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Schmidt
Bonn
für Joachim, ohne den es dieses Buch nicht gäbe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Ontologische Wahrheit
. Erschlossenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.. Die Erschlossenheit des innerweltlich Seienden . . . . . . . . .
.. Die Erschlossenheit des Daseins . . . . . . . . . . . . . . . . .
.. Erschlossenheit und Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. Un-Verborgenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.. Grund und Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.. Wesen und Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.. Wahrheit und Unverborgenheit . . . . . . . . . . . . . . . . .
Propositionale Wahrheit
. Aussage und Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.. Der Begriff des Λόγος . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.. Aussage und Verstehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. Sprache und Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ästhetische Wahrheit
. Der Ursprung des Kunstwerks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.. Das Ding und das Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.. Das Werk und die Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.. Die Wahrheit und die Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. Heideggers Ausflug in die Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.. Paul Cézanne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
.. Paul Klee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Resümee
i
Siglenverzeichnis
Abbildungen
Literatur
ii
᾿Εκ Χάεος δ’ ῎Ερεβός τε μέλαινά τε Νύξ ἐγένοτο. . . .
Νύξ δ’ ἔτεκε στυγερόν τε Μόρον καί Κῆρα μέλαιναν
και Θάνατον, τέκε δ’ ῞Υπνον, ἔτικτε δέ φῦλον ᾿Ονείρων.
οὔ τινι κοιμηθεῖσα τέκε Νύξ ἐρεβεννή . . .
τίκτε δὲ καı̀ Νέμεσιν, πῆμα θνητοῖσι βροτοῖσι,
Νύξ ὀλοή· μετὰ τὴν δ’ ᾿Απάτην τέκε καı̀ Φιλότητα
Γῆράς τ’ οὐλόμενον, καı̀ ῎Εριν τέκε καρτερόθυμον.
Αὐτὰρ ῎Ερις στυγεερή τέκε . . . Λήθην . . .
Aus dem Chaos gingen Erebos (finsterer Grund) und die dunkle Nacht hervor.
...
Die Nacht gebar das schreckliche Verhängnis, das schwarze Verderben und den
Tod, gebar auch den Schlaf und brachte die Sippe der Träume hervor; keinem gesellt,
gebar sie die Göttin, die finstere Nacht. . . .
Die verderbliche Nacht gebar auch Nemesis (Vergeltung) zum Leid der sterblichen
Menschen, und nach ihr gebar sie List und Liebe und das verderbliche Alter, sie
gebar auch die trotzige Eris (Streit).
Die schreckliche Eris nun gebar . . . das Vergessen . . .
iii
Einleitung
Diese Untersuchung versucht nichts weniger, als die Frage zu beantworten, was
Wahrheit im Denken Heideggers meint. Was haben wir darunter zu verstehen, wenn
Heidegger von Wahrheit spricht? Insgesamt lassen sich im Wesentlichen drei Wahr-
heitsbegriffe, bzw. Bedeutungen von Wahrheit, bei Heidegger unterscheiden:
Ontologische Wahrheit
„Die Struktur der Sorge als Sichvorweg – schon sein in einer Welt – als Sein bei
innerweltlichem Seienden birgt in sich Erschlossenheit des Daseins. Mit und
durch sie ist Entdecktheit, daher wird erst mit der Erschlossenheit des Daseins
das ursprünglichste Phänomen der Wahrheit erreicht. [. . . ] Sofern das Dasein
wesenhaft seine Erschlossenheit ist, als erschlossenes erschließt und entdeckt,
ist es wesenhaft ,wahr‘. Dasein ist ,in der Wahrheit‘.“
Mit diesem Zitat befinden wir uns direkt im Herzen der Wahrheitsuntersuchung
Heideggers in „Sein und Zeit“. Da die Erschlossenheit des Daseins das „ursprünglich-
ste Phänomen der Wahrheit“ ist, werden unsere eigenen Untersuchungen von hier
aus ihren Anfang nehmen. Doch können wir uns der Erschlossenheit nicht direkt
zuwenden, sondern müssen den Umweg über Heideggers existenziale Analytik des
Daseins gehen, denn „Erschlossenheit wird durch Befindlichkeit, Verstehen und Re-
de konstituiert und betrifft gleichursprünglich die Welt, das In-Sein und das Selbst“
(SuZ ) – und diese sind gerade Seinsweisen des Daseins, demnach Gegenstand
der existenzialen Daseinsanalyse.
Wenn wir den Begriff der Erschlossenheit geklärt haben (Abschnitt .), wenden
wir uns Heideggers Beschäftigung mit der Wahrheit in seinen späteren Schriften,
nach „der Kehre“, zu (Abschnitt .). In diesem wird der Begriff der „Erschlossen-
heit“ von dem der „Un-Verborgenheit“ abgelöst. Beide, sowohl Erschlossenheit, als
auch Un-Verborgenheit zeichnen sich durch ihren entbergenden oder auch lichtenden
Charakter aus. „Enthülltheit des Seins ermöglicht erst Offenbarkeit von Seiendem.
Martin Heidegger: Sein und Zeit, S. f., im Weiteren kurz SuZ genannt. Im Verlauf der
Arbeit werde ich die jeweiligen Siglen in der entsprechenden Fußnote einführen. Zur Übersicht
befindet sich zusätzlich am Ende der Arbeit eine Siglenübersicht.
Kapitel Ontologische Wahrheit
Diese Enthülltheit als Wahrheit über das Sein wird ontologische Wahrheit genannt.“
Eine Seite zuvor in „Vom Wesen des Grundes“ definiert Heidegger ontische Wahrheit
als die Offenbarkeit des Seienden, so dass sich auf den Punkt gebracht sagen lässt:
Die ontische Wahrheit ist in der ontologischen Wahrheit fundiert. Diese Enthülltheit
nun, die es uns überhaupt erst ermöglicht, dass Seiendes uns begegnen kann, d. h.
dass es so etwas wie Gegenstände für uns gibt, wird in den frühen Schriften Er-
schlossenheit, weil sie vom Dasein d. h. vom Menschen her gedacht wird, und in den
späteren Schriften Un-Verborgenheit genannt, weil die Enthülltheit hier nun vom
Sein her gedacht wird.
. Erschlossenheit
Wie Walter Biemel feststellt, ist „der Kern“ des Heideggerschen Denkens ein „dop-
pelter“. Die Frage nach der Wahrheit, der ἀλήθεια, ist auf engste verbunden mit der
Frage nach dem Sein. Denn aus der Frage nach der Wahrheit als Übereinstimmung
(der Aussage mit dem Gegenstand) entwickelt sich die Frage nach dem Grund für
die zuvor vorgenommene Trennung, und damit nach der „Identität der Differenz“,
d. h. wodurch wird es uns ermöglicht, Trennungen vorzunehmen und damit Gegen-
stände zu haben? Hierbei zeigen sich gewisse Parallelen zu Hegels „Dialektik der
Grenze“ : bei jeder Grenzziehung befinde ich mich schon jenseits der von mir gezo-
genen Grenze. Doch bin ich beim Ziehen einer Grenze nicht nur bereits jenseits der
Grenze bei dem, gegen das ich etwas abgrenze, sondern indem ich zwei Seiende (Aus-
sage und Gegenstand der Aussage) gegeneinander abgrenze, bin ich auch über die
(abgegrenzten) Seienden hinaus, und zwar in dem „Raum“, in dem sich sowohl das
erste Seiende (Aussage) als auch das zweite Seiende (das, über das etwas ausgesagt
wird) „befinden“. Dieser „Raum“, innerhalb dessen die Grenzziehung vorgenommen
wird, dessen Eigenschaften die Grenzziehung überhaupt erst ermöglichen, ist das
Sein im Sinne Heideggers, bzw., wie er später schreiben wird, das Seyn. Das Seyn
kann demnach verstanden werden als eine „Distinktionsdimension“.
Die Frage Heideggers nach einem Grund, der die verschiedenen Weisen und Deri-
vate des Seins rechtfertigen soll, zeigt nach Gethmann „eine kritische, an der Idee der
Martin Heidegger: Vom Wesen des Grundes (WdG), in: Ders.: Wegmarken (GA ), S. . Vgl.
auch Martin Heidegger: Kant und das Problem der Metaphysik (Kant) (GA ) S. und SuZ .
Walter Biemel: Heidegger, S. .
Vgl. G.W.F. Hegel: Wissenschaft der Logik I, (GW ), S. ff., bzw. (GW ), S. ff.
Vgl. Abschnitt .., S. ff, und insbes Abschnitt ., S. und S. ff.
Vgl. Wolfram Hogrebe: Echo des Nichtwissens (EdN), S. .
. Erschlossenheit
„nicht die Frage nach Sein und Gegebenheitsweise einer bestimmten Region
von Seiendem, sondern die Frage nach demjenigen Seienden, zu dessen Sein
es gehört, daß sich mit ihm überhaupt erst ein Spielraum für Gegebenheit
eröffnet.“
Als dieses Seiende macht Heidegger das Dasein (d. h. den Menschen) aus und führt
drei Gründe an, weshalb sich das Dasein vor allem anderen Seienden auszeichnet:
. Das Dasein besitzt einen ontischen Vorrang. Ontisch besagt hierbei, auf Sei-
endes bezogen. Dieser Vorrang besteht also gerade darin, dass das Dasein unter
allen Seienden sich dadurch auszeichnet, dass es diesem Seienden in seinem Sein um
Carl Friedrich Gethmann: Verstehen und Auslegung (VuA), S. .
Ernst Tugendhat: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger (WHH), S. .
Kapitel Ontologische Wahrheit
dieses Sein selbst geht. Das Sein, um das es dem Dasein gerade geht, nennt Heideg-
ger Existenz. Das Dasein steht somit zugleich immer schon in einem bestimmten
Seinsverhältnis zu seinem Sein. Dies führt zum zweiten Vorrang.
. Das Dasein besitzt einen ontologischen Vorrang. Ontologisch bedeutet, auf das
Sein des Seienden bezogen. Der ontologische Vorrang besteht gerade in dem Um-
stand, dass das Dasein in der Bekümmerung um seine Existenz immer seinsverste-
hend verfährt d. h. das Dasein hat immer schon ein bestimmtes Seinsverständnis
von sich, es legt sich selbst aus. Existieren bedeutet sich in einem Seinsverständnis
bewegen. Daraus schließt Heidegger, dass das Seinsverständnis selbst eine Seinsbe-
stimmtheit des Daseins ist (vgl. SuZ ).
. Der dritte Vorrang kann als ein ontisch-ontologischer bezeichnet werden, denn,
weil im Verständnis des eigenen Seins immer auch ein Verstehen des Seins von nicht
daseinsmäßigem Seienden liegt, erweist sich das Dasein „als ontisch-ontologische Be-
dingung der Möglichkeit aller Ontologien“ (SuZ ). Indem das Dasein seinsver-
stehend ist, hat es nicht nur ein Seinsverständnis seiner selbst, sondern von allem
Seienden.
Deswegen ist für Heidegger die existenziale Analytik des Daseins der Ursprung
für die von ihm gesuchte Fundamentalontologie. Fundamentalontologie ist die Leh-
re vom Seinsverständniss, und damit Vorbereitung für die Frage nach dem Sein,
während hingegen Regionalontologien, die Heidegger von der Fundamentalontologie
unterscheidet, sich immer schon in einem Seinsverständnis befinden und, was das
Entscheidende ist, dieses Seinsverständnis selbst nicht thematisieren. Zwar ist auch
Heideggers Fundamentalontologie nicht voraussetzungslos, d. h. ohne Seinsverständ-
nis, doch worauf es ankommt, und dadurch zeichnet sich die Fundamentalontologie
aus, ist, die Voraussetzungen in die ontologische Untersuchung mit einzubeziehen.
Für Tugendhat bedeutet das Stellen der Seinsfrage durch Heidegger eine Radika-
lisierung der phänomenologischen Position Husserls. Nicht nur, dass die Gegeben-
heitsweisen des innerweltlich Seienden nicht länger auf Gegenständlichkeit einge-
schränkt bleiben (dies war gerade ein Problem der husserlschen Phänomenologie)
oder dass nun auch die Gegebenheitsweise des konstituierenden Bewusstseins in den
Vordergrund rückt, vor allen Dingen fragt Heidegger jetzt, wie Gegebensein über-
haupt möglich ist, und nicht mehr nur nach den Gegebenheitsweisen von Seiendem.
Diesen Unterschied zwischen Seiendem als Seiendem und dem Sein selber bezeichnet
Heidegger als „ontologische Differenz“. Ontologie soll sich nicht länger bloß auf Sei-
Vgl. SuZ , Z.- und insbesondere WdG .
. Erschlossenheit
endes einschränken , sondern zum Sein selbst vordringen. Das Sein selbst aber lässt
sich nicht bestimmen, da es kein Seiendes ist – hierin drückt sich gerade die ontolo-
gische Differenz aus. Darum können wir uns dem Sein immer nur indirekt nähern,
durch das Freilegen von Seinsvollzügen des Daseins oder indem wir untersuchen,
was durch das Sein ermöglicht wird. Das Sein, das es ermöglicht, dass es überhaupt
Gegenstände, Dinge für uns gibt, verbirgt sich in dem Moment vor unserem Blick,
in dem Seiendes für uns offenbar wird – das Sein selbst bleibt dunkel.
Die ontologische Differenz führt zu einer weiteren wichtigen begrifflichen Unter-
scheidung, die es zu berücksichtigen gilt, der zwischen Kategorie und Existenzial.
Diese sind die beiden „Grundmöglichkeiten von Seinscharakteren“ (SuZ ). Existen-
zialien sind Seinscharaktere oder auch Seinweisen des Daseins. Heidegger gewinnt
sie mittels der Analytik des Daseins in dessen „durchschnittlicher Alltäglichkeit“.
Die Seinsbestimmungen des nicht daseinsmäßigen Seienden hingegen nennt Heideg-
ger Kategorien. Wenn wir nun herausfinden wollen, was es mit der ontologischen
Wahrheit auf sich hat, so müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf die Existenziali-
en richten. Für Heidegger sind im Grunde alle Seinsweisen des Menschen gleichur-
sprünglich, keine Seinsweise ist aus einer anderen „abgeleitet“ und doch gibt es ein
bzw. zwei Existenzialien, nämlich In-Sein, bzw. In-der-Welt-Sein, von denen her die
übrigen verstanden werden können.
Das In-Sein setzt Heidegger klar vom „Sein in . . . “ ab (vgl. SuZ f.), welches als
eine Ortsbestimmung eine kategorial-ontologische Bestimmung ist und somit nicht-
daseinsmäßigen Seienden zukommt. Das bedeutet natürlich nicht, dass dem Dasein
nicht auch diese Bestimmung zukommt, doch gründet das kategoriale „Sein in“ im
existenzialen In-Sein, wie sich im Laufe unserer Erörterungen zeigen wird, und erst
wenn das Dasein bloß als ein Seiendes betrachtet wird, kommt auch diesem das
„Sein in“ zu. Interessant ist nun, dass Heidegger diesen ontologischen Unterschied
zwischen In-Sein und „Sein in“ durch eine etymologische Betrachtung des Wortes
„in“ zu erläutern versucht. Da „in“, so Heidegger, von „innan-“ kommt und dies woh-
nen, sich aufhalten und das „an“ vertraut sein mit, etwas pflegen, bedeutet, gelangt
Heidegger so zum Ausdruck „Besorgen“. Dieser wird „in der vorliegenden Untersu-
chung als ontologischer Terminus (Existenzial) gebraucht als Bezeichnung des Seins
Diese Einschränkung nennt Heidegger manchmal Ontik im Gegensatz zur Ontologie (vgl. Mar-
tin Heidegger: Die metaphysischen Anfangsgründe der Logik (GA ), S. f.).
Dies ist die Herangehensweise Heideggers vor der Kehre, insbesondere in SuZ.
Dies entspricht Heideggers Vorgehen nach der Kehre. Vgl. „Vom Wesen des Grundes“ und „Vom
Wesen der Wahrheit“.
Kapitel Ontologische Wahrheit
eines möglichen In-der-Welt-seins“(SuZ ). Mit dem In-Sein aufs engste verbunden
ist also das fundamentale Existenzial In-der-Welt-sein.
„In-Sein ist demnach der formale existenziale Ausdruck des Seins des Daseins,
das die wesenhafte Verfassung des In-der-Welt-seins hat“ (SuZ ). Dieses bezeich-
net, wie uns die Überschrift des zweiten Kapitels des ersten Abschnitts in SuZ nahe
legt, die Grundverfassung des Daseins. Zugespitzt ausgedrückt, könnte man sagen,
dass alle übrigen Existenzialien sich als Facetten des In-der-Welt-seins betrachten
lassen , doch bedeutet das nicht, dass das In-der-Welt-sein aus den übrigen Seins-
weisen besteht, ja gar durch sie zusammengesetzt erst entsteht. „Das In-der-Welt-sein
ist zwar eine a priori notwendige Verfassung des Daseins, aber längst nicht ausrei-
chend, um dessen Sein voll zu bestimmen“ (SuZ ).
Die Radikalisierung der Position Husserls durch Heidegger lässt sich für Tugendhat
gerade am Begriff des „In-der-Welt-seins“darstellen, welches selbst eine Radikalisie-
rung der husserlschen Epoché darstellt.
Die transzendentale Epoché besteht im Ausschalten aller Setzungen, auch der
naturwissenschaftlichen, die in einem Bewusstseinsakt immer schon mitgesetzt wer-
den. Zurückbleiben soll „nur die allgemeine Thesis der Welt“ (WHH ). Zugleich
werden auch unsere Stellungnahmen isoliert, die dann eigens thematisiert und un-
tersucht werden können. Das Problem, das Heidegger mit der Epoché hatte, war,
dass Husserl zwar nach dem Wie des Gegebenseins fragt, er aber letztlich in der Ge-
genständlichkeit verhaftet bleibt. Und zwar deshalb, weil Husserl alles menschliche
Verhalten letztlich als ein objektivierendes Setzen versteht – indem wir uns immer
intentional verhalten, „setzen“ wir unseren Gegenstand, denn Bewusstsein ist immer
Bewusstsein von. . . (also gegenständliches Bewusstsein).
Demgegenüber stellt Heideggers Frage nach dem In-der-Welt-sein eine Radikalisie-
rung der Epoché dar, „weil jetzt nicht vom Seienden nur auf dessen Gegebenheitswei-
sen zurückgefragt wird, sondern nach der Dimension der Gegebenheitsweisen selbst,
d. h. nach dem Geschehen eines „gelichteten“ Begegnens als solchem“ (WHH ).
Diese „Dimension der Gegebenheitsweisen“ ist es gerade, die durch das Wort „Welt“
im Ausdruck „In-der-Welt-sein“ bezeichnet wird. Welt in diesem existenzialen Sinne
verstanden ist weder ein Seiendes noch die Totalität alles Seienden (vgl. SuZ f.).
Sie ist vielmehr eine Art „Urgegebensein“, in dem ich mich einerseits immer bereits
vorfinde und in dem mir andererseits Seiendes als Seiendes überhaupt erst begegnen
Heidegger nennt dies „das Phänomen der Gleichursprünglichkeit der konstitutiven Momente“
(SuZ ).
. Erschlossenheit
kann. Doch dieses Urgegebensein – die Welt – ist nicht einfach da, sondern wird von
uns erschlossen.
Im weiteren Verlauf unserer Untersuchungen werden wir uns ausdrücklich an der
Vorgehensweise Tugendhats orientieren und uns entsprechend der Unterscheidung
zunächst mit der Erschlossenheit des innerweltlichen Seienden beschäftigen (Ab-
schnitt ..) und dann mit der Erschlossenheit unserer selbst, d. h. des Daseins
(Abschnitt ..). Wobei zu beachten ist, dass im „Da“ des Da-seins beides immer
zusammenfällt, das eine ist niemals ohne das andere. Im Hinblick auf Zeitlichkeit
werden wir kurz darauf eingehen, um dann abschließend zu zeigen, warum Erschlos-
senheit und Wahrheit zusammenfallen (Abschnitt ..).
den Textpassagen, um diese Frage zu beantworten, sind die §§ - aus SuZ, die
Umweltanalyse.
Zunächst gilt es vom innerweltlichen Seienden her das Phänomen der Welt abzu-
stecken. Doch mit dieser Formulierung wird bereits erkennbar, vor welchem Problem
Heidegger steht: Auf der einen Seite will Heidegger zeigen, dass Welt die Bedingung
der Möglichkeit für das Begegnenkönnen von innerweltlichem Seienden ist und erst
aufgrund dieses Umstandes erweist sich das „Zuhandene“ als das „zuerst“ Begeg-
nende. Auf der anderen Seite aber kann er das Phänomen der Welt nicht einfach
voraussetzten, sondern es soll sich vielmehr erst aus der Art, wie Zuhandenes be-
gegnet, eröffnen. Dies mag zirkelhaft erscheinen, aber für die „Welt“ gilt das gleiche
wie für das Sein, und zwar, dass es bei „der Beantwortung der Frage [nach der
Welt; St.S.] nicht um eine ableitende Begründung, sondern um aufweisende Grund-
Freilegung geht“ (SuZ ). Die Lösung dieses Problems besteht darin, dass Welt und
Zuhandenes gleichursprünglich sind – zum einen müssen wir Welt als Spielraum des
Begegnenkönnens schon voraussetzen, damit es Zuhandenes für uns gibt, und zum
anderen wird uns erst im Umgang mit Seienden, hier speziell zuerst in der Zuhan-
denheit, überhaupt erst bewusst, dass wir uns schon immer in einem Umkreis von
Seiendem, in einer „Welt“ bewegen.
Heidegger beginnt in seiner Analyse des Weltbegriffs mit dem zweiten Punkt (vgl.
SuZ § ) und versucht dann (in SuZ § ) zu zeigen, dass Welt die Bedingung der
Möglichkeit für die Erschlossenheit des innerweltlichen Seienden ist.
Da der „phänomenologische Aufweis des Seins des nächstbegegnenden Seienden“
(SuZ ) im Hinblick auf „das alltägliche In-der-Welt-sein“ und d. h. im „Umgang in
und mit der Welt“ geschehen soll und die nächste Art des Umganges, wie Heidegger
in § (vgl. insbesondere SuZ f.) gezeigt hatte, das Besorgen ist, beginnt er seine
Analyse mit eben jenem Seienden, welches im Besorgen begegnet – dem Zeug. Das
„Zeug ist wesenhaft ,etwas, um zu. . . ‘ “ (SuZ ), dadurch verweist es auf ein Wozu.
Tugendhat stellt nun fest, dass diese teleologische Struktur nicht neu ist, da Heideg-
ger sie schon aus seiner Aristotelesinterpretationen gewonnen hatte, neu hingegen ist
. dass diese Struktur gerade das Sein dieses Seienden ausmachen soll und nicht in
irgendeine Art von „substanzialen Unterbau fundiert ist“, und . dass die Verweisung
nicht aus einem ganz bestimmten Telos verstanden ist, sondern aus einem Umkreis,
einer „Verweisungsganzheit“ heraus. Ganzheit meint hier nicht Totalität, sondern ei-
ne offene Verweisungsmannigfaltigkeit, offen deswegen, weil, wie Heidegger an einem
Beispiel illustriert (SuZ ), sich die Bezüge, bzw. Verweise immer weiter aufzeigen
. Erschlossenheit
lassen: bei der Herstellung eines Schuhs wird zugleich auf seine Materialien verwie-
sen, und diese verweisen wiederum auf ihre Herkunft, und diese auf den Umgang
bspw. der Menschen mit den Tiere, die das Leder liefern usw. Diese offene Verwei-
sungsmannigfaltigkeit lässt sich für jede Situation, für jede Szenerie, in der wir uns
bewegen, nachweisen. „Der Umgang mit Zeug unterstellt sich der Verweisungsman-
nigfaltigkeit des ,Um-zu‘. Die Sicht eines solchen Sichfügens ist die Umsicht“ (SuZ
). Das Sein dieses Zeugs, des Zuhandenen, ist die Zuhandenheit. Das Sein des
Seienden wird demnach phänomenologisch aus seiner Begegnungsweise verstanden.
Innerweltliches Seiendes erschließt sich uns also nicht durch bloßes Hinsehen, son-
dern gerade in dieser Umsicht. Jede weitere Betrachtungsweise von Seiendem ist
letztlich, wie wir noch sehen werden, aus dieser abgeleitet. Mit der aufgezeigten
Verweisungsganzheit ist aus der Analyse des innerweltlich zunächst begegnenden
Seienden das Phänomen der Welt gewonnen. Dies geschieht im Wesentlichen schon
in § . Die §§ und sind, wie Tugendhat sie nennt, bloß „ontische Bezeugun-
gen einer ontologischen Struktur“. In § wird gezeigt wie durch die Störung der
Verweisung die Verweisung selbst, bzw. die damit verbundene Verweisungsganzheit
(sprich „Welt“) uns vor Augen tritt und in § wird der Verweisungszusammenhang
am Beispiel des Zeichens verdeutlicht.
Nachdem in den §§ - das Phänomen der Welt abgesteckt wurde, geht es nun in
§ an die Beantwortung der Frage nach der Bedingung der Möglichkeit dafür, dass
innerweltliches Seiendes uns begegnen kann. „Zuhandenes begegnet innerweltlich.
[. . . ] Welt ist in allem Zuhandenen immer schon ,da‘ “ (SuZ ). Die Frage ist nur:
„Wie kann Welt Zuhandenes begegnen lassen?“ (ebd.) Die ontologische Auszeichnung
der Welt besteht gerade in der Freigabe zum Begegnenkönnen. Bisher ist klar, dass
es die Teile, sprich das Zuhandene, nicht ohne das Ganze, also die Welt, geben
kann. Doch das, worum es jetzt geht, spitzt Tugendhat zu folgender These zu: Die
Welt spezifisch ermöglicht die Erschlossenheit, das Begegnenkönnen als solches (vgl.
WHH ).
Mit Welt wird letztlich wieder auf das Dasein als In-der-Welt-sein zurück-verwiesen,
und dieser Bezug wird wie folgt hergestellt: Im Verweisungszusammenhang führen
alle Um-zu auf ein Wozu, welches selbst kein Um-zu hat, d. h. „was selbst nicht Seien-
des ist in der Seinsart des Zuhandenen innerhalb einer Welt, sonder Seiendes, dessen
Sein als In-der-Welt-sein bestimmt ist, zu dessen Seinsverfassung Weltlichkeit selbst
Die „Welt“ in der Umsicht nennt Heidegger deswegen auch Umwelt (vgl. SuZ ), eine Umwelt,
die nur noch im weitesten Sinne Beziehungen zu dem hat, was wir im Alltag Umwelt nennen.
Das theoretische Verhalten bezeichnet Heidegger als „unumsichtiges Nur-hinsehen“ (SuZ ).
Kapitel Ontologische Wahrheit
gehört. [. . . ] Das primäre „Wozu“ ist ein Worum-willen. Das Umwillen betrifft aber
immer das Sein des Daseins, dem es in seinem Sein wesenhaft um dieses Sein selbst
geht.“ (SuZ ).
Wie Heidegger auf S. von SuZ schreibt, steht das Dasein immer schon in ei-
nem Seinsverhältnis und vor allem in einem Seinsverständnis; dadurch eignet diesem
Seienden, „daß mit und durch sein Sein dieses ihm selbst erschlossen ist“. Diese Er-
schlossenheit wird von Heidegger nicht weiter hinterfragt, sondern gilt aufgrund
des mit dem Seinsverhältnis verbundenen Seinsverständnisses als (mehr oder weni-
ger) unmittelbar einsichtig. Im Abschnitt .. werden wir uns noch genauer der
Erschlossenheit des Daseins widmen, doch hier gilt es nur festzuhalten, dass mit
dem „Besorgen“ des eigenen Seins eine daran geknüpfte unmittelbare Erschlossen-
heit verbunden ist. Diese Erschlossenheit ermöglicht deswegen die Erschlossenheit
des innerweltlichen Seienden, weil das erwähnte Worum-willen innerhalb der Verwei-
sungszusammenhänge in Umzu-Bezügen auf innerweltliches Seiendes verweist, d. h.
im Besorgen des eigenen Seins spielen die innerweltlichen Seienden eine tragende
Rolle, sie werden in die Sorge um das eigene Sein miteingeflochten. Die Ganzheit
jener Verweisungszusammenhänge ist gerade das Phänomen der Welt. „Demnach ist
die aus dem Worumwillen des Daseins verstandene Welt die Bedingung der Möglich-
keit dafür, daß innerweltliches Seiendes begegnet, und darum muß dieses „zuerst“ als
Zuhandenes begegnen“ (WHH ). Auf den Punkt gebracht lässt sich sagen, dass
bei Heidegger „die Erschlossenheit des eigenen Seins zur Bedingung der Erschlossen-
heit des innerweltlichen Seienden“ (ebd.) wird.
Nachdem nun gezeigt wurde, dass die so bestimmte Welt die Bedingung der Mög-
lichkeit dafür ist, dass innerweltliches Seiendes begegnen kann, versucht Heidegger
im weiteren Verlauf von § zu zeigen, wie diese Welt Seiendes begegnen lässt,
sprich wie sich diese Erschlossenheit vollzieht. Dieses wird am Begriff „Bewandtnis“
verdeutlicht. Bewandtnis definiert Heidegger als den Seinscharakter des Zuhande-
nen. Heidegger gebraucht das Wort „Bewandtnis“ in zweifacher Hinsicht, die aber
letztlich zusammenlaufen:
. Bewandtnis wird im Sinne von ‚man lässt es bei einer Sache bewenden‘ verstan-
den. Ontologisch bedeutet dies, man lässt ein Seiendes in seinem Sein. Das Seiende,
welches hier gemeint ist, ist das Zuhandene. D. h. also, das Zuhandene soll in seinem
Sein freigegeben werden. Dieses Sein wurde gerade als die Zuhandenheit bestimmt.
Seiendes bewenden lassen, bedeutet demnach, Seiendes sein lassen und dieses wie-
Gerade deshalb ist die „Sorge“ ein Existenzial, sprich eine Seinsweise des Daseins.
. Erschlossenheit
„Das Womit der Bewandtnis, also das Wozu der Verweisung [sprich die . Be-
deutung; St.S.], ist aber immer schon in ein Verweisungsganzes verschränkt
[s. . Bedeutung; St.S.] und letztlich in einem Worumwillen verankert. Das,
woraufhin etwas im Bewendenlassen freigegeben ist, ist also eine ,Bewandtnis-
ganzheit‘ und letztlich die Welt, die daher bereits ,vorentdeckt‘ sein muß.“
Dies scheint, wie Tugendhat feststellt, kein Gewinn zu sein zu dem, was wir bereits
festgestellt haben, aber
„die Welt ist [. . . ] nicht nur etwas, auf Grund wovon oder innerhalb dessen
allein dem Dasein Seiendes begegnen kann, sondern das Begegnenlassen des
Seienden vollzieht sich im [. . . ] Hinblick auf Welt. Die Welt ist nicht nur Be-
dingung des Erschließungsgeschehens, sondern gehört in dieses selbst.“
Welt lässt demnach Zuhandenes als Zuhandenes begegnen, aber zugleich verweist
das Zuhandene auf den Rahmen, dem es sein Sein verdankt.
Damit erweist sich außerdem das Erschließen als vorgängig gegenüber dem blo-
ßen vor-sich-hin-Stellen des Vorstellens. Für Heidegger ist daher klar, dass Dasein
Seiendes in einer isolierten und unvermittelten Weise, wie man sich dies oft beim
Erkennen vorstellt, überhaupt nicht erschließen könnte, sondern immer nur in einer
Bewandtnisganzheit, aus einer Welt heraus. „Ein Zeug ,ist‘ streng genommen nie“
(SuZ ).
WHH . Tugendhat selbst verweist innerhalb meines Zitates auf SuZ .
WHH . Hervorhebung des letzten Satzes von mir.
Das Vorstellen wird an andere Stelle (SuZ ) als das neuzeitliche Denken (der Metaphysik)
beschrieben, was bedeutet, dass diese Stelle in SuZ (§ ) eine (mehr oder weniger) implizite Kritik
an diesem Denken ist. Vgl. dazu Willy Bretschneider: Sein und Wahrheit, S. f. Zur Kritik Hei-
deggers am vorstellenden Denken vgl. auch Martin Heidegger: Zeit des Weltbildes, in: Holzwege
(GA ), S. .
Kapitel Ontologische Wahrheit
In den nachfolgenden neun Paragraphen wird die explizite Analyse von Welt und
Weltlichkeit vorerst ausgesetzt und Heidegger beschäftigt sich zunächst mit anderen
Themen und somit nur indirekt mit Welt. Die Analyse der Erschlossenheit setzt
dann wieder ausdrücklich in § ein. Und dort macht Tugendhat auch mit seinen
eigenen Betrachtungen weiter. Diese Paragraphen (§§ -) werden uns noch später
in Abschnitt .. beschäftigen, wenn es um die Erschlossenheit des Daseins geht.
Tugendhat greift hier aber deswegen schon voraus, weil er die Bedeutung der Als-
Struktur in der Bewandtnis hervorheben will. Zunächst lässt sich festhalten, dass in
§ gezeigt wird, dass das Verstehen von innerweltlichem Seienden die wesentliche
Struktur des ‚etwas als etwas auslegen‘ hat. Dieses ‚etwas als etwas‘ ist ganz im
Sinne der Bewandtnis aus § .
Welche fast schon fundamentale Bedeutung das „Als“ hat, lässt sich ausgezeichnet
an dem entsprechenden Zitat, welches Tugendhat in diesem Zusammenhang bringt
(vgl. WHH ), zeigen:
„Das schlichte Sehen der nächsten Dinge im Zutunhaben mit. . . trägt die Aus-
legungsstruktur so ursprünglich in sich, dass gerade ein gleichsam als-freies
Erfassen von etwas einer gewissen Umstellung bedarf. Das Nur-noch-vor-sich-
Haben von etwas liegt vor im reinen Anstarren als Nicht-mehr-Verstehen. Die-
ses als-freie Erfassen ist eine Privation des schlicht verstehenden Sehens, nicht
ursprünglicher als dieses, sondern abgeleitet aus ihm.“
Das ‚Als‘ in der Zuhandenheit, d. h. „das ursprüngliche ,Als‘ der umsichtig verste-
henden Auslegung (ἑρμηνεία)“ (SuZ ) nennt Heidegger „das existenzial-hermeneutische
,Als‘ “. Dieses erfährt eine existenzial-ontologische Modifikation und wird so zum
„apophantischen ,Als‘ der Aussage.“ Aussage (λόγος) bedeutet, für Heidegger,
verstanden als ἀπόφανσις „Seiendes von ihm selbst her sehen lassen“ (SuZ ). Dies
ist die ursprüngliche Bedeutung, doch apophantisch wird hier in einem zweiten ab-
geleiteten Sinne gebraucht, und zwar als prädizierendes Aufzeigen.
Das spezifische Begegnenlassen des Vorhandenen vollzieht sich aufgrund dieser
existenzial-ontologischen Modifikation in der Aussage. Diese beschreibt Heidegger
wie folgt:
„Das zuhandene Womit des Zutunhabens, der Verrichtung, wird zum ,Wor-
über‘ der aufzeigenden Aussage. Die Vorsicht zielt auf ein Vorhandenes am
Zuhandenen. Durch die Hin-sicht und für sie wird das Zuhandene als Zuhan-
denes verhüllt. Innerhalb dieses die Zuhandenheit verdeckenden Entdeckens
der Vorhandenheit wird das begegnende Vorhandene in seinem So-und-so-
vorhandensein bestimmt“ (SuZ ).
Versuchen wir den Unterschied zwischen der Erschlossenheit des Zuhandenen und
der des Vorhandenen noch ein wenig zu präzisieren. Die Erschlossenheit des Zuhan-
denen bestand wesenhaft darin, Seiendes aus einer Bewandtnisganzheit, d. h. aus
einer Welt heraus, begegnen zu lassen. Seiendes als Vorhandenes begegnet gerade
nicht aus einer Welt heraus, es ist „entweltlicht“. Diese Entweltlichung geschieht,
indem wir vom „besorgenden Zu-tun-haben-mit“ absehen und zum bloßen „Nur-
noch-verweilen“ beim Seienden übergehen. Tugendhat unterstreicht dabei, dass wir
nicht nur von der Zuhandenheit des Seienden absehen, sondern das Seiende auch
‚neu‘ ansehen, eben als Vorhandenes.
Je nach Ausrichtung des ‚als‘ nehme ich also Seiendes als Zuhandenes oder Vor-
handenes. Doch letztlich ist das Vorhandene ontologisch im Zuhandenen fundiert,
Diese Unterteilung findet sich schon fünf Jahre vor Veröffentlichung von „Sein und Zeit“ in
Heideggers Logikvorlesung (GA ), die er im Wintersemester / in Marburg gehalten hat.
In Kapitel werden wir uns noch genauer mit der Aussage und ihrer Wahrheit beschäftigen.
Kapitel Ontologische Wahrheit
denn Vorhandenes zeichnet sich, nach Heidegger, wesenhaft dadurch aus, dass es
isoliert begegnet und Isolierung setzt etwas voraus, an dem eine Isolierung vorge-
nommen werden kann – das Zuhandene (vgl. SuZ § ). „Welt in dem explizierten
Sinn ist die Bedingung der Möglichkeit von Begegnung von innerweltlichem Seien-
den überhaupt. Daher ist das Seiende, das aus einer Bewandtnisganzheit begegnet,
das ,nächst begegnende‘ “(WHH ).
