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Impressum

Herausgeber:

Dieter Scheffner Fachzentrum


für medizinische Hochschullehre und Ausbildungsforschung
Prodekanat für Studium und Lehre
Charitéplatz 1, 10117 Berlin
Tel.: 030 450 576 207
Fax: 030 450 576 985
E-Mail: dsfz@charite.de

Konzept:
Prof. Dr. Harm Peters, MHPE
Dieter Scheffner Fachzentrum
Prodekanat für Studium und Lehre

Titelfoto:
Wiebke Peitz, Zentrale Mediendienstleistungen Charité
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Inhaltsverzeichnis Seite

Einleitung .....................................................................................................................................................3
Allgemeine Informationen zum vertiefenden Untersuchungskurs .................................................................. 4
Hinweise für Dozentinnen und Dozenten ......................................................................................................5
Rahmenbedingungen Modellstudiengang .......................................................................................5
Wichtiges zum Unterrichtskonzept ..................................................................................................5
Patientengeeignetheit (Beschluss Studienausschuss 12.01.2016) ............................................................... 6
Hinweise zu den Lernzielen ..........................................................................................................................6
Übergeordnetes Lernziele des U-Kurses .........................................................................................6
Lernziele .........................................................................................................................................6
Professional Activities: ..................................................................................................................................6
Modulplan Modellstudiengang Medizin..........................................................................................................8
CODE of COUNDUCT ..................................................................................................................................8
4. Semester: Termine und Inhalte.................................................................................................................9
Kurzbeschreibung der Modul-Wochenthemen .................................................................................9
Termin 1 : Patient/in mit Harnabflussbeschwerden: ....................................................................... 10
Termin 2 : Patient/in mit akutem Nierenversagen .......................................................................... 28
Termin 3 : Patient/in mit Volumen- oder Elektrolytstörung ............................................................ 36
Termin 4 : Patient/in mit chronischer Niereninsuffizienz ................................................................. 43

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Einleitung

Liebe Studierende des 4. Semesters,


begleitend zu den Untersuchungskursen im Modul 14 erhalten Sie dieses Handbuch, das Ihnen helfen soll,
Ihr praktisch erworbenes Wissen theoretisch zu ergänzen. Gleichzeitig soll Ihnen das Handbuch eine
Hilfestellung zur Durchführung von Anamnesegesprächen und der Erhebung von körperlichen
Untersuchungsbefunden geben.

Welche Intention das Untersuchungskurskonzept der Charité – Universitätsmedizin Berlin verfolgt, können
Sie den übergeordneten Lernzielen entnehmen (Hinweise S. 6).

Das gesamt Modul 14 soll Ihnen die verschiedenen Funktionen der Niere verdeutlichen. Sie beschäftigen
sich sowohl mit den Einflüssen der Niere als auch mit Einflussgrößen auf die Niere. Das Modul wird Ihnen
die Nieren als „Spieler“ und wichtige „Mitspieler“ in verschiedenen Körpersystemen verdeutlichen.

Sie lernen die wichtigsten renalen Funktionen kennen: Harnproduktion und –Ableitung, Volumen-Elektrolyt-
und Osmo-Regulation sowie die Niere als endokrin regulierendes und reguliertes Organ.
Zudem wird Ihnen die Niere als „Mitspieler“ bei Systemerkrankungen (wie Vaskulitiden und Diabetes) und
bei der Pharmakotherapie nahegebracht.

Ziel des Untersuchungskurses ist es, zu erlernen, wie Sie durch die Erhebung relevanter anamnestischer
Angaben und Untersuchungsbefunde Störungen der Nierenfunktion und die Nierenfunktion störende
Einflüsse identifizieren und einordnen können.

Dieser vertiefende Untersuchungskurs baut auf den allgemeinen Untersuchungskurs der vorangegangenen
Semester auf. Er soll Ihnen eine zunehmend sichere Abgrenzung pathologischer Befunde von
Normalbefunden ermöglichen und eine kompetente Differenzierung und Zuordnung von Symptomen.
Angesichts der multiple Einflüsse und Einflussgrößen der Nieren werden Sie dabei lernen, dass in die
„renale“ Anamnese und Untersuchung viele schon bekannte und neue Lerninhalte zu integrieren sind.

Bei dem vorliegenden Handbuch handelt es sich um eine überarbeitete Version für das Modul 14. Wir
freuen uns immer, wenn Sie uns bei der weiteren Ausgestaltung aktiv unterstützen, indem Sie Ihr Feedback
und möglichst konkrete Überarbeitungsvorschläge an die dafür Verantwortlichen Frau Anne Franz
(anne.franz@charite.de) senden.
Sie können sich auch gern an der Gestaltung des Titelbildes beteiligen. Senden Sie dazu einfach ein Foto
an Frau Schremmer. Aus allen Einsendungen wird das aussagekräftigste Titelbild gewählt, das dann unter
Nennung Ihres Namens das Handbuch des nächsten Semesters ziert.

Viel Erfolg wünschen Ihnen

Prof. Dr. med. Harm Peters


Leitung Dieter Scheffner Fachzentrum
für medizinische Hochschullehre

und

Dr. med. Susanne Kron


Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Nephrologie
und Internistische Intensivmedizin

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Allgemeine Informationen zum Vertiefenden Untersuchungskurs

Evaluation/ Rückmeldungen
Jeweils im Rahmen der Modulevaluationen (mündliche Nachbesprechung der POL-Gruppensprecher und
schriftliche Modulevaluation)

Ein besonderer Dank


geht im Namen der Studierenden an Prof. Dr. Ralph Kettritz, Prof. Dr. med. Markus van der Giet, Dr. med.
Manuela Schütz, Dr. med. Torsten Slowinski, und Dr. med. Susanne Kron für die Mitwirkung bei Erstellung
des U-Kurs-Handbuchs M14.

Ansprechpartner M14 – Niere, Elektrolyte:


Untersuchungskurs-Inhalte,- Lernziele und Durchführung
Name: PD Dr. med. Jonas Busch
Einrichtung: Klinik für Urologie - CBF/CCM
Tel: 450 - 615206
eMail: jonas.busch@charite.de

Name: Univ.-Prof. Dr. Ralph Kettritz


Einrichtung: Experimental and Clinical Research Center - CBB
Tel: 450 - 653558
eMail: ralph.kettritz@charite.de

Handbücher Vertiefender Untersuchungskurs (Konzept, Prozess Erstellung)


Name: Prof. Dr. med. Harm Peters, MPHE
Einrichtung: Dieter Scheffner Fachzentrum für Medizinische Hochschullehre
Tel: 450 - 576207
eMail: harm.peters@charite.de

Handbücher Vertiefender Untersuchungskurs (Umsetzung)


Name: Anne Franz
Einrichtung: Dieter Scheffner Fachzentrum für Medizinische Hochschullehre
Tel: 450 576449
eMail: anne.franz@charite.de

Förderung
Die Erstellung der U-Kurs-Handbücher wurde unterstützt durch
• Stiftung Mercator und Volkswagen-Stiftung, Förderlinie „Exzellenz in der Lehre“
• Bundesministerium für Bildung und Forschung, 3. Säule Hochschulpakt, Förderzeitraum I und II

Die Charité – Universitätsmedizin Berlin wurde 2015


mit dem ASPIRE Award for Excellence in Medical Education
im Bereich “Student Engagement” ausgezeichnet.

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Hinweise für Dozentinnen und Dozenten

Hinweise für Dozentinnen und Dozenten


Rahmenbedingungen Modellstudiengang
• Die Studierenden befinden sich im 4. Semester des Studiums.
• Das Studium ist fachübergreifend modular aufgebaut.
• Der vertiefende U-Kurs ist der zweite Teil des MSM-Curriculums „Arbeit am Patienten/an der
Patientin“.
Dieses gliedert sich in drei Stufen:
o 1. Stufe Allgemeiner U-Kurs (Motto „Kennenlernen Zahlen“): Kumulativer Aufbau von
Basisfertigkeiten in Anamnese und klinischer Untersuchung (14-tägig, im Semester 1 und 2
des MSM),
o 2. Stufe vertiefender U-Kurs (Motto „Das kleine 1 x 1“): organ- und systembezogene
Vertiefung von Anamnese und klinischer Untersuchung (wöchentlich, im Semester 3 und 4
des MSM), Abschluss mit praktischer Prüfung (OSCE),
o 3. Stufe Unterricht am Patienten/an der Patientin (Motto „Das große 1 x 1“): Veranstaltungs-
mix aus eigenständiger, indirekt supervidierter Patienten-/Patientinnenuntersuchung und
anschließender Krankengeschichten und Befundbesprechung mit Arzt/ Ärztin (meist
wöchentlich, im 5. bis 10. Semester MSM).

Wichtiges zum Unterrichtskonzept (für Dozierende und Studierende)


• Langsam beginnen, behutsamer Einstieg.
• Zeit zum „Üben, Üben, Üben“ geben.
• Schwerpunkt liegt auf „Was ist normal?“, „Was ist der Normalbefund?“
• Wählen sie geeignete Patienten aus. Diese sollten nicht zu krank sein. Der Schwerpunkt liegt
auf Erheben und Bestätigen von Normalbefunden in der allgemeinen Anamnese und klinischen
Untersuchung.
• Unterricht sollte nicht an schwerkranken oder nicht-einwilligungsfähigen Patienten durchgeführt
werden.
• Manche Dinge werden ihnen fast zu simpel erscheinen, aber die Studierenden sollen das
„ärztliche“ Handwerk von der Pike auf lernen und das Gelernte auch demonstrieren können.
• Zu Beginn eines U-Kurses aktives Wiederholen von zuvor Gelerntem.
• Die Studierenden sollen von Beginn an mit Patienten-/Patientinnenumgang und auch
„Stationsabläufen“ vertraut gemacht werden.
• Während des Unterrichts muss der/die Dozent/in ständig anwesend sein (zur Demonstration,
Anleitung). Das ist eine curriculare Vorgabe.
• Der Unterricht wird vom gleichen Dozenten/gleicher Dozentin durchgeführt (max. ein(e)
Vertreter/in).
• Alle Studierenden sollten die praktischen Fertigkeiten selber ausführen können.
• Eine gleichmäßige Beteiligung aller Studierenden aus einer Gruppe ist das Ziel, ggf.
Nachsteuerung durch den Dozenten/die Dozentin.
• Die aktive Einbindung von Patienten/Patientinnen ist Pflicht (im Vergleich zur
Selbstuntersuchung oder Simulationspatienten/-patientinnen).

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Patientengeeignetheit (Beschluss Studienausschuss 12.01.2016)

Der Untersuchungskurs soll an Patient(innen) durchgeführt werden:


• die stationär in der Charité versorgt werden
• die wach und orientiert sind
• die der Teilnahme am Unterricht zugestimmt haben
• deren Krankheitszustand stabil ist

Nicht für den Untersuchungskurs geeignet sind Patient(innen):


• mit einer Bewusstseinsstörung
• mit mittelschweren oder schweren kognitiven Störungen
• unmittelbar nach einer Operation/ Narkose
• die instabil oder vital bedroht sind

Hinweise zu den Lernzielen


Übergeordnetes Lernziele des U-Kurses
Am Ende des U-Kurses sollen die Studierenden:
♣ in Ergänzung zum Allgemeinen Untersuchungskurs entsprechend des Modulthemas
einen Normalbefund in Anamnese und körperlicher Untersuchung erheben,
beschreiben und gegenüber einem Nicht-Normalbefund abgrenzen können
♣ eine Anamnese und klinische Untersuchungen bei einer gegebenen Patientin, einem
gegebenen Patienten mit den im Modul ausgewählten Krankheitsbildern durchführen
können, den Befund dokumentieren und gegenüber einem Normalbefund abgrenzen
können
♣ die im Skript benannten praktischen Fertigkeiten demonstrieren können.

Lernziele
Die Feinlernziele werden folgenden Kategorien zugeordnet
• Wissen/ Kenntnisse (kognitiv)
 Fertigkeiten (psychomotorisch, im Sinne der PO: praktische Fertigkeiten)
♦ Einstellungen (emotional/ reflektiv)
♣ Mini-PA (Professional Activity, im Sinne der PO: praktische Fertigkeiten)

Hinweis. Verbindlich für die Prüfungen sind die in der LLP für das jeweilige Semester
eingetragenen und je Prüfungsformat markierten Lernziele. Die hier im Handbuch zum
Allgemeinen Untersuchungskurs aufgeführten Lernziele sind aus der LLP übertragen
worden. Bei evtl. möglichen Unstimmigkeiten sind für die Prüfungen die Angaben in der LLP
verbindlich.

Professional Activities:

Mit fortschreitendem Studienverlauf sollen sich die medizinischen Lerninhalte immer weiter an das
ärztliche Arbeitsleben annähern. Um das inhaltlich und strukturell im Curriculum des
Modellstudiengangs Medizin abzubilden, wurden "Professional Activities" als neue, eigenständige
Lernzielkategorie eingeführt.

Definition: "Professional Activities sind in sich abgeschlossene klinische Tätigkeiten, die sich
möglichst authentisch im späteren ärztlichen Arbeitsfeld wiederfinden lassen. Sie integrieren die
für diese Tätigkeit relevanten Kenntnisse, Fertigkeiten und Einstellungen und bilden das für den

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jeweiligen Ausbildungszeitpunkt angestrebte Kompetenzniveau ab.“

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Modulplan Modellstudiengang Medizin 2.0

Die folgende Abbildung gibt eine Übersicht über die Module des Modellstudienganges Medizin
2.0. Jedes Semester umfasst mehrere Module von meist 2-4 Wochen Dauer.

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4. Semester: Termine und Inhalte

Modul Nr. 14 “Niere”


Woche 1 – 4

Kurzbeschreibung der Modul-Wochenthemen

1. Erste Woche: Patient/in mit Harnabflussbeschwerden

Harnabflussbeschwerden entstehen durch mechanische, funktionelle und infektions-bezogene


Störungen der oberen und unteren Harnwege. Die Lerninhalte der ersten Woche beinhalten eine
auf die Harnausscheidung fokussierte Anamnese und körperliche Untersuchung. Bei den
praktischen Fertigkeiten soll der Urinstix mit Schwerpunkt des Nachweises von Leukozyten,
Erythrozyten und Nitrit geübt werden. Der Erwerb der praktischen Fertigkeit, wie Urinstix und
Urinkultur einzusetzen sind, wird in Abstimmung mit dem Fachpraktikum der Woche zur
mikrobiologischen Urindiagnostik vermittelt. Die Grundzüge der Ultraschalldiagnostik von Nieren
und Harnwegen werden erläutert. Zudem wird besonders das Thema der Harnwegsinfektion
behandelt.

2. Zweite Woche: Patient/in mit akutem Nierenversagen

Das akute Nierenversagen ist gekennzeichnet durch die Abnahme der Nierenfunktionsleistung
innerhalb kurzer Zeit. Die Ursachen dafür sind vielfältig und die Patienten präsentieren sich sehr
heterogen. Unter Kenntnis dessen bestehen die Lerninhalte der zweiten Woche in einer
fokussierten Anamnese und körperlichen Untersuchung zur Eingrenzung dieser Ursachen und
genauen Exploration der Präsentationsform des akuten Nierenversagens. Bei den praktischen
Fähigkeiten kommt insbesondere dem Erlernen der Einschätzung des Volumenstatus des
Patienten eine große Bedeutung zu.

3. Dritte Woche: Patient/in mit Volumen und Elektrolytstörung

Volumen und Elektrolytstörungen sind meist renal vermittelt und müssen nach ihrer korrekten
Diagnose in der Regel zügig behandelt werden. Lerninhalt der dritten Woche ist, eine auf den
Volumen-und Elektrolythaushalt mit Schwerpunkt Kalium fokussierte Anamnese und
Untersuchung durchführen zu können. Das Erlernen der Einschätzung des Volumenstatus
wird vertieft. Zudem wird der diagnostische Einsatz von EKG und der Blutgasanalyse
wiederholt und geübt.

