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Andreas Lienkamp

Ethische Maßstäbe
Urteilskriterien für Wissenschaft und
Bildung, Politik und Wirtschaft

Foto: Andreas Lienkamp

Osnabrücker Beiträge zur


Theologie und Ethik 4
ISSN 2626-2444
Urheberrecht

Creative Commons: Namensnennung des Urhebers, keine kommerzielle Nutzung und keine Bear-
beitung ohne vorherige Genehmigung durch den Autor. Das Kopieren, Weitergeben und Verwen-
den sind nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht.

Autor
Prof. Dr. theol. habil. Andreas Lienkamp ist Professor für Christliche Sozialwissenschaften (Sozial-
und Umweltethik) am Institut für Katholische Theologie der Universität Osnabrück.
E-Mail: andreas.lienkamp@uni-osnabrueck.de.

Titelbild
Oben links: zentrale Begriffe meines ethischen Ansatzes; oben rechts: 300 Jahre ‚Sylvicultura
oeconomica‘ von Hannß Carl von Carlowitz, aufgenommen in Regensburg 2013; unten links: Bä-
ren-Parade am Pariser Platz 2002, neben dem Brandenburger Tor, hier die beiden von der ‚Stif-
tung Weltethos‘ beigesteuerten Exemplare der Künstlerin Eva Herlitz mit der Goldenen Regel in
verschiedenen Sprachen und zentralen Weisungen einiger Religionen der Welt; unten rechts: Ar-
tikel Ethik, in: Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 22. Aufl., Ber-
lin-New York 1989, 191 (Fotos und Kollage: Andreas Lienkamp).

Zitiervorschlag
Lienkamp, Andreas: Ethische Maßstäbe. Urteilskriterien für Wissenschaft und Bildung, Politik und
Wirtschaft (Osnabrücker Beiträge zur Theologie und Ethik 4, hrsg. von Andreas Lienkamp),
Osnabrück 2020, https://www.lienkamp-berlin.de/publikationen.

ISSN 2626-2444
5

Inhalt

Vorwort ........................................................................................................................ 7

Ethische Maßstäbe ...................................................................................................... 9

Kopiervorlage............................................................................................................. 13

Ethische Maßstäbe .................................................................................................... 15


7

Vorwort
Eine erste Variante der nachfolgenden tabellarischen Aufstellung ethischer Normen erschien
1996 in meinem Beitrag ‚Systematische Einführung in die christliche Sozialethik‘1 . Diese Einfüh-
rung habe ich damals für (angehende) Theologinnen und Theologen geschrieben, um ihnen ein
ethisches Instrumentarium an die Hand zu geben, das sie befähigen sollte, im interdisziplinären
Gespräch zu argumentieren. Der Text entstand aus einer längeren Erprobung am ‚Institut für
Christliche Sozialwissenschaften‘ der Universität Münster, an dem ich seinerzeit als Wissen-
schaftlicher Mitarbeiter von Prof. DDr. Franz Furger tätig war.

Eine vollständig überarbeitete und deutlich erweiterte Fassung der Übersicht habe ich dann in
meiner Habilitationsschrift publiziert, die 2009 unter dem Titel ‚Klimawandel und Gerechtigkeit –
Eine Ethik der Nachhaltigkeit in christlicher Perspektive‘ veröffentlicht wurde2. Dort sind die ein-
zelnen normativen Maßstäbe in einem größeren Zusammenhang dargestellt und ausführlich be-
gründet. In meiner bald zehnjährigen Lehre und Forschung als Professor für christliche Sozial-
und Umweltethik am Institut für Katholische Theologie der Universität Osnabrück konnte ich
diese Aufstellung anschließend weiter testen und modifizieren.

Allen, die durch konstruktive Kritik zu der Entstehung und Weiterentwicklung des nachstehen-
den Katalogs beigetragen haben, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Ich hoffe, dass diese Auf-
stellung auch für Menschen anderer religiöser und weltanschaulicher Bekenntnisse und Über-
zeugungen eine Hilfe darstellt. Die systematisch aufgebaute Liste kann überall dort eingesetzt
werden, wo ethische Entscheidungen getroffen, moralische Konflikte gelöst und Gründe für die
eigene Position dargelegt werden sollen.

