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PRINZIPIEN
DER GESCHICHTS- UND
KULTUR SOZIOLOGIE
HiV\|OH
W373
D
20377.1
Einband und Schutzumschlag von Emil Preetorius
Satz und Druck: C. Brügel& Sohn, Ansbach
Copyright 1951 by R. Piper & Co. Verlag München
Printed in Germany
MEINEN SCHÜLERN
AUS DER ZEIT VOR UND NACH DEN BEIDEN WELTKRIEGEN
INHALTSÜBERSICHT
VORBEMERKUNG 9
ALLGEMEINPRINZIPIEN
A. Einführung aus Bekanntem, zugleich Ab-
grenzung 11
Auf der anderen Seite ist für die Analyse des geschichtlichen
Ganzen oder jedes seiner Teile als einer Gesamtstrukturgestaltung
die derart in ihren Prinzipien vorgeführte innere Strukturlehre
nur ein Teil. Sie ist zu ihrer Vervollständigung einzustellen in
den äußeren Strukturaufbau der Geschichte. Erst in diesem wird
sie voll real und erreicht sie ihren empirischen Vollzug.
Welche Faktoren hier zusätzlich entscheidend werden und daß
Kombination von innerer und äußerer Strukturlehre der
es in einer
Geschichte auch eine echte Lehre vom Aufbau der geschichtlichen
Gesamtstruktur gibt, davon wird in einer kleinen späteren Schrift
zu handeln sein.
In ihr, in der die Schranken der rein soziologischen Betrachtung
zu sprengen sein werden und diese einzustellen sein wird in einen
größeren Rahmen, wird auch auf diejenigen Fragen erst eine zum
mindesten theoretisch ganz abgerundete Antwort gegeben werden
können, die als die zentralsten im Hintergrund der Kulturge-
schichte als Kultursoziologie und auch dieser hier mitgeteilten
Prinzipien stehen, - nämlich auf die Fragen nach dem geistigen
und dem Art- Schicksal des heutigen Menschen.
Die soziologische Analyse kann hier für sich allein zu keinem
vollen Abschluß kommen. Es müssen dafür anthropologie- und
transzendenzbezogene Deutungsmittel mitherangezogen werden.
Wo Ergänzung einzugreifen haben, wird sich, wie ich
diese als
den darauf hinweisenden Stellen dieser Schrift ergeben.
hoffe, aus
Wie die Ergänzung zu geschehen hat, davon rede ich allerdings
erst später.
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ALLGEMEINPRINZIPIEN
felt halb und halb daran, bejaht es aber für seine Deutung schließ-
lichdoch1 ).
Aber er wußte genau, daß es die Gegenwartslage und die Fragen,
die diese aufwirft, sind, die aus dem Bedürfnis der Diagnose und
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ALL GEMEINPRINZIPIEN
tung nämlich, daß die Menschheit eine religiöse, dann eine meta-
physisch-philosophische und am Schluß eine empirisch-wissen-
schaftliche Periode durchlaufe mit einer wissenschaftlich unter-
bauten Gesamtorganisation des Daseins am Ende. - Sei es die ge-
schichts-materialistische von Marx, die bekanntlich sagt, die
menschliche Geschichte sei eine auf der Entfaltung der Produktiv-
kräfte ruhende Geschichte der Klassenkämpfe mit dem Endresul-
tat der Befreiung der Menschheit durch das Proletariat, und alle
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EINFÜHRUNG UND ABGRENZUNG
Kreislaufbewegung von Barbarei über Kultur zur sogenannten
Zivilisation, die hier Erstarrung und Verfall der verschiedenen
Geschichtskörper bedeutet.
Art zu fragen, mit der man an die als Ganzes unbe wältigbare
Masse des geschichtlichen Stoffs herangeht. Und zweitens ver-
gessen sie das aus dieser Erkenntnis zu folgernde weitere Postulat,
daß man bei dieser Art zu fragen nicht bloß unterscheiden muß
zwischen Frage, geschichtlich befragtem Stoff und Auswahl aus
demselben, sondern daß man sich auch methodisch unvorein-
genommen klarwerden muß darüber, was eigentlich die Zusammen-
fassung, die man dem ausgewählten Stoff gibt, in ihrem Wesen
darstellt.
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ALL GEMEINPRINZIPIEN
dessen bewußt, was sie tut, von welchen Prinzipien der Analyse
und Zusammenfassung des Geschichtsstoffs sie ausgeht. Sie sagt
nämlich, um das Strukturprinzip, nach dem sie analysiert und zu-
sammenfaßt, zu bestimmen: dieses ergebe sich aus der Tatsache,
daß sich die Geschichte in einer sog. Realdialektik, will sagen, in
der Form und Synthese
realistisch gedachter These, Antithese
aller ihrer Elemente bewege. Es komme
nur darauf an, diese
also
Dialektik und ihre Umschwünge festzustellen, dann kenne man
den Gesamtverlauf der Geschichte in der Vergangenheit und auch
für die Zukunft.
Nun Das
! ist eine reine Behauptung philosophisch-theoretischen
Ursprungs, die bekanntlich aus der realistischen Umstülpung des
Hegeischen geistigen Panlogismus der Geschichte folgte. Ich gehe
darauf hier nicht ein. Denn ein unbefangen an den geschicht-
lichen Stoff Herantretender muß offenbar zunächst einmal ganz
unbefangen fragen: wie bewegt denn die Geschichte? Es
sich
kann sich für ihn erst aus empirischer Feststellung ergeben, ob sie
sich dialektisch, d. h. in fortgesetzten Thesen und Antithesen und
Synthesen, bewegt oder anders. - Und so ist die erste Frage unserer
eigenen universalgeschichtlichen Betrachtung geworden in welchen :
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EINFÜHRUNG UND ABGRENZUNG
Diese Frage oder dieser Fragenkomplex, mit dem unsere kul-
turell orientierte universalgeschichtliche Betrachtung an den hi-
storischen Stoff herantritt, lautet: wie steht es, ganz allgemein ge-
sehen, mit dem seelisch-geistigen Wesen des Menschen und mit
seinen Wandlungen und Variationen im Geschichtsprozeß ? Ver-
möge welcher Bedingungsveränderungen gehen diese seelisch-
geistigen Wandlungen und aufeinanderfolgenden oder nebenein-
anderstehenden Verwandlungen oder Variationen vor sich, auf die
wir treffen ? Und wie und in welcher Abfolge emanieren daraus
die großen,von der Menschheit als geschichtsbedeutsam, ja viel-
empfundenen Schöpfungen und Leistungen und
leicht universell
praktisch wesentlichen Gestaltungstendenzen ? Seien diese nun
verschiedene Sinndeutungen des menschlichen Gesamtdaseins in
seinen mannigfachen Religionen, Philosophien oder sonstigen ob-
jektivierten Stellungnahmen, seien es die natürlich oder ideell
fundierten Formungstendenzen des Gesamtdaseins, vor allem na-
türlich auch der Sozialstruktur, seien es die rein erkenntnismäßigen
Ergreifungen des Daseins, seien es zweckfreie, künstlerische Schöp-
fungen der Literatur, bildenden Kunst, Musik, sei es die Formung
des alltäglichen Lebens durch Sitte, Konvention und durch Ge-
wohnheit, seien es die subjektiv bleibenden Haltungen des kontem-
plativen Daseinsund dergleichen weiter. Diese Fragen sind in
ihren Wurzeln allumfassend und sehr zentral. Und es zeigt sich,
daß der innere Strukturaufbau der Geschichte, die Innengliede-
rung, die sich aus ihnen ergibt, auch anwendbar ist für andere
Fragen, die man an den universalgeschichtlichen Stoff richten
kann und gerichtet hat, so etwa diejenigen, welche die bisher übliche
Historie an ihn stellte, die ganz vor allem nach den Machtgestal-
tungen der Völker, ihren Veränderungen und dem, was damit
zusammenhing, an innerer rechtlicher und sonstiger Organisiert-
heit, gefragt hat, die seelisch-geistigen Haltungen und deren Aus-
druck im ganzen nur wie ein Sekundäres in engerer oder loserer
Verbindung damit Stehendes behandelnd, wodurch das wesens-
mäßig menschlich Zentrale an die Peripherie geschoben wurde.
Geht man nun, dies korrigierend, mit den aus dem Zentralen des
Menschentums und seinen Auswirkungen folgenden „kultursozio-
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ALL GEMEINPRINZIPIEN
II
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EINFÜHRUNG UND ABGRENZUNG
Die äußeren Grenzen sind sehr klar. Sie wurden in der Vor-
bemerkung schon beinahe ausreichend bezeichnet. Denn der ge-
samtgeschichtliche Prozeß hat selbstverständlich nicht nur eine
innere Strukturierung, sondern auch eine äußere. Er gewinnt erst
in der Sicht des Zusammenwirkens beider Seiten volle Wirklich-
keit. Und es liegt so, daß nicht bloß in der inneren Strukturierung,
sondern auch in der äußeren sich Allgemeines und Prinzipielles
niederschlägt, das, diesen äußeren Fortgang gliedernd, ihm, in an-
derer Weise als dem inneren, doch auch eine in generellen Linien
zu umreißende Artung und deren Wandlung aufprägt. Indem wir
dieses Generelle vorerst ganz allgemein bezeichnen als den ge-
schichtsbestimmenden Einfluß des Verhältnisses von Mensch und
Erde und seiner Wandlungen, überlassen wir die Konkretisierung
der darauf im Zusammenwirken mit der inneren Strukturierung
beruhenden Aufbaulinien der Gesamtgeschichte der Erörterung
an dem genannten späteren Ort 1 ). Wesentlich ist hier nur, nicht zu
vergessen, daß zu voller, dem realen Geschichtsverlauf naher An-
schaulichkeit alles hier in dieser Schrift Gesagte erst heranwächst
durch seine dort vorzunehmende Einfügung in den aus der inne-
ren und äußeren Strukturierung resultierenden gesamtgeschicht-
lichen Verlauf.
Die inneren Grenzen der Innenanalyse sind gegeben vor
allem durch die Grenzen des Kompetenzbereichs jeder Art der
soziologischen Betrachtung. Das durch das Sichheraus-
will sagen,
stellen soziologisch nicht zu deutender Phänomene, auf welche der
Soziologe in der Arbeit bei der Anwendung der Grundgedanken
und Methoden seiner Innenanalyse stößt. Diese inneren Grenzen
werden in den hier mitgeteilten Aufsätzen immer wieder sichtbar
werden, ohne daß sie stets überall ganz explicite genannt sind. Sie
liegen, wie in der Vorbemerkung bereits angedeutet wurde, nach
verschiedenen Richtungen, die doch innerlich zusammenhängen.
Die Grundtatsache des Geschehens, der der Soziologe für seine
Arbeit sich gegenübersieht, ist immer wieder: hier menschliehe
x
) Hier wird auch Stellung zu nehmen sein zu dem in seinem ersten Band
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ALLGEMEINPRINZIPIKN
Spontaneität, dort Umwelt, in der sie wirkt, auf die sie wirkt und
die auf sie selbst zurückwirkt.
