassen (ASTRA) (Hrsg.) (2009): Bevölkerungsstand und -Struktur- Indikatoren
Flückiger, R. (1984): Mittelalterliche Grün­ Strassen und Verkehr in Zahlen und Fakten Räumliche Verteilung: Agglomerationen, Stadt
dungsstädte zwischen Freiburg und Greyerz als 2009. und Land. Ständige Wohnbevölkerung im städti­
Beispiel einer überfüllten Städtelandschaft im Bundesamt für Strassen (ASTRA) (Hrsg.) (2010): schen und ländlichen Raum. Neuchatei.
Hochmittelalter. Freiburger Geschichtsblätter Verkehrsinfrastruktur und Fahrzeuge - Daten, Eidgenössisches Departement für Umwelt, Ver­
63. Freiburg. 1 ndikatoren. (http://www.bfs.admin.eh/bfs/ kehr, Energie und Kommunikation (UVEK)
Flury, P. (2009): Verkehr und Raumentwicklung portal/de/index/themen/11/03/blank/key, Zu­ Eidgenössisches, Volkswirtschaftsdepartement
zwischen Kunststrassen- und Eisenbahnbau. griff: 01. 09. 2010). (EVD), Bundesamt für Raumentwicklung (ARE),
Eine digitale Analyse von Erreichbarkeiten und Bundesamt für Umwelt, Verkehr, Energie und Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) (Hrsg.)
Raumstrukturen in der Schweiz des 19. Jahrhun­ Kommunikation (UVEK) (Hrsg.) (2007): Neue (2006): Agglomerationspolitik des Bundes. Zwi­
derts. Geographica Bernensia. G 83. Bern. Eisenbahn-Alpentransversale. Ein Jahrhundert­ schenbericht 2006. Bern.
Grosjean, G. (1973): Bäuerliche Siedlungs- und projekt für die Schweiz. Bern. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement
Flurformen. Atlas der Schweiz. Blätter 38 und Bundesamt für Umwelt, Verkehr, Energie und (EJPD), Bundesamt für Raumplanung (BRP)
38a. Wabern. Kommunikation (UVEK) (Hrsg.) (2010): Bericht (Hrsg.) (2000): Dossier Neue Zahlen zur Verän­
Lingeri, J.; Nett, C.; Rodewald, R. (2007): über die Verkehrsverlagerung vom November derung der Bodennutzung. Bern.
Grundsätze zur nachhaltigen Entwicklung der 2009. Bern. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement
Terrassenlandschaften der Schweiz. Geographica Bundesamt für Umwelt, Verkehr, Energie und (EJPD), Bundesamt für Raumplanung (BRP)
Bernensia, P 39. Bern. Kommunikation (UVEK) (Hrsg.) (2010): Fakten­ (Hrsg.) (2003): Dossier Attraktive und konkurrenz­
Wagner, J. M. (1999): Schutz der Kulturland­ blätter zur Verkehrspolitik des Bundes. Neuchatei. fähige Schweizer Städte: Kernstadt und Agglome­
schaft - Erfassung, Bewertung und Sicherung Bundesamt für Umwelt, Verkehr, Energie und Kom­ ration - Probleme und Aufgaben der schweizeri­
schutzwürdiger Gebiete und Objekte im Rahmen munikation (UVEK) (Hrsg.) (2011): Faktenblätter schen Agglomerationspolitik. In Zusammenarbeit
des Aufgabenbereiches von Naturschutz und zur Verkehrspolitik des Bundes, S. 20. Bern. mit dem Staatssekretariat für Wirtschaft. Bern.
Landschaftspflege. Saarbrücken. Danielli, G.; Maibach, M. (2007): Schweizerische Frey, R. (1994): Ökonomie der städtischen Mobili­
Zinsli, P. (1975): Ortsnamen. Strukturen und Verkehrspolitik. Zürich. tät. Durch Kostenwahrheit zur nachhaltigen Ent­
Schichten in den Siedlungs- und Flurnamen der Ecoplan/Rapp Trans AG (Hrsg.) (2004): Alpen­ wicklung des Agglomerationsverkehrs. Zürich.
deutschen Schweiz. 2. Aufl. Frauenfeld. transitbörse. Abschätzung der Machbarkeit ver­ Frey, R. (1996): Stadt: Lebens- und Wirtschafts­
schiedener Modelle einer Alpentransitbörse für raum. Eine ökonomische Analyse. Zürich.
Verkehrsentwicklung und Kernprobleme den Schwerverkehr. In: VSS Forschungsprojekt Frey, R. (2001a): Eine neue Raumordnungspolitik
der Verkehrspolitik ■ Ueli Haefeli 127 2002/902. (http://www.news-service.admin. für neue Räume. Beiträge aus dem Forum für
Balthasar, A. (1993): Zug um Zug. Eine Technik- ch/NSBSubscriber/message/attachments/258. Raumordnung 1999/2001. Zürich. (Hrsg. Von
geschichte der Schweizer Eisenbahn aus sozial­ pdf, Zugriff: 08.06.2009). H. Flückiger).
historischer Sicht. Basel. Haefeli, U. (2006): Die schweizerische Gesamtver­ Frey, R. (2001b): Neuer Finanzausgleich. lohnt
Bärtschi, H.-P. (1997): Kohle, Strom und Schie­ kehrskonzeption. In: Schweizerische Zeitschrift sich die Reform? In: Basler Zeitung: 5.Juni
nen: die Eisenbahn erobert die Schweiz. In: für Geschichte 56. S.86-95. 2001, Nr.128.
Verkehrshaus der Schweiz (Hrsg.): Katalog zur Haefel i, U. (2008a): Agglomerationsverkehrspro­ Frick, W.; Wüthrich, P.; Zbinden, R.; Keller, M.
Ausstellung „Schienenverkehr" im Verkehrshaus gramme. Lernen aus der Vergangenheit. Jahr­ (INFRAS, Bern) (2004): Eidgenössische Volks­
Luzern. Zürich. buch der Schweizerischen Verkehrswirtschaft. zählung 2000. Pendlermobilität in der Schweiz.
Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2009): S. 93-105. St Gallen. Neuchatei.
Mobilität und Verkehr. Taschenstatistik 2009. Haefeli, U. (2008b): Verkehrspolitik und urbane Schuler, M. ( 1997): Die Raumgliederung der
Neuchatei. Mobilität. Deutsche und Schweizer Städte im Schweiz. Bundesamt für Statistik, Bern und
Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2009): Vergleich 1950-1999. Beiträge zur Stadtge­ Bundesamt für Statistik, Sektion Räumliche
Transportrechnung 2005. Neuchatei. schichte und Urbanisierungsforschung. Stuttgart. Analysen, Überarbeitung der Agglomerationsde­
Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010): Al­ Höschen, M. (2007): Nationaler Starrsinn oder finition. Grundlagenstudie zur Bestandsanalyse
penquerender Güterverkehr. Neuchatei. ökologisches Umdenken? Politische Konflikte um und Bedürfnisabklärung. Schlussbericht vom
Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010): den Schweizer Alpentransit im ausgehenden 20. 29. Juni 2007. Bern.
Faktenblätter zur Verkehrspolitik des Bundes. Jahrhundert. München. Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) (Hrsg.)
Neuchatei. Maresch, W. (2000): Räume im Wandel: Wege (2008): Die Regionalpolitik des Bundes. Bern.
Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010): Mo­ über die Alpen. Gotha. Tripartite Agglomerationskonferenz (TAK) (Hrsg.)
bilität und Verkehr 2010. Neuchatei. (2004): Horizontale und vertikale Zusammen­
Bundesamt für Statistik (BFS); Bundesamt für Agg/omerationspolitik des Bundes arbeit in der Agglomeration. Grundlagenbericht.
Raumentwicklung (ARE) (Hrsg.) (2005): Mik­ ■ Rita Schnei d e rS
- liwa 134 Bern.
rozensus Verkehr 2005. (http://www.bfs.admin. Akademie für Raumforschung und Landesplanung Valda, A.; Westermann, R. (2004): Die brach­
ch/bfs/portal/de/index/themen/11/07/01/02. (ARU (Hrsg.) (2004): Strategien für Großstadt­ liegende Schweiz - Entwicklungschancen im
html, Zugriff: 16.06. 2009). regionen im 21. Jahrhundert. Empfehlungen für Herzen von Agglomerationen. Bundesamt für
Bundesamt für Statistik (BFS); Bundesamt für ein Handlungsfeld von nationaler Bedeutung. In: Raumentwicklung (ARE). Bundesamt für Um­
Raumentwicklung (ARE) (Hrsg.) (2006): Trans- Arbeitsmaterial Nr. 309, S. 1-3. Hannover. welt, Wald und Landschaft (BUWAL). Bern.
212 Uteraturverzeichnis

Strukturwandel im ländlichen Raum Struktur der Landwirtschaft und Wandel und neues Gesetz über den Finanz- und Lasten­
und in den Alpen 141 der Agrarpolitik ■ Werner Harder 148 ausgleich). Bern.
Räumliche Disparitäten ■ Martin Schuler, Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) (Hrsg.) Schweizerischer Bundesrat (2005a): Botschaft
Manfred Perlik 142 (2009): Die Schweizer Landwirtschaft im Auf­ über die Neue Regionalpolitik (NRP) vom
Aerni, K.; Benedetti, S.; Bitz, V. (2003): Histo- bruch - Das neue Landwirtschaftsgesetz: Eine 16.11. 2005. Bern.
rische Verkehrswege im Kanton Wallis - Les Bilanz nach zehn Jahren. Bern. (http://www.blw. Schweizerischer Bundesrat (2005b): Zweite NFA­
chemins historiques du canton du Valais. Via­ admin.eh/ doku mentation /00018/00498/index. Botschaft vom 07.09. 2005 (Ausführungsgesetz­
Storia - Zentrum für Verkehrsgeschichte. ASTRA. html?lang=de, Zugriff: 02.11.2010). gebung). Bern.
Bern. Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) (Hrsg.) Schweizerischer Bundesrat (2006): Dritte NFA­
Börst, U. (2006): Nachhaltige Entwicklung im (2010): Agrarbericht 2000 bis 2010. Bern. Botschaft vom 08.12.2006 (Dotierung der Aus­
Hochgebirge. Dissertation. (http://hss.ulb.uni­ (http://www.blw.admin.ch/dokumentation/ gleichsgefäße). Bern.
bonn.de/2006/0710/071 O.htm, Zugriff: 00018/00498/index.html?lang=de, Zugriff: Schweizerischer Bundesrat (2007): Botschaft zum
10. 11.2010). 02.11. 2010). Mehrjahresprogramm des Bundes 2008-2015
Brugger, E. A.; Furrer, G.; Messerli, B.; Messerli, P. Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) (Hrsg.) zur Umsetzung der Neuen Regionalpolitik (NRP)
(Hrsg.) (1984): Umbruch im Berggebiet. Bern. (2010): Land- und Ernährungswirtschaft und dessen Finanzierung vom 28.02. 2007. Bern.
Crevoisier, O.; Corpataux, J.; Thierstein, A. (2001): 2025 - Diskussionspapier des Bundesamtes Schweizerischer Bundesrat (2010): Zukunft der
Integration monetaire et regions: des gagnants et für Landwirtschaft zur strategischen Ausrich­ nationalen lnfrastrukturnetze in der Schweiz.
des perdants. Paris. tung der Agrarpolitik. (http://www.blw.admin. Bern.
Dumont, G.-F. (1998): L'Arc Alpin. Paris. ch/themen/00005/01170/index.html?lang=de, Sliwa, N. (2010): Förderinstrumente der Stand­
Egger, T.; Stalder, U.; Wenger, A. (2003): Brain Zugriff: 02.11.2010). ortpolitik und deren Bedeutung für die Regional­
Drain in der Schweiz. Bern: Arbeitsgemeinschaft Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) (Hrsg.) entwicklung in der Schweiz. Das Beispiel Luzern
für die Berggebiete. (2010): Schweizer Landwirtschaft. Taschen­ unter besonderer Berücksichtigung der Neuen
Gebhardt, H. (1990): Industrie im Alpenraum : statistik 2010. 07 Land- und Forstwirtschaft Regionalpolitik. Diplomarbeit im Studiengang
alpine Wirtschaftsentwicklung zwischen Außen­ 872-1000. Neuchatei. Stadt- und Regionalmanagement, Universität
orientierung und endogenem Potential. Stutt­ Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2008): Basel.
gart. Landwirtschaft- Indikatoren. Internationale Ver­ Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) (Hrsg.)
Graf, S.; Jans, A.; Sager, D. (2010): Personenfrei­ gleiche - Strukturen. Neuchatei. (2008): Die Regionalpolitik des Bundes. Bern.
zügigkeit und Wohnungsmärkte in den Schweizer Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2009):
Agglomerationen. In: Die Volkswirtschaft 7 /8, Landwirtschaft - Indikatoren. landwirtschaftli­ Die Entdeckung der Landschaft
S. 9-13. che Nutzfläche. Neuchatei. als öffentliche Aufgabe ■ Paul Messerli 160
Joye, D.; Busset, T.; Schuler, M. (1992): Geo­ gfs-zürich (Hrsg.) (2009): Markt- und Sozialfor­ Bundesamt für Raumplanung (BRP); Bundesamt
graphische und soziale Trennungslinien der schung 2009. Univox-Bericht Landwirtschaft für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL)
Schweiz. In: Handbuch der Schweizer Volkskul­ 2009. Zufriedenheit mit und bei der landwirt­ (Hrsg.) (1994): Landschaft unter Druck: Zahlen
tur, S. 661-676. Zürich. schaftlichen Bevölkerung. Zürich. und zusammenhänge über Veränderungen in der
Messerli, P. (2000): Die Drehung der nationalen Landschaft Schweiz. 1978-89. Bern.
Entwicklungsachsen - ein neues Dispositiv für Strukturwandel, Neuer Finanzausgleich Bundesamt für Umwelt (BAFU) (Hrsg.) (2003):
die Raumordnungspolitik von morgen. In: Thier­ und Neue Regionalpolitik Landschaft 2020- Leitbild. Leitbild des BUWAL
stein, A. (Hrsg.): Großregionen - Wunschvorstel­ ■ Rene L. Frey 154 für Natur und Landschaft. Bern.
lung oder Lösungsansatz. S. 73-84. Bern. Sieger, T.; Rey, M.; Scherer, R.; Schnell, K.-D.; Bundesamt für Umwelt (BAFU) (Hrsg.) (2003):
Pumain, D. (2004): An Evolutionary approach to Star, D.; Strebei, N.; Reinhard, M. (2004): Landschaft 2020. Analysen und Trends. Schrif­
Settlement Systems. In: Champion T.; Hugo, G. Evaluation der Investitionshilfe für Berggebiete tenreihe Umwelt, Nr. 352. Bern.
(Hrsg.): New Forms of Urbanization: Beyond the (IHG). St. Gallen, Lausanne. Bundesamt für Umwelt (BAFU) (Hrsg.) (2009):
Urban-Rural Dichotomy. S. 231-247. Aldershot. Brugger, E. A.; Frey, R. L. (1985): Regionalpolitik Parkkategorien der Schweiz. Bern.
Rokkan, S.; Urwin, D. (1983): Economy, Territory, Schweiz: Ziele, Probleme, Erfahrungen, Refor­ Bundesamt für Umwelt (BAFU) (Hrsg.) (2010).
ldentity: Politics of West European Peripheries. men. Bern. Parkflächen in der Schweiz. Bern.
London. Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010): Sta­ Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft
Schuler, M.; Dessemontet, P.; Jemlin, C. (2007): tistisches Jahrbuch der Schweiz. Zürich. (BUWAL) (Hrsg.) (2003): Landschaft 2020. Er­
Atlas des räumlichen Wandels der Schweiz / At­ Eidgenössisches Finanzdepartement (EFD) läuterungen und Programm. Synthese zum Leit­
las des mutations spatiales de la Suisse. Zürich. (2005): Finanzkraft der Kantone neu festgelegt. bild des BUWAL für Natur und Landschaft. Bern.
Schuler, M.; Dessemontet, P.; Joye, D.; Perlik, M. Medienmitteilung vom 09.11.2005. Bern. Bundesrat (Hrsg.) (2009): Weiterentwicklung des
(2005): Die Raumgliederungen der Schweiz. Expertenkommission „Überprüfung und Neukon­ Direktzah I ungssystems. Bern.
Eidgenössische Volkszählung 2000. Neuchatei. zeption der Regionalpolitik" (2003): Neue Regi­ Hunziker, M. (2008): Welche Landschaft wollen
Schuler, M.; Perlik, M.; Pasche, N. (2004): Nicht­ onalpolitik (NRPJ. Zürich. die Touristen? Geogr. Bernensia. G 63. S. 63-85.
städtisch, rural oder peripher- wo steht der Frey, R. L. (2008): Starke Zentren- Starke Alpen. Lehmann, B.; Steiger U.; Weber, M. (2007): Land­
ländliche Raum heute? Bern. Wie sich die Städte und ländlichen Regionen schaften und Lebensräume der Alpen. Zwischen
Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die der Schweiz langfristig entwickeln können. Wertschöpfung und Wertschätzung. Programm­
Berggebiete (Hrsg.) (2010): Das Schweizer Berg­ Zürich. synthese NFP 48. Zürich.
gebiet 2010. Fakten und Zahlen. (http://www. Schweizerische Steuerkonferenz (2009): Das
sab.ch/uploads/media/Fakten_und_Zah­ schweizerische Steuersystem. Bern. Umweltprobleme und Umgang
len_2010_04.pdf, Zugriff: 15.11. 2010). Schweizerischer Bundesrat (1971): Richtlinien mit Naturgefahren 168
T hierstein, A.; Abegg, C.; Crevoisier, O.; Feld, L.; der Regierungspolitik für die Legislaturperiode Umweltveränderungen und Naturgefahren
Schuler, M.; Ratti, F.; Ruegg, J. (2003): Räum­ 1971-1975. Bern. ■ Wilfried Haeberli 169
liche Unterschiede der Steuerbelastung und Schweizerischer Bundesrat (2001): Erste Bot­ Akademien der Wissenschaften Schweiz (Hrsg.)
regionale Wettbewerbsfähigkeit. Bern: Schweize­ schaft zur Neugestaltung des Finanzausgleichs (2009): Hallers Landschaften und Gletscher.
rische Studiengesellschaft für Raumordnung und und der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen Beiträge zu den Veranstaltungen der Akademien
Regionalpolitik. (NFA) vom 14.11.2001 (Verfassungsänderungen Schweiz 2008 zum Jubiläumsjahr „Haller300".
Literatu rverzeicMlt 213

