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Home > Politik > Leben und Gesellschaft > Robert Gladitz: Der geplatzte Traum von der

Erleuchtung auf Bali und …

Aussteiger

Einmal Erleuchtung und zurück


29. März 2023, 17:25 Uhr | Lesezeit: 12 min

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Das Dorf auf Bali war eigentlich nur eine leere Hotelanlage, die von Gladitz gebucht wurde. Die einzelnen
Zimmer vermietete er für mehrere Tausend Euro pro Monat. (Foto: SZ)

Jahrelang verdiente Robert Gladitz mit Selbstoptimierung im Internet sein


Geld. Dann wollte er die Menschheit auf die "nächste Stufe" hieven in
seinen Aussteigerdörfern in Portugal und auf Bali. Für viele Bewohner aber
war es eher eine Stufe nach unten.
Von Christoph Cadenbach und Kristiana Ludwig, Sinzig/Berlin

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Der Ort, der zu ihrem Paradies werden sollte, liegt zwischen Reisfeldern und
Meer. Terrassen aus dunklem Holz, Palmen, Sonnenschirme, ein Pool. Kin-
der in Badehosen, Erwachsene, die im Schatten herumliegen. So beginnt der
Film über die deutsche Aussteigergemeinschaft auf Bali. Die Menschen, die
da zu sehen sind, hatten sich ihr neues Leben wohl genau so vorgestellt:
Yoga, Strandausflüge, exotisches Obst und tiefgründige Gespräche. Dazwi-
schen auch mal arbeiten mit dem Laptop am Pool, bevor am Abend das
Lagerfeuer angezündet wird. Die Dreharbeiten liegen ein Jahr zurück.
Neunundzwanzig Erwachsene und sieben Kinder wohnten anfangs an die-
sem Ort im Westen der indonesischen Insel Bali.
Mittlerweile sind die meisten von ihnen zurück in Deutschland. Sie haben
Zehntausende Euro ausgegeben für das verführerische Angebot, das ihnen
der Mann gemacht hat, der in dem Film die prominenteste Rolle spielt:
Robert Gladitz. Ohne ihn wären wohl die meisten von ihnen nie hierherge-
kommen.

Gladitz ist 32 Jahre alt, ein kleiner schmächtiger Mann mit einer sanften
Stimme. Seit mehr als zehn Jahren verkauft er Selbstoptimierung im Inter-
net. Mit Anfang zwanzig waren es noch kostenpflichtige Rohkost-Tipps. Er
schrieb im Netz über Muskelaufbau ("Sixpack in Rekordzeit") und gesunden
Schlaf. Später beriet er Menschen, wie sie erfolgreich einen Youtube-Kanal
führen können, in Berlin veranstaltete er eine Konferenz für modernes Coa-
ching ("Dich erwarten 15 mind-changing Interview-Events mit den krasses-
ten Experten in Sachen Business und Mindset!").

Gladitz hat unzählige Videos veröffentlicht, mehrere Podcasts. Im Sakko


stand er auf Bühnen und sprach darüber, "wie uns Authentizität dabei
unterstützt, unser Business aufs nächste Level zu heben". 2021 wandelten
Alle S Z-Produkte katrin_moeller@icloud.com
sich dann seine Themen und auch sein Äußeres. Auf Instagram zeigte er
sichSZ
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SZ PlusBücher lesend
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am Strand,
Politikin Wirtschaft
einer Art Lotus-
Meinung
sitz. Er ließ sich einen Vollbart wachsen, lange Haare, und präsentierte eine
Vision, die er "the next stage of humanity" nannte. In einem Video schritt er
barfuß über eine Wiese in einem weißen Leinenhemd, die Knöpfe weit
offen, und sprach über "den Schlüssel für all die Probleme, die wir gerade in
der Welt haben".

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Dieser Schlüssel sollte zunächst die Bungalowsiedlung auf Bali sein, eine
neue Heimat für digital arbeitende und spirituell interessierte Menschen,
die mit ihren Kindern in Gemeinschaft leben wollen. Eine Schule sollte ent-
stehen. Aber vor allem eine Bewegung: Die Idee von Gladitz war es, auf der
ganzen Welt Dörfer zu gründen, in denen Menschen ein Leben führen kön-
nen, das sich "einfach richtig anfühlt". Für diese Bewegung verkaufte er
"Pässe", die ähnlich funktionieren sollten wie die Mitgliedsausweise für eine
Fitnessstudiokette. Für Erwachsene kostete der Pass mehr als 1100 Euro,
für Kinder rund 330 Euro. Wer einen Pass besaß, sollte für immer exklusi-
ven Zugang zu sämtlichen Siedlungen erhalten, die Gladitz "Thrive Villages"
nannte. Thrive, das heißt gedeihen, florieren, erblühen.