Es hat für ihn keine Schwierigkeit, bei der Analyse der Umwelt
die vom Menschen selbst geschaffenen Rayons derselben wenig-
stens grundsätzlich von den durch die Natur gegebenen zu tren-
nen und so, sagen wir einmal, ein soziologisches Bedingungsnetz
des inneren und äußeren Handelns als ein vom Menschen selbst
geschaffenes, gewissermaßen als ein „soziologisches Stratum" von
dem „natürlichen" zum mindesten im allgemeinen Umriß abzu-
lösen. Diese grundlegende Operation, die sein besonderes Objekt,
eben die soziologische Struktur, ohne
erst klar herausstellt, ist
weiteres vollziehbar. Und auch nicht schwer, die verschie-
es fällt
denen Seiten dieser soziologischen Struktur auf verschiedene Seiten
der menschlichen Spontaneität zurückzuführen, oder wenigstens
sie mit diesen in einleuchtenden Zusammenhang zu bringen.
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EINFÜHRUNG UND ABGRENZUNG
Betrachtungsart.
Die andere scheinbar ganz verschiedene, doch, wie später sich
ergeben wird, im letzten konvergierende Richtung, nach der die
soziologische Innenanalyse, soll sie ganz vollzogen werden, über
sich selbst hinausweist, Hegt auf der Ebene der Rückwirkung
des soziologischen und natürlichen Stratums auf den Menschen,
also des Beeinflußtwerdens der menschlichen Wesensqualitäten
von daher und Veränderung unter diesem Einfluß. Sie liegt
ihrer
damit auf einer Ebene, für welche die Deutung der soziologischen
Strukturformung als Produkt des Menschen samt den in ihr
eingeschlossenen Daseinsgehalten und Emanationen, sowie For-
men und Gestalten des Selbst- und Daseinsverständnisses bei
allem großen eigenen Wert, den sie besitzen, doch gleichsam nur
Materialaufbereitung für die umgekehrte Frage sind: inwiefern
der spontan produzierende und zugleich das Dasein und sich selbst
interpretierende Mensch in der Art und Gestaltung seiner Spon-
taneität und derihr zugrunde liegenden Wesensformung selbst
historisch wandelbares Produkt ist, sei es des Wandels der von ihm
selbst geschaffenen Existenzgehäuse und -gehalte, sei es des na-
türlichen Milieus und seiner Wandlung. Fixierung und Verände-
rung des menschlichen Typs als Tatsachen und deren Zusammen-
hang mit der natürlichen oder soziologischen Umwelt sind Dinge,
die dabei ohne weiteres soziologisch konstatierbar und deutbar
sind. Ja, deren Konstatierung und Deutung ist offenbar ein we-
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ALL GEMEINPRINZIPIEN
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und Kultursoziologie
B. Geschichts-
ALS INNERE STRUKTURLEHRE DER GESCHICHTE 1 )
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ALL GEMEINPRINZIPIEN
Mag auch diese Aufhellung durch eine Symbiose, in die sie fast
überall in der Geschichte mit religiösen oder philosophisch-meta-
physischen Haltungen, die immer zeit- und artbedingt sind, ge-
treten ist, nicht so gradlinig durch die Geschichte hindurch laufend
und Ausdrucksform variabel erscheinen, so stellt doch jede
in der
neue Phase, in die sie eintritt, jede neue Art z. B. der mathema-
tisch-physikalischen Erfassung des Naturganzen, die auf eine an-
dere folgt (euklidische, kausal-mechanische, funktionale, Quanten-
erfassung), nur eine neue, verbesserte Formensprache auf dem Weg
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GESCHICHTS- UND KULTURSOZIOLOGIE ALS INNERE STRUKTURLEHRE
*) Im vollen Bewußtsein, daß dieses Wort hier in einem engeren Sinn ge-
braucht wird als der verbal entsprechende Begriff Zivilisation* im angel-
sächsischen und romanischen Sprachgebiet.
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ALL GEMEINPRINZIPIEN
rayons darauf reagiert, indem sie wie von einem Zentrum aus diese
Lebensaggregierung gleich einem naturalen Körper seelisch zu
durchdringen, sie zu formen, ihr eine Physiognomie, eine seelisch-
geistige, durch die Substanz und ihre Wandlung selbst mit be-
stimmte Wesensausprägung zu geben versucht oder, gelingt ihr
das nicht, der Lebensaggregierung eine ihrer Art korrespondie-
rende, dann notwendigerweise lebensnegative seelisch-geistige Hal-
tung gegenüberzustellen trachtet. So, zunächst sehr vereinfacht
und dadurch natürlich teilweise schief analysiert, der Prozeß, der
zu dem hinführt, was wir Kulturformen, Kulturemanationen oder
kulturelle Schicksalshaltungen nennen können. Kultur ist dabei,
das sieht man, begriffen als seelisch-geistige Ausdrucksform in der
Lebenssubstanz oder seelisch-geistige Haltung ihr gegenüber.
IL Nähere Interpretation
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GESCHICHTS- UND KULTURSOZIOLOGIE ALS INNERE STRUKTURLEHRE
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ALL GEMEINPRINZIPIEN
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GKSCHICHT5- UXD KL" IOLOGIE ALS IHNKKJ 5TRUKTURLEHRE
sönlichkeit für das Geschehen - auch und grade das unter kul-
turellen Gesichtspunkten sich vollziehende - auszuschalten.
Die ethnischen Qualitäten der verschiedenen Völker und
ihre Besahung sind vielmehr von Naturforschern und Anthro-
pologen aufzuhellende Daten, die der Soziologe als solche zu-
nächst einfach hinzunehmen hat, ohne sie analysieren zu können.
Daten von äußerster Wichtigkeit, ebenso wie die umgebende Na-
tur, oder wie man das auch genannt hat. die ..mütterliche Erde*".
in der ein Volk, ein Geschichtskörper aufwächst und seine Historie
verläuft. Von einer Kultur wie der der alten Griechen zu sprechen,
ohne die schlechthin geniale, aber so komplexe Begabung der da-
maligen Bevölkerung und die wunderbare Qualität ihres Lebens -
raumes in Rechnung zu stellen, ist sinnlos. Worauf es ankommt,
ist verständlich zu machen, wie im allgemeinen historisch-sozio-
logisch analysierten Geschichtsstrom ein Volk von dieser Be-
gabung, in diesem Raum, zu dieser Zeit zu diesen Leistungen
kommt, diese Kulturaus prägungen schafft, die dann doch später
auch vor dem physischen Untergang zusammensinken oder sich
gänzlich verändern. Und es ist dann eine zweite Frage, wie sich
seinTyp ohne ethnische Veränderungen im historischen Raum ge-
wandelt hat und aus welchen Bedingungen das \ ersagen erfolgt ist.
Daß der Zufall, der Zufall des Erstehend geschichtsbedeut-
samer Männer wie des Geschehens großer Ereignisse (Sies,
Niederlage) nicht ausgeschaltet wird, ist selbstverständlich. In
einem gewissen Sinn ist alle Geschichte Zufall, d. h. das Resultat
des Zusammenwirkens eines zunächst undurchsichtigen und an-
scheinend oft nn zusammen hängenden Komplexes von Einzel-
kausaltatsachen. Worum es sich handelt, ist verständlich zu
machen, wieso und in welcher Art die anscheinenden Geschehens-
zufälle und auch das Erstehen entscheidender Männer geschichts-
und kulturbedeutsam werden. Dies Bedeutsamwerden ge-
schieht immer im Rahmen der Ausbildung oder Umformung der
Geschichts- und Kulturphysiognomie eines Geschichtskörpers, die
überhaupt erst die Möglichkeit der Kultur bedeutsamkeit bietet.
Wobei über die Wirkungsrelevanz des bedeutsamen Mannes gegen-
über dem Massenkörper, auf den er wirkt, gar nichts Generelle-
ausgesagt wird und ausgesagt werden kann. Sie ist nach persön-
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ALL GEMEINPRINZIPIEN
licher Begnadung, nach Aufgabe, nach Zeit und Ort ganz ver-
schieden.
3. Die Kulturphysiognomie eines Geschichtskörpers - das
ergibt sich aus einer Anwendung dieser Art kultursoziologischer
Analyse - fixiert sich in ihren Grundzügen stets zu einem be-
stimmten Moment, meist eine gewisse Zeit nach dem Eintreten
seiner Bevölkerung in den großen Geschichtsstrom, in einer -
sagen wir also mit Spengler — mütterlichen Landschaft. Es entsteht
dann etwas wie eine seelische Entelechie dieses Volkes, dieses
Geschichtskörpers, die sich nun nach allen Richtungen hin kul-
turell auszusprechen und auszuformen trachtet, wie etwa eine bio-
logische Entelechie auch. (Zeitpunkt bei den Griechen vielleicht
die Epoche Homers, bei den Germano- Romanen die Zeit um
1000 n. Chr.) Es ist in den verschiedenen Geschichtskörpern ganz
verschieden, ob die seelische Entelechie und die von ihr getragene
Daseinshaltung noch Abwandlungen und in welcher Stärke
erfährt, ob sie sich sogar permutiert. Das hängt von den Wand-
lungen der Lebensaggregierung ab, durch die hindurchgegangen
werden muß (den Neukonstellationen). Die eine Entelechie nach
der Richtung einer bestimmten, die ganze weitere Kulturbewegung
eines Geschichtskörpers entscheidend beeinflussenden Daseins-
haltung fixierende Konstellation nennt man wohl am besten An-
fangskonstellation.
4. Es wird keine generelle Behauptung über irgendein Kausal-
verhältnis der verschiedenen Sphären für die Fortentwick-
lung der Bewegung aufgestellt (wie es die materialistische Ge-
schichtsauffassung tut: Primat des Gesellschaftsprozesses). Die hi-
storische Betrachtung zeigt, daß im allgemeinen Gesellschafts-
prozeß und Zivilisationsprozeß mit verschiedenem Vorrang und in
verschiedener Kombination vorwiegend die Tendenz haben, den
historischen Strom als Massenstrom weiter über dessen Bedingungs-
netz vorwärtszutreiben zu neuen naturalen Lebensaggregierungen
und dadurch das Kulturwollen der großen und kleinen produk-
tiven Menschen und Kräfte vor immer erneute Aufgaben zu stellen.
Aber es kann auch eine, durch äußere oder innere Ereignisse her-
vorgerufene Auflösung oder Abbröckelung einer bisherigen Kultur-
bindung und Formung eine neue Lage schaffen, welche die bisher
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-
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ALL GEMEINPRINZIPIEN
nötigt glaubt, weitgehend wohl auch wirklich genötigt ist, sich der
rein intellektuellenAusdrucksform für die Mitteilung ihrer meta-
intellektuellen Wahrheiten zu bedienen, also gewissermaßen un-
eigentlich und nur hinweisend vom Eigentlichen zu sprechen. Nur
die intellektuelle Daseinserfassung ist eine rein stufenweis zivili-
satorische, alle anderen sind Mischprodukte.
