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1.

Collage, Entstehung und Eigenschaften 1,2


1912: Pablo Picasso und Georges Braque als Urheber der ersten Collage. Reale Objekte,
Alltagsgegenstände werden ins Bild eingefügt. (Als Repräsentation ihrer selbst oder transformiert
als Imitation etwas anderem). Künstler sind nicht auf zeichnerische oder malerische Imitation
angewiesen. Fragen in Bezug auf Wahrnehmung, Realität und Illusion werden aufgeworfen.
Mehrdeutigkeit und Indifferenz des collagierten Elements wird betont.

2. Zeichentheorie (Saussure) 3

- das sprachliche Zeichen besteht aus zwei Elementen: Lautbild (Signifikant) und Bezeichnetem
(Signifikat).
- Eigenschaften des Zeichens:
Willkürlichkeit (Signifikant und Signifikat haben keine sinnvolle, inhaltliche Verknüpfung, sondern
sind gesellschaftlich festgelegt. Linearität: jedes Zeichen erhält seine Bedeutung durch
vorangehende und folgende Zeichen in einer zeitlich linearen Linie. (Akustische Zeichen folgen
zeitlich nacheinander, Buchstaben bilden eine visuelle, räumliche Linie.) Syntagmatische
Beziehung zwischen Zeichen: lineare, kettenartige Beziehung. Assoziative Beziehung:
assoziative Gruppierung der Zeichen durch Ähnlichkeiten im Klang oder Aussehen.

Kubistische Collage Saussures Zeichenbegriff


- Entwickelte sich in den 1910ern -Entwickelte sich in den 1910ern
-Definierte und konstruierte das visuelle
Zeichensystem der bildenden Kunst neu.
-Hinterfragung der visuellen Codes,
Problematisierung des visuellen Zeichens -Infragestellung der Sprache als universell gültiges
innerhalb der Bildsprache. Repräsentationssystem für die Wirklichkeit und die
Verständigung über die Welt.
- Manipulation visueller Codes
-Integration sprachlicher Zeichen im imitativen
kubistischen Zeichensystem verweist auf eine
Abwesenheit der repräsentativen Funktion
visueller Zeichen

1
Sarah Dengler, Zur diskursiven Dialektik des Trivialen in Kunst und Kommerz, Dissertation, Ludwig-Maximilians-Universität
München
2
Petrus Schaesberg, Konzept der Collage, Dissertation, Ludwigs-Maximilians-Universtität München
3
Ferdinand De Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft
3. Bachtins Philosophie 4, 5, 6, 7, 8

Seinsereignis: Sein als Ereignis im Gegensatz zum Sein als Gegebenheit. Sein als
Gegebenes exkludiert meine Einzigartigkeit und Teilhabe am Sein. Sein als Ereignis
wird durch mein Handeln, meine Teilhabe erst geformt und gegründet.
Partizipatives Handeln: Mein Handeln ergründet sich in meiner Partizipation, in
Bezug auf und in Wechselwirkung mit den/dem anderen. Diese Partizipation am
Sein verwirklicht sich im leibhaftigen Handeln innerhalb der konkreten Welt (nicht
der bloß theoretischen Welt).
Nicht Alibi-Sein: Das Sein von einer theoretischen, ideellen Grundlage zu
vollziehen und zu verstehen, hieße sich ein Alibi zu verschaffen. Als sei nicht
Beteiligter der Handlung, sondern passiver Betrachter von einem abstrakten,
anderen Ort her. Nicht-Alibi Sein bedeutet aktiv und verantwortungsvoll am
Seinsereignis teilzunehmen und dieses partizipativ mitzubegründen.

Aufgegebenheit: aufgrund der Gebundenheit des Seins an meine Partizipation,


kann nur bewusstwerden und erlebbar sein, was aufgegeben, nicht indifferent ist.
Reine Gegebenheiten sind nicht ontologisch erfahrbar. (in dem Sinne nicht real)
Aufgegebenheit kann sich nur im Miteinander mit anderen, sich von mir
unterscheidenden Menschen realisieren.

