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Schrifterfindung als Ausformung eines

reflexiven Zeichensystems.1

Von Gebhard J. Selz (Wien)

Nam-ti MARK Α. BRANDES


um-mi-a-guio-se a mu-na-ru(!)

‫[״‬L‫[״‬L ecriture] est un Systeme oü les signes se combinent pour produire


autresautres signes " J.-J. GLASSNER, Ecrire ä Sumer, p. 280.

[0] Wie nirgends sonst ist es in Mesopotamien möglich, den Prozeß der
Schrifterfindung zu verfolgen. Die Bedeutung dieses Vorgangs hat zu
recht auch das Interesse der unterschiedlichsten anthropologischen Dis
ziplinen auf die Altorientalistik gelenkt. Höchst einflußreich in dieser
Hinsicht waren die Arbeiten von D. SCHMANDT-BESSERAT,2 deren The
sen allerdings von den meisten Fachleuten für fragwürdig gehalten
werden. Auf der anderen Seite neigen eben diese Fachleute dazu, ihre
Argumente in hochspezialisierten Arbeiten darzulegen, die sich einer
breiteren Wahrnehmung oft entziehen. Eine Ausnahme war vor 15 Jah
ren das Werk von NISSEN, DAMEROW und Englund, Frühe Schrift,3
das zuvörderst einem kommunikationstheoretischen Ansatz verpflichtet
ist, und das für jede Beschäftigung mit Fragen zur Schrifterfindung
Pflichtlektüre bleibt. Das Werk zeigt eindringlich, wie die Schrifterfin

1 Rezensionsartikel zu Jean-Jacques Glassner, fcrire ä Sumer. L 'invention


du du cuneiforme. Edition du Seuil, Paris 2000. 165 FF.
Ich danke M. Bilek. für die Hilfe bei den Korrekturen.
2 S. vor allem D. Schmandt-Besserat, Before Writing. Vols. I-II, Austin
1992.
3 HJ. Nissen, P. Damerow, R.K. Englund, Frühe Schrift und Techniken der
Wirtschaftsverwaltung Wirtschaftsverwaltung im alten Vorderen Orient. 1990, 21991; überarbeitete
engl. Übersetzung: Archaic Bookkeeping: Early Writing and Techniques of
Economic Administration in the Ancient Near East. Chicago 1993.
170 G.J.Selz

dung ihren Ursprung n


bindung kann - trotz G
Weise nicht mehr bezw
mehrfach auch die geis
hat sich jedoch im Bew
eine rein funktionalistis
setzt. Mit dem Werk vo
diesem mißlichen Ums
Bedeutung für jeden, der
Schrift, und im Speziel
von Mündlichkeit und Sc

[1] Es geht in Glassners


ersten sammelt er wic
fassung des Rez. die an
hörigkeit der Schrifte
scheinen.4 Zum zweiten
graphischen Ursprungs
modifizieren.5 Dritten
Schriftentstehung eh
scheinlich machen.6 Vier

4 Leider berücksichtigt
Englund, Textsfrom the
der Beweiskraft von etli
Dennoch scheint die von
189ff.) insgesamt für sein
Langdon und A. Falken
postulierten, sollte nach
Lehrbüchern verschwinden.

5 Überraschend und nicht ohne Folgen ist die auch auf konzeptuellen
Argumenten und den Ergebnissen andere Disziplinen zur Schrifterfindung
beruhende Behauptung Glassners, daß es keine Schrift gäbe, die nicht auch in
einem Anfangsstadium eine Verbindung zur Sprache aufweise (p. 189 und pp.
279ff.).
6 Es ist äußerst bemerkenswert, daß der letztgenannte Befund mit den
Ergebnissen korreliert, die R.M. Boehmer in seinem jüngsten Werke Uruk.
Früheste Früheste Siegelabrollungen. Ausgrabungen in Uruk-Warka Endberichte Bd.
24, Mainz 1999 (zitiert als: Boehmer, Uruk), vorgelegt hat. Von hier aus
Schrifterfindung 171

einen Entwurf der Schrift allein aus den wirtschaftlichen Zielen und
Notwendigkeiten zu erklären versucht.7 Und fünftens wird die bereits
am Anfang der Schriftentwicklung stehende konzeptuelle Leistung, der
systematische ‫״‬Wille zur Schrift", herausgearbeitet.

[2] Der Ausgangspunkt der beiden genannten Bücher ist also


grundverschieden. Bei Nissen, Damerow und ENGLUND stehen Über
legungen aus der Kommunikationstheorie im Vordergrund, und das
Hauptinteresse gilt dem durch die Dokumente bezeugten Funktionieren
der Wirtschaftsverwaltung. Dieser auf V. GORDON Childe zurück
gehende Ansatz erfreut sich bis heute innerhalb der Assyriologie einer
ungebrochenen Popularität.8 Dabei werden die mit dem Ursprung der
Schrift auftauchenden lexikalischen Listen oft unmittelbar korreliert mit
der ‫״‬Schreiberausbildung", und gegen entsprechende reduktionistische
Interpretationen haben sich zurecht z.B. D.O. Edzard, aber auch Rez.
entschieden gewandt; (vgl. GLASSNER pp. 233f.). Wie unsinnig diese
These ist, ergibt sich nunmehr auch aus der ‫״‬literarischen" Einleitung
der Liste ATU 3, 28,9 die Englund entdeckte,10 und die vom Autor
folgendermaßen paraphrasiert wird: ‫״‬Lorsque les avis et les commande
ments divins (fürent offerts) ä ce moment-lä les savoir secret des
experts füt apporte" (pp. 251 f.).

[3] Seine umfassende Gegenthese formuliert GLASSNER so: ‫״‬que


!,ecriture n'a pas ete creee ä des fms exclusivement materielles" (p. 15).
- Die methodischen Voraussetzungen, die Beschränkung jeglicher

müßte auch die These einer Rückständigkeit der Susiana neu diskutiert werden;
vgl. P. Amiet, L 'Age des echanges, pp. 83f., nach Glassner p. 85 Anm. 40.
7 Glassner formuliert schärfer, z.B. p. 279: ‫״‬L'ecriture n'est pas fabriquee ä
mesure des necessites ou du hasard". Ohne Zweifel wird ihm von ‫״‬materia
listischen" Theoretikern eine Wiedergeburt der idealistischen Historik unter
stellt werden. Rez. hält solche Diskussionen für fruchtlos und überflüssig, und
zwar weil die Rolle der Ökonomie bei der Herausbildung der Schrift ohne
Zweifel überragend war, aber auch weil das System der Wirtschaft ebenso
unbestreitbar eingebunden blieb in der viel umfassenderen Vorstellung von der
Ordnung der Welt.
8 Vgl. Glassner pp. 232f., insbesondere Anm. 1.
9 Vgl. R.K. Englund, OBO 160/1,99f. Anm. 225.
10 Siehe R.K. Englund, OBO 160/1,99-102.
172 G.J.Selz

Komparatistik auf ihr


dem Quellenrekurs, d
dung - all diese in der E
Buche konsequent und

[4] GLASSNERs Buch i


tradition verpflichtet u
keit und Klarheit der D
Gelehrsamkeit. Der Wi
angeschnittenen Frage
sivere Berücksichtigu
dennoch gehört es auch
daß insbesondere die A
wünschenswerten Maß
der Rolle der,,Phonetik
noch weiter diskutiert
das Buch dort, wo es s
Willen zur Schrift bes
Entwurf des „mesopot

[5] Sinnvoller Weise b


autochthonen Theorien
mischen Epen und My
verpflichtet scheinen al
versuche, werden sie de
der „fairy tales" verwie
Aratta" galt jedoch bis i
Aussagen als korrekt: 1
Funktion der Schrift
auch der zeitlichen Gr
Dabei handelt es sich h

1‫י‬ Hervorragend ist im K


lung der mit der Funkti
Konzepte. Es zeigt die
Denkens,mag auch der
verbunden bleiben.

12 So z.B. Englunds Skep


(pp. 70. 76f.) bzw. GU7(p
Schrifterfindung 173

änderung: Informationen werden in großem Umf


und vergegenständlicht.