4. Vierte Woche: Patient/in mit chronischer Niereninsuffizienz

Die chronische Niereninsuffizienz ist definiert als dauerhafte Einschränkung der


Nierenfunktion. Sie schreitet meist über einen langen Zeitraum voran in dem sich eine
zunehmende Symptomatik zeigt. Der frühzeitigen Diagnostik und stadien-gerechten
Behandlung der Komplikationen der chronischen Niereninsuffizienz kommt daher eine
besondere Bedeutung zu. Die Lerninhalte der vierten Woche bestehen in einer fokussierten
Anamnese und Untersuchung insbesondere zur Einschätzung des Schwergrades einer
Urämie.

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„Patient/in mit Harnabflussbeschwerden“
Termin 1: 112 min

Allgemeines
In diesem Untersuchungskurs steht die allgemeine und spezielle Anamnese und klinische
Untersuchung bei einem Patienten/einer Patientin mit Harnabflussbeschwerden im Vordergrund.
Bei den praktischen Fertigkeiten soll der Urinstix mit Schwerpunkt des Nachweises von
Leukozyten, Erythrozyten und Nitrit geübt werden. Der Erwerb der praktischen Fertigkeit, wie
Urinstix und Harntauchkultur einzusetzen sind, wird in Abstimmung mit dem Fachpraktikum der
Woche zur mikrobiologischen Urindiagnostik vermittelt.

• Harnabflussbeschwerden treten bei zahlreichen Erkrankungen der Niere, der ableitenden


Harnwege sowie der Harnblase auf; andererseits können Harnabflusspathologien ebenso
Erkrankungen der Niere und ableitenden Harnwege verursachen
• Störungen des Harnabflusses sind in der Regel begleitet von charakteristischen klinischen
Symptomen und Beschwerden
• Die zwei häufigsten Entitäten, die zu Harnabflussbeschwerden führen, sind
Harnwegsinfektionen und Erkrankungen, die eine Obstruktion der Harnwege verursachen
• Bei den Harnwegsinfektionen werden unkomplizierte Infektionen des Harntrakts von
komplizierten Infektionen der Harnwege abgegrenzt
• Harnwegsinfektionen stellen die häufigste bakterielle Infektion in der ambulanten
medizinischen Versorgung dar.
• Bei den Harnwegsinfektionen finden sich 3 Häufigkeitsgipfel in der Bevölkerung: das
Säuglings- und Kleinkindalter (angeborene Fehlbildungen des Urogenitaltrakts), junge
Frauen (sexuelle Aktivität, Schwangerschaft) und ältere Menschen beider Geschlechter
(altersbedingte Veränderungen, wie z.B. Prostatavergrößerung, Gebärmutterpathologien)
• Für die Erkennung von Erkrankungen der Niere, der ableitenden Harnwege und der
Harnblase stehen verschiedene Untersuchungstechniken zur Verfügung

Inhalte
• Anamneseerhebung (Differenzierung der Beschwerden nach Dauer, Stärke, Art und Ort
und ihrer Beziehung zu den Körperfunktionen; Erheben von komplizierenden Faktoren)
• Klinische Untersuchung von Niere, ableitenden Harnwegen und Harnblase und Erhebung
eines Normalbefundes
• Abgrenzung eines unkomplizierten Harnwegsinfektes von einer komplizierten Infektion der
ableitenden Harnwege
• Einführen von Hauptbegriffen (z.B. Dysurie, Pollakisurie, Bakteriurie, Pyurie)
• Erlernen einer standardisierten Beschreibung und Dokumentation erhobener Befunde
• Gewinnung einer Urinprobe
• Durchführung einer Urinanalyse
• Bildgebende Diagnostik
• Verständnis der Pathogenese
• Wichtige mikrobiologische Befunde
• Kalkulierte orale antibiotische Therapie eines unkomplizierten Harnwegsinfektes
• Symptome und klinische Zeichen der Harnwegsinfektion

Vorausgesetztes Wissen
• Grundlagen der klinischen Untersuchung von Abdomen und Urogenitalsystem
(Oberflächenprojektion, Orientierungslinien, Inspektion, Palpation, Perkussion und
Auskultation) aus dem Untersuchungskurs 1./2. Semester. Grundlagen der ärztlichen
Anamnese.

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Übergeordnetes Lernziel
Am Ende des Vertiefenden U-Kurses sollen die Studierenden eigenständig eine
Anamnese und klinische Untersuchungen bei einer gegebenen Patientin, einem
gegebenen Patienten mit definiertem Krankheitsbild durchführen können, die
vorliegenden bzw. zu erwartenden Befunde erheben, beschreiben und gegenüber
einem Nicht-Normalbefund abgrenzen können sowie die benannten praktischen
Fertigkeiten demonstrieren können.

Fein-Lernziele
Die Studierenden sollen
♣ bei einer gegebenen Patientin, einem gegebenen Patienten einen Normalbefund
in der Anamnese für die Urinausscheidung und für Klopfschmerzhaftigkeit der
Nierenlager und der Blasengröße (Palpation) in der körperlichen Untersuchung
erheben, dokumentieren und gegenüber einem Nicht-Normalbefund abgrenzen
können.

Beschreibung des Kursinhaltes – Inhaltliche Gliederung


In diesem Untersuchungskurs lernen die Studierenden die Erhebung einer fokussierten Anamnese
und charakteristischer klinischer Befunde bei einer Patientin, einem Patienten mit
Harnabflussbeschwerden. Basierend auf den bereits erlernten Kenntnissen aus dem allgemeinen
Untersuchungskurs werden die Studierenden Nicht-Normalbefunde von einem Normalbefund
abgrenzen können.
Die Patientenuntersuchung besteht aus zwei Teilen, der Anamnese und der klinischen Untersuchung.
Die Anamnese sollte mit einer offenen Frage begonnen werden. Mit Hilfe der fokussierten Anamnese
versucht der Studierende die Beschwerden des Patienten vom Beginn, ihrer Entwicklung und ihrem
zeitlichen Verlauf zu erfassen. An die Anamnese schließt sich die klinische Untersuchung des
Patienten an. Durch verschiedene Untersuchungstechniken wie z.B. Inspektion, Palpation und
Perkussion werden durch die Studierenden von der Norm abweichende Befunde erhoben und
dokumentiert.
Weiterhin erlangen die Studierenden einen Einblick in die Pathogenese von Harnabflussbeschwerden
und in wichtige mikrobiologische Befunde bei einem Patienten mit unkompliziertem Harnwegsinfekt.
Die Studierenden werden zudem in der Lage sein, eine anhand von klinischen Symptomen vermutete
Harnwegsinfektion mit Hilfe einer Urinuntersuchung zu diagnostizieren und entsprechend antibiotisch
zu behandeln.

Normalbefund „Niere“
Bei der Anamnese und körperlichen Untersuchung zur Rolle der Niere und Elektrolyte sind folgende
Prinzipien zu bedenken:
• Die Niere gehört zu den am stärksten differenzierten Organen des menschlichen Körpers.
Ca. 20% des Herzzeitvoumens wird vom Organismus für die Durchblutung der Nieren
bereitgestellt. Aufgrund ihrer inkretorischen und exkretorischen Funktionen hat die Niere
einen großen Einfluss auf den menschlichen Stoffwechsel
• Störungen des Harnabflusses sind in der Regel begleitet von charakteristischen klinischen
Symptomen und Beschwerden
• Die Niere ist ein wichtiges Entgiftungsorgan. So erfolgt über die Niere und die ableitenden
Harnwege, einschließlich der Harnblase, die Ausscheidung von Endprodukten des
Stoffwechsels, den sogenannten harnpflichtigen Substanzen (z.B. Kreatinin, Harnsäure,
Ammoniak, Medikamente), sowie von Giftstoffen, den „urämischen Toxinen“ (z.B.
Harnstoff, Phosphat, Homozystein, β2-Mikroglobulin).
• Die Niere spielt eine bedeutende Rolle in der Bilanzierung des Wasserhaushaltes und der
Blutdruckregulation. Mit Hilfe der Niere ist der menschliche Körper in der Lage, Wasser
(„Volumen“) aus dem Körper zu entfernen. Auf der anderen Seite besitzt die Niere die
Fähigkeit bei einem Mangel an Flüssigkeit im Organismus den Wasserverlust über die

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Niere deutlich einzuschränken. An der Regulation des Wasserhaushaltes beteiligt sind zum
einen die im Karotissinus, den Herz-Vorhöfen sowie in den afferenten glomerulären
Arteriolen lokalisierten Sensoren, die das zirkulierende Blutvolumen messen. Zum anderen
zählen hierzu das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS), das atriale natriuretische
Pepid (ANP) sowie das antidiuretische Hormon (ADH) als wichtige Regelsysteme zum
Erhalt der Volumenhomöostase
• Eng verbunden mit der Bilanzierung des Wasserhaushaltes ist die Regulation der
Osmolarität, insbesondere über die NatriumHomöostase, denn Natrium ist eines der
wichtigsten Osmolyte. Die Ausscheidung von Natrium erfolgt überwiegend über die Niere
und wird über verschiedene Mechanismen reguliert (z.B. RAAS).
• Neben der Wasser- und Natrium-Homöostase reguliert die Niere des Weiteren über die
Zusammensetzung des Harns den Kalium– und Säure-Base-Haushalt
• Die Niere hat durch die Produktion des Hormons Erythropoetin eine wesentliche
Bedeutung in der Erythropoese. Erythropoetin stimuliert als hämatopoetischer
Wachstumsfaktor die Bildung von Erythrozyten. Ein Mangel an Erythropoetin führt zur
Anämie
• Die Niere ist nicht nur Produktionsort von Hormonen, sondern unterliegt mit ihren
Funktionen auch zahlreichen Wirkungen diverser Hormone. Ein wichtiger Vertreter ist das
Parathormon, das eine zentrale Rolle im Calcium-, Vitamin D- und dem
Knochenstoffwechsel einnimmt

Lerninhalte zum Lernziel:


Die Studierenden sollen …
♣ bei einer gegebenen Patientin, einem gegebenen Patienten einen Normalbefund in der
Anamnese für die Urinausscheidung und für Klopfschmerzhaftigkeit der Nierenlager und der
Blasengröße (Palpation) in der körperlichen Untersuchung erheben, dokumentieren und
gegenüber einem Nicht-Normalbefund abgrenzen können.

Der Normalbefund bzgl. Der „Niere“ in der Anamnese ist gekennzeichnet durch:
• Konstantes Körpergewicht (keine signifikanten Zu- bzw. Abnahme des Körpergewichts in
den letzten Tagen / Wochen)
• Durst, Trinken und Urinausscheidung werden normalerweise nicht oder nicht als
unangenehm wahrgenommen (u.a. kein verstärkter Durst, keine Beschwerden beim
"Wasserlassen", kein häufigeres „Wasserlassen“, kein verstärktes Bedürfnis zum
„Wasserlassen“)
• Normale Trinkmenge (ca. 1,5 - 2 Liter/Tag, abhängig von individuellen Gewohnheiten und
äußeren Faktoren, z.B. starkes Schwitzen, körperliche Anstrengung)
• Normale Ausscheidungsmenge (ca. 1ml/kgKG/h, abhängig von zugeführter
Flüssigkeitsmenge sowie äußeren Faktoren, wie z.B. starkes Schwitzen)
• Klarer, gelber bis wasserheller Urin
• Fehlen von Schäumen des Urins (als Hinweis für Proteinurie oder Phosphaturie)
• Fehlen von Rotfärbung des Urins (als Hinweis für Makrohämaturie)
• Fehlen von Schmerzen im Bauch- und/oder lumbosakralen („Flanken“-)Bereich
• Fehlen von Fieber und Schüttelfrost
• Normale körperliche Belastungsfähigkeit, z.B. 4 Etagen steigen in einem Zug, ohne Luftnot,
ohne Schmerzen in der Brust, ohne Schwindelgefühl
• Patient/in ist wach und zu Zeit, Raum und zur Person orientiert
• Keine Einnahme von Medikamenten bzw. keine Einnahme von „Nieren“-relevanten
Medikamenten (Überprüfen jedes einzelnen Medikamentes der Medikationsliste)
• Keine Vorgeschichte für Erkrankungen der Nieren (i.e. keine Kinderkrankheiten, kein
Bluthochdruck, kein Diabetes mellitus, keine Operationen, keine längere Zeit mit Einnahme
von Medikamenten, keine vorausgegangenen Infekte der oberen Luftwege, keine häufigen
Harnwegsinfekte; bei Eltern, Geschwistern und Großeltern kein Hinweis auf Erkrankungen
der Nieren und Elektrolyte)

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Der Normalbefund für Nieren und Elektrolyte in der körperlichen Untersuchung ist
insbesondere gekennzeichnet durch:
• Normaler Blutdruck (< 140/90 mmHg)
• Normaler Puls (regelmäßig, 60-100 Schläge/min)
• Normale Atemfrequenz (15-20 Atemzüge/min)
• Fehlen eines urinartigen Mund-oder Körpergeruches (urämischer Fötor)
• Fehlen von Blässe oder einer bräunlichgelben Pigmentierung (vor allem an lichtexponierten
Stellen) der Haut
• Fehlen eines Pruritus
• Fehlen von Hauteffloreszenzen (z.B. Purpura)
• Normaler Hauttugor (als Hinweis für einen ausgeglichenen Wasserhaushalt des Körpers)
• Fehlen von Ödemen (= interstitielle Flüssigkeitseinlagerung im Gewebe)
o Lungenödem (zentrales Ödem): eher unwahrscheinlich, wenn für Inspektion,
Palpation, Perkussion und Auskultation von Thorax-Lunge ein Normalbefund
vorliegt.
o Periphere Ödeme: Orientierung am Unterschenkel, unteres Drittel: Es liegen keine
eindrückbaren Schwellungen vor.
• Fehlen einer Vorbuckelung im Ober- oder Mittelbauch (als Hinweis z.B. für Zystennieren
oder Tumor)
• Fehlen von Schmerzen, Spasmen, Resistenzen oder lokaler Abwehrspannung bei tiefer
Palpation des Abdomens und des kleinen Beckens
• Fehlen eines Klopfschmerzes über den Nierenlagern
• Charakteristische Klopfschalldämpfung einer gefüllten Harnblase
• Fehlen eines Stenosegräusches paraumbilikal (als möglicher Hinweis auf eine
Nierenarterienstenose)

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Lerninhalte zum Lernziel:
Die Studierenden sollen …
♣ bei einer gegebenen Patientin, einem gegebenen Patienten mit Harnabschlussbeschwerden eine
allgemeine und auf Harnwegsinfektion-fokussierte spezifische Anamnese und körperliche
Untersuchung durchführen, den Befund dokumentieren und gegenüber einem Normalbefund
abgrenzen können.

