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Bruner, Jerome – Sinn, Kultur und Ich-Identität

Vorwort
Umgebung des Buches: zersplitterte Psychologie und keine Wechselwirkungen mit Geistes-oder
Sozialwissenschaften
positivistischer Stil der „Vorgänger“ im 19. Jahrhundert
Chomsky – Descartes, Piaget – Kant, Wygostki – Hegel, Marx, Bastion (Lerntheorie) – John Locke,
Apostel Freuds – bioenergetische Tradition
Kernfragen: Nietzsche und Peirce, Austin und Wittgenstein, Jakobsen und de Saussure, Husserl und
Cassirer, Foucault und Searle
Geistige Sinnerzeugung als Kernelement (Interpretationsfläche) vs Methodologische Wissenschaft
(Reduktionismus, Kausalerklärung, Vorhersage)

Menschen-Forschung
I kognitive Revolution
Wiedereinbringen des Geistes in die Psychologie und damit die Subjektivität
Bruners persönliches Verständnis der Revolution in den 50ern: Ersetzen des Behaviorismus, nicht
Reformation
Jedoch: Verlagerung des Fokus von der Konstruktion der Information zur Verarbeitung der
Information und damit Spezifizierung und arbiträre Kodierung der Information → keine Vagheit
und Polysemie (des natürlichen Geistes) möglich: Technologie > Mensch
→ auch Verstehen des Menschen unter diesem technologischen Framework
Rechenprogramm als „Virtueller Geist“
Stimuli – Reaktion → Input – Output : Reglement ohne Emotionen,
Rechnen als Basismetapher des Geistes → Angriff auf mentale Zustände und Intention
Täter und Ziele: Nebenprodukt
KI: Abkürzung nach Zipfs Gesetz oder Scham?
stärker interpretatives „Schaffen von Bedeutung“ in Anthropologie, Linguistik, Philosophie, …

II konstitutive Rolle der Kultur


seit langem existierende Symbolsysteme für die Sinnkonstruktion
biologische Evolution parallel zur Evolution gemeinschaftlich geteilter Symbolsysteme
a) konstitutives Element der Kultur: Teilhabe an Kultur machen individuelle Psychologie erst
möglich
b) individuelle Psychologie muss daher im Kontext dieser Kultur und der sinnstiftenden Symbole
und Prozesse verstanden werden: das Individuum positioniert sich andauernd im Kontext
öffentlicher Bedeutungen und alle führen Prozeduren des gemeinschaftlichen Verhandelns und
Interpretieren durch
c) Alltags- oder Laienpsychologie („folk psychology“) (Kapitel 2)
Verständnis der intentionalen Zustände: Überzeugungen, Wünsche, Intentionen, Verpflichtungen
in Sprache, Dialogen und Erzählungen verwurzelt
Kulturpsychologie und Kulturgeschichte gehen Hand in Hand

III Das Misstrauen gegenüber dem subjektiven Geist


Diskrepanz zwischen dem, was Menschen sagen und dem, was Menschen tun
Vorhersagekraft: Inhalte von Gesagten unter „wahr“ oder „falsch“ bewertet
Aber: das Gesagte selbst als konstituierender Akt dabei nicht beachtet
„Sagen“ ist selbst ein „Tun“ → Sprechakte
Handeln (intentional begründet) vs Verhalten (objektiv betrachtet)

IV Kultur als Schöpfungskraft mit biologischen Einschränkungen


Frage nach quasi-biologischen Universalien mit lokalen Variationen
Annahme von Biologie/Natur als Unterbau und Kultur als Überbau
Biologie als einschränkendes Substrat, natürliche Grenzen der (für sich selbst agierenden?)
kulturellen Schöpfungskraft: Kultur formt den Geist

V Prä-kulturelle Ur-Realität
konstruktivistische Praxis: Gedanken hier drinnen, Schlussfolgerungen da draußen
Perspektive des Wissens: gibt es „absolutes“? → pragmatische Wahrheit
Interpretation von „Unterschieden in Schulleistungen zwischen verschiedenen Rassen“ → Zeichen
für Intelligenzunterschiede, systemischer Benachteiligung, Orientierung der Messung an Nutzen für
herrschende Schicht
aus Wirtschaft: rationale Entscheidungstheorie → Urteile nach direktem Kosten/Nutzen,
Nachteil/Vorteil
aber: „Werte entspringen einer Verpflichtung zu bestimmten ‚Lebensweisen‘“und komplexes
Interagieren der Lebensweisen konstituiert Kultur
Pluralismus: Clash der an „absolute Wahrheit“ festhaltenden Werte
geistige Offenheit der Kultur ihre eigenen Werte zu erhalten und loszulassen

VI gegensätzliche Position der naturwissenschaftlichen Psy. vs der Alltagspsy.


