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Die Literatur der 20er Jahre

I. Grundzüge der Epoche

Der Erste Weltkrieg veränderte die politische Landkarte Europas. Drei große territoriale
Einheiten - Rußland, Deutschland und Österreich-Ungarn existierten nicht mehr in der alten
Gestalt.
- Aus dem zaristischen Russland wurde nach der Oktoberrevolution von 1917 und dem
danachfolgenden Bürgerkrieg die Sowjetunion, eine föderative sozialistische
Republik.
- Die Habsburgische Monarchie löste sich in einzelne Nationalstaaten auf, von denen
die Mehrzahl (die Tschechoslowakei, Österreich, Ungarn) die republikanische
Staatsform annahm.
- Auf dem reduzierten Gebiet des früheren deutschen Reiches wurde nach blutigen
revolutionären Kämpfen und Unruhen demokratisch-parlamentarische Republik
errichtet, die unter dem Namen Weimarer Republik bekannt war und ist.

Warum eben dieses Attribut "Weimarer"?


- In Weimar tagte die im Januar 1919 gewählte Nationalversammlung und in dieser Stadt
wurde die Verfassung der Republik verabschiedet. Es ist möglich, dass Weimar als
Tagungsort gewählt wurde aus sozusagen symbolischen Gründen. Nach einer langen Zeit der
Kämpfe, Unruhen und Krisen sollte auch für die Zukunft an die Blütezeit der deutschen
Kultur erinnert werden.

Das neu geteilte Europa war Anfang der 20er Jahre noch noch relativ politisch und auch
wirtschaftlich instabil. Die Weimarer Republik selbst hatte während ihrer zwölfjährigen
Existenz 22 Regierungen, die am längsten regierende war im Amt nicht mal ganz zwei Jahre.
Solche politische Situation zeigt, dass die Kompromissbereitschaft der politischen Parteien
fehlte und damit auch die demokratisch-parlamentarische Kultur. Die Weimarer Republik
wurde von links und auch von rechts angegriffen einerseits von den Parteien (die stärksten
waren damals: die SPD, die Deutsche Demokratische Partei-DDP und das Zentrum, sie haben
1919 eine Koalitionsregierung gebildet), andererseits von den "Bewegungen".

Deutschland verlor den Ersten Weltkrieg und es kam zum „Schandfrieden“ von Versailles. Im
Versailler Vertrag formulierten die Siegesmächte die Friedensbedingungen fest: Deutschland
musste die Kriegsschuld und Reparationszahlungen in Milliardenhöhe akzeptieren.
Die hohen Reparationszahlungen hatten zu einer Inflation geführt und die Bevölkerung war
zuerst sehr entsetzt.

Die Geschichte der Weimarer Republik wird gewöhnlich in drei Hauptphasen geteilt:

I. Von 1918-23 die durch wirtschaftliche Not, Inflation und Putschversuche von rechts und
links und noch durch Nachkriegsinstabilität gekennzeichnete Etappe der WR

Ende des Jahres 1923 trat eine neue Währungsreform in Kraft, die politischen und
wirtschaftlichen Verhältnisse normalisierten sich (z. B. bedeutende Investitionen aus den
USA). Die Regierung handelte mit den Siegesmächten des Ersten Weltkrieges neue Verträge
über die Reparationszahlungen aus.
II. 1924-29 eine Stabilisierungsperiode, die industrielle Produktion wurde durch ausländische
Kredite modernisiert und effektivisiert

III. 1929-33 wieder instabile Etappe mit großer Arbeitslosigkeit (etwa 6 Mill. Bürger) als
Folge der Weltwirtschaftskrise (1929-30 brach die New Yorker Börse zusammen und es kam
zu einer weltweiten Wirtschaftskrise, die auch die WR betraf). Während dieser Endphase der
Weimarer Republik kam es zur Polarisierung der politischen Kräfte und Stärkung der
Nationalsozialisten, die zum Wahlsieg führte und im Januar 1933 dann zur Ernennung Adolf
Hitlers zum Reichskanzler.

Das Kulturleben in der Weimarer Republik war trotz den Krisenjahren von großer Breite und
auch von großer Intensität. Manchmal spricht man sogar von den "goldenen 20ern".