Einführung von Hauptbegriffen:

a) Dysurie
Erschwertes Wasserlassen, Behinderung des Wasserlassens

b) Algurie
Schmerzhaftes Wasserlassen

c) Pollakisurie
Abnorm häufiges Wasserlassen (häufig hierbei Ausscheidung kleiner Harnmengen)

d) Imperativer Harndrang
Harndrang bei unphysiologisch niedriger Harnblasenfüllung

e) Harninkontinenz
Das Wasser kann auch ohne Harndrang nicht gehalten werden, es fehlt die vollständige
willkürliche Kontrolle des Wasserlassens

f) Harnverhalt
Unvermögen, die gefüllte Harnblase zu entleeren

g) Harnstauung (= obstrukitve Uropathie)


Abflussbehinderung in den ableitenden Harnwegen

h) Oligurie
Urinmenge < 500 ml / Tag

i) Anurie
Urinmenge < 100 ml / Tag

j) Nykturie
Mehrmaliges Wasserlassen in der Nacht (Cave: kann auch Zeichen einer Herzinsuffizienz
sein)

k) Pyurie
Trüber, flockiger, z.T. auch übelriechender Urin

l) Makrohämaturie
Rotfärbung des Urins durch Vorhandensein von Blut im Urin

m) Nephro-/Urolithiasis
Ablagerungen (Harnsteine) in der Niere oder den ableitenden Harnwegen

n) Urämie
Harnvergiftung durch Urämietoxine, klinische Symptome sind u.a. Übelkeit, Erbrechen,
Schwäche, Dyspnoe, Pruritus, Verlangsamung bis hin zum Koma

o) Obstruktion

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Verschluss eines Hohlorgans durch Kompression oder Verstopfung

p) Mittelstrahlurin
Der zweite = mittlere Urinstrahl wird aufgefangen und analysiert (der erste Strahl wird
verworfen – er dient dem „Reinigen“ der Harnröhre, auch der dritte/letzte Strahl wird
verworfen)

q) Zylinder
Zylindrische Gebilde im Urinsediment, die Ausgüsse aus den Tubuli der Niere darstellen. In
der Matrix aus Tamm-Horsfall-Glykoprotein können verschiedene Partikel eingeschlossen sein
(z.B. Bakterien, Leukozyten)

r) Resistente Erreger (3-MRGN,4-MRGN, ESBL, MRSA, VRE)


3-MRGN: multiresistente gramnegative Stäbchenbakterien mit Resistenz gegen 3 der 4
Antibiotikagruppen (Acylureidopenicilline, 3./4. Generations-Cephalosporine, Carbapeneme,
Fluorchinolone)
4-MRGN: multiresistente gramnegative Stäbchenbakterien mit Resistenz gegen 4 der 4
Antibiotikagruppen (Acylureidopenicilline, 3./4. Generations-Cephalosporine, Carbapeneme,
Fluorchinolone)
ESBL: extended spectrum β-Lactamasen (können ein erweitertes Spektrum von β-
Lactamhaltigen Antibioka spalten)
MRSA: Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus, Multi-resistenter Staphylococcus aureus
VRE: Vancomycin-resistenter Enterococcus

Definition einer Harnwegsinfektion (nach S3-Leitlinie 2017):

Die symptomatische Anwesenheit von infektiösen Erregern (z.B. Bakterien, Pilzen) in den
Harnwegen wird als Harnwegsinfektion bezeichnet. Dabei muss eine Harnwegsinfektion von einer
von einer asymptomatischen Bakterie-Urie abgegrenzt werden.

Die Harnwegsinfektion wird je nach angenommener Lokalisation der Infektion im Harntrakt


unterteilt in eine untere und eine obere Harnwegsinfektion.

Untere Harnwegsinfektion (Zystitis):


• Symptombegrenzung auf den unteren Harntrakt (Algurie, Dysurie, imperativer Harndrang,
Pollakisurie, Schmerzen oberhalb der Symphyse, Vorhandene oder verstärkte
Harninkontinenz , Nykturie, übler Geruch / Trübung des Urins (Pyurie), Makrohämaturie).
• Differenzialdiagnosen:
o gynäkologische Infektionen (z.B Kolpitis, Salpingitis ,Adnexitis)
o bei Männern Prostatitis
o Urethritis, häufig als sexuell übertragene Erkrankung. Typische Erreger : z.B.
Gonokokken, Chlamydien oder Mykoplasmen

Obere Harnwegsinfektion (Pyelonephritis):


• Symptomangabe von Flankenschmerzen, in die Leiste ausstrahlenden Schmerzen,
klopfschmerzhaftem Nierenlager, Fieber (>38°C) und/oder anderen Systemischen
Symptomen, z.B. Allgemeines Krankheitsgefühl, Erbrechen, Diarrhoe
• Pathophysiologisches Korrelat: Invasion der infektiösen Erreger in das Interstitium der
Niere (bakterielle interstitielle Nephritis) mit systemischer Affektion

Auch die Unterscheidung von einer akuten und einer wiederholt auftretenden (rezidivierenden)
Harnwegsinfektion (≥2 symptomatischen Episoden innerhalb von 6 Monaten oder ≥3
symptomatische Episoden innerhalb von 12 Monaten) ist relevant.

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Darüber hinaus unterscheidet man bei den Infektionen des Harntrakts unkomplizierte von
komplizierten Harnwegsinfektionen.

Unkomplizierte Harnwegsinfektionen:
• keine anatomischen Besonderheiten und/ oder
• keine funktionellen Anomalien im ableitenden Harnsystem
• keine relevante Einschränkung der Nierenfunktion
• keine relevanten Vor-Begleiterkrankungen die eine Harnwegsinfektion bzw. eine
gravierende Komplikation begünstigen

Komplizierte Harnwegsinfektion:

Angeborene und erworbene anatomische Veränderungen, z.B.


• Ureterabgangsstenose
• obstruktiver, refluxiver Megaureter
• Harnblasendivertikel
• Harnröhrenklappen
• Phimose
• Nierensteine/Harnleitersteine
• Harnleiterstrikturen
• Harnblasentumore
• Prostatavergrößerung
• Urethrastriktur
• Schwangerschaft
• operative Veränderungen (insbesondere mit Einbringung von Fremdkörpern)
o Nephrostomie
o Harnleiterschienen
o Harnblasenkatheter
• Veränderungen durch Strahlentherapie

Funktionelle Veränderungen z.B:


• Niereninsuffizienz
• Harntransportstörungen
• Entleerungsstörungen der Harnblase (Detrusor/Sphinkter-Störungen)

Angeborene oder erworbene Störungen der Immunität, z.B.


• HIV
• Leberinsuffizienz
• Entgleister/schlecht eingestellter Diabetes
• mellitus
• Aktuelle immunsuppressive Therapie oder
• Chemotherapie

Zusatz Schwangerschaft:
Eine asymptomatische Bakteriurie bei Schwangeren erhöht das Risiko für die Entstehung einer
Harnwegsinfektion. Hinweise für eine Schädigung des Kindes liegen nicht vor. Bei Schwangeren mit
einer Niedrig-Risiko-Schwangerschaft sollte die asymptomatische Bakteriurie daher nicht behandelt
werden. Bei Risikopatienten (Zustand nach Frühgeburt oder später Fehlgeburt) kann ein Screening
auf eine asymptomatische Bakteriurie und deren Behandlung sinnvoll sein.

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Epidemiologie:

Die Harnwegsinfektion ist die häufigste bakterielle Infektion in der ambulanten medizinischen
Versorgung. Im jungen Erwachsenenalter war die Hälfte aller Frauen mindestens einmal an einer
unteren Harnwegsinfektion erkrankt. Die Inzidenz einer akuten Pyelonephritis ist dagegen viel
seltener.

Bei den Harnwegsinfektionen finden sich 3 Häufigkeitsgipfel in der Bevölkerung:

• das Säuglings- und Kleinkindalter


o Ursachen sind angeborene Fehlbildungen des Urogenitaltrakts
• junge Frauen
o Ursachen sind anatomische Gegebenheiten wie die kurze Harnröhre der Frau und
die in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Harnwegen befindliche kontaminierte
Analregion. Sexuelle Aktivität, Schwangerschaft und der Gebrauch eines
Diaphragmas oder Spermizids als Antikonzeptionsmittel können rezidivierende
Harnwegsinfektionen hervorrufen
• ältere Menschen beider Geschlechter (> 50 Jahre)
o Ursachen sind altersbedingte Veränderungen.
o Bei Männern: häufig Obstruktionen (z.B. Prostataerkrankungen).
o Bei postmenopausalen Frauen: Mangel an Östrogenen mit Veränderung der
vaginalen Mischflora

Pathogenese der Harnwegsinfektion:

Ausgangspunkt einer Harnwegsinfektion ist eine Kolonisation der Harnröhrenschleimhaut mit


potentiell pathogenen Keimen aus dem Darm oder der Vagina (z.B. durch die direkte Inokulation
während des Geschlechtsverkehrs). Durch die Fähigkeit der Adhäsion der Erreger an die Schleimhaut
ist ein Aufsteigen dieser in die Harnblase und manchmal über den Ureter bis in die Niere möglich.
Behilflich ist den Bakterien hierbei ein komplexes Adhäsionssystem an ihrer Zelloberfläche (z.B.
Fimbrien, Lectine) sowie Virulenzfaktoren (z.B. Geißeln für die Fortbewegung, Produktion von

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Hämolysinen, die eine Porenbildung in die Zelloberfläche hervorrufen kann). Neben dieser am
häufigsten zu beobachtenden aszendierenden Infektion, findet sich sehr selten ein hämatogener
Infektionsweg.

Wichtige Ursachen einer Harnstauung:

• Urethra: z.B Strikturen, Urethralklappen


• Prostata : benigne Vergrößerung, Carzinom
• Harnblase: z.B neurogene Blase, Tumor, Medikamente (u.a. Anticholinergika)
• Ureter: Stenosen (Ureterengen) , Ureterocele, Steine, Tumore, Koagel, Extrureterale
Prozesse (Gynäkologisch, Trauma, Gefäßanomalie)
• Nierenkelche /Nierenbecken: z.B Steine, Tumor, Blutkoagel,
• Verstopfte oder dislozierte Harnableitung (Katheter)

Klinische Manifestation einer Harnstauung:

Leitsymptom ist die Oligurie.


Das klinische Beschwerdebild ist in der Regel durch Symptome der zu Grunde liegenden Erkrankung
bestimmt (z.B. kolikartige Schmerzen bei Nephro-/Urolithiasis, Harnverhalt bei Prostatavergrößerung).
Die Obstruktion kann aber auch zunächst asymptomatisch verlaufen, so dass die Harnstauung erst
durch Symptome eines fortgeschrittenen Nierenversagens (z.B. Ödeme, Urämie) auffällt.

Pathomechanismus der Harnstauung:

Die Obstruktion ruft über eine Drucksteigerung in den ableitenden Harnwegen eine Tubulus-
Schädigung hervor. Da in der Medulla schon per se eine grenzwertige Sauerstoffversorgung
vorliegt, reagieren die Gefäße auf die Minderperfusion und der damit assoziierten Hypoxie –
induziert durch die Kompression – sehr empfindlich. Es kommt zu einem Untergang von
funktionsfähigem Nierengewebe und somit zu einer Abnahme der glomerulären Filtrationsrate,
einem sogenannten Nierenversagen.

Eine komplette Obstruktion kann im Gegensatz zu einer partiellen Obstruktion bereits nach kurzer
Zeit irreversible Nierenschäden verursachen.

Lerninhalte zum Lernziel:


Die Studierenden sollen …
♣ bei einer gegebenen Patientin, einem gegebenen Patienten einen Normalbefund in der
Anamnese für die Urinausscheidung und für Klopfschmerzhaftigkeit der Nierenlager und der
Blasengröße (Palpation) in der körperlichen Untersuchung erheben, dokumentieren und
gegenüber einem Nicht-Normalbefund abgrenzen können.

Eine fokussierte Anamnese bei einem Patienten mit Harnwegsinfektion umfasst in der Regel:

1) Spezifische Anamnese:

a) Kernfragen

- Unter welchen Beschwerden leiden Sie?


- Wann begannen die Beschwerden?
- Wo genau sind die Beschwerden?
- Wie ist die Entwicklung der Beschwerden (Veränderung, Ausdehnung der Beschwerden)?

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- Unter welchen Umständen treten die Beschwerden auf?
- Sind die Beschwerden erstmalig oder traten sie bereits früher auf?
- Ist bereits eine Behandlung der Beschwerden eingeleitet worden, wenn ja womit?

b) Vorliegen typischer klinischer Beschwerden einer Harnwegsinfektion

- Besteht Dysurie / Algurie?


- Besteht Pollakisurie und / oder Algurie?
- Besteht ein imperativer Harndrang?
- Besteht ein suprapubischer Schmerz?
- Ist der Urin trübe und / oder hat einen unangenehmen Geruch?
- Ist der Urin rot verfärbt?
- Besteht eine (verstärkte) Harninkontinenz oder ein Harnverhalt?
- Besteht eine Nykturie?
- Besteht ein auffälliger pathologischer Fluor vaginalis oder eine vaginale Irritation?
- Besteht ein allgemeines Krankheitsgefühl?
- Besteht Fieber, Schüttelfrost?
- Besteht Übelkeit oder Erbrechen?
- Bestehen Flankenschmerzen oder Schmerzen im lumbosakralen Bereich?
- Bestehen kolikartige Schmerzen?

c) Finden sich Hinweise auf Vorliegen von komplizierenden Faktoren?

- Sind Harnabflussstörungen bekannt (z.B. vesikouretraler Reflux, Steine, Restharn)?


- Sind Stoffwechselerkrankungen bekannt (z.B. Diabetes mellitus)?
- Erfolgte vor kurzem eine Manipulation an den Harnwegen (z.B. Katheterisierung,
Zystoskopie ?)
- Besteht eine Harnableitung (z.B. Blasenkatheter, suprapubische Harnableitung)?
- Besteht eine Abwehrschwäche (z.B. angeboren, immunsuppressive Therapie)?
- Liegt eine Schwangerschaft vor?
- Gibt es einen zeitlichen Zusammenhang zum Geschlechtsverkehr?
- Welche Verhütungsmethode wird benutzt (z.B. Scheidendiaphragma, Spermizide, Depot-
medroxyprogesteronacetat)?
- Werden regelmäßig Schmerzmittel eingenommen, wenn ja welche?

2) Allgemeine Anamnese

Vorerkrankungen: Chronische Erkrankungen


Frühere Krankheiten, inkl. Operationen und stationäre Behandlungen

Allergien

3) Gynäkologische Anamnese

Regelanamnese (u.a. Menarche, Zyklusdauer, Zyklusanomalien)


Schwangerschaften, Schwangerschaftserkrankungen
Geburten
Gynäkologische Erkrankungen, Operationen
Hormontherapie
Sexualanamnese

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4) Medikamentenanamnese

Überprüfen der Medikamentenliste


- Fragen nach Einnahme von Analgetika: Welche? Erfolgt die Einnahme regelmäßig? Wie oft
und in welcher Dosierung? Seit wann?
- Wurden in den letzten 2-4 Wochen Antibiotika eingenommen, wenn ja welche? Nehmen Sie
Nahrungsergänzungsmittel ein?

5) Familienanamnese

Erkrankungen der Niere und der ableitenden Harnwege:


- Sind in der Familie rezidivierende Harnwegsinfektionen und / oder Nierenbeckenentzündungen
bekannt?
- Sind in der Familie Nierenerkrankungen bekannt?

Sind weitere Erkrankungen bekannt, die gehäuft familiär auftreten (z.B. Herzinfarkt, Schlaganfall,
Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Tumorerkrankungen)

6) Sozialanamnese

Familienstand, Kinder
Beruf, Hobbys
Herkunft

7) Reiseanamnese

Eine fokussierte klinische Untersuchung bei einem Patienten mit Harnwegsinfektion umfasst in der
Regel:

1) Erhebung der Vitalparameter

- Orientierung zu Ort, Zeit, Raum, Person


- Messung des Körpergewichts
- Messung des Blutdrucks und der Herzfrequenz
- Messung der Atemfrequenz und ggf. der Sauerstoffsättigung
- Messung der Körpertemperatur
- Findet sich ein urinartiger Geruch?

2) Inspektion

Haut Abdomen
Wie ist die Hautfarbe (z.B. Blässe)? Findet sich eine Vorwölbung im Ober- oder Mittelbauch
Gibt es Kratz-Effloreszenzen (Pruritus)?
Finden sich Hauteffloreszenzen?
Wenn ja, wo (z.B. Extremitäten)?

3) Palpation

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Haut Abdomen
Wie ist der Hautturgor? Tiefe Palpation des Abdomens und kleinen Beckens
Finden sich Ödeme (z.B. an den Beinen)? (siehe Abbildung)

4) Perkussion

Rücken Abdomen
Klopfschmerz über den Nieren? Klopfschalldämpfung über der Symphyse
als Hinweis für eine gefüllte Harnblase?

