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Kontakt Eine Handreichung

HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst


Hildesheim/Holzminden/Göttingen
Gefördert durch:
VOM PAPIER
IN DIE PRAXIS
Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit
Brühl 20 | 31134 Hildesheim
Prof. Dr. Ruth Jäger-Jürgens | E-Mail: ruth.jaeger@hawk-hhg.de

UND ZURÜCK
Best Practice mit dem „Baum der Erkenntnis“
ZIELGRUPPEN UND ZIELE DIESER HANDREICHUNG

Zielgruppen dieser Handreichung sind pädagogische Fachkräfte in Kindertagesein-


richtungen sowie KiTa-Leitungskräfte und Trägervertreter/innen, die den „Baum der
Erkenntnis“ als Beobachtungsverfahren verwenden oder sich für dessen Verwendung
in ihrer Einrichtung interessieren. Ziel ist es, die im Rahmen des Forschungsprojektes
„Vom Papier in die Praxis“ mit Praktikerinnen gemeinsam zusammengetragenen Pra-
xisbeispiele zum Einsatz des Verfahrens in Form einer Handreichung für die Praxis
nutzbar zu machen. Die hier beschriebenen Erfahrungen beziehen sich folglich aus-
schließlich auf den Einsatz des „Baum der Erkenntnis“, lassen sich in vielen Aspekten
jedoch allgemein auf die Einführung und den Einsatz anderer Beobachtungsinstru-
mente übertragen.

Was finden Sie also in dieser Handreichung? Nach kurzen Einleitungen, die sich je-
ZUM GELEIT weils auf die Auswahl und den Einsatz des „Baum der Erkenntnis“ beziehen, finden
Sie Beschreibungen von Such- und Findungsprozessen sowie vom Einsatz des Ver-
fahrens in niedersächsischen Kindertagesstätten. Die ausgewählten Beispiele skiz-
zieren Vorgehensweisen oder Erfahrungen, die sich in den KiTas als relevant für das
Gelingen des Verfahrenseinsatzes erwiesen haben. Autorinnen der Praxisbeispiele
sind die Praktikerinnen selbst. Mit der Fokussierung auf in der Praxis selbständig
entwickelte und bewährte Vorgehensweisen ist gleichsam die Idee verbunden, zur
stärkenorientierten Reflexion der vorhandenen Beobachtungspraxis beizutragen.

Wir danken den kooperierenden Kindertageseinrichtungen, allen beteiligten Träger-


vertreter/inne/n, Leiterinnen, pädagogischen Fachkräften und Eltern für ihr großes
Engagement. Ein ganz besonders großer Dank gilt den Personen, die durch ihre Texte
maßgeblich zur Erstellung dieser Handreichung beigetragen haben. Namentlich sind
dies (in alphabetischer Reihenfolge): Ingrid Eilers-Bruns, Regine Gummels, Kornelia
Koch, Martina Kühnhardt, Claudia Montag und Regine Reuters.
Impressum

Herausgeberin: HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst


Hildesheim/Holzminden/Göttingen | Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit | Brühl 20 | 31134 Hildesheim
Redaktion: MA Raya Wolgem und Prof. Dr. Ruth Jäger-Jürgens | Kontakt: ruth.jaeger@hawk-hhg.de
Gestaltung: CI/CD-Team der HAWK
Druck: 2. überarbeitete Auflage (100 Stück) | Stand: 03/2016
ZUM FORSCHUNGSPROJEKT............................................................................... 04

EINLEITUNG ..................................................................................................... 06

1 PLANUNGS- UND EINFÜHRUNGSPHASE........................................................... 10


1.1 Such- und Findungsphase: Auswahl des Verfahrens .................................. 10
1.2 Einführungsphase: Aneignung des „Baum der Erkenntnis“ ........................ 13

2 VERFAHRENSEINSATZ: DER „BAUM DER ERKENNTNIS“ IN DER PRAXIS ............ 17


2.1 Rahmenbedingungen des Einsatzes ......................................................... 17
2.1.1 Zeitliche Organisation: Beobachtung und
Dokumentation im Alltag................................................................ 17
2.1.2 Einsatzstruktur: Geregelter, regelmäßiger Austausch ...................... 19
2.2 Pädagogische Haltung.............................................................................. 21
2.2.1 Stärkenorientierung....................................................................... 22
2.2.2 Gelassenheit als Grundhaltung....................................................... 23
2.3 Verfahrenseinsatz und Handhabbarkeit..................................................... 24
INHALTSVERZEICHNIS 2.3.1 Praktische Hilfen: Notizen, Zettelkästen und Klemmbretter.............. 24
2.3.2 Glossarerstellung........................................................................... 25
2.3.3 Individuelle Adaptionen: Farbwechsel, Datumsergänzung
und prozessuale Beschreibungen................................................... 26
2.4 Verfahrenskombinationen und Verknüpfungen.......................................... 29
2.4.1 Kombination: „Baum der Erkenntnis“ und „Portfolio“...................... 29
2.4.2 Verknüpfung: „Baum der Erkenntnis“,
„Portfolio“ und Orientierungsplan ................................................. 30
2.5 Der „Baum der Erkenntnis“ als Medium in der
Zusammenarbeit mit Eltern....................................................................... 32
2.6 Reflexion und Evaluation.......................................................................... 33

3 ÜBERGABE DES VERFAHRENS.......................................................................... 34

4 SCHLUSSBEMERKUNG ................................................................................... 36

5 LITERATURVERZEICHNIS.................................................................................. 37
Ziele des Projektes

Mit der Fragestellung nach dem „Wie?“ der


„Baumpraxis“ war ausdrücklich die Absicht
ZUM FORSCHUNGSPROJEKT verbunden, keine evaluative (bewertende)
Untersuchung durchzuführen. Aussagen zu
Qualität oder Güte des Verfahrens selbst wa-
ren folglich nicht intendiert. Vorrangiges Ziel
ZU DIESER HANDREICHUNG UND ZU DEM dem Verfahren entwickelte sich die Frage- war es vielmehr, gemeinsam mit der Praxis
FORSCHUNGSPROJEKT „VOM PAPIER stellung: „Wie gehen eigentlich andere KiTas Erkenntnisse über den Einsatz des „Baum
IN DIE PRAXIS. BEOBACHTUNG & mit dem „Baum der Erkenntnis“ um? Wie der Erkenntnis“ für die Praxis zu gewinnen. Ergebnisse
DOKUMENTATION IN DER KITA“ setzen sie ihn ein und welche Erfahrungen Mit diesem anwendungsorientierten Ansatz
sammeln sie?“. verbindet sich überdies das Ziel der Nach- Hohe Motivation und großes Engagement
Die vorliegende Handreichung zum Einsatz Um mehr zu erfahren, nahmen wir u.a. Kon- haltigkeit: Es ging uns darum, in den Einrich- der Kooperationspartner machten es mög-
des „Baum der Erkenntnis“ wurde im Rah- takt zu deutschen und schwedischen Ak- tungen bereits vorhandene Praxen des Ver- lich, den Einsatz des „Baum“ in niedersäch-
men des an der Hochschule für angewandte teuren auf, die mit der Entwicklung und Ver- fahrenseinsatzes gemeinsam mit den Ak- sischen KiTas erstmals empirisch basiert
Wissenschaft und Kunst HAWK, Fakultät für breitung des „Baum“ in Deutschland und teuren reflexiv nachzuzeichnen, um aus nachzuzeichnen. Die Ergebnisse des Pro-
Soziale Arbeit und Gesundheit, angesiedel- Schweden befasst waren/sind. Unsere Re- Best-Practice-Beispielen Ableitungen für jektes wurden im September 2013 auf der
ten Forschungsprojektes „Vom Papier in die cherchen ergaben, dass zum praktischen den gelingenden Einsatz des Verfahrens vor- Fachtagung „Vom Papier in die Praxis – Zehn
Praxis. Beobachtung & Dokumentation in Einsatz des Verfahrens noch keine Veröffent- nehmen zu können. Jahre ‚Baum der Erkenntnis in Deutschland‘ “
der Kita“ (Kurztitel) erstellt. Das zweijährige, lichungen vorlagen. der Öffentlichkeit vorgestellt und in einem
vom Europäischen Fonds für regionale Ent- Forschungsbericht zusammengefasst (WOL-
wicklung (EFRE) und dem Land Niedersach- Datenerhebung GEM/JÄGER 2014).
sen geförderte Projekt startete im November Kooperationspartner Um die Erkenntnisse aus praxisbezogener
2011 und endete im Oktober 2013. Um Erkenntnisse über die „Baumpraxis“ der Perspektive darstellen zu können, baten wir
Der Annahme folgend, dass die Fragestel- kooperierenden Kitas zu gewinnen, kamen unsere Kooperationspartner, ihre Erfah-
lung nach dem „Wie?“ des „Baum“-Einsat­ qualitative und quantitative Verfahren zum rungen mit dem „Baum der Erkenntnis“ zu
Idee des Forschungsprojektes zes für Kitas und pädagogische Fachkräfte, Einsatz: Die Perspektiven von Trägerver­ Papier zu bringen. In Anlehnung an den Titel
die das Verfahren ebenfalls nutzen oder treter/inne/n, Leiterinnen, pädagogi­schen des Forschungsprojektes „Vom Papier in die
Die Idee zum Projekt entstand während der nutzen wollen, auch interessant sein könnte, Fachkräften und Grundschullehrerinnen Praxis“ dokumentiert diese Handreichung
wissenschaftlichen Begleitung einer Krippe, entschlossen wir uns für den Entwurf einer wurden über leitfaden­ge­stützte Interviews die reflexive Auseinandersetzung mit der
die mit Einführung des schwedischen Beob- Forschungsskizze. Als Kooperationspartner und Gruppendiskussio­nen eingeholt. Mit- „Baumpraxis“ frei nach dem Motto: „Vom
achtungs- und Dokumentationsverfahrens konnten wir insgesamt neun niedersächsi­ tels eines Fragebogens wurde außerdem die Papier in die Praxis und wieder zurück!“.
„Baum der Erkenntnis“ beschäftigt war. In sche KiTas gewinnen, die den „Baum“ ein- Sicht der Eltern miteinbezogen. Wir hoffen, dass die nun vorliegenden Erfah-
der praktischen Auseinandersetzung mit setzen oder eingesetzt haben. Darüber rungswerte über den Einsatz eines seit zehn
hinaus beteiligten sich mit Marianne und Jahren in Deutschland verwendeten Beob-
Lasse Berger auch die Verfasserin/der Ver- achtungsverfahrens die oben genannten
fasser der deutschen Ausgabe des „Baum Fragestellungen zumindest punktuell beant-
der Erkenntnis“ an dem Projekt. worten können.