Ich widme diese kleine Publikation meinem akademischen Lehrer, dem im Jahr 1997 viel zu früh
verstorbenen katholischen Sozialethiker und Moraltheologen Franz Furger, der heute sein 85.
Lebensjahr vollendet hätte.

Osnabrück, 22. Februar 2020

Andreas Lienkamp

1 Lienkamp, Andreas: Systematische Einführung in die christliche Sozialethik, in: Furger, Franz / Lienkamp, Andreas /
Dahm, Karl-Wilhelm (Hrsg.): Einführung in die Sozialethik (Münsteraner Einführungen – Theologie – 3), Münster:
Lit 1996, 29-88, hier 57 f.
2 Lienkamp, Andreas: Klimawandel und Gerechtigkeit. Eine Ethik der Nachhaltigkeit in christlicher Perspektive,
Paderborn-München-Wien-Zürich 2009, 355-358, https://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/
bsb00087486_00001.html.
9

Ethische Maßstäbe
Dimensionen
Individualethik Sozialethik Umweltethik
Ethische
Personaler Aspekt Gesellschaftlicher Aspekt Ökologischer Aspekt
Maßstäbe

Christliches Bild vom Mensch Gesellschaft Natur


Menschen in Gesell- Mensch = Bild / Statue Mensch = ein soziales Mensch = ein Naturwe-
schaft und Natur Gottes; eine einmalige, Wesen, das notwendig sen, das notwendig auf
Mensch = Leib-Geist- vernunft- und moralfä- auf seine Mitmenschen seine außerhumane
Seele-Einheit; kein iso- hige Person mit einer bezogen und angewie- Mitwelt bezogen und
liertes Wesen, sondern inhärenten, sen ist; die gleiche Wür- angewiesen ist; dieser
eingebettet in Gesell- unantastbaren, de aller ist kommt ein zu achten-
schaft und Natur, zu- gleichen, unbedingt zu wechselseitig zu achten der und zu schützender
gleich Individuum, Ge- achtenden und zu und strukturell, Eigenwert, eine eigene
sellschafts- und Natur- schützenden Würde institutionell und Würde zu
wesen rechtlich zu schützen

Freiheit und Freiheit sich selbst zu Freiheit ist immer sozial Freiheit ist immer öko-
Verantwortung bestimmen und zu ent- verpflichtet, d. h. mit logisch verpflichtet,
gehören zusammen falten (Freiheit zu …) so- der Freiheit der ande- d. h. mit der Freiheit
und beinhalten die wie Freiheit von Fremd- ren Menschen zum Aus- der nicht-menschlichen
Pflicht zur Befreiung aus bestimmung (Freiheit gleich zu bringen Geschöpfe zum Aus-
Unfreiheit von …) gleich zu bringen

Liebesgebot „Die Verpflichtung, ‚un- „[…] aber sie fordert … sowie eine Auswei-
meint die Verpflichtung seren Nächsten [, sich auch ein weitergehen- tung auf die ganze
zur Achtung der ande- selbst, den fremden, ja des soziales Engage- Schöpfung in „Ehrfurcht
ren (Wohlwollen) und auch den mir / uns ment für das Gemein- vor dem Leben“ (Albert
zu konkreten Taten der feindlich gesonnenen wohl“1 Schweitzer)
Liebe (Wohltun) (vgl. Mitmenschen; A. L.] zu
Goldene Regel, Katego- lieben’, hat eine indivi-
rischer Imperativ) duelle Dimension, […]“

Gerechtigkeit Gerechtigkeit als Soziale Gerechtigkeit Umweltgerechtigkeit


verlangt, auf der Basis Tugend
gleicher Würde und ist der beständige und • welt-/gesellschaftlich Verantwortung der
gleicher Rechte „we- allgemein gültige Wille, sowie gegenüber den Menschen für ein ge-
sentlich Gleiches gleich jedem das Seine und je- vergangenen und rechtes Verhältnis zur
und wesentlich Unglei- der das Ihre (suum kommenden Genera- außerhumanen Mitwelt
ches ungleich zu behan- cuique) zukommen zu tionen
deln“2 lassen, und zwar sein • Verteilungs-, Beteili-
bzw. ihr Recht (Ulpian, gungs-, Tausch- und
Thomas von Aquin) Verfahrensgerechtig-
keit

