Das MagAZIN für persönliche Entwicklung, Kreativität & mehr ruhe

2
SOMMER-
POSTER &
DIY-KNALL-
BONBON

Viele Menschen versäumen das kleine Glück,

während sie auf das große vergebens warten.
PEARL S. BUCK

Es sind die kleinen Dinge …

VOM GLÜCK DER

GENÜGSAMKEIT
MIT EINEM

SOMMER-MOTTO
VERÄNDERUNGEN
ANSTOSSEN
BENELUX € 8,80 • E, I € 9,90
75

So schön: neue
€ 7,50
A € 8,60 • CH SFR 12,00
507501

Freundinnen
kennenlernen
NUMMER 75 – D
198633

EXTRA: GUTE-
LAUNE-POSTER
4
 Diese Flow gehört:
FOTO STOCKSY
 Das Beste rund um
LIVING, BEAUTY
und FASHION

von Dir inspiriert

COUCHstyle.de
 DEN SOMMER
GENIESSEN
Unbeschwertheit. Das ist unser Wort für den
Sommer. Es steht für weniger denken, leichten
Herzens sein, das Leben spielerischer sehen,
sich treiben lassen und an dem freuen, was ist.
Ein schöner Plan. Und auch einer, von dem wir
jetzt schon wissen, dass die Umsetzung nicht
ganz leicht wird. Das Verrückte ist ja, dass alle
denken: Wir müssten das doch können, unser
Leben so organisieren, wie wir es in Flow
beschreiben – also mit weniger Sorgen, mehr
10 Jahre Flow Loslassen, weniger Druck, mehr Akzeptanz –,
in Deutschland
- das feiern
mit anderen Worten: mehr mit dem Flow gehen.
Aber ehrlich gesagt schaffen auch wir das viel zu
wir in jedem selten. Viel zu oft sind unsere Tage hektisch und
Heft mit neuen durchgetaktet, die To-do-Listen scheinen endlos,
Überraschungen. genau wie die Grübelschleifen im Kopf.
Dieses Mal ist
FOTO NELE MARTENSEN
Doch dieser Sommer wird gut werden, da sind
wir optimistisch! Im Artikel der Journalistin
Nienke Pleysier ab Seite 30 kannst du lesen,
dass die Wahl eines Motto-Wortes dir helfen
kann, deinen Träumen und Wünschen eine Rich-
tung zu geben. Das führt dazu, dass du bewusst
und unbewusst andere Entscheidungen triffst.
Das ist genau der Grund, warum Unbeschwert-
heit im Moment ein sehr gutes Wort für uns ist.
Damit schaffen wir es vielleicht öfter, fünfe gerade
sein zu lassen und die Sonne zu genießen, egal,
wie viel Arbeit auf uns wartet. Verabreden uns mit
Freundinnen statt zum Essen zum Trash-Bingo
oder Massenkaraoke, weil gemeinsam spielen
und singen so viel Spaß machen kann, und wer
weiß, was noch dabei herauskommt, wenn man
einfach mal etwas Neues ausprobiert. Und wenn
es nicht lustig wird, auch egal – wir sind danach
auf jeden Fall um eine gemeinsame Erfahrung
reicher. Wir sind zuversichtlich: Das Leben
wird so leicht und luftig werden, wie wir es uns
vorstellen – solange wir nur unser Motto-Wort
im Auge behalten.
Wie sieht es mit dir aus – was wäre dein Wort für
die nächsten Monate? Lass es uns wissen und
schreib uns. Auf einen wunderbaren Sommer!
Herzlich,
&
Chefredakteurin &
Redaktionsleiterin

es ein Knall -
bonbon zum
Selberbasteln
(ab
S. 56)

Schreibt uns gern über redaktion@flow-magazin.de.

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_5
 Titelthema:
ZUFRIEDEN
M IT WEN IG ER
11

48

INHALT 75 - 2023

62

74
23

70

6 _
 11 VOM GLÜCK DER
GENÜGS AM KEIT
Eigentlich wissen wir, dass weniger oft
Mehr erfahren
mehr ist, und handeln doch oft nicht
über mich und die Welt
danach. Dabei gibt es viel zu gewinnen:
und daran wachsen
mehr Zeit, Zufriedenheit – und eine
intaktere, gerechtere Welt
23 WAS MA CHST
DU GERA DE?
Das haben wir drei Menschen gefragt,
die uns inspirieren: Gärtnerin Julia
Schmoldt, Künstlerin Maria Lundström
und Verlegerin Harriet Dohmeyer
34 LEBEN SLAUF:
RAYN OR WIN N
Die britische Autorin und Weitwanderin
Raynor Winn über Schicksalsschläge,
Tiefpunkte, Hoffnungsschimmer und
die Kraft des Zu-Fuß-Gehens
42 MA GISCH E STEINE?
Kristalle und Edelsteine sind gerade
sehr beliebt, oft werden ihnen sogar
besondere Kräfte zugesprochen.
Was steckt dahinter?

30 MEIN SOM M ERWO RT

Welcher Begriff fast deine derzeitigen
Wünsche ans Leben am besten zusam-
men? Sich ein Motto für die nächste
Zeit zu suchen, kann deutlich mehr
Veränderung bewirken als gute Vorsätze

48 ZWEITE EBENE 70 D IN GE, D IE WIR

„Wenn ich ein Foto bemale, gebe ich
ihm eine Erinnerung“, sagt die Kanadi-
Schönes entdecken und
erin Madeleine Gross. So macht sie
mir etwas Gutes tun
aus Schnappschüssen Kunstwerke
GERA DE LIEBEN
Hallo Sommer, da bist du wieder!
Mit diesen tollen Produkten feiern wir
Sonne, Wärme und lange Abende

62 INS PIRIEREN DES 74 HEU TE M AL VEG AN

LE BE N: DIAN A RO SS Daniela Lais und Jérôme Eckmeier
In den 1960er-Jahren wird sie zum haben süße Klassiker ganz ohne Eier,
Vorbild vieler junger Frauen of Color. Butter und Co. interpretiert. Lecker! >
Superstar Diana Ross ist nicht nur
ein Ausnahmetalent, sie geht auch
konsequent ihren Weg

Das Cover hat A Leng C für uns illustriert. _7

 86

Papier-Extras:
SO MM ERPOSTER
(zwischen Seite 104 und 105)
92 & KN ALLBON BON S
selber machen (Seite 56)

81 FL OW- HÄ PPCHEN 1 06 URLA UBSLEK TÜ RE

Über eine naturverliebte Muster-
designerin, Wartepausen ohne Ablen-
Bewusster leben, kung und wohltuende Naturgeräusche.
Tempo rausnehmen Dazu tolle Adressen, Bücher und mehr
und ruhiger werden
86 NE UE F REUN D-
S CHAFT EN GESUCH T
Kann man per App nicht nur den
sondern auch neue Freund:innen?
Ein Selbstversuch
92 IM ME R WIED ER
S CHWE DEN
Redakteurin Yvonne Adamek fährt in
den Ferien seit vielen Jahren meist
an denselben Ort. Warum das für sie
so reizvoll ist
100 WAS S IN N M ACH T
Es gibt nicht den einen Sinn im Leben,
sagt Philosoph Christian Uhle. Dennoch
sollten wir uns öfter fragen, was gerade
sinnstiftend für uns ist
Die Radiomoderatorin Mona Ameziane
stellt ihre fünf Lieblingsbücher für freie
Tage vor – am Meer oder im Freibad
1 10 SCHM ERZ
LA SS NA CH
Wie Achtsamkeit im Akutfall und auch
bei chronischen Beschwerden helfen
kann, weiß Dr. Boris Bornemann
1 14 ICH VERMISSE D ICH
Anna ist glücklich verheiratet und
will doch auf ihre große (Jugend -)Liebe
nicht verzichten
1 18 MINIKU RS:
NEIN SA GEN ÜBEN
Wie wir das lernen und warum klare
Grenzen zu setzen Energie schenkt
12 8 END LICH FREI
Kolumnistin Tatjana Almuli hat viele
Jahre mit ihrem Körper gehadert.
Heute ist sie zufrieden mit ihm

Neues aus der Flow-Welt, Infos zum Flow-Abo und

8 _ einen Kontakt in die Redaktion findest du ab Seite 121.
KONNEN EINE
BUHNE SEIN.
UND EIN NEST.
Alle
onate
zwei M
FÜR EIN TRAUMHAUS BRAUCHT ES MEHR
neu
ALS EINEN TRAUM. DARUM GIBT ES DAS
Alle
MAGAZIN HÄUSER – MIT GRUNDRISSEN, onate
zwei M
ARCHITEKTEN-PORTRÄTS UND DEN BESTEN neu
HÄUSERN DER WELT ZUR INSPIRATION.
 HINTER DEN KULISSEN
IMPRESSUM
Verlag Deutsche Medien -Manufaktur GmbH & Co. KG
Hülsebrockstraße 2–8, 48165 Münster
Sitz der Redaktion Am Baumwall 11, 20459 Hamburg
Postanschrift Redaktion Flow, Brieffach 44,
20444 Hamburg, Tel. (040) 370 30
Leserservice -magazin.de

1350
Leser:innen haben das
Chefredakteurin
Redaktionsleiterin
Art-Direktorin
Sinja Schütte
Tanja Reuschling
Eva -Maria Kowalczyk
Leitung Geschäftsführende Redaktion
und CvD-Team Petra Boehm
Ulrike Wäbs
Carolin Dörich, Maika Lohan, Madeline Schmolke
10-Jahre-Flow-Jubiläum Bildredaktion Dani Kreisl
Redaktion Yvonne Adamek, Sarah Klüß, Maike Knorre,
in einem Online-
Christiane Würtenberger
Kreativworkshop mit Digital Content Steffanie Plikat (Ltg.)
Schlussredaktion Das Textteam GbR
uns gefeiert. Wir
Mitarbeiter:innen dieser Ausgabe A Leng C, Tatjana
sagen Danke für eure Almuli, Liddie Austin, Julia Baier, Maaike Beekers, Boris
Treue und diesen Bornemann, Katja Bosse, Pamela Carbonell, Angelika Dietrich,
„Klein, bunt und fröhlich: schönen Abend!
Madeleine Gross, Roos van Hennekeler, Jantine Jongebloed,
Wiebke A. Kuhn, Maria Luque, Nele Martensen, Brenda van
Knallbonbons mit Konfetti Osch, Clare Owen, Nienke Pleysier, Keely Reyes, Lev Schacht,
drin bringen mich garan - Stefanie Schäfer, Textra Fachübersetzungen, Fen Verstappen,
Valesca van Waveren, Bente van de Wow, Xuan Loc Xuan
tiert in Partystimmung!“ Geschäftsführung Malte Schwerdtfeger (Sprecher),
Alexander von Schwerin
Grafikerin Maika Lohan hat das tolle Publisher Frank Gloystein
Editorial Business Managerin Dr. Verena Nießing
Papier-Extra in dieser Ausgabe selbst
Projektleiter Digital Publishing Land & Leben
entworfen und natürlich auch gleich Probe Lennart Korn
Head of Brand Print + Direct Sales/verantwortlich für
gebastelt (ab Seite 56).
den Anzeigenteil Arne Zimmer, Ad Alliance GmbH,
Am Baumwall 11, 20459 Hamburg
Vertrieb DMV Der Medienvertrieb GmbH & Co. KG
DMV Der Medienvertrieb GmbH & Co. KG
Deutsche Medien -Manufaktur GmbH & Co. KG
Leitung Marketing und Vertrieb Ulrike Soltau
Herstellung Heiko Belitz (Ltg.), Julia Katrin Schäffer
Verantwortlich für den redaktionellen Inhalt
Sinja Schütte, Am Baumwall 11, 20459 Hamburg
BRÜCKENBAUERIN Druck Walstead Central Europe,
Die vietnamesische Illus- ul. Obroncow Modlina 11, 30 -733 Krakau, Polen
ABO-SERVICE -magazin.de/abo,Service - Center
tratorin Xuan Loc Xuan
Tel. (0 25 01) 8 01 44 05, service@DMMVerlag.de
hat nicht nur die Titelge- Jahresabo-Preise Deutschland 59,80 Euro inkl. MwSt. und
schichte in dieser Flow frei Haus, Österreich 68,80 Euro und Schweiz 96 sfr
Lizenznehmer von DPG Media Magazines B.V.
gestaltet (ab Seite 11),
© Copyright 2023: FLOW is a registered trademark. This edition of
sondern auch das Cover FLOW is published under license from DPG Media Magazines B. V.
Nachdruck, Aufnahme in Online -Dienste und Internet und Verviel -
möglich gemacht: Das fältigung auf Datenträger wie CD -ROM, DVD-ROM etc. nur nach vor -
haben wir bei der chine- heriger schriftlicher Zustimmung der Redaktion. Entwürfe und Pläne
unterliegen dem Schutz des Urheberrechts. Alle Auskünfte, Preise,
EIN BISSCHEN MAGIE … sischen Illustratorin Maße, Farben und Bezugsquellen ohne Gewähr. Manu skripten und
Fotos bitte Rückporto beifügen. Für unverlangte Einsendungen keine
… A Leng C entdeckt. Weil
Gewähr. ISSN 2198 -5588
Dass Kristalle eine besondere Energie besitzen unsere Computertastatur FLOW MAGAZINE INTERNATIONAL
und Alltagsbeschwerden heilen sollen, hinterfragt aber keine chinesischen Creative Founders Astrid van der Hulst, Irene Smit
Creative Director Irene Smit
sie in dieser Ausgabe. Ihre Recherche führte sie Schriftzeichen hat, kamen
Art Director Karin Sonneveld
in die Prana Station, ein Tankstellenhäuschen aus wir nicht an ihre Mail - International Coordinator Marjolijn Polman
Adresse. Xuan war so nett, Lilian de Haan
FOTOS PRIVAT

CEO DPG Media Erik Roddenhof

mitten in Hamburg. „Als ich den Laden betrat, hat für uns den Kontakt her - CEO DPG Magazines Joyce Nieuwenhuijs
mich dieser Flower - zustellen. So konnten wir For licensing & syndication
Flow Magazine is published by DPG Media Magazines B.V.
Er soll erden und den Realitätssinn schärfen – ein das tolle Coverbild am Capellalaan 65, 2132 JL
gutes Leitmotiv für den Artikel ab Seite 42. Ende dann doch drucken. Hoofddorp, Netherlands; 0031 (0) 88 5564 930

10 _
VOM
G LÜCK
-- ILLUSTRATIONEN XUAN LOC XUAN --

DE R
GENÜGSAMKEIT

Ja, alles ist im Wandel. Aber ist das wirklich so negativ?

Gewinnen wir nicht auch etwas, wenn wir uns hier und da
einschränken müssen, weniger konsumieren? Mehr Freiheit zum
Beispiel, mehr Verbindung untereinander und Zufriedenheit?

_ 11
 eine Eltern wohnen Um es gleich vorweg zu sagen: Es ist schon vor Tausenden von Jahren,

M in Frankreich auf
dem Land. Es gibt
dort keinen Super -
markt in der Nähe.
Also esse ich, wenn ich zu Besuch
bin, was Kühl- und Vorratsschrank
hergeben. Da das Haus keine Zentral-
heizung hat, muss man an kühlen
Morgenden den Kamin anheizen, wäh
rend der Kaffee köchelt. Wenn ich dort
mal andere Menschen sehen möchte,
hole ich das alte Fahrrad aus dem
Schuppen und radele ins Dorf unten
an der Straße. Das Schöne ist, dass
ich bei meinen Eltern immer ganz
ruhig werde, gerade weil dort alles so
einfach und nichts los ist. Wie kommt
das? Geht’s mir mit weniger besser?
UMDENKEN
Dass das Thema plötzlich für mich so
wichtig ist, hängt sicherlich auch
damit zusammen, dass die aktuellen
Krisen nähergerückt sind. Ich sehe sie
nicht nur in den 20-Uhr-Nachrichten –
sie berühren zumindest am Rande
tion habe ich, wie wir alle, deutlich
weniger Geld zum Ausgeben. Ich
überlege es mir zweimal, bevor ich die
Badewanne fülle, und ziehe mir einen
Pullover über, statt die Heizung aufzu-
drehen. Was den Urlaub betrifft, so
schaue ich mich nach näheren Zielen
um. Und ich fahre wieder mehr Zug.
Das alles hat nicht nur mit den Kosten
zu tun. Es geht auch darum, dass ich
meinen kleinen Beitrag gegen den
Klimawandel leisten möchte.
nicht meine Absicht, Armut zu roman -
tisieren. Menschen, die ihre Energie -
rechnung nicht bezahlen können,
Kinder, die ohne Frühstück in die
Schule geschickt werden: Das ist eine
andere Geschichte – und wir als Ge-
sellschaft müssen dafür sorgen, dass
diese Menschen alle Unterstützung
- bekommen, die sie brauchen. Es ist
für mich wirklich schwer verständlich,
dass in Deutschland immer noch etwa
jeder sechste Mensch in Armut lebt.
Gleichzeitig erscheint mir die Tatsa -
che, dass wir als eines der wohlha
bendsten Länder der Welt künftig auf
einen Teil unseres Komforts werden
verzichten müssen, keine wirkliche
Katastrophe zu sein. Mir fällt da das
Zitat des amerikanischen Essayisten
und Umweltschützers Wendell Berry
ein, der es einmal so formuliert hat:
„Was wir am meisten brauchen, ist
nicht das Wissen, wie wir mehr
bekommen, sondern das Wissen, wie
viel wir nicht brauchen.“ Berry ist mit
dieser These nicht allein. Denker von
Sokrates bis Buddha versicherten uns
„Der Wunsch nach Status ist stark in uns verankert.
Wir haben Angst davor, nicht mehr dazuzugehören.“
dass das einfache Leben das gute ist.
Nur kommt diese Nachricht nicht rich -
tig bei uns an. Im Gegenteil. „In den
letzten Jahrhunderten ist unser Leben
immer dekadenter und voller gewor -
den“, sagt der britische Philosoph
Emrys Westacott. Er hat sich gefragt,
wie es möglich ist, dass Menschen
den Wert der Einfachheit schätzen,
aber nicht genügsam leben.
GUTE VORSÄTZE
Auch mir geht das so. Sobald ich von
- meinen Eltern zurück in der Stadt bin,
Reizen. Ich treffe im Minutentakt Ent -
scheidungen. Und lasse mich verlei -
ten, Dinge zu kaufen, die ich nicht
brauche, impulsiv Essen zu bestellen,
auf das ich im Augenblick Lust habe,
und viel zu viel zu planen – was mich
am Ende dazu bringt, die Serie The
Crown bei 22 Grad Zimmertemperatur
zu schauen, um mich von alldem zu
erholen. Immer wieder nehme ich mir
vor, weniger im Konsum zu schwel -
gen, aber meist halte ich es nicht >

Der Begriff, der derzeit in diesem

ist ja Verzicht – wir sollen oder müs-

sen plötzlich auf so vieles verzichten.
Aber je länger ich darüber nachdenke,
desto mehr habe ich das Gefühl, dass
man es auch andersherum sehen
kann, zumindest bis zu einem gewis-
sen Grad. Am wohlsten fühle ich
mich nämlich ehrlicherweise in Zeiten,
in denen mein Konsum und mein
Komfort durch äußere Umstände
eingeschränkt sind.