6. Wenn man von Hochkultur redet, so tut man das zweck-
mäßigerst da, wo das kulturelle Wollen eine bestimmte Gestalt
angenommen und eine bestimmte Höhe erlangt hat. Das Eigen-
tümliche der Primitiven ist, daß sie seelisch- geistig aus der Lebens-
angst heraus gestalten. Hochkultur liegt da vor, der - sagen wo
wir einmal - prometheische Mensch - prometheisch, weil er sich
über die reine Naturbedingtheit erhoben hat, was übrigens im Keim
auch bei den von Lebensangst erfüllten Primitiven vorliegt - die
gewissermaßen beleidigten Naturgewalten nicht durch Angst-
haltung zu besänftigen und in seinen Dienst zu bringen sucht,
sondern vermöge der Art seiner Daseinshaltung in seiner Kultur
gewissermaßen eine zweite höhere Natur aufbaut, beruhend auf
Angstbefreitheit, also Erlösung (Katharsis). Gleichgültig wie
diese kulturell beschaffen sein mag. Wobei dann das Erhabene,
das Schöne, das Heilige usw., so verschiedenartige Inhalte und
Formen es je nach der Kulturphysiognomie der verschiedenen Ge-
schichtskörper aufweist, als der eigentliche Vollendungsinhalt der
Kulturen sich erhebt, die dadurch Hochkulturen sind. Dieses Voll-
endete kann dann überall verstanden, wenn auch nicht überall
Form übernommen werden und durch sein
hin in seiner konkreten
Vorhandensein Weltbedeutung erlangen. Das ist das Phänomen
des Sich-erhebens kulturellen Wollens zu universeller Qualität,
dem wir begegnen.
Ruht jede Kulturphysiognomie auf einer Daseinshaltung, die
7.
30
GESCHICHTS- UND KULTURSOZIOLOGIE ALS INNERE STRUKTURLEHRE
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:
ALL GEMEINPRINZIPIEN
Existenz und Qualität möglich ist, daß wir also unterirdisch alle
miteinander verbunden sind.
Genau das gleiche gilt natürlich für den Konsensus über das
Grauenhafte, das Niedrige und Gemeine.
Die kultursoziologische Analyse stößt hier auf Tatsachen im-
manenter Transzendenz, Grundphänomene
die sie einfach als
hinzunehmen hat, während Deutung der philosophischen
sie ihre
Betrachtung überlassen muß - auch dann, wenn sie weiß, daß die
Existenz dieser Grundphänomene das A und O ihrer eigenen Exi-
stenz und ihres eigenen Arbeitens ist. Es muß, wie schon in der
Einführung gesagt, versucht werden, dies nicht nur soziologisch,
sondern existentiell entscheidende Tatsachengebiet an einem späte-
ren Ort in einer gewissen Konkurrenz zur üblichen Philosophie so
weit zu klären, als es für eine deutliche innere Orientierung nötig ist.
Selbstverständlich ist: für jeden, dem diesePhänomene, der
Aufstieg zu kathartischen Höhepunkten und der Abstieg von
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GE3CHICHTS- UND KULTURSOZIOLOGIE ALS INNERE STRUKTURLEHRE
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ALL GEMEINPRINZIPIEN
1
) Ich weiche hier, soweit ich sehe, bei aller Anerkenntnis der Willens- und
Zeitgebundenheit des Geschichte- Sehens ab von dem Standpunkt des geistvollen
Buches von Freyer, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft (z. B. dort insbes.
S. 305 ff.). Ich vermag auch keine so durchgreifende Einheit des Willens und der
Praxis gegenüber dem heutigen Gesellschaftsprozeß in der dort vertretenen un-
limitierten Form für vereinbar mit einer Realinterpretation der Bedingtheiten
des gegenwärtigen Daseins zu halten.
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GESCHICHTS- UND KULTURSOZIOLOGIE ALS INNERE STRUKTURLEHRE
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ALL GEMEINPRINZIPIEN
*) Die wichtigste moderne, die nicht schematisierend vorgeht, ist natürlich die
Herdersche. Aber: man sollte doch, an die Schillersche Konstatierung denkend,
wissen, daß sie in allem nur bekannte, und zwar letztlich allgemein gewählte
Fragestellungen verdichtet und nur aus ihrem Wesen vermeidet, gleichzeitig
die scharfe systematische Eingliederung ihrer Intuitionen zu vollziehen.
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GESCHICHTS- UND KULTURSOZIOLOGIE ALS INNERE STRUKTURLEHRE
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ALL GEMEINPRINZIPIEN
ist dieses in einem gewissen Sinn doch bloß höhere kulturelle An-
nalistik, keine Deutung. Und die Verwendung wirklich fein genug
durchgebildeter, historisch-soziologischer Kategorien könnte hier
vielleicht viel helfen.
Andrerseits kann der Historiker (dieser Begriff hier im weitesten
Sinn gemeint: Literatur-, Kunst-, Religions-, Philosophiehisto-
riker mit umfassend) seineAufgabe - und das wird grade bei sei-
nen höchsten Vertretern oft der Fall sein - auch nur in einer im
wesentlichen auf Intuition ruhenden Interpretation der ge-
schichtlichen Phänomene (des Charakters ganzer Zeiten, großer
Männer, großer Werke usw.) sehen. Einer Interpretation, für
welche er das historische Detailmaterial in derselben Weise exem-
plarisch heranzieht, wie es der Geschichtsphilosoph für die Ge-
samtdeutung der Geschichte tut. Er arbeitet dann grundsätzlich
anders als der Geschichtssoziologe, der eine natürlich auch ur-
sprünglich intuitive Wesenserfassung der historischen Phänomene
den analysierten Gesamtkomplex der historischen
sorgfältig in
Bedingtheiten hineinstellt, und sie von da aus als Teil einer
Gesamtphysiognomie erkennt und näher präzisiert. Er hat ein an-
deres Ziel, da es ihm einfach auf die möglichst tiefe und vollstän-
dige Erfassung des Historisch- Individuellen eben als solchen an-
kommt; und verwendet andere Mittel, da seine Methode stets
er
nur mit starker Vergewaltigung auf irgendein Schema zu bringen,
ihrem Wesen nach in Wirklichkeit künstlerisch ist.
Von dem Universalhistoriker aber, der den Geschichts ver-
lauf alsGesamt überblicken und verlebendigen will, ist wohl zu
sagen, daß er von dem Geschichtssoziologen, der sich bewußt ist,
bei dem gleichen Unterfangen von ganz bestimmten heutigen Le-
bensproblemen auszugehen, sich durch sein Ziel getrennt fühlen
kann. Er kann einfach versuchen, das ihm als „groß", das heißt
geschichtsbedeutsam im Gesamtgeschehen Erscheinende im Rah-
men einer Darstellung dieses Gesamtgeschehens zu verlebendigen
und nahezubringen. Aber er sollte doch, an die Schillersche Kon-
statierung denkend, wissen, daß er in all dem nur bekannte, und
zwar letztlich schon gewählte Fragestellungen verdichtet. Und es
ist wohl anzunehmen, daß für ihn trotz des anscheinend differenten
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GESCHICHT3- UND KULTURSOZIOLOGIE ALS INNERE STRUKTURLEHRE
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ALL GEMEINPRINZIPIEN
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GESCHICHTS- UND KULTURSOZIOLOGIE ALS INNERE STRUKTURLEHRE
geistigen Urgrund formen will. Aber die Tatsache, daß alle kultu-
rell großen Perioden von wirklichen Ideen und nicht von dem
Affenspiel der als Interessen demaskierbaren Schattenbilder der
Ideen gestaltet worden sind, wird dadurch nicht aus der Welt ge-
schafft. So sicher jede Idee durch die historisch-soziologische Kon-
stellation und den Lebensstoff, den sie zu durchdringen und zu
formen sucht, selbstverständlich zeit-, ort- und unzweifelhaft sehr
oft auch schichtgebunden ist.
Daß bei der von uns gebotenen soziologischen Analyse des hi-
storischen Gesamts die Bedeutung der gesellschaftlichen und also
auch der ökonomischen Verhältnisse nie zu kurz kommen kann,
ergibt wohl ihre Einreihung als einer der beiden, die Lebensaggre-
gierung, mit der sich das Seelisch- Geistige auseinanderzusetzen
hat, bestimmenden Faktoren. Aber um es zu wiederholen, nur eine
Zeit mit seelischer Schrumpfung, eine rebarbarisierte Zeit kann die
*) Die von Karl Mannheim in seinem bedeutenden Buch „Ideologie und Utopie"
gegebene soziologische Analyse beider ist trotz ihrer generellen Einkleidung
merkwürdig kapitalistisch zeitgebunden, gleichzeitig ist sie auch marxistisch
gebunden (wenn auch vielleicht nur aus Pietät), denn die Analyse und
Systematisierung der sog. Ideologien als Wissensphänomene ist echt marxistisch,
ebenso wie die wissenssoziologische Behandlung alles wirklich Ideellen als
4
„Utopie* .
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ALL GEMEINPRINZIPIEN
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GESCHICHTS- UND KULTURSOZIOLOGIE ALS INNERE STRUKTURLEHRE
43
:
44
GESELLSCHAFTSPROZESS, ZIVILISATIONSPROZESS, KULTURBEWEGUNG
*) Es ist zu bemerken, daß dieser Begriff nicht erst von Spengler aufgefunden
ist, sondern ausgesprochen oder unausgesprochen der ganzen neueren Geschichts-
schreibung zugrunde Ebenso wie das „Jungsein" und „Alter" der Körper
liegt.
45
SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
x
) Weitergreifende Behandlungen, wie z. B. die Max Webers und Troeltschs,
4
auf religionsgeschichtlichem Gebiet und die gewissermaßen „spontanen * An-
sätze, die sich in zahlreichen neueren Abhandlungen der verschiedenen Kultur-
gebiete finden, werden hier nicht verkannt.
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GESELLSCHAFTSPROZESS, ZIVILISATIOXSPROZESS, KULTURBEWEGUNG
Es ist ein ziemlich buntes und wohl nicht nur aus wissenschafts-
geschichtlichen, sondern auch aus notwendigen arbeitstechnischen
und methodischen Gründen in Wahrheit unzusammenhän-
gendes, nur schwach und äußerlich zusammengefügtes Gemisch
von Bausteinen, dem sich der Soziologe gegenüber befindet, wenn
er seinerseits versuchen will, die Dinge nunmehr einheitlich zu
sehen; wenn er daran geht, irgendeinen Teil des historischen Ge-
schehens, z.B. den Kulturvorgang im ganzen, in der Notwendig-
keit seiner Bedingungen begreifen zu wollen, in der er aus dem
historischen Gesamtverlauf herauswächst. So wenn er als Ge-
schichts-und Kultursoziologe etwa an den Versuch gehen will, die
kulturellen Emanationen der abendländischen Geschichtswelt,
ihren wesentlichen Gehalt mit dem Geschick der großen abend-
ländischen Schicksalsgemeinschaft notwendig zu verbinden, sie
in die von den verschiedenen Zweigen der Geschichte eruierten
objektiven Tatbestände, die körperhaften Tatbestände, die den
Gesamtverlauf markieren, hineinzustellen, so daß sie mit ihnen in
einer verständlichen und einleuchtenden Weise verbunden sind.