04 05
Beobachtung und Dokumentation werden Der „Baum der Erkenntnis“ ist hier der Ebe-
des Weiteren als Grundlage für ne B zugeordnet, da er sich auf bestimmte
die berufliche Reflexion, Entwicklungsbereiche und – diesen zuge-
den fachlichen Austausch des Personals ordnete – Kompetenzen bezieht.
0 EINLEITUNG untereinander, 2011 nimmt LEU eine weitere Unterteilung
die Beteiligung der Kinder an der Doku- von Beobachtungsverfahren in nur zwei Ka-
mentation ihrer eigenen Bildungspro- tegorien vor. Je nach „dominanter Zielset-
zesse, zung“ unterscheidet er zwischen einem „di-
Grundsätzlich werden mit Beobachtung und die Beteiligung von Eltern an den Bil- agnostischen Anspruch“ und dem Interesse
Dokumentation in Kindertageseinrichtungen dungsprozessen ihrer Kinder am „Verstehen und Erklären kindlicher Akti-
vielfältige Funktionen verbunden. Der nie- und die Darstellung der pädagogischen vitäten“ (LEU 2011:16). Diese Unterschei-
BEOBACHTUNG UND DOKUMENTATION dersächsische Orientierungsplan fokussiert Arbeit nach außen und eine verbesserte dung zu Grunde legend, kann der „Baum“ in
MIT DEM „BAUM DER ERKENNTNIS“ u.a. auf die Wahrnehmung von individuellen Zusammenarbeit mit Grundschulen (vgl. seiner schriftlichen Form eher der ersten
Entwicklungsschritten bei einzelnen Kindern MBF-SH 2006) eingeordnet. Form zugeordnet werden: sind die Fachkräf-
und warnt gleichzeitig vor möglichen Fehlin- te doch aufgefordert, eine vorgegebene An-
Ziele von Beobachtung und Dokumentation terpretationen: „Ziel der Beobachtungen ist zahl kindlicher Kompetenzen einzuschät-
immer die Erweiterung des Verständnisses Einordnung von Beobachtungsverfahren zen. Der im Kollegium, mit Eltern und auch
Bevor wir uns dem Einsatz des „Baum der der Fachkräfte für die Eigenart, das Verhal- mit dem Kind beabsichtigte und empfohlene
Erkenntnis“ zuwenden, lohnt es sich, kurz ten und Erleben des Kindes. Seine Entwick- Systematisches Beobachten und Dokumen- Austausch über die Entwicklung des Kindes,
einen Blick in die Literatur zu werfen. LEU lungsfortschritte und seine eventuellen tieren wird mit dem Einsatz bestimmter Ver- kann aufgrund seiner Prozessorientierung
greift den Aspekt auf, dass Beobachtung Schwierigkeiten können deutlicher wahrge- fahren bzw. Instrumente gleichgesetzt. Die- eher der zweiten Form zugeordnet werden.
grundsätzlich Teil der pädagogischen Tätig- nommen werden. Auf keinen Fall darf das se lassen sich in verschiedene Kategorien Die Kategorisierungen der Beobachtungs-
keit war und ist, er stellt jedoch Verände- Ergebnis von Beobachtungen dazu führen, einteilen (siehe dazu auch MISCHO, WELT- verfahren lassen erahnen, dass Verfahren
rungen in deren Gewichtung fest: dass Kinder abgestempelt werden (…)“ (Nds. ZIEN u. FRÖHLICH-GILDHOFF 2011:12). In der über ihren Einsatz gleichzeitig bestimmte
„Beobachten ist traditionell ein wichtiger Kultusministerium 2005:39). Broschüre des Ministeriums für Bildung und Bilder vom Kind transportieren. Gemeinsam
Bestandteil der Arbeit in Kindertageseinrich- Der Blick auf das individuelle Kind findet Frauen des Landes Schleswig Holstein (MBF- mit Kolleg/inn/en das eigene Bild vom Kind
tungen, der in den letzten Jahren an Bedeu- sich auch bei VIERNICKEL (2009). Demnach SH 2006) findet sich eine Unterteilung in zu reflektieren, kann bei der Entscheidung
tung und Beachtung enorm gewonnen hat“ werden Beobachtung und Dokumentation drei Ebenen, die auf LEU (2003) zurückgeht: für oder gegen den Einsatz eines Beobach-
(LEU 2011:15; vgl. dazu auch MISCHO/WELT- benötigt, „um eine differenzierte und damit Auf Ebene A sind Verfahren verortet, wel- tungsverfahrens einen wichtigen Orientie-
ZIEN/FRÖHLICH-GILDHOFF 2011:11). individualisierte Erziehungsarbeit leisten zu che die „Entwicklung einer kindzentrier- rungspunkt darstellen.
können. (..) Sie bedeutet hier vor allem das ten Perspektive in der Pädagogik“ fördern.
einzelne Kind, seinen Entwicklungsstand Verfahren der Ebene B dienen der „Kon-
und seine Interessen gut zu kennen und die- trolle von Lernfortschritten im Rahmen
ses Wissen als Informationsquelle und klar definierter Altersnormen und Lern-
Grundlage für die pädagogische Planung, ziele“.
die konzeptionelle Weiterentwicklung und Ebene C umfasst Praktiken für das „früh-
den konstruktiven, am Wohle des Kindes zeitige Erkennen von Entwicklungsstö-
orientierten Austausch mit den Eltern zu nut- rungen“ (MBF-SH 2006:10).
zen“ (37).

06 07
Beobachtung und Dokumentation
mit dem „Baum der Erkenntnis“

Bevor neue Praktiken in die tägliche Kita-


Praxis eingeführt werden, erweist es sich als Damit weist der „Baum“ Verbindungslinien
sinnvoll, nach deren Anknüpfungspunkten zu einigen Aspekten des niedersächsischen
zu bereits bestehenden Handlungspraxen zu Orientierungsplans, wie z. B. die Gestaltung
fragen. So geben z. B. rechtliche Vorgaben, der Zusammenarbeit mit Eltern oder die Art
wie das SGB VIII und der niedersächsische und Weise der „Vorbereitung der Kinder auf
Orientierungsplan den äußeren Rahmen lebenslanges Lernen“ (Nds. Kultusministeri-
fachlichen Handelns vor. Die Frage wäre hier „Die Eltern sollen ermuntert werden, aktiv um 2005:16) auf.
also, ob sich zwischen dem „Baum“ und den an der Auswertung/Fortführung des Plans Ob sich die pädagogischen Implikationen
bestehenden Rahmenbedingungen – dazu und der Entwicklung des Kindes teilzuneh- des „Baum der Erkenntnis“ auch mit den
zählt auch die vorhandene Konzeption der men. Durch das Buch des Kindes können die pädagogischen Konzepten bzw. Konzepti- Erst ein entsprechender Klärungsprozess
jeweiligen Einrichtung – Verbindungslinien Eltern die Entwicklung des Kindes verfolgen onen von Einrichtungen und deren Bild vom unter den beteiligten Akteuren kann somit
ziehen lassen. sowie sich an der Erstellung der individu- Kind „vertragen“, ist eine weitere wichtige den Ausgangspunkt einer planvollen Ver-
Bezogen auf § 22 SGB VIII weist der „Baum ellen Studien- und Entwicklungspläne von Fragestellung, die im Vorfeld zu berücksich- knüpfung von pädagogischen Zielen und
der Erkenntnis“ z. B. insofern Bezüge auf, als 1 – 16 Jahren beteiligen, auf die jedes Kind tigen und vor Ort zu klären ist. LAEWEN führt eingesetzten Verfahren darstellen.
er die dort benannten Entwicklungsbereiche und jeder Jugendliche ein Recht hat.“ (BER- dazu aus: Vor dem Hintergrund verschiedener Katego-
(u.a. soziale u. emotionale Entwicklung) in GER u. BERGER 2004: o. A.) „Die Tatsache, dass kein Konzept moderner risierungen und der Vielzahl von Beobach-
seinem Wurzelsystem aufgreift und zum Der im „Baum“-Heft enthaltene Leitfaden Frühpädagogik ohne Beobachtung und Do- tungsverfahren, ist die Auswahl eines pas-
Ausgangspunkt kompetenzbezogener Beob- schlägt konkrete Einsatzmöglichkeiten des kumentation auskommt, hat vielleicht zu der senden Verfahrens durchaus als Herausfor-
achtungpraxis macht. Verfahrens vor. Demnach empfiehlt sich der irrigen Annahme geführt, dass beide Verfah- derung zu betrachten. Damit sind wir bei der
Über die individuelle Begleitung des Kindes „Baum“ ren für sich bereits sinnvolle Methoden ersten Fragestellung des Forschungspro-
hinaus soll die Dokumentation der kind- a ls „Unterlage beim Entwicklungsge- seien. Das ist jedoch nicht der Fall. Beobach- jektes angelangt: „Wie kommt der „Baum“
lichen Entwicklung mit dem „Baum“ dazu spräch mit den Eltern und Kindern“, tung und Dokumentation sind relativ sinn- in die Kitas?“
dienen, in den stärken- und prozessorien- als „Unterlage für die Abfassung individu- lose Verfahren, solange sie nicht in ein pä- Ein Ergebnis der Datenauswertung war, dass
tierten Austausch mit Eltern zu treten. Unter eller Pläne“, dagogisches Konzept eingebunden sind, der Auswahl des „Baum“ häufig eine ge-
der Überschrift „Lebenslanges Lernen“ fin- zur „Reflexion des Kindes über das eigene das ihnen erst Sinn und Bedeutung verleiht“ meinsam mit anderen Akteuren gestaltete
det sich in den Begleitworten zum „Baum“ Lernen“, (Laewen 2006:103). Informationsphase vorausging.
folgender Hinweis für die Verwendung des als erleichternder Faktor für „das Zusam- Mit einer kurzen theoretischen Einbettung
Verfahrens durch Eltern: menwirken/den Übergang von einem beginnend, greifen die nachfolgenden Be-
Team zum anderen, vom Kindergarten zur richte aus der Praxis einige Aspekte solcher
Schule“, gemeinsam gestalteten Such- und Findungs-
als „ein Teil des individuellen Portfolios phasen auf.
des Kindes und Jugendlichen“ sowie
als „Auswertungsinstrument der pädago-
gischen Arbeit“ (BERGER/BERGER 2004:
o.A.).