_ 13
 lange durch. Laut Emrys Westacott
liegt das daran, dass wir zwar ahnen,
was uns zufrieden macht, uns aber
meist von evolutionär bedingten
Impulsen leiten lassen. Und die sind
stärker auf unser Überleben ausge
richtet, weniger auf unser Glück.
NICHT ALLEIN
Das ist laut Westacott der Grund,
warum Status für uns so wichtig ist.
Unterbewusst haben wir wohl Angst
vor dem sozialen Abstieg – also letzt-
lich davor, nicht mehr dazuzugehören,
nicht mehr unter dem Schutz der
Gruppe zu stehen. Oft genug sind wir
zudem von Menschen umgeben, die
als wir selbst – ein größeres Haus,
schönere Kleidung, einen wichtigeren
Job, ein aufregenderes Sozialleben.
Da kann es schwierig sein, sich mit
weniger zufriedenzugeben. Das bele-
gen zum Beispiel Forschungen der
Gesundheitswissenschaftler:innen
Kate Pickett und Richard Wilkinson,
über die sie in ihrem Buch The Spirit
Level: Why Equality is Better for
WENIGER IST MEHR FÜNF TIPPS
Kaufe eine Woche lang mal wirklich nichts. Am
Wochenende davor besorgst du die Lebensmittel,
die du benötigst. Nach diesen sieben Tagen wirst du
mehr über deine Bedürfnisse und Impulse wissen.
Serien gucken? Mach das bewusst nur während der
dunklen Wintermonate, es frisst viel Strom und Zeit.
Im Sommer geh lieber raus und triff Freund:innen.
Machen Gegenstände glücklich? Warte eine Woche, bevor
du dir die neue Klamotte, das Handy oder die Teekanne
kaufst. Übrigens ist wissenschaftlich erwiesen, dass uns
nur Dinge zufrieden machen, die wir häufig benutzen.
Versuche, eine Stunde am Tag weniger online zu sein.
Schaffst du es, das Handy mal einen Tag auszulassen?
127 Liter Wasser verbrauchen wir durchschnittlich.
Beobachte einen Tag lang deinen Wasserkonsum.
Wo kannst du sparen?
Aus: Weniger Konsum, mehr Leben! 50 Ideenkärtchen (arsEdition)
14 _
Everyone
den wird nur bedingt durch unseren
absoluten Lebensstandard bestimmt:
Stärker kommt es darauf an, was wir
im Vergleich zu den Menschen um
- uns herum haben. Sonst wäre auch
unser Glücksniveau im vergangenen
Jahrhundert enorm gestiegen, im
Gleichschritt mit der gigantischen
Zunahme an materiellem Reichtum.
Das ist aber nicht so. Der Wohlstand
macht uns nicht zufriedener – und
doch haben wir Angst, etwas davon
abgeben zu müssen.
Psychologen sprechen in diesem
Zusammenhang von der sogenannten
Verlustaversion unseres Gehirns.
Menschen nehmen nämlich nicht nur
negative Nachrichten stärker wahr als
Einbußen intensiver als vergleichbare
Gewinne. Verlust stresst uns, das
Gehirn schaltet dann in den Gefahren -
modus, wir lassen uns von unserer
Angst leiten. Und die ist selten eine
gute Ratgeberin. „Menschen kommen
mit Verlusten besser klar, wenn sie sie
selbst gestalten und proaktiv tätig
werden“, sagt in diesem Zusammen -
hang der Neuroökonom Philippe
Tobler von der Universität Zürich in
der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) .
Derzeit helfe es zum Beispiel, syste -
matisch den eigenen Haushalt nach
Energiefressern zu durchforsten. Oder
sich klarzumachen, dass wir durchs
Sparen nicht nur etwas verlieren,
sondern auch gewinnen, etwa eine
Senkung des CO ² -Ausstoßes. Mit
einer solchen veränderten Denkweise
PERSPEKTIVWECHSEL
„In Zeiten, in denen alle nicht so viel
haben, entdecken Menschen den
Wert der Genügsamkeit für sich“,
ergänzt der Philosoph Emrys West -
acott. „Denn es entsteht das Bedürf -
nis, das einfache Leben aufzuwerten.“
In manchen Teilen der Bevölkerung
sieht man das ja schon. So haben
viele Menschen aus meiner eigenen
Millennial-Generation, die in den
 „In Zeiten, in denen alle nicht so
viel haben, entdecken Menschen den
Wert der Genügsamkeit für sich.“
Philosoph Emrys Westacott

schwierigen Jahren nach der Wirt -
schaftskrise 2008 in den Arbeitsmarkt
eingestiegen sind, oft notgedrungen
alternative, bescheidenere Lebens
formen entdeckt. Statt Karriere
machen sie vielleicht einen weniger
gut bezahlten Job, der sie dafür
zufrieden macht. Sie zahlen keine
Hypothek für ein Haus ab, wohnen im
selbst gebauten Tiny House auf dem
Land oder mit drei Mitbewohner:in -
nen in einer WG zusammen, die mit
der Zeit zu einer Art Zweitfamilie
geworden sind. Je mehr Leute ihren
Alltag anders gestalten, umso schnel
ler entstehen neue Werte. Und umso
weniger sind Entscheidungen gegen
das Streben nach mehr mit der Angst
verbunden, gesellschaftlich ins
Abseits zu geraten.
- uns neue Geschichten zu erzählen. Ihr
Auch die Neurowissenschaftlerin und
ihrem neuen Buch Raus aus der ewi -
gen Dauerkrise, öfter mal anders auf
die Welt zu schauen, wieder neugieri-
ger und offener zu sein. Sie nennt das
dynamisches Denken. Ihre These:
Jeder Gedanke ist physisch, verän-
dert also letztendlich uns und die
Welt. Ihre Vorschläge: Statt andau-
- ernd in die Konfrontation mit anderen
zu gehen, könnten wir künftig nach
dem kleinsten gemeinsamen Ziel
suchen. Wir sollten uns öfter fragen,
wofür wir sind (und nicht wogegen).
Und wir müssen laut Urner beginnen,
Lieblingsbeispiel: „Wenn Nachhaltig-
keit die geile Party in der Stadt ist, die
leider schon ausverkauft ist – dann
wollen da alle hin.“ Im Weniger steckt
nämlich auch viel Potenzial: mehr Zeit
für uns, für andere, für die kleinen,
wertvollen Dinge des Lebens.
BALLAST LOSWERDEN
Bis zu einem gewissen Grad gelingt
mir das ja schon. Ich habe mich
zum Beispiel ziemlich befreit gefühlt,
als ich vor zwei Jahren mein Auto >

_ 15
 „Wir können neugierig das Potenzial des
Weniger entdecken: mehr Zeit für uns, für
andere, für die kleinen Dinge des Lebens.“

16 _
_ 17
 verkauft hatte. Und ich genieße es,
seitdem mehr Bus und Zug zu fahren.
In letzter Zeit gehe ich öfter über eine
Stunde zu Fuß durch den Wald, um
vom Dorf meines Freundes aus den
Regionalexpress zurück in die Stadt zu
nehmen, wo ich wohne – ganz ohne
privaten Fahrservice. Ich höre unter -
wegs den Vögeln zu, betrachte die
Baumkronen, hänge meinen Gedanken
nach und wechsele ein paar Worte mit
den wenigen Menschen, die mir begeg
nen. Dieser langsamere Takt tut mir
gut. Nach meinen Werten zu leben
macht mich zufrieden. Es fühlt sich für
mich an wie ein Leben mit weniger
äußerem und innerem Ballast. Das alles
hat aber auch Grenzen: Als ich neulich
auf dieser Zugstrecke strandete und
eine Stunde warten musste, weil es die
angezeigte Verbindung gar nicht gab,
war ich ziemlich genervt. Also googelte
ich während der Wartezeit gierig nach
E-Autos, beruhigte mich dann aber
wieder. Manchmal läuft es halt auf der
angesagten Party auch nicht so gut.
Trotzdem ist es gut, dabei zu sein.
Ich kann auch mehr sehen, hören,
riechen und fühlen, wenn ich weniger
Reizen ausgesetzt bin. Es ist so, als
ob jemand die Lautstärke der Welt
aufgedreht hat: Alles erscheint bunter,
intensiver, poetischer. Wenn meine
Sinne so wie im Wald weit geöffnet
und feinfühlig sein dürfen, geht es mir
gut. Laut der Stanford-Psychiaterin
Anna Lembke hat dies mit den Dopa-
minrezeptoren im Gehirn zu tun: Eine
Überlastung durch zu viele Reize lässt
Freude sein. Es reagiert mit Schmerz
auf die Überlastung, zum Beispiel in
Form von Gefühlen der Leere oder
des Mangels, schreibt Lembke in
ihrem Buch Die Dopamin-Nation.
Oft versuchen wir, diese unangeneh-
men Gefühle dann mit noch lustvol -
leren Reizen zu betäuben, und geraten
in den bekannten Teufelskreis.
„Wir glauben, dass Erfolg darin
besteht, viel Geld zu haben und mög-
lichst lange an der eigenen Meinung
18 _
festzuhalten“, sagt Maren Urner.
„Aber im Grunde gehören zu einem
glücklichen Leben vor allem funktio-
nierende soziale Bindungen.“ Und für
die haben wir ja vielleicht künftig
mehr Zeit – weil wir weniger unter -
wegs sind, achtsamer konsumieren –
oder es im Winter allein schlicht zu
kalt in den eigenen vier Wänden ist.
Der Philosoph Westacott meint: „Ich
kann mir gut vorstellen, dass die
- Leute, wenn es immer teurer wird, die
eigene Wohnung zu heizen, künftig
öfter in die Kneipe um die Ecke gehen
– schließlich ist es da warm. Und man
trifft andere.“
EINFACH GUT LEBEN
Diesen Gedanken kann man weiter - ich mich damit wohlfühle, weil es
spinnen: Je größer der Wohlstand,
umso mehr Menschen ziehen sich in
ihre Komfortzone zurück. Vielleicht tut
es uns gut, da herauszukommen,
auch angesichts der zunehmenden
Einsamkeit. Aber ich habe auch ver -
standen, dass es nicht einfach ist,
sich für weniger zu entscheiden – so
„Zu einem glücklichen Leben gehören vor
allem funktionierende soziale Beziehungen.“
Neurowissenschaftlerin Maren Urner
ist unser Gehirn einfach nicht pro-
grammiert. Es spart gerne Energie
und hält am Gewohnten fest. So sehr
wir glauben, unser Leben bewusst zu
gestalten: In Wirklichkeit wählen wir
meist die Wohlfühlvariante. Selbst der
immer präsentere Klimawandel hat
unseren Lebensstil bisher daher nicht
stark verändert. Aber spätestens,
wenn ein einfacheres Leben nicht
mehr die Wahl, sondern Realität ist,
werden wir unsere Werte überdenken,
meint Emrys Westacott. „Und dann
kann sich die jahrtausendealte Idee
vom einfachen guten Leben doch
noch als Philosophie der Zukunft ent-
puppen.“ Ich persönlich übe Genüg-
samkeit schon mal überall dort, wo
mein Leben verlangsamt, ihm Tiefe
gibt. Oft springt dabei ja auch ein
Mehr heraus: mehr Ruhe, mehr Fo-
kus, mehr liebe Menschen um mich.
Und wenn mal wieder alles nervt?
Googele ich ohne schlechtes Gewis -
sen nach E-Autos. Oder gönne mir
eine volle, warme Badewanne …
TEXT ROOS VAN HENNEKELER, CHRISTIANE WÜRTENBERGER
MEHR LESEN
Anna Lembke: Die Dopamin-Nation:
Balance finden im Zeitalter des
Vergnügens ( Narayana Verlag)
Maren Urner: Raus aus der ewigen
Dauerkrise ( Droemer)
James B. MacKinnon: Der Tag, an dem
wir aufhören zu shoppen (Penguin)
Mehr erfahren über mich und die Welt und daran wachsen

FOTO (RECHTS) 100 PRO IMAGO LIFE

ILLUSTRATION (VORDERSEITE)KEELY REYES

Diesmal stammen die Illustrationen auf den Trennerseiten

von der Künstlerin Keely Reyes, die auch unsere Neue-
Denker:innen-Interviews illustriert (in dieser Flow ab
S. 100). Als Kind wollte die Kalifornierin Tierärztin
werden. Doch als sie sich nach dem College für eine
Studienrichtung entscheiden musste, wählte sie spontan
Grafikdesign. Ich suche gern nach neuen He raus -
"
forderungen, durch die ich mich weiterentwickeln kann“,
sagt Keely. Meine Kunst gibt mir stetig Gelegenheit
"
zu wachsen.“ Ihre Liebe zu Tieren ist dennoch
geblieben, wie das Motiv auf der Vorderseite zeigt.
 „Ich versuche,
eine gute Dosis
an Tagträumen
beizubehalten,
um bei Verstand
zu bleiben.“
Florence Welch,
Sängerin der Band Florence and the Machine
 M
JE AT
O
D N
N
EN E
SICH WOHLFÜHLEN.
ZUSAMMEN SEIN.

U
DEN SOMMER FEIERN.

Mein Zuhause .

Die besten Ideen für ein

schönes Leben Zuhause.
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 DREI MENSCHEN ERZÄHLEN
(HARRIET)

JULIA
Gärtnerin
(JULIA), PRIVAT (MARIA),MALTE DIBBERN

MARIA
Künstlerin
FOTOS EINFREIGEISTLABOR

HARRIET
Verlegerin

_ 23
 Julia Schmoldt
48 Jahre Klütz
Zierpflanzengärtnerin und Land
wirtin für ökologischen Landbau
staudengärtnerei-klütz.de
Was machst du gerade?
Ich verbringe viel Zeit im Garten. An warmen
-
- ser. Einige Stauden müssen hochgebunden
werden, andere schneide ich zurück, damit
sie ein zweites Mal blühen.

Was ist besonders an deinem Garten?

Es ist ein Schaugarten, der Besucher:innen
offen steht. Mein Mann und ich haben uns
vor vielen Jahren in einen denkmalgeschütz -
ten Stadtbauernhof mit einem verwilderten

24 _
 Julia hat ihren Schaugarten
so angelegt, dass fast das
ganze Jahr über etwas blüht

„Ich liebe natürliche

Gärten, in denen es eine

Tieren gibt“, sagt Julia

Grundstück verliebt. Hier sind heute eine

Gärtnerei und mein 1250 Quadratmeter
großer Garten mit mehr als 600 Staudenar -
ten angesiedelt. Es gibt Sitzplätze zum Ver -
weilen, Sonnen- und Schattenbeete und
viel zu entdecken. Das bedeutet Arbeit, aber
es ist auch mein größtes Glück.
FOTOS EINFREIGEISTLABOR, ANNETTE TIMMERMANN, FOTOWILD

Was gefällt dir daran?

Im Garten zu sein beruhigt mich und gibt
mir ein Gefühl von Freiheit. Ich habe eine

fühle mich wie von Freunden umgeben.

Gleichzeitig erlebe ich den Rhythmus aus
Werden und Vergehen hautnah. Ich tue
mich mit dem Abschied im Herbst gar nicht
schwer, im Gegenteil: Ich liebe auch die
kalte Jahreszeit, weil es gar nicht zu schaf-
fen wäre, wenn im Garten ununterbrochen
Hochsaison herrschen würde. Ich glaube,
für uns Menschen ist es wichtig, immer
wieder in die Natur zurückzukehren.

Nicht jede:r hat aber einen Garten.

Leider nicht. Aber die Natur können wir „ICH HABE EINE INNIGE BEZIEHUNG ZU
überall erleben: Indem wir vor die Tür gehen
und mit offenen Augen wahrnehmen, wie
MEINEN PFLANZEN. IM GARTEN ZU SEIN
GIBT MIR EIN GEFÜHL VON FREIHEIT.“
TEXT SARAH KLÜSS

schön die Welt um uns herum ist. Die Natur

steckt voller Wunder: Das können die Farben
einer Blüte sein, ihre besondere Struktur,
verschiedene Blattformen, Düfte oder sel-
tene Insekten wie der Kolibrifalter. Für mich
sind das alles kleine Kunstwerke. >

_ 25
 Maria Lundström
68 Jahre Blekinge,
Schweden Künstlerin
marialundstrom.se

Was machst du gerade?

Bis vor Kurzem habe ich eine Malpause
eingelegt. In dieser Zeit habe ich mich
ganz auf Papiercollagen konzentriert.
Aber heute habe ich endlich eine neue
Leinwand aufgespannt, um an meiner
Bilderserie Pink Plants weiterzuarbeiten.

Mit welchen Worten würdest du

deine Kunst beschreiben?
Das ist gar nicht so leicht zu beantworten.
Aber ich versuche es mal: spannend,
verspielt und immer wieder anders. Mich
inte ressieren Formen und Farben – mal FOTOS PRIVAT
sind meine Motive abstrakt, mal sind sie

„DURCH MEINE BILDER intuitiv und ohne Vorlage oder Skizze. Sie
entsprechen dem, was ich beim Malen
KANN ICH ZEIGEN, WIE ES IN
TEXT YVONNE ADAMEK

gerade fühle. Ich liebe es, wenn mich das

MEINEM INNEREN AUSSIEHT.“ Ergebnis dann überrascht.

Besonders die leuchtenden Farben

fallen auf. Was magst du an ihnen?

male, verhalten sich Farben unterschiedlich.

26 _
 In ihrem Atelier geht
es oft unübersichtlich
zu: „Aber ich mag
es so“, sagt Maria

Bunte Kunstwerke stapeln

sich in Marias Atelier

Sie wecken Emotionen, sprechen aber

gleichzeitig auch verschiedene Sinne an.
Jede Farbe hat für mich ihren eigenen
Klang, und Farbkombinationen klingen wie
die Stimmen eines Chors. Ich höre Farben
schon, solange ich denken kann. Mein Ziel
ist es, dass jede Farbe, die ich einem Bild
hinzufüge, den anderen, die schon auf der
Leinwand sind, noch mehr Kraft verleiht.
Bis am Ende eine Melodie daraus entsteht.

Deine Bilder wirken sehr selbstbe-

wusst und stark. Gibt es Dinge, die
dich verunsichern?
Oh ja, ich gehe zum Beispiel sehr ungern
auf Partys oder andere gesellschaftliche
Ereignisse, weil ich da nie wirklich weiß,
was von mir erwartet wird. Ich bin ein eher
introvertierter Mensch. Aber über meine
Bilder kann ich mein Inneres mehr nach
außen tragen. Sie spiegeln wider, was ich

In meinem Atelier in Ruhe malen zu können

ist für mich eine Quelle der Freude, aus
der ich viel Energie schöpfe. >

_ 27

„ICH ERÖFFNE GERN NEUE RÄUME
UND STOSSE LEUTE AUF DINGE, DIE
SIE GAR NICHT GESUCHT HABEN.“
28 _
Bücher dürfen in der digita-
len Welt durchaus Kunst-
Harriet Dohmeyer
28 Jahre Hamburg
Verlagsgründerin und
Dozentin ankerwechsel.de,
Instagram: @ankerwechsel
FOTOS MALTE DIBBERN, HARRIET DOHMEYER
Was machst du gerade?
Mit der Köchin Cathy Bernhardt und der
ersten Kochbuch, das in meinem Verlag
erscheint. Es wird sehr besonders, denn wir
haben jedes Kapitel in einem anderen Stil
Rezepte vor. Ich freue mich, es bald in den
Händen zu halten und durchzublättern.
Du hast mit 22 Jahren einen Print -
verlag gegründet. Wie kam das?
Damals schrieb ich für meinen Reiseblog
Fräulein Anker über außergewöhnliche Orte
TEXT CHRISTIANE WÜRTENBERGER
und Menschen. Ich studierte Digitale Kom -
munikation und spürte, dass ich den
nächsten Schritt gehen möchte: Nach
einem Städtetrip wollte ich nicht nur einen
Blog-Beitrag posten, sondern ein ganzes
Buch machen. Wie das Cover aussieht,
dass die Bücher in kleinen Läden verkauft
und klimaneutral gedruckt werden – all das
wollte ich selbst entscheiden. Durch die
Verlagsgründung hatte ich diese Freiheiten.
 Harriet auf St. Pauli. Sie freut
sich, dass auch Einheimi-
sche ihre Stadtguides lesen

seit Kindertagen – oft auch

mit einer analogen Kamera

So entstand die Hallo- Reihe mit besonde -

ren Porträts von Städten wie Amsterdam,
Leipzig oder Kopenhagen.

Das klingt ganz schön mutig.

Ich habe nebenher weiter freie Jobs als

Das gab mir Planungssicherheit. Trotzdem

stehe ich auch vor Hürden in meinem
Verlagsalltag. Ich bin zum Beispiel sehr
selbstkritisch. Lange dachte ich, ich
müsste mich festlegen – bin ich nun Foto -

habe ich meine Leidenschaften nicht in

eine Schublade gezwängt: Ich schreibe

Freiraum für unsere Bücher.

Weshalb setzt du weiter auf Papier?

Ich mag das Haptische und Abgeschlos -
sene. Gedruckte Bücher erschaffen eigene
Räume, die dazu einladen, innezuhalten und
sich darin umzuschauen. Türen zu vielen
Welten zu öffnen, das fasziniert mich.