Das Aus ihres Traums teilte er ihnen auf Telegram mit: In acht
Tagen ende das Dorfleben. Bis bald
Tatsächlich aber war das Dorf auf Bali eine Hotelanlage, die während der
Corona-Pandemie leer stand und von Gladitz von Dezember 2021 an als
Ganzes gebucht wurde. Die einzelnen Zimmer vermietete er dann für meh-
rere Tausend Euro im Monat unter. Im September 2022 kam eine zweite
Hotelanlage dazu, diesmal in Portugal, nördlich von Lissabon. Offenbar ver-
kaufte er insgesamt mehr als 500 Pässe: "Schon 343 Erwachsene und 186
Kinder sind Teil dieser Vision", stand noch im Dezember auf seiner Websei-
te. War Robert Gladitz also geschäftstüchtig, größenwahnsinnig oder hatte
er wirklich ein höheres Ziel?

Weit weg von Balis Reisfeldern und Stränden, in der kleinen Stadt Sinzig am
Rhein, ist der Himmel über den Einfamilienhäusern an diesem Tag im
Januar grau. Carolin Pfeiffer öffnet die Tür, setzt sich an den Esstisch und
sagt: "Man weiß nicht mal, wen man verklagen soll." An ihrem Haus steht
kein Name. Sie und ihr Mann, die zwei kleinen Töchter und ihre Katze leben
in einer Ferienwohnung. Im vergangenen September hatten sie sich ent-
schieden, ins Thrive Village in Portugal zu ziehen, und gaben ihre Wohnung
in Dortmund auf, verkauften alle Möbel. Doch keine zwölf Wochen nach
ihrem Umzug schrieb Gladitz eine Nachricht in die Telegram-Gruppe seiner
Mieter: Der Vertrag mit dem Hotelbetreiber sei gekündigt, in acht Tagen
ende das Dorfleben in Portugal, "bis bald irgendwo auf dieser Welt".
Das war's.

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Ein Interview will Robert Gladitz mit der Süddeutschen Zeitung zwar nicht
führen, aber er beantwortet Fragen, schriftlich. Es sei eine Entscheidung
"der gesamten Gruppe" gewesen, das Projekt in Portugal aufzulösen,
schreibt er. Die SZ hat mit einem Dutzend Menschen gesprochen, die in den
vergangenen zwei Jahren ihr Geld in Gladitz' Thrive Villages investiert
haben. Einige hatten nur Pässe gekauft, um in Zukunft einmal dorthin zu
reisen, andere lebten viele Monate auf Bali oder in Portugal und zahlten
dafür zusätzlich mehrere Tausend Euro Miete und monatliche Mitgliedsbei-
träge an Gladitz. Für viele war die Corona-Pandemie der letzte Auslöser, um
den Schritt raus aus Deutschland zu gehen. Es klang einfach zu gut: Home-
Office am Strand. Dass sie diesen Schritt dann tatsächlich wagten, liegt wohl
auch daran, dass fast alle ihr Geld mit Online-Workshops verdienen, ähnlich
wie Gladitz. Sie brauchen keine Büros, eher eine Kulisse, um auf Instagram
und Youtube neue Kundinnen und Kunden zu werben.
Weil Gladitz nach eigenen Angaben "wohnsitzlos" ist, spart er sich die Einkommenssteuer. Von
"klassischen" Steuervermeidern wolle er sich aber "klar abgrenzen", er sei eher ein "Nomade". (Foto:
Instagram Robert Gladitz)