Die erwähnte Breite oder die Vielfalt der kulturellen und auch literarischen Aktivitäten hängt
natürlich auch damit zusammen, dass sich gleichzeitig (parallel) mehrere
Autorengenerationen mit unterschiedlichsten literarischen Texten zum Wort meldeten:

-in der ersten Hälfte der 20er Jahre erscheint noch das Spätwerk Rilkes (1923, "Die Sonette
an Orpheus" und die "Duineser Elegien")

-drei Jahre später veröffentlicht Gerhart Hauptmann seine Dramen mit sozialer Tendenz
(Dorothea Angermann, 1926) und mit philosophisch-mytischer Tendenz (Die Insel der
großen Mutter, 1925)
G. Hauptmann feierte 1922 seinen 60. Geburtstag und im Zusammenhang mit den
Feierlichkeiten wurde er als Repräsentant der Weimarer Republik stilisiert.
Viele Autoren in den feierlichen Reden zu diesem Anlass formulierten programmhafte
Visionen oder Vorstellungen von der Rolle der Literatur und der Kunst überhaupt im Zeitalter
der Weimarer Republik. Es ging oft um die Beziehung Kunst-Staat, Künstler-Bürger.

Thomas Mann hielt auch eine Rede zum 60. Geburtstag Gerhart Hauptmanns, diese Rede
bekam die Überschrift Von deutscher Republik.
Thomas Mann, der übrigens neben Bertolt Brecht, zu den Schlüsselfiguren der Epoche
gehörte, teilte in seiner Rede Folgendes mit:

"Der Staat ist unser aller Angelegenheit geworden, wir sind der Staat, und dieser Zustand ist
wichtigen Teilen der Jugend und des Bürgertums in tiefster Seele verhaßt, sie wollen nichts
von ihm (von dem Staat) wissen, sie leugnen ihn nach Möglichkeit, und zwar hauptsächlich,
weil er (der Staat) sich nicht auf dem Wege des Sieges, des freien Willens, der nationalen
Erhebung, sondern auf dem der Niederlage und des Kollapses hergestellt hat und mit
Ohnmacht, Fremdherrschaft, Schande unlöslich verbunden scheint."

Diese Abneigung gegenüber dem neuen Staat, meint der Schriftsteller, hängt noch mit der
Kriegsniederlage und den folgenden harten Friedensbedingungen zusammen, die im
Friedensvertrag von Versailles festgelegt wurden.

Weiter zu der kulturellen Vielfalt der Epoche:


- wesentliche Rolle im kulturell-politischen Leben der Republik spielten die Brüder Heinrich
und Thomas Mann, die aber schon um die Jahrhundertwende ihre Werke veröffentlichten. In
den 20er Jahren waren sie bereits bekannt und berühmt und die deutsche Literatur dieser Zeit
bereicherten sie vor allem durch ihre Epochenromane. Dazu werden wir noch detailliert
später sprechen

- In die 20er Jahre fällt auch ein Teil des Werkes von Hermann Hesse, dass man oft mit dem
Begriff "Neuromantik" charakterisiert. Er arbeitet ähnlich wie auch andere Autoren dieser
Epoche mit den Erkenntnissen der Psychoanalyse, nicht nur von Sigmund Freud, sondern
auch Carl Gustav Jung und zeichnet in seinen Romanen oft an der Entwicklung und an
Schicksalswegen der Einzelindividuen die Krise der bürgerlichen Werte (als Beispiel soll sein
Roman Der Steppenwolf aus dem Jahre 1927 genannt werden).

Zu der jüngsten Generation dieser Epoche gehören die Debütanten, die mit ihrem
Hauptwerk erst in der Emigration oder nach dem Krieg hervortraten. Zu diesen Autoren
gehörte z.B. Anna Seghers, die in dieser Zeit doch schon viel veröffentlichte (E: "Aufstand
der Fischer von St. Barbara", 1927, E-en: "Auf dem Wege zur amerikanischen Botschaft",
1930, oder der Roman aus dem Jahr 1932 "Die Gefährten").
Weiter gehört zu dieser jungen Generation Marie Luise Kaschnitz, die sich vor allem der
Lyrik widmete, später dann aber auch kleinere Prosa und einen autobiographischen Roman
verfasste (Das Haus der Kindheit).
Die Dichter Peter Huchel und Günter Eich gehörten auch hinzu, ihr Werk wurde aber erst
nach dem Krieg veröffentlicht.

