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Arbeitsgruppe Instruct, Medizinische Kliniken Innenstadt, Ludwig-Maximilians-Universität München 2
Korrespondenz
M. R. Fischer · Ludwig-Maximilians-Universität München, Arbeitsgruppe Instruct
Medizinische Kliniken Innenstadt · Ziemssenstraße 1 · 80336 München · Tel.: +49/89/51602159 ·
Fax: +49/89/51602366 · E-Mail: martin.fischer@medinn.med.uni-muenchen.de
Bibliografie
DOI: 10.1055/s-2004-820543
Dtsch Med Wochenschr 2004; 129:552–556 · © Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York · ISSN 0012-0472
ne i l an i g i rO
Das CASUS-Lernsystem Elektronische Benutzerprotokolle (Logfiles) lieferten Daten zu
jeder einzelnen Fallbearbeitung (Studenten-Identifikationsnum-
CASUS ist ein fallbasiertes Computer-Lehr-/Lernsystem, mit dem au- mer, Beginn/Ende der Sitzung, Verweildauer auf jeder einzelnen
thentische Patientengeschichten durch Bilder, Videos und Audios di- Lernkarte, Benutzerantworten usw.). Daraus konnten für die Eva-
daktisch aufbereitet und den Studierenden für realitätsnahes Lernen luation Häufigkeit, Dauer, Vollständigkeit sowie Erfolgsquote der
zur Verfügung gestellt werden können (Demofälle im Internet unter Fallbearbeitungen ermittelt werden. Für die Analyse standen z. B.
www.casus.net). Die Studierenden nehmen beim Lernen mit CASUS im Zeitraum des Wintersemesters 2001/2002 insgesamt 568 Be-
die Perspektive des behandelnden Arztes ein. Sie werden an entspre- nutzerprotokolle von 192 Anwendern zur Verfügung.
chenden Stellen aufgefordert, Fragen zum Fall zu lösen und diagnos-
tische Entscheidungen zu treffen. Dazu stehen verschiedene Aufga- Ein auf das Integrationskonzept zugeschnittener Papierfragebo-
bentypen zur Verfügung. Der Studierende erhält nach jeder Antwort gen wurde erstmals im WS 2001/2002 eingesetzt. Er umfasste 21
Feedback in Form einer individuellen Bewertung und eines Antwort- Fragen, die auf die Akzeptanz des Lernsystems, der Lernfälle und
kommentars. Ziel jeder Fallbearbeitung ist die Aneignung bzw. Ver- des Implementierungskonzeptes abzielten. Darüber hinaus wur-
tiefung von anwendbarem und problembezogenem medizinischem den die Gründe für das Nichtbearbeiten einzelner Lernfälle sowie
Originalien
Fachwissen insbesondere zur Verbesserung der differentialdiagnosti- Daten zum Vorlesungsbesuch und zu Computerkenntnissen erho-
schen Handlungsfähigkeit. (4). ben. Für die Antworten war eine 5-stufige Rating-Skala vorgege-
ben (Skalen s.u.). Der Fragebogen wurde von 185 der insgesamt
Das Lehr-Lern-System umfasst derzeit über 200 Lernfälle aus zahl- 224 aktiven Studierenden ausgefüllt (Rücklaufquote: 83%). Insge-
reichen medizinischen Fachgebieten. Über die Innere Medizin hin- samt beteiligten sich 58% weibliche und 42% männliche Studieren-
aus wird das System insbesondere in der Pädiatrie, Neurologie, Ar- de im Alter von 20–34 Jahren.
beitsmedizin und Chirurgie sowie in nichtmedizinischen Diszipli-
nen (z.B. Jura) eingesetzt. Die Inhalte (Lernfälle) werden von In- Ein elektronischer Kurz-Fragebogen (Online-Fragebogen) wurde
Die Studie kombiniert automatisch erhobene Daten und Daten aus Akzeptanz der Fallbearbeitung
Studierendenbefragungen. Die Instrumente hierzu wurden selbst Die folgenden Ergebnisse beziehen sich auf die Auswertung des Pa-
entwickelt, um die speziellen Aspekte des Integrationskonzeptes pierfragebogens. Auf die Frage, ob die Studierenden eine vorlesungs-
zu erfassen (12). begleitende Fallbearbeitung für sinnvoll erachten, antworteten 60%
Dtsch Med Wochenschr 2004; 129: 552–556 · A. B. Simonsohn et al., Evaluation eines fallbasierten...