[6] Daß nach den Darlegungen von GLASSNER (


nissen von R.M. B0EHMER die These von der U
stehung der Schrift wohl zu modifizieren sein w
deutung der epischen Nachrichten wenig. Auch
anderen Seite sich einer Identifizierung entzieh
Bergen" bleibt, ist nicht entscheidend. Mit dem
der osttigridischen Stadt Hamazi etwa, die in solche
Kontexten vorkommen, ist nämlich eine andere
Information verbunden: die Konflikte und die B
des 3. Jts. sind großräumig. Und die Schrifterfindu
geschah in diesem großräumigen mesopotamisc
nungsfeld,13 zu eben jenem im Epos geschilderten

[7] Mit Recht insistiert Glassner darauf, daß die


der Tradition Mesopotamiens in der menschliche
gehört zu den „heroischen" Taten der Menschheit. J
sehe Tendenzen14 ändern daran nichts (pp. 21ff. un
selbst ist im übrigen, anders als Lugal-banda und

13 Welche Rolle Obermesopotamien dabei zukam, ist


vor McGuiBSON einen ersten wissenschaftlichen Vorbericht über seine
Ausgrabungen in Teil Hamukar vorgelegt hat, wird man mit der Einschätzung
der dortigen Funde und ihrer Einordnung zurückhaltend sein müssen.
14 Noch der mythische Oannes, so die gräzisierte Form des sumerischen
Namens U4-an-na aus Berossos ‫״‬Babyloniaca", weist in seiner Ausgestaltung
als ein aus dem Meere auftauchender Fischmensch auf die alten Traditionen
der Sumerischen Königsliste hin (p. 23).
15 Die Beurteilung der in der Liste der „me" erwähnten nam-dub-sar
„Schreibkunst" sieht Rez. etwas anders. Wie auch die im Kontext damit
genannten anderen Handwerkerkünste bezieht sie sich auf jene substanzhaft
vorgestellten „Prototypen". Mit dem wichtigen Unterschied, daß diese
„Künste" wie auch die anderen „me" mit einem konkreten Objekt verbunden
bleiben, ähnelt die mesopotamische Auffassung der platonischen „Idee". Und
in dieser Hinsicht ist auch die Schreibkunst wie alle diese „Ideen" - so etwa
auch die „Idee" des „Königtums" - göttlichen Ursprungs.
174 G.J.Selz

schrifttradition nie de
das Wort - göttlichen U
von daher seine magis
erfundene Schrift ‫״‬un
Pecriture ayant le pou
des choses."17 Der Auto
Grundpotential der Sch
Objekte allerdings wie
insgesamt, dienen im
liegt zunächst nur in
können anders manipu
umgekehrt wiederum
Potential der Überschr
hersehbaren Maße erw
keit das Ziel aller infor
können auch Zeichen -
gen. Möglicherweise l
rückverfolgen, wenng
Ahmar wohl nie sicher

[8] Rez. scheint demzu


Schriftlichkeit - oder
NER überbetont (pp. 1
Himmelsschrift, schon
Himmlisches und Irdis

16 J. Goodnick Westenh
Gs. Kutscher (1993) 205-
17 Eine erstmalige Sankt
späterer schriftreligiöse
Book", in id. (Hrsg.): The
5. Tafel des Erra Epos, w
Erwachen seine Traumof
einzige Zeile ausgelassen
Erra",Erra", SANE 1/3 (1977) 60.Erra", SANE 1/3 (1977) 60.

18 GLASSNER vertritt in seinem Kapitel VIII ‫״‬Dessiner ou ecrire", in dem er das


Verhältnis von Darstellungen auf Rollsiegeln und dem System der Schrift
untersucht, eine andere Auffassung; s. dazu unten [31].
19 Vgl. ähnlich Glassner p. 250.
Schrifterfindung 175

ständlich ineinander verwoben bleiben. Wie das V


und Schrift nicht als antagonistisch bestimmt werd
Bild- und Schriftzeichen genetisch miteinander
GLASSNER p. 290). Nach dem Autor ist eine gem
phonographique" für die frühe (sumerische) Schr
289). Hierher gehört auch seine Feststellung, daß
Zeichen in Kästchen und Kolumnen syntagmati
enthalten kann (pp. 284ff).

[9] Der Autor zeichnet in kohärenten Strichen d


‫״‬Enmerkar und der Herr von Aratta" nach. In ihm
Aratta anstatt des Zepters ein beschrifteter Tonklu
Oberhoheit des urukäischen Herrschers überreic
nach der die Insignien der Herrschaft nicht einf
stehen, also nicht nur auf sie verweisen, sondern
diese selbst enthalten, wird in dieser Szene überdeutlich. Das un
gefärbte Gewand, das die Sendung des beschrifteten Tonklumpens be
gleitet, verweist, wie Rez. meint, noch auf ein Weiteres: jene Prestige
Objekte, die substanzhaft auch die mit ihnen verbundene Macht ent
halten, werden durch die Schrift ergänzt, ja geradezu ersetzt. Die po
lyseme Funktion der Farben der ur (‫״‬Hunde und Helden") bzw. der Ge
wänder im Epos wird nunmehr durch das geschriebene Wort ersetzt.
Dabei entspricht das ungefärbte Gewand in unserer Sprache quasi dem
‫״‬unbeschriebenen Blatt". Im Gegensatz dazu und ergänzend ist das auf
dem Tonklumpen übermittelte schriftliche Ansinnen auf Unterwerfung
exakt, unmißverständlich, ja unausweichlich. Und, wie GLASSNER
analysiert, damit hält der Herr von Aratta in der Tat eine ‫״‬Bombe"
(beim Autor ‫״‬four" > ‫״‬brülot" >„tison", p. 32ff.) in den Händen. Die
Ausdeutung dieses bislang im Kontext rätselhaften 1msu-rin-na(-ni) als
„Ofen", wie auch des geflügelten Wortes kak-äm sag-ki mi-ri-da-äm,
sind Zeugnis dafür, wie wichtig die philologische Kleinarbeit auch im
Rahmen eines solchen Werkes ist (pp. 31 ff.). GLASSNERs
Überlegungen entwickeln sich dabei um die bekannte Gleichung 1msu
rin-na = tinüru(m), jedoch scheint Rez. eine andere Möglichkeit wahr
scheinlicher: su-rin(-na) läßt sich auch verstehen als aus dem Akkadi
sehen rückentlehntes su-nir = surinnu, also als ein Emblem, das im ge
gebenen Falle eben aus „Lehm" (im) gefertigt ist. Zumindest muß beim
Hörer des Epos diese Assoziation hervorgerufen worden sein. Der Aus
176 G.J.Selz

tausch des Zepters gege


tigeres weil schriftentha

[10] Die Beziehungen zw


weiterer Forschungen,
der Uruk-Kultur ist viel
B0EHMER hat in seinem
lungen" den elamischen
dere auch der gesiegelt
sich weiterhin die etwa von SCHMANDT-BESSERAT unterstellte und von
DAMEROW und ENGLUND kritisierte direkte Elerleitung der Schrift aus
den sog. prähistorischen Zählsteinen, den ‫״‬tokens".21 Die entscheiden
den Änderungen in Uruk geschehen mit dem Einsetzen der Spät-Uruk
zeit. [Die Beobachtungen früherer Straten beschränkt sich allerdings
auf den berühmten ‫״‬Tiefenschnitt".] Großarchitektur, wie auch Groß
plastik, Rollsiegel und Veränderungen in der Keramik lassen sich in
Uruk nicht vor Uruk VI bzw. V nachweisen (p. 55).

[11] Der vielzitierte Bruch zwischen der Uruk IV und der Uruk III Zeit,
erschlossen aufgrund der Neugestaltung von Uruk-E'ana am Übergang
beider Epochen, war einer der Zeitpunkte, zu dem frühere geschichtli
che Rekonstruktionen die Einwanderung der Sumerer festmachen woll
ten. Ein zeitlich jüngerer Ansatz dieser postulierten Einwanderung
scheint in jedem Falle problematisch. Mit gutem Recht unterstreicht
daher GLASSNER, daß zwischen Uruk IV und Uruk III ‫״‬il n'est nulle
trace d'aucune rupture sur le plan culturel" (p. 47). Im übrigen ist
GLASSNER auch der Auffassung, daß es im Übergang zwischen den
Obed- und den Uruk-Perioden zu keinem völligen Wandel kommt.
Generell gilt natürlich für die ganze Geschichte: ‫״‬La Mesopotamie est,
par essence, un terrain de rencontre." (p. 67).

[12] Für die Geschichte der Schriftentstehung selbst hat die Tatsache
entscheidende Bedeutung, daß die chronologische Ordnung der Uruk

20 Boehmer, Uruk ρ. 115: ‫״‬Fasst man diese Indizien zusammen, so läßt sich als
Ursprungsland der in Uruk gefundenen Tonkugeln zweifelsfrei Elam er
schließen."

21 Insbesondere gibt es ‫״‬keine Abrollung bzw. kein Rollsiegel aus einem


stratigraphischen Kontext der Mitteluruk-Zeit", Boehmer, Uruk p. 124.
Schrifterfindung 177

Tafeln auf paläographischen Argumenten beruh


STEIN zurückgeht.22 Eine stratigraphische Einor
mit Ausnahme der 7 Tafeln W 213000 (p. 58)23
55ff.).24 Alle Argumente, die etwa von Fundumstän
des gesellschaftlichen Systems schließen wollen,
Insgesamt stellt die auf Architekturbeobachtung
nung der Texte eine gefährliche Quelle für Fehlinte
GLASSNER zurecht unterstreicht (p. 57).25

[13] Die Beobachtungen Glassners zur relativ


Uruk-Fundstätten in Mesopotamien und Elam
gipfeln in seiner Feststellung: ‫״‬les plus anciens d
leur apparition au niveau 18 de l'acropole de Suse
18 (numerische Tafeln) est donc necessaireme
Eanna IV" (p. 60f) und d.h. gleichzeitig entwede
VII.26 Wenn er dennoch zur Auffassung neigt, die
findung sei in Mesopotamien - nicht notwendi
anzusiedeln (p. 66. 68), bleibt Rez. skeptisch. Es
wendig, daß die verschiedenen Stadien der Schr
einer Region erfolgten. Nach Auffassung des Re
seien die „Vorläufer der Schrift" (Rollsiegel, ges
numerische Tafeln) NICHT in Uruk entwickelt word
engerem Sinne dagegen könnte durchaus in Süd
wickelt worden sein: vom Literatus Sumericus Urukeus.