_ 29
 Gute Vorsätze

Welcher Begriff bringt

auf den Punkt, was du
dir gerade besonders
wünschst? Dir das zu
überlegen macht viel
Sinn: Denn so kannst du
dein Leben in die richtige
Richtung lenken – und
Veränderungen anstoßen

-- TEXT NIENKE PLEYSIER -- _ 31

 Kennst du das auch? Du feierst mit Freunden Silvester und
irgendwann unterhaltet ihr euch über gute Vorsätze. Du
weißt, was du gern ändern würdest – und verlierst es doch
schnell wieder aus den Augen. Vielleicht, weil deine Verän-
derungswünsche mit zu viel Mühe und hochgesteckten
Zielen verbunden waren. Und weil der Alltag dich unter
wegs eingeholt hat. Mein Thema zum Jahreswechsel war
zum Beispiel: zweimal die Woche Sport machen und für
mehr Auszeiten im Alltag sorgen. Und jetzt ist es Sommer
und ich bin enttäuscht von mir. Was nicht gerade zur
ersehnten Entspannung beiträgt.
EIN KLARER KOMPASS
Eine kleine Recherche ergibt: Ich bin mit meinem Frust
nicht alleine. Studien ergeben immer wieder, dass es kaum
jemandem gelingt, Vorsätze langfristig umzusetzen. Die
gute Nachricht ist: Es gibt eine Methode, mit der wir Ver
änderungen sanft und gleichzeitig wirksam anstoßen
können. Dabei wirst du ohne Stress immer wieder an das
erinnert, was dir wichtig ist. Dazu hörst du zunächst mit
etwas Ruhe in dich hinein und wählst ein Thema, das dir
gerade besonders am Herzen liegt. Etwas, von dem du dir
mehr wünschst in deinem Leben. Für ein Jahr, ein Viertel-
jahr oder ganz konkret jetzt: für diesen Sommer, denn
während der Ferienzeit haben wir meist etwas mehr Muße,
etwas zu verändern. Am besten fasst du dieses Thema
unter einem Begriff zusammen, der dir Orientierung gibt.
Ich habe schon nachgedacht, welcher Begriff meine Wün-
sche am besten spiegelt. Und bin für mich auf diesen
Das klingt jetzt vielleicht ein wenig egoistisch, aber mir
geht es eher darum, dass ich es nicht immer allen anderen
recht mache, bevor ich an mich denke.
32 _
„Ein solches Motto funktioniert wie ein Kompass. Es gibt
die Richtung vor und erlaubt dir ganz spielerisch, Prioritä-
ten zu setzen“, erklärt der Autor und Coach Arjan Vergeer,
der sich intensiv mit der Idee solcher Themenwörter
beschäftigt hat. Vergeer sagt weiter: „Man beginnt am
- besten damit, sich zu überlegen, worauf man seine
Gedanken in Zukunft stärker konzentrieren möchte.
Anschließend hat man über den gewählten Zeitraum hin-
weg die Chance, sich quasi an jeder Weggabelung auf das
gewählte Thema zu besinnen und sich zu fragen: Bringt
mich meine Wahl meinem Wunsch näher? Man wird fest-
stellen, dass man bewusst, aber vor allem auch ganz
unbewusst anfängt, andere Entscheidungen zu treffen.“
Das Schöne an der Arbeit mit einem Begriff ist laut Arjan
Vergeer auch, dass man sich zeitlich nicht unter Druck
setzt und anders als bei einem guten Vorsatz kein
- bestimmtes Ergebnis erzielen muss. „Solch ein Thema ist
nicht an ein Ziel gebunden, weshalb man im Grunde auch
nicht scheitern kann. Ob man einen schnellen Erfolg
erzielt, spielt keine Rolle. Man kann sein Motto jeden Tag
und mit jeder neuen Überlegung wieder aufgreifen.“
WIE EIN FILTER
Vergeer selbst arbeitet seit über einem Jahrzehnt mit sol -
chen Themenwörtern, sowohl im Privatleben als auch im
so, als würde ich eine Brille aufsetzen und alles durch diese
Gläser betrachten; mein Blick wird dann durch meine Inten -
tion gefärbt.“ Ein Thema wirkt also wie eine Art Filter. Wenn
„Freiheit“ dein Sommerwort ist und du durch die LinkedIn-
Updates scrollst, siehst und liest du wahrscheinlich andere
Nachrichten als vorher. Im Buchladen fällt dein Blick plötz -
lich auf Cover, die du sonst gar nicht beachtet hättest. Und
auf einer Party führst du andere Gespräche, weil du jetzt
neugierig auf das Thema „Freiheit“ bist. Lautet dein Motto
während der Ferien „Mikroabenteuer“, wirst du plötzlich in
Flüssen überall Leute planschen sehen und Geschichten
von Nächten im Wald und anderen kleinen Survival Events
hören. Das sind die Filter in deinem Gehirn, die registriert
haben, dass etwas Neues für dich relevant ist. Du nimmst
Dinge wahr, die du vorher nicht gesehen hast. So hat Arjan
Vergeer nach einer schweren Zeit in seinem Leben das
Thema „Leichtigkeit“ gewählt. „Ich wollte mich mehr auf
Spaß und Freude fokussieren. Themenwörter sind oft
bedeutungsvoll und abstrakt und erlauben es dir, alles
Mögliche mit ihnen zu verbinden. Du kannst das Wort auf
verschiedene Weise interpretieren und das tust du auch.
Meine ‚Leichtigkeit‘ bestand letzten Endes nicht nur aus
Spaß. Ich habe außerdem in dem Jahr zehn Kilo abgenom -
men, obwohl das eigentlich gar nicht mein Ziel war.“
Auch ich bin mit meinem Sommerthema schon gestartet
und merke, dass es mir erstaunlich gut gelingt, kleine Wei-
chen anders zu stellen: Zum Beispiel habe ich mir endlich

das teure Nackenkissen bestellt, von dem eine Freundin
so schwärmt, denn ich kämpfe seit Monaten mit Schmer
zen im Halswirbelbereich. Als meine erwachsene Tochter
neulich zu Besuch war und oft mein Fahrrad nutzen wollte,
habe ich ab und zu Nein gesagt, obwohl ich meine To-dos
auch ohne hinbekommen hätte. Ich bin mit dem Rad ein-
fach schneller beim Einkaufen oder Hundespaziergang.
Und in der vergangenen Woche habe ich öfter spontan
den Laptop zugeklappt, weil die Sonne rauskam und ich
an die frische Luft wollte. Zweimal war ich sogar joggen.
Dennoch hatte ich bislang ein schlechtes Gewissen, wenn
ich das tagsüber gemacht habe.
WIE MAN SEIN WORT FINDET
Auch die US-amerikanische Gesundheitspsychologin Kelly
McGonigal, Dozentin an der Stanford University, ist eine
Befürworterin von Themenwörtern. Sie führt die Idee noch
weiter aus: „Auf die Frage ,Soll ich meine Zeit mit diesem
den, wenn dein Wort ,Entspannung‘ lautet, als wenn es
,Abenteuer‘ ist.“ Für McGonigal sind alle Wörter geeignet,
solange sie für uns eine persönliche Bedeutung haben und
kein bestimmter Zweck mit ihnen verbunden ist. „Geld“
zum Beispiel geht gut, „Geld sparen“ dagegen nicht. Wenn
richten und zu überlegen, welcher Lebensbereich gerade
mehr Aufmerksamkeit brauchen könnte. Coach Arjan
Vergeer rät zu einer ähnlichen Frage, nämlich: Worum ging
es in letzter Zeit nicht? Wovon gab es zu wenig? Er hat die
Erfahrung gemacht: „Die Antwort, die dir als Erstes in den
Sinn kommt, sagt meist schon etwas über deine Sehn-
sucht aus.“ Ein gutes Thema sollte also das abbilden, was
FOTO STOCKSY
man wirklich möchte, wovon man träumt, und nicht das,
was man nach Meinung anderer anstreben sollte. Dein
Sommerwort kann ein einzelnes Wort sein wie „Kreativität“
oder – wie bei mir – ein kurzer Satz. Manchmal fällt einem
spontan etwas ein, manchmal muss man ein bisschen
länger nachdenken. Es kann helfen, sich ein paar Fragen
zu stellen. Wie fühle ich mich im Moment? Wie möchte ich
mich fühlen? Und wie könnte ich das in einem Wort oder
Satz zusammenfassen? „Du weißt, dass du ein gutes
Thema gefunden hast, wenn dich der Gedanke daran
glücklich macht und dir Sinn und Energie schenkt“, erklärt
Experte Arjan Vergeer.
FÜR SICHTBARKEIT SORGEN
Bleibt noch eine wichtige Frage: Wie kann man sicherge-
hen, dass mit einem solchen Thema nicht genau das Glei-
che passiert wie mit den guten Vorsätzen – nämlich gar
nichts!? „Mach dein Thema oder Wort sichtbar“, schlägt
Arjan Vergeer vor. „Stell es als Hintergrundbild auf deinem
Handy ein. Oder hänge ein Blatt Papier mit deinem Begriff
in der Küche auf. Auf jeden Fall solltest du dich immer wie-
- der daran erinnern, damit das Motto ein Teil deines Lebens
wird.“ Eine weitere gute Idee sei es, Check-up-Momente
einzubauen, also zum Beispiel mit einem nahen Menschen
ab und zu über das Thema nachzudenken. Oder du suchst
dir einen bestimmten Moment aus, in dem du in ein Tage-
buch schreibst oder spazieren gehst und über den Kurs
nachdenkst, den du eingeschlagen hast.“
Kribbelt es bei dir schon? Bist du gespannt, was sich
Überraschendes am Horizont abzeichnet, wenn du mit
deinem Sommerwort loslegst? Ich merke, dass ein solches
Thema auch den Blick dafür schärft, wie viele Mini-Ent-
scheidungen wir jeden Tag treffen können und dass sie
wirklich einen Unterschied machen. Eben habe ich
beschlossen, mal ein paar Tage alleine wandern zu gehen.
Heute Abend lege ich mit der Planung los.
IDEEN FÜR DEIN
THEMENWORT
Einfachheit Wachstum Bewegung
Abenteuer Reise Sehnsucht
Säen Mut Vertrauen Inspiration
Leichtigkeit Flexibilität Stabilität
Blüte Gleichgewicht Mitgefühl
Akzeptanz Sichtbarkeit Lernen
Kompetenz Ernten
_ 33
 Autorin Raynor Winn

DRAUSSEN
IN DEN
FELDERN
BIN ICH
FREI
Welche Schicksalsschläge das Leben auch für sie bereithält:
Schriftstellerin Raynor Winn und ihr Mann Moth
packen die Rucksäcke, wandern Hunderte von Kilometern
durch die Natur und hoffen das Beste

-- INTERVIEWBRENDA VAN OSCH --

Lebenslauf

_ 35
 Einen Tag nach unserer Hochzeit am Cuillin
Ridge auf der schottischen Insel Skye

Schon immer gern am

Meer: Mit Moth in
Porth Colmon, beide
in den Dreißigern

RAYNOR WINN, 1962 geboren

im britischen Melton Mow -
bray, ist mit ganzem Herzen
Autorin und Fernwanderin.
Nachdem sie und ihr Mann
Moth ihren gesamten Besitz
verloren hatten und Moth
unheilbar krank wurde, wan -
derten sie wochenlang auf
dem South West Coast Path.
Davon erzählt sie in ihrem
Buch Der Salzpfad , das 2018
erschienen und weltweit
erfolgreich ist. Es folgten
die Bücher Wilde Stille und
Über Land . Raynor und Moth
leben auf einer Farm in
Cornwall und haben zwei
erwachsene Kinder.

Ich mit zwei

Jahren, wie ich ein
Lämmchen füttere

Auf unserem Mit unseren

geliebten Hof in Söhnen Tom und
Wales, bevor wir Rowan, 1991
alles verloren

36 _

„ICH HASSTE DIE SCHULE. DIE KINDER SPIELTEN MITEINANDER, UND ICH HATTE
KEINE AHNUNG, WIE MAN DAS MACHTE. ICH WAR EINZELGÄNGERISCH.“
Ich bin auf dem Bauernhof meiner Eltern
aufgewachsen, als Kind habe ich viel Zeit
alleine im Wald und auf den umliegenden
Feldern verbracht. Es gab immer etwas,
das ich entdecken wollte. Ich streifte umher,
kletterte auf Bäume und spionierte den
Förster aus. Ich war kein überglückliches
Kind, aber zufrieden, konnte stundenlang
dem Wind in den Bäumen lauschen oder
die Tausenden von Wildkaninchen rings um
den Hof beobachten. Das genügte mir.
Ich verbrachte auch viel Zeit mit meinem
Vater auf dem Feld. Wenn ich an ihn
zurückdenke, sehe ich seine schwieligen,
rissigen Arbeiterhände vor mir und die
Rückseite seiner Stiefel – der Anblick, wenn
ich als Kind hinter ihm herlief. Wir lebten
vom Land, von unserem Gemüsegarten und
den Hühnern. Oft aßen wir auch Kaninchen,
und ich half meinem Vater, sie zu jagen.
Während ich den kleinen Traktor fuhr, saß
er mit seinem Gewehr hintendrauf. Damals
dachte ich mir nichts dabei, so war das
Leben nun mal. Meine Eltern hatten eine
pragmatische Beziehung zum Land; es war
unsere Nahrungsquelle. Für mich war das
anders: Ich fühlte mich eins mit der
Natur, sie war ein Teil von mir und
ich war ein Teil des großen Ganzen.
Als ich mit fünf Jahren eingeschult wurde,
machte ich mit einer ganz anderen Welt
Bekanntschaft. Ich hasste die Schule. Die
Kinder spielten miteinander, und ich hatte
keine Ahnung, wie man das machte. Ich
war introvertiert und einzelgängerisch. Zu
Hause versteckte ich mich hinter dem Sofa,
wenn es an der Tür klingelte, weil ich nicht
wusste, wie ich mich anderen Menschen
gegenüber verhalten sollte. Trotzdem habe
Vergangenheit
ich eine Menge über das Leben gelernt,
indem ich den Erwachsenen zuhörte.
Meine Eltern waren liebevoll, aber auch
streng. Ein typischer Spruch meines Vaters
lautete, dass man Kinder sehen, aber nicht
hören sollte. Und meine Mutter gab die
viktorianische Disziplin an mich weiter, mit
der sie erzogen worden war. Meine Eltern
wollten nicht, dass ich draußen herumtollte,
aber ich tat es trotzdem. Im Wald und auf
den Feldern konnte ich sein, wie ich wollte.
Dort war ich frei. Auch heute spüre ich vor
allem dann einen tieferen Sinn und eine
Zugehörigkeit, wenn ich in der Natur bin.
Mit achtzehn lernte ich meinen Mann Moth
an der Hochschule kennen. Ich erinnere
mich noch ganz genau: Er stand in einem
weißen Hemd in der Kantine und tunkte
einen Schokoriegel in eine Tasse Tee. Das
brachte mich zum Lachen, und als ich in
seine strahlend blauen Augen blickte,
wusste ich: Mit diesem Mann werde ich
mein Leben teilen. Wir sind jetzt seit über
40 Jahren zusammen. Im Gegensatz zu mir
ist Moth sehr extrovertiert und hat mich in
die Welt hinausgeschleppt. Auch er war
schon damals naturverbunden, aber anders
als ich. Er liebte wilde, raue Landschaften,
kletterte und zeltete, wo es ihm beliebte.
Und ich begleitete ihn. Meine Eltern waren
nicht begeistert. Wenn es nach ihnen
gegangen wäre, hätte ich besser einen
Bauernsohn geheiratet. Selbst als sie
sahen, wie glücklich er mich machte,
änderten sie ihre Meinung nicht. Zum Glück
verbesserte sich unser Verhältnis wieder,
als wir Kinder bekamen. Sie liebten ihre
Enkel, aber Moth akzeptierten sie nie als
den Menschen, der er ist.
Schon als kleines Mädchen schrieb ich
gerne Geschichten. Ich liebte es, mich ganz
darauf zu fokussieren und meiner Fantasie
freien Lauf zu lassen. Ich war überzeugt,
dass ich Schriftstellerin werden
würde. Aber das Leben hatte andere
Pläne für mich. Erst spät erfuhr ich, dass
der Hof meiner Eltern nur gepachtet war
und ich ihn nicht erben würde, wie ich
immer geglaubt hatte. Geld für ein Studium
war nicht da, also musste ich arbeiten
gehen. Nachdem ich eine Zeit lang im Büro
beim Amtsgericht an. Gleichzeitig schrieb
ich mich für Jura ein, brach das Studium
aber wieder ab, als im Abstand von 18
Monaten unsere Kinder geboren wurden.
Zwei Babys, ein Vollzeitjob und ein Studium
– das war zu viel. Bald darauf fanden Moth
und ich in Wales unser Traumhaus: ein
Landhaus in den Hügeln. Es war eine Ruine
mit viel Potenzial und mit einem großen
Stall, den wir zu einer Ferienunterkunft
umbauten. Tom war zweieinhalb Jahre alt
und Rowan eins, als wir einzogen. Sie sind
dort auf dem Land aufgewachsen, genau
wie ich, draußen an der frischen Luft. An
einem ganz besonderen Ort. >
_ 37

„AUF EINMAL WAR ES MIR SONNENKLAR: WIR WÜRDEN UNSERE RUCKSÄCKE
PACKEN UND LOSMARSCHIEREN. WAS HATTEN WIR SCHON ZU VERLIEREN?“
Manchmal kann ich es kaum glauben, dass
ich doch noch Schriftstellerin geworden bin.
Ich habe Der Salzpfad eigentlich für Moth
geschrieben und nicht daran gedacht, dass
vielleicht auch jemand anderes meinen Rei-
sebericht lesen wollte. Bis meine Tochter
vorschlug, das Manuskript an einen Verlag
zu schicken. Das Buch ist das Resultat
einer Lebenskrise. Im Jahr 2013 gerieten
wir mit einem Freund in einen Streit über
Geld. Wir glaubten, gemeinsam würden wir
landete vor Gericht. Uns ging das Geld aus,
wir verteidigten uns selbst und hatten das
Verfahren an irgendeiner Stelle nicht richtig
begriffen. Infolgedessen wurden wir aus
unserem Haus vertrieben, das wir liebevoll
mit eigenen Händen aufgebaut hatten. Man
gab uns eine Woche, um 20 Jahre unseres
Lebens zusammenzupacken.
In derselben schrecklichen Woche wurde
bei Moth eine unheilbare Gehirnkrankheit
namens Corticobasale Degeneration (CBD)
diagnostiziert. Sie beeinträchtigt seine
motorischen, sprachlichen und kognitiven
Fähigkeiten. Keine Behandlung, keine
Chance auf Besserung. Ich weiß noch, wie
wir vom Krankenhaus nach Hause fuhren
und schwiegen, wir waren wie betäubt.
Alles, was in dieser Woche passierte,
fühlte sich an wie ein böser Traum. Als die
Gerichtsvollzieher an unsere Tür klopften,
versteckten wir uns unter der Treppe, weil
wir noch nicht bereit waren zu gehen. Dort
entdeckte ich in einer Kiste mit Büchern
einen Wanderführer von Paddy Dillon über
den South West Coast Path, den wildesten
Küstenpfad Englands. Und auf einmal war
es mir sonnenklar: Wir würden unsere
Rucksäcke packen und losmarschieren.
38 _
Gegenwart
Was hatten wir schon zu verlieren? Dillons
Wanderroute gab uns eine Richtung und
wieder einen Grund, morgens aufzustehen;
sie bot uns eine Möglichkeit, die Kontrolle
über unser Leben zurückzugewinnen.
Obwohl die Ärzte Moth gewarnt hatten,
sich nicht zu doll anzustrengen, wurden
seine Bewegungen schon nach wenigen
Etappen geschmeidiger und sein Gang
gleichmäßiger. Eines Abends hatten wir
unser Lager am Strand aufgeschlagen, als
das Meer plötzlich schnell anstieg. Moth
schnappte sich das Zelt mit allem Drum
und Dran und rannte damit den Strand rauf.
Er hatte so viel neue Kraft gewonnen, es
war ein Wunder. Der Küstenweg wurde
unser Zuhause, wir fanden einen neuen
Lebensrhythmus, waren frei. Doch wir
machten auch unangenehme Erfahrungen.
Wenn die Leute erfuhren, dass wir kaum
Geld hatten und obdachlos waren, wurden
sie misstrauisch und zogen sogar ihre
Hunde von uns weg. Einmal bückte ich
mich nach ein paar Münzen, die mir aus der
Hand gefallen waren, als mich eine Frau mit
dem Fuß anstieß und sagte: „Steh auf, wir
wollen hier keine betrunkenen Penner.“ Ich
dachte: Mit wem redet sie? Doch wohl nicht
mit mir? Noch vor Kurzem hätte ich sie in
unserem Ferienhaus begrüßen können.
Mein Leben hatte sich so verändert,
dass sie mich jetzt als Abschaum
betrachtete. Dieser Vorfall bedrückte
mich zutiefst: Wer war ich noch?
Ich zog mich zurück, so wie ich es früher
auch immer getan hatte. Mein Vertrauen in
schwer, mich davon zu erholen. Als wir am
Ende der Wanderung in einer Dorfkirche
kurzen „Hallo“ kein Wort mit den Leuten.
Moths Gesundheit verschlechterte sich,
körperlich und auch geistig. Er begann ein
Studium, lernte Neues, vergaß dafür ande -
res. Es tat mir weh, dass seine Erinnerungen
an unsere Zeit auf dem Küstenweg
verblassten. Damit er sie wieder lebendig
vor sich sah, schrieb ich unsere Notizen aus
dem Wanderführer zu einem vollständigen
Bericht zusammen. So entstand allmählich
Der Salzpfad . Das Buch war mein Ge schenk
an ihn, aber es half auch mir. Das Schreiben
brachte mich wieder auf den Weg, und zwar
in einer Phase, in der ich das dringend
brauchte. Ich spürte den Wind, roch das
Salz. Das war heilsam.
Ein Leser und Fan meines Buches bot uns
seine Farm in Cornwall an. Wir sollten das
verwilderte Grundstück wieder in Schuss
schwer, darauf zu vertrauen, dass jemand
unser Bestes im Sinn hatte. Aber es gab
uns die Möglichkeit, wieder in der Natur zu
sein. Und wir glaubten an den Traum des
Besitzers, dass wir das Land renaturieren
konnten. Also haben wir Ja gesagt. >
 Auf dem South
West Coast Path
(dem Salzpfad) in
der Nähe der
Watergate Bay