Frieden Frieden mit sich selbst sozialer Frieden: Frieden im Verhältnis


im Sinne von Sicherheit (Seelenfrieden) und • inner- und der Menschen zur au-
und Gewaltlosigkeit und eine daraus resultie- • zwischenstaatlich ßermenschlichen Natur
als Werk der Gerechtig- rende Haltung der
Friedfertigkeit • zwischen Weltan-
keit (Jesaja 32,17) schauungen, Religio-
nen, Ethnien
10

Dimensionen
Individualethik Sozialethik Umweltethik
Ethische
Personaler Aspekt Sozialer Aspekt Ökologischer Aspekt
Maßstäbe

vorrangige Option für verlangt eine zielt auf die Überwin- auch die außermensch-
die Armen und Nicht- Positionierung auf der dung der strukturellen lichen Kreaturen sowie
beteiligten Seite der Armen und Ursachen von Armut die Ökosysteme und die
Liebe und Gerechtigkeit Nichtbeteiligten, ein und Ausgrenzung, auf Schöpfung insgesamt
fordern ‚not-wendig‘ Hören auf ihren oft eine inklusive Gesell- bedürfen des anwalt-
die advokatorische Par- stummen Schrei sowie schaft und auf die schaftlichen Einsatzes
teinahme, weil, die Betrachtung der Schaffung menschen- zur Realisierung ihrer
insofern und so lange Wirklichkeit und der würdiger Lebensver- berechtigten Bedürf-
(Subsidiaritätsprinzip!) Probleme aus ihrer Per- hältnisse für alle nisse und Interessen,
andere ihr Recht nicht spektive zum Schutz bzw. zur
selbst erstreiten Wiederherstellung ihrer
können Integrität

Prinzipien, die dem ‚po- Personalität Gemeinwohl Nachhaltigkeit


sitiven‘ (in Gesetzen die menschliche Person das gemeinsame Wohl Ziel ist „eine an der
formulierten) Recht zu ist in sich Selbstzweck; aller, die in Bezug auf Würde und Verantwor-
Grunde liegen und ihre Achtung und ihr ihre Existenz, ihre Da- tungsfähigkeit des Men-
übergeordnet sind Schutz hat daher Aus- seinsgestaltung und Be- schen orientierte öko-
gangspunkt jeder Ethik dürfnisbefriedigung un- nomische und soziale
zu sein tereinander verflochten Entwicklung, die zu-
sind gleich dauerhaft-um-
weltgerecht sein soll“3

Heuristische Verwirkli- Subsidiarität Solidarität Retinität


chungsmaximen, die schützt die Freiheit und fordert als „Gemeinver- fordert die Einbettung
dem ‚Auffinden‘ (von Selbständigkeit der Per- haftung“4 bzw. als aller gesellschaftlichen
griech. εὕρηκα, heu- son bzw. der kleineren Con- und Pro-Solidari- Prozesse in das sie tra-
reka, ich hab’s gefun- Einheiten vor dem tät5 die gende Netzwerk ökolo-
den) konkreter Hand- Übergriff der größeren Rücksichtnahme auf die gischer Regelkreise
lungsnormen und Prob- sozialen Einheit, nimmt Gemeinschaft und den
lemlösungen dienen letztere aber in Pflicht, Einsatz für Ge-
wenn die kleinere Ein- rechtigkeit
heit ihre legitimen Ziele
nicht oder nur schlecht
allein verwirklichen
kann

Weitere Kriterien zur Verursacherprinzip als rückwirkendes Kostenzurechnungsprinzip für entstan-


Operationalisierung der dene Schäden und vorausschauende Pflicht zur Vermeidung von Belastungen
Gerechtigkeit für Mensch und Natur (Nichtverursacherprinzip)

Vorsorgeprinzip als Prinzip der Minderung von Risiken und Schonung der na-
türlichen Lebensgrundlagen, besonders bei Entscheidungen unter Unsicher-
heit

Prinzip der Beweislastumkehr verlangt, dass für jedes riskante Produkt oder
Projekt ein „objektiver und schlagender Nachweis […] erbracht werden“,
dass es „keine schweren Schäden für die Umwelt und ihre Bewohner
verursachen wird“ (LS 186)6

