Sie sind auf Seite 1von 142

1.

KAPITEL

Mit gequältem Lächeln legte Christina Lacey den Telefonhörer auf.


Tante Paulines Reaktion auf die Entscheidung, die ihre Nichte nach
dem Autounfall getroffen hatte, war eher ärgerlich als besorgt ge-
wesen. Nun, Tante Pauline hatte wohl ein Recht dazu, entrüstet zu
sein. Christina hatte sich tatsächlich in eine ganz dumme Lage ge-
bracht. Der stechende Schmerz, der sie beim tiefen Einatmen durch-
zuckte, erinnerte sie unwillkürlich daran.
Schwungvoll warf Christina die wohlgeformten Beine aus dem
Bett, ging zum Spiegel hinüber und zwang sich, hineinzusehen.
Behutsam berührte sie das geschwollene Etwas in ihrem Gesicht, das
einmal eine schmale, kecke Nase gewesen war. Als man ihr vor
einigen Tagen den Verband abgenommen hatte, wäre sie fast in
Ohnmacht gefallen. Aber Dr. Mason hatte ihr versichert, dass die
Wiederherstellung voll gelungen sei. Sie würde in einigen Wochen
wie die frühere Christina Lacey aussehen, vielleicht um eine Winzig-
keit verändert. Der Unterschied sollte aber kaum zu merken sein.
Grauenhaft, dachte Christina, geradezu erschreckend sehe ich aus!
Sofort stöhnte sie auf, als sie eine empfindliche Stelle berührte.
„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Christina" sagte sie
leise zu ihrem Spiegelbild. „O Gott, nur nicht weinen, du kannst dir
ja nicht einmal die Nase putzen", jammerte sie.
Wann hatte sie eigentlich begonnen, mit sich selbst zu reden? Diese
unerträgliche Ruhe im Zimmer! Die Stille hätte vermutlich sogar
eine Holzpuppe zum Sprechen gebracht. So verlassen war sie sich
noch nie vorgekommen. Zu Hause hatte immer jemand gerufen,
gesprochen oder gesungen.
Christina empfand ihre Einsamkeit wie einen körperlichen
Schmerz.
Tante Pauline hatte ihr mitgeteilt, dass das schöne weiße Holzhaus
ihrer Eltern verkauft und die Möbel zur Versteigerung abtransportiert
worden waren. Der Onkel hatte gute Abschlüsse für sie getätigt,
wofür sie ihm natürlich von Herzen dankbar war. Aber nun, da diese
Dinge geregelt waren, tat alles noch mehr weh als vorher. Das Fünf-

1
zimmerhaus war ihr Zuhause gewesen.
Nur kein Selbstmitleid! rief sie sich im Stillen zur Ordnung. Vor-
sichtig rieb sie die Tränen aus den Augen und begann, ihr Haar zu
bürsten.
Das Zuschlagen einer Autotür ließ sie mitten in einem Bürsten-
strich innehalten. Christina hörte Stimmen, ein Lachen. Sie kannte
nur einen einzigen Mann mit einem solchen Lachen: tief, dunkel und
perlend. Schnell legte sie die Bürste auf den Frisiertisch und warf das
lange, schwarze Haar über die Schultern zurück. Ein Prickeln durch-
lief ihren Körper, als der Mann wieder lachte. Sie rannte zum Fenster
und sah vorsichtig hinaus.
Ein großer schwarzer Wagen stand auf dem Parkplatz vor dem
Bungalow. Daniel Belmont war angekommen. Bei seinem Anblick
begann Christinas Herz stärker zu klopfen. Er drehte ihr den Rücken
zu, seine breiten Schultern waren halb von einem Jasminstrauch
verdeckt. Er unterhielt sich mit der hübschen blonden Frau, die im
Nebenhaus wohnte.
Christina brannte vor Neugier. Sie hätte nur zu gern das Gespräch
mitgehört, um mehr über diesen attraktiven Mann zu erfahren. Das
Stimmengeräusch drang zu ihr hinauf, aber worüber die beiden rede-
ten, konnte sie nicht verstehen. Die Entfernung war zu groß.
Dieser Mann hatte den Unfall verursacht. Sein großer, luxuriöser
Wagen hatte ihren kleinen Honda gerammt. Dabei war sie mit voller
Wucht mit dem Gesicht auf das Lenkrad geprallt, da sie den Sicher-
heitsgurt nicht angelegt hatte. Außer der verletzten Nase hatte sie
noch eine große Platzwunde an der Stirn davongetragen und sich
eine Hand verrenkt.
An die ersten Tage nach dem Unfall konnte Christina sich kaum
erinnern. Daniel Belmont hatte einen weithin bekannten Schönheits-
chirurgen rufen lassen. Er war für die erschreckend hohe Arzt-
rechnung aufgekommen und hatte Christina täglich Blumen ge-
schickt. Viermal hatte er sie besucht, meistens am späten Nachmittag
für höchstens fünf Minuten. Er wirkte lebhaft, ungeduldig und offen-
sichtlich etwas belastet von der Verantwortung, die er auf sich ge-
nommen hatte.

2
Einmal allerdings, so glaubte Christina sich zu erinnern, hatte er
sanft mit dem Finger über ihr bandagiertes Gesicht gestrichen. „Ich
wette, dass unter diesem Verband eine richtige Schönheit verborgen
ist", hatte er leise gesagt.
Dann war sie aus dem Krankenhaus entlassen worden. Völlig un-
erwartet war er wieder zur Stelle gewesen, hatte den Klinikaufenthalt
bezahlt, sie zu seinem Wagen geführt und zu diesem luxuriösen
Landhaus gefahren. Als sie zu protestieren wagte, hatte er sie ener-
gisch gebeten, damit aufzuhören. Er hätte genug anderes im Kopf, als
mit ihr über Maßnahmen zu diskutieren, die er nun einmal be-
schlossen habe. Christina war viel zu verwirrt und eingeschüchtert
gewesen, um sich diesem kraftvollen Menschen zu widersetzen.
Einige Tage später stand ihr Honda repariert und frisch lackiert auf
dem Parkplatz vor dem Haus. Da versuchte sie noch einmal, sich
gegen seine Großzügigkeit zu wehren. Er hatte nur abgewinkt und ihr
erklärt, er wäre schuld an dem Unfall, und es sei seine Pflicht, dafür
zu sorgen, dass sie gesundheitlich wieder völlig hergestellt werden
würde und keinen finanziellen Schaden erleiden dürfe.
Da sie zurzeit wenig Geld habe - das hatte sie ihm auf seine Frage
gestanden - werde sie in seinem Bungalow bleiben, bis Dr. Mason sie
für geheilt hielte. In diesem Landhaus gäbe es ein Verwalterehepaar
und ein Zimmermädchen. Alles, was Christina zu tun habe, sei aus-
zuruhen und gesund zu werden.
Es klang wie ein Befehl. Christina hatte das unbestimmte Gefühl,
er würde sie einschließen und streng bewachen lassen, wenn sie nicht
tat, was er angeordnet hatte.
Also schonte sie sich. Sie unternahm ausgedehnte Spaziergänge am
Strand, bummelte durch Corpus Christi, die kleine Stadt, die sie zu
lieben begann. Sie fühlte sich wohl in der Wärme nach den kalten
Temperaturen in Cleveland.
Aber Christina war seit ihrem sechzehnten Lebensjahr gewöhnt zu
arbeiten. Die aufgezwungene Untätigkeit und das Gefühl, von einem
fremden Menschen abhängig zu sein, verletzten ihren Stolz.
Zum Glück heilten die Wunden schnell. Die Fäden an der Stirn-
wunde waren gezogen, und die Hand schmerzte nicht mehr. Die

3
Schwellung rund um die Nase ging allerdings nur sehr langsam zu-
rück. Auch die entstellenden blauen Flecken in ihrem Gesicht waren
noch zu sehen, aber mit jedem Tag sah alles ein bisschen besser aus.
Daniel Belmont hatte mehrere Male angerufen. Besucht hatte er sie
nur einmal in den zehn Tagen, die sie nun in seinem Haus ver-
brachte. Er war in der Dämmerung gekommen und hatte sie auf der
Terrasse getroffen. Geblieben war er nur wenige Minuten, hatte nach
ihrem Befinden gefragt und erklärt, dass er einige Tage verreisen
müsse. Das war die ganze Unterhaltung gewesen. Seltsamerweise
fühlte sich Christina einsam und niedergeschlagen, als er gegangen
war.
Die Tatsache, dass er weder etwas von ihrer Vergangenheit wissen
wollte, noch zur Kenntnis nahm, dass sie eine Frau war, verletzten
Christina. Sie entdeckte, dass sie ungeduldig auf seine Rückkehr
wartete.
Als Daniel sich plötzlich umwandte und ins Haus ging, erschrak
Christina, und sie trat rasch vom Fenster zurück. Zu spät wurde ihr
bewusst, daß sie die ausgebleichten Jeans und einen alten beigen
Pullover trug. Es blieb ihr kaum Zeit, sich auf die Couch zu legen
und so zu tun, als hätte sie nichts gehört, als er bereits auf der Tür-
schwelle stand. Verärgert sah sie auf.
„Sie hätten ruhig anklopfen können. Ich hätte ja gerade nackt sein
können", sagte sie kühl.
„Das hätte mich nicht gestört", erwiderte Daniel freundlich. „Aber
ich entschuldige mich trotzdem. Wie fühlen Sie sich?"
„Viel besser. Danke." Es klang frostig.
Er kam zur Couch und beugte sich über sie „Stehen Sie auf. Ich
möchte genau wissen, welche Fortschritte die Heilung gemacht hat."
Christinas Mund wurde schmal. Sie blieb sitzen. Daniel richtete
sich auf und wartete. Böse stand sie auf und hob ihm unbewußt her-
ausfordernd das Gesicht entgegen.
Er umfasste zart ihr Kinn und wendete ihren Kopf von einer zur
anderen Seite. Dann untersuchte er ihr Handgelenk, bewegte einzeln
die Finger.
„Man könnte meinen, Sie kaufen ein Pferd", sagte Christina ver-

4
drießlich. „Vielleicht wollen Sie meine Zähne auch noch unter-
suchen?"
Sein Gesicht war ihrem so nahe, dass sie die feine weiße Linie ei-
ner Narbe auf der Wange erkennen konnte. Er duftete nach einem
herben Gesichtswasser, das ihr sehr gefiel. Seine Finger fühlten sich
angenehm warm auf ihrer Haut an.
Erschrocken über ihre Reaktion auf seine Berührung, fuhr sie ihn
an: „Sind Sie endlich fertig, Mr. Belmont?"
Sein Mund verzog sich spöttisch. „Ja, ich glaube schon. Sie schei-
nen ganz in Ordnung zu sein. Nichts fehlt", meinte er leise und ließ
ihr Handgelenk los. „Ihre Nase wird auch bald wieder besser aus-
sehen. Darf ich Platz nehmen?"
„Ich kann Sie nicht daran hindern. Es ist Ihr Haus."
„Ja. Heute habe ich mit Dr. Mason gesprochen. Er sagte, es wird
nur noch ein oder zwei Wochen dauern, bis man Sie wieder vor-
zeigen kann."
Er setzte sich. „Ich könnte jetzt einen spritzigen Drink gebrauchen.
Wissen Sie, wie man so etwas mixt?"
„Nein."
Er musterte sie und wusste nicht recht, was er von ihrem ab-
weisenden Ton halten sollte. Dann erhob er sich langsam. „Nehmen
Sie doch die Hand von Ihrem Gesicht", forderte er sie kurz auf und
ging mit langen Schritten zu einer Hausbar, die in einen schönen
alten Schrank eingebaut war.
Schuldbewusst gehorchte Christina. Sie hatte schon selbst entdeckt,
dass sie sich da eine ungute Angewohnheit zu eigen gemacht hatte.
Immer glaubte sie, die Narbe auf der Stirn und die Nase vor fremden
Augen verdecken zu müssen.
„Sind Sie immer so herausfordernd, oder erfahre ich eine Sonder-
behandlung?" fragte sie und bemühte sich dabei um Sanftheit." Und
benehmen Sie sich immer so anmaßend, wenn Sie irgendwo zu Be-
such sind?"
„Ich benehme mich meistens so, wie es mir passt. Außerdem ist es
mein Haus, erinnern Sie sich?"
„Das leugne ich nicht. Aber da Sie es mir zur Verfügung gestellt

5
haben, sollten Sie mich im Moment als Ihre Gastgeberin betrachten."
Im Augenblick, da sie es gesagt hatte, bereute sie ihre Worte. Sie
konnte ihren Widerspruchsgeist, den dieser Mann in ihr hervorrief,
nicht unterdrücken.
Daniel lachte. „Eins zu null für Sie. Ich gratuliere." Er hob sein
Glas und prostete ihr zu.
„O Verzeihung", rief er nach einer Weile, „darf ich Ihnen auch ei-
nen Drink mixen, Miß Lacey?"
„Nein, danke. Ich trinke nicht."
„Eine Zigarette?"
„Danke. Ich rauche auch nicht."
Er ließ seine Blicke langsam über sie schweifen. „Haben Sie denn
überhaupt kein Verlangen nach lasterhaften Vergnügungen, Miß
Lacey?"
„Ich lasse mich nicht herausfordern, Mr. Belmont."
Er lächelte ihr amüsiert zu. „Das war auch nicht meine Absicht." Er
nahm einen großen Schluck und lehnte sich an den Schrank, ohne sie
aus den Augen zu lassen. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag,
Miß Christina Lacey", sagte er ruhig und hob andeutungsweise sein
Glas.
„Vielen Dank. Aber woher wissen Sie, dass ich heute Geburtstag
habe?"
„Aus Ihrem Führerschein. Darin steht auch, dass Sie aus Cleveland,
Ohio, stammen. Sie sagten mir allerdings, sie kämen aus Harlingen."
„Beides ist richtig. Ich sagte Ihnen ja nicht, ich stamme aus Harlin-
gen. Ich kam nur von dort", korrigierte sie ihn. Sein plötzliches Inter-
esse erstaunte sie.
„Was haben Sie in Harlingen gemacht?"
Die Frage traf sie unvorbereitet. Christina hatte gehofft, schmerz-
liche Einzelheiten aus ihrem Privatleben für sich behalten zu können.
Leider gab es aber wohl keine Möglichkeit, alles zu erklären, ohne
alte Wunden aufzureißen.
Der Gedanke, dass er sie bemitleiden könnte, war ihr höchst unan-
genehm. Sie verschränkte die Hände in ihrem Schoß und sagte so
fest wie möglich: „Meine Mutter ist dort beerdigt worden."

6
„Stammt Ihre Mutter aus dieser Gegend?"
Sie sah zu ihm auf. Er wirkte sachlich und neutral. Erleichtert ant-
wortete sie: „Nein. Mein Vater ist auf dem Friedhof beerdigt. Da sich
meine Eltern sehr geliebt haben, wollte ich, dass meine Mutter mei-
nem Vater nahe ist. Deshalb ließ ich sie hierher überführen."
Daniel blickte nachdenklich in sein Glas. „Mein Beileid, Miß La-
cey."
„Danke, aber das ist nicht nötig. Mutter hatte seit Monaten un-
erträgliche Schmerzen. Ihr Tod war eine Erlösung, auch für mich."
Sie hoffte sehr, dass er das Thema wechseln würde.
„Ich verstehe. Etwas anderes ist mir noch nicht klar. Sind Sie den
ganzen Weg von Ohio hierher gefahren?"
„Nein, ich bin geflogen."
„Aber Sie fuhren einen Wagen, als wir unglückseligerweise mit-
einander bekannt wurden."
„Unglücklicherweise. Das ist richtig", wiederholte sie. Dann
schämte sie sich und fuhr freundlicher fort: „Der Cousin meines
Vaters hat ein Gebrauchtwagengeschäft in Harlingen. Der Honda war
ein Ladenhüter. Er kostete wesentlich weniger, als ich für den Rück-
flug hätte bezahlen müssen. Außerdem hatte ich es nicht besonders
eilig, also …" Sie brach ab.
Eine Weile blieb es still. Dann klirrten die Eiswürfel in Daniels
Glas. Christina beobachtete sein unbewegtes Gesicht. Sein strenger
Mund und das energische Kinn zeigten ihr, dass es nicht ratsam war,
mit ihm zu streiten. Als Daniel sich zu ihr umwandte, lief ein Schau-
er über ihren Rücken. Es war faszinierend, wie die Farbe seiner Au-
gen ständig wechselte: vom hellsten Grün bis zu dunkelgrünen
Schattierungen, je nach Stimmung.
„Ach so ist das. Was werden Sie anfangen, wenn Sie wieder in O-
hio sind?"
„Ich bin mir noch nicht im Klaren über meine Zukunft. Ich glaube,
ich habe mich in Corpus Christi verliebt. Es ist eine zauberhafte
Stadt. In Ohio bindet mich nichts. Es gibt nur ein paar Verwandte.
Meine Mutter und ich hatten wenig Beziehung zu ihnen. Und Dave
ist…"

7
„Dave?" warf er ein, als sie zögerte.
„Mein . . . ein Mann, den ich kenne."
„Ah, ein verflossener Liebhaber", sagte er spöttisch. „Er hat Sie
sitzen lassen, nicht wahr?"
„Das geht Sie nichts an", rief Christina heftig und ärgerte sich über
seine Taktlosigkeit.
„Sie haben Recht. Es interessiert mich auch nicht." Daniel ging
durch das Zimmer, blieb vor ihr stehen und sah sie fragend an. „Ha-
ben Sie überhaupt Geld?" wollte er wissen.
Die Frage kam so unvermittelt, dass sie fassungslos die Augen nie-
derschlug.
„Ich komme zurecht", antwortete sie ausweichend. Sie wollte nicht
über ihre finanziellen Verhältnisse sprechen.
„Darüber könnte man diskutieren, aber es ist keine Antwort auf
meine Frage. Haben Sie Geld?"
„Das ist auch nicht Ihre Angelegenheit, Mr. Belmont."
„Aber ich mache es zu meiner Angelegenheit, Miß Lacey", er-
widerte er herablassend und setzte sich wieder.
„Hören Sie, Mr. Belmont, sind Sie immer so besorgt um die Frau-
en, die Sie überfahren?"
„Für gewöhnlich überfahre ich keine Frauen. Ich hasse es auch, die
Verantwortung für naive kleine Mädchen zu übernehmen. Haben Sie
feste Pläne, oder lassen Sie sich einfach nur so treiben in der Hoff-
nung, irgend jemand wird kommen, um Ihnen zu helfen?"
Christina spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Ihre Pläne wa-
ren wirklich noch ganz unbestimmt. „Ich sagte doch, alles ist noch
ganz offen für mich."
Daniel sprang auf und ging wieder nachdenklich hin und her. Unter
halb geschlossenen Lidern beobachtete sie seine kraftvolle Figur. Sie
merkte förmlich, wie sich seine Rückenmuskeln strafften. Die ge-
bändigte Kraft und die Grazie seiner Bewegungen erinnerten sie an
einen Panther. Unsicher und ärgerlich, dass sein Anblick sie so stark
berührte, schwankte sie zwischen dem Wunsch, er möge endlich
gehen, und der Sehnsucht, er möge bleiben.
Als Daniel sich wieder zu ihr umwandte, musterte er sie ungeniert.

8
Er registrierte ihre Rundungen unter dem knappen Oberteil und die
langen Beine.
Als Christina überrascht aufsprang, legte er den Kopf zurück und
lachte. „Miß Lacey, erschrecken Sie nicht. Glauben Sie mir, ich habe
keinerlei Absichten in Bezug auf Sie. Sie sind nicht mein Typ",
murmelte er und ließ den Blick noch einmal über ihre Figur wandern.
Er überhörte ihren Protest und fuhr ungerührt fort: „Mit persön-
lichen Pflichten meinte ich, dass Sie mich auf meinen Geschäfts-
reisen begleiten werden als Privatassistentin."
„Ich verstehe nicht", unterbrach ihn Christina. „Haben Sie denn
noch keine solche Mitarbeiterin?"
„Doch, aber sie hat sich nicht bewährt. Und im Übrigen sind ihre
Gespräche entsetzlich langweilig. Ich kann diese Dame nicht mehr
länger ertragen."
Er sah sie spöttisch an. „Ich bin zwar nicht sicher, ob mir Ihre Ge-
sellschaft behagen wird, aber das macht nichts. Wenn wir uns nicht
verstehen, werden Sie eben entlassen. Es ist ganz einfach."
Christina war zu verwirrt, um seinen Spott zu bemerken. „Ich ver-
stehe immer noch nicht ganz. Was hätte ich denn als Ihre Assistentin
zu tun?"
Wieder fuhr er sich mit der Hand durch das Haar. „Ich werde ver-
suchen, es Ihnen genau zu erklären", sagte er seufzend. „Ich reise
viel, Miß Lacey. Meine Aufgaben sind sehr umfangreich. Ich brau-
che jemanden, der meinen Kalender führt, Konferenzen und Unter-
redungen festmacht, ohne dass sich Termine überschneiden. Dieser
Jemand muss an den Besprechungen teilnehmen und Protokolle
anfertigen. Er muss mir Drinks mixen können und mir Kaffee servie-
ren. Er muss sicherstellen, dass mein Flugzeug startklar ist, wenn ich
komme. Während des Fluges soll er neben mir sitzen, Diktate auf-
nehmen, mir zuhören, mit mir reden oder sonst etwas tun. Begreifen
Sie jetzt?"
Daniel wartete nicht erst auf ihre Antwort. „Ich habe eine Chef-
sekretärin im Büro, aber ich möchte dazu noch eine besondere Assi-
stentin. Es muss eine Mitarbeiterin sein, die allein für mich zuständig
ist und zu mir gehört, Geschöpf meiner Launen, Mitstreiterin und

9
absolute Vertrauensperson." Er lachte kurz auf. „Ich gebe zu, es ist
ein Luxus. Aber ich kann ihn mir leisten. Glauben Sie mir, es gibt
Zeiten, in denen ich eine solche Assistentin bitter nötig habe. Können
Sie das verstehen?" Er wartete gespannt auf ihre Reaktion.
„Ich glaube, ja", sagte Christina noch etwas zögernd und verbarg
ein Lachen. „Und Ihre bisherige Assistentin behagt Ihnen in letzter
Zeit nicht mehr?" Sie wollte Näheres erfahren.
„Nein. Die junge Dame hat sich unglücklicherweise falsche Hoff-
nungen gemacht. Die neben dem Gehalt bezahlten Zulagen schließen
nicht die Kontrolle über mein Privatleben mit ein."
Christina hob erstaunt den Kopf. „Zulagen? Was bedeutet das ge-
nau, Mr. Belmont?"
„Was glauben Sie wohl, Miß Lacey?" fragte er unbestimmt.
„Wollen Sie damit sagen, die Stellung umfasst noch mehr als die
Aufgaben, Reisebegleiterin und Terminüberwacherin zu sein und ab
und zu einen Drink oder Kaffee zu servieren?"
„Das hängt natürlich ganz von Ihnen ab. Wenn Sie geeignet sind . .
. nun, wir werden sehen", erwiderte er sorglos. „Im Augenblick sind
Sie nicht allzu begehrenswert, aber vielleicht entwickeln Sie sich
noch."
„Glauben Sie wirklich, ich würde… ich könnte…" rief Christina
wütend. Diese Arroganz war unerträglich.
Daniel lachte laut. „Du liebe Güte! Sie kann man aber schnell aus
der Fassung bringen. Dieses Temperament, wie interessant!" setzte er
leise hinzu.
„Wenn Sie glauben, Sie können verlangen, dass …"
„Ich verlange niemals etwas von einer Frau. Das habe ich nicht nö-
tig."
Als sie den amüsierten Ton in seiner Stimme hörte, hob sie die
Hände. „Entschuldigen Sie, dass ich an Ihren Worten zweifle, Mr.
Belmont, aber ich kann wirklich nichts an Ihnen entdecken, was
mich davon überzeugen könnte, dass Sie für Frauen unwiderstehlich
sind." Sie sagte es mit beißender Verachtung.
Er hob eine Augenbraue. „Miß Lacey, Sie kränken mich. Darf ich
darauf hinweisen, dass Sie es waren, die voreilige Schlüsse zog? Ich

10
hatte nichts von persönlichen Beziehungen gesagt. Ich möchte ein-
fach jemanden haben, der mir einen Teil der Lasten abnimmt, die auf
meinen Schultern liegen. Was meine Unwiderstehlichkeit betrifft, so
könnten wir ja einmal Ihre Empfänglichkeit dafür testen. Leider
müssen wir das verschieben. Ich bin wirklich sehr in Eile."
Seine spöttische Art brachte sie auf. Mühsam beherrschte sie ihr
Temperament und sagte nur:
„Mr. Belmont, ich glaube, ich habe noch nie einen so arroganten,
eingebildeten anmaßenden Mann wie Sie kennen gelernt."
„Miß Lacey, Ihre Meinung über mich ist nicht wichtig, und ich will
sie nicht hören. Wenn ich die Umstände bedenke, ist es auch nicht
sehr klug von Ihnen, so etwas zu sagen."
Christina musste vor sich selbst zugeben, dass er leider Recht hatte.
„Tut mir Leid." Sie fuhr sich über die Stirn. „Ich entschuldige mich
und danke für Ihre Freundlichkeit." „Das will ich hoffen."
„Vergessen Sie aber nicht, dass Sie es waren, der in meinen Wagen
hineingefahren ist. Es ist Ihre Schuld, dass ich jetzt dieses grässlich
verunstaltete Gesicht habe und hier festgehalten werde." Sie unter-
drückte mühsam ein Schluchzen.
„Bitte, ersparen Sie mir Tränen", seufzte er. „Ich verabscheue diese
weibliche Neigung, bei der geringsten Kleinigkeit zu heulen."
„Bei der geringsten Kleinigkeit?"
Daniel blickte zur Decke und seufzte noch einmal. „Noch etwas",
er wechselte schnell das Thema, „Sie brauchen unbedingt neue Klei-
der. Ich mag nachlässig gekleidete kleine Mädchen nicht."
„Ich verbitte mir, ein nachlässig gekleidetes kleines Mädchen ge-
nannt zu werden."
Daniel ging auf ihren Einwand nicht ein. „Zu den vorhin erwähnten
Zulagen der Firma gehört ein monatlicher Betrag für Kleidung. Mei-
ne Sekretärin wird Ihnen Konten bei einschlägigen Modegeschäften
eröffnen. Wenn Sie sich mit ihr in Verbindung setzen, sagen Sie, ich
habe Sie persönlich engagiert. Gute Nacht, Miß Lacey."
„Bleiben Sie hier", explodierte Christina, als er zur Tür ging.
Mit der Hand auf der Türklinke blieb Daniel stehen. „Solche Töne
missfallen mir auch, Miß Lacey. Es gibt doch gar keine Fragen

11
mehr."
Christina sank auf die Couch und sah ihn unverwandt an. Seine
Züge waren zu unregelmäßig, um edel genannt zu werden, dennoch
musste man sagen, dass er sehr gut aussah. Ihr beschleunigter Puls
bestätigte es ihr. Seine Ungeduld war unverkennbar, und das machte
sie unsicher.
Sie hatte sich wirklich wie ein ungezogenes Kind benommen. Ein
schlechter Dank für seine Großzügigkeit.
„Ich habe aber noch eine Frage, Mr. Belmont. Warum tun Sie das
alles für mich?" Ihre veilchenblauen Augen waren weit geöffnet.
Der Anflug eines Lächelns lag in seinen Mundwinkeln. Wieder
fuhr er sich durch die Haare. „Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht.
Möglicherweise weil ich mich immer noch verpflichtet fühle oder
weil ich finde, dass Sie selbst die Verantwortung für sich noch nicht
tragen können. Oder", er lachte, „vielleicht habe ich eine Schwäche
für zugelaufene Kätzchen. Wir sehen uns in meinem Büro. Nochmals
gute Nacht, Miß Lacey."
Nimm dich zusammen, Christina, halte dich zurück! beschwor sie
sich. Aber sie sprang auf, schüttelte energisch ihr Haar zurück und
warf ihm einen bösen Blick zu. „Nein. Sie werden mich bestimmt
nicht in Ihrem Büro sehen. Sie haben schon genug für mich getan.
Alles andere wäre Wohltätigkeit. Und Ihre Wohltätigkeit möchte ich
nicht, Mr. Belmont. Vielen Dank, aber ich finde schon einen anderen
Job."
Ungeniert sah er sie wieder von oben bis unten an. „Glauben Sie
mir, es ist keine Wohltätigkeit. Sie werden jeden Pfennig Ihres Ge-
halts verdienen müssen. Wer weiß, vielleicht macht Ihnen die Arbeit
sogar Spaß? Wir sehen uns in drei Wochen, Miß Lacey."
Er neigte zum Abschied leicht den dunklen Kopf und ging aus der
Tür.
Als sie allein war, sank Christina auf die Couch zurück. Ihre Ge-
danken wirbelten durcheinander. Noch nie hatte sie etwas von einer
solchen Stellung gehört: Privatassistentin! Er konnte sich den Luxus
leisten, hatte er gesagt. Er musste sehr reich sein. Und das schon mit
Anfang Dreißig, wie sie ihn schätzte.

12
Welche Branche er vertrat, hatte er gar nicht erzählt. Und sie hatte
natürlich vergessen, danach zu fragen. Sie nahm die Visitenkarte und
las laut: „Daniel Belmont, Belmont Enterprises." Ein Wirtschafts-
berater? Die Karte aus feinstem Büttenpapier gab wenig Aufschluss.
Sollte sie die Stellung doch annehmen? Die Bedingungen waren
verlockend. Außerdem war sie hoch verschuldet. Allein die Arzt-
kosten, die für ihre Mutter zu bezahlen waren, wurden von der
kleinen Lebensversicherung bei weitem nicht gedeckt. Überführung,
Beerdigung und alles, was damit zusammenhing, hatten weitere
Summen verschlungen. Onkel und Tante hatten Christina Geld ge-
borgt. Sie würden sie zwar nicht zur Rückzahlung drängen, aber in
absehbarer Zeit brauchten sie das Geld doch.
Wenn sie Daniel Belmonts überraschendes Angebot annahm, be-
deutete das keinesfalls, dass es eine friedliche Zusammenarbeit wer-
den würde. Sie war nicht gerade sanftmütig, und an ihm hatte sie
bisher wenig Duldsamkeit und Nachgiebigkeit entdeckt. Wir beide
sind wie Flint und Stein, dachte sie amüsiert. Wenn wir aneinander
geraten, sprühen Funken. Merkwürdigerweise missfiel ihr diese
Vorstellung nicht. Sie fühlte sich wieder lebendig und tatkräftig. Um
sie herum wurde es klar, so als käme sie aus der Dämmerung in
leuchtendes Morgenlicht.
Der ihr in Aussicht gestellte Job schien abwechslungsreich und in-
teressant zu sein. Sicher konnte sie auch eine anspruchslosere, weni-
ger anstrengende Tätigkeit finden, aber für Daniel Belmont zu arbei-
ten, wäre eine ganz neue Erfahrung. Sie war sich darüber im Klaren,
dass er wirklich von ihr verlangte, für jeden Pfennig ihres Gehalts
Überdurchschnittliches zu leisten. Er würde viel von ihr erwarten
und sie zeitweise sogar bis zu den Grenzen ihrer Belastbarkeit be-
anspruchen, aber sie wollte sich der Herausforderung stellen. Zu
beweisen, was in ihr steckte, musste doch befriedigend sein.
„Ich will Daniel Belmonts Mitarbeiterin werden", sagte sie leise zu
sich. „Ich werde ihm zeigen, dass ich das gebotene Gehalt wert bin.
Und mehr als das. Und wer weiß, eines Tages …"
Christina brach ab. Eines Tages, das war viel zu weit entfernt. Für
heute genügte es, dass sie sich entschieden hatte, bei „Belmont En-

13
terprises" zu arbeiten.

14
2. KAPITEL

Drei Wochen später, an einem Montag, machte sich Christina fertig


für den Besuch bei Daniel Belmonts Büro. Sie hatte sich sorgfältig
angezogen und zurechtgemacht. Bevor sie den Job nicht angetreten
hatte, wollte sie von dem großzügigen Angebot, sich neu einzu-
kleiden, keinen Gebrauch machen. So hatte sie ein marineblaues
sportliches Hemdblusenkleid mit weißem Kragen und weißen
Manschetten aus ihrer Garderobe ausgewählt. Sie beugte sich nahe
zum Spiegel und betrachtete ihr Gesicht. Die Partie um die Nase war
völlig abgeschwollen. Die Nase selbst war gerade und ein klein
wenig keck nach oben gebogen. Aus ihren violetten Augen strahlte
Lebenslust. Sie war keine Schönheit, stellte sie fest, würde wohl auch
nie eine werden, aber sie gefiel sich so. Sie war zweifellos attraktiv.
Christina schlüpfte in die blauen Pumps, die sie etwas größer
machten, dann nahm sie ihre Tasche und verließ die Wohnung.
Vor einer Woche war sie aus Daniels Landhaus ausgezogen. In ei-
ner Familienpension hatte sie sich zwei möblierte Zimmer mit Bad
und Küche gemietet. Das Haus lag an der lauten Verkehrsstraße, aber
die Miete war niedrig. Sie wollte für ihren Lebensunterhalt so wenig
wie möglich ausgeben, damit sie in Raten ihre Schulden abzahlen
konnte. Daniel war noch einmal für fünf Minuten in seinen Bunga-
low gekommen. Natürlich war sie darauf nicht vorbereitet gewesen.
Mit zerzausten Haaren und in denselben alten Jeans hatte er sie an-
getroffen. Sie war gerade vom Strand gekommen. Er hatte ihre Nase
untersucht, sie gefragt, wie sie sich fühlte. Dann hatte er befriedigt
genickt und gesagt, dass er sie in einer Woche wieder sehen würde.
Mit einer winkenden Handbewegung war es schließlich gegangen.
Wie schon so oft hatte er es fertig gebracht, dass sie sich wie ein
Schulmädchen vorkam. Das musste jetzt aufhören. Sie würde - als
ausgeglichene junge Dame mit Selbstvertrauen - kühl und zurück-
haltend, auftreten. Sie würde sich von seiner Arroganz nicht er-
schüttern lassen und schon gar nicht seinem Charme erliegen.
Der Belmont-Wolkenkratzer bestand aus Beton und Glas. Es gab

15
einen Parkplatz für die Angestellten, der nahezu gefüllt war. Einige
Minuten musste Christina suchen, bis sie endlich eine Parklücke
fand. Dann fuhr sie mit dem Fahrstuhl in den elften Stock. Vor der
Glastür zur Chefetage blieb sie einen Moment stehen, um sich zu
sammeln.
Die Aufregung hätte sie sich sparen können, denn sie erfuhr von
Mrs. Coyle, der Chefsekretärin, dass Mr. Belmont die ganze Woche
über nicht in der Stadt sein würde. Als sie sich vorstellte, musste sie
hören, dass sie nicht nur keinen Schreibtisch hatte, Mrs. Coyle hatte
auch keine Ahnung, dass Christina eine neue Kollegin war.
Enttäuscht sah sie sich erst einmal in dem hellen, modern und ge-
schmackvoll eingerichteten Raum um. Hinter einer Glaswand saßen
zwei schick gekleidete junge Stenotypistinnen an ihren elektrischen
Schreibmaschinen. Es herrschte eine angenehme Atmosphäre, in der
zu arbeiten schon eine Freude sein konnte.
Abwartend stand Christina neben Mrs. Coyle, während sie mit der
Personalabteilung telefonierte. Warum hatte Daniel denn nicht an-
gekündigt, dass sie kommen würde? Sie hatte kaum gehofft, herzlich
willkommen geheißen zu werden, aber zumindest hätte man doch mit
ihr rechnen müssen. Vielleicht war es auch ihr eigener Fehler. Sie
hatte zu lange gewartet. Erst am Freitag hatte sie sich, wie Daniel es
geraten hatte, beim Personalbüro angemeldet. Wahrscheinlich hatte
man von dort Mrs. Coyle noch nicht benachrichtigt.
Wenige Minuten später begleitete Mrs. Coyle sie in Daniels Büro.
Überrascht stellte Christina fest, wie sehr ihm dieser Raum ent-
sprach. In einem unbeobachteten Moment strich sie über die blank-
polierte Holzplatte eines mächtigen Schreibtischs, der das Zimmer
beherrschte. Der einzige persönliche Gegenstand, den sie entdecken
konnte, war ein kleiner, aus tiefrotem Holz geschnitzter Hirsch. Chri-
stina konnte es nicht lassen, die Figur in die Hand zu nehmen. Sie
bewunderte einen Augenblick das zierliche Kunstwerk und stellte es
dann auf seinen Platz zurück.
Mrs. Coyle schlug vor, Christina sollte die freie Zeit benutzen, um
sich neu einzukleiden. Es gab eine Liste von guten Modegeschäften,
in denen die Firma „Belmont Enterprises" Konten hatte. Abschätzend

16
sah Christina an sich herunter und dann zu Mrs. Coyle. Der Unter-
schied in Material und Schnitt zwischen ihrem einfachen Kleidchen
und dem eleganten Kostüm aus Rohseide, das die Chefsekretärin
trug, war so groß, dass sie sofort zum Einkauf bereit war.
Im Personalbüro händigte man ihr eine Plastikkarte mit ihren per-
sönlichen Daten aus, die sie als Angestellte des Hauses auswies.
Den ersten Tag mit der Auswahl von Kleidern und Zubehör zu ver-
bringen, machte ihr ausgesprochen Spaß.
In den nächsten Tagen machte sich Christina mit dem Haus und mit
Daniels Geschäften bekannt. Seine Interessen waren verwirrend
vielseitig, und sein Aufgabengebiet konnte man gar nicht über-
blicken.
Mrs. Coyle beschrieb ihren Chef als ausgesprochenes Arbeitstier.
Sie war bereits seit sechs Jahren für Daniel tätig und hegte eine Art
mütterliche Bewunderung für ihn. Natürlich hielt sie ihn für den
besten Vorgesetzten der Welt. Sie muß einen anderen Daniel Bel-
mont kennen, dachte Christina säuerlich. Andererseits war es wohl
ganz normal für die Damen des Büros, ihrem Chef zu Füßen zu lie-
gen.
Um Mr. Belmont besser kennenzulernen, gab ihr Mrs. Coyle einen
Artikel in die Hand. „Hier, lesen Sie das. Es wird Ihnen helfen. Es ist
ein aufschlußreicher Bericht über Mr. Belmont, den diese Wirt-
schaftszeitschrift vor zwei Jahren veröffentlicht hat."
„Belmont Enterprises" war aus einem kleinen Konstruktionsbüro
hervorgegangen, das Daniel von seinem Vater übernommen hatte.
Als er herausfand, dass verschiedene Unternehmen seiner Firma
beachtliche Summen schuldeten, aber nicht zahlen konnten, hatte er
Anteile an diesen Gesellschaften übernommen. Innerhalb eines Jah-
res war er Besitzer oder Mitbesitzer eines Hotels, einer Textilfabrik
und eines Bauunternehmens. Wie der Reporter schrieb, hat Daniel
ein angeborenes Talent, den Kern der Dinge zu erfassen, und er war
mutig und zielstrebig genug, um die verschiedenen Gesellschaften
dahin zu bringen, mit Gewinn zu arbeiten.
So hatte er es mit Geschick innerhalb von wenigen Jahren ge-
schafft, einen kleinen Konzern aufzubauen, von dem „Belmont En-

17
terprises" die Muttergesellschaft war.
Leider standen in dem Artikel kaum persönliche Dinge über Da-
niel, aber Christina sah ihre Stellung nun in einem neuen Licht. Alle
diese Geschäfte erforderten viele und weite Reisen. Eine Assistentin,
die mit ihm unterwegs war und ihm hilfreich zur Seite stand, war
keineswegs ein Luxus. Ihre Stellung war weder unbedeutend noch
fragwürdig. Sie würde eine wichtige Person bei „Belmont Enterpri-
ses" sein. Ihr Ehrgeiz war erwacht. Sie nahm weitere Akten aus den
Regalen und studierte sie. Die beste Assistentin wollte sie werden,
die Daniel jemals gehabt hatte.
Die Woche war zu Ende, und Christina wollte am Freitagabend
nach Hause gehen, da erschien Daniel. Sie stand in seinem Büro am
Fenster. Als sie hörte, wie mit lautem Geräusch die Tür geöffnet
wurde, drehte sie sich rasch um. Ihr Herz begann schneller zu klop-
fen. Unbewußt strich sie sich über ihr Kleid.
Daniel blieb abrupt stehen. Überraschung lag in seinem Blick, aber
auch noch etwas anderes. Es war, als leuchteten die hellen Augen
kurz auf, während er sie stumm musterte. Die Stille im Raum füllte
sich mit Spannung.
Christina hatte das Gefühl, als studierte er jeden Zentimeter ihres
Körpers. Geräuschvoll atmete sie aus. Dann trafen sich ihre Blicke.
Er hob seine Augenbrauen, und der seltsam vertraute Augenblick
war vorüber.
„ Guten Abend, Miß Lacey. Ich freue mich, dass es Ihnen wieder
gut geht. Sie sehen fabelhaft aus. Übrigens, dies ist mein Büro", sagte
er ein wenig ungehalten.
„Guten Abend, Mr. Belmont. Ich weiß, aber wo sollte ich bleiben?
In irgendeiner Ecke? Ich habe nicht einmal einen Schreibtisch."
„Ach ja? Das lässt sich schnell ändern." Er musste lachen.
„Und Sie haben Mrs. Coyle nicht einmal gesagt, dass ich Ihre neue
Assistentin bin. Haben Sie es vergessen?"
„Ich muss zugeben, ich denke nicht immer an alles. Wie Sie wis-
sen, bin ich ein sehr beschäftigter Mann, Miß Lacey. In diesem Fall
möchte ich Sie aber daran erinnern, dass Sie mir mein Angebot nicht
bestätigt haben. Ich wusste wirklich nicht, ob Sie kommen oder

18
nicht", protestierte er freundlich.
Daniel hatte sich bei seinen Worten halb abgewandt. Christina
merkte aber doch, wie er ein Lachen unterdrückte.
„Als ich vor meiner Abreise in der Personalabteilung nachfragte",
fuhr er fort, „hatten Sie sich noch nicht gemeldet."
„Ich habe mich erst in letzter Minute entschlossen", gab sie, etwas
unsicher geworden, zu. Dann erkannte sie plötzlich, dass er sie neck-
te. „Jedenfalls habe ich am vergangenen Freitag die Fragebogen
ausgefüllt, wie Sie mir geraten hatten. Ich bin schon eine Woche
hier."
„Ich weiß. Mrs. Coyle versicherte mir, dass Sie die Zeit gut genutzt
haben. Sie sind also bereit für Ihre Arbeit", er machte eine be-
deutungsvolle Pause, „und für mich?"
„Ich denke schon. Jedenfalls werde ich mein Bestes tun."
Daniel drehte ihr den Rücken zu und murmelte: „Wir werden se-
hen. Es könnte sogar interessant werden."
Christina stellte fest, dass sie am ersten Tag falsch gedacht hatte.
Nicht der Schreibtisch war beherrschend in diesem Zimmer. Es war
der Mann, der sich an seinen Arbeitstisch gesetzt hatte und alle Auf-
merksamkeit auf sich zog. Daniel trug einen hellgrauen Maßanzug
mit Weste. Er war elegant und wirkte doch betont sachlich. Sein
Haar war glatt gebürstet bis auf ein paar Strähnen, die ihm in die
Stirn fielen.
Während Christina ihn betrachtete, wurde ihr blitzartig klar, dass er
ein gefährlich attraktiv aussehender Mann war, ein Mann, der sehr
genau wusste, welche Wirkung er auf Frauen hatte. Und er würde
diese Fähigkeit immer dann einsetzen, wenn es ihm Spaß machte.
Daniel sah auf. Sein unpersönlicher Blick traf sie unvorbereitet.
Dann stand er auf, steckte einige Unterlagen in seinen Aktenkoffer
und ging zur Tür. Er verneigte sich knapp. „Ich wünsche Ihnen ein
geruhsames Wochenende, Miß Lacey. Wir sehen uns dann Montag
früh."
„Vielen Dank, Mr. Belmont. Bis Montag."
Sie sah ihm nach, wie er durch das Vorzimmer schritt und den Da-
men freundlich zuwinkte. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Ent-

19
täuscht und verletzt fühlte sie sich und wusste nicht einmal, warum.
Gerade als Daniel die Glastür erreichte, kam eine große, schlanke
Frau mit rotblonden Haaren herein. Daniel begrüßte sie mit einem
Kuß, legte seinen Arm um ihre Schultern, und beide verließen das
Büro.
Christina hatte das Gesicht der Frau nicht sehen können.
„Wer war die Dame?" fragte sie Mrs. Coyle, als sie ins Vorzimmer
kam.
Mrs. Coyle neigte den Kopf zur Seite. „Das kann wirklich nur ein
Neuling in Corpus Christi fragen. Lisa Manning natürlich", ver-
kündete sie lachend.
„Sind sie . . . wird er sie heiraten?"
„Sie glaubt es jedenfalls", erwiderte Mrs. Coyle trocken.
Am Montagmorgen fand Christina zu ihrer großen Überraschung
einen der Parkplätze für sich reserviert. Richtig froh machte es sie,
dass der Parkwächter an seine Mütze tippte und sie freundlich mit
ihrem Namen ansprach. Dann kam sie in das Vorzimmer und wurde
zum dritten Mal überrascht.
Mrs. Coyle begrüßte sie mit einem liebenswürdigen Lächeln. „Mr.
Belmont bittet Sie, sofort zu ihm zu kommen."
Das klang, als wäre es eine besondere Ehre. Die beiden anderen
Bürodamen winkten ihr freundschaftlich zu. Was hatte ihre Haltung
ihr gegenüber so verändert?
Christina klopfte an die Tür des Chefzimmers und ging hinein, als
Daniel gerufen hatte.
Mit einem prüfenden Blick auf ihr Kleid aus lindgrünem Seiden-
jersey nickte er und reichte ihr ein Blatt Papier. „Das ist unser Pro-
gramm für diese Woche. Sie erhalten künftig an jedem Freitag eine
solche Aufstellung, damit Sie vorbereitet sind. Ich muss Sie bitten,
stets einen Koffer gepackt zu haben, um auf Reisen gehen zu können.
Und noch etwas: Während der Dienststunden möchte ich, dass Sie
ihr Haar hochgesteckt tragen." Dabei zeigte er auf ihr Haar, das in
weichen Wellen ihr Gesicht umrahmte und bis über die Schultern
fiel.
Christina nickte gehorsam.