5) Auskultation

Stenosegeräusch paraumbilikal?

Urindiagnostik:
1. Uringewinnung (S3-Leitlinie 2017)

- Idealerweise Gewinnung von Morgenurin (mindestens 4 Stunden zwischen letzter Miktion und
Gewinnung des Urins l); besteht die Notwendigkeit des sofortigen Beginns einer
Antibiotikatherapie, muss die Uringewinnung unabhängig von der Tageszeit erfolgen (d.h.
Morgenurin ist dann nicht zwingend erforderlich)
- Gewinnung des Urins unbedingt vor Beginn einer antibiotischen Therapie
- Auffangen des Urins in einem sauberen Gefäß
- Untersuchung des frisch gewonnenen Urins mittels Teststreifen und Mikroskop innerhalb von 30
– 45 min (maximal 1,5 Stunden)
- Urinproben für die kulturelle mikrobiologische Diagnostik sind unverzüglich zu verarbeiten. Kann
dies nicht gewährleistet werden (z.B. Uringewinnung am Nachmittag, fehlende
Transportmöglichkeit) ist der Urin gekühlt bei Temperaturen von 2 – 8 °C zu lagern und muss am
darauffolgenden Tag verarbeitet werden
- Aufgrund der Gefahr eines falsch positiven Befundes durch genitale / urethrale Kontamination
werden folgende Empfehlungen zur Uringewinnung gegeben:
Spreizen der Labien
Sorgfältige Reinigung des Meatus urethrae der Frau bzw. der Glans penis des Mannes mit

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Wasser
Gewinnung von Mittelstrahlurin
- für eine orientierende Untersuchung des Urins (z.B. Teststreifen) kann auf eine Reinigung des
Meatus urethrae bzw. der Glans penis und die Gewinnung von Mittelstrahlurin verzichtet werden,
hier reicht die Gewinnung von Spontanurin aus
- bereitet die einwandfreie Gewinnung von Mittelstrahlurin Schwierigkeiten, liegt eine unklare
Leukozyturie vor oder findet sich ein nicht eindeutig klassifizierbarer mikrobiologischer Befund
(z.B. Mischkultur) ist möglicherweise eine Blasenkatheterisierung oder eine suprapubische
Blasenpunktion notwendig
- suprapubische Blasenpunktion:
Voraussetzung: Harnblase ist gefüllt und mindestens 2 Querfinger oberhalb der
Symphyse zu perkutieren
Örtliche Desinfektion, ggf. Lokalanästhesie, dann Punktion der Harnblase ca. 2 cm oberhalb der
Symphyse in der Mittellinie mit einer 5 – 10 cm langen Nadel und Aspiration von Urin
Anschließend Entleerung der Harnblase
Kontraindikation: Schwangerschaft, größere Tumoren im kleinen Becken,
Blutgrinnungsstörungen

2. Urin-Teststreifen

Der Teststreifen ist eine einfache, schnelle und kostengünstige Methode um den Urin auf das
Vorhandensein von Erythrozyten, Leukozyten, Protein und anderer Urinbestandteile zu
untersuchen. Zu beachten ist, dass der Test sowohl falsch positive (z.B. Test auf Leukozyten falsch
positiv durch Kontamination mit Vaginalflüssigkeit) als auch falsch negative Ergebnisse (z.B. Test
auf Leukozyten falsch negativ durch Vitamin C) präsentieren kann.

• Erythrozyten
o Pseudoperoxidaseaktivität von Hämoglobin und Myoglobin wird zum Nachweis von
Erythrozyten genutzt
• Leukozyten
o ein Indoxylester wird durch die Leukozytenesterase zu einem Indoxyl gespalten,
das durch Luftsauerstoff zu Indigoblau oxidiert
• Nitrit
o Reduktion von Nitrat zu Nitrit durch die Nitratreduktase, Cave: diese ist nicht bei
allen Erregern vorhanden – hierzu gehören grampositive Erreger (Enterokokken,
Staphylokokken) und einige Pseudomonasspezies, zudem ist für eine positive
Reaktion eine bestimmte Bakterienkonzentration notwendig

Eine Harnwegsinfektion ist anzunehmen, wenn (S3-Leitlinie 2017):

- Leukozyten und Nitrit positiv sind oder


- Nur Nitrit positiv ist oder
- Leukozyten und Blut positiv sind

Eine Harnwegsinfektion ist wahrscheinlich, wenn (S3-Leiltinie):

- Nitrit negativ ist und Leukozyten positiv sind

Eine Harnwegsinfektion ist weniger wahrscheinlich, wenn (S3-Leitlinie):

- Nitrit und Leukozyten negativ sind

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3. Urinsediment

Voraussetzung:
Zentrifuge, Lichtmikroskop, (ggf. Phasenkontrastmikroskop)

Durchführung:
Ein Urinvolumen von ca. 10 ml wird in einer Zentrifuge bei einer Umdrehungszahl von 1500 – 3000
U/min über etwa 3-5 min zentrifugiert. Anschließend erfolgt die Abtrennung und Verwerfung des
Überstandes. Der Bodensatz wird mittels Pipette vorsichtig aufgerührt und nachfolgend ein
Tropfen dieser Suspension auf einen Objektträger gebracht und mit einem Deckgläschen bedeckt.
Um sich einen Überblick zu verschaffen, beginnt man die Beurteilung des Urinsediments mit der
schwächsten Vergrößerung (ca. 50-100fach) des Mikroskops. In der Folge wird zur weiteren
Differenzierung der Urinbestandteile eine stärkere Vergrößerung gewählt. Bei ca. 300-400facher
Vergrößerung können die Anzahl von Erythrozyten und Leukozyten pro Gesichtsfeld angegeben
werden.

Beim Gesunden: 0 – 5 Erythrozyten pro Gesichtsfeld


0– 5 Leukozyten pro Gesichtsfeld (bei Männern: 0 – 1)

Pathologisch: >5 Erythrozyten pro Gesichtsfeld


>5 Leukozyten pro Gesichtsfeld

Bestandteile eines Urinsediments bei Harnwegsinfektion:

Erythrozyten - Entzündung der ableitenden Harnwege (Erythrozyten haben eine


normale Morphologie)
Leukozyten - Entzündung der ableitenden Harnwege, Pyelonephritis, Interstielle
Nephritis
Leukozytenzylinder - Pyelonephritis, interstitielle Nephritis
Nierenepithelien - Pyelonephritis, akute interstitielle Nephritis
Epithelzylinder - Pyelonephritis, akute interstitielle Nephritis
Urothelzellen - Entzündung der ableitenden Harnwege
Bakterienzylinder - Pyelonephritis
Bakterien -Stäbchen, Kokken, Diplokokken
Pilze

1 Erythrozyten; 2 Leukozyten; 3 Plattenepithelien; 4 Urothelzellen; 5 Nierenepithelien; 6 Bakterien

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Harnwegsinfektion
Das Harnsediment – Atlas-Untersuchungstechnik-Beurteilung, 6. A. 2001, © Thieme-Verlag, Stuttgart

Das Vorhandensein von vielen Epithelzellen im Sediment, insbesondere Plattenepithelien, weist auf
eine unsachgemäße Urinentnahme hin. Der fehlende Nachweis von Leukozyten im Urinsediment ist
zum Ausschluss einer Harnwegsinfektion geeignet. Dagegen sollte eine Leukozyturie ohne
Bakteriennachweis differentialdiagnostisch an z.B. eine Infektion mit Chlamydien, Herpes simplex,
Trichomonaden, an Mykosen oder Tuberkulose sowie an einen Missbrauch von Analgetika denken
lassen.

4. Urinkultur (S3-Leitlinie 2017)

Die Bedeutung der Urinkultur hat in den letzten Jahren infolge der steigenden Prävalenz
(hoch)resistenter Erreger zugenommen.
Urintauchkulturen werden wegen der minderen Sensitivität und fehlenden Resistenz-Analyse nicht
mehr empfohlen. Allerdings ist der Ausschluss einer Bakteriurie mit höheren Erregerzahlen (≥103/ml)
mit Eintauchnährböden möglich.

Wann ist die Durchführung einer Urinkultur indiziert?

• Verdacht auf Harnwegsinfekt (Ausnahme: Frauen mit unkompliziertem Harnwegsinfekt)


• Persistenz der Symptome unter/nach Antibiotikatherapie
• Rezidivierende Harnwegsinfektion
• Nosokomiale Harnwegsinfektion
• Harnwegsinfektion bei komplizierenden Faktoren
• Asymptomatische Patienten nach Beendigung der Antibiotikatherapie bei komplizierten
Harnwegsinfektionen
• bakterielle interstitielle Nephritis
• Schwangeren
• Männern
• Leukozyturie, Erythrozyturie oder Nitrit-positiver Test bei Patienten mit komplizierenden
Faktoren

Spezielle Indikationen:
• vor und nach interventionellen Eingriffen an den Harnwegen
• Unklare Abdominal- oder Flankenschmerzen

Der Nachweis einer Erregerzahl von > 105KBE/ml (koloniebildende Einheiten/ml) von typischen
infektiösen Erregern in der Urinkultur ist das übliche mikrobiologische Kriterium für die Diagnose
einer Harnwegsinfektion. Hier liegt eine gesicherte Harnwegsinfektion vor. Bei symptomatischen
Patienten kann bereits eine Erregerzahl von 103 KBE/ml klinisch relevant sein (Voraussetzung:
Nachweis nur eines typischen Uropathogens in der Urinkultur).

Für Urinkulturen aus einer suprapubischen Blasenpunktion gilt jede Erregerzahl mit Uropathogenen
als signifikante Harnwegsinfektion.

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5. Sonographie der Nieren und der ableitenden Harnwege:

Ergibt sich aufgrund einer sorgfältig erhobenen Anamnese der Verdacht auf Vorliegen
komplizierender Faktoren, so ist die Sonographie der Nieren und ableitenden Harnwege die primäre
bildgebende Diagnostik (S3-Leitlinie 2017).
Mit der Sonographie werden folgende Fragestellungen beantwortet:

• Bestimmung der Nierengröße (Pol-Pol-Abstand), normal 9-12 cm


• Bestimmung der Parenchymdicke der Nieren, normal 1,5-2,5 cm
• Beurteilung der Form der Nieren
• Frage nach Lageanomalien, Zysten, Tumore
• Frage nach Harnstauung, einer Obstruktion / Abflussbehinderung
• Frage nach Urolithiasis
• Frage nach Restharn der Blase nach Miktion

Normale Niere Harnstauungsniere

5. Mikrobiologie:

Der häufigste Erreger einer unkomplizierten Harnwegsinfektion ist Escherichia coli (75 – 90 %).
Seltener verursachen Proteus mirabilis oder Klebsiella pneumoniae oder grampositive Erreger wie
z.B. Staphylococcus saprophyticus oder Enterococcus faecalis eine unkomplizierte Infektion des
Harntrakts.

Die Resistenz von Escherichia coli gegenüber den herkömmlichen antibiotischen Substanzen ist
weltweit gestiegen, so dass die Auswahl wirksamer Antibiotikatherapien zunehmend komplizierter
wird. Eine 2015 publizierte deutsche Studie (LORE-Studie) offenbarte eine Resistenzrate von
Escherichia coli bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen gegenüber Aminopenicillinen (Ampicillin
auch mit Calvulansäure , Piperacillin) von 30-60 %. Für Cotrimoxazol (Trimethoprim-Sulfamethoxazol)
lag die Resistenzrate für Escherichia coli bei 15-30 %. Für Fluorchinolone und orale Cephalosporine
finden sich im allgemeinen Resistenzraten < 10%, wobei die Resistenzrate von Escherichia coli für
Fluorchinolone zunehmend ansteigt und Cephalosporine der 2. Generation wegen mangelnder Urin-
Konzentrationen nicht empfohlen werden. Die höchste Empfindlichkeit von Escherichia coli wurde für
Nitrofurantoin, Fosfomycin und Mecillinam erhoben.

Antibiotikatherapie (S3-Leitlinie 2017):

Eine orale Antibiotikatherapie sollte bevorzugt werden.

Bei der Auswahl eines Antibiotikums sind folgende Kriterien zu beachten:

• Individuelles Risiko des Patienten (z.B. Allergien, Geschlecht, Antibiotikavortherapie)


• Erregerspektrum und Antibiotikaempfindlichkeit
• Effektivität der antimikrobiellen Substanz
• Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

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• Auswirkungen auf die individuelle Resistenzsituation beim Patienten und/oder die
Allgemeinheit (epidemiologische Auswirkungen): Resistenzentwicklung gegen das
betreffende Antibiotikum, Resistenzentwicklung gegenüber anderen Antibiotikaklassen
(z.B. MRGN, ESBL, MRSA, VRE), alle Antibiotika können als Nebenwirkung eine
Clostridium difficile – Colitis hervorrufen
• Beachtung der Grundprinzipien des Antibiotic Stewardship (S3 Leitlinie Strategien zur
Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus)

Aufgrund einer vermehrten Resistenzraten und dem Risiko-Nutzen –Profil bzgl Nebenwirkungen
sollten Fluorchinolone und/oder Cephalosporine nicht als Antibiotika der ersten Wahl bei der
Therapie der unkomplizierten Harnwegsinfektion eingesetzt werden.

Antibiotika der ersten Wahl bei der antibiotischen Behandlung einer unkomplizierten
Harnwegsinfektion (S3-Leitlinie 2017):

• Fosfomycin-Trometamol 3000 mg 1 x tgl. für 1 Tag


• Nitrofurantoin 50mg 4 x tgl. für 7 Tage
• Nitrofurantoin Retardiert 100mg 2 x tgl. für 5 Tage
• Nitroxolin 250mg 3 x tgl. für 5 Tage
• Pivmecillinam 400mg 2-3 x tgl. für 3 Tage

Eine Kontrolle des Therapieerfolgs ist bei einer unkomplizierten Harnwegsinfektion nicht
erforderlich. Bei Therapieversagen (innerhalb von 2 Wochen) sollten neben einer mangelnden
Compliance auch resistente Erreger und bisher nicht erkannte komplizierende Faktoren abgeklärt
werden. In diesen Fällen sind vor dem nächsten Therapieversuch eine umfangreichere
Untersuchung, eine Urinkultur und ggf. ein Wechsel des Antibiotikums angezeigt. Ein Rezidiv der
Harnwegsinfektion kann durch die gleichen Erreger verursacht sein. Da häufig eine Änderung der
Resistenzlage zu beobachten ist, wird die Durchführung einer Urinkultur empfohlen.

Zusatzinformation Pyelonephritis:

Antibiotika bei der Therapie der Pyelonephritis:


Orale Therapie bei leichten bis moderaten Verlaufsformen

• Ciprofloxacin 500-750mg 2 x tgl. für 7-10 Tage


• Levofloxacin 750mg 1 x tgl. für 5 Tage
• Cefpodoxim-Proxetil 200mg 2 x tgl. für 10 Tage
• Ceftibuten 400mg 1 x tgl. für 10 Tage

Initiale parenterale Therapie bei schweren Verlaufsformen:


Nach Besserung kann bei Erregerempfindlichkeit eine orale Sequenztherapie mit einem der oben
genannten oralen Therapieregime eingeleitet werden. Die Gesamttherapiedauer beträgt 1-2
Wochen, daher wird für die parenteralen Antibiotika keine Therapiedauer angegeben.
Mittel der 1. Wahl

• Ciprofloxacin 400mg (2)-3 x tgl.


• Levofloxacin 750mg 1 x tgl.
• Ceftriaxon (1)-2g 1 x tgl.
• Cefotaxim 2g 3 x tgl.

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Mittel der 2. Wahl

• Amoxicillin/Clavulansäure 2,2g 3 x tgl.