- dazwischen traten noch auch Autoren der expressionistischen Generation, wie Alfred
Döblin, Georg Kaiser oder Johannes Robert Becher hervor und dann Autoren, deren
Namen mit der Weimarer Republik fest verbunden sind: Kurt Tucholsky, Erich Kästner,
Marieluise Fleißer u.a.

- nicht vergessen darf man solche Schriftsteller wie Lion Feuchtwanger, Arnold Zweig,
Stefan Zweig oder Erich Maria Remarque und natürlich auch die Dramatiker und
Theaterleute, wie Erwin Piscator oder Bertolt Brecht

- unbedingt müssen im Zusammenhang mit der Epoche große Romane der Österreicher
erwähnt werden: von Robert Musil und Hermann Broch, Stefan Zweig u.a.

-Genauso die deutschsprachigen Autoren aus der Tschechoslowakei, d.h. vor allem Franz
Kafka, Franz Werfel und Egon Erwin Kisch, aber vielleicht auch Max Brod, Paul Leppin
u. v.a.

- in den 20er Jahren wurde Berlin zum Zentrum des künstlerischen und wissenschaftlichen
Lebens.
- reiches Kulturleben entfaltete sich aber auch in Wien, München oder Frankfurt

Hier wurden die neuen technischen Wunder erprobt und dann auch genutzt. Es handelte sich
doch um die Epoche einer schnellen, fast hastigen Entwicklung der neuen
Transportmaschinen (populär werden Luftfahrt, Automobilverkehr) und auch die rasche
Entwicklung der Informationsmedien (Radio, Film, große Zeitungsauflagen).

- 1923 wurde das erste öffentliche Rundfunkprogramm ausgestrahlt und bereits im Jahr
1917 entstand das Filmstudio UFA (Universum Film-AG). Film wurde gleich sehr populär.
Heute scheint fast unglaublich zu sein, dass Thomas Mann beispielsweise den Film zuerst als
unkünstlerisch abwertete und ablehnte.

- Die Schriftsteller sollten nun den Umgang mit neuen Medien lernen. Es entstand Hörspiel
und Filmszenarien, viele Romane wurde verfilmt, z. B. die Zeitromane von Heinrich Mann
wie Professor Unrat (unter dem Titel Der blaue Engel) u.a.

- populär war nun auch sportliche Leistung (sportliches Aussehen war „in“)

- Neue Architektur wurde in der Weimarer Republik entwickelt: das berühmte Bauhaus
(nicht heutiges Geschäft mit den Gartensachen ) in Weimar und später in Dessau stellte eine
moderne "Schule" für bildende Künste, Architektur und angewandte Disziplinen dar. Es war
Sammelpunkt für Künstler und Theoretiker des "Konstruktivismus" aus verschiedenen
Ländern. Es ging hier um die Verbindung der ästhetischen mit den gesellschaftlich-
funktionalen Aspekten der Architektur.

- Im Allgemeinen war da eine starke Tendenz, die Kunst aus ihrer ästhetizistischen Isolation
herauszuführen - sehr markant war dieses Bemühen im Bereich des Theaters:

- in Berlin wirkten damals noch Max Reinhardt, Bertolt Brecht und Erwin Piscator (der erste
Vertreter der politischen und dokumentarischen Dramaturgie)

- in den dramatischen Künsten standen sozusagen in der ersten Reihe künstlerische


Kabaretts. Sie sind sogar das Symbol der Zeit geworden. Eben in den Kabaretts wurden
Vorstellungen gespielt, die nach der Ästhetik der "Gebrauchkunst" geschrieben wurden.
In diesen Kabaretts kam es zu einer glücklichen Verknüpfung von künstlerischer
Phantasie, Popularität und kritischer Tendenz. Große Rolle spielten dabei auch die
Komponisten, die unvergeßliche Songs komponierten. Stellvertretend für viele nennen wir nur
Kurt Weill und Hanns Eisler.

