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Biblische Ethik

Aufbau
Grundlagen biblischer Ethik

Ethos der Genesis: Schöpfungserzählungen


Ethos des Gesetzes: Gesetzesbücher und Dekalog
Ethos der Propheten: Amos, Micha und Ezechiel
Ethos der Weisheit: Jesus Sirach, Sprichwörter und Kohelet

Jesuanische Ethik I: Reich-Gottes-Botschaft und Nachfolge


Jesuanische Ethik II: Bergpredigt
Jesuanische Ethik III: Liebe, Vergebung und Barmherzigkeit
Urchristliche und paulinische Ethik: Tugend- und Lasterkataloge

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Gliederung

1. Moral im Alten Testament

2. Gen 1,26-28
2.1 Gottebenbildlichkeit
2.2 ‚Herrschaftsauftrag‘
2.3 Der Mensch als Mann und Frau

3. Gen 2-3

4. Ausblick: Urelterntexte

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1. Moral im Alten Testament

• Moral des Alten Testaments ist nicht ohne Widersprüche und Irritationen: Gewalt,
Strafe, Tod/Todesstrafe, Frauenbild, Sklaverei, Herrenmoral

• Patriarchale Perspektiven und Herrschaftsstrukturen

• Eine Auseinandersetzung mit dem Tanach aus moraltheologischer Sicht ist


dennoch wichtig, denn:
§ Die Bibel Israels ist das Fundament des Christentums und der Gottesbotschaft Jesu.
§ Die christliche Identität bleibt rückgebunden an das Judentum als seine Wurzel.
§ Quelle unterschiedlicher Ethosformen und Handlungsorientierungen

1. Moral im Alten Testament

• Zentrale Ethosformen im Alten Testament:


1. Ethos der Genesis
2. Ethos des Gesetzes
3. Ethos der Propheten
4. Ethos der Weisheit

• Ethos der Genesis als Miteinander von Schöpfungs- und Urelternethos beschreibt
keine konkreten Weisungen, gibt aber theologische und anthropologische
Grundaussagen an die Hand, aus denen moraltheologische Konsequenzen zu
ziehen sind.

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2. Gen 1,26-28

„26 Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! Sie
sollen walten über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh,
über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen.

27 Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich
und weiblich erschuf er sie.

28 Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die
Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des
Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen!“

2.1 Gottebenbildlichkeit

• Der Mensch ist imago dei.

• Der Schöpfergott hat dem Menschen als Geschöpf erkennbar eine besondere
Stellung zugewiesen trotz der menschlichen Schwäche und Vergänglichkeit: Er ist
Repräsentant Gottes.

• Biblischer, theologischer und (moral-)anthropologischer Schlüsselbegriff


§ Alttestamentlich: Gen 1,26f.; 5,3; 9,6
§ Neutestamentlich: Anwendung sowohl auf Christus als den ‚Erstgeborenen der ganzen
Schöpfung‘ (Kol 1,15) als auch auf jeden Menschen (1 Kor 11,7; Kol 3,10).

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2.1 Gottebenbildlichkeit

Moraltheologische Konsequenz 1: Begründung der Menschenwürde und -rechte

• Die Menschenwürde ist ein nicht graduierbares Wesensmerkmal, das allen Menschen
allein aufgrund ihres Menschseins zukommt, und damit fundamentales Moralprinzip.

• Sie ist Ausdruck der prinzipiellen Gleichheit und Gleichwertigkeit aller Menschen,
unabhängig von Rasse, Herkunft, Geschlecht und Religion.

„Menschenwürde ist ein Superlativ, der sich weder steigern noch


abschwächen lässt, überdies jedem Menschen vor allen individuellen
Leistungen zukommt.“ (Otfried Höffe)

• In der Menschenwürde gründen die universellen Menschenrechte als unveräußerliche


Rechte (und Pflichten) der menschlichen Person.

2.1 Gottebenbildlichkeit

• In der Menschenwürde gründen die


universellen Menschenrechte als
unveräußerliche Rechte (und Pflichten)
der menschlichen Person.

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2.1 Gottebenbildlichkeit

Moraltheologische Konsequenz 2: Der Mensch als Verantwortungsträger

• Als Repräsentant Gottes steht der Mensch nicht nur in einem besonderen Verhältnis
zu Gott, er antwortet in seinem freien Handeln hörend auf den göttlichen Ruf: Er ist
von Gott in die Ver-antwortung gesetzt.

„Gottebenbildlichkeit bedeutet ein Gegenübersein, eine


Relation in der Situation der Antwort.“ (Erwin Dirscherl)

• Als freies und vernunftbegabtes Geschöpf ist der Mensch vor Gott für sein Handeln
und die Gestaltung der Welt (begrenzt) verantwortlich: Er ist geschaffener Schöpfer.

„Diese Verantwortung des Menschen gilt gegenüber der ganzen Welt, in besonderer
und einzigartiger Weise aber angesichts des anderen Menschen.“ (Erwin Dirscherl)

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2.2 ‚Herrschaftsauftrag‘

• Die besondere Verantwortung des Menschen als ‚Mitschöpfer‘ realisiert sich gerade
im Umgang mit der Schöpfung, im Miteinander mit seiner belebten und unbelebten
Umwelt.