Sonderdruck aus den Mitteilungen der Natur­ Taureck, B. H. F. (2009): Rousseau. Mit Selbst­ Nachhaltigkeit in der Schweizer
forschenden Gesellschaft in Bern, N. F., Bd. 66. zeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek. Raumplanung ■ Daniel Wachter 180
S. 238. United Nations Environment Programme (UNEP) Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) (Hrsg.)
Amt für Wasser und Abfall (AWA) Kanton Bern (Hrsg.) (2007): Global outlook for ice and snow. (2005): Raumentwicklungsbericht 2005. Bern.
(Hrsg.) (2010): Juragewässerkorrektion. Nairobi. Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) (Hrsg.)
(http://www.bve.be.eh/site/index/awa/bve_ Vischer, D. (1986): Schweizerische Flusskorrekti­ (2008): Bauzonenstatistik Schweiz 2007. Bern.
awa_jur_juragewaesserkorrektion.htm, Zugriff: onen im 18. und 19. Jahrhundert. Mitteilungen Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) (Hrsg.)
14.04. 2010). der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie (2009): Monitoring urbaner Raum Schweiz -
ASTRA (Bundesamt für Strassen) (Hrsg.) (2009): und Glaziologie der ETHZ, Nr. 84. Analysen zu Städten und Agglomerationen. Bern.
Strassen und Verkehr - Zahlen und Fakten Vischer, W. (1946): Naturschutz in der Schweiz. Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) (Hrsg.)
2009. Bern. Schweizerische Naturschutzbücherei. 3. Basel. (2010): Erschließung und Erreichbarkeit in der
Bundesamt für Umwelt (BAFU) (Hrsg.) (2007a): Walter, F. (1996): Bedrohliche und bedrohte Na­ Schweiz mit dem öffentlichen Verkehr und dem
Umwelt Schweiz 2007. Bern. tur- Umweltgeschichte der Schweiz seit 1800. motorisierten Individualverkehr. Grundlagenbe­
Bundesamt für Umwelt (BAFU) (Hrsg.) (2007b): Zürich. richt. Bern.
Forschungskonzept Umwelt für die Jahre Bundesamt für Raumentwicklung (ARE); Bundes­
2008-2011- Forschungsstand, Schwerpunkte, Ressourcenschutz ■ Daniel Schaub 175 amt für Umwelt (BAFU) (Hrsg.) (2007): Land­
Strategien. Bern. Abteilung für Umwelt (AfU) (Hrsg.) (2007): Sa­ schaft unter Druck. 3. Fortschreibung. Bern.
Bundesamt für Umwelt (BAFU) (Hrsg.) (2009): nierung Hallwilersee - 20 Jahre Seebelüftung. Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2008):
Umwelt Schweiz 2009. Bern. Umwelt Aargau. Sondernummer 24. Aarau. Regionale Disparitäten in der Schweiz - Schlüs­
Conseil des academies scientifiques suisses Ambühl, H. (1958): Die Nährstoffverhältnisse des selindikatoren. Neuchatei.
(CASS)/ProClim-forum for climate and global Hallwilersees. Untersuchungen an seinen Zuflüs­ Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2011): Are­
change (Hrsg.) (1997): Forschung zu Nachhal­ sen. Bericht Kantonales Labor. Solothurn. alstatistik der Schweiz, Arealstatistik 2004/09:
tigkeit und Globalem Wandel - Wissenschafts­ Bachofen R. (1960): Stoffhaushalt und Sedimen­ Planung, Datengrundlage. Neuchatei.
politische Visionen der Schweizer Forschenden. tation im Baldegger- und Hallwilersee, Diss. Uni Bundesversammlung der Schweizerischen Eidge­
Bern. Zürich. Zürich. nossenschaft (2011): Bundesgesetz über den
Eidgenössisches Departement für Umwelt, Ver­ Bührer, H. (o.J.): Zusammenstellung von Seetopo­ Schutz der Gewässer (Gewässerschutzgesetz,
kehr, Energie und Kommunikation (UVEK); graphien. Volumenberechnung Programm BEKA, GSchG) vom 24.Januar 1991. Bern.
Bundesamt für Umwelt (BAFU) (Hrsg.) (2008): EAWAG. Dübendorf. Europäische Kommission (Hrsg.) (1999): EUREK
Hochwasser 2005 in der Schweiz. Synthese zur Bundesamt für Umwelt (BAFU) (Hrsg.) (2010): Europäisches Raumentwicklungskonzept- Auf
Ereignisanalyse. Bern. Luftreinhaltung. Die Schweizer Luft auf dem Weg zu einer räumlich ausgewogenen und
Ewald, K. C.; Klaus, G. (2009): Die ausgewechsel­ einen BI ick. (http://www.bafu.admin.ch/1 uft/ nachhaltigen Entwicklung der Europäischen
te Landschaft - Vom Umgang der Schweiz mit 00575/00576/index.html?lang=de, Zugriff: Union. Angenommen beim informellen Rat
ihrer wichtigsten natürlichen Ressource. Bern. 20.07. 2010). der für Raumordnung zuständigen Minister am
Haeberli, W.; Zumbühl, H.J. (2003): Schwankun­ Bundesamt für Umwelt (BAFU); Bundesamt für 10./11. Mai 1999 in Potsdam. Luxemburg.
gen der Alpengletscher im Wandel von Klima Statistik (BFS) (Hrsg.) (2007): Umwelt Schweiz Europäische Kommission (Hrsg.) (2007): Territo­
und Perzeption. In: Wiesmann, U.; Jeanneret, 2007. Bern. riale Agenda der Europäischen Union - Für ein
F.; Wastl-Walter, D.; Schwyn, M. (Hrsg): Welt der Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft wettbewerbsfähigeres nachhaltiges Europa der
Alpen - Gebirge der Welt. Bern. (BUWAU (Hrsg.) (2003): Umwelt 3. vielfältigen Regionen. Angenommen anlässlich
Haefeli, U. (1998): Der lange Weg zum Um­ Burger, 0. ( 1965): Zwischenbericht über die des informellen Ministertreffens zur Stadtent­
weltschutzgesetz. Die Antwort des politischen limnologische Untersuchung des Hallwilersees. wicklung und zum territorialen Zusammenhalt in
Systems auf das neue gesellschaftliche Leitbild Bericht Kant. Labor Aargau. Leipzig am 24./25. Mai 2007.
,, Umweltschutz". In: König, M.; Kreis, G.; Meis­ Gewässerschutzlaboratorium (GSch. Labor) Aargau: Europäische Raumordnungsministerkonferenz
ter, F.; Romano, G. (Hrsg.): Dynamisierung und diverse Datengrundlagen: Baudepartement, Abt. (CEMAT) (Hrsg.) (2000): Leitlinien für eine
Umbau: Die Schweiz in den 60-er und 70er Jah­ Gewässerschutz (1969-1983), Abt. Gewässer nachhaltige räumliche Entwicklung auf dem eu­
ren. Die Schweiz 1798-1998: Staat- Gesell­ (1984-1988), Abt. Umweltschutz (ab 1989). ropäischen Kontinent. Verabschiedet auf der 12.
schaft- Politik, Bd. 3. S. 241-249. Zürich. Herlyn, A. (2007): Status quo der Schweizer Ab­ Europäischen Raumordnungsministerkonferenz
11\i, M. (1987): Von der Schissgruob zur modernen wasserentsorgung. Gas Wasser Abwasser (gwa). am 7./8. September 2000 in Hannover.
Stadtentwässerung. Zürich. 86/3. 171-176.
s. Odermatt, A.; Wachter, D. (2004): Schweiz- eine
Klötzli, F.; Stadelmann, F.X. (Hrsg.) (2008): Kantonales Laboratorium (Kant. Labor) (o.J.): moderne Geographie. 4. Aufl., Zürich.
Umweltentwicklung Schweiz: gestern - heute - diverse Datenblätter, Akten AUS. Schweizerischer Bundesrat (Hrsg.) (1996): Be­
morgen. Zürich. Prasuhn, V.; Liniger, H.; Hurni, H.; Friedli, S. richt vom 22. Mai 1996 über die Grundzüge der
Organe consultatif sur les changements clima­ (2007): Bodenerosions-Gefährdungskarte der Raumordnung Schweiz. Bern.
tiques (OcCC) (Hrsg.) (2007): Klimaänderung Schweiz. Agrarforschung 14/3. S. 120-127. Wachter, D. (2009): Nachhaltige Entwicklung­
und die Schweiz 2050 - erwartete Auswirkungen Schaub, D. (2009): Regionale Wasserversorgung das Konzept und seine Umsetzung in der
auf Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft. Bern. im Zeichen des Klimawandels. Regie Basiliensis Schweiz. 2. Aufl., Zürich.
Organe consultatif sur \es changements cli­ 50/1. S. 53-60.
matiques (OcCC) (Hrsg.) (2008): Das Klima Thomas E. A. (o.J.): Untersuchung des Sempa­ Die Schweiz in der Welt 186
ändert- was nun? Der neue UN-Bericht (IPCC chersees 1954/56. (Daten erhalten vom Kanto­ Schweiz und Europa ■ Georg Kreis 187
2007) und die wichtigsten Ergebnisse aus der nalen Amt für Umweltschutz Luzern - AfU LU). Aebi, P. (1958): Droht Europa eine wirtschaftliche
Sicht der Schweiz. Bern. Luzern. Spaltung?: Stand der Verhandlungen über die
Pfister, C. (2002): Am Tag danach - zur Bewäl­ Tobias, S.; Schulin, R.; Schaub, D.; Weisskopf, P.; F reihandelszone. Monatshefte 38/2. S. 81-92.
tigung von Naturkatastrophen in der Schweiz Buchter, B.; Zimmermann, S.; Barer, F.; Vökt, U. Zürich.
1500-2000. Bern. (1999): Physikalischer Bodenschutz. Bodenkund­ Brotbeck, K. (1963): Die schweizerische Neutrali­
Stiftung Historisches Lexikon der Schweiz (HLS) liche Gesellschaft der Schweiz. Dokument 9. tät als Beitrag zu einem freien Europa. Bern.
(Hrsg.) (2002): Historisches Lexikon der Umweltschutzgesetz (USG) (1983): Bundesgesetz Bundesamt für Statistik (BFS) (Hrsg.) (2010):
Schwe�. 1. S.320-322. Bern. zum Umweltschutz. Bern. Außenhandel. Indikatoren und Handelsbilanz.
214 blldungsverzeichnis

(http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/ SECO (Staatssekretariat für Wirtschaft ) (Hrsg.) (2010): Jahresbericht Internationale Zusam­
themen/ 06/ 05/blank/key/handelsbilanz.html, (2009): Schweizer Außenhandelsstatistik 2009. menarbeit der Schweiz 2010. (http://www.deza.
Zugriff: 3 0.09.2010). SECO (Staatssekretariat für Wirtschaft ) (Hrsg.) admin.ch/de/ Home/Dokumentation/Publikatio­
Eidgenössisches Departement für auswärtige An­ (2010): Bericht zur Außenwirtschaftspolitik nen/Jahresberichte, Zugriff: 14.11.2011).
gelegenheiten (EDA ); Eidgenössisches Volkswirt­ 2009. Bern. Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit
schaftsdepartement (EVD ) (Hrsg.) (2009): Bi­ World Trade Organization (WTO ) (Hrsg.) (2010): (DEZA ) (Hrsg.) (1994 ): Leitbild Nord Süd - Be­
laterale Abkommen Schweiz-EU.(http://www. World Trade Report 2009. Genf. richt des Bundesrates über die Nord-Süd Bezie­
europa.admin.ch/themen/ 005 00/index.htm 1, WTO (World Trade Organization ) (2010): hungen der Schweiz in den 9 0er Jahren, 7.März
Zugriff: 03.10.2010). (http://www.wto.org, Zugriff: 07.10.2010). 1994.(http://www.deza.admin.ch/de/ Horne/ Do­
Eidgenössisches Finanzdepartement (EFD ) kumentation/ Leitbi lder_Strategien, Zugriff:
(Hrsg.) (2009): Bankgeheimnis und internatio­ Die Schweiz in der Entwicklungs- 07.10.2010).
nale Steuerfragen.Der Schweizer Standpunkt. zusammenarbeit ■ Matthias Meyer 195 Laubs eher, M.(2010): La Suisse a du pain sur la
Bern. Bundesrat (Hrsg.) (197 6 ): Verordnung über die planche. In: Global+ alliance sud. 3 6. S. 8-9.
Eidgenössisches Finanzdepartement (EFD ) (Hrsg.) internationale Entwicklungszusammenarbeit Maya, D.(2009): Dead Aid - Why is aid not wor­
(2010): Schutz der Privatsphäre im Finanzbe­ und humanitäre Hilfe vom 12.Dezember 197 7. king and how there is a better way for Africa.
reich.(http://www.efd.admin.ch/dokumentation/ (http://www.admin.ch/ch/d/sr/c 97 4_01.html, New York.
zahlen/ 005 7 9/ 006 07/ 006 21/index.html? Zugriff: 01.07.2010). Organisation for Economic Cooperation and De­
lang=de, Zugriff: 03. 10.2010). Bundesrat (Hrsg.) (2006 ): Botschaft über velopment (OECD ) (Hrsg.) (2009): Switzerland,
EURO STAT (2010): Europäische Demografie. die Weiterführung der Zusammenarbeit mit Development Assistance Committee (DAC )-Peer
(http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ity_ den Staaten Osteuropas und der GU S vom Review. Bern.
public/ 3-27 07 2010-ap/de/ 3-27 07 2010-ap­ 15.Dezember 2006.(http://www.deza.admin. Organisation pour la cooperation et le developpe­
de.pdf, Zugriff: 03.10.2010). ch/de/ Home/Die_DEZA/Rechtsgrundlagen, Zu­ ment economique (OCDE ) (Hrsg.) (2005 :) Objec­
Neue Züricher Zeitung (NZZ ) (2000): Inserat NZZ griff: 07.10.2010). tifs du developpement-la coherence des poli­
vom 17.Februar 2000.Zürich. Carbonnier, G.(2010): Official development tiques au service du developpement, promouvoir
assistance once more under fire from critics. de bonnes pratiques institutionnelles.Paris.
Die Schweiz in der Weltwirtschaft International Development Policy Series. 1. Schweizerische Eidgenossenschaft (Hrsg.) (197 6 ):
■ Luzius Wasescha 191 s. 13 7-214. Bundesgesetz über die internationale Entwick­
Cottier, T.; Kopse, A.R.(Hrsg.) (1998 ): Der Beitritt Carbonnier, G.; Zarin- Nejadan, M.(2009): Effets lungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe vom
der Schweiz zur europäischen Union.Brenn­ economiques de l'aide publique au developpe­ 19.März 197 6. (http://www.admin.ch/ch/d/sr/c
punkte und Auswirkungen.Zürich. ment en Suisse.Etude 2006. Neuchatei. 97 4_ 0.html, Zugriff 01. 07.2010).
Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement DEZA-Direktion für Entwicklungszusammenarbeit Schweizerische Eidgenossenschaft (Hrsg.) (1999):
(EVD ) (2010): (http://www.evd.admin.ch, Zu­ (Hrsg.) (2010): Die öffentliche Entwicklungshilfe Bundeverfassung der Schweizerischen Eidge­
griff: 07.10.2010). in der Schweiz 2009. (http://www.sdc.admin.ch, nossenschaft vom 8.April 1999.(http://www.
European Free Trade Association (EFTA ) (2010): Zugriff: 25.09.2010). admi n.ch/ch/d/sr/ 101/index.html, Zugriff:
(http://www.efta.int, Zugriff: 07.10.2010). DEZA; Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO ) 07. 03.2010).
Schweizer Handelszeitung (Hrsg.) (2006 :) Top (Hrsg.) (2010): Statistiken internationale Zu­ SECO (Staatssekretariat für Wirtsc haft ) (Hrsg.)
2006.Die größten Industrie-, Handels-und sammenarbeit der Schweiz 2009.(http://www. (2010): Öffentliche Entwicklungshilfe (APD ) der
Dienstleistungsunternehmen, Banken und Versi­ deza.admin.eh/ de/ Horne/Dokumentation/Jah­ Schweiz 2009. Bern.
cherungen in der Schweiz.Zürich. resberichte_Taetigkeitsberichte, Zugriff: United Nations (U N ) (Hrsg.) (2000): Millenni­
Schweizer Handelszeitung (Hrsg.) (2010): Top 07.10.2010). um Report, full report. New York.(http://www.
2010.Die größten Unternehmen in der Schweiz. Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit un.org/millennium/sg/report/full.html, Zugriff:
Zürich. (DEZA ) & Staatssekretariat für Wirtschaft SECO 07.10.2010).