20
„Sehen Sie sich den Dienstplan an. Dann fahren Sie schnell in Ihre
Wohnung, packen einen Koffer und treffen mich hier in vierzig Mi-
nuten."
„Ja, Mr. Belmont", antwortete Christina forsch.
Daniel stand auf und blieb dicht vor ihr stehen. Ihre Augen weite-
ten sich, als er seine Hand ausstreckte und eine Strähne ihres Haares
sanft zwischen den Fingern rieb. Es war, als wollte er Seide prüfen.
Sein Blick lag auf ihrem Mund.
„In vierzig Minuten, Miß Lacey", erinnerte er sie noch einmal,
dann setzte er sich wieder.
Christina blieb wie angewurzelt stehen und sah auf seinen ge-
neigten Kopf. Es dauerte einige Sekunden, bis sie begriff, dass sie
verabschiedet war.
Genau achtunddreißig Minuten später war Christina zurück, und sie
fuhr mit Daniel fort zum Flugplatz.
Skeptisch betrachtete Christina das kleine, blau und silber lackierte
Flugzeug. Sie wurde dem Piloten, einem drahtigen Mann, vorgestellt,
der ihr viel zu jung erschien, als dass man ihm Erfahrung im Fliegen
zutrauen konnte. Nervös fummelte sie an ihrem Sicherheitsgurt.
Offensichtlich war der Fluggast vor ihr eine ziemlich dicke Person
gewesen. Daniel sah, wie sie sich mühte, und griff hinüber, um den
Gurt für sie einzustellen.
„Werden Sie luftkrank?" fragte er.
„Nein." Sie hoffte inständig, die Wahrheit gesagt zu haben.
Wer konnte wissen, wie ihr Körper reagierte? Aber sie würde es
überstehen. Als die Maschine dann mit starkem Motorengebrumm in
die Luft stieg, hob sich ihr Magen, und sie atmete tief und hörbar.
„Miß Lacey, Sie sagten doch, dass Sie schon geflogen sind."
„Natürlich, aber noch nie in einem so kleinen Flugzeug", gestand
Christina.
„Das kann ja heiter werden", flüsterte Daniel.
Er klappte einen kleinen Tisch von der Wand, legte seine Papiere
darauf und vertiefte sich in seine Arbeit.
Christina hatte sich wieder beruhigt. Sie genoss die Aussicht, fühlte
sich aber allein gelassen. Als eine Wolke die Sicht versperrte, rückte

21
sie unruhig auf ihrem Sitz hin und her.
Daniel sah auf. „Ist etwas, Miß Lacey?" Offenbar fühlte er sich ge-
stört.
„Nein, nichts Bestimmtes. Ich dachte nur, Sie erwarteten vielleicht
eine Unterhaltung?"
„Manchmal schon, aber im Augenblick bin ich dazu nicht in Stim-
mung. "Er griff hinter seinen Sitz und holte eine Thermosflasche und
zwei Becher aus einem Korb. „Ich trinke sehr viel Kaffee. Schwarz
mit zwei Stück Zucker. Lauwarmen Kaffee verabscheue ich. Bitte,
sorgen Sie immer dafür, dass ich heißen Kaffee habe."
„Ist das alles? Eine ständig gefüllte Tasse mit dampfendem Kaf-
fee?"
„Jetzt ja." Seine Blicke waren auf ihren Busen gerichtet, als sie ihm
den Kaffee eingoss.
„Mr. Belmont…" begann Christina entrüstet.
Daniel schüttelte sich vor Lachen. „Miß Lacey, bitte lassen Sie
mich meinen Bericht durchgehen. Ich verspreche, dass wir danach
sofort über Ihre weiteren Aufgaben reden. Danke für den Kaffee."
Mit einem letzten Zurechtzupfen ihres Haares sah Christina auf die
Uhr. Sie war fertig angezogen und bereit zu gehen, aber Daniel hatte
sich bisher nicht gemeldet. Sie nahm noch einen Schluck aus ihrer
Teetasse und setzte sich auf einen Sessel am Fenster.
Wieder einmal befand sie sich in einem anderen Hotel in einer an-
deren Stadt. Diese vergangenen drei Wochen waren voller Auf-
regung und prallvoll von neuen Eindrücken gewesen. Sie hatten ihr
ganzes Leben grundlegend verändert.
Schon lange hatte sich Christina abgewöhnt, über Daniel Belmont
nachzudenken, hatte keinen Versuch mehr gemacht, ihn irgendwie
einzuordnen. Er war immer anders und reagierte nie so, wie man es
erwartete. Nur eines war sicher: Außer ihren beruflichen Qualitäten
interessierte ihn nichts an ihr.
Selbst Komplimente, die er ihr manchmal machte, klangen ge-
schäftlich. Sie hatte zu jeder Zeit elegant gekleidet und sorgfältig
frisiert ihre Arbeit anzutreten. Ihre Erscheinung war bisher, wenige
Male ausgenommen, stets zu seiner Zufriedenheit gewesen.

22
Daniel erlaubte in ihrer Gegenwart keine frivolen Bemerkungen.
Wenn der eine oder andere der Geschäftspartner einmal schlüpfrige
Witze oder Skandalgeschichten erzählen wollte, ermahnte er ihn
freundlich, aber bestimmt: „Mein Herr, denken Sie daran, dass Miß
Lacey bei uns ist. Sie ist eine Dame."
Daniel war ein unermüdlicher Arbeiter. Er führte seine Geschäfte
in einer Art lässiger Überlegenheit, und er war, das hatte Christina
mehrfach erleben können, fast übertrieben ehrlich. Sie hatte großen
Respekt vor ihm.
Einmal, während einer Sitzung mit Herren eines anderen Konzerns,
den Daniel Belmont übernehmen wollte, hatte sie das starke Gefühl,
dass der Geschäftsführer der anderen Seite nicht ganz aufrichtig war.
Lange überlegte sie, ob sie es riskieren sollte, Daniel zu warnen.
Schließlich trieb ihr Gewissen sie dazu, ihrem Arbeitgeber von ihrem
Verdacht zu berichten. Als er einmal zu ihr hinüberblickte, gab sie
ihm ein heimliches Zeichen, dass sie ihn sprechen müsste.
Er reagierte sofort, wenn auch mit einer steilen Falte auf der Stirn,
bat um eine Unterbrechung und verließ mit ihr das Zimmer.
„Was ist, Miß Lacey?" fragte er, nachdem die Tür geschlossen war.
„Mr. Belmont, etwas ist da nicht in Ordnung", stammelte sie..
„Dieser . . . dieser Mr. Powers ist nicht ganz ehrlich. Ich weiß, er
wirkt überzeugend, aber da ist etwas, was er verheimlicht, etwas,
worüber in dieser Konferenz auf keinen Fall gesprochen werden
soll."
„Womit begründen Sie Ihren Verdacht?"
„Dave war Psychiater. Er hat mir beigebracht, die Körpersprache
zu verstehen. Mr. Powers leidet sichtlich unter schweren inneren
Spannungen, die nicht nur auf den Verkauf seiner Gesellschaft zu-
rückzuführen sind."
Daniel sah sie prüfend an. „Sind Sie ganz sicher?"
„Sicher genug, dass ich wage, es Ihnen zu sagen."
„Gut. Danke, Miß Lacey."
Er drehte sich um, und beide gingen in das Konferenzzimmer zu-
rück. Zu Christinas Überraschung vertagte er das Gespräch nach
wenigen Minuten.

23
Zwei Tage später sagte Daniel eines Mittags wie nebenbei zu Chri-
stina: Miß Lacey, ich muss Ihnen wirklich danken, dass Sie mich vor
Mr. Powers gewarnt haben. Es hat den Anschein, dass seine Gesell-
schaft in Kürze in einen Veruntreuungsprozeß verwickelt sein wird.
„Belmont Enterprises" hätte bei einem Abschluss mit dieser Firma
einen Verlust von einer halben Million Dollar hinnehmen müssen."
Mehr wurde nicht gesagt, aber von nun an fragte Daniel bei jeder
Verhandlung nach ihrer Meinung, nach ihren Eindrücken. Dass er ihr
Urteil schätzte, freute sie über alles, aber noch glücklicher war sie,
dass sie es geschafft hatte, ihm dadurch näher zu kommen.
Da klingelte das Telefon und holte Christina aus ihren Gedanken.
Die Stimme deines Herrn, dachte sie fröhlich. Ganz gleich, wie kurz
oder ungeduldig seine Anordnungen waren, in ihren Ohren klang
seine Stimme wie Musik.
In zehn Minuten sollte sie Daniel in der Halle treffen, und da sie
ein Baugelände besichtigen würden, schlug er vor, eine lange Hose
und bequeme Schuhe anzuziehen.
"Sie haben doch eine Hose dabei, oder?" Er machte eine Pause.
Christina musste gestehen, dass sie keine mitgenommen hatte. Da-
niel seufzte resignierend. Er war verärgert, dass er warten musste, bis
sie sich in der Ladenstraße des Hotels eine gekauft hatte.
Hatte sie vorhin noch gedacht, seine Stimme klänge sanft wie Mu-
sik? Es musste ein Irrtum gewesen sein. Der Vergleich mit einem
Schlagbohrer hätte eher gestimmt.
Es wurde ein unerwartet schöner Tag für Christina. Nachdem sie
das Bauprojekt besichtigt hatten, lud Daniel sie zum Mittagessen in
eines der schönsten Strandcafes ein, das man sich vorstellen konnte.
„Was möchten Sie essen?" fragte er.
„Was Sie mir vorschlagen. Ich esse gern Meerestiere."
„Dann nehmen wir Austern."
„Nur Austern nicht!"
Er lachte über ihre kraus gezogene Nase. Dann bestellte er zwei
Krabbencocktails, einen gegrillten Seefisch für Christina und zwei
Dutzend Austern für sich. Die Krabben wurden in einer delikaten
Sauce serviert, und der Fisch, am Morgen erst gefangen, schmeckte

24
köstlich. Interessiert beobachtete sie Daniel, wie geschickt er seine
Austern schlürfte. Dazu gab es in Folie gebackene Kartoffeln, Salat
und jede Menge Knoblauchbrot.
Obwohl Christina schon stöhnte, entschied Daniel, dass sie beide
noch Platz für eine Käsecremetorte mit Ananas zum Nachtisch hat-
ten. Beim Kaffee lehnten sie sich in ihren Stühlen zurück und ent-
spannten sich. Ihre Unterhaltung plätscherte leicht dahin. Sie merk-
ten gar nicht, wie die Zeit verging.
Das war heute ein neuer, faszinierender Daniel Belmont, ein Mann,
der Christinas Abneigung gegen Austern ohne Kommentar respek-
tierte, der sie mit Köstlichkeiten verwöhnt und so charmant zu plau-
dern verstand, daß sie sich nicht genug wundern konnte.
Als sie dann ihre Fahrt fortsetzten, bog Daniel in einen schmalen
Weg ein, der durch einen märchenhaften Küstenstreifen führte. An
einem besonders hübschen Platz hielt er an. Christina stieg aus und
war überwältigt. Eine so schöne Landschaft hatte sie noch nie ge-
sehen. Die Gegend war wildromantisch. Weiße Segelboote durch-
schnitten die Wellen des pulsierenden Atlantik. Auf dem Wasser
glitzerte die Sonne.
„Mögen Sie das?" fragte Daniel dicht hinter ihr.
Sie drehte sich zu ihm um. Ihre glänzenden Augen sagten alles. „Ja,
sehr", versicherte sie verhalten. Und das war noch untertrieben.
Diese Zeit mit ihm löste eine tiefe Zufriedenheit in ihr aus. Daniel
hatte sich das Jackett ausgezogen und die Krawatte abgelegt. Dieser
lachende, scherzende Daniel mit dem windzerzausten Haar war un-
widerstehlich.
Christina zeigte auf die Segelboote. „Das muss Spaß machen. Kön-
nen Sie segeln?"
„Natürlich. Ich bin ein Fachmann."
Sie sah ihn mit großen Augen an. Dann lachte sie. „Aber selbstver-
ständlich. Wie konnte ich das vergessen."
Er runzelte zum Spaß die Stirn. „Sie sind vorwitzig, Miß Lacey."
Dann nahm er ihre Hand, verschränkte seine Finger mit ihren, und
beide stiegen eine Sanddüne hinauf. Oben blieben sie stehen, um den
Rundblick zu genießen. Weit draußen im Meer entdeckten sie eine

25
Insel. Der Wind preßte ihr die Bluse so eng an den Körper, dass sich
ihre Brüste abzeichneten. Ihr Haar lag weich um die Schultern. Als
sie merkte, dass Daniel sie betrachtete, richtete sie sich noch ein
wenig mehr auf. Sie legte ihren Kopf zurück in der aufregenden
Erkenntnis, dass sie eine Frau war und eine gewisse Macht über den
Mann hatte. Als sie ihn unbewußt herausfordernd ansah, war mehr
als nur ein Strahlen in seinen Augen zu bemerken.
Das Rauschen der Wellen und der Wind machten eine Unter-
haltung unmöglich.
„Es ist wunderbar", schrie Christina trotzig gegen den Wind und
breitete ihre Arme aus.
Daniel neigte seinen Kopf dicht an ihr Ohr. „Kommen Sie, Miß
Lacey, gehen wir, bevor Sie Flügel bekommen und mir davon-
fliegen."
Beim Abstieg gab der weiche Sand der Düne unter Christinas Fü-
ßen nach. Sie fiel. Lachend und schreiend rollte sie die Düne hinun-
ter. Wie sechzehn fühlte sie sich und unsagbar glücklich. Atemlos
blieb sie am Fuß der Düne liegen.
Daniel bemühte sich, mit etwas mehr Würde hinunterzukommen,
und er schaffte das erstaunlich schnell. Er kniete neben ihr nieder und
strich ihr den Sand aus Gesicht und Haaren. „Ist alles in Ordnung?"
fragte er.
„Ich fühle mich großartig", rief sie und lachte ihn mit der ganzen
Freude an, die sie empfand.
Daniel zog hörbar den Atem ein. Sein Gesicht war direkt über ih-
rem. Als sich ihre Blicke trafen, entstand eine seltsame Spannung
zwischen ihnen.
Christinas Lachen erstarb. Abwesend streichelte er noch immer ü-
ber ihren Kopf. Dann erfasste er ihn, grub seine Finger in ihr Haar
und küßte sie hart und fordernd.
Obwohl ihr Herz vor Überraschung höher schlug, empfand sie bei
seinem Kuß nichts Außergewöhnliches. Er war auch zu kurz. Daniel
war schon wieder auf den Beinen, bevor sie recht begriff, was ge-
schehen war. Er streckte die Hand aus und zog sie hoch.
„Es wird Zeit, zu gehen", sagte er fest.

26
Sein Gesicht wirkte verschlossen. Er klopfte den Sand von seiner
Hose und krempelte die Ärmel des Hemdes wieder hinunter, als
wollte er damit ausdrücken, dass das Spiel vorüber sei.
Christina stand mit gesenktem Kopf da. Noch kämpfte sie mit ihrer
Verblüffung über den unerwarteten Kuß. Offensichtlich hatte er auch
nichts Aufregendes dabei empfunden. Es war wohl eine plötzliche
Regung gewesen, der er schnell nachgegeben und die er sofort bereut
hatte. So jedenfalls erschien es ihr. Ein Ereignis, über das nicht dis-
kutiert wurde, aber sicherlich eines, das nachdenklich machte.
Daniel fuhr konzentriert, aber war gedanklich abwesend. Schwei-
gend legten sie den Weg zum Flugplatz zurück. Jetzt eine Unter-
haltung zu beginnen, war sinnlos.
Kaum hatte er im Flugzeug seinen Sitz eingenommen, war er schon
dabei, seine Papiere zu ordnen. Er war wieder ein Fremder, er war ihr
Chef.
Mit verhaltener Neugier beobachtete ihn Christina von der Seite. Es
war, als wären dieser zauberhafte Nachmittag und der Kuß nicht
gewesen. Sie schüttelte verwirrt den Kopf. Dann rollte sie sich ein
wenig zusammen, lehnte sich zur Seite und schloss die Augen.
„Wir landen in wenigen Minuten, Miß Lacey", rief Daniel und rüt-
telte sie wach. „Legen Sie den Sicherheitsgurt an, Träumerin!"
Noch halb im Schlaf zerrte Christina ungeschickt an dem Ver-
schluss des Gurtes.
„Schon wieder", brummte Daniel, neigte sich über sie und ließ den
Gurt einrasten.
Seine Hände streiften dabei ihre Brust. Christina zuckte zusammen.
Daniel hob sofort den Kopf. Sein Gesicht wirkte verschlossen. Ihr
vom Schlaf rosiges Gesicht mit den noch ganz verträumten Augen
war von der Fülle ihres durcheinander gewehten seidigen Haares
umrahmt. In völliger Unkenntnis, wie begehrenswert sie auf den
Mann wirkte, sah sie fasziniert, wie sich in seinen grünen Augen ein
blitzendes Feuer entzündete. Seine Finger strichen sanft über ihre
Wange. Er war so nahe über ihrem Gesicht, dass sie seinen Atem
spürte. Für einen aufregenden Augenblick waren sie wieder ein-
gehüllt in eine fast schmerzhafte Spannung.

27
Langsam richtete sich Daniel auf. Er sah sie immer noch an, aber er
zog sich nun von ihr zurück. Ganz automatisch ließ er seinen Sicher-
heitsgurt einschnappen.
„Wir gehen heute abend zu einer Party in San Antonio. Es steht
nicht in Ihrem Plan, ich weiß. Haben Sie ein Abendkleid im Reise-
gepäck? Es ist sehr wichtig."
Christina kämpfte noch gegen ihre Verwirrung. Sie schüttelte be-
dauernd den Kopf.
„Fast habe ich es mir gedacht", sagte er resignierend. „Sie haben
Zeit genug, sich eines zu besorgen. Ich kann nur hoffen, wir müssen
in Zukunft nicht in jedem Hotel erst einkaufen. Sie sollten immer für
alle Gelegenheiten gerüstet sein, Miß Lacey. Immer ein Abendkleid
und auch immer eine lange Hose. Ich muss Sie wirklich bitten, nie
mehr unvorbereitet zu sein."
„Das ist unfair, Mr. Belmont", wehrte sie sich. „Ich war nicht dar-
auf eingestellt, weil ich nicht informiert war. Und warum muss ich zu
dieser Party überhaupt mitkommen?"
Daniel schwieg einen Moment. Er sah aus dem Fenster. Es war das
erste Mal, dass sie ihn ohne prompte Antwort erlebte. Fragend sah
sie ihn an.
Als er sich wieder zu ihr umdrehte, war in seinem Gesicht zwar
keine Regung zu erkennen, aber sie hatte den Eindruck, dass er über
sich selbst erstaunt war. Dachte er vielleicht doch an den Kuß? Aber
nein, diesen Gedanken verwarf sie sofort. Er hatte den Kuß weg-
geschoben, wie er den Sand von seiner Hose geschüttelt hatte.
„Weil ich möchte, dass Sie mitkommen", antwortete er langsam.
„Das sollte genügen, oder?"
Wenn er in diesem Ton mit ihr sprach, durfte sie nicht zu dis-
kutieren beginnen. Zu leicht konnte er sie aus der Fassung bringen.
„Ja, Sir", erwiderte sie freundlich.
Das Flugzeug landete. Daniel stand auf und streckte sich. „Glauben
Sie, dass drei Stunden ausreichen, um Sie vorzeigbar zu machen,
Miß Lacey?", fragte er in seinem üblichen spöttischen Ton.
Christina hob die Schultern. Sie wusste inzwischen genau, wann sie
ihn ernst nehmen musste. „Ich werde mein Bestes tun, Mr. Belmont",

28
versicherte sie.
„Was kann ein Mann mehr verlangen?" murmelte er. „Ach so, die
Party findet übrigens in Lisa Mannings Haus statt", fuhr er beiläufig
fort. "Um acht Uhr. Ich werde schon früher erwartet. Sie kommen im
Taxi nach. Noch Fragen, Miß Lacey?"
„Nein, keine Fragen", antwortete Christina.

29
3. KAPITEL

Im Gegensatz zu ihrer äußerlich kühlen Haltung stand Cristinas


Neugier, die sie kaum zügeln konnte. Wozu brauchte Daniel sie auf
Lisa Mannings Party?
Nach hastigem aber erfolgreichem Einkauf eines Abendkleides in
einem der Hotelläden wusch und fönte sie ihr Haar. In Gedanken
beschäftigte sie sich weiter mit dem Abend. Daniel kannte ihr Talent,
Menschen einzuschätzen. War es möglich, dass er sich dieser Ver-
anlagung heute abend bedienen wollte? Aber die festliche
Atmosphäre einer Party war kaum dafür geeignet, Geschäfte abzu-
wickeln. Daher ließ sie diesen Gedanken fallen.
An einer Party von Lisa Manning teilzunehmen, war kein Ver-
gnügen für sie. Aber Daniel wollte es so. Sie würde sich also zurück-
haltend und wie im Dienst benehmen.
Ein wenig Rouge noch, Lippenstift und ein paar Tropfen des kost-
baren Parfüms, das sie sich geleistet hatte, und sie konnte sich an-
ziehen. Das Kleid aus auffallend schönem veilchenblauem Seiden-
chiffon, genau zu ihren Augen passend, war sehr einfach gearbeitet.
Es umspannte eng ihre schmale Figur, bedeckte eine Schulter und
ließ die andere frei. Über diese nackte Schulter wollte sie ihr
schwarzes Haar fallen lassen.
Als sie fertig frisiert war, trat sie ein paar Schritte vom Spiegel zu-
rück, um ihr Aussehen zu prüfen. Überrascht weiteten sich ihre Au-
gen. Sie konnte kaum glauben, dass sie das war. Der Spiegel zeigte
ihr eine äußerst reizvolle Frau. Würde Daniel der gleichen Ansicht
sein? Mit Lisa Manning an seinem Arm?
Je weiter das Taxi sie zum Haus von Lisa Manning brachte, desto
mehr verließ sie ihre Selbstsicherheit.
Ein vornehmer Diener führte Christina in einen hallenartigen Raum
mit Fenstern, die bis zum Boden reichten. Davor lag eine riesige
Terrasse. Überall sah man Blumen, bunte Laternen und elegant ge-
kleidete Leute.
Christina hielt den Atem an, als sie Daniel entdeckte. Lässig stand

30
er an die Wand zwischen zwei Fenstern gelehnt mit einem Glas in
der Hand. Er sah herzbeklemmend gut aus in seinem Abendanzug.
Ihn nur zu betrachten, war ein einziges Vergnügen.
Schüchtern und beinahe unsicher ging Christina ein paar Schritte
vorwärts. Daniel sah auf, und sie wusste, dass er sie bestaunte. Keine
Frau konnte diese bewundernde männliche Reaktion falsch deuten,
auch wenn sie sofort hinter einem nichts sagenden Lächeln versteckt
wurde.
Allerdings nahm ihr dann der Anblick von Lisa Manning die ganze
gute Stimmung. Sie hatte besitzergreifend Daniels Arm genommen.
Ihre grauen Augen strahlten ihn an. Mit Schwung warf sie ihr langes
goldblondes Haar über die Schultern. Lisa war vollkommen. Mit
einem solchen atemberaubenden Geschöpf konnte man sich nicht
messen. Christina fühlte sich auf einmal unbedeutend.
Als ihr bewusst wurde, dass sie hier nicht privat, sondern dienstlich
eingeladen war, gab sie sich innerlich einen Stoß. Es lag doch auf der
Hand, dass dieser Abend für sie kein Vergnügen sein würde. Mit
Mühe bekam sie ein kühles Lächeln zustande.
Sie streckte Lisa Manning ihre Hand entgegen. „Miß Manning, ich
freue mich sehr, Sie kennen zu lernen."
Was sie wirklich erwartet hatte, wusste sie nicht genau, aber sicher-
lich war sie nicht darauf gefasst gewesen, Daniel stundenlang am
Arm einer anderen Frau zu sehen und ständig dieses schmerzliche
Stechen in der Herzgegend zu fühlen. Ohne sich einzugestehen, dass
es Eifersucht war, was sie empfand, redete und tanzte sie, lächelte
und flirtete sie, bis sie der Erschöpfung nahe war. Die Herren um sie
herum waren begeistert.
Gegen Mitternacht entschied sie, dass sie genug hatte. Höflich be-
dankte sie sich bei Lisa für den zauberhaften Abend und für die Ein-
ladung.
Zu ihrem Missvergnügen erklärte Daniel, dass er sie ins Hotel fah-
ren würde. Sie wäre jetzt wirklich viel lieber allein gewesen.
„Mr. Belmont, das ist doch nicht nötig. Ich kann mir ein Taxi neh-
men", protestierte Christina, als Daniel sie mit zum Wagen zog.
„Unsinn. Es ist nur eine kurze Fahrt, Miß Lacey."

31
Wieder einmal fiel ihr auf, mit welch seltsamer Betonung er ihren
Namen aussprach. So, als bereite ihm das ein besonderes Vergnügen.
Er bemerkte ihr leises Erschauern und stellte die Heizung an.
„Hat Ihnen die Party gefallen?" fragte er freundlich.
Christina schluckte. Er hatte ihr die Ehre eines einzigen Tanzes ge-
geben, und der war so unpersönlich gewesen, dass es ihr alles andere
als Spaß gemacht hatte.
Als die Musik verstummt war, bedankte er sich förmlich, geleitete
sie an den Tisch zurück und beugte sich lachend zu Lisa, um mit ihr
sogleich wieder zum Tanzparkett zu entschwinden. Beide saßen mit
Christina am selben Tisch, wenn sie nicht Wange an Wange tanzten
oder die überlegenen Gastgeber spielten.
Christina musste sich räuspern, ehe sie Daniels Frage beantworten
konnte. „Die Party war gelungen. Sie hat mir viel Spaß gemacht."
„Wie fanden sie Gregory Stafford?"
Sie warf ihm einen Blick zu. Sein Gesicht war unbeweglich, das
Kinn hatte er vorgeschoben.
Gregory Stafford war der gutaussehende Mann um die Vierzig, ein
Freund von Lisa, der ihr für den heutigen Abend als Tischherr zu-
geteilt worden war. Christina hatte ihn recht nett gefunden, wenn
auch nicht gerade aufregend. Gregory allerdings schien von ihr sehr
angetan. „Meine charmante, wilde Rose" hatte er sie genannt. Sie
verzog spöttisch den Mund. Was hatte er sich nur dabei gedacht?
„Sehr nett und liebenswürdig." Sie schmunzelte. „Es war sehr auf-
merksam von Miß Manning, ihn mir zuzuteilen. Damit hat sie mir
einen großen Gefallen getan."
„Ach, tatsächlich? Was ich Ihnen noch sagen wollte, Miß Lacey:
Verabredungen mit Geschäftspartnern, die Sie während der Dienst-
stunden kennenlernen, kann ich leider nicht gestatten", sagte er be-
tont freundlich.
Christina presste die Lippen zusammen. Gregory wohnte in Corpus
Christi und hatte sie gefragt, ob er sie gelegentlich anrufen könnte.
„Ich dachte, meine Dienststunden enden um fünf Uhr", erwiderte
sie trotzig.
„Ich bestimme, wann Ihr Dienst zu Ende ist."

32
Die scharfe Antwort nahm ihr jeden Wunsch, sich weiter mit ihm
zu unterhalten. Verwirrt und den Tränen gefährlich nahe, richtete sie
sich auf und starrte aus dem Fenster. Was hatte ihn nur so gegen sie
aufgebracht?
Dann standen Christina und Daniel im Hotel vor ihrer Tür, und Da-
niel streckte seine Hand nach dem Schlüssel aus. Er folgte ihr in das
Zimmer. Müde sah sie zu ihm auf. „Mr. Belmont, ich denke, meine
Arbeitsstunden sind für heute nun wirklich beendet", sagte sie leise.
Er legte seine Hände auf ihre Schultern. „Noch nicht, Miß Lacey,
noch nicht."
Dann zog er sie an sich. Es ging so schnell, dass sie nicht protestie-
ren konnte. Der kleine Aufschrei erstarb unter seinem Mund, der sich
hart auf ihren drückte. Fast gewaltsam öffnete er ihre Lippen, um die
Weichheit ihres Mundes zu spüren. Er umschlang ihren Körper, hielt
sie gefangen und an sich gepresst.
Die Wärme, die er ausstrahlte, machte sie fast schwindlig. Ihre
Brüste schmerzten bei dem heftigen Druck seines muskulösen Kör-
pers. Christina fühlte sein Herz ebenso stark schlagen wie ihres.
Alle Versuche, sich zu befreien, scheiterten an der Kraft seiner
Umarmung. Hilflos lag sie an seiner Brust. Da wurden seine Küsse
drängender, denn für ihn war ihre Passivität wie ein Nachgeben. Wie
sollte sie sich gegen die heißen Wellen, die in ihr aufstiegen, weh-
ren?
Seine Erregung teilte sich ihr mit. Zum ersten Mal in ihrem Leben
wurde sie so geküßt. Niemals vorher hatte sie dieses Feuer gespürt,
das sie ganz erfüllte und ihr die Knie weich werden ließ. Hätte Da-
niel sie jetzt losgelassen, sie wäre gefallen.
Ihre Hände hoben sich wie von allein und vergruben sich in seinen
Haaren. Mit seinen Lippen strich Daniel über ihr Gesicht. Sie wan-
derten hinunter zu ihrem Hals, über ihre nackte Schulter. Christinas
Blut pulsierte, sie warf den Kopf zurück und wölbte ihren Körper
ihm entgegen.
„Wie Seide", flüsterte Daniel erregt und ließ seine Zunge über ihre
Haut gleiten.
Dann lockerte er seine Umarmung und umfasste mit einer Hand

33
ihre Hüfte, mit der anderen Hand streichelte er ihren Rücken, so dass
ihr ein hingebungsvoller Seufzer entfuhr. Während er sie mit seinen
Händen liebkoste, hatte er seinen Kopf in der Beuge ihres Halses
vergraben.
„Christina", wisperte er atemlos.
Er nannte sie beim Vornamen. Es war das erste Mal, seit sie ihn
kannte. Voller Verlangen suchte und fand er ihren Mund und nahm
ihr den Atem in einem langen sinnlichen Kuß.
Ein wildes, ungeduldiges Entzücken erfüllte sie und versetzte sie in
einen Taumel, den sie noch nicht recht begriff. Inbrünstig erwiderte
sie seinen Kuß und wusste gar nicht, wie sehr sie sich ihm damit
auslieferte. Nur ihr Gefühl zählte.
Plötzlich ließ Daniel sie los. Sie musste sich an ihn klammern,
sonst hätte sie das Gleichgewicht verloren. Mit geweiteten Augen
sah sie ihn fragend an. Er nahm ihre Hände und schob sie von sich,
ein Glitzern war in seinen Augen. Er lachte leise. „Ihre Unempfäng-
lichkeit scheint ein wenig angeschlagen zu sein, Miß Lacey", spottete
er.
Geschockt und gedemütigt stand Christina wie versteinert da, als
Daniel sich verneigte und aus der Tür ging. Sie musste sich sehr
zusammennehmen, um ihm keine Schimpfworte nachzurufen. Nein,
er durfte nicht merken, wie betroffen und verwirrt sie war.
Nachdem sie die Tür verriegelt hatte, schlüpfte sie vorsichtig aus
ihrem Kleid. Sie schminkte sich ab, bürstete ihr Haar und zog ihr
Nachthemd an. Erst als sie im Bett lag, fiel die Starre von ihr ab.
Das Mondlicht schimmerte durch die Vorhänge. Mit weit offenen
Augen lag sie da und verstand immer noch nicht, was geschehen war.
Ihm hatten sie nichts bedeutet, während seine feurigen Küsse Chri-
stina überwältigt hatten. Noch immer bebte ihr Körper vor un-
erfülltem Verlangen. Und er? Er war sicher bereits wieder auf dem
Weg zu Lisa Manning. Christina presste ihre Hand auf den Mund,
um ein Schluchzen zu unterdrücken. Sie würde nicht weinen, nein,
ganz bestimmt würde sie nicht weinen. Nicht um Daniel.
Trotz all der Aufregung des Vortags schlief Christina tief und lan-
ge. Daniel wahrscheinlich auch, dachte sie. Wer weiß, wann er ins

34
Hotel zurückgekommen war?
Verärgert, dass sie schon beim Erwachen Daniel wieder im Kopf
hatte, schwor sie sich, alle Gedanken an sein Privatleben zu ver-
drängen. Sie wollte nicht mehr nachdenken, nicht überlegen, nicht
nach dem Wie und Warum fragen! Sie lehnte es ab, über jeden
Augenblick des vergangenen Abends nachzugrübeln, um die Motive
zu erkennen, warum er sie so geküßt und dann einfach stehen-
gelassen hatte.
Nach einem erfrischenden Bad zog sie eine gelbe Bluse, eine lange
Hose und Sandalen an. Sie kämmte ihr Haar straff nach hinten und
setzte sich ans Fenster, um auf Daniels Anruf zu warten. Der Ar-
beitsplan sah heute keine Besprechung vor, sie nahm also an, dass sie
nach Corpus Christi zurückfliegen würden.
Christina war zu unruhig, um still zu sitzen, und wanderte im
Zimmer auf und ab. Trotz aller guten Vorsätze fragte sie sich: War-
um hat er mich gestern so geküßt? Nur um meine Zurückhaltung zu
erschüttern, meine Empfänglichkeit ihm gegenüber zu testen? Aber
warum hat er sich dann plötzlich zurückgezogen? Warum hat er diese
Probe nicht zu Ende geführt? Bei der Erinnerung an ihre leiden-
schaftliche Reaktion auf ihn schämte sie sich.
Es war reiner Selbstbetrug gewesen, anzunehmen, der über-
wältigende Charme dieses Mannes würde sie nicht berühren. Aber
nun, da sie erfahren hatte, wie stark er auf sie wirkte, würde sie in
Zukunft auf der Hut sein. Würde es nützen, sich das vorzunehmen?
Ahnte er etwa, wie anfällig sie war, und hatte er ihr das nur klar-
machen wollen?
Christina fuhr zusammen. Es hatte lautstark an die Tür geklopft.
Schnell zauberte sie ein Lächeln auf ihr Gesicht und öffnete.
„Guten Morgen. Haben Sie schon gefrühstückt?" fragte Daniel.
„Nein. Bin gerade aufgestanden." Sie sah ihn fragend an. „Sie se-
hen müde aus, Mr. Belmont. War es spät gestern Nacht?" sie hatte
sich nicht zurückhalten können, das zu bemerken.
„Miß Lacey, ich bin in guter Stimmung. Verderben Sie mir die
Laune nicht, und kommen sie mit zum Frühstück", forderte er sie
auf.