• Amikacin 15mg/kg 1 x tgl.
• Gentamicin 5mg/kg 1 x tgl.
• Cefepim (1)-2g 2 x tgl
• Ceftazidim (1)-2g 3 x tgl.
• Ceftazidim/Avibactam 2,5g 3 x tgl.
• Ceftolozan/Tazobactam 1,5g 3 x tgl.
• Piperacillin/Tazobactam 4,5g 3 x tgl.
• Ertapenem 1g 1 x tgl.
• Imipenem/Cilastatin 1g/1g 3 x tgl.
• Meropenem 1g 3 x tgl.

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„Patient/in mit akutem Nierenversagen “
Termin 2: 112 min

Allgemeines
• Das akute Nierenversagen ist ein häufiges Krankheitsbild, das ca. jeden 5. Patienten im
Krankenhaus betrifft. Es ist definiert als ein plötzlicher Abfall der GFR mit konsekutivem
Anstieg des Serumkreatinins und/oder einer Abnahme der Urinproduktion. Die Ursachen
für ein akutes Nierenversagen sind vielfältig und klinisch präsentieren sich die Patienten
sehr unterschiedlich. Die genaue Anamnese und körperliche Untersuchung sind daher
essentiell, um die durchaus unterschiedlichen Behandlungsstrategien für die Erkrankung
richtig anwenden zu können.

Inhalte
• Allgemeine Definition und Risiken des akuten Nierenversagen
• Einteilung und Ursachen
• Symptomatik des akuten Nierenversagens
• Fokussierte Anamnese und Untersuchung

Vorausgesetztes Wissen
• Dieser Kurs setzt die Kenntnisse des allgemeinen Untersuchungskurses voraus.
Insbesondere die Untersuchungsmethoden aus Modul 11 „Herz- und Kreislaufsystem“ sind
Voraussetzung für Anamnese und Untersuchung bei Patienten mit akutem
Nierenversagen.

Übergeordnetes Lernziel
Am Ende des U-Kurses sollen die Studierenden:
♣ Die Studierenden sollen bei Patienten/Patientinnen mit akutem Nierenversagen eine
fokussierte Anamnese und körperliche Untersuchung durchführen und dokumentieren
können und gegenüber einem Nicht-Normalbefund abgrenzen können.

Fein-Lernziele
Die Studierenden sollen
♣ bei einer gegebenen Patientin, einem gegebenen Patienten mit akutem Nieren-
versagen eine allgemeine und eine auf akutes Nierenversagen-fokussierte Anamnese
und körperliche Untersuchung durchführen, den Befund dokumentieren und
gegenüber einem Normalbefund abgrenzen können

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Beschreibung des Kursinhaltes – Inhaltliche Gliederung

Lerninhalte zum Lernziel:


Die Studierenden sollen …
♣ bei einer gegebenen Patientin, einem gegebenen Patienten akutem Nierenversagen eine
allgemeine und eine auf ein akutes Nierenversagen fokussierte Anamnese und körperliche
Untersuchung durchführen, den Befund dokumentieren und gegenüber einem Normalbefund
abgrenzen können.

Definition des Akuten Nierenversagens


Das akute Nierenversagen (ANV) ist gekennzeichnet durch eine schnelle Verschlechterung der
Nierenfunktion im Sinne eines raschen Abfalls der glomerulären Filtrationsrate (GFR) und /oder
Abnahme der Urinproduktion innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen. Das Ausmaß der
Verschlechterung ist variabel und kann von einer moderaten Einschränkung bis hin zum
vollständigen Verlust der Nierenfunktion gehen. Klinisch handelt es sich nicht um ein uniformes
Krankheitsbild, sondern die Patienten präsentieren sich sehr unterschiedlich.
Ein akutes Nierenversagen tritt meist im Rahmen von akuten oder chronischen Erkrankungen auf.
Es ist daher sehr häufig bei hospitalisierten Patienten. Etwa 20 % der Patienten im Krankenhaus
sind betroffen, von denen bis zu 10 %, insbesondere Patienten auf Intensivstationen, einer
Nierenersatztherapie bedürfen.

Risiken
Die bedeutendsten Risiken für das Auftreten ein akutes Nierenversagen sind schwere akute und
chronische Erkrankungen, Medizinische Eingriffe und Komplikationen von Medikation. Ältere
Patienten und Patienten mit vorbestehender Nierenschädigung sind besonders gefährdet.

Risikofaktoren
• Höheres Alter
• Volumenmangel
• Chronische Nierenerkrankungen
• Andere chronische Erkrankungen (Herz, Lunge, Leber)
• Diabetes mellitus
• Krebs
• Anämie
• Afrikanische Ethnie

Risikosituationen
• Intensiv-stations-pflichtige Erkrankungen
• Kreislaufschock
• Sepsis
• Verbrennungen
• Trauma
• (kardio-)chirurgische Eingriffe
• nephro-toxische Medikamente/Drogen
• Radiologische Eingriffe mit Exposition gegenüber iodhaltigen Kontrastmitteln
• Exposition bzgl. giftiger Pflanzen und Tiere

Leitlinien der Nephrologischen Fachgesellschaften empfehlen eine Klassifikation des akuten


Nierenversagens nach Schwere, da sich daraus unterschiedliche Risiken bzgl. des weiterenn
Krankheitsverlaufes und der Sterblichkeit der Patienten ergeben.

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Stadieneinteilung der akuten Nierenschädigung:

RIFLE [1] AKIN [2] Serum-Kreatinin Urin-Ausscheidung

Risk 1 1,5-2-facher Anstieg <0,5 (ml/kg)/h für 6 h


oder Anstieg >0,3 mg/dl

Injury 2 2- bis 3-facher Anstieg <0,5 (ml/kg)/h für 12 h

Failure 3 >3 facher Anstieg oder <0,3 (ml/kg)/h für 24 h


>4 mg/dl mit akutem Anstieg oder Anurie für 12h
um 0,5 mg/dl

Loss * dauerhaftes Nierenversagen


>4 Wochen

ESRD * dauerhaftes Nierenversagen


end stage renal failure >3 Monate

1 nach Bellomo et al.: Acute renal failure – definition, outcome measures, animal models, fluid therapy
and information technology needs: the Second International Consensus Conference of the Acute
Dialysis Quality Initiative (ADQI) Group. In: Critical Care. Nr. 8, 2004
2 nach Kellum J et al : Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) Acute Kidney Injury Work
Group. KDIGO clinical practice guideline for acute kidney injury.Kidney International Supplement 1s,
2012

Zudem kann eine Einteilung nach dem Ort der Ursache des akuten Nierenversagens
vorgenommen werden.

• Prärenal
• Intrarenal
o Parenchymschaden
o Akute Tubulus-Zell-Nekrose (ATN)
• Postrenal

Prärenales akutes Nierenversagen


Ein akutes Nierenversagen wird als prärenaler Genese eingestuft, wenn eine verminderte
Nierenperfusion ursächlich ist.
Häufige Gründe für eine verminderte Nierenperfusion sind:

• Volumendepletion (Blutverlust, Diarrhoe, Erbrechen, Schwitzen, Diuretika-Therapie,


Wundsekretion, Drainagen)
• Herzerkrankungen (mit verminderter Auswurfleistung und/oder präkardialer Stauung)
• Lungenerkrankungen (Pulmo-renales Syndrom)
• Lebererkrankungen (Hepato-renales Syndrom)
• Sepsis
• Kreislaufschock
• erhöhter intraabdominaler Druck

Seite 31 von 51 – MSM 2.0/ Stand SoSe 2019


• renovaskuläre Obstruktion (Nierenarterie, Nierenvene)
• NSAID-Toxizität
• (Iatrogene) Hypotonie (Antihypertensiva, Anaethesie)

Intrarenales akutes Nierenversagen


Ein akutes Nierenversagen wird als intrarenaler Genese eingestuft, wenn ein parenchymatöser
Schaden der Nierenrinde oder ein spezifisch tubulärer Nierenschaden (akute Tubulus-Zell-
Nekrose, = ATN) ursächlich ist.
Diese Unterscheidung ist klinisch sinnvoll, da andere renoparenchymatöses Erkrankungen als
ATN z.T therapeutisch adressiert werden können und der fortschreitende Verlust der
Nierenfunktion aufgehalten und gebessert werden kann. Die Therapie der akuten Tubulus-Zell-
Nekrose ist hingegen rein supportiv und abwartend bzgl. der Zellregenartion.
Gründe für Nierengewebsschädigung (nicht ATN) sind:

• Akute Glomerulonephritis
• Akute tubulointerstitielle Nephritis
o allergisch/toxisch durch z.B Protonenpumpenhemmer, Antibiotika wie Carbapeneme)
o Infiltration (Leukämie, Lymphom, Sarkoidose)
• Vaskulitis
• Thrombotische Mikroangiopathie
• Intratubuläre Obstruktion
o Endogen: z.B Myelom-Protein, Harnsäure
o Exogen: Medikamentös toxisch z. B. Ganciclovir , Aciclovir )
• (infektiöse) Pyelonephritis
• Niereninfarkt
• Atheroembolische Thromben

Gründe für ATN sind:


• Toxika
o Exogen: z.B Antibiotika wie Aminoglycoside und Amphotericin
Chemotherapeutika wie Cisplatin,
o Endogen: Rhabdomyolyse, Hämolyse
• Ischämie (wie bei prärenalem akuten Nierenversagen)
o Hypovolämie, niedriges Herzzeitvolumen, renale Vasokonstriktion, systemische
Vasodilatation Infektion mit oder ohne Sepsis

Postrenales akutes Nierenversagen


Ein akutes Nierenversagen wird als postrenaler Genese eingestuft, wenn eine Behinderung des
Harnabflusses durch Obstruktion der Harnwege ursächlich ist.
Um eine signifikante Verschlechterung der Nierenfunktion im Sinne eines ANV herbeizuführen
muss in der Regel der Harnabfluss aus beiden Nieren verlegt sein, also der Ort der Obstruktion
unterhalb der Harnblase liegen (infravesikal). Bei vorbestehender Nierenschädigung tritt ein akutes
Nierenversagen aber auch häufig bei einseitiger Harnstauung auf.
Gründe für ein postrenales Nierenversagen sind:

• Vergrößerte Prostata
• Tumore des kleinen Beckens

Seite 32 von 51 – MSM 2.0/ Stand SoSe 2019


• entzündliche/ traumatische/postoperative Ureter- und Urethralstenosen
• Harnblasenentleerungsstörungen

Symptome des akuten Nierenversagens


Die klinische Symptomatik ist abhängig von der Schwere der akuten Nierenfunktions-
einschränkung und ist im Wesentlichen verursacht durch:

• Retention von harnpflichtigen und teilweise toxischen Stoffwechselprodukten


• Rückgang oder kompletten Ausfall der Urinausscheidung (Diurese)
• Fehlregulation im Elektrolythaushalt
• Fehlregulation im Säure-Basen-Haushalt

Die Retention von harnpflichtigen Stoffwechselprodukten verursacht


-die urämische Symptomatik:
-gastrointestinale Symptome: Appetitlosigkeit, Diarrhöe, Erbrechen
-Hautjucken
-Einschränkung der Vigilanz: Konzentrationsschwäche, vermehrtes Schlafbedürfnis
bis hin zum Koma
-Entzündung der serösen Häute: Peritonitis, Perikarditis ggf. mit Perikarderguß,
Pleuritis ggf. mit Pleuraerguß
-Medikamententoxizität durch deren verminderte Exkretion z.B. (Antibiotika,
Chemotherapeutika)

Der Rückgang oder komplette Ausfall der Urinausscheidung verursacht eine Retention von
extrazellulärem Volumen. Ein Rückgang der Diurese auf < 300 ml pro Tag wird als Oligurie und
weniger als 100 ml pro Tag als Anurie bezeichnet. Als Folge können auftreten:
-Volumenüberladung mit
-peripheren Ödeme / Anasarka
-Lungenstauung und Lungenödem

Bei der Fehlregulation im Elektrolythaushalt ist das Kalium von besonderer Bedeutung. Bereits
moderate Erhöhungen des Serum-Kaliums können lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen
verursachen (EKG). Außerdem verursacht eine Hyperkaliämie muskuläre Schwäche.

Die Fehlregulation im Säure-Basen Haushalt ist verursacht durch die Retention von Säuren.
Die Folge ist eine Übersäuerung des Blutes, die metabolische Azidose. Als
Kompensationsmechanismus kann es zu einer vertieften Atmung bei normaler Atemfrequenz mit
dem Ziel einer vermehrten Abatmung von CO2 kommen, um damit der Azidose entgegenzuwirken
(Kußmaulsche Atmung).

Typischerweise wird das ANV im asymptomatischen oder wenig symptomatischen Stadium durch
den Anstieg des Retentionsparameters Serum-Kreatinin bei einer Routineblutentnahme bemerkt.
Hierbei ist wichtig, dass das Serum-Kreatinin erst über den Normbereich ansteigt, wenn bereits
mehr als ungefähr 50% der normalen Nierenfunktion verloren wurde

Nicht selten liegen keine früheren Werte für das Serum-Kreatinin vor. Auch die chronische
Niereninsuffizienz geht mit einem Anstieg des Serum-Kreatinins einher, dies geschieht jedoch
langsam über Monate und Jahre. Aus einer einzelnen Messung des Serum-Kreatinins lässt sich
also nicht ableiten, ob es sich um einen raschen Anstieg (Stunden bis Tage) bei akutem

Seite 33 von 51 – MSM 2.0/ Stand SoSe 2019


Nierenversagen oder einen langsamen Anstieg (Wochen bis Monate) bei chronischer
Niereninsuffizienz handelt. Diese Problematik ist gelegentlich nicht leicht zu lösen. Häufig kann
der Patient selbst über eine bereits bekannte chronische Niereninsuffizienz berichten, was
allerdings ein zusätzliches akutes Nierenversagen nicht ausschließt. Zur weiteren Abgrenzung ist
es hilfreich, den Patienten auf das Vorliegen einer chronischen Niereninsuffizienz zu befragen und
zu untersuchen. Störungen der Blutbildung (Anämie) und des Calcium-Phosphat Haushaltes
liegen typischerweise bei der chronischen Niereninsuffizienz vor aber nicht beim ANV

Lerninhalte zum Lernziel:


Die Studierenden sollen …
♣ bei einer gegebenen Patientin, einem gegebenen Patienten akutem Nierenversagen eine
allgemeine und eine auf ein akutes Nierenversagen fokussierte Anamnese und körperliche
Untersuchung durchführen, den Befund dokumentieren und gegenüber einem Normalbefund
abgrenzen können.

Eine fokussierte Anamnese bei einem Patienten mit akutem Nierenversagen umfasst in der
Regel:

1) Bekannte vorbestehende chronische Nierenerkrankung und Nierenfunktionseinschränkung


- Ist der Patient wegen einer Nierenerkrankung bereits in Behandlung?
- Hat z.B. der Hausarzt schon einmal von „erhöhten Nierenwerten“ gesprochen?

2) Bekannte vorbestehende Erkrankungen wie:


- Herzinsuffizienz
- Diabetes mellitus
- arterieller Hypertonus
- Autoimmunerkrankungen
- Tumorerkrankung
- Benigne Prostata-Hyperplasie

3) Besondere Ereignisse in der näheren Vergangenheit:


- Operationen
- gastrointestinale Erkrankungen mit Erbrechen und Diarrhoe
- Untersuchungen unter Verwendung von Röntgenkontrastmittel
(CT, Koronarangiographie)

4) Medikamentenanamnese:
- Schmerzmittel, wenn ja was, seit wann und wieviel?
- Diuretika
- andere neue Medikamente in der näheren Vergangenheit

5) Trinkmenge und Durstgefühl:


- Die persönliche Trinkmenge ist variabel und kann zwischen einem und >4 Liter pro Tag
adäquat sein. Die Trinkmenge ist in Relation zu Diurese, extrarenalen Volumenverlusten
und der Beurteilung des Volumenstatus in der Untersuchung zu beurteilen.
- Ein ausgeprägtes Durstgefühl kann auf einen Volumenmangel hindeuten

6) Miktion:
- Hat der Patient eine Abnahme der Urinmenge bemerkt?
- Hat das Körpergewicht innerhalb von Tagen zu- oder abgenommen?
- Hat sich die Farbe des Urins verändert? Ein dunkler und konzentrierter Urin kann auf
einen Volumenmangel hindeuten. Ein rötlicher und/oder stark schäumender Urin kann bei
einer Erkrankung des Nierenparenchyms vorliegen.