Er hat, wie gesagt, zunächst tatsächlich unverbundene, in der all-
gemeinen Geschichtsdarstellung im ganzen nur äußerlich zusam-
mengefaßte Geschehensreihen vor sich. Und will er diese Reihen
in Verbindung setzen, so wird er daran gehen müssen, für seine
Zwecke den Stoff anders als die verschiedenen Fachdisziplinen es
von ihrer Aufgabe aus tun, zu gliedern. Er muß versuchen, die
Gesamtgeschichte in anderen Gruppierungen für seine Zwecke
begrifflich zu ordnen und vorstellungsmäßig zusammenzufassen.
Dabei wird ihm das, was der politische, der Wirtschafts- und So-
zialhistoriker an Tatsachen der äußeren Formation des geschicht-
lichen Lebens festgestellt hat, notwendig in einer etwas anderen
Anschauungsform erscheinen als diesen. Es wird ihm als ein ein-
heitlicher großer Gesellschaftsprozeß vor Augen treten, der
in den differenten Schicksalsgemeinschaften bei aller Verschieden-
heit doch typische Formen und Entwicklungsstufen aufweist.
Die großen Ereignisse (Kriege, Revolutionen, Reformationen und
Formen und Stufen in irgendwie ver-
anderes) werden sich in diese
Form eingliedern, und die großen Männer werden wie
stehbarer
notwendig, nicht zufällig an bestimmten Stellen stehen. Er wird
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
dann durch die Jahrhunderte verblieben und in der sie durch die
Weltexpansion des abendländischen Geschichtskreises heute noch
umspült sind und aufgelöst werden. Den alten vorderasiatischen
und den ägyptischen Kulturkreis, dessen durch die frühen Jahr-
tausende vor Christi Geburt gehende Entwicklung er heute an den
auftauchenden Dokumenten wieder abtasten kann, wird er eben-
falls durch die natürlichen Bedingungen der Existenz (Kanal- und
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GESELLSCHAFTSPROZESS, ZIVILISATIONSPROZESS, KULTURBEWEGUNG
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
II
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GESELL SCHAFT SPROZE SS, ZIVILISATIONSPROZESS, KULTURBEWEGUNG
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
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GESELLSCHAFTSPROZESS, ZIVILISATIONSPROZESS, KULTURBEWEGUNG
gen abstreift oder ihnen jedenfalls eine andere, nicht mehr naive,
sondern durch die Reflexion bestimmte Stellung im Dasein an-
weist, indem sie von einer rein faktisch gegebenen Stellungnahme
zur Welt und zum Ich zu einer irgendwie fragend geformten, d. h.
zugleich von irgendwelchen Abstraktionen bestimmten fortschrei-
tet, wie sie diese weiter ausbildet und wie auf einer bestimmten
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
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GESELLSCH AFTSPROZESS, ZIVILISATIOXSPROZESS, KULTURBEWEGUNG
nen, und diesen und seine Sphäre gedanklich scharf und grund-
sätzlich von dem Gesellschaftsprozeß wie von der Sphäre der Kul-
turbewegung zu trennen. Letztere ist auch in den Gesellschafts -
prozeß der großen Geschichtskörper eingebettet, steht aber in
ganz anderer Beziehung zu diesem als der Zivilisationsprozeß, ist,
und wie weit sie selbst auf beide rückwirkt. Ich schlage diese Art
der Dreiteilung vor, weil sich auf diese Weise eine soziologische
Einheitsvorstellung der inneren Struktur des Geschichts Verlaufs
und, wie ich glaube und zu zeigen beabsichtige, insbesondere eine
soziologische Analyse seiner Kulturphänomenologie und des
Schicksals des Menschen, seiner Fixierungen und Wandlungen als
deren Hintergrund gewinnen läßt.
III
einem etwas anderen Blickpunkt aus, mit dem eine Auseinandersetzung hier
leider unmöglich ist.
55
.
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GESELLSCHAFTSPROZESS, ZIVILISATION SPROZE SS, KULTURBEWEGUNG
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
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GESKLLSCHAFTSPROZESS, ZIVILISATIONSPROZESS, KULTURBEWEGUNO
geführt zu werden.
Der rationale Teil des inneren Bewußtseinskosmos, das Welt-
und Ichbild, soweit es rational durchleuchtet ist, tritt uns, wie
gesagt, zunächst fast überall in magischer und mythischer Ver-
kuppelung und zwar sehr verschiedener Art entgegen. Es bleibt,
wie Verkuppelung vor allem für an-
gleichfalls gesagt, in dieser
dauernd stark chthonisch beeinflußte Geschichtskörper während
deren ganzem Geschichtsverlauf auch in der Zeit der inneren Ra-
tionalisierung. Aber so stark sich dann hier und in gewissem Grade
überall die intellektuellen und metaintellektuellen Kräfte kreuzen,
so daß ein solcher Geschichtsbezirk im ganzen durch die Jahr-
tausende hindurch auch als rational geprägter von der konkreten
Seite des Welt- und Ichbilds her in seinen Vorstellungs- und Denk-
formen ganz bestimmte Nuancierungen erfährt, so sind diese
Nuancierungen doch, weil und soweit sie eben Ausdrucksformen
rationaler Vorstellungs- und Denkweise sind, intellektueller Natur
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
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GESELL SCHAFTSPROZESS, ZFTCLI8ATIONSPROZESS, KULTURBEWEGUNG
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
IV
66
GESELLSCHAFTSPROZESS, ZIVILISATIONSPROZESS, KULTURBEWEGÜNG
Sie ist die tiefste Existenzerfassung, die an diesem Ort sich dar-
bot und an ihm möglich war. Wenn und weil diese Existenz-
erfassung innerlich universell bedeutsam war, hat sie menschlichen
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GESELLSCHAFTSPROZESS, ZIVILISATIONSPROZES.^ KULTURBEWEGUNG
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
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GESELLSCHAFTSPROZESS, ZIVILISATIONSPROZESS, KULTURBEWEGUNG
stoffs gewinnt sie die Herrschaft über die Natur. Durch die dabei
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
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GESELLSCHAFTSPROZESS, ZIVILISATIONSPROZESS, KULTURBEWEGUNG
arbeitung und Formung. Es ist die große Schuld des 19. Jahr-
hunderts, daß es den seelischen Bezirk, die seelische Sphäre der
Menschheit als ihre letzte und tiefste Wesens Sphäre für die Er-
kenntnis und Anschauung des Geschichtsprozesses gewissermaßen
verschüttet hat. Es hat diese eigentlichste Wesenssphäre, von der
her gesehen alles andre im Dasein nur Ausdruck, Gestalt, Verleib-
lichung, Erscheinung, Gleichnis und Symbol eben eines „seelischen
Wesens" ist oder sein soll, durch den Begriff des „Geistes", vor
allem des Hegeischen „objektiven Geistes" für die historische und
philosophische und damit auch die bisherige soziologische An-
schauung unsichtbar gemacht, indem es in diesem Begriff des ob-
jektiven Geistes die intellektuellen Beherrschungselemente
des Daseins mit den seelischen Ausdruckselementen verband,
damit tatsächlich Intellekt und Seele in eins zusammenwarf 1 ) und
dadurch Zivilisation und Kultur in hoffnungsloser Weise durchein-
ander mischte. Kultur aber ist bloß, was seelischer Ausdruck, see-
lisches Wollen ist, und damit Ausdruck und Wollen eines hinter
aller intellektuellen Daseinsbeherrschung dahinterliegenden „We-
1
) Der Protest Hegels gegen die Überschätzung des Verstandes ändert nichts
73
SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
bauen. Für die Kulturbewegung aber ist das alles nur die Sub-
VI
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GESELLSCHAFTSPROZESS, ZIYILISATIONSPROZE3S, KULTURBEWEGUNG
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
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-
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
tragen sind und durch die derart jedesmal geschaffene neue Lebens-
aggregierung die Kulturbewegung und ihr innerstes Zentrum, die
Seele, jeweils vor neue Situationen und neue Aufgaben stellen.
Deren konkrete Lösung schafft dann erst die Fixierungen und
Formen, in denen die Geschichtskörper jeweils irgendwo verharren,
die Formen, aus denen ihre naturalen und intellektuellen Kräfte
sie dann immer wieder zu befreien suchen. Mit dem Resultat, stets
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
82
-
VII
Es bedarf kaum noch einer Erläuterung, wie sich die beiden Ar-
ten, indenen die Kulturbewegung bisher geschichtsphilosophisch
und soziologisch im ganzen betrachtet wurde, von dieser Analyse
her ausnehmen. Die evolutive geschichtsphilosophische Be-
trachtung der Kulturbewegung erscheint von da in ihrem Ur-
sprung als die Konfundierung der intellektuellen und der seelischen
Sphäre unter dem Sammelbegriff „Geist" und infolgedessen als
Zusammenfassung von Zivilisationsprozeß und Kulturbewegung
unter der Sammelvorstellung: „geistige Entwicklung". Eine Ver-
mischung, die das 18. Jahrhundert angebahnt und der deutsche
Idealismus auf die Höhe gebracht hat. Zivilisationsprozeß und
Kulturbewegung werden von da aus derartig verschlungen, daß
unter der Vorstellung „geistiger Entwicklung" und dann über-
haupt „Entwicklung" die Gesetzmäßigkeiten der Zivilisations-
entwicklung sich als Anschauungsform für das geschichtsphiloso-
phische Betrachten und Durchdringen des menschlichen, histo-
rischen Gesamtprozesses überhaupt unterschieben. Condorcet
sieht die Gesamtgeschichte demnach als den stufenweisen Prozeß
menschlicher Vervollkommnung, deren Inhalt in Wahrheit die
„Aufklärung", d. h. in unsrer Ausdrucksweise eben allein und aus-
schließlich das Herausstellen eines Teils des Zivilisationskosmos
ist. Kant, Fichte, Hegel, so verschieden sie gerade soziologisch
konstruieren, erblicken doch gemeinsam den Inhalt der Geschichte
in der Aufhellung des Bewußtseins (einer anderen Seite des Zivili-
sationsprozeß) bis zur HeraussteDung des „Bewußtseins der Frei-
heit", die das Reich der Vernunft begründen soll. Es ist gleich-
gültig, ob das in mehr rationale Formen eingehüllt wird (Anziehung
und Abstoßung, solidaristische und individualistische Kräfte, de-
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
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GESELL SCHAFTSPROZESS ZIVILISATION SPROZE SS. KULTURBEWEGUNG
?
auch die Kultur, die sie natürlich gleichfalls nicht als etwas dem
Wesen nach Verschiedenes erkennen, verschwinden: wobei es für
die Betrachtungsart gleichgültig ist, wenn sie diesem als letztes
Kulturziel herausgestellten rationalisierten und durchorganisier-
ten Zivilisationskosmos dann noch eine von den Wertbetonungen
des Kulturellen übernommene religiöse Weihe zu geben suchen
(wie St. Simon in seinem nouveau christianisme). - Neuere So-
ziologen, wie Spencer, die sich unter dem Bann der positivistisch-
zivilisatorischen Einstellung befinden, gliederten die aus ihr fol-
gende Anschauung des geschichtlichen Gesamtgeschehens nicht
nach den Entfaltungstatsachen eines objektiven Geistes oder der
technischen Produktionsmittel oder der wissenschaftlichen Be-
herrschung des Daseins, sondern nach dem Rückreflektieren aller
dieser Dinge auf die Bewußtseinsentfaltung selber: der rationa-
lisierte merkantile und Mitleids- Mensch folgt auf die Art als
85
SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
für das des Anbrechens der verwirklichten Vernunft, das letzte der
Menschheit angesehen - ein kleiner Irrtum, wie wir heute wissen.