- es ist bekannt, dass das Theater eine starke Position in der expressionistischen Etappe hatte,
die Anfang der 20er Jahre doch wirksam war. Man empfand aber schon damals sehr stark,
dass der Expressionismus seinen ursprünglichen Schwung verloren hat. Die idealistische
Begeisterung verschwand, vor allem im Zusammenhang mit den Kriegs- und
Nachkriegserlebnissen. Wenn man die individuelle pathetische Aussage der Expressionisten,
ihr Ausschrei mit der sie umgebenden Realität verglichen hat, dann verlor diese Aussage an
der Glaubwürdigkeit und sie wirkte oft wie eine gekünstelte Utopie. Jüngere Generation
bezeichnete die expressionistische Kunst als "Deformation und Aufschrei" und man sah darin
nur eine Flucht in die Abstraktion, die der Problematik der Zeit und ihrer Lösung absolut nicht
mehr entsprach. Man fühlte, dass es nötig ist, von der spielenden Metaphorik und von den
großen Gesten in den Alltag zurückzukehren, unter arbeitende Menschen, in die Büros und in
die Fabriken und auch die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit, den Krieg, das Elend und
die Ursachen all dessen zu suchen und literarisch und künstlerisch zu vermitteln.
Für diese neuen Bestrebungen formte sich auch eine Bezeichnung, die zuerst in den bildenden
Künsten gebraucht wurde, später auch in der Literatur:
Neue Sachlichkeit

Die Vertreter der neuen Sachlichkeit in der bildenden Kunst waren z.B. Georg Grosz und
Otto Dix, die mit ihren Graphiken, Bildern auch Karikaturen, satirische Darstellungen, oft
auch Proteste brachten, vor allem gegen alle Kräfte und Institutionen, die die Menschen in den
Krieg schickten.

Die Vertreter der "Sachlichkeit" hoben ihre Eindrücke nicht in das Allgemeine, wie die
Expressionisten, sondern bemühten sich um nüchterne, sachliche Wiedergabe so, dass sie die
k o n k r e t e Gegenständlichkeit der Erfahrungswelt unterstrichen.

Der Begriff „Neue Sachlichkeit“ bezeichnet – wie erwähnt – eine neue Stilrichtung in der
Malerei, dann auch in der Literatur. Die Bezeichnung bedeutet die "Versachlichung" der
ästhetischen Ausdrucksformen.

- Die Neue Sachlichkeit ist eine Gegenbewegung zum Spätexpressionismus, für den der
Gefühlsüberschwang (zu viel Gefühl, zu viele Emotionen) charakteristisch war.
Im Gegensatz dazu versuchen die Autoren der Neuen Sachlichkeit die Wirklichkeit
"sachlich", d.h. nüchtern und distanziert, also scheinbar objektiv und realistisch darzustellen.
Dabei bleiben sie aber manchmal nur an der Oberfläche. Die Darstellung der Alltagswelt, des
Arbeits-und Alltagslebens der Menschen in den Großstädten und der aktuellen Probleme, vor
allem aus den gesellschaftlichen und politischen Bereichen, kommt in den Mittelpunkt. Die
Autoren bemühen sich um eine nüchterne und exakte künstlerische Darstellung der
Wirklichkeit.

Die Themen:
Sie schreiben
- über die Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges (Arnold Zweig, Josef Roth)
- über die "Angestellten" (Fallada, Kästner, Fleißer) und ihre Lebensweise
- sie bewundern und mystifizieren den technischen Fortschritt

Die Protagonisten in diesen Literaturtexten der Neuen Sachlichkeit sind:


Ingenieure, Sekretärinnen, Angestellte, Arbeitslose, "girls" aus verschiedenen Chantans,
Schauspieler, Rennfahrer, Sportler, natürlich Liebespaare usw.

- wichtig war die Orientierung an die konkreten Tatsachen

Sprache:
einfache, nüchterne Alltagssprache, die auch dem ungebildeten Leser zugänglich und
verständlich sein konnte

- neben der Objektivität der Darstellung im Rahmen der Neuen Sachlichkeit geht es auch um
die Verständlichkeit

- "Objektivität" sollte so erreicht werden, dass das nicht geschrieben werden sollte, was
nicht gesehen oder erlebt war - der Schriftsteller als Zeitaugenzeuge
- mehrere der Literaturwerke der Neuen Sachlichkeit konnten in den 20er Jahren - abseits
einer billigen Massenkultur - großen Erfolg feiern, das war Beweis dafür, dass die Literatur
großen Schichten zugänglich sein kann (Kästner, Fallada, Remarque).