Abbildungsverzeichnis
Abb.l: Blick auf den Tschierva- Abb.9: Künstliche Bewässerung Abb.18: Blockgletscher im Binntal . . . 21
gletscher mit Piz Bernina, (Niwa Suon ) bei St.German 9 Abb.19: Veränderungen der Zunge
Piz Scerscen, Piz Roseg ..... 1 Abb. 10: Schema des Föhnverlaufs .... 10 des Großen Aletschgletschers
Abb.2: Die drei großen Abb. 11: Föhnfenster über den Glarner- während der letzten
naturräumlichen Einheiten und St.Galler Alpen ........ 10 3 200Jahre . . . . ' ' . . . . . . . 21
der Schweiz ' . ' ' .... ..
' ' . 2 Abb. 12: langjähriger Verlauf der jahres- Abb.20: Modellierter Rückgang der
Abb.3: Geologisch-tektonische zeitlichen Temperatur gemittelt Vergletscherung in den
Gliederung der Schweiz über die gesamte Schweiz ... 11 verschiedenen Alpenländern
und geologisches Querprofil 3 Abb.13: Zersiedelung im Schweizerischen bei verschiedenen Szenarien
Abb.4: Quartäre und heutige Mittelland: Moosseedorf, des Temperaturanstiegs ..... 22
Vergletscherung der Schweiz 4 Schönbühl, Muchenbuchsee .. 14 Abb.21: Felssturz in Randa, Bezirk Visp
Abb.5: Faltenjura, Val Ion de St-lmier, Abb.14: Bodenkarte der Schweiz ..... 15 im Wallis 1991 ........... 22
Courtelary ............... 5 Abb.15: Die wichtigsten Krankheitsbilder Abb. 22: Höhenstufen der Alpen . . . ' . 23
Abb.6: Wasserbilanz der Schweiz, (,,Syndrome") der Böden in der Abb.23: Zerstörung der Rasendecke
Periode 196 1-1990 ....... 8 Schweiz ................ 16 und Bodensackungen
Abb. 7: Das Wasserkraftwerk Ova Spin am Abb.16: Lawinenverbauungen im Berner (Viehgangeln ) in der sensiblen
Rand des Nationalparks in der Spöl- Oberland . . . . . . . . . . . . . . . 19 alpinen Höhenstufe .. ...... 24
schlucht im Engadin ... ...
' 7 Abb.17: Der Rhönegletscher im 19.und Abb.24: Die Rütliwiese am südlichen
Abb.8: Niederschlagsprofil der Schweiz 9 20.Jh. ................. 20 Arm des Vierwaldstättersees .. 25
Abbildungsverzeichnl 215

Abb.25: Die drei Eidgenossen mit dem Abb.51: ,.Steuerparadies" Kanton Abb.78: Schematische Darstellung
Bundesbrief von 1291 ...... 26 Zug - Zugerberg mit des Systems der sozialen
Abb.26: Konfessionen um 1530 ..... 27 Zugersee und Blick Sicherheit in der Schweiz .... 112
Abb.27: Bundeshaus in Bern ....... 32 auf die Stadt Zug ......... 66 Abb.79: Ergebnisse gleichstellungs­
Abb.28: Nationalratssaal (links) und Abb.52: Mittelwert der steuerbaren relevanter Volksabstimmungen;
Ständeratssaal (rechts) Einkommen auf Gemeinde- Anteil Ja-Stimmen am Total
im Bundeshaus in Bern ..... 33 ebene .................. 66 der gültigen Stimmen nach
Abb.29: Der politische Aufbau in der Abb.53: Anzahl der Einkommens- Sprachregionen und Siedlungs­
Schweiz und die Kompetenzen 33 millionäre in der Schweiz typen in der Schweiz .. . .... 114
Abb.30: Politische Entscheidungs- nach Wohnort 2005 ....... 67 Abb.80: ,.Wenn sie 40 sind ... "­
prozesse in der Schweiz ..... 35 Abb.54: Die demographische Zukunft Aktion zur Gleichstellung im
Abb.31: Dimension Links-Rechts, der Schweiz ist interkulturell .. 70 Kanton Basel-Landschaft .... 115
Liberal-Konservativ, Ökolo­ Abb.55: Ausländeranteil in der Schweiz Abb.81: Index der Geschlechterkultur
gisch-Technokratisch, Modern­ 2009 .................. 71 und Index der Geschlechter­
Traditionell; Abstimmungen der Abb.56: Sprachenlandschaft ungleichheit nach Schweizer
Jahre 2000-2009 . ....... 38 der Schweiz ... . ........ . 75 Kantonen .......... . .... 117
Abb.32: Plakate für die Volksabstim- Abb.57: Anteile der 15 häufigsten Nicht­ Abb.82: Autobahnausfahrt Oensingen,
mung vom 5.Mai 2005 ..... 39 landessprachen in der Wohn­ Klus bei Balsthal ..... . .... 118
Abb. 33: Finanzplatz Zürich ......... 42 bevölkerung (in% und absolut), Abb.83: Die Landschaftstypen
Abb.34: Gotthardpassstraße ........ 43 2000 .................. 76 der Schweiz ........ . .... 119
Abb.35: Das Territorium der Schweiz Abb.58: Wohnbevölkerung nach Haupt- Abb.84: Ortsnamen als
im mittelalterlichen Europa: sprachen, 2000 .......... 77 Indikatoren
Transitachsen und bedeutende Abb.59: Erwerbstätige nach Sprache, der Besiedlingsphasen ...... 120
Märkte ................. 44 2000 .................. 79 Abb.85: Stadtgründungen im 13.Jh.
Abb.36: Der Paradeplatz in Zürich .... 45 Abb.60: Schweizerdeutsch - im Gebiet der heutigen
Abb.37: Standorte der wichtigsten eine eigene Sprache ... ..... 80 Schweiz ........... . .... 121
Industriezweige um 1880 ... 46 Abb.61: Beispiel kultureller Vielfalt: Abb.86: Gemengeflur bei Kriechen-
Abb.38: MS-Regionen und Kantone Ursprüngliche Haustypen wil, Blick Richtung
der Schweiz ........... .. 50 in der Schweiz .......... . 81 Avenches ... . ....... .... 122
Abb. 39: Metropolitanraum Zürich 50 Abb.62: Wohnbevölkerung unterteilt Abb.87: Die Siedlungs- und Flurformen
Abb.40: Bevölkerung und Brutto­ nach Religion für das als landschaftsprägende Merk­
inlandsprodukt (BIP) Jahr 2000 .............. 83 male des ländlichen Raums
pro Kopf in lOOOCHF Abb.63: Die Moschee von Petit- der Schweiz . . ..... . . . . .. 122
in den sieben Großregionen Saconnex in Genf ......... 85 Abb.88: Kleinflächige Blockfluren im
der Schweiz ............. 51 Abb.64: Zuzügler aus Nordwesteuropa Oberwallis .............. 123
Abb.41: Wirtschaftliche Dynamik in den nach Gemeinden Abb.89: Industriedorf Haslen, Glarus .. 124
Schweizer Großregionen .... 51 (Total 2007-2009) ........ 86 Abb.90: Einzelhofsiedlung beim
Abb.42: Blick auf Basel-Stadt ....... 53 Abb.65: Das duale Bildungssystem ... 88 Vallee de la Brevine,
Abb.43: Träger der Schweizer Abb.66: Das Bildungswesen Neuchatei ........... . . .. 125
Tourismuspolitik .. . .... . .. 56 in der Schweiz (vereinfacht) .. 89 Abb.91: Basel, Schweizerische Bundes­
Abb.44: Engadin - St.Moritz, Abb.67: La-Chaux-de-Fonds im Kanton bahnen (SBB) .... . .. . .... 127
der weltberühmte Ferienort Neuchatei/Neuenburg, 1935 Abb.92: Bahn- und Personenkilometer
auf 1856 m ............. 56 und 2009 ............... 90 in der Schweiz 2005 .. . .... 127
Abb.45: Entwicklung der Zahl Abb.68: Monatlicher Bruttolohn nach Abb.93: Alpenquerender Güterverkehr
der Hotelübernachtungen Alter und Geschlecht 2008 .. 93 1980-2008 ............. 128
in der Schweiz und in den Abb.69: Basel - Armut mitten Abb.94: Personenverkehr auf Schweizer
umliegenden Ländern ...... 57 in der Stadt ............. 95 Straßen (A) und Schweizer
Abb.46: Wachstumsbeitrag der Abb.70: Politisches Plakat und Schienen (B) im Jahr 2008 .. 129
Ferienregionen 2003-2008. Karikaturen als Ausdruck Abb.95: Netzbelastung im Güterver­
Wachstumsbeiträge, Anteil der direkten Demokratie ..... 96 kehr auf dem schweizerischen
und Veränderung der Zahl Abb.71: Bevölkerung nach Migrations- Schienennetz (Al und
der Hotelübernachtungen status 2008 ......... . ... 98 schweizerischen Straßennetz
in der Schweiz ........... 57 Abb.72: Die Cite du Lignon im Westen (B) im Jahr 2008 ..... .... 130
Abb.47: Wachstumsbeitrag von Genf .......... . .... 101 Abb.96: Der Gotthard mit dem Basis-
der Herkunftsländer 2003- Abb.73: Gemeindetypen der Schweiz tunnel im Profil mit Lage des
2008.Wachstumsbeiträge, nach dem Zentren-Peripherie- Profils im Satellitenbild ..... 131
Anteil und Veränderung der Zahl Modell von 2000 .......... 102 Abb.97: 1 nfrastrukturinvestitionen für
der Hotelübernachtungen Abb.74: Innerstädtisches Wohnen Straße und Schiene pro 5 Jahre,
in der Schweiz, nach Herkunfts- in Zürich ............... 103 1950-2005 ............. 133
land des Gastes ........... 58 Abb.75: Zürich, Blick auf die Abb.98: Agglomerationen, Einzelstädte
Abb.48: Skilift am Arosa Hörnli ...... 58 „Goldküste" ............. 106 und Metropolen der Schweiz .. 134
Abb.49: Entwicklung der Erwerbstätigen­ Abb.76: Aktion „wir sind arm" Abb.99: Wichtigstes Pendlerziel
zahlen im internationalen von Caritas Zürich, 2000 .................. 135
Vergleich (2000-2008) .... 59 Frühling 2010 ........... 108 Abb.100: Das Raumkonzept Schweiz ... 137
Abb.50: Finanzföderative Struktur der Abb.77: Quote der Sozialhilfeempfänger Abb.101: Das Modell für eine funktions-
Schweiz 2005 ........ . . . 62 2008 nach Kantonen ....... 111 fähige Agglomeration ... .... 140
216 lbeltenverzeichnis

Abb.102: Agglomerationsrat - Abb.117: Finanzflüsse gemäß NFA (in Abb.132: Steingletscher beim Susten-
die Vorteile überzeugen 140 Mio.CHF, bezogen auf 2009) 156 pass mit Gwächtenhorn .. ... 171
Abb.103: Periurbanisierung im Alpen- Abb.118: Ausgleichszahlungen der Abb.133: Ausbreitung einer durch den
vorland mit BIick auf die einzelnen Kantone Sturm Vivian 1990 entwalde­
Glarner Alpen ............ 141 im Jahr 2010 ............ 157 ten Hangfläche bei Sedrun,
Abb.104: Unterschiede der Steuer- Abb. 119: Die 54 !HG-Regionen Graubünden (Westflanke
belastung ............... 143 der Schweiz ....... ...... 158 des Uaul Bugnei ) . ..... ... 172
Abb.105: Hotel Alpenrose in Sils im Abb.120: Gebiete regionaler Abb.134: Schwerpunkte der Umwelt­
Engadin aus der Gründerzeit Strukturförderung ......... 158 forschung Schweiz
des Alpentourismus, heute Abb.121: Ein großes Missverständnis : 2008-2011 ............. 173
umgenutzt zu vermieteten Die Landschaft beginnt Abb.135: Reinigungsanlage Hafen:
Apartment-Wohnungen .. . .. 144 nicht am Siedlungsrand ..... 160 ein Tropfkörper in Betrieb . ... 176
Abb.106: Im Rhönetal konzentrieren Abb.122: Strategische Schwerpunkte Abb.136: Der Hallwilersee . . ... .. ... 177
sich Aluminium- und und Umsetzung Abb.137: Phosphatbelastung des
Biotechindustrie .......... 145 der Landschaftspolitik ...... 161 Hallwilersees ... . ........ 177
Abb.107: Anteil der ruralen Arbeits- Abb.123: Verhandelbare Dimensionen Abb.138: Übersicht der Schadstoff­
plätze nach Wirtschafts- von Landschaft ........... 163 belastungen 2009 im Ver-
sektoren (1939-2008) ..... 146 Abb.124: Welche Landschaft wollen wir? gleich zu den Immissions­
Abb.108: Die ehemals selbstständige Verhandlungsbereich, Schönheit, grenzwerten der Luftreinhalte­
Gemeinde Castasegna (190 EW ) Stimulanz, Vertautheit . ..... 164 Verordnung ..... . ........ 178
an der Grenze zu Italien ..... 147 Abb.125: Das Landschaftskonzept des Abb.139: Schießanlage Thun-Guntelsey . 179
Abb.109: Landwirtschaft in der Bundes als normative Vorgabe Abb.140: Raumtypen der Schweiz ..... 180
Schweiz ................ 149 für die Sektoralpolitiken ..... 164 Abb.141: Zersiedelung im Schweizer
Abb.110: landwirtschaftliche Abb.126: Vision Landschaft 2020 ..... 164 Mittelland - Zofingen ....... 181
Nutzfläche .............. 149 Abb.127: Parklandschaften Abb.142: Hauptgebäude der UNO
Abb.111: Zusammensetzung des land­ in der Schweiz ........... 166 in Genf ........ ...... ... 186
wirtschaftlichen Wirtschafts­ Abb.128: Luzern mit Seebecken Abb.143: Eine gute Zusammenarbeit . .. 190
bereichs ................ 149 und Pilatus .............. 168 Abb.144: Frühe Verkehrsverbindung
Abb.112: Betriebsgröße im Abb.129: Übersicht über die zwischen Nord und Süd :
europäischen Vergleich ..... 150 größeren Flusskorrekturen Die Gotthard-Passstraße
Abb.113: Der größte Felsenkeller der im 18.und 19.Jh. ........ 169 vom heutigen Hospental
Schweiz (Kaltbach-Höhle ) 152 Abb.130: Lawinenverbauungen und ein in Richtung Gotthardpass .... 191
Abb.114: ökologische Ausgleichs- kombinierter Lawinen-/Mur­ Abb. 145: WTO in Genf am Tag der
flächen in der Schweizer gang-Rückhaltedamm für offenen Tür 2010 ......... 193
Land-wirtschaft ........... 153 Lawinen und Murgänge aus der Abb.146: Schwerpunktländer von DEZA
Abb.115: Haus der Kantone in Bern 154 Permafrostzone bei Pontresina 169 und SE CO und Sonder-
Abb.116: Beschäftigte nach Abb.131: DPSIR-Diagramm zur programme der DEZA . . . . ... 197
Sektoren 1900 bis 2009 Einschätzung von Umwelt­ Abb.147: Die Schweiz im internationalen
(in Prozent ) ............. 155 problemen .............. 171 Vergleich 2009 .. ......... 199