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Prinzip einer Ethik der Mittel, wonach alle


Maßnahmen geeignet, erforderlich und angemessen sein müssen
11

Dimensionen
Individualethik Sozialethik Umweltethik
Ethische
Personaler Aspekt Gesellschaftlicher Aspekt Ökologischer Aspekt
Maßstäbe

Menschenrechte7 und Freiheits- und Wirtschaftliche, soziale Rechte der


Rechte der außerhuma- Mitbestimmungsrechte und kulturelle Rechte außerhumanen Natur
nen Natur • Recht auf Leben, • Recht auf soziale • Recht auf Schutz: „Die
buchstabieren aus, was Freiheit, Sicherheit Sicherheit (22) Gesamtheit der Natur
Gerechtigkeit meint der Person (Art. 3-5 • Recht auf die unent- in ihrer natürlichen
AEMR) behrlichen wirtschaft- Entwicklung mit allen
erstere sind rechtlich • Gleichheit vor dem lichen, sozialen und Pflanzen, Tieren und
entfaltet in internatio- Gesetz (6;7) kulturellen Rechte Ökosystemen besitzt
nalen Pakten und Kon- (22) einen zu schützenden
• Schutz vor Diskrimi-
ventionen, in den Eigenwert.“ (§ 2 I Ge-
nierung (2;7) • Recht auf Arbeit, freie
Grundrechten vieler setz zum Schutze des
• Rechtsschutz bei Berufswahl, men-
nationaler schleswig-holsteini-
Grundrechtsmissach- schenwürdige Ar-
Verfassungen sowie in schen Wattenmeeres
tung (8) beitsbedingungen
der Charta der – Nationalparkgesetz
und Schutz vor Ar-
Grundrechte der Euro- • Schutz vor Staatswill- – vom 17.12.1999)8
beitslosigkeit (23 I)
päischen Union kür (Haft, Auswei- • Tierrechte auf Leben,
sung) (9-11) • Recht auf gleichen
Wohlbefinden (artge-
Menschenpflichten Lohn für gleiche Ar-
• Schutz des Privatbe- rechtes Dasein), auf
• Pflichten gegenüber beit (23 II) und ange-
reichs und Rufes (12) Schutz vor (vermeid-
der Gemeinschaft, in messene Entlohnung
• Recht auf freie Wahl baren) Schmerzen,
der allein die freie (23 III)
des Wohnsitzes, Rei- Leiden oder Schäden
und volle Entwicklung • Recht auf soziale (Art. 20a GG; § 1
der Persönlichkeit sefreiheit (13)
Schutzmaßnahmen TierSchG)
möglich ist (Art. 29 I • Asylrecht (14) (23 III)
• die Rechte der
AEMR) • Recht auf eine Staats- • Recht auf „natürliche[n]
• Pflicht zur Anerken- angehörigkeit (15) Berufsvereinigungen Umwelt“ „müssen […]
nung und Achtung • Recht auf Ehe und (23 IV) mit Nachdruck
der Rechte und
Freiheiten der
Familie (16) • Recht auf Erholung, behauptet werden,
anderen (29 II) • Recht auf privates Freizeit, bezahlten Ur- indem man den
oder gemeinschaftli- laub (24) Umweltschutz
ches Eigentum (17); • Recht auf Nahrung, verstärkt […]. Vor al-
Recht auf Schutz geis- Kleidung, Wohnung, lem ist zu bekräftigen,
tigen Eigentums (27) ärztliche Betreuung, dass es ein wirkliches
• Gedanken-, Gewis- soziale Fürsorge (25 I) ‚Recht der Umwelt‘
gibt“ (Franziskus
sens-, Religionsfrei- • Recht auf Sicherheit 2015, 2)9
heit (18) bei Arbeitslosigkeit,
• Recht auf freie Mei- Krankheit, Alter (25 I)
nungsäußerung und • Recht auf Bildung (26)
Information (19)
• Recht auf Teilhabe
• Versammlungs- und am Kulturleben (27)
Vereinigungsfreiheit
(20) Kollektive Rechte
• Recht auf politische • Rechte der Völker:
Beteiligung (21 I) Recht auf Selbstbe-
stimmung, auf kultu-
• Recht auf Zulassung
relle Verschiedenheit,
zu öffentlichen Äm-
auf Entwicklung, Frie-
tern (21 II)
den, Sicherheit sowie
• allgemeines, gleiches auf eine intakte Um-
und geheimes Wahl- welt
recht (21 III)
• Rechte der kommen-
den Generationen
bzw. zukünftige
Rechte zukünftiger
Individuen
12