Mit Blick auf § wird nun klar, dass jede Wissenschaft aus einer Verselbststän-
digung nicht nur des Erkennens, sondern auch des Interesses an einem „reinen
Entdecken“ entsteht.
Aber aufgrund des bisher Gesagten erweist sich die Suche nach dem Seienden „wie
es selbst ist“ als vergeblich. Seiendes ist (für uns) immer schon in einem bestimm-
ten Sein, denn sonst wäre es gar nicht (für uns). Dieser Umstand wird auch durch
Heideggers eigentümlichen Gebrauch des Ausdrucks „an sich“ verdeutlicht. Das Sei-
ende an sich ist gerade das Zuhandene. „Zuhandenheit ist die ontologisch-kategoriale
Bestimmung von Seiendem, wie es ,an sich‘ ist“ (SuZ ). Dieser Gebrauch kommt
durch die Verwendung des An-sich-seins als Ansichhalten zustande, welches konform
mit der ersten Bedeutung von Bewandtnis ist (vgl. oben S. ).
Die Analyse der Erschlossenheit des innerweltlichen Seienden wollen wir damit
abschließen und uns der Erschlossenheit des Daseins als In-der-Welt-sein widmen.
weltlichen Seienden ab. Doch dies dient nur der Explikation von Erschlossenheit
überhaupt, letztlich fallen beide Arten der Erschlossenheit zusammen. Was Husserl
mit der Intentionalität nicht gelang, gelingt nun, so Tugendhat, Heidegger mit dem
„In-der-Welt-sein“ - nämlich die Erschlossenheit des innerweltlichen Seienden und
des Ichs in einem einheitlichen Zusammenhang zu denken (vgl. WHH ). Dies ge-
lang zwar auch schon im deutschen Idealismus, so erklärt Tugendhat weiter, mittels
einer dialektischen Einheit, aber diese beruhte immer noch auf einem gegenständ-
lichen Ansatz und von diesem, so hatten wir gesehen, hatte Heidegger sich gerade
befreit.
Das Verhältnis, das das Dasein zu sich selbst hat, besteht, für Heidegger, nicht
länger im Vorstellen seines So-seins, denn dies würde wieder auf Vorhandenheit hin-
auslaufen, sondern im Existieren, und d. h. in seinem Zu-sein. Den Seinssinn des
Seienden, hier nun insbesondere des Daseins, versucht Heidegger aus dem Seinsver-
hältnis zu verstehen, in dem das Dasein in seiner Erschlossenheit immer schon steht.
Tugendhat fasst dies wie folgt zusammen: „Wenn das Dasein sein Sein immer erst
zu vollziehen hat, dann ist es nicht ein ,Vorhandenes‘, das durch diesen Seinsvollzug
bestimmt wäre, sondern Seiendes ist es nur indem es sein Sein vollzieht“ (WHH
). Dieser Vollzug des Zu-Seins geschieht nach zwei Hinsichten.
A. Dass das Dasein sein Sein immer erst zu vollziehen hat, dass es ihm immer
erst bevorsteht, hat zur Folge, dass das Dasein wesentlich „sich vorweg“ ist. Die-
ses „Sich-vorweg-sein“ (SuZ ) des Daseins verweist somit nicht auf das, was ist,
d. h. die Wirklichkeit, das Verwirklichte, sondern auf Möglichkeit überhaupt, die „als
Existenzial [. . . ] die ursprünglichste und letzte positive ontologische Bestimmtheit
des Daseins“ (SuZ f.) ist. Das Sein des Daseins kann also so oder so vollzogen
werden. Zum Seinsverständnis des Daseins gehört demzufolge zugleich ein Umkreis
von Möglichkeiten, unter denen es wählen kann, oder besser gesagt: muss – es ist
zur Freiheit „verdammt“. Diese Wahl kann ausdrücklich getroffen werden, oder das
Dasein kann sich ihr entziehen, doch bedeutet auch dies implizit das Treffen einer
Wahl. Das Dasein kann daher im Modus der „Eigentlichkeit“ oder der „Uneigentlich-
keit“ sein (vgl. SuZ f.). Da es dem Dasein beim Treffen jeder Wahl immer um sein
Sein geht, handelt es sich beim ersten Aspekt des Vollzugs um die Existenz oder,
Tugendhat denkt hierbei wohl an Hegel, über den Heidegger damit aus der Sicht Tugendhats
hinausgeht.
Vgl. SuZ : „Das ,Wesen‘ dieses Seienden [des Daseins; St.S.] liegt in seinem Zu-sein. [. . . ] Das
,Wesen‘ des Daseins liegt in seiner Existenz.“
Vgl. SuZ ; ; . Im Sinne moderner Freiheitstheorien „besitzt“ das Dasein demnach
Wahlfreiheit.
Kapitel Ontologische Wahrheit
wie Heidegger sie in diesem Kontext auch nennt, um den Entwurf, da das Dasein
sich auf seine Möglichkeiten hin entwirft.
B. Doch auch wenn das Dasein innerhalb des Umkreises von Möglichkeiten wählen
kann, dass es in diesem Umkreis steht, und dass es wählen muss, dies kann es sich
nicht aussuchen, dies ist ihm vorgegeben. Das Dasein ist immer schon in einen Um-
kreis von Möglichkeit geworfen. Deswegen nennt Heidegger den zweiten Aspekt des
Seinsvollzugs Geworfenheit oder auch Faktizität. Gemeint „ist nicht die Tatsächlich-
keit des factum brutum eines Vorhandenen, sondern ein in die Existenz aufgenom-
mener, wenngleich zunächst abgedrängter Seinscharakter des Daseins“ (SuZ ).
Faktizität und Existenz gehören untrennbar zueinander.
Wir wenden uns nun dem Wie der Erschlossenheit von Existenz und Faktizität zu.
Wie wir sehen werden, wird der erwähnte Seinsvollzug des Daseins nicht durch die
Erschlossenheit vermittelt, sondern der Seinsvollzug ist die Erschlossenheit - „Dasein
ist seine Erschlossenheit“ (SuZ ).
Der Unterschied zur Erschlossenheit des innerweltlichen Seienden besteht gerade
darin, dass mit der Erschlossenheit des Daseins als In-der-Welt-sein überhaupt erst
der Spielraum eröffnet wird, in dem Seiendes begegnen kann. Dieser Spielraum kann
bei der Erschlossenheit des Daseins natürlich nicht vorausgesetzt werden – diese Er-
schlossenheit geschieht im „Da“ des Daseins. „Mit der Frage nach der Erschlossenheit
des Daseins ist also nicht nur gefragt, wie das Dasein sich sein Sein erschließt, son-
dern zugleich, wie die Erschlossenheit im ganzen überhaupt geschieht“ (WHH ).
Das Wie der Erschlossenheit der Faktizität, d. h. der Geworfenheit, ist die Befindlich-
keit. Sie ist Gegenstand der §§ und (vgl. SuZ ). Mit ihnen, genauer gesagt
mit § , werden wir uns nun auseinandersetzen, denn § verdeutlicht lediglich das
ontologische Phänomen der Befindlichkeit am Beispiel der Furcht.
Zunächst ist daran zu erinnern, dass Erschlossenheit sich dadurch vom Vorstellen
unterscheidet, dass sie ein Seinsvollzug ist und nicht wie das Vorstellen Seiendes
vorstellt. Vollzug bedeutet Konstitution, während Vorstellen ein bereits Konstitu-
iertes vorstellt. Vollzug des Seins bedeutet letztlich Sein selbst – der Vollzug des
Der volle Ausdruck, der sowohl den Entwurf als auch die Geworfenheit als Seinsmodi des
Daseins charakterisiert, lautet: „Sich-vorweg-im-schon-sein . . . Anders gewendet: Existieren ist
immer faktisches. Existenzialität ist wesenhaft durch Faktizität bestimmt“ (SuZ ). Vgl auch
SuZ . Der Entwurf ist „geworfener Entwurf“ (SuZ ).
. Erschlossenheit
Seins besteht gerade darin zu sein. Die Erschlossenheit des Zu-Seins ist demnach als
Seinsvollzug als das Zu-Sein selbst zu verstehen. Mit Zu-Sein ist das Sein des Daseins
gemeint, das im „Daß es ist und zu sein hat“ besteht. „Dieses ,Daß es ist´ nennen wir
die Geworfenheit dieses Seienden in sein Da“ (SuZ ). Das Sein des Daseins ist sein
Da, und dieses eröffnet sich erst in der Erschlossenheit des Daseins. „Das bedeutet
zunächst für die Seite der Faktizität, daß es nicht nur eine Erschlossenheit der Ge-
worfenheit geben muß, sondern daß die Geworfenheit zugleich als Geworfenheit in
die Erschlossenheit zu verstehen ist“ (WHH ). Gesucht ist nun die Seinsweise, in
der diese Erschlossenheit geschieht. Diese ist die Befindlichkeit. „Die Befindlichkeit
erschließt das Dasein in seiner Geworfenheit und zunächst und zumeist in der Weise
der ausweichenden Abkehr“ (SuZ ).
Was bedeutet hier Abkehr? Heidegger beginnt diesen Paragraphen nicht direkt
mit der Befindlichkeit, sondern mit der Stimmung. Das Dasein ist je immer schon
gestimmt, sichtbar am Umschlagen der Stimmung. Und doch gibt es auch Unge-
stimmtheit, in dieser ist das Dasein sich selbst überdrüssig, es ist „vor sein Sein als
Da gebracht“ (SuZ ) – dem Dasein wird offenbar, „daß es ist und zu sein hat“.
Das Sein des Da wird in solch einer „Verstimmung“ als Last erfahren, welches die
ausweichende Abkehr erklärt, denn nur die Wenigsten von uns nehmen ausdrücklich
diese Last auf sich. Heidegger stößt aber umgekehrt auf den Lastcharakter des Da-
seins, indem er die Fluchtbewegung des Daseins in der Abkehr zurückverfolgt. Am
Lastcharakter des Daseins verdeutlicht sich die Erschlossenheit der Geworfenheit,
die eben im „Daß es ist und zu sein hat“ besteht, welches besagt, dass es „sein Da
ist und zu sein hat“ – das „zu sein hat“ drückt sich aus im Sartreschen ‚zur Freiheit
verdammt‘. Nur weil Geworfenheit vorgängig erschlossen wurde, können wir uns ihr
zuwenden oder uns abkehren. Wann immer es darum geht, die Stimmung zu heben,
geht es zugleich darum sich der Last zu entheben.
Wie oben gezeigt wurde (S. ), ist mit dem Da untrennbar das Phänomen der Welt
verbunden. „Die Stimmung hat je schon das In-der-Welt-sein als Ganzes erschlossen
und macht ein Sichrichten auf . . . allererst möglich“ (SuZ ). Mit der Befindlichkeit
ist also gleichursprünglich Welt erschlossen, in der dann nicht nur das Dasein sich
selbst begegnet, sondern in der ihm auch anderes Seiendes begegnet. Nach Abschnitt
.. ist damit auch zugleich mit der Befindlichkeit die Erschlossenheit des Innerwelt-
Das Da kann demnach als „Augenaufschlag der Erschlossenheit“ bezeichnet werden.
Vgl. SuZ . Für weitere Bestimmungen des Ausweichens s. die Phänomene des Verfallens
(SuZ §§ , und -) und weiter unten S. .
Kapitel Ontologische Wahrheit
Das Wie der Erschlossenheit der Existenz (Entwurf) ist das Verstehen, dieses ist
Gegenstand der §§ und . Die §§ und legen ihren Schwerpunkt auf die
Aussage überhaupt und die Sprache und werden daher in dieser Untersuchung im
zweiten Kapitel behandelt.
Die Erschlossenheit der Existenz nimmt bei Tugendhat einen auffällig größeren
Raum ein, als das bei der Erschlossenheit der Faktizität der Fall war, da hier in
diesem Zusammenhang das Phänomen des Verfallens als Ausdruck einer Bewegtheit
der Erschlossenheit bei Tugendhat besondere Beachtung findet.
Im Entwurf, bzw. in der Existenz, geht es um dasselbe Zu-Sein, wie in der Gewor-
fenheit, nur dass im Entwurf die Hinsicht nun eine andere ist. „Im Entwurf ,wirft‘
sich das Dasein in das so vorgegebene [d. h. in der Geworfenheit erschlossene; St.S.]
Vgl. SuZ . An entsprechender Stelle in § verweist Heidegger selbst darauf, dass wertbehaf-
tete Dinge als „zunächst gegebenes Seiendes“ ursprünglicher entdeckt werden als bloß Vorhandenes
(vgl. SuZ ).
Hier muss nicht zwangsläufig an zwei verschiedene Seiende gedacht werden, gemeint sein können
auch zwei Aspekte eines Seienden, z. B. ein Eispickel, der für gewöhnlich zum Zerstoßen von Eis
verwendet wird, kann in anderer Hinsicht auch als Mordinstrument gebraucht werden.
. Erschlossenheit
Zu-Sein als sein Worumwillen und versteht es als ,Möglichsein‘.“ Existenz und die
Erschlossenheit der Existenz müssen wie schon bei der Geworfenheit zusammenfal-
len, denn die Erschlossenheit der Existenz wird hier ebenfalls als der Seinsvollzug
des Zu-Seins verstanden. Gleichursprünglich konstituiert sich neben der Befindlich-
keit das Verstehen als der Erschlossenheitscharakter des Entwurfs aus bzw. in dem
Sein des „Da“. Doch während in der Weise der Befindlichkeit die Notwendigkeit des
Möglichseins erschlossen wird, wird im Verstehen das Möglichsein als Möglichsein
erschlossen.
Die Bedeutung dessen, was Heidegger „Verstehen des Möglichseins“ nennt, ist aus
dem natürlichen Sprachgebrauch entlehnt. Verstehen wird hier im Sinne von „sich
auf etwas verstehen“, d. h. können, gebraucht. Derselbe Gebrauch zeigt sich auch
bei dem Wort „Wissen“ (vgl. SuZ ). „Dieses Wissen ist kein Erkennen; was in
ihm ,gewusst‘ wird, sind nicht gegenständliche Sachverhalte, sondern Verrichtun-
gen, Handlungsvollzüge.“ Doch was ist es, das das Dasein „kann“? Das worauf wir
uns verstehen, ist das Sein selbst – wir verstehen es zu sein. Also nicht bloß auf
bestimmte Verrichtungen mit Zuhandenem versteht sich das Dasein (vgl. Abschnitt
..), sondern „auf sein In-der-Welt-sein als ganzes, auf sein eigenes Zu-Sein“ (WHH
). In der Geworfenheit ist es ihm vorgegeben sein Möglichsein verstehend zu voll-
ziehen. Im Verstehen übernimmt das Dasein eine Möglichkeit in sein Worumwillen
und vollzieht diese. Eine Möglichkeit bloß vorstellen, bedeutet gerade, sie nicht ver-
standen, d. h. ergriffen zu haben. Eine Möglichkeit als eine Weise des Existierens
verstehen, bedeutet, als diese Möglichkeit zu existieren, d. h. die gewählte Möglich-
keit zu verwirklichen.
Das Entwerfen besteht gerade im Ergreifen der Möglichkeiten und „in diesem
Sinn ist das Verstehen nicht nur die Erschlossenheit ,des‘ Existierens, sondern das
WHH . Vgl. hierzu SuZ .
Außerdem gilt auch hier wieder, dass mit der Erschlossenheit des Daseins, im Unterschied zu
der des Innerweltlichen, kein Spielraum vorausgesetzt werden kann, in dem diese Erschlossenheit
geschieht, sondern die Erschlossenheit des Daseins ist dieser Spielraum (in dem das Dasein sich
selbst begegnet). Vgl. hierzu SuZ .
WHH . Dasselbe Phänomen des „praktischen Wissens“ ist auch Gegenstand der Kogniti-
onspsychologie, und schlägt sich dort nieder in der Unterscheidung zwischen deklarativem bzw.
explizitem Wissen und prozeduralem bzw. impliziten Wissen. Vgl. Robert L. Solso: Kognitionspsy-
chologie S. f. und Joseph LeDoux: Das Netz der Gefühle S. f. Natürlich kann dies nur zur
Verdeutlichung, nicht zur Erklärung dienen, denn die existenzialen Strukturen liegen nicht nur vor
aller Wissenschaft, sondern ermöglichen diese sogar erst.
Nur weil es beim Verstehen um das Ergreifen von Möglichkeiten überhaupt geht, kann sich das
Dasein auch vergreifen, genauso wie das Dasein in der Befindlichkeit immer gestimmt ist, und nur
deswegen verstimmt sein kann.
Kapitel Ontologische Wahrheit
„Während die Befindlichkeit, in der sich das Dasein überhaupt öffnet, die Be-
dingung dafür ist, von Seiendem ,affiziert‘ zu werden [. . . ], bilden sich im
Verstehen, indem es diese Weltoffenheit als sein Worumwillen auf diese oder
jene Möglichkeit hin entwirft, die Hinsichten aus, auf die hin das affizierende
Seiende ausgelegt und so seinerseits ,verstanden‘ wird“.
Verstehen im engeren Sinne erweisen sich ebenfalls als aus dem existenzialen Ver-
stehen abgeleitet. Erklärt werden kann nur, was zuvor verstanden wurde – und zwar
hier nun existenzial verstanden. „Alles Erklären wurzelt als verstehendes Entdecken
des Unverständlichen im primären Verstehen des Daseins“ (SuZ ).
Das, was verstanden wird, so pflegen wir zu sagen, hat Sinn. „Verstanden aber ist,
streng genommen, nicht der Sinn, sondern das Seiende, bzw. das Sein. Sinn ist das,
worin sich Verständlichkeit von etwas hält“ (SuZ ). Der Sinn erweist sich als das
Korrelat des Verstehens, denn er ist das im verstehenden Erschließen Artikulierbare,
was allerdings nicht bedeutet, dass der Sinn deswegen auch schon ausdrücklich und
thematisch in den Blick kommt. Der Sinn ist demnach auch keine Eigenschaft des
Seienden, „Sinn ,hat‘ nur das Dasein, sofern die Erschlossenheit des In-der-Welt-
seins durch das in ihr entdeckbare Seiende ,erfüllbar‘ ist“ (ebd.). Demnach kann nur
Dasein sinnvoll oder sinnlos sein und d. h. „sein eigenes Sein und das mit diesem
erschlossene Seiende kann im Verständnis zugeeignet sein oder dem Unverständnis
versagt bleiben“ (ebd.).
Zuletzt gilt also für das Verstehen das gleiche wie für die Befindlichkeit, nämlich,
dass das Verstehen selbst ein ganzes Spannungsfeld beschreibt, welches sich zwi-
schen Verständnis und Unverständnis, zwischen Verstehen und Nichtverstehen auf-
tut. Doch was heißt hier Nichtverstehen? Wie kann das Dasein seine Existenz nicht
verstehen? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir auf die ursprüngliche Be-
deutung zurückgehen. Verstehen wurde als „sich auf etwas verstehen“ bestimmt und
dies wurde auf das Sein des Daseins bezogen, so dass Seinsverständnis Seinkönnen
bedeutet und d. h. Seinsvollzug. „Die Rede von einem Nichtverstehen der Existenz
ergibt sich vielmehr aus einem fundamentalen Tatbestand der Existenz selbst, daß
sie nämlich Möglichsein ist und dadurch immer schon in einem Spielraum von Mög-
lichkeiten steht“ (WHH ). Um sein Sein vollziehen zu können, muss das Dasein
Möglichkeiten ergreifen – sich auf eine Möglichkeit hin entwerfen. Meine Existenz
zu verstehen, d. h. eine Seinsmöglichkeit ergreifen, bedeutet zugleich meine Existenz
nicht zu verstehen und zwar in dem Sinne, dass ich zugleich Möglichkeiten nicht
ergreife, ja nicht ergreifen kann.
Hier zeigt sich auch der Unterschied zwischen der eigentlichen und der uneigent-
lichen Existenz. In der uneigentlichen Existenz werden die Möglichkeiten ergriffen
ohne die Wahl eigens zu vollziehen. Eine Möglichkeit als Möglichkeit ergreifen, be-
deutet hingegen die Möglichkeit in dem Bewusstsein zu ergreifen, dass man zugleich
andere Möglichkeiten nicht gewählt hat – man könnte sagen, das Bewusste an der
Kapitel Ontologische Wahrheit
„Verfallen“ (vgl. SuZ § ). „In dem Begriff „Verfallen“ soll also der spezifische Bewe-
gungscharakter der „Uneigentlichkeit“ der Existenz zum Ausdruck kommen, in der
das Dasein seine Freiheit nicht übernimmt“ (WHH ), denn dies würde eine offene
Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit bedeuten. Das, woran das Dasein
verfällt, ist nicht die Welt i. S. des innerweltlichen Seienden, sondern vielmehr „seine
eigenen Möglichkeiten, nämlich so, daß es sich ihren Möglichkeitscharakter verdeckt,
um sich nicht in Frage gestellt zu sehen“ (WHH ).
Dass wir hier auf das Verfallen überhaupt eingehen, dient nicht nur zur Erläute-
rung des Wie der Erschlossenheit, sondern mit Erschlossenheit, genauer gesagt, mit
der Eigentlichkeit der Existenz bzw. deren Uneigentlichkeit verbindet Tugendhat ein
Interesse an der Wahrheit bzw. an der Unwahrheit. Welche Rolle dieses Wahrheits-
interesse im Denken Tugendhats spielt, werde ich im . Kapitel darlegen, wenn wir
uns resümierend mit der Kritik Tugendhats an Heideggers Wahrheitsbegriff ausein-
andersetzten werden.
Heidegger fasst in § von SuZ Faktizität, Existenz und Verfallen zu einem Struk-
turganzen der Erschlossenheit zusammen, welches er die Sorge nennt. Doch wie ist
dies möglich? Wo sich doch das Verfallen als Uneigentlichkeit als eine bestimmte
Modifikation von Faktizität und Existenz erwiesen hat (vgl. SuZ §§ -), und da-
mit eigentlich formal vom Strukturstandpunkt her betrachtet, nicht auf derselben
Stufe stehen kann wie Existenz und Faktizität. Für Tugendhat ist dies nur möglich,
indem der Bewegungscharakter, der zuvor nur für die Geworfenheit und den Entwurf
galt, nun auf das Strukturganze übertragen wird. Damit wird „die“ Erschlossenheit
nicht mehr als ein starres Strukturganzes gesehen, sondern „als Bewegungszusam-
menhang“ : „Geworfenheit und Entwurf modifizieren sich in dieser Bewegung [des
Verfallens; St.S.], das Verfallen kennzeichnet die Bewegung selbst“ (WHH ).
Dass sich zwischen den einzelnen Strukturmomenten ein Bewegungszusammenhang
ergeben kann, liegt nach Tugendhat daran, dass bereits im Strukturmoment Ge-
worfenheit eine Bewegung liegt, und zwar die der „zunächst und zumeist“ vorherr-
Auch für diesen Bewegungszusammenhang findet Heidegger, der, wie Tugendhat feststellt,
nie um Neologismen verlegen ist, einen treffenden Ausdruck, der die Sorge als ein „Sich-vorweg-
schon-sein-in-(der-Welt-)als Sein-bei (innerweltlich begegnenden Seienden)“ (SuZ ) bezeichnet.
In diesem Ausdruck laufen alle bisher angesprochenen Aspekte des ‚Da‘ des Daseins zusammen: die
Erschlossenheit des innerweltlichen Seienden, das Verstehen (Sich-vorweg-sein), die Befindlichkeit
(schon-sein-in) und das Verfallen (Sein-bei).
Auf die Probleme, die durch eine solche Konstruktion entstehen, vor allem im Vergleich mit
der Dreiteilung in Existenz, Faktizität und Rede (SuZ ) kann hier nicht weiter eingegangen
werden (vgl. hierzu die Anmerkung WHH ff.) – zudem sind diese Probleme für die Klärung
der Wahrheitsfrage zweitrangig.
Kapitel Ontologische Wahrheit
schenden Abkehr (vgl. S. ). Diese Abkehr verleiht der Geworfenheit eine Verschlie-
ßungstendenz und dem Verstehen (als gestimmtes) seine Verdeckungstendenz. Doch
damit nicht genug.
„Die Erschlossenheit läßt sich also – anders als die Intentionalität – nicht nur
als abstrakte und modifizierte Struktur sehen, sondern, weil sie in das Zu-Sein
gehört, ,um‘ das es dem Dasein geht, zeigt sie sich in einer Bewegtheit, in der
nun der gegenläufigen Richtung des Sich-Verschließens und Verdeckens sogar
ein Primat zukommt“ (WHH ).
Weil sich die Bewegung des Verfallens damit als vorgängig erweist, muss jede Bewe-
gung hin zur Eigentlichkeit als eine Gegenbewegung zur Abkehr verstanden werden
(vgl. SuZ ).
Doch wie kommt es zu dieser Gegenbewegung? Was motiviert das Dasein sich
dem, vor dem es flieht, doch zuzuwenden? Zunächst einmal wird die Zuwendung
durch die Flucht selbst ermöglicht, denn in der Flucht hat das Dasein das Wovor
der Flucht in privativer Weise erschlossen. Diese Abkehr, d. h. „diese Verschlossenheit
ist nur die Privation einer Erschlossenheit, die sich phänomenal darin offenbart, daß
die Flucht des Daseins Flucht vor ihm selbst ist. Im Wovor der Flucht kommt das
Dasein gerade „hinter“ ihm her. Nur sofern Dasein ontologisch wesenhaft durch die
ihm zugehörende Erschlossenheit überhaupt vor es selbst gebracht ist, kann es vor
ihm fliehen“ (SuZ ).
Dass sich das Dasein dem Verfallen zu widersetzen vermag, sieht Heidegger im
Phänomen des Gewissens bestätigt. „„Im ,Ruf des Gewissens‘ ruft sich das Dasein aus
dem Verfallen in seine Verantwortlichkeit zurück (§§ -). Das verfallende Dasein hat
die Möglichkeit, auf den Ruf zu hören und im ,Gewissen-haben-wollen‘ seine Freiheit zu
übernehmen (§§ , )“ (WHH ).“ Die Frage nach der Motivation, auf den „Ruf
des Gewissens“ zu hören, hat Heidegger im Vergleich zum Verfallen erst gar nicht
gestellt. Für Heidegger liegt die Antwort auf die Frage, warum sich das Dasein seiner
Last stellen sollte, allein im Entschluss selbst (vgl. SuZ ). Für Tugendhat lässt
sich diese Frage nur durch das Wahrheitsinteresse des Daseins beantworten; so wie
die Motivation der Verdeckung durch ein Interesse an der Unwahrheit begründet
wird.
Wir wollen das bisher Gesagte zum Abschluss dieses Abschnitts noch ein wenig
fokussieren und bezüglich der Erschlossenheit abrunden.
„Das In-der-Welt-sein ist eine ursprünglich und ständig ganze Struktur“ (SuZ ).
Diese Ganzheit findet ihren Ausdruck in der Sorge. Diese wiederum lichtet wesenhaft
. Erschlossenheit
das Dasein, d. h. „in ihr gründet die volle Erschlossenheit des Da“ (SuZ ). In der
Sorge liegt verborgen die Möglichkeit sich auf sich selbst (Dasein) zu beziehen und
auf (nicht daseinsmäßiges) Seiendes. Die Sorge konstituiert also die „Lichtung“, in der
uns sowohl Seiendes als auch wir uns selbst begegnen können. Für das innerweltliche
Seiende wurde dies anhand der Bewandtnisganzheit gezeigt (Abschnitt ..), die
letztlich nicht auf ein Zuhandenes zurückführbar ist, sondern auf das Dasein. Denn
das „Um-zu“, die Verweisungsganzheit, gründet in einem primären Wozu, welches
ein Worumwillen ist. Dieses nun, „das „Umwillen“ [,] betrifft aber immer das Sein
des Daseins, dem es in seinem Sein wesenhaft um dieses Sein selbst geht“ (SuZ
). Damit erweist sich die Erschlossenheit des innerweltlichen Seienden als eine
Seinsweise des Daseins – konstituiert durch die Sorge. Dies drückt sich im „Sein
bei“-Teil der Sorgeformel aus.
In diesem Abschnitt (..) befassten wir uns mit den Erschließungsweisen des
Daseins von sich selbst. Diese (Existenz und Faktizität) zusammen mit dem Verfal-
len bilden gerade die Strukturmomente der Sorge, so dass wir also sagen können,
dass in der Seinsweise des Daseins – der Sorge – sowohl die Erschlossenheit des
innerweltlichen Seienden als auch des Daseins selbst begründet liegen. Heidegger
spitzt dies in einem zweiten Schritt noch weiter zu , indem er die Zeitlichkeit als
die Einheit dieser Ganzheit, um genau zu sein, als den ontologischen Sinn der Sorge,
herausarbeitet. Im Zuge dessen zeigt Heidegger weiterhin explizit, wie die Welt, in
der innerweltliches Seiendes erschlossen wird, und die Welt, in der das Dasein sich
erschließt, im In-der-Welt-sein des Daseins zusammenfallen. Indem sich die Zeitlich-
keit als die Bedingung der Möglichkeit des In-der-Welt-seins erweist, zeigt sie sich
zugleich als die Bedingung der Möglichkeit für Erschlossenheit überhaupt (vgl. SuZ
§ ).
Wir begannen das erste Kapitel mit den Worten Heideggers, nach denen die Er-
schlossenheit das ursprünglichste Phänomen der Wahrheit ist. Jetzt, nachdem wir
das Phänomen der Erschlossenheit abgesteckt haben, gilt es sich der Verbindung
zwischen den beiden zu versichern, die es Heidegger ermöglicht Erschlossenheit mit
Wahrheit nahezu gleich zu setzten. Dabei stellt sich vorab ein methodisches Pro-
blem. Ziel der einzelnen Kapitel dieser Untersuchung soll es sein, den jeweiligen
Wahrheitsbegriff im Denken Heideggers zu beleuchten und seine Entwicklung und
Veränderungen aufzuzeigen, die sich im Übergang vom Heidegger der Vor-Kehre hin
zum Heidegger der Nach-Kehre ereignet haben. Dies bedeutet jedoch, dass wir an
dieser Stelle nicht umhin können Kapitel , in dem es explizit um den propositio-
nalen Wahrheitsbegriff gehen soll, vorauszugreifen. Der entscheidende Gegenstand
dieses Abschnitts ist § aus SuZ. In diesem Paragraphen wird im Wesentlichen
zweierlei gezeigt:
Diese Schritte fallen in der Darlegung Heideggers zusammen. Indem er die „onto-
logischen Fundamente“ der propositionalen Wahrheit freilegt, zeigt er die Abkünf-
tigkeit der Aussagenwahrheit. Das Problem ist dann, dass Heidegger sowohl die
Bedingung (als diese wird sich die Erschlossenheit erweisen) als auch das Beding-
te (Aussagenwahrheit) als Wahrheit bezeichnet. Nur ist eben die Bedingung die
ursprüngliche (ontologische) Wahrheit und das Bedingte die abgeleitete Wahrheit.
Die Ausweisung der Erschlossenheit als ontologische Wahrheit nimmt ihren Anfang
beim Begriff der Aussagenwahrheit. Um Redundanzen zu vermeiden, werde ich die
Argumentation Heideggers schon in diesem Abschnitt darlegen und im Verlauf des
zweiten Kapitels nur noch auf den Abschnitt .. verweisen. Heideggers Argumenta-
tion in § erfolgt in drei Schritten, wobei die ersten beiden die entscheidenden sind.
Ziel Heideggers ist es, angestoßen durch die antike Tradition, einen „ursprünglichen
Zusammenhang“ zwischen Wahrheit und Sein aufzuzeigen.
(§ a) Heidegger legt hier zunächst die ontologischen Fundamente des traditio-
nellen Wahrheitsbegriffes frei. Dazu bestimmt er drei Voraussetzungen des traditio-
nellen Wahrheitsbegriffs.
. Erschlossenheit
. „Der ,Ort‘ der Wahrheit ist die Aussage (das Urteil)“ (SuZ ). Somit ist auch
für Heidegger klar, dass Wahrheit zunächst Aussagenwahrheit oder in moderner
Terminologie propositionale Wahrheit bedeutet. Tugendhat nennt das „eine Mini-
malbedingung“ (WHH ), die jede (wie auch immer geartete) Wahrheitstheorie
erfüllen muss.
. „Das Wesen der Wahrheit liegt in der „Übereinstimmung“ des Urteils mit seinem
Gegenstand“ (SuZ .). Damit hält sich Heidegger an die alte überlieferte Definition
der Wahrheit als „adaequatio rei et intellectus“. Diese Formel ist aber so allgemein
und leer, dass sie eines Inhalts bedarf, d. h. es muss die Frage geklärt werden, was
genau hier unter Übereinstimmung zu verstehen ist und was übereinstimmen soll.
. Als Urheber der beiden genannten Voraussetzungen macht Heidegger Aristo-
teles aus, der das Urteil als den Ort der Wahrheit ausgemacht, sowie die Definition
der Wahrheit als Übereinstimmung initiiert hat.
Nach einer kurzen Erläuterung zur Geschichte der Wahrheitsformel stellt Hei-
degger die Frage, was Übereinstimmung überhaupt meint. Die Übereinstimmung
wird zunächst als eine Beziehung charakterisiert. Die Eigentümlichkeit der Bezie-
hungsglieder ist bei der Klärung dieser „Wahrheitsbeziehung“ zu berücksichtigen.
Wie können Verstand (intellectus) und Sache (res) übereinstimmen? Befinden sie
sich nicht „ontologisch“ gesehen auf zwei verschiedenen Stufen, wodurch eine Ver-
bindung zwischen den beiden eigentlich unmöglich ist?
Heidegger konzentriert sich zunächst auf den Sprachgebrauch von „wahr“. „Wahr
ist nach der allgemeinen Meinung die Erkenntnis. Erkenntnis aber ist Urteilen“ (SuZ
). An einem Urteil ist zunächst der reale psychische Vorgang (welcher vorhan-
den ist oder nicht) von seinem idealen Gehalt (welcher entweder wahr oder falsch
sein kann) zu unterscheiden. Die Übereinstimmung, sofern das Urteil wahr ist, soll
zwischen dem idealen Gehalt des Urteils, der Proposition, und dem realen Ding,
also dem worüber geurteilt wird, bestehen. Das Problem, das sich hier stellt ist, wie
sich die beiden Schichten des Idealen und des Realen miteinander verbinden lassen.
Die Verbindung der beiden Schichten ist nicht ohne weiteres zu erkennen, und eine
Analyse des Erkennens scheint unumgänglich.
Zur Übereinstimmung gehört strukturgemäß so etwas wie ein „Hinblick auf". Das
Problem der Verbindung wandelt sich nun zur Frage: „Im Hinblick worauf stimmen
intellectus und res überein?“ (SuZ ) Um dieses Problem zu lösen, „muß nach dem
Seinszusammenhang gefragt werden, der das Relationsgefüge der Übereinstimmung
Kapitel Ontologische Wahrheit
Carl Friedrich Gethmann: Zu Heideggers Wahrheitsbegriff (HW), in: Kantstudien , S. .
Vgl. den Begriff der ἀπόφανσις und des apophantischen ,Als‘ (s. oben S. ).
. Erschlossenheit
Zur Übersetzungsgeschichte des Begriffs ἀλήθεια s. Holger Helting: ἀ-λήθεια-Etymologien vor
Heidegger im Vergleich mit einigen Phasen der ἀ-λήθεια -Auslegung bei Heidegger, in: Heideg-
ger Studies Vol. . Helting zeigt dort, dass die Übersetzung von ἀλήθεια als Unverborgenheit
kein genuiner Gedanke Heideggers ist. Auch vor ihm wurde ἀλήθεια bereits als Unverborgenheit
übersetzt. Siehe hierzu insbesondere Wolfgang Schadewaldt: Die Anfänge der Philosophie bei den
Griechen. Zu den Begriffen „Logos“ und „Aletheia“ vgl. außerdem Heribert Boeder: Der frühgrie-
chische Sprachgebrauch von Logos und Aletheia, in: Archiv für Begriffsgeschichte .
Dies stellt für Tugendhat den ersten Schritt zur Erweiterung des Wahrheitsbegriffs dar, in
Kapitel Ontologische Wahrheit
dem „die Aussagenwahrheit auf alles Begegnenlassen von innerweltlichem Seienden erweitert“ wird
(WHH ). Daran schließt sich sofort der zweite Schritt an, in dem nach der Bedingung der
Möglichkeit für Begegnenlassen gefragt wird – diese ist, wie die beiden Abschnitte .. und ..
zeigten, die Erschlossenheit.
In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass Heidegger in der Entschlossenheit des Daseins
„die ursprünglichste, weil eigentliche Wahrheit des Daseins“ (SuZ ) sieht, denn in dieser Weise
der Erschlossenheit seiner selbst hat sich das Dasein der Verdeckungen entledigt (vgl. oben S.
). Es trägt die Last der Geworfenheit, indem es seine (Seins-)Möglichkeiten ausdrücklich ergreift
(vgl. SuZ f.). „Die ursprünglichste und zwar eigentlichste Erschlossenheit, in der das Dasein als
Seinkönnen sein kann, ist die Wahrheit der Existenz “ (SuZ ).