35
Christina ignorierte seine Liebenswürdigkeit. „Wenn ich nicht dau-
ernd aufpassen muss, dass ihre Kaffeetasse gefüllt ist, gern", er-
widerte sie spottend.
„In dieser gelben Bluse wirken Sie wie der Sonnenschein." Er lach-
te unbeeindruckt.
Die gute Stimmung blieb während des ganzen umfangreichen
Frühstücks, das er bestellt hatte. Während er es sich schmecken ließ,
beobachtete ihn Christina. Auch als er sich hinter eine Zeitung zu-
rückzog, ließ sie keinen Blick von ihm. Kein Wort hatte er über den
vergangenen Abend gesagt. Nun, sie konnte warten. Aber sie wollte
dafür sorgen, dass sie darüber diskutierten.
„Warum sehen Sie mich so finster an, Miß Lacey?" fragte Daniel
und ließ die Zeitung sinken.
Christiana legte das Messer, das sie in der Hand gehalten hatte, auf
den Tisch. „Mr. Belmont, ich möchte Ihnen etwas sagen, und dazu
brauche ich Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Gewisse Spiele zwi-
schen Arbeitgeber und Angestellten hasse ich", sagte sie nachdrück-
lich, obwohl sie nicht sicher war, ob sie das, was sie meinte, deutlich
genug formuliert hatte.
„Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer guten Einstellung", nickte Daniel
„Möchten Sie ein Stück von der Zeitung?"
Etwa eine Stunde später saßen Christina und Daniel im Flugzeug
auf dem Weg nach Corpus Christi. Als er sich sofort nach dem Ab-
flug hinter seinen Arbeitsunterlagen versteckte, stieg neuer Ärger in
ihr auf. Einerseits war sie erleichtert, dass er sich weigerte, über die
Ereignisse der letzten Nacht zu sprechen, andererseits machte es sie
rasend, dass er alles überging.
„Miß Lacey, langsam habe ich genug von Ihren stechenden Blik-
ken. Ist irgendetwas?" Fragend sah er auf.
„Ja, da ist etwas."
„Darf ich wissen, was?"
„Mr. Belmont, spielen Sie doch nicht den Unwissenden! "
„Würde ich fragen, wenn ich es wüsste?"
Christina atmete tief. „Ich denke an gestern abend."
„Gestern abend? Ach ja, ich verstehe. Ich glaube, Miß Lacey, Sie

36
überbewerten da einiges. Es war doch nur ein Kuß."
„Nur ein Kuß?"
Er hob die Schultern. „Vielleicht haben Sie eine blühende Phanta-
sie, Miß Lacey. Aber das ist Ihre Sache." Er neigte den Kopf wieder
über seine Arbeit.
Sollte er Recht haben? Hatte sie wirklich übertrieben? War ihre
Phantasie mit ihr durchgegangen? Christina verschränkte ihre Hände.
„Sie sind ein ganz gefühlloser Mensch", murmelte sie.
„Wirklich? Als gefühllos hat mich eine Frau noch nie bezeichnet",
reizte er sie.
„Machen Sie sich denn gar nichts daraus, was ich von Ihnen denke?
„Nein, nicht unbedingt." Er sah nicht auf.
„Oder andere Leute?"
Mit einem seiner üblichen resignierten Seufzer legte er seinen Füll-
halter aus der Hand. „Miß Lacey …"
„Wenn Sie noch einmal in diesem Ton meinen Namen aus-
sprechen, vergesse ich mich", warnte Christina wütend.
„Meine Güte", sagte Daniel leise. „Haben Sie doch Verständnis für
mich."
„Aber ich verstehe nicht, was …"
„Was glauben Sie wohl, weshalb ich es so weit gebracht habe?
Nicht weil ich mir etwas daraus mache, was andere von mir halten.
Nicht durch Freundlichkeit und Rücksichtnahme oder Warmherzig-
keit. Jedenfalls nicht in Geschäften ", fügte er schnell hinzu und
lächelte sie liebenswürdig an.
„Gut, Mr. Belmont, wie sind Sie denn so erfolgreich geworden?"
fragte Christina und wünschte, es würde sie nicht so brennend inter-
essieren.
„Das ist einfach. Ich habe meinen Verstand gebraucht. Und das
achtzehn Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche, zweiundfünf-
zig Wochen im Jahr, zehn Jahre lang. Kurz gesagt, ich habe wie ein
Verrückter gearbeitet, um dahin zu kommen, wo ich jetzt bin. Sie
werden verstehen, dass ich mich weiter so intensiv mit meiner Arbeit
befassen muss, um auch oben zu bleiben."
Bei diesem Ausbruch sank Christinas Mut. „Ja, ich weiß, Mr. Bel-

37
mont. Sie arbeiten hart."
„Vielen Dank." Daniel sah ihr verwirrtes Gesicht und seine Stimme
wurde weich. „Gestern abend, Miß Lacey, das war nur ein Kuß.
Wenn es Ihnen sehr unangenehm war, entschuldige ich mich. Es
wird nicht mehr vorkommen. Es sei denn, ich werde auf die eine
oder andere Weise herausgefordert." Er neigte den Kopf zur Seite.
„Kann ich jetzt weiterarbeiten?"
„Ja, natürlich.".
Sichtbar betroffen lehnte Christina sich in ihrem Sitz zurück und
sah aus dem Fenster. Warum hatte sie die ganze Angelegenheit nicht
einfach fallenlassen? Schon jetzt schien es ihr, als habe sie tatsäch-
lich die Situation überbewertet. Eine erfahrene Frau hätte alles mit
einem Lächeln abgetan. Sie war wirklich noch ein unreifes Mädchen,
sich so darüber aufzuregen. Endlich erwachte ihr Sinn für Humor
wieder. Du hast deine Erfahrung gemacht, nimm es hin, sagte sie
sich in Gedanken, es wird sicher nicht die letzte sein.
Als sie aufsah, trafen sich ihre Blicke. Daniel hatte sie beobachtet.
Er schlug die Mappe mit den Arbeitsunterlagen zu und massierte sich
mit verzerrtem Gesicht die Schulter.
„Steifes Genick?" fragte sie.
„Ja", sagte er leise.
Im Gesicht der Mutter hatte Christina oft die gleichen Anzeichen
von Schmerz gesehen. Ohne lange Überlegung öffnete sie den Si-
cherheitsgurt und trat hinter seinen Sitz.
„Meine Mutter hatte auch oft diese Verspannungen. Manchmal
konnte ich ihre Beschwerden erleichtern. Darf ich?"
Den überraschten Ausdruck in seinen Augen übersah sie einfach.
„Lösen Sie die Krawatte, und öffnen Sie die obersten Knöpfe des
Hemdes."
„Ja, gnädiges Fräulein."
Christina war über ihren Mut selbst erschrocken, wusste aber, daß
sie geschickte Hände hatte. Auch das hatte ihr Dave beigebracht, wie
vieles andere. Dieser Dave, dachte sie fröhlich, er war doch recht
nützlich gewesen.
Mit sanften Bewegungen strich sie über seine Schultermuskeln.

38
Gerade fest genug, um die Verspannungen zu lösen, ohne ihm weh
zu tun. Über Daniels langen zufriedenen Seufzer freute sie sich.
Einem inneren Antrieb folgend, den sie selbst nicht verstand, beugte
Christina ihren Kopf und küßte zart sein dichtes Haar. Er spürte es
nicht. Das Haar duftete frisch und sauber und war wie Seide unter
ihren Lippen.
Gleichmäßig setzte sie die Massage fort. Plötzlich wurde sie un-
sicher. Würde er ihren echten Wunsch, ihm zu helfen, missver-
stehen?
Daniel hob sein Gesicht, lehnte seinen Kopf an ihr rechtes Hand-
gelenk und sah zu ihr auf.
„Fühlen Sie sich besser?" fragte sie.
„Es ist wunderbar. Noch ein bisschen mehr an dieser Stelle, bitte."
Sie legte ihre Daumen in die Mitte seines Nackens. „Neigen Sie
jetzt den Kopf", forderte sie ihn auf. „Ziehen Sie sich langsam ein
wenig nach vorn, und beugen Sie sich dann kräftig zurück. Dahin,
wo Sie den Druck meiner Hände spüren. Ganz langsam."
„Gut", seufzte er. „Von wem haben Sie das gelernt?"
„Von Dave."
„Ach ja, Dave. Wer ist dieser mysteriöse, vieltalentierte Herr ei-
gentlich?"
„Gar nicht so mysteriös. Dave ist ein älterer Mann, mit dem ich
sehr viel zusammen war. Ein wirklich guter Freund. Während der
Krankheit meiner Mutter war Dave immer da, wenn ich einen Men-
schen brauchte. Er war fürsorglich und so tröstend."
„Wie lange war Ihre Mutter krank?"
Christinas Finger bewegten sich rhythmisch über seinen Nacken
und die Schultern.
„Mama war nie sehr kräftig. Sie hatte eine Wirbelsäulen-
erkrankung, die sehr schmerzhaft war. Aber nur jemand, der sie gut
kannte wie ich, wusste, dass sie litt. Sie war sehr tapfer", erzählte
Christina nicht ohne Stolz.
„Sie sagten, Sie waren erst sechzehn, als Ihre Mutter bettlägerig
wurde. Wer hat sie versorgt? Wer hat sich um Sie gekümmert?"
„Meine Tante und mein Onkel. Pauline ist Mutters ältere Schwe-

39
ster. Dann waren da Freunde, Nachbarn, die Kirche, Dave und ich
natürlich. Wir kamen zurecht. Lebt Ihre Mutter noch?"
„Nein. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich neun Jahre alt
war. Danach lebte ich bei meinem Vater. Mutter hat bald wieder
geheiratet und ist fortgezogen. Sie und Ihr Mann kamen zwei Jahre
später bei einem Flugzeugunglück ums Leben.
„Das muss alles schlimm gewesen sein."
„Ich kann das gleiche sagen wie Sie: Wir kamen zurecht", er-
widerte Daniel leise." Inzwischen ist mein Vater auch schon ge-
storben."
Tief berührt, wurden ihre Finger für wenige Augenblicke zärtlich.
Gestern abend hatte sie ihn gehasst, hätte sie ihm am liebsten weh-
getan, und nun war ein unerklärliches Gefühl echter Zuneigung ent-
standen.
„Was für ein Mann war ihr Vater?" erkundigte sich Christina wei-
ter.
An seinem tiefen Atemzug erkannte Christina, dass er sich ent-
spannte. Auf einmal waren sie sich ganz nahe. Hier oben in den
Wolken hatte es den Anschein, als gäbe es nur sie beide.
Daniel legte seine Hände übereinander. „Vater war ein sehr ruhiger
Mann mit sanfter Stimme. Natürlich hatte er geschäftlich viel zu tun.
Aber für mich hatte er trotzdem immer Zeit." Er sah nachdenklich
aus dem Fenster, an dem Wolkenfetzen vorüberflogen.
„Im Frühling fuhren wir oft nach Kanada. Dort hatten wir eine Hüt-
te an einem wilden, urwüchsigen Gewässer. Um uns war nur Wald.
Ein Boot gehörte dazu. Manchmal war der Himmel morgens von
tiefstem Blau, und die Luft war so beißend kalt, dass man meinte, die
Ohren würden erfrieren."
Daniel berichtete beschwingt. Christina hörte interessiert zu. Of-
fenbar waren es seine schönsten und wichtigsten Erinnerungen aus
der Jugend.
Plötzlich hörte er zu reden auf. Er kreuzte seine Arme über der
Brust.
„Das ist schon so lange her", meinte er nach einer Weile.
„Ich hoffe, die Massage hat Ihnen geholfen", sagte Christina und

40
ließ sich auf ihren Sitz fallen.
Prüfend bewegte er seine Schultern. „Ja, sehr sogar. Vielen Dank,
Miß Lacey."
Die Augenblicke trauter Zweisamkeit waren vorüber.
„Sollten Ihre geheimen Talente die deutlich sichtbaren noch über-
treffen?" scherzte er und nahm ihre Hand. Er studierte ihre zart-
gliedrigen Finger, die im Gegensatz zu seiner kräftigen, männlichen
Hand sehr zierlich und schmal wirkten. Seine Augenlider senkten
sich. „Sehr talentierte Finger", murmelte er vor sich hin.
Christina ahnte seine Gedanken und zog sofort ihre Hand zurück.
Sie wandte sich zum Fenster. Unter ihnen lag Corpus Christi in der
heißen Mittagssonne. Sie war froh, nach Hause zu kommen. Merk-
würdig, dachte sie, es ist das erste Mal, dass ich an diese Stadt wie an
meine Heimat denke.
Im Büro angekommen, setzten sich Daniel und Christina sofort an
ihre Schreibtische, um die Berge von Post zu sichten, die inzwischen
eingetroffen waren. Sie arbeiteten schweigend. Nur dann und wann
gab es eine Frage und eine prompte Antwort.
In Zeiten wie diesen fühlte Christina sich eins mit Daniel, weil die
stumme Übereinstimmung viel befriedigender war als jede Unter-
haltung.
Gegen drei Uhr sah Daniel auf die Uhr und dann hinüber zu Chri-
stina, die gerade einige schwere Aktenordner in ein Regal stellte. Sie
wusste nicht, dass er sie beobachtete, und fuhr sich erschöpft über die
Stirn.
„Nehmen Sie den Nachmittag frei, ich schaffe es hier schon allein",
schlug er vor. „Es war ein langer Tag."
Es war schön, in die Wohnung zurückzukommen. Sie war zwar
schäbig, aber hier wohnte und lebte sie. Christina ließ sich auf die
Couch fallen, streifte die Schuhe ab und blieb ein paar Minuten lie-
gen. Sie fühlte sich total übermüdet.
Am Morgen nach ihrer Rückkehr nach Corpus Christi bereitete sich
Christina ihr Frühstück, stellte alles auf ein Tablett, holte die Zeitung
und krabbelte in ihr Bett zurück. Zufrieden mit sich und der ganzen
Welt, sogar mit Daniel, durchblätterte sie die Zeitung und kam zu

41
den Gesellschaftsnachrichten in der Erwartung, ein Bild von Daniel
und Lisa zu finden.
Fast hätte sie die Kaffeetasse fallen lassen, als sie ihr eigenes Ge-
sicht auf einem Foto erblickte. Nicht Daniel und Lisa, nein, da waren
Daniel und Christina abgebildet. In Windchase, Lisa Mannings vor-
nehmem Landsitz. Wann war an diesem Abend das Bild auf-
genommen worden? Sie konnte sich daran nicht erinnern. Und
warum, fragte sie sich ärgerlich, wurde es an so zentraler Stelle der
Gesellschaftsnachrichten veröffentlicht?
„Bezaubernde Sekretärin", las sie laut. Bestimmt waren Daniel
Belmonts attraktive Sekretärinnen schon öfter in der Zeitung er-
schienen. Der Bericht klang zweideutig. Sie wurde als besonders
begehrenswert hingestellt, und wenn man zwischen den Zeilen las,
konnte man vermuten, dass sie mit Daniel ein Verhältnis hatte.
Ach was, sie machte wieder einmal viel zuviel daraus. Sie hatte
doch gewusst, dass diese Stellung mit Klatsch jeder Art verbunden
war, als sie sie annahm. Schließlich hatte ihre Mutter sie gelehrt, dass
Vermutungen und das Gerede von Leuten unwichtig waren, wenn
man selbst unschuldig und sich seines richtigen Verhaltens sicher
war.
Es war nicht leicht, so zu denken und sich über die Dinge hinweg-
zusetzen. Sie war wütend bei dem Gedanken, dass man sie für die
Geliebte Daniels hielt, nachdem er schon eine lange Reihe von Er-
oberungen hinter sich hatte. Ihr Ärger war natürlich deshalb so groß,
weil es sich wirklich um eine bösartige Unterstellung handelte.
Es war nicht so sehr ihr Stolz, der getroffen war, mehr noch war es
ihre weibliche Eitelkeit. Jedenfalls war ihre gute Stimmung dahin.
Sie wusste sehr gut, wie schnell ein guter Ruf zerstört war. Mögli-
cherweise traf sie einmal einen Mann, der Wert darauf legte, dass sie
ein einwandfreies Vorleben hatte. Was dann?
Musste sie eine Entscheidung treffen? Sie konnte bei „Belmont En-
terprises" aufhören, bevor das Gerede und die Gerüchte stärker wur-
den. Sie konnte aber auch ihre Stellung behalten und sich mit allem
abfinden.
Nicht um alles in der Welt wollte sie Daniel Belmont aufgeben we-

42
gen möglicher übler Nachreden. Schockiert über diesen Gedanken,
sagte sie laut vor sich hin: „Ich meine natürlich meine Stellung bei
"Belmont Enterprises'. Das hat nichts mit dem Firmeninhaber zu
tun."
Und da sie wirklich unschuldig war und die Gerüchte nicht stimm-
ten, entschied sie sich, mit erhobenem Kopf allen möglichen Ver-
dächtigungen entgegenzusehen.
Am folgenden Montagmorgen war Christina wieder unsicher und
wusste nicht wie sie sich verhalten sollte. Ob es doch besser wäre, zu
kündigen? Daniel musste ein paar Tage nach Ägypten fliegen. Sein
Flugzeug war schon startbereit, und er hatte wenig Zeit für private
Dinge. Christina beobachtete ihn an seinem Schreibtisch.
„Miß Lacey, warum fixieren Sie mich schon wieder auf diese be-
sondere Weise?" fragte er, ohne aufzusehen.
Hatte er überall seine Augen, oder konnte er Gedanken lesen?
„Tut mir leid. Hier sind die Unterlagen für Ihre Reise nach Kairo."
erwiderte sie kurz.
„In Ordnung. Und was haben Sie sonst auf dem Herzen?"
„Dieser Zeitungsartikel ärgert mich."
Verdutzt sah er hoch.
„Sie wissen doch, das Bild."
„Welches Bild?"
„Lesen Sie denn die Gesellschaftsnachrichten nicht?"
„Niemals. Schon lange nicht mehr."
Christina nahm die bewusste Seite aus der Tasche.
„Dann tun Sie mir bitte den Gefallen und lesen Sie sie heute." Da-
mit reichte sie ihm den Zeitungsteil.
Interessiert schaute Daniel auf das Papier.
„Nun?" fragte sie sofort.
„Sehr schön. Sie sehen hübsch aus."
„Christina hätte sich über diese Anerkennung normalerweise ge-
freut, aber in diesem Fall war ihr das nicht möglich. „Lesen Sie doch
den Artikel", forderte sie ihn auf.
So, als ob er einem eigensinnigen Kind einen Gefallen tun wollte,
begann er zu lesen.

43
„Der Reporter berichtet, dass wir auf Lisas Party fotografiert wur-
den. Soll ich vielleicht den Übeltäter verklagen?"
„Mr. Belmont, würden Sie bitten Ihren Spott einmal vergessen und
versuchen, mit mir darüber sachlich zu reden?"
Daniel sah auf seine Armbanduhr. „Ich hoffe, das Gespräch dauert
nicht allzu lange. Mein Flugzeug geht nämlich in . . ."
„Ich weiß, wann Ihr Flugzeug startet. Ich möchte …"
Enttäuscht strich sie sich über die Stirn. Wie dumm von ihr, auf
sein Verständnis zu hoffen. Was bedeutete ihm schon ihr guter Ruf?
„Ach vergessen Sie es. Tut mir leid, dass ich überhaupt etwas ge-
sagt habe."
Sie richtete sich auf, nahm eine Mappe mit Unterlagen und wandte
sich von ihm ab.
Plötzlich stand er vor ihr, hob ihr Kinn und zwang sie, ihn anzu-
sehen. „Miß Lacey, setzen Sie sich bitte", sagte er freundlich. „Es
wird wohl wirklich Zeit, dass wir beide uns einmal unterhalten."
Christina sank in den Stuhl vor Daniels Schreibtisch, während er
sich auf die Schreibtischkante setzte. Wie immer, wenn ihn etwas
sehr beschäftigte, fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. Die Un-
geduld in seiner Stimme wurde durch seinen freundlichen Blick
gemildert.
„Wir haben nicht viel Zeit, jedenfalls nicht genug, um sie an Klei-
nigkeiten zu verschwenden. Ich denke, Sie nehmen alles zu ernst,
Miß Lacey. Es ist doch nur ein Bild von Daniel Belmont und seiner
Sekretärin."
„Seiner bezaubernden Sekretärin", korrigierte sie ihn.
„Nun gut, darauf kommt es nicht an. Dieser Bericht ist übertrieben
wie alles, was Schreiberlinge von Klatschspalten zu Papier bringen",
gab er zu. „Bei einem Job wie Ihrem darf man nicht überempfindlich
sein. Sie mussten wissen, dass es Gerüchte geben würde. Ich hatte
Ihnen gesagt, dass die Zeitungsleute ein ständiges Interesse an mei-
nem Privatleben haben. Ihr Geschreibsel habe ich zu ignorieren ge-
lernt, und das müssen Sie auch. Vermutungen und Unterstellungen
muss man großzügig übersehen, das ist die einzige Möglichkeit,
seine Missachtung auszudrücken."

44
„Darüber bin ich mir schon im Klaren, aber diese besondere Art
von Verleumdung ist übel. Ihrem Ruf kommt man damit vielleicht
entgegen, aber bei mir ist das anders. Man sagt mir ja förmlich nach,
dass ich Ihre Geliebte bin. Dabei hatte ich überhaupt nicht das Ver-
gnügen", erklärte Christina hitzig.
Als sie sich der unglücklichen Formulierung Ihrer Worte bewusst
wurde, erschrak sie so sehr, dass ihr Herz wie rasend zu klopfen
begann. Das übermütige Aufblitzen in seinen Augen machte es noch
schlimmer.
Er lachte kurz auf. „Ist es das, was Sie so böse macht?" fragte er
neckend. „Wie unhöflich, arrogant, wie rücksichtslos von mir, Ihnen
dieses Vergnügen zu verwehren. Unglücklicherweise steht diese
Reise bevor." Er hob bedauernd beide Hände. Dabei ließ er seine
Blicke abschätzend über sie gleiten. „Sobald ich zurück bin …"
„Schweigen Sie. Ich hätte wissen müssen, dass Sie so reagieren",
rief sie enttäuscht.
„Miß Lacey, jetzt hören Sie mal zu." Aller Spott war aus seinem
Gesicht verschwunden. Er rutschte von der Schreibtischkante, stellte
sich vor sie und zog sie zu sich hoch.
„Es wird schlimmer werden und keinesfalls besser, denn wenn es
einmal begonnen hat, hört es nicht mehr auf. Sie sind in die Öffent-
lichkeit gerückt, und nun wird man Ihnen weiter nachstellen. Mit
dieser Tatsache werden Sie sich abfinden müssen. Am besten fangen
Sie sofort damit an. Was andere denken, bedeutet nichts. Erinnern
Sie sich stets daran, Miß Lacey. Trauen Sie nur Ihren eigenen Emp-
findungen. Alles andere ist belanglos", sagte er fest, als spräche er
auch zu sich selbst.
„So etwas Ähnliches hat auch meine Mutter einmal geäußert", ge-
stand Christina.
Daniel berührte mit seinen Lippen ihre Nasenspitze. „Ihre Mutter
war eine kluge Frau. Können wir jetzt wieder an die Arbeit gehen?"
Christina atmete tief. „Ja, ich glaube, Sie haben Recht. Ich werde
mich bemühen, in Zukunft den Klatsch nicht zu beachten."
„Übrigens, Sie können ein paar Tage freinehmen. Während ich ver-
reist bin, brauchen Sie nicht hier zu sein. Mrs. Coyle schafft den

45
Bürobetrieb schon allein. Wo ist denn dieser Bericht aus Kairo? Und
das Protokoll von der Londoner Sitzung? Ich kann die Unterlagen
nirgends finden", sagte er unwillig und warf die Papiere auf seinem
Schreibtisch durcheinander.
Christina hätte ihn am liebsten in ihre Arme genommen und ihn an
sich gedrückt, einfach aus lauter Freude.
„Hier sind die Sachen, Mr. Belmont", sagte sie schnell, konnte aber
ein Lächeln nicht unterdrücken.
„Danke. Ist das Treffen in Kairo bestätigt worden? He, wer hat das
denn geschrieben? Gleich zwei Tippfehler im ersten Absatz! Habe
ich denn nicht eine einzige zuverlässige Schreibkraft in diesem
Haus? Und Sie, haben Sie nicht einmal daran gedacht, den Bericht
durchzusehen und zu korrigieren, Miß Lacey?" sagte er ernst, aber
doch freundlich.
Christina war viel zu glücklich, um betroffen zu sein. Sie beeilte
sich, die Fehler zu verbessern.
Dann fuhr sie ihn zum Flugplatz. Bis zur letzten Minute sprachen
Sie noch über die Firma und Planungen für die nächste Zukunft. Sie
schüttelte amüsiert den Kopf über seine Aktivität.
„Ist etwas?" fragte Daniel und hob die Brauen.
„Nein nichts. Viel Erfolg in Ägypten, Mr. Belmont."
„Das hoffe ich." Er sah auf die Uhr. „Trotz aller Schwierigkeiten
haben wir es noch gut geschafft. Bekomme ich einen Abschiedskuß,
Miß Lacey?"
„Ganz bestimmt nicht. Das gehört nicht zu meinen Pflichten",
wehrte sie sich.
Daniel schmunzelte. „Ich könnte es zur Pflicht machen." Damit
nahm er ihr Gesicht in seine Hände und küßte sie. Christina saß steif
da.
„He, Sie brauchen mal ein bisschen Übung", lachte er. „Auf Wie-
dersehen, Miß Lacey. Fahren Sie vorsichtig zurück."
„Auf Wiedersehen. Ich hoffe, ein Kamel tritt Ihnen auf den Fuß,
Mr. Belmont", rief sie ihm nach.
Sein herzliches Lachen blieb ihr noch einige Tage im Ohr. Sie hatte
sich nicht vorgestellt, wie sehr sie ihn vermissen würde. Es ist wie

46
Winter, dachte sie, alles grau, trübe und ohne jeden Sonnenstrahl.

47
4. KAPITEL

Nach Daniels Abreise verbrachte Christina einige Abende mit Grego-


ry Stafford, aber seine Gesellschaft trug wenig dazu bei, ihre Stim-
mung zu heben. Die Tage vergingen ohne Höhepunkte, ohne Auf-
regungen und wurden ihr sehr lang. Eigentlich wartete sie jede
Minute nur auf Daniel.
Montagmittag kam sie von der Pause zurück und sah Daniel Bel-
mont hinter seinem Schreibtisch sitzen. Sein Gesicht blieb aus-
druckslos, während er sie betrachtete. Er prüfte immer ihr Aussehen.
Sie konnte ihre Freude nicht zurückhalten. „Guten Tag, Mr. Bel-
mont", rief sie. „Ich freue mich, dass Sie wieder da sind."
„Guten Tag, Miß Lacey."
Das war es, dachte sie glücklich. Vier Tage lang hatte niemand ih-
ren Namen in dieser Weise ausgesprochen.
Daniel legte die Stirn in Falten. „Was ist? Wollen wir uns weiter
anlächeln, oder können wir endlich arbeiten?" fragte er säuerlich.
„Arbeiten natürlich."
Daniel stand auf, zog sein Jackett aus, lockerte die Krawatte und
schob sich die Ärmel hoch. Christina reichte ihm die vorsortierte
Post mit einigen Privatbriefen obenauf. Die persönlichen Briefe,
darunter einen von Lisa Manning, legte er desinteressiert auf die
Seite. Schon bald waren sie intensiv bei der Sache. Wir sind ein
gutes Team, dachte Christina stolz.
Die Nachmittagsstunden vergingen wie im Flug. Es war schon nach
sechs Uhr, als Daniel eine Pause einlegte, um Drinks zu mixen. Chri-
stina lehnte sich im Stuhl zurück und bewegte ihre verkrampften
Finger. Dass ihre normale Arbeitszeit schon lange überschritten war,
störte sie nicht. Hier fühlte sie sich wohl.
Daniel sah sie über den Rand seines Glases an. „Sie haben Gregory
Stafford einige Male getroffen, nicht wahr?" fragte er beiläufig.
Als Christina nicht sofort antwortete, verzog er seine Mundwinkel.
„Ich nehme die Frage zurück, wenn ich Unrecht habe."
„Nein, nein. Es stimmt. Ich sehe ihn oft", gab sie zu.

48
„Niemand anders?"
„Nein."
„Warum nicht?"
Von seinem scharfen Ton verblüfft, stammelte sie: „Warum sollte
ich? Gregorys Gesellschaft ist. . . ausreichend."
Beinahe ungläubig sah er sie an, dann lachte er. „Ausreichend! Al-
so, wenn mich eine Frau als ausreichend bezeichnen würde …" Er
brach ab, schüttelte den Kopf und nahm einen Schluck aus seinem
Glas.
Ihre Blicke trafen sich. Einen spannungsgeladenen Augenblick lang
waren sie nicht Chef und Angestellte, sondern Mann und Frau. Seine
Nähe ließ ihren Puls schneller schlagen. Christina hatte eine un-
bändige Sehnsucht, ihn zu küssen.
Wieder wurde ihr erschreckend bewusst, welche magische An-
ziehungskraft er auf sie hatte, wie mühelos er sie in seinen Bann
ziehen konnte. Aber sie war gewarnt. Sie musste vorsichtig sein.
Christina zwang sich, die Augen niederzuschlagen.
Sein kurzes, triumphierendes Lachen wurde von ihr nicht beachtet,
stattdessen schlug sie einen Ordner auf. „Ich denke, wir sollten wei-
termachen. Ich habe nicht vor, die ganze Nacht zu arbeiten", erklärte
sie betont.
„Die gewissenhafte Miß Lacey ", sagte Daniel leise mit hinter-
gründigem Lächeln. Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch.
„Also geben Sie mir zuerst die Kostenaufstellung für das Bau-
projekt."
Damit waren sie wieder in die Arbeit vertieft.
Die Tage vergingen. Alles lief gut. Einen Monat lang gab es keine
Zwischenfälle. Christina fühlte sich sicher, persönlich und beruflich.
Sie hatte sich bestens eingearbeitet und führte auch ein recht ab-
wechslungsreiches Privatleben. Die Zukunft schien freundlich und
rosig zu sein.
In guter Stimmung durchquerte sie eines Morgens das Vorzimmer,
wo sie Mrs. Coyle und die beiden Schreibdamen über eine Zeitung
gebeugt fand. Christina wunderte sich zwar über die seltsamen Blik-
ke, grüßte aber freundlich und ging in Richtung Chefbüro.

49
„Er ist noch nicht da", sagte Mrs. Coyle. „Haben Sie das gesehen?"
fragte sie und wies auf die Zeitung.
Nicht wieder ein Bild! hoffte Christina inständig. „Nein, ich habe
heute Morgen verschlafen und konnte die Zeitung nicht mehr lesen.
Was ist es denn?" Sie ging zu ihren Kolleginnen hinüber.
Über eine Schulter hinweg las sie: „Die schöne Lisa Manning ü-
berraschte ihre Verehrer mit der Nachricht, dass sie in Kürze Daniel
Belmont, einen der bekanntesten und begehrtesten Junggesellen von
Corpus Christi heiraten wird. Auf die Frage, wann das sein werde,
erklärte Miß Manning, ein Datum sei noch nicht festgelegt. Freunde
des Paares glauben, dass die Hochzeit das gesellschaftliche Ereignis
des Jahres werden wird. Dem kann sich der Reporter nur an-
schließen."
Christina hatte das Gefühl, als bekäme sie einen Stoß in die Ma-
gengrube. Für kurze Zeit war sie wie gelähmt. Erschüttert über ihre
Reaktion, und weil sie wusste, dass man sie beobachtete, versuchte
sie, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen. „Das ist wirklich keine
Überraschung. Sie wissen doch auch seit Monaten, dass sie … o
guten Morgen, Mr. Belmont", unterbrach sie sich. Das Blut schoss
ihr ins Gesicht, als Daniel in die Tür trat.
„Guten Morgen, meine Damen", rief er mit kurzem Lächeln. „Miß
Lacey, darf ich bitten?"
Christina folgte ihm durch die Tür und schloss sie hinter sich.
„Würden Sie bitte die Vorhänge zuziehen? Die Sonne ist entsetz-
lich grell heute Morgen", klagte er leise.
„Haben Sie einen Kater, Mr. Belmont?"
„Fordern Sie mich nicht heraus, Miß Lacey", warnte er sie.
„Entschuldigung." Christina schloss die Vorhänge.
Mit einem säuerlichen Blick auf Christina setzt sich Daniel hinter
seinen Schreibtisch und vertiefte sich in die Post.
Sie nahm ihm gegenüber Platz, kreuzte die Beine und ließ einen
Fuß baumeln.
„Sie wollen mir doch etwas sagen, nicht wahr?" fragte er.
„Nein. Wie kommen Sie darauf? Sie haben mich doch zum Mit-
kommen aufgefordert. Aber bei dieser Gelegenheit kann ich meinen

50
Glückwunsch aussprechen."
„Glückwunsch?" wiederholte er verblüfft.
Ungerührt fuhr sie fort. „Zur kommenden Hochzeit mit Miß Man-
ning."
Daniel zuckte zusammen, dann lächelte er hintergründig. „Darüber
scheinen Sie nicht allzu glücklich zu sein, Miß Lacey."
„Ich? Unsinn. Mir scheint eher, Sie sind nicht besonders glück-
lich."
„Mein Glück steht hier nicht zur Debatte." Sein Ton klang ab-
weisend.
„Ich verstehe nicht, weshalb Sie mir gleich den Kopf abreißen wol-
len, wenn ich Ihnen Glück wünsche."
„Wenn man mir Glück wünschen soll, schicke ich eine Anzeige.
Außerdem hatte ich Sie gewarnt, nichts auf Klatsch in der Zeitung zu
geben."
„Ja, das haben Sie. Aber eine solche Nachricht kann man wohl
kaum als Gerücht abtun."
„Miß Manning kann viel sagen. Es muss nicht unbedingt auch mei-
ne Ansicht sein", knurrte Daniel.
Christina fand seine Reaktion sonderbar. Aber was bedeutete es
schon, ob der Pressebericht nun stimmte oder nicht? Schließlich ging
sie sein Privatleben nichts an. Sie zuckte mit den Schultern.
„Was ist denn, Miß Lacey? Sind Sie beleidigt, dass ich Sie nicht als
Trophäe in meine Sammlung eingereiht habe, bevor ich, sagen wir,
aus dem Verkehr gezogen werde?" spottete er.
„Also bitte, das ist doch zu albern", rief sie ungestüm.
„Albern?"
„Ja, albern. Ihr Erfolg ist Ihnen zu Kopf gestiegen, Mr. Belmont.
Nicht jede Frau findet Sie unwiderstehlich." Christina war miss-
mutig. Dass er sie doch immer wieder in diese unsinnigen Dis-
kussionen hineinzog! Warum hatte sie sich schon wieder zu einem so
lächerlichen Ausbruch hinreißen lassen?
„Tatsächlich?" fragte Daniel überrascht.
„Ja, tatsächlich. Ich zum Beispiel finde Sie jedenfalls ebenso an-
ziehend wie jemanden, der an einer ansteckenden Krankheit leidet."