Talbellenverzeichnis
Tab.l: Beitrag der Alpen zum Gesamt­ Tab.8: Verteilung der vier wichtigsten Tab.15: Städte mit 30000 und mehr
abfluss von Rhein, Rhöne, Exportbranchen in den Groß- Einwohnern 2009 ......... 74
Po und Donau ............ 6 regionen der Schweiz ...... 52 Tab.16: Prozentuales Verhältnis
Tab.2: Wasserreserven Tab.9: Räumliche Konzentration der der Sprachen, 1950-2000 .. 75
der Schweiz .. ........... 7 vier wichtigsten Schweizer Tab.17: Verwendung der lokalen Landes­
Tab.3: Grundwasservorkommen Exportbranchen 2008 ...... 52 sprache in der Familie von
in der Schweiz ........... 7 Tab.10: Touristische Bruttowertschöpfung, Sprechenden von Nichtlandes­
Tab.4: Erwartete Änderung der Nachfrage und Beschäftigung sprachen, nach Sprachgebieten
jahreszeitlichen Temperatur in der Schweiz 2009 ....... 55 1990 und 2000 .......... 76
und der jahreszeitlichen Tab. 11: Struktur der schweizerischen Tab.18: Die drei demographisch größten
Niederschläge bis ins und österreichischen und kleinsten Gemeinden
Jahr 2050 gegenüber Hotellerie, nach Sternkategorien der Schweiz ( 2009) .. . .. ... 82
1990 .................. 13 (in%). ................. 60 Tab.19: Wohnbevölkerung in der Schweiz
Tab. 5: Mitbestimmungsrechte Tab. 12: Steuerbelastung des Arbeits­ nach Religionen gemäß letzter
des Schweizer Volks einkommens nach Kantons- Volkszählung 2000 ........ 82
im Überblick ............. 34 hauptorten 2008 .......... 65 Tab.20: Marktwirtschaftliche Unter­
Tab.6: Die sechste Schweiz: Tab.13: Struktur der ständigen Wohn­ nehmen und Beschäftigte
Personalbestand börsen- bevölkerung nach Alter und nach Größenklassen 2008 ... 91
notierter Gesellschaften ..... 48 Staatsangehörigkeit (2009) Tab.21: Monatlicher Bruttolohn
Tab.7: Beschäftigungsanteile börsen­ sowie Stadt/Land (2008) .... 72 im privaten und öffentlichen
notierter Unternehmen 2008 Tab.14: Bevölkerungswachstum 1990- Sektor (Bund ) 2008,
in Vollzeitäquivalenten ...... 48 2009, nach Kantonen ...... 73 nach Geschlecht ....... ... 94
©rtsregistar 217
Tab. 22: Ständige Wohnbevölkerung Tab. 25: Vermögensstatistik der vor Inkra fttreten des
ab 15 Jahren nach Migrations- natürlichen Personen in der Neuen Finanzausgleichs .... 155
status ........ . ......... 97 Schweiz , Steuerperiode Tab. 29: Die Ausrichtungen der
Tab. 23: Erwerbstätige Bevölkerung 2006 .................. 105 Neuen Regionalpolitik
in den Großagglomerationen , Tab. 26: Ständige Wohnbevölkerung und ihre Akteure ..... . .... 159
nach soziokultureller Kategorie im städtischen und ländlichen Tab. 30: Parkkategorien der Schweiz .. 166
und Zentralitätsstu fe Raum ................. . 135 Tab. 31: Jährliche Landschafts­
(Lokalisationsindex 2000) ... 101 Tab. 27: Entwicklung der Anzahl veränderungen ...... ..... 184
Tab. 24: Wanderungsbewegungen der Betriebe und der Tab. 32: Entwicklung der öffentlichen
in den Stadtzentren der Groß­ Beschäftigten ........... . 150 Entwicklungshilfe (APD) und
agglomerationen , nach Zonenart Tab. 28: Einteilung der Kantone der privaten Spenden der NGOs
der Herkunftsgemeinde , nach Finanzkraft der Schweiz 1960, 1980, 2000,
1995/2000 ............. 103 für die Jahre 2006/2007, 2008und 2009 ..... . .... 198

Ortsregister
Aareebene 126 Bodensee 4, 7 Region 9, 57, 74, 101,128, La Brevine 10, 125
Aargau 38ff., 49 - 54, 73, 75, Bodensee , Region 45 146, 182 La Chaux-de-Fonds 90, 125,
141, 147 Bodio 132, 144 Stadt 38-40, 44, 47, 85, 143
Aletschgebiet 161 Bosnien 74, 85 88, 90, 96, 101, 125, 142, La Döle 5
Aletschgletscher 22 Brienzersee 126 186, 192f. Lago Maggiore 84
Alpen 19-24 Brig 126, 143 Genfer See 4, 7, 39, 73f., Lausanne 34, 38-40, 44, 74,
Berner Voralpen 39 Brugg 47 106,123, 126, 192 101, 146,182
Glarner Alpen 141 Bulle 40 Gerra (Gambarogno ) 84 Le Locle 125
St.Galler Alpen 10 Glarnerland 157 Locarno-Monti 9
Alpenrhein 175 Carouge 38 Glarus Lombardei 44, 169, 191
Altdorf 11, 144 Castasegna 147 Kanton 33, 62, 75, 84, 89, Lötsehberg 44, 131f., 144
Appenzell Ausserrhoden 33,75 Caviano 84 124, 143 Lugano 39, 132, 146, 182,
Appenzell lnnerrhoden 33, 75 Chambery 5 Kantonshauptort 11 188, 192
Appenzell , Kantonshauptort Chasseral 5 Gomsl47 Luzern
Appenzell 1.Rh. 33, 38, 40, 81, Chasseron 5 Gotthardmassiv 2 Kanton 38f., 75, 152
143 Chile 29 Graubünden 2, 10, 40, 47, 55, Stadt 4, 34, 50, 142, 146f.,
Arosa Hörn Ii 58 Contone 84 57, 69, 75, 147, 161, 172, 192 168, 188
Asien 58, 192, 195-199 Courtelary 5 Grindelwald 161
Atlantik IX, 1, 8 Crans-Montana 146 Grono 10 Magadino 84
Avenches 122 Großer St. Bernhard 43 Mailand 39, 182, 192
Averstal 192 Davos 44, 146, 161, 178 Großes Moos 5 Marignano 30, 191
Delsberg 65 Gurten 4 Martigny 40
Baden 25, 39, 47 Deutschland 4f., 26, 30, Mattstetten 131
Balsthal , Klus 118 34,49, 57-60, 67, 72, Hallwilersee 176f. Mazedonien 74, 85
Bantiger 4 191 Haslen , Glarus 124 Merlinquelle 7
Basel Donau IX, 6 Heidelberg 187 Mittellandseen 126
Stadt 47, 53, 78 Dufourspitze 2, 120 Herzegowina 74, 85 Mittelmeer IX, 9
Landscha ft 38, 40, 75 f., Hochrhein 6 Mont Tendre 5
115 Emmental 40, 81 Hafen 176 Montenegro 71, 74
Kanton Basel-Stadt 33, 40, Engadin 2, 8f., 55f., 144, Hospental 191 Monthey 40
73-76, 78, 100, 110-112 166, 170 Mt. Blanc 2
Bassin Lemanique 42,44, England , Südostengland 44 lndemini 84 Muggio 84
49-54 Espace Mittelland , Region 42, Italien , Norditalien 192 Murtensee 126
Bellinzona 38 45, 49-54,73
Bergell (Bregaglia) 147 Europa IXf., 36f., 43-47, Jungfraujoch 10, 178 Napf 4, 142
Bern 63, 90f., 116, 132f., Jura Bergland 4
Kanton 44, 46f., 73, 75, 142f., 143-145, 186-196, 198 Aargauer Jura 40 Gebiet 39, 124, 147
161, 166 Gebirge IX, 1-7, 10, 14, Neuenburg
Stadt 4, 6, 32f., 38-40, 44, Freiberge 5 43, 126, 143, 147f., 167 Kanton 30, 40, 66, 75,90, 92
50, 74, 101,126, 131, Freiburg Kanton 5, 31, 47, 65, 73, 75, Stadt 50
154, 174 Kanton 40, 45,73, 75 81, 89, 92f., 96, 119f., Neuenburgersee 126
Berner Oberland 19, 40, Stadt 6, 50 125f., 157 Nidwalden 26, 33, 73, 75
47,81, 132 Solothurner Jura 40 Niederlande 37, 58, 116, 200
Berner Seeland 5, 16 Gadmertal 23, 171 Nordamerika 192
Bex 6 Gambarogno 84 Kaltbach 152 Nordsee 6
Biel 7, 50, 125 Garching 187 Kander 169, 175
Bielersee 17, 176 Genf Kriechenwil 122 Obwalden 69, 75
Binntal 21 Kanton 30f., 67, 69, 74f., 111 Kroatien 74, 189 Oensingen 118
218 hregister

Orbeebene 126 Schaffhausen, Kanton 40,75, St. German 9 Waadt/Vaud 6,26,30f.,


Österreich 4,8,24,26,58- 121 St. Moritz 55f., 146 39f.,69, 73-75,111,
60,80,88, l:.U,150,155, Schwarzwald 2,4 Südamerika 195 161
188 Schweiz Südschweiz, Region 54 Wallis 2,9,12, 22,24,
Ostschweiz, Region 11,38,40, lnnerschweiz 12,40,49, Surselva 147 39f.,47,55,57,69,
42, 45,49-54, 74, 157, 142f., 188 73,75, 81,123,126,
188 Ostschweiz 11,38,40,42, Tessin,Kanton 2,10,39-41, 132,144,161
Ova Spin 8 45,49-54,74,157,188 53,57,74-76,81,84,120, Oberwallis 38-40,123,
Südschweizl,8-10,13,15, 123,126,132,139,144, 147
Paris 29f.,44,187 42,49-54,57 147,157,161,169,188,192 Wauwiler Moos 152
Pays-d'Enhaut 161 Westschweiz 9,25,39-41, Thun 50, 126 Wendengletscher 23
Piazzogna 84 76,78,183 Thun-Guntelsey 179 Winterthur 39, 47, 90
Pilatus 168 Zentralschweiz 38-40,42, Thurgau 38,40,75,81,147
Po 7 49-54,74,81,191 1itlis 23 Zentralschweiz, Region 51,
Portugal 71,90 Schweizerhalle 6,173 Tschechoslowakei 29 54
Schwyz Türkei 72,85,90,98 Zermatt 54,119, 146
Randa 22 Kanton 64,66,73,75,87, Zofingen 181
Reading 187 191 Uaul Bugnei 172 Zug
Rhein IX,6, 44, 173,175 Stadt 26 Ungarn 29 Kanton 10,65-67,73, 75
Rheinebene Landquart-Boden- Sedrun 172 Unterwalden 26,87,191 Stadt 39, 66
see 126 Serbien 71,74,194 Uri 26,33,75,82,87,132, Zugerberg 66
Rheintal 11 Sils im Engadin 144 144,147, 191 Zugersee 66,106
Rhöne IX,2,6,175 Simplon 44,144 USA 31,47,58,67,182, Zürich
Rhöneebene Brig-Genfersee 126 Simplonpass 143 191-193, 195,198 Kanton 32,40, 47,49-54,
Rhönegletscher 6,20 Slowenien 74, 86 67,69,72f., 75,121
Rhönetal 145 Solothurn Vallee de la Brevine, Paradeplatz 45
Riburg 6 Kanton 38,40,45,75f. Neuchatei 125 Stadt 12,27,39f.,42,44f.,
Rigi 144 Stadt 39,50 Vernier 38,105 47,49,73,82,101,103,
Rothrist 131 Splügenpass 43 Vierwaldstättersee 25f.,106,144 106,108,111,128, 131-
Rütli 25f. Spölschlucht 8 Vietnam 29 135,142,145,182,192
St. Gallen Vira (Gambarogno) 84 Zürich/Aargau, Region 42,
San Nazzaro 84 Kanton 38,40,73,75 Visp 22,144 49-54
Sant'Abbondio 84 Stadt 39,50,157,176,188 Vogesen 2,4 Zürichsee 4,38,66,106

Sachregister
A la carte-Kultur 84 -politik 84,118,134-140, -kamm lOf. Amerikanisierung 84
Aare-Hochwasser 174 146,182,185 -mythos 169 Analyseregion 136
ABB 81 -programm 139 -nordseite 1,9,12 f. Anbauschlacht 170
Abfallgesetzgebung 17 -rat 140 -pässe 123 Ancien Regime 28,44 f.,92
Abflussverhältnis 1,24 -raum 17,128,134 -raum,Wohn- und Freizeit- Anerbenrecht 123
Abflussverteilung,saisonal 21 -Vorteile 51 nutzung 146 Anhöhengemeinschaft 87
Abgaben 42,64,105 Agrarkrise 47 -staat 29 Anhydrit 5
Ablagerung,fluvioglaziale 7 Agrarlandschaft,traditionelle 119 -Südseite 1,8,10,12f. Anhydritgruppe 6
Ablagerungsraum 2 Agrarmärkte,europäische 46 -transitbörse (ATB) 133 Anpassung,Klimaänderung 13
Absatzmarkt 44 Agrarmodernisierung 45 f.,123, -übergänge 43 Antiklinale 5
Abschottungstendenz 41 126 Hochgebirgslandschaft 20 f., 24 Aquifere 7
Abtragung 2,6 Agrarmodernisierungsphase 123 Alpwirtschaft 123, 165 Äquivalenzprinzip 68
Abtragungsprozess 19f. Agrarpolitik 47,126,148-154, Alpwirtschaftsgebäude 125 Arbeiterbauern 90,144
Abtragungsschutt 4 161,193 Alte Eidgenossenschaft 27,31, Arbeiterstädte 45
Abwanderung 24,156,170 Agrarpolitik, Reform 150f. 142 Arbeits- und Produktmärkte,
Alpenraum 47,134,143 agrarpolitische Maßnahmen 150f., Alte Vielfalt 81-84 Regulierung 60
Berggebiete 45 183 Alter Finanzausgleich 154 f. Arbeitsbedingungen,prekäre 104,
Abwanderungsstopp 145 Agrarreform 151-153 ältere Generation,Konsumenten- 109
Abwässer,Schwermetalle Agrarsystem 121,123, 125 gruppe 74 Arbeitsethos 87
in industriellen Abwässern 176 Agrarzeitalter 141 f. alternde Gesellschaft 73 Arbeitsformen,unentgeltliche 116
Abwasserreinigung l76 f. Alleinerziehende 108f.,111, Alters- und Hinterlassenen- Arbeitsfrieden 92,194
Ackerbau 6,46,123,148,150f. 113,156 versicherung (AHV) 28,62 f., Arbeitsimmigranten 76,90
Agglomeration 38-40,138-140, Alleinlebende 108 74,109,113 Arbeitslosenversicherung (ALV) 62,
145 Allmende 125 Altersgruppe 111 110,113
Verdrängungseffekt 147 Allokationseffizienz 68 Alterspyramide 73 Arbeitslosigkeit 61 f.,73, 90,98,
Agglomerations Alpen 19-24 Alterungsprozess 70,74 104,110,112, 188
-gürtel 134 -faltung 5 Altlasten l75f. Arbeitsmarkt 45,47,61,78,80,
-institutionen 139 -forschung 24 Aluminiumproduktion 144 88,93,98 f.,195
Saohre_gister 219

dualer 110 Außenhandelsstatistik 194 Berufsausbildung 73,111 Kohlenstoffvorrat 24