Seite 34 von 51 – MSM 2.0/ Stand SoSe 2019


-Häufige Miktion mit jeweils kleiner Urinmenge (Pollakisurie) und Schmerzen bei der
Miktion (Dysurie) bei Harnwegsinfekten

7) Leistungsfähigkeit und Schlafbedürfnis:


-Hat die Konzentrationsfähigkeit abgenommen, z.B. Schwierigkeiten Texte zu lesen
-Wie lang ist die Schlafdauer pro Tag?
-Schläft der Patient am Tag?

8) Hautjucken

9) Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen und Diarrhoe

10) Ruhe- und Belastungsdyspnoe, Orthopnoe

Eine fokussierte klinische Untersuchung bei einem Patienten mit akutem Nierenversagen
umfasst in der Regel:

1) Beurteilung der Vigilanz:

- Ist der Patient wach oder schläft der Patient während der Untersuchung ein Sind die
Antworten adäquat. Ggf. einfache Rechenaufgaben zur Beurteilung der
Konzentrationsfähigkeit.

2) Atemfrequenz und Atemtiefe, Körpertemperatur, arterieller Blutdruck

3) Haut:
- Ein blasses Hautkolorit kann auf das Vorliegen einer Anämie hindeuten, Kratzspuren

4) Beurteilung des Volumenstatus:


-Sind die oralen Schleimhäute trocken als Hinweis auf einen Volumenmangel
-Verminderter Hautturgor: angehobene Hautfalten bleiben „stehen“. Schwierig zu
beurteilen, das kann bei älteren Menschen auch normal sein.
-Füllung der Jugularvenen.
-Arterielle Hypotonie und orthostatische Tachykardie (Schellong-Test) als Hinweis auf
Volumenmangel
-Periphere Ödeme: eindrückbare Wassereinlagerung im Interstitium an den Unterschenkeln,
als erstes meist am Fußrücken. Bei bettlägerigen Patienten häufig auch über dem Kreuzbein
(Anasarka)
- Sonografische Beurteilung der Weite der Vena cava inferior (>/< 2 cm)
- ggf . Röntgenuntersuchung des Thorax zur ergänzenden Beurteilung von Herzgröße und
Lungenstauung

5) Auskulation und Perkussion der Lunge:

-Feinblasige basale Rasselgeräusche bei Lungenstauung


-Ubiquitäre ohrnahe Rasselgeräusche bei Lungenödem, bei schwerem Lungenödem
häufig schon ohne Stethoskop hörbar.
-In der Perkussion nach lateral ansteigende Dämpfung bei Pleuraerguss

6) Herzauskulation:

-Herzaktion rhythmisch oder arrhythmisch


-„Reiben“ bei Perikarditis
-Leise Herztöne bei Perikarderguß

Seite 35 von 51 – MSM 2.0/ Stand SoSe 2019


7) Untersuchung des Abdomens:
-Klopfschmerz in den Flanken
-Palpable Resistenz oberhalb der Schambeins (gefüllte Harnblase)
-Klopfschmerz und Loslaßschmerz bei Peritonitis
-suprapubischer Druckschmerz bei Pathologien der Harnblase

8) Zu jeder Untersuchung bei Patienten mit Akutem Nierenversagen gehört auch eine
Bildgebung der Nieren (zumeist Ultraschall):
Beurteilt werden:
-Nierengröße mittels Polabstand (normal 9-12 cm)
-akuter Schaden >>eher vergrößert, Chronischer Schaden >>eher verkleinert
-Parenchymausdehnung (normal 1,5-2,5 cm)
-Verdickt>>eher akuter Schaden, verschmälert >>eher chronischer Schaden
-Parenchym-Echogenität
-echoarm>>eher akuter Schaden, echoreich >>eher chronischer Schaden
-Nierenperfusion mit Darstellung arterieller und venöser Flussprofile (in jedem Falle
intrarenal, mglst auch extrarenal)
-Erweiterung von Nierenbecken oder ableitenden Harnwegen (Harnstau)
-Blase (gefüllt/ leer)

Seite 36 von 51 – MSM 2.0/ Stand SoSe 2019


„Patient/in mit Volumen- oder Elektrolytstörung “
Termin 3: 112 min

Allgemeines
• In diesem Untersuchungskurs soll die allgemeine und spezielle Anamnese und klinische
Untersuchung bei einer Patientin/ einem Patienten mit renal-vermittelter Störung des
Volumenhaushaltes oder Hyperkaliämie vertieft und geübt werden. Sie werden Patienten
mit Elektrolyt- und Volumenhaushaltstörungen kennen lernen. Obwohl die Niere regelhaft
in deren Pathogenese involviert ist, werden Sie diese Patienten in allen medizinischen
Fachrichtungen antreffen. Die genaue Anamnese bzgl. den aktuellen Hauptbeschwerden,
das Aufdecken von Veränderungen der körperlichen Leistung - abrupt oder schleichend -,
Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten oder der Medikamentenverordnung können
wichtige Schlüsselinformationen liefern. Die körperliche Untersuchung muss gewissenhaft
nach klinischen Manifestationen von Elektrolyt- und Volumenstörungen fahnden.
Am Ende von Anamnese und körperlichem Status sollten Sie immer eine Arbeitsdiagnose
und gegebenenfalls Differenzialdiagnosen formulieren. Diese können Sie dann durch
zusätzliche „Apparatemedizin“ aufarbeiten. Sie sollen lernen, eine strukturierte
Vorgehensweise anzuwenden und patientenbezogene Informationen mit
pathophysiologischen Mechanismen abzugleichen. Es ist äußerst wichtig, dass Sie sich
darüber im Klaren sind, dass Kalium-, Volumen- und Säure-Basenhaushalt-Störungen
ursächlich miteinander verknüpft sind. Dabei treten verschieden Kombinationen auf, die
Sie durch Anamnese und körperliche Untersuchung aufdecken müssen. Wir werden Sie
dabei im Untersuchungskurs unterstützen.

Inhalte
• Kaliumhaushalt
• Fokussierte Anamnese und Untersuchung von Patienten mit Hyperkaliämie
• Osmo- und Volumenregulation
• Fokussierte Anamnese und Untersuchung von Patienten mit renal vermittelter Störung des
Volumenhaushaltes

Vorausgesetztes Wissen
• Dieser Kurs setzt die Kenntnisse des allgemeinen Untersuchungskurses voraus ebenso
Kenntnisse aus Modul 13 bzgl. der Grundlagen des Säure-Basen-Haushaltes und des
Gastransportes.

Übergeordnetes Lernziel
Nach dem Vertiefenden U-Kurs sollen die Studierenden eine Anamnese und klinische
Untersuchung bei einer gegebenen Patientin, einem gegebenen Patienten mit Störung
des Hydratationszustandes oder Hyperkaliämie durchführen können, die vorliegenden
bzw. zu erwartenden Befunde erheben, beschreiben und gegenüber einem Nicht-
Normalbefund abgrenzen können.

Fein-Lernziele
Die Studierenden sollen
♣ bei einer gegebenen Patientin, einem gegebenen Patienten mit renal-vermittelter
Störung des Hydratationszustandes eine allgemeine und auf den
Hydratationszustand fokussierte Anamnese und körperliche Untersuchung
durchführen, den Befund dokumentieren und gegenüber einem Normalbefund
abgrenzen können.
♣ bei einer gegebenen Patientin, einem gegebenen Patienten mit Hyperkaliämie eine
allgemeine und auf den Kaliumhaushalt-fokussierte Anamnese und körperliche

Seite 37 von 51 – MSM 2.0/ Stand SoSe 2019


Untersuchung durchführen, den Befund dokumentieren und gegenüber einem
Normalbefund abgrenzen können
.

Beschreibung des Kursinhaltes – Inhaltliche Gliederung

Lerninhalte zum Lernziel:


Die Studierenden sollen …
♣ bei einer gegebenen Patientin, einem gegebenen Patienten mit Hyperkaliämie eine allgemeine
und auf den Kaliumhaushalt fokussierte Anamnese und körperliche Untersuchung
durchführen, den Befund dokumentieren und gegenüber einem Normalbefund abgrenzen
können.

Kaliumhaushalt
Kalium wird durch die orale Aufnahme reguliert (im Krankenhaus auch parenteral!), die Verteilung
zwischen Extra- und Intrazellulärraum und die renale Elimination. Gehen Sie von dieser
Überlegung aus und versuchen Sie, Informationen aus der Anamnese und körperlichen
Untersuchung zu erfragen, die auf pathologische Veränderungen hinweisen. Mehr als 95% des
Kaliums befindet sich intrazellulär. Das bedeutet, etwa 60 mmol extrazelluläres Kalium stehen der
riesigen Menge von etwa 4000 mmol intrazellulärem Kalium gegenüber. Die Kaliumausscheidung
erfolgt über die Nieren. Es wird Ihnen helfen, sich die Mechanismen in Abbildung 1 und 2 zu
vergegenwärtigen und diese bei der Anamnese und körperlichen Untersuchung ihres Patienten
gezielt zu explorieren.
.

Abbildung 1. Mechanismen, die die Kaliumverteilung zwischen Intra- und Extrazellulärraum kontrollieren und wichtige
Therapiemaßnahmen bei Kaliumstörungen begründen.

Seite 38 von 51 – MSM 2.0/ Stand SoSe 2019


Abbildung 2. Ursachen, die mit der renalen Kaliumelimination interferieren können

Grundsätzlich haben Patienten mit akutem oder chronischem Nierenversagen ein hohes
Hyperkaliämierisiko. Deutlich verstärkt wird die Hyperkaliämiegefahr bei gleichzeitigem Vorliegen
von Diabetes mellitus, Herzinsuffizienz und Einnahme bestimmter Medikamente. Neben
nichtsteroidalen Antirheumatika, die den renalen Blutfluss stören, sind Inhibitoren des Renin-
Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) entscheidend, so etwa Angiotensin-converting-
enzyme(ACE)-Hemmer, Angiotensin-II-Rezeptor-Typ-1(AT1)-Blocker und
Aldosteronantagonisten (siehe Abbildung 2) .

Lerninhalte zum Lernziel:


Die Studierenden sollen …
♣ bei einer gegebenen Patientin, einem gegebenen Patienten mit Hyperkaliämie eine allgemeine
und auf den Kaliumhaushalt-fokussierte Anamnese und körperliche Untersuchung
durchführen, den Befund dokumentieren und gegenüber einem Normalbefund abgrenzen
können.

Eine fokussierte Anamnese bei einem Patienten mit Hyperkaliämie umfasst in der Regel
gezielte Fragen nach Muskelfunktionen und den typischen Krankheitszuständen, die eine
Kaliumstörung verursachen können. Bedenken Sie dabei, dass Kaliumstörungen fast immer
ursächlich mit Störungen des Säure-Basen-Haushaltes und mit Volumenhaushalt-Störungen
vergesellschaftet sind. Hilfreich ist es, folgende Fragenkomplexe zu adressieren:

1) Fragen zur Einschätzung peripherer Muskelfunktionen (Kraft), sowie kardialer


Erregungsbildungs- und -leitungsstörungen.
- muskulärer Schwäche
- Veränderungen des Herzrhythmus oder der Herzfrequenz (Arrhythmien, Tachy- oder
Bradykardien und Herzblock eventuell mit Schwindel oder Synkopen)

Seite 39 von 51 – MSM 2.0/ Stand SoSe 2019


2) Fragen nach dem Vorliegen von Krankheiten, die zu Hypo- oder Hyperkaliämie führen können
- Diabetes mellitus und Insulinverabreichung
- Volumenverlusten (Erbrechen, Durchfall oder Diuretika), die Aldosteron stimulieren
- Hypertonie (wie bei primärem Hyperaldosteronismus oder Nierenarterienstenosen, bei denen
Aldosteron erhöht ist)

3) Erhebung einer sorgfältigen Medikamenten- und Ernährungsanamnese bezüglich von


Einflüssen auf den Kaliumhaushalt
- Medikamente, die beta- oder alpha-adrenerge Rezeptoren aktivieren oder blockieren
- Medikamente, die die Na/K ATPase bremsen (wie Digitalis)
- Medikamente, die die Aldosteronfreisetzung, oder –wirkung am Mineralokortikoidrezeptor im
Sammelrohr der Niere vermindern
- Diätetische Kaliumzufuhr, insbesondere bei Patienten mit stark eingeschränkter Nierenfunktion
(z.B. akutes Nierenversagen, chronische Dialyse)

Eine fokussierte klinische Untersuchung bei einem Patienten mit Hyperkaliämie umfasst in
der Regel:

1) Klinische Untersuchung der Muskelstärke und der muskulären Erregbarkeit.


- Kniebeugen, Treppensteigen
- Prüfung der muskulären Eigenreflexe

2) Gezielte körperliche Untersuchung von Störungen des Volumen- und Säure-Basenhaushaltes,


die eine Kaliumstörung verursachen können.
- Körperliche Untersuchungstechniken zur Erfassung von Störungen des Volumenhaushaltes
sind im nächstfolgenden Lernziel ausführlich beschrieben

3) Anfertigung eines EKGs und einer arteriellen BGA, um die elektrischen Störungen und die
begleitende SBH Störung zu erkennen.
- Auszählen der Atemfrequenz (Atemzüge pro Minute zählen – nicht abschätzen!) und
Atemmuster zur Einschätzung der alveolären Ventilation

Osmo-und Volumenregulation
Es bietet sich auch an, die Untersuchungsbefunde bzgl Somo-und Volumenstatus zu abstrahieren
und die nachfolgenden Kastendiagramme entsprechend der konkreten Patienten aus dem
Untersuchungskurs anzupassen. Wir nehmen Natrium hauptsächlich als NaCl zu uns. Die Na/K-
ATPase sorgt dafür, dass sich das Natrium zu 95% im Extrazellulärraum (besteht aus
Intravasalraum und Interstitium) befindet. Nehmen wir Wasser auf, verteilt es sich im
Gesamtkörperwasser (etwa 60% des Körpergewichtes). 1/3 des Wassers akkumulieren im
Extrazellulärraum (EZR) und 2/3 im Intrazellulärraum (IZR). Bei normaler Osmoregulation wird mit
jeden 140 mmol Na+, die im EZR akkumulieren oder verloren gehen, auch ein Liter Wasser
retiniert oder verloren. Solange diese Verhältnismäßigkeit aufrechterhalten wird, bedeutet das,
dass ein Zugewinn an Na+ im Körper den EZR expandiert und ein Verlust an Na+ den EZR
kontrahiert - ohne die Na+-Konzentration (140 mmol/l) zu verändern. Diese Tatsache ist in
Abbildung 3 veranschaulicht. Wir müssen den EZR konstant halten, damit unser Blutkreislauf
funktioniert und die Extreme von Volumenkontraktion oder -expansion, nämlich Schock und
Ödeme vermieden werden. Die Nieren spielen eine zentrale Rolle bei der Ausscheidung oder
Konservierung von Salz (Na+) und Wasser.

Seite 40 von 51 – MSM 2.0/ Stand SoSe 2019


Abbildung 3

Das Extrazellulärvolumen wird primär durch den Salzgehalt reguliert. Die Na/K ATPase erhält die
hohe Na+-Konzentration von 140 mmol/l im EZR. Der rote Pfeil zeigt die Expansion (nach links)
und Depletion (nach rechts) des EZR an. Beachten Sie, dass sich die Osmolarität nicht ändert,
solange es sich um eine isolierte Volumenstörung handelt (ohne begleitende Osmolaritätsstörung)
und somit die Verhältnismäßigkeit zwischen 140 mmol Na+ und 1 Liter Wasser erhalten bleibt.