22 Siehe HJ. NISSEN in ATU2,26-28; R.K. ENGLUND, OBO 160/1, 34.


23 Vgl. R.K. ENGLUND, OBO 160/1,41 Anm. 82.
24 Vgl. R.K. Englund, OBO 160/1,34ff.
25 Vgl. aber unten [21 f.] und die übernächste Anm.
26 Wie die Thesen von D. SÜRENHAGEN (S. die folgende Anm.) es nahelegen,
bedeutet dies nicht notwendigerweise ein höheres Alter der elamischen Funde!
27 Vgl. neben der von Glassner gesammelten Evidenz wiederum Boehmer,
Uruk\Uruk\ Beachte aber, daß Glassner strenggenommen den Begriff ‫״‬Vorläufer
der Schrift" ablehnt. Üblicherweise wird eine geradezu ‫״‬explosionsartiges"
Entstehen der Uruk IV-zeitlichen Schrift angenommen. Dies ist jedoch nicht
ganz problemlos, wie vor allem die stratigraphischen Überlegungen von D.
Sürenhagen (BCSMS 215 (1993) 57-70 und vgl. dazu R.K. Englund, OBO
160/1,38) ergeben.
178 G.J.Selz

[14] GLASSNER gibt w


listen-Kreisen verbreit
28
auf ihren aristotelischen Ursprung hinweist. Er unterstreicht, daß die
meisten Autoren die Primitivität und den Quasi-Anarchismus der
frühen Schrift betonen. Er skizziert Begriffe wie ‫״‬Sachschrift" oder
„Bildschrift" und „Ideenschrift" oder „Wortschrift" bzw. „picto
gramme-signal" und „pictogramme-signe" (p. 75). Sich absetzend von
den eher statischen Konzepten, die Schrift als reines „Werkzeug"
verstehen, unterstreicht er femer in der Nachfolge GOODYs ihr
kognitiv-kreatives Potential. In Auseinandersetzung mit der vorgebli
chen Primitivität des mesopotamischen Denkens wird der mutmaßliche
Mangel an abstrakten Konzepten einer eindrücklichen Kritik unter
zogen. Nach Auffassung des Rez. berührt GLASSNER hier eine der
wichtigsten Aufgaben, die sich der Altorientalistik in Zukunft stellen
werden: Kategorienbildung und Empiristik Mesopotamiens dürfen nicht
mehr allein unter den Auspizien unseres traditionellen „griechischen"
Erbes betrachtet werden. Mit Schärfe diskutiert der Autor die vor
herrschenden (linear-)evolutionistischen, speziell „teleologischen"
Konzept von Schrift: sie seien aufzugeben (pp. 77-80). Längst vor der
„Schrifterfindung" bediente man sich aller Arten „visueller Symbole".
A. LER01-G0URHAN sieht denn auch im Zusammenwirken dieser Syste
me von visuellen Repräsentationen und den Erinnerungshilfen für Be
rechnungen den Zeitpunkt der Entstehung von Schrift (p. 82), eine
Auffassung, die letztlich auch hinter der These einer Schriftentwicklung
aus den frühen Zählsteinen von SCHMANDT-BESSERAT steht (pp. 87ff.).
Rez. möchte allerdings entscheiden anders nuancieren. Die Schrift -
verstanden als graphische Repräsentation von Phonemen - ist in der Tat
kein Fortschrittswert an sich. Es erscheint Rez. merkwürdig, in wie
hohem Maße bei dieser und bei verwandten Fragen noch immer „Wer
tungen" eine Rolle spielen.29 Schrift hat nämlich gewiß nicht nur
Vorteile. Präzision und Manipulierbarkeit induzieren zwar gesellschaft
liehe Prozesse, die in dieser Form ohne Schrift nicht möglich scheinen,
sie bedingen aber auf der anderen Seite auch eine Hierarchisierung und
Entfremdung: die sinn- und identitätsstiftenden Aspekte der „Zeichen"

28 Danach beruhen Zeichensysteme auf Imitation und Konvention.


29 Die Vermutung liegt nahe, daß die Universalität solcher Wertungen mit ge
seilschaftlichen und vor allen Dingen individuellen Sinnstiftungen verbunden
ist.
Schrifterfindung 179

gehen zurück. Ein Gutteil der mesopotamischen


die Listenwissenschaft im engeren Sinne, seien e
Wort einhergehenden Spekulationen, ist Ausdruc
Rettung dieser vorschriftlichen Funktion von Zeich
das Konzept der platonischen ‫״‬Idee" seinen Urspr
der alten Mesopotamier? (vgl. p. 78f.)

[15] Der Autor gibt nun eine Skizze der verschie


und Bewertungen von Pikto-, Ideo- und Logo
„phonetischen" Schrift, wobei er den aristotelische
Konzepte erneut unterstreicht. Die piktographisc
ist noch in den jüngsten Äußerungen zur Schriften
etwa bei der Forschergruppe um Nissen un
vielfältigen Äußerungen Englunds (ρ. 86).31

[16] Wie bereits bemerkt, so sind im Hinblick auf d


bis heute die Thesen von Schmandt-Besserat die einflußreichsten.
Konzeptuell auf den Auffassungen von LER01-G0URHAN basierend, er
weitern sie letztlich eine auf AMIET und M. LAMBERT sowie BRANDES
zurückgehende Auffassung, die in den weitverbreiteten mit „Zähl
marken" gefüllten Tonkugeln den Ausgangspunkt der Schrift sehen
möchte. Solche Zählmarken sind seit dem 9. Jts. bezeugt (p. 88). Später
gingen sie dann mit Siegelzylinder(-abrollungen) und Tonkugel
Umschlägen zusammen (p. 89). In den Zählmarken („tokens") seien die
unmittelbaren Vorläufer der Schriftzeichen zu sehen, und ihre Aufgabe
führe letztlich zur „Erfindung" der Tontafel (p. 90). Die ersten Schrift
zeichen seien Zahlzeichen gewesen, nach SCHMANDT-BESSERAT rund
zwei Jahrhunderte älter als die als die anderen Zeichen. Diese Thesen
wurden unlängst von ENGLUND sehr kritisch bewertet.32 GLASSNER
gelangt bei ihrer Untersuchung zur Überzeugung, daß die Thesen
SCHMANDT-BESSERATS - unbeschadet des großen Einflusses in den

^ Vgl. hierzu meinen Aufsatz ‫״‬Babilismus und die Gottheit NINDA2xGUD =


nindagar" in der Fs. Manfried Dietrich; beachte, daß Glassner ähnliche
Erwägungen anstellt „Chaque signe graphique etant la transcription d'un signe
naturel" (p. 258). Das darunterliegende „substanzlogische" Konzept gerät
allerdings nicht in seinen Blick.
31 Vgl. R.K. Englund, OBO 160/1, 65ff. und 71.
32 R. K. Englund, OBO 160/1,46ff.
180 G.J.Selz

verschiedensten anthro
in der Tat der Autorin
Fehler nach, daß man g
insgesamt für widerleg
compatibilite unique .
sogar, ob es nicht die S
‫״‬tokens" mit den Tonk
sich dann der Frage nac
kunft aus der Mitte des 4. Jts. auf eine Schriftvorläuferform verweise.
Für Susa sei 1978 erstmals Le Brun und Vallat ein eindeutiger Be
weis für die Verbindung von Zählsteinen und Zahlzeichen gelungen (p.
103f.) SCHMANDT-ßESSERATs Generalisierung dieser Beobachtungen
ist aber irreführend; dies ergibt sich insbesondere aus Glassners Be
weisführung, daß zwischen den calculi und den Zahlzeichen keine
eindeutige Verbindung aufgezeigt werden kann (pp. 104ff.).

[17] Der Autor argumentiert nun, die sog. piktographischen Schriften


hätten ihren Ursprung in einer mnemotechnischen Absicht: Diese
Schrift sei ‫״‬signe visuel soutenant la parole orale" (p. 121) Piktographi
sehe Schrift sei demnach ‫״‬un art particulierement raffine de contröler la
memoire orale" (p. 121) Der Autor diskutiert nicht, daß die visuellen
Zeichen sich auch als ‫״‬Gedächtnisstütze" für einen vorsprachlichen Be
reich eignen (vgl. aber pp. 288ff.). Die Einschränkung auf eine Ge
dächtnisstütze für bestimme Sätze ist zwar in ihrer Funktionalität
erstmals wirklich parallel zu dem, was uns Schrift heißt, scheint aber
zum anderen nur eine spezialisierte Verwendung von Zeichen dar
zustellen. Zu welcher Meinung immer der Leser nun neigt, es ist evi
dent, daß die übliche These, Piktogramme seien gewissermaßen redu
zierte und schematisierte Zeichnungen von Objekten, zu modifizieren
ist.