erster 108f. Außenpolitik 34, 36,41, 186f., Berufsuniversität 89 Leitbild Bodenschutz
zweiter 109 199f. Beschaffungsmarkt 189 Schweiz 17f.
Arbeitsplatzangebot 73 Außenwirtschaftspolitik 193 f. Beschäftigte,Qualifikation 59f., ökologische Existenzgrund-
Arbeitsplatzdichte 138 Außenzoll, gemeinsamer 28 91 lage 178
Arbeitsplätze 40, 46 f., 55, 59, Aussteuerung 110 Beschäftigung,Vollbeschäftigung Regenerationsfähigkeit 15, 19
66, 75, 104, 138, 145f., 148 Auswanderung von Ausländern, 51, 63, 108,111 standorttypische Funktions-
Arbeitsplatzentwicklung 47, 144 erzwungene 71 Beschäftigungspotenzial 49 fähigkeit 18
Arbeitsteilung, Autobahnvignette 68 Besiedlung, dezentrale 150, Überbauung 17, 178
internationale 45,63 Autoeuphorie 129-131 181 f. Überschüttung 16, 178
Arbeitsverhältnisse 73 Autopartei 40 Besitz- und Aufwandsteuer 64 Verordnung über Belastungen
Architektur 48 Bestimmungslandprinzip 68 des Bodens 17,179
Arealstatistik 17,183 Backstein 6 BeteiIigungsgesellschaft 68 Verwitterungs- 15
Aristokraten 28,106 Bahn 2000 131 f., 182 Betriebsgrösse,landwirtschaft- Wald- 14
Aristokratie, zünftische 44 Bahngesellschaften, Gründung 62 liehe 150 Bodenbelastung 17, 1 9
Armee, Auslandseinsatz 39 Bahnpersonenverkehr 127 Bevölkerungsdichte 4, 17,148 biologische 16
Armut Bändertone, quartäre 6 Bevölkerungsentwicklung 71-74 mechanische 16
ländliche 45 Banken Bevölkerungsschicht stoffliche 16, 179f.
monetäre 113 international tätige Groß- einkommensschwache 95 Bodenbeobachtung
Risikogruppen 110 banken 64 einkommensstarke 95 Nationales Referenznetz
Sozialhilfeempfänger llOf. too big to fail 64 Bevölkerungswachstum 71, 73 f., NABO (Nationale Boden-
Armutsbetroffene 109 Fusion 48 103f.,128, 138, 169, 184 beobachtung) 18, 179
Armutsforschung 108 Bankgeheimnis IX,186, 191 Bewirtschaftung,umwelt- Boden
Armutsgrenze llOf. Basel Economics AG freundliche 154 -bildungsfaktoren 14
Armutsniveau 98 (BAKBASEU 49 Bewirtschaftungsverhältnis 124 -bildungsprozesse 1 4
Armutsrisiko 90 Basel Bilaterale Abkommen, -degradation 174
Armutsrisikogrenze 113 Baselworld (Uhren- und Bilaterale Verträge 36, 187-189 -eigenschaften 14
Armutsstudie, Schweiz 109, Schmuckmesse) 54 Bilaterale 1 189 -eignungskarte, Schweiz 14
111 Wirtschaft 42, 44,47, Bilaterale II 189 -erosion 24, 179f.
Armutstaschen 146 49-54,57 Bildung, Fahrstuhleffekt 89 -fläche, Verlust 17
Art Basel 54 Basler Integrationsmodell 100 Bildungs -fruchtbarkeit 18, 179
Artenvielfalt 24 Bau- und Immobiliensektor 51 -biographie 95, 99 -funktionalität 15,17 f.
A-Stadt 156 Bauerndorf 123 -chancen 88 -gefährdung 16
Asylsuchende, Ausgaben 197 Bauernhaus 81, 123, 143,152 -defizit 99 -horizont 14
Atlantikluft 8 Bauernstaat 62 -einrichtungen 49 -nutzung 15,17, 134, 181,
atlantischer Einfluss 8 Bauindustrie 6 -rückstand 117 183
Auenverordnung 170 Bauland,günstig 17 -system, duales 88 -qualität 180
Aufenthalter 98 Baumgrenze 6 -wesen IX,44,87,89 -Sanierung 19
Kurz- 73, 98 Baumwollspinnerei 45 Binnenmarkt -schutz 14-19,152,178f.,
Aufenthaltsbewilligung 71,99 Bausteine 6 erster 45 181
unbeschränkte 73 Bautätigkeit, intensive 17 freier 28 -struktur 16
Aufenthaltskategorien 85 Bauzonenstatistik 184 Binnenmarkt,Kleinheit 43, 45, -überwachung 18
Aufenthaltsstatus, Beckenzone 4 48 -verbrauch 17, 183
vorläufiger 110 Bedarfsleistung 111 f. Binnenverkehr 128 -versiegelung 17,178
Aufholprozess 57, 144 Beherbergungsbereich 60 Binnenwirtschaft, Schutz 46 -zerstörung 1,16f.
Aufschwungphase, 20. Jh. 144 Beitritt zu supranationalen Binnenwirtschaftspolitik 194 Bohnerz 6
Ausbauphase, Organisationen 34 Binnenzoll 45 Bologna-Reform 89
hochmittelalterliche 120 Benzinzoll 131 kantonaler 28 Bonny-Beschluss 157-159
Ausbildungssystem, Bereitstellung von Kollektiv- Biodiversität 22, 150, 160f., Börsenboom 106
berufliches 195 gütern 61 163f., 168, 171, 183, 191 Börseneinbruch 53
Ausdifferenzierung der Schweiz, Berg Biodiversitätsmanagement 13 Brachlandproblem 161
räumlich-wirtschaftliche -bau, Eisenabbau 23 Biotechnologie 48, 106 Brain drain 148, 159
142-144 -bau, Kupferbergbau 23 BIP, Reales BIP 51, 157 Branchenanalyse,
Ausgangsgestein 14 -dort 144 BIP -Wachstum 51, 54 vergleichende 51
Ausgleich,regionaler 32,46, 131, -gebiet 45, 47, 120,135-137, Bise 8 Branchenaufteilung 46
142 141-148,150, 152f., Bisenströmung 9 Branchenwertschöpfung 52
Ausgleich, sozialer 46 155-158, 162,170, 191 Blaue Banane 44 Brandrodung 23
Ausländer 32, 69,72-74,79, -gebietsförderung 156 Blauhelm-Einsatz 30 Braunerde,saure 15
84-86,97-99, 103, llOf. -gebietspolitik 142 Bleibelastung, Sanierung 179f. Bruchlinien der Schweiz 142
-gesetz 76 -sturz 1,169 Blei-Zink 6 Bruttoinlandsprodukt (BIP) 50f.
-organisation 99 Berner Blockflure 123f.,126 Bruttowertschöpfung 46, 52-55
-politik 39 Aristokratie 44 Blockparzelle 124 Bundesamt
-verein 104 Sandstein 6 Boden für Landestopographie
EFTA-Ausländer 86 Seeland 5,16 Auen- 15 (swisstopo) 14
EWR-Ausländer 86 Beruf,Geschlechtstypisierung Bodenkundliche Gesellschaft 18 für Meteorologie und Klima-
ausländische Nationalität 71 93 organischer 15 f. tologie (MeteoSchweiz) 11
220 chregister

für Migration (BFM) 198 Deregulierung der Binnenmärkte Departement für auswärtige Erosionsfolgen 24
für Raumentwicklung (ARE) 182 46 Angelegenheiten (EDA) 195, Erosionsgraben 24
für Statistik (BFS) XI,49 f.,110, Desintegration 112 197f. Erosionsspur 16
116, 170 Destinationen,touristische 57, Departement für Umwelt, Erreichbarkeitsbed ingung
für Umwelt (BAFU) 13, 170, 55,146 Verkehr, Energie und Korn- 181-183
178, 197f. Deutschschweiz 25,32,38-41, munikation (UVEK) 13 Erreichbarkeitsverhältnisse 41
Bundesbetriebe 63 76, 78,115-117 Departement für Verteidigung, Erster Weltkrieg 29 f., 47, 62 f.,
Bundesbrief von 1291 26 DEZA,Schwerpunktländer 197f., Bevölkerungsschutz und 92,126,144
Bundesgericht 25, 34 f., 69 200f. Sport (VBS) 198 Erstklasshotellerie,
Bundesgesetz DEZA,Sonderprogramme 197, Eigenmietwert 67 Luxushotellerie 60
Natur- und Heimatschutz 170 201 Eigentumsrecht 63,196 Ertragssteuer 68
Raumplanung 17f.,170, 181, Dialekt, alemannischer 79f., 142 Einbürgerung 39,82 Erwärmungstendenz,globale 24
184 Dialekt, Umgangssprache 80 Einbürgerungsgesuch 82 Erwerbsarbeit 95, 108f., 116
Schutz der Gewässer 170 Dialektform 79f. Einigungsverfahren 36 Erwerbsbeteiligung, Frauen 116
Umweltschutz 170,17 5 Dienstleistungen,unternehmens- Einkommens- und Vermögens- Erwerbsbiographie 108
Wald 170 bezogene 52,54 verteilung 61 Erwerbsintegration 108 f.
Bundesrat 13,19, 25,33-37, Dienstleistungs Einkommensrückfluss 29 Espace Mittelland 42,49-54, 73
62,69, 99,137,139, 156, -darf 124 Einkommenssteuer 65,67 EU
164, 177, 184f., 187,190, -gesellschaft 70,159,161,171 progressive 69 -Beitritt XI, 30, 36, 190
194,196,200 -portfolio 49 Einkommenssteuerverteilung 112 -Beitrittsgesuch 188, 190
Bundesrätliche Botschaft 36 -sektor 47,90f., 104,145 Einkommensumverteilung 62,111 -Mitgliedschaft XI,30
Bundesstaat IXf., 25, 27 f.,31, -unternehmen 49 Einkommensunterschiede 93 -Osterweiterung 2004 189
43,45,47,62,68,88, 97, Differenz,kulturelle 146 Einwanderung 70-72,82,84, 90 Europa
139, 169,186 Direktinvestition 44, 49 Einwanderungsland 71-73 Charta des Europarates 1992 87
Bundesverfassung 17, 31-34, Direktion für Entwicklung Einzelhof 121,123-125 Entwicklungsachse Westeuropa
37,63f.,99, 126f., 137,139, und Zusammenarbeit (DEZA) Einzelhofgebiete 125 44
155,170 195-201 Eisen 6 Initiative für grenzüber-
Bündnisgeflecht 97 Direktzahlungen 150-152, Eisen- und Aluminiumwerke 46 schreitende Kooperations-
bürgerliche Mitte,juste milieu 28, 160f.,163 f.,180,183 Eisenbahn projekte im marktorientierten
36f. ökologische151 -bau25f.,129f.,169,192 industriellen Europa 187
Bürgerrecht 32,72 Diskriminierung 112, 116 -fieber 129-131 Wirtschaftsraum 36,44,188
Bürgschaftsverpflichtungen 157 Disparitäten 95-117 -linie 121, 124, 126,144 Europafrage 36, 39
Bürokratieversagen 62 Bergland-Flachland 141 -netz 62,126, 182 Europäische
Butterberge 151 regionale 148,156, 159 -transversale 131 Entwicklungsbank (EBRB) 194
Stadt-Land 141 Eis-Obergrenze 6 Freihandelsassoziation (EFTA)
Calvinsche Reformation 88 Doing Gender 114 Eiszeit, kleine 7, 20, 171 63,187,194
Chancengleichheit 80,100 Doline 6 Elektrizitätsnetz 44 Gemeinschaft (EG) 83, 187f.,
Charta, Europarat 1992 87 Domizilgesellschaft 68 Emissionsabgabe 68 190
Chemie 48, 52,195 Doppelbesteuerung 68,189 Emissionsbegrenzung 178 Gemeinschaft für Kohle und
Christlich-Demokratische Volks- Doppelverdienst 109 Ern issionsszenarien 12 Stahl (EGKS) 187
partei (CVP) 34, 36f., 190 Dorfgemeinschaft 124 Energiegewinnung 8,175 Konferenz der Verkehrsminister
Cleavages 93, 142 DPSIR,Modell zur Einschätzung Energiekonsum 74 (CEMT) 187
Cleavage theory 142 von Umweltproblemen 171 Energieproduktion 13, 21,175 Patentorganisation 187
C02-Abgabe 13 Dreifelderwirtschaft 124 f. Entscheidungsprozess 35f., 162, Südsternwarte (ESO) 187
C02 -Gesetz 13 Dreizelgensystem 124 174 Union (EU) 36, 63,68 f.,
Code switching 80 Dritte Schweiz 39 Entwicklungs 72,86,118, 132, 148,151,
Confoederatio Helvetica (CH) X Drittes Reich 188 -budget,Bund 197 186-191, 194f.
Consensus democracy 37 Duale Schweiz 46f. -chancen, regionale 148 Weltraumorganisation (ESA) 187
Containerfracht 132 Dualisierung, soziale 101 -finanzierung 198 Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)
Controllingkonzept 135 Dualisierung, Zentren 104 -zusammenarbeit 186, 63,187 f.,193
Credit Suisse 64, 99 Düngerbilanz,ausgeglichene 152 194-201 Zahlungsunion (EZU) 187
Durchschnittsalter 71 -zusammenarbeit,Rahmen- Zivi11 uftfahrt-Kommission
Dachmarken, Engadin- kredit 196,200 (CEAC/ECAC) 187
St. Moritz 55 Economies of scale (Skalen- Eozän 6 Europäischer Wirtschaftsraum
Deckeneinheiten,tektonische 2 erträge) 60 Erbschaften 95, 106 (EWR) 44, 188,190
Deckengebirge 2 Ego-Gesellschaft 84 Erbschaftssteuer 68 Europäisches
Deckenüberschiebung 2 Ehegatten, zweitverdienende 67 Erbsumme, gesamt- Komitee für elektrotechnische
Defizitansatz 100 Eidgenössische schweizerische 72 Normung (CENELEC) 187
Deindustrial isierung 91 Kommission für Lufthygiene Erbvorbezug 72 Komitee für Normung (CEN)
Demographie,regionale 73 (EKL) 177 Erdölindustrie, Autoindustrie 55, 187
Demokratie,direkte 25, 34,190 Stempelabgabe 68f. 128 Laboratorium für Molekular-
Demokratisierungsbewegung 31, Technische Hochschule Ergebnissteuerung 135 biologie (EMBC/EMBL) 187
34 (ETH) 62 Ernährungssicherung 18f. Laboratorium für Synchron-
Denkplatz Schweiz 43-49 Technische Hochschule Zürich Ernährungswertschöpfungskette strahlung (ESRF) 187
Dependenzthese 199 (ETHZ) 49,88,192 148 Raumentwicklungskonzept
Depression,große IX,45 Eidgenössisches Erosion,Glazial- 4 (EUREK) 180
Sachregister 221
Zentrum für mittelfristige Flächenverbrauch 1, 16 f., 136, Funktionalregion 137 penninische 2
Wettervorhersagen (EZMW) 181 Fusion 31, 84 südalpine 2
187 Flächenverlust 7, 17 Gesundheit 13, 108, 139, 155f.,
Europapolitik 132, 186, 190 Flachmeer, tropisches 5 Gastgewerbe 59 f. 174, 176f., 189
Europarat 67, 161, 180, 187, Flachmoor 126 Konsumentenpreise 59 Gesundheitswesen 74, 99, 183
189 Fiat tax 69 Gebietskörperschaften, Getreidebau 123, 125f.
Europarats-Mitgliedschaft 190 Fließgewässer, Verbauung 20 Alte Eidgenossenschaft 43 Getreidegebiete 143
European 0rganization for Flüchtlinge 29, 99, 110 Gebietsplanungskompetenz 184 Getreideimport 46
Nuclear Research (CERN) 187 Flüchtlingsstatus 87 Gebirgsbreite 2 Gewaltprävention 104
Euro-Schwäche 59 Flughafen 54, 128 Gebirgsland 2, 172, 174 Gewannfluren 124-126
Eutrophierung 176 Flugplatzinfrastruktur 128 Gebirgsvergletscherung 168 Gewässer, Phosphatbelastung
EWR-Vertrag 36 Flurzwang 124 f. Geburtenrate 71, 74 170, 177
Exekutive 33 f., 36, 185 Flussbau, Schutzprojekte 169 Geburtenziffer, Gewässerkorrektur 168
Existenzminimum, Schutz 110 Flusskorrektur 118, 169 ausländische Frauen 71 Gewässernetz 2, 81
Exklusion 95 Flussverbauung 173 Geld- und Kreditversorgung 61 Gewässerschutz 168, 175
Export Flyschsandstein 6 Gemarkungsgrenzen 125 Gewerbe, ländliches 123
-branche 42, 45, 51 f., 54 f. Föderalismus25, 30, 32, 37, 92, Gemeinde Gewerkschaft 36, 38, 63, 91,
-wirtschaft 45-48, 91 120, 127, 141, 155f., 190 -autonomie 120, 134, 192, 195f.
-wirtschaft, Wertschöpfung 46 Föderalismusreformen 155 138-140, 159 Ghettoisierung 104
Extensivierung der Landwirtschaft Föhn -freiheit 31 Glaubensflüchtlinge, jüdische 96
17 Nord- l0f. -fusion 31, 84, 135 Gleichheitsprinzip 30
Extremereignis 11 Süd- l0f. -präsidenti n, Gemeinde- Gleichstellung der Frau 30
Föhnböen 11 präsident 140 Gleichstellung, faktische 95,
Fabrikgesetz 28, 62 Föhnfenster l0f. -steuersatz 142 116
Fabrikindustrie 28, 45 Fonds Landschaft Schweiz (FLS) Gemeinschaftsaufgaben 155 Gletscher
Fabrikindustriedorf 124 161f. Gemüsegarten 5 abschmelzende 21, 24
Fabriksystem 45 Förderansatz 100 General Agreement on Tariffs Alpen- 20
Faltengebirge 2 Fordistisches Modell 145 and Trade (GATT) 63, 151, Block- 21
Faltenjura 5, 125 Forschungseinrichtung 49 193f. Hangbewegung 21
Familien Forschungsinstitution 74 Uruguay-Runde 151, 193 Kriechprozesse 21
-betrieb 141, 148, 150 Forschungsmärkte 48 Genf, Stadt Calvins 44 Längenänderung 20
-dynastie 106 Forstbetriebe 8 Genossenschaft 68, 123 Sehwundtendenz 20
-modell 41, 117 Forstgesetz für Bergregionen Gentrifikation 101, 103f. Volumen 20
-politik 71 1897 /98 169 Geographische Informations- Wasserreservoir 7, 21
Farbenindustrie 192 Forstmanagement 13 systeme (GIS) 20, 110 Gletschereis 6 f.
Feinmaterialanteil 7 Forstwirtschaft 17 -19, 24, Gesamtarbeitsverträge 63 Gletscherschmelzwasser 9
Feinstaubproblematik 168, 153-155, 162, 192 Gesamtmelioration 121 Gletscherschwund 20, 171 f.
174 Forum Landschaft 162 Gesamtverkehrskonzeption Gliederung, institutionelle 136
Feldzüge, italienische 30 Fragmentierung, soziale 105 (GVK) 131 Global Climate 0bserving System
Felssturz 1, 19, 22, 174 Französisches Vorland 5 Geschäftszentren, (GCOS) 20
1 ntensivierung 21 Frauen, erwerbstätige 116 internationale 146 Globalisierung 24, 36, 40f., 49,
Ferienregion 54, 57 Frauenanteil 116f. Geschichte 63, 80, 91 f., 110, 159
Ferienwohnung 67 Frauenstimmrecht 28, 30, l 15f. Kantonal- 31 Gneis 6
Festgestein 6 f. Freiflächen 17 Regional- 31 Gold 6
Festlandsphase 2 Freihandelsvertrag 190 Schweiz 25-31 Goldküste, Zürich 106
Feuerversicherung 68 Freisinnige Demokratische Partei Geschichtsmythen IX, 97 Good Governance,
Finanz- und Investitionssektor (FDP) 34, 79, 190 Geschlechter-Arrangement­ gute Regierungsführung 196
193 Freizeit- und Tourismuslandschaft Ansatz 117 Gotthardpass IX, 43, 191
Finanzausgleich 37, 154-159, 119 Geschlechterkultur 117 Gotthardtransit 28
183 Freizügigkeitsabkommen 72 1 ndex der 117 Gotthardtunnel 28, 132
bundesstaatlicher 47, 141 Fremdenfeindlichkeit 87 Geschlechterungleichheit 88, Gouvernanz 74, 104f., 138,
Finanzbedarfsausgleich 156 Fremdenverkehr 42 114-117 140, 193
Finanzbranche 52-54 Fremdverständnis 29 Gesellschaft, multikulturelle IX, Granit 6
finanzföderative Struktur 62 Friedensaktion, internationale 197 96f. Grasland 148
Finanzindustrie, internationale 48 Friedensförderung 197 f. Gesellschaft, Wandel 87-94 Greater Zurich Area AG 49
Finanzmarkt 51 militärische 197 f. gesellschaftliche Problemlagen Grenze
Finanzplatz IX, 42, 48, 68, 90f., zivile 197 94 fünfte 142
145, 192, 194 frontistische Bewegung 29 Gesellschaftsliberale 39 politisch-administrative 49f.
Schweiz 68 Fruchtfolge 18f., 152 Gesetzesänderung 34 f., 200 tektonische 2
Finanzpolitik 62, 178 Fruchtfolgeflächen 18 f. Gesetzesreferendum 34, 36 Grenzgänger 98
antizyklische 63 frühmittelalterliche Gesetzgebung! 7 f., 35f., 114 Grenzpersonenkontrolle 189
Findlinge 6 Ausbauphase 120 Gesteine Grenzregion 136
Firmenwettbewerb 69 Landnahmeperiode 120 Karbonat- 6, 14 Grenzschicht, nervöse 20
Firn, ewiger 172 Frühwarnsystem, sensibles 20 mesozoische 2, 4f. Großraum, funktionaler 84
Fischerei 123, 176 Funktionalräume 135f., 182, nutzbare 6 Grundbedarf 108, 113
Flächensicherung 19 184 ostalpine 2 Grundbuch, Besitztitel 64
222 ctnegister