• Einschlägig ist hierfür der sog. ‚Herrschaftsauftrag‘ (dominium terrae) in Gen 1,28.

• Heute: Interpretation als ‚Kultur-‘ oder ‚Verwaltungsauftrag‘, um deutlich zu machen:


1. Herrschaft impliziert die Fürsorge für das Beherrschte. Es kann nicht um grenzenlose und
gewaltsame Ausbeutung der Schöpfung durch den Menschen gehen.
2. Der Herrschaftsauftrag ist keineswegs absolut. Er steht unter der Herrschaft Gottes.

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2.2 ‚Herrschaftsauftrag‘

Frage 1: Wie weit geht dieser Gestaltungsauftrag?

„Der Herrschaftsauftrag, der dem Menschen anvertraut ist, verlangt ein


verantwortliches und einsatzbereites Handeln und Verwalten. Auch dem Menschen
kommt es zu, in ‚kreativer‘ Weise die Welt zu gestalten, die Gott geschaffen hat. Er soll
diese Verantwortung annehmen, auch weil die Schöpfung nicht in einem bestimmten
Zustand zu bewahren ist, sondern in Entwicklung begriffen ist und der Mensch, als
Wesen, in dem Natur und Kultur verbunden sind, zur Schöpfung gehört.“ (BM 11)

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2.2 ‚Herrschaftsauftrag‘

Frage 2: Wie lässt sich das Verhältnis von Mensch und (un-)belebter Natur theologisch-
ethisch bestimmen?

• Anthropozentrische Modelle der Verhältnisbestimmung


1. Radikaler Anthropozentrismus: Die Natur ist auf den Menschen hingeordnet, der im Zentrum
steht.
2. Relationaler Anthropozentrismus: Der Mensch hat eine Sonderstellung, der Natur aber kommt
ein abgestufter moralischer Eigenwert zu.

• Physiozentrische Modelle der Verhältnisbestimmung


1. Pathozentrismus: Nur empfindungsfähige Lebewesen haben einen moralischen Eigenwert.
2. Biozentrismus: Alle Lebewesen haben einen moralischen Eigenwert und sind gleich zu
behandeln.
3. Holismus: Gesamte Natur hat einen moralischen Eigenwert.

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2.2 ‚Herrschaftsauftrag‘

• Theologisch-ethisch wird das Miteinander und die Beziehung von Mensch und Natur
im Sinne eines anthropo-relationalen Modells betont.

• Je nach Position und Verhältnisbestimmung wird unterschiedlich mit Fragen der


Ressourcengewinnung und -nutzung, der Nutz- und Massentierhaltung, des Konsums
tierischer Produkte oder der Durchführung von Tierversuchen umzugehen sein.

Der alttestamentliche Herrschaftsauftrag lässt sich besser als Kulturauftrag an den


Menschen für das ‚gemeinsame Haus‘ deuten, der als in die Verantwortung gesetzter
Repräsentant Gottes um seine Beziehung zur belebten und unbelebten Natur weiß
und darum fürsorglich und nachhaltig mit ihr umgeht.

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2.3 Der Mensch als Mann und Frau

• Geschlechtersymmetrie: In der Schöpfung grundgelegte Dualität, Einheit in


Unterschiedenheit und Komplementarität von Mann und Frau.

• Fruchtbarkeit beider wird betont.

• Heute entzünden sich hieran im Bereich der Sexualmoral verschiedene Kontroversen.

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3. Gen 2-3

• Gen 2,15 als Entsprechung zum Kulturauftrag

• In der Gebotsübertretung artikuliert sich die Freiheit Gottes und des Menschen
§ Der Mensch ist frei, sich für oder gegen Gottes Gebot zu entscheiden.
§ Gott räumt dem Menschen diese Freiheit ein und nimmt sich selbst zurück.
§ In ihr kommt es nicht zum ‚Sündenfall‘.
§ Auch erhält der Mensch keine Allwissenheit, sondern die Fähigkeit zur Unterscheidung von
Gut und Böse: ethische Urteilsfähigkeit.

• Freiheit als urzeitliche conditio humana ist nur dort gegeben, wo der Mensch an
der Freiheit auch scheitern kann.

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4. Ausblick: Urelterntexte

• Urelterntexte als ethisch herausfordernde Erzähltexte

§ Hagar: Sklavin von Sara und Abraham, zur Schwangerschaft gezwungen und fast
in den Tod getrieben (Gen 16; 21,9-21)

§ Jakob: Von Gott erwählter Vater Israels und zugleich Betrüger seines Bruders
Esau und seines Schwiegervaters Laban (inkl. Versöhnung)

• David: Ehebrecher mit Batseba und Mörder des betrogenen Ehemannes Urija –
strahlender Kriegsheld und frommer Psalmendichter (2 Sam 12,9)

„Ihr Wert für die Ethik liegt gerade darin, dass sie ambivalente Menschen in
Konflikten zeigen […]. Sie bieten die ethische Reflexion nicht dar, fordern sie
aber bei den Rezipientinnen und Rezipienten heraus.“ (Rainer Kessler)

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