Heute

Moth auf
dem Pennine
Way, 2021

Wir beide

Juhu! Angekommen
am Endpunkt des
Pennine Way, 2021

Zelten am
Strand auf
dem Salzpfad

_ 39

„WENN ICH VIEL ZEIT UNTER MENSCHEN VERBRACHT HABE, MUSS ICH IM WALD
VERSCHNAUFEN. ABER ICH ZIEHE DIE NATUR NICHT MEHR DEN MENSCHEN VOR.“
Die Farm ist unser neues Lebensprojekt
geworden, wir haben den Hof und das Land
wieder hergerichtet. Es gibt Rehe, Dachse,
zahllose Vögel und Insekten. Aber es ist
harte Arbeit, und Moth geht es allmählich
immer schlechter, er wird wieder steifer. Ich
glaube, dass bald die Zeit gekommen ist,
den Hof in andere Hände zu übergeben.
Und wir überlegen, welche Wanderung wir
als Nächstes antreten sollen. Nachdem wir
den South West Coast Path gegangen sind,
haben Moth und ich noch zwei weitere
Male die Wanderstiefel geschnürt; immer
dann, wenn es mit seiner Gesundheit
bergab ging. Wir sind quer durch Island
gewandert und zuletzt 1600 Kilometer vom
hohen Norden Schottlands bis zu unserer
Farm in Cornwall gereist. Das war 2021, die
Reise beschreibe ich in meinem aktuellen
Buch Über Land .
Es gibt keine Garantie, dass Moths
Gesundheit auch diesmal wieder davon
Touren jedes Mal geholfen. Alles, was wir
tun können, ist, die Rucksäcke zu packen,
loszulaufen und das Beste zu hoffen. Oft
häufen sich die Ereignisse im Leben bis zu
einem bestimmten Punkt, an dem man
gewisse Dinge schließlich zu akzeptieren
lernt. Ich habe akzeptiert, dass Moth
krank ist, aber noch nicht, dass das
Wandern ihm – und auch mir – nicht
mehr hilft. Ich kann ihn noch nicht
loslassen.
Deswegen habe ich ihn auch zu der
1600-Kilometer-Wanderung gedrängt.
Was hatte ich unterwegs für schreckliche
Gewissensbisse! Als wir durch die wilde,
trostlose Gegend marschierten, erreichte
40 _
Zukunft
sein Gesundheitszustand einen neuen Tief-
punkt, den ersten Teil der Reise konnte ich
kaum genießen. Ich sah, wie sich Moth
plagte, und hatte Angst, dass er mir böse
sein würde, dass ich ihn in diese Lage
gebracht hatte. Aber er hatte sich ja darauf
eingelassen und wollte weitergehen, als wir
das Ende der ersten Etappe erreichten. Von
da an entschied er, ob und wie lange wir
weitermachten. Vielleicht sollte ich ein biss-
chen weniger streng mit mir sein, wenn wir
das nächste Mal aufbrechen.
Ich kann mir nicht mehr vorstellen, je mit
dem Schreiben aufzuhören. Ich liebe diesen
Prozess, das Malen mit Worten. Mit mei-
nem zweiten Buch, Wilde Stille , habe ich
lange gerungen, weil ich wusste, dass es
diesmal viele Leute interessieren würde.
Also stellte ich mir beim Schreiben vor,
dass es nur eine Person lesen würde. Das
hat geholfen. Seit Der Salzpfad erschienen
ist, hat sich mein Leben stark verändert.
Zum einen verdiene ich wieder Geld, freue
mich über jede Stromrechnung, die ich
bezahlen kann. Und ich habe mehr Gesprä-
che geführt als in all den Jahren davor.
Wenn ich viel Zeit unter Menschen ver -
bracht habe, muss ich hinterher jedes Mal
im Wald verschnaufen. Mich erholen. Aber
ich ziehe die Natur nicht mehr den Men-
schen vor. Wenn ich aus meinen Büchern
vorlese oder sie signiere, erzählen mir viele
Leute auch ihre Lebensgeschichte. Mir ist
mittlerweile klar geworden, dass wir alle
das Gleiche durchmachen. Es gibt nur
wenige Menschen, die nicht mindestens
einmal in ihrem Leben die Erfahrung
machen, dass alles zusammenbricht. Emo-
alle kommen irgendwann an diesen Punkt
und teilen ähnliche Gefühle, Ängste und
Träume. Das verbindet uns, und dieses
Bei unserer letzten Wanderung kamen wir
an viele Orte, an denen ich seit 30 Jahren
wie stark sich die Natur verändert hat. Im
Süden hörten wir keine Kuckucke mehr,
weil sie sich in ein kleines Gebiet im Norden
zurückgezogen haben. Wo der Boden einst
nichts anderes übrig, als in Über Land auch
darüber zu schreiben. Die Leute fragen
mich, ob ich jetzt Klimaaktivistin sei.
Möglicherweise, und vielleicht soll-
ten wir zu diesem Zeitpunkt alle zu
Klimaaktivist:innen werden. Deshalb
zitiere ich am Ende von Über Land den
Schriftsteller Edward Morgan Forster:
„Such dir einen Ort, an dem du nicht zu viel
Schaden anrichtest, und bleib dort stehen,
aus voller Überzeugung, das Gesicht zur
Sonne gewandt.“ Damit will ich sagen: Wir
haben nur diesen einen Planeten und auch
nur dieses eine Leben. Ich möchte ganz
bewusste Entscheidungen treffen, die kei-
nen Schaden anrichten, und all das Schöne
genießen. Im Großen und Kleinen.
FOTOS EYEVINE/LAIF, PRIVAT
 M

JE
IT

T CH
Das MagAZIN für persönliche Entwicklung, Kreativität & mehr ruhe

M
Z
A
T E
2
SOMMER-
POSTER &
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N
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PEARL S. BUCK

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projects
mini posters

Einfach den Fragebogen ausfüllen unter

 s c h e St e i
g i n
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M

Kristalle und Edelsteine werden immer
beliebter: als Schmuck, Talisman oder
heilende, ja sogar magische Kräfte zuge - Räucherwerk an. Der Name „Prana Station“ ist Programm:
schrieben. Was hat es damit auf sich?
Im Yogastudio um die Ecke klackern Edelsteine in der
Glaskaraffe, um das Trinkwasser mit Energie aufzuladen.
Die Drogerie verkauft Jade-Roller fürs Gesicht, die nicht
nur die Durchblutung anregen sollen, sondern auch die
Selbstheilungskräfte von Körper und Seele. Und in den
sozialen Medien präsentieren immer mehr Menschen ihre
umfangreiche Kristallsammlung und erklären leidenschaft-
lich, welche Wirkung die schönen Steine vermeintlich
haben: Rosenquarz soll bei Liebesdingen helfen, Amethyst
für Entspannung und besseren Schlaf sorgen, Bergkristall
Energieblockaden lösen und Klarheit schaffen.
JAHRHUNDERTEALTE FASZINATION
Das kann man natürlich als esoterischen Schnickschnack
belächeln und mit den Augen rollen. Man kann sich aber
auch fragen: Was versprechen sich die Menschen davon?
Die Faszination ist schließlich jahrhundertealt. Schon die
Kemetiker nutzten in der Antike verschiedene Kristalle für
rituelle und medizinische Zwecke; am bekanntesten ist
wohl der Türkis, der den Pharaonen als Talisman mit ins
Grab gelegt wurde. Auch die Naturheilkundlerin Hildegard
von Bingen war davon überzeugt, dass Kristalle eine
natürliche Energie und therapeutische Kräfte besitzen, die
bei Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Erschöpfung
helfen sollen. Wissenschaftlich lässt sich das alles nicht
belegen, doch der Glaube aus dem Mittelalter ist für viele
auch heute noch – oder wieder – aktuell. Das ist nicht
verwunderlich, wenn man etwa bedenkt, dass sich laut
einer Yougov-Umfrage aus dem Jahr 2021 jede:r dritte
Deutsche (37 Prozent) als spirituell bezeichnet. Was das
Zeitgeist
genau bedeutet? Legen wir für uns selbst fest, sagt Carola
Kleinschmidt, Autorin und Trainerin für Stressprävention.
„Sich nach einem höheren Sinn zu sehnen, ist immer auch
ein Versuch, sich in der Welt zu verorten. Das Leben ist
komplex, es ist ein Grundbedürfnis zu wissen: Wo komme
ich her, was ist meine Aufgabe, wohin geht meine Reise?
Und wie hängt das mit dem großen Ganzen zusammen?
Weil Menschen seltener Antworten in der Kirche oder bei
der sich sinnvoll anfühlt und vielleicht auch ein bisschen
magisch. Kristalle sind so viel älter, als wir uns vorstellen
können, quasi unzerstörbar, und können uns das Gefühl
geben, mit der Natur und Ahnenwelt verbunden zu sein.“
NACHHILFE BEI ALLTAGSPROBLEMEN
Dass Menschen mehr und mehr zu ihrer ganz individuellen
Tankstellenhäuschen aus den 1950er-Jahren bietet sie ein
Prana ist ein Begriff aus dem altindischen Sanskrit und
Kund:innen selbstbestimmt entscheiden, was ihnen guttut
und was nicht. Sie kommen mit den unterschiedlichsten
Themen zu uns – Trauer, Einsamkeit, Stress – und gehen
sehr offen damit um“, erzählt die Geschäftsführerin. Die
meisten suchen sich einen Stein aus, der sie anspricht und
ihnen wie ein Maskottchen beistehen soll. Das geht mal
über die Ästhetik, mal über die Bedeutung, die auf kleinen
Kärtchen danebensteht. „Und ganz viel übers Gefühl“,
sagt Lipp. „Für mich haben Steine eine Seele, das kann
man nicht immer erklären, aber erfahren. Ich glaube: Jeder
Mensch, der sich darauf einlässt, kann eine Botschaft von
einem Kristall empfangen. Das kann eine Erinnerung sein,
eine Assoziation oder ein Gefühl, zu dem man bis dato
noch keinen Zugang hatte. Die Energie der Steine wirkt
wie ein Türöffner zu uns selbst, bringt etwas ins Rollen.“
Nüchtern betrachtet können Kristalle tatsächlich so einiges
und spielen deswegen in unserem Alltagsleben eine viel
größere Rolle, als den meisten bewusst ist. „Wir denken an
funkelnde Edelsteine oder Diamanten, aber nicht an Autos,
Smartphones, das Internet, Beleuchtung, den piepsenden
Scanner an der Supermarktkasse. All das würde nicht
funktionieren ohne Kristalle, die man im Labor künstlich
herstellt und in elektronischen Geräten verbaut“, sagt
Jochen Friedrich, Leiter der Abteilung Materialien am
Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauele-
mentetechnologie in Erlangen. Kristalle sind ein wichtiger
Werkstoff. Weil ihre Atome in einem gleichmäßigen Gitter
„Auf den Menschen hat das aber keinerlei Auswirkung“,
stellt Friedrich mit einem Schmunzeln klar. Den Glauben an >
_ 43
 „Die Sehnsucht nach einem
höheren Sinn ist immer
auch ein Versuch, sich in
der Welt zu verorten.“

die übernatürlichen Kräfte von Kristallen könne man mit

Medikamenten vergleichen, die über den Placeboeffekt
hinaus keine Wirkung haben.

ANKER IM ALLTAG
Glaube und Wissenschaft sind zwei unterschiedliche

Lipp. Umso größer schätzt sie ihre Verantwortung in der

„Energietankstelle“ ein. „Wenn Leute mit Depressionen
oder anderen Krankheiten zu uns kommen, sind wir ganz
vorsichtig und verweisen auf Ärztinnen oder Therapeuten.
Steine sind weder Wunderheiler, noch können sie das
Leben für dich umkrempeln, aber dabei unterstützen. Sich
regelmäßig mit einem Kristall zu beschäftigen und der
Bedeutung, die er für dich hat, kann eine Form der Selbst- ACHTSAMKEITSÜBUNG
fürsorge sein. Im Alltag nehmen wir uns selten bewusst
Zeit für uns, Steine sind wie Anker.“ Sich mit Kristallen und Edelsteinen
zu beschäftigen ist auf jeden Fall eine
In der Psychotherapie ist die Ankermethode eine gängige
Möglichkeit, sich eine achtsame Pause
Praxis, um Gewohnheiten zu verändern und positive
Gefühle durch einen externen Reiz zu aktivieren. „Das
vom Alltag zu verschaffen. Dazu
kann ein bestimmtes Lied sein, das dir gute Laune macht, kannst du folgendermaßen vorgehen:
oder ein Stein, dessen Bedeutung dich anspricht oder den

„Zum Beispiel: Der Aventurin soll mir helfen, mutiger zu
werden. Immer, wenn du ihn betrachtest oder in die Hand
nimmst, kommst du in Kontakt mit diesem Wunsch. Er
ist ein Anker in deine Gefühlswelt und erleichtert es dem
Geist, im Alltag immer wieder zu diesem Fokus zurück-
zukehren.“ Die Technik ist laut Kleinschmidt eine schlaue
Psychohygiene, solange sie die Handlungsfähigkeit stärkt.
„Sobald du in eine Abhängigkeit rutschst und dir nicht
mehr zutraust, ohne Aventurin in der Hosentasche das
ILLUSTRATIONSHUTTERSTOCK
Betrachten Welche Farben hat der
Stein? Schimmert er, ist er matt,
transparent? Welche Schichten und
Eigenheiten kannst du erkennen?
Fühlen Ist die Oberfläche glatt und
ebenmäßig? Oder rau und kantig?
Kannst du ihn mit allen Fingern
umschließen? Wie schnell verändert
TEXT MAIKE KNORRE

sich seine Temperatur in der Hand?

Haus zu verlassen, kippt das Ganze.“ Oder wenn andere
mit dem Glauben Schindluder treiben: Steine zu überhöh-
Vorstellen Was könnte seine
ten Preisen verkaufen oder bodenlose Heilsversprechen Geschichte sein? Wo kommt der
machen. Kleinschmidt: „Am wichtigsten ist, dass du Stein wohl her? Wie alt mag er sein?
dir deine Selbstwirksamkeit behältst, ganz egal, welche Was hat er vielleicht schon erlebt?
Alltagshelfer du dir aussuchst.“

44 _
 Schönes entdecken und mir etwas Gutes tun

COLLAGE UND FOTOS (RECHTS) CARINA AIGNER

ILLUSTRATION (VORDERSEITE)KEELY REYES

Für ihre Arbeiten schöpft Keely Inspiration aus

der Welt um sie herum – aus Büchern, Filmen, der
Landschaft Kaliforniens, dem Austausch mit anderen
Künstler:innen. Am meisten inspirieren sie aber
ihre drei Katzen Bernie, Fern und Wiley. Ich liebe
"
Katzen! Vor allem ihre eigenwilligen Persönlichkeiten“,
schwärmt Keely. Besonders Bernie ist immer dabei,
wenn sie in ihrem Arbeitszimmer sitzt und freie
Illustrationen oder Auftragsarbeiten anfertigt.
 In ihren Papiercollagen erschafft Künstlerin Carina Aigner (Künstlerinnenname Ina Kadisi) kleine Welten, in denen
nichts einen Sinn ergeben muss, wie sie sagt: „Alles darf sein. Die Welt steht auf dem Kopf, Fische wachsen aus
Pilzen heraus, die Proportionen stimmen ganz und gar nicht.“ Als besonderes Format für ihre Collagen hat Carina
Haftnotizzettel für sich entdeckt. „Es fasziniert mich, auf begrenztem Raum zu arbeiten und in kurzer Zeit eine Idee
zu entwickeln. Die Zettel haben außerdem etwas Vergängliches, weil man sie überall hinkleben kann“, erzählt sie.
Mehr über Carinas Kunst erfährst du unter ina-kadisi.at
ZWEITE EBENE

Die Kanadierin Madeleine Gross bemalt Fotos und hat damit

in den letzten Jahren weltweit auf sich aufmerksam gemacht

-- FOTOS MADELEINE GROSS – @MADELEINEGROSS --

Bildreportage
50 _
„Es macht Spaß, aus einem alltäglichen
Schnappschuss Kunst zu machen.“
_ 53
 Wie kamst du auf die Idee, Fotos zu bemalen?
Ich hatte eine Kunstausbildung angefangen, aber sie
machte mir immer weniger Spaß. 2014 druckte ich nach
ihnen zu experimentieren. Ich bearbeitete sie zunächst mit
Stiften, dann bemalte ich die Fotos. Es machte mir Spaß,
auf diese Weise aus einem alltäglichen Schnappschuss ein
Kunstwerk zu machen. Und ich entdeckte, dass auch
andere Künstler:innen so arbeiten, Gerhard Richter etwa.
Was geschieht, wenn man auf ein Foto malt?
Man verändert das Narrativ. Eigentlich manipuliere ich
die Fotos, natürlich ganz anders als etwa mit Photoshop.
Wenn ich auf ein Foto male, gebe ich ihm eine Erinnerung
bei oder ein Gefühl, das ich beim Betrachten habe.
Manchmal habe ich eine bestimmte Form vor Augen und
andersrum an. Ich schaue immer wieder mein großes
Archiv durch und es kommt vor, dass ein Foto, das mich
monatelang überhaupt nicht interessiert hat, plötzlich doch
etwas in mir auslöst. Verrückt, oder? Ich sehe die Fotos
immer wieder mit anderen Augen.
Natürlich kommen ständig neue Fotos dazu. Aber mein
Archiv bleibt eine Inspirationsquelle. Ich gerate in einen
bestimmten Seinszustand, wenn ich darin stöbere. Die
Fotos machen mich froh, wehmütig oder traurig, und dann
muss ich etwas mit ihnen tun. Vor einigen Jahren ist meine
Mutter gestorben. Kurz vor ihrem Tod hat sie noch Fotos
von mir gemacht, auf die ich später abstrakte Figuren
gemalt habe. Erinnerungen wie diese letzten Fotos meiner
Mutter können schmerzhaft sein, aber wenn man mit sol-
„Wenn ich auf ein Foto
male, gebe ich ihm eine
Erinnerung bei oder
ein Gefühl, das ich beim
Betrachtenhabe.“
54 _
chen Dingen etwas Schönes macht, geben sie einem
ein positives Gefühl und spenden Trost.
Stammst du aus einer kunstsinnigen Familie?
gemalt und war sehr kreativ. Mein Bruder hat Musik stu-
diert. Als ich beschlossen habe, Künstlerin zu werden,
fühlte sich das irgendwie natürlich an. Ich dachte auch,
ich könnte gar nichts anderes. Zeichnen war das einzige
Schulfach, das mir Spaß gemacht hat. Ich weiß noch, dass
ich gerne die Spice Girls gezeichnet habe. Ich stellte mir
dann vor, eine von ihnen zu sein, auf diesen Plateausohlen.
Wo malst du am liebsten?
Ich wohne in Toronto, malen aber kann ich am besten
in dem Haus am Ontariosee, das früher meiner Mutter
gehörte. Dort mache ich auch meine Fotos vom Sonnen-
aufgang. Ich kann den ganzen Tag malen, manchmal brau-
che ich aber auch Abstand. Wenn etwas nicht so wird,
wie ich es mir vorgestellt habe, werde ich unruhig. In der
Regel male ich zwei oder drei Tage in der Woche. Die rich-
tige Stimmung ist wichtig; Musik hilft mir dabei. Ich höre
gern Motown oder die Bee Gees. Ich liebe die Bee Gees.
Was gefällt dir an deiner Arbeit?
Und wenn mir jemand schreibt, wie sehr er meine Kunst
mag, mache ich innerlich Luftsprünge. Ich bin ein eher
scheuer Mensch; die Kunst ist meine Art zu kommunizie-
ren. Mein erster Käufer wohnte in Paris, vor etwa fünf Jah-
ren. Ich wollte das Bild versenden, hatte aber auch Sorge,
dass es beschädigt ankommt. Also bin ich nach Paris
gefahren und habe es persönlich in einem Café überge-
ben. Das war ein sehr schöner Anfang.
Hast du deine Kamera immer dabei?
Bisher meistens. Ich bin mal mit meinem Vater in Colorado
Snowboard gefahren und hielt etwa alle zehn Sekunden
an, weil ich ein Foto machen musste. Manchmal bin ich
unterwegs so auf meine Arbeit fokussiert, dass ich gar
nicht richtig aufnehme, was ich sehe. Das will ich aber
ändern, denn ich möchte gern mehr im Moment sein.
Wenn ich dann doch etwas Besonderes festhalten will,
nehme ich eben mein Smartphone.
Hast du bestimmte Pläne?
INTERVIEWMAAIKE BEEKERS
In letzter Zeit mache ich auch größere Arbeiten. Anfangs
fand ich das fast etwas prätentiös. Demnächst bin ich
Kunstmessen aus. Es ist schon verrückt. Leider ist meine
Mutter 2018 gestorben, ein Jahr bevor es für mich richtig
losging. Aber sie hat immer schon eine große Künstlerin
in mir gesehen, vielleicht hat sie den Erfolg ja geahnt.“
madeleinegross.com, @madeleinegross
Extra

DIY für die nächste Party

KNALLBONBON
Hübsch als Dekoration und eine schöne Überraschung:
Mit unserer Anleitung kannst du Knallbonbons
leicht selber basteln und mit inspirierenden Zitaten,
Fotos und anderem befüllen

PATTERN SHUTTERSTOCK
DRAN ZIEHEN UND
SICH FREUEN:
DIY-KNALLBONBONS
FOTOS SHUTTERSTOCK, KREATIVZEIT

56 _
schneiden falten perforieren
 Ich achte nicht auf die Vernunft. Sie empfiehlt immer das, was ein anderer gern möchte."
"
Elizabeth Gaskell

„KREATIVITÄT ERFORDERT DEN MUT, GEWISSHEITEN LOSZULASSEN.“

„WER INS KALTE WASSER SPRINGT,

TAUCHT INS MEER DER MÖGLICHKEITEN.“ Finnisches Sprichwort

Du kannst etwas verändern - jeden Tag und zu jeder Zeit."