Carolin Pfeiffer ist 39 Jahre alt und bietet online Paarberatung an oder
Lebenshilfe. Sie hat schmale Hände, mit denen sie auf dem Tisch Kreise
malt, während sie spricht. Im vergangenen Jahr haben sie und ihr Partner
rund 11 000 Euro an die Thrive Villages gezahlt. Neben den vier Pässen
überwiesen sie jeden Monat 2750 Euro für ihre Zwei-Zimmer-Unterkunft,
zusammengesetzt aus Miete und einem Thrive-Mitgliedsbeitrag. Dazu
kamen die beiden Umzüge und die Kosten für die Ferienwohnung jetzt, also
noch einmal fast 10 000 Euro. "Für drei Monate hätten wir das nie gemacht",
sagt Pfeiffer.
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Ihre kleine Tochter sitzt auf dem Schoß ihres Partners und isst Mandarinen,
die Vierjährige hockt auf dem Teppich und bastelt aus Karton ein Gebilde,
das ein Virus sein könnte. Sie hätten schon länger davon geträumt auszu-
wandern, aber sich nie getraut, sagt Carolin Pfeiffer. Dann fanden sie die
Thrive Villages auf Instagram. Zuerst hätten die hohen Kosten für Pässe,
Miete, Mitgliedschaft und Kaution sie abgeschreckt. Aber Gladitz bot ihnen
an, die Kaution in Raten zu zahlen und einige Mitgliedsbeiträge erst im
kommenden Sommer. Das klang nach einer guten Perspektive, schließlich
erwartete Pfeiffer ein inspirierendes Arbeitsumfeld. Eines, in dem auch ihr
Geschäft wachsen könnte.

Sie war nicht die Einzige, für die das alles traumhaft klang. Auch Marie
Sommerfeld aus Lemgo in Ostwestfalen-Lippe ging es so. Sie sei unglück-
lich mit ihrer Stelle in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung
gewesen, sagt sie am Telefon, ihrem Mann ging es als Lagerarbeiter genau-
so. Während der Pandemie seien die Belastungen immer größer geworden:
Ihr Vater starb, sie wurde schwanger, sie suchte einen Ausweg. Als sie Thrive
fand, glaubte sie daran, dass die Gemeinschaft ihnen "Power" geben würde.
Ihr Geld wollte sie online verdienen mit Naturkosmetik auf Provision. Die
Sommerfelds verkauften ihr Haus, um sich den Umzug ins portugiesische
Dorf leisten zu können. Auch sie standen nach drei Monaten auf der Straße.

Im Film sieht man eine Gemeinschaft, gefangen in einem nie


endenden Selbstgespräch
Seine Überzeugungskraft gewinnt Robert Gladitz wohl auch daraus, dass er
sein Privatleben - oder das, was er dafür ausgibt - in den sozialen Medien
teilt. Auf Instagram folgen ihm 25 000 Menschen, auf Youtube mehr als
13 000. Neben unzähligen Coachingvideos zeigte er in den vergangenen
Jahren auch immer wieder Bilder scheinbar intimer Momente: wie er seine
Partnerin auf einer Dachterrasse im Sonnenuntergang küsst oder mit ihr
nackt vor einem Wasserfall sitzt und ihren Schwangerschaftsbauch betrach-
tet. Seine Partnerin heißt Elina Miller und arbeitet, natürlich, als Online-
Coach. Als das Thrive Village auf Bali eröffnete, hatten die beiden damit
geworben, ihr Kind hier großziehen zu wollen. Das von Gladitz engagierte
Filmteam nahm sogar die Geburt seines Sohnes auf, der in der Hotelanlage
in einem Planschbecken bei Kerzenlicht zur Welt kam: "Für Lionel".

Gladitz tritt in dem Film aber nicht nur als Vater auf, sondern vor allem als
spiritueller Lehrer. Einmal erklärt er auf einem Flipchart eine Art Stufen-
modell der Persönlichkeitsentwicklung. Vor ihm hocken vier Frauen in som-
merlichen Kleidern auf dem Boden und machen sich Notizen. Das Modell
erinnert an die Maslowsche Bedürfnispyramide. Die Interessen des Men-
schen bauen demnach aufeinander auf, am Anfang steht das Überleben,
dann folgen Macht, Ordnung, Harmonie. Zuletzt tritt angeblich ein friedli-
cher Zustand der Akzeptanz ein. Ganz an der Spitze des Modells ist ein bär-
tiger Mann zu sehen, im Schneidersitz. Er sieht wie ein Guru aus. Oder
wie Gladitz.