Anmerkungen
1
USCCB: Nationale Konferenz der katholischen Bischöfe der Vereinigten Staaten von Amerika: Gegen
Unmenschlichkeit in der Wirtschaft. Der Hirtenbrief „Wirtschaftliche Gerechtigkeit für alle“ [1986],
Freiburg-Basel-Wien 1987, Pastoralbotschaft Nr. 14, Originalfassung unter: https://www.usccb.org/
upload/economic_justice_for_all.pdf.
2
Bundesverfassungsgericht: Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16 -, Rn. 64,
http://www.bverfg.de/e/rs20180718_1bvr167516.html.
3
SRU: Zur Umsetzung einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung. Umweltgutachten 1996 des Rates
von Sachverständigen für Umweltfragen (BT-Drs. 13/4108), Bonn 1996, Nr. 8,
https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/01_Umweltgutachten/1994_2000/1996_Um
weltgutachten_Bundestagsdrucksache.html.
4
Vgl. Nell-Breuning, Oswald von: Gerechtigkeit und Freiheit. Grundzüge katholischer Soziallehre,
München 21985, 54.
5
Vgl. Mieth, Dietmar: Moral und Erfahrung, Bd. 2, Freiburg-Fribourg 1998, 179.
6
Franziskus: Enzyklika Laudato si’ über die Sorge für das gemeinsame Haus (Verlautbarungen des
Apostolischen Stuhls 202, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz), Bonn 2015,
https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/dossiers_2015/VAS_202.pdf.
7
Die in Klammern angegebenen Artikel beziehen sich jeweils auf die „Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte“ (AEMR) von 1948, https://www.ohchr.org/EN/UDHR/Pages/Language.aspx?
LangID=ger. Die meisten ihrer Bestimmungen werden inzwischen als Völkergewohnheitsrecht
angesehen. Außerdem muss die AEMR in Verbindung mit dem Zivil- und dem Sozialpakt
(Unterzeichnung: 1966, Inkrafttreten: 1976) betrachtet werden, https://www.kath-theologie.uni-
osnabrueck.de/fachgebiete/christliche_sozialwissenschaften/materialien/materialsammlung_menschen
wuerde_und_menschenrechte.html.
8
Dieses Gesetz (http://www.gesetze-rechtsprechung.sh.juris.de/jportal/?quelle=jlink&query=NParkG+SH
&psml=bsshoprod.psml&max=true&aiz=true) wurde ausgewählt, weil hier, möglicherweise erstmalig,
der Eigenwert und ein daraus resultierendes Schutzrecht der Gesamtheit der Natur rechtlich formuliert
wurden (vgl. § 1 BNatSchG, https://www.gesetze-im-internet.de/bnatschg_2009/__1.html).
9
Franziskus: Rede vor der UN-Generalversammlung, New York 25.9.2015, http://www.vatican.va/
content/francesco/de/speeches/2015/september/documents/papa-francesco_20150925_onu-
visita.html.
13
Kopiervorlage
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ausgedruckt werden kann.
Ethische Maßstäbe
Dimensionen Individualethik Sozialethik Umweltethik
Ethische Maßstäbe Personaler Aspekt Gesellschaftlicher Aspekt Ökologischer Aspekt
Christliches Bild vom Menschen in Mensch Gesellschaft Natur
Gesellschaft und Natur Mensch = Bild / Statue Gottes; Mensch = ein soziales Wesen, das Mensch = ein Naturwesen, das
Mensch = Leib-Geist-Seele- eine einmalige, vernunft- und notwendig auf seine Mitmen- notwendig auf seine außerhu-
Einheit; kein isoliertes Wesen, moralfähige Person mit einer in- schen bezogen und angewiesen mane Mitwelt bezogen und ange-
sondern eingebettet in Gesell- härenten, unantastbaren, glei- ist; die gleiche Würde aller ist wiesen ist; dieser kommt ein zu
schaft und Natur, zugleich Indivi- chen, unbedingt zu achtenden wechselseitig zu achten und achtender und zu schützender Ei-
duum, Gesellschafts- und Natur- und zu schützenden Würde strukturell, institutionell und genwert, eine eigene Würde zu
wesen rechtlich zu schützen
Freiheit und Freiheit sich selbst zu bestimmen Freiheit ist immer sozial verpflich- Freiheit ist immer ökologisch ver-
Verantwortung und zu entfalten (Freiheit zu …) tet, d. h. mit der Freiheit der an- pflichtet, d. h. mit der Freiheit der
gehören zusammen und beinhal- sowie Freiheit von Fremdbestim- deren Menschen zum Ausgleich nicht-menschlichen Geschöpfe
ten die Pflicht zur Befreiung aus mung (Freiheit von …) zu bringen zum Ausgleich zu bringen
Unfreiheit
Liebesgebot „Die Verpflichtung, ‚unseren „[…] aber sie fordert auch ein … sowie eine Ausweitung auf die
meint die Verpflichtung zur Ach- Nächsten [, sich selbst, den frem- weitergehendes soziales Engage- ganze Schöpfung in „Ehrfurcht
tung der anderen (Wohlwollen) den, ja auch den mir / uns feind- ment für das Gemeinwohl“ 1 vor dem Leben“ (Albert Schweit-
und zu konkreten Taten der Liebe lich gesonnenen Mitmenschen; zer)
(Wohltun) (vgl. Goldene Regel, A. L.] zu lieben’, hat eine individu-
Kategorischer Imperativ) elle Dimension, […]“