51
„Was Sie nicht sagen", erwiderte er gefährlich sanft und stand auf.
Entsetzt über das, was sie gesagt hatte, trat Christina schnell einen
Schritt zurück. Sie hatte es gewusst. Er war heute noch weniger als
sonst in der Stimmung, Widerspruch zu ertragen. Warum hatte sie
ihn nur herausgefordert?
„Entschuldigen Sie, ich hole die Unterlagen", sagte sie unsicher.
„Die Unterlagen können warten, Miß Lacey."
Christina wandte sich um. Als er sie an sich zog, schrie sie leise
auf. Er vergrub seine Hände in ihrem Haar und presste seinen Mund
auf ihren.
Sie stemmte ihre Fäuste gegen seine Schultern, um sich zu be-
freien. Es gelang ihr nicht. Seinen linken Arm hatte er fest um ihre
Schultern gelegt, während die rechte Hand in zärtlichen Bewegungen
über ihre Rücken strich. Noch näher zog er sie an sich heran. Sein
Kuß wurde leidenschaftlicher, seine Hand kühner, bis die Wärme, die
in ihnen beiden aufstieg, zur lodernden Flamme wurde.
Christina wollte protestieren, als sie seine Hände an intimen Stellen
spürte, aber sie verging vor Entzücken, an seiner Brust zu liegen, und
so ließ sie ihn gewähren.
Wieder küßte er sie eindringlich, als er ihre nachgebende Schwäche
spürte. Ihr Körper hob sich ihm entgegen. Es war ihr bewusst, dass
jede seiner Liebkosungen ein vorsätzlicher und wohlüberlegter An-
griff auf ihre aufgewühlten Sinne war, aber das war ihr egal.
Nichts zählte, als das Entzücken, das sein fordernder Mund in ihr
auslöste. Nichts war wichtiger als die Freude, seine Hände überall an
ihrem Körper zu spüren. Sie umschmeichelten ihre Hüften, um-
fassten sie heftig. Der dünne Stoff ihres Kleides war so gut wie keine
Barriere zwischen ihrer Haut und seinen verführerischen Fingern.
Christina erschauerte. Es war, als würde ein elektrischer Strom von
seinem Körper auf ihren übergehen und wieder zu ihm zurück. Ihre
Pulsschläge schienen sich ins Unermessliche zu steigern. Es war, als
verschmolzen sie ineinander.
Sie drängte sich noch enger an ihn. Wie Feuer brannten seine Hän-
de durch den Kleiderstoff. Und wie ein Schock kam ihr die Erkennt-
nis, dass sie ihn begehrte, dass sie ihn ganz und gar fühlen wollte,

52
seine nackte Haut auf ihrer. Sein Mund hob sich von ihren Lippen,
gerade so viel, dass er flüstern konnte: „Denken Sie an die an-
steckende Krankheit, Miß Lacey."
Sie hörte den Spott in seiner Stimme und konnte ihre Finger doch
nicht aus seinem dichten Haarschopf lösen. Sehnsüchtig wartete sie
auf einen nächsten Kuß, aber Daniel befreite sich langsam aus ihren
Armen und betrachtete sie mit arroganter Befriedigung.
Zuerst drehte sich alles um Christina. Sie suchte an der Schreib-
tischkante Halt. Soll er seinen Sieg haben, dachte sie. Die Tatsache,
daß er sie ebenso wild begehrt hatte wie sie ihn, blieb. Der Unter-
schied war nur, dass sie ihr ganzes Gefühl eingesetzt hatte, während
er sie wie ein Mann geküßt hatte, der nur verführen wollte. Das tat
weh, aber es gab ihr ihre Haltung wieder. Zum Hohn trat bei ihm
auch noch Vergnügen. Sie sah es deutlich in seinen Augen.
Nach einigen tiefen Atemzügen kam sie wieder zu sich. Sie presste
ihre Fingernägel in die Handflächen. O nein, er würde sie nicht in
Tränen ausbrechen sehen. Da fiel ihr der Ausweg ein. Ihre Augen
funkelten.
„Triumphieren Sie nicht so, Mr. Belmont", sagte sie dunkel, „es ist
doch ganz natürlich, dass eine Frau so auf einen attraktiven Mann
reagiert. Ich gebe zu, Sie sind sehr anziehend. Aber das gilt auch für
den hübschen Empfangschef in der zehnten Etage. Bei ihm wäre die
Reaktion die gleiche gewesen, vielleicht sogar noch stärker. Er sieht
wirklich fabelhaft aus, und er ist noch sündhaft jung."
Christina ahnte nicht, was sie angerichtet hatte. Jedenfalls wurde
seine Haltung bedrohlich. Aus Angst wich sie ein paar Schritte zu-
rück, denn er kam langsam auf sie zu. Sein Lächeln war kalt. Hatte
sie ihn mehr herausgefordert, als sie beabsichtigt hatte?
„Eine bemerkenswerte Theorie, Miß Lacey. Ich kann Ihnen das nur
nicht abnehmen", spottete er.
Sie sah seine grünen Augen aufleuchten und versuchte zu fliehen.
Aber es war zu spät. Sie wehrte sich und wollte ihn abschütteln, er
hingegen hielt sie eisern fest, drehte sie zu sich herum und küßte sie
wieder.
Was konnte sie tun gegen diese Leidenschaftlichkeit, gegen einen

53
so verzehrenden Kuß? Daniel gelang es, ihre Lippen zu öffnen und
mit seiner Zunge in ihren Mund einzudringen. Ihre Reaktion auf ihn
war vielleicht instinktiv, aber deshalb nicht weniger temperament-
voll. Weder hatte sie die Kraft, gegen ihn noch gegen ihre eigenen
Empfindungen anzukämpfen. Sie überließ sich der drängenden Sehn-
sucht ihres Körpers, die sie weich und geschmeidig in seinen Armen
machte.
Sie spürte, dass ihre Hingabe nicht ohne Wirkung auf ihn blieb. Mit
einem verhaltenen Stöhnen presste er sie noch einmal an sich, dann
straffte er sich ein wenig und ließ sie los. Außer ein paar tiefen A-
temzügen merkte man ihm nicht an, dass er gerade eine Frau mit
bedrängender Leidenschaft geküßt hatte.
Das Telefon klingelte. Daniel hob ab und gab Mrs. Coyle perfekte
und sachliche Anweisungen, als wäre nichts geschehen.
Christina war wie angewurzelt stehen geblieben. Sie glaubte, zu
keiner Bewegung fähig zu sein.
Daniel legte den Hörer auf und sah sie mit jenem ungeduldigen
Blick an, den Christina schon kannte. Anscheinend wunderte er sich
über ihr stummes Verhalten.
„Sie . . Sie haben versprochen, dass so etwas nicht mehr geschehen
würde", flüsterte sie.
„Es gab dabei einen Zusatz: nur wenn ich nicht herausgefordert
werde, Miß Lacey. Und Sie haben mich herausgefordert. Holen Sie
mir bitte jetzt die Hamilton-Unterlagen", forderte er sie auf. „Die
Akte liegt im Archiv … im zehnten Stock", setzte er hinzu und be-
tonte die letzten Worte.
Christina senkte den Kopf, ihre Augen waren feucht geworden.
Diese Küsse, die sie fast an den Rand ihrer Beherrschung gebracht
hatten, waren für ihn nur ein weiterer Sieg seiner Männlichkeit ge-
wesen. Sie hatte es gewagt, seinen Erfolg bei Frauen in Frage zu
stellen, und er hatte nur wenige Minuten gebraucht, um die Zweifel
vollständig zu zerstreuen.
„Mr. Belmont, holen Sie sich die Unterlagen selbst. Ich kündige",
sagte sie tonlos.
„Unsinn. Beeilen Sie sich. Ich erwarte Mr. Hamiltons Anruf jeden

54
Augenblick und brauche die Akte."
„Bitten Sie Mrs. Coyle. Sie ist Ihre Sekretärin."
Christina verließ Daniels Büro und durchquerte das Vorzimmer,
ohne nach rechts oder links zu sehen. Entfernt hörte sie ihren Namen.
Sie achtete nicht darauf.
Christina war im Fahrstuhl, saß in ihrem Auto, hielt vor ihrem
Wohnhaus und konnte sich nicht erinnern, wie sie hierher gekommen
war.
Christina hatte bei „Belmont Enterprises" gekündigt. Der Gedanke
kam ihr wie ein Schock und ließ ihr Herz bis zum Hals klopfen.
Klugheit ist wohl wirklich nicht meine starke Seite, überlegte sie und
stieg die Treppen zu ihrer Wohnung hinauf.
Aber sie konnte sich diese entwürdigende Behandlung nicht länger
gefallen lassen. Alles, was sie zuletzt ertragen hatte, ging ihr durch
den Kopf: Daniels ironische Bemerkungen, seine Grausamkeit, seine
herrschsüchtige Art, seine Überheblichkeit. Tun Sie das, Miß Lacey,
tun Sie jenes, Miß Lacey! Miß Lacey, meinen Kaffee! Wie hatte sie
es mit diesem Unmenschen nur ausgehalten? Jetzt war endgültig
Schluss. Sie war frei. Die Erfahrung mit Daniel Belmont lag hinter
ihr.
Gerade, als sie die Tür aufschloss, klingelte das Telefon. Sie ahnte,
wer es war, und ihre Stimme klang eiskalt. „Christina Lacey", melde-
te sie sich.
„Christina Lacey wird in zehn Minuten wieder im Büro sein", rief
Daniel wütend.
„Sie haben ein schlechtes Gedächtnis, Mr. Belmont. Ich habe ge-
kündigt, erinnern Sie sich?"
Sie warf den Hörer auf die Gabel. Der Mann war aufdringlich. In
diesem Moment fuhr er sich sicher mit der Hand durchs Haar und
schimpfte.
Auch sie verwünschte ihn. Ein paar Schimpfwörter kamen ihr in
den Sinn, aber sie war es nicht gewöhnt, so etwas auszusprechen.
Was für eine verfahrene Sache, dachte sie, ich brauche Kartons zum
Packen. Aber wohin wollte sie, wenn sie gepackt hatte?
Christina stand am Fenster und sah hinunter auf die Straße. Als das

55
Telefon erneut läutete, fiel sie fast über einen Stuhl, um es schnell zu
erreichen.
Gregory Staffords Stimme zu hören, war eine Enttäuschung, den-
noch nahm sie seine Einladung zum Abendessen an. Warum eigent-
lich nicht? Sie konnte auch morgen noch packen.
Der Nachmittag war sonnig und warm. Christina beschloss, zum
Strand zu fahren. Wieder war sie in Gedanken weit weg und merkte
kaum, dass sie bereits am Ziel angekommen war.
Schnell zog sie sich um und wanderte am Wasser entlang. Sie war
so verbittert, dass sie die Schönheit der Landschaft gar nicht wahr-
nahm. Tiefe Traurigkeit kämpfte mit der Befriedigung, Daniel Bel-
mont einen Schock versetzt zu haben. Wie sehr sie das auch freute,
das dumpfe Gefühl in ihrem Herzen war wie ein körperlicher
Schmerz.
Warum hatte er sie immer wieder so leidenschaftlich geküßt? Weil
er einer plötzlichen Begierde nicht widerstehen konnte? Wenn das so
war, wie hatte sie dann so voller Sehnsucht auf einen Mann reagieren
können, der sie nur als willkommene Abwechslung ansah? Sie fand
keine Antwort auf diese Frage. Ihre Empfindungen waren völlig
durcheinander, und ein nagendes Schuldgefühl breitete sich immer
mehr aus.
Sie hätte seine Küsse nicht herbeisehnen dürfen, sich nicht immer
wieder zärtliche Augenblicke gefallen lassen sollen. Von Anfang an
hätte sie das alles abwehren müssen. Aber es war nun einmal ge-
schehen.
Christina setzte sich an den Hang einer Düne, ließ den feinen Sand
durch die Finger rieseln und sah im Geist Daniels Gesicht vor sich.
Sie hatte immer ein starkes Gefühl für Zärtlichkeit bei ihm vermutet,
aber inzwischen zweifelte sie. Konnte er wirklich herzlich sein? Oder
schämte er sich nur, seine Zuneigung zu zeigen?
Da kam ihr ein verblüffender Gedanke. War er vielleicht einmal
von einer Frau betrogen und so verletzt worden, dass sich sein Herz
verhärtet hatte aus Angst, es könnte ihm noch einmal passieren?
Der Nachmittag verging mit nutzlosem Grübeln und brachte keine
Lösung. So lief Christina zu ihrem Wagen zurück und fuhr nach

56
Hause, um sich zum Abendessen umzuziehen.
Gregory hatte ein erstklassiges französisches Restaurant aus-
gewählt. Hier saß man gemütlich in mildem Licht, und das Essen war
vorzüglich. Und dennoch hatte sich Christina noch nie so gelang-
weilt. Gregory war ein farbloser Mann mit sandfarbenem Haar und
einem gepflegten Bart. Möglicherweise war er gar nicht so harmlos,
wie er wirkte.
Obwohl seine Fragen nach ihrer Arbeit immer mit freundlicher An-
teilnahme gestellt waren, hatte Christina doch schon bemerkt, dass er
gewisse Informationen sammelte. Ganz besonders interessierte er
sich für das Verhältnis, das sie zu Daniel Belmont hatte. Christina
war vorsichtig mit ihren Äußerungen, weil sie Klatsch befürchtete.
Sie erzählte ihm nur wenig von ihrer Tätigkeit und vermied es, Da-
niel zu kritisieren. Einen Augenblick überlegte sie, ob sie Gregory
von ihrer Kündigung berichten sollte, verwarf den Gedanken aber
wieder. Sie hätte zu viel erklären und gestehen müssen. So nahe
standen sie sich auch wieder nicht. Allerdings konnte sie die Stadt
nicht ohne eine Erklärung verlassen. Was sollte sie sagen?
„Ich bitte um Entschuldigung."
Eine sehr bekannte männliche Stimme riss Christina aus ihren Ü-
berlegungen. Sie sah auf und blickte in funkelnde grüne Augen.
Hastig zog sie ihre Hand aus der Gregorys und wusste gar nicht
mehr, wie sie da hingekommen war.
„Guten Abend, Gregory", sagte Daniel verhalten, bevor er sich
wieder an Christina wandte.
„Miß Lacey, Sie haben mit Erfolg meinen gesamten Arbeitsplan
durcheinander gebracht. Sie haben mir den Tag verdorben und mir
ein Rendezvous verpatzt, weil ich Sie suchen musste. Ich denke, das
genügt."
Mißtrauisch sah er auf Christinas Hand, die sich wieder wie hilfe-
suchend in die Gregorys gelegt hatte.
„Ich sehe Sie morgen früh Punkt neun Uhr im Büro. Ist das klar?
Ist das klar, Miß Lacey?"
Es schien unmöglich, aber Christina hörte sich sagen: „Ja, Mr.
Belmont."

57
„Sehr gut. Gregory, bitte entschuldigen Sie die Störung. Guten A-
bend, Miß Lacey." Er verneigte sich leicht und verließ das Lokal.
„Was sollte das denn bedeuten?" fragte Gregory fassungslos.
Christinas Augen folgten der hohen Gestalt, bis sie durch die Tür
verschwand.
„Ach Gregory, es ist nicht zu fassen", rief sie plötzlich erleichtert.
Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und begann zu lachen.
„Ist das gerade erst gekommen?" fragte Daniel irritiert. „Nein, es
kam schon am Dienstag", antwortete Christina sachlich. „Warum
habe ich es noch nicht gesehen?" „Weil Sie in London waren", er-
klärte sie geduldig. „Ich habe angerufen und gab der Bauleitung
Ihren Kommentar über die Besprechung durch. Ein Mr. Jakes rief
zurück. Er sagte, die Ausstattung könnte eingeschränkt werden, um
im Kostenrahmen zu bleiben. Dann habe ich mir die neuen Zahlen
durchsagen lassen und sie in den Voranschlag eingefügt."
„Und wo ist der Voranschlag?" sagte Daniel mürrisch und blätterte
den Berg von Papier auf seinem Schreibtisch durch.
Um ihm zu helfen, ging Christina hinter den Schreibtisch, lehnte
sich über seine Schulter und durchsuchte einen zweiten Stoß Papiere,
bis sie das Schriftstück fand. Daniel war wenig umgänglich, seit sie
wieder in die Firma zurückgekommen war. In stummer Überein-
stimmung hatten sie nicht mehr über den Vorfall von ihrer Kündi-
gung gesprochen. Aber er hatte sich in ihrem Kopf festgesetzt.
Manchmal gingen warme Wellen durch ihren Körper, wenn sie daran
dachte. Unangenehm war ihr die Erinnerung nicht.
Auch nach zwei Wochen war der Eispanzer, den er um sich gelegt
hatte, noch nicht geschmolzen. Christina bemühte sich, eine zuver-
lässige, unpersönliche Assistentin zu sein. Hitzige Bemerkungen
schluckte sie hinunter, ein Lächeln verbarg sie hinter der Hand. Sie
widersprach ihm nicht und versuchte, ihm jeden Wunsch von den
Augen abzulesen.
Manchmal hätte sie sich am liebsten das Band heruntergerissen, mit
dem sie ihr Haar gebändigt hatte, um es wild um den Kopf zu schüt-
teln, so wütend war sie innerlich über ihn. Ihre Geduld war allmäh-
lich stark strapaziert. Sie war nahe daran, bei der geringsten Kleinig-

58
keit zu explodieren.
„Hier, das ist die Summe der Einsparungen". Sie zeigte mit ihrem
rosa lackierten Fingernagel auf eine Zahl. "Und hier sehen Sie den
Betrag der Gesamtkosten." Bei den Erklärungen berührte ihre Hüfte
ungewollt seinen Arm. Die Berührung machte sie nervös. Vorsichtig
versuchte sie, ihm auszuweichen. Aber der Kontakt blieb, so als wäre
sein Arm dicker geworden. Ihre Stimme wurde unsicher.
Durchdringend sah er sie an. "In Ordnung. Bringen sie den Kosten-
voranschlag in unsere Datenverarbeitung, damit er in den Computer
eingegeben wird", ordnete er an.
„Gern, Mr. Belmont." Manchmal kam sie sich wie ein Lehrmäd-
chen vor. Daniel hatte anscheinend Freude daran, sie im Haus her-
umzuschicken, statt eine der Schreibkräfte damit zu beauftragen. Ach
was, dachte sie dann und zwang sich zur Gelassenheit, sein männ-
licher Stolz verlangt nach Genugtuung. Er will mich strafen, deshalb
kehrt er den Vorgesetzten hervor.
Als sie das Papier nehmen wollte, hielt er sie fest. „Sie können es
auch Diana geben. Sie soll es weiterleiten."
Der Hauch eines Lächelns war auf seinem Gesicht erschienen. Ein
Mann im Widerspruch mit sich selbst, überlegte Christina, als sie den
Kostenvoranschlag auf den Schreibtisch der Stenotypistin legte.
Sollte er seine Zurückhaltung infolge ihrer seit zwei Wochen ständig
gleichbleibenden Freundlichkeit doch langsam aufgeben?
Vor dem Garderobenspiegel richtete sich Christina schnell die Blu-
se und fuhr sich über das Haar, ehe sie ins Chefbüro zurückging. Er
sah sie auch zum ersten mal wieder prüfend an, als sie vor dem
Schreibtisch stehen blieb, um auf seine weiteren Anordnungen und
auf seine nächsten bissigen Bemerkungen zu warten. Ihr Gesicht
verriet nichts. Um keinen Preis würde sie ihn noch einmal heraus-
fordern.
Er fixierte sie immer noch. Schließlich wurde sie doch etwas un-
sicher. Sie griff sich an den obersten Knopf der hellen Bluse, den sie
aus Bequemlichkeit offen gelassen hatte. War irgendetwas nicht in
Ordnung? Heute dauerte die Musterung besonders lange.
„Miß Lacey ", begann er endlich. „Sie haben mir gesagt, dass Ihre

59
Eltern in der Nähe von Harlingen beerdigt sind."
„Ja, das stimmt." Überraschung lag in ihrem Ton über die völlig
unerwartete Frage.
„Ich schicke das Flugzeug heute nach Brownsville, um Kunden
abzuholen. Wenn Sie wollen, kann der Pilot etwas eher fliegen. Har-
lington ist ganz in der Nähe von Brownsville. Jetzt ist es elf. Wenn
Sie in einer halben Stunde fliegen, hätten Sie genügend Zeit, um dort
ein paar Stunden zu bleiben. Um vier Uhr fliegen sie dann planmäßig
zurück."
Würde er nie aufhören, Sie aus der Fassung zu bringen? Christina
war so glücklich, daß sie nicht sachlich reagieren konnte. „O wie
schön, Mr. Belmont. Das ist eine große Überraschung für mich."
Dann nahm sie sich wieder zusammen. „Aber das bedeutet einen
ganzen verlorenen Tag. Wir haben so viel zu tun. Wie können Sie . . .
ich meine, können wir uns das leisten?"
„Einen Tag kann ich gerade ohne Sie auskommen, Miß Lacey. Ich
musste schließlich sehr oft allein arbeiten, bevor Sie in die Firma
kamen."
Zuckerbrot und Peitsche, dachte sie und versuchte, ihr Tempera-
ment zu zügeln. „Ja, natürlich."
Christina verschränkte ihre Hände hinter dem Rücken, während
Daniel mit dem Piloten telefonierte. Ihre unbändige Freude zurück-
zuhalten, kostete sie einige Mühe. Seit der Beerdigung ihrer Mutter
war sie nicht mehr auf dem Friedhof gewesen.
Diese plötzliche Großzügigkeit ihres Chefs war verwirrend. Er war
wirklich ein Mann, der einen ganz schön durcheinander bringen
konnte.
„Es ist alles arrangiert. Rodney meint, wenn Sie gleich zum Flug-
platz kommen, ist er bereit zu starten. Denken Sie daran, Rückflug ist
Punkt vier Uhr. Ob Sie an Bord sind oder nicht", endete er schroff.
„Vielen Dank, Mr. Belmont "
„Bitte. Gern geschehen." Daniel stand so abrupt auf, dass Christina
einen Schritt zurückwich. Er verzog seinen Mund. „Keine Angst,
Miß Lacey. Ich werde Sie nicht überfallen", spottete er.
Sie brachte kein Wort hervor und sah ihn nur verlegen an. Plötzlich

60
wurde ihr klar, dass ihre äußere kühle Zurückhaltung in den letzten
zwei Wochen bei ihm gar nicht gewirkt hatte. Im Gegenteil, sie hatte
ihn in seiner Eitelkeit noch bestärkt.
Sein Gesicht blieb verschlossen trotz der Andeutung eines Lä-
chelns. Er ging zu einem der Schränke, der eine Bar enthielt, und
nahm ein Kristallglas heraus.
Erstaunt bemerkte Christina, dass er sich einen Cognac eingoss und
einen großen Schluck trank. Als er sich zu ihr umwandte, sah sie
zwar schnell zum Fenster, aber es war ihr unmöglich, ruhig zu blei-
ben. Sollte er eine neue Angewohnheit angenommen haben?
„Cognac vor dem Mittagessen?" fragte sie leise und fast vorwurfs-
voll.
Daniel senkte die Augenlieder. „Heute ist mein Geburtstag, Miß
Lacey. Prost", antwortete er düster.
„Das wusste ich nicht. Wie alt werden Sie, Mr. Belmont?" er-
kundigte sie sich. Natürlich wusste sie sein Alter, aber irgendetwas
musste sie sagen, und etwas Besseres fiel ihr im Moment nicht ein.
„Vierunddreißig, Miß Lacey. Ein betagter Vierunddreißiger."
Christina betrachtete ihn. Sein Haar war wieder völlig durch-
einander, als ob es vom Wind zerzaust worden wäre. Der bewusst
kühle Ausdruck seines Gesichts stimmte nicht mehr. Ganz plötzlich
sah er wie ein sehr verwundbarer Mensch aus, der sich nach Zärt-
lichkeit sehnt.
„So alt ist das nun auch wieder nicht", tröstete sie ihn. „Herzlichen
Glückwunsch."
Ohne nachzudenken, ging sie die paar Schritte zu ihm, legte ihre
Hände auf seine Schultern, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab
ihm einen leichten Kuß.
„Hallo, Miß Lacey. Das ist ja geradezu eine Sensation, dass Sie
mich küssen. Aber war das der glühendste Kuß, den Sie zu bieten
haben?" setzte er leise hinzu und bemerkte, wie ihr die Röte in die
Wangen stieg.
„Natürlich nicht, aber zu einem anderen bin ich nicht bereit."
„Ich werde mir Mühe geben, das zu glauben."
Sie ging sofort in die Falle, legte ihre Hände um sein Gesicht und

61
versuchte, seinen Mund zu erreichen. Er blieb hoch aufgerichtet
stehen, so dass sie nur bis zu seinem Kinn kam.
Christina erwartete, dass er seine Arme um sie legte, aber er blieb
weiterhin unbeteiligt stehen. Gereizt durch seine Gleichgültigkeit,
trat sie so dicht an ihn heran, dass sie ihn mit dem Oberkörper be-
rührte. Ihre Hände fuhren durch sein Haar, sanft umfasste sie die
Rundung seines Hinterkopfes. Es ging nicht mehr nur um einen
Gratulationskuß. Als er seinen Kopf neigte, strich sie spielerisch mit
ihren Lippen über seinen Mund.
Die Berührung löste eine solch heftige Sehnsucht in ihr aus, dass
alle Fesseln zersprangen, die sie sich selbst angelegt hatte. Daniel
atmete tief ein, nahm sie in seine Arme und vollendete den Kuß.
Christina wusste nicht, was ihr mehr zu Kopf stieg, der Triumph oder
die leidenschaftliche Liebkosung.
Viel zu schnell hob Daniel seinen Kopf wieder. Sie sah zu ihm auf.
Ihre veilchenblauen Augen waren halb hinter den dunklen Wimpern
verborgen. Um ihren Mund lag ein wissendes Lächeln. Da zog er sie
noch einmal mit aller Kraft an sich und küßte sie wild. Seine Sinn-
lichkeit übertrug sich auf sie und ließ ihr Blut schneller pulsieren.
Voller Entzücken legte Christina ihre Hände auf seine Hüften, stellte
sich auf die Zehenspitzen und erwiderte den Kuß mit einer un-
beschreiblichen Inbrunst.
Als er sie losließ, lächelte er verschmitzt. „Ich danke Ihnen, Miß
Lacey, das war sehr schön. Sie machen sich ganz gut. Jetzt aber
schnell, der Pilot wartet."
Sie schämte sich innerlich über ihn unkontrolliertes Verhalten,
blieb aber äußerlich ganz gelassen.
„Vielen Dank, Mr. Belmont, ein solches Kompliment von Ihnen
bedeutet eine Menge. Ich hoffe, der Rest des Geburtstags wird eben-
so erfreulich für Sie."
„Da bin ich ganz sicher. Sie haben doch Miß Manning die Blumen
geschickt, wie ich es angeordnet hatte?"
Christina zog gerade ihren weißen Blazer an. Warum stellte er ge-
rade jetzt diese Frage?
„Natürlich. Habe ich jemals eine Anordnung von Ihnen nicht be-

62
folgt?
Auf Wiedersehen, Mr. Belmont."
„Guten Flug, Miß Lacey. Ich sehe Sie dann morgen."
„Daran brauchen Sie mich nicht zu erinnern", sagte sie leise und
stürmte zur Tür.
„Miß Lacey."
Sie blieb stehen und blickte über die Schulter zurück. „Ja, bitte?"
„Vielen Dank für dieses schöne Geburtstagsgeschenk."
Eine Sekunde war sie verdutzt, dann wusste sie, dass er den Kuß
meinte. Sie drehte sich ganz zu ihm um und sah ihm in die Augen.
Aller Spott war verschwunden.
„Ich habe es gern getan", sagte sie weich.
Daniel lächelte und ging langsam zu seinem Schreibtisch. „Miß
Lacey?"
Wieder hielt seine Stimme sie fest. Ihr Herz schlug schneller.
„Vierunddreißig Jahre alt zu werden, ist gar nicht so schlimm",
sagte er nachdenklich.
Um ihre Ergriffenheit nicht zu zeigen, gab sie sich burschikos:
„Von hier sehen Sie auch gar nicht so vorgealtert aus. Sie haben sich
bemerkenswert gut gehalten für einen Mann in diesen Jahren."
Daniel senkte schnell den Kopf, suchte in den Papieren und reichte
ihr dann eine Mappe mit Papieren. „Bitte geben Sie das Diana, wenn
Sie hinausgehen. Ich brauche den Bericht in dreifacher Ausfertigung
und, wenn möglich, ohne Fehler. Ach, und sagen Sie Rodney Be-
scheid, wenn Sie vielleicht eine Stunde länger bleiben wollen …" Er
hob die Schultern.
„Danke. Vielen Dank. Wo sind eigentlich Ihre Eltern begraben?"
fragte Christina.
„Vater hier, Mutter in Kalifornien." Er lachte kurz. „Ziemlich um-
ständlich. Aber jetzt müssen Sie gehen. Bis morgen dann."
„Ja. Bis morgen."
Sie lächelten beide, weil diese Worte Gemeinsamkeit bedeuteten.
Christina verließ das Büro. Wie schön dieser Tag für sie geworden
war!
Als die Stadt unter ihr in Wolken verschwand, schüttelte sie noch

63
einmal ungläubig den Kopf über den Mann, der ihr diesen Tag zum
Geschenk gemacht hatte. Würde sie Daniel Belmont jemals richtig
kennen lernen? Sie musste schmunzeln. Kannte Daniel Belmont sich
selber richtig?

64
5. KAPITEL

Es fiel Christina nicht leicht, sich an die unglaubliche Hitze des


texanischen Sommers zu gewöhnen.
„In Ohio ist es in den Monaten Juli und August auch sehr heiß, aber
ich hatte nie das Gefühl, in einer Sauna zu sein", erzählte sie Mrs.
Coyle.
„Nun, wir haben herrliche Herbsttage, angenehme Winter, und
auch der Frühling ist schön. Was bedeuten da drei Monate Hitze",
erklärte Mrs. Coyle begütigend.
Im September blieb es noch heiß, aber im Oktober wurde das Wet-
ter wunderbar. Der Herbst in Texas war tatsächlich wie vergoldet.
Christina erfreute sich an der landschaftlichen Schönheit.
Das einzige, was ihr fehlte, war ein Mensch, mit dem sie ihre Freu-
de teilen konnte. Erst heute morgen hatte sie Daniel auf den köstlich
frischen Duft der Herbstluft aufmerksam gemacht. Und was hatte sie
als Antwort bekommen? Ein unwilliges Knurren und einen säuer-
lichen Blick.
Christina warf den Bademantel ab und tauchte in das kühle Wasser
des Swimmingpools. Sie schwamm schnell viermal von einer Seite
des Beckens zur anderen, dann legte sie sich auf den Rücken und ließ
sich treiben. Sie hatte den Pool ganz für sich allein.
Wie schnell man sich doch an Luxus gewöhnen konnte! Bevor sie
nach Texas gekommen war, hatte sie noch nie in einem großen Hotel
gewohnt. Sie war nie in einem kleinen Flugzeug geflogen und hatte
auch das Vergnügen nicht kennen gelernt, in einem Lokal eine Spei-
se zu bestellen, ohne vorher nach dem Preis zu sehen. Was für ein
trauriges, vereinsamtes und unerfahrenes Kind ich war, bevor Daniel
Belmont in meinen Wagen fuhr, dachte sie erheitert.
Nicht nur unwissend, auch streitsüchtig, gestand sie sich ein, wenn
sie an den Abend dachte, an dem Daniel sie eingestellt hatte. Sie war
schnell erwachsen geworden, war gelassen und sicher im Auftreten.
Jedenfalls wirkte sie so nach außen. Wie es in ihrem Innern aussah,
darüber wollte sie lieber nicht nachdenken.

65
Christina stieg aus dem Schwimmbecken, schlang ein Badetuch um
sich und warf ihr langes Haar nach hinten. Mit den Händen strich sie
es glatt. Sie fühlte sich wunderbar erfrischt und gestärkt genug, um
dem festlichen Essen heute Abend gefasst entgegenzusehen. Den
Bademantel legte sie sich um die Schultern und ging über den ge-
pflegten Rasen zu den Umkleidekabinen.
Die Stadt, in der sie sich gerade befanden, war so hübsch wie aus
einem Bilderbuch. Es war ihre dritte Reise nach San Antonio.
Als Christina ihre Zimmertür öffnete, blieb sie überrascht auf der
Schwelle stehen. Auf dem Tisch stand ein herrlicher Strauß Orchi-
deen. Hoffentlich sind sie nicht von Gregory, dachte sie, und ihre
Freude verging ein bißchen. In letzter Zeit hatte er sich so be-
nommen, als gehörte sie ihm.
Für sie war Gregory nur ein angenehmer Gesellschafter auf Zeit,
nicht mehr. Aber diese Blumen waren wunderschön. Christina be-
rührte eine Blüte. Sie sah aus wie ein leuchtender exotischer Schmet-
terling. Da entdeckte sie die Karte. Schreck durchfuhr sie. Wie gut
sie diese energische Handschrift kannte. Sie las laut, und die Freude
kehrte zurück.
„Meine besten Wünsche für diesen Tag und die weitere ge-
meinsame Zusammenarbeit, Miß Lacey. Die vergangenen sechs
Monate waren sehr interessant. Daniel Belmont."
Christina ließ Bademantel und Handtuch fallen und machte einen
Freudensprung. Sechs Monate, überlegte sie, lief ins Badezimmer
und ließ Wasser in die Wanne laufen. Sechs Monate mit den auf-
regendsten Tagen, die sie je erlebt hatte! Sie liebte ihre Arbeit.
Natürlich hatte es Zeiten gegeben, in denen sie vor Wut geschäumt
hatte, aber insgesamt führte sie ein Leben mit den köstlichsten Ab-
wechslungen.
Sie hatte mit interessanten Leuten zu tun, sah viel von der Welt und
lernte, sich mit einem Chef auseinanderzusetzen, bei dem man nie
weiß, was ihm in der nächsten Sekunde einfällt. Nie wieder würde
sie in einem normalen Betrieb arbeiten können.
Christina stieg in das duftende Badewasser und ließ ihre Gedanken
weiterwandern. Zugegeben, diesen luxuriösen Lebensstil genoss sie

66
mit Freuden, aber in erster Linie war es doch der Mann, der für sie
den Ausschlag gab. Das machte alles so wunderbar.
Ihre ständig unter Spannung stehende Verbindung hatte sich nur
wenig verändert. Er war noch derselbe spöttische, überhebliche
Mann, der sie mit der geringsten Berührung in einen Rausch der
Leidenschaft versetzen konnte und andererseits mit seiner ironischen
Art zu Wut und Tränen reizte. Aber niemand anders hatte ihr vorher
so zum Bewusstsein gebracht, dass sie eine Frau war.
Durch ihn war sie auch zu einer wertvollen Mitarbeiterin von
„Belmont Enterprises" geworden. Sie hatte Daniel, der ihre Fähig-
keiten erkannt und entwickelt hatte, viel zu verdanken. Das Bewusst-
sein, gebraucht zu werden und gut zu sein, gab ihr Sicherheit. So war
sie in der Lage, auch die gereizten Stimmungen Daniels zu ertragen.
Schließlich hatte sie auch die Empfindlichkeit gegenüber Zeitungs-
berichten über die „bezaubernde Sekretärin" überwunden. Wenn sie
mit Daniel in der Öffentlichkeit auftrat, war seine Haltung einwand-
frei. Er benahm sich stets korrekt und wenn Skandalreporter aus
seiner charmanten Liebenswürdigkeit ihre Schlüsse zogen, so war
das nicht seine Schuld. Er beschützte sie, soweit er konnte, vor Ver-
leumdungen, und sie wusste das zu schätzen.
Trotz der Ankündigung einer bevorstehenden Verlobung hatte Miß
Manning den begehrtesten Junggesellen der Stadt noch nicht für sich
gewinnen können. Christina hatte sehr schnell erkannt, dass nichts
und niemand Daniel Belmont zwingen konnte, etwas zu tun, was er
nicht wollte.
Sie konnte nicht anders, als für jede Frau Mitleid zu empfinden, die
sich vergeblich darum bemühte, Daniels Frau zu werden. Noch im-
mer traf sich Daniel mit Lisa, aber Christina brauchte nun keine
Blumen mehr an sie zu schicken. Und wenn sie an Daniels Blick
dachte, wenn Lisas Telefonanruf während der Bürostunden seine
intensive Arbeit unterbrach, hatte sie das Gefühl, er hielt sie für
lästig.
Zum Glück nahm Christina auch Zeitungsfotos nicht ernst, auf de-
nen Daniel mit anderen Frauen zu sehen war. Manchmal hatten sich
zwei oder drei gleichzeitig an ihn gehängt. In der Mehrzahl waren sie

67
nicht gefährlich. Nur seine Einstellung Frauen gegenüber enttäuschte
Christina. Er meinte, Frauen seien für ihn da, sich mit ihnen zu amü-
sieren, sie wie Trophäen zu sammeln und sie fallen zu lassen, wenn
sie ihm langweilig geworden waren.
Plötzlich fror sie. Das Badewasser war kalt geworden, und sie hatte
mit ihren Träumereien kostbare Zeit vertrödelt. Schnell duschte sie
noch einmal heiß, frottierte sich gründlich und trat vor ihren Frisier-
tisch.
Über das Privatleben ihres Chefs wusste sie wenig, aber sie kannte
seine Vorliebe für auffallende Farben. Besonders Rot in den ver-
schiedensten Schattierungen liebte er. Das Modellkleid, das sie aus
dem Karton nahm, war ein orangeroter Traum aus Seidentaft.
Das Oberteil wurde durch zwei schmale Goldbänder gehalten, die
im Nacken zu verknoten waren. Der Rücken war bis zur Taille frei.
Glücklich betrachtete sie ihre erfreuliche Erscheinung. Heute Abend
würde sie Daniel vielleicht einmal für sich allein haben. Wie sie
wusste, sollte es bei dem Festessen keine geschäftlichen Gespräche
geben. Dass er dennoch ihre Anwesenheit wünschte, hatte er ihr mit
kurzen Worten erklärt: „Heute haben Sie nur eine gesellschaftliche
Aufgabe, Miß Lacey, keinen Dienst. Sie sollen sich unterhalten."
Ihre freudige Überraschung hatte sie zu verbergen versucht und ihn
auch nicht weiter gefragt. Er konnte seltsam reagieren, wenn sie zu
viel wissen wollte.
Das Telefon läutete. Christina beeilte sich, den Hörer abzunehmen.
Es konnte ja nur Daniel sein. Gregorys Stimme verwirrte sie etwas.
Er berichtete, dass er an dem Essen teilnehmen würde und sich freu-
te, sie dort zu sehen.
Christina antwortete einsilbig, während Gregory redete und redete.
Sie war in Gedanken völlig abwesend. In der vergangenen Woche
hatte Gregory sie gefragt, ob sie ihn heiraten wollte. Sie hatte ihn
zunächst hingehalten, aber er kam immer wieder darauf zurück und
forderte eindringlich eine Antwort.
Ihren Einwand, dass sie ihn nicht liebe, wollte er nicht anerkennen.
Gregory meinte, er habe genug Liebe für sie beide.
Als sie Gregorys Antrag gelegentlich Daniel gegenüber erwähnte,

68
hatte er in seiner üblichen spöttischen Art geantwortet: „Er ist eine
ganz gute Partie. Wenn Sie wollen, ziehe ich Erkundigungen über
sein Bankkonto ein, damit Sie wissen, womit Sie rechnen können."
Als ob es ihr auf Geld angekommen wäre! Wütend wollte sie ihm
antworten, aber sie sah an seinem Gesicht, dass es nicht zu empfeh-
len war. So nahm sie sich zusammen und sagte nichts. Im Grunde
interessierte ihn das ja gar nicht. Er war nicht einmal eifersüchtig.
Sofort nach Beendigung des Gesprächs mit Gregory läutete das Te-
lefon wieder. Diesmal war es Daniel.
„Miß Lacey, kommen Sie bitte gleich mal herüber." Damit legte er
auf.
Wenn er in diesem Ton sprach, erwartete er, dass sie sofort kam. Es
war nicht geraten, ihn warten zu lassen.
Seufzend ging Christina zur Seitentür und klopfte. Dass sie diese
Verbindungstür niemals abschloss, war ein Zeichen des Vertrauens
gegenüber dem Mann, der Wand an Wand mit ihr schlief.
Nach seinem kurzen „Herein!" trat sie ins Zimmer und schloss die
Tür hinter sich. Wie schon so oft fühlte sie sich unwiderstehlich zu
ihm hingezogen. Er stand mit dem Rücken zu ihr am Fenster und
hatte ein Schriftstück in der Hand. Abendhose, Hemd und Schuhe
hatte er schon an, trug aber einen Morgenmantel darüber. Sein Haar
war noch feucht vom Duschen. Christina roch den herben Duft seines
Toilettenwassers.
Er drehte sich um. „Miß Lacey, haben Sie …"
Christina hatte das Gefühl, als schwebe sie zwischen Zeit und
Raum, während er sie mit verzehrenden Blicken von oben bis unten
ansah. Für Sekunden hatte er seine sonst so reservierte Haltung ver-
loren. Unverhüllte Bewunderung sprach aus seinen Augen. „Miß
Lacey, Sie sind wunderschön", sagte er mit angehaltenem Atem.
Die seltsame Intensität seiner Musterung, die Erregung, die seine
anerkennenden Worte in ihr auslösten, ließen sie zunächst wie er-
starrt stehen bleiben. Er hatte sein Hemd noch nicht ganz zugeknöpft,
so dass sie die schwarzen, lockigen Haare auf seiner Brust sah. Ihr
Herz hämmerte. Stolz hob sie den Kopf. Ihr Haar war noch nicht
fertig frisiert. Die schwere, seidige Masse umspielte ihre nackten

69
Schultern.
„Kommen Sie zu mir." Daniels Stimme klang etwas heiser.
Christina ging wie im Dämmerzustand auf ihn zu. Bei jedem
Schritt knisterte das Taftkleid.
„Drehen Sie sich langsam um", forderte er leise.
Graziös hob sie die Arme über den Kopf und drehte sich mit
schwingendem Rock um sich selbst, bis sie wieder so stand, dass sie
ihm in die Augen sehen konnte.
Würde er sie küssen? Sie sehnte sich so sehr danach. Es war lange
her, dass sie seine Arme um sich gespürt hatte. In stummer Be-
wunderung ging Daniel um sie herum. Christina blieb unbeweglich
stehen. In diesem orangeroten Kleid war sie eine einzige Verführung,
ohne dass sie sich dessen bewusst war. Dann fühlte sie die leichte
Berührung seiner Lippen auf ihrer Schulter. Sie brannten wie Feuer
auf ihrer Haut.
„Was für ein wundervolles Parfüm!" Er drehte Christina zu sich
herum und betrachtete sie noch einmal. „Gratuliere. Prüfung be-
standen", sagte er in seiner üblichen sachlichen Art, aber seine
Augen drückten etwas ganz anderes aus.
„Ich bin entzückt", antwortete sie trocken. „Und danke für die au-
ßergewöhnlichen Orchideen. Sie sind herrlich."
„Keinen Dank, bitte. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß sich sol-
che kleinen Aufmerksamkeiten reichlich lohnen. Bei Frauen wie bei
Angestellten."
„Da mögen Sie recht haben. Die Blumen sind so prachtvoll, da ha-
be ich gedacht . . . warum mussten Sie alles verderben?" fragte Chri-
stina leise. „Ich hatte mich so gefreut."
„Ich wollte nichts verderben, Miß Lacey." Seine unbedachte Äuße-
rung tat ihm offensichtlich leid. „Ich habe sie speziell für Sie aus-
gesucht. Für gewöhnlich schenke ich meinen Mitarbeiterinnen keine
Orchideen. Auch keiner anderen Frau."
Hoffnungsvoll sah sie zu ihm auf. Da umschlang er sie plötzlich,
zog sie an sich, und ihre Lippen fanden sich zu einem atem-
beraubenden Kuß.
Christinas Hände glitten in den Ausschnitt seines Hemdes, strichen

70
zart über die weichen Haare seiner Brust bis nach oben und um-
fassten seine Schultern.
Daniels Lippen wurden fordernder. Voller Leidenschaft presste er
sie an sich. „Christina. Christina", flüsterte er an ihren Lippen, wäh-
rend seine Hände liebkosend über ihren nackten Rücken wanderten
und sich dann um ihre Hüften legten.
Nur vage nahm sie diese intime Berührung wahr. Sie befand sich in
einem Taumel der Gefühle und umklammerte seine Schultern, hielt
sich an ihnen fest. Das Glück, in seinen Armen zu liegen, seinen
harten Körper dicht an ihrem zu spüren und mit solcher Inbrunst
geküßt zu werden, raubten ihr fast den Verstand.
Sie beugte ihren Kopf nach hinten, als Daniel ihr eine Reihe von
zärtlichen kleinen Küssen auf den Hals bis hinunter zum Ansatz ihrer
Brüste gab. Sie revanchierte sich mit Küssen in die Beuge seines
Halses bis hinauf zu seinem Ohr. Spielerisch biss sie sanft in sein
Ohrläppchen. Er zuckte zusammen und zog sie noch heftiger an sich.
Die Glut der Leidenschaft war erneut entfacht und wuchs weiter, bis
sie sich atemlos voneinander lösten, aber nur, um Luft zu holen.
Christina konnte und wollte das warnende Signal in ihrem Innern
nicht beachten. In diesen Augenblicken äußerst erregter Sinnlichkeit
war sie sich nur dieses Gefühls bewusst. Daß dieser Mann sie be-
gehrte, sie allein in diesem Augenblick, war ein überwältigendes
Glück für sie.
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, umfasste sein Gesicht mit den
Händen und zog seinen Kopf zu sich herunter. Ihr Kuß war hungrig
und wild.
„Liebling, mein Liebling", flüsterte Daniel voller Verlangen. Die
Worte klangen wie Musik in ihren Ohren, und sie küßte ihn wieder.
Unerwartet und fast etwas grob schob er sie dann von sich, hielt sie
noch einen Moment an den Schultern fest, dann ließ er sie los. Chri-
stina seufzte enttäuscht und sah ihn mit großen Augen an. Er konnte
ihren Blick nicht ertragen und wandte sich zum Fenster um, so als
müsse er gegen sich selbst ankämpfen. Eine Hand verkrampfte sich
über dem Fensterriegel. Christina hatte sich Halt suchend an einen
Tisch gelehnt.