- Und der Marxismus mit seiner Voraussage des sozialistisch-
rationalen Zukunftsreichs, das sich aus einem rein zivilisatorisch
angeschauten Gesellschaftsprozeß logisch-dialektisch schließlich
ergeben soll, ist auch nichts anderes, als eine solche zivilisatorisch
86
GESELLSCHAFTSPROZESS, ZIVILISATIONSPROZESS, KULTURBEWEGUNG
VIII
46
Die „morphologische Art der Geschichts- und Kulturbetrach-
tung ist auch von unserer Analyse her der vollständige Gegen-
schlag. Sie sucht die „Seele" zu erfassen, die in den verschiedenen
großen Geschichtskörpern aufwächst, erwacht, sich auslebt, altert
und die Kulturemanationen als Symbole ihrer Existenz und ihres
Schicksals aus sich herausstellt. Die Religionen, Ideensysteme,
Kunstgestaltungen sind die durchaus einmaligen, unvergleich-
lichen, keinem allgemeinen Menschheitsziel zustrebenden, sondern
eben einfach „Gestalt" gewordenen Ausdrucksformen der Seele
der verschiedenen großen Geschichtskörper auf den verschiedenen
Stufen ihres Aufblühens und Alterns. Die Geschichte selbst ist
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
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GESELL SCHAFTSPROZESS, ZIVILISATIONSPROZESS, KULTURBEWEGUNG
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
IX
Seitdem dies geschrieben wurde, was sich vor allem gegen Spengler richtet,
*)
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GESELLSCHAFTSPROZESS, ZIVILISATIONSPROZESS, KULTURBEWEGUNG
Abstand nimmt. Wenn man ein anderes Bild lieber will, es schiebt
sichnach eigenen nicht zu umgehenden Gesetzen ein Stoff, ein
Lebensmaterial über die Seele hin und verlangt von ihr, daß sie es
durchglüht und kulturell gestaltet.Das ist die kulturelle Auf-
gabe und das Wesen ihrer Kulturbewegung, die also,
jeder Zeit
um es zu wiederholen, noch und ganz hauptsächlich von anderen
Faktoren als von der „Selbstentfaltung der Seele der Geschichts-
körper" abhängig ist. Auch nach dieser Anschauung kann es eine
Selbstentfaltung der Seele der verschiedenen Geschichtskörper
geben, einWachstum, Aufblühen und einen Alterungsprozeß. Das
alles und unkausal betrachtet
aber kann nicht für sich stehend
werden. Es hängt vielmehr mit der vom Zivilisationsprozeß aus
geschaffenen Bewußtseinsaufhellung der Lebenssubstanz der ver-
schiedenen Völker, ihrem sukzessiven Durchleuchtetwerden aus
der subjektiven Seite des Zivilisationsprozesses der Menschheit
bei ihrem aufeinanderfolgenden Eintreten in diesen ab. Dieses
Eintreten läßt dabei den Völkern der verschiedenen Geschichts-
körper Jugendperioden der Unaufgehelltheit und Unbewußtheit
sehr verschiedener Art und Dauer entstehen, je nach Art, Ort und
Zeit ihres Eintritts in diesen Kosmos. Es weist ihnen Perioden
ihres seelischen Erwachens unter ganz verschiedenen Bedingungen
in der Umgebung ganz verschiedener vom Zivilisationskosmos und
der Gesellschaftsentwicklung schon dargebotener psychischer und
physischer Objekte zu. Es führt sie in ganz verschiedener Art zu
Hochperioden der bewußten, produktiv formenden seelischen Be-
herrschung des Gesamtdaseins und es läßt keineswegs überall eine
;
91
;
92
B. Diskussion anderer Standpunkte 1 )
93
SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
Geht man nun bei der Betrachtung der Geschichte als mensch-
lichem Gesamtschicksal, dieser Grundvision entsprechend, tat-
sächlich von der inneren Bewegung aus und versucht, diese als
Einheit und gleichzeitig Vielheit der Gestaltung zu erfassen, so
stößt man auf eine außerordentlich mannigfaltige und kompli-
zierte Dynamik.
Diese Dynamik, die ich im vorigen Absatz in etwas schärferer
und ausführlicherer Form nach ihrem allgemeinen Charakter zu
*) Dies Bild nach O. Hintze über Troeltsch und Scheler in der Historischen
Zeitschrift, Bd. 135, 1927.
94
DISKUSSION ANDERER STANDPUNKTE
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
II
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DISKUSSION ANDERER STANDPUNKTE
III
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
IV
Nenne man das, wie man wolle; wichtiger als diese Etiketten-
einem gewissen Grade wissenschaftlich für die Exi-
frage, ja bis zu
stenzberechtigung eines solchen Unterfangens entscheidend ist,
daß man sich über dessen methodische Grundlagen klar wird, um
das dabei notwendige wissenschaftliche Handwerkszeug richtig
anzuwenden. Denn nur, wenn man seine Instrumente kennt, kann
100
DISKUSSION ANDERER STANDPUNKTE
man sie richtig verwerten. Und nnr, wenn man sich gleichzeitig
über die Absicht, die man verfolgt, ganz deutlich ist, ist man vor
Entgleisungen und Überforderungen an das, was geleistet werden
soll, sicher.
101
SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
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DISKUSSION ANDERER STANDPUNKTE
langt und von der aus er weiterschreitet; alsdann hat man die
ist
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SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
Wandlung und Bewegung nur aus ihrem Verstehen und ihrer Deu-
104
p ISKUSSION ANDERER STANDPUNKTE
den. Sie selbst ist niemals die Ursache von irgend etwas, sondern
ein Ausdruck und ein Rahmen, in den das Einzelne sich einfügt.
Jede Emanation ist ihr Teil, ein „Gesichtszug" in ihr. Sie selbst
konnte nur einmal in dieser Art aus der Geschichte hervorgehen,
da sie das Resultat einer ganz bestimmten, einmaligen Konstella-
tion ist, deren historisch-soziologische Teile eben aufzuklären sind.
Die historische Einzelpersönlichkeit, das Schicksal, der ge-
44 44
schichtlich wesentliche „Zufall , das eigentliche „Geschehen
bleiben demnach in ihrem Recht. Sie werden nur in die ganz kon-
krete Daseinsstruktur gestellt, in der sie wirken, aus der sie her-
vorgehen und der sie verbunden sind. Nirgends aber wird ver-
sucht, etwa eine allgemeine Regel aufzustellen über das Verhältnis
der geschichtlich bedeutsam werdenden Persönlichkeit zum histo-
rischen Massenstoff, den historischen Massenbedingungen und
ihrer Leistung. Dies \ erhältnis wird nach der jeweiligen histo-
rischen Gesamtphysiognomie ganz verschieden sein, verschieden
auch selbstverständlich nach der Natur und der Aufgabe der
großen Kräfte. Ein reizvolles Unternehmen vielleicht, die hier auf-
tretenden Abwandlungen zu gruppieren. Eine allgemeine Regel
kann wenig wie für Geschichtsphysiognomie und
es nicht geben, so
Qualität und Art der menschlichen Begnadung. Außer der ganz
einfachen, eine Bedeutung aber nur durch die individualisierende
Konkretisierung erhaltenden: wie auch das geschichtlich Bedeut-
samste immer nur denkbar, ja nach einer gewissen Richtung nur
105
SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
106
DISKUSSION ANDERER STANDPUNKTE
züge durch ihre Erfassung von einer Mitte her, krankt, prinzipiell
gesehen, daran, daß es bedenklich tautologisch ist. Was wesens-
bedeutsam, also wesentlich ist, kann doch schließlich immer erst
von der Wesenserfassung selbst her bestimmt werden, ist einfach
korrelativ dazu. Sodaß ein Zurück- und Vorschieben der verschie-
densten Einzelzüge möglich ist, je nach dem Objekt in geringerem
oder größerem Maß, oft aber von großer Willkür. Ein guter Teil
der Ruhelosigkeit aller historischen Interpretation beruht gerade
darauf. So unbedenklich das nach einer Richtung ohne weiteres
hinzunehmen ist, insofern Wesenserfassung Hinabsteigen in eine
Tiefe bedeutet und daher von einem ganz verschiedenen Gelingen
nach dieser Richtung abhängt - so wenig man demnach gegenüber
jeder genialen Leistung, mag diese Gesamt verlaufe, Persönlich-
keiten oder was sonst betreffen, ein Pedant der Methode sein darf,
so ist doch andererseits das Herauskommen über die problema-
tische Tautologie des obengenannten Kriteriums wünschenswert.
Dies aber wird, wie mir scheint, durch die vorher beschriebene
soziologische Einkreisung erleichtert, welche eigentlich erst die
Lebenssubstanz ganz klarstellt, in der das einmalige Wesenhafte
der historischen Erscheinung, das, sofern kulturell, letztlich immer
an einem Seelenhaften verankert ist, arbeitet und sich manifestiert.
VI
Wohl klar: was auf dem hier umrissenen Boden in der vorher
auseinandergesetzten, bewußten Stoff- und Aufgabebescheidung
versucht wird, ist von dem großen Werk Max Webers prinzipiell
getrennt durch verschiedene entscheidende Dinge.
Max Webers Geschichtssoziologie - es ist bislang die einzige
ganz große deutsche, die auf der Beherrschung der Fülle des heu-
tigen historischen Materials ruht - beabsichtigt reine Erkenntnis.
Hier aber wird an die Geschichte bewußt von Gegenwartsproble-
men aus herangetreten, mit der klaren Erkenntnis der eventuellen
wissenschaftlichen Bedeutungseinschränkung der Resultate, die
daraus in gewissem Maß folgen kann. Dort rein und nur Arbeit
am Kontinuum menschlichen Wissens überhaupt, mag der per-
107
SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
bei einer solchen bleibt bewußt Max Webers Reduktion. Was dann
natürlich leicht dazu führen kann, daß man als letztes Resultat
108
DISKUSSION ANDERER STANDPUNKTE
109
SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
Mit diesem Unterschied fällt der weitere zusammen, der die bei
Max Weber vertretene, angewandte individualistisch-soziologische
Methode betrifft, die allein von den sozialen Absichten, Einstellun-
gen und Reaktionen der Individuen her die gesellschaftliche Struk-
tur und ihre Bewegung, und schließlich, soweit sie hineingezogen
werden, auch überpersonale Lebenstatsachen betrachtet. Diese
Methode ist für uns hier unanwendbar. Ihre Ablehnung aus Welt-
anschauungsgründen wäre lächerlich. Sie leistet z. B. für die Auf-
klärung der Wirtschaftszusammenhänge, wie ich glaube, sehr viel.