. Erschlossenheit
Nur sofern Dasein erschlossen ist, z.B. in einer Stimmung, ist es auch zugleich ver-
schlossen, bspw. für eine andere Stimmung. Und nur sofern Dasein Seiendes als
etwas entdeckt, ist dasselbe Seiende als etwas anderes verdeckt. Weil Seiendes im-
mer schon irgendwie entdeckt ist, aber zugleich auch verstellt sein kann (das Dasein
ist ja zunächst und zumeist an seine Welt verfallen), muss sich das Dasein, will es
den Schein vermeiden, der Entdecktheit ausdrücklich versichern. Schein erläutert
Heidegger als eine Entdecktheit, in der das Seiende „so aussieht wie. . . “, also ent-
deckt und zugleich verstellt ist. Daher gilt: „Die Wahrheit (Entdecktheit) muß dem
Seienden immer erst abgerungen werden. Das Seiende wird der Verborgenheit ent-
rissen“ (SuZ ). Heidegger sieht sich diesbezüglich durch den privativen Ausdruck
ἀ-λήθεια bestätigt. Als Zwischenergebnis können wir also mit Heidegger festhalten:
„. Wahrheit im ursprünglichen Sinne ist die Erschlossenheit des Daseins, zu der die
Entdecktheit des innerweltlichen Seienden gehört. . Das Dasein ist gleichursprüng-
lich in der Wahrheit und Unwahrheit“ (SuZ ).
Nun geht es darum, explizit zu zeigen, dass Wahrheit als Übereinstimmung aus
der Erschlossenheit abgeleitet ist und warum Wahrheit zunächst eben als Überein-
stimmung aufgefasst wird und nicht als die ursprünglichere Erschlossenheit.
Dazu verweist Heidegger wieder auf die Unterscheidung zwischen apophantischem
und hermeneutischem ‚Als‘ (vgl. S. ). Wie wir in .. (Erschlossenheit der Exi-
stenz) sahen, wurzelt das apophantische ‚Als‘ im hermeneutischen ‚Als‘ des Verste-
hens. Diese Verwurzelung gilt es nun genauer zu betrachten. Zur Erschlossenheit des
Daseins gehört die Rede, auf die wir bisher nicht weiter eingegangen sind (s. hierzu
.). Rede ist artikulierte Verständlichkeit (vgl. SuZ ), das bedeutet, dass sich
das Dasein über entdecktes Seiendes ausspricht und zwar in der Aussage. Indem ein
Dasein die Mitteilung eines anderen Daseins hört, teilt das erste Dasein mit dem
zweiten seine Entdecktheit des Seienden. Das zweite Dasein ist damit auch in der
Weise des Entdeckend-seins bezüglich des Seienden über das geredet wird. „Das die
Mitteilung vernehmende Dasein bringt sich selbst im Vernehmen in das entdecken-
de Sein zum besprochenen Seienden. Die ausgesprochene Aussage enthält in ihrem
Worüber die Entdecktheit des Seienden“ (SuZ ).
Wer fröhlich ist, kann nicht zugleich auch traurig sein.
Indem ich einen Hammer als Schlagwerkzeug entdecke, verdeckt sich mir zugleich die Möglich-
keit ihn in physikalischer Hinsicht als eine Materieansammlung zu verstehen.
Die plurale Verwendung von „Dasein“ ist nicht ganz unproblematisch und stellt hier eine Ver-
kürzung dar. Streng genommen müsste man sagen, dass es mehrere Seiende von der Seinsart des
Daseins gibt, d. h. Seiende, die die ontologische Struktur des Daseins teilen, um so die Identifizie-
rung von Dasein mit Subjekt zu vermeiden.
Kapitel Ontologische Wahrheit
Entscheidend ist nun, dass indem die Aussage ausgesprochen wird, sie zu einem
innerweltlichen Zuhandenen wird (d. h. sie wird verstanden). Auch hier ist Heidegger
wieder ganz mit Husserl konform, wenn er erklärt, dass aufgrund der „Verwahrung
der Entdecktheit des Seienden“ (ebd.) in der ausgesprochenen Aussage der Bezug
zum Seienden in der Aussage enthalten ist. „Entdecktheit [ist] je Entdecktheit von
. . . “ (ebd.). Dadurch braucht das Dasein, um Seiendes zu entdecken, nicht die „ori-
ginäre Erfahrung“ des Seienden selbst zu machen. „Entdecktheit wird in weitem
Ausmaß nicht durch je eigenes Entdecken, sondern durch Hörensagen des Gesagten
zugeeignet“ (ebd.). Entdecktheit kann also auch vermittelt sein, doch gerade so kann
auch Schein entstehen. Seiendes scheint so und so zu sein, doch wissen, wie es ist,
kann ich nur, indem ich das Entdeckend-sein zu diesem Seienden selbst vollziehe.
Jetzt erfolgt der zweite entscheidende Schritt. Die Aussage ist als ausgesprochene
ein Zuhandenes. „Das Seiende, zu dem sie als entdeckende Bezug hat, ist innerwelt-
lich Zuhandenes, bzw. Vorhandenes“ (ebd.). Der Bezug zum Seienden wird dadurch
gewährleistet, dass die Aussage auch wirklich die Entdecktheit von Seiendem in sich
mit einschließt und damit eine Aussage zum Seienden ist. Der Bezug wird dadurch
zu etwas in der Aussage vorhandenem. „Entdecktheit von. . . wird zur vorhandenen
Gemäßheit eines Vorhandenen, der ausgesprochenen Aussage, zu Vorhandenem, dem
besprochenen Seienden“ (ebd.). Die Übereinstimmung wird nun also verstanden als
(vorhandene) Gemäßheit zwischen zwei Vorhandenen und damit ist das Problem
der unterschiedlichen „ontologischen“ Schichten (intellectus und res) geklärt. Hei-
degger spricht zwar bis zur Stelle des letzten Zitats und auch wieder danach von
der Aussage als Zuhandenem, wir sahen aber bereits, dass Zuhandenes immer dann
zu einem Vorhandenen wird, wenn es aus seinem Zusammenhang (Zuhandenheit)
herausgerissen wird (s. oben S. ). Wird eine Aussage als ein Beziehungsglied in
einer (Übereinstimmungs-)Beziehung gesehen, so geschieht genau dies und die Cha-
rakterisierung der Aussage als Vorhandenes ist damit gerechtfertigt. „„Wahrheit als
Erschlossenheit und entdeckendes Sein zu entdecktem Seienden ist zur Wahrheit als Über-
einstimmung zwischen innerweltlichem Vorhandenen geworden. Damit ist die ontologische
Abkünftigkeit des traditionellen Wahrheitsbegriffs aufgezeigt“ (SuZ ).“
„Die Gesetze Newtons sind vor Newton noch nicht wahr, weil das Seinsver-
ständnis, das das von den Gesetzen Newtons betroffene Seiende konstituiert
(Sein als Regelmäßigkeit) vor Newton noch nicht gegeben war, sondern der
mathematische Seinsentwurf erst am Beginn der Neuzeit gültig wird.“
Die Frage, die sich Heidegger nun stellt, ist: „Warum müssen wir voraussetzen,
daß es Wahrheit gibt? “ (SuZ ). Voraussetzen meint nicht, dass wir Wahrheit als
Dies stellt Heideggers Versuch dar, die Reste von „christlicher Theologie innerhalb der philo-
sophischen Problematik“ (SuZ ) auszutreiben.
HW . Zur Erläuterung dieser These vgl. Martin Heidegger: Die Frage nach dem Ding (GA
), S. -.
Kapitel Ontologische Wahrheit
etwas „außer“ uns oder „über“ uns setzten, zu dem wir uns dann verhalten – dies
wäre wieder gegenständliches, bzw. vorstellendes Denken, welches Heidegger gerade
vermeiden will. Nein, vielmehr ist es so, dass Wahrheit es ist, „die ontologisch über-
haupt möglich macht, daß wir so sein können, daß wir etwas ,voraussetzen‘ “ (ebd.).
Wir müssen Wahrheit insofern voraussetzen, als dass wir auf sie als Erschlossenheit
angewiesen sind. Als Konstitutivum der Erschlossenheit hatte sich bereits die Sor-
ge herausgestellt. Ein Strukturmoment der Sorge ist das „Sich-vorweg-sein“. „In der
Seinsverfassung des Daseins als Sorge, im Sich-vorweg-sein, liegt das ursprünglich-
ste ,Voraussetzen´“ (SuZ ). Erschlossenheit (Wahrheit) ist damit immer schon
„vorausgesetzt“. Wenn also geurteilt (d. h. entdeckt) wird, ist Wahrheit schon vor-
ausgesetzt. Auf die Frage, warum Wahrheit da sein muss, worin der ontologische
Grund zu suchen ist für diesen notwendigen Seinszusammenhang zwischen Wahr-
heit und Aussage, antwortet Heidegger schlicht und ergreifend: „Wahrheit lässt sich
in ihrer Notwendigkeit nicht beweisen, weil das Dasein für es selbst nicht erst un-
ter Beweis gestellt werden kann“ (SuZ ). Ebenso hat es nie einen „wirklichen“
Skeptiker gegeben. Selbst Descartes’ Zweifel, so wird man zugeben müssen, ist kein
wirklicher, sondern bloß ein methodischer Zweifel und selbst Anhänger der „Jüngeren
Akademie“ wie Arkesilaos oder Karneades waren keine wirklichen Skeptiker, denn
wirklicher Zweifel bedeutet Lebensunfähigkeit und damit letzthin Selbstmord. Da-
sein, Wahrheit und Sein stehen in einem ursprünglichen Zusammenhang zueinander.
Nur insofern Dasein konstituiert ist durch Erschlossenheit, und d. h. in der Weise
des Verstehens, kann Sein überhaupt verstanden werden – Seinsverständnis wird
erst in und durch Wahrheit ermöglicht. „Sein – nicht Seiendes – ,gibt es‘ nur, sofern
Wahrheit ist. Und sie ist nur, sofern und solange Dasein ist. Sein und Wahrheit
,sind‘ gleichursprünglich“ (SuZ ).
Was Tugendhat Heidegger nun vorwirft, ist die Zweideutigkeit seines neuen Wahr-
heitsbegriffs, die durch die „Erweiterung“ entstanden ist. Im Sinne des neuen Wahr-
heitsbegriffes (Erschlossenheit) ist eine Aussage, die im Sinne der traditionellen Aus-
sagenwahrheit falsch ist, verdeckend, während die wahre Aussage entdeckend ist.
Doch, so stellt Tugendhat fest, auch die falsche Aussage ist in einem weiteren Sinne
Wolfram Hogrebe hat zur Charakterisierung des Problems das treffende Bild des „skeptischen
Dandys auf einer Bühne“ entworfen. Dieser führt seine „skeptischen Kunsttücke und Tricks“ auf,
doch ist er sich der Bühne, auf der er steht, letztlich bewusst (Vgl. Wolfram Hogrebe: Das Dunkle
Du, in: Wirklichkeit des Denkens (WdD), S. ).
. Erschlossenheit
entdeckend, also damit „wahr“, denn in der falschen Aussage ist das Seiende, „in
gewisser Weise schon entdeckt und doch noch verstellt“ (SuZ ). Dies ist nicht
verwunderlich, denn eine Weise der Erschlossenheit, und in dieser wird Seiendes ja
gerade entdeckt, ist das Verfallen. Dieses hatte Tugendhat als eine Verschließungs-
bzw. Verdeckungstendenz charakterisiert (vgl. oben S. ). Also kann, so Tugendhat,
auch eine verdeckende Aussage „wahr“ sein, weil sie erschließend ist.
Wir können hier mit Tugendhat also einen weiteren (ursprünglicheren) Wahr-
heitsbegriff (W1 ) von einem engeren, oder wie Tugendhat ihn nennt, spezifischen,
Wahrheitsbegriff (W2 ) unterscheiden. Diese Unterscheidung ist insofern wichtig, als
dass sie die systematische Grundlage der Kritik Tugendhats an Heidegger darstellt.
Was Heidegger demnach gezeigt hat, ist, dass W2 (in diesem Fall propositionale
Wahrheit) aus W1 (in SuZ Erschlossenheit) „abgeleitet“, bzw. fundiert ist.
Tugendhat dagegen glaubt, dass Heidegger beide Begriffe miteinander vermischt
hat, genauer gesagt hat Heidegger, so Tugendhat, W2 nicht abgeleitet, sondern soweit
ausgedehnt, dass er zu W1 gelangte. Damit hat der spezifische Wahrheitsbegriff
seine Funktion einer kritisch-regulativen Idee des Erkennens und Handelns verloren
und die „Idee der kritischen Verantwortlichkeit“ (WHH ) wird zugunsten einer
„vorkritischen Unmittelbarkeit“ (WHH ) verlassen, welches aus Tugendhats Sicht
gleichbedeutend mit der „Selbstaufgabe der Philosophie“ (WHH ) ist.
Der Idee der kritischen Verantwortlichkeit folgend versucht Tugendhat ein Krite-
rium zu finden um W1 von W2 , bzw. die jeweiligen Entdeckensmodi zu unterscheiden
(vgl. WHH ). Denn wie es scheint, ist auch die verdeckende Aussage irgendwie
entdeckend. Zu Beginn, so erklärt Tugendhat, sah Heidegger das gesuchte Kriterium
darin, dass in der wahren Aussage das Seiende so entdeckt wird, „wie es an ihm selbst
ist“. Doch dieses „an ihm selbst“ hat Heidegger im weiteren Verlauf „gestrichen“.
Nach Tugendhats Meinung ist um die Charakterisierung der wahren Aussage als
dem „Entdecken wie die Sache selbst ist“, nicht herum zu kommen, will man Ent-
decken () von Entdecken () trennen. Am bloßen „Sich zeigen“ als solchem, kann
man sich nicht orientieren, denn auch die falsche Aussage richtet sich nach etwas,
was sich zeigt. Was Tugendhat hier impliziert, ist eine graduelle Unverborgenheit
Engerer Wahrheitsbegriff meint hier aber nicht nur allein Aussagenwahrheit, gemeint ist viel-
mehr Richtigkeit, sowohl die Richtigkeit einer Aussage, als auch die einer Handlung. Tugendhat
selbst bringt am Begriff der Verantwortlichkeit die praktische Komponente (d. h. die Richtigkeit
einer Handlung) in den Zusammenhang mit der Wahrheit (vgl. WHH ff.). Zum Begriff der
„Richtigkeit“ bei Heidegger s. Martin Heidegger: Vom Wesen der Wahrheit (WdW), in: Ders.:
Wegmarken (GA ), S. ff.
Die beiden Entdeckensmodi korrespondieren denen der Wahrheit.
Kapitel Ontologische Wahrheit
des Seienden. In der falschen Aussage wird das Seiende „so gerade“ entdeckt, in der
wahren Aussage ist das Urteil „näher“ an der „Sache selbst“.
Gerade hierin sieht Tugendhat den eigentlichen Gewinn von Heideggers Wahr-
heitskonzeption, dass der Wahrheitsbezug verstanden als „Entdecken“ (W1 ) sich als
ein Unterwegssein zur Wahrheit (W2 ) verstehen lässt (vgl. WHH ). Wobei Hei-
degger aus Tugendhats Sicht das Ziel dieses Weges nicht nennt, weil er die beiden
Wahrheitsbegriffe, d. h. den „Weg“ vom „Ziel“, nicht sauber trennt.
Hier wird man mit Gethmann einwerfen müssen, dass nicht Heidegger, sondern
Tugendhat die beiden Wahrheitsbegriffe vermischt. Tugendhats Bemühungen W2
von W1 zu trennen, wären überflüssig, hätte er sich nicht so sehr vom Telos des
reinen Erkennens leiten lassen.
Zunächst einmal ist es keineswegs so, dass Heidegger das „so-wie“, welches an-
deutet, dass die Aussagenwahrheit sich am Seienden selbst orientiert, nicht einfach
weggelassen, „gestrichen“ hat, sondern Heidegger erwähnt es nicht mehr (vgl. SuZ
), „weil es für ihn ganz selbstverständlich ist und seine Erwähnung vom Ziel der
Argumentation her geschenkt werden kann“ (HW ).
Es ist erneut darauf hinzuweisen, dass die (Husserlsche) Bestimmung der Aus-
sagenwahrheit (i.S. von W2 ) durch Heidegger unangetastet bleibt, weil sie für ihn
uninteressant ist. Heidegger fragt vielmehr nach den Bedingungen der Möglichkeit
für Aussagenwahrheit. Das bedeutet, dass Heidegger durchaus W2 und W1 ausein-
ander hält. Auch die falsche Aussage ist weder im Sinne von W2 noch im Sinne
von W1 wahr. Heideggers Worte sind hier eindeutig: „Bewährung [und zwar die, der
Entdecktheit, bzw. des Entdeckend-seins der (wahren) Aussage; St.S.] bedeutet: sich
zeigen des Seienden in Selbigkeit“ (SuZ ). Von einem „Entdecken“ in der falschen
Aussage kann nur insofern gesprochen werden, als sowohl der wahren, wie auch
der falschen Aussage Daseinserschlossenheit zugrunde liegt. Und so wie Dasein-
serschlossenheit die Möglichkeitsbedingung für das Entdeckend-sein einer Aussage
ist, so ist sie auch die Möglichkeitsbedingung für das Verdeckend-sein einer Aussa-
Was wir hier beobachten, ist genau das, wovon Heidegger sich trennen wollte: Wahrheit wird
wieder als eine Angleichung des Subjekts an ein Objekt verstanden. Genau dies wird Tugendhat
von Richter vorgeworfen, der von einer „in die Subjekt-Objekt-Gegenüberstellung zurückführen-
den Erklärung“ Tugendhats spricht (vgl. Ewald Richter: Heideggers These vom „Überspringen der
Welt“, in: Heidegger Studies Vol. , S. ).
Dass die Benennung der beiden Wahrheitsbegriffe, des engeren und des weiteren, mit demselben
Wort „Wahrheit“ solcherlei Missverständnisse begünstigt, hat Heidegger später selbst eingesehen.
Vgl. Martin Heidegger: Das Ende der Philosophie und die Aufgabe des Denkens, in: Zur Sache des
Denkens (GA ), S. .
Vgl. Richter: Heideggers These vom „Überspringen der Welt“, S. .
. Erschlossenheit
ge, weil zur Erschlossenheit des Daseins eben wesenhaft auch die Grundtendenz des
Verfallens gehört. Diesen Sachverhalt drückt Heidegger aus, wenn er sagt, dass das
Dasein zugleich in der Wahrheit und in der Unwahrheit ist (vgl. SuZ ).
Es ist vielmehr Tugendhat vorzuwerfen, dass er die Bedingung (W1 ) für die Er-
weiterung des Bedingten (W2 ) hält. Nach Gethmann verwechselt Tugendhat Heideg-
gers Äußerungen über die Möglichkeitsbedingungen von Aussagen mit Äußerungen
über die Aussagenwahrheit (vgl. HW ). Für Gethmann liegt der Grund dafür
in Tugendhats Vorbehalten gegenüber der Seinsfrage, und damit des begrifflichen
Hintergrundes, vor dem sich Heideggers Untersuchungen zur Wahrheit bewegen.
Die Ebene des Seins bestimmt Heidegger selbst als die Ebene der „veritas tran-
scendentalis“ (SuZ ). Auf diese kommt es Heidegger an, und diese ist auch der
neue Schritt über Husserl hinaus.
Der letzte Satz des Gethmann-Zitates deutet allerdings auf ein anderes Problem hin,
und zwar das des hermeneutischen Zirkels. Auf die Frage was hier die Erkenntnis in
Form des Zirkels leitet, antwortet Heidegger: der thematische Gegenstand, letztlich
die Sache selbst. Im Falle der philosophischen Forschung ist dies das menschliche
Dasein (vgl. PhIA ). Zwar weist Heidegger ausdrücklich darauf hin, dass jede
Auslegung und Interpretation unter bestimmten Bedingungen steht, die in die Aus-
legung mit hinein genommen, berücksichtigt werden sollen. Dennoch stellt sich die
Frage nach dem Sachbezug. Woher weiß ich, dass ich mich der Sache nähere, wie dies
der „spiralförmige“ hermeneutische Zirkel nahe legt? Wenn irgendwo, dann wäre
Vgl. HW . Welche Folgen diese Vorbehalte im weiteren Verlauf des Denkens Tugendhats
haben, wird in Kapitel dargelegt.
HW f. (Gethmann verweist innerhalb seines Zitates bzgl. der „conditio sine qua non“ auf
WHH und ).
Vgl. Martin Heidegger: Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles (PhIA), in: Ders:
Phänomenologische Interpretationen ausgewählter Abhandlungen des Aristoteles zu Ontologie und
Logik (GA ), S. .
Zum Begriff des hermeneutischen Zirkels vgl. S. dieser Untersuchung.
Kapitel Ontologische Wahrheit
. Un-Verborgenheit
Charakteristisch für die gesamte Philosophie Heideggers ist, so Gethmann, nach
der „bestimmenden Einheit von Seinsweisen“ (VuA ) zurückzufragen. Genau dies
wurde in SuZ § getan, nach der Einheit aller Entdeckungsweisen zurückgefragt.
Dabei stellt die Frage nach der Einheit für Gethmann insofern eine kritische dar, als
Heidegger nicht nach einer bloß denkbaren oder postulierten Einheit fragt, sondern
vielmehr nach einem Grund, bzw. Sinn der Unterscheidung sucht, aus dem die Un-
terscheidung sich notwendig ergibt. Heidegger fragt also einmal nach der Identität
der Differenz, d. h. nach der den mannigfaltigen Seinsweisen zugrunde liegenden Ein-
heit, und zugleich nach der Differenz der Identität, d. h. wie können aus der Einheit
mannigfache Seinsweisen „hervorgebracht“ werden. Der Begriff der Erschlossenheit
hat dabei bisher, weil er vom Dasein, d. h. vom Menschen, her gedacht wurde, eine
wesentliche Eigenschaft dieser Einheit verdeckt, und zwar, dass
Zwar fragt Heidegger in SuZ nach dem Sinn von Sein, während er nach der Kehre
die Frage nach der Wahrheit des Seins stellt, d. h. der Blickwinkel Heideggers ändert
sich, thematisch aber fragt er nach ein und demselben, nämlich nach der „trans-
kategorialen Bedingung der Möglichkeit, durch welche Dasein a priori auf Seiendes
bezogen sein kann“. An die Beantwortung der Frage nach der Wahrheit des Seins
wollen wir uns in diesem Abschnitt (.) begeben. Zu diesem Zweck richten wir uns
wieder ganz nach Tugendhat, indem wir zunächst einen Blick auf den Übergang wer-
fen (Abschnitt .. und ..), der sich im Denken Heideggers anhand der „Kehre“
ergibt. Dieser Übergang lässt sich, so Tugendhat, an den beiden Aufsätzen Heideg-
gers „Vom Wesen des Grundes“ und „Vom Wesen der Wahrheit“ nachvollziehen, um
Vgl. Martin Heidegger:Einführung in die Metaphysik (GA ) S. , , und (insbes. Nr.
).
VuA . Diese Bedingung, das „Sein“, stellt dabei, so Gethmann, den Nachfolgebegriff der
apriorischen Synthesis dar (vgl. VuA ).
. Un-Verborgenheit
die es in den nächsten beiden Abschnitten gehen soll. Danach gelangen wir dann in
Abschnitt .. zum Wahrheitsbegriff des späten Heideggers – der Unverborgenheit.
Daseins“ gesucht werden. „Diesen Grund der ontologischen Differenz nennen wir vor-
greifend die Transzendenz des Daseins“ (WdG ). Der Frage nach dem Wesen des
Grundes, welche mit dem Wesen der Wahrheit verknüpft ist, wird nun im Bezirk
der Transzendenz nachgegangen.
(II) Transzendenz, so erklärt Heidegger, bedeutet Überstieg. Seiendes wird im-
mer schon vom Dasein überstiegen hin auf eine Welt. Die Transzendenz ist damit
etwas, was dem Dasein eignet, es Ist, wie Heidegger betont, nicht eine unter vie-
len möglichen Verhaltensweisen des Menschen, sondern eine „vor aller Verhaltung
geschehende Grundverfassung dieses Seienden“ (WdG ). Dies ist natürlich nach
SuZ nichts Neues (vgl. Abschnitt .. und ..) und so darf es nicht verwundern,
dass Heidegger wenige Seiten später die Transzendenz als In-der-Welt-sein bestimmt.
Das, woraufhin das Dasein als solches transzendiert, ist die Welt. Der Rest des II.
Abschnittes bildet eine kurze Geschichte des Weltbegriffs.
(III) Im dritten Abschnitt geht Heidegger daran, aus der Transzendenz des Da-
seins das Wesen des Grundes „aufzuhellen“. Dies geschieht anhand des Begriffes der
Freiheit. Zunächst wird Welt als die Ganzheit des Umwillens bestimmt, d. h. die Welt
bildet den Rahmen für die Seinsweisen des Daseins. Das „Umwillen seiner“ deutet
auf die Seinsweise der Sorge. Die Sorge vereint in sich (als ein Strukturganzes) die
verschiedenen Seinsweisen, die Heidegger auf WdG aufzählt. Damit das Dasein
„sich“ um sein Sein sorgen kann, muss es die im Umwillen genannten Seinsweisen zu
einem Bezugspunkt seiner Sorge hin übersteigen, nämlich hin zu „seinem Sein“ – der
Existenz. Transzendenz im Sinne Heideggers kann demnach als apriorische Synthesis
verstanden werden.
Nur indem der Mensch einen „Gegenstand“ seiner Sorge – seine Existenz – hat,
vermag er sich überhaupt zu sorgen (keine Differenz ohne Einheit). „Was nun aber
seinem Wesen nach so etwas wie das Umwillen überhaupt entwerfend vorwirft und
nicht etwa als gelegentliche Leistung auch hervorbringt, ist das, was wir Freiheit
nennen. Der Überstieg zur Welt ist die Freiheit selbst“ (WdG ). d. h. Heidegger
nennt die Bedingung der Möglichkeit für das Umwillen (Sorge) Freiheit. Freiheit
ist eine Seinsweise des Menschen, nicht bloß eine Eigenschaft des Menschen, die er
„besitzt“. Die Freiheit ist der „Raum“, in dem das Dasein vor sein Selbst gebracht
wird, es hält sich „sich selbst“ entgegen. Nur so ist es dem Dasein ja möglich, vor sich
selbst zu fliehen in der Weise des Verfallens. Ein freies Selbst sein zu können, bedeutet
Auf die Beziehung zwischen Transzendenz und apriorischer Synthesis im Denken Heideggers
macht auch Gethmann aufmerksam (vgl. VuA f.).
. Un-Verborgenheit
„Die Auslegung der Freiheit als ,Kausalität‘ bewegt sich aber vor allem schon
in einem bestimmten Verständnis von Grund. Die Freiheit als Transzendenz
ist jedoch nicht nur eine eigene ,Art‘ von Grund, sondern der Ursprung von
Grund überhaupt. Freiheit ist Freiheit zum Grunde“ (WdG f.).
Hier klärt sich allmählich, warum Heidegger den Begriff „Freiheit“ als die Bedin-
gung der Möglichkeit für Sorge gewählt hat – wer sich sorgt „hat“ dafür „Gründe“.
Dass wir aber überhaupt „Gründe haben“ können, liegt für Heidegger an der (ontolo-
gisch verstandenen) Freiheit. Freiheit ist der „Grund“ dafür, dass wir im Übersteigen
auch immer das, woraufhin (Grund) wir etwas (Seiendes oder unsere Seinsweisen)
übersteigen, vor Augen haben. Weil ich einen „Grund zur Sorge“ habe, übersteige ich
immer schon die faktische Situation, in der ich mich befinde, ich bin mir wesenhaft
vorweg. Dies kann ich nur, weil mir die Freiheit als ein Spielraum die Möglichkeit
dazu eröffnet. „Die ursprüngliche Beziehung der Freiheit zu Grund nennen wir das
Gründen. Gründend gibt Freiheit und nimmt sie Grund“ (WdG ). Das Gründen
ist dabei in drei Weisen aufgeteilt: . das Gründen als Stiften, . das Gründen als
Bodennehmen und . das Gründen als Begründen.
Das Stiften beschreibt die Seinsweise des Daseins als Entwurf, d. h. das Dasein
entwirft sich selbst auf eine Welt hin. Das Gründen als Bodenehmen drückt den
Aspekt der Geworfenheit aus.
Dass dies so vereinfachend gesagt werden kann, wird durch Heidegger selbst be-
stätigt, wenn er von dem „Entwurf von Möglichkeit seiner selbst“ (d. h. des Daseins)
und von der „Faktizität“ des Daseins redet (vgl. WdG ).
Doch wie wir bereits in . sahen, verhält sich Dasein nicht nur inmitten von Sei-
endem, sondern auch zu Seiendem. Dies bringt uns zum dritten Punkt, dem Gründen
als Begründen. In der Einheit von Weltentwurf (Entwurf) und Eingenommenheit
WdG . Vgl. auch SuZ , Z. -.
„Der Weltentwurf ist [. . . ] selbst kein Daseinsbezug zu Seiendem. [. . . ] Die Eingestimmtheit
Kapitel Ontologische Wahrheit
Wann immer also Seiendes offenbar wird, ist es von diesem „transzendentalen Be-
wiederum [. . . ] ist kein Verhalten zu Seiendem. Wohl aber sind beide [. . . ] die transzendentale
Ermöglichung der Intentionalität“ (WdG ) und d. h. des Verhaltens zu Seiendem.
WdG . Damit beschreibt Heidegger mit den Begriffen „Weltentwurf“ und „Eingenommen-
heit“ denselben Sachverhalt wie in SuZ, und zwar das, was wir im Abschnitt .. als Erschlossen-
heit des Daseins kennen gelernt haben. Diese Erschlossenheit fiel, wie wir auch dort schon sahen,
mit der Erschlossenheit des innerweltlichen Seienden (d. h. mit der Offenbarkeit von Seiendem)
zusammen. Hier nun können wir zu den besprochenen Abschnitten ergänzen, dass zur Erschlos-
senheit immer Transzendenz gehört. Auch wenn dies nicht explizit gesagt wurde, so schwang es
trotzdem immer schon mit, denn die Bewandtnisganzheit, ja Welt überhaupt, „entsteht“ gerade
durch ein Übersteigen.
Möglich bedeutet also auch hier immer faktisch möglich, d. h. möglich in der Eingenommenheit.
Bzgl. des „mehr an Möglichkeiten“ vgl. SuZ .
Dies zeigte sich schon in SuZ, als sich das existenziale Verstehen (d. h. Seinsverständnis) als
das Wie der Erschlossenheit der Existenz (Entwurf) herausstellte.
. Un-Verborgenheit
gründen durchwaltet“, denn wie zuvor gesagt, ontische Wahrheit wird erst durch on-
tologische Wahrheit ermöglicht (vgl. WdG f.). Das transzendentale Begründen
durchzieht das Entdecken und Erschließen von Seiendem, so dass dieses (Entdecken)
selbst begründet sein muss, und d. h. für Heidegger sich ausweisen muss. Diese Aus-
weisung geschieht je nach Art und Weise des Seienden durch Angabe von Ursachen,
bzw. Gründen i.e.S. oder Beweggründen (Motiven), d. h. in Form einer Rechtferti-
gung. Und gerade hier am Begriff der Ausweisung setzt erneut Tugendhats Kritik
an.
Mit Ausweisung, so Tugendhat, ist ein Aspekt des spezifischen Wahrheitsbegrif-
fes angesprochen. Aus Tugendhats Sicht zeigt der Gebrauch der Termini „ontische
Wahrheit“ und „ontologische Wahrheit“, dass Heidegger auch hier in WdG nicht
sauber zwischen W1 und W2 trennt. Und damit kommt auch der Zusammenhang
beider nicht deutlich zum Vorschein. Wahrheit wird auch in der Begründung als
Weg („Mittel“) – gemeint ist die Offenbarkeit – und nicht als Ziel aufgefasst. Das
bedeutet es fehlt wieder ein Kriterium, nach dem sich die Ausweisung (Rechtfer-
tigung) richten könnte. Auch stellt sich Tugendhat die Frage, ob jede Warumfrage
eine Wahrheitsfrage ist, denn schließlich fragt eine Wahrheitsfrage i.e.S. nach dem
Grund einer Meinung – nur hier sprechen wir von einer Rechtfertigung (vgl. WHH
). Tugendhat stellt daher nicht ohne Enttäuschung fest, dass auch „in der einzigen
Schrift [. . . ], in der Heidegger die spezifische Wahrheitsfrage berücksichtigt“ (WHH
) W2 letztlich keine Beachtung findet. Damit werden die Versuche mittels der
Ausweisung doch noch zu W2 zu gelangen wieder aufgegeben. Indem Heidegger „die
Erschlossenheit und „Eröffnung“ von Welt bereits selbst als „Wahrheit“ “ (WHH )
versteht, enthebt er sich der Notwendigkeit der Ausweisung, d. h. eines spezifischen
Wahrheitsbegriffes – der Wahrheitsbezug wird unmittelbar hergestellt.
Auch hier lässt sich erneut feststellen, dass – wie bereits bei der Interpretation des
§ in SuZ – Tugendhat in seiner Interpretation von WdG die ontische und ontolo-
gische Ebene miteinander vermischt. Wie schon in SuZ ist auch in WdG zwischen
einem Begründen i.e.S. und einem Begründen i.w.S. zu unterscheiden. Tugendhat
hat Recht, wenn er sagt, dass wir nur beim Begründen einer Meinung (Begrün-
den i.e.S.) von einer Rechtfertigung sprechen, aber darauf kommt es Heidegger, wie
auch schon in SuZ nicht an. Ihn interessieren nicht die faktischen Ausweisungen
und Rechtfertigungen, sondern vielmehr das „Begründen“, das allem Verhalten zu
Seiendem zugrunde liegt (Begründen i.w.S., d. h. im ontologischen Sinne).
Was Heidegger also ontologisch aufgewiesen hat, ist der „Grund“, warum wir immer
Kapitel Ontologische Wahrheit
die Warumfrage stellen, warum wir das „Bedürfnis der Rechtfertigung“ überhaupt
haben. Dies sagt Heidegger selbst sehr klar:
„ ,Begründen‘ soll hier nicht in dem engeren und abgeleiteten Sinne des Bewei-
sens ontisch-theoretischer Sätze genommen werden, sondern in einer grund-
sätzlichen ursprünglichen Bedeutung. Darnach besagt Begründen soviel wie
Ermöglichung der Warumfrage überhaupt “ (WdG ).
Als der transzendentale Ursprung, als die transzendentale Möglichkeit des Warums
stellte sich der „Überschwung von Möglichem“ (WdG ) heraus, der in jedem Welt-
entwurf mitgegeben ist; zudem gehört zur Artikulation der Warumfrage auch immer
ein Seinsverständnis. Dies zeigt nicht nur, dass Heidegger ontische und ontologisch
Ebene sehr wohl auseinander hält, sondern auch, dass Heidegger am Begründen
i.w.S. und nicht am Begründen i.e.S. interessiert ist. Tugendhat hingegen ist am
Begründen i.e.S. interessiert und begeht den gleiche Fehler, wie er schon in ..
dargelegt wurde. Was man ihm allerdings zubilligen muss, ist das Heidegger in der
Tat keine Kriterien für das faktische Begründen nennt. Das bedeutet aber, dass
für Heidegger auch das transzendentale Begründen kein Kriterium für das faktische
Begründen darstellt, wie es Tugendhat fälschlicherweise nahe legt, wenn er Heideg-
ger unterstellt, dass dieser, weil er schon Erschlossenheit und Eröffnung von Welt
als „Wahrheit“ versteht, einen unmittelbaren Bezug zur Wahrheit herstellen möchte
(vgl. WHH ).
Berechnung, Wahrheit des wissenschaftlichen Forschens usw., ab. Nach dem Wesen
der Wahrheit zu fragen, bedeutet vielmehr nach dem zu fragen, was alle diese Formen
von Wahrheit als Wahrheit auszeichnet. Dementsprechend unterscheidet Heidegger
zwischen dem gewöhnlichen Denken des „gesunden Menschenverstandes“ und dem
eigentlichen Denken der Philosophie (vgl. WdW f.). Doch es ist nicht so, dass
Heidegger dem gewöhnlichen Denken jeden Wert abspricht. Jede der beiden Arten
des Denkens hat ihre Berechtigung – schließlich gebrauchen wir selbst ja den gemei-
nen Menschenverstand in der praktischen Erfahrung des Alltags und bedienen uns
dann immer schon einer der Formen der Wahrheit. Die Philosophie vermag auch gar
nicht das gewöhnliche Denken zu widerlegen, da „der gemeine Verstand blind ist für
das, was sie [die Philosophie; St.S.] vor den Wesensblick stellt“ (WdW ). Doch
wenn nach dem Wesen der Wahrheit gefragt wird, so bedienen wir uns ja bereits
eines Wahrheitsbegriffes, wir haben ein Verständnis von Wahrheit.
() Der erste Abschnitt beschäftigt sich daher mit dem geläufigen Begriff der
Wahrheit. Heidegger unterscheidet dabei zwei Wahrheitsbegriffe, den der Sachwahr-
heit und den der Aussagenwahrheit. Beide Begriffe kommen darin überein, dass sie
„stimmen“. „Das Wahre [. . . ] ist [. . . ] das Stimmende“ (WdW ). Die Sachwahrheit
bezeichnet „die Einstimmigkeit einer Sache mit dem über sie Vorgemeinten“ und
die Aussagenwahrheit „die Übereinstimmung des in der Aussagen Gemeinten mit
der Sache“ (WdW ).