" Jane Godall

„WENN DU
„ALLEIN
„Nichts bringt IMMER ALLE
uns auf
KÖNNEN „HEUTE
REGELN
WIR SO HABE ICH
unserem BEFOLGST,
WENIG TUN, NICHTS
Weg besser VERPASST ZU TUN –
voran als ZUSAMMEN DU DEN AUSSER
eine Pause.“ SO VIEL GANZEN LÄCHELN.“
Elizabeth ERREICHEN.“ SPASS.“ Paul Simon
Barrett Browning
Katharine Hepburn
1 Das Papier
entlang der gestri-
chelten Linien mit
einem Rollschneider
oder Bastelskalpell
perforieren.

2 Den Papierbogen
an den gepunkteten
Linien falten.

3 Nun das Papier

entlang der durch-
gezogenen Linien
einschneiden.
Tipp: Eine Markie-
rung an der Schere
mit Klebeband oder
Stift zeigt dir die
Schnitttiefe.
„DIE KLEINEN
DINGE?
DIE KLEINEN
MOMENTE?
4 Als Nächstes den SIE SIND
Bastelbogen der NICHT KLEIN.“
Länge nach aufrollen
und mit Klebestift Jon Kabat-Zinn
zusammenkleben.
Die eine Öffnung des
Knallbonbons mit
Schleifenband
zusammenschnüren.

5 Jetzt kannst du
dein Knallbonbon
mit Süßigkeiten,
kleinen Botschaften,
Konfetti oder Fotos
befüllen. Anschlie-
ßend auch die
zweite Seite mit
Schleifenband
zubinden. Fertig!

_ 61
 Auf der Bühne zieht Diana Ross alle
Aufmerksamkeit auf sich: „She has the magic“,
sagt Motown-Chef Berry Gordy

Die Dis c o-Diva

Kaum eine kann so ausdrucksvoll von Herzschmerz und Sehnsucht singen

wie Diana Ross. Zum Superstar wird sie durch ihr Talent und ihre Hartnäckigkeit
in den 1960er-Jahren. Aber besonders stolz macht es sie, Mutter zu sein

-- TEXT LIDDIE AUSTIN --

62 _
 Inspirierendes Leben

Diana Ross
wird in den
1960er-Jahren
zum Vorbild
vieler junger
Frauen of Color
 1

1. Diana mit ihren Kindern bei der Eröffnung

von Books and Cookies, dem Kinderbuch-
laden ihrer Tochter Chudney (Vierte von
rechts), 2011
2. Motown-Boss Berry Gordy und Diana, 1979
3. Queen Elizabeth The Queen Mother und
Diana Ross (Mitte) im Jahr 1968
4. Auftritt beim Glastonbury Festival 2022
5. Mit ihren drei Töchtern, ca. 1976
6. The Supremes: Diana Ross, Mary Wilson
and Florence Ballard (von links nach rechts)
7. Bei einem Fotoshooting im Sommer 1975
in Los Angeles

3 4

7
 s ist der 4. Juni 2022. Großbritannien feiert das
70. Thronjubiläum von Königin Elisabeth mit einem
großen Jubilee Concert in London. Auf der Bühne
vor dem Buckingham Palace wird eine Reihe
berühmter Künstler:innen auftreten. Den Abschluss bildet
Miss Diana Ross, Berichten zufolge eine Lieblingssängerin
der Royals. Sie ist 78 Jahre alt und ihre Stimme nicht mehr
ganz wie früher, aber das kümmert niemanden. Hier steht
eine Ikone; die Stadt liegt ihr zu Füßen.
Dianas Leben beginnt weit weniger glamourös. Am 26.
März 1944 kommt sie als Diane Ernestine Ross zur Welt,
als zweites Kind von Ernestine Moten und Fred Ross. Vier
weitere Kinder folgen. Diane hat das Glück, dass ihre
Wiege in Detroit steht, einer Stadt, die nicht lange danach
zu einem Zentrum der afroamerikanischen Musik industrie
werden wird. Aber so weit sind wir noch nicht. Die Familie
hat nicht viel Geld. Ab Dianes siebtem Lebensjahr leben
sie und ihre Geschwister lange bei den Großeltern in Ala-
bama, weil ihre an Tuberkulose erkrankte Mutter sich nicht
um sie kümmern kann. Diane träumt von einer Karriere als
Modedesignerin und besucht auf der High School Näh-
kurse. Aber auch am Singen hat sie Freude, sie unterhält
die Familie, hat Auftritte in der Kirche, in der ihr Großvater
Pastor ist. Und sie macht bei der Schülerband The Primet-
tes mit. Aber, so sagt sie rückblickend: Ich dachte nie,
dass daraus eine Karriere werden könnte.“
Das ändert sich, als sie Smokey Robinson näher kennen-
lernt, der in der Nachbarschaft wohnt und schon als junger
Mann eine Platte aufgenommen hat. Sie fragt ihn, ob sie
und die Primettes nicht auch einmal Berry Gordy, dem Big
Boss von Motown, vorsingen könnten. Motown ist damals
das aufstrebende Detroiter Musiklabel, und Smokey
Robinson vermittelt gerne. Jahre später wird Berry Gordy
behaupten, sein Herzschlag habe ausgesetzt, als er Diane
zum ersten Mal singen hörte. Dennoch lehnt er die Band
ab, weil er sie für zu jung hält: „Kommt wieder, wenn ihr
mit der Schule fertig seid.“
Der erste Nummer-eins-Hit
Doch die Primettes lassen sich nicht beirren, hängen jeden
Nachmittag in der Motown-Zentrale herum. Diane Ross ist
die treibende Kraft, ehrgeizig und hartnäckig – das junge
Mädchen möchte mittlerweile unbedingt Sängerin werden.
Sobald für irgendeine Aufnahme „Background Hand
Claps“ benötigt werden, steht Diane mit der Band parat.
„Ich bin die zweite von sechs Geschwistern“, erzählt sie
viel später augenzwinkernd: „Ich war es einfach gewohnt,
für Aufmerksamkeit arbeiten zu müssen.“ 1961 nimmt
Berry sie denn auch unter Vertrag, unter der Bedingung,
dass die Band ihren Namen ändert. Leadsängerin Florence
Ballard wählt aus einer Liste von Vorschlägen The Supremes
aus. Der Erfolg kommt nicht über Nacht. Schlimmer noch:
Die drei jungen Frauen werden bei Motown intern lange
Zeit die „No Hits Supremes“ genannt. Doch das ändert
sich im Juni 1964, als die Band mit Where Did Our Love
Go ihren ersten großen Erfolg feiert. Danach geht alles
ganz schnell. Zwischen August 1964 und Mai 1967 haben
die Supremes zehn Nummer-eins-Hits, darunter Stop!
In the Name of Love und You Can’t Hurry Love.
Ein ungleiches Trio
Berry Gordy und Motown bestimmen erst einmal alles:
Was die Frauen tragen, wie sie tanzen und wie sie sich
abseits der Bühne zu verhalten haben. Sie werden auf Per -
fektion getrimmt und ertragen es mit Fassung. Nach ihren
Auftritten wartet Berry schon mit einem Notizblock voller
Kommentare. Diana und er haben sich ineinander verliebt,
sind seit 1965 zusammen. Diana und nicht mehr Diane, sie
hat beschlossen, ihren Namen zu ändern. Dass Berry so
ehrgeizig mit den Supremes ist, wird Diana bestimmt
gefallen haben. In einem Interview sagt sie: „Ich möchte
unbedingt die Beste sein. Das wird von mir erwartet und
das erwarte ich auch von mir.“ Aber sie leidet auch darun-
ter, so fremdgesteuert zu sein, fühlt sich wie ein „Bonsai,
dem immer wieder die Wurzeln und Zweige gestutzt
werden“. Ihre Liebesbeziehung mit Berry hat für die an -
deren Mitglieder der Band Vor- und Nachteile. Ein Vorteil
ist, dass die Supremes bevorzugt werden. Zu den Nach -
teilen gehört, dass Florence und Mary nicht viel zu sagen
haben. Berry promotet Diana als Leadsängerin. Und in
Interviews beantwortet Diana sogar die Fragen, die
Florence und Mary gestellt werden. >
„Das Plattenlabel
bestimmt, was
die Frauen tragen,
wie sie tanzen und
wie sie sich zu
verhalten haben. “
_ 65
 Diana hat nicht die beste Stimme und sie ist auch nicht
die Top-Tänzerin. Trotzdem zieht sie mit ihrem Charisma
unwillkürlich die meiste Aufmerksamkeit auf sich, denn sie
singt auf ihre ganz eigene Art über Herzschmerz, Hoffnung
und Sehnsucht. Und sie sieht immer tipptopp aus, der
Eyeliner makellos, die Frisur – oft eine Perücke – hochtou-
piert. Die Supremes mit Diana Ross als Frontfrau werden
zu Vorbildern für Millionen junger Mädchen of Color,
während zugleich die Bürgerrechtsbewegung in Amerika
erstarkt. Die Supremes sind nicht ausdrücklich antirassis-
tisch oder feministisch, aber sie beweisen mit ihrem fast
schon märchenhaften Erfolg, dass man als afroamerikani-
sche Musikband ein breites Publikum ansprechen kann.
Diana wird nicht nur zum Superstar, sondern auch zur
Kein leichter Weg
vom normalen Leben zu sein. So abgeschirmt von der
beiden verlieben sich. „Jemanden wie Bob trifft man sel-
ten. Ein Gentleman, und dabei zugleich jung, dynamisch
und gut aussehend“, schwärmt Diana. Als sie heiraten,
ahnen sie nicht, dass Diana nach einer letzten Nacht mit
Berry schwanger ist. Bob Silberstein beschließt mit Diana,
das im August 1971 geborene Mädchen wie eine eigene
Tochter aufzuziehen. Gemeinsam bekommen die beiden
noch Tracee (1972) und Chudney (1975). Erst mit 13 Jah-
ren erfährt Rhonda die Wahrheit. Laut Diana war es mit
das Schwierigste in ihrem Leben, ihrer ersten Tochter zu
sagen, dass sie zwei Väter hat.
nimmt sie ein Soloalbum auf, mit Hits wie Reach Out and
Touch und Ain’t No Mountain High Enough . Dann dreht
Lady Sings the Blues aus dem
Jahr 1972, in dem Diana die Sängerin Billie Holiday spielt,
bringt ihr eine Oscar-Nominierung ein. In dem Film The
Wiz steht Diana 1978 an der Seite von Michael Jackson

ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Und je erfolgreicher ist. Sie hat seine Karriere von Anfang an begleitet. 1981
die Supremes erscheint schließlich ihr letzter Hit unter den Fittichen von
ten. Die Stimmung backstage wird dabei nicht besser. Flo- Motown: Endless Love, ein Duett mit Lionel Ritchie.
rence trinkt viel Alkohol, Diana isst immer weniger. 1967
verlässt Florence schließlich die Band und wird durch Start in ein neues Leben
Cindy Birdsong ersetzt. Aber im Grunde spielt das keine Dass Berry Gordy immer noch so viel mit Dianas Leben
Rolle, denn die anderen beiden Sängerinnen dienen inzwi- zu tun hat, gefällt Bob Silberstein nicht und führt – neben
schen hauptsächlich als Dianas Background-Chor. Kein anderen Faktoren – zur Trennung des Paares 1977. Diese
Wunder, dass die Band nun auch in Diana Ross & The Krise verändert Diana. Ende 1980 beginnt sie mit den Ver -
Supremes umbenannt wird. Das ist der Anfang vom Ende. >
Im Dezember 1969 landet die Gruppe mit dem Song
Someday We’ll Be Together, den Diana alleine aufgenom-
men hat, ihren letzten Nummer-eins-Hit, woraufhin Diana
endgültig solo weitermacht. Das tut ihrem Ruf erst einmal
nicht gut. Diana Ross sei eine Tyrannin, heißt es hinter
vorgehaltener Hand, und stoße andere notfalls von der
Bühne, um im Rampenlicht zu stehen. Gleichzeitig ist es
ein offenes Geheimnis, dass sie von allen Bandmitgliedern „1981 trennt Diana sich
diejenige ist, die am meisten Energie investiert. Die ande-
vom Label Motown und
ren seien nur neidisch, entgegnet denn auch Diana, die
zieht nach New York. Sie
will künftig ihre ei genen
Ihre Beziehung zu Berry verschlechtert sich, je selbstbe- Entscheidungen tre ff en.“
wusster sie wird, je stärker sie ihren eigenen Weg geht.
„Ich war in sie verliebt, aber noch mehr in die Idee, sie zum
größten Star der Welt zu machen“, wird der Plattenchef
später sagen. Und Diana beschreibt ihn als eine Art Genie,
einen Ersatzvater, der wusste, was richtig für sie war. „Er
hat mir geholfen, meine Träume zu verwirklichen und es zu
wagen, noch größere Träume zu verfolgen.“ Aber irgend-
wann braucht sie mehr Luft zum Atmen. Als sie in einem
Laden in Los Angeles ein Geschenk für Berry aussucht,
bittet sie einen Kunden neben sich um Rat. Der Mann ist
Bob Ellis Silberstein, zufälligerweise Musikmanager. Die

66 _
 Schillernd und
erfolgreich: Ab
1970 startet Diana
ihre Karriere als
Solosängerin

_ 67
 sehr glücklich“, sagt Diana rückblickend. Das Paar hat
zwei Söhne: Ross (1987) und Evan (1988). Mutter von fünf
Kindern zu sein bezeichnet Diana stets als ihren größten

ten nach Hause, damit sie mit ihren Kindern frühstücken

kann. „Ich bin nicht in ihrem Schatten aufgewachsen, son-
dern in ihrer Umarmung“, so Tochter Tracee.

Die große Liebe zerbricht

Für Diana ist Arne die große Liebe. Umso härter trifft es
sie, als sie aus der Zeitung erfährt, dass er mit einer
Norwegerin ein Kind erwartet. Im Jahr 2000 werden sie
geschieden. Diana tritt weiterhin auf wie gewohnt, aber ihr
Alkoholkonsum steigt. Hinzu kommen reichlich Schmerz-
Diana Ross und die mittel. Im Jahr 2002 geht sie freiwillig in eine Entzugsklinik.

FOTOS STEVE SCHAPIRO/CORBIS/VIA GETTY IMAGES, POPPER FOTO/GETTY IMAGES, DAVID LIVINGSTON/GETTY IMAGES, RON GALELLA/
Band The Jackson Große Hits hat Diana Ross im neuen Jahrtausend nicht

GETTY IMAGES, PETER KING/FOX PHOTOS/GETTY IMAGES, DAVE J HOGAN/GETTY IMAGES, PL GOULD/GETTY IMAGES, SILVER SCREEN
Five, ca. 1970. In mehr, aber sie lässt sich nicht unterkriegen, nimmt weiter -
der Mitte sitzt der hin Alben auf und gibt Konzerte. Viele erfolgreiche Künst-
spätere Superstar
ler:innen betrachten sie als Vorbild. Ihre dominanten Züge
Michael Jackson
sind vergessen, verziehen oder als erklärlich entschuldigt.
Wie soll man es auch sonst ganz nach oben schaffen? Für
ihr Lebenswerk wird Diana Ross 2017 mit dem prestige-
trächtigen American Music Award ausgezeichnet. Nach

COLLECTION/GETTY IMAGES, HARRY LANGDON/GETTY IMAGES, MICHAEL OCHS ARCHIVES/GETTY IMAGES

ihrem Auftritt erscheint ihre gesamte Großfamilie auf der
Bühne: ihre Kinder und Enkelkinder, ihre Ex-Männer Bob
von Hollywood nach New York. Es muss sich etwas Silberstein und Berry Gordy und sogar der ehemalige
ändern. Sie hat noch nie selbst ein Flugticket gekauft oder Nachbarsjunge Smokey Robinson. Und bis heute denkt
ein Haus gemietet – all das hat das Plattenlabel für sie Diana auch nicht ans Aufhören. „Ich betrachte es als große
erledigt. Ab jetzt wird sie ihre eigenen Entscheidungen Ehre, hier sein zu dürfen“, sagt sie, nachdem Sohn Evan
treffen. Aber was macht sie glücklich? Diana Ross, eine seine in eine Wolke aus Tüll gehüllte Mutter 2022 beim
willensstarke, erwachsene Frau und Mutter von drei Töch- Thronjubiläum von Queen Elizabeth auf die Konzertbühne
tern, kommt zu der für sie schockierenden Schlussfolge- begleitet hat. Eine Königin für eine Königin, könnte man
rung, dass sie das nicht so genau weiß. Trotzdem geht sie sagen, denn für viele ist Diana Ross genau das: the
ihr neues Leben energisch an. Um ihre Finanzen im Griff zu supreme queen of Motown.
halten, besucht sie Kurse in Buchhaltung und Verwaltung.
Außerdem nimmt sie mit den erfolgreichen Songwritern
Nile Rodgers und Bernard Edwards Kontakt auf, die ihr
den Soundtrack für ihr neues Leben liefern sollen. I’m
Coming Out singt sie auf dem Album Diana (1980), das
stark für ihr frisch errungenes, selbstbestimmteres Leben
steht. 1983 sorgt sie mit einem Auftritt im New Yorker
Central Park vor über 400 000 Besucher:innen für Furore.
Gleich zu Anfang des Konzerts bricht ein Gewitter los.
Doch Diana singt unbeirrt weiter, bis die Feuerwehr sie
durchnässt von der Bühne holt. Das Publikum weigert
sich zu gehen, woraufhin Diana verspricht, dass sie das MEHR LESEN
Konzert am folgenden Tag zu Ende bringen wird. Diana Ross: Secrets of a Sparrow
(Autobiografie, englische Ausgabe, Villard)
Sie hat Beziehungen mit Kiss-Frontmann Gene Simmons,
J. Randy Taraborrelli: Diana Ross
dem Tennisspieler Arthur Ashe und Schauspieler Richard
Gere. Doch als sie im Urlaub den norwegischen Schiff-
(englische Ausgabe, Citadel Press)
fahrtsmagnaten Arne Næss Jr. kennenlernt, ist sie Single. Diana Ross: Eine Diva erobert die Welt
Die beiden heiraten 1986 in Genf. Von dort aus reisen sie (Arte-Doku auf Youtube)
nach Tahiti, wo Næss eine Insel besitzt. „Wir waren sehr,

68 _
Bring mehr Gala
in dein Leben!

Jeden Donnerstag neu im Handel, jederzeit

auf GALA.de und Samstag 17:45 bei RTL.
 Din ge,
die wir
lieben
Es sind die besonderen
Dinge, über die wir uns am
längsten freuen.
Zum Beispiel diese hier
 Sommerfrische

C-AND-A.COM KUSHEL.DE PARFUMDREAMS.DE

Hilft, einen kühlen Kopf zu bewahren: Schon ein Klassiker und jeden Sommer
Strohhut mit Schweißband innen und Towel zwei Bäume und gleicht die wieder gut: „Eau Vitamineé“ von Biotherm.
Tunnelzug, um die Weite zu regulieren. In verbrauchten Ressourcen aus der Pro- Riecht herrlich frisch nach Grapefruit und
verschiedenen Farben 15,99 Euro duktion aus. 180 x 90 cm 59 Euro Orange. 100 ml EdT 38,95 Euro

„Wenn die
Sonne scheint,
kann ich
alles schaffen.“
Wilma Rudolph
DOCTORECKSTEIN.DE (1940 – 1994) MATSCHMITSAHNE.DE
Auch hier: Orangenduft. Davon können Okay, zugegeben: Die ist jetzt nur was
wir einfach nicht genug kriegen. Bis Weih- für Leute mit langen Haaren. Aber ist
nachten. Dann kommt die Mandarine. die Haarklammer „Wassermelone“ nicht
„Shower Gel“, 200 ml 15,90 Euro großartig? 15 Euro
ILLUSRATIONVALESCA VAN WAVEREN

SNIB.WORLD FRIJA-OMINA.COM V-SUN.DE

Die „Sustainable New Iconic Bag“ tritt an Badeanzug „Swea“ besteht aus recycel- Diese Sonnencreme (inklusive Verpa-
gegen eine alte Ikone (in Blau, von einem ten Nylonfasern und ist augenscheinlich ckung) wird in Deutschland hergestellt,
schwedischen Möbelhaus). Und gewinnt in verwandt mit einer Wassermelone (siehe schont die Umwelt und riecht nach
puncto Design und Nachhaltigkeit. 25 Euro links). Oder? 129,90 Euro Vanille. Toll! 75 ml 14,95 Euro

_ 71
Sommerfrische

ARMEDANGELS.COM BOERLIND.COM MOTELAMIIO.COM

Diese Art von luftig-lockerem Kleid schreit Das „Kühlendes Sonnen-Spray Sun Sport“ Unser liebstes Keramiklabel Motel a Miio
für uns „Sommer!“ wie nichts anderes. schützt mit LSF 30 und duftet nach Zitrus - hat auch sommerliche Gläser im Sorti-
Modell „Sessaa“ ist ein Leinen-Lyocell- noten. Und man kann es auch benutzen, ment: „Alegria“ kommt auf jeden Fall mit
Baumwoll-Mix 159,90 Euro ohne Sport zu treiben 24,95 Euro raus auf den Balkon je 18 Euro

„Der Sommer
macht den
Menschen zum
Träumer. “
Paul Keller
NEUBAU-EYEWEAR.COM (1873 – 1932) ECCO-VERDE.DE
Die österreichische Brillenmarke Neubau Füße, die jetzt viel an die frische Luft
verwendet in der Herstellung möglichst
viele nachhaltige Rohstoffe. Hier: Modell Der „Fußbalsam“ von Weleda erfrischt
„Carla“ in Koralle 200 Euro dazu noch. 75 ml 7,99 Euro

REDAKTION WIEBKE A. KUHN

GESUND.DE STRANDTUCHSHOP.DE DRINKPOLLY.DE

Auch darüber muss man reden: die Nicht nur fürs Freibad gut: wasserfeste Leckere Drinks lassen sich mit den alko-
unschöne Seite des Sommers. Viecher, Slipper von Freedom Moses. Echt holfreien Alternativen von Polly mixen. Set
Mücken, Zecken. Dagegen hilft: bequem. Und: Sie riechen nach Milch und aus „Italian Aperitif“, „London Classic“
„Anti Brumm“. 150 ml 18,50 Euro Honig! „Fancy Palmetto Stone“ 49 Euro und Tonic Water 39,90 Euro

72 _
WAHRE VERBRECHEN.
WAHRE GESCHICHTEN.
Das True-Crime-Magazin vomstern .