08 09
Neben der inhaltlichen Ausrichtung lassen
sich in vielen Einrichtungen auch Parallelen
in der organisatorischen Gestaltung von
1 PLANUNGS- UND EINFÜHRUNGSPHASE Such- und Findungsphasen finden, die
vorrangig durch den Einbezug weiterer
Akteure – und damit durch Vernetzungsakti-
1.1 SUCH- UND FINDUNGSPHASE: vitäten – gekennzeichnet sind. Einen Ein-
AUSWAHL DES BEOBACHTUNGS- blick, wie solche Such- und Findungsphasen Gerade in der Zusammenarbeit mit den El-
VERFAHRENS organisatorisch gestaltet werden können tern der Integrationskinder wurde immer
und welche Orientierungen die Auswahl des wieder deutlich, dass zunächst gehäuft die
Pädagogischen Fachkräften steht heute eine „Baum“ dabei beeinflussen, bietet das Probleme und Schwächen der Kinder im Vor-
große Auswahl von Beobachtungs- und Do- nach­folgende Beispiel. Regine Gummels dergrund standen. Um Hilfen und Unterstüt-
kumentationsverfahren zur Verfügung. Dies beschreibt die Ausgangslage in ihrer Einrich- zung für die Kinder zu erhalten, muss zu-
spiegelt die Einordnung von Beobachtung tung wie folgt: nächst der Bedarf geprüft werden, das Kind
und Dokumentation als „bedeutende Ele- erhält einen „Stempel“, wird stigmatisiert.
mente professionellen Handelns im Bereich kräfte müssen sich im Rahmen ihrer Konzep- Regine Gummels: In Entwicklungsberichten und bei Besuchen
der frühkindlichen Bildung“ wider (MISCHO, tion über die Ziele und den Einsatz von Be- bei Fachärzten wird der Fokus vor allem auf
WELTZIEN u. FRÖHLICH-GILDHOFF 2011:9). obachtungsverfahren und -methoden ver- Unsere Einrichtung gibt es seit 18 Jahren. die Beeinträchtigungen des Kindes gelegt.
Eine Einschätzung, die bereits im nieder- ständigen“ (NDS. KULTUSMINISTERIUM Anfangs hatten wir eine Integrationsgruppe Oftmals gelingt es erst in der praktischen
sächsischen Orientierungsplan zu finden ist: 2005: 50). Hier findet sich ebenfalls der mit vier Plätzen für Kinder mit einem erhöh- Zusammenarbeit mit den Eltern, dass diese
„Die Beobachtung ist in jedem Fall eine zen- Hinweis, die Auswahl und den Einsatz des ten Förderbedarf. Seit mehreren Jahren bie- auch wieder vermehrt die Fortschritte in der
trale Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte Verfahrens konzeptionell anzubinden – ein tet unser Kindergarten in drei offen arbeiten- Entwicklung ihrer Kinder sehen und die Per-
und ein unerlässliches Instrument der Bil- Aspekt, der sich als relevant erweist, denn, den Gruppen insgesamt zwölf Integrations- sönlichkeit des einzelnen Kindes wieder in
dungsbegleitung von Kindern“ (Nds. Kultus- wie sich im Forschungsprojekt zeigte, stellen plätze an. Lange Zeit haben wir nach einem den Vordergrund rückt: Sie lernen wieder,
ministerium 2005:39). konzeptionell angebundene Überlegungen ressourcenorientierten Beobachtungsver- sich daran zu erfreuen, die Beziehung zwi-
Mit dieser Bedeutungszunahme kommt nur in wenigen Fällen den Ausgangspunkt fahren gesucht. In unserer täglichen Arbeit schen Eltern und Kind kann sich dadurch
auch der Praxis von Beobachtung und Doku- der Suche nach dem geeigneten Beobach- war und ist es uns wichtig, die Stärken der entspannen und normalisieren. Im Jahr
mentation und – dieser vorgeschaltet – der tungsverfahren dar. Als Kompass bei der einzelnen Kinder hervorzuheben und nicht 2006 erfuhr ich auf einer Fachveranstaltung
Auswahl geeigneter Verfahren entspre- Auswahl von Verfahren erweisen sich viel- die Schwierigkeiten oder Schwächen zu be- für Kindertagesstätten und Grundschulen an
chende Gewichtung zu. Der niedersäch- mehr pädagogische Orientierungen, welche tonen. einer Universität vom „Baum der Erkennt-
sische Orientierungsplan regt denn auch zu sich nach TIETZE „auf die pädagogischen nis“. Der positive Blick auf das Kind, die
einer fachlichen Auseinandersetzung über Vorstellungen, Werte und Überzeugungen ganzheitliche Sichtweise und die Tatsache,
den Einsatz solcher Verfahren an: „Die Fach- der an den pädagogische Prozessen unmit- dass die Stärken des Kindes bei der Doku-
telbar beteiligten Erwachsenen“ beziehen mentation im Vordergrund stehen, sprachen
(1998:22). Inhaltlich kommt bestehenden mich sehr an.
pädagogischen Orientierungen während der
Such- und Findungsphase demnach hohe
Relevanz zu.

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Die Beteiligung weiterer Akteure während 1.2 EINFÜHRUNGSPHASE: ANEIGNUNG
der Such- und Findungsphase: DES „BAUM DER ERKENNTNIS“
In unserem Kollegium war das Interesse an
weiteren Informationen sehr groß. Ein Ge- Dieses Beispiel verdeutlicht, auf welche Wei- Welche Prozesse oder Vorgehensweisen er- Parallel dazu machten wir in unserer Einrich-
spräch mit dem Träger folgte. Die fünf Grund- se Akteure, die innerhalb eines Sozial- leben die pädagogischen Fachkräfte in Kitas tung die ersten praktischen Erfahrungen in
schulen, sechs Kindergärten und die Förder- raumes agieren, zu gemeinsamen Entschei- als hilfreich oder auch bestimmend für den der konkreten Arbeit mit dem „Baumbuch“.
schule unserer Samtgemeinde wurden von dungen gelangen können. Als hilfreich für späteren Einsatz des Verfahrens? Das oben Da uns das Buch sehr wertvoll erschien, ko-
der Kommune zu einer zweistündigen Info- die Auswahl eines ‚passenden‘ Beobach- aufgeführte Best-Practice-Beispiel fortfüh- pierten wir zunächst die Seiten, auf denen
veranstaltung mit Marianne und Lasse Ber- tungs- und Dokumentationsverfahrens las- rend, wird ein systematischer und auf län- man die Kompetenzen markiert. Vorsichtig
ger eingeladen. Die Idee, alle Einrichtungen sen sich außerdem die Bewusstheit und die gere Sicht geplanter Implementierungspro- wählten wir im Team ein „Versuchskind“ aus
aus dem Elementarbereich zeitgleich und Reflexion gemeinsam geteilter pädago- zess geschildert, maßgeblich vorbereitet und übten die praktische Arbeit des Markie-
von Beginn an einzuladen, hat sich im Nach- gischer Orientierungen und Ziele benennen von einem verschiedene Akteure umfas- rens.
hinein als sehr sinnvoll erwiesen. Alle Kin- (siehe Fortführung des Beispiels). senden Arbeitskreis: Erstaunt waren wir darüber, wie intensiv wir
dergärten und Schulen waren von Anfang an Eine kritische Auseinandersetzung mit ver- uns über das einzelne Kind im Team aus-
vertreten und sehr am „Baum der Erkennt- fügbaren Instrumenten kann darüber hinaus Regine Gummels fährt fort: tauschten, wie schnell und entscheidend
nis“ interessiert. anhand von Kategorisierungen und Krite- sich unser Blick auf das Kind veränderte.
Ein halbes Jahr später fand eine ganztägige rien, wie sie z. B. LEU (2011) oder auch MI- Ein Arbeitskreis wurde gebildet: Kolleginnen Kinder, über die wir uns zuvor Sorgen ge-
Fortbildung zum „Baum der Erkenntnis“ in SCHO, WELTZIEN und FRÖHLICH-GILDHOFF aller Einrichtungen waren vertreten, die macht hatten, erschienen durch die Beob-
unserer Gemeinde statt, die vom Ehepaar (2011) entwerfen, vorgenommen werden. Teams der Kindergärten und Grundschulen achtung mit dem „Baumbuch“ in einem an-
Berger für den gleichen Personenkreis Die Such- und Findungsphase wurde von wurden regelmäßig über den aktuellen deren Blickwinkel und wurden anders wahr-
durchgeführt wurde. 14 Tage danach stand den meisten am Forschungsprojekt beteilig- Stand informiert. Ein halbes Jahr Vorlaufzeit genommen. Der positive Blick auf das Kind
der Entschluss fest, dass alle Kindergärten ten KiTas unter Einbezug weiterer Akteure hatte die Arbeitsgruppe bewusst eingeplant, sorgte dafür, dass auch das Kind sich anders
und Grundschulen das „Baumbuch“ einfüh- des frühkindlichen Bereichs organisiert. bevor die sechs Kindergärten im Sommer verhielt. Es fühlte sich verstärkt angenom-
ren wollten. Die Förderschule zeigte sich Dies stellte sich zwar nicht als Garant für ge- 2008 mit der praktischen Einführung der men und zeigte andere Verhaltensweisen.
ebenfalls sehr interessiert, war jedoch unsi- meinsam getragene Entscheidungen für den „Baumbücher“ begannen. Punkt für Punkt Es war uns klar, dass die Arbeit mit dem
cher, ob dieses Verfahren für ihre Schulform „Baum“ heraus, erwies sich jedoch bei ge- wurden die einzelnen Begriffe aus dem „Baumbuch“ sehr zeitintensiv werden wür-
differenziert genug ist. lingender Kooperation als nachhaltiger Fix- „Baumbuch“ diskutiert: Verbinden wir mit de. Wir haben uns im Team im Vorfeld sehr
punkt. den im „Baumbuch“ benutzten Begriffen bewusst damit auseinandergesetzt, wo wir
Weitere Faktoren, wie z. B. eine langfristig ähnliche/gleiche Vorstellungen? Bei Unei- in der Praxis Zeit sparen konnten. Von Erzie-
an­gesetzte Einführungsphase als auch eine nigkeit wurde so lange diskutiert, bis man herinnen bemalte T-Shirts als Abschiedsge-
strukturierte, reflexive Begleitung der Beob­ sich im Team auf eine gemeinsame Definiti- schenke, selbst gemachte Geburtstagsge-
achtung und Dokumentation erweisen sich on einigen konnte. Es empfiehlt sich, diese schenke, eine von Erzieherinnen organisier-
als unterstützend für eine gelingende schriftlich in einer Art Begleitbuch festzuhal- te Tombola auf dem Sommerfest wird es nun
„Baum­praxis“. Ob sich aus der Einführungs- ten, als Gedächtnisstütze und zur Hilfe bei beispielsweise nicht mehr geben. Auch ist
phase später routinierte und als sinnvoll der Einführung neuer Kolleginnen. es wichtig, dass im Alltag feste Zeiten gefun-
erlebte Handlungsabläufe entwickeln, lässt den werden, die zur Arbeit mit dem „Baum-
sich häufig auf den Einführungsprozess – buch“ vorgesehen sind und eingehalten
hier besonders auf die begleitete Einfüh- werden.
rung – zurückführen.