50 70
Halten Sie es persönlich Hat Ihnen die Bearbeitung Alter
für sinnvoll, vorlesungs- der Lernfälle Spaß gemacht? 2022
47
begleitend Lernfälle zu 2325
40 60
bearbeiten? 59 2628
57 3234
50
30 50 50
Prozent
44
40 41
20
Prozent
20
30
10 13
26
20 22
Originalien
0
ja, sehr ja teilweise nein überhaupt
nicht 13
10 11
7 8 7
Abb.1 Einschätzung zum Sinn vorlesungsbegleitender Fallbearbeitung. 4
0
sehr viel viel teil teils wenig
50
männlich Hat Ihnen die Bearbeitung der Abb.3 Spaß bei der Fallbearbeitung: altersspezifische Unterschiede.
weiblich Lernfälle Spaß gemacht?
oder „viel“ zur Motivation bei, während dies bei den Studentinnen
nur zu 30% der Fall war. Die Unterschiede waren signifikant (p<0,01).
20
554 Anzahl bearbeiteter Lernfälle und Gründe für die
Nichtbearbeitung
51% der Studierenden haben zwei Lernfälle bearbeitet (Abb.4).
10
31% bearbeiteten zusätzliche Lernfälle. In einer früheren Studie
8 8 9 waren dies nur 11% (4). 66% der Studierenden antworteten auf die
Frage, ob sie gerne weitere Lernfälle bearbeitet hätten, mit „ja“.
3
0
sehr viel viel teil teils wenig 99% der Studierenden schöpften das Fallangebot nicht voll aus. Der
am häufigsten genannte Grund für das Nichtbearbeiten weiterer
Abb.2 Spaß bei der Fallbearbeitung: geschlechtsspezifische Unterschiede. Lernfälle war Zeitmangel (115 Nennungen, entspricht bei 185 Stu-
dierenden 62%). 36 Studierende (19%) gaben an, keine weiteren
mit „ja“ bzw. „ja, sehr“ und weitere 20% mit „teilweise“ (M. 2,14; SD Fälle bearbeitet zu haben, weil keine weiteren Testate in Aussicht
± 0,72; Skala: 1 = „ja, sehr“ bis 5 = „überhaupt nicht“). gestellt wurden. Weitere 36 Studierende (19%) hielten andere
Lernformen für sinnvoller (Abb.5).
Im Hinblick auf geschlechtsspezifische Unterschiede zeigte sich,
dass männlichen Studierenden die Arbeit mit Computerlernfällen Bedienbarkeit und Gestaltung
mehr Spaß machte (52% antworteten mit „sehr viel Spaß“ bzw. „viel Mit der technischen Bedienung des Programms kamen 61% der
Spaß“, M =2,33, SD ± 0,7; Skala 1 = „sehr viel“ bis 5 = „sehr wenig“) als Studierenden gut bzw. sehr gut zurecht. Die optische Gestaltung
weiblichen, bei denen nur 40% „sehr viel Spaß“ bzw. „viel Spaß“ hat- halten 70% der Studierenden für sehr gut oder gut.
ten (M = 2,55, SD ± 0,8; Abb.2). Der Unterschied war im Chi2-Test
nicht signifikant (p = 0,09). Korrelationen
Der höchste Rangkorrelationskoeffizient wurde zwischen dem Spaß
Analysierte man den motivationalen Faktor „Spaß“ hinsichtlich des an der Fallbearbeitung und der Motivationssteigerung für das Studi-
Alters der Studierenden (Abb.3), so ergab sich, dass die Altersgruppe um gefunden (rs =0,68, p=0,0001). Es ergab sich eine geringe bzw.
der 26–28-Jährigen am meisten Spaß bei der Fallbearbeitung hatte. mittlere Korrelation zwischen der subjektiven Einschätzung des Ler-
Die Altersgruppe der 20–22-Jährigen hatte am wenigsten Spaß. Die nerfolges und dem Interesse am Fachgebiet Innere Medizin (rs =0,42,
Unterschiede waren signifikant (p<0,05). p=0,0001) sowie dem Vorlesungsbesuch (rs =0,51, p=0,0001). Dage-
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60
Wie viele der acht angebotenen Tab.1 Akzeptanz des Lernsystems: Veränderungen im Zeitverlauf.
CASUS-Computerlernfälle zur
VL Innere Medizin haben Sie WS 99/00 + SS 00 SS 01 + WS 01/02
50 insgesamt bearbeitet?
51 Technische Bedienbarkeit* 77,4% 62%
Motivationsfaktor Spaß* 66,9% 75%
Originalien
14 den Themen angesprochen: Bewertung der Fragen, Multimediaver-
10
fügbarkeit und -qualität, Lernform/Lernerfolg und Anerkennung.
7
4
0 Bewertung der Benutzerantworten bei Freitextfragen. Das The-
1 2 3 4 5 6 7 8 ma Texterkennung spielte in den Äußerungen eine verhältnismä-
Anzahl bearbeiteter Lernfälle pro Student ßig große Rolle (insgesamt 56 Äußerungen). 55 bezogen sich dabei
auf die Nichterkennung einer als inhaltlich richtig eingeschätzten
Abb.4 Anzahl bearbeiteter Lernfälle.
Lösung durch den Computer.