Das Ziel sei es, sagt Gladitz im Film, "dass wir uns immer mehr in unsere
höchste Version entwickeln".

Der Psychologe Dieter Rohmann, der Sektenaussteiger betreut und sich die
Gladitz-Videos angesehen hat, sagt am Telefon, dass ihm besonders aufge-
fallen sei, wie geschickt er die Menschen an sich binde. "Er kreiert eine
zweigeteilte Welt", sagt Rohmann. "Ein Draußen, in dem Egoismus herrscht
und Kriege geführt werden, und ein Drinnen, in dem einige wenige die Welt
zu einem besseren, richtigeren Ort machen wollen." Für ihn sei Thrive aber
keine Sekte, eher eine esoterische Gemeinschaft. Die Rhetorik von Gladitz
erinnert ihn aber an Gurus, die in den Achtzigerjahren in Indien westliche
Sinnsucher verzauberten.

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"Der Trick ist", sagt Rohmann, "dass die Persönlichkeitsarbeit nie abge-
schlossen sein wird. Ein seriöser Psychotherapeut tut alles, um seine Klien-
ten so schnell wie möglich in die Selbständigkeit zu entlassen. Ein
esoterischer Coach macht genau das Gegenteil. Er vermittelt seinen Klien-
ten ständig das Gefühl: Du musst noch mehr tun. Der Mensch bleibt eine
Baustelle." Diese Idee scheint besonders zu verfangen, weil die meisten
Hotelbewohner selbst aus dem Coaching-Umfeld kommen. Im Film kreisen
ihre Gespräche immer wieder ausschließlich um ihr Befinden. Sie coachen
sich gegenseitig. Es ist letztlich ein einziges großes Selbstgespräch.
Die Partnerin von Gladitz, Elina Miller, beschreibt sich selbst als "business alchemist", "medicine woman"
und "selfmade multimillionaire". (Foto: Vimeo Elina Miller)

Was in dem Film über das Paradies auf Bali kaum eine Rolle spielt, sind die
Probleme, die allmählich innerhalb der Gemeinschaft entstehen. Einige
Bewohner waren mit ihren kleinen Kindern eingezogen, aber es gab keine
Schule. Die Partnerin von Gladitz, Elina Miller, hatte kurz nach dem Einzug
zwar angekündigt, den Erlös aus einem ihrer Seminare in eine Schule zu
investieren, aber tat dies nie. Das Geld liege "unberührt auf der Seite",
erklärt sie schriftlich auf Anfrage. Miller ist in der Coaching-Szene mindes-
tens so bekannt und erfolgreich wie Robert Gladitz. Auf Instagram
beschreibt sie sich als "business alchemist", "medicine woman" und "self-
made multimillionaire". Auch sie zeigt sich auf Fotos fast ausschließlich in
hellen Kleidern und sonnengebräunter Haut. Auf ihren Instagram-Bildern
tanzt sie vor dem Badezimmerspiegel und feiert ihre "6-stelligen" Erfolge
oder sitzt mit Laptop und Kokoswasser im Himmelbett. Miller wuchs in
Wuppertal auf und lernte den in Berlin geborenen Gladitz über dessen Coa-
chingseminare kennen. Für die Thrive-Dörfer warben sie anfangs gemein-
sam. Aber im September, nachdem die Dreharbeiten für den Film
abgeschlossen waren, zogen Miller und Gladitz aus dem Thrive-Dorf auf
Bali aus. Sie habe das "starke Bedürfnis nach mehr Stadtleben gehabt",
schreibt sie. Die beiden mieteten eine Wohnung in einem Nachbarort auf
Bali, flogen mal nach Portugal, mal nach Deutschland und besuchten ihre
Dörfer wie Ehrengäste.

Es besteht ein Unterschied zwischen dem, was Gladitz in dem Film und auf
Instagram predigt - Gemeinschaft, Solidarität, ein neues Miteinander -, und
seinem Handeln in der Realität. Sein Unternehmen, die Thrive.Gift LLC,
über das er zumindest einen Teil seines Bali- und Portugal-Geschäfts abwi-
ckelte, hat seinen Firmensitz in Florida, USA. Dort müssen bestimmte
Unternehmen, sogenannte LLCs, keine Körperschaftsteuer zahlen, wenn sie
ihre Geschäfte im US-Ausland machen und ihre Eigentümer keine US-
Staatsbürger sind. Auf Gladitz und seine Firma trifft das zu, und weil er
nach eigenen Angaben "wohnsitzlos" ist - in Deutschland habe er sich abge-
meldet, schreibt er der SZ -, spart er auch die Einkommensteuer für seine
Einnahmen aus der Thrive.Gift LLC. Von "klassischen" Steuervermeidern
wolle er sich aber "klar abgrenzen", schreibt er. Er verstehe sich eher als "No-
made".