Weitere Dimensionen neusachlicher Ästhetik waren:


- neuer Naturalismus, Nüchternheit, Präzisionsästhetik, Entsentimentalisierung,
Dokumentarismus, Bericht und Reportagenstil

- die Neue Sachlichkeit wurde zwischen 1924-1933 zu einer intellektuellen Mode, unter dem
Begriff verstand man recht Verschiedenes. Den Autoren wurde hier neue ideologische Basis
geboten, die gekennzeichnet war durch Fetischisierung der Technik ("Technik ist schön, weil
sie wahrhaft ist") und Amerikanismus. Die Begeisterung für Amerika als dem "Land der
unbegrenzten Möglichkeiten" war eine Gegenposition zu der Russlandbegeisterung
(Sowjetunion), wie es unter vielen linken Intellektuellen herrschte.

Die Neue Sachlichkeit manifestierte sich in der Literatur vor allem in der Themen- und
Gattungswahl.

Kurt Pinthus (der übrigens die bekannteste Anthologie der Expressionistischen Lyrik "
Menschheistsdämmerung“ herausgab) hat 1929 in einem Aufsatz mit dem vielsagenden Titel
Männliche Literatur die neusachliche Literatur folgendermaßen charakterisiert:

"Ohne lyrisches Fett, ohne gedankliche Schwerblütigkeit, hart, zäh, trainiert, dem Körper des
Boxers."

Die Reportage und der Reportagenroman wird von mehreren Autoren nicht nur diskutiert,
sondern auch verfasst.

Der Artikel in der Berliner Presse Nicht der Roman, sondern die Reportage von dem Prager
Egon Erwin Kisch rief eine reiche Diskussion hervor, wie es mit der fiktiven und der nicht
fiktiven Literatur weiter sein soll. Es kamen nicht selten die Ansichten, dass der Roman in der
"klassischen" Auffassung eigentlich passé ist, dass nun "sachlich", objektiv auch in der
Literatur vorgegangen werden soll.

Auch die nicht Journalisten, sondern Schriftsteller, die schon früher hervorgetreten sind,
hatten das Gefühl, dass der Roman, wie er bis dahin war, doch etwas Neues benötigt. So
schrieb z.B. auch Lion Feuchtwanger 1927 in einem programmatischen Artikel:

"Was Schreibende und Leser suchen, ist nicht Übertragung subjektiven Gefühls, sondern
Anschauung des Objekts: anschaulich gemachtes Leben der Zeit, dargeboten in einleuchtende
Form. Erotisches rückt an die Peripherie, Soziologisches, Wirtschaftliches, Politisches in die
Mitte. Don Juan in seinen endlosen Varianten hat abgewirtschaftet, an seine Stelle tritt der
kämpfende Mensch, Politiker, Sportler, Geschäftsmann. Den Schreiber und den Leser fesseln
Gestaltung des unmittelbar Greifbaren: Sitten und Gebräuche des heraufkommenden
Proletariats, die Institutionen Amerikas, Fabriken, Konzerne, Autos, Sport, Petroleum,
Sowjetrussland.".
Solche aktuellen Impulse könnten den im Expressionismus schwach gewordenen Roman nach
Feuchtwanger stärken.

Alfred Döblin schrieb 1929:


"Wenn man ganz ehrlich ist, sagt man heute sogar: man will überhaupt keine Dichtung, das
ist eine überholte Sache, Kunst langweilt, man will Fakta und Fakta."

Die Orientierung auf das Empirische, auf authentische Zeugnisse und die Dokumentation ist
typisch nicht nur für den Roman und literarische Reportage, sondern auch für die Dramatik,
die mit den Tendenzen der Neuen Sachlichkeit verbunden war.

Die Literatur der Weimarer Republik war aber trotzdem vielschichtig und das Spektrum dieser
Literatur reichte vom magischen bis zum sozialistischen Realismus. von dem
nationalsozialistischen Schrifttum zu den linksorientierten satirischen Werken. Die
angestrebte Sachlichkeit ist dabei nicht selten auf der Strecke geblieben - hat einfach in
einigen Werken keinen Platz gefunden.

Die Hauptforderungen der neusachlichen Literatur waren:

- Aktualität, Realismus Unparteilichkeit (Tendenzlosigkeit)


Deshalb sollten die nicht-fiktiven Gattungen wie Reportage, dokumentarischer Roman
(Reportagenroman) und dokumentarisches Drama eine wichtige Rolle spielen.