Dies ruft erneut die Wahrheitsformel der „adaequatio rei et intellectus“ auf den
Plan und damit den mittelalterlichen Begriff der Wahrheit. Diesen bestimmt Heideg-
ger als Richtigkeit, denn einmal richtet sich die res ad (divinum) intellectum (Gött-
liche Ordnung) und zum anderen richtet sich der menschliche intellectus ad rem.
Beide Seiten der adaequatio zeichnen sich also durch ein „Sichrichten nach. . . “ aus.
War aber der Wahrheitsbegriff der Richtigkeit anfänglich noch in die Schöpfungsord-
nung eingebettet, so begann er sich zu verselbstständigen, als die Schöpfungsordnung
durch eine allgemeine und unbestimmte Weltordnung abgelöst wurde. Heidegger will
aber nicht zeigen, dass der Wahrheitsbegriff (wie auch immer er bestimmt werden
Vgl. das Beispiel des echten und falschen Goldes (WdW ).
Selbst wenn Heidegger, wie Tugendhat feststellt, die beiden Begriffe der Sachwahrheit bei
Thomas von Aquin vermischt (vgl. WHH ), so muss man sich doch das Ziel der Erläuterungen
Heideggers vor Augen halten, nämlich zu zeigen, dass die Aussagenwahrheit noch im Mittelalter
nicht isoliert und als selbstverständlich betrachtet wurde, sondern immer schon von der Sachwahr-
heit abhing. Um es mit Heideggers Begriffen zu sagen: Der Aussagenwahrheit geht die ontische
Wahrheit (das Offenbaren des Seienden) immer schon voraus. Und diese wiederum wurzelt in der
ontologischen Wahrheit – der Eröffnung des Seienden im Ganzen.
Vgl. Thomas von Aquin: De veritate I,.
Kapitel Ontologische Wahrheit
Dieses Problem begegnete uns bereits in .. (S. f).
Vgl. Heideggers Beispiel der zwei gleichen Fünfmarkstücke (WdW f.).
. Un-Verborgenheit
„[Nur] weil er [der Mensch; St.S.] offenständig ist, kann sich sein Aussagen nach
dem Seienden richten, kann er es vor-stellen und vom Vor-gestellten sagen, wie
es beschaffen ist. Das Wahre als das Richtige ist so zurückgeführt auf das, was
es als Richtiges ermöglicht – die Offenständigkeit.“
Genau hier setzt erneut Tugendhats Kritik ein. Wie schon in WdG sieht er im
Sich-Richten-nach, im Sich-Anmessen an. . . „Kennzeichen des spezifischen Wahr-
heitsbezuges“ – das würde bedeuten, dass „zur Erschlossenheit als solcher der Wahr-
heitsbezug wesentlich gehört“ (WHH ). Das Sichanmessen soll wie schon in WdG
aus dem Wesen der Erschlossenheit bzw. nun Offenständigkeit verständlich gemacht
werden. Erneut stellt Tugendhat die Frage nach dem Kriterium: „Was ist es, woran
die Erschlossenheit sich anmisst?" Er wird auch in WdW enttäuscht, wenn Heideg-
ger antwortet: „Die Aussage hat ihre Richtigkeit zu Lehen von der Offenständigkeit
des Verhaltens; denn nur durch diese kann überhaupt Offenbares zum Richtmaß wer-
den für die vor-stellende Angleichung“ (WdW ). Das Offenbare kann aber nicht
als Richtmaß dienen, denn die zitierte Behauptung ist, so Tugendhat, entweder trivi-
al, weil die fundierende Offenständigkeit eine notwendige Bedingung dafür ist, dass
wir überhaupt Gegenstände haben, auf die sich Aussagen, seien sie wahr oder falsch
Obwohl die Aussage auch hier als ein (ausgesprochenes) Seiendes, das innerhalb des Offenen
entdeckt wird, aufgefasst werden kann (vgl. SuZ § b), liegt der Schwerpunkt hier auf der Betrach-
tungsweise der Aussage als offenständiges Verhalten zu Seiendem, d. h. Entdecken (Erschließen).
Vgl. die Ausführungen zur Zuhandenheit und Vorhandenheit im Abschnitt ...
Walter Biemel; Alphonse de Waehlens: Heideggers Schrift „Vom Wesen der Wahrheit“ (HSWW),
in: Max Müller u.a. (Hrsg.): Symposion (Jahrbuch für Philosophie) Bd. III, S. .
WHH . Eigentlich müsste man „i.e.S.“ ergänzen, denn die Erschlossenheit i.w.S. richtet sich
nach überhaupt nichts, sondern „geschieht einfach“. Tugendhats Fehlinterpretation beruht genau
auf dieser mangelnden Trennung.
Kapitel Ontologische Wahrheit
i.S. von W2 , beziehen oder sie ist falsch, weil die Behauptung als eine hinreichende
Bedingung für W2 betrachtet dann auch für falsche Aussagen i.S. von W2 gelten
würde. Überhaupt lässt sich erneut feststellen, dass die „Richtigkeit (Wahrheit) der
Aussage“ als das Sich-Richten der Aussage nach dem Seienden Wahrheit i.S. von
W1 ist. Doch das, woran sich die richtige Aussage (i.S. von W2 ) anmisst, kann, so
Tugendhat, nicht „das Offenbare“, d. h. das Seiende überhaupt sein, sondern „das Sei-
ende wie es selbst ist“. Weil letztlich doch das Offenbare als Maß genommen wird,
entgleitet auch hier in WdW Heidegger der spezifische Wahrheitsbegriff (W2 ).
Doch muss man dem entgegenhalten, dass Heidegger nicht nach einem Kriterium
sucht, nach dem sich W2 richtet ; er ist nicht so sehr an W2 interessiert, als vielmehr
an dem Wesen, d. h. dem Grund der Ermöglichung von W2 und als Grund dieser
hat sich die Offenständigkeit des Menschen herausgestellt. Auch hier hat Tugendhat
also erneut ontische und ontologische Ebene konfundiert.
() Im dritten Abschnitt geht Heidegger noch einen Schritt weiter und fragt nach
dem Grund der Ermöglichung von Richtigkeit (überhaupt). Die Fragen, mit denen
Heidegger diesen Abschnitt beginnt, drehen sich alle um das (menschliche) Verhalten
in der Offenständigkeit und in welcher Beziehung eben jenes Verhalten zum Wesen
der Wahrheit steht. Fassen wir hierzu noch mal das Bisherige zusammen: Der ge-
wöhnliche Wahrheitsbegriff wurde als Richtigkeit bestimmt, als ein Sich-Richten der
Aussage nach dem Gegenstand. Die Richtigkeit i.S. der Übereinstimmung, d. h. des
Bezugs der Aussage zum Gegenstand, wird durch die Offenständigkeit ermöglicht.
Heidegger geht hier nun insofern einen Schritt weiter, als er im dritten Abschnitt
„nach der Möglichkeit der Offenständigkeit“, d. h. „nach dem Grund, der allererst
eine Richtigkeit trägt“ (HSWW ) fragt.
Der bindende Bezug des Vorstellenden (Aussage) zum Vorgestellten (Gegenstand),
also das, was Heidegger im zweiten Abschnitt „Stimmen“ genannt hatte, wird durch
die Vorgabe einer „Richte“, d. h. der Weisung des „sich nach etwas richtens“ ermög-
licht. Erst durch die „Richtungsgebung“ überhaupt ist das spezielle Eingehen auf den
Gegenstand möglich. Diese Vorgabe wiederum ist nur in und durch die Offenstän-
digkeit möglich. Auf diese gilt es nun einen genaueren Blick zu werfen.
„Das Sich-freigeben für eine bindende Richte ist nur möglich als Freisein zum
Offenbaren eines Offenen. Solches Freisein zeigt auf das bisher unbegriffene We-
sen der Freiheit. Die Offenständigkeit des Verhaltens als innere Ermöglichung der
Heidegger dürfte, obwohl nicht daran interessiert und deshalb nicht darauf eingehend, nach wie
vor den Husserlschen Wahrheitsbegriff als spezifischen Wahrheitsbegriff für angemessen halten.
Die Offenständigkeit ist also die Bedingung der Möglichkeit für Intentionalität.
. Un-Verborgenheit
Richtigkeit gründet in der Freiheit. Das Wesen der Wahrheit, als Richtigkeit der
Aussage verstanden, ist die Freiheit“ (WdW f.). Der letzte Satz muss befrem-
den, da Heidegger sich mit diesem gegen die üblichen Vorstellungen von Freiheit
richtet. Doch Heidegger sagte bereits, dass „ je nach Art des Seienden und der Weise
des Verhaltens [. . . ] die Offenständigkeit des Menschen verschieden“ ist (WdW ).
Offenständigkeit ist also nur „als Freisein zum Offenbaren eines Offenen“ möglich.
Um die neue Bedeutung von Freiheit heraus zu präparieren, setzt Heidegger den
neuen Begriff von anderen, bisherigen Bedeutungen ab. Freiheit bedeutet hier also
nicht frei sein im Vollzug einer Handlung (Aussage) – Freiheit soll das Wesen, der
Grund der inneren Möglichkeit von Wahrheit sein. Wahrheit versteht Heidegger hier
als Richtigkeit der Aussage. Das legt die Vermutung nahe, dass durch die Beziehung
zwischen Wahrheit und Freiheit die Wahrheit einer Aussage damit beliebig, willkür-
lich vom Menschen abhängig wird. Ebenso werden auch die Formen der Unwahrheit
(Irrtum, Täuschung, Trug, Lüge) dem Menschen zugeschrieben, bzw. als von ihm
abhängig gesehen. Sämtliche Einwände gegen den Satz („Das Wesen der Wahrheit
ist die Freiheit.“) beruhen, so Heidegger, letztlich auf einer bestimmten Vormeinung:
„die Freiheit ist eine Eigenschaft des Menschen. Das Wesen der Freiheit braucht und
duldet keine weitere Befragung. Was der Mensch sei, weiß jedermann“ (WdW ).
Diese Art von Verstellungen und Verdeckungen des „bisher unbegriffenen Wesens
der Freiheit“ gilt es zu destruieren, d. h. wegzuräumen.
() Im vierten Abschnitt setzt sich Heidegger daher mit der Beziehung zwischen
dem Wesen der Wahrheit und dem Wesen der Freiheit auseinander. Die Offenstän-
digkeit wurde, wie wir sahen, als das „Stehen im Offenen“, d. h. als ein „Offenba-
rungsgeschehen“ bestimmt, in dem uns Seiendes offenbar wird. In dem so Stehenden
vermag Seiendes aber nur zu begegnen, weil wir „es sein lassen“. „Freiheit enthüllt
sich jetzt als das Seinlassen von Seiendem“ (WdW ). Dies bedeutet eine erste
nähere Bestimmung der Freiheit zum Offenbaren des Offenen, d. h. also des Frei-
gestelltsein des Menschen in das Geschehen, in und durch das Seiendes offenbar
wird. Seinlassen bedeutet hier nicht Absehen von etwas, sondern „Sicheinlassen auf
das Seiende“ (WdW ). Dies wiederum bedeutet nicht, das Seiende in irgendeiner
Weise zu umsorgen, sondern das Seiende seinlassen als das Seiende, das es ist. Dies
bedeutet für Heidegger gerade sich einzulassen auf das Offene und deren Offenheit.
Indem ich also Seiendes als Seiendes seinlasse, lenke ich meinen Blick um, weg vom
konkreten Seienden hin zu dem „Bereich des Offenen“ , d. h. zu den Bedingungen,
HSWW . Biemel und de Waehlens weisen selbst aber darauf hin, dass unter diesem Bereich
Kapitel Ontologische Wahrheit
nichts Äußeres verstanden werden darf. Genau genommen ist es auch nichts statisches, sondern
beinhaltet vielmehr ein dynamisches Moment.
Im Sinne Heideggers könnte man also die Haltung des „Seienden seinlassen“ als die philosophi-
sche, d. h. ontologiebetreibende Grundhaltung des Philosophen bezeichnen.
WdW . Vgl. Martin Heidegger: Über den Humanismus (Hum) (GA ), S. .
. Un-Verborgenheit
Aus-gesetzt sein bedeute aber auch ausgeliefert sein. Auf diesen Aspekt der „Geworfenheit“
geht Heidegger im fünften Abschnitt von WdW ein.
Man könnte hier zur Erklärung auch anführen, dass unsere Aneignung der Geschichte, d. h.
unser Bezug zur Geschichte immer ein reflektierendes Moment enthält, ja dadurch erst möglich
wird, und dass wir die Möglichkeit der Reflexion, d. h. der Selbstbezüglichkeit überhaupt haben,
verdanken wir den ontologischen Rahmenbedingungen, unter denen wir immer schon stehen, und
durch die wir als durch sie bedingte ausgezeichnet werden.
Vgl. hierzu SuZ § b Wahrheit als Entdecktheit.
Kapitel Ontologische Wahrheit
Seienden zu richten, ist zugleich auch die Möglichkeit mitgegeben, sich nicht nach
dem Seienden zu richten. So endet dann der vierte Abschnitt mit der Aufforderung,
die Zusammengehörigkeit von Wahrheit und Unwahrheit näher zu untersuchen.
Hier nun, im vierten Abschnitt des Vortrags, hat sich die Kehre im Denken Hei-
deggers vollzogen , und das sogar schon zu Beginn des Abschnitts: „die Freiheit ist
nur deshalb der Grund der inneren Möglichkeit der Richtigkeit, weil sie ihr eigenes
Wesen aus dem ursprünglicheren Wesen der einzig wesentlichen Wahrheit empfängt“
(WdW ).
Zur Aufschlüsselung dieser Stelle sei es erlaubt zum Ende des Vortrags zu sprin-
gen, denn diese „einzig wesentliche Wahrheit“ ist, so wird sich im achten Abschnitt
herausstellen, die „Wahrheit des Wesens“ und das heißt die Wahrheit des Seins, bzw.
die Lichtung des Seins (vgl. WdW ). Man kann also tatsächlich von einer „dia-
lektischen“ Bewegung sprechen, die sich hier abspielt: vom Wesen der Wahrheit hin
zur Wahrheit des Wesens. Der Freiheitsbegriff nimmt dabei so etwas wie eine Ver-
mittlerrolle ein. War die Freiheit in WdG noch der „Grund des Grundes“ (WdG ),
d. h. der letzte Punkt der transzendentalen Begründung, so wird nun in WdW die
Freiheit nicht nochmals begründet, sondern sie empfängt ihr Wesen aus der „einzig
wesentlichen Wahrheit“.
Für Heidegger stellt, so betont Tugendhat, die Freiheit die Grenze der transzendental-
philosophischen Begründung dar, sie ist das Letzte, „worauf transzendental-philosophisch
als Grund der inneren Möglichkeit“ zurückge-gangen werden kann“ (WHH ). Für
Tugendhat ist damit klar, dass die Kehre im Denken Heideggers sich als eine Keh-
re im Wesen der Freiheit vollzieht. Diese Kehre vollzieht sich aber nicht allein im
Freiheitsbegriff, sondern in der Verbindung mit dem Wahrheitsbegriff.
Freiheit wurde sowohl in SuZ als auch in WdG als ein Freisein zum Begegnenlassen
von Seiendem verstanden. Dieses Freisein wird durch das transzendentale Zusam-
Vgl. WdW , Z. ff. Mit Tugendhat müsste man genauer sagen, dass der Mensch sich zwar
(in seiner Erschlossenheit) immer nach dem „Seienden selbst“ (d. h. Seiendes wie es selbst ist)
richtet, also zu ihm Bezug nimmt, aber er lässt es nicht immer es selbst sein.
Heidegger selbst weist in einer Anmerkung in WdW darauf hin, dass sich die Kehre zwi-
schen dem . und . Abschnitt ereignet. Dies stellt nur auf den ersten Blick ein Widerspruch zu
dem hier Gesagten dar, denn die Kehre wird in dieser Untersuchung aus einem systematischen
Blickwinkel gesehen, während Heidegger durch seine Anmerkung auf einen anderen Aspekt auf-
merksam macht. Am Begriff der Freiheit lässt sich der Übergang im Denken Heideggers (zumindest
hier in WdW) beobachten – dies wird im weiteren Verlauf der Untersuchung ausgeführt. Es fällt
aber zugleich auf, dass vom . auf den . Abschnitt die Antagonisten des Wechselspiels, welches
das Wahrheitsgeschehen ist, Verborgenheit und Entborgenheit, Un-wahrheit und Wahrheit in den
Vordergrund rücken (vgl. WdW ff.).
. Un-Verborgenheit
menspiel von Weltentwurf und Geworfenheit (SuZ), von Überschwung und Entzug
(WdG) ermöglicht. Daran knüpft Heidegger in WdW an, wenn er Freiheit „als Sein-
lassen von Seiendem“ (WdW ) bestimmt. Seinlassen ist dabei, wie Heidegger in
der Anmerkung (a) auf derselben Seite hinweist, im Sinne von „gewähren“ zu ver-
stehen. Der Mensch hat also die Möglichkeit, sich auf Seiendes einzulassen. Ob er
dies tut, und in welcher Weise er dies tut, liegt im individuellen Entwurf. Auf diesen
kommt es Heidegger aber nicht an. Ihn interessiert vielmehr der Grund dafür, dass
der Mensch die Möglichkeit hat, sich auf Seiendes einzulassen. Was ist das Wesen
der Freiheit? Der gesuchte Grund ist das Offene, der Denkraum von dem ich sprach
(vgl. oben S. ). Um genau zu sein, ist die Stellung des Menschen zu diesem „Raum“
der gesuchte Grund. Um dies zu explizieren muss auf eine begriffliche Änderung im
Denken Heideggers hingewiesen werden.
Sprach Heidegger vor der Kehre noch von Existenz, welche eine aktivische Kon-
notation hat (vgl. oben S. ), so spricht Heidegger nun nach der Kehre von der
Ek-sistenz des Menschen. Der Grund, warum der Mensch die Möglichkeit hat, sich
auf Seiendes zu beziehen, liegt in der Ek-sistenz des Menschen, d. h. in seiner „Aus-
setzung in die Entborgenheit des Seienden als eines solchen“ (WdW ). Ek-sistenz
erhält dadurch eine passivische Konnotation. Im weiteren Verlauf des Vortrags kon-
zentriert sich Heidegger ganz auf das Offene und die Beziehung des Menschen zu
diesem.
In SuZ ließ sich zwar zwischen jeweiliger Erschlossenheit (d. h. Erschlossenheit in
einem engeren Sinne) und der Erschlossenheit überhaupt differenzieren, aber der Be-
griff der Erschlossenheit war noch zu sehr dem Dasein verhaftet, wodurch impliziert
werden konnte, dass Dasein setze die Bedingungen in der Erschlossenheit, anstatt
dass es sich in diesen immer schon vorfindet, wie es der Begriff der Ek-sistenz nahe
legt.
Heideggers Denkrichtung hat sich also umgekehrt: Anstatt die transzen-dental-
ontologischen Bedingungen vom Menschen (Dasein) her zu verstehen, denkt Hei-
degger nun den Menschen von diesen Bedingungen her. Wie sich damit aber zeigt,
bleibt der Gegenstand des Heideggerschen Denkens – nämlich die transzendental-
ontologischen Bedingungen und die Beziehung des Menschen zu diesen – derselbe.
Tugendhat kommt aufgrund seiner Erläuterungen (vgl. WHH -) zu dem
Ergebnis, dass die Freiheit, wie sie in WdW verstanden wird, ihren spezifischen Frei-
Auf die Rolle, die gerade der Begriff der Ek-sistenz beim Verständnis der Kehre spielt, weist
auch Gethmann hin (vgl. VuA ff.).
Kapitel Ontologische Wahrheit
heitscharakter verloren hat. Dieser bestand für Tugendhat darin, dass „zur Freiheit
wesensmäßig gehört, in einem Spielraum von Möglichkeiten zu stehen und sich ent-
scheiden zu müssen“ (WHH ). Dieser „Möglichkeitscharakter der Freiheit“ (WHH
) war, wie Tugendhat feststellt, in SuZ noch entscheidend (vgl. SuZ ) und
auch in WdG gehörte er noch unverzichtbar zur Freiheit (vgl. WdG ). In WdW
hingegen wird er zwar noch nebenbei gebraucht (vgl. WdW ), aber sonst nicht
weiter beachtet. Dies kritisiert Tugendhat, da Heidegger in WdW nicht zeigt, wie der
Möglichkeitscharakter in dem hier verstandenen Wesen der Freiheit gründet. Die-
sem Grund, warum Heidegger den Möglichkeitscharakter außer Acht lässt, versucht
Tugendhat nachzuspüren.
Freiheit wurde sowohl in SuZ als auch in WdG als Schnittpunkt von Entwurf
und Geworfenheit verstanden (vgl. SuZ und WdG ). Wenn allerdings die-
se beiden inkongruenten Elemente in der neu verstanden Freiheit zu einer Einheit
verschmolzen werden, so geht der spezifische Freiheitscharakter verloren, denn nun
ist nicht länger von „Wahl“, und „wählen müssen“ die Rede, sondern bloß noch vom
„Aus-gesetztsein“.
Das Problem, welches Heidegger hat, ist, so Tugendhat, dass er Freiheit und Ver-
bindlichkeit nicht zusammen denken kann. Entweder er denkt Freiheit wie in SuZ
und WdG, hat dann aber keine Möglichkeit, eine Verbindlichkeit der Wahl (d. h.
bindenden Richtwert) einzuführen, oder er denkt die Verbindlichkeit, wie in WdW,
nämlich unmittelbar an das Offenbaren – Entborgenheit des Seienden – (welches als
Maß fungiert) gekoppelt, dann verliert er aber den spezifischen Freiheitscharakter.
Der Grund, warum Heidegger beides nicht zusammen denken kann, liegt für Tugend-
hat ein weiteres Mal im Verlust des spezifischen Wahrheitsbegriffes. Dieser Verlust
bedeutet nämlich auch den Verlust möglicher Orientierung in der Wahl. Hätte Hei-
degger W2 berücksichtigt, dann hätte er in SuZ und in WdG Verbindlichkeit (mittels
des regulativen Ausblicks auf Wahrheit) einführen können und in WdW nicht das
Offenbaren selbst (W1 ) als Maß eingeführt.
Für Tugendhat geschieht daher Heideggers radikale Abkehr von der Philosophie
der Subjektivität auf Kosten des Wahrheitsbegriffes (i.S. von W2 ) und der Verant-
wortlichkeit. Für diese hätte man sowohl die Eigenständigkeit und Eigentätigkeit
des Menschen als auch ein Kriterium, bzw. „bindenden Richtwert“ gebraucht.
Hierzu ist zu sagen, dass Heidegger Freiheit – wie etliche andere Begriffe zuvor
Die aktive Komponente des Entwurfs wird mit der passiven Komponente der Geworfenheit zu
einer neuen Bewegtheit verbunden, die sich nur noch ereignet.
. Un-Verborgenheit
WHH f.). Mit „älter sein“ ist demnach kein „zeitliches“ älter gemeint, sondern
gemeint „ist ein Voraufgehen des Ursprünglichen, zu dem sich alles Spätere verhält“
(HSWW ). Damit besagt der Satz auf der anderen Seite, dass Un-Verborgenheit
der Verborgenheit immer erst entrissen, geraubt werden muss. Dies ist der zweite
Aspekt, der sich im (privativen) Ausdruck „Un-Verborgenheit“ widerspiegelt. Doch
was hat es noch mit dem Eigensten auf sich, von dem Heidegger spricht?
„Im entbergenden und zugleich verbergenden Seinlassen des Seienden im Ganzen
geschieht es, dass die Verbergung als das erstlich Verborgene erscheint“ (WdW ).
Wir haben es hier also mit einer doppelten Verbergung zu tun: . die Verbergung
des „Raums“ (das Offene), innerhalb dessen sich das Seiende offenbart und . die
Verbergung des Umstandes, dass sich im Offenbaren des Seienden dieser „Raum“
verbirgt. Die zweite Verbergung, die „Verbergung des Verborgenen“ nennt Heidegger
das Geheimnis. Geheimnis deswegen, weil „im Entbergen die Verborgenheit ständig
verborgen bleibt, so verborgen, daß ihr Entzug gar nicht als solcher erfahren wird“
(HSWW ). Das, was das Seinlassen im Bezug zur Verbergung bewahrt, das „Ei-
genste“, ist „nichts Geringeres als [. . . ] das Geheimnis“ (WdW ). Das Geheimnis
ist, so Heidegger, das Un-wesen der Wahrheit. „Un-“ versteht Heidegger hier primär
nicht als Negationspräfix, sondern im Sinne von „vor“, bzw. „ur“. Das Un- deutet also
auf etwas Ursprünglicheres hin, das nicht offenbar ist. Das Geheimnis ist also das
vor-wesende Wesen der Wahrheit. Aber was bedeutet das?
Die Freiheit, d. h. das Wesen der Wahrheit, ist „in sich das entschlossene, d. h.
das sich nicht verschließende Verhältnis“ (ebd.). Freiheit wird somit als ein negati-
ver Bezug zur Verbergung verstanden. Der Ort sowohl der doppelten Verbergung,
als auch der Entbergung ist das Dasein. Wobei die Verborgenheit (sowohl die erste
als auch die zweite) älter, d. h. ursprünglicher ist, als jede Offenbarkeit. „Un-wesen
der Wahrheit“ besagt also, dass die „Un-wahrheit [. . . ] nicht etwa das Gegenteil der
Wahrheit [ist; St.S.], sondern ihre ursprüngliche Voraussetzung, eben als Verborgen-
heit“ (HSWW ). Dieser Bezug der Freiheit zur Verbergung gerät aus dem Blick,
„indem es [dieses Verhältnis zur Verbergung; St.S.] einer Vergessenheit des Geheim-
nisses den Vorrang lässt und in dieser verschwindet“ (WdW ). Das Vergessen
bedeutet dabei keinen völligen Verlust, „denn der Bezug ist nicht vom Menschen
geschaffen und kann auch nicht von ihm vernichtet werden“ (HSWW f.).
Das Vergessen des Geheimnisses (und damit auch die Seinsvergessenheit) stellt für
den Menschen im alltäglichen Umgang kein Problem dar. Es stellt sogar so wenig ein
Problem für ihn dar, dass für Heidegger ein neues Problem daraus entsteht: Indem
Kapitel Ontologische Wahrheit
der Mensch den Bezug aus den Augen verliert, der ihm Seiendes „gibt“, verliert er
auch die Möglichkeit des „Maßnehmens“ am Offenbaren. Dies bedeutet wie gesagt
nicht, dass das Offenbarungsgeschehen, bzw. Wahrheitsgeschehen selbst als ein Maß
aufgefasst werden soll, sondern, dass es im Maßnehmen berücksichtigt werden soll.
Im Umgang mit Seiendem (sowohl weltlosem als auch daseinsmäßigem) nimmt der
Mensch die Kriterien für diesen Umgang vom Seienden selbst her und vergisst dabei
die Bedingungen, die das Seiende, bzw. das Sein des Seienden vor jedem menschli-
chen Verhalten bestimmen. Gemeint ist die Offenständigkeit des Menschen, durch
die der Mensch sich je in einem bestimmten Seinsverständnis bewegt. Stattdessen
hält er sich „im Gangbaren und Beherrschbaren“. In den Naturwissenschaften mag
dies noch verständlich und legitim sein, aber das vorgängige Maßnehmen am Sei-
enden hat dazu geführt, dass auch die Sicherung seiner selbst, motiviert durch die
Heimatlosigkeit, die mit dem Vergessen einhergeht, sich am Seienden orientiert.
„Die vermessene Vergessenheit des Menschentums beharrt auf der Sicherung seiner
selbst durch das ihm jeweils zugängige Gangbare“ (WdW ). Indem der Mensch
ek-sistiert, d. h. dem Sein „aus-geliefert“ ist, klammert er sich verzweifelt an das
ihm zuerst zugängliche, an das Seiende. Das „am Seienden verhaftet sein“ nennt
Heidegger insistieren.
() Die angesprochene Heimatlosigkeit („Bezugslosigkeit“), die durch das Verges-
sen des Geheimnisses, bzw. durch die Seinvergessenheit, hervorgerufen wird, ist Ge-
genstand des siebten Abschnitts.
In-sistent ist der Mensch nur, weil er ek-sistiert, d. h. erst nachdem Seiendes sich
offenbart hat, kann er es auch als Richtmaß nehmen. Seiendes als Maß zu nehmen,
bedeutet aber nicht nur sich zwischen Gegenständen zu bewegen und sich an die-
sen zu orientieren, es bedeutet auch (oder vielleicht sogar vor allem) gegenständlich
zu denken. Der Blick hin zum Machbaren, zum zunächst Zugänglichen, ist zugleich
der Blick weg vom Geheimnis, weg von den ursprünglichen Bezügen (man könnte
auch ontologische Bedingungen sagen), in denen der Mensch immer schon steht.
Die Umhergetriebenheit des Menschen fort von den Bezügen (Geheimnis) hin zum
Jede Art von Weltanschauung beruht gerade darin, dass bestimmtes Seiendes als Maß genom-
men wird, ohne zu berücksichtigen, dass das als Maß gewählte Seiende nicht von sich aus ein
ausgezeichnetes ist, sondern durch den Menschen ausgezeichnet wird. Das Vergessen, bzw. nicht
beachten eben jener ontologischer Bedingungen macht Fundamentalismus jeglicher Couleur erst
möglich.
Diese Sicherung seiner selbst stellt sich dabei, so Biemel und de Waehlens, als ein Grundzug
der modernen Philosophie heraus. Beginnend bei Descartes Definition der Wahrheit als Gewissheit
bis zur heutigen Technik, die die Verwirklichung dieser Sicherung darstellt (vgl. HSWW ).
. Un-Verborgenheit
Gangbaren und von dort zum nächsten, nennt Heidegger die Irre, d. h. das Umher-
irren zwischen Seiendem und dessen jeweilige Offenbarkeit (Welt). Weil der Mensch
ek-sistent in-sistiert, steht er immer schon in der Irre. Diese ist keine „Falle“ oder
„Grube“, in die der Mensch fallen kann, sondern „die Irre gehört zur inneren Verfas-
sung des Da-seins, in das der geschichtliche Mensch eingelassen ist“ (WdW ). Die
Irre fasst Heidegger als „Spielraum“ auf, in dem sowohl die Entbergung des Seienden
als auch die Verbergung des „Seienden im Ganzen (d. h. des Seins) stattfindet. Inso-
fern die Irre die Gegenbewegung des Wesens der Wahrheit (nämlich die Verbergung)
in sich begreift, ist „die Irre [. . . ] das wesentliche Gegenwesen zum anfänglichen We-
sen der Wahrheit“ (WdW ).
Um das Wesen der Wahrheit in seiner Ganzheit zu erfassen, ist es notwendig
zur Bewegung der Entbergung (von Seiendem) immer auch die Gegenbewegung der
Verbergung (des Seins) zu denken. In der Irre sieht Heidegger damit zugleich die
„offene Stätte und Grund des Irrtums“ (ebd.). Jedes Entbergen von Seiendem ist
immer auch mit seiner verbergenden Gegenbewegung verbunden. Heidegger be-
schreibt hier ein ontisches Verbergen (Sich-vertun, Sich-versehen, Sich-verrechnen)
von Seiendem, welches unterschieden ist von der ontologischen Verbergung des Seins
und unseres Bezugs zu ihm. Die Unrichtigkeit stellt dabei nur eine, und zwar die
oberflächlichste Weise des Irrens dar.
Doch weil die Irre und das Geheimnis wesentlich zueinander gehören (das Bedrän-
gen durch die Irre und das Walten des Geheimnisses sind ein und dieselbe Bewegung)
vermag der Mensch indirekt zum Geheimnis vorzudringen, indem er in seinem Um-
hergetriebensein die Irre als Irre erfährt. Wir vermögen nicht aus dem „Spielraum
der Irre“ heraus zu springen, einen Außenstandpunkt einzunehmen, sondern nur in
der Irre können wir uns ihr zuwenden.
Im letzten Absatz dieses Abschnittes werden die bisherigen Ergebnisse zusam-
mengefasst und zugespitzt: Die Entbergung des Seienden fällt zusammen mit der
Verbergung des Seienden im Ganzen (Sein). Der „Ort“ dieser Bewegung und ihrer
Gegenbewegung ist die Irre. Beide Bewegungen gehören zum anfänglichen Wesen der
Wahrheit. Die Mittlerrolle dorthin zu gelangen, spielt die Freiheit. Diese stellte sich
heraus als das Wesen der Wahrheit im Sinne von W2 , genauer gesagt im Sinne der
Richtigkeit der Aussage, welche Heidegger als ein Sichrichten nach. . . versteht. Die
Freiheit selbst aber entstammt dem anfänglichen Wesen der Wahrheit. Weil dem so
ist, hat der Mensch die Möglichkeit „Seiendes sein zu lassen“ und d. h. hier nun, sich
Denselben Umstand besprachen wir schon in .., S. .
Kapitel Ontologische Wahrheit
„Daß die Metaphysik die Frage nach dem Seienden im Ganzen stellt, heißt
nicht notwendig, daß sie sie auch löst. Genauer gesprochen, es heißt nicht,
daß das, was die Metaphysik als Lösung ansieht, auch wirklich eine Lösung
ist. Wenn sie das Seiende im Ganzen z.B. als φύσις, als ,Subjekt‘, als ,Geist‘
auffasst, so heißt das doch nicht unbedingt, daß es wirklich in seinem Wesen
erfasst ist, sondern bloß, daß sie es zu erfassen vermeint“ (HSWW ).
Das Denken des Seins, das Heidegger als Aufgabe zukünftiger Philosophie sieht,
bedeutet eine philosophische Grundhaltung einzunehmen, d. h. sich den Bezug des
Menschen (im Dasein) zum Offenen (Sein) vor Augen zu führen. Durch seine Of-
fenständigkeit vermag der Mensch zumindest indirekt sich dem Sein zuzuwenden.
Damit hat sich, so Gethmann, die Kehre im Denken Heideggers nur als eine in der Methode
herausgestellt, denn vom Inhalt her hat sich nichts seit SuZ geändert. Auch dort zielte die Frage
nach dem Sinn von Sein letztlich auf die nach der Wahrheit des Seins ab. Der Gegenstand des
Heideggerschen Fragens ist auch nach der Kehre derselbe geblieben (vgl. VuA f. und VuA .).
Später wird Heidegger selbst von dem Begriff der Philosophie Abstand nehmen und nur noch
vom Denken und dessen Aufgaben reden. Vgl. Martin Heidegger: Das Ende der Philosophie und
die Aufgabe des Denkens, in Ders.: Zur Sache des Denkens (GA ), S. -.
. Un-Verborgenheit
Direkt können wir uns dem Sein nicht zuwenden, da es kein Gegenstand ist und
unser gegenständliches Denken es daher nicht bestimmen kann.
Indem der Mensch ek-sistiert (d. h. im Offnen steht) ist er in eine Dynamik
hineingestellt, die zwar nicht seine Tat (d. h. nicht von ihm „gemacht“) ist, die aber
zugleich auch nicht ohne ihn möglich ist. „Wir sind hier nicht die Akteure, aber
auch nicht nur die Erleidenden, sondern im Sinne der griechischen Grammatik Medi-
um dieses Geschehens“. Dieser Satz bringt die Position des Menschen im Denken
Heidegger auf den Punkt. Wir sahen bereits, dass der geschichtliche Mensch erst mit
der „Ek-sistenz“ auf die Bühne tritt. Daher gab es auch in der Philosophiegeschich-
te immer wieder vereinzelte Denker, die sich der „medialen Position des Menschen“
bewusst waren, „Jene [. . . ], die hören können“ (WdW ). Aber schon mit Beginn
der Philosophiegeschichte forderte auch der gemeine Menschenverstand in Form der
Sophistik sein Recht. Dieser hat zwar in bestimmten Bezirken seine Berechtigung,
aber für die Frage nach der ursprünglichen Wahrheit ist er denkbar ungeeignet, denn
im alltäglichen Umgang ist „Wahrheit“ für ihn selbstverständlich. Die Philosophie be-
stimmt sich nach Heidegger allein „aus dem Bezug zur ursprünglichen Wahrheit des
Seienden als solchen im Ganzen“ (ebd.). Daher überträgt sich die Zwiespältigkeit,
die wir im Wesen der Wahrheit aufgedeckt haben, auf die Philosophie.
„Ihr Denken [also das der Philosophie; St.S.] ist die Gelassenheit der Milde,
die der Verborgenheit des Seienden im Ganzen sich nicht versagt. Ihr Denken
ist zumal die Ent-schlossenheit der Strenge, die nicht die Verbergung sprengt,
aber ihr unversehrtes Wesen ins Offene des Begreifens und so in ihre eigene
Wahrheit nötigt“ (ebd.).
Das bedeutet, die Philosophie lässt auf der einen Seite Seiendes sein (welches zu-
gleich auch der Verselbstständigung der Beherrschbarkeit des Seienden entgegenwir-
Dynamik insofern, als das Sein verstanden als das Offene einmal Lichtung ist, indem das
Sein Seiendem Anwesen und Unverborgenheit gibt und ein anderes Mal Verbergung ist, indem
es Seiendem selbiges wieder entzieht. In der Frühphase Heideggers zeigte sich diese Dynamik als
Seinsvollzug (des Daseins), in den späteren Schriften als Seinsgeschehnis bzw. Ereignis.