Als ihn eine Bewohnerin darum bat, die Finanzen offenzulegen,


reagierte er eher angefasst
Für einige der Verträge, die er mit seinen Hotelbewohnern schloss, nutzte er
noch eine zweite Firma mit Sitz in Berlin. In die Thrive GmbH stieg auch
seine Partnerin Miller ein, sein Bruder wurde Geschäftsführer. Die Adresse
der Firma führt zu einem Berliner Wohnhaus, in dem Thrive nicht einmal
einen Briefkasten hat. Warum das Firmenschild fehle, könne er sich nicht
erklären, schreibt Gladitz. Er sei aber auch gerade dabei, einen neuen Fir-
mensitz zu finden.

Seinen Mietern in den Thrive Villages erzählte Gladitz anfangs nicht viel
über seine Geschäfte. Als ihn eine Bewohnerin auf Bali im vergangenen
Sommer darum bat, die Finanzen des Projekts offenzulegen, damit sich
jeder ein Bild von dessen Stabilität machen könne, reagierte Gladitz ange-
fasst. Da schwinge der Vorwurf mit, "dass wir als Thrive uns am Village
bereichern", sagte er in einer Sprachnachricht an sie. Dabei stopfe er die
Finanzlöcher, die es zweifelsohne gebe, mit Einnahmen aus seinen eige-
nen Coachings.

Erst viel später, nach dem Ende seiner Dorfprojekte, nannte Gladitz Zahlen
zu seiner angeblichen Schieflage. Seit Beginn des Projekts habe Thrive eine
Million Euro Umsatz gemacht - aber 1,3 Millionen Euro ausgegeben. War
der Traum vom Dorf im Paradies also für Gladitz ein Minusgeschäft?

Schon zwei Monate nach der Eröffnung der Anlage in Portugal gab es Konflikte mit den Bewohnern - und
in mehreren Zimmern angeblich auch Schimmel. (Foto: Vila Pedra)

Von den dreizehn Monaten, in denen das Wohnprojekt auf Bali existierte,
habe man sich zwölf Monaten lang "in der Verlustzone befunden", schreibt
Gladitz. Trotz dieser Geldsorgen eröffnete er allerdings im September 2022
noch das Thrive Village in Portugal. Doch auch hier war die Hotelanlage nie
voll ausgelastet, auch hier sei man "mit Verlust aus dem Projekt herausge-
gangen". Angeblich habe er die Hotelzimmer ganz bewusst leer stehen las-
sen, schreibt Gladitz. Er habe eine "großartige Gemeinschaft" ohne
"Störenfriede" erschaffen wollen und habe deshalb nicht jeden einziehen
lassen. Einen Teil seines Firmengeldes steckte Gladitz außerdem in den
Film "Für Lionel". Weil ein Crowdfunding dafür nicht reichte, habe er mehr
als 100 000 Euro selbst investiert.

Schon zwei Monate nach der Eröffnung der Anlage in Portugal wurden die
Probleme dort allerdings zu groß. Seine Mieter hätten die Lage und das
Wetter nicht gemocht, schreibt Gladitz. Zudem habe es Konflikte gegeben -
und in mehreren Zimmern auch Schimmel. Im November meldete er dem
Besitzer der Hotelanlage dieses angebliche Schimmelproblem, er wolle den
Mietvertrag deshalb vorzeitig kündigen, obwohl er diesen für ein Jahr
geschlossen hatte. Ein Gutachter, den der Besitzer daraufhin engagierte,
stellte jedoch nur einen "niedrigen Feuchtigkeitsgehalt" fest. Gladitz drohte
dem Besitzer in E-Mails: Er habe viele Follower und könne ihm "Imagepro-
bleme" bereiten. Er habe nicht gedroht, "lediglich gewarnt", schreibt Gladitz.
Am Ende setzte er seinen Willen jedenfalls durch. Die Kaution - 84 000
Euro - behielt aber der Besitzer.