- Der Alltag und "kleine Leute" sollten dargestellt werden: Probleme von ganz gewöhnlichen
Menschen sollten nüchtern und unpathetisch gezeigt werden. Die behavioristische
Darstellungsweise (Benehmungsprozesse in ihrer psychologischen Motivation und folgender
Reaktion) wurden von Alfred Döblin schon früher gefordert.

Kritik an der neusachlichen Haltung wurde von links und rechts geübt:

- von rechts kamen die Stimmen, dass die neusachliche Literatur als undeutsche
"Asphaltliteratur" (Stadtliteratur) sei

- von links kam manchmal Kritik (vor allem Georg Lukács, Walter Benjamin und Siegfried
Kracauer), dass die neusachlichen Dokumentarwerke von der Oberfläche nicht
weiterkommen, es reichte nicht aus, nur Fakten vorzulegen, sondern die hinter den Fakten
liegenden Ursachen sollten gefunden und analysiert werden

Kracauer schrieb dazu: "Hundert Berichte aus einer Fabrik lassen sich nicht zur Wirklichkeit
der Fabrik addieren, sondern bleiben bis in alle Ewigkeit hundert Fabrikansichten. Die
Wirklichkeit ist die Konstruktion."

Ein Merkmal des kulturellen Lebens in der Weimarer Republik war die Politisierung.
Diese verlief in verschiedenartigen Formen und in verschiedener Intensität seit dem Ersten
Weltkrieg.

In den 20er Jahren wurde die Funktion der Kunst und des Künstlers diskutiert. So z. B. gab es
eine Rundfunkdiskussion über die Frage: "Können Dichter die Welt verändern?"
Zwei gegensätzliche Positionen zu diesem Thema brachten Gottfried Benn und Johannes
Robert Becher, beide aus dem Expressionismus kommende Lyriker. Benn forderte "poésie
pure" (Kunst ohne gesellschaftliche, politische und andere Einflüsse), Becher wiederum
betonte "literature engagée", also eine kämpferische Literatur, die die Welt mitverändern soll.

- Ein markantes Beispiel für unterschiedliche Auffassungen von der Funktion der Literatur
und der Kunst überhaupt dokumentiert ein Streit zwischen den Kunstschaffenden im
Zusammenhang mit der Gründung der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie
der Künste im Jahre 1926.
Der Streit begann bei der Benennung dieser Sektion: Sollte sie Sektion für Dichtkunst oder
Sektion für Literatur heißen. Es ging nicht nur um Spiel mit den Worten "Dichtkunst" und
"Literatur", sondern um literarisch-politische Divergenzen, Unterschiede in der Auffassung
von dem Wesen und den Aufgaben der Literatur.
Der Streit endete erst 1930, als die Dichter, die man als Vertreter der Heimatkunst
bezeichnete, z. B. Guido Kolbenheyer, Emil Strauss und Wilhelm Schäfer, aus der Sektion
ausgetreten sind.

Die ausgetretenen Akademiemitglieder bewerteten das politische System der Weimarer


Republik als undeutsch und nicht-volkstümlich und wollten in der Dichtung angeblich
überzeitliche Werte darstellen.

Die meisten Sektionsmitglieder gehörten einer breiten Palette von politischen Positionen und
sie nahmen eine "vernunftsrepublikanische" Haltung ein.

Es wurden dann Ende der 20er Jahre auch Schriftstellerorganisationen gebildet, sowohl vom
rechten als auch vom linken Flügel.

- 1927 wurde vom NSDAP-Ideologen Alfred Rosenberg der Kampfbund für deutsche
Kultur gegründet
- zu den Zielen dieser rechten Schriftstellerorganisation gehörte die Bekämpfung der sog.
"Asphaltliteratur" und des "Kulturbolschewismus".

- 1928 etablierte sich dann der Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, der zuerst
linke künstlerische Intelligenz organisierte, später aber in enger Verbindung zur KPD stand.
Zu den Mitgliedern gehörte Joh. R. Becher, Anna Seghers, Erich Weinert, Willi Bredel u.a.

Beide Organisationen wollten "das System" von Weimar" abschaffen.

Zwischen diesen politisch ausgeprägten Flügeln standen die Vertreter der


"vernunftsrepublikanischen" Mitte und diese Linken, die die Weimarer Republik als das
kleinere Übel akzeptierten.

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