71
Wieso hatte er das getan? Warum hatte er sie von sich geschoben?
Er musste doch gespürt haben, wie bereit sie gewesen war, ihm zu
gehören. Scham stieg in ihr auf. Mit inbrünstiger Leidenschaft hatte
sie auf seine Zärtlichkeiten reagiert, wieder einmal.
Als Daniel endlich sprach, sah sie wieder das altbekannte, spötti-
sche Lächeln um seinen Mund.
„Miß Lacey, Sie haben sich selbst übertroffen und können einen
Mann ganz schön in Glut bringen, das muss ich zugeben." Dabei ließ
er eine Strähne ihres seidigen Haares langsam durch seine Finger
gleiten. „Haben Sie geübt? Mit Gregory vielleicht?"
Das war ein verletzender Angriff. Hastig schob sie seine Hand fort
und ging zur Tür.
„Warum laufen Sie weg, Miß Lacey?" reizte er sie weiter.
Sie drehte sich um. „Sie sind mit Abstand der bösartigste Mensch,
den ich je getroffen habe", rief sie aufgebracht.
„In zwanzig Minuten hole ich Sie ab, Miß Lacey. Bitte, seien Sie
fertig", erwiderte er ungerührt.
Unfähig zu sprechen, schlug Christina die Tür hinter sich zu. Seine
Orchideen schimmerten rosafarben in der Dämmerung ihres Zim-
mers. Es lockte sie, die Vase mit den Blumen gegen die Wand zu
schleudern, aber dann brachte sie das doch nicht zustande. Wütend
umrundete sie ein paar Mal den Tisch, dann zwang sie sich zur Ruhe.
„Sei vernünftig", sagte sie laut zu ihrem Spiegelbild." Er hat dich
geküßt. Was bedeutet das schon? Und du warst es, die ihn dazu an-
geregt hat, erinnerst du dich?"
Ihr Stolz überwand die Scham und die verletzten Gefühle. Als ge-
nau zwanzig Minuten später Daniels festes Klopfen ertönte, ging sie
gefasst zur Tür und öffnete.
„Ich hoffe, Sie sind bereit, Miß Lacey."
Diese offizielle Anrede klang seltsam nach dem, was gerade ge-
schehen war. Aber er machte ihr in diesem Moment eben wieder
einmal klar, dass er ihr Chef war.
„Wie Sie sehen", erwiderte sie freundlich, als wäre nichts ge-
schehen. Daniel lächelte und strich ihr sanft über das Haar. „Sie
sehen bezaubernd aus, Miß Lacey." Da begann ihr Herz wieder höher

72
zu schlagen.
Warum hat Daniel so viel Macht über mich? überlegte Christina,
als er sie zum Fahrstuhl des Hotels führte. Wie konnte er mit einer
einzigen Geste oder einem einzigen sanften Wort dieses Begehren in
ihr auslösen? Wie war es möglich, dass sie sich so sehnsüchtig
wünschte, sein Gesicht in die Hände zu nehmen und ihn liebevoll zu
küssen? Dabei hätte sie ihn in diesem Augenblick schlagen können.
Erschrocken über die Kraft ihrer Gefühle sagte sie drohend: „Mr.
Belmont…"
„Bleiben Sie ganz ruhig. Da hinten sind schon wieder Fotografen",
warnte er leise. Dann nahm er besitzergreifend ihren Arm und betrat
mit ihr den Lift.
Was war es nur? dachte sie weiter. Selbst in Augenblicken der Wut
musste sie gegen ihr Gefühl ankämpfen, das sie für diesen Mann
empfand. In dem mitternachtsblauen Smoking und dem weißen ge-
fältelten Hemd mit brillantbesetzten Manschettenknöpfen sah er
wieder unwahrscheinlich gut aus. Sie blickte so finster vor sich hin,
dass er den Kopf zurückwarf und lachte.
„O Miß Lacey, was würde ich ohne Ihre Temperamentsausbrüche
anfangen, die mein langweiliges Leben so farbig machen", neckte er
sie. In seinen Augen schienen Funken zu tanzen. Am liebsten hätte
Christina mitgelacht.
Zu ihrer Enttäuschung wurde sie bei dem Festessen neben Gregory
Stafford gesetzt. Daniel begrüßte ihn, nickte Christina freundlich zu
und ging quer durch den Saal. Wenige Minuten später kam er in
Begleitung einer brünetten Schönheit mit gelbbraunen Augen zurück.
Nachdem die Dame Christina und Gregory vorgestellt worden war,
wandte sie sich ganz Daniel zu.
Christina starrte auf Daniels breiten Rücken und ballte die Fäuste,
als sie ihn über etwas, das die Frau mit dunkler Stimme gesagt hatte,
lachen hörte. Von einer Tischdame hatte er ihr nichts erzählt. Im
Gegenteil, er hatte sie in dem Glauben gelassen, dass sie diesen
Abend mehr oder weniger allein verbringen würden.
Plötzlich drehte sich Daniel um, beugte sich zu ihr hinunter und
sagte dicht an ihrem Ohr: „Miß Lacey, ich fühle einen Dolch in mei-

73
nem Rücken."
Wenn ich nur einen hätte, stöhnte sie innerlich.
„Ruhig, ganz ruhig. Denken Sie daran, dass wir beobachtet wer-
den", flüsterte er mit hämischem Lächeln.
Schnell sah sie sich um. Daniel hatte recht. Schon wieder wimmelte
es von Reportern. Sie versuchte, ein unbeteiligtes Gesicht zu ma-
chen. „Schon gut, Mr. Belmont", flüsterte sie mit knirschenden Zäh-
nen.
„Und keine Wutanfälle in der Öffentlichkeit, wenn ich bitten darf.
Kümmern Sie sich um Gregory. Er sieht beklagenswert ver-
nachlässigt aus", schlug er sanft vor.
Nur mit großer Mühe hielt sie sich zurück. Dass Daniel sie heute
abend Gregory in die Hände gegeben hatte, würde sie ihm nie ver-
zeihen. Immer wieder brachte er es fertig, ihr Blut in Wallung zu
bringen.
Daniel beobachtete mit Interesse Christinas Mienenspiel. „Amüsie-
ren Sie sich gut, Miß Lacey", murmelte er, wandte sich um und be-
grüßte einen neuen Gast.
Obwohl Gregory alles tat, um sie zu unterhalten, langweilte sie sich
tödlich. Sobald es nur möglich war, entschuldigte sie sich bei ihrem
Tischherrn. Sie brauchte frische Luft. Aber Gregory ließ sich nicht so
leicht abschütteln. Er folgte ihr in den Garten.
Christina und Gregory spazierten über den mondbeschienenen Ra-
sen. Er ging ein wenig unsicher, weil er zu schnell zu viel getrunken
hatte, und redete ununterbrochen auf sie ein.
Die kühle Brise war angenehm. Christina blieb einen Moment ste-
hen und hob ihr Gesicht dem Wind entgegen. Da riss Gregory sie in
seine Arme und küßte sie mit feuchten Lippen. Wie in einer Reflex-
bewegung hob sie die Hand und versetzte ihm eine Ohrfeige. Dann
befreite sie sich aus seiner Umklammerung und rannte erschrocken
und beschämt zum Hotel zurück.
Als sie um die Ecke bog, stieß sie unsanft mit Daniel zusammen. Er
hielt sie fest, sah ihr entsetztes Gesicht.
„Was ist passiert, Christina?" Er nahm ihren Arm.
Sie holte tief Luft. „Nichts. Gar nichts", stammelte Christina. „Ich .

74
. . ich habe nur frische Luft gebraucht. Jetzt möchte ich in mein
Zimmer gehen."
Da entdeckte Daniel Gregory in einiger Entfernung. Noch einmal
sah er in ihr aufgewühltes Gesicht, dann ließ er sie los.
„Natürlich, ich verstehe. Gehen Sie, und schlafen Sie gut, Miß La-
cey." Eine Spur von Verachtung lag in seiner Stimme.
Christina hob den Kopf. Ihre großen Augen blickten ungläubig.
„Gute Nacht", sagte sie kurz.
Sie lief an Daniel vorbei in die Hotelhalle und weiter zum Fahr-
stuhl. Ihr Ärger verging allmählich, aber zurück blieb ein stechender
Schmerz.
In ihrem Zimmer angekommen, begann Christina zu zittern. Sie
kreuzte die Arme über der Brust und lehnte sich an die Wand. Da
klopfte es. Ihr Herz pochte bis zum Hals. Als sie öffnete, stand Gre-
gory in der Tür.
„Was willst du von mir?" fragte sie beherrscht.
„Du glaubst wohl, ich bin ein Narr, Christina. Ein leichtgläubiger
Idiot, der dir all deine Märchen glaubt", schrie er sie an.
„Gregory, was soll das? Ich verstehe dich nicht."
Er kam in ihr Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. „Du ver-
stehst mich sehr gut", wütete er weiter. „Daniel Belmonts Geliebte."
„Das ist doch Unsinn, Gregory", antwortete Christina sachlich. „Du
irrst dich."
„Du hinterhältige Lügnerin."
Er fasste sie an den Schultern und schüttelte sie. Christinas er-
schrockener Aufschrei wurde durch seinen harten Kuß erstickt. An-
geekelt versuchte sie, sich aus Gregorys Griff zu befreien. Mit hal-
bem Ohr hörte sie, wie Daniel nebenan sein Zimmer betrat. Es war
unmöglich, um Hilfe zu rufen. Wie würde er das wohl aufnehmen?
Er musste diese peinliche Szene völlig falsch verstehen.
Gregorys Umarmung wurde drängender. Er tat ihr weh. Trotz aller
Bemühungen entrang sich ihr ein protestierender Laut. Da klopfte es
scharf an ihre Tür.
„Miß Lacey? Ist alles in Ordnung?" Daniel klopfte noch einmal.
Gregory war viel zu beschäftigt, um den besorgten Ton in Daniels

75
Stimme zu erkennen. Erst als die Tür aufgerissen wurde und Daniel
ins Zimmer stürmte, hob er den Kopf von Christinas Gesicht. Grego-
ry ließ Christina nicht los. Es herrschte eine spannungsgeladene
Stille. Christina war wie erstarrt. Sie konnte sich nicht bewegen und
sah von einem zum anderen.
Plötzlich wurde sie sich der Situation bewusst, befreite sich aus
Gregorys Armen und fuhr sich mit den Händen über das Haar. War-
um sagt denn niemand etwas? dachte sie. Daniels Blick lähmte sie.
„Entschuldigen Sie, Miß Lacey", brachte Daniel hervor, als er
langsam begriff. „Ich hörte Geräusche und habe sie wohl missver-
standen. Pardon, Gregory, ich wollte nicht stören." Er öffnete mit
einem Ruck die Tür und zog sie hinter sich zu.
Endlich kam Christina wieder zu sich. „Hinaus, Gregory, geh. So-
fort", rief sie ihm fast hysterisch zu. Die Verachtung, die sie in Da-
niels Blick gesehen hatte, machte sie elend.
Gregory war erschrocken. Er erkannte plötzlich, was er angestellt
hatte. „Christina, ich … ja, schon gut. Ich gehe", murmelte er, öffnete
die Flurtür und verließ den Raum.
Schluchzend warf sich Christina auf die Couch. Sie spürte Daniels
Gegenwart förmlich durch die Wand. Sie wollte zu ihm gehen, sich
in seine Arme werfen, sich an ihn klammern. Wie benommen stand
sie auf. Erst an der Zwischentür zu Daniels Zimmer besann sie sich.
Ein Blick in den Spiegel genügte, um ihr klarzumachen, dass sie in
diesem Zustand Daniel nicht gegenübertreten konnte. Sie bedeckte
das Gesicht mit den Händen und weinte lautlos.
Gregorys plötzlicher Ausbruch und seine Beschuldigung gingen ihr
nicht aus dem Kopf. Ängstlich überdachte sie die Geschehnisse des
Abends, aber nichts Verfängliches war geschehen. Daniel hatte sie
praktisch nicht beachtet, und sie hatte genau das gleiche getan.
Gregory wusste nichts, er konnte nichts wissen. Er war außer sich
geraten und hatte Vermutungen geäußert, weiter nichts. Der Fall
Daniel war viel schwieriger. Er hatte die Situation falsch verstanden
und geglaubt, sie und Gregory hätten Zärtlichkeiten ausgetauscht und
er habe dabei gestört. In ihrem Interesse musste sie das klären. Sie
durfte nicht zulassen, dass Daniel annahm, zwischen ihr und Gregory

76
gäbe es eine Beziehung.
Christina wusch ihr Gesicht, kämmte sich die Haare, dann klopfte
sie beherzt an Daniels Tür. Als sie sein kurzes „Herein" hörte, öffne-
te sie, ging ins Zimmer und sah ihn verängstigt an.
Er machte eine ungeduldige Bewegung. „Ja, Miß Lacey?"
„Bitte, Mr. Belmont, Sie dürfen … ich möchte …" Dann verließ sie
der Mut.
Sein Gesichtsausdruck war ärgerlich. „Miß Lacey, Sie wollen doch
wohl nicht gleich zwei Männer in einer Nacht verführen. Reicht
Gregory Ihnen nicht?" fragte er ernst.
„Bitte, ich möchte Ihnen alles erklären. Was Sie gesehen haben …"
„War überzeugend, glauben Sie mir", unterbrach er sie leise. „Ich
muß zugeben, es hat mich überrascht. Aber Sie sind eben auch nicht
anders als die meisten Frauen: leichtfertig und flatterhaft."
Dieses ungerechte Urteil traf sie hart. „Nein", rief Christina be-
schwörend. „Es war nicht das, was Sie annehmen. Er ist mir gefolgt
und ist gewaltsam in mein Zimmer eingedrungen. Dann hat er mich
überrumpelt, ich schwöre es."
„Eingedrungen? Überrumpelt?"
Christina hob verzweifelt die Arme. „Ich meine, er ist einfach he-
reingekommen, ohne zu fragen. Ich habe ihn nicht eingeladen."
Daniels zornige Augen funkelten. „Zu dem, was ich gesehen habe,
brauchte er auf eine Einladung nicht zu warten", erwiderte er hart.
„Könnte das, was Sie gesehen haben, nicht ein Missverständnis
sein?"
„Vielleicht. Aber hatten Sie vorher nicht einen langen Spaziergang
im Mondschein gemacht? Und was die Überrumpelung betrifft, ich
hörte keine Protestschreie. Eher das Gegenteil", grollte er weiter.
„Das ist nicht wahr, und Sie wissen es genau. Sie haben den Lärm
gehört und kamen sofort…"
Daniel trat zu ihr und umfasste ihre Schultern. „Die einzigen Ge-
räusche, die ich hörte, waren kleine Ausrufe des Entzückens. Ich
weiß, was ich gesehen habe. Sie haben ihn dazu veranlasst, Sie haben
ihn herausgefordert. Ich kenne Sie, Miß Lacey." Seine Finger gruben
sich schmerzhaft in ihre Schultern.

77
„Nein, bitte, Sie tun mir weh", schluchzte sie.
„Tränen", sagte er bitter. „Diese wunderschönen Augen sind voller
Tränen. Christina!"
Er riss sie in seine Arme und küßte sie. Hilflos klammerte sie sich
an ihn und erwiderte seinen harten Kuß mit aller Liebe und Inbrunst,
die sie diesem Mann entgegenbrachte.
Mit einem erstickten Fluch schob Daniel sie von sich.
Hemmungslos drängte sie sich wieder an ihn. „Daniel, bitte. Bitte",
flehte sie und wusste selbst nicht, worum sie ihn bat. Sie vergaß ihre
ganze Selbstachtung.
Er sah ihr in das verweinte Gesicht. „Ich möchte, dass Sie jetzt ge-
hen, Miß Lacey. Ich bin müde und heute abend dafür nicht in Stim-
mung. Vielleicht ein anderes Mal."
Christina war von seinen erbarmungslosen Worten zutiefst be-
troffen. Sie liebte ihn innig und unwiderruflich. Die verwirrende
Erkenntnis machte sie doppelt schwach. Sie konnte sich kaum noch
auf den Beinen halten. Wie ein Kind wischte sie die Tränen mit dem
Handrücken fort und sah zu ihm auf. Es war ein neuer Schreck.
Die Maske, die er wie ein zweites Gesicht trug, war verschwunden.
Er sah jung und verletzlich aus. Seine Augen waren sehr dunkel und
ohne jeden Spott. Ein Daniel Belmont sah sie an, der Schmerz emp-
finden konnte wie jeder andere Mensch.
Ihr Herz schwoll an vor Liebe. Sie machte einen Schritt auf ihn zu.
Sie wollte ihn beruhigen, trösten, wollte ihm die Kraft zurückgeben,
die sie an ihm kannte und schätzte.
Bevor sie ihn erreicht hatte, hob Daniel abwehrend die Hände. Der
Augenblick war vorbei. Sein Gesicht war wieder starr. „Miß Lacey,
ich würde Ihnen raten, ihren nächtlichen Besuch zu beenden. Oder
muss ich Sie mit Gewalt aus diesem Zimmer entfernen?
Ihre Hände fielen schlaff herab. Ich hätte wissen müssen, wie er
reagiert, dachte sie unglücklich. „Nein, das wird nicht nötig sein. Ich
bin auch sehr müde und gehe schon."
„Dass Sie müde sind, kann ich mir lebhaft vorstellen", stimmte er
ihr zu. „Liebeserlebnisse können anstrengend sein."
„Ich habe die Wahrheit gesagt", verteidigte sich Christina. Ihr Mut

78
kehrte zurück. „Gregory Stafford hat mich geküßt, ohne dass ich es
wollte. Es geschah nicht das, was Sie annehmen. Wenn Sie mir nicht
glauben wollen, dann …"
„Miß Lacey, was Sie in Ihrer freien Zeit tun, geht mich nichts an",
unterbrach sie Daniel. Er sah sie abweisend an.
Dem war nichts mehr hinzuzufügen, und selbst wenn sie es gewollt
hätte, die Tränen saßen so locker, dass Christina kein Wort riskieren
konnte. Sie nickte und drehte sich um.
„Schlafen Sie gut, Miß Lacey"
Sein spöttischer Ton traf sie hart. Sie ging, schloss die Ver-
bindungstür hinter sich und drehte dieses Mal den Schlüssel um.

79
6. KAPITEL

Völlig zerschlagen wachte Christina am nächsten Morgen auf. Die


ganze Misere des vergangenen Abends kam ihr wieder zu Bewusst-
sein. Schnell schlug sie die Decke zurück, streckte sich und massierte
eine schmerzende Schulter. Der Spiegel zeigte ihr die Folgen der
tränenreichen Nacht. Ihr Gesicht erschien weiß, die Augenlider wa-
ren geschwollen. Eine heiße Dusche, dann anschließend eine kalte
brachten einen Teil ihrer Kräfte zurück.
Beim Abtrocknen fasste sie gute Vorsätze. Sie wollte an die Vor-
kommnisse von gestern nicht mehr denken. Schon viel zuviel Zeit
hatte sie vertan, um immer wieder über ihr nächtliches Gespräch mit
Daniel zu grübeln. Wenn er nicht wieder davon anfing, sollte es nicht
mehr erwähnt werden. Sie musste ihre Gefühle zurückdrängen, wenn
sie weiter bei ihm arbeiten wollte. Und aufgeben konnte sie die Stelle
nicht. Ein Leben, das sein geliebtes Gesicht nicht beinhaltete, war
undenkbar für sie.
„Du musst verrückt sein, Christina", sagte sie laut und erinnerte
sich an das „geliebte Gesicht" vom Abend zuvor. Verrückt oder
nicht, sie konnte nicht anders. Ein Tag begann für sie erst dann, wenn
er „Guten Morgen. Miß Lacey" gesagt hatte, ganz gleich, in welcher
Stimmung er war.
Das einzige, was ihr niemals passieren durfte, war, sich zu verraten,
indem sie ihm ein Zeichen ihrer Liebe gab. Er würde das nur amü-
sant finden, dessen war sie sicher.
Da sie heute nach Hause fliegen würden, konnte sie sich bequem
anziehen. Sie wählte eine moosgrüne Flanellbluse, dazu einen dun-
kelgrünen, schwingenden Rock. Ein breiter schwarzer Ledergürtel
betonte ihre schmale Taille. Das Haar bürstete sie glatt nach hinten
und befestigte es mit einem Samtband. Schwarze halbhohe Sandalet-
ten und eine kleine Umhängetasche vervollkommnten ihren Aufzug.
Als sie sich prüfend im Spiegel betrachtete, nickte sie befriedigt.
Sie sah genau so aus, wie sie es gehofft hatte: sehr jung und un-
schuldig. Es war ihre einzige Verteidigung gegen Daniels scharfe

80
Zunge.
Gegen neun Uhr rief Daniel Christina telefonisch zu sich. Sie atme-
te tief und öffnete die Verbindungstür. Sein Wohnraum war übersät
mit Zeitungen. Verschiedene Tassen standen auf dem Tisch und auf
einer Anrichte. Auch Daniel schien schlecht geschlafen zu haben. Er
wirkte erschöpft, hatte müde Züge. Gekleidet war er perfekt wie
immer: in einer hellen Gabardinehose und einem mittelblauen Sei-
denhemd mit offenem Kragen.
Christina hatte ihn nachts noch weggehen hören, und es war schon
nach drei Uhr gewesen, als er zurückkehrte. Sie verdrängte die Über-
legung, was er wohl gemacht haben könnte.
Erst nach einer längeren Zeit hob er den Kopf, um ihre Anwesen-
heit zur Kenntnis zu nehmen. „Guten Morgen, Miß Lacey. Ich nehme
an, Sie haben gut geschlafen", begrüßte er sie misslaunig.
„Guten Morgen. Danke ja, ich hatte eine gute Nacht", log sie.
Daniel murmelte etwas vor sich hin und betrachtete sie ab-
schätzend. „Wollen Sie heute arbeiten oder tanzen gehen?" Ohne auf
eine Antwort zu warten, fuhr er fort. „Ich habe das Frühstück für uns
aufs Zimmer bestellt. So können wir diese Papiere noch durchgehen,
bevor wir abreisen. Ihr Telefon klingelt", rief er und zeigte auf ihre
Tür.
„Es wird nichts Wichtiges sein, glaube ich", wehrte Christina ab.
Sie hatte keine Lust, ihn herauszufordern. Seine Stimmung war ge-
fährlich.
„Hören Sie, Miß Lacey", sagte er hintergründig. „Etwas so Un-
wichtiges wie unsere Arbeit sollte Sie nicht von ihrem Liebesleben
abhalten."
„Mr. Belmont, wenn Sie mit mir über gestern abend diskutieren
wollen, tun wir es gleich. Dann können Sie mit diesen Anspielungen
aufhören", erwiderte sie leise.
„Ich will nicht diskutieren, und am vergangenen Abend bin ich
auch nicht interessiert. Ich will arbeiten. Glauben Sie, wir könnten
das schaffen?"
Sie wurde blass bei seinem Spott. Fast verlor sie ihre Haltung. Wa-
rum sieht er mich nur so voller Hass an? überlegte sie, den Tränen

81
schon wieder bedenklich nahe. Um irgendetwas zu tun, ordnete sie
einige Unterlagen. Wie sollte sie nur mit ihm arbeiten, wenn das so
weiterging? Es herrschte eine so feindselige Spannung, dass der
geringste Funke zu einem nicht wieder gutzumachenden Streit führen
musste.
Zu ihrer großen Erleichterung fing sich Daniel allmählich wieder.
Sie arbeiteten schweigend, besprachen das Programm für die kom-
menden Tage, fassten ein Protokoll anhand ihrer Aufzeichnungen ab,
Persönliches wurde nicht mehr erwähnt.
Gegen Mittag erhob sich Daniel und streckte seine Glieder. „Ich
habe eine Verabredung zum Essen", teilte er ihr mit „Und ich möchte
mich für mein Benehmen gestern abend entschuldigen. Auch für
meine schlechte Laune heute früh. Ich gebe zu, ich habe mich nicht
sehr gut gefühlt." Noch misstraute sie seinem entschuldigenden Lä-
cheln.
„Gut, ich nehme an unter der Bedingung, dass Sie mir glauben",
erwiderte sie kühl.
„Aber sicher." Er sah überrascht aus. „Ich dachte, das wäre längst
klar?"
Christina öffnete den Mund, schloss ihn aber sofort wieder. Es war
besser, sie sagte dazu nichts. Erst nach einer Weile fragte sie: „Was
habe ich heute nachmittag zu tun?"
„Der Rest des Tages gehört Ihnen. Ich habe einen Wagen mit
Chauffeur bestellt. Sie können sich die Sehenswürdigkeiten der Stadt
ansehen und einen Bummel durch die Geschäfte machen. Bis sechs
Uhr haben Sie Zeit. Um sechs Uhr dreißig reisen wir ab. Viel Spaß."
Christinas Zurückhaltung schmolz schon wieder dahin bei der un-
erwarteten Freude, die er ihr machte. Sie lächelte, dass sich die
Grübchen in ihren Wangen vertieften. Wirklich, dachte sie, Liebe
macht einen Menschen halb wahnsinnig. Sie strahlte. „Vielen Dank,
Mr. Belmont. Ich hoffe, Sie haben auch einen schönen Nachmittag."
„Danke, ich werde mein möglichstes tun. Also, amüsieren Sie sich.
Das ist ein Befehl."
Christina gehorchte so gut es ging. Die Stadt war hübsch, hatte ei-
nige berühmte Gebäude und hübsche Straßen zum Umherschlendern.

82
Sie fand ein paar Geschäfte, in denen sie Einkäufe machte. Kurz vor
sechs Uhr war sie wieder im Hotel.
Der Himmel hatte sich verdunkelt, und es begann stark zu regnen.
Fast erwartete sie Daniels Anruf mit der Nachricht, dass sich der
Abflug verzögern würde. Dann zog ein Gewitter herauf. Der heftige
Wind peitschte den Regen gegen die Scheiben.
Erst gegen acht Uhr kam Daniels überfälliger Telefonanruf.
„Ich habe mich entschlossen, erst morgen früh zu fliegen", infor-
mierte er Christina kurz. „Gute Nacht, Miß Lacey."
„Gute Nacht, Mr. Belmont", antwortete sie unsicher.
„Sie haben doch nicht etwa Angst vor dem Gewitter?"
„Nein, nein. Ich finde es aufregend, wenn ich nicht gerade im Flug-
zeug sitze."
Daniel lachte. „Also dann genießen Sie es vom Hotelzimmer aus."
Christina legte den Hörer auf. Sie fühlte sich einsam. Um die inne-
re Kälte zu überwinden, ließ sie sich Badewasser ein. Aber auch das
warme Bad half wenig. Jemanden zu lieben, der diese Zuneigung
nicht will, dachte sie traurig, ist eine schmerzliche Erfahrung. Aber
sie konnte die Liebe zu ihm nicht abstellen, ob er sie nun wollte oder
nicht.
Eingehüllt in ein großes Badelaken, nahm sie einen Morgenmantel
aus glänzendem Stoff in der Farbe wilder Veilchen aus dem Schrank.
Sie befestigte die Bänder unter der Brust zu einer Schleife. Der wei-
te, runde Ausschnitt ließ einen Teil ihrer Schultern und den Ansatz
ihrer Brüste frei. Vorwitzige kleine Locken fielen ihr in die Stirn und
über die Ohren. Sie hatte das lange Haar im Nacken zu einem losen
Knoten geschlungen. Christina war sich nicht bewusst, wie mäd-
chenhaft verführerisch sie aussah.
Rastlos ging sie in ihrem Zimmer auf und ab, packte schon ein paar
ihrer Sachen in den Koffer. Da klopfte es an der Außentür. Sie öffne-
te, ließ aber die Kette eingelegt. Es war Gregory.
Entsetzlich verlegen beteuerte er immer wieder, wie leid ihm alles
täte. Dieses inständige Bitten belästigte Christina, und sie unterbrach
ihn. „Ist ja gut, Gregory. Ich weiß, es war der Alkohol."
Trotz ihrer Abneigung wollte sie nicht grausam sein. Jeder tut ein-

83
mal Dinge, die er später bereut, dachte sie. So wünschte sie ihm
freundlich eine gute Nacht und schloss die Tür. Gregorys Benehmen
zeigte Christina deutlich, dass Liebe einen Menschen ganz schön
vom Weg abbringen kann.
Wenige Minuten später klopfte es wieder. Dieses Klopfen kannte
Christina genau. Sie flog förmlich zur Tür und öffnete ohne Zögern.
Das Jackett über die Schulter geworfen, lehnte Daniel lässig am
Türrahmen. Auf seinem Haar glänzten Regentropfen. Er brachte
frische, feuchte Luft mit. Christina wurde wieder einmal schwach bei
seinem Anblick.
„Guten Abend, Mr. Belmont", sagte sie mit belegter Stimme.
„Miß Lacey? Darf ich hereinkommen?" fragte er und war schon im
Zimmer. Die Tür drückte er hinter sich zu.
„Waren Sie draußen im Regen?"
Ihr Blick folgte seiner kräftigen Gestalt, die das Zimmer zu er-
hellen schien. Sie fragte sich, ob er Gregory wohl gesehen hatte, und
hoffte, nicht.
Daniel warf sein Jackett über eine Stuhllehne. „Ja, ich bin herum-
gelaufen. Scheußliches Wetter. Haben Sie schon gegessen?"
„Ich habe mir etwas heraufbringen lassen." Es war, als flatterten
Schmetterlinge in ihrem Magen.
Daniel betrachtete sie in dem schimmernden Morgenmantel. „Sehr
hübsch sehen Sie aus."
Sie murmelte so etwas wie ein Danke, setzte sich auf die Couch
und kreuzte die Beine. Daniel ging im Zimmer langsam auf und ab
wie ein Tier im Käfig. Eine Strähne seines Haares hatte sich gelöst
und war ihm in die Stirn gefallen. Christina verschlang ihre Hände
ineinander. Wie gern hätte sie diese Strähne zurückgestrichen. Plötz-
lich blieb er vor ihr stehen. Sein Blick war unergründlich.
„Ach, Miß Lacey", seufzte er.
Als er seine Hände nach ihr ausstreckte, nahm sie sie, ohne nach-
zudenken. Er zog sie hoch. Mit den jetzt dunkel leuchtenden grünen
Augen durchforschte er ihr Gesicht und musterte sie bis hinunter zu
den gebräunten Schultern und dem Ansatz ihrer Brüste.
„Ist Ihr Gesicht nach dem Unfall anders als vorher?" wollte er wis-

84
sen. Mit dem Zeigefinger tippte er auf ihre Nasenspitze, dann strich
er über ihr Kinn.
„Nein, so war es immer", erwiderte sie erstaunt.
Sein Finger wanderte weiter über ihre Augenbrauen, dann über ihre
geschwungenen Lippen, so als wollte er sich alle Merkmale ihres
Gesichts durch die Berührung einprägen.
„Kleine Miß Lacey", flüsterte er mit spröder Stimme. Dann neigte
er den Kopf und küßte eine Ader in der Beuge ihres Halses.
Christina stand steif vor ihm, die Hände hingen an beiden Seiten
herunter. Sie zitterte innerlich, so sehr wünschte sie ihn anzufassen,
ihn zu halten. Warnungen schossen ihr durch den Kopf. Leider waren
sie zu schwach und zu schnell vorüber, als dass sie daraus Konse-
quenzen hätte ziehen können. Seiner Zärtlichkeit und seiner Aus-
strahlung zu widerstehen, erforderte so viel Willenskraft, dass sie es
nicht schaffte, ihm zu sagen, er möge sie loslassen.
Als ob er ihre Abwehr gespürt hätte, nahm er ihr Gesicht in beide
Hände und küßte sie leicht auf die Nasenspitze. Damit zauberte er ein
erstes leises Lächeln in ihr Gesicht.
„Ich habe es lieber, wenn Sie Ihr Haar offen tragen." Daniel löste
den Knoten im Nacken und ließ ihr das Haar über die Schultern
fallen.
Sie wusste, wie das weitergehen würde, und sie musste ihn auf-
halten. Sofort, bevor sie alle Widerstandskraft verlor. Dies waren die
erfahrenen Hände eines in den Verführungskünsten bewanderten
Mannes.
Sein Blick hypnotisierte sie, und sie konnte sich nicht mehr von
ihm lösen. Langsam wurde ihr Denken ausgeschaltet. Daniel vergrub
sein Gesicht in der seidigen Fülle ihres Haares. Sein Mund strich
über ihre Wange, streichelte ihre Lippen und bedeckte ihr ganzes
Gesicht mit diesen federleichten Küssen, die sie schon so gut kannte.
Noch immer stand Christina steif vor ihm.
Die kleinen Küsse setzte er fort über ihren Hals, die Schultern, den
Nacken. Jede Stelle ihrer nackten Haut, die er berührte, schien zu
glühen. Eine heiße Welle ging durch ihren Körper. Wie sollte, wie
konnte sie stark bleiben?

85
Sie wollte ihn ja lieben. Sie sehnte sich schmerzlich danach, sich an
ihn zu schmiegen. Die ständige innere Spannung, die sie in seiner
Gegenwart empfand, drängte zum Ausbruch. Funken der Erregung
schienen von seinem Körper auf ihren überzuspringen. Sein Atem
war wie eine Liebkosung auf ihrem Gesicht. Das Glitzern in seinen
Augen schien eine sinnliche Herausforderung zu sein.
Christina widerstand dieser Herausforderung nur schwach mit ei-
nem leisen Seufzer. Daniel war zu erfahren, um nicht zu erkennen,
wie es um sie stand.
„Lege deine Arme um mich, Christina."
„Nein, ich möchte, dass du gehst."
Es war ein letzter kläglicher Versuch, ihren Stolz zu bewahren. Sie
wandte ihr Gesicht zur Seite. Dann ging sie zwei Schritte zurück, bis
sie hinter sich in den Kniekehlen die Bettkante spürte.
Daniel folgte ihr. Er streckte sehnsüchtig seine Hände nach ihr aus
und legte sie um ihre Hüften. „Nein, das möchtest du nicht. Ich will
dich haben, meine süße Christina. Ich begehre dich schon so lange"
flüsterte er an ihrem Ohr.
Wie konnte man da kühl und zurückhaltend bleiben? Christina
lehnte sich an ihn, schlang ihre Arme um seinen Nacken und gab sich
seinem leidenschaftlichen Kuß hin.
„Ja, o ja", murmelte Daniel an ihren Lippen.
Von draußen hörte Christina das Heulen des Windes, und von ir-
gendwoher kam auch Musik. In ihrem Innern spürte sie so etwas wie
ein Alarmgefühl, aber es war zu schwach, um wirksam zu werden.
Zu gewaltig war der atemberaubende Zauber starker Arme, die sie
umfangen hielten.
Christina liebte diesen Mann. Deshalb war es für sie ganz natürlich,
dass sie seine Hände gewähren ließ, dass ihre Küsse stürmischer
wurden und seine Zunge tief in ihren Mund eindrang.
Als Daniel ihr den Morgenmantel von den Schultern streifte und
seine Hände ihre Brüste liebkosten, kam nur ein schwacher Protest-
laut, den er mit einem Kuß auffing.
Christina sank mit ihm auf das Bett. Nur verschwommen hörte sie
in sich wieder die Stimme, die sie vor der Gefahr warnte. Aber seine

86
Hände waren so zärtlich und seine Küsse so innig, was sollte ihr
schon passieren?
Etwas erschrocken durch eine intime Berührung an ihrem Schoß,
wehrte sie seine Hand ab. Er hielt ihre Finger fest und legte ihre
Hand um seinen Hals.
„Halte mich, Christina, halte mich, mein Liebling", flüsterte er vol-
ler Verlangen. Langsam schwand ihr ganzer Widerstand. In glühen-
der Leidenschaft schlang sie beide Arme um ihn und drängte sich an
seinen Körper.
Ganz langsam legte Daniel sie auf den Rücken. Mit seinem Mund
strich er über ihre Haut. Sie erschauerte, als seine heißen Lippen auf
ihrer Brust lagen. Sie glaubte, vergehen zu müssen.
Es war verrückt, ganz und gar wahnsinnig, aber es war zu spät, um
sich zu wehren. Christina wusste plötzlich, dass Küsse ihrer beider
Begehren nicht mehr befriedigen konnten, sie wollte ihn aber auch
nicht auffordern, sie zu verlassen. Sein warmer Körper legte sich auf
sie, dann spürte sie, wie er einen seiner Oberschenkel vorsichtig
zwischen ihre Beine schob. Er sah sie mit glühenden Augen an.
Christina verlor sich in diesem Blick.
Daniel vergrub aufseufzend sein Gesicht in ihrem schimmernden
schwarzen Haar. „Du bist hinreißend schön, meine Christina. Ich
begehre dich so", stöhnte er.
Als er sie erneut an sich presste, merkte sie, dass in ihm die gleiche
glühende Sehnsucht nach einer Vereinigung brannte. Noch war er
zärtlich und sanft, doch schon bald wurden seine Liebkosungen
sinnlicher. Christina spürte jeden seiner Muskel, als er sich auf sie
legte, und sie hob sich ihm entgegen.
„Christina, komm, meine Liebste."
Sie hörte den rauhen, ungeduldigen Ton und öffnete halb die Au-
gen. Was sie sah, erschreckte sie so sehr, dass ein Ausruf in ihrer
Kehle stecken blieb. Sein Gesicht war starr, seine Augen glasig von
ungezähmter Leidenschaft. Sie drehte den Kopf auf die Seite, als die
Erkenntnis sie traf, dass bei Daniel nicht liebevolle Zuneigung eine
Rolle spielte, sondern nur fieberhafter Drang nach Befriedigung.
Für ihn war diese Stunde nichts als das Vergnügen, mit einer Frau

87
im Bett zu liegen und sich mit ihr zu vereinigen. Ihr hingegen be-
deutete diese Gemeinsamkeit alles. Sie war Ausdruck und Erfüllung
ihrer Liebe.
Und wenn sie sich ihm hingab, was kam danach? Was sollte aus ihr
werden, wenn er ihr später in den Bürostunden arrogant und selbst-
sicher Anweisungen gab? Ein bitterer Geschmack lag auf ihrer
Zunge.
Daniel versuchte, ihre Lippen wieder zu öffnen. Fordernd und be-
sitzergreifend umfasste er eine ihrer Brüste. War er ihrer schon so
sicher?
„Nein", schrie Christina verzweifelt und bäumte sich auf. Sie
stemmte sich mit Macht gegen seine Schultern.
„Nein?" Sein Gesicht wurde blass. Er hob den Kopf und sah sie
ungläubig an. Sein Mund wurde schmal. „Du hattest Gregory Staf-
ford. Warum nicht mich, Christina?" fragte er lauernd.
„Nein, ich hatte nichts mit Gregory. Nein, Daniel" rief sie, bestürzt
über seine Reaktion.
„Ich traf Gregory in der Halle, Christina. Und ich erkenne am Lä-
cheln eines Mannes, ob er gerade von einem Schäferstündchen
kommt."
Er rollte sich auf die Seite und stand auf. „Für gewöhnlich macht es
mir nicht viel aus, wenn eine Frau ihre Meinung ändert, aber ich
werde wütend, wenn man mich zum Narren hält", sagte er eisig, griff
nach seinem Jackett und ging mit großen Schritten aus dem Zimmer.
Hart schlug die Tür hinter ihm zu.
Christina erhob sich langsam von ihrem Bett und glättete den Mor-
genmantel. Sie war wie leergebrannt. So als ob ihr Lebensnerv ge-
tötet worden wäre. Sie konnte nicht denken und nichts fühlen. Sie
war nur müde. Mit automatischen Bewegungen schlug sie die Decke
zurück, löschte das Licht und legte sich hin.
Es war ein Tag wie in einem Alptraum gewesen, und sie wollte ihn
durch Schlaf beenden.
Obwohl ihre Wirtin sie darauf vorbereitet hatte, war Christina doch
betroffen von der Fülle der Rosen, die sie in ihrer Wohnung vorfand.
Alle waren von Gregory, und alle sollten ihr dasselbe sagen: Es tat

88
ihm alles unendlich leid, und er wollte sie unbedingt wiedersehen.
Sie warf die Karten mit den Liebes- und Schuldbeteuerungen in den
Papierkorb, öffnete die Fenster, um frische Luft hereinzulassen und
begann, ihre Koffer auszupacken.
Zwar hatte sie alle Gedanken an die letzten beiden Tage weit-
gehend verdrängt, aber sie fühlte sich trotzdem miserabel. Daniel war
nicht mit ihr zusammen ins Flugzeug zurückgekehrt. Christina hatte
keine Ahnung, wo er geblieben war. Irgendwie war sie erleichtert
gewesen, ihm nicht gegenübertreten zu müssen. Nun hatte sie ein
Wochenende vor sich, an dem sie weiteren Abstand von den Ereig-
nissen gewinnen konnte, und sie war froh, in ihrer gewohnten häus-
lichen Umgebung zu sein.
Als das Telefon klingelte, wurde sie von Hoffnung und Angst hin
und her gerissen. Es war die Portiersfrau aus ihrem Haus. Christina
hatte sich mit ihr angefreundet und nahm, ohne zu zögern, die lie-
benswürdige Einladung an, mit ihr das Wochenende in ihrem
Strandhaus in der Nähe von Padre Island zu verbringen.
Schwimmen, segeln, sonnen, nette Gesellschaft: genau das, was ich
jetzt brauche, dachte Christina. Schnell packte sie eine kleine Reise-
tasche für zwei Tage.
Das Meer, der Wind und das Eintauchen in das herrlich er-
frischende Wasser brachten sie wieder in die Wirklichkeit zurück.
Zwei Nächte traumloser Schlaf, keine Zeit zum Nachdenken, und
ihre Vernunft hatte wieder die Oberhand.
Am Montagmorgen machte Christina, einigermaßen gefestigt, ihre
Morgentoilette. Sie kam wieder ins Grübeln. Was im Dunkel der
Nacht wie eine Katastrophe gewirkt hatte, war am Tag lediglich eine
etwas unangenehme Situation, die aber von erwachsenen Menschen
doch gemeistert werden sollte.
Was war denn gewesen? Daniel hatte vergeblich versucht, sie zu
verführen. Das war alles. Aber warum hatte er so voller Hass rea-
giert? Das war ein Rätsel, für das sie keine Lösung wusste. Da Chri-
stina sich nicht vorstellen konnte, daß Daniel auf Gregory eifer-
süchtig war, konnte sie sein Verhalten nur als gekränkte Eitelkeit
auslegen.