Verantwortung: Verantwortung als antwortende Handlung: eine Handlung die


prinzipiell auf den Anderen und seine Antwort angelegt ist. Bejaht die aktive
Teilnahme am Seinsereignis und hebt das nicht bekannte, nicht wiederholbare
hervor.
Dialogizität: dem Wort kommt nur durch seine Differenz zu anderen, ihm fremden
Wörtern seine Bedeutung und Wert zu. In der Sphäre von fremden Worten
entwickelt es Form und Stil.9 Es ist angereichert von Ideologien, sozialer und
kultureller Identität. Meine Sprache bestimmt sich durch die Erwartung auf die
Antwort meines Gegenübers, seiner Lebensrealität und Sprache. Um verstanden zu
werden, eine Antwort zu erhalten orientiere ich meine Sprache, produziere ich
meine Worte in fremden Kategorien, fremden Sprachwelten des Anderen.
Das Wort im Roman: Der Roman vereint Sprechweisen unterschiedlicher Gruppen
(Klasse, Alter, usw.) und Arten (Rede, Brief, Dialog) in Kontext zueinander zu einem
neuen, kreativen Gebilde. Dieses neu entstandene System lässt sich nicht mit den
Merkmalen seiner einzelnen Anteile erfassen.

Verstehen: kein passiver Vorgang. Wirkliches Verstehen wird erst durch mein
aktives Antworten ermöglicht.

4
Michail M. Bachtin, Zur Philosophie der Handlung
5
Michail M. Bachtin, Die Ästhetik des Wortes
6
Tatiana Shchyttsova, Das menschliche Ereignis in der Philosophie von M. Bachtin, Essay, European Humanities University
7
Carina Pape, Handlungswelt und Lebenswelt bei Michail M. Bachtin, Vortrag, Universität Koblenz Landau
8
Tatiana Shchyttsova, Ereignis und Differenz, in: M. Staudigl (Hrsg.), Ereignis und Affektivität
4. Cut Up Technik 10, 11, 12, 13, 14
Technik von Brion Gysin und William Burroughs entwickelt. Eigene und fremde
Texte werden zerschnitten und nach Zufallsprinzip neu angeordnet.
Der Text öffnet sich neuen Sinnzusammenhängen, Bildern, Ideen. Die vorgegebene
Botschaft des Wortes öffnet sich durch Unabhängigkeit von semantischen Bezügen.
Durch fremde Texte wird der literarische Schaffensprozess kollaborativ
aufgebrochen. Kollaboration ist hier eine produktive Symbiose und erschafft ein
drittes Bewusstsein (Third Mind).
Sprachverständnis Burroughs: Sprache und Wort als Virus, als ideologisches
Kontrollinstrument. Cut-Up Technik als Waffe zur Manipulation der Sprache somit
der (politischen) Welt; als Mittel um die Zukunft vorhersagbar oder beeinflussbar zu
machen; als Werkzeug um das Unbewusste zu erreichen.
Die Cut-Up Technik kann den Kontrollmechanismus d. Sprache beeinflussen, indem
sie das kollektive, sprachliche Unbewusste manipuliert und dadurch neue
Kontrollstrukturen kreiert. Die Cut-Up Technik bringt uns unserem Unbewussten und
der Realität näher, da sie die Mechanismen die unsere Realitätswahrnehmung
kontrollieren, aufdröselt.

5. Sprachverständnis Lacan 15, 16, 17, 18


„die Sprache ist nichts Immaterielles. Sie ist ein subtiler Körper, aber ein Körper ist
sie. Wörter stecken in allen Körperbildern, die das Subjekt fesseln.“ - Jacques Lacan
Wir werden in eine uns fremde Welt der Sprache hineingeboren, die wir
assimilieren. Im Prozess der Assimilation werden unsere Bedürfnisse, unser
Begehren geformt. Diesen Assimilationsprozess beschreibt Lacan als Eintritt in das
Symbolische, in die symbolische Ordnung der Sprache.
Er übernimmt Saussures Verständnis des sprachlichen Zeichens als Bündel aus
Signifikanten und Signifikat und verknüpft sie mit der Theorie des Unbewussten
Freuds. Das Unbewusste ist wie eine Sprache strukturiert, organisiert sich nach
grammatikalischen Regeln, über die das Subjekt keine Kontrolle hat.