Gelebte Werte vs Wissenschaft der Fakten
Wissenschaft als Kulturkritik: Fakten müssen Eingang in Umgang mit Werten finden

Alltagspsychologie als Instrument der Kultur


I Zentraler Begriff der Psy: Bedeutung bzw. Sinn
a) Wie werden Erfahrungen und Handlungen durch intentionale Zustände geformt

b) Form der intentionalen Zustände wird durch die Teilhabe an den Symbolsystemen der Kultur
verwirklicht

Wechselwirkung aus Kultur und Biologie: Selektionskriterien

II Geschichte des Verständnisses der „Alltagspsychologie“

Ethnologie-Untersuchungen → Ethnopsychologie
Soziologie: naive Psychologie
Kulturelle Institutionen: Reflekt des menschlichen Verhaltens → institutionelle Matrix auf Grund
derer Realität konstituiert wird (Bsp.: Verkehrspolizisten und Kontrolle)

III ICH-NATUR

Konstituenten: elementare Überzeugungen und Vorannahmen


GLAUBEN, dass die Welt auf eine Art organisiert ist und deswegen WOLLEN wir bestimmte
Dinge: Überzeugung und Intention; [aus GLAUBEN → WOLLEN entsteht NORM]
Erzählungen, wenn kanonischer Ablauf gebrochen wird
Welt = Kontext; Weltwissen in Abgleich mit Wünschen → Pläne für Wünsche
Trennung von Außenwelt und Innenwelt: drei Bereiche
a) Steuerung du eigene intentionale Zustände: das ICH, selbstverantwortlich => Alltagspsychologie
b) Mischung aus a) und c), problematisch und unproblematisch => Magie/Scientismus
c) Die NATUR: nicht verantwortlich => Alltagsphysik/biologie

Ich: Vorstellungen aus dem, was man werden kann, was man werden möchte, und was man zu
werden fürchtet

IV Erzählen
1)
a) inhärente Sequenz von Ereignissen, mentalen Zuständen und Geschehnissen
b) Konstituenten: leblose Menschen mit Charakteren/Akteure,
Akteure erhalten Leben in ihrer Rolle in der Sequenz

2)
Erzählung kann real oder imaginär sein: Sinn von Referenz der Geschichte abgetrennt
→ Bsp.: Narrativierung von Geschichte

Biologie: Prädisposition, Erfahrung in eine narrative Form zu gießen (vs. Jungs Archetypen)
V
Alltagspsychologie als Träger des Kanonischen: Das Erwartbare und das Gewöhnliche der
menschlichen Existenz in abgegrenzten Situationen: Normen
Viabilität der Kultur: Fähigkeit Konflikte zu lösen, Differenzen zu klären, gemeinschaftliche
Bedeutungen immer wieder auszuhandeln
Narrative und Geschichten stellen diese Sinn der Norm her
a) situations-/oder rollenadequat nach Roger Barker
Konversationsmaximen nach Paul Griece
Begründung: tut man so, soll man so machen
b) vom Üblichen abweichend: → Narrativ

VI dramatische Qualität
[Resümee: drei Merkmale des Erzählens
a) Sequentialität
b) Indifferenz gegenüber Fakten
c) einzigartige Bearbeitung jeder Abweichung des Kanonischen
Und weiters:]

d) dramatische Qualität – fünf Elemente nach Burkers


1) Akteur
2) Handlung
3) Ziel
4) Schauplatz
5) Instrument

→ Ambivalenz oder Unklarheit einer dieser fünf Elemente

moralische Frage muss sich auf moralisch Richtigkeit beziehen


Handlungen müssen auf Ziele abgestimmt sein
Instrumente auf den Schauplatz

zwei Elemente nach Bruner: zweifache Landschaft


Ereignisse und Handlungen ein einer vermeintlich „realen“ Welt
Mentale Ereignisse im Bewusstsein der Protagonisten
=> Ungleichheit oder Störung: Energien, die die Geschichte vorantreiben

VII

Strukturelle Verwandschaft zwischen „fiktional“ und „empirisch“


Sprachliche Ambivalenz: histoire, storia, story: wahr oder fiktional?