Gründerzeit (1855-1914) 55, Höhle 6, 152 Verordnung über die Integration Karstquelle 6
88,126,144 Holdinggesellschaft 68f. von Ausländerinnen und Karstspalte 6
Grundgebirge 2, 4 Holozän 5 Ausländern (VlntA) 99 Kartell 61, 63
Grundgesetz 30 Homogenisierung 84, 102 Welcome-Maßnahmen 100 Käseproduktion 123
Grundrente 44 Hotel- und Kurortskredite 158 1 ntegrations Katholiken 32, 40, 82, 90
Grundstückgewinnsteuer 64 Hotellerie 58, 60 -bereitschaft, gelebte 99 Kerngemeinde 7 4,138
Grundstückkosten 74 Hotelübernachtungen 57f. -bericht 190 Kernkraftwerk 8
Gründungscharta 26 Hufenflur 132, 126 -hilfe 87 Kettendorf 126
Grundversorgung 112f. Hugenotten 44,96 -maßnahme 76, 99, 104 Kettenjura 5
Grundwasserschutz 6 Hypothekenzinsen 67 -vereinbarung 99f. Keupersandstein 6
Grundzüge der Raumordnung 1 nteressensdivergenzen 92, 94 Keynesianismus 63
Schweiz,1996 181 f., 184f. Immigration,italienische 75 lnteressensgruppen 185, 196 Kies 4, 6
Grüne Partei 92 Immissionsmessung 177 lntergovernmental Panel on Cli- Kirchensteuer 65, 143
Gruppensiedlung 123 Individualismus 70, 93f. mate Change (IPCC) 20 Kläranlage 176
Güterhandel 49, 192, 194 lndividualitätsgrundsatz 113 interkantonale Zusammenarbeit Klassenkampf 63
Güterproduktion,industrielle 144 Individualprinzip 113 139,155 Kleinbauerninitiative 151
Gütertransit 30 Industrialisierung 28, 31, 43, interkonfessionelle Kämpfe 192 kleine und mittlere Unter-
Güterverkehr 89, 105f.,118, 126, 141- Internalisierung, externe Kosten nehmen (KMU) 46, 48,91
alpenquerender 127f. 144, 169f. 68 Klima
Ost-West 128 nachholende 46 Internationaler Währungsfonds -bedingungen 120
Güterzusammenlegung 121, 123, Industrie 18, 44-48, 52, 54f., (IMF) 193f. -entwicklung 11 f.
125 90, 126,144, 146, 154, Internationalisierung 48, 68 -gunst 1
157, 175,187, 192 Invalidenversicherung (IV) 62f., -messreihe 11
Haftpflichtversicherung 68 Aufbau 44 109 -modell 12, 20,172
Handänderungssteuern 64 chemische 46 1 nvestitionsgüteri ndustrie 52-54 -politik 13
Handel ehern isch-Pharmazeutische Investitionshilfe für Berggebiete -problem 174 f.
Agrargüter 194 52 OHG) 136, 146, 141, 156-159 -schranke 1, 8 f.
transatlantischer 192 Industriebrachen 47, 178 Islam 85f., 91 -szenario, regional 12
Handels- und Gewerbefreiheit industrielle Mischkonzerne 48 trockenes 9
(HGF) 63 industrieller Sektor 47, 91 Judikative 34 -wandel 1, 8, 13, 19-23,40,
Handelsbeziehungen, liberale 47 industrielles Unternehmertum Jungtertiär 2, 5 172, 174 f., 197
Handelspartner IX, 44,48, 148, 44 Jura IX, 1-7, 10,14, 31, -zukunft 12
186, 193f. 1 ndustriestaat 62 40, 43,47, 125f., 142f., Lokal- 6
Handelspolitik 186, 191 f.,194 Industriestädte 47, 90 147f. Klumpenrisiko, wirtschaftliches 91
Handelsschranken 47 Industriezeitalter 45, 162 -bogen 38, 40 Klus 5, 118
Hangstabilität, reduzierte 24 1 nformationsnetzwerk 7 4 -faltung 6 Kobalt 6
Harmonisierung der obliga- Infrastruktur, wertschöpfungs- -gewässerkorrektion 169 Kohäsion
torischen Schule (HarmoS- orientierte 74 -südfuß 6, 47 zwischen Landesteilen 29
Konkordat) 75, 99 lnfrastrukturfläche 15 nationale 30
Hartkäseproduktion 123 Ingenieurwesen X, 48 Kaderposition 98 Kohäsionsmilliarde 190
Haufendorf 124 Initiative für grenzüberschreitende Kalkstein 5 f. kollektiver Entscheidungsprozess
Häusertypen 81 Kooperationsprojekte in markt- Muschel- 6 162
Hausratversicherung 68 orientierter industrieller For- Kaltlufthoch 8 Kolonialisierung 88
Heiliges Römisches Reich Deut- schung und Entwicklung Kanderdurchstich 169 Kommunaler Zweckverband 139f.
scher Nation 26 (EUREKA) 187 Kantonalbank 62 Kompromissbereitschaft 96f., 99
Heimatgefühl 169 lnnoTour 158 kantonale Identität 49, 82 Konferenz der europäischen
Heimarbeit 45, 90, 192 1 nnovations Kantone Post- und Fernmeldeverwaltung
Heimindustrie 45f., 126 -förderung 136, 141, 159 Finanzkraft 155 (CEPT) 187
Helvetik (1798-1803) 27 -leistung 194 finanzschwache 154 konfessionelle Spaltung 142
Helvetikum 2 -orientiertes Land 192 finanzstarke 155 Konfessionsgrenze 142
Herrschaftshäuser, europäische 43 -standort Schweiz 48 mittelstarke 155 Konjunkturforschungsstelle (KOF)
Heterogenisierung 84 -system, nationales 48 KantönIigeist 140 49
Hilfe, multilaterale 196 -tätigkeit 52 Kantons Konjunkturglättung 68
Hilfeprinzip 113 -wettbewerb 49 -geschichte 31 Konkordanzpolitik 35, 37
Hilfsdispositiv 104 Input-Output-Tabelle 46 -hauptort 11, 65f. Konkordanzregierung 37
Hitzewelle 11 1 nstitutionen, direkt- -spaltung 142 Konsensfähigkeit 96, 99
Hochgebirge 2,4, 19, 24, 174 demokratische 97 -steuer 65, 143 Konservativ 25, 28, 36-39,41,
Hochgebirgslandschaft 20,21, 24 lnsubrische Linie 2 -struktur 82 92, 115-117
Hochlohnland 45 1 ntegration Kapitalerträge, Abzüge 69 Konservativismus, Hyper- 41
Hochmoorverordnung 170 Empfangsklasse 100 Kapitalgesellschaft 68 Konsultativabstimmung 139
Hochschulstandort 74 Lernen im Park 100 Kapitalverkehr 44 Kontinentalplatte 2
Hochwasserschutz 168f., 174, Pflichten 99 Karbid- und Düngemittel- Kontrollinstanz der Staatstätigkeit
176 Querschnittaufgabe 99 fabrik 144 62
Hochweide 23 Rechte 99 Karbonate 14 Konzessionserteilung, kantonale
Hoffmann-La Rache 81 sprachliche 76, 78 Karrieremodelle, 28
Höhenlage 9, 22, 125 Übergangsklasse 100 betriebliche 117 Kooperationsprinzip 170
223
Kornkammer, mittelländische 46 staatliche Garantien 151 Man and Biosphere-Forschung Millennium Development Goals
Kosovo-Albaner 87 Strukturveränderung 152 161 f. (MDGs) 200
Krankenkassenobligatorium 28 Landwirtschaftsfläche 15, 124, Managementfähigkeiten 60 Mineralisierung 16
Krankenkassenprämien 110 138, 183 Mangan 6 Misstrauensvotum 34
Kreide 2, 4 Landwirtschaftsgesetz 151, Marke Schweiz 55 Mitbestimmungsrecht 34
Kriegsdienste 47 161f. Markenprodukt 45 Mittelgebirge 5
Kriegsgewinnler 63 Landwirtschaftspolitik 193 Marketinginstrument 55 Mittelland 1-6,8,14, 17,38,
Kriegshandwerk 191 Lärmschutzverordnung 170 Markt 42,45-47,49-54, 81,120 f.,
Kulturerbe 181,183 Lastenausgleich,horizontaler 156 -kräfte 62, 108, 156 123-126, 128, 131, 134, 142,
Kulturland 17f., 134,148 Lastwagenlobby, nationale 118 -orte 124 148, 167,170, 176, 178, 181,
ackerfähiges 18 f. lateinische Schweiz 38, 116 -steuerung 61 183
produktives Lawinenrückhaltedamm 169 -versagen 61 f. Mittelschule 88
Kulturlandschaft 24, 118, 121, Lawinenschutz 168 -verzerrung 61 Mobilität XI,127, 146, 182
150, 153, 161 Lawinenverbauung 19, 169 -voraussetzung 61, 64 Mobilität der Produktionsfaktoren
Kulturlandschaftswandel Lawinenwinter 11,172 -wirtschaft 61-64, 91 49
119-126 Leadership, staatlich 104 Marmor 6 Modellvorhaben, nachhaltige
Kulturleistungen 61 Lean Management 89 Maschinenbau 48, 53, 192 Raumentwicklung 139, 180
Kupfer 6 Lebensformen,Wandel IX, 108 Maschinenindustrie 28,45, 55, Modernisierung der Gesellschaft
Kurzaufenthalter 73 Lebensmittelindustrie 48, 189 106, 125 40 f.
Lebensqualität IX,69,97, 102, Massenmotorisierung 131 Modernisierungseffekt 84
Lagerstätte 6 105, 138,146,176, 181 Materialismus, historischer 28 Molasse 4
Laissez-faire-Liberalismus 63 Lebensraum, Mc Donaldisierung 84 Molybdän 6
Laizität 40 Pflanzen und Tiere 17 Meadows-Bericht 1972 145 Monitoring der Raumnutzung 17
Land- und Ernährungswirtschaft Lebenssituation, prekäre 104 Mechanisierung 45, 90,192 Mont d'Or-Simplon-Linie 44
2025 154 Lebensstandard X, 146 Medianeinkommen 111 Moräne 4,7
Landesausstellung 31,82 Lebenssti 1, ländIicher 40 Mediation 1803-1815 27 Moränenablagerungen 6
Landeskirche 84 Lebensunterhalt 98,113 Medizinaltechnik 48 Motorisierter Individua !verkehr
Landesregierung 33,84, 188 Lebenswelten IX, 70,87,93f. Meeresluft 8 (MIV) 127f., 132
Landessprachen 70, 75,81, 83, Leichtindustrie 45 Mehrsprachigkeit IX, 78f., 87 Multifunktionalität 18,150, 154
85 Leistungsabhängige Schwer- Mehrwertsteuer 64,67 f. Multikulti 84, 96
Landesteile 10,30, 63, 84, 115, verkehrsabgabe (LSVA) 68, 127, Mehrzweckbetrieb 125 Multikulturalität 85-87
117, 142,147,182 132, 172 Mehrzweckwirtschaft 123 Multimilliardär 106
Kohäsion 29 Leistungserbringer, touristische 60 Meinungsäußerung, politische 93 Multioptionsgesellschaft 97
Landesverkehrsabkommen 2002 Leistungsfähigkeitsprinzip 68f. Melkroboter 151 multipolare Welt 195
132 Leitindustrie 42, 55 Menschenrechte 189, 196 f. Mundartgrenze 142
Landesversorgung 63 Lenkungsabgaben 68 Menschenrechtsverletzung 197 Münzmonopol 62
Landesverteidigung 29 liberal 25, 37-39,60, 115 Mergel 4-6 Münzwesen 45
Landflucht 62,145 Liberalisierung, Massnahmen 38, Messeplatz 44 Mure 19,22,24
Landschaft 63f., 194 Messstandorte,nordalpine 12 Murgang 1, 169
2020 161-165 Liegenschaft 67 Metall- und Maschinenindustrie -Rückhaltedamm 169
Bewertungsdimensionen 163 Liegenschaftspreis 66 45 Murtätigkeit, Intensivierung 21
Einheiten 1 Liegenschaftstransaktion 64 Metropole Schweiz 74, 142, 162 Muslime 85 f.,90
öffentliche Aufgabe 126, Life Sciences 52, 145 Metropolen der Annehmlichkeiten Mutterschaftsversicherung 115
160-167 Life-Lines, erdverlegte 16 147
nationale Bedeutung 160 Life-Science-Branche 52 Metropolfunktionen 145 Nacheiszeit 5, 174
naturnahe 119 Lingua franca 78 Metropolisierung lOO f., 142, Nachhaltigkeit 17,19,24,133,
Landschafts Linkspartei 38 182f. 138, 150,154, 170,172,
-bild 120f., 124f., 141, 153f. Linsenwolken 10 Metropolitanbildung 136f. 180-185
-elemente 119,121, 126, 183 Linthkorrektion 169 Metropolitanraum Zürich 49f. Nagelfluh 4, 15
-entwicklung 163 Lockergesteine,quartäre 6 Metropolregion,Metropolitanregion Naherholungsgebiete 17
-konzept 161, 164 Lockersedimente 4 100,146f.,149, 159 Nährstoffbelastung,Landwirtschaft
-pflege 150, 154, 162 Lohnniveau,niedriges 73, 98 Microsoft-McDonalds phenomenon 177
-politik 160-164 Lokalisationsindex 101 110 Napfgebiet 39, 124, 147
-qualität 146, 160,167 Lokalwirtschaft 46 Migrantengruppe 76, 98f. Napoleon 44
-schutz 6, 19, 162f., 183 Löss 4,6 Migration 75, 78, 96-100, Napoleonische Kriege 192
-struktur 119 Lösslehm 6 104f., 198,200 Nation Building 26
-veränderung 163, 183 f. Lösungskompetenz 140 Migrationserfahrung 97 Nation, une et indivisible 83
-verbrauch 118 Lufthygiene 168,177 Migrationshintergrund 74, 97- Nationale Forschungsprogramme
Landwirte,Unternehmer 151 f. Luftreinhalte-Verordnung 170, 99 (NFP) 173
Landwirtschaft 178 Migrationspolitik 99, 196 Nationales Beobachtungsnetz für
geschützte geographische Luftreinhaltung 17 Milchseen 151 Luftfremdstoffe (NABEL) 177 f.
Angabe (GGA) 151 Luftverschmutzung 178 Milchwirtschaft 123, 143 Nationalfeiertag 26
Generationenwechsel 152 Milchwirtschaftsprodukte 123 Nationalität 71,74, 86
geschützte Ursprungs- Mädchenbeschneidung 97 Militärunternehmer 143 Nationalpark, Engadin 8, 170
bezeichnung (GUB) 151 Maiensäss 123 Milizparlament 33 Nationalrat 25,32, 63,92
Multifunktionalität 18, 150,154 Majoritarian democracy 37 Milizsystem 29 Große Kammer 32
224
Proporzwahl 28, 63, 92 OECD-Länder 69, 89,198 Personenverkehr 44, 127, 129 Raumentwicklung 18, 139,145,
Nationalratssaal 33 öffentliche Pfadabhängigkeit 160,168,180-185
Nationalstaat 28, 31, 69 f. Entwicklungshilfe (Aide Publique der Entwicklung 43 Raumentwicklungspolitik 136,
Nationalstraßen 128, 159, 170, au Developpement,APD) 198f. Pflanzenschutzmittel 152,176 139, 182,184