Wir nehmen Wasser gewöhnlich über den Mund auf, und dieses Wasser verteilt sich entsprechend
der Größenverhältnisse von EZR und IZR zu 1/3 im EZR und zu 2/3 im IZR. Da bei Zugewinn oder
Verlust von reinem Wasser (H2O) die Menge der im Wasser gelösten Teilchen konstant bleibt,
ändert sich deren Konzentration (Abbildung 4). Die Konzentration von Teilchen (Osmolen) wird
auch Osmolarität genannt. Da Konzentrations-/Osmolaritätsunterschiede zwischen EZR und IZR
zu Wasserbewegung führen würde – und damit zum Schwellen oder Schrumpfen von Zellen –
muss die Osmolarität eng reguliert werden. Dies geschieht durch Wasserzufuhr oder –
ausscheidung. Die Osmolarität ergibt sich aus der Summe von (2xNa) + Blutzucker + Harnstoff
(alle in mmol/l). Ein Zugewinn von H2O (Überwässerung) würde man also an der Hyponatriämie
und ein Defizit (Exsikkose) an der Hypernatriämie erkennen.

Abbildung 4

Seite 41 von 51 – MSM 2.0/ Stand SoSe 2019


Die Osmolarität des EZR wird durch den Wassergehalt reguliert. Das Gesamtkörperwasser
Wasser macht etwa 60% des Körpergewichtes aus. Änderungen des Wassergehaltes ohne
Änderung des Gehaltes an Osmolen muss folgerichtig zu einer Veränderung der
Osmolenkonzentration (Osmolarität, Teilchen pro Liter Wasser) führen

Volumenstörungen und Osmolaritätsstörungen kommen in der Praxis auch kombiniert vor. Ein
gutes Beispiel ist der herzinsuffiziente Patient mit zu viel Salz und zu viel Wasser, wobei der
Wasserzugewinn den Salzzugewinn übersteigen kann (Abbildung 5). Versuchen Sie, Anamnese
und körperliche Untersuchung zu nutzen und individuelle „Kästen“ zu erstellen. Diese
Vorgehensweise schult eine pathophysiologisch orientierte Denkweise und hilft, die richtigen
Therapieentscheidungen zu treffen.

Abbildung 5

Manche Krankheiten gehen mit Volumen- und Osmolaritätsstörungen einher. Dabei kann auch
mehr Wasser als Salz retiniert werden. Ein Beispiel sind Patienten mit Herzinsuffizienz, die eine
Hyponatriämie aufweisen. Der Wasserüberschuss durch die gestörte Osmoregulation verteilt sich
1/3 EZR und 2/3 IZR. Die Salz- (und Wasserretention) durch die gestörte Volumenregulation
expandiert zusätzlich den EZR.

Lerninhalte zum Lernziel:


Die Studierenden sollen …
♣ bei einer gegebenen Patientin, einem gegebenen Patienten mit renal-vermittelter Störung des
Hydratationszustandes eine allgemeine und auf den Hydratationszustand fokussierte
Anamnese und körperliche Untersuchung durchführen, den Befund dokumentieren und
gegenüber einem Normalbefund abgrenzen können.

Eine fokussierte Anamnese bei einem Patienten mit renal-vermittelter Störung des
Hydratationszustandes muss sowohl Störungen des Volumenhaushaltes als auch Störungen der
Osmolarität erfassen. Anamnestische Fragen sind für beide Störungen auf die klinischen
Symptome sowie auf Krankheiten und Medikamente, die den Salz- und Wasserhaushalt
beeinflussen gerichtet. Folgende Komplexe sind zu erfragen:

1) Symptome, die auf Änderungen des Volumenstatus, also Volumenexpansion oder


Volumenkontraktion des EZR hinweisen können.
- Änderungen im Körpergewicht (möglichst objektivierbare Messungen),
- Anamnestische Zeichen von Volumenexpansion wie Schnürringe durch Strümpfe,
Schwellungen von Knöcheln und Unterschenkeln, Luftnot, Nykturie
- Anamnestische Zeichen von Volumendepletion wie Schwindel beim schnellen Aufstehen

Seite 42 von 51 – MSM 2.0/ Stand SoSe 2019


2) Fragen nach typischen Krankheitszuständen, die eine Expansion oder Kontraktion des
Extrazellulärvolumens verursachen.
- Erbrechen oder Durchfall
- Sind Herz-, Leber- oder Nierenkrankheiten bekannt

3) Symptome, die auf eine Osmolaritätsstörung (zu viel oder zu wenig osmolen-freies Wasser)
hinweisen können.
- Konzentrationsstörung, Adynamie, Desorientiertheit
- Gangunsicherheit, Sturzneigung

4) Fragen nach typischen Krankheitszuständen, die eine Wasserverlust oder Zugewinn


verursachen.
- Krankheiten, die zur ADH Ausschüttung führen (Erbrechen, Übelkeit, Tumoren, etc.)
- Durstempfinden
- Urinvolumen, Nykturie

5) Erfassung von diätetischen Gewohnheiten und Medikamenteneinnahmen, die die Natrium-


und Wasserbilanz beeinflussen.
- Trinkmenge, Salzkonsum (Räucherfisch, Chips etc.)
- Medikamente wie Thiaziddiuretika, Antidepressiva, Carbamazepin etc.

Eine fokussierte klinische Untersuchung bei einem Patienten mit renal-vermittelter


Störung des Hydratationszustandes umfasst in der Regel:

1) Körperliche Befunde von Volumenexpansion


- Ödeme, Ascites, Pleuraergüsse, pulmonale Rasselgeräusche, Anasarka,
Halsveneneinflussstauung, hoher Blutdruck)

2) Körperliche Befunde von Volumendepletion


- Blutdruck und Herzfrequenz im Sitzen oder Liegen und im Stehen
- Beurteilung der Schleimhautfeuchte
- stehende Hautfalten (hilft bei Kindern, nicht sehr bei 80-jährigen)
- trockene oder feuchte Achselhöhlen
- Nagelkapillar- Füllungsgeschwindigkeit

3) Zur Erfassung von Osmolaritätsstörungen


- mentale Einschätzung der Orientiertheit zu Zeit, Ort und Person - Gangtestung

Schließen Sie Ihre Patientenuntersuchung ab, indem Sie einen Volumen-/Osmolaritätskasten


erstellen! Verwenden Sie die adäquaten Begriffe zur Charakterisierung der Störung. Primäre
Salzstörungen (das Wasser folgt sekundär) verursachen Störungen des Volumenhaushaltes -
sollten deshalb als Volumenexpansion oder –depletion bezeichnet werden. Primäre
Wasserstörungen verursachen Störungen der Osmolarität – sollten deshalb als Überwässerung
oder Exsikkose (Wassermangel) bezeichnet werden. Diese adäquaten Begriffe zu verwenden, die
aus der Pathophysiologie abgeleitet sind, helfen auch, die richtigen therapeutischen Maßnahmen
einzuleiten.

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„Patient/in mit chronischer Niereninsuffizienz “
Termin 4: 112 min

Allgemeines
• Die chronische Niereninsuffizienz ist ein häufiges Krankheitsbild, ca 2 Millionen Menschen
sind in Deutschland betroffen und ca 10% der Menschen weltweit. Sie ist häufig Folge von
langjährigen Systemerkrankungen wie Diabetes und/oder Bluthochdruck. Meist schreitet
die chronische Niereninsuffizienz voran und muss im Verlauf mit Nierenersatzverfahren
behandelt werden. In Abhängigkeit des Ausmaßes der Nierenfunktionsstörung zeigt sich
eine massive Zunahme der Morbidität und Mortalität. Vor allem kardiovaskulären
Ereignisse stehen im Vordergrund. Der frühzeitigen Diagnostik und stadien-gerechten
Behandlung der chronischen Niereninsuffizienz kommt daher eine besondere Bedeutung
zu. In diesem Untersuchungskurs soll die allgemeine und spezielle Anamnese und
klinische Untersuchung bei einer Patientin/ einem Patienten mit chronischer
Niereninsuffizienz vertieft und geübt werden.

Inhalte
• Definition und Stadieneinteilung
o Bestimmung Nierenfunktionsleistung
• Symptome und Grundprinzipien der Therapie
• Ursachen der chronischen Niereninsuffizienz
• Anamnese
• Fokussierte klinische Untersuchung bei chronischer Niereninsuffizienz

Vorausgesetztes Wissen
• Dieser Kurs setzt die Kenntnisse des allgemeinen Untersuchungskurses voraus.

Übergeordnetes Lernziel
Nach dem Vertiefenden U-Kurs sollen die Studierenden eine Anamnese und klinische
Untersuchung bei einer gegebenen Patientin, einem gegebenen Patienten mit
chronischer Niereninsuffizienz durchführen können, die vorliegenden bzw. zu
erwartenden Befunde erheben, beschreiben und gegenüber einem Nicht-Normalbefund
abgrenzen können.

Fein-Lernziele
Die Studierenden sollen
♣ bei einer gegebenen Patientin, einem gegebenen Patienten mit chronischer
Niereninsuffizienz eine allgemeine und eine auf chronische Niereninsuffizienz-
fokussierte Anamnese und körperliche Untersuchung durchführen, den Befund
dokumentieren und gegenüber einem Normalbefund abgrenzen können.

Beschreibung des Kursinhaltes – Inhaltliche Gliederung


Eine sinnvolle Anamnese und Untersuchung bei chronischer Niereninsuffizienz setzt eine
umfassende Kenntnis über Stadien-Einteilung, Ursachen und Symptome des Krankheitsbildes
voraus, daher ist dies hier recht umfangreich vorangestellt. Sie können jedoch zur Vorbereitung
auf den Untersuchungskurs auch mit den Punkten Anamnese und Untersuchung starten, die Sie
im Schlussteil der Kursbeschreibung finden.

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Definition und Stadieneinteilung
Die chronische Niereninsuffizienz ist definiert als eine Einschränkung der Nierenfunktion über
mindestens 3 Monate. Es kommt dabei zur einer dauerhaften Reduktion der
Nierenfunktionsleistung und/oder zu einem nachweisbaren Nierenfilter-Defekt im Rahmen einer
nicht-physiologischen Eiweißausscheidung. Von einem Voranschreiten der chronischen
Niereninsuffizienz spricht man ab einem Abfall der eGFR um mehr als 5 ml/min/Jahr.

Bestimmung der Nierenfunktion


Der einfachste Weg zur Bestimmung der Nierenfunktion ist eine Schätzung der glomerulären
Filtrationsrate (eGFR) anhand eines Serumkreatininwerts und /oder des muskelunabhängigen
Serumcystatin-C-Wertes. Keatinin und/oder Cystatin C werden in eine Formel integriert, in die
zudem andere Patienteneigenschaften eingehen, unter anderem Alter, Geschlecht und
Hautfarbe.
Die dafür aktuell am besten geeigneten Formeln sind die eGFR-Schätzungen nach der Chronic
Kidney Disease Epidemiology Collaboration (CKD-EPI)[1] und den BIS-Formeln [2] für
betagte Patienten > 70 Jahre. Diese Formeln werden z.T automatisch von Laboren
angewendet, sodass der Einsender bei jeder Kreatininbestimmung einen eGFR-Wert erhält.
Auch Online-Rechner werden regelhaft angeboten.
Die Sammlung des 24-h-Urins zur Messung der Kreatininclearance oder die GFR-Bestimmung
mittels exogener Filtrationsmarker wie Inulin-Clearance, Iothalamat-Clearance oder die
Szintigrafie (z.B. mit 99mTc-Diethylen-triamin-pentaessigsäure =DTPA,. 99mTc
Mercaptoacetyltriglycin= MAG3) sind zwar genauer aber deutlich aufwändiger realisierbar und
spezifischen diagnostische Situationen vorbehalten.

1 Levey et al., A new equation to estimate glomerular filtration rate., Ann Intern Med (2009)
2 Schaeffner E et al , Two Novel Equations to Estimate Kidney Function in Persons Aged 70 Years or Older. Ann
Intern Med. 2012

Stadieneinteilung der Chronischen Niereninsuffizienz:


Die chronische Niereninsuffizienz wird nach Stadien der Glomerulären Filtrationsrate eingeteilt.
(siehe untenstehende Tabelle). Diese Stadieneinteilung spiegelt die Mortalitäts-und
Morbiditätsrisiken der Patienten wieder und ist sinnvoll, um je nach Risikosituation des Patienten
die weitere Diagnostik und Therapie anzupassen.
Zusätzlich ist ein Test auf Albumin oder Gesamteiweiß im Urin empfohlen, da die
Eiweißausscheidung einen zusätzlichen Einfluss auf die Erkrankungsprognose hat. Zum
diesbezüglichen Screening ist ein Urinteststreifen ausreichend.
Genauer und im Langzeitverlauf besser zu beurteilen ist das Protein- oder Albumin-Kreatinin-
Verhältnis („albumin/creatinine ratio“ [ACR]; in mg/g Kreatinin), das aus dem Spontan-Urin
bestimmt werden kann.

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Tabelle 1

a G1 und G2 zählen nur zur chronischen Niereninsuffizienz bei einer Albuminurie oder bei
Nierenstrukturveränderungen bzw. wenn eine eigenständige Nierenerkrankung vorliegt.

Abbildung nach Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) CKD Work Group (2013) KDIGO 2012 clinical practice
guideline for the evaluation and management of chronic kidney disease. Kidney Int 3(1):150

Ursachen der chronischen Niereninsuffizienz:


Eine chronische Einschränkung der Nierenfunktion besteht häufig als Folge einer
Systemerkrankung, beispielsweise bei Diabetes mellitus, arterieller Hypertonie oder
Atherosklerose.
Sie tritt auch primär auf dem Boden eigenständigen Nierenerkrankungen auf wie z.B. bei
Glomerulonephritiden.

In Deutschland führen die folgenden Grunderkrankungen in absteigender Häufigkeit zu einer


terminalen Niereninsuffizienz mit Nierenersatztherapie-pflicht:
(Angaben in % der Dialysepatienten in Deutschland)

• 28 % Diabetes mellitus
• 20 % Vaskuläre Nephropathie (Hypertonus, Atherosklerose)
• 18,5 % Glomerulonephritiden (ohne Diabetische Nephropathie)
• 7,4 % Interstitielle Nephropathie
• 6,4 % Zystennieren
• 2,9 % Systemerkrankungen (andere als Diabetes und Hypertonus)

Nach Jahresbericht Datenanalyse Dialyse für den Gemeinsamen Bundesausschuss, Berichtsjahr: 2010

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Die untenstehende Tabelle gibt einen Überblick über Beteiligung der Nieren bei systemischen
Erkrankungen vs. eigenständige Nierenpathologie.

Tabelle 2
Pathologischer Befund Systemische Krankheiten Primäre Nierenerkrankungen (Beispiele )
mit Nierenbeteiligung (Beispiele)

Glomeruläre Erkrankungen Diabetes mellitus, systemische fokale segmentale Glomerulosklerose


Autoimmunerkrankungen (z.B Systemischer (FSGS) membranöse Glomerulonephritis,
Lupus, ANCA-Vaskulitis), Systemische Infektion, minimal-Change-Glomerulonephritis, IgA-
Medikamente, Neoplasie einschliesslich Nephropathie
Amyloidose
Tubulointerstitielle Erkrankungen Systemische Infektionen, Harnwegsinfekte, Nierensteine,
Autoimmunerkrankungen, Sarkoidose, mechanische Obstruktion
Drogen/Medikamente, Harnsäure, Umweltgifte
(Blei, Aritocholsäure) Neoplasie
Gefäßerkrankungen Atherosklerose, Hochdruck, Ischämie, Fibromuskuläre Dysplasie, ANCA-Vaskulitis
Cholesterolembolien, systemische vaskulitis, mit alleiniger Nierenbeteiligung
Thrombotische Mikroangiopathien, Systemische
Sklerose
Angeborenen Erkrankungen Morbus Fabry, Alport-Syndrom, Ciliopathien wie renale Dysplasie (CACUT) ,
Polyzystische Nierendegeneration u.a. Podozytopathien u.a.