Gerechtigkeit Gerechtigkeit als Tugend Soziale Gerechtigkeit Umweltgerechtigkeit


verlangt, auf der Basis gleicher ist der beständige und allgemein • welt-/gesellschaftlich sowie ge- Verantwortung der Menschen für
Würde und gleicher Rechte „we- gültige Wille, jedem das Seine genüber den vergangenen und ein gerechtes Verhältnis zur au-
sentlich Gleiches gleich und we- und jeder das Ihre (suum cuique) kommenden Generationen ßerhumanen Mitwelt
sentlich Ungleiches ungleich zu zukommen zu lassen, und zwar • Verteilungs-, Beteiligungs-,
behandeln“2 sein bzw. ihr Recht (Ulpian, Tausch- und Verfahrensgerech-
Thomas von Aquin) tigkeit
Frieden Frieden mit sich selbst (Seelen- sozialer Frieden: Frieden im Verhältnis der Men-
im Sinne von Sicherheit und Ge- frieden) und eine daraus resultie- • inner- und schen zur außermenschlichen Na-
waltlosigkeit und als Werk der rende Haltung der Friedfertigkeit • zwischenstaatlich tur
Gerechtigkeit • zwischen Weltanschauungen,
(Jesaja 32,17) Religionen, Ethnien

vorrangige Option für die Armen verlangt eine Positionierung auf zielt auf die Überwindung der auch die außermenschlichen Kre-
und Nichtbeteiligten der Seite der Armen und Nichtbe- strukturellen Ursachen von Ar- aturen sowie die Ökosysteme und
Liebe und Gerechtigkeit fordern teiligten, ein Hören auf ihren oft mut und Ausgrenzung, auf eine die Schöpfung insgesamt bedür-
‚not-wendig‘ die advokatorische stummen Schrei sowie die Be- inklusive Gesellschaft und auf die fen des anwaltschaftlichen Einsat-
Parteinahme, weil, insofern und trachtung der Wirklichkeit und Schaffung menschenwürdiger Le- zes zur Realisierung ihrer berech-
so lange (Subsidiaritätsprinzip!) der Probleme aus ihrer Perspek- bensverhältnisse für alle tigten Bedürfnisse und Interes-
andere ihr Recht nicht selbst er- tive sen, zum Schutz bzw. zur Wieder-
streiten können herstellung ihrer Integrität