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MOCHI
 Rezepte

MOHNKUCHEN MIT
BROMBEEREN

Zei t geist

MODERNE
KLASSIKER
Japanische Mochi, schwedische Zimtknoten und ostfriesischer
Schneckenkuchen – Daniela Lais und Jérôme Eckmeier
haben traditionelle Rezepte aus aller Welt vegan interpretiert

_ 75
 MOCHI
der Beere verschließen. Das Mochi mit dem Teigschluss
Zutaten für 10 Stück: nach unten auf einem Backblech auskühlen lassen. Mit
140 g Mochi-Mehl (Mochiko, süßes Reismehl) den restlichen Teigstücken wiederholen. Mochi zuletzt
200 g feiner Zucker 10 Himbeeren (oder Erdbeeren) nach Belieben nachformen und in die Förmchen setzen.
Außerdem: 80 g Kartoffelstärke Dämpfeinsatz für
den Kochtopf 10 Papier-Pralinenförmchen
MOHNKUCHEN MIT
Mehl mit 230 ml Wasser verrühren und 12 Stunden quellen BROMBEEREN
lassen. Die Masse danach in ein Geschirrtuch geben und
im Dämpfeinsatz in einem Topf bei mittlerer bis starker Zutaten für 12 Stücke:
Hitze etwa 20 Minuten dämpfen. TEIG: 115 g Weizenvollkornmehl 115 g Weizenmehl (Type
550) 200 g gemahlener Mohn 230 g feiner Rohrzucker
Zucker in einer beschichteten Pfanne bei mittlerer Hitze 2 TL Natron ½ TL gemahlene Vanille Salz 400 ml
unter Rühren schmelzen. Die Reismehlmasse zugeben und Haferdrink 2 EL Apfelessig 100 g Brombeeren
kräftig weiterrühren, bis sich ein watteähnlicher Teig gebildet 160 ml neutrales Öl 30 g veganer Vanille- oder
hat. Den Teig abkühlen lassen, bis er sich anfassen lässt. Naturjoghurt (Hafer- oder Mandeljoghurt)
Inzwischen Himbeeren waschen und trocken tupfen. DEKO: 50 g Mandelblättchen 100 g Brombeeren
600 g kalte aufschlagbare Reissahne (oder Kokossahne)
Ein Backblech mit Kartoffelstärke bestreuen, die restliche 1 Päckchen Sahnefestiger (nach Belieben) 3 EL
Kokosblütenzucker
bis er sich zu einer Kugel verbunden hat. Dann in 10 Stücke AUSSERDEM: Springform (ø 26 cm) Spritzbeutel mit
teilen, neun davon mit einem Geschirrtuch abdecken. Sterntülle

Backofen auf 180 Grad vorheizen, Springform mit Back -

papier auslegen. Für den Teig beide Mehlsorten, Mohn,
Zucker, Natron, Vanille und 1 Prise Salz in einer großen
Schüssel vermischen.

OSTFRIESISCHER Haferdrink und Essig in einer zweiten Schüssel verrühren

SCHNECKENKUCHEN und in etwa 5 Minuten andicken lassen. Inzwischen die
Brombeeren behutsam waschen und trocken tupfen. Öl
und Joghurt unter den angedickten Haferdrink heben.

Haferdrinkmischung zur Mehlmischung geben und mit gro-

ßem Löffel rasch zum Teig verrühren. Brombeeren vorsich-
tig unterheben. Teig in die Form füllen und im Ofen etwa
1 Stunde backen. Die Stäbchenprobe machen, Kuchen
aus dem Ofen nehmen und vollständig auskühlen lassen.

Für die Deko Mandelblättchen in einer Pfanne ohne Fett

bei schwacher Hitze braun rösten. Abkühlen lassen. Brom-
beeren behutsam waschen und trocken tupfen. Sahne mit
dem Handrührgerät aufschlagen. Nach Belieben Sahnefes -
tiger unterrühren und die Sahne steif schlagen.

Drei Viertel der Schlagsahne mit 50 g Brombeeren vermi -

schen. Kuchen aus der Form lösen und die Brombeersahne
darauf verteilen. Das übrige Viertel Schlagsahne in den
Spritzbeutel füllen und kleine Tuffs auf den Rand spritzen.
Tuffs mit den gerösteten Mandelblättchen bestreuen. Die
restlichen Brombeeren (50 g) in die Mitte geben und den
Kuchen mit Kokosblütenzucker bestreuen. Etwa 1 Stun de
kühlen, danach in Stücke schneiden und servieren.

76 _
 GEDECKTER
APFELKUCHEN

ES GEHT AUCH OHNE

Kuchen, Cookies, Bagels:
Daniela Lais und Jérôme
Eckmeier haben in ihrem
Buch noch viele weitere
„veganisierte“ Backrezepte
versammelt, mal süß, mal
herzhaft. Dazu gibt’s viele
nützlicheBacktipps.
Daniela Lais, Jérome Eckmeier,
Vegan Baking, DK Verlag

GEDECKTER APFELKUCHEN Backofen auf 180 Grad vorheizen, Springform mit Margarine
einfetten. Teig halbieren. Eine Hälfte zwischen zwei Bögen
Zutaten für 8–12 Stücke: Backpapier 2–3 cm größer als die Form ausrollen. Oberes
MÜRBETEIG: 425 g Dinkelvollkornmehl 1 Prise Salz Papier abziehen und Teigplatte in die Form stürzen. Papier
80 g Agavendicksaft 40 ml Haferdrink 250 g kalte abziehen und Teig an den Formrand drücken. Den Boden
vegane Margarine, plus mehr für die Form mit einer Gabel mehrmals einstechen, Äpfel darauf verteilen.
FÜLLUNG: 800 g Äpfel 1 Bio-Zitrone 60 g feiner Die zweite Teighälfte ebenso ausrollen und auf die Äpfel
Rohrzucker 2 TL gemahlener Zimt ½ TL gemahlene stürzen. Papier abziehen, Teigrand andrücken und den
Vanille (oder 1–2 TL Vanillezucker) 2 EL Speisestärke Deckel mit einer Gabel mehrmals einstechen.
AUSSERDEM: Springform (ø 24 cm) Puderzucker zum
Bestreuen
che leicht gebräunt ist. Herausnehmen, abkühlen lassen,
Für den Teig Mehl und Salz in einer Schüssel vermischen. aus der Form lösen und mit Puderzucker bestreuen.
Agavendicksaft, Haferdrink und Margarine in Flöckchen
zugeben. Mit den Händen zum geschmeidigen Teig kneten.
In Frischhaltefolie wickeln, etwa 20 Minuten kühlen. OSTFRIESISCHER
SCHNECKENKUCHEN
In der Zwischenzeit für die Füllung Äpfel schälen, entkernen
und vierteln. Die Viertel in dünne Scheiben schneiden. Zutaten für 12 Stücke:
Zitrone heiß abwaschen und abtrocknen. ¼ TL Schale HEFETEIG: 1 Päckchen Trockenhefe (oder 42 g frische Hefe)

abreiben und Saft auspressen. Äpfel, Zitronenschale und 80 g feiner Rohrzucker 480 g Weizenmehl (Type 550),
-saft, Zucker, Zimt, Vanille und Speisestärke vermischen plus mehr zum Arbeiten Salz 120 ml Haferdrink
und bis zur Verwendung ziehen lassen. FÜLLUNG: 60 g vegane Margarine 110 g brauner Zucker >

_ 77

MANGO
CHEESECAKE
2 EL gemahlener Zimt 80 g Rosinen
DEKO UND GLASUR: 4–5 EL Mandelstifte 120 g Puderzucker
2–3 EL Haferdrink Vanille 2 Prisen gemahlener Zimt
AUSSERDEM: Springform (ø 26 cm)
Für den Teig die Hefe mit 2 EL Zucker und 120 ml lauwar
mem Wasser verrühren. Den Hefeansatz mit 2–3 EL Mehl
bestreuen und abgedeckt an einem warmen Ort etwa
15 Minuten ruhen lassen.
Restliches Mehl, restlichen Zucker und 1 Prise Salz in großer
Schüssel vermischen. Den Haferdrink lauwarm erwärmen.
Mit dem Hefeansatz zur Mehlmischung geben und alles
zu einem glatten Teig verkneten. Den Teig abgedeckt an
einem warmen Ort etwa 30 Minuten gehen lassen.
Springform mit Backpapier auslegen. Teig auf der bemehlten
Für die Füllung Margarine schmelzen und auf den Teig
streichen. Zucker und Zimt mischen, daraufstreuen.
Zuletzt Rosinen darauf verteilen. Teigplatte dann von der
Längsseite her aufrollen und in 12 Scheiben schneiden.
78 _
Schnecken nebeneinander in die Form setzen und
abgedeckt nochmals etwa 20 Minuten gehen lassen.
Backofen auf 180 Grad vorheizen. Den Kuchen darin
gebräunt ist. Herausnehmen und etwas abkühlen lassen.
Für die Deko Mandelstifte in einer Pfanne ohne Fett
goldgelb rösten. Puderzucker und Haferdrink zu einer
verteilen, mit Zimt und gerösteten Mandelstiften bestreuen.
Kuchen in der Form vollständig auskühlen lassen.
MANGO CHEESECAKE
Zutaten für 12 Stücke:
MÜRBETEIG: 250 g Weizenmehl (Type 550) ½ Päckchen
Backpulver 125 g feiner Rohrzucker ¼ TL gemahlene
Vanille 150 g kalte vegane Margarine
FÜLLUNG: 125 g vegane Margarine 1 kg Sojajoghurt
150 g feiner Rohrzucker abgeriebene Schale von 1 Bio-
Zitrone ½ TL gemahlene Vanille 90 g Speisestärke
FRUCHTSCHICHT: 1 große Mango 2 EL feiner Rohrzucker
TL Agar-Agar
AUSSERDEM: Springform (ø 26 cm)
Backofen auf 180 Grad vorheizen, Springform mit Backpa -
pier auslegen. Für den Teig Mehl, Backpulver, Zucker und
REZEPTE DANIELA LAIS, JÉRÔME ECKMEIER
Vanille in einer großen Schüssel vermischen. Margarine in
Stücken zugeben, alles zum geschmeidigen Teig verkneten.
Ist er zu trocken, 1–2 EL kaltes Wasser unterkneten.
5 cm hohen Rand formen. Bis zur Verwendung kühlen.
- Für die Füllung die Margarine schmelzen. Joghurt, Zucker,
Zitronenschale, Vanille und Speisestärke in einer Schüssel
glatt verrühren. Geschmolzene Margarine langsam einrüh-
ren, bis eine gebundene Masse entstanden ist.
Masse auf den Boden gießen und den Kuchen im Ofen
FOTOS © DK VERLAG/MEIKE BERGMANN
Kuchen aus dem Ofen nehmen und über Nacht in der
Form vollständig auskühlen lassen.
Stein schneiden und grob würfeln. Würfel kurz pürieren,
sodass noch kleine Fruchtstücke vorhanden sind. Püree
mit Zucker und Agar-Agar in einem Topf verrühren. Aufko-
chen und bei schwacher Hitze etwa 3 Minuten einkochen
lassen. Mangomasse zügig auf dem Kuchen verteilen und
1 Stunde abkühlen lassen. Kuchen aus der Form lösen, in
Stücke schneiden und servieren.
Bewusster leben, Tempo rausnehmen und ruhiger werden

ILLUSTRATION (VORDERSEITE)KEELY REYES

Keelys Katzen haben ihr sogar aus einem kreativen

Tief herausgeholfen. Mir wollte einfach nichts
"
einfallen. Irgendwann hatte ich dann die Idee,
100 Tage lang jeden Tag ein Katzenbild anzufertigen“,
erzählt sie. So gelang es Keely, jeden Tag ein wenig
mehr in ihren Flow zurückzufinden. Drei der Bilder,
die in dieser Zeit entstanden sind, siehst du auf
unseren Trennerseiten. Den Rest und noch viele
weitere farbenfrohe Illustrationen findest du auf
Keelys Instagram-Account unter @krco_creative.
 FLOW
HÄPPCHEN
Kleine Inspirationen, tolle Adressen, Bücher & mehr

ECHT PUTZIG
„Alles
Dreckiges Geschirr macht
in der Regel ja keine gute
Gute, alles
Laune. Spülschwamm
"
Leo“ Magische
aus Polyester von Hay
schenkt uns dennoch stets
passiert
ein nettes Lächeln. 19 Euro
pro Schwamm. connox.de
zwischen
Juni und
August. “
Jenny Han
(*1980, Autorin)

STREIFZUG DURCH
DIE BOTANIK
In ihrem Studio stapeln sich Bücher über

schaftlich gern die Schönheit der Natur“,

Tücks. Zusammen mit Textilwerk hat

HERGEHÖRT sie eine Stoffkollektion herausgegeben:
Zum Runterkommen brauchen wir Kissen, Geschirrtücher, Bettwäsche oder
Ruhe? Kommt drauf an, wie ameri - Meterware werden mit ihren Illustrationen
kanische Forscher:innen in einer bedruckt und on demand in Europa
Übersichtsstudie feststellten. Wäh- produziert. Zur Wahl stehen Polyester-,
rend viele Alltagsgeräusche stres- Baumwoll- und Leinenstoffe. textilwerk.com
sen, wirken Naturklänge wohltuend.
So hilft Vogelgezwitscher, Stress
und Ärger abzubauen, Wasser-
geplätscher und Meeresrauschen
wirken sich positiv auf Blutdruck

_ 81
 Grüne
inseln
schaffen
Naturverbundenheit und Stadtleben
schließen sich nicht aus, sagt Unter -
nehmerin Anna Meincke. Sie spricht
sich in ihrem Buch Stadtgemüse
(Löwenzahn Verlag) für den Gemü -
seanbau im urbanen Raum aus.

Was wächst denn in der Stadt?

Theoretisch alles. Man braucht nur
etwas Erde und kann je nach

auswählen, zum Beispiel

-
feln, Radieschen, Karotten
SÜSSES NICHTSTUN oder Tomaten.
Meist tun wir alles, um Wartezeiten im Alltag zu füllen, indem
wir zum Smartphone greifen oder uns anderweitig ablenken. Braucht man dafür
Die Sorge: Der Leerlauf könnte sich unangenehm anfühlen. Eine nicht viel Platz?
Studie ergab jedoch, dass das ein Trugschluss ist. Einem Groß - Weniger, als man denkt:
- Selbst auf der Fensterbank,
onen, in denen sie keine Nachrichten checken, essen, noch in Blumentöpfen, Balkonkäs -
nicht mal auf die Uhr schauen durften, viel besser als erwartet.
Willkommener Nebeneffekt: Wer den eigenen Gedanken ein Minigarten entstehen.
freien Lauf lässt, ordnet Erlebtes und kommt auf neue Ideen. Auch Gemeinschaftsgärten
sind eine tolle Möglichkeit.
Gemüseanbau in der Stadt ist auch
auf scheinbar unbrauchbaren Flä -
chen möglich und sogar sinnvoll.

Weshalb sinnvoll?
Weil wir dort Gemüse produzieren,
wo die Menschen leben, die es
MILCHSHAKE MAL ANDERS
essen. Das spart lange Transport-
Holunderblüte-Orangenmilch wege. Außerdem überhitzen
1 Bio-Orange 500 ml Vollmilch 100 g Städte im Sommer, weil es zu
Topfen Magerstufe 40 ml Holunderblütensirup
der Beton aufheizt. Versiegelte
Die Schale einer Bio-Orange abreiben, die Orange Flächen können kein Regenwasser
auspressen. Milch, Orangenabrieb und -saft mit aufnehmen. Die Luft ist von Abga-
dem Topfen und Holunderblütensirup in ein hohes sen verunreinigt, und es gibt kaum
Glas geben und mixen. In zwei Gläser füllen. Lebensräume für Insekten und
Tipp: mit Vanilleeis oder Eiswürfeln servieren. Vögel. Indem wir Balkone, Flach-
dächer, Innenhöfe und ungenutzte
Weitere leckere
verwandeln, gehen wir viele
unter dem Stich- Pro bleme gleichzeitig an.
wort Rezepte auf
bergbauernmilch.de

82 _
 SCHMUCK MIT SINN
Vreden ist nicht nur Heimat der
Schmuckmanufaktur Niessing, son -
dern auch der nördlichsten frei
ILLUSTRATIONENSHUTTERSTOCK

lebenden Flamingokolonie Europas.

Teil des Erlöses aus dem Verkauf

des „Flamingo Rose“-Anhängers ZUKUNFT
in den Schutz dieser besonderen GESTALTEN
(ANNA),

Vögel. 200 Euro, niessing.com In Anbetracht der Klimakrise

fühlt man sich mitunter ziem -
lich hilflos. Doch es gibt
inspirierende Vorbilder, die
FOTOS PLAINPICTURE, GETTY IMAGES, LÖWENZAHN VERLAG ZOE OPRATKO

nachhaltige Zukunftslösungen
entwickeln. Anke Engelke,
Annette Frier, Axel Prahl und
(REZEPT)/BEIDE FÜR MOLKEREI BERCHTESGADENER LAND, SWR PRESSE

AB NACH DRAUSSEN Bjarne Mädel stellen in der

Doku Wir können auch anders
Etwa 50 Prozent kreativer fühlt man sich laut einer
solche Menschen und ihre außer -
Studie der University of London, wenn man
gewöhnlichen Projekte vor.
ein paar Tage unter freiem Himmel verbracht hat.
ardmediathek.de
Diese Bücher machen Lust auf frische Luft und
Abenteuer im Grünen.

Coole Hütten Seit mehreren Jahren besucht

der Blogger Matt Titone (indoek.com) Surfer:innen
in ihrem Zuhause. Ob es da genauso lässig und
individuell zugeht wie auf den Wellen, zeigt sein
inspirierender Bildband Surf Shacks (Gestalten).
Vanlife In ihrem charmant
illustrierten Buch feiert Vanlife-
Tiefenbacher den Camping-
Urlaub und gibt Tipps für den
TEXT YVONNE ADAMEK, SARAH KLÜSS
LIEBE FÜR MICH
Gerät ja leicht in Vergessen -
heit, wie gut es tut, wenn
wir uns selbst wohlwollend
betrachten. Dieses T-Shirt erin-
nert uns bei jedem Blick in den
Spiegel mit einem Augenzwin -
kern daran, uns selbst mehr zu
mögen. 34,90 Euro , rockarma.de

Alltag unterwegs. Das kleine Buch

vom Camping (Ars Edition)
PETER RAIDER, PETER LECHNER

Unterwegs mit Genuss Auf

leeren Magen macht irgendwann

und Reisebloggerin Jessica Lerchenmüller hat vielseitige

Rezepte von Gerichten gesammelt, die gut schmecken
und sich prima auf Wandertour, Radreise oder Roadtrip
zubereiten lassen. Hungry for Adventures (Knesebeck)

_ 83
 UNSERE ZÄHNE SIND FÜR UNS IM DAUER EINSATZ UND
SPIELEN FÜR UNSER WOHLBEFINDEN EINE GROSSE ROLLE.
GUTE GRÜNDE, SIE HIER MAL IN DEN FOKUS ZU STELLEN

STRESS LASS NACH

FRISCH-
MACHER
Das Zähneputzen ersetzt
eine Mundspülung leider
nicht, ist aber eine durch-
aus sinnvolle Ergänzung,
um die Zähne gesund zu
halten. „Mundwohl“ von
Primavera etwa wirkt mit
ätherischen Bio-Ölen
aus Spearmint, Ravintsara
und Zitrone sowie dem
Wirkstoff Xylit antimikro-
biell und hemmt karies -
bildende Bakterien.
Vegan und ohne Alkohol.
250 ml, 9,90 Euro
Speichel trägt maßgeblich
dazu bei, die Zähne vor
einer Demineralisierung
zu schützen - und er
ist ebenso anfällig für
Stress wie der Rest des
Körpers: Untersuchungen
zeigten, dass sich Dauer -
stress negativ auf die
Zusammensetzung und die
Menge des Speichels
auswirkt. Wer
also in stres -
sigen Phasen
für einen
guten Aus -
gleich sorgt,
Zur Aufklärung Weil gesund im Mund tut auch
beginnt, wird der Zahngesundheit jedes Jahr seinen Zähnen
am 25. September ein Aktionstag gewidmet. etwas Gutes.
Infos zum Programm tagderzahngesundheit.de

BITTE RECHT FREUNDLICH

Dass Zucker nicht gut ist für die Zähne, wissen wir
seit Kindertagen. Was im Umkehrschluss aber leider
nicht heißt, dass zuckerfreie Produkte zahnfreundlich
sind: Auch versteckte Zuckerarten oder ein hoher Säu -
regehalt können dem Zahnschmelz zusetzen. Daher
testet die Aktion Zahnfreundlich e. V. Süßkram und
Getränke, die Zuckeraustauschstoffe enthalten. Un be-
1 Lit er
denkliche Produkte bekommen das Zahnmännchen- Das ist die Menge Speichel,
Siegel. Bislang sind das mehr als 100. zahnmaennchen.de
die ein Mensch täglich
produziert. Spucke besteht zu
99 Prozent aus Wasser, sie
spült und schützt die Zähne.