CACUT = Congenital Anomalies oft he Kidney and Urinary Tract


ANCA = Antineutrophile zytoplamatische Antikörper

Abbildung nach Flaig S et al. , Der Internist , 12/2016

Symptome und Grundprinzipien der Therapie


Bei chronischen Niereninsuffizienz ist in der Symptomexploration zu bedenken, dass die
Niereninsuffizienz nicht selten eine Zufallsdiagnose ist, da die Patienten außer bei fortgeschrittener
Nierenfunktionsstörung nur wenige und unspezifische Symptome haben. Viele Nieren-
erkrankungen sind langsam, über Jahre fortschreitend, sodass Symptome zum Teil von den
Patienten mit einer Art Gewöhnungseffekt subjektiv nicht wahrgenommen werden. Daher sind bei
entsprechendem klinischen Verdacht neben der offenen Frageform auch spezifische ärztliche
Katalogfragen sinnvoll. Zudem müssen die unterschiedlichen Ursachen für eine Nierenerkrankung
mit beachtet und erfragt werden.
Viele der Symptome sind meist erst erkennbar, wenn die Nierenfunktionsleistung deutlich unter 45
ml/min/1.73m2 abgefallen ist.
Auch die endokrinen Funktionen der Niere insbesondere bzgl. Blutbildung und
Knochenstoffwechsel sind zu beachten und in die Anamnese einzubeziehen.

Die untenstehende Grafik verdeutlicht die je nach Stadium auftretenden und zu erwartenden
Symptome.

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Nach Flaig S et al., Chronische Niereninsuffizienz Was ist gesichert in der Therapie? Der Internist , 12/2016 und Van der Giet, M

Lerninhalte zum Lernziel:


Die Studierenden sollen …
♣ bei einer gegebenen Patientin, einem gegebenen Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz
eine allgemeine und eine auf chronische Niereninsuffizienz fokussierte Anamnese und
körperliche Untersuchung durchführen, den Befund dokumentieren und gegenüber einem
Normalbefund abgrenzen können.

Da die klinische Urämie eine Indikation zur Einleitung einer Nierenersatztherapie darstellt, sollten
die diesbezüglichen Symptome besonders sicher exploriert werden.

Memorandum Urämie:
• Allgemeine Leistungsschwäche (Fatigue)
• Amenorrhoe, sexuelle Dysfunktion
• Müdigkeit/Konzentrationsschwäche
• Koma

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• Übelkeit/ Inappetenz
• Katabolie/Malnutrition
• Muskelschwäche/Krämpfe/restless legs
• Urämische Polyserositis (Perikarditis, Pleuritis, Peritonitis)
• Blutungsneigung (Plättchendysfunktion)
• Hautjucken, pruriginöse Exantheme

Generelles Therapieprinzip bei chronischer Nierenfunktionsstörung


Wichtig bei der chronischen Nierenfunktionsstörung ist das Aufhalten des Fortschreitens der
Nierenerkrankung. Dazu ist es auf jeden Fall nötig die Ursache für die Erkrankung zu kennen. Die
Grunderkrankung sollte möglichst kausal behandelt werden.
Das zweite Prinzip ist das Behandeln von Faktoren, die durch die Nierenerkrankung zum einen
ausgelöst werden aber selbst auch die Nierenfunktion weiter massiv verschlechtern können.

Faktoren für das Progressionsrisiko chronischer Nierenerkrankungen (Therapieansätze):

• Blutdruckeinstellung
o Zielwerte < 140/90mmHg, bei Albuminurie < 130/80 mmHg
ggf. auch niedriger je nach Grund-und Begleiterkrankungen
• Blockade des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS) und Proteinuriesenkung
• Dyslipidämie-Therapie
• Blutzuckereinstellung
• Salz-Zufuhr
• Hyperuricämie
• Metabolische Acidose
• Protein-reiche Kost, insbesondere tierische Proteine
• Rauchen

Therapie spezifischer Symptome der gestörten Nierenfunktion

1. Hyperkaliämie
Durch die fehlende Nierenfunktion kommt es im Verlauf zu einer verminderten Kalium-
Exkretion, die für den Patienten unter anderem lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen
auslösen kann. Die Hyperkaliämieneigung wird häufig durch Medikamente (ACE-Hemmer und
Einsatz von Sartanen) verstärkt. Auch nehmen viele Patienten über die Nahrung zuviel Kalium
auf. Hier muss entsprechend eine Kalium-arme Diät eingehalten werden. In der Regel sollte
die Einnahme von 1.5 – 2.7 mg Kalium/die nicht überschritten werden. Ggf. wird die Kalium-
resorption im Darm durch den Einsatz von Kalium-bindenden Substanzen reduziert.
2. Hypervolämie
Spätestens bei Abfall der Funktion unter 15 ml/min/1.73 m2 kommt es bei den Patienten zu
einer nachlassenden Ausscheidung von Wasser. Dies kann durch die Gabe von
Schleifendiuretika oder high-ceiling-Thiaziden in hoher Dosierung kompensiert werden.
Höhere Dosen sind notwendig, da die Substanzen z.T glomerulär filtriert und proximal tubulär
sezerniert werden müssen.
3. Metabolische Acidose
Durch progrediente Nierenfunktionsverschlechterung kommt es zu einer reduzierten Exkretion
von Säuren. Die Bikarbonat-Konzentration fällt und die metabolische acidose muss pulmonal

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kompensiert werden, was nur zum Teil gelingt. Durch die Azidose kommt es auch zu einem
vermehrten Muskelabbau und damit verbunden auch zu einem Körpergewichtsverlust und
Muskelschwäche. Ebenso Hyperkaliämien, enzymatische Dysfunktion und refraktäre Anämie
sind mit Acidose vergesellschaftet. Bei Natrium-Bicarbonat.Konzentrationen < 22 mmol/l sollte
eine medikamentöse Bikarbonat-Substitution erfolgen.
4.Hyperphosphatämie
Bei vorangeschrittener Nierenfunktionsstörung kommt es zu einer Phosphatretention.
Phosphat wird im Darm aufgenommen und kann nicht mehr ausreichend renal eliminiert
werden. Dies ist eng verbunden mit einer Steigerung des Parathormons aus der
Nebenschilddrüse. Die kontinuierliche Erhöhung des Parathormons hat negativen Einfluss auf
die Knochenfunktion und führt unter anderem zur renalen Osteopathie und Calcifikationen. Die
Phosphateinnahme des Patienten kann man diätetisch beeinflussen, sie ist auch durch den
Einsatz von intestinalen Phosphatbindern reduzierbar
5.Renale Osteopathie
Die Niere ist für die Funktionalität von aktivem Vitamin D3 zuständig. In der Niere werden die
Vitamin D Vorstufen aktiviert. Fällt diese Funktion aus, kann in der Regel nicht mehr
ausreichend aktives Vitamin D3 gebildet werden. Dieses Vitamin ist essenziell zum einen für
die Calcium-Resorption im Darm und damit auch für die Knochenneubildung. Fehlt das Vitamin
D3 so sinkt der Calciumspiegel und das Parathormon stimuliert. Dies führt zu einem
Knochenabbau. Therapeutisch werden aktive Vitamin D3 Präparate appliziert
6.Renale Anämie
In der Niere wird auch das Blutbildungshormon Erythropeitin gebildet.In der Folge entwickelt
sich bei fortschreitender Nierenschädigung eine Anämie. Unter Urämie-Bedingungen zeigt sich
auch eine verminderte Erythrozyten-Lebensdauer von ca. 70 Tagen. Ebenso kommt es bei
Urämie zunehmend zu einer Erythropoeitin-Resistenz im Knochenmark, wodurch höhere
Dosen Erythropoeitin für eine adäquate Erythropoese nötig werden. Therapiebedürftige renale
Anämien zeigen sich meist im Stadium 4 bzw. 5 der chronischen Niereninsuffizienz. Hier wird
eine Therapie mit rekombinantem humanem Erythropoeitin erforderlich. Wichtig ist zudem,
dass auch ausreichend Eisen im Körper zur Verfügung steht, dass Hämoglobin angemessen
gebildet werden kann. Zumeist wird eine kombinierte Eisen- und Erythropoeitin-Behandlung
erforderlich.
7.Hypertonie
Viele Nierenkrankheiten führen auch zur Entstehung einer Hypertonie. Häufig ist die
Hypertonie im Rahmen der Nierengrundkrankheit vorhanden aber bei progressiver
Nierenfunktionsverlust wird sie führend durch Volumenexpansion verstärkt. Hier kann der
Blutdruck gelegentlich gut durch eine Volumendepletion durch den Einsatz von Diuretika
kontrolliert werden.
8.Weitere Probleme.
-Veränderung der Sexualfunktion, (Amenorrhoe, Libidoverlust, Infertilität) vollständiger
Verlust
‐Veränderung des Lipidstoffwechsels zugunsten eines ungünstigen Profils
HmG-Ca-Reduktase Hemmer bis Stadium 4 sind empfohlen, danach unsichere Datenlage
- Malnutrition
Bei voranschreitender Urämie kommt es trotz ausreichender Ernährung zu einer
Katabolie mit Gewichtsverlust, führend Muskel-abbau und auch zu einem
verminderten Aufbau von benötigten Eiweißen. Die Mechanismen nicht ganz
eindeutig identifiziert. Eine eiweißreduzierte Diät scheint dennoch einen
verlangsamenden Effekt auf die Progression der chronischen Niereninsuffizienz zu
haben.
‐ Urämische Blutungsneigung infolge Plättchendysfunktion, keine spezifische Therapie
ausser Nierenersatzverfahren
‐ Urämische Neuropathie
Es kommt durch die Akkumulation von Urämietoxinen zu einem progredienten
Schaden der Nervenfasern, der in der Regel irreversibel ist. Patienten hat hier vor
allem distal/beinbetonte Beschwerden (brennende Füße, rastlose Beinbewegungen
(restless legs). Es kann Symptomatisch medikamentös therapiert werden (L-Dopa-
Präparate oder Dopaminagonisten)

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Lerninhalte zum Lernziel:
Die Studierenden sollen …
♣ bei einer gegebenen Patientin, einem gegebenen Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz
eine allgemeine und eine auf chronische Niereninsuffizienz fokussierte Anamnese und
körperliche Untersuchung durchführen, den Befund dokumentieren und gegenüber einem
Normalbefund abgrenzen können.

Anamnese
Eine fokussierte Anamnese bei einem Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz umfasst in
der Regel:

1. Der Patient wird über das Vorliegen von bereits bekannten Erkrankungen befragt,
insbesondere zeitlichen Zusammenhänge sind zu erheben. Wie lange besteht die Krankheit
und wie wurde diese bisher behandelt. Besteht ein Diabetes? Besteht ein Bluthochdruck?
2. Wann hat der Patient erstmalig über eine Nierenfunktionsstörung Bescheid gewusst?
3. Es erfolgt in der Anamnese eine sehr gezielte Befragung zu Medikamenten, da diese die
Nierenfunktion zum Teil erheblich beeinflussen können. (NSAR)
4. Eine Fremdanamnese (z.B. behandelnder Hausarzt) sollte nach Möglichkeit immer mit
erfolgen, um Erkenntnisse über eine bereits länger bestehende Nierenfunktionsstörung zu
bekommen, Patienten sind sich einer Nierenkrankheit nicht immer bewusst und zur
Beurteilung einer Nierenkrankheit ist auch immer die Einschätzung der aktuellen Dynamik
wichtig.
5. Frage nach einer veränderten Ausscheidung, Flankenschmerzen, neue aufgetretenen
Ödemen in den Beinen ggf. auch Augenlider bzw. veränderte Urinfarbe mit/ohne
Schaumbildung
6. Veränderungen des allgemeinen Befindens: allgemeine Schwäche, Lustlosigkeit, schnelle
Ermüdbarkeit, unklare Gewichtsabnahme (Malnutrition), veränderter Mentalstatus, Juckreiz,
Übelkeit (vor allem früh-morgendlich) und auch Erbrechen, unklare Krampfanfälle
(Memorandum Urämie)
7. Im Rahmen von systemischen Erkrankungen kann es auch zu systemischen Veränderungen
können: Fieberattacken, Lungenveränderungen (Bluthusten), Gelenkbeschwerden,
Hautveränderungen
8 Lebensstilabfrage: Nikotingenuss/Drogenkonsum (Patienten die reg. Nikotin/Drogen
konsumieren, haben ein höheres Risiko für Nierenfunktionsstörungen)

Untersuchung
Die Befunde der klinischen Untersuchung sind z.T unspezifisch, da konkrete Veränderungen
häufig erst bei höheren Stadien zu beobachten sind (GFR < 30 ml/min/1.72m2)
Eine fokussierte klinische Untersuchung bei einem Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz
umfasst in der Regel:

1) Neurologische Untersuchung mit Erfassung von Vigilanz und Orientierung, Testung der
Hirnnerven, Reflexe und peripherer Sensibilität und Motorik zur Diagnostik von Mono-
/Polyneuropathien (Diabetes, Vaskulitidien, andere Systemerkrankungen).
2) Inspektion der Haut mit Zeichen für Juckreiz (Kratzspuren, v.a. gerne im US-Bereich), Haut-
Ulcera (bei Vaskulitidien, Diabetes, PAVK) , Einschätzung des Hautkolorits (gelblich und
auch grau veränderte Haut). Die Hautveränderung ist Folge einer Anämie aber gleichzeitig
auch der kutanen Akkumulation von nicht-ausreichend ausgeschiedenen harnpflichtigen
Substanzen (Urämietoxine).
3) Blutdruckmessung (bds.)
4) Untersuchung der Gelenke: Gelenkbeschwerden (z.B. als Zeichen einer
autoimmunologischen Ursache für eine Nierenfunktionsstörung)
5) Erfassung des Gefäßstatus (Pulsstatus) - hiermit können Hinweise für vaskuläre Ursachen
für eine chronische Nierenfunktionsstörung erhoben werden.
6) Auskultation und Perkussion der Lunge: potenzielle Identifikation von Lungenödem bzw.

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auch Pleuraerguss als Zeichen für chronische Wasserüberladung, Pleuarareiben bei
schwerer Urämie
7) Auskultation des Herzens: v.a. Perikardreiben als Zeichen einer schweren Urämie
8) Abdominelle Abtastung und Nierenlageruntersuchung: Raumforderungen, die z.B. auf
Zystennieren schließen lassen bzw. auch Infektionen der Niere bei positivem
Nierenlagerklopfschmerz, peritonitische Reizzeichen bei urämischer Pertitonitis
9) Untersuchung insbesondere der unteren Extremität zur Einschätzung von Ödemen
10) Ultraschallunterschung der Nieren
Die Sonographie der Niere ist essenziell bei der Einschätzung einer
Nierenfunktionseinschränkung. Die Organmorphologie kann viele Hinweise auf die Ursache
aber vor allem auch potenziell auf die Dauer der Erkrankung geben. Sonographisch werden
prinzipiell beide Nieren dargestellt. So kann eine Stauung wie auch eine aktuelle
Perfusionsstörung leicht diagnostiziert werden. Durch Untersuchung der Morphologie gibt
es Hinweise auf Raumforderungen, auf Zysten, Steine. Man kann durch Einschätzung der
Parenchymkonfiguration Hinweise auf narbige Veränderungen durch eine vaskuläre
Ursache bzw. auch durch zurückliegende entzündliche Erkrankungen sehen. Ebenso ist
eine Verschmälerung des Parenchyms inkl. Verkleinerung der Niere an sich hinweisend für
eine längerfristige bestehende Nierenfunktionsstörung mit Organvernarbung

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