[18] Nach der Besprechung von neun Dokumenten der Uruk-Zeit (aus
privaten und institutionellen Archiven) unterstreicht GLASSNER die Un
terschiede dieser Schrift zur Syntax einer gesprochenen Sprache: sie er
weckten den Eindruck einer Aneinanderreihung nominaler Syntagmen
(p. 133; vgl. pp. 136f. und femer pp. 283ff.). Drei grundlegende
Merkmale der Keilschrift zeigen allerdings bereits diese frühen
Schriftbeispiele: die Verwendung semantischer Indikatoren (z.B. ‫״‬I" für
Schrifterfindung 181

Personennamen und Listeneinträge); Polysemie,33


Komplemente (z.B. ΜΕΝ = GA2xEN). Allerdings ble
der phonetischen Schreibungen die Tatsache unberücks
Wahrscheinlichkeit nach das Sumerische für phonet
sich schlecht eignet.34 Die Wahrscheinlichkeit aber,
Wicklung zu syllabischen Schreibungen erst unter
semitischen Sprache erfolgt zu sein scheint, bietet
Widerspruch zu den von Glassner beschriebenen P
auch pp. 257f.). Im übrigen wird man für die N
phonetischen Indikatoren wiederum die verlangte
Namen bestimmen dürfen. Neben den unterschiedli
hat dazu - wie der Autor zurecht bemerkt - aller W
nach auch die Benennung von Zeichen beigetragen.
Rebus-Schreibungen, insbesondere die Verwendung
‫״‬Rohr" für /gi/ „zurückkommen, empfangen" etabl
des Rez. zusätzlich das Sumerische als Sprache hint
Schrift.35

" Der Verweis auf die Bedeutungen von S1D (p. 133) als SAGGA
‫״‬administrateur" bzw. UMBISAG „expert" ist wohl kein gutes und sicheres
Beispiel; vgl. a. die Erläuterungen p. 142ff. Auch wenn es möglich ist, daß
Uruk IV-zeitlich u.a. diese beide Lesungen existiert haben (immerhin ist
umbisag in Ebla belegt; vgl. p. 142f. Anm. 4), so bleibt es doch Rez. unklar, ob
es sich wirklich um zwei verschiedene Funktionen handelt. Beide Bezeichnun
gen sind etymologisch wohl mit sumerisch sag „Kopf, Haupt" zu verbinden. Im
ersten Falle liegt vielleicht ein eingefrorener regensloser Genitiv vor, im
letzteren Falle liegt eine Deutung als „dieser Tafel Haupt" > „Schreiber" nahe.
- Dieser Vorschlag des Rez. beruht auf einer von Glassner abweichenden
Analyse der Schreibung dub:umbisag in LüA. Die Schreibung bezieht sich dann
wohl nicht auf „un personnage ... plus specialement charge de la tablette et
donc de l'ecriture", sondern dub ist als Lesemutter Hinweis auf die Lesung und
Etymologie der Funktion /(d)u(mb)bisag/.
34 S. zuletzt R.K. Englund, OBO 160, 78f. und Anm. 164f. mit Verweis auf
Civil, Selz, Boisson, Schretter u.a. und deren Diskussion der Frage nach
der Silbenstruktur und insbesondere der Doppelkonsonanz im An- und Auslaut
des Sumerischen.

35 R.K. Englund, OBO 160/1, 76f. allerdings bezweifelt diese auf A.A.
Vaiman zurückgehende Deutung!
182 G.J.Selz

[19] Schrift ist, so in


Erfindung. Die Frage
digkeiten bedarf die
Zwischen der Scylla
SchriSchriüentstehung u
willens, bleibt es Aufg
zu beschreiben, inner
seiner Erreichung ent
weitgehend späteren Un

[20] Bei der Untersuch


und hur, bleibt es dem
Grundbedeutung von
keinen Grund anzunehmen, sar im Sinne von „schreiben" sei auf
irgendeine andere Grundbedeutung als „einritzen" zurückzuführen.37
Damit besteht im übrigen keinerlei Unterschied zur Etymologie von
„schreiben" in den indogermanischen oder in der akkadischen Sprache,
die GLASSNER pp. 140f. anführt! Da dub-sar, nach meiner Auffassung
der „Tafel-Ritzer", erst relativ spät bezeugt ist, widmet sich der Autor
einer intensiven Diskussion des Wortes umbisag, das allerdings un
erklärt bleibt. Die soziale Bedeutung beider Bezeichnungen wird im
Zusammenhang der Frage von Politik und Schrift gegen Ende des
Buches erörtert (pp. 266ffi).

[21] Weiters argumentiert GLASSNER gegen die These von SCHMANDT


Besserat und Le Brun und Vallat, die eine Evolution von den
Zählsteinen über die Tonkugel bis hin zur Tontafel unterstellen (pp.
150ffi). Aufgrund der Susa-Stratigraphie behauptet der Autor, daß die
Erfindung des Schreibens auf Tafeln der Verwendung von Schrift auf
den Tonkugeln vorausging (pp. 15 Iff.). Sie fanden im strengen Sinne
eine gleichzeitige Verwendung, ihr Verwendungszweck ist daher un
terschiedlich! Es ist also keineswegs verblüffend, wenn sich gesiegelte
Tonumschläge noch lange finden. Das bekannteste Beispiel hierfür ist

36 Die Gleichungen fiabätu(m) ‫״‬etwa 'wandern'" AHw 304, lasämu(m) ‫״‬laufen,


galoppieren" AHw 538f. und radädu ‫״‬verfolgen" AHw 940 reichen für
Glassners Ansatz nicht aus. Hierbei handelt es sich um Verkürzungen des
zusammengesetzten Verbums bub/hub—sar(-sar).
37 hur dürfte dagegen ‫״‬eingraben", ‫״‬aushöhlen" etc. bezeichnen.
Schrifterfindung 183

jenes 1959 von OPPENHEIM vorgestellte Exemp


dazugehörende Tafel unlängst von ABUSH editier
man klar die Verwendimg dieser Tonkugel rekonstr

[22] Auch der üblicherweise angenommene z


‫״‬numerischen Tafeln" wird bestritten; zum eine
IV- und Iii-zeitlich in Gebrauch, zum anderen stammen sie aus
‫״‬privatem" Kontext und mögen so einfach aus unterschiedlichen
Zwecken entstanden sein. Dennoch sind Zahlen die ältesten ‫״‬Schrift
zeichen",39 und der Autor zeigt, wie aus der Modifikation und Kombi
nation der beiden Elemente Kreis und Kerbe bis zu 60 unterschiedliche
Zahlzeichen entwickelt wurden. Der Autor zeigt, wie mit diesen ‫״‬spie
krischen" Prinzipien der Zeichenveränderung sich auch die Heraus
bildung des Zeicheninventars erklären läßt,40 und wie noch die antiken
mesopotamischen Benennungen das Bewußtsein dieses Vorgehens
reflektieren. In Einzelfällen mag die Analyse zwar umstritten sein, so
führt GlaSSNER die übliche Analyse des Zeichens GEME = MUNUS+
KUR an (p. 174), die aber zuletzt - und das mit weitreichenden
sozialhistorischen Implikationen - von Englund in Frage gestellt
wurde.41

38 A.L. OPPENHEIM, JNES 18 (1959) 121 ff.; T. Abush, Lacheman-Festschrift


(1981) 1 ff.; von GLASSNER ausfuhrlich behandelt pp. 154-156.
39 Der Versuch von M.A. Powell, ZA 62 (1972) 165ff., die Entwicklung der
Zahlzeichensysteme der frühen Schrift mit dem ‫״‬sumerischen Sexagesimal
System" zu korrelieren, läßt sich nach den Darlegungen von P. Damerow und
R.K. Englund nicht aufrecht erhalten; vgl. R.K. Englund, OBO 160/1,77f.
40 Bei den Zeichen handelt es sich nach A. Falkenstein entweder um: a)
Abbilder, b) Verweise auf konzeptuell Verwandtes, c) Zeichenkombinationen,
d) Homophone, e) grammatikalische Elemente oder um f) semantische
Determinative. Eine andere Unterscheidung wäre ‫״‬icons", ‫״‬symbols" und
‫״‬indexes".
41 Im Grunde sind Englunds Überlegungen die Konsequenz aus der auch von
Glassner ρ. 187. Anm. 25 mitgeteilten Beobachtung, daß der ‫״‬Sklave" oder
‫״‬Diener" erst nach der Uruk Iii-Zeit in der Schreibung ARAEH-KUR bezeugt
ist. Früher vertrete diesen das Zeichen KUR‫ ״‬in dem Englund (in der frühen
Form) konsequenterweise nicht ein Piktogramm für ‫״‬Berg" sondern für das
‫״‬männliche Glied" erkennen will; s. R.K. Englund, OBO 160/1,176ff.
184 G.J.Selz

[23] Zurecht betont GL


ferungstreue" benötige
des Rez. liegt in dieser
Schrift und den Keilsc
Während das Wort Wir
gungskraft" letztlich der
Ergebnis einer Vergege
Worte, oder genauer, w
zepte (vgl. pp. 290f.) Di
lieh das System der Sch
lichkeit.lichkeit. Mit der
Notwendigkeit der Tra
nungsfeld der denkbar
sehen Gesellschaft. Es bezeichnet die Pole des Selbstverständnisses me
sopotamischen Handelns.