110
C. Gestalt- und Wesensanalyse, nicht Sinndeutung der
Geschichte 1 )
Es gibt eine Einstellung zur Welt, zur Natur, zu Leben und Ge-
schichte, die hinter den Dingen und Vorgängen ihren „Sinn" zu
fassen sucht; diesen „Sinn" nicht ahnend und intuitiv als ein Un-
aussprechbares verstanden, sondern als eine klare Erkenntnis, ein
ausdrückbares Etwas. Ihr muß die Welt letztlich in ihrem Zentrum
intellektueller Geist sein, Logos, der emaniert, dem man sich
nicht eure Gedanken, meine Wege sind nicht eure Wege." Das
gilt für diese zweite Anschauung vom Weltprozeß, auch ohne daß
*) Aus „Der Neue Merkur", herausgegeben von Ephraim Frisch, Dez. 1923.
111
SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
112
ANALYSE KONTRA SINNDEUTUNG DER GESCHICHTE
Und wir hoffen, daß sich das Handwerkszeug, das als allgemein
verwendbares dafür im Text erarbeitet ward, als geeignet er-
weisen wird, der Antwort, die wir in der Wesens- und Gestaltver-
wirrung von heute zu geben haben, etwas von ihrer nicht ganz zu
tilgenden Subjektivität zu nehmen. Es soll eine Sinnantwort sein,
113
SPEZIELLE BELEUCHTUNG DER PRINZIPIEN
und Gestalterhaltung
die etwas Positives über die heutige Wesens-
mitenthalten möchte und zwar auf Grund objektiver soziologi-
scher Prüfung der Bedingungen dafür. Das Nähere darüber in
einer späteren Schrift.
114
DAS ALTE ÄGYPTEN UND BABYLONIEN 1
)
sehen dort die Dokumente seelischen Erlebens aus dem Jahre 3000
mit dem gleichen starren, fremden Blick an, wie die von 1000 Jah-
ren oder noch einem weiteren Jahrtausend später. Sie erscheinen
ihm nach innerer Haltung, technischer Leistung und künstleri-
schem Ausdruck gleich Niederschlägen eines langen Ahnenzeit-
alters der Menschheit, in dem diese noch wie in die geometrische
Naturgewalt des Steines eingebannt scheint, die Zunge ihr noch
nicht gelöst ist, die Hand noch nicht gelenkig, die Phantasie noch
nicht befreit, die Seele noch in ein Gefängnis eingesperrt.
Natürlich ist das nur das erste Schülerlatein des Aufaehmens.
Wir haben diese zunächst so fremden Chiffren lesen gelernt. Und
indem wir in ihre Algebra eingedrungen sind, ist unserer Armut
und Tiefe dieser Do-
nicht nur der seelische Reichtum, die Größe
kumente aufgegangen. Wir bewundern nicht nur ihre Gedrungen-
heit, Geschlossenheit und Monumentalität, so weitgehend, daß
wir schon versucht sind, sie nachzuahmen. Wir erblicken nicht
*) Aus dem Archiv für Sozialwissenschaft Bd. 55 Heft I. Ich habe für Baby-
lonien Adam Falkenstein (Heidelberg) für freundliche neuerdings gewährte Rück-
sprache zu danken.
115
DAS ALTE ÄGYPTEN UND BABYLONIEN
116
DAS ALTE ÄGYPTEN UND BABYLONIEN
deres war, als unseres, umweht von einem Hauch von Urweltlich-
keit, die in sehr paradoxer Art mit hohem Können und einer uns
oft nah berührenden Menschlichkeit, ja Verfeinerung gepaart er-
scheint.
Wollen wir dieser Welt derart nahe kommen, daß wir nicht bloß
eine Mimikry an uns leicht zugänglichen Teilen von ihr vollziehen,
sondern sie als Ganzes ergreifen, so ist zunächst von ihrer Fremd-
heit auszugehen und diese als ein Ganzes zu begreifen 1 ).
Wir knüpfen am besten an das eingangs genannte Auffälligste,
an die starre und doch auf eigentümliche Weise immer wieder nu-
ancierende und variierende Art der Emanation des Seelischen in
den vorhandenen, durch die Jahrtausende gehenden Dokumenten
an, eben das, was ich die produktive Repetition nannte. In unauf-
hörlicher Wiederholung wird durch alle Zeitalter das gleiche dar-
gestellt, in gleichem Stil und gleicher Haltung. Dabei, das ist das
Wunderbare, erlahmt die Phantasie in dieser ganzen Zeit nicht.
Am wenigsten dort, wo wir die Abwandlung ihrer Niederschläge
am genauesten verfolgen können, in Ägypten. Sie sucht immer
wieder eine andere, neue Wendung für den Ausdruck des Unver-
änderten. Immer wieder frisch an derselben Aufgabe, die sie in
denselben Formprinzipien lö6t, ohne Langeweile zu kennen und
ohne sich in ihrer leise modifizierenden Erfindungskraft zu er-
schöpfen. Hätten wir die bilderreichen Dokumente aus der Eu-
phrat- und Tigrisebene auch nur in annähernd gleicher Ausbrei-
tung wie aus dem Niltal, so würde uns trotz aller Abstufungen und
Modifikationen zwischen Sumer-Akkad, Altbabylonien, Neubaby-
lonien dort sicher dem Typ nach das gleiche Bild entstehen, wie
wir es heute gut übersehbar für das alte Ägypten erkennen.
Man könnte mit allen ägyptischen Kulturemanationen exempli-
*) Hier scheidet sich der Weggegenüber einer gewissen Art vor allem mo-
derner Ägyptologie, die ganz nnd gar moderne Perspektiven in diese fremd-
artige frühe Welt trägt nnd damit, wie uns scheint, ihr Wesen nicht trifft. So
etwa Joachim Spiegel in dem geistvollen Aufsatz: Die Phasen der ägyptischen
Geistesgeschichte. Saeculum I. 1950.
117
DAS ALTE ÄGYPTEN UND BABYLONIEN
fizieren. Ich will kurz begründen, warum ich mich zur Verdeut-
lichung, gleichzeitig zur leichteren Nachprüfung, vorerst auf die
bildende Kunst beschränke, vor allem die ägyptische Literatur
hier zunächst beiseite lasse. Diese Literatur ist nur in Bruch-
stücken vorhanden, sofern sie nicht schematisches kultisch-ritu-
elles Dokument ist. Hat ein größeres profanes Schrifttum existiert,
so ist es mit dem gebrechlichen Papyrus in den langen Zeiträumen
doch im wesentlichen untergegangen. Und trotz allem, was Erman
in seinem schönen, die erhaltenen Dokumente, die ja auch im we-
sentlichen Bestattungsbeigaben darstellen, sammelnden Buche 1)
sagtund mitteilt, ragen von dem, was wir so kennen, nur ganz
wenige Dinge, vielleicht die großartig pessimistischen „Lehren des
Amenemhet" nach der Katastrophe des ersten Reiches, die an-
schaulich und tief gefärbten Schilderungen des damals überstan-
denen Chaos in den „Mahnungen des Ipuwer", das aus derselben
Zeit stammende berühmte „Gespräch des Lebensmüden mit sei-
ner Seele" und aus der Zeit des neuen Reichs der Sonnenhymnus
Echnatons in das Gebiet der wirklich großen Literatur, - in das
Gebiet der Weltliteratur, die das Unvergängliche aufbewahrt, wohl
nur jenes Gespräch des Lebensmüden durch seine unvergeßlichen
Formulierungen hinein. Alles sonst Vorhandene ist, wenn nicht
volkstümlich simple Erzählung oder einfaches Lied - in dieser
Qualität so interessant oder uninteressant wie irgend etwas an-
deres derart aus der ganzen Welt -, geschraubtes, für Lehrzwecke
verwandtes Schrifttum, mag es nun immer wieder abgeschriebene
Weisheitslehren darstellen oder moralisierend höfische Erzählung
oder bloße Stilübung irgendeiner Art sein. Es ist alles sehr charak-
teristisch für Geist und Wesen des Gesamtägyptertums, wenn man
dessen Kern einmal erfaßt hat, aber doch nur als ein Schnörkel zu
betrachten, dessen Bedeutung und Verhältnis zum Ganzen man
erst aus dem großen Zug der geschichtlichen Handschrift erkennt,
der an den Dokumenten einer ganz anderen Sphäre besser aufzu-
finden ist.
x
) Die Literatur der Ägypter. 1923.
118
DAS ALTE ÄGYPTEN UND BABYLONIEN
x
) Anders steht es mit der exemplifikativen und Weltbedeutung für den
sumero-babylonischen Geschichtskreis. Hier liegen schön geformte kosmologi-
sche und anthropologische Mythen vor, die in merkwürdiger Art sowohl das ur-
sprünglich uralte chthonische Bewußtsein des jahreszeitlichen Wechsels und
seineBedeutung in gereinigter mythischer Form widerspiegeln (Ischtars Fahrt
zur Unterwelt) und möglicherweise aus sumerischer Zeit stammen. Ebenso
höchst wunderbar aus mittelbabylonischer Zeit (Hammurabi) der mythologische
Abglanz des Kampfes der vaterrechtlichen Formung mit der chaotisch-chthoni-
schen (Kampf Marduks mit Tiamat). Und es ist im Gilgamesch-Epos ein erster
großer Beitrag zur epischen Weltliteratur geliefert, der in der vollendet ab-
geschliffenen und komponierten Schlußform nicht datierbar ist (weil nur aus der
Bibliothek Sardanapals so erhalten), der aber in großen Partien sicher auch aus
mittelbabylonischer Zeit (also etwa 1800/1700 v. Chr.) stammt. - Verglichen mit
der im Ganzen schematisch bleibenden bildenden Kunst ist hier eine wirkliche
literarische Abspiegelung der Seele in ihrer Lebensgebundenheit, Freundschafts-
verstricktheit, ihrerBeziehung zum Weiblichen und ihrer alles übergreifenden
Angst vor dem Tode vorhanden. Aber eine geschichtliche Stufenbehandlung ist
wegen der mangelnden Datierungen unmöglich. Man besitzt weitaus das meiste
nur noch in der bibliophilen Spätsammlung des Sardanapal und weiß nicht
exakt, was früh und was späte Überarbeitung ist, - so phänomenal früh die
Grundkonzeption und die Grundthemen, im historischen Licht betrachtet, sind.
Vielleicht daß aus der Entzifferung der ungeheuren Massen noch unberührter,
vor allem sumerischer Tontafeltexte sich eine Art von allgemeiner Chronologie
einmal ergibt. Jedenfalls aber, wenn für eine historische Periodisierung, wie sie
uns hier interessiert, nicht brauchbar, so zeigt diese „Literatur** doch auch die
phänomenale Stabilität der Produktionsrichtung und Art. Denn immer wieder
ist offenbar am Altgegebenen nur ziselierend geformt und der erreichten Bewußt-
seinsstufe entsprechend das paraphrasiert worden, was aus der ersten sumeri-
schen und babylonischen Zeit vorgegeben da war. Und derart ist diese hier im
übrigen übergangene Literatur eine starke Bestätigung unserer These von der
repetierenden, durch die Jahrtausende reichenden, inneren und formalen Un-
veränderlichkeit der Kultur als Ganzem. Neuerdings sind wesentliche solcher
mythologischen Texte leicht zugänglich in dem Buch von Francis Jordan, In
den Tagen des Tammuz, Piper 1950.