184 Finanzen 134 Pharmaindustrie 48 Raumgliederung 136
NATO-Kooperation 30 Verwaltung 135,156 Pharmazie 48, 106 Raumkategorien 119
Natur- und Heimatschutzgesetz Werke 126 Phosphatbelastung 170,177 Raumkonzept Schweiz 136f.,
1996 160,162 öffentliches Beschaffungswesen physiokratisches Dogma 44 182,185
Natur- und Umweltschutzverbände 188f., 194 Plan Wahlen 170 räumliche
18 ökologische Ausgleichsflächen Planungspolitik 118 Gliederung 1-24, 87, 178
Naturgefahren 13, 134, 162, 120,152f. Plateaujura 5 Typologie 136
168-185 ökologische Produktion 150, 152, Plebiszit 30,133, 190 Ungleichgewichte 141 f.
Naturgefahrenprobleme 174 154 plebiszitäre Blockierung 133 räumliches Gefälle 38
Naturkatastrophe 169,172, 195, ökologischer Leistungsnachweis plurikulturelle Struktur 29 Raumnutzung 17, 147, 163,
197 152 Podsol 15 173
Naturpark 160,166 Ökosystem 15, 19f., 23, 163, Podsolierungsform 15 Raumnutzungsansprüche 163
Naturraum 1-24, 142 174 Polarisierung der Schweiz 37 Raumordnungspolitik 161, 180
Naturwiese, ackerfähige 18 Opalinuston 6 Polytechnische Hochschulen 88 Raumplanung 17 f., 119, 159,
Neo- und Ordoliberalismus 63 Opposition 36,39-41 Politikprozess 36 162, 168,170,178,180-185
Nestle 81 Organisation for Economic politische Landschaften 37-41 Raumplanungsgesetz 18, 160,
Nettovermögen 95, 105, 112 Co-operation and Development politische Machtteilung, 181, 184
Neue Eidgenossenschaft 26 (OECD) 69, 89, 110, 187, Konkordanz 25,34 f.,37 Raumplanungspolitik 184
Neue Eisenbahn-Alpentransversale 191,198-200 politischer Aufbau 33 Raumplanungsrecht 178, 184 f.
(NEAT) 127, 131 f.,159 Organisationen, internationale XI, politischer Entscheidungs- Reallohn 45
Neue Linke 93 145, 187, 192 prozess 35f. Realteilung 123 f.
Neue Regionalpolitik (NRP) 47, Ortskultur 87 politisches Paradigma 41 Rebbau 123
136, 154-159 Ortsnamen 120 polyzentrische urbane Schweiz Recht auf die Letztentscheidung
Neue Zuwanderung 76 Ortswüstungen, spätmittelalter- 136f. 34
Neuenburger-Konflikt 29 liehe 121 Postwesen 45 Recht auf individuelle Kultur-
Neuer Finanzausgleich (NFA) ostalpin 2 Potenzialansatz 100 praxis 87
154-159 Osthilfegesetz 190 Präferenzabkommen 194 Referendum 25, 34f., 37, 42,
Neuorganisation,Gebiete 136 Ostkirche 86 Prekarisierungsdruck 91 62,64, 92,189 f.
Neutralität 30, 34, 190, 195 Ostzusammenarbeit 196,199, Primat der Wirtschaft 108 Gesetzes- 34
New Public Management 135f. 201 Privatbahnen,Nationalisierung obligatorisches 36
Nickel 6 Oxide 14 63, 130 Oppositionsinstrument 35
Niedergelassene 92, 98 Private Banking 72 Verfassungs- 34
Niederlassungs- und Gewerbe- Parabraunerden 15 Privateigentum 61 Referendumsrecht 34,140
freiheit 28 Parallelexistenzen 84 Privatvermögen IX, 72, 111 Reformation, Zürich 27
Niederschlag,Stark- 11, 19, 24 Parallelwelten 96 f., 99 Problemlösung,kommerziell Reformstrategie, finanzpolitische
Niederschlags Pariser Frieden 30 verwertbare 49 105
-abnahme 13 Parklandschaften,Schweiz 166 ProClim 173 Regeneration 1830-1848 27 f.
-aktivität 9 parlamentarische Demokratie 34 Produkte, tierische 148 Regierung 33f., 36f., 64, 97,
-änderung 12 f., 21, 23 Parlamentsbeschluss 34, 37 Produktion, Mechanisierung 45 187f., 190,200
-entwicklung 12 Parlamentsentscheid 28 Produktionsauslagerung 91 Regierungspräsident 34
-kurve, gesamtschweizerische 12 Parteien 33,35f., 92, 87, 185, ProduktmarktreguIierung 60 Regio Plus 158
-mengen 1, 9 195,199 Prognose 12, 23 Region
-messreihen 12 Parteienpolitik 96 Programme for International agrarische 136
-profil, Schweiz 9 Partikularismus 83 Student Assessment (PISA) agrotouristische 136
-regime 12 Partnership for Peace 30 29,80 Großregionen 49-52, 54, 73,
-zunahme 13 Parzellengrenze 120 Proporzwahlrecht 28 136
Nischenstrategien, Export- Patchwork-Kultur 84 Proporzwahlsystem 92 MS-(mobilite spatiale)
wirtschaft 91 Patentdichte 194 Protektionismus, Regionen 49
Nordschweiz 9 Patrizier 106, 125 nationaler 64 Randregion 17, 59,127
Nord-Süd-Verkehr 44 patrizische Familien 44 protektionistische Wachstumsschwäche 47,157
Nothilfe,humanitäre 195 Pauschalbesteuerung 69 Maßnahme 47,151 regionale Entwässerungspläne
Novartis 81 Pendlerdistanz 118 Protestanten 40, 82, 90 (REP) 176
Nutzflächen, alpwirtschaftliche Pendlereinzugsbereiche 49,136 protestantische Ethik 96, 105 Regionalentwicklung 13, 140,
141 Penninikum 2,6 Protestantismus 142 146, 159
Nutzflächen, landwirtschaftliche Pensionskassengelder 72 Regionalplanungsverband 139 f.
141, 148, 183 periurbane Zone 136 Quartär 4, 6 f. Regionalpolitik 47,63, 141 f.,
Nutzungsbedürfnis 121 Periurbanisierung 102f., 142, Quartierspolitik 105 145-147, 154-159, 167
Nutzungsintensität 120 145 Quarzsand 6 Reiche
Nutzungskonflikt 16-18, 120 Permafrost 1, 6 f.,20-22,174 alte 106, 108
-verbreitung 21 Rätoromanisch 70, 87 christlich motivierte 107
Obere Meeresmolasse 6 Personenfreizügigkeit 86, Raum, Ausdifferenzierung 101, neue 108
Obligationenrecht (OR) 61 188-190 105, 142, 148 unkonventionelle 107
Sacttreglstet 225
Reichtum 7, 44, 105-109, 143, Schienenverkehr 127-129, 132, Binnennachfrage 57 Seen 4-7,21,24,1 21,126,
175 189 Erwerbstätigenanteil 58 170, 174, l 76f.,179,197
Sozialverträglichkeit 106,152 Schiffsexpedition 143 Nachfragerückgang 57 natürliche 7
Reihendorf 126 Schiffsverkehr 123 Performance 57-59,61 Zungenbeckenseen 5
Reliefbedingungen 120 Schiiten 86 Preisdifferenz Nachbarländer Seewasserwerk 7
Reliefenergie 19 Schlüsselbranchen 48 59 Segmentierung, räumliche 110
Reliefsituation 14 Schmelzwässer-Kiese, Preis-Leistungs-Verhältnis 61 Seide 46
Religion XI, 26, 31, 35, 40f., -Sande 4 Wettbewerbsfähigkeit 52, 59f. Seilbahn, Standseilbahn,
81-86,91,100 Schmelzwasserströme 4 Schweizer Wirtschaft 44, 48 f., Luftseilbahn X,128
Rendzinen 14 Schneebedeckung 1 51-54, 6lf.,99,134,194 Sektoralpolitik 138, 159,164,
Renovationskosten 67 Schneedecke 9,23 Flaggschiffe 48 166
Rentensystem 74 Schottervorkommen,quartäre Krisenanfälligkeit 48, 52 Selbstverantwortungsprinzip 170
Rentner 72 7 Lohnkosten 47 f. Selbstversorgungswirtschaft 123
Resort towns 146 Schuldbetreibungs- und Qualitätssiegel 48 Selbstverständnis 70, 82,107,
Ressourcen Konkursrecht (SchKG)61 Risikokonzentration 48 139
materielle 108 Schuldenkontrolle 104 Schlüsselbranchen 48 helvetisches 70
natürliche IX,6-8 Schuldzins 67 Strukturbild 48 Selektionsprozesse, negative 140
nicht erneuerbare 14 Schulharmonisierung 39 Wertschöpfung 46, 48,51-55, Sennereibetriebe 125
Ressourcenökonomie 174 Schulreform 99 74,105, 126,136, 142, 146, Serpentinit 6
Ressourcenschutz 160, 164, Schulschwierigkeit 104 148, 153f.,159, 162, 167 Service public 38, 62 f.
175-180 Schulsystem 78, 82, 88 Schweizerdeutsch IX, 80 Sezessionstendenz 84
Ressourcenverteilung,regionale Schutz der Minderheiten- und Schweizergarde X, 29 Shareholder value 91
146 Regionalsprachen 87 Schweizerhalle,Chemiebrand Sicherstellung der Versorgung 61
Restauration Schutzgebiete 160, 170 1986 173 Siedlungs
große(l815-1830)27 Schwangerschaftsabbruch 40 Schweizerische -assoziation 122, 125
kleine 27 Schwarzenbach-! nitiative 96 Arbeitskräfteerhebung(SAKE) -entwicklung 119-126,165,
Restriktion,feudale 45 Schweiz der Regionen 136 97 167,182f.
Revision des Schweizer Raum- Schweiz in der Entwicklungs- Bundesbahnen (SBB) 63,127, -entwicklung,nach Innen 19,
planungsgesetzes 160 zusammenarbeit 195-201 130 138,182
Revolution Schweiz in der Weltwirtschaft Bundesverfassung 17,31-34, -fläche 134, 183
1847/48 28 191-195 37, 63f., 99, 126f., 137, -qualität 183
von oben 29 Schweiz und Europa 187-191 139, 155,170 -raum 120, 160
Rezessionsphase 68, 90, 144 f. Schweiz Demokratie 31-37, 62,82, 92, -struktur, inneralpine 124
Rhönegletscher 6, 20 Bankenschweiz 81 127 -typen 114 f., 120f., 125
Richtplan,kantonaler 184 Bauernschweiz 81 Eidgenossenschaft IX,17, -verdichtung 19
Risikomanagement 173 f. fünfte 47 25-27, 29,31,34,43, -wasserwirtschaft 168, 175 f.
Rodungsprozess 120 italienische 25, 38-40 88, 97,99, 126,142, 161, Silikate 14
Rodungstätigkeit 23 kleinstädtische 41 191 f.,195 Silikatverwitterung 15
rohstoffarmes Land 192 periphere 41 Entwicklungszusammenarbeit Simplon-Linie 3, 44
Rohstoffe 24,43,45,151, 171, sozialwissenschaftlicher 186,194-201 Skipiste 24
175,186,192, 199 Glücksfall 114 Konferenz für Sozialhilfe Softwaremillionäre 106
Rohstoffhandel 48 wissensintensive 42 (SKOS)65, 109f.,113 Söldner 143
Rohstoffverknappung 169 Schweizer Militärorganisation 29 Söldnerwesen 29, 43
Römerzeit 24 Agrarpolitik 150f. Nationalbank (SNB)XII,61 f., Sömmerungsalp 123
Römische Verträge 44, 187 Alpen 4, 22 154 Sömmerungsweide 125
Rotes Kreuz 29 Banken IX, 69,200 Tourismuswirtschaft, Qualitäts- Sonderbundskrieg 27, 31, 92,
Rückkoppelungsprozess 19 Bundesebene, Führungs- Gütesiegel 60 142, 192
Rückwanderung 47, 103 aufgaben 136 Transportkostenrechnung 128 Sonnenscheindauer 11
rurale agroindustrielle Zone 136 Erbrecht 106 Volkspartei (SVP) 34, 92 Souverän IX, 33, 39,97
Rüstungsexport 30 Exportwirtschaft 48 Schweizerischer Sozialabzüge 67
Rütli-Eidgenossen 26 Firmen,Ausland 44, 47, 91 Gemeindeverband 139 Sozialdemokratische Partei(SP)
Rutschung 19 Franken 45, 47f., 57, 62 Nationalfonds(SNF)162,173 34,66,92
Gastgewerbe 59f. Städteverband 136,139 soziale
Saisonniers 85 Gesellschaftssystem 96 Schweizerisches Differenz 108
Salz 6 Gletscher 7,21 Mittelland 4, 16 f., 126, 167, Entwicklung 100-105
Salzhandel 143 Industrie 47,187 176, 181 Frage 108, 142
Sand 6 Kommunikationsmodell 80 Politiksystem 25, 37 Gegensätze 36
Sandstein 4, 6 Konsumenten 152 Schwemmkanalisation 176 Kohäsion 74, 96
Säumergenossenschaften 191 Lohnstrukturerhebung 93 Schwyzertütsch 80 Lage 89, 109
Säumerweg 192 Raumplanung 160,180-185 Sedimente 2, 4f. Schicht 78f.,89,102
Schadstoffbelastung 178 Regionalpolitik 146, 156 feinkörnige 4, 15 Sicherheit 38,99, 108,
Schadstoffe 1, 16f., 176,178f. Sozialhilfe 110 gefrorene 22 112-114,195
Sehengen 39,189 Schweizer Tourismuswirtschaft 55, mesozoische 3 f. Strukturen 114
Schenkungssteuer 64,68 57-61 tertiäre 3 Transferleistungen 112
Schichtstufenland 5 Arbeitsstellen 59, 98, 110 Seeablagerungen 4 sozialer
Schienennetz 128-130 Auslandsnachfrage 57 Seebodentone 6 Kitt 108
226
Pluralismus 70, 84 Staat, korrektive Ordnungsfunktion Steuerharmonisierung 42,64 Tabak-, Bier- und Spirituosen-
Zusammenhalt 107,145 108 Steuerhoheit 68,190 steuer 68
soziales Netzwerk 103 Staatenbund IX,X,25, 27, 31, Steuerhölle 66 Tafeljura 3,5, 126
Sozialgesetzgebung 28 97 Steuern 32, 43, 55,62,64,69, ungefaltet 5
Sozialhilfe Staatlichkeit,fragile 197 82, 100, 110-112 Täler,inneralpine 9
Einkommensfreibeträge 113 Staats Bemessung 64,69 Talgebiet 46
Ergänzende 108 -angehörigkeit 72,97 f. Besteuerungsgrundsätze 68 Talkäserei 46
Integrationszulagen 113 -aufbau, föderalistischer 62,64 Eigenmietwert 67, 69 Talschaft 87
-empfänger l lOf. -aufgabe 62 f. Gewinnsteuersatz 67,69 Talzone 124
-empfängerstatistik 111 -ausgaben, defizitfinanzierte 63 indirekte Progression 67 f. Tandeminitiative 160
-leistungen 99,113 -gründung, von unten 31 f. Steuerparadies X,66 T äuferfamilien 125
-risiko 111 -haushalt 33,196 Steuerpflicht 64 Technokratisch 25, 37f., 40
-unterstützung 95 -präsident 34 Steuerpolitik 10,64-69,74,81, Technosol 16