[24] Wenn GLASSNER ein Unterkapitel mit dem Titel ‫״‬une nouvelle
hermeneutique" überschreibt (pp. 177ff), stellt er ähnliche Überle
gungen an: die Zahlen der ‫״‬numerischen Tafeln" sind keine abstrakten
‫״‬mathematischen" Einheiten. Sie bezeichnen Zahl und Gezähltes. Man
zählt einzelne Gegenstände, Felder, Zeit, Getreide, Milch. Die Ent
Schlüsselung der unterschiedlichen Systeme verdanken wir vornehmlich
DAMEROW und ENGLUND aus der NlSSEN-Forschungsgruppe zu Berlin.
Letztlich sind auch unsere heutigen gebräuchlichen Maßsysteme noch
ganz ähnlich strukturiert, etwa die Unterteilung in Hohlmaße und Ge
wichtsmaße, oder die Messung der Zeit. Die Folge davon ist, daß die
Zahlzeichen polysem und polyphon zugleich sind.

[25] Die Feststellung des Autors, daß von Piktogrammen im engeren


Sinne eine Reihe von Deiktogrammen zu unterscheiden sind, sollte in
die Untersuchungen der frühen Schrift unbedingt Eingang finden. So
wird das Zeichen des Fußes DU - soweit wir wissen - immer nur als
Deiktogramm verwendet. Es bezeichnet Handlungen wie ‫״‬gehen" oder
‫״‬setzen, stellen" und wird verwendet zur Kennzeichnung von mit
diesen Handlungen verbundenen Gegenständen (p. 182, pp. 196ff.),
niemals aber ‫״‬Fuß". Das Wort ‫״‬Fuß", /gir(i)/, wird dagegen mit dem
Zeichen für einen Tierkopf geschrieben, eine Schreibung, die eine auf
Homophonie begründete Lautwertübertragung voraussetzt. Auch wenn
z.B. die verschiedenen Arten von Säugetieren meist nur durch ihren
Schrifterfindung 185

‫״‬Kopf repräsentiert werden (p. 184), oder wenn


eine Bedeutungmodfikation ausgedrückt wird,
durch die Spiegelung von Zeichen Oppositionsp
wenn die Mehrfach-Setzung von Zeichen zum A
lichster Arten von Pluralität dient, dann weist
Richtung: am Anfang der Schrift steht eine an
lisierung der Wirklichkeit. Es handelt sich dabei um
Leistung, deren Bedeutung der Autor zurecht b
daran unterscheidet er zwischen folgenden
gramme": A: Deskriptiv = UDU + SlR.gumi ‫״‬S
gefüllte Hoden" = ‫״‬zeugungsfähiger Schafbock"
‫״‬Frau und Bergland"42; C: Syntaktisch e ‫״‬Son
(Fuß)".
Solche Kreationen sind nur denkbar innerhalb der semantischen Werte
der Einzelzeichen; so bedeutet z.B. SONNE + FUß nicht etwa ,/einer
Fuß" oder ‫״‬Sonnenstand" oder ‫״‬Zeitpunkt", noch nicht einmal ‫״‬Son
nenlauf, sondern hängt ab von der Grundbedeutung von DU als
‫״‬gehen, etc." so daß ‫״‬Sonne/Tag + gehen" als ‫״‬aufgehen, herausgehen"
zu verstehen sind.

[26] Von besonderer Bedeutung sind die ‫״‬Matrix-Zeichen", wobei


MA(J bzw. DAG.KISIM5, GA, [JI und LAGAB in der Uruk-Zeit
häufig vorkommen. In diesen Rahmen-Zeichen finden sich verschie
dene andere Grundzeichen eingeschrieben, wodurch Zeichen neu
geschaffen werden. Dabei handelt es sich - ähnlich den altbekannten
Determinativen - um semantische Indikatoren, die hier aber nicht eine
Objektklasse bezeichnen sondern eine Konzeptklasse, weshalb Rez.
hierfür die Bezeichnung Konzeptindikatoren vorschlagen möchte. Die
auf p. 188 fig. 20 zusammengestellten Einschreibungen des Konzept
determinatives MAU bezeichnen wohl allesamt Hürden, Pferche oder
Ställe für die eingeschriebenen Tiere; somit bleibt hier durchaus auch
ein Verständnis als echte ‫״‬Zeichenzusammensetzung" möglich. Nach
Auffassung von GLASSNER enthielten dagegen GA2xAN(=arrv,),
GA2XDUB und GA2XME phonetische Indikatoren für die einschlägigen

42 Die übliche Deutung ist zweifelhaft; vgl. die vorstehende Anm.


186 G.J.Selz

Lesungen /ama/, /§aduba


des Rez. bei den letzt
Sinnzusammensetzun
möglicherweise etymolog
Bei der Schreibung EZE
dient die Einschreibun
‫״‬Fest". Solche Beispiel
Schreibungen weisen -
ständlich auf Sprecher
toren der Erfindung de
pp. 257f.).

[27] Auf pp. 194ff. gibt Glassner eine schöne Beschreibung des me
sopotamischen Denkens, als dessen grundlegendes Element er die
Analogie bestimmt.45 Für die Schrift stellt er fest: „les signes d,ecriture
sont les marques visuelles d,analogies invisibles" (p. 202). Rez. ist der
Auffassung, daß hier dennoch eine Modifikation sinnvoll ist. Es handelt
sich um eine spezielle Art der Empirie, die hier vorliegt, und es ist die
Addition aller denkbaren Beziehungen, auch - aber nicht nur - der auf
Analogie fußenden, die dieses Denken bestimmt. Wahrnehmung um
faßt demnach nicht nur die Gegenstände dieser Welt, die Sinneswahr
nehmungen im modernen Sinne. Mentale Objekte etwa, oder die ver
schiedensten Relationen sind genau so Gegenstand der Wahrnehmung
und des Wissens, auch wenn es dazu, emisch gesprochen, besonders
„großer Ohren" und „großer Augen" bedarf. Axiomatisch wird voraus
gesetzt, daß die sichtbaren und unsichtbaren Dinge dieser Welt letztlich
nicht isolierbar sind. Isolierbar sind sie nur im Modell. Damit ist es die

43 Die Stichhaltigkeit dieser und weiterer Argumente wurde zuletzt bezweifelt


von R.K. Englund in OBO 160/1, 77 Anm. 158. Bedauerlicherweise diskutiert
Glassner die Einwände nicht.

44 Glassners Darlegungen sind eine Zusammenfassung der verschiedentlich


zusammengetragenen Beispiele ftir phonetische Komplemente in den Texten
der Uruk-Zeit; vgl. vor allem M. Krebernik OLZ 89 (1994) 383f.; P.
Steinkeller BiOr 52 (1995) 694f.
Bei GA2xAN = ama bleibt Glassners Vorschlag ebenfalls zweifelhaft!
‫״‬L'analogie‫״‬L'analogie joue, en Mesopotamie, le röle d'un grand bätisseur du savoir", p.
194.
Schrifterfindung 187

Fülle Fülle der möglichen Aussagen,46 auf die es a


Weise bleibt immer das ‫״‬Ganze" im Blick des
nonnon datur, das moderne 'Entweder - Oder'
Bedeutung zurück. Das Eine konstituiert sich d
durch sein Gegenteil, wird nur dadurch „vollk
keineswegs, daß der Fähigkeit zur Differenzier
tung zukommt. Im Gegenteil: im Ganzen das Ein
ebenso wichtig wie der umgekehrte Vorgang. Die
- wie sie GLASSNER so glücklich darstellt - lie
weis.

[28] Aus GLASSNERs Bemerkungen zur Seman


seien hier nur seine Erläuterungen zu έ und TU
liehen piktographischen Ursprung als Zeichnun
bzw. als Abbild der weiblichen Brüste bezweifelt wird. Dabei sei
generell zu beobachten, daß „le pretendu sens premier n'etant qu'une
variable parmi d'autres dans un jeu complexe de rapports entre
signifiants et signifies." (pp. 200f.).