Nachdem Gladitz im Gruppenchat das Ende des Dorfes verkündete, blieben


Carolin Pfeiffer und ihrer Familie sieben Tage Zeit, um ihre Zimmer zu ver-
lassen. Wer länger bleiben wolle, hieß es, solle sich direkt an den Besitzer
wenden. Nur bezüglich der Kautionen, die er seinen Mietern nun trotzdem
zurückzahlen musste, appellierte Gladitz an die Solidarität seiner Gäste.
"Jeder spürt mal in sich rein", schlug er in einer Telegram-Nachricht vor:
"Was kann und was mag ich von meiner Kaution geben?" Man könne sich
doch den Schaden teilen. Auf Instagram möge man die Auflösung des Vil-
lage aber bitte nicht verbreiten, hieß es. "Das erzeugt gerade Unsicherheit"
bei den Menschen in Deutschland, die einen Pass gekauft haben.
Er sei nur der Visionär, sagte er, als es vorbei war. Den Rest
hätten schon sie machen müssen
Auch auf Bali war kurz darauf der Traum zu Ende. Gladitz kündigte den
Mietvertrag mit der Hotelanlage zu Ende Januar 2023, auch dort früher als
laut Vertrag vereinbart. Auch hier seien Konflikte unter den Bewohnern
schuld am Ende des Dorfprojekts gewesen, sagt er heute.

Um den Bewohnern und den Passbesitzern das Ende der Villages zu erklä-
ren, nahm Gladitz Videos auf, die er "Keynotes" nannte. Seine Rolle sei nur
die des Visionärs gewesen. "Weil wir als Thrive uns gar nicht als diejenigen
sehen, die das alles alleine umsetzen, und die anderen sich bloß als Kunden."
Eine merkwürdige Sichtweise, schließlich hat Gladitz eine Million Euro ein-
genommen, wie er selbst sagt.

Unter Menschen

Geschichten
Ein stummes Mädchen in Not. Das Paar, das sich nicht
trennen mag. Unterwegs mit einem Kokain-Dealer. Und
mehr.

Gladitz schreibt der SZ, er habe sich nur als "Geburtshelfer" verstanden,
"mit dem Ziel, im Laufe der Zeit immer mehr in den Hintergrund zu treten".
Die Bewohner müssten sich ihre Traumdörfer selbst erschaffen. Für den
Psychologen Rohmann ist diese Argumentation eine Art Schuldumkehr.
Gladitz vermittele den Bewohnern damit das Gefühl, dass sie selbst schuld
daran seien, dass es mit dem schönen Leben in den Villages nicht geklappt
hat. "Ihr habt euch einfach zu wenig engagiert." Das sei typisch für solche
Gemeinschaften: "Gladitz, der Guru, nimmt sich aus der Verantwor-
tung raus."

Auch Carolin Pfeiffer hat sich die Videos angesehen. "Ich glaube, er hat eine
große Idee, die er ziemlich cool findet, und der einzelne Mensch dabei, der
ist ihm egal." Pfeiffer und ihr Mann hatten für einen Mietvertrag für ein Jahr
unterschrieben, eine schriftliche Kündigung gab es nie. Aber sie meint, dass
sie auch mit einem Anwalt kein Geld von ihm einklagen könnten: "Weil der
staatenlos ist." Immerhin, die Kaution und das Geld für die Pässe habe
Thrive ihnen zurücküberwiesen. Auch anderen stellt Gladitz die Rückerstat-
tung der Pässe in Aussicht, in den kommenden Monaten.

Während die meisten Menschen aus den Thrive Villages heute wieder in
Deutschland an ihrem Laptop sitzen, arbeitet Gladitz schon an neuen
Geschäftsideen. Denjenigen, die noch immer einen seiner Pässe besitzen,
könne er künftig als Online-Coach dabei helfen, eigene Community-Pro-
jekte aufzubauen: "Wie macht man so was? Wie kalkuliert man Finanzen?"
Für ihn wäre so ein Job jedenfalls praktisch. Seine Partnerin Miller und er
sind auf Bali geblieben. Sie posten ihre Videos jetzt aus einem Haus direkt
am Meer.
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