84 _
 BERUHIGEND
Eine entzündete
Stelle im Mund
hat man schnell
mal. Sie kann
sogar durch sehr
scharfes oder
DIGITALER
saures Essen kom - HELFER
men. Ist nicht Wer auch gern mal aus dem
schlimm, aber Blick verliert, wann welche
unangenehm. Auf Vorsorgeuntersuchung ansteht,
ganz natürliche ist mit der App zum Arzt gut SAUBERE SACHE
Art hilft dann beraten. Sie erinnert rechtzeitig, Diese borstigen Helfer sind nicht nur
zum Beispiel das Termine zu machen, und doku -
Mundbalsam von mentiert den Gesundheitsstatus. auch gut für die Umwelt.
Wala,ca.10Euro Kostenlos, für iOS und Android
Elektrisch putzen Ob Schallzahn-
bürste oder rotierender Bürstenkopf:
Beide Varianten gibt es als nachhaltige
Modelle aus recycelten, langlebigen
Rohstoffen. happybrush.de oder bamtoo.de

Aufsteckköpfe Deine E-Zahnbürste

Kaugummi gegen karies kannst du mit klimafreundlichen Wech-
selköpfen ausstatten: aus nachhaltigem
(STEFAN)

In seinem Sachbuch Auf den Zahn hinkommt. Also gute Nachrichten

gefühlt (Kiepenheuer & Witsch) zeigt für alle, die sich mit Zahnseide Kunststoff. truemorrow.de oder tio.care
Zahnarzt Prof. Dr. Stefan Fickl, was schwertun: Wer zweimal täglich
wir für die Gesundheit unserer Zähne Handarbeit Sie glänzen mit hervor -
TEXT SARAH KLÜSS FOTOS GETTY IMAGES, SHUTTERSTOCK, ULRIKE SCHÄFER

tun und wie wir unangenehme Zahn
arzttermine vermeiden können.
Weshalb sollten wir unseren
Zähnen mehr Zeit widmen?
Zähne sind bis ins hohe Alter Tag
und Nacht für uns im
ILLUSTRATIONENMADELINE SCHMOLKE, SHUTTERSTOCK
- ragender CO -Bilanz und sehen auch
Zahnpasta putzt, tut schon eine ²
noch hübsch aus: Handzahnbürsten aus
Menge für die Zähne. Bambus mit Borsten aus Rizinusöl.
niyok.de, hydrophil.com oder nanozahnbuerste.de
Worauf kommt es noch an?
Neben der Mundhygiene ist die
Ernährung extrem wichtig. Viele

Dauereinsatz: Wir kleine Mengen Zucker in Form von

brauchen sie nicht nur Marmeladenbrötchen, Kakao, Obst,
zum Essen, auch beim Schokoriegeln oder Limonade über
Sprechen, Lächeln den Tag verteilt sind für Zähne Gift. „Das Erste,
und nächtlichen Knir -
schen spielen sie eine Zuckeraufnahme reduzieren und
was ich mor-
zentrale Rolle. den Zähnen zwischen den Mahlzei-
ten längere Pausen gönnen. Gut
gens tue, ist
hingegen ist es, zuckerfreien Kau - meine Zähne
Zähne aus heutiger
Sicht am besten?
gummi mit dem Süßungsmittel
Xylit zu kauen. Das Kauen regt den
putzen und
Ein Stoff hat vieles
verändert: das Fluorid. die Zähne gespült, das Kalzium im
meine Zunge
Es wirkt auch dort, wo Speichel stärkt sie. Xylit wirkt sogar schärfen.“
die Zahnbürste kaum direkt gegen Karies.
Dorothy Parker
(1893–1967)

_ 85

FREUNDINNEN
FINDEN
PER APP?
Es gibt Phasen im Leben, da
ist es gar nicht so leicht,
neue Leute kennenzulernen
oder gar Freundschaften zu
schließen. Dabei ist das so
bereichernd. Autorin Jantine
Jongebloed hat es deshalb
mit einer App versucht
- - TEXT JANTINE JONGEBLOED ILLUSTRATIONENMAR ÍA LUQUE
Freundschaft
Eine gute Freundin hat sich kopfüber
ins Online-Dating gestürzt und gleich
drei Kennenlern-Apps installiert. Wenn
wir uns treffen, ploppen ständig neue
Nachrichten auf ihrem Smartphone
auf: ein neues Match, ein kleiner Flirt,
eine Anfrage für ein Treffen. Manchmal
schaue ich ihr interessiert über die
Schulter, aber kein bisschen neidisch.
Diese ständige Aufregung, das
Suchen und Abwägen, aber auch die
damit einhergehen … Zum Glück bin
ich in festen Händen und vermisse die
Partner:innensuche nicht.
Den Spaß am Kennenlernen hingegen
schon. Neun Jahre ist es her, dass ich
meinen Mann über Tinder gefunden
und mich in ihn verliebt habe. Ich
mochte unsere ersten Treffen, und
auch bei all den Dates davor hatte ich
eigentlich immer eine gute Zeit, lernte
alle möglichen netten Leute kennen.
Wenn es zwischen mir und einem
Mann nicht funkte, hatte ich trotzdem
nie das Gefühl, meine Zeit verschwen-
det zu haben. Im Gegenteil, jedes
Date hat mir etwas gebracht. Mindes-
tens einen unterhaltsamen Abend,
und im besten Fall eine echte Erweite-
rung meiner Perspektiven oder neue
Erkenntnisse über mich selbst.
Nachdem ich meinen Mann traf, habe
ich kaum noch neue Bekanntschaften
geschlossen. Bis auf zwei ehemalige
Kolleginnen, die zu Freundinnen
geworden sind und mit denen ich seit
etwa vier Jahren engen Kontakt habe.
So wertvoll meine alten Kontakte und
bestehenden Beziehungen auch sind:
Seit einiger Zeit merke ich, dass ich
mich wieder nach neuen Menschen
sehne, nach neuen Impulsen und
unerwarteten Dynamiken in meinem
Umfeld. Das Dating-Leben meiner
Freundin erinnert mich an all die pri-
ckelnden Café-Gespräche von früher.
Daran, wie inspirierend es sein kann,
Unbekannten ungeniert persönliche
Fragen zu stellen, Verabredungen >
-- _ 87
 mit Menschen aus ganz anderen Krei-
sen zu haben, die ich sonst eher nicht
getroffen hätte: weder bei der Arbeit
noch zufällig in der Kneipe.
Jetzt, wo mein Berufsleben recht ste-
tig ist und ich meist mit denselben
Kolleg:innen zu tun habe, schon eine
Weile in meinem Stadtteil wohne und
auch sonst nicht mehr einfach so
irgendwo hinkomme, wo ich selbst-
verständlich neue Kontakte knüpfen
könnte? „Ich bräuchte eine Dating-
App für Freundschaften“, sage ich zu
meiner Freundin, auf deren Bildschirm
schon wieder ein Match erscheint.
Eine schnelle Internetrecherche ergibt,
dass die Dating-App Bumble auch
einen „BFF-Modus“ hat, Bumble For
Friends. In der Beschreibung steht:
„Ob du neu in der Stadt bist, ein
neues Hobby gefunden hast oder ein-
fach nur eine Person zum Reden
dest du die richtigen Leute.“ Klingt
erst mal gut. Beim Installieren der App
kann ich angeben, ob ich nach Kon-
takten zum Ausgehen, Sportmachen
oder Reisen suche. Ich klicke „alles“
an und gebe mir einen Monat, um auf
diesem Weg potenzielle neue
Freund:innen kennenzulernen.
Tag 1
Freundschafts-App? Anders als bei
der Suche nach Romantik oder Sex?
Ich gebe mein Alter und meinen Beruf
an, wähle „gelegentlich“ bei Sport, „in
Gesellschaft“ bei Alkoholkonsum,
„Atheistin“ bei Religion. Interessiert es
jemanden, dass mein Sternzeichen
Jungfrau ist? Die Kategorie „Filme, die
man gesehen haben muss“ scheint
mir mehr darüber auszusagen, was für
ein Mensch ich bin und was man mit
mir unternehmen kann. Ich gebe Drive
My Car an, seit Kurzem mein Lieb -
zuletzt gehörten Songs erscheinen.
Wer weiß, vielleicht geht mir auf diese
88 _
Weise eine Konzertfreundin an die
Angel? Ich verfasse auch einen kleinen
Text über mich: „Bevor ich vor neun
Jahren meinen Mann über Tinder
kennengelernt habe, habe ich mich
über Dating-Apps mit etwa 40 Leuten
getroffen. Diese Treffen waren alle
interessant, schräg oder lustig. Ich
vermisse es, neue Leute kennenzuler -
nen, denen man unter normalen
Umständen wahrscheinlich nicht
begegnen würde. Lust auf einen Spa -
ziergang?“ Anschließend wähle ich
drei Fotos aus, eins von mir in der
Sonne (um mich als Genießerin zu
präsentieren), eins mit einem Drink in
der Hand und eins mit einer Freundin
an meiner Seite, um zu zeigen, dass
ich schon Freund:innen habe und es
Spaß macht, mit mir Zeit zu verbringen.
Tag 2
Bei meiner fünfjährigen Nichte entste-
hen Freundschaften ganz organisch.
Das Auswahlverfahren ist willkürlich,
oder besser gesagt, es gibt wenig
Auswahl, denn sie lebt in einem Dorf
mit drei Gleichaltrigen. Sie hat sich
mit den Kindern angefreundet, deren
Eltern ebenfalls beschlossen haben,
an diesem abgelegenen Ort zu leben.
Aber wen sucht man sich aus, wenn
man die Wahl hat? Ich mache es
letztlich genauso wie früher bei der
Partnersuche: Innerhalb einer Nano-
sekunde entscheidet mein Unter -
bewusstsein, ob eine Person zu mir
passen könnte oder nicht. Eine
35-jährige Frau mit dezentem Tattoo?
Prima. Jemand mit ADHS? Ich weiß
nicht, ob ich damit umgehen könnte.
Ein ver heirateter Mann mit zwei klei-
nen Kindern? Hm, eher nicht.
Dann erscheint N. (weiblich, 31), eine
Journalistin, die über sich sagt, sie
habe einen schrägen Humor. Ich
wische sie nach rechts, um sie näher
kennenzulernen. Trifft sie dieselbe
Entscheidung, haben wir ein Match
und können uns Nachrichten schi-
cken, so funktioniert die App. Mir fällt
auf, dass ich dazu neige, Leute an -
zuklicken, die mir auf den ersten >
 AUF DER SUCHE
NACH ANSCHLUSS?

BUMBLE: In der App kann man HEY! VINA: Freundschafts-App

ganz einfach hin- und herswitchen:
Willst du ein romantisches Date,
beruflich netzwerken oder neue
Freundschaften schließen? Letzteres
geht im BFF-Modus Bumble For
Friends. Eine internationale und
benutzerfreundliche App, die auch
für freundschaftliche Treffen im
Solo-Urlaub genutzt wird.
MEETUP: Suchst du jemanden zum
Quatschen, Sportmachen oder eine
Konzertbegleitung? Die Kennenlern-
App verbindet Gleichgesinnte.
speziell für Frauen. Ähnlich wie
bei Tinder und Bumble wischt man
sich durch die Profile und sucht
nach netten Kontakten.
SPONTACTS: Ein Netzwerk für
gemeinsame Freizeitaktivitäten in
der Nähe. Man kann sich zum Joggen,
gemütlichen Essengehen oder zu
einer Partynacht verabreden und
einer Freizeit-Community anschlie -
ßen. Oder die richtigen Leute für
eine eigene Mitmachgelegenheit fin -
den. Filter helfen bei der Suche.

_ 89
 Blick ein bisschen (oder sogar sehr)
ähneln. Frauen mit dem gleichen
Kleidungsstil, Musik- oder Filmge-
schmack; Leute, die bereits meine
Freund:innen hätten sein können.
Aber war ich nicht auf der Suche nach
Bekanntschaften außerhalb meiner
Blase, mit anderem Leben und ande-
rer Weltanschauung? Ich nehme mir
vor, wagemutiger zu werden.
Tag 4
Heute bin ich auf eine alte Bekannte
aus meiner Studienstadt gestoßen.
Wir sind ein Match und führen eine
kurze Unterhaltung im App-eigenen
Chat, tauschen Nummern aus und
verabreden, uns anzurufen, falls eine
von uns mal in der Nähe der anderen
ist und Lust auf einen Kaffee hat.
Auch wenn mir von vornherein klar ist,
dass das nie passieren wird – wir
haben uns schließlich nicht umsonst
vor Jahren aus den Augen verloren.
Ich wische mich weiter durch das
Angebot, aber es will nicht so richtig
klappen mit den Matches. Vielleicht
Interesse, und dann beruht die Sym-
pathie nicht immer auf Gegenseitig-
„Ich habe das Gefühl,
etwas Unerlaubtes zu tun.
Dabei ist ein leichtes
Kribbeln ja wohl auch
bei der Freund:innen-
Suche erlaubt.“
90 _
keit. Ab und zu informiert mich die
App, dass ich ein Match verpasst
habe, wenn ich eine Person beiseite-
wische, die mich offenbar mochte.
Dann habe ich Gewissensbisse.
Tag 7
Im Freundschaftsmodus von Bumble
sind zu 95 Prozent Frauen unter -
wegs, nur sehr selten begegne ich
ein unterhaltsames Gespräch mit F.
(männlich, 32 Jahre alt). Er wohnt um
die Ecke von mir, aber der Funke will
nicht so recht überspringen, und das
Gespräch gerät in eine Sackgasse.
Dann wische ich 24-mal nach links
(sorry!), bis ich auf L. (weiblich, 38
Jahre alt) stoße und ihr einen Swipe
in die richtige Richtung versetze.
Auch sie hat nach rechts geswipt,
wir können chatten.
Hängematte und einem Kanu zu
sehen, sie mag genau wie ich den
Filmemacher Wes Anderson, und auf
die Frage, was sie auf eine einsame
Insel mitnehmen würde, antwortet sie,
dass es ein Fahrrad, Lautsprecher und
ihr Vibrator wären. Ich schreibe ihr,
dass mich ihre Antwort zum Lachen
gebracht hat, und sie fragt mich, was
ich mitnehmen würde. Ich gestehe,
dass es (wie langweilig, sorry!) ein Stift
und ein Notizbuch wären. Der Chat
bricht ab, und die möglicherweise
neue beste Freundin reiht sich in die
immer länger werdende Liste von im
Nichts verlaufenden Chat-Gesprächen
ein. Vielleicht sollte man wie bei der
Partner:innensuche gleich zu Whats -
App wechseln und ein Date verein -
baren. Ansonsten bleibt es beim
unverbindlichen Small Talk.
Tag 15
Mein neues Match J. (weiblich, 34
Jahre alt) ist nett, sehr direkt und fragt
mich nach nur vier Sätzen im App-
Chat, ob sie meine Nummer haben
kann. Ich frage sie, ob sich bei ihr
durch Bumble schon irgendwelche
Treffen und Freundschaften ergeben
haben. Es stellt sich heraus, dass sie
bereits zwei Freundinnen gefunden
hat, mit denen sie sich seit einiger Zeit
regelmäßig trifft. J. ist ein bisschen
wie ich, aber auch ein bisschen
anders. Während ich meine Freizeit
und mein Geld hauptsächlich im
Museum und Theater ausgebe, macht
sie leidenschaftlich Outdoor-Sport.
Ihre Fotos auf dem Gravelbike und
dem Wakeboard beeindrucken mich.
Komischerweise kenne ich sonst
keine Leute, die so sportlich sind.
Als ich an diesem Abend auf ihre
Nachricht antworte, während ich mit
meinem Mann in der Kneipe sitze,
habe ich irgendwie das Gefühl, etwas
Unerlaubtes zu tun und gegen die
Regeln zu verstoßen, die in einer
monogamen Ehe gelten. Dabei geht
es hier nur um eine neue Bekannt-
schaft und nicht um Romantik oder
Sex. Und ein leichtes Kribbeln ist ja
wohl auch bei der Freundinnensuche
erlaubt. Und ein gutes Zeichen, oder?
Tag 19
J. und ich verabreden uns zu einem
Spaziergang mit Kaffee, bevor unser
Arbeitstag beginnt. Sie schlägt eine
Straße vor, aber keinen genauen Ort.
Als ich um acht Uhr in ebendiese
Straße einbiege, stellt sich heraus,
dass sie 300 Hausnummern lang ist.
Ich warte strategisch günstig in der
Mitte vor einem Café. Nach zehn Mi-
nuten ist immer noch keine J. in Sicht,
und ich frage mich: Mist, kann man
auch bei der Freundschaftssuche
verarscht werden?
Doch dann ruft sie an und sagt, sie
habe gerade gemerkt, dass sie sich
im Tag geirrt hat. Entschuldigt sich
und sagt, sie sei in fünf Minuten bei
mir. Und dann kommt sie strahlend,
energiegeladen und fröhlich auf mich
zugeradelt, und ich mit meiner etwas
introvertierten Art taue sofort auf, als
ich neben ihr hergehe. Wir reden über
unser Leben, unser Zuhause, die
Reisen, die wir unternommen haben,
unsere Arbeit und darüber, was uns
glücklich macht. Nach eineinhalb scheinen zum Greifen nah. Hat das
Stunden vereinbaren wir, uns bald
wiederzusehen. Kino, eine Radtour, Suche eingeholt?
ein Getränk in einer Bar vielleicht.
Doch wieder zu Hause, stelle ich fest, Auch wenn ich noch keine dauerhafte
dass trotz des wirklich netten Treffens Freundschaft über die Dating-App
der Funke irgendwie nicht so recht gefunden habe, bin ich überzeugt: Es
überspringen wollte. ist möglich. Vorausgesetzt, diese Art
des Kennenlernens passt zu einem.
Tag 24 Mich jedenfalls hat die Suche nach
Inspiriert von J.s Offenheit, schlage neuen Verbindungen wieder mehr in
ich heute meinen neuen Matches K. Kontakt gebracht – mit Menschen,
und T. (beide weiblich, 35 und 29 denen ich sonst vielleicht eher nicht
Jahre alt) vor, gemeinsam einen Spa- begegnet wäre, aber auch mit mir
ziergang zu unternehmen, was beide selbst. Bei den Treffen habe ich
erkannt, dass ich in den möglichen
Termin und Ort, diesmal mit Haus- neuen Freund:innen suche, was ich
nummer, um Irrtümer zu vermeiden.
Anstoß, offen für Neues zu bleiben.
Tag 26-27 Die Bumble-App auf meinem Handy
Ich habe zwei weitere Freundschafts-
dates, die so ähnlich laufen wie mit J.; etwas zu tun, das ein Kribbeln in mir
nach den Treffen plätschert unser auslöst: ein freundliches Gespräch mit
Kontakt so vor sich hin, aber Freund- der Sitznachbarin im Bus, ein sponta-
schaft auf den ersten Blick will sich
nicht so wirklich einstellen. Macht neugierig durch die App zu klicken
nichts: Um die Liebe meines Lebens und mich überraschen zu lassen.
zu treffen, musste ich auch ungefähr
vierzig Dates überstehen. Es braucht
Zeit und Geduld, um eine Verbindung
Tag 30
Während mir die App in diesen vier
Wochen stetig Benachrichtigungen
über neue Matches und Nachrichten
schickt, komme ich mit einer Freundin
meiner Schwester in Kontakt, die sich
ein Buch ausleihen will und bei mir zu
Hause festquatscht. Eine ehemalige
Arbeitskollegin läuft mir zufällig über
den Weg und lädt mich zu einem
Abendessen ein, und ein Instagram-
Kontakt aus der Nachbarschaft
möchte sich gerne auf ein Bier treffen.
Vielleicht, denke ich, hat mich das
Bumble-Experiment generell wieder
offener für neue Kontakte gemacht,
ich habe meine Fühler aktiv nach
anderen Menschen ausgestreckt. Und
bin dadurch aufmerksamer für bereits
bestehende Verbindungen und die
Möglichkeiten, die sich daraus erge-
ben können. Potenzielle Freund:innen
_ 91
Ein ausgedehnter
Spaziergang in der
skandinavischen
Abendsonne
gehört zum festen
Abendritual
 Reise