[29] Für den Uruk-zeitlichen Beamtentitel NAMESDA47 schlägt der


Autor über die Ebla-Gleichung NAM2 = ü-mu-fsu]m, d.i. /umus/, nach
ihm „conseil", eine Deutung „en membre de conseil" vor (p. 204; vgl.
a. pp. 268ff.). Da NAM2 in Berufsbezeichnungen der Uruk-Zeit recht
häufig belegt ist, ganz ähnlich dem ugula gelesenen PA48 welches

46 Diesen Prozeß hat Rez. anderen Ortes als ‫״‬additives Denken" bezeichnet.
Dies hat offensichtlich auch Glassner im Blick, wenn er über das System der
Zeichen bemerkt (pp. 211 f.: ‫״‬Les associations se font de maniere souple; on ne
peut ni retrouver une formule fixe, ni reperer des unites constantes; elles
relevent davantage, comme il est typique dans la pensee mesopotamienne,
d'une pensee pointilliste procedant par touches juxtaposees dont chacune, dans
son individualite, ne vaut que par l'accumulation de toutes les autres, de la
mise en oeuvre de reseaux de suggestions plus ou moins vagues, des rapports
approximatifs, de similarites partielles."
47 Vgl. hierzu zuletzt Rez., „Über mesopotamische Herrschaftskonzepte", Fs.
W.H.Ph.W.H.Ph.W.H.Ph. Römer, 300f.

48 Beachte das Nebeneinander beider Titel (sowie der Bezeichnung gal-) als
Element in Götternamen in SF 1 Kol. 9; vgl. M. Krebernik ZA 76 (1986) p.
176f. (Lies in 9:6 NAM2, statt NAM; es liegt also die Zeichengruppe
NAMj:E§DA vor.)
188 G.J.Selz

sicher aus einer semit


Vorschlag folgenreich
tionen innerhalb der so
entwickelt der Autor
Diese Korporationen
zeigen versuchte, zum
dynastischen Epoche,
dann aber auch die M
gesellschaftlichen Wa
Funktionsbezeichnung
Untersuchungen diese
bezweifeln, daß der alt
belegten gaksita (vgl. a.
bemerkenswerter Wei
über die großen Arbeite
Titel GAL.TE 'ein Wachoffizier' an.

49 Abweichend von Glassner glaubt Rez., daß die postulierte Entwicklung zu


‫״‬monarchistischen" Regierungsformen differenzierter bewertet werden muß.
Das Konzept des dynastischen Königtums hat sich vor der altakkadischen Zeit
im Süden nie ganz durchgesetzt. Sein Einfluß gründet wohl auf dem Kontakt
mit gesellschaftlichen Strukturen, die eher in den nördlichen Regionen
beheimatet scheinen; vgl. Rez., „Über mesopotamische Herrschaftskonzepte",
Fs.Fs. W.H.Ph. Römer, 282ff.
50 Beachte, daß sich PA in der archaischen Liste relativ selten findet; vgl.
ZATU 425. In nur wenigen Fällen ist eine Bedeutung „Aufseher, Obmann o.ä."
möglich; vgl. z.B. NAMj.PA.RAD, wo der Personenstatus wohl mit NAM2 und
nicht mit PA zu verbinden ist; s. aber M.W. Green JNES 39 (1980) 10.
Selbstverständlich ist eine Lesung ugula im einen oder anderen Falle möglich,
aber keinesfalls erwiesen; vgl. a. PA+AL = SABRA = ZATU 505
(gahSABRA!) und PA+IB = SAB = ZATU 504 (gal:§AB!).
51 Vgl. Rez., „Über mesopotamische Herrschaftskonzepte", Fs. W.H.Ph.
Römer,Römer, 295-298.

52 So nach der üblichen Lesung; m.E. ist aber auch eine Lesung gal-ugkig oder
sogar gal-kigj nicht ausgeschlossen; im ersteren Falle handelte es sich um den
Vorsteher der Versammlung; im zweiten Falle um den „Aufseher über die
Arbeit(en)". S. ausführlich Rez., „Über mesopotamische Herrschaftskonzepte",
Fs. W.H.Ph. Römer, 301 ff.
Schrifterfindung 189

[30] Glassner insistiert wiederholt, daß es si


NICHT nur um mnemotechnische Zeichen hand
duisent des morphemes linguistiques de deux so
sons, eux-memes constituitifs de mots. L'ecritur
ecriture mixte. Elle est logographique." (p. 213) E
Autor auch in den UD.GAL.NUN-Schreibungen
thographische Austauschbarkeit von Zeichen. Re
achtung hervorheben, und in ihnen einen Fära-zeit
späten Kommentare vermuten, wie er etwa zu d
im Lehrgedicht Enüma Elis bekannt ist.53 Das Phän
typisch mesopotamischen Prozeß, der Erschließ
Zeichen".

[31] In seinem Kapitel VIII ‫״‬Dessiner ou ecrire" vertritt Glassner die


Auffassung, mit Zylindersiegel und Schrift besäßen wir zwei weit
gehend unabhängige Zeichensysteme. Daß Schrift und Zeichnung beide
auf dem Bild beruhen, bleibt zwar unbestritten, sei jedoch allein eine
‫״‬technische Tatasche" (‫״‬constat technique", p. 223). ‫״‬En realite,
l'ecriture nait de l'articulation visuel ä la langue, de la volonte d'en
visualiser l'invisibilite." (p. 224). Wort und Gestalt (‫״‬figure") seien ur
sprünglich zwei unterschiedliche Bereiche. Und Schrift bedeute, das
eine mit dem anderen zu ‫״‬zeichnen". Das sei das Kennzeichen der
Schrift, jenseits der Piktographie oder der Ikonographie der Zylinder
Siegel. In einem Nachsatz erwähnt GLASSNER zwar, daß bei der Schrift
erfindung auch auf vorhandene Zeichen zurückgegriffen werde, die die
Erfinder aber, um sie in das Schriftsystem einzuordnen, erst entspre
chend manipuliert hätten; vgl. a. p. 290.

[32] Rez. sieht den Vorgang etwas anders. Piktographische Zeichen,


wie zunächst alle Vergegenständlichungen, erhalten ihre Bedeutung aus
dem sozialen und emotionellen Kontext. Polysemie ist dabei ihr we
sentliches Kennzeichen; die diesen Zeichen zugeschriebenen ‫״‬Bedeu
tungen" können zwar verändert, vermehrt oder eingeengt werden; sie
sind jedoch nicht völlig beliebig. Das Kennzeichen dieser allgemeinen
Polysemie bleibt auch den Schriftzeichen erhalten. In dem Maße
allerdings, wie ihre ‫״‬linguistische" Qualität sich herausbildet, vermin

5353 Siehe F. Μ. Th. Böhl, AjO 11 (1936) 191ff.; J. BorrfiRO, Fs. Finkelstein, 5
28.
190 G.J.Selz

dert sich die Polysemi


gleich ein wesentliches
Mehrdeutigkeit. Rez. m
der Rückgang der Poly
hinsichtlich des Bezeic
Zunahme an Eindeuti
pulierbarkeit im Bereich
einem Rückgang der sinn

[33] Es folgt nun ein R


(su-nir), mit denen ma
hat. Die „Standarten" s
durch die Attachierung
sondere Vögeln) geken
schlägt - das Zeichen M
Emblem durch ein neug
haft. Es läge doch nähe
lung des einfachen „Bü
von Anfang an neben de
ne grundsätzliche Änd
Zeichen (unbeschadet an
basierender Erweiterun
lung fig 9 auf p. 22956
chen in ein ikonographis
des Rez. ebenso offen,
namen.5s

54 Glassner versucht im übrigen P. Steinkellers Interpretation des MU§3


Zeichens als ‫״‬Schärpe" oder „Schal"; (vgl. P. Steinkeller, Fs. K. Szarzynska,
Warschau (1998) 87-100) mit der überkommenen Deutung als Architektur
element zu harmonisieren; siehe p. 227.
55 Der Beschreibung des Phänomens durch Glassner p. 227f. stimmt Rez. im
wesentlichen durchaus zu; jedoch zieht er andere Folgerungen daraus.
56 Vgl. H. Nissen, Archaic Bookkeeping p. 19; weiters P. Ferioli, E. Fiandra,
G.G. F1SSORE, M. FRANGIPANE (eds.), Archives Before Writing (1994).
57 Glassner unterscheidet also zwei Zeichensysteme, das der Zylindersiegel
und das der Schrift.
58 Vgl. hierzu immer noch Th. Jacobsen, „Some Sumerian City Names", JCS
21 (1969) lOOff.; s. ferner R.J. Matthews, Cities, Seals, and Writing. Archaic
Seal Impression from Jemdet Nasr and Ur. 1993.
Schrifterfindung 191

[34] Die Siegelabrollung mag übrigens neben V


Abendstern (links im Bilde) auch auf den Himm
zum einen durch das dreifach gesetzte Zeichen
Stier repräsentiert sein könnte. Hintergrund von
tion ist die von KRYSTYNA SZARZYNSKA vor
rung von dinana-hüd und dinana-sig als ‫״‬Morg
Venus", eine Entdeckung, die Rez. in der Tat für b

[35] Der frühen gesellschaftlichen Bedeutung d


Autor ein eigenes Kapitel (IX). Er führt aus, da
der lokalisierten Schriftfunde aus Privathäusern
eventuelle Zuordnung all dieser Gebäude all
amten nicht überzeuge. Entsprechend sieht er
Tonkugeln „private" Dokumente,60 also nichts,
tationszwecken für eine institutionelle Verwalt
ist jedoch von dem Argument nicht überzeugt,
chivalische Nutzen und die auf eine Aktion reduzierte Funktion dieser
Dokumente für die vorgeschlagene Bestimmung hinreicht. Die Mehr

59 Ein bereits 1996 für die damals geplante Zeitschrift NIN geschriebener
Aufsatz mit dem Titel ‫״‬Five Divine Ladies" ist bedauerlicherweise immer noch
nicht erschienen.