2 Ludwig
) Curtius, Die antike Kunst I, Ägypten und Vorderasien, im Hand-
buch der Kunstwissenschaft von Brinkmann.
119
DAS ALTE ÄGYPTEN UND BABYLONIEN
ihren großen Leistungen stets nur ein Unterglied von all dem blei-
bende, bildende Kunst fixiert in dem ersten Jahrhundert der
ersten Einigung des Reiches, ist ihr niemals wieder verlassenes
Stilprinzip gefunden schon zur Zeit der bekannten Stele des „Kö-
nigs Schlange", die „aus der unmittelbaren Nachfolge des Menes,
des Begründers des einigen Ägypten, aus den ersten Jahren des
3. Jahrtausends", stammt. Wir erblicken, wie gesagt, von daher
bei Curtius mit stärkster Kraft die große Linie der inneren Be-
wegung der ägyptischen Kunst, ihren Ausgang von der Naivität,
Frische und Derbheit des alten Reiches, ihr Wandern durch die
pessimistische Tiefe und durch den notgedrungen brutalen Macht-
willen der großen Könige des mittleren zu der hohen Klassizität
der Bildwerke des neuen, zu „ihrer von der größten äußeren Ruhe
getragenen Souveränität, die von stärkster innerer Leidenschaft
erfüllt ist", zu ihrer, wie man gern sagen möchte, lächelnden Be-
wußtheit, die Natürlichkeit und Konvention verbindet. Wir sehen
das durch die Jahrtausende fortgehende Ansteigen des Könnens,
das immer neue Bereiche des Seelischen in den Raum des pla-
stischen Ausdrucks bringt, mit immer neuer Vertiefung und Ver-
feinerung der inneren Perspektive. Wir lernen den Fortgang von
der breitenund unpersönlichen Erzählung der Reliefs des alten
Reiches kennen zu der charakterisierenden und persönlich ab-
120
DAS ALTE ÄGYPTEN UND BABYLONIEN
getönten des nenen. Wir gelangen bis zur Darstellung feinster Ner-
vosität, klassischer und absichtsvoller Nacktheit und sehen in den
Frauenbildnissen die Fortbildung von undurchgearbeiteter, dörf-
lich anmutender simpler Schönheit zur Finesse des höfischen
Raffinements und der sichtbarsten 6eelichen Kompliziertheit.
Und doch: in den entscheidenden Prinzipien, — selbst den
Durchbrach der Periode Echnatons nicht ausgenommen, von dem
unter unserem Gesichtspunkt später besonders zu handeln sein
wird -, trotz alles so unendlich verschiedenen und von den Schick-
salen der Jahrtausende durchgearbeiteten inneren Lebens niemals
das Verlassen der einmal gewonnenen starren Chiffre, der Stein
gewordenen Hieroglyphe, das heißt der buchstabenartig
festen, einmal am Anfang der Jahrtausende ausgeprägten Haltung.
Niemals in den großen Bildnissen die Loslösung der Arme vom
Leib, ein der Natur entsprechendes Schreiten, ein frei bewegter
Körper; niemals ein Aufgeben des Prinzips der starren, teils mu-
mienhaften, teils architektonalen Frontalität. In den so große
Teile des Erhaltenen umfassenden Reliefs, die, wie Curtius richtig
sagt, steinerneHomeriaden sind, man könnte sagen, Novelle und
Idyll dazu, und die tatsächlich das ganze Leben, vor allem der
ältesten und neuesten Periode mit einzigartiger Anschaulichkeit
und Detailliertheit vor uns ausbreiten, niemals das Verlassen des
Prinzips ängstlicher Flächenhaftigkeit und Komplettierung, die
uns vor allem immer in unnatürlicher Verrenkung beide Schultern
und das ganze Auge der seitlich agierenden Personen zeigen. Die
wichtigsten Gegenstände nicht im Profil, sondern möglichst mit
Aufklappung ihrer Fronten auf die Fläche gelegt. Der Vorgang
nicht nur ohne Perspektive, sondern überwiegend auch ohne Ein-
heit des Bildes vorgebracht. So daß das Ganze uns immer trotz
aller hohen Kunst im einzelnen wie die Bilderzählung eines Kindes
anmutet, das uns die Einzelvorgänge und Gegenstände als wort-
ähnliche Daten eines Gesamtvorgangs vermittelt, nicht als Ge-
samtgegenstand unserer künstlerisch nachkomponierenden Blick-
phantasie. Kurz, nie gebrochene Starrheit und anscheinende
Kindlichkeit der Ausdrucksformen als unentwegt mit größter
Exaktheit festgehaltenes Stilprinzip, das seine Primitivität auch
in den endlos gleichförmigen Wiederholungsreihen der Widder und
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zionistische Gründung, die dann Rom, als sie mit eigenem Leben
sich zu regen und in den allgemeinen Weltverhältnissen unbequem
zu werden anfing, schließlich kurzerhand in Scherben tritt.
Die „Geschichte" der ägyptischen und babylonischen Antike,
von der wir hier zu handeln haben, ist tatsächlich etwa 400-500
Jahre früher mit dem Auftreten der Assyrer abgeschlossen in ihrer
Eigenbewegung und der Gesetzlichkeit der ihr selbst eigentüm-
lichen Körper, der alten Körper der beiden Stromgebiete und
ihrer Gegeneinanderstellung. Sie ist das Leben der heute durch
zweieinhalb Jahrtausende klar vor uns liegenden, etwa um 3000
deutlich sichtbar werdenden ältesten Entwicklungswelt der Mensch-
heit, die von dem letzten Viertel des achten Jahrhunderts an in
die Hände anderer, sie zunächst noch äußerlich konservierender,
aber doch fremder Kräfte übergeht.
IL Der Gesellschaftsprozeß
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J
) Vgl. Eduard Meyer, Geschichte des Altertums I 2, S. 241-248, 3. Aufl.
138
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Reich".
Man weiß : der in der vorangegangenen Auflösungsperiode wahr-
scheinlich stark angewachsene Eigenbesitz der gauverwaltenden
Großen ist durch die restituierenden Befreier, welche die Hyksos
abgeschüttelt haben, dabei aber offenbar auch mit den einheimi-
schen Großen selbst zu kämpfen gehabt hatten, nun kassiert, das
Gaufürstentum erledigt, der Nomarch nunmehr rein funktional
versetzbarer Beamtentyp der Zentralregierung. Das prinzipiell
wohl sicher uralte Obereigentum des Pharao an allem Land ist jetzt
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*) Erman-Ranke S. 651.
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*) Ennan-Ranke S. 116.
2
) Papyrus Anastasi, Erman-Ranke f S. 443.
3
) Briefe Amen em-epe's, Erman-Ranke S. 655.
141
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*) Erman-Ranke S. 54.
2
) So vor allem Breasted.
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Dies näher:
Es bedarf nicht vieler Worte über das animistisch-magische
Eingehülltsein aller Lebenstatsachen in beiden Stromgebieten zur
Zeit der Ausbildung ihrer ersten hochstehenden Gesellschafts-
formung. Waren Ägypter und Babylonier zu dieser Zeit noch wirk-
lich seelisch-geistig Primitive in ihren Ober- wie in ihren Unter-
schichten - und das waren sie -, so ist dieses Eingehülltsein für
jeden Geschichtssoziologen ebenso selbstverständlich wie das
Fehlen der begrifflichen Abstraktion im geistigen Leben, die Ge-
genstandsgebundenheit des Denkens und das Ersetztsein der Vor-
stellung von einem konstanten Zusammenhang der Dinge in
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:
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:
eben die Lebensordnung, von der man existiert, selber, die man
inden zentralen Trägern des hierarchischen Aufbaus und je nach-
dem auch seinen Unterträgern religiös verehrt.
Das ist die Grundtatsache. Man rufe sich nun die Art und den
bekannten Inhalt der Gebräuche der beiden „Staatsreligionen",
der ägyptischen und babylonischen, lebendig in die Vorstellung
zurück. Man sieht dann deutlich, wie unverfälscht im Grunde in
ihnen der primitiv naturvolkhafte, der magistische Charakter des
religiösen,über die neuen Formen gelegten Mantels blieb. Gewiß
hier wie dort wächst ein staatsreligiöser Apparat herauf über die
Niederungen der alten Volksreligion, über die nur bis zu den Ge-
stalten einiger Lokalgötter fortgebildete Volksdämonologie und
deren Ritus. In der Göttergliederung, in seinem Kultus, Gepränge,
Formen und Monumenten erhebt er sich in glei-
seinen äußeren
chem Maß wie der bürokratisch durchgebildete und gegliederte
weltliche Apparat über der vorangegangenen gesellschaftlichen
Ur- und Zwischenexistenz. Infolgedessen ein offizielles Pantheon,
152
DAS ALTE ÄGYPTEN UND BABYLONIEX
tius S. 251), ist selber natürlich ursprünglich ein Gott, ein Stiergott, eine ganz
animistische Bildung und für das im Text Gesagte paradigmatisch.
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immer gleichen Vorgänge also unter der gleichen Sonne; das ein-
zige Ereignis, das aus der Natur kommt, das auch gleichmäßig
sich wiederholende Auf und Ab der vorbeiflutenden Gewässer,
welche die Felder überdecken und wieder trocken legen: In
einer solchen schon in Regelmäßigkeit und Wiederholung beinahe
ohne jede Ablenkung eingespannten Welt galt es das Regelmäßige
noch des weiteren zu „regeln", die Regelmäßigkeiten gewisser-
maßen ganz exakt zu machen und darauf die Existenz von
Tausenden und das Gesamtdasein zu gründen. Eine sehr starke
Unverrückbarkeit des Sachgehalts der Verwaltungsaufgabe war
hier vorhanden, und eine von innen kommende Verstärkung natür-
licher Stabilisierungs-, Fixierungs- und Schematisierungsneigun-
gen des bürokratischen Apparats demnach gegeben. Aber was
doch nur aus jener Ehe dieses geschichtlich ersten büro-
eintrat, ist
kratischen Apparats mit der geschilderten primitiven Religiosität
und Geistigkeit verständlich.
Die religiöse Weihe als solche hätte, so gewiß auch sie in jedem
Fall Retardationen aller Umformung in sich trägt, doch der Be-
weglichkeit noch weite Bahn lassen können. Auch über dem Leben
und dem Staate der späteren griechisch-römischen Mittelmeer-
antike, ihren politischen Institutionen und Aktvollzügen hat reli-
giöse Weihe in stärkstem Maß gelegen, ohne doch ihre geistige und
in immer wiederholten Revolutionen sich vollziehende politisch-
gesellschaftliche Umformung zu hindern. Hier jedoch war diese
Weihe eine primitive, sie war noch ausgeprägt rituell-magisch,
sie klebte, wie auseinandergesetzt, noch an den rituellen Formeln.
Abweichung von diesen Formeln noch gerade wie
Sie fürchtete jede
der Wilde das Unwirksam werden eines verkehrt gesagten Zauber-
spruches. In dieser Gestalt, in der Form eines noch wort- und
sachmagischen Ritualismus legte sie sich über die rational perfekt
gewordene äußere Ordnung und vollzog dadurch jene Ehe mit
deren bürokratischer Seele. Es ist in Worten kaum auszudrücken,
und für uns Heutige kaum noch nacherlebbar, welche einfach ver-
steinernde Kraft der Gesamtritualisierung und Fixierung des
Daseins, des äußeren und selbstverständlich - und das war in
Wirklichkeit das noch viel Wichtigere - des geistigen daraus
erwachsen mußte.