Gute Geschichte: offen für Interpretation, ambivalente Aussage, Deutungsvielfalt →


„konjunktivisch“

zwei (vermutete) Funktionen der konjunktivischen Literarität


1) leichteres Eintreten und Identifizieren
2) Tänzer vom Tanz unterscheiden: soziales Aushandeln, statt Bericht einer Perspektive

VIII Organisation von Erfahrung

a) Der Rahmen / das Framing: die Form der Erzählung


b) Affektregulierung im Interesse des kulturellen Zusammenseins: Narrativ stabilisiert die
Erinnerung stabilisiert das Gefühl

IX
Erzählen als Weise des Sprachgebrauchs: Nutzung von Tropen: Metapher, Metonymie, Synekdoche,
Implikatur
Vom Einzelnen zu Emblemen → symbolische Persönlichkeit (der Güte, des Mitgefühls, der
Klugheit): Interpretation und nicht Logik
metaphorisch, anspielend, kontextsensitiv: Lebenswahrheit, Wahrhaftigkeit
Intention von Äußerungen: Bitten, Versprechen, Warnen, rituelle kulturelle Funktion (Taufe)
Kommunikative „Glückensbedingungen“ der Äußerung
Ineinander verschachtelte Bedeutungselemente: Satz für Satz ergibt Text und Wort für Wort ergibt
Satz

Der Eintritt in das Reich der Bedeutung


I
Narrative Explikation: Rahmen des Idiosynkratischen auf lebenswahre Weise um Streit und
Zerwürfnis zu vermeiden
=> Aushandeln und Wiederverhandeln in Erzählung
auch in Mythen

II Das Hineinwachsen in die Sinn- und Bedeutungssysteme: Theorie des Geistes


Biologie der Bedeutung: Vorläufersystem der sprachlichen Symbole
vs Chomsky: weitaus mehr Unterstützung und Interaktion mit Pflegeperson
drei Thesen zum frühen Spracherwerb:
a) lernen was (zeichen), aber auch wie, wo, zu wem und unter welchen Bedingungen
b) zeigen, benennen, bitten und irreführen: bereits vor Spracherwerb als kommunikative Funktion
und Intention verankert, aber besonders: gemeinsame gerichtete Aufmerksamkeit, Sprecherwechsel,
wechselseitiger Austausch
c) a)+b)= kontextintensiver Spracherwerb: vorsprachliche Fähigkeit zu verstehen, worüber
gesprochen wird

=> wie erfasst das Kind die Bedeutung von Situationen oder Kontexten? Vorsprachliche Anlagen
für Bedeutung =?= chomskys bioprogramm

Referenten auf: Repräsentationen: Prädispositionen, Handlungen und Ausdrucksverhalten von


Menschen zu verstehen: Konstruktion der sozialen Welt => Theorie des Geistes (anderer Menschen)

III
keine formale Kontinuität zwischen vorsprachlichen und sprachlichen Formen
Syntax: arbiträr zu Bedeutung
Ordnung des Erwerbs spiegelt (?) kommunikative Bedürfnisse
nicht Sprachstrukturen, sondern „Diskurseinheiten“ mit pragmatischer (andere tun etwas für uns)
oder mathetischer (die eigenen Gedanken klarmachen) Gesprächsfunktion
davon eine, mächtigste Form: Erzählen
Spiegelt der Spracherwerb die vier grammatischen Konstituenten wider?

1) Menschliches Handeln und Täterschaft im Vordergrund


a) grundlegende Idee der Referenz
b) etwas benennen, seine Wiederkehr und sein Ende
c) menschliches Handeln und Ergebnisse, besonders menschliche Interaktion: Akteur-Aktion,
Aktion-Objekt, Akteur-Objekt, Aktion-Ort, Besitzer-Besitz: wesentlicher Teil der semantischen
Beziehungen
in referentiellen Akten, Bitten, Schenken, Tausch und Kommentar

2)Kanonisch und Bruch des Kanonischen


Bereitschaft, das Ungewöhnliche zu markieren und das Gewöhnliche unmarkiert zu lassen
gestikulieren, vokalisieren und reden

3) Linearisierung
Indikativsätze SVO, dann Konjunktionen

4) Perspektive
a) Weinen und Gefühlsausbrüche
b) Betonung und Prosodie

IV
Passives Lernen: Erzählungen der Eltern und der Geschwister → „Akteur handelt in Richtung eines
Zieles mit Hilfe gewisser Instrumente in einer bestimmten einschränkenden Situation“
Vorbereitung auf die Realitäten des Lebens: in Baltimore „harte Realitäten“
Erzählungen: Triumphe in dieser Realität