89
Etwas anderes konnte sie allerdings nicht recht einordnen: dass er
sie mit zärtlicher Stimme Liebling genannt und als hinreißend schön
bezeichnet hatte. Diese liebevollen Worte leuchteten wie Sonnen-
strahlen in ihrem Unterbewusstsein. Seine feindliche Reaktion, nach-
dem sie ihn abgewiesen hatte, konnten die Freude darüber nicht
mindern.
Hoch aufgerichtet trat sie vor den Spiegel. „Du wirst ruhig, kühl
und überlegen sein", sagte sie zu sich selbst. Sie wollte die An-
gelegenheit handhaben wie jede andere schwierige Situation des
Lebens und dabei einen Schritt nach dem anderen tun.
Ehe sie aus der Tür ging, sah sie sich noch einmal nach den voll
erblühten Rosen um. Auch in Bezug auf Gregory Stafford musste sie
einen Weg finden, aber noch nicht gleich. Daniel Belmont gegen-
überzutreten, erforderte jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit.
„Wir erwarten ihn erst gegen Mittag", informierte Mrs. Coyle Chri-
stina, als diese das Vorzimmer betrat.
Es war etwa zwölf Uhr, als Daniel sie zu sprechen wünschte. Einen
Moment zögerte Christina vor seiner Tür, dann klopfte sie ent-
schlossen an und wartete auf seine Aufforderung zum Eintreten.
„Guten Tag, Mr. Belmont", begrüßte sie ihn. Ihr Herz hämmerte.
Ihn nur hinter seinem Schreibtisch sitzen zu sehen, genügte, um ihren
Puls zu beschleunigen.
Er wirkte weder unfreundlich noch liebenswürdig. Wie immer mu-
sterte er sie von Kopf bis Fuß. „Guten Tag, Miß Lacey. Hatten Sie
ein angenehmes Wochenende?"
„Danke ja. Und Sie?" fragte sie entgegenkommend.
Lachend zeigte er seine weißen Zähne. „O ja, ich muss sagen, die
beiden Tage waren sehr vergnüglich."
Das ist Wahnsinn, dachte Christina. So konnten sie doch nicht mit-
einander reden nach allem, was passiert war? Aber es war nicht zu
ändern. Konzentriert hörte sie ihm zu, als sie die Termine durch-
gingen.
Schließlich schloss er den Kalender und stützte sich auf die Ellen-
bogen. Mit einem Finger zeichnete er die Konturen der kleinen Holz-
figur nach, setzte die Skulptur wieder ab und begann mit dem Brief-

90
öffner zu spielen.
Als er sie wieder ansah, erschreckte sie sein leerer, desinteressierter
Blick noch mehr als sein untypisches Herumspielen mit den Dingen
auf seinem Schreibtisch. Christina wappnete sich. Es würde etwas
sehr Unangenehmes auf sie zukommen, das spürte sie. Die Span-
nung, die von ihm ausging, war beinahe greifbar.
„Miß Lacey, ich werde Sie eine ganze Weile nicht brauchen, möch-
te aber Ihre wertvolle Arbeitskraft nicht verlieren. Die Sekretärin des
Leiters unserer Rechnungsabteilung hat gerade ihren Schwanger-
schaftsurlaub angetreten. Ich bin sicher, er wird erfreut sein, wenn
Sie sie während der Zeit ihrer Abwesenheit vertreten. Melden Sie
sich doch nach der Mittagspause bei Paul Kinslow. Soviel ich weiß,
beten ihn die Damen seiner Etage an. Es wird zweifellos Spaß ma-
chen, für ihn zu arbeiten", sagte Daniel lächelnd.
Christina merkte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht strömte. Das
dadurch entstehende Gefühl der Leere war so stark, saß sie sich ent-
setzt an eine Wange fasste. Sie konnte nicht sofort reagieren. Von
irgendwoher in ihrem Innern kam dann die Kraft zurück, um zu
antworten. „Ganz wie Sie wünschen, Mr. Belmont." Ihre Worte
klangen beherrscht. „Also dann Adieu, Mr. Belmont."
„Adieu? Wieso? Sie arbeiten doch nur eine Etage tiefer als bisher."
„Ja, natürlich. Die Unterlagen für ihre nächste Konferenz sind bei
Diana. Es waren einige Tippfehler enthalten, die sie ausbessert",
sagte sie völlig sinnlos und setzte ebenso widersinnig hinzu: „Ich
werde Gregory Stafford heiraten. Sie sollen der erste sein, der es
weiß. Auf Wiedersehen."
Christina drehte sich um und ging aus dem Büro, ohne auf seine
Reaktion zu achten. Sie konnte sich nicht erklären, warum sie das
gesagt hatte. Es war eine absolute Lüge, denn sie hatte ja be-
schlossen, Gregory nie wieder zu sehen.
Eine Autohupe riss Christina unsanft aus ihren Gedanken. Sie war
bei Rot über die Straße gegangen. Eigentlich hatte sie in einem Lokal
etwas zu Mittag essen wollen, fand es dann aber doch besser, einen
Spaziergang an der frischen Luft zu machen. Das klärt den Kopf,
dachte sie.

91
Soeben hatte Daniel sie schändlich vor die Tür gesetzt, aber das
war merkwürdigerweise unerheblich. Er brauchte sie nicht, das allein
war es, was schmerzte. Sein Gesicht war völlig unbewegt gewesen,
als er es ihr mitteilte. Er hatte sie einfach abgeschoben.
Nach der Pause meldete sie sich in der Rechnungsabteilung. Mr.
Kinslow war mittelgroß, untersetzt und hatte gewinnende braune
Augen, die hinter Brillengläsern funkelten. Ein wilder Lockenschopf
umrahmte seine halbe Glatze wie ein Heiligenschein.
„Ich freue mich sehr, Miß Lacey", begrüßte er sie herzlich. „Seit
meine Sekretärin fort ist, bin ich mit Papierkram so überhäuft, dass
ich meinen Schreibtisch nicht mehr finden kann", klagte er mit fröh-
lichem Zwinkern.
Es stimmt, dachte Christina, und sie fühlte wie ihre Lebensgeister
wieder erwachten. Ob ich ihn in Kürze auch anbeten werde wie die
anderen Damen dieser Etage?
„Ich bin sehr gern gekommen, Mr. Kinslow, und verlorene Schreib-
tische wieder zu finden, ist meine Spezialität", erwiderte sie, auf
seinen Scherz eingehend.
Die neue Aufgabe war auch ihre Rettung. In der ersten Woche lebte
und arbeitete sie wie in einem luftleeren Raum. Ihren angeschlagenen
Stolz bekämpfte sie mit dem Allheilmittel Arbeit. Sie sah Daniel
nicht, aber durch die taktvollen Berichte ihres jetzigen Vorgesetzten
hörte sie, dass er angegeben hatte, sie selbst habe um eine Ver-
setzung gebeten.
Obwohl ihr das natürlich sehr gelegen kam, bezweifelte sie ernst-
haft, dass jemand glaubte, sie zog eine Beschäftigung in der Rech-
nungsabteilung der Position einer persönlichen Assistentin des ober-
sten Chefs vor.
Da es ihr nun einmal nicht möglich war, von dem Mann, den sie
liebte, etwas Schlechtes zu denken, hatte sie sich entschlossen, die
Angelegenheit zu Daniels Gunsten auszulegen: Das was zwischen
ihnen geschehen war, hatte ihn ebenso aus der Fassung gebracht wie
sie.
Die Tatsache, dass an ihrem Parkplatz nach wie vor ihr Name
stand, war ihr eine weitere Stütze, und diesen liebenswerten, fröh-

92
lichen Mann, für den sie jetzt arbeitete, kennen gelernt zu haben, war
eine besondere Freude.
„Du bist in Ordnung" versicherte sie sich selbst, wenn Be-
klemmungen sie zu überfallen drohten. „Tu deine Arbeit, und denke
nicht so viel nach, dann wirst du alles überstehen." Es half. Und sie
war erfreut, wie gut ihr Stress und harte Arbeit taten.
Gregory Stafford versuchte es immer wieder bei ihr. Weder höf-
liche Entschuldigungen noch handfeste Absagen, dass sie ihn nicht
sehen wollte, machten Eindruck auf ihn. Allmählich wusste Christina
nicht mehr, wie sie sich verhalten sollte. Außer diesem einen un-
erfreulichen und folgenschweren Besuch bei ihr war er stets liebens-
würdig zu ihr gewesen. Sie hasste es, ihm weh zu tun, wollte aber
auch die Verbindung nicht aufrechterhalten. Schließlich überwand
sie ihre Zurückhaltung und nahm auf sein Drängen eine Einladung
zum Essen an.
Gregory holte sie ab. Gleich in den ersten Minuten wurde ihr klar,
was ihre Lüge bei Daniel für Folgen gehabt hatte. Daniel hatte es
sich nicht nehmen lassen, Gregory bei einem Mittagessen herzlich
zur bevorstehenden Hochzeit mit Christina zu gratulieren.
Gregory war glücklich über Christinas Entschluss. Die Neuigkeit
ging im Bürohaus von Etage zu Etage, und sie hatte nicht den Mut,
die Wahrheit zu sagen.
Als Gregory ihr dann einen wertvollen Verlobungsring schenken
wollte, widersetzte sie sich endlich. Sie wollte keinen Ring tragen
und lehnte das Geschenk ab.
In dieser Woche traf sie Gregory jeden Abend. Nicht weil sie es so
wollte, nein, Gregory ließ ihr keine Ruhe. Jedes Mal, wenn er sie
zärtlich in die Arme nahm, blieb sie steif und unbeweglich. Sie emp-
fand nichts für ihn. Er schien das kaum zu bemerken, oder er wollte
es nicht. Verzweifelt fragte sich Christina, wie das weitergehen soll-
te. Sie war bei seinen Annäherungsversuchen wie versteinert.
An einem Freitagabend drei Wochen später trat Christina aus dem
Bürohaus. Sie freute sich auf das Wochenende. Es war ein milder
Herbsttag. Plötzlich wurde sie zornig. Sie wollte sich auf keinen Fall
zu einer Heirat mit einem Mann treiben lassen, den sie nicht liebte.

93
Was hatte sie sich nur dabei gedacht, als sie Daniel belog? Warum
wehrte sie sich nicht gegen alle die wohlmeinenden Wünsche ihrer
Kollegen?
Böse mit sich selbst, ging sie zu ihrem Auto und fädelte sich in den
Verkehr ein. Ihr Mund wurde zu einem schmalen Strich, als sie über-
legte, was gleich heute abend getan werden musste.
Als Gregory pünktlich wie immer kam, bat sie ihn in die Wohnung
und beendete mit freundlichen, aber festen Worten ihre Verbindung.
Gregory war zu Tode beleidigt. Nachdem er davongestürmt war,
weinte Christina ein wenig. Aber danach fühlte sie sich frei und
empfand zum ersten Mal nach Wochen, dass sie etwas Richtiges
getan hatte.
In dieser Nacht schlief sie tief und fest. Voller Energie erwachte sie
am Samstagmorgen. Sofort begann sie die ganze Wohnung zu säu-
bern. Aber es war immer noch nicht genug. Sie beschloss, Einkäufe
zu machen. Das warf die heikle Frage auf, ob sie weiterhin die Kon-
ten, die „Belmont Enterprises" ihr bei den Modegeschäften ein-
gerichtet hatte, in Anspruch nehmen durfte.
Ach was, dachte Christina, Daniel hat doch gesagt, die Be-
schäftigung bei Paul Kinslow sei nur vorübergehend. Sie wollte
einkaufen, und sie tat es einfach. Es waren ein paar köstliche
Stunden, in denen sie dieses und jenes probierte, einiges verwarf und
anderes kaufte. Schließlich ging sie mit vielen Päckchen beladen zu
ihrem Wagen zurück.
Abends rief Gregory an. Auch am Sonntag meldete er sich, aber
Christina blieb fest. Sie ließ sich nicht mehr von ihm überreden.
In guter Stimmung zog sich Christina am Montag an. Sie schmink-
te sich sorgfältig und wählte eines der neuen Kleidungsstücke, die sie
am Sonnabend gekauft hatte. Es war ein lavendelblaues Kostüm aus
Wolljersey. Dazu gehörte eine pinkfarbene Seidenbluse, deren Steh-
kragen mit einer Schleife geschlossen wurde. Sie sah sehr elegant
und damenhaft darin aus. Sie schlüpfte in die farblich genau passen-
den Wildlederpumps und legte sich als Krönung des Ganzen ein
weiches Wolltuch mit Fransen um die Schultern. Die Wirkung war
absolut perfekt. Aber wer würde sie schon beachten?

94
Ach, egal, dachte sie. Wenigstens Mr. Kinslow würde sich über die
schicke junge Dame freuen, die fröhlich in sein Büro spazierte.
Er freute sich nicht nur, er pfiff anerkennend durch die Zähne, als
er Christina sah. Es war so komisch, dass beide laut lachten. Es tat
gut, sich wieder einmal von Herzen über etwas freuen zu können.
Am frühen Nachmittag öffnete sich die Tür zu Mr. Kinslows Büro,
und Christina hörte eine tiefe männliche Stimme, die ihr den Atem
verschlug. Die Tür zwischen ihrem und dem Chefzimmer war weit
geöffnet. So konnte sie Daniel Belmont sehen, der auf Paul Kinslows
Schreibtisch zuging. Die beiden Männer schüttelten einander die
Hände.
„Hallo Paul, tun Sie mir bitte einen Gefallen. Ich kenne Miß La-
ceys Fähigkeiten und bin sicher, sie hat inzwischen bei Ihnen alles
aufgearbeitet. Kann ich sie mir für ein paar Tage ausleihen? Ich habe
ein paar geschäftliche Dinge zu erledigen, bei denen ich unbedingt
ihre Hilfe brauche."
O Daniel! Christina wurde ganz warm ums Herz. Sie stand auf, trat
in die Tür und sah ihm ins Gesicht. Wie sehr sie ihn vermisst hatte!
„Miß Lacey?" Daniel neigte den Kopf. Er ließ sich Zeit, sie zu be-
trachten.
Scherzhaft ahmte Christina seine Geste nach und sagte leise: „Mr.
Belmont?" Ihre Stimme verriet nichts von dem Tumult in ihrem
Herzen.
Daniel wandte sich an Paul, der sich sofort über die Mitarbeit von
Christina begeistert äußerte. Mit einem Lachen unterbrach Daniel die
Lobeshymnen. Sein Gesicht wirkte jung und fröhlich.
Christina hatte den sehnsüchtigen Wunsch, ihn zu streicheln.
„Ich habe die gleichen Erfahrungen gemacht. Sie ist eine Perle",
rief Daniel und sah Christina freundlich an. „Wenn nichts Wichtiges
liegen bleibt, möchte ich Sie gern sofort mitnehmen. Ginge das,
Paul?" fragte er.
Christina wäre fähig gewesen, den liebenswerten Paul mit dem
Brieföffner zu erstechen, wenn er sie nicht gehen lassen würde. Aber
Paul entging diesem grausamen Schicksal, denn er nickte zu-
stimmend.

95
„Und Sie, Miß Lacey? Einverstanden?"
„Natürlich, Mr. Belmont. Sie wissen, ich bin eine treue Angestellte
von ,Belmont Enterprises' und gehe dahin, wohin man mich ruft und
wo man mich braucht - von neun bis fünf", antwortete sie sanft. Sie
war froh, daß ihre Stimme nicht zitterte. Dabei hätte sie vor lauter
Freude Purzelbäume durch das ganze Büro schlagen mögen.
„Sehr gut. Wir starten um vier. Können Sie in einer Stunde alles für
eine Reise nach Mexiko gepackt haben?" fragte Daniel.
Mexiko! In einer Stunde! Das war wieder einmal typisch für ihn.
„Ja, Mr. Belmont", erwiderte sie unterwürfig, konnte aber nicht an-
ders, als spitz hinzuzufügen: „Allerdings müssten Sie mir erlauben,
noch schnell meine Nase zu pudern, bevor das Flugzeug startet."
Beide Männer lachten. Daniels Augen zeigten einen warmen Aus-
druck, als er noch einmal seinen Blick auf sie richtete. Er sah das
weich fallende Haar, die vollendete schlanke Figur, die sich unter
dem Strickkostüm abzeichnete.
„Wir werden sehen", murmelte er mit einem hintergründigen Lä-
cheln, das ihr Herz erneut in Aufruhr versetzte.
Paul Kinslow küßte Christina auf die Stirn, dann reichte er Daniel
Christinas Wolltuch. Daniel legte es ihr um die Schultern, wobei
seine Hände leicht ihren Nacken berührten. Sie schaute zu ihm auf.
Hoffentlich sehe ich genau so beherrscht aus, wie er, dachte sie. Ob
er hörte, wie mein Herz klopft? Sie liebte ihn. Nichts war daran zu
ändern.
Draußen war es feucht. Ein kalter Wind wehte.
„Ich hole Sie in vierzig Minuten in Ihrer Wohnung ab", rief Daniel.
„Sagen Sie mir noch die Adresse?"
Sie nannte ihm Straße und Hausnummer. Warum er sie zu sich zu-
rückgeholt hatte, fragte sie nicht. Sie war viel zu glücklich.

96
7. KAPITEL

Unschlüssig lief Christina in ihrer Wohnung hin und her. Daniel


hatte nicht gesagt, wie lange sie unterwegs sein würden. Was sollte
sie also mitnehmen?
In Mexiko musste es warm sein. Mexiko! Sie war noch nie dort
gewesen. Und nun würde sie dieses interessante Land mit Daniel
erleben. Um in Gedanken nicht davonzuschweben, rief sie sich zur
Ordnung. Jetzt hieß es erst einmal packen.
Gerade war sie fertig geworden, da klopfte Daniel auch schon an
die Tür.
„Sind Sie soweit, Miß Lacey?" fragte er und kam mit großen
Schritten ins Zimmer.
Wie lange war es her, dass jemand so ihren Namen ausgesprochen
hatte!
„Ja, ich bin bereit."
Es war ihr nicht möglich, das glückliche Lächeln zurückzuhalten,
aber Daniel sah sie gar nicht an.
Er schimpfte leise, als er sich im Zimmer umsah. „Wieso wohnen
Sie in einer so schäbigen Wohnung?" fragte er rauh. „Das Gehalt, das
ich Ihnen zahle, ist doch hoch genug für eine etwas hübschere Um-
gebung, oder?"
Christina wurde blass. Jetzt sah sie das Zimmer mit seinen Augen.
Ja, es stimmte, ihre Bemühungen, die Behausung wohnlich zu ma-
chen, waren wirklich lächerlich.
„Ja, natürlich reicht das Gehalt aus. Aber verstehen Sie bitte, die
Krankheit meiner Mutter war sehr kostspielig. Ich habe noch Schul-
den abzuzahlen", antwortete sie leise.
„Ich begreife. Also, bringen wir das Gepäck hinunter. Du liebe Gü-
te, was haben Sie denn alles eingepackt?" Daniel stöhnte, als er die
beiden Koffer anhob.
„Sie haben mir nicht gesagt, wie lange wir bleiben und was Sie al-
les geplant haben", sagte Christina gekränkt.
„O je! Sind Sie sicher, dass Ihre Küche noch einen Herd hat?"

97
knurrte er scherzhaft.
„Ja, hat sie. Ist es zuviel verlangt, wenn Sie mir jetzt sagen, wie
lange wir bleiben und wohin wir in Mexiko fliegen?"
„Ist es zuviel verlangt, Miß Lacey, wenn Sie jetzt die Tür für mich
öffnen? Wir fliegen nach Cozumel und wohnen im Hotel ,E1 Presi-
dente'. Warten Sie hier oben, ich bringe das hier zum Wagen und
komme zurück, um den Rest zu holen."
„Wo liegt Cozumel?" fragte sie und lief um ihn herum; als er mit
dem ersten Teil des Gepäcks zur Wohnungstür ging.
„Eine Insel, nicht weit von Yukatan. Hatten Sie keine Erdkunde in
der Schule?"
Christina sah ihm nach. Als sein schwarzhaariger Kopf um die Ek-
ke verschwand, hatte sie das unbändige Gefühl, lachen zu müssen
oder ihm Schimpfworte nachzurufen. Da sie beides nicht konnte,
setzte sie sich auf die Couch und wartete.
Wenige Minuten, nachdem Christina und Daniel an Bord gegangen
waren, hob das silberblaue Flugzeug ab, durchbrach eine graue Wol-
kenwand und flog weiter im leuchtenden Nachmittagssonnenschein.
Christina rutschte tief in ihren Sessel und beobachtete Daniel, der
die Thermosflasche, Tassen und seinen Aktenkoffer hervorgeholt
hatte.
„Was amüsiert Sie so, Miß Lacey?" fragte er, nachdem er schon ein
paarmal zu ihr hinübergesehen hatte.
„Nichts, Mr. Belmont."
Er gab ein paar unverständliche Worte von sich. Christina lächelte
weiter. Den formellen dunklen Anzug hatte er gegen Blazer, helle
Hose und Hemd ohne Krawatte vertauscht. Er studierte eine lange
Zahlenreihe und fuhr sich dabei mit der Hand durch das Haar. Wie
immer brachte er die gepflegte Frisur total durcheinander.
„Miß Lacey, warum lachen Sie über mich?" fragte er, ohne aufzu-
sehen.
„Ist das nicht besser, als Sie mit Blicken zu durchbohren?"
Er schaute nicht zu ihr, aber sie merkte ihm an, dass er verwirrt
war. „Meinen Kaffee, Miß Lacey", forderte er.
Christina brach in Lachen aus. Das sind die kleinen Dinge, aus de-

98
nen Liebe entsteht, dachte sie glücklich. Daniel schüttelte fassungs-
los den Kopf. Christina füllte die Tasse, und er berichtete ihr von den
Plänen für den nächsten Tag.
Es sollte zuerst eine langwierige Sitzung einschließlich Mittagessen
geben und am Abend einen Ball zu seinen Ehren im Hause des sehr
reichen Don Ramon Villines.
„Was bedeutet ,Don'?" fragte Christina aufgeregt.
„Es ist ein Höflichkeitstitel", erklärte Daniel. „Er legt großen Wert
darauf, so genannt zu werden. Für mich ist es wichtig, den Herrn bei
Laune zu halten. Und das werden Sie auch tun, Miß Lacey. Er hat
eine Schwäche für zartgliedrige Frauen mit sehr schönen Augen."
Christina stockte der Atem. Sie richtete sich auf.
Daniel hob die Augenbrauen. „Also wirklich, Miß Lacey, ich ver-
sichere Ihnen, selbst ich habe mir Grenzen gesetzt bei der Be-
friedigung meiner Kunden."
„Ach ja? Ich bin mir da nicht sicher", antwortete sie leise.
Zuerst schien er nicht recht zu wissen, ob er lachen oder ärgerlich
werden sollte. Dann gab er auf und vertiefte sich wieder in seine
Arbeit.
Christina hatte nichts dagegen, übersehen zu werden. Sie war das
gewöhnt. Außerdem, überlegte sie glücklich, es genügt mir, neben
ihm hoch über den Wolken zu sitzen und sein Gesicht anzusehen.
Wo ist mein Stolz geblieben, fragte sie sich im stillen zum wieder-
holten Mal. Noch nie in ihrem Leben hatte sie ihre Selbstachtung
vergessen.
„Bitte, noch etwas Kaffee", unterbrach Daniel ihre Gedanken. Es
klang so flehend, dass sie schmunzeln musste.
Er warf seinen Füllhalter hin, setzte sich im Sessel zurück und sah
ihr ins Gesicht. Dann bat er sie: „Versuchen Sie doch, ein wenig
ernst zu sein, Miß Lacey. Die Konferenz morgen ist für mich äußerst
wichtig. Sie werden noch ausreichend Zeit haben, sich zu vergnügen
und Cozumel zu entdecken. Ich verspreche es. Man hat mir gesagt, es
sei ein wunderschönes Fleckchen Erde."
„ Ich werde mich zusammennehmen ", versprach sie gehorsam. Sie
setzte sich bequem zurecht und sah ihn von der Seite an.

99
„Haben Sie auch gut auf sich achtgegeben, Mr. Belmont?" fragte
sie plötzlich.
Die sanfte Frage machte ihn deutlich unsicher. „Es war schwierig,
aber ich kann sagen, ich habe es zustande gebracht."
Röte stieg ihr in die Wangen. „Ich meinte nur, Sie sehen müde aus,
das ist es", verteidigte sie sich.
Durch eine Wolkenlücke sah man unten auf das sonnenbeschienene
Land. Ein paar Sekunden genoss Daniel den Ausblick, bevor er die
Unterhaltung fortsetzte.
„Ja. Ich bin müde. Vielleicht brauche ich einen Urlaub. Seit ich
,Belmont Construction' übernommen habe, hatte ich keinen. Viel-
leicht habe ich auch nur zuviel getrunken. Gestern habe ich den gan-
zen Tag gebraucht, um meinen Kopf wieder zu finden", gestand er.
Christina nahm das missbilligend zur Kenntnis.
Er lachte. „Es ist nicht so, wie Sie denken, Miß Lacey. Ich habe
einen Jahrestag gefeiert und auf eine große Dame einen Toast aus-
gebracht."
„Ich verstehe." Sie sah auf ihre Hände.
„Das bezweifle ich", spottete er. „Ich habe auf den zehnten Jahres-
tag von ,Belmont Enterprises' getrunken und auf die Frau, die diese
Firma gründete."
„Eine Frau hat die Firma gegründet?"
„Ja, das heißt, eine Frau hat mir zumindest den Anstoß dazu ge-
geben. Sie hat mir sehr viel bedeutet, so dass es höllisch schmerzte,
als sie einen anderen nahm, der bessere Zukunftsaussichten hatte als
der Erbe eines kleinen Einmannbetriebes."
Er sah zu ihr hinüber. „Sie brauchen kein mitfühlendes Gesicht zu
machen, Miß Lacey. Es war das Beste, was mir passieren konnte.
Wissen Sie, es stärkt das Selbstbewusstsein ungeheuer, wenn man
klein anfängt und eines Tages ein großer Unternehmer ist. Ich habe
meinen Kummer mit Arbeit verdrängt, und ich hatte Erfolg damit. So
habe ich also auf das Wohl der käuflichen kleinen Seele dieser hof-
fentlich glücklich gewordenen Dame getrunken. Ich hatte einen ganz
schönen Kater", beendete er seine Erzählung.
Christina schwankte zwischen Lachen und Weinen. Die zynische

100
Auslegung einer verlorenen Liebe glaubte sie keine Minute. Sie
überlegte, wie alt er damals wohl gewesen sein konnte. Ein-
undzwanzig? Zweiundzwanzig? Jung und stolz und verliebt.
Tausend Fragen wollte sie stellen und auf die Antworten liebevoll
eingehen. Aber Daniels Gesicht war wieder so verschlossen wie
vorher. Wahrscheinlich tat es ihm nun leid, dass er sich hatte hin-
reißen lassen, über diesen Abschnitt aus seinem Leben zu sprechen.
Er blätterte in seinen Akten. „Also, kommen wir zur Arbeit zurück.
Kann ich noch einen Kaffee bekommen, bevor wir landen?"
Sie hatte ihm ihre Hand hinüberstrecken wollen, um die seine zu
berühren. Nun hatte er sie auf ihren Platz verwiesen. Auch gut, dach-
te sie. Sie öffnete die Thermosflasche und bediente ihn mit Kaffee.
Ihr Herz war so voller Liebe. Hier bei ihm zu sein, war unbeschreib-
liche Seligkeit.
Sie setzte sich wieder und lehnte den Kopf an den Rücken des Sit-
zes.
Kurz darauf setzte die Maschine zur Landung an.
Nach dem beginnenden Winter in Corpus Christi war Cozumel eine
sommerliche Überraschung. Eine warme Brise streichelte Christinas
Gesicht, und sie atmete den Duft exotischer Blüten tief ein.
Es war schon etwas dunstig geworden, als sie landeten, und sie
nahmen ein Taxi, das so enorm groß war, wie sie noch nie eines
gesehen hatte.
Das Hotel „El Presidente" war von einem weitläufigen Palmen-
garten umgeben. Überall steckten Windlichter und brennende
Fackeln in schmiedeeisernen Ständern. Der Wind ließ die Feuer
tanzen. Es sah märchenhaft aus.
Vor ihrem Zimmer angekommen, öffnete der kleine dunkelhäutige
Mann, der die Koffer transportierte, die Tür. Der Raum war groß und
luftig, ein erfrischendes Lüftchen kam durch die Fenster.
„Oh, das ist schön", sagte Christina zu Daniel. „Kommen Sie, se-
hen Sie es sich an."
Daniel kam zu ihr ans Fenster und betrachtete mit ihr den Sonnen-
untergang im Meer. Christina erschauerte, wusste aber nicht, warum.
Kam es von dem kühlen Wind, der ihr ins Gesicht wehte, oder von

101
der Wärme, die sein Körper ausstrahlte, als er dicht hinter sie ge-
treten war?
„Ist es nicht wunderschön?" fragte Christina noch einmal.
„Ja, Miß Lacey, sehr schön", antwortete er leise und kam noch ei-
nen kleinen Schritt näher. Seine Spannung übertrug sich auf Christi-
na. Eine Sekunde lang berührten seine Oberschenkel ihre Hüfte wie
eine Liebkosung. Unbeabsichtigt, wie Christina feststellen konnte,
denn erschrocken trat Daniel sofort ein wenig zurück.
„Zehn Minuten zum Erfrischen", sagte er kurz. „Dann gehen wir
essen." Und schon hatte er das Zimmer verlassen.
Das Jerseykostüm war natürlich zu warm in diesem Klima. Christi-
na wusch schnell Gesicht und Hände und schlüpfte in ein schwarz
und weiß gestreiftes ärmelloses Kleid mit spitzem Ausschnitt. Es war
weit gearbeitet, und die Stofffülle wurde mit einem weißen Lack-
gürtel zusammengehalten. Dazu zog sie sehr dünne schwarze
Strümpfe und hochhackige schwarze Lacksandalen an. Ihr Haar ließ
sie offen über die Schultern fallen. Als sie sich etwas Parfüm hinter
die Ohren tupfte, klopfte Daniel bereits in der typischen un-
geduldigen Manier.
Nach dem Essen, das etwas einsilbig verlaufen war, brachte Daniel
Christina zu ihrem Zimmer zurück.
„Wie geht es Gregory Stafford?" fragte er beiläufig.
„Danke, gut."
Daniel nickte und verließ sie mit einem freundlichen Gutenacht-
gruß. Kurze Zeit las Christina noch im Bett, dann knipste sie das
Licht aus und schlief schnell ein.
Bei Sonnenaufgang erwachte Christina. Nach einem erfrischenden
Duschbad zog sie ein einfaches gelbes Sommerkleid und flache
Sandalen an und verließ ihr Zimmer. Langsam schlenderte sie über
den langen Korridor. Sie fühlte sich glücklich wie ein Kind und hätte
am liebsten zu einer Schlitterpartie über den glatten Fußboden an-
gesetzt.
Verrückt, dachte Christina. Aber nach den vergangenen trüben
Wochen war dieser Morgen ein unendliches Vergnügen. Ursache
dieser Freude war natürlich Daniel. Und er würde auch immer der

102
Auslöser zu allem sein, ob Glück oder Schmerz. Er war zum Mittel-
punkt ihres Lebens geworden und hatte es leider, ohne dass er es
wusste, in der Hand, ihre Reaktionen und Empfindungen zu be-
stimmen. Christina lief die Außentreppe hinunter und betrat den
sonnendurchfluteten Park.
Sie hätte beinahe einen kleinen Freudenschrei ausgestoßen, als sie
den Weg hinunterging. Zu beiden Seiten wuchsen riesige Gummi-
bäume. Ihre dicken Wurzeln hatten sich schlangengleich um die
Stämme herumgelegt. Es war unglaublich. Gehörte die kleine fünfzig
Zentimeter hohe Pflanze in ihrem Wohnzimmer tatsächlich zur sel-
ben Gattung?
Da gab es dichte Hecken mit rot, gelb und rosa blühenden Hibis-
kusblüten. Von irgendwoher kam der aromatische Duft von Jasmin.
Christina fand die Hecke, die über und über voller Blüten war. Sie
strich mit den Händen darüber. Ein paar zarte Blütenblätter rieselten
zu Boden.
Plötzlich entdeckte sie Daniel. Er stand lässig gegen die Terras-
senmauer gelehnt und beobachtete sie mit amüsiertem Lächeln.
Sie winkte ihm grüßend zu. „Dieser Garten ist phantastisch."
„Ja, wirklich schön", stimmte er zu.
In den Jeans und dem sportlichen Strickhemd wirkte er noch größer
als sonst. Er kam ihr entgegen und hatte einen so bekümmerten
Blick, daß sie mitleidig wurde.
„Wissen Sie, was ich gerade festgestellt habe, Miß Lacey? Der
Speisesaal wird erst um sieben Uhr geöffnet. Ich kann nicht einmal
eine Tasse Kaffee bekommen."
„Wie entsetzlich", spottete sie, und die Sympathiewelle war ver-
gangen. „Jetzt ist es zwanzig vor sieben. Diese paar Minuten werden
Sie auch ohne Kaffee überleben."
„Nehmen Sie das nicht so leicht", wehrte er sich missgelaunt. „Sie
wissen doch, wie unausstehlich ich sein kann, bevor ich meinen
Kaffee bekommen habe."
Sie nickte ernsthaft, aber in ihren Augen tanzten Fünkchen. Natür-
lich hatte sie ihn in dieser Morgenlaune schon oft erlebt. Was für ein
Vorzug, Daniel Belmont so gut zu kennen. Dann erstarb das Lachen.

103
So etwas Besonderes ist es nun auch wieder nicht, dachte sie bitter
und drehte sich um. Wie viele Frauen haben ihn in dieser Stimmung
morgens wohl schon erlebt? Sicher unzählige. Diese Feststellung
brachte sie unsanft in die Wirklichkeit zurück.
„Also, ich gehe noch zwanzig Minuten spazieren", sagte Christina.
„Ich könnte ja mitkommen", meinte er seufzend.
Als sie über eine Wurzel stolperte, sah er auf. „Geben Sie mir ihre
Hand."
Sie reichte sie ihm. Seine langen, schlanken Finger umschlossen
warm ihre Hand. Ihr Herz begann wieder höher zu schlagen. Sein
schwarzes Haar glänzte in der Sonne, und die Farbe seiner braunen
Haut hob sich krass von seinem hautengen weißen Strickhemd ab.
Wieder bewunderte sie seine breiten Schultern und die muskulöse
Brust.
Sie wanderten um das Hotel herum. Nur wenige Meter weiter be-
gannen die Klippen, an denen sich sanft die Wellen brachen. Christi-
na steuerte auf eine künstlich angelegte Sandbucht zu.
„Ich bekomme Sand in die Schuhe", klagte Daniel mit schiefem
Gesicht.
„Ich auch", rief sie unbeeindruckt. Sie zog ihre Sandalen aus und
lief barfuss über den herrlich warmen Sand. Als sie einen niedrig
hängenden Palmwedel ergriff, schrie sie aufgeregt: „Kommen Sie,
sehen Sie sich diese riesigen Früchte da oben an. Sind das Kokos-
nüsse?"
„Ja. Sie sind noch grün."
"Oh, könnten wir welche pflücken?"
„Ich glaube nicht, dass man Kokosnüsse wie Äpfel pflücken kann.
Sie hängen einige Meter hoch, und ich werde für Sie nicht die Palme
hinaufklettern, Miß Lacey."
„Dann eben nicht."
Nach dem Frühstück und mehreren Tassen von einem Kaffee, den
Daniel als unmögliche Brühe bezeichnete, stand er auf. „Zeit zum
Arbeiten, Miß Lacey."
Christina hatte auf die Grünanlage voller Farne und blühender Bü-
sche gesehen und wäre nicht verwundert gewesen, wenn aus diesem

104
exotischen Garten ein Einhorn aufgetaucht wäre.
Ihre verträumte Märchenstimmung verschwand erst, als sie beide
zu ihren Zimmern gingen, um sich für die bevorstehende Konferenz
umzuziehen. Das war auch gut so. Märchen waren unwirklich, und
sie hatte den Tatsachen ins Auge zu sehen.
Vor ihrem Zimmer blieb Daniel bei ihr stehen. „Ziehen Sie etwas
Einfaches, aber sehr Attraktives an, Miß Lacey", sagte er und ließ
seine Blicke über ihr gelbes Kleid und die vom Wind zerzausten
Haare schweifen.
„Allmählich weiß ich, wie ich mich zu kleiden habe", wehrte sie
ab.
„Verzeihung. Das ist die Macht der Gewohnheit." Er machte ein
zerknirschtes Gesicht.
„Mr. Belmont, Sie haben mir immer noch nicht gesagt, wie lange
wir hier bleiben", erinnerte ihn Christina.
„Ich habe mich noch nicht entschieden. Warum? Haben Sie einen
Grund, schnell nach Corpus Christi zurückzukehren?" fragte er.
Christina schüttelte den Kopf. „Nein. Es war nur eine Frage."
Sein Blick wurde dunkel. „Sind Sie sicher, Miß Lacey? Nach der
Konferenz brauche ich ihre berufliche Hilfe nicht mehr. Wenn Sie
zurückreisen wollen, müssen Sie es mir sagen, dann buche ich sofort
die Abendmaschine."
Voller Überraschung sah Christina in sein angespanntes Gesicht.
Sie konnte sich seine Reaktion nicht erklären und befreite ihre Hand,
die er impulsiv ergriffen hatte.
„Ich will natürlich nicht früher zurück. Ich sagte doch, es war nur
eine Frage. Wenn Sie hier alles erledigt haben und abfliegen, werde
ich dabei sein. Jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich möchte mich
umziehen."
Sie öffnete ihre Zimmertür, lächelte ihm noch einmal über die
Schulter zu und ging hinein.
Was sollte das bedeuten? Warum reagierte er so seltsam? Seine
Empfindlichkeit war unerträglich geworden. Ständig war er bereit
aufzubrausen und stand wie unter einem inneren Zwang. War er nur
überarbeitet, oder löste sie diese Stimmungen aus? Wenn das so war,

105
warum regte er sich dann so auf bei dem Gedanken, dass sie schnell
nach Hause wollte?
Christina war in wenigen Minuten fertig. Als letztes zog sie die e-
leganten Pumps an und setzte sich vor den Spiegel, um die Haare
aufzustecken.
Wenn ich von ihm doch nur einmal klare Antworten auf meine
Fragen bekommen würde, dachte sie betrübt.