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Zeiträume für die Auseinandersetzung mit
Nachdem die Entscheidung für den „Baum konzeptionellen Zielen einzuplanen und da-
der Erkenntnis“ in dieser KiTa gefallen und für entsprechende Rahmenbedingungen zu
eine Vorstellung von dem Verfahren im Rah- schaffen, stellt sich auch in einer weiteren
men des Arbeitskreises entstanden war, Einrichtung als Best-Practice-Beispiel dar.
konnte der Einsatz des Verfahrens geplant Hier ist der „Baum“ bereits vor Eröffnung der Mitarbeiterin begründbar und erlebbar zu
werden: Einrichtung Teil der Konzeption (siehe dazu machen. Es galt, das entsprechende Men-
auch S. 9–10), so dass sich eine andere Aus- schenbild bzw. Bild vom Kind zu klären. Da-
Regine Gummels: gangslage als in der zuvor beschriebenen zu gehörte z. B. zunächst der Blickwechsel
Kita ergibt. Ingrid Eilers-Bruns beschreibt vom Defizitdenken hin zu dem Blick auf die
Auf einem ersten Elternabend vor den Som- die Ausgangslage in ihrer Einrichtung wie Stärken und Ressourcen; dieses auch in der
merferien im Jahr 2008 wurde das „Baum- folgt: Reflexion der eigenen Person. Begleitet wur-
buch“ vorgestellt. Ganz bewusst haben wir de dieser Prozess von der Fachberaterin für
uns dafür entschieden, im ersten Jahr zu- Ingrid Eilers-Bruns: die Kita. Im Zuge dieser grundlegenden Aus-
nächst mit einer kleinen Gruppe von Kindern einandersetzung mit der Konzeption, sprich
zu beginnen. Alle Dreijährigen, die in die- Im Rahmen der Planungen für die neue Be- des „Schwedischen Curriculums“, erfolgte
sem Jahr neu aufgenommen wurden, beka- triebskindertagesstätte wurde bereits die eine intensive Team-Fortbildung mit dem
men das „Baumbuch“. Bei den Hausbesu- Beginn an einzubeziehen. Mehrere Eltern Entscheidung getroffen, die pädagogische Ehepaar Berger zum „Baum der Erkenntnis“.
chen, die vor Aufnahme des Kindes in den der älteren Kinder waren zunächst ent- Arbeit auf der Grundlage des „Schwedischen Diese detaillierte und ausführliche Verknüp-
Kindergarten stattfinden, wird den Eltern täuscht und hätten das „Baumbuch“ auch Curriculums“ aufzubauen. Eine entspre- fung von Konzeption und Beobachtungsver-
das „Baumbuch“ im einzelnen Gespräch gern für ihre Kinder gehabt, doch wir achte- chende erste Rahmen-Konzeption erstellte fahren halte ich für sehr sinnvoll und letzt-
auch weiterhin intensiv vorgestellt, Fragen ten darauf, dass wir uns in der ersten ar- ich im Rahmen meiner Funktion als Gesamt- lich für unumgänglich, damit eine „Ganz-
und Unklarheiten können geklärt werden. beitsintensiven Phase nicht übernahmen. leitung; Auszüge dieser Konzeption waren heitlichkeit“ im pädagogischen Alltag gelebt
Die Zusammenarbeit mit den Eltern ist uns Die Abstände der Treffen der Arbeitsgruppe Bestandteil des durchgeführten Architekten- werden kann. Die Fachkräfte wurden so be-
insgesamt sehr wichtig. Das „Baumbuch“ ist wurden größer, jede Einrichtung machte ihre wettbewerbs. fähigt, gut vorbereitet mit „Konzeption und
Eigentum der Familie, dient auch als Grund- eigenen Erfahrungen durch die praktische Das gesamte päd. Team hatte vor Eröffnung Baum“ in die pädagogische Arbeit zu star-
lage bei den Entwicklungsgesprächen, des- Arbeit mit dem „Baumbuch“, die Wege wur- der Einrichtung einen Monat Vorbereitungs- ten. (…) Diese Vorgehensweise bietet von
halb ist es uns sehr wichtig, die Eltern von den individuell in den Kindergärten gestal- zeit zum Kennenlernen der Konzeption und Anfang an die Grundlage einer Qualitätsent-
tet. Wir wurden mutiger und für unsere Ein- des dazu gehörenden „Baum der Erkennt- wicklung bei der konzeptionellen Umset-
richtung kann ich sagen, dass es uns immer nis“. In den beiden Monaten davor wurden zung.
wichtiger wurde, die Kinder selbst mit einzu- bereits einige Erzieherinnen und davor die
binden. Markierten wir anfangs im Team, so Bereichsleitungen für Krippe, Kindergarten
kommt es inzwischen häufig gerade bei den und Hort eingestellt. Ziel dieser gestaffelten
angehenden Schulkindern vor, dass man mit Einstellung war es, die Rahmen-Konzeption
dem Kind zusammen die erworbenen Kom- zunächst mit dem Leitungsteam zu erarbei-
petenzen im „Baumbuch“ markiert. ten, dann fortlaufend mit weiteren Fachkräf-
ten bis hin zu dem gesamten zukünftigen
Team. Die Aufgabe bestand darin, die „pä-
dagogische Haltung“ der gewählten Konzep-
tion zu erarbeiten und für jede einzelne neue

14 15
Als Schwerpunkte dieses Beispiels treten Kornelia Koch:
somit die Anbindung von Beobachtung und
Dokumentation an die Konzeption der Kita
hervor, die dann wiederum über die gemein-
in den ersten Jahren gab es auf den Mitar-
beiterbesprechungen immer wieder Erfah-
2 VERFAHRENSEINSATZ:
same Auseinandersetzung mit deren Inhal- rungsaustausch, Unsicherheiten wurden DER »BAUM DER ERKENNTNIS« IN DER PRAXIS
ten zur Entwicklung kollektiver Grundhal- angesprochen.
tungen beitragen soll. Folglich liegt in die- da eine Kollegin seit 2009 als Multiplika-
sem Beispiel der Fokus auf der durch den torin für den „Baum“ ausgebildet und tä-
Einsatz passender Verfahren anvisierten tig ist, bringt sie immer neue Informatio- Claudia Montag:
Übereinstimmung von pädagogischer Aus- nen. Darüber hinaus ist sie eine große
richtung und pädagogischer Praxis während Hilfe bei Unklarheiten im Umgang mit dem Bei der zeitlichen Organisation der Beobach-
der Entwicklungsphase einer Organisation. „Baum“. tung und Dokumentation im Alltag geht es
bei der Einführung des „Baum“ hieß es 2.1 RAHMENBEDINGUNGEN darum, Zeiten zu finden, in denen die päd.
In einer weiteren Einrichtung ist die Einfüh- erst einmal für das Team, über die eigene DES EINSATZES Fachkräfte die Zeit und die nötige Ruhe ha-
rung des Verfahrens durch die Einplanung Arbeit und die Rolle jedes Einzelnen zu ben, den Beobachtungsbogen auszufüllen.
einer langjährigen Aneignungsphase ge- reflektieren. Uns allen war klar, dass es 2.1.1 Zeitliche Organisation: In den ersten Jahren unserer Arbeit mit dem
prägt. Damit wird der Prozesscharakter einer ein längerer Prozess werden würde. Wir Beobachtung und Dokumentation im Alltag „Baum“ wurde dieser im Tagesablauf oder in
Verfahrensaneignung ausdrücklich berück- hatten da so einen Zeitrahmen von ca. 3 der Pause ausgefüllt. Dabei konnte es aber
sichtigt. Kornelia Koch beschreibt die Ein- Jahren im Kopf. Der Alltag in Kindertageseinrichtungen ist passieren, dass der von uns gewählte Zeit-
führung des „Baum“ in folgenden Stichwor- Es kamen folgende Fragen auf häufig dadurch gekennzeichnet, dass Zeit- raum von 6 Monaten zwischen den Elternge-
ten: Wie viel Arbeit kommt da auf uns zu? fenster für Beobachtung und Dokumentation sprächen auch mal überschritten wurde. Aus
Was ist mit der Qualität? erst mühsam eingerichtet werden müssen. diesem Grund haben wir im Team eine Rege-
Müssen immer alle Beteiligten dokumen- Die folgenden Praxisbeispiele geben Erfah- lung gefunden, die es ermöglicht, dass alle
tieren? rungen wieder und nennen – auch unter Be- die Bögen unter den gleichen Bedingungen
Wie können wir die Eltern mit ins Boot ho- rücksichtigung von Schwierigkeiten – Mög- ausfüllen können. Die päd. Fachkräfte der
len? lichkeiten der Beobachtungs- und Dokumen- Vormittagsgruppe nutzen die Zeit von 10.00
Was bringt es den Eltern und uns als tations-Organisation (siehe dazu auch das bis 11.00 Uhr, wenn alle Kinder im Außenge-
Team? Beispiel auf S. 8f.). lände sind und genug päd. Fachkräfte da
Was bringt es den Kindern? sind, die die Aufsicht der Kinder der Vormit-
tagsgruppe übernehmen können. In den
Ganztagsgruppen sprechen sich die Kolle-
Der Frage, wie der Einsatz des „Baum der ginnen in der Zeit zwischen 15.00 und 16.00
Erkenntnis“ in der Praxis konkret aussieht, Uhr ab, da dann nicht mehr alle Kinder im
widmet sich das folgende Kapitel. Es gibt Haus sind.
einen Einblick in verschiedene „Baum“-Pra-
xen, die z. B. von vorhandenen Rahmenbe-
dingungen, pädagogischen Haltungen oder
auch ganz praktischen Aspekten beeinflusst
sind.