Hier in diesem Umstand liegt der Grund, warum Heidegger von der „Wächterschaft des Men-
schen für die Wahrheit des Seins“ (vgl. Hum ) spricht, oder warum er den Menschen als den
„Hirten des Seins“ (vgl. Hum ) bezeichnet. Auf die Frage, warum Heidegger sich gerade dieser
Sprache bedient und sich nicht „klarer“ ausdrückt, ist zu erwiedern, dass die Rede von „Denkbedin-
gungen“ ganz andere Konnotationen hervorruft, als „Hirte“ oder „Wächterschaft“. Hier könnte man
gegen Tugendhat einwerfen, dass über die Verwendung von „Wächterschaft“ und „Hirte“ der Aspekt
der Verantwortlichkeit wieder mit einbezogen wird, obgleich zugegebenermaßen das Kriterium für
Verantwortlichkeit (die Offenständigkeit des Menschen) problematisch bleibt.
EdN . Hogrebe schreibt diesen Satz zwar in Auseinandersetzung mit Schelling, aber die
Parallelen sind unverkennbar und berechtigen daher dazu, ihn hier zu Wort kommen zu lassen.
Kapitel Ontologische Wahrheit
ken soll) und macht zugleich die Verbergung als Verbergung sichtbar, d. h. destruiert
sie (vgl. SuZ ).
() Die von Heidegger vorgetragenen Zusammenhänge kulminieren am Ende des
achten Abschnitts in der Frage, „ob die Frage nach dem Wesen der Wahrheit nicht
zugleich und zuerst die Frage nach der Wahrheit des Wesens sein muß. Im Begriff
des ,Wesens‘ aber denkt die Philosophie das Sein“ (WdW ). Die Antwort ist klar,
hat Heidegger doch genau dies, obgleich nicht explizit, den ganzen Vortrag hindurch
getan. Die Seinsfrage verblieb im Laufe des Vortrags im Hintergrund. Nun jedoch
in der Anmerkung, die nicht mehr zum Vortrag selbst gehört, wird der Vortrag aus-
drücklich in den Umkreis der Seinsfrage gestellt. In der Frage „Was ist das Wesen der
Wahrheit?“ wird Wesen „im Sinne der Washeit (quidditas) oder der Sachheit (reali-
tas), die Wahrheit aber als einen Charakter der Erkenntnis“ (WdW ) verstanden.
Die Antwort auf die Frage lautet: „Das Wesen der Wahrheit ist die Wahrheit des
Wesens“ (ebd.). Diese dialektisch anmutende Antwort lässt sich aber vor dem Hin-
tergrund des bisher Erörterten „übersetzen“ in: Die Bedingung der Möglichkeit für
Wahrheit (i.S. der Richtigkeit; W2 ) ist die Entbergung durch das Seyn. Seyn ver-
steht Heidegger in Abgrenzung von Sein des Seienden. Seyn, aufgefasst als das Sein
i.S. des Offenen, ist die „Dimension“, der „Raum“ in dem ontologisch zwischen Sein
und Seiendem differenziert wird – es ist der „waltend[e] Unterschied von Sein und
Seiendem“ (WdW ). Zum Seyn gehört das „lichtende Bergen“, doch darüber hin-
aus können wir keine Aussagen über das Seyn treffen. Wir nehmen diesen „Raum“,
die „Distinktionsdimension“ zwar bei all unseren Verrichtungen, bei jedem Denkakt,
bei jeder Konstitution von Gegenständen in Anspruch, „aber diese lässt sich eben-
deshalb gegen nichts mehr distinguieren. Sie bleibt der völlig diaphane Hintergrund
aller semantischen Kontraste, der selbst gegen nichts mehr kontrastierbar ist“ (EdN
). ᾿Αλήθεια (Unverborgenheit) bedeutet Distinktion, Erkennen bedeutet Unter-
scheiden – wovon sollten wir diesen „Denkraum“ auch unterscheiden können? Kon-
struktiv ist dieser Denkraum (Seyn) nicht erreichbar, aber, so Hogrebe, methodisch
gesehen kann er zumindest „spekulativ vergegenwärtigt werden“ (ebd.). Dazu kann
allerdings keiner gezwungen werden, deswegen spricht Heidegger auch vom Seinlas-
sen des Seienden. Dies ist nur möglich, wenn wir es auch wollen, es besteht keinerlei
Der Begriff des Seyns ist neben dem des Ereignisses ein zentraler Gegenstand von Heideggers
„Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis)“ (GA ). Diese „Anordnung von Notizen“ wird manchmal
auch als „zweites Hauptwerk“ Heideggers bezeichnet (vgl. das Nachwort des Herausgebers, GA ,
S. ).
Nichts anderes, gar Mystisches, besagt das „lichtende Bergen des Seyns“, Seiendes ist mir
unverborgen, wenn ich es von anderen Seienden unterscheiden kann.
. Un-Verborgenheit
Notwendigkeit dazu.
Da sich SuZ, so Heidegger, noch der Sprache der Metaphysik bedient hat, konnte
die Kehre nicht schon dort vollzogen werden (vgl. Hum ). Hier in WdW hält sich
das Denken
„dem Anschein nach in der Bahn der Metaphysik und vollzieht dennoch in
seinen entscheidenden Schritten, die von der Wahrheit als Richtigkeit zur ek-
sistenten Freiheit und von dieser zur Wahrheit als Verbergung und Irre führen,
einen Wandel des Fragens, der in die Überwindung der Metaphysik gehört“
(WdW ).
Vgl. Wolfram Hogrebe: Sein und Emphase, in: Ders.: Die Wirklichkeit des Denkens (WdD), S.
.
Kapitel
Propositionale Wahrheit
Wie sich das ganze erste Kapitel hindurch abzeichnete, geht es Heidegger nicht dar-
um einen eigenständigen propositionalen Wahrheitsbegriff zu erarbeiten. Die Aus-
sagenwahrheit dient ihm vielmehr als Ausgangspunkt seiner Überlegungen; denn
beginnend bei der Aussagenwahrheit fragt er nach den Bedingungen ihrer Möglich-
keit, nach ihren ontologischen Fundamenten. „Heideggers Aussagen zum Problem
der Wahrheit sind nicht wie ein Traktat über die Aussagenwahrheit zu interpre-
tieren, sondern haben einzig den Sinn, auf die jede Aussagenwahrheit bedingende
,Wahrheit des Seins‘ hinzuweisen“ (VuA ).
Wir sahen in .., dass die Aussage als Entdeckendsein in der Erschlossenheit
fundiert ist. Als Entdeckendsein, d. h. als Entdecktheit von. . . , ist sie eine (mögliche)
Weise der Erschlossenheit. Diese wurde in SuZ § als die „ursprünglichere Wahr-
heit“ bestimmt. Der traditionelle Wahrheitsbegriff, d. h. die Aussagenwahrheit hatte
sich als ontologisch abkünftig erwiesen, d. h. als aus der ursprünglicheren Wahrheit
abgeleitet.
Hier in . werden wir genauer betrachten, warum die Aussage überhaupt ent-
deckend ist, warum sie im weiteren Sinne wahr ist, indem wir ihre ontologischen
Fundamente freilegen. Dazu konzentrieren wir uns auf die §§ B und - aus SuZ.
Im Laufe dieses Abschnitts werden wir uns mehr und mehr von der Aussage als sol-
cher wegbewegen und uns der Sprache selbst annähern, so dass wir dann im zweiten
Abschnitt . einen Blick auf Heideggers spätere „Sprachphilosophie“ werfen wer-
den. Die Textgrundlage bilden dabei die Vorträge „Das Wort“ und „Das Wesen der
Sprache“.
Gerade diesen Umstand, dass Heidegger letztlich von einem engeren Wahrheitsbegriff (W2 )
ausgehend nach dessen Voraussetzungen fragt und diese dann auch (die ursprünglichere) Wahrheit
nennt, kritisiert Tugendhat – sorgt doch gerade dieser Umstand aus Tugendhats Sicht für den
Verlust des spezifischen Wahrheitsbegriffs.
Kapitel Propositionale Wahrheit
im § B klar i.S. von W1 . Dies wird auch schon dadurch angedeutet, dass Heidegger
die beiden Begriffe in Anführungszeichen setzt. Weil nun „Wahrheit“ primär Unver-
borgenheit bedeutet, kann nicht mehr der Satz, bzw. das Urteil der primäre Ort der
Wahrheit sein. Deshalb führen Heideggers Überlegungen zu dem, was ursprüngli-
cher als der λόγος „wahr“ genannt werden kann: die αἴσθησις, das schlichte, sinnliche
Vernehmen von etwas.
Wenn der Logos schon als Sehenlassen verstanden wird, dann liegt die Verbindung
zum „wahrnehmen“ natürlich nahe. Die Sinne (nicht die Sinnesorgane) entdecken
ebenso wie die Aussage. Das Vernehmen, z.B. das Sehen von Farben und Hören von
Tönen ist, sofern Seiendes zugänglich gemacht wird, wahr. Aber „im reinsten und
ursprünglichsten Sinne „wahr“ – d. h. nur entdeckend, so dass es nie verdecken kann,
ist das reine νοει̃ν, das schlicht hinsehende Vernehmen der einfachsten Seinsbestim-
mungen des Seienden als solchen“ (SuZ ).
Damit hat Heidegger den Schritt vom Wahrnehmen zum Denken, welches als die
geläufige Übersetzung von νοει̃ν aufgefasst wird, vollzogen; denn die „Seinsbestim-
mungen des Seienden als solche“ können wohl kaum wie Töne „gehört“ werden, sie
werden vielmehr gedacht. Denkend entdecken wir Seiendes und seine Seinsbestim-
mungen. Darin ist Heidegger, auch wenn seine Terminologie dies verdeckt, ganz
Transzendentalphilosoph.
Die Frage, wie die modifizierten Bedeutungen von λόγος möglich sind, beantwortet
Heidegger abschließend auf der Grundlage seiner Erörterungen über den Begriff des
λόγος (vgl. SuZ ).
auch das Sein, auf das hin es sich entwirft, verstanden haben , d. h. beide Aspekte
des Begriffs „Verstehen“ spielen im existenzialen Verstehen eine Rolle: Verstehen im
engeren Sinne und Verstehen im Sinne von Können. Während der Akzent in ..
stärker auf dem Können und der Wahl der Möglichkeiten lag, geht es hier in ..
mehr um den ersten Aspekt des Verstehens. Während also in .. sich die Aussage
als entdeckend-sein herausstellte, stellen wir uns hier die Frage, warum die Aussage
überhaupt entdeckend-sein kann. Um diese Frage beantworten zu können, müssen
wir auf die Fundamente der Aussage zurückgehen, wie sie Heidegger in den §§ -
von SuZ darlegt.
Jedes Seiende, sei es Dasein oder weltloses, das ich als etwas (wahr-) nehme, steht
immer schon in einer „Sicht“.
„Das Verstehen macht in seinem Entwurfcharakter existenzial das aus, was wir
die Sicht des Daseins nennen. Die mit der Erschlossenheit des Da existenzi-
al seiende Sicht ist das Dasein gleichursprünglich nach den gekennzeichneten
Grundweisen seines Seins als Umsicht des Besorgens, Rücksicht der Fürsorge,
als Sicht auf das Sein als solches, umwillen dessen das Dasein je ist, wie es ist“
(SuZ ).
Für den traditionellen Begriff der „Selbsterkenntnis“ wählt Heidegger daher den
neuen Begriff der Durchsichtigkeit. Die Durchsichtigkeit ist demnach die Sicht des
Daseins auf sich selbst in seinen Seinsweisen. Deswegen versteht das Dasein sich
selbst in seinem In-der-Welt-sein immer nur zugleich mit anderem Seienden, d. h. so-
wohl mit zuhandenem Seienden und anderen mitdaseienden Seienden. Zur „Selbst-
erkenntnis“ gehört also wesenhaft „Welterkenntnis“. Die Durchsichtigkeit der her-
meneutischen Situation auszubilden, war gerade das Projekt des frühen Heidegger
(vgl. PhIA ; vgl. auch SuZ u. ) – der Weg dahin ist das Aufdecken der
Seinsweisen des Daseins.
Die existenziale Sicht zeichnet sich sowohl durch eine aktive als auch durch eine
passive Komponente aus: Aktiv im Sinne von „Einsehen“, welches aktiv durch das
Vgl. SuZ : „Im Entwerfen von Möglichkeiten ist schon Seinsverständnis vorweggenommen.
Sein ist im Entwurf verstanden, nicht ontologisch begriffen.“
Selbsterkenntnis bedeutet also zuerst Selbstverständnis. Aus der Frage: Was bin ich? wird die
Frage: Als was verstehe ich mich? Interessant ist, dass bevor ich die erste Frage beantworten kann,
ich die zweite Frage schon längst beantwortet habe. Die Frage, wer oder was ich selbst wirklich
bin, bleibt daher unbeantwortbar, weil sie nach etwas Unverstandenem fragt.
Ich schreibe hier „zuhandene Seiende“, weil dies die vorgängigste Weise war, weltloses Seiendes
zu erschließen. Die Vorhandenheit hatte sich als aus der Zuhandenheit abgeleitet erwiesen (s.
Abschnitt ..).
. Aussage und Wahrheit
Dasein geschieht und passiv im Sinne von Gelichtetheit. Seiendes ist in der Sicht
gelichtet, d. h. erschlossen. Wobei beide Komponenten zusammenkommen müssen,
denn indem ich etwas (z.B. einen Umstand, Sachverhalt) einsehe, ist dieses in einer
bestimmten Hinsicht für mich gelichtet.
Da alle Formen von Sicht im existenzialen Verstehen gründen, erweisen sich die
traditionellen Formen von Sicht, zu denen Heidegger die Anschauung, das Denken
und sogar die phänomenologische Wesenschau zählt, als „schon entfernte Derivate
des Verstehens“ (SuZ ).
Der Begriff, der die Aussage mit dem Verstehen verbindet, ist die Auslegung. Die
Auslegung ist die Ausbildung des Verstehens. In dieser „eignet sich das Verstehen
sein Verstandenes verstehend zu“ (SuZ ). Auch hier liegt der Akzent auf dem
Verstehen als Können, so dass die Auslegung als „die Ausarbeitung der im Verste-
hen entworfenen Möglichkeiten“ (ebd.) zu verstehen ist. Heidegger erläutert dies am
Beispiel der Bewandtnisganzheit, in die das Zuhandene immer schon eingelassen
ist. Da wir diese schon besprachen (s. oben S. ), gehe ich hier nur noch auf das
Wichtigste ein. Für die Fragestellung dieses Abschnitts .. ist folgender Satz Hei-
deggers aufschlussreich: „Die Umsicht entdeckt, das bedeutet, die schon verstandene
Welt wird ausgelegt“ (SuZ ). Entdecken, so wird man verallgemeinernd sagen
dürfen, bedeutet Verstandenes auszulegen. Wir sahen bereits, dass Seiendes primär
in Um-zu-Bezügen eingebettet ist. Das ausdrücklich Verstandene ist immer schon
innerhalb dieser Bezüge verstanden und hat deswegen die Struktur des Etwas als Et-
was. Das im Verstehen Erschlossene wird ausdrücklich verstanden, wenn es ausgelegt
wird, und d. h. wenn es als etwas genommen wird. „Das ,Als‘ macht die Struktur der
Ausdrücklichkeit eines Verstandenen aus; es konstituiert die Auslegung“ (SuZ ).
Das vorprädikative schlichte Sehen des Zuhandene, welches immer schon verstehend-
auslegend ist, liegt vor der thematischen Aussage über das Zuhandene. Ein als-freies
Erfassen liegt nicht vor dem schlichten Sehen des Zuhandenen, sondern ist eine Priva-
tion desselbigen. Deshalb wird Seiendes seine Bedeutung (für uns) nicht „angeheftet“,
sondern das Seiende (Zuhandene) „ist“ seine Bedeutung. „Auf die umsichtige Frage,
was dieses bestimmte Zuhandene sei, lautet die umsichtig auslegende Antwort: es
ist zum. . . “ (ebd.).
Was Heidegger nun beschreibt, ist seine Vorstellung von Hermeneutik: „Die Aus-
legung von Etwas als Etwas wird wesenhaft durch Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff
fundiert. Auslegung ist nie ein voraussetzungsloses Erfassen eines Vorgegebenen“
(SuZ ). Vorhabe bedeutet, dass jede Auslegung, d. h. ausdrückliche Verständ-
Kapitel Propositionale Wahrheit
„Zur Aussage als der so existenzial verstandenen Mit-teilung gehört die Ausgespro-
chenheit“ (SuZ ). Das Ausgesagte als Mitgeteiltes, d. h. Ausgesprochenes, wird
mit den Anderen „geteilt“, so dass für die Anderen das Seiende (Ausgesagte) eben-
falls offenbar wird, ohne dass sie in direkter Nähe zu diesem Seienden stehen. „Das
Ausgesagte kann „weiter-gesagt“ werden“ (SuZ ).
So ausgerüstet geht es nun an die Beantwortung der Frage, warum die Aussage
als ein Modus der Auslegung betrachtet werden kann. Dazu bedient sich Heidegger
folgender Definition der Aussage, die alle drei Bedeutungen vereint: „Aussage ist mit-
teilend bestimmende Aufzeigung“ (SuZ ). Wenn die so verstandene Aussage ein
Modus der Auslegung ist, dann müssen in ihr wesenhaft Strukturen der Auslegung
zu finden sein.
Insofern die Aussage Aufzeigung ist, vollzieht sie sich immer schon auf dem Grun-
de des im Verstehen Erschlossenen, bzw. umsichtig Entdeckten. Die Aussage ist,
wie jedes andere (menschliche) Verhalten auch, nicht freischwebend, sondern eine
Weise des In-der-Welt-seins, und d. h. untrennbar mit diesem verbunden. Deshalb
vermag die Aussage nicht von sich aus primär Seiendes zu erschließen – sie kann
nur Erschlossenes aufdecken. Damit muss auch die Aussage die Bedingungen des
Auslegens, nämlich Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff, erfüllen. Die Aussage bedarf ei-
ner Vorhabe von zuvor Erschlossenem, das sie dann aufdeckt. Dann braucht sie eine
Vorsicht, die die Prädikate, d. h. die Hinsichten unter denen das bereits erschlossene
aufgedeckt wird, liefert und sie bedarf eines Vorgriffs, d. h. einer Begrifflichkeit, die
es ihr ermöglicht das Aufgezeigte semantisch zu artikulieren.
Warum aber ist die Aussage ein abkünftiger Modus der Auslegung? Es stellt sich
also die Frage, was an der Aussage modifiziert wird – „durch welche existenzial-
ontologische Modifikation entspringt die Aussage aus der umsichtigen Auslegung?“
(SuZ ). Diese Modifikation, nach der Heidegger hier fragt, haben wir bereits in
.. kennengelernt – es handelt sich um den Wandel vom hermeneutischen „Als“
zum apophantischen „Als“ der Aussage.
In der Vorhabe ist das Seiende zunächst als Zeug zuhanden. Wird dieses Zeug
aber Gegenstand einer Aussage, dann geschieht ein Umschlag in der Vorhabe. „Das
zuhandene Womit des Zutunhabens, der Verrichtung, wird zum ,Worüber‘ der auf-
zeigenden Aussage. Die Vorsicht zielt auf ein Vorhandenes am Zuhandenen“ (SuZ
). Durch diese neue Hinsicht werden jetzt erst „Eigenschaften des Gegenstandes“
stellt sich das Teilen einer gemeinsamen Lebensform als eine notwendige Bedingung für die Teilnah-
me an demselben Sprachspiel heraus (vgl. Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen
§ , in: Ders: Werkausgabe Bd. ).
. Aussage und Wahrheit
sichtbar, zugleich wird das Zuhandene als Zuhandenes verhüllt. Diese neue Hinsicht,
also das als was die Aussage das Vorhandene bestimmt, wird „aus dem Vorhandenen
als solchem geschöpft“. Dadurch ändert sich natürlich auch der Vorgriff, also auch die
Begrifflichkeit, so dass sich nun auch neue Bedeutungen dieses Seienden auftun und
artikuliert werden können. Durch diesen Wandel hat die Als-Struktur der Auslegung
ihre Modifikation erfahren. Dabei ist zu beachten, dass sich dieser Umschlag zur Vor-
handenheit nicht immer abrupt, sondern mit zahlreichen Zwischenstufen vollzieht.
Diese Zwischenstufen sind aber alle in der umsichtigen Auslegung fundiert.
Mit dem § , dem letzten Paragraphen aus SuZ, den wir hier besprechen werden,
vollzieht sich ein Übergang. Nicht mehr die Aussage selbst steht im Vordergrund,
sondern die Sprache. Dieser Übergang vollzieht sich am Begriff der Rede.
Blieb die dritte Bedeutung von Aussage, Aussage als Mitteilung (Heraussage) bis-
her unbeachtet, so ändert sich dies nun. Der Begriff der Aussage führt zu dem des Sa-
gens und Sprechens, und damit zur Sprache überhaupt. „Das existenzial-ontologische
Fundament der Sprache ist die Rede. [. . . ] Die Rede ist mit Befindlichkeit und Verste-
hen existenzial gleichursprünglich“ (SuZ f.). Verstehen und Befindlichkeit haben
wir als die beiden („wichtigsten“) konstitutiven Seinsweisen des Daseins und damit
dessen Erschlossenheit kennen gelernt. Gleichursprünglich eröffnen „Verstehen und
Befindlichkeit als transzendentale Wahrheit [. . . ] den Bewandtnischarakter des in-
nerweltlichen Seienden“. Im Strukturganzen der Sorge wurden die beiden durch
das Verfallen ergänzt. Hier aber kommt mit der Rede ein weiterer Aspekt hinzu.
Rede stellt die „Artikulation des Verständlichen“ dar. Das, was die Rede gliedert,
ist die Bewandtnisganzheit, d. h. das Bedeutungsganze. Dieses kann in einzelne Be-
deutungen aufgelöst werden. Das, worin sich das Verständnis von etwas, und damit
dessen Bedeutung hält, ist der Sinn (vgl. SuZ ). Bedeutungen sind demnach als
das „Artikulierte des Artikulierbaren immer sinnhaft“ (SuZ ). Das, was etwas für
uns bedeutet, hat seinen Sinn (für uns). Da Rede mit der Befindlichkeit und dem
Verstehen gleichursprünglich ist, erhält so das gestimmt-verstandene seine jeweilige
Bedeutung (für uns) und diesen „Bedeutungen wachsen Worte zu. Nicht aber werden
Wörterdinge mit Bedeutungen versehen“ (ebd.). Als Rede spricht sich die befindliche
Verständigkeit des In-der-Welt-seins aus. Sprache ist für Heidegger (zumindest noch
hier in SuZ) die Hinausgesprochenheit der Rede. Damit wird die Rede als Ausgespro-
chenes zu einem Teil der erschlossenen Welt, zu einem Zuhandenen. Als solches kann
Für Beispiele s. SuZ .
VuA . Vgl. in diesem Zusammenhang auch SuZ .
Kapitel Propositionale Wahrheit
sie auch den Umschlag in die Vorhandenheit erfahren. Zusammengefasst lässt sich
sagen: „Die Rede ist die bedeutungsmäßige Gliederung der befindlichen Verständ-
lichkeit des In-der-Welt-seins“ (SuZ ). Bei der Herausarbeitung der Struktur der
Rede als solcher macht Heidegger im Weiteren vier konstitutive Momente der Rede
aus:
. Das Worüber der Rede (das Beredete). Das Worüber der Rede ist das worum
es in der Rede geht, eben das Beredete, der, wenn man so will, „Gegenstand“ der
Rede. So wie das Bewusstsein immer Bewusstsein von. . . ist, so ist auch die Rede
immer Rede über. . . Dabei ist das Worüber der Rede nicht immer das Thema einer
bestimmenden Aussage, auch Wunsch und Fürsprache haben ihr Worüber und selbst
der Befehl ist ergangen über. . .
. Das Geredete als solches. Dieses ist „das im jeweiligen Wünschen, Fragen, Sich-
aussprechen über. . . Gesagte als solches“ (SuZ ). Also die Rede als Ausgespro-
chenes.
. Die Mitteilung. Im Geredeten teilt sich die Rede über ihren Gegenstand mit. In
der existenzial gefassten Mitteilung „konstituiert sich die Artikulation des verstehen-
den Miteinanderseins“ (SuZ ), m.a.W. indem das Dasein Anderen etwas mitteilt,
teilen die daseinsmäßigen Seienden Befindlichkeit und Verständlichkeit miteinander
– nur so gelingt es dem Zuhörer die Erschlossenheit des Sprechers bzgl. dessen, wor-
über (wovon) die Rede ist, zu teilen. Die Mitteilung „vollzieht die „Teilung“ der Mit-
befindlichkeit und des Verständnisses des Mitseins“ (SuZ ). Die Mitteilung geht
demnach weit über den bloßen Transport von Informationen hinaus. Hier zeigt sich
stattdessen erneut, dass das Teilen einer Sprache zugleich das Teilen einer „Welt“,
genauer gesagt, das Teilen der Erschlossenheit von Welt bedeutet.
. Die Bekundung. Die Bekundung zielt im Geredeten auf den Charakter des Sich-
aussprechens. Dabei bedeutet Sichaussprechen nicht ein Heraustreten des Daseins
aus seinem „Inneren“ nach „draußen“ in eine „Außenwelt“, sondern Dasein ist immer
schon „draußen“ bei dem Seienden. Es ist ja „zunächst und zumeist“ verfallen an sei-
ne Welt und an die mit dieser erst hervortretenden Seienden. Draußensein bedeutet
in der jeweiligen Weise der Befindlichkeit sein. Befindlichkeit bestimmten wir als
eine Weise der Erschlossenheit des In-Seins. Indem die Rede sich also ausspricht,
bekundet sie zugleich das befindliche In-Sein des Daseins, um genau zu sein, „in der
Art des Sprechens“ wird die Befindlichkeit des Daseins kundgetan. Jedes Verhal-
Genau dies stellt Heidegger bei seiner philosophiegeschichtlichen Betrachtung des Logos fest.
Vgl. SuZ : „Die Grammatik sucht ihr Fundament in der ,Logik‘ dieses Logos. Diese aber gründet
in der Ontologie des Vorhandenen.“
. Aussage und Wahrheit
ten des Menschen wurde als gestimmtes aufgezeigt. Daher gilt selbiges auch für das
Sprechen – im Tonfall, in der Modulation, im Tempo der Rede des Daseins schwingt
immer auch seine Stimmung mit.
Diese konstitutiven Momente der Redestruktur zeigen, dass das redende Sprechen
weiter zu fassen ist, als das, was wir alltagssprachlich darunter verstehen. Soll der
Versuch gemacht werden, das Wesen der Sprache zu fassen, so darf man sich nicht auf
eines dieser Momente beschränken, sondern muss stets „das ontologisch-existenziale
Ganze der Struktur der Rede“ (SuZ ) berücksichtigen. Zum redenden Sprechen
gehören außerdem als dessen Möglichkeiten das Hören und das Schweigen.
Dass Reden und Verstehen in einem engen Zusammenhang stehen, illustriert Hei-
degger am Beispiel des Hörens. Ein „sprachspielanalytischer“ Blick auf die Alltags-
sprache zeigt bereits, wie sehr Rede und Verstehen miteinander verknüpft sind. „Wir
sagen nicht zufällig, wenn wir etwas nicht ,recht‘ gehört haben, wir haben nicht
,verstanden‘ “ (SuZ ). Und so wie das Sprechen, die Verlautbarung, in der Rede
gründet, gründet auch das „akustische Vernehmen“ im Hören. Das „Hören auf. . . “
zeigt, dass das Dasein als Mitsein sich für andere öffnen kann. Ohne dies wäre das
Teilen von Erschlossenheit auch gar nicht möglich. „Dasein hört, weil es versteht“
(ebd.). Zugleich drückt sich im Hören dessen Zugehörigkeit als eine Seinsmöglichkeit
des Daseins als „verstehendes mit den Anderen In-der-Welt-sein“ aus. Dabei gehört
zur Weise des Hörens auch das „nicht auf jemanden hören“, also sowohl das Folgen,
als auch der Trotz, die Abkehr.
Vom Hören abzusetzen ist das Horchen. Das Horchen hat ebenfalls die „Seinsart
des verstehenden Hörens“. Horchen meint hier das Hören im engeren Sinne, in Ab-
grenzung gegen das Hören im Sinne von „auf jemanden hören“. Die Beispiele die
Heidegger hier bringt, legen dies nahe, denn, wie er zu Recht erklärt, hören wir
nie „Geräuschkomplexe“, „sondern den knarrenden Wagen, das Motorrad. Man hört
die Kolonne auf dem Marsch, den Nordwind, den klopfenden Specht, das knisternde
Feuer“ (SuZ ). Jedes Geräusch ist als solches bereits verstanden. Von Geräuschen
zu sprechen, bedeutet bereits eine Abstraktion, ein Heraustreten aus der Zuhanden-
heit. Dass wir zunächst immer das Motorrad hören (und nicht das bloße Geräusch)
sieht Heidegger als einen phänomenologischen Beleg dafür, dass sich das Dasein als
In-der-Welt-sein immer schon beim Seienden, beim innerweltlichen Zuhandenen auf-
hält. „Das Dasein ist als wesenhaft verstehendes zunächst beim Verstandenen“ (SuZ
).
Neben dem Hören und Horchen hat die Rede noch die wesenhafte Möglich-keit
Kapitel Propositionale Wahrheit
des Schweigens. Schweigen wird als solches auch überhaupt erst vor dem Hinter-
grund des Sprechens sichtbar; ein Stummer kann nicht schweigen, denn dazu müs-
ste er auch sprechen können. Gerade in einem Gespräch drückt sich im Schweigen
zur rechten oder falschen Zeit ein Verständnis aus. „Verständnislosigkeit“ (im Sinne,
dass sich jemand nicht in einen anderen hinein zu versetzten vermag) kann durch
ein Zurückhalten des Schweigens ausgedrückt werden. Hinzu kommt, dass Hören –
insbesondere Zuhören – nur möglich ist, wenn der Zuhörer zu schweigen vermag.
„Verschwiegenheit artikuliert als Modus des Redens die Verständlichkeit des Daseins
so ursprünglich, daß ihr das echte Hörenkönnen und durchsichtige Miteinandersein
entstammt“ (SuZ ).
Da also nun neben der Befindlichkeit und dem Verstehen, die Rede ebenfalls kon-
stitutiv für das Sein des Daseins ist, „hat das Dasein als redendes In-Sein sich schon
ausgesprochen. Das Dasein hat Sprache“ (ebd.) – und zwar wie wir nun sahen glei-
chursprünglich mit der Erschlossenheit.
Das Wort
Alle wichtigen Elemente unseres Umgangs mit der Sprache finden sich in diesem
Gedicht ausgedrückt. Zur Form sei gesagt, dass das Gedicht aus sieben Strophen
aufgebaut ist, welche sich thematisch in drei Teile gliedern: die erste Triade (.-.
Strophe), die zweite Triade (.-. Strophe) und der dritte Teil, bestehend aus der
siebten Strophe. Heidegger beginnt seine Interpretation mit der „Konklusion“ des
Gedichts, der siebten Strophe. Der letzte Vers besagt umformuliert: „Wo das Wort
fehlt, ist kein Ding. Das verfügbare Wort erst verleiht dem Ding das Sein“.
Die ersten sechs Strophen beschreiben die Erfahrung des lyrischen Ichs (stellvertre-
tend für den Menschen) mit der Sprache – wobei Heidegger in seiner Interpretation
das lyrische Ich mit dem Dichter identifiziert.
Die erste Triade berichtet davon, wie der Sprecher für all das Erstaunliche, für
all die Wunder Namen findet. Dadurch kann er das Gesehene behalten und es zur
Entfaltung bringen (. Strophe). Zugleich erlangt der Mensch mittels der Namen die
Herrschaft über die Dinge. Über die Namen vermögen wir Seiendes vorzustellen –
Namen sind also darstellende Worte. Der hier Berichtende hat keinerlei Zweifel am
Prozess der Benennung, den George allegorisch in der zweiten Strophe beschreibt.
Der Wechsel der Zeiten zwischen den beiden Versen in der dritten Strophe, vom
Imperfekt zum Präsens, zeigt, so Heidegger, dass die Herrschaft des Dichtertums
vollendet ist.
Die zweite Triade hingegen kündet von einer besonderen Erfahrung des lyrischen
Abenteurers, die diese Herrschaft ins Wanken geraten lässt. Er kommt mit einem
Kleinod zur seiner Quelle der Namen, doch diese findet für das seiner Herkunft nach
unbekannte Kleinod keinen Namen, worauf ihm dieses seiner Hand entrinnt. Das
eigentlich bestürzende ist, so Heidegger, nicht das Ausbleiben des Namens oder das
Entrinnen des Kleinods, sondern „daß mit dem Ausbleiben des Wortes das Kleinod
wegschwindet“ (Wort ). Damit ist die Herrschaft des Menschen über die Din-
ge an ihrer Grenzen gestoßen und es zeigt sich, dass das Wort nicht einfach nur
„benennender Griff nach dem schon vorgestellten Anwesenden, nicht nur Mittel der
Darstellung des Vorliegenden“ (Wort ) ist, sondern Anwesen verleiht, d. h. Seien-
des konstituiert.
Es stellt sich nun die Frage, was das für ein Kleinod war, das dem lyrischen Ich
auf der Hand lag und ihm entrann und Heidegger beantworte sie auch: „Das kleinod
reich und zart ist das verborgene Wesen (verbal) des Wortes, das sagend unsichtbar
und schon im Ungesprochenen das Ding als Ding uns darreicht“ (Wort ). Wobei
Martin Heidegger: Das Wort (Wort), in: Ders.: Unterwegs zur Sprache (GA ) S. .
. Sprache und Wahrheit
Wort steht genau genommen nicht nur in einem Verhältnis zum Seienden, sondern
„das Wort [. . . ] [,ist‘; St.S.] selber dasjenige, was das Ding als Ding hält und verhält,
[. . . ] [ist; St.S.] als dieses Verhaltende: das Verhältnis selber“ (WdS ).
Dieses Verhältnis aber, in dem sich Seiendes hält, wurde von Heidegger im „Hu-
manismusbrief“ als das Sein bestimmt (vgl. Hum ). Dort wird zwar nach dem
Verhältnis zwischen Sein und Ek-sistenz gefragt, aber hier wie dort wird das, worin
sich Seiendes hält als Verhältnis bestimmt, und während hier dieses Verhältnis das
Wort ist, ist es im Humanisbrief das Sein. Von WdS aus gesehen, erklärt sich nun
auch, warum der Mensch lernen soll im Namenlosen zu existieren, wenn er in die
Nähe des Seins rücken will (vgl. Hum ). Das Wort, d. h. das Sein, zeigte sich hier
in WdS gerade als das, für das kein Name gefunden werden konnte, das bedeutet
der Mensch ek-sistiert immer schon im Namenlosen, es kommt vielmehr nur darauf
an, sich dies zu verdeutlichen, die Verdeckungen, die verhindern, dies zu erkennen,
fortzuräumen. Deswegen spricht Heidegger von einem Weg, der uns nicht fortführt,
sondern nur dorthin, wo wir schon sind (vgl. WdS ). Gemeint ist nichts anderes
als das, was wir schon als die Durchsichtigmachung der Hermeneutischen Situation
kennen gelernt haben: Der Aufweis der ontologischen Bedingungen, unter denen wir
stehen.
Insofern also das Wort die Bedingung der Möglichkeit für Seiendes (Ding) ist, ist
es transzendental und d. h. im Sinne Heideggers ontologisch wahr. Der Bezug der
Sprache zur Wahrheit besteht also gerade darin, dass die Sprache der Vollzug der
transzendental-ontologischen Wahrheit (d. h. der Wahrheit des Seins) ist.
Betrachtet man die Sprache erst einmal als transzendental-konstituieren-den Seins-
vollzug, verlieren viele Aussagen Heideggers, wie z.B. „Sprache ist lichtend-verbergende
Ankunft des Seins selbst“ (Hum ) ihren mystischen Klang. Während die meta-
physische Sprachauffassung die Sprache auf ihre semantische Funktion, Gethmann
spricht an entsprechender Stelle von „ontischer Intentionalität“ (vgl. VuA ), ein-
schränkt, fragt Heidegger vielmehr nach den ontologischen Möglichkeitsbedingun-
gen, die es uns ermöglichen etwas zur Sprache zur bringen, und d. h. durch die Spra-
>< “, ein für das, was gibt, um es von dem Gegebenen, nämlich dem Sein (des Seienden),
Ausdruck „Sein
zu unterscheiden. Der Ausdruck „Sein>< “ stammt aus: Martin Heidegger: Zur Seinsfrage, in: GA ,
S. -. Zum Begriff des Seyns vgl. oben S. ff.
Interessant ist, dass Heidegger den Weg, wie wir auf dieses Verhältnis, bzw. auf diese Beziehung
stoßen, ähnlich beschreibt, wie im zweiten Abschnitt in WdW – über den Weg der „Denkbedin-
gungen“. Wenn eine Beziehung zwischen zwei Dingen besteht, so sind wir nicht in der Lage diese
Beziehung direkt in ihrem Walten zu erfassen, sondern denken diese von den Gliedern her, zwi-
schen denen diese Beziehung besteht. Das erklärt unsere Schwierigkeit, sowohl das Sein als auch
das Wort direkt als ein Verhältnis denken zu können (vgl. WdS ).