Prinzipien, die dem ‚positiven‘ (in Personalität Gemeinwohl Nachhaltigkeit


Gesetzen formulierten) Recht zu die menschliche Person ist in sich das gemeinsame Wohl aller, die Ziel ist „eine an der Würde und
Grunde liegen und übergeordnet Selbstzweck; ihre Achtung und ihr in Bezug auf ihre Existenz, ihre Verantwortungsfähigkeit des
sind Schutz hat daher Ausgangspunkt Daseinsgestaltung und Bedürfnis- Menschen orientierte ökonomi-
jeder Ethik zu sein befriedigung untereinander ver- sche und soziale Entwicklung, die
flochten sind zugleich dauerhaft-umweltge-
recht sein soll“3
Heuristische Verwirklichungs- Subsidiarität Solidarität Retinität
maximen, die dem ‚Auffinden‘ schützt die Freiheit und Selbstän- fordert als „Gemeinverhaftung“ 4 fordert die Einbettung aller ge-
(von griech. εὕρηκα, heureka, ich digkeit der Person bzw. der klei- bzw. als Con- und Pro-Solidarität5 sellschaftlichen Prozesse in das
hab’s gefunden) konkreter Hand- neren Einheiten vor dem Über- die Rücksichtnahme auf die Ge- sie tragende Netzwerk ökologi-
lungsnormen und Problemlösun- griff der größeren sozialen Ein- meinschaft und den Einsatz für scher Regelkreise
gen dienen heit, nimmt letztere aber in Gerechtigkeit
Pflicht, wenn die kleinere Einheit
ihre legitimen Ziele nicht oder nur
schlecht allein verwirklichen kann
Dimensionen Individualethik Sozialethik Umweltethik
Ethische Maßstäbe Personaler Aspekt Gesellschaftlicher Aspekt Ökologischer Aspekt
Weitere Kriterien zur Operationa- Verursacherprinzip als rückwirkendes Kostenzurechnungsprinzip für entstandene Schäden und voraus-
lisierung der Gerechtigkeit schauende Pflicht zur Vermeidung von Belastungen für Mensch und Natur (Nichtverursacherprinzip)
Vorsorgeprinzip als Prinzip der Minderung von Risiken und Schonung der natürlichen Lebensgrundlagen,
besonders bei Entscheidungen unter Unsicherheit
Prinzip der Beweislastumkehr verlangt, dass für jedes riskante Produkt oder Projekt ein „objektiver und
schlagender Nachweis […] erbracht werden“, dass es „keine schweren Schäden für die Umwelt und ihre
Bewohner verursachen wird“ (LS 186) 6
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Prinzip einer Ethik der Mittel, wonach alle Maßnahmen geeignet,
erforderlich und angemessen sein müssen
Menschenrechte7 und Rechte der Freiheits- und Wirtschaftliche, soziale Rechte der
außerhumanen Natur Mitbestimmungsrechte und kulturelle Rechte außerhumanen Natur
buchstabieren aus, was Gerech- • Recht auf Leben, Freiheit, • Recht auf soziale Sicherheit (22) • Recht auf Schutz: „Die Gesamt-
tigkeit meint Sicherheit der Person (Art. 3-5 • Recht auf die unentbehrlichen heit der Natur in ihrer natürli-
AEMR) wirtschaftlichen, sozialen und chen Entwicklung mit allen
erstere sind rechtlich entfaltet in • Gleichheit vor dem Gesetz kulturellen Rechte (22) Pflanzen, Tieren und Ökosyste-
internationalen Pakten und Kon- (6;7) • Recht auf Arbeit, freie Berufs- men besitzt einen zu schützen-
ventionen, in den Grundrechten • Schutz vor Diskriminierung wahl, menschenwürdige Ar- den Eigenwert.“ (§ 2 I Gesetz
vieler nationaler Verfassungen (2;7) beitsbedingungen und Schutz zum Schutze des schleswig-hol-
sowie in der Charta der Grund- • Rechtsschutz bei Grundrechts- vor Arbeitslosigkeit (23 I) steinischen Wattenmeeres –
rechte der Europäischen Union missachtung (8) • Recht auf gleichen Lohn für Nationalparkgesetz – vom
• Schutz vor Staatswillkür (Haft, gleiche Arbeit (23 II) und ange- 17.12.1999)8
Menschenpflichten Ausweisung) (9-11) messene Entlohnung (23 III) • Tierrechte auf Leben, Wohlbe-
• Pflichten gegenüber der Ge- • Schutz des Privatbereichs und • Recht auf soziale Schutzmaß- finden (artgerechtes Dasein),
meinschaft, in der allein die Rufes (12) nahmen (23 III) auf Schutz vor (vermeidbaren)
freie und volle Entwicklung der • Recht auf freie Wahl des • Recht auf Berufsvereinigungen Schmerzen, Leiden oder Schä-
Persönlichkeit möglich ist (Art. Wohnsitzes, Reisefreiheit (13) (23 IV) den (Art. 20a GG; § 1 TierSchG)
29 I AEMR) • Asylrecht (14) • Recht auf Erholung, Freizeit, • die Rechte der „natürliche[n]
• Pflicht zur Anerkennung und • Recht auf eine Staatsangehö- bezahlten Urlaub (24) Umwelt“ „müssen […] mit
Achtung der Rechte und Frei- rigkeit (15) • Recht auf Nahrung, Kleidung, Nachdruck behauptet werden,
heiten der anderen (29 II) • Recht auf Ehe und Familie (16) Wohnung, ärztliche Betreuung, indem man den Umweltschutz
• Recht auf privates oder ge- soziale Fürsorge (25 I) verstärkt […]. Vor allem ist zu
meinschaftliches Eigentum • Recht auf Sicherheit bei Ar- bekräftigen, dass es ein wirkli-
(17); Recht auf Schutz geistigen beitslosigkeit, Krankheit, Alter ches ‚Recht der Umwelt‘ gibt“
Eigentums (27) (25 I) (Franziskus 2015, 2)9
• Gedanken-, Gewissens-, Religi- • Recht auf Bildung (26)
onsfreiheit (18) • Recht auf Teilhabe am Kultur-
• Recht auf freie Meinungsäuße- leben (27)
rung und Information (19)
Kollektive Rechte
• Versammlungs- und Vereini-
gungsfreiheit (20) • Rechte der Völker: Recht auf
• Recht auf politische Beteiligung Selbstbestimmung, auf kultu-
(21 I) relle Verschiedenheit, auf Ent-
• Recht auf Zulassung zu öffentli- wicklung, Frieden, Sicherheit
chen Ämtern (21 II) sowie auf eine intakte Umwelt
• allgemeines, gleiches und ge- • Rechte der kommenden Gene-
heimes Wahlrecht (21 III) rationen bzw. zukünftige
Rechte zukünftiger Individuen
© Andreas Lienkamp 2020
Anmerkungen