60 Entsprechend favorisiert der Autor auch die Auffassung, daß die Siegel
Privatpersonen gehörten (p. 222).
192 G. J. Selz

zahl der Uruk-zeitlichen T


großen Wirtschaftseinheit
Weiters mag hier offen ble
gelgebräuche in der Ur Iii-
frühen Siegelungen frucht
These, daß die Schrift - auc
zwecke angewandt wird - so
le, das unabhängig von diese

[36] Von besonderem Intere


Arbeit von KRISP1JN - die
cal signs" bzw. ‫״‬signes 'virt
Bezeichnung wie ‫״‬potenti
nannt, die aus einem (spiel
wurden, ohne daß sie - sow
wurden. Die Überlegungen
sig, daß der allfällige Einwa
lücken" nicht überzeugt.

[37] Damit läßt sich auch di


bestimmen. Sie sind zunäch
Schriftkundigen und ihre Sc
keine Schülertafeln. Daß es
auch die oben [2] zitierte E
klassifizieren und organisi
zeitgenössischen 'Wirklichk
chen" deutlich - sie erschaf

61 Th.J.H. Krispijn, ‫״‬The Earl


Linguistics". JEOL 32 (1991-9
62 Vgl. R.K. Englund, OBO160
63 Vgl. hierzu Glassner p. 254
Klassifikation in der Entwicklu
-, verdiente ohne Zweifel wei
ausgehenden Ansatz von P.
Essays Essays on the Cultural Evo
Women,Women,Women, Fire, and Dangero

64 Glassner legt das Gewicht l


p. 253.
Schrifterfindung 193

sem Sinne möchte ich Glassners Gedanken a


spricht, das Ziel dieser Listen sei ‫״‬premieremen
ture". Mit anderen Worten, die Manipulation d
Objekte hervorbringen, und nach Auffassung de
die Schrift induzierte (neue) Objektivierungspro
denken hervor, deren Folgen für die Menschhei
dentlich gewesen sind.65 [Für verwandte Auf
Kapitel XI und unten [45f.].]

[38] Ausgehend von dem Zeichen MAS (ZATU 3


wahrhaft genialer Weise die Entwicklung der Ze
denen Sorten von Kleinvieh rekonstruiert. Ausga
Beobachtung, daß das Homophon /mas/ im Sum
‫״‬halb", die ‫״‬Hälfte", zum anderen die Tierart
Durch Hinzufügen eines umgebenden Kreises, de
teren LAGAB (vgl. ZATU 308), wird dann die zw
des Kleinviehs, das Schaf (UDU) herausdifferen
Autor alle Spekulationen über die Entstehung dieser
so wichtigen Keilschriftzeichen widerlegt.66 K
UDU vielleicht einfach ‫״‬rundliches Kleintier" gem
auch sei, überaus einleuchtend lassen sich von d
chen MA§ und UDU auch die differenzierenden
ren. Der Einfachheit halber sei deshalb hier die Tabelle des Autors re
produziert.

65 Glassner (ρ. 256) schreibt: die Schrift ‫״‬favorise la composition de listes qui
ne se contentent pas d'enregistrer passivement des donnees et des
connaissances mais sont des lieux de reflexion et d'explication qui imposent
des choix, autorisent des decontextualisations et conferent le privilege des
reorganisations"; vgl.a. p. 258.
66 Die Annahme etwa, das Zeichen UDU sei auf ein ‫״‬Brandmal" zurück
zufuhren, ist bei einem Wolltier von vorneherein unsinnig. Aber auch der
Ausweg, es statt dessen auf eine Farbmarkierung zurückzuführen, ist nunmehr
widerlegt; s. Glassner p. 254 Anm. 39.
194 G.J.Selz

MAS caprin en general, jeune caprin


Captin en ge

4m
‫־־‬hn MAS.giaiö
MAS.gwiO caprinmJie
ctprinCaptin müe

-κ>
~K> MAS+SIR (testicule·)
(testicule1) bouc
boucbouc

© ‫?־‬ζ‫־‬ LAGABxMAS = udu


LAGABxMASLAGABxMASLAGABxMAS = «du mmoo
00 tonm ton
00 ton

LAGAB
LAGAB.gMoö+appendioe
.gMrX?+appendioe Captin
caprin fern
caprin fem die die

LAGABxMAS.
LAGABxMAS. gunü
gunO

UDU+SIR bäier
btiier

UDU+SIR.giinö- =
UDU+SER.gum3- = urua
trua
Wiierreproducteur
Wlier reproducteur

UDU.gurtf = =Ug
UDU.gunöUDU.gunö u, brebis pi
brebis pieine
cine

‫®־‬ DU+appendice Signal


U DU+appendice
queue
queue grace
moucoa
signalant
anr
grase == gufcfcal
gokfcal
la i queue
moutonmouton i qoeuegrasse
grasse

GU KKAL+SIR.gwTO
GUGU KKAL+SIR.gwTÖ b<lierreproducteur
biiie■ reproducteur * qqueue
neue grasse
grasse

UDU+appendice
UDU+appendice ==uds cbivre domestique
ud5 cbdvre domestique

© LAGAB x LAGAB = sila.agneau


agoeau
LAG AB LAG AB χ LAG AB LAG AB χ LAG AB = sila.

SILA^+SIR agneau mile


agnexu müe

SILA4+SAL
SELA^+SAL == kir!!
kirj i agndie
agneile

Konstruktionssystem Konstruktionssystem der Keilschriftzeichen für Kleinvieh


Aus: J.J. GLASSNER, Ecrire ä Sumer, p. 255, Fig. 15b
Schrifterfindung 195

[39] Rez. scheint es demzufolge wahrschein


Bedeutung ‫״‬Abgabe, Zins" des Wortes /mas/ aus
‫״‬Hälfte" entwickelte, und nicht, wie einstens v
erwogen, durch Synekdoche aus einer Grundbe
Zeichen MAS ist weiterhin ganz einfach die hal
81, bzw. N-8). Rez. ist der Auffassung, daß s
‫״‬piktographisch" an der Darstellung der zwei ge
Orientiert, eine Geste, mit der in der Zeichenspr
heute die Begriffe ‫״‬halb" oder ,Hälfte" markiert w

[40] Offensichtlich vermischen sich bei der Hera


zeichen Abbild und Idee; es handelt sich also wen
Abbildung der ‫״‬Wirklichkeit", als um die Objekt
Bilder, die bei der Schriftentwicklung untersucht w
Ein weiteres Ergebnis ist, daß sich hieraus nach A
gesicherter Wiese ableiten läßt, daß das Sumeri
bildung der frühesten Schrift eine hervorragen
kaum eine alleinige Rolle gespielt hat (pp. 257f.).6

[41] Großes Gewicht - vielleicht zu großes - leg


Unterscheidung zwischen der Herausbildung der
seilschaftlichen Verwendung. In der Tat macht d
deutlich, daß die Schrifterfindung einen aktiven ge
voraussetzt, und nicht allein gewissermaßen au
sozio-ökonomischen Verhältnissen abgeleitet w
dings sieht hier eher eine Folge von Mikroproze
jektiven sozio-ökonomischen Gegebenheiten un
Antworten der Sumerer darauf. Der ‫״‬Wille zur S
wirklicht sich - selbstverständlich - im Rahmen der sozio-ökonomi
sehen und ideologischen Voraussetzungen. Es läßt sich aus dem
vorliegenden Buche in einleuchtender Weise ableiten, - auch wenn dies
nur selten ausgeführt wird - welche Prozesse durch die Schrifterfin
dung inauguriert wurden.