. Sprache und Wahrheit
che als Seiendes sichtbar zu machen. Auch Ausdrücke wie „Die Sprache ist das
Haus des Seins“ (vgl. Hum und WdS ) oder „Die Sprache spricht“ können
nun geklärt werden: „Das in der Sprache sich vollziehende (,sprechende‘) transzen-
dentale Wahrheitsgeschehen ist die Möglichkeitsbedingung für alles Sprechen“ (VuA
f.). Von daher lässt sich der Vorwurf der Heteronomie des Menschen gegenüber
dem Sein im Denken Heideggers nicht aufrechterhalten. Diese Bedingungen mögen
den Menschen in seinem Verhalten vielleicht Grenzen setzen, wichtiger ist jedoch,
dass diese Bedingungen menschliches Verhalten überhaupt erst ermöglichen.
Worauf es Heidegger vor allem in seiner Philosophie sowohl vor als auch nach
der Kehre ankommt, ist die Einheit von Setzung und Unverfügbarkeit zu denken,
welche so Gethmann, die transzendentale Ontologie auszeichnet. Auf der einen Seite
ist das Sein, bzw. die Sprache auf den Menschen angewiesen – nicht umsonst hat
Heidegger den Menschen in SuZ und auch in WdW als Dasein charakterisiert – auf
der anderen Seite ist weder das Sein noch die Sprache vom Menschen gemacht, er
findet sich stattdessen immer schon in diese Bedingungen gesetzt vor. Sein ist zwar
im Menschen gesetzt, aber ihm selbst unverfügbar. Selbiges gilt auch für die Sprache.
Eine moderne Sprachtheorie, die versucht genau diesen Moment einzufangen, ist das Modell von
Charles Taylor, welches auf den Sprachphilosophien von Hamann, Herder und Humboldt basiert
(vgl. Charles Taylor: Bedeutungstheorien, in: Ders.: Negative Freiheit? Zur Kritik des neuzeitlichen
Individualismus, S. -). Taylor versteht Sprache zwar auch als ein Medium, aber, man kann
sagen, als ein „transzendentales Medium“, als ein konstituierendes nicht rein instrumentalisiertes
Medium. Drei Gesichtspunkte spielen hierbei eine Rolle: . In der Sprache können wir das, was
wir nur diffus empfinden, explizit machen, es als Seiendes sichtbar machen. . Zur Sprache gehört
der Aspekt der Öffentlichkeit. Die Verwendung von Sprache konstituiert den öffentlichen Raum.
. Durch die Sprache können (aufgrund von .) die den Menschen charakterisierenden Anliegen
enthüllt werden. Dazu gehören Wünschen, Befehlen, Bitten und auch Empörung zum Ausdruck
bringen.
Alle drei Funktionen basieren auf der Erschließung, dem Offenlegen der Dinge. Jede Artiku-
lation ist ein Offenlegen des Dinges (Umstands, Sachverhalts), ein hinstellen in den öffentlichen
Raum. Heidegger hat, Taylor zufolge, diesen wesentlichen Aspekt der Sprache in den Begriffen der
Erschlossenheit und der Lichtung zusammengefasst (vgl. a. a. O., S. ).
Martin Heidegger: Die Sprache, in: Ders: Unterwegs zur Sprache (GA ), S. .
Kapitel
Ästhetische Wahrheit
Im Denken Heideggers ist Kunst auf engste mit Wahrheit, und zwar i.S. von W1 ,
verbunden. Dies werde ich im ersten Abschnitt (.) an Hand der einzigen expliziten
Abhandlung Heideggers zur Kunst „Vom Ursprung des Kunstwerks“ aufzeigen.
Im zweiten Abschnitt (.) begeben wir uns gemeinsam mit Günter Seubold auf
Spurensuche, denn verstreute Fragmente des späten Heidegger zeigen eine erneute
Beschäftigung seinerseits mit der Kunst anhand von Bildern Cézannes und Klees.
Dabei wird im Zentrum unserer eigenen Betrachtungen stehen, ob das Wesen der
Kunst auch in diesen späteren fragmentarischen Äußerungen noch in Beziehung zur
Wahrheit steht.
Diese zirkuläre Struktur wird von Heidegger aber schnell wieder aufgelöst, wenn
er wenige Zeilen später schreibt: „Künstler und Werk sind je in sich und in ihrem
Wechselbezug durch ein Drittes, welches das erste ist, durch jenes nämlich, von
woher Künstler und Kunstwerk ihren Namen haben, durch die Kunst“ (UdK ).
Dadurch hat sich der Gegenstand des Fragens verschoben. Zwar bleibt der Künstler
der Ursprung des Kunstwerks im genannten Sinne, aber auf eine andere, ursprüng-
lichere Weise ist die Kunst der Ursprung des Kunstwerks. Durch sie werden sowohl
das Kunstwerk als auch der Künstler als solche ausgezeichnet. Damit wird „die Fra-
ge nach dem Ursprung des Kunstwerks [. . . ] zur Frage nach dem Wesen der Kunst“
(UdK ).
Jedoch, es muss offen bleiben, so Heidegger, ob die Kunst ist, und wenn ja wie
sie ist. Die Frage richtet sich daher erneut auf das Kunstwerk, dem Ort, an dem die
Kunst „wirklich waltet“. Was die Kunst sei, soll also aus dem Kunstwerk entnommen
werden, doch was ein Werk der Kunst ist, soll aus dem Wesen der Kunst erfahren
werden. Hier tritt das Denken in einen Zirkel, den es entgegen der formalen Logik
nicht zu vermeiden, sondern dem es zu folgen gilt.
Wir sahen bereits, dass der Mensch niemals ohne Seinsverständnis ist. Jede Frage,
auch die nach dem Wesen der Kunst, bzw. nach dem Kunstwerk bewegt sich in einem
vorverstandenen Rahmen – deswegen ist jede Frage, so ursprünglich sie auch noch
ansetzen mag, voraussetzungsreich. Den Zirkel, den Heidegger hier beschreibt, ist
der „zum Verstehen wesenhaft gehörende hermeneutische Zirkel“. Das bedeutet,
dass selbst die beiden vermeintlichen Lösungen aus dem Zirkel heraus zukommen,
dem Sammeln von Merkmalen der Kunst durch eine vergleichende Betrachtung von
Kunstwerken oder die Ableitung des Wesens der Kunst aus höheren Begriffen, sich
immer schon in einem Vorverständnis von Kunst bewegen.
Heidegger beginnt daher gemäß unserem alltäglichen Vorverständnis mit einer
Art Bestandsaufnahme von Kunstwerken, welcher Art sie sind (Bauwerk, Bildwerk,
Tonwerk, Sprachwerk) und wo man sie finden kann (Museen, Privathäuser). Was bei
dieser Aufzählung auffällt, ist die Betonung des Dinghaften eines jeden Kunstwerks.
Obgleich die Betrachtung eines Kunstwerks als ein Ding eine grobe und äußerliche
Sicht auf das Kunstwerk sein mag, kommt „auch das vielberufene ästhetische Erlebnis
[. . . ] am Dinghaften des Kunstwerks nicht vorbei“ (UdK f.). Doch das Kunstwerk
ist nicht nur ein bloßes Ding, das wäre zu kurz gegriffen; es ist auch noch etwas
Friedrich-Wilhelm von Herrmann: Heideggers Philosophie der Kunst (HPdK) S. . Die onto-
logischen Fundamente, auf die von Herrmann auf den Seiten ff. verweist und dann im Weiteren
auseinanderlegt, besprachen wir bereits in .. „Aussage und Verstehen“.
. Der Ursprung des Kunstwerks
Die erste Vorstellung darüber, was ein Ding ist, scheint dem geläufigen Verständ-
nis eines Dinges zu entsprechen – schließlich findet sie ihre Entsprechung in dem
Sprechen über die Dinge. Auch in einem einfachen Aussagesatz wird das Subjekt
des Satzes, das Zugrundeliegende, mit Eigenschaften versehen, Prädikate werden
über es ausgesagt. Doch stellt sich für Heidegger die Frage, was wem entspricht, der
Aussagesatz unserer Vorstellung über das Ding oder umgekehrt. Die Frage, was von
Kapitel Ästhetische Wahrheit
beiden zuerst da war, bleibt für Heidegger „in dieser Gestalt“ unentscheidbar, viel-
mehr entstammen Satz- und Dingbau für ihn einer gemeinsamen ursprünglicheren
Quelle. Das Ding scheint aber auch durch die erlangte Bestimmung als Träger von
Eigenschaften nicht in seiner Dingheit erfasst zu werden – das Spezifische der Dinge
gegenüber einem „ jeglichen Seienden“ wird durch diese Definition nicht bestimmt.
Heidegger geht sogar soweit und spricht von Gewalt, die dem Ding angetan wurde,
und dass „bei dieser Gewaltsamkeit das Denken im Spiel sei“ (UdK ).
Eine Alternative zum „überfallenden Denken“ verspricht das „unvermittelte Be-
gegnenlassen der Dinge“ (UdK ), das sinnliche Wahrnehmen zu sein. Doch auch
die zweite Vorstellung, die Dingheit des Dinges aus der Wahrnehmung zu schöp-
fen birgt ihre Tücken. Während der erste Dingbegriff einem Überfall auf das Ding
gleicht, versucht der zweite „das Ding in eine größtmögliche Unmittelbarkeit zu uns
zu bringen“ (UdK ) – ein übersteigerter Versuch, wie Heidegger feststellt, denn
wir vernehmen keine reinen Empfindungen, die wir dann zu Dingen zusammenfü-
gen. Wir hören keine reinen Geräusche, sondern das dreimotorige Flugzeug oder das
Schlagen der Tür im Haus. Heidegger stellt als Zwischenergebnis fest, dass „wäh-
rend die erste Auslegung des Dinges uns dieses gleichsam vom Leibe hält und zu
weit wegstellt, rückt die zweite es uns zu sehr auf den Leib. In beiden Auslegungen
verschwindet das Ding“ (ebd.).
Doch wie steht es mit dem dritten Dingbegriff? Obwohl dieser, so Heidegger,
sowohl auf die Natur- wie auch Gebrauchsdinge zu passen scheint, misstraut er auch
diesem. Das Begriffspaar Stoff-Form stellt für ihn „das Begriffsschema schlechthin für
alle Kunsttheorie und Ästhetik “ (UdK ) dar. Trotzdem ist dieses längst nicht auf
das Gebiet der Ästhetik beschränkt, sondern bewährt sich auch im Alltag. Wo liegt
also der Ursprung dieses Begriffspaares? Im Dinghaften des Dinges überhaupt oder,
wie die Ästhetik nahe legt, im Werkhaften des Kunstwerks? Diese Frage versucht
Heidegger durch einen Vergleich zwischen Ding, Zeug und Kunstwerk zu klären.
Als ein „eigenwüchsiges“ Ding bezeichnet Heidegger einen Granitblock, der Stoff-
liches in einer gewissen Form darstellt. Als ein Ding bezeichnen wir aber auch eine
Axt oder einen Krug. Doch während beim Granitblock unklar ist, woher er seine
Form hat, ist bei der Herstellung der Axt ihr Zweck leitend bei der Formung des
Auf diese gemeinsame Quelle geht Heidegger nicht weiter ein, gemeint ist hier aber das Sein,
Stoffes. Die Dienlichkeit steht bei diesem Ding im Vordergrund. Stoff und Form
scheinen somit ausgezeichnete Bestimmungen des zweckdienlichen Seienden, d. h.
des Zeugs zu sein. Das fertige Zeug kann einmal als bloßes Ding angesehen werden,
wie der Granitblock; auf der anderen Seite hat es aber auch Ähnlichkeiten mit dem
Kunstwerk, da es von Menschenhand gemacht wurde. Das Kunstwerk hingegen hat,
sofern es gelungen ist, etwas eigenwüchsiges, ähnlich dem Granitblock, doch ordnen
wir das Kunstwerk nicht so einfach den bloßen Dingen zu. Das Zeug nimmt eine Art
Zwischenstellung zwischen Ding und Kunstwerk ein: es ist zum Teil Ding, und doch
mehr als dieses, es ist zum Teil Kunstwerk und doch weniger als dieses, weil ihm
dessen Selbstgenügsamkeit fehlt.
Hinzu kommt, dass die Versuchung das Stoff-Form-Gefüge auf alles Seiende anzu-
wenden, und nicht bloß auf das Zeug, ausgesprochen groß ist. So verrät dann auch
der Sprachgebrauch des „bloßen Dinges“, dass das Ding als „das seines Zeugseins
entkleidetete Zeug“ (UdK ) vorgestellt wird. Damit hat sich erwiesen, dass auch
der dritte Dingbegriff das Spezifische des Dinges nicht erfasst.
Der Grund, weshalb es keinem der Begriffe gelang das Dinghafte zu bestimmen,
liegt, so Heidegger, am Vorgriff, in welchem das Sein des Seienden immer schon
begriffen wird – Seiendes ist immer schon in seinem Sein vorverstanden. Dieser on-
tologische Umstand verhindert das direkte Erfassen des Wesens des Dinges. Doch da
wir immer in diesem Seinsverständnis stehen, stellt sich die Frage, wie wir Seiendes
überhaupt seinlassen, d. h. wie wir „das Dinghafte des Dinges, das Zeughafte des
Zeugs und [damit letzten Endes; St.S.] das Werkhafte des Werks in den Blick [. . . ]
bringen“ (UdK ) können. Den Weg, den Heidegger wählt, dieses zu erreichen ist
ungewöhnlich.
Wir stellten bereits fest, dass das Begriffsschema Stoff-Form vor allem gut auf
das Zeug passte. Dem Zeug kommt ontologisch gesehen in der Erschlossenheit des
innerweltlichen Seienden ein Vorrang zu , so dass deshalb die dritte Vorstellung des
Dinges gegenüber den anderen beiden eine besondere Vorherrschaft erlangte, ob-
gleich es auch immer wieder zu „Verkopplungen“ der drei Dingbegriffe kommt, wenn
es um die Bestimmung des Seins des Seienden geht. Um nun das Zeugsein des Zeugs
„ohne Übergriffe der gewohnten Auslegung“ (UdK ) zu erfassen, wählt Heidegger
keine philosophische Theorie, sondern die Beschreibung eines gewöhnlichen Zeugs
Ein Zeugnis dieser Versuchung stellt Platons Dialog „Timaios“ dar, in dem der Demiurg nach
dem Vorbild der Ideen die Materie (Stoff) formt (Vgl. Platon: Timaios a).
Vgl. die Vorgängigkeit der Zuhandenheit, S. .
Kapitel Ästhetische Wahrheit
– nämlich eines Paar Bauernschuhe – anhand eines Bildes von van Gogh. In sei-
ner interpretierenden Beschreibung des Bildes analysiert Heidegger letzten Endes
das, was wir im Abschnitt .. als Bewandtnisganzheit, bzw. Verweisungszusam-
menhang kennen gelernt haben. Die „dunkle Öffnung des ausgetretenen Inwendigen“
verweist auf „die Mühsal der Arbeitsschritte“ (vgl. UdK ). Nach der Ausgestaltung
der Bewandtnisganzheit kann Heidegger feststellen: „Das Zeugsein des Zeugs wurde
gefunden. Aber wie? Nicht durch eine Beschreibung und Erklärung eines wirklich
vorliegenden Schuhzeugs [. . . ], sondern nur dadurch, daß wir uns vor das Gemälde
van Goghs brachten. Dieses hat gesprochen“.
Heidegger betont, dass durch die Interpretation nichts in das Werk hineingelegt
wurde, vielmehr wurde „etwas“ über das Seiende herausgeholt, und zwar kommt
durch das Werk und im Werk das Zeugsein des Zeuges eigens zum Vorschein. Ge-
nau genommen kommt durch das Werk das Seiende (hier in diesem Fall ein Paar
„Bauernschuhe“) in die Unverborgenheit seines Seins, d. h. das Sein des Seienden
wurde als solches offenbar, es kam thematisch in unser Blickfeld. „So wäre denn das
Wesen der Kunst dieses: das Sich-ins-Werk-Setzen der Wahrheit des Seienden“ (UdK
). Wahrheit gebraucht Heidegger hier also direkt i.S. von W1 , ohne den Umweg
über die Aussagenwahrheit zu gehen, obwohl er auf die Aussagenwahrheit verweist,
wenn er schreibt, dass die Wahrheit in die Logik gehört, als deren Gegenstand er of-
fensichtlich die Aussagesätze betrachtet (vgl. UdK ), zumal er auf derselben Seite
kurz auf die adaequatio-Formel der Wahrheit eingeht.
Zur Illustration s. Abb. , „Ein Paar Schuhe“. Dieses Bild wurde von mir beispielhaft ausge-
wählt, denn van Gogh hat mehrere Gemälde gemalt, die Schuhe zeigen. Dass es sich bei diesen
aber um Bauernschuhe handelt, ist bereits Heideggers Interpretation geschuldet, denn in keinem
der Gemälde van Goghs taucht im Titel das Wort „Bauernschuhe“ auf, obwohl sich gerade bei dem
ausgewählten Bild der Eindruck aufdrängt, das es sich um Arbeitsschuhe handelt.
UdK . Hier wird man allerdings mit Günter Seubold einwerfen müssen, dass die Bildanalyse
Heideggers genauso gut durch eine phänomenologische Analyse der wirklichen Schuhe hätte ersetzt
werden können, denn genau genommen verfährt Heidegger in seiner Bildanalyse genauso, wie er
schon in SuZ vorgegangen ist: wirkliches Zeug (Hammer) auf die Bezüge hin zu untersuchen, in
die es immer schon eingebettet ist. Heideggers Bildanalyse fehlt es an ästhetischen Kriterien, und
das bedeutet, er hätte, so Seubold, auf die spezifische Faktur des Gemäldes eingehen müssen.
„Er aber versucht, das ist das Paradox-Kuriose, das Spezifische an der Kunst zu finden, ohne
auf das der Kunst Eigentümliche einzugehen. Das ist im Grunde der eigentliche Skandal dieser
,Bildanalyse‘ “ (Günter Seubold: Das Ende der Kunst und der Paradigmenwechsel in der Ästhetik
(EdK), S. ). Dazu ist zu sagen, dass sich Heidegger keiner ästhetischen Kriterien bedient, weil
alle bisherigen Kategorien, auch die ästhetischen, zur Beschreibung der Faktur eines Gemäldes,
das Kunstwerk lediglich in seiner Gegenständlichkeit, nicht aber in seinem Werksein erfassen.
Obgleich Heidegger sich dadurch der Möglichkeit beraubt „durch diese Kategorien hindurch“ (EdK
) das Kunstgeschehen zu erschließen. Für einen kritischen Blick auf den vermeintlichen Verlust
ästhetischer Kriterien bei Heidegger vgl. Peter Trawny: Anmerkungen zu drei Studien über das
Ende der Kunst, in: Heidegger Studies Vol. , S. f.
. Der Ursprung des Kunstwerks
Hatte die Kunst es bis zur Moderne mit dem Schönen und der Schönheit zu tun, so
gewinnt Heidegger in UdK ein neues Verständnis von Schönheit. Schönheit kommt
nicht neben der Wahrheit vor, sondern „das Erscheinen ist – als dieses Sein der
Wahrheit im Werk und als Werk – die Schönheit“ (UdK ). Wahrheit und Schön-
heit fallen demnach zusammen. Das Schöne ist das Erscheinen der Wahrheit. Auf
diese Art und Weise gelingt es Heidegger, die Ästhetik ebenso wie die Metaphysik
zu überwinden, denn beide gehen insofern in der Ontologie auf, als diese die Funda-
mente sowohl der neu verstandenen Ästhetik als auch der Metaphysik aufzeigt. Die
Frage, warum im Kunstwerk sich Wahrheit ereignet, welche Strukturen des Kunst-
werks dies ermöglichen, erfährt daher im zweiten Abschnitt der Abhandlung „Das
Werk und die Wahrheit“ eine ontologische Beantwortung.
denn das Eröffnen einer Welt ist streng genommen nichts anderes als das menschliche
Erschließen von Welt (vgl. die Abschnitte .. und ..). In der Beschreibung
des van Gogh’schen Gemäldes und des griechischen Tempels (vgl. UdK ff.) als
Kunstwerke hat Heidegger genau dies gezeigt. Welt meint hier dasselbe wie „Welt“
in dem Ausdruck In-der-Welt-sein. Dieses wurde als eine Seinsweise des Menschen
bestimmt. Weil Welt zwar eine Ganzheit meint, aber nicht die des Seienden, Welt
selbst überhaupt kein Seiendes ist, sagt Heidegger: „Welt weltet“ (UdK ). Das
bedeutet, dass Welt nicht so wie Seiendes ist, sondern ebenso wie Wahrheit geschieht.
Vor dem Hintergrund der Eröffnung verstanden als Erschlossenheit erklärt sich,
warum Welt „seiender als das Greifbare und Vernehmbare [ist; St.S.], worin wir uns
heimisch glauben“ (ebd.), denn wie wir sahen, wird greifbares Seiendes (für uns)
erst durch Erschlossenheit ermöglicht. Eröffnung von Welt bedeutet Erschließung
von Welt. Dies gilt in besonderer Weise auch für das Kunstwerk: „Das Werk stellt
eine Welt auf. Das Werk hält das Offene der Welt offen“ (UdK ). All das, was wir
bisher über Welt herausgestellt haben , kommt hier zum Tragen – also auch, dass
nur der Mensch Welt „hat“, alles übrige nicht daseinsmäßige Seiende ist weltlos.
B. Wie schon für das Aufstellen, gilt auch für das Herstellen, dass es eine ontische
und eine ontologische Bedeutung besitzt. Wobei im Falle des Herstellens die ontische
Bedeutung eine größere Rolle spielt als bei der Aufstellung, denn für die Rezeption
eines Kunstwerk ist es unumgänglich, dass es zuvor hergestellt, d. h. gemacht wurde,
z.B. aus Stoff, Holz, Farbe, Sprache oder Ton.
Die Bestimmung des zweiten Wesenszuges geschieht, indem Heidegger vor dem
Hintergrund des ersten „nach dem Wesen des sonst als Werkstoff des Kunstwerks
Bezeichneten“ (HPdK ) fragt. Welche ontologische Bedeutung hat das, woraus
ein Kunstwerk hergestellt ist (der Werkstoff), in welchem die Eröffnung einer Welt
geschieht? Zur Beantwortung dieser Frage zieht Heidegger erneut das Zeug zum
Vergleich heran. Das Zeug zeichnet sich durch seine Dienlichkeit und Brauchbarkeit
aus. Dazu bedient es sich des Stoffes, aus dem es gefertigt ist. „Der Stein wird in der
Anfertigung des Zeuges, z.B. der Axt, gebraucht und verbraucht. Er verschwindet
in der Dienlichkeit“ (UdK ). Beim Kunstwerk hingegen geht der Stoff nicht unter,
sondern wird stattdessen eigens hervorgehoben, „und zwar im Offenen der Welt des
Werkes“ (ebd.). Der Stoff, sonst kaum beachtet, kommt nun eigens in unser Blickfeld.
Dies kann aber nur geschehen, „„indem das Werk sich zurückstellt in das Massige und
Schwere des Steins, in das Feste und Biegsame des Holzes, in die Härte und den Glanz
Vgl. Kapitel , insbesondere Abschnitt ..
. Der Ursprung des Kunstwerks
des Erzes, in das Leuchten und Dunkeln der Farbe, in den Klang des Tones und in die
Nennkraft des Wortes“ (ebd.).“ Das, worin sich das Werk zurückstellt, worin sozusagen
das Eröffnen einer Welt gründet, bzw. eingelassen ist, ist die Erde. „Indem das Werk
eine Welt aufstellt, stellt es die Erde her“. Das Werk muss zur Herstellung der Erde
zurücktreten, weil anders beispielsweise die Schwere, bzw. Massigkeit des Steins als
solche nicht erfahrbar wäre, auch nicht, bzw. gerade nicht durch wissenschaftliche
Untersuchungen. Der Werkstoff zeigt sich in dieser besonderen Weise nur, wenn er
innerhalb des Werkes „sein gelassen“ wird, d. h. dann aber zugleich „unentborgen und
unerklärt bleibt“ (UdK ). Die Erde lässt daher als ein Wesenszug des Werkes „ jedes
Eindringen in sie an ihr selbst zerschellen“ (ebd.). Folglich bestimmt Heidegger die
Erde als „das wesenhaft Sich-Verschließende“ (vgl. ebd). Indem das Werk auch den
Charakter des Verschließens hat, wehrt es sich, anders als das Zeug, gegen seine
vermeintliche Dienlichkeit (z.B. als Schmuck oder Dekoration) und Dinghaftigkeit.
Für jedes gelungene Kunstwerk gilt, dass der Künstler den jeweiligen Werkstoff zwar
gebraucht, aber eben nicht verbraucht.
Beide beschriebenen Wesenszüge gehören „in der Einheit des Werkseins zusam-
men“ (UdK ). Diese Einheit versucht Heidegger nun genauer zu charakterisieren.
Dazu orientiert er sich am Insichstehen des Werkes. Dieses versteht Heidegger als
die „geschlossene einige Ruhe des Aufsichberuhens"(ebd.). Dabei scheint der Begriff
der Ruhe, dem Begriff des Geschehens verstanden als eine Bewegung zu widerspre-
chen. Doch denken wir Geschehen auf diese Weise als eine ontische Bewegung und
nicht als eine ontologische Struktur, die sie ist. Also muss auch diese „Ruhe“ als
ontologisch-struktural begriffen werden. Die ontologisch verstandenen Ruhe ist „ei-
ne innige Sammlung der Bewegung, also höchste Bewegtheit“ (ebd.). Diese „höchste
Bewegtheit“, die Einheit des Werkseins denkt Heidegger als den Streit zwischen Welt
und Erde. Die Welt, ein sich ständig Öffnendes, und die Erde, ein sich ständig Ver-
schließendes, versuchen den jeweils anderen Wesenszug in der eigenen Tendenz zu
verschlingen. Die Welt „duldet als das Sichöffnende kein Verschlossenes. Die Erde
aber neigt dahin, als die Bergende jeweils die Welt in sich einzubeziehen und ein-
zubehalten“ (UdK ). Diese gegenläufigen Tendenzen „erzeugen“ die Dynamik des
Wahrheitsgeschehens, welches sich im Werk ereignet. Ontologisch betrachtet bildet
UdK . In einem weiten Sinne ließe sich Welt mit dem Entwurf und Erde mit der Gewor-
fenheit vergleichen, insofern als der Mensch sich auf eine durch das Kunstwerk eröffnete Welt hin
entwirft, d. h. versteht (verstehen ist hier sowohl in der alltäglichen, als auch in der existenzialen
Bedeutung gemeint). Dieses Entwerfen von Welt geschieht dabei aus dem Werkstoff heraus, in den
das Entwerfen „geworfen“ ist. In jedem Fall gilt, dass ebenso wie Entwurf und Geworfenheit, das
Aufstellen einer Welt und das Herstellen der Erde gleichursprünglich sind.
Kapitel Ästhetische Wahrheit
das Werk ein „Perpetuum Mobile“, denn es geht nie darum diesen Streit zu schlich-
ten, sondern ihn vielmehr immer wieder neu zu entfachen, ihn „am laufen zu halten“.
„Aufstellend eine Welt und herstellend die Erde vollbringt das Werk diesen Streit.
Das Werksein des Werkes besteht in der Bestreitung des Streites zwischen Welt und
Erde“ (UdK ).
Doch wie ist das Wahrheitsgeschehen, welches seine Dynamik dem Streit zwi-
schen Welt und Erde verdankt, zu verstehen? „[. . . ] inwiefern geschieht in der Be-
streitung des Streites von Welt und Erde die Wahrheit? Was ist Wahrheit?“ (ebd.).
Die Antwort, die Heidegger gibt, ist uns bereits bekannt, es handelt sich um die
ἀλήθεια, die Unverborgenheit. Wie auch schon in den zuvor besprochenen Werken
Heideggers (SuZ, WdW) wird auch in UdK das Wesen der Wahrheit als das Wech-
selspiel zwischen Erschlossenheit und Verschlossenheit, zwischen Entbergung und
Verbergung, zwischen Verborgenheit und Unverborgenheit bestimmt. Auch in UdK
betont Heidegger, dass der traditionell verstandenen Wahrheit eine ursprünglichere
vorausgeht. Die Übereinstimmung der Erkenntnis mit der Sache erfordert die vor-
gängige Unverborgenheit des Seienden (vgl. UdK ) – die Unverborgenheit dessen,
wonach sich die Erkenntnis richtet, sich die Übereinstimung bemisst. Die Ausfüh-
rungen Heideggers zur Wahrheit auf den Seiten - der Abhandlung bestätigen,
was in .. und .. gesagt wurde, dass Heidegger in den Werken nach WdW an
dem dort bestimmten Wahrheitsbegriff festhält. Dazu gehört, dass Seiendes für uns
erst im Offenen, in der Lichtung des Seins“ ist und, dass es der Mensch ist, dem
der „Durchgang zum Seienden“ gewährt wird. Auch die Unterscheidung zwischen
ontologischer und ontischer Verbergung (vgl. oben S. ), und d. h. die ontologische
Differenz, begegnet uns hier in Form einer zweifachen Verbergung wieder. Und so
wie zum Werk wesenhaft das Verschließende (Erde) gehört, so wird auch „das Wesen
der Wahrheit, d. h. der Unverborgenheit, [. . . ] von einer Verweigerung durchwaltet“
(UdK ). Diese Verweigerung drückt sich in der genannten zweifachen Verbergung
aus. Wenn Heidegger also schreibt, dass in Kunstwerken die Wahrheit am Werk ist,
so bedeutet dies, dass sie „Unverborgenheit als solche im Bezug auf das Seiende im
Ganzen geschehen“ (UdK ) lassen. „Seiendes im Ganzen“, so sahen wir, bedeutet
Sein , d. h. Kunstwerke machen unseren Bezug zum Sein offenbar, sie verweisen auf
Die ontologische Verbergung nennt Heidegger das Versagen. Die Verbergung als Versagen stellt
den „Anfang der Lichtung des Gelichteten“ (UdK ), d. h. die Verbergung der Seins dar. Diese
ist auch hier in UdK Voraussetzung für die Gelichtetheit von Seiendem. Das ontische Verbergen
nennt Heidegger Verstellen, weil Seiendes anderes Seiendes verstellt.
Vgl. WdW , .
. Der Ursprung des Kunstwerks
ihn, denn begrifflich ist dieser nicht zu fassen. Um aber das volle, bzw. innerste
Wesen des Kunstwerks zu erfassen, muss geklärt werden, wie es möglich ist, Wahr-
heit ins Werk zu setzen. Es stellt sich also erneut die Frage nach dem Geschaffensein
des Werkes. Was ist der Unterschied zwischen Geschaffensein und Angefertigtsein?
Zur Beantwortung dieser Frage bestimmt Heidegger das Wesen des Schaffens aus
seinem Bezug zum Wesen der Wahrheit.
erst das Produkt des Schaffens ist. Und doch, zum Werksein des Werkes gehört we-
senhaft auch das Geschaffensein. Das bisher herausgearbeitete Werksein des Werkes
muss noch wesentlicher verstanden werden, um zu begreifen wie Geschaffensein und
Werksein zusammengehören.
Vor dem Hintergrund des Werkes verstanden als einen Ort, an dem das Wahrheits-
geschehen am Werk ist, kann das Schaffen, so Heidegger, „als das Hervorgehenlassen
in ein Hervorgebrachtes [. . . ] [gekennzeichnet werden; St.
S.]. Das Werkwerden des Werkes ist eine Weise des Werdens und Geschehens der
Wahrheit“ (UdK ). Das Wesen, d. h. der Grund der inneren Möglichkeit des Schaf-
fens liegt demnach im Wesen der Wahrheit. Doch wie ist Wahrheit „beschaffen“, dass
sie in einem Kunstwerk, in einem Geschaffenen geschieht, ja, so Heidegger, geschehen
muss. Ein erneuter Blick auf das Wesen der Wahrheit soll diese Frage beantworten.
Zur Wahrheit, so sahen wir, gehört sowohl die Unverborgenheit als auch die Ver-
borgenheit, das Wahrheitsgeschehen besteht gerade in dem Wechselspiel zwischen
den beiden. Dieses Wechselspiel nennt Heidegger den Streit zwischen Lichtung und
Verbergung (vgl. UdK ). In Hesiods Worten gesprochen heißt dies, dass nicht nur
Λήθη, sondern auch ᾿Αλήθεια ein Kind der Eris ist.
Dieser Streit geschieht in einem „Streitraum“, der durch den Widerstreit überhaupt
erst eröffnet wird. Das Offene (der Streitraum) ist das Sein, dieses hat die Eigenschaft
der Offenheit. „Die Offenheit dieses Offenen“ , das bedeutet die Wahrheit des Seins,
ist gerade die Eigenschaft des Denkraums, der Distinktionsdimension, die es uns
ermöglicht, dass es Seiendes für uns gibt, d. h. ist die Bedingung der Möglichkeit
für Seiendes. Zugleich aber, so betont Heidegger hier in UdK, ist Wahrheit auch auf
das Seiende angewiesen. Wahrheit existiert nicht unabhängig vom Seienden. „Die
Wahrheit [. . . ] kann nur sein, was sie ist, nämlich diese Offenheit, wenn sie sich
und solange sie sich selbst in ihr Offenes einrichtet. Darum muß in diesem Offenen
je ein Seiendes sein, worin die Offenheit ihren Stand und ihre Ständigkeit nimmt“
(UdK ). Deswegen ist Sein auch immer Sein des Seienden. Seiendes wird erst in
und durch Wahrheit offenbar, doch zugleich wird das Wahrheitsgeschehen nur am
Seienden sichtbar. Diesen Umstand nennt Heidegger die „Einrichtung der Wahrheit“.
„Lichtung der Offenheit und Einrichtung in das Offene gehören zusammen. Sie sind
dasselbe eine Wesen des Wahrheitsgeschehens“ (UdK ).
Heidegger macht nun fünf Weisen dieser Einrichtung der Wahrheit, d. h. fünf we-
sentliche Weisen des Wahrheitsgeschehens, aus:
UdK . Vgl. hierzu WdW .
. Der Ursprung des Kunstwerks
Heidegger als den Streit zwischen Welt und Erde bestimmte ins Werk zu setzten.
Daher ist zu beachten, dass dieser Streit nicht behoben, gar geschlichtet, sondern
eigens angefacht werden soll. Das Kunstwerk ist als solches der Austragungsort dieses
Streits. „Dieses Seiende [d. h. das Kunstwerk; St.S.] muß daher in sich die Wesenszüge
des Streites haben“ (UdK ).
Um das Ins-Werk-Setzen genauer zu bestimmen, charakterisiert Heidegger den
Streit als einen Riss. Gemeint ist damit aber kein Auseinanderreißen, keine Kluft
zwischen den Streitenden. Der Riss verweist als Riss vielmehr auf etwas, das einst
zusammen war, bzw. noch ist. „Der Streit ist die Innigkeit des Sichzugehörens der
Streitenden. Dieser Riß reißt die Gegenwendigen in die Herkunft ihrer Einheit aus
dem einigen Grunde zusammen“ (UdK ). Welt und Erde entstammen einem ge-
meinsamen Grund, daher ist der Riss Grundriss. Zugleich ist er Aufriss, weil er die
Grundzüge des Wahrheitsgeschehens aufzeigt. Aufriss meint also „das Aufgehen des
Seienden im Ganzen [d. h. des Seins; St.S.] aus der entbergend-verbergenden Lich-
tung“ (HPdK ). Als Grund- und Aufriss ist der Riss zugleich Umriss, weil er Welt
und Erde in ihrem ständigen sich bestreiten nicht auseinander reißt, sondern um-
reißt, d. h. zusammenhält. Damit nun die Wahrheit sich im Seienden einrichten kann,
d. h. in Werk gesetzt werden kann, muss „sich das Hervorzubringende, der Riß, dem
Sichverschließenden, das im Offenen ragt“ anvertrauen. Das Sichverschließende ist
die Erde. Sie steht für den jeweiligen Stoff, dessen sich ein Künstler zur Herstellung
eines Werkes bedienen muss. „Der Riß muß sich in die ziehende Schwere des Steins,
in die stumme Härte des Holzes, in die dunkle Glut der Farben zurückstellen“ (ebd.).
Die Erde, so könnte man sagen, „konserviert“ den Streit, das Wechselspiel und erst
nachdem die Erde den Riss in sich zurückgenommen hat, kann er in das Offene
(Welt) ragen und die Wahrheitsdynamik wird sichtbar. Dies zeigt die ausgezeichne-
te Stellung der Erde an. „Der in den Riß gebrachte und so in die Erde zurückgestellte
und damit festgestellte Streit ist die Gestalt. Geschaffensein des Werkes heißt: Fest-
gestelltsein der Wahrheit in die Gestalt“ (ebd.). Daher braucht der Künstler den
Stoff, aber verbraucht ihn nicht, wie dies bei der Anfertigung von Zeug geschieht.