106
8. KAPITEL

Es schien Christina, als ob die Ereignisse in ihrem Leben in atem-


beraubender Geschwindigkeit aufeinander folgen würden. Gestern
war sie noch in Texas gewesen, heute vormittag in Cozumel als
Teilnehmerin einer wichtigen Konferenz. Am späten Nachmittag saß
sie jetzt neben Daniel in einer Limousine mit Chauffeur in Mexico
City und fuhr über eine breite Prachtstraße, die eine der längsten und
faszinierendsten auf der ganzen Welt sein musste.
„Paseo de la Reforma". Christina las langsam den Namen von ei-
nem Straßenschild ab.
Daniel half ihr, die Worte richtig auszusprechen. Er hatte seinen
Arm hinter ihr auf die Lehne gelegt, und sie spürte, wie er selbstver-
gessen mit ihren Haaren spielte, während er sie ab und zu auf etwas
Sehenswertes aufmerksam machte.
Schon die kleinste Berührung von Daniel ließ sie innerlich zu-
sammenzucken, und sie musste sich zwingen, auf seine Erklärungen
zu achten. Das war aber noch nicht einmal besonders schwierig. Was
ihr wirklich Mühe machte, war, kühl zu bleiben.
Daniel lachte und griff in ihr Haar, als sie wieder eine Aufschrift
mit falscher Aussprache las.
Über Gregory oder eine vorzeitige Abreise hatte er nicht mehr ge-
sprochen. Eigentlich hätte sie ganz gern ausprobiert, ob er immer
noch so scharf darauf reagierte, aber sie wagte es nicht.
Nachdem die Konferenz gut verlaufen war, hatte er sich in einen
charmanten Gesellschafter verwandelt. Dennoch spürte sie etwas
unter seiner freundlichen Fassade, was sie unsicher machte.
Vergiß es, Christina, ermunterte sie sich selbst, lebe nur für den
Augenblick! Wenigstens war etwas von der vorherigen Anspannung
vergangen.
Offensichtlich machte es ihm Spaß, den Fremdenführer für sie zu
spielen. Jedenfalls sah es so aus, als sie sich auf dem Weg vom Flug-
platz zum Hotel und jetzt zum Haus der Villines befanden. Mit ei-
nem kleinen Seufzer lehnte sie sich in das Polster zurück.

107
„Was ist?" fragte Daniel und sah auf sie hinunter.
„Ich dachte gerade an all die schönen Städte, in denen wir schon
waren. Und jede habe ich nur vom Flugzeug oder von einem Taxi
oder vom Hotelfenster aus gesehen."
„Leider wird das auch hier so sein. Eines Tages vielleicht…"
Was hatte er mit diesem unvollendeten Satz sagen wollen? Christi-
na hätte gern Gedanken lesen können.
Sie fuhren in die Einfahrt zu dem Landsitz der Familie Villines.
Christina setzte sich auf. Begeistert nahm sie diese Pracht in sich auf,
doch ihre Freude war etwas getrübt. Daniel hatte sie ein wenig über
ihre Gastgeber informiert. Danach mussten Don Ramon und seine
Frau etwas an sich haben, was Angst einflößte.
Daniel hatte gesagt, er habe Senora Villines noch nicht persönlich
kennen gelernt, aber man sprach darüber, sie sei wie eine Königin,
und der Besitz sei eine einmalige Sehenswürdigkeit.
Der Wagen durchfuhr ein parkartiges Gelände und bog dann in die
Auffahrt zu einer palastartigen Residenz aus roten Ziegelsteinen ein.
Ein Diener führte Christina und Daniel mit tiefen Verbeugungen
ins Haus, wo sie von einem hochgewachsenen, vornehmen Herrn mit
durchdringenden schwarzen Augen und vollem silberweißem Haar
empfangen wurden.
„Christina Lacey, darf ich Ihnen Don Ramon Villines vorstellen?"
sagte Daniel, nachdem die Männer sich überschwänglich begrüßt
hatten.
Senor Villines verbeugte sich und küßte ihr die Hand. „Bienveni-
dos, willkommen, Senorita Lacey. Sie wissen, mein Haus ist Ihr
Haus", sagte er hoheitsvoll. „Ah, da ist ja auch meine Frau."
Christina hoffte inständig, dass man ihr ihr Erstaunen nicht allzu
sehr ansah, aber die bildschöne Frau, die da durch die Halle schritt,
war das eindrucksvollste Geschöpf, das sie jemals gesehen hatte. Die
enormen Diamanten, die an ihren Ohren glitzerten, machten sie
wahrhaftig zu einer majestätischen Erscheinung.
„Da ist auch meine Tochter Isabella Elisa", fügte Don Ramon hinzu
und streckte seine Hand einer großen, schlanken, jungen Frau ent-
gegen, die durch eine Seitentür hereingekommen war.

108
Christina hatte das Gefühl, immer kleiner zu werden. Wenn die
Mutter königlich war, so wirkte Isabella wie eine Prinzessin. Ihre
ausdrucksvollen Augen leuchteten sofort noch intensiver, als sie
Daniel entdeckte. Sie schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln, ihre
Stimme hatte einen verführerischen Klang.
Christina hätte etwas dafür gegeben, Daniel anzusehen, aber leider
konnte sie sich nicht umdrehen.
Sie hörte nur seine dunkle Stimme, mit der er die Tochter des Hau-
ses begrüßte. Dann küßte er Isabellas Hand.
Nachdem Vorstellung und Begrüßung beendet waren, bat die Seno-
ra ihre Gäste in ein wunderschönes, gemütlich eingerichtetes, kleine-
res Zimmer, das offenbar eines der privaten Wohnräume der Familie
war.
Alle setzten sich, und die Senora klatschte in die Hände. Zwei hüb-
sche Mädchen erschienen und boten Getränke und Vorspeisen an.
Daniel war völlig gelöst, während Christina sprachlos und beinahe
misstrauisch den sehr freundschaftlichen Bemühungen der Villines
gegenüber blieb.
„Ihr Haus ist einfach wunderbar, Senora Villines", hatte sie zu An-
fang begeistert gesagt. Dabei war es auch geblieben.
Später schlug die Gastgeberin vor, Isabella sollte Christina das
Haus zeigen. Weder Isabella noch Christina gefiel die Idee, doch
beide gehorchten.
Christina hatte in letzter Zeit die Häuser vieler reicher Leute ge-
sehen, aber keines glich auch nur im entferntesten diesem Palast mit
seinen Kostbarkeiten.
Isabella erzählte temperamentvoll, erklärte und zeigte bereitwillig.
Schließlich spazierten die beiden Frauen durch den Park voller selte-
ner Blumen und Gewächse. Eine Anzahl von Gärtnern war damit
beschäftigt, welke Blüten und Blätter zu entfernen.
Isabellas Frage kam leise und traf Christina unvorbereitet. „Sie sind
Mr. Belmonts Sekretärin, nicht wahr? Und in dieser Eigenschaft sind
Sie auch hier?"
„Ich bin eine Privatassistentin", verbesserte sie, „und in dieser
Funktion bin ich hier." Christina sprach betont gleichmütig.

109
Sie sah das Lächeln von Isabella und wusste genau, wie der heutige
Abend ablaufen würde. Isabella würde an Daniels Arm hängen, und
sie war das fünfte Rad am Wagen. Wie hatte sie nur annehmen kön-
nen, irgendetwas hätte sich geändert?
Höflich lehnte sie die Einladung Isabellas ab, ihr den kleinen See
im Park zu zeigen. Sie wollte zurück ins Haus. Allerdings bemerkte
sie noch, wie Isabella befriedigt lächelte.
Daniel saß mit dem Ehepaar Villines in einem der lauschigen In-
nenhöfe bei einem Drink. Nach einigen freundlichen Sätzen ent-
schuldigte sich Christina.
„Wegen des Balls heute abend gibt es nur ein kleines Abendessen.
Möchten Sie, dass ich es Ihnen in Ihrem Zimmer servieren lasse?"
fragte die Senora.
Christina nahm den Vorschlag dankend an. Sie wurde zu ihrem no-
bel ausgestatteten Zimmer gebracht.
Nach einem langen, entspannenden Bad zog sich Christina einen
roten Hausmantel an und legte die drei Abendkleider, die sie mit-
genommen hatte, auf ihr Bett.
Sie ließ sich auf die Knie fallen, um die Auswahl zu treffen. War es
nicht vollkommen egal, welches Kleid sie aussuchte? Neben Isabel-
las exotischer Schönheit musste jede noch so attraktive Frau ver-
blassen.
Zuerst die auffallende Lisa Manning, dann diese Brünette mit den
gelbbraunen Augen und nun Isabella! Warum waren Daniels Frauen
immer so aufregende Schönheiten? Christina stand auf, zögerte einen
Moment vor dem Spiegel und schnitt eine Grimasse.
Du bist ein Nichts, weißt du das? sagte sie in Gedanken zu sich.
Diese Isabella hat er erst vor zwei Stunden kennen gelernt, und schon
ist er Feuer und Flamme! Ich muss den Stolz haben, zurückzutreten.
Da hörte sie Daniels Schritte auf dem Flur. Sie rannte zur Tür und
rief ihn: „Mr. Belmont, bitte, ich möchte, dass Sie mich heute abend
entschuldigen. Ich kann nicht an dem Fest teilnehmen. Meine An-
wesenheit ist doch gar nicht gefragt", sagte sie steif.
Sein Gesicht verdunkelte sich. „Was meinen Sie damit, daß Ihre
Anwesenheit nicht gefragt ist?"

110
„Nun, ich denke, Sie werden Senorita Villines an Ihrem Arm ha-
ben. Muss ich denn noch an dem anderen hängen? Das wollen Sie
doch nicht?" sagte sie kühl. „Ich bitte also, dass Sie mich . . ."
„Sie werden um gar nichts bitten", explodierte Daniel. „Es ist nun
einmal so, dass ich Sie heute neben mir an meinem Arm wünsche.
Hören Sie, Miß Lacey, diese Veranstaltung habe ich extra für Sie
arrangiert."
Seine Augen funkelten böse. Er sah gefährlich aus, so dass sie nur
atemlos fragen konnte: „Sie haben das arrangiert, für mich?"
„Also, lassen Sie es mich so sagen: Ich habe Don Ramon nahe ge-
legt, dass meine Assistentin sich sehr freuen würde, seinen herrlichen
Besitz kennenzulernen, und dass man das am besten mit einem grö-
ßeren gesellschaftlichen Ereignis zu meinen Ehren verbinden könn-
te", erklärte er mit hintergründigem Lächeln.
Das Lächeln verging sofort. Er hatte die kühle undurchdringliche
Maske wieder angelegt.
„Sie werden an dem Ball teilnehmen, Miß Lacey, als meine. . .
Dame für den Abend. Da ich nicht wusste, daß Ramon eine Tochter
hat, kann man kaum erwarten, dass ich Isabella geleite. Also, wenn
Sie angezogen sind -und ich hoffe, Sie werden dem Ereignis ent-
sprechend gekleidet sein - wird Sie jemand zu mir hinunterbringen.
Ist das klar, Miß Lacey?"
„Völlig klar, Mr. Belmont", fuhr sie ihn an.
Dann schlug sie ihm die Tür vor der Nase zu. Dem Ereignis ent-
sprechend gekleidet! Das war wieder typisch. Tränen der Wut stiegen
in ihr hoch.
Energisch trocknete sie sich die Augen und ging zu ihrem Bett.
Zwei von den Kleidern kannte Daniel schon. Das dritte Modell hatte
sie aus einer Laune heraus gekauft. Es erforderte von der Trägerin
eine besondere Note, um Erfolg zu haben.
Es wirkte unschuldig und verführerisch zugleich, denn es war ein
sehr romantisches Abendkleid aus weißem Chiffon und Spitzen. Im
Augenblick fühlte sie sich völlig unfähig, in einem solchen Gewand
in die Öffentlichkeit zu treten.
Es klopfte, und Senora Villines trat gleich danach ein. Ihr folgte

111
eine madonnengesichtige Frau mit tiefschwarzen, glatten Haaren.
„Das ist Juanita. Sie wird Ihnen beim Ankleiden behilflich sein,
Senorita Lacey. Sie ist auch eine ausgezeichnete Friseuse. Haben Sie
Probleme?" fragte sie liebenswürdig.
In wenigen Sekunden hatte sie Christinas Zwangslage erkannt.
„Das weiße Kleid natürlich", schlug sie sofort vor. „Niemand kann
es besser tragen als Sie. Sie sind schlank und zierlich, und Sie haben
das gewisse Etwas, meine Liebe. Denken Sie niemals gering von
sich, Sie haben es nicht nötig."
Warmherzig sah sie Christina an. „Senor Belmont würde auch das
weiße Kleid wählen, denn so, wie sie darin wirken, so sieht er sie."
Christina bekam große Augen, aber bevor sie noch etwas erwidern
konnte, ging die Senora schon wieder zur Tür.
Nachdem Senora Villines dem Mädchen noch einige Anweisungen
in Spanisch gegeben hatte, wandte sie sich noch einmal an Christina:
„Ich komme später wieder. Dann werden wir beide zusammen die
Treppe hinuntergehen. Ich führe Sie in den Ballsaal, in Ordnung?"
Verwirrt nickte Christina. Sie kam sich vor wie ein kleines Mäd-
chen, aber es tat ganz gut.
Sobald ihre Herrin aus der Tür war, wurde Juanita tätig. Das weiße
Kleid wurde Christina übergezogen und der Reißverschluss ge-
schlossen. Hier und dort zupften die geschickten Hände den Stoff
zurecht. Dann kamen die weißen Satinpumps an die Reihe.
Juanita bürstete Christinas Haar und steckte es dann gekonnt auf
dem Kopf fest. Seitlich über einem Ohr platzierte sie eine herrliche
weiße Orchidee als einzigen Schmuck. Vorsichtig zog sie noch hier
und da am Haaransatz ein paar Strähnchen heraus, die sie zu kleinen
Löckchen eindrehte.
Dann bedeutete Juanita Christina, aufzustehen und sich langsam
um sich selbst zu drehen.
„Wie hübsch", rief das Mädchen begeistert.
Der Rock fiel von einem knapp sitzenden Oberteil fließend über
Christinas Figur und betonte leicht ihre schmalen Hüften. Der tiefe,
runde Ausschnitt war mit wertvollen Spitzen besetzt und zeigte den
Ansatz ihrer Brüste und die makellosen Schultern.

112
Nach einer halben Stunde kam die Senora wieder. Sie war ebenfalls
fertig zum Ball angezogen und trug in der Hand eine Schmuck-
kassette.
„Wunderbar. Genau, wie ich es mir vorgestellt hatte", sagte sie zu-
frieden.
Dann nahm sie aus der Kassette eine schimmernde Halskette. „Ich
dachte mir, dass Sie für ein so bezauberndes Kleid noch nicht den
passenden Schmuck besitzen. Auf Ihrer Haut fehlt ein zarter Farb-
tupfer."
Damit legte sie Christina die Kette aus Diamanten um. Ein ovaler
grüner Edelstein lag direkt über ihrer Brust.
„Senora, dieser Schmuck ist wunderbar", rief Christina überwältigt.
„Und passt genau zu Ihnen und dem Kleid."
„Darf ich Sie fragen, warum Sie so freundlich zu mir sind?"
„Spanische Frauen haben eine große Vorliebe für kleine ängstliche
Geschöpfe, und sie sind hoffnungslos romantisch." Sie lachte. „Ich
will Sie damit nicht demütigen, verstehen Sie mich bitte richtig.
Auch ich habe einmal dieses schreckliche Herzklopfen durchgemacht
vor meinem ersten großen Auftreten in der Gesellschaft."
„Sie hatten Angst?"
„Ja. So wie Sie mich jetzt sehen, war ich nicht immer."
Senora Villines plauderte weiter, leicht und amüsant, und dabei
führte sie Christina die Treppe hinunter.
Der Ballsaal war ein riesiger Raum mit glitzernden Kristalllüstern.
Christina schlug das Herz bis zum Hals, als ein ihr bekannter dunkler
Kopf sich in ihre Richtung drehte. Seine grünen Augen strahlten. Sie
verlor sich fast in seinem Blick.
„Miß Lacey. Sie sehen hinreißend aus." Daniel verbeugte sich und
bot ihr seinen Arm.
„Mr. Belmont", flüsterte sie und hängte sich bei ihm ein. Ihre Au-
gen forschten in seinem Gesicht. „Das ist alles sehr, sehr aufregend."
„Unsinn", sagte er forsch. „Sie sind schön, das wird Ihnen Sicher-
heit geben."
Isabella schaute phantastisch aus in ihrem Kleid aus blauer vene-
zianischer Seide. Als sie Christina und Daniel zusammen sah, richte-

113
te sie sich noch etwas mehr auf. Sie erkannte instinktiv die Rivalin.
Daniel geleitete Christina zu Don Ramon, der nun seine beiden
Hausgäste mit den anderen geladenen Besuchern bekannt machte. Es
hatte sich eine Auslese von einflussreichen Leuten mit berühmten
Namen eingefunden.
„Woher haben Sie die Kette?" fragte Daniel leise an Christinas
Ohr.
„Senora Villines hat sie mir geliehen."
„Sie ist sehr hübsch und steht Ihnen gut."
Daniel streckte die Hand aus. „Wollen wir tanzen, Miß Lacey?"
Die Musik machte Christina beschwingt. Errötend und lachend ver-
suchte sie mit seinen schnellen Tanzschritten mitzuhalten, was auf
Anhieb nicht ganz gelang. Die südamerikanischen Rhythmen, die die
Kapelle spielte, waren ihr fremd. Sie war auch viel zu aufgeregt, um
sich auf ihre Bewegungen zu konzentrieren.
„Ich gebe auf!" rief sie schließlich und warf beide Arme in die
Luft.
Eine Gruppe junger Leute, die um sie herum tanzte, lachte und ap-
plaudierte Christina für den bezaubernden Temperamentsausbruch.
Sie errötete und sah zu Daniel auf.
„Aber Miß Lacey. Wir fangen ja gerade erst an. So schnell ver-
lieren Sie den Mut? Sie verschenken einen großen Sieg", flüsterte er
neckend.
Sie richtete sich auf, löste sich von ihm und legte ihre Hand auf
seinen Arm. „Vielleicht nehme ich später einen neuen Anlauf", mein-
te sie verschwörerisch. „Aber jetzt bringen Sie mich bitte zum Tisch
zurück, Mr. Belmont."
Sie hatte sich gerade gesetzt, da stand Don Ramon vor ihr.
„Bitte, geben Sie mir die Ehre, Senorita Lacey."
„Aber ich tanze nach dieser Musik miserabel."
„Das liegt nur daran, dass Sie einen schlechten Lehrmeister hatten",
sagte Don Ramon und zwinkerte Daniel zu.
Don Ramon machte es ihr ganz einfach, seiner Führung und seinen
Schritten zu folgen. Christina lernte schnell und tanzte nun mit Be-
geisterung. Diesmal klatschten die Gäste, weil der Tanz mit dem

114
Hausherrn so elegant ausgesehen hatte. Christina strahlte.
„Sie waren nur so gut, weil Don Ramon Sie nicht verwirrt hat. Bei
ihm sind Sie ruhig geblieben", flüsterte Daniel ihr ins Ohr, als er sie
zum nächsten Tanz aufforderte. Es war glücklicherweise ein lang-
sames Stück.
Daniel hielt sie leicht und in gebührendem Abstand. Aber gerade
das machte den Tanz so verhalten sinnlich. In einem Anfall von
Übermut strich Christina sanft mit ihren Fingerspitzen über seinen
Nacken. Eine Sekunde lang spürte sie, wie seine Muskeln sich
spannten. Er zog sie ein wenig näher zu sich heran. Erfreut über seine
stumme Antwort, sah sie zu ihm auf.
„Tun Sie das nicht noch einmal, Miß Lacey, ich bin sonst nicht
mehr verantwortlich für die Folgen", drohte er leise.
Die mit dunkler Stimme ausgesprochene Warnung klang wie eine
Liebeserklärung. Er lachte, als er die feine Röte sah, die sich über
ihre Wangen ausbreitete. Scheu schlug sie die Augen nieder.
Daniel tanzte viel. Es machte Spaß, ihm zuzusehen, wenn er mit
den anderen Damen tanzte, aber es war ausgesprochen schmerzlich,
ihn mit der hübschen Isabella zu beobachten. Ihr Benehmen war
absolut korrekt, dennoch sah man an ihren Blicken, dass Daniel ihr
ausnehmend gut gefiel.
Welche Frau fühlte sich nicht zu ihm hingezogen? Er war auch
heute wieder der attraktivste Mann. Isabella wäre wohl keine Frau,
wenn sie von seiner anziehenden Männlichkeit nicht berührt gewesen
wäre. Es war gut und schön, das einzusehen, es half nur nicht gegen
die Eifersucht.
Gerade ging Daniel zu einer anderen Gruppe von Gästen, lachte
und unterhielt sich mit ihnen. Man gab Christina keine Zeit, weiter
nachzudenken. Ein Blick von der Senora, und Don Ramon stand
schon neben ihr und forderte sie zum Tanzen auf.
Danach nahm Christina ein weiteres Glas Sekt und trank es hastig
aus. Unglücklich stellte sie fest, dass Daniel und Isabella sich an
einen separaten Tisch gesetzt hatten, um sich allein zu unterhalten.
Sie musste sich sehr zusammennehmen, um nicht aufzustehen und
davonzustürmen.

115
Als sie wieder zu den beiden hinübersah, gingen sie gerade zum
Tanzparkett. Die Musiker spielten diesmal einen mexikanischen
Tanz. Isabella bewegte sich wie eine Gazelle, ihre schwarzen Augen
glitzerten wie die Diamanten, die sie trug. Daniels Blick lag auf
ihrem Mund, der rot und feucht schimmerte. Sie wirbelten beide über
die Fläche und bewältigten die komplizierten Schritte und Figuren
mit spielerischer Leichtigkeit.
Christina musste einfach wie gebannt hinschauen, denn es war eine
großartige Vorstellung. Man hörte Ausrufe und begeisterte Kompli-
mente. Jeder fand, dass der gutaussehende Amerikaner und die schö-
ne Isabella aus reichem Haus wie geschaffen füreinander waren.
Daniel war keineswegs unempfänglich für die temperamentvolle
Weiblichkeit Isabellas, das sah auch Christina. Sein Körper war
gestrafft, das Leuchten in seinen Augen zeigte ihr, dass er dem
Charme der hinreißenden Frau in seinem Arm voll aufgeschlossen
war.
Als der Tanz zu Ende war, wurde ringsum applaudiert. Von diesem
Augenblick an blieb Christinas Gesichtsausdruck kühl und ver-
schlossen, wann immer Daniel ihr einen Blick zuwarf.
Kurz nach Mitternacht endlich fand Daniel wieder einmal zu Chri-
stina. Die Kapelle spielte gerade eine seelenvolle Melodie. Daniel
schlug vor, ein wenig an die frische Luft zu gehen. Er führte Christi-
na über die Terrasse in den Park. Es duftete nach den verschiedensten
Blüten.
Im Schatten einer Palme suchten seine Lippen ihren Mund. Christi-
na schlang ihre Arme um ihn und beantwortete inbrünstig seinen
Kuß.
Wenn er überrascht war über ihre Bereitwilligkeit, so zeigte er es
nicht. Er nahm sie entgegen und steigerte sie noch durch sein eigenes
Verlangen. Sie war sich bewusst, dass er nicht viel Schwierigkeiten
mit ihr haben würde, wenn er sie in dieser Nacht verführen wollte.
Christina drängte sich an ihn und forderte ihn unbewußt zu Kühn-
heiten heraus, die sie sonst nicht erlaubt hätte.
Daniel fand zuerst seine Haltung wieder. Mit einem tiefen Atemzug
schob er sie ein Stückchen von sich.

116
„Wir sollten zum Ball zurückkehren, Miß Lacey, bevor ich Ihren
wertvollen guten Ruf ruiniere", sagte er leise.
In seiner Stimme hörte sie, dass er sich über sie lustig machte. Wü-
tend sagte sie daher: „Warum finden Sie es so abwegig, wenn ich auf
meinen Ruf achte? Es könnte doch sein, dass der Mann, den ich zu
heiraten gedenke, wert auf diesen guten Ruf legt."
„Ja, das ist durchaus möglich, wenn ich an Gregory Stafford den-
ke", erwiderte er kühl. „Jedenfalls gehen wir jetzt zurück. Einver-
standen?"
Als sie zurückkamen, verabschiedeten sich die ersten Gäste. Chri-
stina wurde verlegen, als sie Senora Villines' wissendes Lächeln
bemerkte. Die romantischen Gedanken um sie und Daniel waren so
unzutreffend, das Christina am liebsten höhnisch aufgelacht hätte.
Sobald es möglich war, entschuldigte sie sich bei der Gastgeberin,
dankte für den schönen Abend und floh die Treppen hinauf in ihr
Zimmer.
Wenige Minuten später lag sie im Bett. Vor lauter unbeantworteten
Fragen konnte sie nicht einschlafen.
Warum hatte Daniel sie hierher gebracht? Warum hatte er zu Paul
Kinslow gesagt, er brauche sie? Sie konnte sich das alles nicht er-
klären.
Die beiden letzten Tage waren ein einziges Auf und Ab von Ge-
fühlen gewesen. In einer Minute fühlte sie sich im Himmel, und
schon in der nächsten landete sie hart auf der Erde. Dauernd
schwankte sie zwischen Hoffnung, Schwäche und Glück. Schließlich
hatte sie noch den Kampf gegen ihren Stolz auszufechten, denn es
bestand ja die Möglichkeit, dass Daniel sie zurückgeholt hatte wie
ein Spielzeug, das eigentlich schon abgelegt worden war. Oder noch
einfacher: Er setzte seine Jagd nach einem Liebesabenteuer fort, weil
er bei seinen sonstigen Erfolgen nicht ertragen konnte, von einer
Frau abgewiesen zu werden.
Mit solchen Gedanken landete sie wieder einmal auf dem Boden
der Tatsachen. Er war so charmant heute abend gewesen. Die Tänze
mit ihm würde sie ihr ganzes Leben lang nicht vergessen. Ihre Liebe
zu diesem Mann hatte sie wieder einmal überwältigt. Sie brauchte

117
nur an die köstlichen Minuten im Park zu denken. Vielleicht hätte
alles gut werden können, wenn nicht der Name Gregory Stafford
gefallen wäre.
Aber nein, an ein gutes Ende war in keinem Fall zu denken. Daniel
Belmont konnte sich nicht an eine Frau binden. Warum sollte er
auch? Er bekam alle, die er wollte.
Von der Terrasse unter ihrem Fenster hörte sie sein dunkles Lachen
und Isabellas klingende Stimme. Sie stellte sich vor, wie man da
unten entspannt nach dem Ball noch bei einem Drink zusammen saß
und über alles Mögliche redete. Auch über sie? Christina streckte
sich und seufzte.
Sie hatte zufällig gehört, wie Daniel zu Don Ramon gesagt hatte,
am Freitag würden sie nach Texas zurückkehren. Sie hatte also noch
zwei Tage mit ihm. Was kam dann?
Der Mond war hinter einer Wolke verschwunden, und das Zimmer
lag in völliger Dunkelheit. Ja, was kam danach? Alles war trübe und
undeutlich.

118
9. KAPITEL

Am nächsten Morgen wurde Christina sehr früh geweckt. Verwirrt


und noch schläfrig, verstand sie überhaupt nicht, was geschehen war.
Während sie duschte und sich anzog, packte ein Zimmermädchen
bereits ihren Koffer.
Am Frühstückstisch, der auf der Terrasse gedeckt war, wurde sie
von Daniel mit einem nachsichtigen Lächeln begrüßt. Sie erwiderte
den Gruß mit einem zurückhaltenden Kopfnicken. Offensichtlich
hatte er hervorragend geschlafen.
Sie kaute an einem Brötchen und ließ die Unterhaltung zwischen
Daniel und den Gastgebern an sich vorbeiplätschern, ohne sich daran
zu beteiligen. Der Wind spielte mit ihrem Haar und brachte den Duft
von Orangenblüten mit. Vögel flatterten am tiefblauen Himmel. Der
Rasen vor dem Haus war trotz der Hitze grün und weich wie ein
Teppich. Die Sprenganlagen waren bereits angestellt.
Über die Kaffeetasse hinweg sah sie zu Daniel, dessen Augen sich
auf einmal weiteten. Isabella war durch die Terrassentür heraus-
gekommen. Sie trug einen spitzenbesetzten, blauen Morgenmantel.
Ihre Haare fielen ihr wie ein Wasserfall über den Rücken. Daniel
begrüßte sie herzlich. Es gab Christina einen Stich, aber sie konnte
ihm nicht übel nehmen, dass er von Isabella so beeindruckt war, weil
sie wirklich eine der schönsten Frauen war, die sie je gesehen hatte.
Als der Wagen vor dem Haus hielt, standen alle auf und begleiteten
Christina und Daniel zur Auffahrt.
Mit einem warmen Lächeln nahm Senora Villines Christinas Hand.
„Auf Wiedersehen, Christina", sagte sie warmherzig. „Gott mit Ih-
nen."
„Sie werden uns Christina bald wieder einmal herbringen, nicht
wahr, Daniel?" sagte Don Ramon und küßte ihr die Hand.
„Wir werden sehen", meinte Daniel zurückhaltend.
Christina verabschiedete sich kurz von Isabella und stieg schnell in
das wartende Auto.
Die Fahrt zum Flugplatz verlief schweigend. An Bord der Maschi-

119
ne stellte Daniel seinen Sitz nach hinten, machte die Augen zu und
empfahl Christina, dasselbe zu tun.
Christina kuschelte sich in ihren Sitz und beobachtete ihn durch die
halbgeschlossenen Augen. Er sah aus wie ein kleiner Junge, wenn er
schlief. Sehnsucht stieg in ihr auf. Dann wurden ihre Augen schwer,
und sie schlief ein.
„Aufwachen, Miß Lacey", rief Daniel, als das Flugzeug zur Lan-
dung ansetzte.
Es war ihr, als seien erst Sekunden seit dem Einschlafen vergangen.
Sie rieb sich die Augen und murrte:
„Ich bin so entsetzlich müde. Warum mussten wir eigentlich schon
beim Morgengrauen aufstehen?"
Daniel lachte und half ihr aus dem Sitz. „Sehr einfach, weil wir
sonst das Boot nicht bekommen hätten."
„Das Boot? Was heißt das?"
„Wir machen einen Schiffsausflug die Küste entlang. Aber wir
schaffen es nur, wenn wir endlich hier herauskommen." Die Maschi-
ne war bereits zum Stillstand gekommen.
Christina geriet in Bewegung und fragte andauernd etwas anderes.
Daniel antwortete immer das gleiche. „Keine Fragen. Das ist eine
Überraschung, und bei Überraschungen stellt man keine neugierigen
Fragen."
„Ich will aber einiges wissen."
„Und ich antworte nicht."
Im Hotel trennten sie sich. Daniel riet ihr, Badesachen einzu-
packen. In zehn Minuten sollte sie wieder unten in der Halle sein.
Christina beeilte sich, in ihr Zimmer zu kommen. Sie war glücklich
und freute sich auf den Tag.
„Lebe für den Augenblick", rief sie ihrem Spiegelbild zu. Es funk-
tionierte. Jedenfalls jetzt.
Daniel kam bereits über den Flur, und Christina lief ihm entgegen.
Er ergriff ihre Hand. Vom Hotel zur Bootsanlagestelle waren es nur
ein paar Minuten. Atemlos kamen sie an, als das weiße Ausflugsboot
gerade am Steg festmachte. Lachend und prustend gingen sie an
Bord. Christina hätte vor Freude singen können. Abgesehen von

120
einigen fehlgeschlagenen Segelversuchen war sie noch nie mit einem
Boot gefahren, und schon gar nicht mit einem größeren. Sie sicherte
sich sofort einen Platz an der Reling, am Bootsgeländer.
Sie fuhren an der Küste entlang. Man sah überfüllte Badebuchten,
Felswände und steile Klippen, verlassene Strände, eingerahmt von
windzerzausten Bäumen. Die Sonne zauberte Glanzlichter auf das
Wasser, und im Wasserdunst der Schiffsschraube bildeten sich win-
zige Regenbögen. Es war ein unbeschreiblich schöner Tag. Der
Himmel war von reinstem Blau. Der Wind fegte Christina ins Ge-
sicht und zerwühlte ihr Haar. Sie lachte laut, weil sie sich so glück-
lich fühlte.
Daniel hatte sich hinter sie gestellt. Seine auf die Reling gestützten
Arme bildeten eine Stütze für ihren Körper. Ab und zu lehnte sich
Christina ein wenig zurück, nur ein ganz klein wenig, um eine Wär-
me zu spüren.
Er schmunzelte, als sie aufgeregt auf einen Schwarm Delphine
zeigte, die ein paar Minuten, auf- und untertauchend, das Boot be-
gleiteten und wieder verschwanden.
Alles, was sie bisher von Cozumel gesehen hatte, war die Straße
vom Flugplatz zum Hotel, und heute machte sie einen Ausflug um
die Insel, noch dazu mit dem Mann, den sie liebte.
Später gingen sie hinauf aufs Sonnendeck und fanden zwei freie
Liegestühle etwas abseits von den anderen Leuten. Christinas ein-
teiliger Badeanzug erregte sein Erstaunen.
„Sind Sie nicht ein bisschen altmodisch, Miß Lacey?" bemerkte er
und zeigte, mit den Augen zwinkernd, auf zwei wohlproportionierte
junge Damen in Bikinis.
Christina errötete, und Daniel lachte. Sie konnte ihm nicht böse
sein, dazu war alles viel zu schön. Angeregt von seinem Spott, ver-
suchte sie es ihm gleichzutun. Sie hob eine Augenbraue, zeigte auf
seinen Strohhut und sagte mit tiefer Stimme: „Wo, um alles in der
Welt, haben Sie diesen lächerlichen Strohhut her?"
„Lächerlich?"
„Lächerlich."
„Ich habe ihn bei einem Händler vor dem Hotel gekauft. Er ver-

121
sicherte mir, es sei hochmodern, so etwas zu tragen. Sie sind ja nur
neidisch, weil ich Ihnen keinen Hut gekauft habe", antwortete er
neckend und schob sich die Krempe ins Gesicht.
"Warum haben Sie keinen für mich gekauft?" fragte sie spielerisch.
„ Diese Hüte sind nur für die Herren der Schöpfung gemacht, Miß
Lacey.
Wenn Sie brav sind, dürfen sie den Hut vielleicht einmal auf-
setzen", versprach er großmütig.
„ Eingebildet, arrogant. . . und geizig ", stellte sie fest und blickte
anklagend zum Himmel.
Das Schiff legte an einem Steg in einer kleinen Bucht an. An den
Klippen wurden Feuer entzündet, und bald verbreitete sich aromati-
scher Bratenduft von großen Grillplatten.
Christina und Daniel setzten sich zu den anderen Gästen an einen
langen Holztisch. Wein, mexikanisches Bier und Fruchtsäfte wurden
ausgeschenkt. Bald gab es verschiedene gegrillte Fischsorten und
Krabben, riesige Steaks mit Salaten und Bohnen, dazu Safranreis.
Danach wurden sehr dunkel gebratene, in Würfel geschnittene
Fleischstücke mit frischem Gemüse und Knoblauchsauce serviert.
Daniel empfahl sie Christina wärmstens.
Sie versuchte und rief begeistert. „Köstlich. Danke. Dabei bleibe
ich. Ich frage mich, was es ist. Es hat einen ganz besonderen Ge-
schmack." Dabei nahm sie sich das dritte Stück.
„Ich denke, es ist cabrito", erwiderte er fröhlich.
„Und was ist cabrito?"
„Ziege."
Christinas Gesicht wurde lang. „Ach ja? Gut, aber ich werde lieber
noch ein paar Krabben essen. Das sind doch ganz normale Krabben,
wie sie jeder kennt, oder?" fragte sie vorsichtig.
Daniel häufte einen Berg rosiger, ölglänzender Krabben auf ihren
Teller. „Ganz normale Krabben, wie das andere eine ganz normale
Ziege gewesen ist", versicherte er.
Es war ein idyllischer Nachmittag. Hand in Hand wanderten Chri-
stina und Daniel nach dem reichhaltigen Essen am Wasser entlang
bis zu einer Orangenplantage. Dort setzten sie sich unter den Bäumen

122
in den Schatten.
Daniels nackter Oberkörper schimmerte wie Bronze. Das seiden-
weiche, lockige Haar auf seiner Brust und auf den Oberschenkeln
lockte Christina zum Streicheln. Schnell wandte sie sich ab, um nicht
in Versuchung zu geraten.
Später schwammen sie ausgiebig im klaren Wasser und suchten
Muscheln am Strand. Fröhlich und verspielt jagten sie sich wie Kin-
der, bis Daniel Christina ergriff. Er hob sie hoch und lief mit ihr ins
Wasser. Die Erregung, die nackte Haut auf nackter Haut auslöst, war
in seinen und ihren Augen deutlich zu erkennen.
Beide hatten ihre übliche Zurückhaltung abgelegt. Wir könnten ein
frisch verliebtes Paar sein, dachte Christina ein wenig schmerzlich.
Unter halbgeschlossenen Lidern sah sie Daniel an, der neben ihr im
Sand lag, den komischen Hut weit über das Gesicht geschoben.
Wenn er ihr Ehemann wäre, wie würde das sein? Wie wäre es,
wenn sie zu jeder Stunde seine Augen auf sich gerichtet fühlte, wenn
er sie umarmte, wenn sie ihm ganz gehörte?
Plötzlich rückte er sich den Hut aus der Stirn und sah sie blinzelnd
an.
„Wie wäre es mit einem Spaziergang, um dem lauten Festestreiben
hinter uns zu entkommen?" schlug er vor.
Christina stimmte sofort zu.
Sie schlenderten weiter den Strand entlang. Er hatte sie an der
Hand genommen und ließ ihren Arm vor und zurück pendeln. In
dieser trauten Zweisamkeit bekam, durch die Augen der Liebe ge-
sehen, alles eine durchsichtige Klarheit. Das Dünengras, die
lavendelblauen Strohblumen, die kleinen verkrüppelten Bäume und
das Knirschen zerbrechender Muscheln unter ihren Füßen kamen ihr
vor wie in einer Traumwelt. Christina schwebte neben Daniel wie auf
einer Wolke.
Der Verstand sagte ihr, dass dies nur eine ganz normale Badebucht
und die Sonne dieselbe wie in Texas war, aber ihr Herz verdrängte
das logische Denken. Sie umfasste seine Finger fester und ging näher
an ihn heran. Ihre Schultern berührten sich bei jedem Schritt. Ich
liebe dich, Daniel, dachte sie innig, aber sie murmelte nur schwärme-

123
risch: „Ist es hier nicht wundervoll?"
Daniel drehte sich einmal kurz um. „Sehen Sie doch, man geht
schon wieder an Bord. Ich fürchte, wir müssen zurück", sagte er
bedauernd.
Als sie wieder auf dem Boot waren, sonderte sich Daniel ab. Chri-
stina nahm ihre Tasche und brachte ihm mit einem spöttischen Au-
genzwinkern seinen Strohhut. Er lächelte zwar, aber Christina spürte,
dass er in Gedanken weit weg war. Er ließ sich in einen Liegestuhl
fallen und legte die Füße auf die Reling. Stumm starrte er auf das
Wasser.
Christina konnte sich den plötzlichen Wechsel seiner Stimmung
nicht erklären. Sie setzte sich in einiger Entfernung auf eine Bank
und wurde von einem freundlichen jungen Paar, das auf der Hoch-
zeitsreise war, in ein Gespräch einbezogen. Ab und zu sah sie zu
Daniel hinüber und sehnte sich nach einem Zeichen von ihm. Er
rührte sich aber nicht.
Alle um sie herum lachten und redeten lustig durcheinander. Die
Sonne setzte das Meer förmlich in Flammen, und Daniel saß da wie
zu Tode gelangweilt.
Langweilte er sich mit ihr? Das war schon möglich. In den letzten
beiden Tagen hatten sie fast jede Minute miteinander verbracht. Für
sie war es eine reine Freude gewesen, aber er war vielleicht ihrer
Gesellschaft überdrüssig.
Christina stand auf und ging an der Reling entlang zum Bug des
Schiffes. Dort blieb sie stehen, bis das Boot an den Anlegesteg kam,
an dem sie aussteigen mussten.
Sobald es festgemacht hatte, war Daniel neben ihr und half ihr über
die Schiffsplanke. Seine Schweigsamkeit hielt an, bis sie Christinas
Zimmer im Hotel erreicht hatten.
„Hat Ihnen der Tag gefallen, Miß Lacey?" fragte er mit ver-
hangenen Augen.
Du darfst jetzt nicht lügen, Christina, dachte sie.
„Es war der schönste Tag meines Lebens. Vielen Dank", sagte sie
leise, fast unhörbar.
„Das freut mich." Es klang steif. „Also, dann werden wir uns jetzt