16 17
Für den – auch zeitlich – strukturierten Ein-
satz von Beobachtung und Dokumentation
Kornelia Koch: wurde in einer anderen Einrichtung eine Len-
kungsgruppe gegründet.
Zu Beginn der Arbeit mit dem „Baum“ fand
die Dokumentation meist während der Be- Rita Naujoks:
treuungszeit statt, dann war nur eine Vertre-
tungskraft in der Gruppe. Seit August 2011 Unser Wunsch war das Dokumentations-
haben wir pro Gruppe 10 Vorbereitungsstun- modell in den Kitaalltag zu integrieren. In
den und so findet die Dokumentation vor der allgegenwärtigen Arbeitsverdichtung Zeitschiene:
oder nach der Betreuungszeit statt. Je nach war uns wichtig, eine Erreichbarkeit von – Vereinbarung: 6 Treffen im KiTa-Jahr
Organisation der jeweiligen Gruppenkräfte. Anfang an gut in den Blick zu nehmen. Wir mit 1 – 1,5 Std. im Rahmen von
Beobachtung und Dokumentation sind – wie Durch die 2,5 Stunden tätigkeitsgebundene haben gelernt, Arbeitsaufträge ressourcen­ getrennten Dienstbesprechungen
oben beschrieben – häufig in den Alltag in- Verfügungszeit haben wir die Abschieds- orientiert zu verteilen und Arbeitsgruppen Struktur der Treffen
tegriert; Veränderungen an dieser Praxis er- briefe für die Vorschulkinder mit ins Portfolio mit festem Auftrag und abgeklärter Zeit­ – Anliegen
folgen bei entsprechendem Bedarf oder, wie aufnehmen können (ca. eine Seite pro Kind). ressource zu benennen. Es ist einfach nicht – Austausch
im nachfolgenden Beispiel, durch zusätz- Die Eltern bekommen eine schöne Zusam- möglich, die vielen Themen im Kita Alltag zu – Ideen & Impulse
liche Verfügungszeit. menfassung über die gesamte Kindergarten- bewältigen. Filtern, Sortieren, Delegieren – Persönlicher Gewinn: „Was nehme ich mit?“
zeit bezüglich der Stärken ihres Kindes in die haben eine große Dimension bekommen. Ziel der Lenkungsgruppe:
Hand. Um den Prozess der Arbeit mit dem „Baum – Gemeinsame Zielbeschreibung
Weitere Veränderungen: der Erkenntnis“ voranzubringen, gründeten für die Arbeit mit dem Baum
– Elterngespräche vorher ca. 45 min; jetzt wir eine Lenkungsgruppe. Mit acht Pädago- Die Ressourcenorientierung des Modells un-
bis zu 60 min, gen stellten wir sicher, dass der „Baum der terstreicht die Haltung, die wir Pädagogen
– die Kinder streichen einzelne Wurzeln mit Erkenntnis“ Thema im gesamten Haus blieb der KiTa gegenüber dem Kind einnehmen.
einer Kollegin an. und die Anliegen der drei Bereiche Krippe, Genaueres dazu enthält unsere Konzeption.
Erfahrungen: Kindergarten und Hort einfließen konnten.
– eine bessere Qualität der Beobachtung Zur Struktur der Lenkungsgruppe:
– ein geschulter Blick wo Entwicklung beim 2.1.2 Einsatzstruktur: Geregelter,
einzelnen Kind stattfindet regelmäßiger Austausch
– alle 5 Bereiche im Blick
– Entwicklungsgespräche sind ein fester Für den Einsatz des „Baum der Erkenntnis“
Bestandteil geworden – wie auch für vergleichbare Verfahren – er-
– vorher mehr defizitär, heute wertschät- weist sich ein regelmäßiger und struktu-
zend und auf die Stärken bedacht rierter Austausch unter den pädagogischen
– Kinder sind aktiv mit einbezogen Fachkräften als Voraussetzung für dessen
pädagogischen Nutzen. Auch wenn der Aus-
tausch – wie nachfolgend beschrieben –
durchaus als anstrengend erlebt wird, er-
möglicht erst dieser eine prozessorientierte,

18 19
prospektive Wahrnehmung der Aufgaben- Mindestens zwei Stunden pro Woche sollen
stellung, von der entscheidende Impulse für in unserem Team zur Verfügung stehen, um
die Gestaltung des pädagogischen Alltags über die Entwicklung einzelner Kinder zu
abgeleitet werden können. Wie ein solcher sprechen. Wichtig ist es, diese Zeiten zu fin-
Austausch in Einrichtungen mit offenem den und zu nutzen. Anfangs reichte diese
Konzept aussehen kann, verdeutlicht das Zeit nicht aus, es galt Strukturen zu finden,
anschließende Best-Practice-Beispiel, in- Zeiten zu bündeln, um sich nicht zu verzet-
dem konzeptionelle Rahmungen, die sich In unserem Haus gibt es drei Schwerpunkt- teln. Inzwischen weiß jede Fachfrau aus ih- 2.2 PÄDAGOGISCHE HALTUNG
z. B. auf den Einbezug von Eltern und Kin- monate, in denen die Entwicklungsge- rem Bereich, worauf sie im Alltag bei der
dern beziehen, gleichsam als Rahmungen spräche konzentriert stattfinden: Beobachtung der Kinder achten sollte, teil- Als Auswahlkriterien für den „Baum der Er-
für den Einsatz des „Baums“ herangezogen Im Oktober finden die Gespräche der weise macht sie sich zu einzelnen Beobach- kenntnis“ haben sich pädagogische Orien-
werden: schulpflichtigen Kinder des folgenden tungen kurze Notizen, die im Teamgespräch tierungen und Haltungen erwiesen, deren
Schuljahres statt. hilfreich sind. Ausgangspunkt der positive Blick auf das
Regine Gummels: Im Januar bieten wir Termine für die Eltern Besonders im Bereich der Motorik ist es gut Kind ist. Dem gegenüber steht aus Sicht vie-
an, deren Kinder im vorangegangenen möglich, die Kinder mit einzubinden. Gerade ler Befragter der Einsatz von „Checklisten“
Unsere Einrichtung arbeitet nach dem offe- Sommer aufgenommen wurden. Uns ist es die älteren Kinder holen ihr „Baumbuch“ oder „Abhakverfahren“. Auch wenn pädago-
nen Konzept. Jede Kollegin hat einen wichtig, dass die Kinder und auch wir ca. gern in den Bewegungsraum, und markieren gische Fachkräfte den „Baum“ auswählen,
Schwerpunktbereich, für den sie sich zu- 6 Monate Zeit hatten uns einzugewöhnen mit der Kollegin gemeinsam, wenn sie eine weil sie mit ihm den positiven Blick auf das
ständig fühlt und verantwortlich ist. Auch und kennenzulernen. Kompetenz erworben haben. Die jüngeren Kind verbinden, ergibt sich dieser Blick
die Kinder wissen genau, welche Kollegin für Im April finden die Gespräche für die Fa- Kinder lernen am Modell. In den Begrü- durch den Einsatz des Verfahrens nicht „von
welchen Bereich Ansprechpartnerin ist. Ein milien statt, die weder zur einen noch zur ßungskreisen können soziale Kompetenzen selbst“. Gerade dadurch, dass der „Baum“
regelmäßiger Austausch über die Entwick- anderen Gruppe gehören. der Kinder gut deutlich gemacht werden. viel Interpretations- und Anwendungsspiel-
lung der einzelnen Kinder ist uns wichtig. Natürlich können bei Bedarf oder Wunsch Die Arbeit mit dem „Baumbuch“ entwickelt raum lässt, besteht eine große Vielfalt an
Jede Kollegin kann aus ihrem Bereich Beob- auch Termine zu anderen Zeiten vereinbart sich in unserem Haus immer weiter. Disku- Einsatzvaritionen. Die bereits genannten
achtungen zu den Kindern mitteilen. werden. Die Entwicklungsgespräche haben tierte anfangs das Team, ist inzwischen das strukturellen Voraussetzungen, wie beglei-
Jedes Kind gehört einer festen Basisgruppe bei dem überwiegenden Teil der Eltern einen einzelne Kind stark eingebunden, so möch- tete Einführung und langfristiger Austausch
an, nimmt mit seinen beiden Bezugserziehe- hohen Stellenwert. Da auch hier unser Blick ten wir in Zukunft die Eltern noch stärker an stellen entsprechende Voraussetzungen
rinnen am Begrüßungskreis der Kleingruppe darauf gerichtet ist, die Lernschritte deutlich der aktiven Arbeit mit dem „Baumbuch“ be- dar. Sind diese nicht vorhanden, kann der
teil. Die Bezugserzieherinnen sind gemein- zu machen, finden die Gespräche in einer teiligen. „Baum“ – entgegen seiner Intention – einer
sam für 10–12 Familien Ansprechpartner, angenehmen Atmosphäre statt. Mithilfe des „Checkliste“ gleich Verwendung finden.
haben diese Kinder besonders im Blick. Sie „Baumbuchs“ lässt sich ganz eindeutig er- Beobachtung und Dokumentation nicht als
machen den Hausbesuch als Erstgespräch kennen, wo das einzelne Kind steht, welche zusätzliche, „abzuhakende“ Aufgabenstel-
bei „ihren“ Kindern gemeinsam, führen die Kompetenzen es erwerben konnte, welches lung zu betrachten, sondern ihnen eine sinn-
Begrüßungskreise zusammen durch und be- die nächsten Schritte in der Entwicklung gebende Funktion zukommen zu lassen, ist
gleiten die Entwicklungs- und Elternge- sein werden. demnach eine Leistung, die in den Teams
spräche und die abschließenden Übergabe- und Kitas selbst erbracht werden muss. Erst
gespräche. So entstehen eine vertraute Be- ein entsprechender Nutzen dieser Verfahren
ziehung zu den Familien und eine offene verhilft dazu, diese Tätigkeiten „mit Leben
Atmosphäre. zu füllen“.

20 21
2.2.1 Stärkenorientierung 2.2.2 Gelassenheit als Grundhaltung

Lassen sich positive Veränderungen im pä- Um Beobachtungs- und Dokumentationsver-