10
William S. Burroughs & Brion Gysin, The Third Mind
11
Allen Carmody, William Burroughs’s The Electronic Revolution: The Evolution of the Cut-Up Technique as a Political Weapon,
in: NPPSH Reflections
12
Michael Sean Bolton, Mosaic Of Juxtaposition
13
Christopher Breu, The Novel Enfleshed: „Naked Lunch“ and the Literature of Materiality, in: Twentieth Century Literature Vol.
57
14
John Geiger, Who ist there William Burroughs, in: Richard Metzger, Book Of Lies
15
Jacques Lacan, Schriften I
16
Bruce Fink, Das Lacan’sche Subjekt
17
Victor Blüml, Die Sprache des Wahnsinns – Lacansche Perspektiven auf die Frage der Psychosen, Diplomarbeit, Uni Wien
18
Peter Widmer, Subversion des Begehrens
Lacan stellt den Signifikanten über das Signifikat, womit er seine dominante Rolle
sichtbar macht:

Saussure: Signifikat oben Lacan: Signifikant oben

Das Lacansche Subjekt: Das Subjekt wird gespalten, indem es in die symbolische
Ordnung der Sprache eintritt. Sprache entfremdet und durchstreicht das Subjekt,
was Lacan durch die Darstellung des durchgestrichenen S sichtbar macht.

Das Reale: Die symbolische Ordnung, in welche das Subjekt durch Erlernen der
Sprache und ihrer Regeln eintritt, hebt auf was Lacan das Reale nennt. Das Reale
ist schwer zu definieren, da es diesseits der Sprache situiert und somit vor allem
durch seine Abwesenheit bestimmbar ist. Die Symbolische Ordnung, codiert,
reduziert und transformiert das Reale und konstituiert, was der Mensch als Realität
wahrnimmt. Gerade indem das Reale der Definition widersteht und den Kategorien
des Symbolischen entgeht, liegt sein subversives Wesen.
6. Bezugspunkte und Unterschiede Lacan und Burroughs/Gysin

Sprache bei Burroughs Sprache bei Lacan

- materielles Verständnis von Sprache als Virus - materielles Verständnis von Sprache als selbständiger Körper,
und ideologisches Kontrollsystem als großer Anderer, durch den das Begehren des Menschen
und seine Realität kreiert wird.

- Cut Up als Gegenvirus der die Syntax und


Semantik der Sprache durchsetzt und dadurch auf - Psychoanalyse als Mittel um über die symbolische Ordnung
eine Art Ursprung zugreift oder neue Realitäten/ der Sprache auf das Reale des Patienten einzugreifen (weil das
Kontrollsysteme erschafft. Symbolische das Reale transformiert und codiert.)

-Cut-Up Technik als Technik durch die die - Psychoanalyse als Ort in dem das Unbewusste und das
Kontrollstrukturen der Sprache durch neue Symptom zur Sprache kommt, manifest wird. (Die Sprache
Schöpfungen angreifbar und modifizierbar selbst als Sitz des Unbewussten spricht, nicht der Patient selbst
gemacht wird. Eine neue Sprache wird manifest. spricht)

- Cut-Up Künstler selbst erschafft durch Zugriff auf -Analytikerin versucht die Struktur der Sprache ihres
Zufall und Intuition neue Gesetze und produktive Gegenübers zu entschlüsseln. (Sie hat die Gesetze des
Schöpfungen sprachlichen Unbewussten). Sie macht das Verborgene sichtbar
sodass auch der Patient seine ihm fremde Sprache zu
verstehen lernt.

-Entwerfen Sprachbild aus künstlerischer und -Analysiert Sprache aus Perspektive der
magischer Praxis. Sprachwissenschaft, Psychoanalyse sowie klinischen und
medizinischen Praxis.