124
den Sand von der Haut waschen." Er winkte ihr zu und ging weiter
den Korridor hinunter zu seinem Zimmer.
Da Christina nicht wusste, wie der Abend aussehen würde, duschte
sie ausgiebig, zog ein hübsches, weit ausgeschnittenes Sommerkleid
und hochhackige Riemchenschuhe an und ging hinunter in die Ho-
telhalle. Sie wollte Daniel fragen, ob sie zusammen essen würden.
Sie schlenderte auf die Terrasse hinaus und hörte hinter einem
Blumenbeet seine Stimme und sein Lachen. Daniel saß bei einem
Drink mit einer jungen Frau zusammen, die Christina schon auf dem
Boot gesehen hatte. Es war eine attraktive Rothaarige mit wachen
Augen.
Das Herz tat ihr weh bei diesem Anblick. Die Frau hatte sich zu
Daniel geneigt und sprach in vertrautem Ton auf ihn ein. Seine Ant-
wort war ein vergnügtes Lachen. Dann stießen sie die Gläser an-
einander und sahen sich tief in die Augen.
Jetzt fühlt er sich nicht mehr gelangweilt, dachte Christina bitter.
Nach einem letzten Blick auf sein angeregtes Gesicht kehrte sie in ihr
Zimmer zurück.
Mit energischen Schritten durchquerte sie den Raum und stellte
sich vor den Spiegel. Seltsam, dass sie so blass war, dabei empfand
sie doch eine hitzige Eifersucht. Sie ballte die Hände zu Fäusten.
„Dummkopf, albernes Ding", beschimpfte sie sich selbst. „Willst
du es noch schriftlich haben? Daniel bevorzugt dann und wann deine
Gesellschaft. Er möchte auch mit dir ins Bett gehen. Wahrscheinlich
schätzt er auch deine beruflichen Qualitäten. Aber das ist auch alles.
Du unterscheidest dich nicht im geringsten von anderen Frauen, mit
denen er sich vergnügt. Für ihn sind alle gleich. Du auch."
Plötzlich musste sie über ihren Ausbruch lachen. Da befanden sie
sich auf dieser zauberhaften Insel, die zur romantischen Zweisamkeit
wie geschaffen schien, und Daniel saß unten mit dieser Rothaarigen,
während sie hier oben allein in ihrem Zimmer hockte und sich selbst
ein Drama vorspielte. Es war wirklich zu komisch.
Sie hatte einen unangenehmen Geschmack im Mund. Wenn sie
nicht ganz schnell etwas unternahm, würde das ein tränenreicher
Abend werden. Also zog sie sich ihren Bikini an, warf den Bade-

125
mantel über, griff nach einem Frotteetuch und fuhr mit dem Fahr-
stuhl hinunter zum Swimmingpool. Sie musste ihre Enttäuschung
loswerden, und das ging am besten durch hartes körperliches
Training.
Nach der zehnten Durchquerung des großen Beckens stieg sie a-
temlos und erschöpft aus dem Wasser. Morgen würde sie einen def-
tigen Muskelkater haben, aber das machte nichts.
Christina trocknete sich ab, zog in einer Umkleidekabine den Biki-
ni aus und hüllte sich in ihren Bademantel. Dann spazierte sich hin-
unter zum Meer und wanderte den Strand entlang. Am Himmel
leuchtete ein Stern nach dem anderen auf. Eine herrliche klare Nacht
brach langsam herein.
Die Quelle ihres Unglücks waren Daniel und ihre Stellung in seiner
Firma. Von beiden würde sie sich lösen müssen. Eine schnelle, sau-
bere Trennung war die einzige Möglichkeit. Wenn sie blieb, musste
es zu immer neuen Schwierigkeiten kommen.
Früher oder später, dessen war sie gewiss, würde sie in seinem Bett
landen, weil sie ihm eines Tages nicht mehr widerstehen konnte.
Wahrscheinlich würde sie sogar um seine Liebe betteln und sich
demütigen. Nein, so weit durfte es nicht kommen.
Auf einmal fror sie und ging den Weg zurück zum Hotel, aber sie
fühlte sich freier. Der Tumult in ihrem Herzen war zur Ruhe ge-
kommen.
Wenn sie wieder in Ohio war, würde ihr die Zeit mit Daniel Bel-
mont nur noch wie ein bittersüßer Traum erscheinen.
Daniel fand Christina am nächsten Morgen im Hotelgarten bei ei-
nem Orangensaft. Man merkte ihm an, dass er eine gewisse Un-
sicherheit zu überwinden versuchte, als er leise bat, sich zu ihr setzen
zu dürfen.
Christina sah ihn wie einen Fremden an, wie einen attraktiven
Mann, den sie zufällig kannte. Ihr Herz würde sie ihm nicht mehr zu
Füßen legen.
„Bitte", sagte sie zurückhaltend.
„Wo waren Sie gestern abend, Miß Lacey?"
Da sie merkte, dass er nicht nur unsicher, sondern auch noch ärger-

126
lich war, blieb sie ganz beherrscht.
„Ich bin eine Weile geschwommen, dann habe ich einen Spazier-
gang gemacht und bin ins Bett gegangen."
„Sie sind allein spazierengegangen? In der Dunkelheit? War das
nicht sehr unvorsichtig?" grollte er.
„Das ist doch meine Angelegenheit, oder etwa nicht?"
„Es ist Ihre Angelegenheit, solange nichts passiert. Man hätte Sie
aber überfallen oder vergewaltigen können. Dann wäre es meine
Angelegenheit gewesen, stimmt's?
„Ich verstehe Sie nicht ganz", antwortete sie kühl. „Seit wann sind
Sie verantwortlich für mein Wohlergehen?"
„Haben Sie schon gefrühstückt?" Er wechselte das Thema und ü-
berhörte ihren abweisenden Ton. Dann betrachtete er sie ungeniert in
ihrem knappen Bikini. Er sah das lange schwarze Haar, das sich von
der Feuchtigkeit über der Stirn und an den Ohren kräuselte.
„Ja. Ich bin früh aufgestanden, bin geschwommen und habe dann
gefrühstückt. Und Sie?"
„Noch nicht."
Er sah zum Meer hinunter, wo entfernt einige Segelboote durch die
Wellen glitten. Gern hätte sie seine Augen gesehen, aber er hatte eine
Sonnenbrille aufgesetzt.
Da er wieder seine übliche zurückweisende Haltung angenommen
hatte, bemühte sie sich nicht weiter um eine Unterhaltung. Sollte er
doch tun, was er wollte. Sie war fertig mit Daniel Belmont. Sobald
sie wieder in Corpus Christi waren, würde sie kündigen und die Stadt
verlassen.
Die Entscheidung ließ sie seltsam kühl. Vielleicht war sie auch nur
benommen von all den Ereignissen. Wie auch immer, es bedeutete
ihr nichts mehr. Morgen verließen sie Cozumel, und es blieb nur
noch dieser Tag, den sie überstehen musste.
Sie warf einen Blick auf Daniel, der sich auf einer Liege aus-
gestreckt hatte und sich sonnte. Christina wollte nicht in Versuchung
kommen, wieder weich zu werden. Leise stand sie auf und ließ ihn
allein am Strand liegen.
Wohin sollte sie gehen? Vielleicht ein Taxi nehmen und einen

127
Stadtbummel machen? Dazu war sie nicht in der Stimmung. Sie
schlenderte durch den Garten zum Hotel zurück und traf in der Halle
das nette junge Ehepaar von gestern. Man begrüßte sich freundlich,
und die junge Frau erzählte, dass sie auf der anderen Seite der Insel
Wasserski fahren wollten. Kurz entschlossen fragte Christina, ob sie
mitkommen könnte.
„ Natürlich gern ", sagte die junge Frau. „Haben Sie eine Aus-
rüstung? Es ist sagenhaft schön, über das Wasser zu gleiten."
„Nein, die habe ich nicht. Aber ich würde mir gern ein weiteres
Stück dieser Insel ansehen. Außerdem kann ich dieses Hotel nicht
mehr ertragen!"
„Das verstehe ich gut. Deshalb machen wir auch so viele Ausflüge.
Also, holen Sie Ihre Sachen, und kommen Sie mit uns."
„Vielen Dank, ich bin in fünf Minuten zurück."
Als sich die Tür des Fahrstuhls schloss, sah Christina gerade noch
Daniel in die Hotelhalle kommen, der mit bösem Gesicht in Richtung
Frühstücksraum ging.
Kurze Zeit später stieg Christina zu dem jungen Paar in den ge-
mieteten Jeep.
Die andere Seite der Insel war wildromantisch. Es gab hier mächti-
ge Klippen und Felsen und kleine, natürliche Sandbuchten. An der
Wasserskischule trennten sie sich. Man verabredete eine bestimmte
Zeit, zu der man sich wiedertreffen würde, dann ging Christina auf
Entdeckungsreisen.
Wenn Daniel doch bei ihr sein könnte, dachte sie sehnsüchtig. Aber
dann erinnerte sie sich an sein abweisendes Gesicht und verdrängte
den Gedanken. Sie konnte auch sehr gut allein sein.
Sie kam bei ihrer Wanderung an einen Felsen, den sie einiger-
maßen leicht erklettern konnte. Oben auf dem Plateau zog sie ihr
Sonnenkleid aus und legte sich im Bikini in die Sonne.
Hier oben wehte eine angenehme Brise, und sie hatte einen herr-
lichen Rundblick. Ab und zu brachen sich größere Wellen an dem
Felsblock. Der Gischt spritzte bis zu ihr hinauf.
Gegen zwei Uhr begann sie den Abstieg, um ihre neuen Bekannten
zu treffen. Gemeinsam gingen sie in ein kleines Strandlokal zum

128
Mittagessen. Der Vorschlag, noch durch das nahe gelegene Städt-
chen zu bummeln, fand bei Christina ungeteilte Zustimmung. Je
länger sie unterwegs war und Daniel nicht sehen musste, desto bes-
ser.
Der Ort war voller Touristen, weil draußen vor kurzem ein Luxus-
dampfer angelegt hatte. Der Markt war leider enttäuschend bis auf
wenige Stände. Es gab billige Souvenirs, handgefertigten Schmuck
und einige Antiquitäten.
In einer Seitenstraße fand Christina einen kleinen Juwelierladen,
der sehr hübsche Emaillearbeiten ausgestellt hatte. Sie kaufte sich
eine Kette aus viereckigen, buntgebrannten Emaillestücken, die mit
Silberschlaufen verbunden waren. Für Daniel fand sie Manschetten-
knöpfe. Warum sie die für ihn kaufte, wusste sie selbst nicht. Wahr-
scheinlich würde sie niemals Gelegenheit haben, sie Daniel zu geben.
Nach einiger Zeit traf sie das junge Paar wieder, man setzte sich in
ein Straßencafe und erfrischte sich mit gekühlten Getränken. An-
schließend bestellten sie noch riesige Eisbecher. Ringsum waren
fröhliche Menschen, Musikanten spielten heiße Rhythmen, Hunde,
Katzen und Kinder strichen ihnen um die Füße. Es war ein lautes,
buntes Durcheinander.
„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich bin, dass Sie mich
mitgenommen haben", sagte Christina zu dem Ehepaar, als sie wie-
der in den Jeep kletterten, um sich auf den Rückweg zu machen.
Die Sonne schien schon sehr tief, als sie auf dem Parkplatz vor dem
Hotel hielten. Christina verabschiedete sich mit einem weiteren herz-
lichen Dankeschön und fuhr in ihr Zimmer hinauf.

129
10. KAPITEL

Lange und ausgiebig badete Christina in duftendem Wasser. Nach-


dem sie sich abfrottiert und eingecremt hatte, fühlte sie sich seltsam
leer, als wäre etwas in ihr zerbrochen. Morgen ist alles zu Ende,
dachte sie, und Tränen brannten in ihren Augen.
Sie fönte ihr Haar und nahm ein sarongartiges Gewand aus einem
Karton. Es war nicht gerade die Art Kleid, die sie sonst bevorzugte,
denn es war recht auffallend. Knöchellang und an beiden Seiten bis
zu den Oberschenkeln geschlitzt, lag es sehr eng um ihre Hüften. Es
hatte keine Ärmel. Der schmale Stehkragen wurde hinten am Hals
mit einem Knopf geschlossen. Der Rücken war bis zur Taille offen.
Daniel hätte es für sie möglicherweise nicht ausgewählt.
Christina hatte das Kleid auf dem Markt gekauft. Wahrscheinlich
würde es nach der ersten Wäsche bereits auseinander fallen, aber für
heute abend fand sie es durchaus angebracht. Die leuchtenden Far-
ben, Orange, Rot und ein zartes Grün, passten großartig zu ihrer
gebräunten Haut und dem tiefschwarzen Haar. Sie wirkte exotisch,
und das bereitete ihr Spaß.
Der Lippenstift, mit dem sie ihren Mund noch attraktiver machte,
war eigentlich völlig unnötig. Warum gab sie sich so viel Mühe mit
ihrem Aussehen?
War es ein letzter Versuch, Daniel zu gewinnen? Das war ein un-
angenehmer Gedanke. Sie verdrängte ihn, nahm die kleine rote Lack-
tasche und verließ ihr Zimmer. Nur noch dieser eine Abend lag vor
ihr, dann hieß es: Lebewohl, du Trauminsel, Lebewohl, Daniel. War-
um tat dieser bevorstehende Abschied nur so schrecklich weh?
Die angenehme Luft und der zauberhafte Sonnenuntergang mach-
ten ihr das Herz doppelt schwer, als sie aus dem Hotel hinaustrat. Im
Swimmingpool vergnügten sich noch einige Gäste. Schreie und
Gelächter drangen zu ihr. Christina erkannte unter den Leuten auch
die rothaarige Frau, die gestern mit Daniel zusammen gesessen hatte.
Wo war Daniel überhaupt? Sie sah sich um, konnte ihn aber nir-
gends entdecken. Dann schlenderte sie zur Bar neben dem Swim-

130
mingpool und bestellte sich einen der landesüblichen Drinks: eine
halbe Kokosnuss, gefüllt mit einem Gemisch aus Ananassaft und
Rum.
Christina wollte sich gerade auf einen Barhocker setzen, als sie
Daniels Stimme hinter sich hörte.
„Vorsichtig mit dem Rum", rief er dem Kellner arrogant zu.
Christina drehte sich um und sah ihm direkt in die Augen. Hatte er
überhaupt eine Ahnung, was seine Stimme in ihr anrichtete? Sie
fühlte sich unsicher und war verwirrt. Die Liebe zu ihm bedeutete
Leben und Atmen, und es wurde ihr in diesem Augenblick klar, dass
sie ihn immer lieben würde.
Die guten Vorsätze von gestern hielten heute nicht mehr stand.
Selbst Zeit und Entfernung würden sie von dieser Liebe nicht heilen
können.
Daniel hatte einen weißen Anzug an, in dem er möglicherweise
noch eleganter als sonst aussah. Lässig beugte er sich über die Bar-
theke und zeichnete für Christina die Rechnung für ihr Getränk ab.
Sie versuchte, wenigstens äußerlich so neutral wie möglich zu blei-
ben. „Vielen Dank für Ihre Fürsorge, Mr. Belmont. Ich wusste gar
nicht, dass ein solcher Drink zu stark für mich ist."
Dann nahm sie das Getränk, rutschte vom Barhocker und ging da-
von. Zu ihrer Überraschung schmeckte es frisch und angenehm.
Davon könnte ich ein Dutzend trinken, dachte sie.
Daniel folgte ihr und war mit wenigen Schritten an ihrer Seite.
„Hatten Sie einen schönen Tag?"
„Danke. Es war wunderbar."
Trotz überkam sie, und sie ging beschwingt und herausfordernd
neben ihm her.
„Das freut mich", antwortete er knapp. „Was ich schon lange fra-
gen wollte", fuhr er freundschaftlich fort. „Haben Sie und Gregory
schon einen Termin für die Hochzeit festgesetzt? Ich habe noch keine
Einladung erhalten und rechne fest damit, Ihr Gast zu sein."
Abrupt war Christina stehen geblieben und sah ihn verdutzt an.
„Das ist doch Unsinn", wehrte sie ab.
„Sie wollen mich nicht einladen?"

131
„Das meinte ich nicht. Ihre Frage nach der Hochzeit war unsinnig."
"Wieso? Es ist eine ganz nahe liegende Frage."
Er meint es ernst, überlegte sie. Es war ihr überhaupt nicht in den
Sinn gekommen, dass Daniel annehmen konnte, sie sei wirklich mit
Gregory verlobt. Einen Augenblick war es, als wollte Ihr Herz aus-
setzen. Konnte es sein .. . Dann wurde ihr bewusst, dass es gar kei-
nen Unterschied bedeutete, ob ihn eine Hochzeit mit Gregory be-
rührte oder nicht.
„Sie mögen recht haben, aber ich werde Gregory Stafford nicht hei-
raten. Von Anfang an habe ich ihm gesagt, dass ich ihn nicht liebe
und nicht seine Frau werden kann. Vorige Woche habe ich mich
endgültig von ihm getrennt."
Ihre Erklärung hatte eine seltsame Wirkung auf Daniel. Seine Au-
gen wurden plötzlich dunkel, und sein Gesicht wirkte stark an-
gespannt. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte.
Da trat er vor sie. „Und Sie haben es nicht für nötig gehalten, mir
diese Entscheidung mitzuteilen?" Seine Stimme klang sehr ernst.
„Dafür gab es keinen Grund. Was geht Sie mein Privatleben an?"
antwortete sie überlegen.
Daniel nahm Christinas Arm. „Hören Sie, Miß Lacey, fahren wir in
die Stadt zum Essen. Vielleicht gehen wir hinterher ein bisschen
tanzen, bitte."
Die merkwürdige Unsicherheit in seiner Haltung rührte sie. Aber
ihr Stolz ließ nicht zu, dass sie sich sofort einverstanden erklärte.
War sie denn verrückt? Sie musste ihre lächerliche Sehnsucht nach
ihm endlich bekämpfen. Ein solcher Abend würde enden wie all die
anderen. Natürlich konnte sie ihn haben, wenn sie wollte. Er war nur
allzu bereit, ihr das zu geben, was er anderen Frauen auch gab. Viel-
leicht würde sie sogar damit leben können, dass er sie nicht liebte,
aber sie würde ihn niemals mit anderen teilen wollen.
„Tut mir leid, ich habe schon eine andere Verabredung", log sie.
Er legte seine Hände auf ihre Schultern, „Dann werden Sie eben
absagen."
„Ist das ein Vorschlag, Mr. Belmont, oder ist es eine Anweisung?"
Daniel ließ sie los und fuhr sich ungeduldig mit der Hand durch das

132
Haar. „Also gut, es ist eine dienstliche Anweisung", murrte er. Aber
es war ein sanftes Murren.
„Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass es lange nach fünf
Uhr ist?"
Eine Spur seiner üblichen Arroganz lag um seinen Mund. „Ich bin
mir durchaus bewusst, wie spät es ist, Miß Lacey. Setzen Sie sich."
Christinas Mund wurde schmal, als sie zu ihm aufsah. „Meinetwe-
gen", gab sie nach. „Da es Ihre letzte Anordnung sein wird, die Sie
mir geben, kann ich sie ruhig befolgen."
Sie setzte sich in einen der bequemen Liegestühle und schlug die
Beine herausfordernd "übereinander, ohne daran zu denken, dass der
Seitenschlitz ihres Kleides ihre Beine bis zu den Oberschenkeln
freigab.
„Die letzte Anordnung?" wiederholte Daniel perplex und setzte
sich neben sie.
Christina atmete tief. Sie konnte ihm ihren Entschluss ebenso gut
auch sofort verkünden. „Ja. Wenn wir morgen in Corpus Christi
ankommen, werde ich mich nur noch von Mr. Kinslow ver-
abschieden, dann fahre ich nach Ohio zurück. Ich bin fertig mit
,Belmont Enterprises'." Es war keine Anmaßung in ihrem Ton, nur
mutige Entschlossenheit.
„Das gibt es doch gar nicht, Miß Lacey. Sie wissen genau, dass ich
ohne Sie nicht auskommen kann."
„O doch, das können Sie. Sie haben es doch bewiesen. Drei Wo-
chen sind Sie gut ohne mich ausgekommen", erinnerte sie ihn.
„Es waren die entsetzlichsten drei Wochen in meinem ganzen Le-
ben", sagte er leise.
„Wie denn das? Das kann ich nicht ernst nehmen."
„Ich denke, ich habe mich zu sehr daran gewöhnt, eine Assistentin
zu haben."
„Sie finden leicht eine andere", bemerkte Christina schnippisch.
„Das kann schon sein."
Daniel lehnte den Kopf zurück an das Kissen und schloss die Au-
gen. Christina betrachtete ihn mit verhaltener Zärtlichkeit.
„Müde, Mr. Belmont?"

133
„Wenn ich ehrlich bin, ja. Ich habe nur wenig geschlafen in der
letzten Nacht." Er seufzte.
„Es war eine sehr hübsche Frau", erwiderte sie sanft.
Daniel riss die Augen auf. „Was reden Sie da?"
„Hören Sie, Mr. Belmont, diese Empörung steht Ihnen nicht. Ge-
sten abend bin ich heruntergekommen, um zu fragen, ob wir zu-
sammen essen wollen. Da saßen Sie bei dieser Rothaarigen",
antwortete sie eisig.
Daniels erstaunter Blick verwandelte sich in amüsierte Er-
leichterung „Also deswegen", sagte er aufatmend. „Miß Lacey", fuhr
er dann fort „Sie haben die ärgerliche Angewohnheit, voreilige
Schlüsse zu ziehen. Gestern abend saß ich bei einem Drink, und die
junge Dame kam vorbei und fragte, ob sie sich zu mir setzen könnte.
Ich bin ein höflicher Mensch und sagte ja. Dann trank ich aus und
hielt nach Ihnen Ausschau, weil ich fragen wollte, ob Sie mit mir
essen wollen", erklärte er gekränkt.
„Mir kann keiner übel nehmen, dass ich etwas ganz anderes dachte.
So wie das aussah. . ", verteidigte sie sich. „Diese Frau war sehr
hübsch, und das ist doch das einzige, was Sie verlangen."
„Wie kommen Sie nur auf eine so dumme Idee?" warf ihr Daniel
vor. „Wissen Sie denn nicht, dass ich eine große Schwäche für be-
zaubernde junge Damen in bunten Sarongs habe?" setzte er leise
hinzu. Christina warf ihm einen wütenden Blick zu.
„Sie spielen mit mir."
„Das möchte ich gern, Miß Lacey, aber Sie lassen mich nicht."
Oh, wie sie ihn hasste!
Sie sprang so plötzlich auf, dass ihr Getränk überschwappte und
sich über ihr Kleid ergoss.
„Sie sind ein ganz und gar gefühlloser Mensch", fuhr sie ihn un-
freundlich an.
„Ah, das ist einmal etwas ganz originelles zur Abwechslung",
meinte er und sah sehr zufrieden aus.
Als sie mit großen Schritten davonlief, rief er ihr warnend nach:
„Kommen Sie sofort zurück, Miß Lacey."
„Wenn ich nicht so gut erzogen wäre, Mr. Belmont, ich würde . . .

134
oh", schrie Christina auf, als sie unsanft mit einem Herrn zusammen-
stieß. „Es tut mir leid, habe ich Sie bespritzt?"
Der Mann lachte und wischte sich die Flüssigkeit von seinem
Hemd. „Ein bisschen schon, aber man kann das auswaschen."
„Entschuldigen Sie vielmals."
Christina warf die leere Kokosnuss in einen Abfalleimer, dann
drehte sie sich noch einmal zu Daniel um. „Und Sie. . .", begann
Christina. Sie hatte die Hände aufreizend auf ihre Hüften gestützt.
Ihre Augen sprühten Feuer.
„Miß Lacey, ersparen Sie mir bitte eine große Szene, und gehen Sie
mit mir essen", unterbrach sie Daniel. „Ich habe von einem Restau-
rant gehört, das nicht nur köstliche Ziege anbietet, sondern auch
Seefische und Schalentiere. Sie brauchen sich nicht erst umzuziehen,
ich finde dieses Kleid wirklich bezaubernd. Vor allem diese ver-
führerischen Seitenschlitze", neckte er sie.
„Mr. Belmont, mein Temperament wird jeden Augenblick mit mir
durchgehen", zischte sie warnend durch die Zähne.
Er sah so frech und so erfreut aus, dass sie ihm wirklich am liebsten
eine Ohrfeige versetzt hätte. Da sprang er plötzlich auf, packte sie,
hob sie hoch und drehte sich mit ihr im Kreis. Sein lautes, glück-
liches Lachen ließ die anderen Gäste aufsehen.
Christina hielt den Atem an.
„Miß Lacey, meine bezaubernde Miß Lacey. Wie habe ich das Le-
ben bisher ohne dich nur ausgehalten", rief er und bedeckte Christi-
nas fassungsloses Gesicht mit kleinen Küssen. Keine Stelle ließ er
aus.
„Mr. Belmont, lassen Sie mich gehen, sofort", rief sie verzweifelt
und trommelte mit ihren Fäusten auf seine Brust.
Die Welt war verrückt geworden, und er auch. Aber sie würde sich
nicht mitreißen lassen, sie nicht.
„Ich werde dich nie mehr gehen lassen, meine süße Miß Lacey",
erklärte Daniel selbstsicher. „Weißt du es denn immer noch nicht?
Weißt du nicht, weshalb die letzten drei Wochen so entsetzlich wa-
ren? Ich habe dich vermisst, mein Liebling. Dauernd habe ich deinen
Namen gerufen, war nahe daran, Kaffeetassen an der Wand zu zer-

135
trümmern, bin mitten in der Nacht wie ein Tiger in meinem Schlaf-
zimmer auf und ab gegangen und konnte nicht schlafen. Die Tage
waren noch schlimmer. Ich konnte nicht denken und nicht arbeiten
ohne dich."
Ihre Augen waren riesengroß und ungläubig. Sprachlos starrte sie
ihn an. Konnte es sein, dass sie etwas so ganz und gar Unmögliches
aus seinem Mund gehört hatte? Strahlten seine Augen wirklich voller
Liebe, oder irrte sie sich? Ihr wurde ganz schwach vor Unsicherheit.
„Du hast mich vermisst?" fragte sie völlig verwirrt.
„Nicht nur das, Miß Lacey. Mir ist klar geworden, dass ich dich
liebe", erwiderte Daniel schlicht.
„Das verstehe ich nicht", flüsterte sie, mehr erschrocken als erfreut.
„O mein Liebling, natürlich nicht. Wie kannst du wissen, dass du
für mich das lieblichste und begehrenswerteste Geschöpf auf der
ganzen Welt bist. Du bringst es fertig, mein Herz wie wild klopfen
zu lassen, du lässt mich alle meine Freundinnen vergessen, du
machst mich wahnsinnig vor Eifersucht, wenn ich dich in den Armen
eines anderen Mannes sehe."
„Ich schwöre, da war niemals etwas, auch nicht mit Gregory",
stammelte Christina überwältigt. Sie konnte keinen klaren Gedanken
fassen, weil ein solcher Tumult von Freude sie überflutete.
Daniel nahm ihr Gesicht in seine Hände und küßte sie zärtlich.
„Liebling, das weiß ich. Nachdem ich mich wieder etwas beruhigt
hatte, wurde mir klar, dass meine außergewöhnliche Miß Lacey sich
Männern nicht an den Hals wirft." Er zog eine Augenbraue hoch.
„Nicht, nachdem sie meinen Verführungskünsten monatelang wider-
standen hatte." „Du bist rätselhaft", sagte sie glücklich.
„Ich bin rätselhaft? Du hast mich wahnsinnig gemacht, Miß Lacey.
So wahnsinnig, dass ich mit dir bis nach Mexiko zu einer Konferenz
gereist bin, die auch in Corpus Christi hätte stattfinden können. So
völlig verrückt, dass ich dich in dieses wildromantische Land führte,
weil ich hoffte, du würdest hier mit mir zusammen Gregory Stafford
vergessen. So irrsinnig, dass ich sogar einen Freund bat, mir zu Eh-
ren einen Ball zu geben, damit ich mit dir tanzen konnte."
Christina legte ihren Mund auf seine Lippen, um ihn zum Schwei-

136
gen zu bringen. Sehnsüchtig nahm er sie in die Arme. Sie kuschelte
sich mit einem glücklichen Seufzer an seine Brust.
„O Mr. Belmont", flüsterte sie.
„O Miß Lacey", machte er sie lachend nach und küßte sie innig,
wieder und immer wieder.
Christina umschlang ihn. Sie fühlte sein Herz an ihrer Wange klop-
fen.
„Mein Kleines, ich liebe dich, ich liebe dich von ganzem Herzen",
wisperte er.
Niemals würde sie müde werden, das zu hören. Es war fast zu
schön, um wahr zu sein, dass sein Gesicht glühte vor Liebe zu ihr,
Christina Lacey. Sie war unendlich stolz.
„Warum hast du mich fortgeschickt, Daniel?" wollte sie wissen.
„Weil ich unbedingt allein sein musste, um klar denken zu kön-
nen", sagte er ernst. „Liebling, es tut mir leid, dass ich dir damit weh
getan habe, und ich weiß, dass es dir weh tat. Ich habe deine Augen
gesehen."
Er hob ihr Gesicht zu sich empor. „Hör zu, Christina. Was ich dir
im Flugzeug über die Gründung von ,Belmont Enterprises' erzählt
habe, stimmt nicht ganz. Als ich mein Ingenieurexamen bestanden
hatte und Vaters Partner wurde, glaubte ich, der glücklichste Mensch
zu sein. Ich war jung, voller Ideale und ich war verliebt…"
Er seufzte. „Vielleicht war es Liebe, vielleicht auch nicht, ich weiß
es nicht mehr. Aber was immer es auch war, das Ende war sehr
schmerzlich, und ich habe mir geschworen, niemals wieder eine Frau
so nahe an mich herankommen zu lassen."
Die Sonne versank rot im Meer. Daniel zog Christina wieder eng
an sich und legte die Wange an ihre.
„Danach ging alles schief. Vater starb einen Monat später. Ich war
so voller Trauer und Bitterkeit, dass ich manchmal dachte, ich schaf-
fe es nicht. Aber es gab für mich eine Aufgabe: die kleine Firma, die
er mir hinterlassen hatte. Ich habe meine ganze Kraft und Energie
eingesetzt und machte daraus ,Belmont Enterprises'. Als ich endlich
einmal zum Nachdenken kam, war ich inzwischen über dreißig und
hatte nichts, woran mein Herz wirklich hing, außer meiner Firma

137
natürlich. Manchmal fühlte ich mich sehr einsam, aber ich war auch
verhältnismäßig reich und abgesichert, nur mir selbst verantwortlich.
Ich war zufrieden mit dem, was ich erreicht hatte, und es gefiel mir
so. Jedenfalls habe ich das immer gedacht."
Daniel sah in Christinas zärtliche Augen.
„Und dann saß ich eines Abends in einem Krankenhaus am Bett
einer jungen Frau, die durch meine Schuld dahin geraten war. Plötz-
lich sah sie mich mit ihren Märchenaugen an, die so schön waren,
daß es mir einen Stich gab. Und sie sagte mit ganz kleiner Stimme:
,Es tut so weh, wissen Sie das?' Von diesem Augenblick an war mein
ganzes Leben verändert."
Christina musste sich ein Lachen verkneifen.
„Da gibt es nichts zu lachen, Miß Lacey ", wies er sie zurecht. „Ich
hatte mich überhaupt nicht mehr unter Kontrolle. Meistens habe ich
nicht einmal mehr gewusst, was ich tat. Nur eines wusste ich genau:
Dieses Mädchen darf nie mehr aus meinem Leben verschwinden. Sie
soll ständig um mich herum sein. Manchmal war ich so überglück-
lich, dass ich dir böse Dinge sagen musste, um mein Gleichgewicht
wieder zu finden" erklärte er mit einer Grimasse.
Er küßte ihre Nasenspitze. „Ich war nicht besonders froh über das,
was mit mir geschah. Immerhin hatte ich ,Belmont Enterprises' zehn
Jahre lang allein geleitet. Warum glaubte ich, ohne Miß Lacey an
meiner Seite nicht mehr weitermachen zu können?"
„Weil du mich liebtest", antwortete sie auf seine Frage. Es war al-
les so unwahrscheinlich, dass sie es immer wieder bestätigt haben
wollte.
„Das ist richtig, aber ich wusste es zu der Zeit noch nicht. An dem
Tag, an dem du gekündigt hattest und mich einfach sitzen ließest,
dachte ich, mein Leben sei sinnlos. Die ganze Stadt habe ich nach dir
abgesucht. Ich war besessen von dem Gedanken, du müsstest am
nächsten Tag wieder in meinem Büro sitzen." Seine Stimme wurde
dunkel. „Du solltest nur da sein und auf mich warten, denn erst mit
deinem ,Guten Morgen, Mr. Belmont' begann für mich die Sonne zu
scheinen. Das, mein Liebling, war deine Hauptaufgabe. Durch dich
schien die Sonne."

138
„Da du gerade von der Arbeit sprichst, Daniel, soll ich weiter deine
Assistentin sein?" fragte sie aufgeregt.
„Das liegt an dir. Es wäre natürlich wunderbar, wenn alles so blei-
ben könnte, wie es ist. Außerdem wäre es schön für mich, zu wissen,
dass die zauberhafte Mitarbeiterin, die da so eifrig alles notiert, auch
am Abend bei mir ist, in meinen Armen, in meinem Bett…"
Sein Kuß bestätigte ihr, wie sehr er sich nach ihr sehnte.
Christina wurde steif in seinen Armen und wehrte ihn ab. Noch
immer schwankte sie zwischen Traum und Wirklichkeit. Dabei legte
sie seine Worte in der schlimmsten Weise aus. Alles sollte so bleiben
wie es ist, nur sollte sie ihm auch privat zur Verfügung stehen. Nicht
seine Frau, seine Geliebte sollte sie werden. Das war es, was er woll-
te. Wie hatte sie sich nur einbilden können, dass der Liebe auto-
matisch die Heirat folgt?
„O mein Liebes, ich begehre dich so sehr", flüsterte Daniel.
Christina senkte den Kopf, damit er ihre Tränen nicht sah. „Es tut
mir leid, Daniel", sagte sie tonlos, „ich möchte nicht weiter deine
Assistentin sein und auch nichts anderes für dich werden." Allmäh-
lich überwand sie die Traurigkeit und wurde böse. „Ich habe nicht
den Wunsch, dein Bett mit dir zu teilen oder deine Sonne zu sein.
Lass mich los."
Sie schob ihn von sich und rannte aus der Dunkelheit in Richtung
Swimmingpool, wo inzwischen die Lampen brannten.
„Christina! Christina, warte."
Daniel hatte sie schnell eingeholt und hielt sie fest. Er schüttelte
sie. „Was ist mit dir los?"
„Mr. Belmont, warum springen Sie nicht in das Schwimmbecken,
um sich abzukühlen?" rief sie hitzig. „Oder ins Meer, damit Sie end-
lich aufhören, heiße Liebesschwüre zu stammeln."
„Hör zu, Christina, ich lasse mir von meiner Frau nicht sagen, ich
soll ins Wasser springen, um mich abzukühlen. Und das vor allen
Leuten", schrie er zurück.
„Ich bin nicht deine Frau." Ihre Stimme überschlug sich.
„Noch nicht, aber in Kürze wirst du es sein, und ich lasse mich von
meiner Frau in der Öffentlichkeit nicht lächerlich machen", grollte er

139
und sah sich um. Sie hatten ein interessiertes Publikum. Die Leute
amüsierten sich. Wieder fuhr er sich mit der Hand durchs Haar und
verwünschte die ungebetenen Zuhörer.
„Wir werden heiraten?" fragte Christina atemlos.
„Natürlich werden wir heiraten, Miß Lacey. Du bist die merk-
würdigste und aufregendste Frau, die mir je begegnet ist. Du be-
hinderst mich in meiner Arbeit, nimmst mir den Seelenfrieden und
machst mich total willensschwach. Miß Lacey, ich liebe dich, ver-
stehst du? Wir werden heiraten, begreifst du mich? Hast du mich
verstanden, Miß Lacey?" schrie er völlig außer sich.
„Du ordnest es einfach an? Du fragst mich nicht?" murrte sie.
„Jawohl, ich ordne es an." Daniel sah zu ihr hinunter, dann zu den
jetzt offen lachenden Hotelgästen und dann wieder zu Christina, die
über und über rot geworden war.
„Nein, Liebling, ich bitte dich. Willst du mich heiraten, Christina?"
„O Daniel! " Sie warf sich mit solchem Ungestüm an seine Brust,
dass er stolperte und nur mit Mühe sein Gleichgewicht wieder fand.
„Ich möchte es aber ganz genau hören", forderte er.
„Ja. Ja, ich will dich heiraten." „Und?"
„Ich liebe dich, ich habe dich immer geliebt und deshalb habe ich
dich so gehasst, du unmöglicher, eingebildeter Tyrann", gestand
Christina aus ehrlichem Herzen.
Minuten später bemerkte Daniel, dass sie sich vor den Gästen küß-
ten, die sich vor Begeisterung erhoben hatten und applaudierten.
„Könnten wir das nicht an einem Ort fortsetzen, wo wir allein
sind?" sagte er leise zu ihr.
„Ja, Liebling", flüsterte Christina selbstvergessen und küßte ihn
weiter.
„Miß Lacey." Daniel seufzte. Er strich ihr über das glühende Ge-
sicht und küßte ihre leuchtenden Augen. „Komm, lass uns hier weg-
gehen."
Daniel legte den Arm um ihre Schultern und führte sie zum Strand
hinunter. Knapp vor dem Wasser blieben sie stehen.
„Komm ganz dicht zu mir, Miß Lacey", flüsterte er und zog sie an
sich. „Ja, Daniel, wirst du mich mein ganzes Leben lang Miß Lacey

140
nennen?" „So sehr ich den Namen liebe, so werde ich doch etwas
Passenderes, wie zum Beispiel Mrs. Belmont, finden müssen."
Er legte das Gesicht auf ihre Brust, und Christina küßte zärtlich
seinen Nacken. Daniel stöhnte leise.
„Christina, ich habe gehört, dass man in Mexiko sehr schnell heira-
ten kann. Ich weiß nicht, wie schnell, aber vielleicht rufe ich Don
Ramon an und bitte ihn um seine Hilfe. Würdest du mit einer sehr
kurzen Verlobungszeit einverstanden sein? Sagen wir, eine Nacht?"
Christina liebkoste sein Ohr mit ihren Lippen und flüsterte: „Ach
Daniel, eigentlich ist mir eine Nacht schon zu lang."
„Ich verspreche dir, dass dich unsere Flitterwochen voll ent-
schädigen werden", sagte Daniel. „Komm her, meine kleine Geliebte,
ich möchte dich spüren."
Er umschlang Christina mit seinen Armen, so dass ihre Umrisse
miteinander verschmolzen. Sehnsüchtig suchte er ihre Lippen und
küsste sie mit verzehrender Leidenschaft, an der sich Christina ent-
zündete. Seine Sinnlichkeit ging ihr ins Blut, und sie hob sich ihm
entgegen.
Sie verlor ihre letzten Zweifel und alle Scheu und überließ sich
ganz seiner sich immer mehr steigernden Lust. Seine Küsse waren
Vorfreuden auf das, was sie erwartete, und sie wünschte sich nichts
sehnlicher als die absolute Vereinigung mit ihm.
Da wurden sie von Stimmen und Lachen unterbrochen. In der
Dunkelheit schienen noch mehr Paare die Einsamkeit am Meer ge-
sucht zu haben.
„Hier sind wir auch nicht ungestört, Daniel", klagte Christina.
Er lachte in sich hinein, und seine Augen glänzten im Mondlicht.
„Miß Lacey, ich habe ein wunderschönes Zimmer mit Balkon zum
Meer. Dort stört uns niemand", flüsterte er an ihren Lippen.

- ENDE –

141

Das könnte Ihnen auch gefallen