dagogischen Alltag auf den Einsatz von be- fahren so einzusetzen, dass sie als nutzbrin-
stimmten Verfahren zurückführen, kommt sind. Die Eltern kommen aufgrund der offe- gend erfahren werden können, hat sich im
der Art und Weise des Einsatzes besondere nen Zusammenarbeit gerne in den Kinder- Projekt in gewisser Weise auch eine gelas-
Bedeutung zu. Die Idee vom „positiven garten, um mit uns über ihr Kind zu spre- sene Grundhaltung dieser Aufgabenstellung
Blick“ zu realisieren gelingt nicht automa- chen. Sie fühlen sich durch die positive gegenüber erwiesen. Gerade vor dem Hinter-
tisch per Verfahren sondern stellt durchaus Umgangsweise angenommen. So zeigte sich grund zunehmender Erwartungshaltungen
eine Herausforderung dar. Positive Effekte ein Vater beim Entwicklungsgespräch seines – bei gleichbleibenden oder z. T. erschwer-
lassen sich denn auch häufig den Initiativen Sohnes, der massive Probleme in der Fein- ten Rahmenbedingungen – kann bewusste
der pädagogischen Fachkräfte zuordnen. motorik hatte, völlig überrascht, welche so- Distanz als Ausgangsposition für Reflexion
Welche Veränderungen Stärkenorientierung zialen Kompetenzen sein Sohn bereits er- sinnvoll sein. Aus dieser Distanz können Martina Kühnhardt:
in einer Einrichtung zur Folge haben kann worben hatte. Er hatte erwartet, dass ange- z. B. bildungsbezogene Erwartungshaltun-
und wie der „Baum“-Einsatz auf diese Weise sichts des anstehenden Schulbesuches der gen in ihrer Komplexität wahrgenommen Das Ausfüllen und Bearbeiten in den All-
„mit Leben gefüllt“ wird, beschreibt Regine Fokus viel stärker auf die noch vorhandenen und auf Basis konzeptionell angebundener tag integrieren
Gummels exemplarisch: Probleme seines Sohnes gelegt werden wür- Überlegungen eingeschätzt werden. Im Freispiel gemeinsames Betrachten und
de. Werden die Stärken eines Kindes be- Bei vielen an dem Forschungsprojekt betei- Ausfüllen mit Kindern
Regine Gummels: wusst benannt, fühlt es sich motiviert, die ligten Einrichtungen fand diese (ange- Durch teiloffene Arbeit, Zusammenarbeit
Kompetenzen zu erwerben, die ihm noch strebte) Gelassenheit in der Formulierung aller Kolleginnen, gemeinsames Arbeiten
Die tägliche Arbeit mit dem „Baumbuch“ hat fehlen, es lernt mit Freude. Das ausgeprägte „weniger ist mehr“ ihren Ausdruck. Gelas- am Baum, dadurch erweiterte Sicht aufs
unsere Arbeit und auch die Zusammenarbeit Sozialverhalten seines Kindes war dem Vater senheit im Umgang mit dem „Baum“ kann Kind
mit den Eltern verändert. Früher fanden Ent- kaum aufgefallen, da die starken Schwierig- sich z. B. darin ausdrücken, dass sich Mach- Vermehrtes Ausfüllen in den Ferienzeiten,
wicklungsgespräche eher dann statt, wenn keiten im feinmotorischen Bereich für ihn im barkeit mit Flexibilität im Alltag verbindet. da weniger Kinder da sind
es Probleme gab. Heute sehen wir diese Ge- Vordergrund standen. Nach dem Gespräch Martina Kühnhardt nennt stichwortartig Si- Übersichtlichkeit durch unterschiedliche
spräche als eine Möglichkeit, mit den Eltern fiel uns auf, dass sich das Verhältnis zwi- tuationen, die sie mit Gelassenheit im Um- Markerfarben für jedes Jahr
zusätzlich in Kontakt zu treten, um miteinan- schen Vater und Sohn positiv verändert hat- gang mit dem „Baum“ verknüpft: Zettel mit Vermerk an dem Baum, wann
der anhand des „Baumbuches“ zu sehen, te, da der Vater nun einen anderen Blick auf das letzte Mal daran gearbeitet wurde
welche Kompetenzen das Kind bereits er- sein Kind hatte und ihn nicht vorrangig auf Bearbeitungsrhythmus ca. alle 4 bis 6 Mo-
worben hat. seine Probleme reduzierte. nate
Zusammen kann dann auch besprochen Seitdem wir das „Baumbuch“ aktiv in den M it zunehmender Erfahrung gezielter
werden, welches die nächsten Lernschritte Tagesablauf integriert haben, achten auch „Baumblick“ und somit Erleichterung
die Kinder untereinander auf die verschie- beim Ausfüllen
denen Fähigkeiten ihrer Freunde. Es fällt ih-
nen auf, wenn sie etwas dazugelernt haben,
sie freuen sich nicht nur für sich selbst, son-
dern auch mit ihren Freunden und können
Fähigkeiten benennen.

22 23
2.3.1 Praktische Hilfen: Notizen,
Zettelkästen und Klemmbretter

Wie kann Beobachtung und Dokumentation


vor dem Hintergrund zeitlicher Rahmenbe- 2.3.2 Glossarerstellung
dingungen organisiert werden? Verschie-
dene Beispiele aus der Praxis der neun be- Eine Intention des „Baum“ ist es, dass sich
2.3 VERFAHRENSEINSATZ UND teiligten niedersächsischen KiTas stellen die Teams in den Einrichtungen auf die Inter-
HANDHABBARKEIT dies anschaulich dar. pretation der vorgegebenen Kompetenzen
einigen. Damit ist ein gewisser Spielraum
Neben Gelassenheit lässt sich Machbarkeit Notizen des Verfahrens benannt, welcher auch Un-
auch mit der Handhabbarkeit von Beobach- Martina Kühnhardt benennt protokollartige klarheiten hervorrufen kann. So gab den
tungs- und Dokumentationsverfahren in Ver- Notizen, die sie bei Elterngesprächen erstellt, meisten Beteiligten die Kompetenz „India-
bindung bringen. Gerade im teils als durch- in denen sie auch Videosequenzen einsetzt, nersprung“ Rätsel auf; auch „Körperwahr-
geplant erlebten Alltag erweisen sich prak- als praktische Hilfe. Ihr Vorgehen beschreibt nehmung“ stellte sich als wenig eingängig Claudia Montag:
tische Hilfen, die von den teilnehmenden sie in folgenden Stichworten: heraus. Solche Unklarheiten können dazu
Kindertagesstätten selbst entwickelt wur- führen, dass einzelne Kompetenzen in der Bei der Zusammenarbeit mit den Eltern und
den, als hilfreich. Martina Kühnhardt: Praxis nicht zufriedenstellend geklärt wer- der Einarbeitung neuer päd. Fachkräfte wur-
Als teilweise erschwerende Aspekte in Be- den. de deutlich, dass nicht alle Personen über
zug auf die Handhabbarkeit des „Baum“ Festhalten der einzelnen Gesprächspunkte Gelingt es, solche Unklarheiten mit und im die gleiche Definition für die einzelnen Kom-
erwiesen sich im Projekt die Unklarheit ein- Datum des Elterngespräches bestehenden Team zu beseitigen, lässt sich petenzen verfügen. Deshalb konnten wir ei-
zelner Kompetenz-Definitionen sowie deren Vermerk über gezeigte Filmsequenzen jedoch häufig beobachten, dass mit der Ein- ne Klausurtagung nutzen, um ein Glossar zu
Übertragung auf die Handlungsebene. Eine Vorgesehenes Datum für erneutes Eltern- stellung neuen Personals wieder dieselben erstellen, welches Eltern und neuen Kolle-
Idee, wie diesem Problem begegnet werden gespräch Fragestellungen auftauchen. Um einen be- ginnen beim ersten Ausfüllen an die Hand
kann, wird unter dem Aspekt‚ Glossarerstel- Vermerk über die Empfehlung logopä- reits erarbeiten Konsens festzuhalten und gegeben werden kann. Dazu haben wir in
lung‘ aufgegriffen. discher oder psychomotorischer Angebote diesen auch neuen Kolleginnen und Eltern kleinen Arbeitsgruppen für jede Kompetenz
Allgemeine Entwicklung des Kindes zugänglich zu machen, hat sich eine Einrich- mehrere Beispiele zusammengetragen, die
Fragen oder Probleme der Eltern tung zur Erstellung eines Glossars entschie- dann in der nächsten Arbeitsrunde disku-
den: tiert wurden. Dabei wurde deutlich, wie un-
terschiedlich und häufig auch subjektiv ein-
Zettelkästen und Klemmbretter zelne Kompetenzen gewertet wurden. Aus
Als praktische Hilfen haben sich z. B. Zettel- den verschiedenen Beispielen haben wir
kisten, Klemmbretter, ein Beobachtungs- uns für ein Beispiel entschieden, was am
buch oder ausliegende Listen mit „Baum der aussagekräftigsten für alle ist.
Erkenntnis“-Kompetenzen erwiesen. Die
spontane Dokumentation findet somit zu-
nächst außerhalb des Baumformates statt;
später können diese Notizen in den Baum
übertragen werden.

24 25
2.3.3 Individuelle Adaptionen: Die Prozesshaftigkeit des Einsatzes des Ver-
Farbwechsel bei Kompetenzmarkierungen, fahrens selbst wird dabei im folgenden Bei-
Datumsergänzung und prozessuale spiel ersichtlich:
Beschreibungen
Kornelia Koch:
Allgemein ist der Einsatz des „Baum der Er-
kenntnis“ durch eine Vielfalt von Interpreta- Im Team haben wir folgende Absprachen ge-
tionen und Einsatzformen gekennzeichnet. troffen (aktueller Stand): Regine Reuter:
Der Umgang mit dem Verfahren ist häufig wir markieren die Wurzeln bis zum letzten
prozessorientiert ausgerichtet und – in un- Für das Markieren von Kompetenzen gehen Kindergartenjahr in einer Farbe Erster Eindruck (ist das Kind groß, klein,
terschiedlicher Intensität – an die Bedürf- die KiTas von unterschiedlichen Vorausset- ein Jahr vor der Schule wird mit einer an- zart, kräftig, übergewichtig, gepflegt, un-
nisse der jeweiligen Einrichtung angepasst. zungen aus. Folgende Markierungs-Prak- deren Farbe markiert gepflegt, zurückhaltend, mutig, natürlich,
Dies wird u.a. anhand folgender individu- tiken wurden beschrieben: Wurzeln, die in ihrer Bedeutung für uns wach, müde, fröhlich, ängstlich, bewe-
eller Adaptionen deutlich: Markern der Kompetenzen, wenn diese in nicht eindeutig waren, wurden im Team gungsfreudig, usw.).
KiTa und Elternhaus sichtbar sind, diskutiert, danach wurde eine allgemein-
Farbwechsel bei Kompetenzmarkierungen Markern der Kompetenzen, wenn diese gültige Aussage festgelegt.
und Datumsergänzungen vollständig sichtbar sind oder Heute, nach nunmehr 7 Jahren, haben wir
In der Praxis findet sich häufig ein enger zeit- wenn Kompetenzen in KiTa sichtbar sind. festgestellt, dass es ein sich immer wieder
licher Zusammenhang von Kompetenzein- Auch in der Farbgestaltung finden sich ver- verändernder Prozess bleibt.
schätzung mittels farblicher Markierungen schiedene Vorgehensweisen: Wie trennt sich das Kind von Begleitperso-
im „Baum“ und dem halbjährlich oder jähr- gleiche Farben pro Markierungsintervall, Prozessuale Beschreibungen: nen, wie Mama, Papa, Oma, Opa, Kinder-
lich durchgeführten Entwicklungsgesprä- unterschiedliche Farben pro Markierungs- Aus der Perspektive heraus, dass der „Baum“ frau usw. Gibt es dabei auch Verände-
chen mit Eltern. Kompetenzmarkierungsin- intervall, selbst wenig prozessorientiert ausgerichtet rungen des Verhaltens (Eingewöhnungs-
tervalle können somit der Häufigkeit von unterschiedliche Farben pro KiTa-Bereich ist und somit die Wege des Kindes, über die phase, alltägliches Bringen, früh, spät
Elterngesprächen entsprechen. (Krippe/Kiga) oder einzelner Gruppen. es bestimmte Kompetenzen erreicht, nicht usw.).
Daneben besteht jedoch auch eine Praxis In mehreren Einrichtungen hat es sich durch- dokumentiert werden, hat sich eine Einrich-
der durchgängigen Markierung im Verlauf gesetzt, pro Beobachtungszyklus verschie- tung entschlossen, zusätzlich einen Brief an
eines Kindergartenjahres. dene Farben für das Markern der Kompeten­ das Kind zu formulieren. Aspekte dieses
Markierungen können – quasi als Vorläufer – zen zu verwenden: über die verschiedenfar- Briefes werden auf der folgenden Seite von
zunächst in Baum-Kopien vorgenommen bigen Markierungen können hinzugewon- Regine Reuter tabellarisch skizziert.
und später in das Original übertragen wer- nene Kompetenzen optisch von bereits vor- Was tut das Kind nach der Begrüßung zu-
den. handenen abgegrenzt werden; damit erst (schauen, orientieren, beobachten,
verfolgen Fachkräfte die Absicht, auch Lern- frühstücken, spielen, auf Freunde warten
prozesse sichtbar zu machen. Zum Teil wer- usw.).
den Markierungen zusätzlich mit einem Da-
tum versehen; dies ermöglicht es den Fach-
kräften, Beobachtungen und erreichte Kom-
petenzen einem konkreten Zeitraum zuzu-
ordnen.