1 USCCB: Nationale Konferenz der katholischen Bischöfe der Vereinigten Staaten von Amerika: Gegen Unmenschlichkeit in der Wirtschaft.
Der Hirtenbrief „Wirtschaftliche Gerechtigkeit für alle“ [1986], Freiburg-Basel-Wien 1987, Pastoralbotschaft Nr. 14.
2 Bundesverfassungsgericht: Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 -, Rn. 64.
3 SRU: Zur Umsetzung einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung. Umweltgutachten 1996 des Rates von Sachverständigen für
Umweltfragen (BT-Drs. 13/4108), Bonn 1996, Nr. 8.
4 Vgl. Nell-Breuning, Oswald von: Gerechtigkeit und Freiheit. Grundzüge katholischer Soziallehre, München 21985, 54.
5 Vgl. Mieth, Dietmar: Moral und Erfahrung, Bd. 2, Freiburg-Fribourg 1998, 179.
6 Franziskus: Enzyklika Laudato si’ über die Sorge für das gemeinsame Haus (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 202, hrsg. vom
Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz), Bonn 2015.
7 Die in Klammern angegebenen Artikel beziehen sich jeweils auf die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ (AEMR) von 1948. Die
meisten ihrer Bestimmungen werden inzwischen als Völkergewohnheitsrecht angesehen. Außerdem muss die AEMR in Verbindung mit
dem Zivil- und dem Sozialpakt (Unterzeichnung: 1966, Inkrafttreten: 1976) betrachtet werden.
8 Dieses Gesetz wurde ausgewählt, weil hier, möglicherweise erstmalig, der Eigenwert und ein daraus resultierendes Schutzrecht der
Gesamtheit der Natur rechtlich formuliert wurden (vgl. § 1 BNatSchG).
9 Franziskus: Rede vor der UN-Generalversammlung, New York 25.9.2015.

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