67 Frdl. Hinweis von G. Sodeck.


68 Wie bemerkt, können nicht alle einschlägigen Beispiele Glassners als
beweiskräftig gelten. - Auf p. 257 unterstreicht er die vermutliche
Mehrsprachigkeit, in der sich die frühe Schrift entwickelt habe.
196 G. J. Selz

[42] Zögerlicher als eingan


Autors am Ende bezüglich d
Sprachen der ‫״‬plurikultur
wickelt worden sei (p. 257)
sicher noch weitere Untersuc

[43] Ein Kapitel des Autors


Er beginnt mit einer Disku
Fall, in dem die durch die D
sifikation deutlich transzendiert ist. Er verweist in diesem Zusammen
hang auch auf das alte Konzept der „Gotteskindschaft", ohne daß dies
nach Meinung des Rez. zur Klärung der Vergöttlichung des Naräm-Sin
unmittelbar beiträgt (p. 262f.). Ob, und wenn ja, welche semantischen
Veränderungen denn mit der Setzung des DIÖIR-Zeichens verbunden
worden sind, bleibt unklar. Wenn auch nur bedingt aus den Dar
legungen des Autors ableitbar, so hält Rez. jedoch seinen Hinweis auf
die Struktur des Menschen als Kompositwesen für überaus wichtig.
GLASSNER nennt, in Übereinstimmung mit manchen Schöpfungsmy
then, das göttliche Blut und Fleisch das mit Lehm gemischt ward. Ver
mutlich war der Mensch für die mesopotamischen Gelehrten noch weit
aus komplexer: ein weiterer Hinweis, daß alle mesopotamischen Dicho
tomien nur bedingt ausschließlich sind und eingebettet bleiben in einer
umfassenden Welt. Das nicht gelesene Gottesdeterminativ ist für den
Autor weiterhin ein Zeichen, daß die mesopotamischen Schreiber dazu
gekommen seien, „ä voir l'univers entier ä travers la metaphore de
l'ecriture" (p. 265).

[44] Der Verbund von Schrift und Macht ist - wie im Grunde das ganze
Buch deutlich macht - seit der Schrifterfindung sehr eng. Der Autor
widmet diesem Phänomen ein eigenes Unterkapitel (pp. 266ff). Die
von GLASSNER zugrunde gelegte Rekonstruktion der politischen Ent
Wicklung im 3. Jahrtausend, die wegführt von der Regierung einer
Gruppe von Notabein „siegeant au sein d'assemblees", hin zu einer
monarchischen Autorität (p. 267) kann keinesfalls als gesichert angese
hen werden. Dabei ist die Tatsache, daß es solche Versammlungen
Schrifterfindung 197

gegeben haben wird, durchaus wahrscheinlich,69 ab


Rekonstruktion von JACOBSEN, noch die des A
men befriedigen. Der Hinweis zudem auf die alt
bzw. auf das bis in die Mitte des 3. Jts. zurückgehe
allem deshalb problematisch, weil er die notwen
zwischen den nördlichen und südlichen institutionellen Verhältnissen
verwischt. Aufgrund seiner Interpretation NAM2 = umu§ vermutet der
Autor nunmehr, daß mehrere der in der Liste der Offiziellen genannten
Berufe leitende Aufgaben innerhalb dieser Versammlung gespielt hät
ten. Unbezweifelbar ist, daß es neben dem NAMESDA7 weitere hohe
Funktionen gegeben hat; über die wahrscheinlich hierarchisierten
Bezüge läßt sich allerdings nichts ausmachen.71 Inwieweit sich nun
hinter den verschiedenen Darstellungstypen des Uruk-Herrschers (des
'Mann im Netzrock' und seinen Varianten) ein oder mehrere macht
ausübende Berufe verbergen, bleibt ebenso unsicher wie die Frage, ob
man dessen traditionelle Bestimmung als EN nunmehr zugunsten einer
Identifizierung als NAME§DA aufgeben sollte (vgl. pp. 270ff.). Unter
streichen möchte Rez. Glassners These, daß wenig dafür spricht, daß
Uruk allein Hauptstadt eines mehr oder minder zentralisierten Staates
gewesen sei (pp. 27 lf). In diesem Sinne gehört das ‫״‬Uruk-Weltsystem"
wohl in die Sphäre modemer wissenschaftlicher Mythologie. Daß statt
des alten Titels sich dann zunehmend der Titel lugal durchsetzt, ist
wohl bekannt (p. 272); daß er erblich ist, mag in der Tat auf eine sich
ändernde Gesellschaftsstruktur hinweisen.72 Es folgen nun einige
Überlegungen über die Bedeutung und Entwicklung einiger Funk
tionärstitel wie lugal oder NAM2.HUB2. Die Könige, wie auch ihr
Uruk-Vorläufer NAMESDA, bemächtigten sich nun der Schrift zur
Darstellung ihrer Autorität und ihrer Taten. Allerdings ist Rez. der

69 Vgl. Rez., ‫״‬Über mesopotamische Herrschaftskonzepte", Fs. W.H.Ph.


Römer,Römer, 316ff.

70 Beachte Glassners Hinweise auf die wenigen jüngeren Kontextbelege


dieses Titel in UET 2, n. 163 3:3 und 262 4:18 und ebenso auf den Götterna
men dNAME§DA-amar-bän-da-kul-aba4 (SF 1 8:16) und dNAME§DA-KAR.
MI (SF 1 9:6).
71 Beachte, daß der Autor pp. 268f. einige weitere interessante Deutungen von
Berufsbezeichnungen vorschlägt, darunter auch Priesterberufe.
72 Vgl. Rez., ‫״‬Über mesopotamische Herrschaftskonzepte", Fs. W.H.Ph.
Römer, 318f.
198 G.J.Selz

Auffassung, daß vor


Aspekt all dieser Inschri
geordnet bleibt. Die We
bezeugten Taten stehen
bewirkt werden; die Sc
neues Mittel. Bei der Sch
im Vergleich zu anderen
Fähigkeit der Übermitt
hinaus bemerkbar. So e
lien avec les ancetres" (
Verstärkung der Herrsch

[45] Zum Abschluß des


aus, die Schrift habe sich
‫״‬L'invention suppose
existence." (p. 279) Ode
Motto ‫[״‬L'ecriture] est
produire autres signe
präzisieren durch seinen
von J. N0UGAYR0L: die
entdeckt worden, ‫״‬les
pleinement conscience
sieht diesen Vorgang ähn
fällig vorhanden Verge
verschiedensten Art, w
tation von Zeichen der u
der Schrift ist - ganz äh
Zeichen wie auch Glas
flexivität. Im Augenbl
sehen) Zeichensysteme
Schrift. Die Zeichen de
jekte, sie besitzen Objek
rung und ihre Manipulie

[46] Anders als der Aut


lung der Schrift. Mit
Siegeln und Rollsiegeln
Schrifterfindung 199

mentales Objekt.73 Das Neue und Folgenreiche bei d


ist, daß der reflexive Charakter dieser Zeichen
systematisch umgesetzt wurde. Den Anlaß dazu -
Grund - möchte Rez. nach wie vor in den ökono
verwaltungstechnischen Erfordernissen sehen. D
Systematisierung der Verwaltung trägt ohne Z
sierung der (graphischen) Zeichensysteme bei. W
hinweist, daß zunächst das Lexikon, nicht die Sy
nen) Sprache und Grammatik im Vordergrund d
schaft stehen,74 so hat das wohl den Grund, daß m
dem Objekt-Charakter der Zeichen beschäftigte.
schriftlichen Zeichensystems hatte eine ontologisch
282). Die Konnektivität des mesopotamischen De
Weltbild, zwang zu substanzlogischen Attribuieru
Schrift (vgl. ähnlich GLASSNER pp. 291 f.). Die
bekanntesten bei der seinsbegründenden Funkt
überall im Alten Orient. Oder, wie GLASSNER fr
designe-t-il pas, tout ä la fois, le mot et la chos
Worte, so wurde auch dem (Schrift-)Zeichen ein
ferkraft zugeschrieben.75 Und wie Naräm-Sin beha
lieh der geschriebene Name, der das Weiterleben er

[47] Dieses Buch gibt einen ungewöhnlich guten


die Bedeutung der Schrifterfindung sondern dar
legende Strukturen des mesopotamischen Denke
geisterung gelesen, vielleicht auch deshalb, wei
sungen des öfteren mit seinen eigenen Überlegun
Deshalb hat er im Vorstehenden gelegentlich v

73 Wenn Glassner Schrift (und Ritus) versteht als ‫״‬


associe le visible et l'invisible" (p. 280f.), scheint er ei
zu vertreten.

74 Der agglutinierende Charakter des Sumerischen mit weitgehend starren


Wortwurzeln, mag, wie Glassner andeutet (p. 281), dabei durchaus eine Rolle
gespielt haben.
75 ‫״‬fournir des entites visibles et stables" (p. 282). Von hohem Interesse ist im
Zusammenhang mit dieser Feststellung die Beobachtung Glassners, daß die
Schrifterfindung in Mesopotamien nicht als Gotteswerk galt; vgl. oben [7],
Daran anschließende Überlegungen können hier nicht ausgeführt werden.
200 G. J. Selz

rungen des Buches in sein


so der vorliegende Beitra
eigener Thesen als eine
GLASSNERs ist, mögen
Ausführungen des Buches
findung einen großen Forts
kann in Zukunft an diese
noch einer systmatischere
die derzeit beste Einführu
ihrer guten Lesbarkeit sei
Daß verschiedene Argumen
unzutreffend sind, beeint
die Auseinandersetzung vo
längst nicht als abgeschlo
wird hoffentlich nicht la
zumindest der Index erweit
werden.

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