26 27
Regine Gummels:
Welche Spielorte/Materialien wählt das Familiensituation (Eltern, alleinerziehen-
Kind täglich in der Kindergartenzeit (am de Mutter/Vater, Großeltern, berufstätige Im Portfolio, das bei uns „Ich-Buch“ genannt
Vormittag, in der Mittagszeit, am Nachmit- Eltern, usw.). wird, sammelt das Kind die Dinge, die ihm
tag). wichtig sind. Es ist der Schatz der Kinder, da
sie hier bildlich begreifen, was sie schon
alles können. Das Kind entscheidet selbst,
was in sein „Ich-Buch“ kommt und wem es
2.4 VERFAHRENSKOMBINATIONEN das Buch zeigt. Dabei ist uns eine individu-
Besondere Merkmale (Begabungen, Krea- UND VERKNÜPFUNGEN elle Gestaltung des „Ich-Buchs“ mit vielen
Mit welchen Kindern spielt es vorwiegend tivität, Sprache, Räumliches Denken, Fotos sehr wichtig. Durch die Fotos und die
(Freunde, zufällige Spielpartner usw.). Phantasie, physische oder psychische In vielen Einrichtungen ist der „Baum“ nicht Gespräche wird nicht nur den Kindern, son-
Einschränkungen). das einzige verwendete Beobachtungs- und dern auch den Eltern besonders deutlich,
Dokumentationsverfahren. So kann es zu was ihr Kind im Kindergarten erreicht hat.
eher unstrukturiert parallelem Einsatz von Mit dem „Ich-Buch“ kann das Kind seine
Verfahren aber auch zu gezielt parallelem Kompetenzen auf seine persönliche Art und
oder kombiniertem Einsatz kommen. Weise deutlich machen und darüber mit an-
Welches sind die Bezugspersonen im Kin- deren Kindern ins Gespräch kommen.
dergarten. Sonstiges/Bemerkungen: Oft sitzen mehrere Kinder in der Leseecke
2.4.1 Kombination: zusammen und zeigen ihren Freunden die
„Baum der Erkenntnis“ und „Portfolio“ Bilder und Schätze, die sie in ihrem „Ich-
Buch“ gesammelt haben. Sie erzählen, wel-
Am häufigsten wird der „Baum“ mit dem che Bedeutung diese Werke für sie haben
„Portfolio“ kombiniert. Die Kombination und warum sie in ihrem „Ich-Buch“ sind. Das
Was tut das Kind in verschiedenen Situa- dient dabei u.a. explizit dem Ziel, Kindern ist ihnen auch ohne Unterstützung eines Er-
tionen (Streit, Versöhnung, Trost, Hilfsbe- die Kompetenzen des „Baums“ verständlich wachsenen möglich, da das „Ich-Buch“ sehr
reitschaft, Verletzung, Umgang mit Gefüh- Welche Anpassungen in den Kitas jeweils zu machen. Eine gezielte Kombination von kindgerecht ist. Das Kind ist sehr stark im
len in außergewöhnlichen Situationen, vorgenommen werden, richtet sich demnach „Baum“ und „Portfolio“ beschreibt Regine Prozess mit eingebunden und kann häufig
usw.). an individuellen Kriterien aus, die in mehr- Gummels: mit seinen eigenen Worten sagen, was auf
jährigen Einsatzverläufen erfahrungsbasier- der einzelnen Seite festgehalten ist.
ten Veränderungen unterliegen. Fortdauern­ Das „Ich-Buch“ ist in unserer Einrichtung ein
der Austausch über die Konsequenzen des wichtiges Instrument geworden, an dem die
Verfahrenseinsatzes stellt folglich die Vor- Kinder ihren Eltern selbst berichten können,
rausetzung von Adaptionsaktualisierungen was sie erlebt und gelernt haben. Besonders
Was tut das Kind am Nachmittag (Aktivi- dar. Solche kriteriengeleitete Rückversiche- in der Anfangszeit vermittelt das „Ich-Buch“
täten, Interessen usw.). rung – verstanden als Teil der Selbstevalua- dem Kind Sicherheit und Halt. Im Entwick-
tion – dient wiederum der Reflexion profes- lungsgespräch werden die Lernschritte so-
sioneller Tätigkeit, indem sie – immer wieder wohl im „Baumbuch“ als auch im „Ich-Buch“
neu – verdeutlicht, was pädagogische Fach- deutlich.
kräfte warum und wie tun.

28 29
2.4.2 Verknüpfung: 2.5 DER „BAUM DER ERKENNTNIS“
„Baum der Erkenntnis“, „Portfolio“ ALS MEDIUM IN ELTERNGESPRÄCHEN
und Orientierungsplan
In der Praxis bilden sich vielfältige Formen
Eine weitere Einrichtung hat sich zum Ziel Eine besondere Chance der KiTa bietet sich des Einbezugs von Eltern ab; diese sind u.a.:
gesetzt, den „Baum“ mit dem „Portfolio“ dadurch, dass Kinder über einen Zeitraum Elternabende zum „Baum der Erkenntnis“
und dem niedersächsischen Orientierungs- von bis zu 10 Jahren im Haus sind: so wird In der Einrichtung wurde für das „Portfolio“ Mitgabe – oder bewusst keine Mitgabe –
plan zu verknüpfen. Graphiken und Pikto- eine Arbeit mit dem Kind über einen langen auch eine Anleitung entwickelt, aus der ein des „Baum der Erkenntnis“ an Eltern,
gramme sollen den Kindern dabei als Orien- Zeitraum möglich. Heute hat jedes KiTa-Kind kurzer Ausschnitt folgt: der „Baum“ als Teil des Elterngesprächs.
tierungshilfe dienen. Rita Naujoks be- in seinem Portfolio eine Einteilung, die ihm Zu den ersten beiden Formen ein Bespiel
schreibt zunächst die Arbeit in der „Baum“- durch Piktogramme hilft, wichtige Dinge sei- Rita Naujoks: von Ingrid Eilers-Bruns:
Lenkungsgruppe: ner Entwicklung einzuheften. Die Kinder be-
schäftigen sich gerne mit ihrem Portfolio. Anleitung für die Portfoliodokumentation Ingrid Eilers-Bruns:
Rita Naujoks: Den Eltern helfen Stichwörter, die Zuordnun­ Das Portfolio
gen zu verstehen. Dialoge zwischen Eltern – ergänzt die Entwicklungsdokumentation Den Eltern wird der „Baum der Erkenntnis“
Wir verglichen die Struktur und Einteilung und Kind, Eltern und Pädagoginnen und zwi- „Baum der Erkenntnis“ beim letzten Vorgespräch zur Aufnahme des
des Baums und des Orientierungsplans und schen Kindern und Pädagoginnen oder auch Das Portfolio ist Kindes vorgestellt und zum Kennenlernen
entschieden uns, eine Einteilung in 5 Be- allen sind unabdingbar. Nur im Gespräch ist – ein Entwicklungsportrait des Kindes mit nach Hause gegeben. Als Bestandteil
reiche zu entwickeln. Dialogisch ordneten erfassbar, – eine systematische, zielgerichtete und des Portfolio-Ordners des Kindes haben die
wir zu und es gelang, die meisten Bereiche was das Kind als wichtig erachtet bedeutungsvolle Sammlung von der Ar- Eltern jederzeit die Möglichkeit, den „Baum“
des Orientierungsplans zu erfassen. Wir er- was Bedeutung hat für das Kind, für Eltern, beit des Kindes einzusehen. Auch beim ersten Gruppenel-
arbeiteten eine Einteilung für das Portfolio, für Pädagogen. Der Inhalt des Portfolios bezieht sich auf ternabend werden „Baum und Konzeption“
die Trotz dieser Errungenschaften stellen sich – die Ebenen im „Baum der Erkenntnis“ und thematisiert.
in Bezug steht zum Baum und zum Orien- Rahmenbedingungen als Hindernisse dar: den niedersächsischen Bildungs- und Ori-
tierungsplan, Der Umgang mit dem Portfolio ist für Kinder, entierungsplan
eine Orientierung und selbstständige Nut- Pädagogen und oft auch für die Eltern zur – das Profil der KiTa und die Persönlichkeit Die Intensität der Nutzung des „Baum“ im
zung für Kinder ermöglicht, Routine geworden. Die Bäume stehen in Nä- des Kindes Elterngespräch variiert durchaus. So setzen
Transparenz schafft und die Lernschritte he der Portfolios, sie kommen immer in An- manche pädagogische Fachkräfte ihn aus-
des Kindes unterstreicht und sichtbar wendung. Aber: Das Ziel von der regelmä- schließlich für ihre eigene Vorbereitung auf
macht. ßigen Arbeit mit dem Baum ist noch weit das Elterngespräch ein. Andere greifen Teil-
entfernt. aspekte oder größere Bereiche aus dem
Es ist nicht fehlende Motivation, die den Pro- „Baum“ auf, um diese gemeinsam mit den
zess behindert; es ist die nicht ausreichend Eltern durchzugehen.
vorhandene Zeitressource für Beobachtung,
Auswertung und vor allen Dingen für den
Dialog mit dem Kind, mit Kolleginnen, mit
Eltern …