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x
) Die fortwährende Völkermischung mußte in Babylonien zum geistigen
Prozeß des Vergleichens, dem Anfang aller Abstraktion, führen. Ob dies oder
ursprüngliche Anlagen für die abstraktere intellektuelle Qualität des dortigen
Geschichtskreises entscheidender war, läßt sich natürlich nicht bestimmen.
2
) Hermann Schneider, Kultur und Denken der alten Ägypter, und Erman-
Ranke, S. 301.
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tuelle Seite der Sach- und Wortmagie darstellt, in die jedes frühe
Volk, das wir kennen, religiös verstrickt ist. Und daß, solange
dieses magisch-animistische Wesen der gesamten Umwelt nicht
verflüchtigt, gelöst,verschwunden oder wenigstens zurückgerückt
ist, auch jede intellektuelle Allgemeinerfassung der Dinge und
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*) Das gilt auch für den Verkehr der Götter untereinander. Man denke an die
„List" der Isis gegenüber Re in der bekannten Mythe; abgedruckt z. B. bei Er-
man-Ranke S. 301 ff.
2
) Vgl. auch Hermann
Schneider S. 486 über die Bedeutung der Gleichnisse
bei den Ägyptern. Diese sind nicht Verdeutlichung, sondern reale Metem-
psychosen durch Wortmagie.
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Und es wird ganz ebenso durchaus begreiflich, daß mit der Aus-
bildung und dem Mächtigwerden eines besonderen Priesterstands,
z. B. im Ägypten des neuen Reichs, dies damals seelisch so hoch-
entwickelte Ägypten doch hilflos der von diesen Priestern jetzt
selbstverständlich als äußeres Herrschaftsmittel mitverwandten
kasuistischen Weiterbildung der Mantik rettungslos verfiel. Die bis
ins Groteske gesteigerte, ganz offiziell mit allem Raffinement auf
die Spitze getriebene, magisch-mantische Versklavung der Spät-
ägypter, die aus den Totenbüchern des neuen Reichs, mit ihren
unzähligen Zaubermitteln für das Jenseits, schon ebenso redet wie
aus den Erzählungen Herodots oder irgendeines Späteren, ist ur-
163
DAS ALTE ÄGYPTEN UND BABYLONIEN
Stand dann später ganz naturgemäß nichts anderes als der geist-
liche alter ego dieser Schreibersphäre. Gerade dadurch konnte sie
in der Verschwisterung mit dem Reich der Feder dann beispiels-
weise in der letzten ägyptischen Zeit, wo ihr die Pharaonen, um die
Götter für ihre äußeren Kämpfe gut zu stimmen, immer neue
Riesenschätze in den Schoß warfen, so ungeheuren Einfluß ge-
winnen, am Schluß sogar den Spitzenvertreter ihres Schrift-
gelehrtentums und ihres eigenen bürokratischen Apparats an die
Stelle derschwach gewordenen Pharaonen setzen, den Staat also
in der Form
der eigenen Schreiberhierarchie verschlingen. Aber
wie auch immer, ob es zu dieser letzten hierarchisch ritualisieren-
den Synthese kam oder nicht: das Schreibertum lernte in beiden
Kulturgebieten auf der Schule durch alle Zeiten die Maximen und
Verwaltungsgrundsätze der letzten oder vorletzten goldnen Ära
stets wie eine göttlich geweihte ewige Weisheit auswendig, schrieb
in einer Atmosphäre, die der des Festhaltens von Zaubersprüchen
durch Primitive auf seine Tafeln und Papyrusrollen als
glich, sie
Richtlinien seines Lebens und der Gestaltungen, die es beherrschen
sollten, ab suchte das Alte, das in ihnen niedergelegt war, immer
;
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DAS ALTE ÄGYPTEN UND BABYLONIEN
rungstendenz vermag er, die jetzt neben ihm selber alt gewordene,
griechische und dann römische Welt zu durchdringen und in
Alexandrien und dem Alexandrinertum auch wieder deren „Ar-
chiv" und deren Versteinerungsformen auszubilden. Er überträgt
sich mit seinen Verwaltungsmaximen und Organisationsprinzipien
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DAS ALTE ÄGYPTEN UND BABYLONIEN
religiöser Mantel über die Dinge und ihre Form gelegt wird. - So
ungeheuer wirksam und so fortwirkend, so ausdauernd, fast wie
die Pyramiden, war diese Versteinerung, die aus der Ehe zwischen
der ersten traditionalistischen Bürokratie der Erde und der pri-
mitiven Ursprungsreligion hervorgegangen ist.
Und so wird verständlich, wie Jahrtausende hindurch - Jahr-
tausende, in welchen in der ganzen Welt umher noch historische
Windstille herrscht - das gesellschaftliche Ziel dieser ersten Ge-
schichtskörper nur dies sein konnte, sich bei jedem Neuaufbau
immer wieder selber in ihren alten Formen zu kopieren: ihre ge-
sellschaftliche „Repetitionstendenz", die im krassesten Gegensatz
steht zu aller künftigen abendländischen Bewegung, deren Grund-
lagen sie doch legte, die ihre Eigenart als soziologisches Phänomen
bedeutet, und die ihrer Art nach auch etwas anderes ist als die
x
) J. H. Breasted, Development of Religion and Thought in Ancient Egypt.
New York 1912.
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DAS ALTE ÄGYPTEN UND BABYLONIEN
nur dem König und seiner Umgebung (der aber übrigens auch
schon ein Produkt der alten Zeit ist); vor allem aber auf das
Auftreten einfacher, dem Gott vertrauender Unwertigkeits- und
Sündenbekenntnisse in der riesigen Gräberstadt von Theben (12.
und 11. Jahrhundert), die in das Wesen der rituell magischen
Gottesbehandlung nicht zu passen scheinen. Also schon das Auf-
tauchen eines dem prophetisch-jüdischen ähnlichen religiösen
Ethizismus, womöglich gar christlicher Linie.
Aber keine Linie wäre historisch verkehrter gezogen ! Ganz wie
in der Kunst, der Literatur, finden wir hier die verfeinernden Er-
lebnisniederschläge des Schicksals der Jahrtausende, ein anderes,
durchlebteres Gesicht in derselben Maske. Aber diese Maske, die
nie abgesetzt und nie verändert wird, ist tatsächlich mehr als eine
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ihn in eine Atmosphäre, daß es von ihm heißen kann „Die Vögel :
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soziologisch, und auf das Wesen des Schrittes gesehen, das Ent-
scheidende, weil es den Vorgang erst begreiflich macht. Denn
nur die Spitze der Daseinspyramide, der König selbst kann in
einem Typ wie Ägypten einmal auf den Gedanken kommen, un-
traditionell zu werden, das Steuer herumzuwerfen und dem
Daseinskörper, der ja in Wirklichkeit nichts anderes als er selbst,
seine eigene Verkörperung war, eine andere als die bisherige
Superstition zu geben, den Ritus, der auf ihn selber ausgerichtet
war, umzustellen. Er stand ja nicht in der gleichen Art wie die
anderen in dessen Bann, sondern war selber Gegenstand des-
selben. Andererseits ist klar: wenn einmal eine Persönlichkeit von
innerlich starkem Leben und gleichzeitig, durch Blut und sonstige
Einflüsse, von einiger Distanz gegenüber dem alltäglichen Ritua-
lismus und seiner öden Kasuistik, auf dem Thron eines Reichs
wie des ägyptischen saß, zu einer Zeit, in der dieses äußerlich als
Imperium die Grenzen und Bedingungen, aus denen es selbst
samt dem Ritual seines Lebens erwachsen war, überschritten
hatte, so lag dieser Versuch, eine alte Tradition durch eine neue,
einen alten Bann durch einen neuen zu ersetzen, für einen solchen
Mann nahe. Gleichgültig dabei, wie weit die von irgendeiner Theo-
logenschule gepflegte Spekulation ihm so etwas nahelegen oder
erleichtern mochte, und ob ihn dabei die Rivalität zwischen ihr
und anderen Teilen der mächtigen Priesterschaft vorwärts trieb
oder nicht. Was er von seinem eigenen Höhenstandpunkt aus tat,
war einfach dies: das Unterfangen, dem Leben eine der erweiter-
ten äußeren Gestalt seines irdischen Körpers entsprechende neue
religiös-rituelle Einbettung der seelischen Kräfte zu schaffen, eine
Einbettung, die diese Kräfte dabei doch, das war für ihn wohl
sicher das praktisch nicht Unwesentlichste, genau so auf ihn
selbst und seine Herrschaft zuleitete, wie es die vorherige ganz
andersartige getan hatte. Nicht Produkt einer langen geistigen Ent-
wicklung, etwa ein absichtsloser, allgemein menschlicher Natur-
pantheismus sprach da, sondern im tiefsten ganz augenscheinlich der
Gedanke eines reformierten, den neuen erweiterten Verhältnissen
und Herrschaftsbezirken angepaßten Gottpharaonentums. Dieses
171
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nicht nur das Suchen des Geistes nach dem Neuen, sondern auch
die seelische Leere und Langeweile des immer Wiederholenden
sich
nicht gekannt haben ? Daß sie in einer Region eines ewig gleichen
Klangs des Daseins sich wohl gefühlt haben, in einer unerhört
einfachen Musik mit einer simplen Tonleiter zwischen lauter
Möglichkeiten und gleichzeitig Wirklichkeiten der Angst und des
Schreckens. Und daß sie diese Tonleiter unentwegt durch die Jahr-
tausende wiederholen konnten als die Sprache ihrer Seele, die da-
neben beinah nur noch Laute erhält eben von der fortgesetzten
Angst vor unheimlichen Naturmächten und Dämonen ringsum ? -
Wenn man sagt, daß die Ägypter im Ewigen gelebt haben,
ihre Kunst der Ausdruck dafür sei, so ist das angesichts der Tat-
sache, daß diese ganze Verewigungstendenz die Konservierung
des jämmerlichen menschlichen Kadavers zum Kern hatte und
in allem, was sie tat und ausdrückte, sich darum herum bewegt
hat, nichts als eine falsch angebrachte moderne Redensart oder
eine Blasphemie gegen das, was wir das Ewige nennen. So über-
all bei der Anwendung der modernen Affichen. Erst wenn einem
klar wird, daß wir es hier bei aller hohen Kunst und Zivilisations-
leistung mit doch im letzten seelischen und geistigen Grund
primitiv gebliebenen Völkern zu tun haben, und daß sie uns daher
in der Totalität ihres Seins mindestens so fremd gegenüberstehen,
wie die heutigen Malaien oder Javaner, dann beginnt das Ver-
stehen, und hat man die Grundlage ihres historischen Wesens
erfaßt, auf der man weiterbauen kann. Dazu durch den Versuch
der soziologischen Analyse ihrer Physiognomie etwas beizutragen,
war hier die Absicht.
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10 U 66