100 c) Zeitmangel
d) Inhalte der Fälle sind nicht eine zu kleine Bildgröße.
prüfungsrelevant.
80 e) Für Prüfungsvorbereitung sind an-
dere Lernformen geeigneter.
Lernform/Lernerfolg. An dieser Stelle wurde das fallbasierte Ler-
f) Andere Lernformen sind generell nen insbesondere mit der Lernform „Vorlesung“ verglichen. Das
60 effektiver.
Lernprogramm wurde als wesentlich höher profitabel als der Be-
g) Die Fallbearbeitung hat keinen Spaß
gemacht. such vieler Vorlesungen beschrieben. Auch wurde der durch das 555
40 h) Die Lernfälle decken nicht das System vorgegebene Zeitraum intensiver Beschäftigung mit ei-
gesamte Stoffgebiet ab.
36 nem Fall als sehr positiv hervorgehoben. Die praktische Anwen-
20
23 dung des Fachwissens in einer dem Klinikalltag vergleichbaren
13 praxisnahen Form wurde betont.
0
a b c d e f g h
Schließlich äußerte sich eine Reihe von Studierenden noch zur
Abb.5 Gründe für das Nichtbearbeiten weiterer Lernfälle. Lernmethode: Der aktivierende Aspekt („moderne Lernform, bei
der man aus der Passivität gerissen wird“), die Bereicherung für
gen fand sich zwischen dem Interesse an Innerer Medizin und dem das Studium, die Auflockerung des Lernalltags oder die Freude am
Besuch der Vorlesung nur eine schwache Korrelation (rs =0,25, Lernen wurden ausgedrückt („hat mir großen Spaß gemacht“).
p=0,001).
Anerkennung. Außer dem durchweg positiven Feedback zu Ler-
Weiter hängen sowohl die Steigerung der Motivation für das nerfolg und Lernmethode, gaben die Studierenden noch zahlreiche
Studium (rs = 0,27, p = 0,001) als auch der Spaß an der Fallbear- sehr positive Rückmeldungen ganz allgemeiner Art, wie z.B.: „Sehr
beitung mit der Einschätzung der technischen Bedienbarkeit gutes Programm“, „Das ist ein ganz toller Fall“.
zusammen (rs = 0,28, p = 0,001).
Diskussion
Ergebnisse im Zeitverlauf
Da bereits aus den Jahren 1999 und 2000 umfangreiche Daten aus Derzeit werden an zahlreichen Hochschulen des deutschsprachigen
dem elektronischen Kurzfragebogen vorlagen, wurden diese mit Raums Erfahrungen mit computergestützter Lehre gesammelt. In
den aktuellen Daten verglichen. Die Veränderungen der Bewertung zahlreichen Studien ist die Akzeptanz von computergestütztem Ler-
des Lernsystems durch die Studierenden im Zeitverlauf zeigt Tab.1. nen Gegenstand der Evaluation. Während bei Frey (6) 70% der be-
fragten Studierenden lieber ohne Computer lernen, belegen andere
Kommentare der Studierenden Autoren, die speziell fallbasierte computergestützte Lehre evaluier-
Am Ende des Online-Fragebogens konnten die Benutzer Mitteilungen ten, eine hohe Akzeptanz, Zufriedenheit und Lernmotivation durch
in ein Kommentarfeld eingeben. Diese Möglichkeit nutzten ein Drittel computergestützte Lernprogramme (9). Entscheidend scheint hier
derjenigen, die bereits die geschlossenen Fragen beantwortet hatten. ein für die Studierenden erkennbarer Vorteil der Lernprogramme ge-
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genüber anderen Lernformen und die Art des zugrunde liegenden In- bleibt offen. Um darüber genauere Aussagen machen zu können,
tegrationskonzeptes. hätten die Studierenden differenzierter befragt werden müssen.
langen von Testaten im Vordergrund steht, steigt die Motivation, ter Lehre – einen Beitrag zur aktuellen Diskussion.
wenn unmittelbar ein Testaterwerb oder das Bestehen einer Prüfung
in Aussicht steht (6). Es ist zu erwarten, dass die Verankerung von fall- Durch die neue Approbationsordnung ist zu erwarten, dass die fall-
basiertem Lernen in die Curricula zur verstärkten Nutzung von CBT- basierten computergestützten Lernsysteme in Zukunft mehr ge-
Angeboten wie CASUS führen wird. Andererseits ist aber im Vergleich nutzt werden, zumal das fallbasierte Lernen nicht nur integraler Be-
mit früheren Studien zu bemerken, dass inzwischen deutlich mehr standteil des Studiums, sondern auch prüfungsrelevant werden
Studierende bereit sind, zusätzliche Lernfälle zu lösen, für die kein Tes- wird. Untersuchungen zu Prüfungsszenarien mit fallbasierten Lern-
tat vergeben wird (31% in der vorliegenden Studie, 1999: 11%). systemen sind erforderlich, da die medizinischen Fakultäten im
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