30 31
2.6 REFLEXION UND EVALUATION

Zur Professionalisierung in Kindertagesein-


richtungen zählt auch die konzeptionell ver-
ankerte Selbstevaluation der pädagogi­sch­ 3 ÜBERGABE DES VERFAHRENS
Eine weitere Variante besteht darin, dass en Tätigkeit. Wie dies auf den „Baum“ be­zo­
Eltern und Erzieherinnen jeweils einen auf gen aussehen kann, zeigt folgende Pra­xis­
den „Baum“-Kompetenzen basierenden Be- beschreibung von Ingrid Eilers-Bruns:
obachtungsbogen ausfüllen und sich im Interne Übergaben des „Baum“-Buchs erge- Kontaktaufnahme sehr positiv.
Entwicklungsgespräch über ihre Beobach- Ingrid Eilers-Bruns: ben sich im pädagogischen Alltag z.B. durch Das Übergabegespräch mit Eltern, Kind,
tungen austauschen. Claudia Montag führt den Wechsel eines Kindes in eine andere Klassenlehrkraft und den Bezugserzieher/
dazu aus: Nach der Krippenzeit ihrer Kinder (nach 2 Gruppe. Externe Übergaben ergeben sich, inne/n wird intensiv vorbereitet. Der Pfingst-
oder 3 Jahren) und mit dem Verlassen des wenn Kinder die Einrichtung verlassen, z.B. dienstag ist zur Vorbereitung im Kindergar-
Claudia Montag: Kindergartenbereichs (in der Regel nach drei weil sie zur Schule kommen. Anzumerken ist tenteam fest eingeplant, an diesem Tag fin-
3 Jahren) erbitten wir von den Eltern zu ver- hier, dass nur zwei von acht am Projekt be- det nur ein Notdienst im Kindergarten statt.
In unserer Einrichtung nutzen wir einen Be- schiedenen Bereichen unserer Arbeit eine teiligten KiTas von einer „Baum“-bezogenen Die Baumbücher werden als Grundlage für
obachtungsbogen, den wir zusätzlich er- schriftliche Rückmeldung. Die Aussagen Kooperation mit Grundschulen berichteten. das Übergabegespräch genau durchgese-
stellt haben und den die Eltern im gleichen zum Punkt „Beobachtungsverfahren“ zeigen Wie diese gelingen kann, zeigt das folgende hen und gegebenenfalls vervollständigt. In
Zeitraum wie wir ausfüllen. Da wir zu jeder uns, inwieweit der „Baum“ für Eltern nach- Beispiel: einem Gesprächsbogen wird festgehalten,
Kompetenz stichpunkartig festhalten, woran vollziehbar ist bzw. war und Grundlage von wie das Kind emotional auf die Schule ein-
wir erkennen, dass das Kind diese Kompe- Elterngesprächen gewesen ist. Die Ergeb- Regine Gummels: gestellt ist, welche Stärken und Vorlieben es
tenz erlangt hat, können wir den Eltern ganz nisse reflektieren somit auch, inwieweit das hat, wo möglicherweise Unterstützungsbe-
konkret im Gespräch den Entwicklungsstand Gesamtkonzept „Pädagogische Konzeption Nach Ostern beginnt die intensive Schluss- darf besteht, worauf individuell geachtet
ihres Kindes beschreiben. Im „Baum“ wer- und Beobachtungsverfahren“ stimmig ist phase der Kindergartenzeit für die ange- werden sollte. Dieser schriftliche Bogen wird
den die einzelnen Kompetenzen für den ak- und so auch wahrgenommen wird. henden Schulkinder. Es werden noch inten- den Eltern mehrere Tage vor dem Übergabe-
tuellen Beobachtungszeitraum farblich her- Sichtbar wird auch, ob es Veränderungen bei sivere Kontakte zur Schule gesucht, die Zeit gespräch als Kopie mitgegeben, bei Bedarf
vorgehoben, was optisch einen eindeutigen den Fachkräften in den einzelnen Gruppen des bewussten Abschiednehmens beginnt. können Änderungen vorgenommen werden.
Eindruck bei den Eltern hinterlässt. So wer- gegeben hat, d. h. wie der Baum „verinnerlicht“ Sobald feststeht, welche Lehrkräfte die Klas- Die Übergabegespräche finden vor den Feri-
den beide Dokumentationsmittel gleichbe- und angewendet wurde. So bedeutet die Re- senlehrer/innen des neuen Jahrgangs wer- en im Kindergarten statt.
rechtigt im Elterngespräch genutzt. flexion dieser Rückmeldungen auch eine Be­- den, wird ein Termin im Kindergarten gefun- Die Kinder werden intensiv mit einbezogen.
wertung zum bestehenden bzw. sich daraus den, an dem diese Lehrkräfte die ange- Sie bereiten individuell einen Brief vor, in
ergebenden Fortbildungsbedarf besonders henden Schulkinder in der Einrichtung besu- dem sie sich kurz vorstellen, es wird gemein-
der neuen Mitarbeitenden. Die Rückmeldun­ chen. Nach Möglichkeit sind alle anderen sam überlegt und mithilfe der Kindergarten-
gen zeigen, dass ein sicherer Umgang mit dem Kinder in dieser Zeit außer Haus unterwegs. kollegin festgehalten, was das einzelne Kind
„Baum“ zu einer klaren Kommunikation zwi- Im gewohnten, sicheren Umfeld der Kinder gern von der Lehrkraft wissen möchte. Dabei
schen Eltern und pädagogischen Fachkräften werden die ersten Kontakte geknüpft, die können die Belange der Kinder sehr unter-
beiträgt. Die Elternbefragungen sind somit Kinder werden ermutigt, der Lehrerin/dem schiedlich sein. Die Kinder sind in der Regel
für uns ein wichtiger Bestandteil der Quali- Lehrer ihr Portfolio zu zeigen. Beide Seiten, hochmotiviert, schreiben ihren Namen und
tätssicherung und Qualitätsentwicklung. Kinder und Lehrkräfte erleben diese erste einzelne Worte bereits selber und malen

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zum Geschriebenen. Der Brief, den das Kind Zum Abschluss des Gesprächs wird das Kind
mit einem aktuellen Foto von sich zum ver- wieder hinzugeholt. Das Schriftstück wird
einbarten Termin mitbringt, bietet den Ein- von Eltern, Lehrkraft, Erziehern und – was
stieg in das Übergabegespräch. Dem Kind den Kindern sehr wichtig ist – vom Kind
und der Lehrkraft gehören der erste Teil des selbst unterschrieben. Die Familie und die 4 SCHLUSSBEMERKUNG
Gesprächstermins. Das Kind wird mit seinen Lehrkraft erhalten ein Exemplar, eine Kopie
persönlichen Fragen und Bedürfnissen verbleibt im Kindergarten. Als letztes über-
ernstgenommen. Ihm wird die Möglichkeit reicht das Kind selbst der Lehrkraft sein
gegeben, über sein Portfolio die Dinge von „Baumbuch“. Das Portfolio verbleibt bis zum Mit der vorliegenden Handreichung wurde
sich mitzuteilen, die ihm wichtig sind. Kolle- letzten Tag im Kindergarten. In der Ab- das Ziel verfolgt, anhand von Beschrei-
ginnen und Eltern halten sich in dieser Ge- schiedsrunde am letzten Tag erhalten alle bungen bestehender „Baumpraxen“ zum
sprächsphase zurück. Die Länge dieser Ein- Abgänger ihr Portfolio als Erinnerung an ihre fachlichen Austausch unter Einrichtungen
heit ist nicht festgelegt. Zeit im Kindergarten. beizutragen, die den „Baum der Erkenntnis“ Aus unserer Perspektive bieten die Beispiele
Im Anschluss daran erfolgt ein Austausch Es hat sich gezeigt, dass die Kinder ihr Port- als Beobachtungs- und Dokumentationsver- Ausgangspunkte, um z. B.
zwischen Eltern, Lehrkraft und den beiden folio mit dem Kindergarten verbinden. Eine fahren einsetzen oder u. U. einsetzen wol- das Angebot an Verfahren und Instru-
Bezugserzieherinnen des Kindergartens. Weiterführung des „Ich-Buchs“ hat sich len. Die Beispiele aus der Praxis für die Pra- menten durchaus auch kritisch zu be-
Dem Kind wird es zuvor freigestellt, ob es in nicht bewährt. Mit dem Neuanfang, dem xis sollten exemplarisch darstellen, welche trachten
dieser Phase dabei sein möchte oder ob es neuen Abschnitt Schule, beginnt auch ein Erfahrungen Einrichtungen bei der Imple- zunächst den eigenen pädagogischen
spielen gehen möchte. Für eine Aufsicht ist neues Portfolio. mentierung und dem Einsatz des Verfahrens Kompetenzen mit einem stärkenorien-
gesorgt. Erfahrungsgemäß entscheidet sich Nach den Herbstferien setzen sich die Klas- gemacht haben und welche Vorgehenswei- tierten Blick zu begegnen und sich dieser
der Großteil der Kinder für das Spiel. Ihre Fra- senlehrerinnen und die Kolleginnen aus sen sie als gelingende Praxis einschätzen. zu vergewissern,
gen und Bedürfnisse sind geklärt, zufrieden dem Kindergarten nochmals zusammen. Wie Intendiert war nicht, einen neuen Ansatz in konzeptionelle Anbindungen und pädago-
verlassen sie den Raum. Doch ist es auch sind die Kinder angekommen, welche Fragen die Praxis einzubringen, sondern die bereits gische Orientierungen gemeinsam zu re-
kein Problem, wenn das Kind im Zimmer ver- sind noch offen, wo ist möglicherweise vorhandene Implementierungspraxis der flektieren (und zu formulieren) und an-
bleiben möchte. Im weiteren Gesprächsver- Handlungsbedarf? Das sind wesentliche KiTas wertschätzend und reflexiv nachzu- schließend als eine Art „Trichter“ zu nut-
lauf ist es den Eltern und uns wichtig, indivi- Punkte, die an diesem Termin besprochen zeichnen und darüber selbstinitiative Pro- zen, um aus der großen Anzahl von Ver-
duelle, wichtige Informationen zum Kind zu werden können. Für uns Kolleginnen ist es fessionalisierungsbestrebungen in KiTas fahren und Programmen die passgenauen
klären. Alle wichtigen Punkte wurden zuvor ein guter Abschluss, wenn wir die Kinder si- aufzugreifen und sichtbar zu machen. auswählen zu können,
schriftlich festgehalten. Fragen der Eltern und cher angekommen in der Schule wissen. Wir Wir hoffen, dass die Praxisbeispiele Ihnen bei der Einführung von Instrumenten, Ver-
mögliche Ängste und gezielte Informationen sind sehr froh darüber, im Brückenjahr diese Anregungen für die eigene Arbeit mit dem fahren oder auch neuen Vorgehensweisen
können hier im persönlichen Gespräch be- intensive Form der Zusammenarbeit und „Baum der Erkenntnis“ sein konnten. auf gezielte, systematische und reflek-
nannt werden. Die Aufgabe der Lehrkraft ist Übergabeform mit der Grundschule entwi- tierte Abläufe zu achten,
es hier im Wesentlichen zuzuhören und zu ckelt zu haben. Von der Schule erhalten wir für Einführungsphasen angemessene
reagieren. Die Gesprächsatmosphäre ist offen die Rückmeldung, dass diese Form, obwohl Zeiträume einzuplanen und diese auch zu
und wird von allen Beteiligten als angenehm sie zunächst sehr arbeitsintensiv ist, sich kommunizieren,
beschrieben. Ein Gespräch dauert ca. 30 Mi- auszahlt, da der Bezug zur einzelnen Familie über die eigene pädagogische Praxis auch
nuten, die Erfahrung der letzten Jahre hat von Beginn an intensiver und ganzheitlicher dauerhaft im Gespräch zu bleiben und da-
gezeigt, dass möglichst nicht mehr als vier ist. Davon profitieren alle. durch die Arbeit wieder neu zu beleben.
Gespräche am Stück geplant werden sollten.

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