V
Lernen von Handlungswissen in alltäglichen Familiendramen und der eigenen Rolle darin: was darf
man und wie rechtfertigt man sich
Eltern werden Interaktionen in Burksche Pentade erzählt → Urteile und Erlaubnisse oder Strafen:
Familienpolitik
Erzählen ist eine Rhetorik, kein simpler Bericht
VI
Narratives from the crib: Emily zwischen 18-30 Monate
Selbstgespräche: Mittel laut nachzudenken, grammatisch komplexer, ausgedehnter vom Hier-und-
Jetzt – Bemühung um „Sinn-Geben“ ihrer Erlebnisse => „Gesamtstruktur (… von dem) was sie
getan hatte, zusammen mit dem, was sie fühlte und dem was sie glaubte, einordnen“ zu können
Größerer Wortschatz und Grammatik Ausdruck des Wunsches eine serielle Ordnung zu entwickeln,
spezielle Eigenschaften zu markieren und einen bestimmten Standpunkt auszudrücken
mit Sprache spielen oder Sinn durch Sprache konstituieren?

VI

Drei Leistungen der narrativen Selbstgespräche


1) Beherrschung der sprachlichen Formen, die einer linearen, gedrängten Sequenzierung dienen
dessen „was geschehen“ war
a) einfache Konjunktionen, Temporalausdrücke („und dann“), Kausalkonjunktion „weil“
2) Abgrenzung des Kanonischen vom Unkanonischen
a) manchmal, immer
b) deontische Notwendigkeit: muß,soll (comm il faut) [normen und regeln] zeitloses präsens,
„wenn“; ab 22-33 Monaten Häufung der zeitlosen Berichte
c) persönliche Perspektive und Bewertung in ihren narrativen Darstellungen → eigene Zweifel und
Ausdruck von Gefühlen (Akteur) vs Ungewissheiten der Welt (Situation)

zwei Gattungen, erzählend/beschreibend und problemlösend


VII
Werte der Kultur schaffen: Erzählen
Zusammenbruch der Kultur:
a) tiefgreifende Uneinigkeit über das, was das Gewöhnliche und Kanonische und das
Außergewöhnliche und Divergente konstituiert
b) rhetorische Überspezialisation des Erzählens durch Ideologie: Mißtrauen verdrängt Verstehen
und das „was geschah“ wird als Fabrikation anerkannt
c) Verarmung der rhetorischen Mittel: wenn Lebensforderungen Dialoge und Erzählungen
verdrängen

Autobiographie und Ich

I
Introspektion: ebenfalls top-down Schematisierung unterworfen
Idee des beobachtbaren Ichs vs Vorstellung eines begrifflichen Ichs mittels Reflexion
welche Prozesse schaffen diese Ich per Reflexion? Gehört Familie dazu?
→ a) Kognitivismus: Lernen = Wissenserwerb
→ b) transaktionelle Perspektive: dialog-abhängiges Ich

Ad a) Testmessungen des Ichs: Intelligenz, Selbstaussagen


Tierversuche: in welchen Umgebungen gemessen?
Ad b) Situation der Handlung → Teil der Erklärung
Ich als dauerhafter, subjektiver Kern oder „distribuiert“?
Gergen: Regeln der sozialen Wirklichkeit
ab 70er/80er: ich als Erzähler, narrative Wende
Psychoanalyse: Inhalt, aber auch Form der Erzählung

II Bruners Kulturpsychologie
a) Untersuchung von Bedeutungen mittels derer das Ich von sich und der Kultur definiert wird
b) Untersuchung der Praktiken der Herstellung des Ichs: Beschwörungen, Suchen des Ich
Erklärungen der Menschen sich selbst gegenüber
III
Konstruieren longitudinaler Erzählungen: spontane Autobiographien
Gattungsmerkmale: Opfergeschichte, Bildungsromane, Antiromane, Wanderungsgeschichten,
schwarze Komödien
moralische rechtfertigung > kausaler notwendigkeit
Prässupositionen: „bescheidene Kindheit“ „träumerisches Kind“… was wird expliziert, was
impliziert?
IV Studien: Familie Goodhertz
Impulsfragen
V Skizzierung
Darstellung der einzelnen Erzählungen
VI Thema: Öffentliche Gefahr vs private Geborgenheit
in allen Erzählungen vorkommend
VII
Historischer Kontext der Privatheit
VIII
Zusammenfassung

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Extraktionen
Situationen gestalten in denen Narrative entstehen können: Einschränkungen, Ziel, Instrumente,
Akteure,
am besten um kommunikative Schlüssel herum gruppiert, bzw sind verschiedene Schlüssel möglich

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