Sozialkarriere 104 -schatz,Bern 44 178 Temperatur 12f., 2023
Sozialleistung 66,110 -schutz 29 Steuersätze, Festlegung 64 -entwicklung 11 f.
Sozialorganisation 87 -Sekretariat für Wirtschaft Steuersenkung 63 -kurve 12
Sozialpartnerschaft 63 (SECO) 136, 138 f., 195f., Steuerstrafrecht 64 -regime 9, 12
Sozialpolitik X,36, 110,112, 198 Steuersystem 42, 64-69,74, 81, -verlauf, langjähriger 12
200 -symbole 82 156, 178, 190 jahreszeitliche 11,13
Sozialversicherung 48, 61 f., 67, -urkunde 26 Steuertarif 64, 67 saisonale 11 f.
109-112, 117 Stadt- und Regionalentwicklung Steuertarif,degressiver 69 Durchschnitts- 9
Sozialversicherungswerk 62,67 140 Steuertheorie 68 Sommer- 12, 23
Sozialwohnungen 104 Stadt, Rückkehr 103 Steuerwettbewerb 49,69 Winter- 12
faktische 104 Städte, Unwirtlichkeit der Städte 1 nternationaler 69 Terra Rossa 6
Soziokulturelle Widersprüche 142 144 Kantone 42,65f. Terrassenlandschaft 126
Soziokultureller Status 101 städtebau Iiche Entwicklungs- Kleinräumiger 64 territoriale Agenda 180, 182
Sozioprofessionelle Kategorie 73, gebiete 47 Steuerzahler 69,73 Territorialitätsprinzip 83, 87
80,101 Städtegründung 121 Stiftung Landschaftsschutz Tertiär 26
Spanische Grippe 71 Städtegründungsphase 121,126 Schweiz (SU 162 Tethys-Meer 2,5
Spätmittelalter 44,121,126 Städtenetz,Europa 138 Stimmbürgerschaft 34,37 Textil 204
Speckstein 6 Städtenetz,Schweiz 121,137 f. Stimmrecht IX,30,34,87,194, -gebiete 155
Speicherkraftwerk 8, 144 Städtepolitik, nationale 139 196 -herstellung 101
Sperrminorität 33 Stadt-Land-Gefälle 154 Stoffkreislauf, -industrie 40, 60,108, 204 f.
Spezialisierung,wertsteigernde Stadtlandschaft 119 biogeochemischer 18 -veredelung 89
Tätigkeit 45 Stammzellenforschung 40 Strafgesetzbuch (StGB) 61 thermische Anomalie 22
Spezialitätenchemie 144 Ständemehr (Mehrheit der Strafrecht 34,61, 64 Tierschutz 153
Spinnerei 45 Kantone) 32,34 Straßenmöblierung 105 Tone 46
Sprache Ständerat (Kleine oder Stände- Straßennetz 128131,133, 183 Tonmineralneubildung 15
Anderssprachige 76 f. kammer) 32-36,92 Streusiedlung 122-124 Totalrevision der Bundesverfassung
Aufnahme- 78 Standort Stromerzeugung 8 31,37
Einstiegsfremd- 75 f. -entscheidung 73 Stromproduktion 8,174 Tourismus
Empowerment 78, 104 -förderung 64-69,74,81,159, strukturelle Schwächen 136 -boom 57
englische 75-80, 87, 107, 178,190 strukturschwache Gebiete 42, 55, -gebiete, alpine 159
187 -nachteiJe 48 57, 135, 144 -nachfrage 57, 59
Erst- 78, 84 f. -qualität 45,134 Strukturwandel 47, 51, 54,56, -organisation 55f.
Fremd- 75 f.,79 -quotient (SQ) 52-54 60, 62,70,82,89f.,92-94, -standort Schweiz 61
Landessprachenunterricht 76 -vorteile 45, 54 125 f., 135f., 141-167 -strategie 55 f.
Mehrheits- 78 -wettbewerb 49, 54,63,69, Verschlafener 47 -verkehr 118
Minderheits- 75 147,159 Wirtschaftlicher 48 -wirtschaft 47, 55,57-61
Nichtlandessprachen 76 f. Statistische Großregionen 136 Sturmschäden 11 Agro- 153
Schul- 79 Staubewölkung 10 Subsistenzwi rtschaft, Traditionell 25, 38
Standard- 7 5 Stausee 7, 24 agrarische 143 Traditionen, direktdemokratische
Sprachenartikel,BV Art. 116 87 Steinsalz 5 f.,46 Suchtprävention 104 f. 120
Sprachenlandschaft der Schweiz Steinschlag 19,169 Südalpin 2f., 6,12,123 Transaktionskosten 61
75-80,82-85,90,142 Stempelsteuer 64, 68 Sulfate 14 Transit IX,24,28,30, 43f.,
Sprachförderung 80 Steueranreiz 74 Sumpflandschaft, 132,133
Sprachgebiet,rätoromanisches 75 Steueraufkommen 91, 104f. terrestrische 4 -gebühr 191
Sprachgraben 38f. steuerbares Einkommen 66 Sunniten 86 -verkehr 43, 118,127 f.,188,191
Sprachgrenze, romanisch- steuerbares Vermögen 112 Suone 9 -verkehr, LKW- 118
germanische 142 Steuerbelastung,niedrige 42, 65 Swissair 188 Transport IX, 2, 40, 48,54,103,
Sprachproblematik 83 Steuerbemessungsgrundlage, Syndrom 16 131,191,198
Sprachregionale Diskrepanz 117 Lebensaufwand 69 Syndromansatz 16 -kosten 45,63
Sprachregionen 47,114,142, Steuereinnahmen, Synklinale 5 -kostenrechnung 128
168 städtische 118 System der sozialen Sicherheit, -system,Europa 44, 46
Spurenstoffe, organische 176 Steuererhöhung 42,64 f. Schweiz 108,112f. Travel & Tourism Competitiveness
St.Galler Voralpengebiet 123 Steuerfreibetrag 64 Szenarienrechnung 13 lndex 61
Sachre 1 227
Treibstoff- und Automobilsteuer 68 Vegetationsbedingungen 120 Verwaltung 34-36,45,47,62, -knappheit 175
Trendwende, zweite 145 f. Vegetationsperiode, Verkürzung 67,83,91, 94,107,135,138, -kraftnutzung 8,20
Trias 4-6 24 156,196,198,201 -kraftwerk 8
Tripartite Ag glomerations- Vegetationsverbreitung 1 Verwaltungsstruktur 74 -leitung 9, 123
konferenz CTAK) 139f. Vegetationszusammensetzung 24 Verwitterung 2,6,14f.,20 -management
Trockenlegung 118,126 Verbrauchssteuer 64 Verwitterungsbildungen, -qualität 13
Typlandschaft 2 Verbraunung 15 alttertiäre 6 -rahmenrichtlinie (WRR) 176
Veredelungswirtschaft 42 f. Viehbesatz 24 -reservoir 7, 21
Überalterung 71,103 Verein Metropole Schweiz 162 Viehwirtschaft 46,123,125 -schloss Europas 6
Überflutungen 5, 11 Verein Metropolitanraum Zürich Vielstaaterei 82 -versorgung 7,153, 173-176,
Überformung,erosive 19 49 Viersprachigkeit 70 195,201
Überfremdungsangst 63 Vereinigte Bundesversammlung Viertausender 2 -vorkommen 6 f.,175
Übergangsjahreszeiten 13 33f. Vierte Landessprache 70 -zinsen 144
Überprägung, Verfassungs Volatile Organic Compounds (VOC) Brauch- 7 f.
geomorphologische 2 - änderung 34 f.,42,64 68,178 Grund- 5-7,15,174-177,179
Überschwemmung 10,24, 107, - artikel, Landwirtschaft Völkerbund 30 Karst- 7
169 150-152 Volks Oberflächen- 6
UBS 64 -gebung 35 -abstimmung IX,25, 27f., 30, Trink- 7, 175f.
Uhren 44,48,54, 125 -gericht 34 32,34,36f.,39,42,64,67, Weberei 45
-herstellung 125 -gerichtsbarkeit 34 69,84,97,114f.,131, 160, Wegzug 66,103,134
-industrie 42,44, 55,63,106, -system 34 170,189 Wehrpflicht 29
125,143, 192 Verformung,tektonische 2 -begehren 34,97 Weideland,extensive Nutzung
-manufakturen 143 Vergangenheitsbewältigung 197 -initiative 30,34-37,40,66, 123
Umgangssprache 80 Vergletscherung 4,14,21 92,160 Weidewirtschaft 1,6,123
Umlandgemeinde 74, 137 modellierter Rückgang 21 -kammer 33 Weiler 121,124, 126
Umsatzabgabe 68 Vergrünlandung 46 -mehr 32, 34 Weltanschauung,linke 115
Umwelt Verhandlungen,internationale 32 -wirtschaftsdirektion, Weltbank 193-196
-fragen 168 Verkarstung 6 f. Economic Promotion 66 Weltgerechte Identitäten 105
-geschichte, Schweiz 169f. Verkehr X-XII,13,24,43f.,56, Vollbeschäftigung 51, 63,111 Welthandelsorganisation (WTO)
-management 175 61,83,106,118, 123,127f., Vollzugsföderalismus 155 63,186f.,193 f.
-politik 40, 161,170 f.,173, 132-134,137,139f., 144 f., Voraussetzungen,klimatische Weltwirtschaftspolitik 194
175 148,156,160,171-175,177 14 Werkplatz Schweiz 42-49
-probleme 92 f.,134,136f., Verkehrs Vorlandseen,große 4 Wertesystem 96,146
168-185 -drehscheibe,europäische 127 Vorparlamentarischer Wertkonservative 39,108
-schutz 17 f.,28,62,132 f., -entwicklung,nachhaltige 127 Entscheidungsprozess 35 Wertschöpfungsketten 48
155, 160, 162,168,170f., -infrastruktur 127 f., 133, 182 Vorparlamentarisches Verfahren Wertschöpfungsstudien 55
173,175, 178,197 -politik 127-133,182f. 35f. Wertschöpfungswachstum 51-53
-Schutz-Abonnement 133 -system X,45,132f. Vorsorgegelder 72 Wertsteigerung,ökonomische 16
-Schutzgesetz (USG) 17,170, -verband 131 Vorsorgeprinzip 170 Westfälischer Frieden 26
175,179 Verlagssystem 45 Voting by feet 66 Wettbewerbsfähigkeit IX,52, 59 f.,
-sünder 151 Verlängerte Werkbank Europas 64,69,134-136,159, 170,
-verträglichkeit 131,180 144 Wachstum, Industrie- 181f.
-wende 131,133 Vermarktung, Wirtschaftsraum und Arbeiterstädte 45 Bestimmungsfaktoren 59
Bodennutzung 134 Zürich 49 Wachstums Preisliche 59
UNESCO Biosphärenreservat Vermögensgewinnsteuer 64 -begrenzung 48 wettbewerbshemmende Elemente
Entlebuch 153,161,166 Vermögensstatistik,gesamt- -einbruch 51,54 69
Ungleichentwicklung 146,148 schweizerische 105f. -faktor 52 Wettbewerbsverzerrung 69
Ungleichheit, gesellschaftliche 79 Vermögenssteuer 64,67,112 -potenzial 44 Wettbewerbsvorteile IX, 194
Ungleichheit,soziale 78,93,101, Vermögensübertrag 72 -schwäche 47,157 Wiener Kongress 30
108-112,114 Vernehmlassung 35,160 Wahlrecht 28,34f.,63 Wildnisgebiete 183
Ungleichverteilung,Einkommen Vernehmlassungsverfahren 36, Wald Willensbildung des Bundes 32
109 173,185 -anteil 8 Willensnation 25,31,41,97,
UNO 30,186f.,195f.,198-200 Verrechnungssteuer 69 -flächen 6,184 142,159
-Beitritt XI,39 Verschmutzungsgefahr 7 -gesetz 17,168,170 Winter,Warmwinterphase 12
Unsicherheits-Bandbreite 13 Versicherung 28,61-63,68,74, -grenze 23 f. Winterschnee 9
Unternehmer, Landwirte 151, 159 109-115,117 -hufenflur 126 Winzerdorf 126
Unternehmungen, halbstaatliche Versicherungsbeiträge 62,110 -sterbedebatte 162 wirtschaftliche
63 Versorgung,Entsorgung IX,61, Bewirtschaftung 8 Dynamik 49,51,74, 142
Unterstützungspflichten 109 108,123, 145,155,160 Kastanien- 15 Erneuerungsgebiete 136, 158
Uran 6 Verstädterung 17,101,105,118, Wanderungsbewegung 24,103 Führungselite 44
Urbanisierung 16, 142, 145 126,170 Wanderungssaldo 71,74,86 1 ntegration 44 f. 187
Urbanisierungspotenzial 146 Verteilungsgerechtigkeit 68 Warenverkehr 44 1nteressen 191
Urbanisierungsgrad 142 Vertrag von Lissabon 2007 187 Wärmediffusion 22f. Stagnation 51
Urbanität 40 Vertrag von Maastricht 1992 187 Wasser wirtschaftliches Erfolgsmodell 43
Ursprungsregeln 194 Verursacherprinzip 61,68,132, -bilanz 7 Wirtschafts
Uruguay-Runde 151,193 161, 170,178 -Dargebot,jahreszeitliches 168 -aufschwung 118
228
-entwicklung 49, 62f., 136 -system, manchesterliberales „bekennende Städter" 103 Zersiedelung, Zersiedlung 17,
-flächen, arrondierte 123f. 62 „Bürgerliche" 103 74, 133f., 136-138, 1 48,
-förderung, regionale 141, 157 -system, marktwirtschaftlich­ „flexible Individualisten" 103 160, 181
-kraft 42, 49-51, 159 kapitalistisches 61 „Friedfertige" 103 Ziegeleiindustrie 6
-landschaft 43f. Wissensgesellschaft 99 „Gemeinschafter" 103 Zivile Schiessanlagen 179f.
-leistung, regionale 55 Wissensökonomie, Investitions- „Landnostalgiker" 103 Zivilgesetzbuch (ZGB) 61
-liberalismus 62 tätigkeit 100, 110 ,,unzufriedene Gleichgültige" Zivilrecht 34, 61
-mentaI ität 43 Wohlstandsliste, globale 43 103 Zölle 63f., 67, 189, 192-194
-politik 36, 42, 62f., 193-195 Wohlstandsverlust 61 f. Wolkenauflösung 11 Zusammenarbeit
-raum IX, 24, 36, 43f., 46, 49, Wohnbevölkerung, Schweiz XI, Working paar 73, 90, 95, 98, Bund-Kantone 155
120, 136, 144, 183, 188 71, 75 104, 109-111, 113 Interkantonale 139, 155
-räume, funktionale 49, 134 Wohnbevölkerung, ständige WTO-Ministerkonferenz 194 vertikale 139
-region, funktionale 49 ausländische 71, 86, 97f. Würm-Vergletscherung 5 Zwangsverheiratung 97
-region, protoindustrielle 44 Wohnen 17, 74, 102-104, Zweikammersystem
-standort Schweiz 138, 182 134, 147, 153 Zentralalpen 2 des Parlaments 25, 32
-struktur 43, 49, 81, 175 Wohnen im Grünen 17, 103 Zentrum-Peripherie-Gefälle 154 Zweiter Weltkrieg 15, 29f., 71,
-struktur, historische 191 Wohnen/Arbeiten 17, 134 Zentrumsgemeinden 101, 104 f., 88, 90, 108, 118, 121, 123,
-system 61-64 Wohnformen 102f., 105, 111 134 130, 144, 15lf., 170, 177

Das könnte Ihnen auch gefallen