-Sprache ist das Material das der Künstler oder - Sprache wird mit Werkzeugen des Intellekts des
Magier zerschneidet mit dem Werkzeug Schere, Zufall Analytikers und seinen grammatikalischen und
und Intuition. mathematischen Kenntnissen des rhetorischen
Unbewussten wie ein Rätsel entschlüsselt.

-im Cut-Up werden die einzelnen Wörter und


Buchstaben, die als Bilder auf materieller Ebene mit -in der Analyse werden die Signifikanten auf einer geistigen
Farbe auf Papier gedruckt oder geschrieben sind, Ebene aus dem Sprachfluss und Sätzen der Patienten in
segmentiert und mit den Händen des Künstlers neu ihre einzelnen Glieder segmentiert um die Struktur des
zusammengefügt um ein neues Kontroll- und Begehrens zu offenbaren.
Bezugsystem zu erschaffen.
-In der Analyse wird das Symptom, als Produkt der
- Burroughs und Gysin operieren als Künstler und Verbalisierung d.h. der Symbolisierung des Begehrens vom
Magier um das virale, symptomatische Kontrollsystem
Analytiker (an)erkannt, dechiffriert und ins Bewusstsein des
zu manipulieren, wobei Magie hier nicht als eine
immaterielle, esoterische Tätigkeit verstanden werden Patienten gebracht, wodurch es sich auflöst. Diese
darf, denn gerade in ihrer materiellen, körperlichen Auflösung, diese Heilung des Symptoms ist wissenschaftlich
Wirkkraft liegt ihre Macht. nachvollziehbar.
-Heilungsprozess liegt u.a. im Moment des intersubjektiven
Erlebens im Spannungsfeld Patient-Analytiker begründet.
7. Der Buchstabe als Bild in Kunst und Magie 19, 20, 21, 22, 23

Gysin lernt in Marokko die religiösen Praktiken der Menschen kennen; interessierte sich für
magische Techniken in Bezug auf Kalligraphie und Sprache. Beispiele: Abramelin-Quadrat, Sigil.

Gysins Wissen über Magie und Kalligraphie, zeigt sich in seinen Gemälden, in denen das
Schriftzeichen vom Bildzeichen untrennbar ist. Seine Bilder sind Zaubersprüche, um Einfluss auf
die reale Welt und die Zukunft zu nehmen, Ereignisse zu produzieren.

Burroughs sieht seine schriftstellerische Tätigkeit als Werkzeug um reale Ereignisse zu erzeugen.
Der Ursprung der Kunst liegt in der zeremoniellen Magie. Ihr Sinn ist dadurch bestimmt den Willen
des Künstlers und des Betrachters zu kanalisieren und zu materialisieren. Dadurch dass der
bildnerische Künstler sein Material mit den Händen berührt und bearbeitet, sich taktil damit
auseinandersetzt, ist er sich der Möglichkeiten seines künstlerischen und magischen Tuns.
Schriftsteller hat den taktilen Bezug zu seinem Material verloren. Durch die Cut-Up Technik wird
die taktile Auseinandersetzung dem Schriftsteller ermöglicht, indem er den Buchstaben, das
Schriftzeichen als materielles Bild zu begreifen lernt um seine Konstruktionsmöglichkeiten
auszuschöpfen. Durch die Cut-Up-Technik, die die Funktion des Buchstabens als Bildelement
wieder einführt, wird das literarische Werk und die literarische Praxis auf ihren magischen
Ursprung, welcher sowohl Malerei als auch Schrift begründet, zurückgeworfen.

Sowie die bildnerische Kunst der Höhlenmalerei als magisches Werkzeug funktionierte um das
gejagte Tier zu töten (Hieroglyphen), funktioniert auch die Schrift als Bildgestalt bei Verwendung
der Cut-Up Technik als solches.

19
William Burroughs, The Adding Machine,
20
Blake Stricklin, Word Falling … Photo Falling, in: Wermer-Colan(Hrsg.), Cutting Up The Century
21
Michael Gloss, KICK THAT HABIT, in: Richard Metzger, Book Of Lies
22
Pete Carroll, LIBER NULL – Praktische Magie
23
Austin Osman Spare, Gesammelte Werke

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