Wie schon angedeutet, ist bei der Produktion die mediale Rolle des Menschen
als Künstler zu betonen. Heidegger weist selbst auf die Angewiesenheit des Kunst-
werks auf den Menschen, den Schaffenden hin (vgl. UdK ). Das Kunstwerk ist
als Kunstwerk wesenhaft vom Dasein abhängig, weil dieses selbst Ort des Wahr-
UdK . Dass nun der Riss auch als das Hervorzubringende bezeichnet wird, soll, so von
Herrmann, andeuten, dass Riss und Kunstwerk in eins zu denken sind (vgl. HPdK ).
. Der Ursprung des Kunstwerks
heitsgeschehens ist, und nur weil der Mensch die Wahrheit ins Werk setzt, kann
es Kunstwerke geben. Die „Fähigkeit“ des Kunstwerks das Wahrheitsgeschehen zu
offenbaren, ist ihm durch den Menschen „verliehen“ worden, man könnte auch sa-
gen: der Funke ist vom Menschen auf das Kunstwerk übergesprungen. Das Wort
„setzen“ ist hier allerdings mit Vorsicht zu genießen. Der Mensch setzt die Wahrheit
insofern ins Kunstwerk, als er das Kunstwerk schafft, als er es tatsächlich macht.
Zugleich versteht Heidegger „setzen“ aber auch in einem „ontologischen Sinne“. Wenn
Heidegger in diesem Sinne von „setzen“ redet, so ist mit der Frage „Wer oder was
setzt?“ vielmehr gemeint „Von woher, durch was erhält das Kunstwerk sein Wesen?“
Dennoch scheint der Mensch eine entscheidende Rolle dabei zu spielen.
B. Rezeption. Heidegger führt den Vergleich zwischen Zeug und Werk weiter, und
erklärt, dass zwar beide ein Hervorgebrachtes sind, dass aber beim Kunstwerk das
Geschaffensein so in das Kunstwerk „hineingeschafften“ ist, dass es eigens am Werk
erfahren werden kann. Gemeint ist nicht, dass erkennbar wird, wer das Kunstwerk
geschaffen hat – der Künstler spielt bei Heidegger keine bzw. eine untergeordnete
Rolle –, sondern, dass es geschaffen ist. Dieses „dass es ist“ nennt Heidegger den
Anstoß, „dieses, daß Unverborgenheit des Seienden hier geschehen ist und als dieses
Geschehene erst geschieht; dieses, daß solches Werk ist und nicht vielmehr nicht
ist“. Im Vergleich zum Zeug kann das Werk als „anstößig“ bezeichnet werden, denn
das „dass es ist“, welches sich auch beim Zeug findet, geht bei diesem unter in seiner
Dienlichkeit. Das Werk hingegen wehrt sich gegen dieses Untergehen, es ragt unter
den übrigen Seienden hervor, es erregt Anstoß und zwar allein dadurch, dass es ist.
Nichts scheint gewöhnlicher, als dass Seiendes ist. „Im Werk dagegen ist dieses, daß es
als solches ist, das Ungewöhnliche“ (ebd.). Dieser Anstoß, so erklärt Heidegger weiter,
ist ein Stoß ins Offene, das Kunstwerk stößt uns also auf das Wahrheitsgeschehen.
Die gewohnten Bezüge werden aufgedeckt, bisher geheuer Scheinendes umgestoßen.
Je besser, d. h. je wesentlicher es dies tut, üm so befremdlicher und einsamer wird
das Werk“ (ebd.). Dadurch halten wir uns mit der Einordnung dieses Seienden,
dem Kunstwerk, in gewohnte Bezüge zurück. „Die Verhaltenheit dieses Verweilens
In dem geschriebenen Zusatz weist Heidegger selbst auf diesen Punkt hin: „In dem Titel:
,Ins-Werk-Setzen der Wahrheit‘, worin unbestimmt aber bestimmbar bleibt, wer oder was in wel-
cher Weise ,setzt‘, verbirgt sich der Bezug von Sein und Menschenwesen, welcher Bezug schon in
dieser Fassung ungemäß gedacht wird [. . . ]“ (UdK ).
UdK . Vgl. bemerkenswerterweise Ernst Tugendhat: Egozentrizität und Mystik, Kapitel ,
insbes. S. f.
Freilich ist „anstößig zu sein“ i.e.S. weder ein notwendiges noch ein hinreichendes Kriterium
um ein Kunstwerk zu sein.
Kapitel Ästhetische Wahrheit
lässt das Geschaffene erst das Werk sein, das es ist. Dieses: das Werk ein Werk
sein lassen, nennen wir die Bewahrung des Werkes“ (ebd.). Auch hier zeigt sich
wieder die Bedeutung des Menschen, nun als Rezipient. „So wenig ein Werk sein
kann, ohne geschaffen zu sein, so wesentlich es die Schaffenden braucht, so wenig
kann das Geschaffene selbst ohne die Bewahrenden seiend werden“ (UdK ). d. h.
das Werk bleibt immer auf die Bewahrenden angewiesen, ob diese nun das Werk
als Werk unmittelbar rezipieren oder nicht, ob es in Vergessenheit gerät oder nicht.
Die Bewahrung des Werkes bestimmt Heidegger als das „Innestehen in der im Werk
geschehenden Offenheit des Seienden“ (ebd.). Dadurch kann er die Bewahrung mit
der Ent-schlossenheit vergleichen, denn in beiden Fällen geht es um „die Eröffnung
des Daseins aus der Befangenheit im Seienden zur Offenheit des Seins“ (UdK ). Nur
der jeweilige Weg ist ein anderer, in der Ent-schlossenheit ergreift das Dasein eigens
seine Wahl und lässt sich diese nicht länger abnehmen, während es in der Bewahrung
durch das Kunstwerk angestoßen wird. In beiden Fällen setzt sich das Dasein der
Offenheit des Seienden (W1 ) aus. Die ontologischen Strukturen und Bezüge, die
Heidegger in SuZ aufzeigte, entspringen dem Wahrheitsgeschehen und insofern als
das Kunstwerk dieses Wahrheitsgeschehen eröffnet, eröffnet es zugleich die Bezüge,
in denen wir immer schon stehen. Wie die Bewahrung des Werkes im Einzelnen
zu geschehen hat, ist allein vom Werk abhängig und wird von diesem vorgegeben.
Es ist Heidegger wichtig zu betonen, dass zur Bewahrung „Kunstkennerschaft“ und
„Kunstbetrieb“ fernzuhalten sind.
Was nun die Wirklichkeit des Werkes betrifft , so kommt Heidegger zur abschlie-
ßenden Feststellung: „Die eigenste Wirklichkeit des Werkes kommt [. . . ] nur da zum
Tragen, wo das Werk in der durch es selbst geschehenden Wahrheit bewahrt wird“
(UdK ). Die Abhandlung ist damit aber keineswegs beendet – die Frage nach dem
Dinghaften des Kunstwerks steht noch aus.
Diese kann nun dahingehend beantwortet werden, dass die Frage nach dem Ding-
haften das Kunstwerk in seiner Wirklichkeit verkennt. Sie fragt nach Ontischem,
während das Kunstwerk als Kunstwerk eine ontologische Struktur ist, es sich zwar
des Stoffes bedient, dieser aber auch nicht in seiner Dinghaftigkeit zum Tragen
kommt. Der Stoff, „vertreten“ durch den Aspekt der Erde, ist das „darein die Gestalt
festgestellt werden muß“ (UdK ). Doch die Frage nach dem Dinghaften des Dinges
zu stellen (vgl. UdK ) war nicht überflüssig, denn das Dinghafte eines jeden Seien-
Diese Frage warf Heidegger im Zusammenhang mit der Dinghaftigkeit des Werkes auf (vgl.
UdK f.).
. Der Ursprung des Kunstwerks
den kann nun vom Werkhaften her bestimmt werden. Wie nunmehr deutlich wird,
gilt das Wechselspiel zwischen Welt und Erde für alles Seiende. Die Tendenz des
Sichöffnens und des Sichverschließens finden sich bei jedem Seienden, bei jeglichem
Ding, also auch beim Zeug und sogar bei Naturgegenständen, wie von Herrmann
feststellt (vgl. HPdK ). Das Kunstwerk zeichnet sich gegenüber all dem ande-
ren Seienden dadurch aus, dass dieses Wechselspiel in und an ihm eigens in den
Blick kommt, während es bei den übrigen Seienden nahezu vollkommen verschluckt
wird.
Damit kommen wir zur letzten Frage der Abhandlung, der Frage nach dem Wesen
der Kunst. Die Kunst, so hatte Heidegger zu Beginn der Abhandlung postuliert, ist
der gemeinsame Ursprung des Künstlers und des Kunstwerks (vgl. UdK ). Diese
Behauptung findet nun ihre Rechtfertigung. Zum Geschaffensein des Werkes gehö-
ren wesentlich die Schaffenden (Produzenten) und die Bewahrenden (Rezipienten),
beide sind untrennbar mit dem Wesen des Kunstwerks verbunden. Wenn aber die
Kunst der Ursprung des Kunstwerks ist, „dann heißt das, sie lässt das wesenhaft
Zusammengehörige am Werk, Schaffende und Bewahrende, in seinem Wesen ent-
springen“ (UdK ). Was ist die Kunst, dass sie dies ermöglicht? Das Wesen der
Kunst bestimmte Heidegger im Voraus als das Ins-Werk-Setzen der Wahrheit. Diese
Bestimmung ist zweideutig: zum einen besagt sie, dass „Kunst das Feststellen der
sich einrichtenden Wahrheit in die Gestalt“ (ebd.) ist – dies geschieht in der Produk-
tion (im Schaffen) des Werkes – und zum anderen besagt Ins-Werk-Setzen „in Gang-
und ins Geschehen-Bringen des Werkseins“ (ebd.) – dies geschieht in der Rezepti-
on (Bewahrung). Die aktive und passive Komponente der Kunst denkt Heidegger
im Begriff der Kunst in eins: Kunst ist „die schaffende Bewahrung der Wahrheit
im Werk“ (ebd.). Von da aus ist es nur konsequent, Kunst selbst als ein Werden
und Geschehen der Wahrheit zu begreifen. Was den Künstler also auszeichnet,
ist, dass er vom gewöhnlichen Seienden ausgehend, die Gewöhnlichkeit, in der das
Seiende „zunächst und zumeist“ steht, aufsprengt – die ontologischen Fundamente
werden durch das Werk freigelegt. Diesen Prozess nennt Heidegger im weiteren Sinne
Dichtung.
„Alle Kunst ist als Geschehenlassen der Ankunft der Wahrheit des Seienden als
Dass dieses Wechselspiel an den meisten Seienden untergeht, ist Ausdruck der Seinsvergessen-
heit. Vgl. hierzu Günter Seubold: Seinsvergessenheit, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie,
Sp. f.
Insofern kann das Kunstwerk als die Instanziierung der Kunst betrachtet werden, die dazu
wesenhaft auf den Menschen angewiesen ist.
Kapitel Ästhetische Wahrheit
eines solchen im Wesen Dichtung“ (UdK ), d. h. „die Kunst ist als das Ins-Werk-
Setzen der Wahrheit Dichtung.“ (UdK ). Dies bedeutet nicht, dass alle Kunst
(z.B. die Baukunst, Bildkunst oder Tonkunst) auf die Poesie zurückgeführt wird,
wenngleich Heidegger der Poesie, dem Sprachwerk, eine ausgezeichnete Stellung im
Bereich der Künste einräumt. Dass Heidegger dies machen kann, liegt daran, wie
er Sprache begreift (vgl. Abschnitt .). Sprache zeichnet sich ebenso wie Kunst
dadurch aus, dass sie Seiendes als Seiendes eröffnet. Beide, sowohl Sprache als auch
Kunst sind ausgezeichnete Weisen des Wahrheitsgeschehens. Deshalb ist die Sprache
im wesentlichen Sinne Dichtung (vgl. UdK ).
Dichtung im weiteren Sinne hat sich als das Wesen der Kunst herausgestellt.
„Das Wesen der Dichtung ist die Stiftung“ (UdK ). Dieses geschieht nach drei
Hinsichten:
. Das Stiften als Schenken. Die Kunst als Ins-Werk-Setzen der Wahrheit geht,
indem sie das Geheure um- und das Ungeheure aufstößt, über das Vorhandene und
Verfügbare hinaus. „Die Stiftung ist ein Überfluß, eine Schenkung“ (ebd.). Diesen
Überfluss bezeichnet Heidegger auch als „dichtenden Entwurf der Wahrheit“ (ebd.).
Gemeint ist das entwerfende Anstoßen der Wahrheit, der Unverborgenheit. Dieses
Anstoßen hat den Charakter des Aufschließens und Eröffnens, und zwar des Wahr-
heitsgeschehens. Weil diese Eröffnung aber aus dem Vorhandenen und Verfügbaren
nicht „ableitbar“ ist, sondern diese übersteigt, deshalb ist eine Seite des Wesens der
Kunst ein Überfluss, eine Schenkung.
. Das Stiften als Gründen. Der schenkende Entwurf geschieht aber „nie ins Leere
und Unbestimmte hinein“ (ebd). Der Aspekt, den Heidegger hier erläutert, aller-
dings in anderer Terminologie, ist der der Geworfenheit. Eröffnet werden (durch den
schenkenden Entwurf) kann nur das, worin das Dasein geworfen ist. In SuZ nannte
Heidegger dies die (Seins-)Möglichkeiten des Daseins, die Möglichkeiten auf die hin
das Dasein sich, d. h. sein Sein, entwirft. Hier in UdK bezeichnet Heidegger das,
worein das Dasein geworfen ist, ebenfalls als Erde, so dass diese noch eine zweite
Bedeutung erhält, die aber mit der ersten verwandt ist: Die Erde, bzw. für ein ge-
schichtliches Volk „seine Erde“, ist „der sich verschließende Grund, dem es [das Volk;
St.S.] aufruht mit all dem, was es, sich selbst noch verborgen, schon ist. Es ist aber
seine Welt, die aus dem Bezug des Daseins zur Unverborgenheit des Seins waltet“
(ebd.). Verbunden mit dem, was Heidegger in SuZ sagte, ist das (volkhafte) Dasein
schon die Möglichkeiten, in die es geworfen ist , diese bilden den sich verschließen-
Vgl. SuZ f.: „Dasein ist [. . . ] primär Möglichsein. [. . . ] Die Möglichkeit als Existenzial [. . . ]
. Der Ursprung des Kunstwerks
den Grund des Daseins. Im eröffnenden Entwurf wird dieser Grund erst freigelegt,
er wird „als der tragende Grund erst gegründet“ (ebd.).
. Das Stiften als Anfangen. Zusammen ergeben Schenken und Gründen, Entwurf
und Geworfenheit das „Anfangen des Geschehens der Unverborgenheit und Entber-
gung des Seienden“ (HPdK ). Das Anfangen stellt das Anstiften des Streites der
Wahrheit dar. Der Anfang ist ein Sprung, ein Vorsprung, denn in ihm sind die Wei-
sen, wie künftig Seiendes entborgen wird, vorweggenommen, und zwar durch die
Geworfenheit. Wie wir aber sahen, sind diese Weisen der Entbergung des Seienden,
diese Seinsmöglichkeiten dem Dasein verborgen. Kunst und Entschlossenheit ma-
chen diesen Vorsprung sichtbar. Auch der Tod als das Letzte, als die Grenze jedes
möglichen Entwurfs ist schon vorweggenommen. „Der Anfang enthält schon verbor-
gen das Ende“ (UdK ). Von Herrmann vergleicht die dritte Wesensweise der Kunst
mit dem dritten Strukturmoment der Sorge, dem Verfallen (vgl. HPdK f.). Zu
diesem gehört gerade der Tod, bzw. der Zwang Möglichkeiten zu ergreifen, das „Daß
es ist und zu sein hat“ (SuZ ), als das, wovor das Dasein flieht. Dieses bezeichnet
Heidegger in SuZ als den „Lastcharakter des Daseins“.
Damit ist nun auch die Frage, was Kunst ist, beantwortet. Doch wie steht es um
die Anwendbarkeit dessen, was Heidegger über die Kunst sagt?
Darüber, wie gut Heideggers „Kunstkonzept“ gerade auf moderne Kunst anwend-
bar ist, herrscht Unstimmigkeit. Perpeet, der ganz richtig sagt, dass sich Prinzipien
am Konkreten zu bewähren haben, sieht hier ein Problem. „An Werken der moder-
nen und vormodernen Kunst ist das Heideggersche Geviertprinzip nur schwerlich
wiederzuerkennen“. Wie am Zitat zu erkennen ist, bewegt sich Perpeets Auslegung
der Kunstwerkabhandlung schon direkt im Umkreis des Geviertbegriffes Heideggers.
Auf diesen Begriff kann hier nicht weiter eingegangen werden , nur soviel sei gesagt,
dass das Begriffsschema Welt-Erde durchaus in die Richtung des Gevierts weist, so-
zusagen dessen Vorläufer ist, aber eben sein Vorläufer, die Kunstwerkabhandlung
direkt schon unter dem Aspekt des Gevierts zu betrachten, scheint voreilig.
Das eigentliche Problem aber, warum „das Geviertprinzip am konkreten Werk
nicht so glatt aufgeht“ (HK ), sieht Perpeet in Heideggers Naturbegriff. Diesem
kommt aber in UdK keine bedeutende Rolle zu, so dass die Anwendbarkeit des
ist die ursprünglichste und letzte positive ontologische Bestimmtheit des Daseins [. . . ].“
Vgl. SuZ § . Zum Strukturganzen der Sorge vgl. SuZ § .
Wilhelm Perpeet: Heideggers Kunstlehre (HK), in: Otto Pöggeler (Hrsg.): Heidegger – Per-
spektiven zur Deutung seines Werkes, S. .
Für eine eingehende Betrachtung sei auf Perpeets Ausführungen in HK verwiesen.
Kapitel Ästhetische Wahrheit
Heideggerschen Kunstkonzepts dadurch nicht gefährdet ist. Dies deshalb, weil der
Geviertbegriff, und erst vor dem Hintergrund dessen erfährt die Natur im Denken
Heideggers eine „Verklärung“ , in UdK noch überhaupt nicht vorkommt.
Heideggers Konzept scheint dabei durchaus sowohl der modernen, wie der vormo-
dernen Kunst gerecht zu werden , denn Kunstwerke eröffnen Bezüge der Welt, in
der wir leben, die wir erschlossen haben, und halten uns unsere Sichtweisen (bzw.
Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff) vor, unter denen wir Seiendes betrachten. Zugleich
besitzen Kunstwerke, egal welcher Epoche, immer etwas Sprödes, sich Widerset-
zendes, welches ermöglicht, das Kunstwerk – sofern es ein gelungenes, d. h. wahres
Kunstwerk ist – immer wieder neu zu interpretieren, denn der erdhafte Teil des
Kunstwerks verhindert, dass es in einer, bzw. in einer endlichen Anzahl von In-
terpretationen aufgeht und der welthafte Teil eröffnet zugleich immer wieder neue
Bezüge, da das Wahrheitsgeschehen, die innere Dynamik niemals abbricht. Insofern
hat ein Kunstwerk, einmal geschaffen, in jeder Zeit und jedem Menschen etwas zu
sagen, sofern wir auf es hören, und d. h. uns auf es einlassen, es seinlassen.
Und doch, durch die Fokussierung auf die ontologischen Fundamente geht Hei-
degger nicht auf die Kunstgeschichte, auf das Spezifische der Epochen ein. Dadurch,
so Seubold, kommt es zu einer Nivellierung von Tradition und Moderne, zu einer
„Entdifferenzierung des künstlerischen Materials“ (EdK ), weil sich Heidegger,
so Seubolds Hauptkritikpunkt, keiner ästhetischer Kriterien bedient. Gerade die
hätten ermöglicht, dass sich Heideggers Kunstphilosophie am konkreten Kunstwerk
ausweist.
Zumindest implizieren dies Perpeets Worte (vgl. HK ).
Zur Anwendbarkeit des Kunstwerkaufsatzes insbesondere auf moderne Kunst vgl. Siegbert
Peetz: Welt und Erde. Heidegger und Paul Klee, in: Heidegger Studies Vol. .
Vgl. Heideggers Analyse des Bildes von van Gogh, oben S. .
. Heideggers Ausflug in die Moderne
sich uns hierbei stellt, ist, ob der Wahrheitsbegriff Heideggers in und durch den Be-
zug zur Kunst eine Wandlung erfährt. Wie wir mit Gethmann bereits festgestellt
hatten, hatte sich nach der ersten Kehre zwar der Blickwinkel des Heideggerschen
Denkens geändert, nicht aber sein Gegenstand – nämlich das Wahrheitsgeschehen
verstanden als „die transkategoriale Bedingung der Möglichkeit, durch welche Dasein
a priori auf Seiendes bezogen sein kann [. . . ]“ (VuA ). Die Frage, ob dies auch noch
nach der vermeintlich zweiten Kehre, d. h. in der dritten Denkphase Heideggers gilt,
ist letztlich anhand seiner Auseinandersetzung mit den Bildern Klees und Cézannes
zu beantworten. Gerade hier, „vor allem bei Cézanne und Klee“ (KaE ) hat Hei-
degger die „innerste Fiber der Moderne“ erspürt. Heidegger, der sonst wenig für
moderne Kunst übrig hatte, bis auf wenige Ausnahmen , scheint gerade mit seinen
Cézanne- und Kleeinterpretationen „auf der Höhe, im „Herzen“ der Moderne“ (KaE
) zu sein. Dementsprechend konzentrieren wir uns auf Heideggers Beschäftigung
In diesem Abschnitt wird nach der Wahrheit des Seins gefragt.
. Im dritte Abschnitt (ab ca. ) konzentriert sich das Denken Heideggers auf den Begriff des
„Ereignisses“. Im Mittelpunkt dieses Abschnittes steht die Frage nach dem Ort und der Ortschaft
des Seins.
Diese Aufteilung stützt sich, laut Seubold, auf ein durch Heidegger autorisiertes Protokoll eines
Seminars, das in Le Thor abgehalten wurde (vgl. Martin Heidegger: Seminare (GA ),
S. ). Aufgrund der „neuen“ Betrachtungsweise Heideggers in den Klee- und Cézanne-Notizen
im Vergleich zu der in UdK ordnet Seubold diese Notizen der dritten Denkphase zu. Sowohl in
den Betrachtungen zu Klee, als auch in denen zu Cézanne geht es darum die „geheimnisvolle
Identität“ (Martin Heidegger: Aus der Erfahrung des Denkens (GA ), S. ) zu denken, die die
Überwindung (nicht Auflösung) der ontologischen Differenz ermöglicht.
Doch Trawny meldet berechtigte Zweifel an. Zunächst kann die Eindeutigkeit der Unterteilung
basierend auf Heideggers Äußerungen bezweifelt werden, denn oftmals muss unterschieden werden
zwischen dem, was ein Philosoph sagt und dem, was er wirklich macht. In diesem Sinne ist zu
betonen, dass die „Beiträge zur Philosophie“ und darauf folgende Werke, Trawny nennt hier die
Abhandlungen „Besinnung“ (Martin Heidegger: Besinnung (GA )) und „Geschichte des Seyns“
(Martin Heidegger: Die Geschichte des Seyns (GA )), ohne die Begriffe „ontologische Differenz“
und „Seinsgeschichte“ nicht zu verstehen sind. Der engere Begriff der ontologischen Differenz wird
zwar abgelöst von den Begriffen des „Unter-Schieds von Überkommnis und Ankunft“ oder des
„Unter-Schieds zwischen Welt und Ding“, und d. h. Heideggers Blickrichtung ändert sich, nicht
aber der Gegenstand seines Denkens. Trawny wehrt sich daher dagegen, UdK „in eine zweite, vom
„Ereignis“ abgegrenzte „Phase“ seines Denkens einzuschließen“ (Peter Trawny: Anmerkungen zu
drei Studien über das Ende der Kunst, S. ). Dazu ist der Begriff des Ereignisses, so Trawny,
zu sehr mit den zentralen Begriffen der „zweiten Phase“ verbunden. Trotz Trawnys Kritik bleibt
aber Seubolds Einwurf, dass Heideggers Kunstphilosophie nicht auf UdK eingeschränkt werden
sollte, bestehen. Was bleibt, und das ist es auf das wir uns konzentrieren wollen, ist ein Aspekt der
Kunst, den Heidegger in UdK noch nicht bedachte, und dem er in den Werken Klees und Cézannes
nachspürt.
Diese Betonung ist im Übrigen der Grund dafür, warum sich unsere Untersuchung in diesem
Abschnitt (.) auf Heideggers Cézanne- und Klee-Interpretationen beschränkt und seine Betrach-
tung japanischer Kunst außen vor lässt. Für eine Auseinandersetzung Heideggers mit japanischer
Kunst siehe KaE vierter Teil, I.
Vgl. KaE, dritter Teil.
. Heideggers Ausflug in die Moderne
mit jenen Künstlern und ihren Werken, weil hier in direkter Auseinandersetzung mit
den jeweiligen Kunstwerken der beiden Künstler sich ein „neues“ Kunstverständnis
Heideggers herausschält.
Da sich Heideggers Beschäftigung mit moderner Kunst nie in einem einheitlichen
Werk niedergeschlagen hat, müssen wir mit Fragmenten vorlieb nehmen. Das Mate-
rial, auf das sich unsere eigenen Untersuchungen der Spätphase der Heideggerschen
Kunstphilosophie stützen können, ist dementsprechend dürftig. Daher werden wir
uns weitgehend an Günter Seubold als einen Führer durch das Trümmerfeld der
Fragmente halten, ohne allerdings allzu unbedarft seiner Interpretation der Frag-
mente anzuhängen, denn im Zentrum sollen die Äußerungen Heideggers stehen, so
spärlich sie auch sein mögen.
Cézanne
Der erste Satz geht zunächst auf ein Bildnis des Gärtners Vallier ein, der für
Cézannes Garten am Chemin des Lauves zuständig war. Die Eigenschaften, die Hei-
degger der Gestallt Valliers beilegt, sind die eines Menschen, der nicht der „berechnend-
kalkulierenden Technik-Obsession“ (KaE ) verfallen ist. Anstatt das Seiende be-
herrschen zu wollen, lässt der „nachdenksam Gelassene“ das Seiende sein, dadurch
tritt die Offenheit des Seins zu Tage, das inständig Stille. „Inständig“ verweist dar-
auf, dass der Mensch aus dem Wahrheitsgeschehen heraussteht, ek-sistiert. „Stille“
verweist auf Heideggers Forderung der Mensch solle von sich schweigen, um auf das
Sein zu hören, das heißt aber nichts anderes, als dass der Mensch nicht rein dem
Bedingten (Seienden) anhängen, sondern auf das Bedingende (Seyn, Wahrheitsge-
schehen) achten soll. Deswegen fasst Heidegger „inständig“ und „Stille“ zusammen.
Cézannes Malerei ist wie jede große Kunst, so Seubold, ein „Ins-Werk-Setzen der
Wahrheit“, doch was zeichnet die Bilder Cezannes aus, so dass Heidegger ihnen so
viel Aufmerksamkeit schenkte? Die Antwort ist, dass in Cézannes Bildern nicht nur
einfach das „Ins-Werk-Setzen der Wahrheit (qua Unverborgenheit) am Werke ist“
(KaE ), sondern dass in ihnen das Wahrheitsgeschehen auch noch eigens thema-
tisiert wird. Doch wie machen sie dies? Die Antwort auf diese Frage liegt im zweiten
Satz des Zitates. „Im Spätwerk des Malers ist die Zwiefalt von Anwesendem und
Anwesenheit einfältig geworden, „realisiert“ und verwunden zugleich, verwandelt in
eine geheimnisvolle Identität.“ Gemeint ist damit die ontologische Differenz, zwischen
Anwesendem und Anwesenheit, zwischen Seiendem und Sein. Diese Differenz wird
gerade im und durch das Wahrheitsgeschehen verwunden (nicht aufgelöst). Durch
das Wechselspiel von Verborgenheit und Unverborgenheit wird der Unterschied nicht
behoben, sondern in einer „geheimnisvollen Identität“ gedacht.
Mit dem Begriff der ontologischen Differenz sind eine Reihe weiterer wichtiger
Begriffe des Heideggerschen Denkens verbunden. So unter anderem der des Seins-
verständnisses. Unser sowohl praktischer wie auch theoretischer Umgang mit Seien-
dem wird bestimmt durch unser Verständnis des Seins des Seiendem (Seiendheit);
Seubold spricht auch von Seinsauffassung (vgl. KaE ). Das entscheidende ist,
Martin Heidegger: Aus der Erfahrung des Denkens (GA ), S. .
Siehe Abb. .
Heidegger bestätigt dies explizit, vgl. Jahresgabe der Martin-Heidegger-Gesellschaft . Für
die Bereitstellung der schwer zugänglichen Jahresgabe sei an dieser Stelle Prof. Dr. Günter Seubold
gedankt.
. Heideggers Ausflug in die Moderne
dass wir nie nach dem „Ermöglichungsgrund von Seiendem und Seiendheit [. . . ],
[. . . ] nach der „Lichtung des Anwesens“ selbst, [. . . ] nach dem Anwesenlassen“ (KaE
) fragen. Diesen Umstand drückt der Begriff der Seinvergessenheit aus. In der
Seinsvergessenheit bedachte das abendländische Denken, d. h. aus der Sicht Heideg-
gers die Philosophie, bisher nicht den Ursprung der abendländischen Geschichte.
Und ebenso wie diese, so konstituiert sich auch die abendländische Kunst aus der
Zwiefalt von Anwesendem und Anwesenheit. Auch die Kunst ist, so Seubold, der
Seinsvergessenheit anheim gefallen. Sein wurde auch in der Kunst immer als Seiend-
heit verstanden und Seiendes demnach immer schon in einen bestimmten Horizont
gestellt. Mit Cézanne aber rückt nun dieser Horizont selbst, die einfältig gewordene
Zwiefalt, ins Blickfeld. Dies soll mittels zweier Gemälde aus Cézannes Spätwerk ge-
zeigt werden und zwar anhand eines Bildnisses des Gärtners Vallier von (Abb.
) und einem Bild aus dem Montagne-Saint-Victoire-Zyklus von / (Abb. ).
Was Heidegger versäumte, holt Seubold nun nach: die ästhetische Ausweisung der
Aussagen Heideggers am konkreten Kunstwerk.
Seubold stützt sich in seinen Ausführungen auf die Kunsthistoriker Gottfried Boe-
hm und Max Imdahl. Im Mittelpunkt seiner Interpretation stehen die „plans“, die
Farbflecken (vgl. KaE f.). Die beiden Bilder sind genau genommen aus diesen
Farbflecken „aufgebaut“. Sie sind unterschiedlich aufgetragen und die Art und Weise
wie sie zusammenstoßen – zumeist verzahnen, überschneiden oder überlagern sie
sich, bzw. fließen sanft zusammen – erzeugt eine Dynamik im Bildaufbau. „„Für den
Betrachter ergibt sich damit, daß die Begrenzung der plans sich auflöst, daß deren Ränder
vibrieren und fluktuieren, daß Flächen pulsieren und so der Blick von Fläche zu Fläche,
von Farbakkord zu Farbakkord zu wandern gezwungen ist“ (KaE ).“ Und genau auf
diese Dynamik kommt es an. Besonders deutlich wird dies bei dem Bild „Montagne
Sainte-Victoire von Les Lauves aus gesehen“. Die jeweiligen plans setzten sich zu Ge-
genständen zusammen (z.B. zu Bäumen, Felsen, Häuser) und diese zerfallen wieder
in die Farbflecken. „Das ganze Werk wird so von einer zunehmenden Auflösung und
Entstofflichung bestimmt“ (KaE ). Das entscheidende um diese Dynamik „ein-
zufangen“ ist das Gleichgewicht der plans. Wenn einer der plans heraus fällt, weil
dieser Farbfleck sich hervordrängt, dann ist das Gesamtgefüge zerstört, das Bild
misslungen.
Dass es in seinen Bildern gerade um das „Wahrheitsgeschehen“ geht, wird nicht
nur durch die Faktur des Gemäldes, sondern auch von Cézanne selbst bestätigt. In
einem Gespräch mit Joachim Gasquet über den „Realisationsprozess“ (la realisation)
Kapitel Ästhetische Wahrheit
erklärt er:
„Ich nehme rechts, links, hier, dort, überall diese Farbtöne, diese Abstufungen,
ich mache sie fest, ich bringe sie zusammen. – Sie bilden Linien, sie werden
Gegenstände, Felsen, Bäume, ohne daß ich daran denke. Sie nehmen ein Vo-
lumen an, sie haben einen Wirkungswert. Wenn diese Massen, diese Gewichte
auf meiner Leinwand, in meiner Empfindung den Plänen [plans; St.S.], den
Flecken entsprechen, die mit gegeben sind, die wir da vor Augen haben, gut,
meine Leinwand verschränkt die Hände. Sie schwankt nicht. Sie greift nicht
zu hoch und nicht zu tief. Sie ist wahr, sie ist dicht, sie ist voll. – Aber wenn
ich die geringste Ablenkung habe, die leiseste Schwäche fühle, [. . . ] wenn ich
dazwischen komme, dann stürzt alles ein und ist verloren.“
Dies zeigt, dass Cézanne in der Tat mit seiner Malerei in die gleiche Richtung wie
Heidegger gedacht hat. Interessant ist zudem, dass Cézanne in diesem Zusammen-
hang auch von „wahr“ (vgl. Über die Kunst, S. ) und „Wahrheit“ (vgl. a.a.O., S. )
redet.
Für Heidegger ist klar, „was Cézanne la realisation nennt, ist das Erscheinen des
Anwesenden in der Lichtung des Anwesens – so zwar, daß die Zwiefalt beider ver-
wunden ist in der Einfalt des reinen Scheinens seiner Bilder. Für das Denken ist
dies die Frage nach der Überwindung der ontologischen Differenz zwischen Sein und
Seiendem“. Der Ermöglichungsgrund der Gegenständlichkeit kommt für Heidegger
in den Bildern Cézannes zum Vorschein. Durch die dynamische Struktur der plans
werden wir eigens auf „die Entstehung von Seiendem, dessen Gebung, Generierung,
Ereignung“ (KaE ) gestoßen. Doch zu diesem Generierungsprozess gehört immer
auch ein Zerfallsprozess: Die plans verschwinden, wenn sie sich zu Gegenständen
zusammengesetzt haben und die Gegenstände zerfallen, wenn die plans wieder ei-
gens hervortreten, so dass dann wieder Gegenstände mit neuen Grenzen „entstehen“
können.
Paul Cézanne: Über die Kunst. Gespräche mit Gasquet, S. .
Ein möglicher Einwand, dass Heideggers Interpretation des Cezanneschen Spätwerks unter
dem Vorgriff seiner eigenen philosophischen Bemühungen steht, kann so entkräftet werden. Denn
auch wenn Heideggers Äußerungen der Konkretion ermangeln, so geht es doch beiden um dieselbe
Sache: den Ermöglichungsgrund von Gegenständlichkeit. „[. . . ] daß ein Philosoph einen Vorgang
in der Malerei erkennt, den er selbst mit seinem Denken zu erreichen sucht, kann kein Einwand
gegen diese Erkenntnis sein“ (KaE ).
Jahresgabe der Martin-Heidegger-Gesellschaft .
Der Begriff „Zerfallsprozess“ verweist hierbei insbesondere auf die ontologische Verbergung,
nämlich die des Wahrheitsgeschehens. In dem Moment, in dem Seiendes „sichtbar“ wird, tritt
das Wahrheitsgeschehen, welches dies ermöglicht, in den Hintergrund. Zugleich bedeutet aber
. Heideggers Ausflug in die Moderne
„So ist auf bildnerischer Ebene der ursprüngliche Sinn des Gebungs-, und d. h.
Wahrheits- und Seinsgeschehens erfüllt, auf den hinzuweisen Heidegger nicht
müde wird: Wahrheit als Unverborgenheit (ἀ-λήθεια): das Entbergen im Sich-
verbergen. Ereignis ist immer auch Entzug, Ent-eignis“ (KaE ).
die Aufmerksamkeit auf das Wahrheitsgeschehen (Seyn) zu richten ein Verlust des alltäglichen
Seienden. Vgl. hierzu insbesondere die Erfahrung des Nichts in WiM : „Die Angst offenbart
das Nichts. [. . . ] die Angst läßt uns schweben, weil sie das Seiende im Ganzen [Sein; St.S.] zum
Entgleiten bringt. Darin liegt, daß wir selbst – diese seienden Menschen – inmitten des Seienden
uns mitentgleiten. [. . . ]. Nur das reine Da-sein in der Durchschütterung dieses Schwebens, darin
es sich an nichts halten kann, ist noch da.“
Günter Seubold: Heideggers nachgelassene Klee-Notizen (KN), in: Heidegger Studies Vol. , S.
.
Martin Heidegger: Platons Lehre von der Wahrheit (GA ), S. .
Kapitel Ästhetische Wahrheit
so wie die εἴδη das Seiende als Seiendes zeigen, so ist auch das Bild auf das Aussehen
des Seienden ausgerichtet. Ebenso wie die Idee ist auch das Bild ein vorgegebenes
Gegenüber. Ziel und Gegenstand der Kunst ist das erscheinende Seiende. Alle tra-
ditionelle abendländische Kunst bezeichnet Heidegger demnach als metaphysisch,
weil sie dem Seienden verhaftet ist, d. h. bloß auf Gegenstände bezogen bleibt. Dies
gilt im Übrigen letztlich auch für abstrakte Kunst , die zwar ungegenständlich ar-
beitet, d. h. nicht mehr um die Darstellung von Gegenständen bemüht ist, die aber
dennoch auf „Ontisches“ bezogen bleibt, und zwar im Sinne einer abstrakten Nega-
tion der gegenständlichen Kunst. Die Orientierung am Seienden geschieht nun an
Hand des „Elementarmaterials“ Form und Farbe. Demnach bedeute auch moderne
Kunst keine Überwindung der Metaphysik. Diese gewahrte Heidegger in den Wer-
ken Klees und Cezannes, denn diese zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie nicht
allein dem Gegenstand verhaftet bleiben, sondern dass sie den Ermöglichungsgrund
für Gegenständlichkeit überhaupt versuchen aufzuzeigen: das Wahrheitsgeschehen
(Ereignis).
Klee bildet nun insofern eine Ausnahme, als bei ihm neben seinen Werken auch
ausgiebige theoretische Auseinandersetzungen mit der Kunst vorliegen. Der Wandel,
den Heidegger in der Kunst ausmacht, findet seine Entsprechung bei Klee in dem
Begriffspaar Vorbildliches – Urbildliches. Der Wandel der Kunst steckt in der Bewe-
gung „vom Vorbildlichen zum Urbildlichen“. Die beiden Begriffe bedürfen zunächst
einer Erklärung.
Vorbildliches, das meint in den Augen Klees das Sichtbare, die sichtbaren Dinge,
die (sowohl räumlich als auch zeitlich betrachtet) vor einem Bild liegen. Vergangene,
gegenständliche Kunst bildet das Vorbildliche ab. Vorbildliche Kunst ist gegenständ-
liche Kunst. Vorbildlich kann aber auch in einem ursprünglicheren Sinne verstanden
werden, indem sie herausbildet, was vor dem Seienden liegt: sein Wesen, sein εἶδος.
„Denn das Seiende wird erst durch die Kunst, wie es Aristoteles im Anfang
des poetisch-ästhetischen Denkens aufs trefflichste darlegt und Hegel am Ende
aufs nachdrücklichste bestätigt hat, von allem bloß Akzidentellen befreit und
ins Wesen, εἶδος, gesetzt, ins Wesen ,ge-,bild‘-et‘. Das Vorbildliche ist das
Paradigmatische“ (KaE ).
Heidgger stellt diesbezüglich kurz und knapp fest: „Heutige Kunst: Surrealismus=Metaphysik;
abstrakte Kunst=Metaphysik; gegenstandslose Kunst=Metaphysik“ (KN ).
Paul Klee: Über die moderne Kunst (ÜmK), S. .
. Heideggers Ausflug in die Moderne
Diese vorbildliche Kunst, die den Ausgangspunkt des Wandels darstellt, wird so-
wohl von Klee, als auch von Heidegger als überholungsbedürftig aufgefasst, weil sie
auf einer eingeschränkten Sichtweise beruht. „Früher schilderte man Dinge, die auf
der Erde zu sehen waren, die man gerne sah oder gern gesehen hätte. Jetzt wird die
Relativität der sichtbaren Dinge offenbar gemacht und dabei dem Glauben Ausdruck
verliehen, daß das Sichtbare im Verhältnis zum Weltganzen nur isoliertes Beispiel ist
und daß andere Wahrheiten latent in der Überzahl sind“. Sowohl bisherige Kunst
als auch bisherige Philosophie richtet sich nach dem Seienden, im bildnerischen Er-
fassen der Wahrheit des Seienden bleiben beide dem Seienden verhaftet.
Seubold deckt im Wandel vom Vorbildlichen zum Urbildlichen einige Analogien
zwischen dem Denken Heideggers und Klees „ästhetischer Theorie“ auf. Die Kri-
tik Klees an dem Vorbildlichen setzt Seubold in Vergleich zur Seinsvergessenheit.
Die Fixierung auf das Seiende lässt das das Seiende ermöglichende Grundgefüge
in Vergessenheit geraten. Und ebenso wie Heidegger die Seinsvergessenheit durch
Destruktion, d. h. durch das Aufbrechen und Abbauen der „angehäufte[n], die ur-
sprüngliche Seinserfahrung verdeckende[n] geschichtliche[n] Interpretationen“ (KaE
) überwinden will, so spricht auch Klee von einer „deformatorische[n] Notwendig-
keit“ (ÜmK ), von der „ ,Deformation‘ der natürlichen Erscheinungsform“ (ÜmK
).
Das Urbildliche ist dem entgegen das das Seiende ermöglichende Grundgefüge, die
„formenden Kräfte“ (ÜmK ), durch die die sichtbaren, die seienden Dinge, „Form-
Enden“ (ebd.), erst sind. „Die formenden Kräfte generieren das Seiende“ (KaE ).
Klee zielt sowohl in seine Kunstwerken, als auch in seinen theoretischen Schriften
auf die „Dimension des Gegenständlichen“. Zu dieser Schlussfolgerung kommt Hei-
degger, wenn er feststellt, dass in Klees Werken überhaupt „nichts Anwesendes“,
„kein Gegenstand“ dargestellt wird (vgl. KN ). Die Aufgabe zukünftiger Kunst
ist nach Klee jenen Ermöglich-ungsgrund, das Unsichtbare sichtbar zu machen und
nicht länger Sichtbares wiederzugeben (vgl. KaE ). Auch hier sind die Parallelen
zu Heidegger unübersehbar: Jenem Umstand in der Kunst, das „geheim Erschaute“
(ÜmK ) in eine Gestalt zu bringen, entspricht dem Umstand im Denken, mit und
durch die Mittel des Denkens (Begriffe) das Wahrheitsgeschehen zu erfassen. Hei-
Paul Klee: Schöpferische Konfession (SchöKo), in: Ders.: Das bildnerische Denken, S. f.
Dieses Zitat gehört auch zu jenen Exzerpten, die Heidegger gesammelt hat (vgl. KN ).
ÜmK . Vgl. hierzu die Begriffe „das Offene“ (bzw. Offenheit des Offenen) und „Distinkti-
onsdimension“ (s. Abschnitt ..), beide Begriffe bezeichnen dasselbe wie „Dimension des Gegen-
ständlichen“.
Kapitel Ästhetische Wahrheit
degger betrachtet Klee als den Kronzeugen für seine Vermutung, dass auch in der
Kunst eine Kehre zum „Ereignis“ stattgefunden hat, ein Wandel vom Anwesenden
zum Anwesen-lassen, ein Wandel von der Kunst zur Kunst . ><
Das, was Klee als „das geheim Erschaute sichtbar machen", d. h. „es mit den
passenden bildnerischen Mitteln restlos zur Gestaltung verbinden"(vgl. ÜmK )
bezeichnet, versucht Heidegger in den Begriffen „Her-vor-bringen“ und „Bildsamkeit
von Welt“ zu erfassen. Im Prozess des Her-vor-bringens wird etwas „her“ aus der
Verborgenheit „vor“ in die Unverborgenheit gebracht. Das nun Unverborgene hält
aber seinen Bezug zur Verborgenheit aufrecht. „Ding und Welt werden nicht als
gebildete – als faktische – gezeigt, sondern die Bildsamkeit selbst wird – im Wechsel-
spiel von Verborgenheit und Unverborgenheit – ins Werk zu setzen versucht“ (KaE
).
Die Zwischenstellung, die Klee Heidegger nach zwischen gegenständlicher und ge-
genstandsloser Kunst einnimmt, zeigt sich an dem besonderen Bezug der Kleeschen
Werke zum Gegenständlichen: „In diesem „Hervorbringen . . . müssen die Gegenstän-
de nicht verschwinden, sondern als solche zurücktreten in ein Welten, das aus dem
Ereignis zu denken“ ist. Dies sah Heidegger besonders bei den Bildern „Der Gott
des nördlichen Waldes“ () und „Heilige, aus einem Fenster“ () bestätigt. Er
notiert unter den Werktiteln: „Je weniger gegenständlich gedeutet – um so erschei-
nender; bringt die ganze Welt mit sich“ (KN ). Diesem Zustand des Schwebens sind
wir streng genommen auch schon in Heideggers Fundamentalontologie begegnet, als
es um die Seinsweisen des Daseins ging.
In den Bildern Klees, die einem „Zwischenreich“ (ÜmK ) angehören, wird jene
„Sphäre des Schwebens, des Übergangs und der Verwandlung“ (KaE ) in den Blick
gebracht. „ ,Zwischen-Reich‘ wäre demnach die Dimension des Ereignens und des An-
wesenlassens, des ,Her-vor-bringens‘ “ (KaE ). Während sich das Hervorbringen
im Denken nur durch dessen Mittel (nämlich Begriffe) vollziehen kann, vollzieht sich
In seinem Versuch nicht beim Sein des Seienden stehen zu bleiben, schreibt Heidegger „Sein“
><
später in der Form „Sein “. Analog zu dieser Wendung schreibt Heidegger „Kunst“ ebenfalls in
><
der Form „Kunst “ (vgl. KN ).
Der Begriff des Hervorbringens begegnete uns in dieser Bedeutung bereits in UdK (s. oben S.
). Doch während in UdK noch sowohl die Kunst, als auch das Handwerk her-vor-brachten, ist
das Her-vor-bringen in den Klee-Notizen auf die Kunst eingeschränkt – es ist ihr elementarer Zug.
Vgl. den ebenfalls von Heidegger gebrauchten Ausdruck „Un-Verborgenheit“.
KN . Die Punkte befinden sich bereits im zitierten Text. Zur Rolle der zurücktretenden
Gegenstände vgl. Abschnitt ...
Siehe Abb. . und Abb. .
Vgl. hierzu auch die Erfahrung der Angst sowohl in SuZ § als auch in WiM.
. Heideggers Ausflug in die Moderne
das Hervorbringen im bildnerischen Medium sinnlich – über das Sehen. Der Begriff
des Sehens meint hier freilich mehr als das naive „bloße“ Ansehen von etwas. Hei-
degger bedient sich in seiner Analyse kantischer Terminologie. „Sehen: (sinnliches)
Empfinden/(gegenständliches) Wahrnehmung“ (zitiert nach KaE ). Ein den Ar-
beiten Klees adäquates Sehen bezieht beide Momente mit ein. Das „Sehen“ muss
sich „zwischen einem auf Sinnesdaten ausgerichteten sinnlichen Empfinden und ei-
nem gegenstandsklassifizierenden Wahrnehmen [bewegen; St.S.]. Es darf keinesfalls
bei einem Aspekt des Sehens stehenbleiben“ (KaE ). Das, was Heidegger als das
Wechselspiel zwischen den beiden Modi des Sehens beschreibt, erfasst Klee im Begriff
der Bewegung. „Das bildnerische Werk entstand aus der Bewegung, ist selber festge-
legte Bewegung und wird aufgenommen in der Bewegung (Augenmuskeln)“ (SchöKo
). Bewegung tritt also sowohl in der Produktion, als auch in der Rezeption auf.
Und diese Bewegung darf, wie schon in UdK an Hand des Urstreites zwischen Welt
und Erde beschrieben, niemals abbrechen – motus in perpetuum. Heidegger notiert:
„Die Freiheit der Beweglichkeit der un-endlichen ,Genesis‘.“
Die Bewegung beschränkt sich aber in der Rezeption nicht auf die beiden Momen-
te des Sehens. Klee unterscheidet mehrere Dimensionen an einem Bild (vgl. ÜmK
ff.). So etwa die „psychisch-physiognomische Dimension“ (ÜmK ), die „Dimensi-
on der bildnerischen Elementarmittel“ (ÜmK ), die „Dimension des Inhaltes (ebd.)
oder die des Stils (vgl. ÜmK ). Zwischen diesen Dimensionen hin und her zu-
wandern verstand Heidegger als angemessenes „Sehen“, d. h. rezipieren der Werke
Klees. Indizien hierfür finden sich in den Klee-Notizen. Heidegger fragt: „Wenn man
den ,Bild‘ charakter auslöscht – was zu ,sehen‘ –“ (KN ). Konkret hat Heidegger
den Wechsel zwischen den beschriebenen Dimensionen am Bild „Heilige, aus einem
Fenster“ nachvollzogen, und zwar durch teilweises Abdecken des Bildes (vgl. KaE
).
Wie sich hier zeigt, lässt sich Heidegger in direkter Auseinandersetzung mit den
Bildern Klees (zumindest zaghaft) auf ästhetische Kriterien ein. Und es fällt auf,
so Seubold, dass Heidegger sich gerade die Titel von Werken aus dem Gesamtwerk
Klees notiert hat, in denen dieses Moment des Entstehens und Sich-Bildens beson-
ders hervor tritt. „Wohl in diesem Zusammenhang des Ent-stehens – und nicht als
KN . Vgl. hierzu ÜmK , und SchöKo .
Die hier genanten Dimensionen spielen natürlich auch in der Produktion eines Werkes ent-
scheidende Rollen. Nur ist zu bezweifeln, dass der Künstler im Schaffensprozess immer auf die
einzelnen Dimensionen eingeht, bzw. sie sich klar macht. Das Aufdecken dieser obliegt vielmehr
der anschließenden Rezeption.
Kapitel Ästhetische Wahrheit
Selbstzweck – war Heidegger dann auch das spezifisch „Gemachte“ der Werke inter-
essant: Er notiert immer wieder den Malgrund, die Art der Farben und die Farbtöne;
auch stellt er Beziehungen zwischen den einzelnen Gemälden her und fertigte Skizzen
über den formalen Aufbau der Werke an“ (KaE ).
Weil in den Werken Klees die Gestaltung der unendlichen Bewegung im Vorder-
grund steht, erweist sich nicht länger der Raum, sondern die Zeit als wesenskonstitu-
tiv für das Her-vor-bringen. „Bilder“, um genau zu sein, „metaphysische“, letztlich
auf Seiendes bezogene Bilder (ob nun positiv, d. h. gegenständliche oder negativ,
d. h. gegenstandslose) versteht Heidegger als ein „vorgegebenes Gegenüber“, sie sind
„fertig“ – vor jeder Rezeption bereits konstituiert. Klees „Bilder“ hingegen sind in
ihrer Konstitution auf den Betrachter angewiesen. Die Rezeption ist ein Spiel, das
beide Spieler braucht, da es sonst überhaupt nicht gespielt werden könnte. Die Be-
ziehung, die zwischen Kunstwerk und Betrachter besteht, Heidegger verwendet zur
Hervorhebung dieser Beziehung die Zeichen „→|←“ oder „⇄“ (vgl. KN ), steht
für Heidegger in Verbindung mit dem zentralen Begriff seiner Spätphilosophie, dem
Ereignis.
Der Gedanke, dass Mensch und Wahrheit i.S. von W1 wesenhaft zusammengehö-
ren, hält sich im Denken Heideggers seit SuZ durch – Mensch und Ereignis (Wahr-
heitsgeschehen, transkategoriale Bedingung) sind nicht von einander zu trennen. Um
die Parallelität zum Ereignis zu betonen, nennt Heidegger die Rezeption Erblickung.
„Wie sich im Ereignis das Sein mit seinen Sinnbezügen zuschickt [. . . ], so wird in
der Erblickung ein Sinngehalt manifest, erst in dieser konstituiert – und nicht vom
Betrachter etwas schon Vorgegebenes bloß nachvollzogen“ (KaE ). Ein weitere
Name für dieses „Sinn-Geschehen“ ist An-Blick. An-Blick bezeichnet die Interaktion
zwischen dem Betrachter und dem Bild – der Betrachter blickt das Bild an und das
Bild den Betrachter.
In der Zuspitzung dieses Geschehens geht Heidegger sogar soweit, dass er den
Bildbegriff verabschiedet. „Bilder“ versteht Heidegger nunmehr (lediglich) „im Sinne
des metaphysischen ,εἶδος‘: im ,Aussehen‘ dargestelltes ,Seiendes‘ “ (KaE ). Klees
Werke betrachtet Heidegger daher nicht länger als Bilder, sondern als Zustände. Für
„Bilder“ ist „die Beziehung von Betrachter und Dargestelltem nicht konstitutiv [. . . ],
Vgl. SchöKo : „Bewegung liegt allem Werden zugrunde. In Lessings Laokoon, an dem wir
einmal jugendliche Denkversuche verzettelten, wird viel Wesens aus dem Unterschied von zeitlicher
zu räumlicher Kunst gemacht. Und bei genauerem Zusehen ist’s doch nur gelehrter Wahn. Denn
auch der Raum ist ein zeitlicher Begriff. Wenn ein Punkt Bewegung und Linie wird, so erfordert das
Zeit. Ebenso, wenn sich eine Linie zur Fläche verschiebt. Desgleichen die Bewegung von Flächen zu
Räumen. [. . . ] Also, Spielraum: Zeit. Charakter: Bewegung. Zeitlos ist nur der an sich tote Punkt.“
. Heideggers Ausflug in die Moderne
sondern nur akzidentell“ (ebd.), für die Gemälde Klees hingegen ist sie konstitutiv.
Der Begriff „Zustand“ deutet an, dass die bisherigen Grenzen eines Bildes – wie die
von Produkt und Rezipient – aufgehoben sind. Das Bild als Zustand besitzt eine
unendliche Plastizität, „eine zu lesende Textur, die reich an Lese-Möglichkeiten ist,
die vom Betrachter zu aktualisieren sind – und je neu aktualisiert werden können“
(ebd.). Daher ist für Heidegger in Bezug auf die nicht-metaphysische Kunst „die
Freiheit der Beweglichkeit der un-endlichen Genesis“ (KN ) maßgebend. Genesis
(bzw. Generierung) meint hier Aktualisierung von Sinn-Zusammenhängen – einen
eindeutigen Bild-Sinn gibt es nicht mehr. In diesem Zusammenhang entfalten sich
nun auch die angesprochenen Dimensionen (s. oben S. ), denn die un-endliche
Genesis vermag der Betrachter nur, wenn es dem Künstler gelungen ist die „mehrdi-
mensionale Gleichzeitigkeit“ (SchöKo ) in eine Gestalt zu bringen, in die Gestalt
eines „simultanen mehrdimensionalen Phänomens“ (ebd.). „Und wenn es uns bei
mehr und mehr Dimensionen immer schwerer fallen mag, uns die verschiedenen Tei-
le dieses Gefüges gleichzeitig zu vergegenwärtigen, so heißt es, sehr viel Geduld zu
haben“ (ebd.).
„Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar“ (SchöKo ).
Was? Das alles Sichtbare (Seiende) fundierende Unsichtbare, das „Ur-bildliche“. Doch
was heißt hier sichtbar machen? Das „Ur-bildliche“ selbst ist kein Sichtbares (Seien-
des). Sichtbarmachen kann daher nur nachvollziehen des Wahrheitsgeschehens, der
„formenden Kräfte“ bedeuten.
Und doch sind die formenden Kräfte auf das bildnerische Medium angewiesen. Wir
brauchen etwas, an dem sich unser Geist abarbeiten kann. Die sinnliche Komponente
Adorno drückt es so aus: wenn ein Kunstwerk in seiner Interpretation (bzw. in einer endliche
Anzahl von Interpretationen) aufgeht, dann ist es nicht gelungen (vgl. Theodor W. Adorno: Äs-
thetische Theorie, S. ), und d. h. im Sinne Heideggers metaphysisch. Ob dieser neu gewonnene
„Bildbegriff“ lediglich auf Klee, Cézanne und in den Augen Heideggers auch auf ostasiatische Kunst
anwendbar ist, kann bezweifelt werden, doch wäre zur Untermauerung dieses Zweifels eine Betrach-
tung weiterer moderner Bilder unter Berücksichtigung ihrer ästhetischen Kriterien notwendig.
Selbst das Seyn (verstanden als transzendentale Bedingung) zeigt sich erst im und durch das
Sein des Seienden. In der Konstitution der Gegenstände, und nichts anderes bedeutet „das Seyn
gibt“, ist das, was konstituiert auf etwas zu konstituierendes angewiesen – Bedingung und Bedingtes
sind untrennbar.
Kapitel Ästhetische Wahrheit
Wenn man jetzt die beiden Kunstauffassung Heideggers, UdK und die späten
kunstphilosophischen Fragmente vergleicht, so fällt auf, dass sein Blick von An-
fang an auf das Wahrheitsgeschehen im Kunstwerk gerichtet war. Heidegger ging es
auch in UdK um etwas Ursprünglicheres als Kunst. Der Wandel im Denken Heideg-
gers in Sachen Kunst, den Seubold immer wieder betont, verläuft viel subtiler als von
ihm dargestellt. Sowohl in UdK als auch in den Fragmenten spielt das Wahrheitsge-
schehen eine zentrale Rolle. Seubold weist in seiner Interpretation des Vorbildlichen
selbst darauf hin, dass die Kunst (in UdK) als Ins-Werk-Setzen der Wahrheit des
Seienden das Seiende im Ganzen (Vgl. KaE ), d. h. Sein, und d. h. auch das
Seinsgeschehen, jene Dynamik, die nicht nur Geschichte vor-bildet, sondern jegliche
Bezüge überhaupt, innerhalb derer wir uns tagtäglich bewegen, eröffnet. Ging es
darum nicht auch in den Fragmenten? Was ist nun genau der Unterschied zwischen
UdK und den Fragmenten?
Zunächst ist zu sagen, dass das Bild der Kunst, von dem Heidegger sich in den
Fragmenten absetzen will, ein anderes ist als das, welches er in UdK gezeichnet hat.
In den Fragmenten setzt sich Heidegger gegen eine gegenständliche, metaphysische
Kunst ab. In UdK beschreibt er aber die Kunst als „die schaffende Bewahrung der
Wahrheit im Werk“ und er schreibt weiter: „Dann ist die Kunst ein Werden und
Geschehen der Wahrheit“ (UdK ).
Der subtile Unterschied zwischen UdK und den Fragmenten besteht darin, dass
in UdK die Kunst ihre Existenz zwar dem Wahrheitsgeschehen verdankt, sie es
aber nicht thematisiert, Kunst selbst bringt es nicht eigens zur Sprache, hebt je-
nes Geschehen nicht hervor. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen Hei-
deggers Kunstverständnis in UdK und in den Fragmenten. Weiterhin wird das
Im weiteren Verlauf fasse ich Heideggers Notizen und Äußerungen zu Cézanne und Klee zu
den „Fragmenten“ zusammen.
In UdK will sich Heidegger vielmehr von einer gegenständlichen Ästhetik absetzten, von einer
dem Wesen des Kunstwerks nicht gemäßen Auseinandersetzung (vgl. UdK ).
Wenngleich man sagen muss, dass das Wechselspiel zwischen Welt und Erde eine Widerspie-
gelung des die Kunst ermöglichenden Wahrheitsgeschehens ist. Und Heidegger selbst bringt UdK
in die Nähe der Fragmente, wenn er in seinem Handexemplar des Kunstwerkaufsatzes oft an den
. Heideggers Ausflug in die Moderne
Wahrheitsgeschehen im Kunstwerk nicht mehr über die Begriffe Welt und Erde
zu erfassen gesucht, stattdessen bedient er sich des Begriffpaares Gebung und Ent-
zug. Seubold spricht auch, wie schon bei den Cézanneinterpretationen von einer
„Ereignis-Enteignis-Struktur“ (vgl. KaE ). Und beschreibt Heidegger nicht jene
Sinn-potentiale, von den Seubold spricht, wenn er anhand des Bildes von van Gogh
die Bezüge der Bewandtnisganzheit beschreibt?
Im Vergleich zwischen UdK und den Fragmenten zeigt sich, dass der Wandel
sich keineswegs so radikal vollzieht, wie Seubold es darstellt. Dass Seubold den
Wandel dennoch so betont, liegt zum einen daran, dass er sich (zu Recht) dagegen
wehrt, dass Heideggers Kunstphilosophie auf den Kunstwerkaufsatz eingeschränkt
wird und zum anderen, dass Heideggers eigene selbstkritische Notizen den Wandel
hervorheben (vgl. KaE ).
Stellen, an denen vom (Wahrheits-)Geschehen, bzw. vom „Gelichteten“, bzw. von Welt die Rede
ist, „Ereignis“ notiert (vgl. die Anmerkungen auf den Seiten UdK , , , , -).
Es gibt vielmehr sogar Versuche beide einander anzunähern. Siegbert Peetz beispielsweise hat
in seinem Aufsatz „Welt und Erde. Heidegger und Paul Klee“ eine Brücke zwischen dem Kunst-
werkaufsatz und den Werken Klees schlagen können.
Kapitel
Resümee
Zum Schluss möchte ich noch ein letztes Mal auf Tugendhats Kritik an Heideggers
Wahrheitstheorie eingehen, um so Heideggers Absicht in Bezug auf seinen Wahr-
heitsbegriff deutlicher hervorzuheben.
Das vorrangigste Kriterium von dem sich Tugendhat in seiner Interpretation der
Wahrheitstheorie Heideggers leiten lässt, ist das Wahrheitsinteresse, das Interesse
am spezifischen Wahrheitsbegriff, dem Telos des reinen Erkennens.
Das Wahrheitsinteresse ist hierbei in zwei Hinsichten zu verstehen. Zu-nächst
in theoretischer Hinsicht, in dieser ist es auf innerweltliches Seiendes bezogen. Das
Wahrheitsinteresse manifestiert sich dabei in (wissenschaftlichen) Aussagen, die ver-
suchen Seiendes „aufzudecken“, d. h. es so zu erfassen wie es selbst ist. Gerade hierfür
begrüßt Tugendhat Heideggers Wahrheitstheorie, denn er stellt sich Aussagenwahr-
hit als eine Annäherung an die Sache selbst vor, ausgehend von der Erschlossenheit
des Daseins.
„Wenn aber schon die Wahrheit der Aussage in dieser Weise dynamisch als
,Entbergen der Sache selbst‘ verstanden wird, dann läßt sich jetzt auch ein pro-
gressives Entbergen der Sache selbst, im Sinne einer Schrittweisen Annäherung
an die Wahrheit [aus Tugendhats Sicht i.S. von W2 ; St.S.], als Wahrheitsbezug
denken“ (WHH ).
Dieses Modell des Wahrheitsbezuges ist aber, das sei hier betont, der Interpretation
Tugendhats geschuldet.
Neben der theoretischen gibt es auch noch eine praktische Hinsicht des Wahr-
heitsinteresses. Diese betrifft den Modus der Eigentlichkeit, und der damit verbun-
denen Entschlossenheit. In praktischer Hinsicht stellt sich die Frage nach dem wahren
Zur sowohl theoretischen wie auch praktischen Bedeutung des Wahrheitsinteresses vgl. WHH
f., , , f. und insbesondere ff.
Seiendes muss dabei nicht Gegenstände meinen, sondern kann auch Sachverhalte bedeuten.
Kapitel Resümee
Selbst, die Frage nach der Verantwortlichkeit. Hierbei spielt das Verfallen eine be-
sondere Rolle, denn aufgrund dieser Seinsweise des Daseins, hat der Mensch immer
auch ein Interesse an der Unwahrheit (vgl. WHH ff.). Das Wahrheitsinteresse in
praktischer Hinsicht manifestiert sich in der Frage: „Was für ein „Motiv“ kann das
Dasein haben, sich in seiner Verantwortlichkeit zu übernehmen?“ (WHH )
Der Begriff des Wahrheitshinteresses ist eine Interpretation Tugendhats der von
Heidegger aufgewiesenen Orientierung des Menschen (Dasein) am Seienden. Das
apophantische Als, so vermutet Tugendhat, ergibt sich durch eine Ausrichtung auf
Wahrheit (hier i.S. von W2 ). Und ist es nicht so, fragt Tugendhat, dass „der ,Um-
schlag‘ von der Erschließungsweise des Seienden als Zuhandenen zu der als Vor-
handenen überhaupt aus dem Wahrheitshinteresse verstanden werden muß?“ (WHH
) Dass dem spezifischen Wahrheitsbegriff bei Tugendhat eine solche Bedeutung
zukommt, ist seiner Heideggerinterpretation geschuldet.
Wir sahen in .., dass Tugendhat Heideggers Äußerungen zu den ontologischen
Fundamenten der Aussagenwahrheit für Äußerungen über die Aussagenwahrheit sel-
ber hält. Weil dadurch aber aus Tugendhats Sicht der Wahrheitsbegriff i.S. von W2
verloren geht und Heidegger nur noch den weiteren Wahrheitsbegriff W1 hat, sucht
Tugendhat ein Kriterium, wonach sich die nun im weiteren Sinne verstandene Wahr-
heit einer Aussage bemisst. Dieses Kriterium interessiert Heidegger aber nicht, und
zwar zum einen weil er den Wahrheitsbegriff Husserls beibehält, zumindest in Be-
zug auf die Aussagenwahrheit, und zum anderen, weil Heidegger sich vielmehr die
Frage stellt, warum eine Aussage wahr sein kann, also nach den Bedingungen der
Möglichkeit für Aussagenwahrheit fragt und nicht wie sie sich faktisch vollzieht. Da
Tugendhat dieses aber in seiner Interpretation nicht bedenkt, bedeutet aus seiner
Sicht der Verlust von W2 bei Heidegger zugleich ein Ignorieren des Wahrheitsin-
teresses des Menschen, welches wiederum zur „Preisgabe der Idee der kritischen
Ausweisung“ führt (vgl. WHH ).
In den Werken Tugendhats ab scheinen diese allerdings dafür der Verselbst-
ständigung des Wahrheitsinteresses zum Opfer gefallen zu sein. Dies drückt sich be-
sonders in Tugendhats Fixierung auf das Satzverstehen aus. Wo diese zum Tragen
kommt, sind seine Aufsätze zu Heideggers Seinsfrage und zur Seinsfrage überhaupt.
Das Resümee, das er zieht, ist, dass die Frage nach dem Sein sich als sinnlos erweist.
Weder besitzt sie einen Sonderstatus, noch kann sie überhaupt einheitlich gestellt
Vgl. WHH . Tugendhat verweist in diesem Zusammenhang auf SuZ .
werden.
Man meint, Tugendhat fällt oftmals sogar wieder hinter Kant zurück, denn, dass
das Sein des Seienden als ein Konstitutionsprozess von Gegenständen, genauer gesagt
von Sinnbezügen, in denen wir uns immer schon bewegen, verstanden werden könnte,
kommt ihm zu keinem Moment seiner Untersuchungen in den Sinn. Wie auch, wenn
er den deutschen Idealismus für eine „Zeit logischer Barbarei“ erklärt (vgl. PhA
f.). Aus der Sicht Tugendhats bedeutet Heidegger transzendentalphilosophisch zu
interpretieren, den Teufel mit dem Belzebub auszutreiben. Dabei findet Tugendhat
es nicht seltsam, dass er zu ähnlichen, wenn nicht sogar gleichen Ergebnissen kommt
wie Kant (vgl. hierzu WdD f.) oder Schelling.
Umso bemerkenswerter ist es, dass Tugendhat in seinen beiden letzten Büchern
„Egozentrizität und Mystik“ und „Anthropologie statt Metaphysik“ in erstaunliche
Nähe zu Heidegger rückt.
„Religion und Mystik sind Formen des Gesammeltseins mit Bezug auf das
Wie des Lebens. [. . . ] Man denke an einen orthodoxen Juden, der bei allem,
was er tut, mit dem dafür vorgeschriebenen Segensspruch Gott preist, und
an einen japanischen Zen-Buddhisten, der alles, was er tut, so tut, daß er
es als transparent auf die ,Leere‘ hin sieht. In beiden Fällen ist die Person
offensichtlich gesammelt, und das nicht neben, sondern in ihren mannigfaltigen
Tätigkeiten.“
Was hier Tugendhat mit „Gesammeltsein auf das Leere hin“ bezeichnet, ist exakt
das, was wir in Anlehnung an Heidegger, als die philosophische (d. h. ontologiebe-
treibende) Grundhaltung des Philosophen gekennzeichnet haben (vgl. oben S.
und ), das Seinlassen des Seienden; um so zu den das Seiende erst ermöglichenden
Grundbedingungen (ontologische Fundamente) vorzustoßen.
Vgl. Ernst Tugendhat: Die Seinsfrage und ihre sprachliche Grundlage, in: Ders.: Philosophische
Aufsätze (PhA), S. und Ders.: Heideggers Seinsfrage, in: Ders.: a.a.O., S. f.
Vgl. WdD, S. f. Gerade der Begriff der Emphase verweist, so Hogrebe, über die Performanz
auf unser „szenisches Verstehen“. Dieses wiederum ist nichts anderes als das, was Heidegger im
Begriff der Existenz, insbes. im Begriff der Erschlossenheit des Daseins (vgl. Abschnitt ..),
gedacht hat.
Ernst Tugendhat: Egozentrizität und Mystik, S. . Dies hier ist zwar nur ein exemplarischer
Beleg, tatsächlich ließe sich aber eine ganze Reihe von Belegen zusammenstellen, vgl. Kapitel
und , insbes. Anmerkung auf S. . An angegebener Stelle verweist Tugendhat selbst auf seine
Nähe zu Heidegger. Vgl. auch Ernst Tugendhat: Anthropologie statt Metaphysik Kapitel , ,
und insbes. .
Die Leere verweist auf die Erfahrung des Nichts in der Angst (vgl. WiM). Von hier aus wird
nun auch verständlich, warum Tugendhat in seinem Aufsatz „Das Sein und das Nichts“ (vgl. PhA
-) Schwierigkeiten mit dem Nichts hatte. Dieses entzieht sich einer rein sprachanalytischen
Kapitel Resümee
hand der Aussage (.), die spätestens seit Aristoteles als klassischer Gegenstand
von Wahrheitstheorien fungiert und zum anderen anhand der Sprache selbst als ein
ontologisches Phänomen (.).
Als letztes haben wir in Kapitel einen ästhetischen Ansatz in Heideggers Wahr-
heitsuntersuchungen unterschieden. Bei diesem fungiert die Kunst als ein ontologi-
sches Phänomen, an dem das Wahrheitsgeschehen ausgewiesen werden soll. Dazu
betrachtet Heidegger zunächst das Kunstwerk in seinem Werkcharakter (.) und
später dann unter dem Aspekt, inwiefern es dieses Wahrheitsgeschehen selbst the-
matisiert (.).
Alle drei Ansätze, so unterschiedlich sie in der Herangehensweise sein mögen, ha-
ben doch denselben Gegenstand: das konstitutive Wahrheitsgeschehen, das Sein als
Nachfolger der transzendentalen Synthesis. In Termini des Denkens ausgedrückt,
handelt es sich um die apriorische Distinktionsdimension, vergleichbar mit Sellars
space of reasons. Für Heidegger stellen die sprachlichen und ästhetischen Phäno-
mene somit nur verschiedene Erscheinungsweisen dieser ontologischen Struktur da.
Nun könnte man zu Recht kritisieren, dass Heidegger bei der Reduktion dieser
Phänomene auf eine einheitliche ontologische Struktur das Spezifische jener Phäno-
mene aus dem Blick verliert. Andererseits zeigt sich hier, dass Heidegger eben nicht
Sprachphilosophie oder Ästhetik betreiben möchte, sondern Ontologie (im weitesten
Sinne).
Wenn es stimmt, was Heidegger in seiner Vorlesung „Was heißt denken?“ sagt,
und jeder Denker nur einen einzigen Gedanken denkt , dann ist es im Falle Heideg-
gers folgender: Der Mensch ist das Medium des Seyns. Es steht nicht unter seiner
Herrschaft, ist nicht vom Menschen gemacht, und doch von ihm abhängig. Auf der
anderen Seite bedarf der Mensch des Seyns, des „Denkraums“, jener konstituieren-
der Bedingungen, die ihm Seiendes „geben“ und Gegenständlichkeit überhaupt erst
ermöglicht. Damit ist letztlich der Mensch der Ort der transzendental-ontologischen
Wahrheit – der Wahrheit des Seins.
Vgl. Winfried Sellars: Empiricism and the Philosophy of Mind.
Vgl. Martin Heidegger: Was heißt Denken? (GA ), S. .
Siglenverzeichnis
Das Siglenverzeichnis umfasst sowohl Werke von Heidegger als auch Sekundärlitera-
tur und ist alphabetisch nach Titel geordnet.
Abbildungen
Abbildung : Vincent van Gogh, Ein Paar Schuhe Paris, zweites Halbjahr , Öl auf
Leinwand, , x cm; Amsterdam, Van Gogh Museum (Vincent van Gogh Stiftung)
(In „The complete Van Gogh“ von Jan Hulsker die Nr. )
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung : Paul Cézanne, Portrait des Vallier , Öl auf Leinwand, x cm;
Privatbesitz, Venturi Nr.
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung : Paul Cézanne, Montagne Sainte-Victoire von Les Lauves aus gesehen;
-, Öl auf Leinwand, x . cm; Privatbesitz, Schweiz, Venturi Nr.
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung : Paul Klee, Heilige, aus einem Fenster , (X ) Aquarell, Rötel
und Kreide auf Papier auf Karton . x . cm
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abbildung : Paul Klee, Der Gott des nördlichen Waldes; , , Ölfarbe und Feder
auf Leinwand auf Karton . x . cm
Literatur
Quellentexte
Heidegger, Martin: Gesamtausgabe (GA), Frankfurt am Main -
Heidegger, Martin: Sein und Zeit, Tübingen
Tugendhat, Ernst: Der Wahrheitsbegriff bei Husserl und Heidegger, Berlin
Forschungsliteratur
Adorno, Theodor W.: Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main
Allison, Henry E.: Kant’s transzendental idealism. An interpretation and defense,
New Haven und London
Biemel, Walter: Heidegger, Reinbek bei Hamburg (Rowohlt Bildmonogra-
phie)
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