Vom Glück der Wiederholung

Seit 15 Jahren reist Flow-Redakteurin Yvonne Adamek

in dasselbe Haus an der schwedischen Südküste. Weil
es so schön ist und sie dort wie nirgendwo sonst tun
kann, was für sie im Urlaub so nötig ist: nämlich nichts

-- TEXT YVONNE ADAMEK FOTOS LEV SCHACHT --

_ 93
 Auf den seichten Wellen
des Öresunds kann man prima
mit einem SUP paddeln
Mein erstes Mal in Schweden ist knapp 30 Jahre her.
Damals war ich zwölf Jahre alt und auf einer Jugend
freizeit in einem winzigen Dorf namens Vikmanshyt
Und natürlich habe ich mich prompt verliebt: in die
roten Holzhäuser, die vielen Seen und dichten Wälder
und in einen schlaksigen, blonden Schweden namens
Fredrik. Ein Jahr lang schrieben wir uns schnulzige
Briefe, und für mich stand fest: Wenn ich groß bin,
ziehe ich nach Schweden und heirate entweder ihn
oder einen anderen groß gewachsenen Einheimischen.
der Sache mit
Fredrik ist zwar nichts geworden, und ich lebe auch
noch immer in Nord deutschland – aber meinem Traum
bin ich dennoch ziemlich nahegekommen.
SCHÖNE FAMILIENTRADITION
Heute bin ich mit einem schlaksigen, blonden Mann
verheiratet, der zwar nicht direkt aus Schweden
kommt, aber Familie hat, die dort lebt. Zunächst fuhr
seine Mutter als Kind oft dorthin. Nachdem sie eine
Familie gegründet hatte, kaufte sie in Schweden ein
kleines Haus und nahm meinen Mann und seine
Schwester so lange mit, bis Urlaube mit den Eltern
uncool wurden. Und nun sind wir es, die fast all unsere
Ferien dort verbringen. Zu Beginn war es höchstens
eine Woche im Jahr. Denn eigentlich erkunde ich auch
sehr gern die Welt. Ich war schon wandern in Nepal,
habe in New York auf Hochhausdächern Yoga gemacht
und in Island im Schnee gezeltet. Reisen hilft mir
dabei, Neues zu entdecken, eine Zeit fernab der Kom
fortzone zu leben und mehr zu lernen: über die Welt,
die Menschen und natürlich über mich selbst. Was mir
allerdings oft fehlte, war Entspannung. So gern ich
unterwegs bin, so sehr stressen mich die meisten Rei
sen auch. Es beginnt bei der Frage nach dem Ziel und
94 _
endet mit der regelmäßigen Überwindung, die es mich
- kostet, fremde Menschen mit Händen und Füßen nach
tan. dem Weg zu fragen.
Viele Jahre lang habe ich diese Anstrengung gern in
Kauf genommen. Dabei geht es mir beim Reisen auch
immer darum, in ein anderes Land einzutauchen und mit
den Menschen, die dort leben, wirklich in Kontakt zu
kommen. Ich möchte nicht nur irgendwo zu Gast sein,
sondern mich gern zugehörig fühlen. Doch damit das
gelingt, sollte man einen Ort nicht nur einmal besuchen.
Im Gegenteil: Irgendwann merkte ich, dass ich mich
entscheiden und anfangen muss, mir Zeit zu nehmen –
für mich und ein Land. „Sich in einer Region auszuken -
nen, Geheimtipps zu wissen und vielleicht auch gute
Bekanntschaften zu haben – all das trägt dazu bei, dass
Menschen immer wieder gerne an denselben Ort rei -
sen“, weiß Tourismusforscherin Friedericke Kuhn von
der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen. Dass
dieses Land ausgerechnet Schweden ist und nicht die
Niederlande, Italien oder Thailand, wie bei Freund:innen
von mir, die sich ebenfalls jedes Jahr an ihrer Lieblings -
destination ein Zimmer oder Haus mieten, ist im Grunde
auch Zufall. Wer weiß, wo ich ohne die Jugendfreizeit,
meinen Mann und seine Eltern gelandet wäre.
DIE NASE IM OSTSEEWIND
Nun also Höganäs: Bis vor wenigen Jahren gab es in
diesem kleinen Städtchen am Öresund neben vielen
- kleinen Fischer häuschen aus Holz oder weiß getünch-
tem Mauerwerk nur drei Supermärkte, zwei Tankstellen
und einen Bäcker, der die wahrscheinlich besten Zimt-
schnecken in ganz Schweden macht. Andere Tourist:innen
- sieht man bis heute eher selten. Seit wir uns kennen,
kommen mein Mann und ich immer wieder, um uns den >
 Kleiner Morgen-
spaziergang am
Meer mit Hund
und Haus im
Hintergrund

„ JE ÖFTER ICH
HINFUHR, DESTO
LÄNGER WOLLTE
ICH BLEIBEN.“

Emma liebt es, am Strand

Steine auszugraben
und ihren Schatten zu jagen

Meer, Wiesen, Wälder – das Besondere an der

schwedischen Natur ist ihre Vielfältigkeit. Wenn man
will, kann man jeden Tag etwas anderes machen

Nächstes Jahr vielleicht

doch woanders hin? Ach, nö!
Uns geht’s hier viel zu gut

_ 95
 Geteilte Freude: regel mäßig
kommen auch Freunde
und Freundinnen mit an
„SCHWEDEN HAT MICH unseren Lieblingsort

GELEHRT, DAS HIER UND

JETZT ZU GENIESSEN.“

Ostseewind um die Nase wehen zu lassen und ein

bisschen so zu tun, als gehörten wir dazu. Und je öfter
ich hinfuhr, desto länger wollte ich bleiben, um mit den
Nachbar:innen einen Plausch über den Gartenzaun zu
halten, morgens mit dem Rad den Strand entlang zum
Bäcker zu fahren, spazieren zu gehen, Zimtschnecken
zu essen, im Meer zu baden und zwischendurch ein-
fach nur dazusitzen. Viel mehr gibt es in Höganäs nicht
zu tun. Und genau das macht für mich den Reiz aus:
Weil es nur eine übersichtliche Auswahl an Aktivitäten
gibt, muss man sich nicht entscheiden. Man kann ein-

bedeutet zwar auch, dass ich auf Partys nicht mitreden

kann, wenn es um außergewöhnliche Reiseziele geht,
aber das macht nichts. In Schweden habe ich gelernt,
anzunehmen, was ist, und nicht nach dem zu streben,
was sein könnte. Und das ist sehr erleichternd.
DER REIZ DES VERTRAUTEN
Mein Urlaub in Höganäs beginnt praktisch schon mit
dem Moment, wo wir in unsere Straße einbiegen und
das kleine weiße Haus mit seinem blauen Dach sehen.
Denn ich weiß genau, was mich erwartet, und das ist
tatsächlich unheimlich entlastend. Keine stressige Ori
entierungsphase oder Gefühle der Überforderung.
Einfach nur ankommen und wohlfühlen. Bevor ich das
Haus betrete, gehe ich meistens einmal kurz an den
Strand, nehme eine Brise der salzigen Luft in mir auf,
schaue nach rechts hoch zum Leuchtturm und sage
mir: Schön, dass alles noch genauso aussieht wie beim
letzten Mal. „Es ist wie eine Art Fernbeziehung, die man
mit einer Region eingeht. Weil man genau weiß, was
einen erwartet, kann man nicht so schnell enttäuscht
werden“, erklärt Friedericke Kuhn. „Gerade in Krisenzei
ten, wie wir sie in letzter Zeit durch Pandemie, Ukraine-
vermitteln.“ 2022 fanden laut Reiseanalyse der For -
schungsgemeinschaft Urlaub und Reisen 27 Prozent
aller Urlaubsreisen ab fünf Tagen und sogar 79 Prozent
aller Kurzurlaubsreisen (zwei bis vier Tage) im Inland
statt. Auch Skandinavien, Österreich, Spanien und Ita -
lien sind sehr beliebt. Nur rund sieben Prozent entschie -
den sich für eine Fernreise. „Oft geht es auch darum,
- dem turbulenten Alltag etwas entgegenzusetzen.“
Dieses Gefühl kann ich ganz eindeutig auch für mich
bestätigen. Auch wenn es bei mir weniger diese großen
äußeren Faktoren sind, die in mir in den letzten Jahren
eine gewisse Sehnsucht nach Ruhe geweckt haben.
Mein Leben als berufstätige Mutter von zwei Kindern ist
oft ganz schön hektisch und läuft selten wie geplant.
Entspannt zusammen zu sein, wirklich miteinander zu
reden oder auch einfach mal nichts zu tun, klappt viel
- zu selten. Umso schöner ist es dann zu wissen, was
mich in den Ferien erwartet: Ruhe, Gleichförmigkeit >

96 _
Perfekte Sandstrände
sucht man in West-
schweden meistens
vergebens, aber genau
diese Schroffheit
macht die Küste auch
so besonders

_ 97
 „ NICHT LANGWEILIG, SONDERN
HERRLICH ENTSPANNEND.“

und möglichst wenige Überraschungen. Diese Tendenz

bestätigen auch Psycholog:innen. Carmen Binnewies,
Professorin an der Universität Münster, hat in Studien
herausgefunden, dass Menschen immer dann auftan -
ken, wenn sie sich Kontraste zum Alltag schaffen, also
komplett andere Erfahrungen machen als in ihrem ge-
wohnten Lebensrhythmus. Und da die meisten von uns
nun mal in einem stressigen und vollgestopften Alltag
leben, sind einfache Abläufe und wenige neue Reize für
viele im Urlaub genau das Richtige – so auch für mich.

NICHTS FÜR ALLE

Doch ich weiß auch, dass sich nicht alle wohl dabei
fühlen, regelmäßig ihre freie Zeit an einem relativ ereig-

(SEITE 97)
nisarmen Ort zu verbringen. Manchmal nehme ich zum
Beispiel Freund:innen mit, um ihnen meine Vorstellung
von Glück zu zeigen. Manche verstehen sie, andere
haben es sich aufregender vorgestellt und langweilen
sich schnell. Anfangs hat mich das verletzt, weil ich es

(SEITE 93), PER PIXEL PETERSSON/VISITSWEDEN

Am felsigen Strand des Natur -
dieses Gefühl mit möglichst vielen lieben Menschen tei-
schutzgebiets Kullaberg kann
len zu können. Aber mit der Zeit habe ich verstanden,
man herrlich die Sonne genießen
dass Urlaubsglück eben für jede:n etwas anderes
bedeutet. Und für mich weiß ich: Es riecht nach einer
Mischung aus Meer und Zimtschnecken.

HINKOMMENNatürlich
lässt es sich auch über Land
nach Schweden fahren. Aber
mit der Hybrid-Fähre wird es
ein Erlebnis. Außerdem kann
man sich entspannen und
spart Benzin. Scandlines
bietet Verbindungen von ver -
schiedenen deutschen
Häfen nach Dänemark oder
Schweden: scandlines.de
ESSEN GEHEN Wenn wir
in Höganäs sind, dürfen vier
Sachen nicht fehlen: Zimt -
schnecken und Schokokekse
von der Bäckerei Kakboden
(kakhuset.se) und Burger und
Milchshakes (für Erwachsene
mit Schuss) in der Garage Bar
(garagebar.se) SCHLAFEN
Auf der schwedischen Seite
des Öresunds gibt es nicht
viele Airbnbs, dafür aber
wunderschöne Gäste- und
Hotelzimmer. Mein Favorit ist
das 100 Jahre alte Grand
Hotel in Mölle. Ab ca. 185
Euro pro Nacht im Doppel -
zimmer, grandhotelmolle.se
EINKAUFEN Höganäs ist
berühmt für seine Keramik -
werkstätten. Eine große Aus -
wahl an traditionellem und
äußerst dekorativem
Geschirr sowie Einblick in FOTOS SARA DE BASLY/VISITSWEDEN
den Brennprozess gibt es in
der Keramikfabrik, Bruksga -
tan 36Z, 26369 Höganäs.
ENTDECKENVersteckt an
der Nordseite von Kullaberg
liegt das von dem Künstler
Lars Vilks gezimmerte Kunst-
werk Nimis – eine Art riesiger
Kletterturm aus Treibholz.

98 _
 AB

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Den einen Sinn des Lebens gibt es nicht,
sagt der Philosoph Christian Uhle. Trotzdem ist
es wichtig, sich die Sinnfrage zu stellen. Denn
Kompass, den wir zur Orientierung brauchen
-- INTERVIEW KATJA BOSSE
Rund 35 Prozent der Angestellten in
Deutschland sind der Überzeugung,
dass sie mit ihrer Arbeit keinen
sinnvollen Beitrag zur Welt leisten.
Erleben wir derzeit eine Sinnkrise?
Ja, und es handelt sich hier um ein Mas-
senphänomen. Sehr viele Menschen sind
heute der Überzeugung, dass ihre Arbeit,
der sie so viel Lebenszeit widmen, so viele
Stunden, Wochen und Jahre, komplett
sinnlos ist. Nur 13 Prozent der Beschäftig-
ten in Deutschland sind emotional voll
bei der Sache, fast sieben Millionen haben
innerlich bereits gekündigt.
Wie ist das möglich?
Das ist ein strukturelles Problem. Heut-
zutage tragen leider längst nicht mehr alle
Jobs dazu bei, nützliche Produkte und
Dienstleistungen bereitzustellen – und somit
einen echten Mehrwert für die Menschen
ILLUSTRATIONKEELY REYES --
zu schaffen. Stattdessen leben wir in einer
Summe betrachtet – eigentlich schon alles.
Und trotzdem versuchen die Unternehmen,
immer neue Kaufwünsche zu erzeugen
verkaufen. Gleichzeitig sollen die Prozesse
effektiver werden, sodass weniger Zeit für
Zwischenmenschliches bleibt. Dabei geht
den Mitarbeiter:innen der Sinn verloren.
Kann es auch sein, dass die unsi
cheren Zeiten – erst Corona,
Sinnzweifel verstärken?
Das spielt natürlich auch eine Rolle. Sinn
ist der Boden, auf dem wir durchs Leben
gehen. Doch oft bemerken wir seine Wich-
tigkeit erst, wenn er brüchig wird, so wie
momentan. Wir brauchen ihn aber als Kom-
Neuer Denker
Wie gewinnen wir diese Orientie -
rung zurück?
Indem wir uns bewusster machen, was
uns im Leben besonders wichtig ist und
wo wir in der Gesellschaft eine gelingende
Rolle einnehmen können. Es ist ja kein
Zufall, dass Sinnkrisen vor allem in wohl -
habenden, westlichen Ländern verbreitet
sind: Hier ist weniger festgelegt, wie wir
zu sein und zu leben haben. Immer mehr
Menschen haben immer größere Spiel -
räume, sich selbstbestimmt zu entfalten.
Das ist gut und emanzipatorisch! Diese
große Fülle an Möglichkeiten kann in uns
aber auch einen starken Druck verursa -
chen, unbedingt einen Sinn für sich selbst
ersten Blick oder entspricht nicht dem,
was die Gesellschaft gemeinhin als sinn -
haft betrachtet, kann das diffuse Gefühle
und Krisen auslösen. An dieser Stelle gerät
der Grundgedanke der Selbstverwirklichung
ins Wanken.
Die Frage nach dem Sinn kann also
in eine Sinnkrise führen …
Durchaus. Seinen eigenen Lebenssinn zu
-
ger denn je. Feste Orientierungspunkte
wie Glaube oder strenge gesellschaftliche
Konventionen sind immer weiter weggebro-
chen. Sie wurden abgelöst von Ozeanen
von Alternativen, in denen wir schnell die
Richtung verlieren können. So wird für
einige Menschen der Versuch, ihre Identität
zu bestimmen, zur Lebensaufgabe: Ich
will mich selbst verwirklichen – aber was
macht dieses Selbst aus?
Das klingt, als könne die Suche
nach dem Sinn manchmal sehr
erschöpfend sein.
Ja, das ist sie manchmal, wie der Soziologe
Alain Ehrenberg in einer viel beachteten
- Studie gezeigt hat. Ein Problem ist, dass
die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung
sich in einen gesellschaftlichen Druck ver -
wandelt hat. Viele Menschen verdrängen
deshalb auch die Frage nach dem Lebens-
sinn – vielleicht, weil sie Angst haben, keine
Aber reicht es nicht hin und wieder
auch aus, einfach mitzulaufen? >
_ 101
 Für eine Zeit mag das funktionieren. Aber
langfristig brauchen Menschen Sinn im
„SINN KANN
Leben, um es wirklich genießen zu können.
NUR IN
zu verwechseln oder zu denken, es braucht
den einen Sinn im Leben. Sinn kommt nie BEZIEHUNG
im Singular daher, im Gegenteil: Es gibt ver -
schiedene Arten von Sinn und wir haben
unterschiedliche Quellen dafür in unserem
ZUR WELT UM
Leben. So können wir zum Beispiel auch
Sinn erfahren, wenn wir Tätigkeiten um ihrer MICH HERUM
selbst willen ausüben – wenn sie auf nichts
hinauslaufen und für nichts gut sein müssen.
Der Sinn liegt dann im Prozess selbst, ich
ENTSTEHEN.“
nenne ihn den spielerischen Sinn.

Viele suchen den Sinn in sich selbst.

Aber er kann nur in Beziehung zur Welt
um mich herum, den Menschen, der
Natur und dem Hier und Jetzt entstehen.
So kann man etwa auf der leiblichen
Ebene Sinn spüren, zum Beispiel beim

es aber auch als besonders sinnstiftend,

durch ihr Handeln einen positiven Beitrag
für die Welt leisten zu können, indem

dem Tierschutz engagieren. Je mehr bei

all dem unsere persönlichen Stärken
gefragt sind, desto weniger fühlen wir uns
ren, dass wir als Person einzigartig sind.
Wenn wir unserem Handeln eine eigene
Note geben, erkennen wir uns im Ergeb - Recht des Stärkeren, sondern unseren Fähig
nis wieder. Das bin ich, ich habe das
gemacht! Hier sind wir keine Zahnräder,
keine Arbeitsroboter, kein austauschbares
Etwas, das irgendeine Funktion erfüllt.
Wir sind also am liebsten als
Menschen für Menschen tätig?
Genau! Das muss aber nicht gleich bedeuten,
dass wir als Arzt oder Ärztin Leben retten
oder einen Brunnen in Afrika bauen. Sinn
können wir auch in lauter kleinen Momenten
der Zwischenmenschlichkeit spüren: in
kurzen aufmunternden Gesprächen an der
Kasse oder beruhigenden Worten in einem
Person überfordert ist, spenden Trost oder
Beistand. Sich einzubringen und etwas zu
bewegen ist für die meisten Menschen tat
sächlich ein tiefer Wunsch. Es scheint sogar
ein angeborenes Grundbedürfnis zu sein.
- Menschen handeln eben nicht nur aus Eigen -
interesse, wie oft unterstellt wird. Unsere
Existenz verdanken wir nicht primär dem
-
keiten zu Kooperation, Empathie, Fürsorge,
Ehrlichkeit, Nächstenliebe und Verantwor -
tung. Der Mensch ist eine soziale Spezies.
Was müsste sich in unserer Gesell -
schaft ändern, damit das wieder
mehr in den Fokus rückt?
CHRISTIAN UHLE
Ein wichtiger Schritt wäre es, der soge-
nannten Sorgearbeit wie zum Beispiel der begeistert an der Frage
nach dem Sinn des
der Erziehung von Kindern einen anderen Lebens vor allem, wie
Stellenwert beizumessen. Solche Tätig- facettenreich sie sich
keiten dienen anderen, unmittelbar und
beantworten lässt.
greifbar. Der Sinn liegt auf der Hand.
Seine Gedanken dazu
Leider werden gerade diese so sinn - hat er in seinem Buch
stiftenden Tätigkeiten wenig wert - Wozu das alles ? (S.
- geschätzt und überdies oft schlecht Fischer) aufgeschrieben.
oder gar nicht bezahlt …

102 _
 Ja, und das ist erstens ethisch ungerecht
und erschwert zweitens ein sinnvolles
Leben. Denn etwas Sinnvolles zu tun zahlt

ja auch zu Beginn der Corona-Krise erlebt:

Auf ihren Balkonen stehend klatschten
Menschen denjenigen Beifall, die den

botinnen, Erntehelfern, Busfahrerinnen …

Trotzdem blieb es nur beim Applaus. Einige
Supermärkte zahlten einmalige Sonder -
zuschläge an die Beschäftigten. Langfristig
änderte sich aber nichts.

Um sich trotzdem nicht machtlos

zu fühlen: Was können wir tun, um
unser Leben mit Sinn aufzuladen?
Wir können unter anderem versuchen, spie-
lerisch durchs Leben zu gehen, statt immer
nach vorne zu streben. Dann erfahren
wir einen Sinn, der in der Gegenwart selbst
liegt. In Bezug auf unsere Arbeit hilft es
Frosch für Wäsche
außerdem, uns vor Augen zu halten, inwie-
fern unsere Tätigkeit das Leben anderer
verbessert. Etwa indem wir den Dienst nach
zum Wohlfühlen
Vorschrift überschreiten, um anderen Men-

Spielräume größer, als auf den ersten Blick zur Haut? Die Frosch Waschmittel und Weichspüler
erkennbar ist. Wenn wir unsere Aufgaben
in einem anderen Licht sehen, nämlich
als Möglichkeit, Menschen zu helfen, dann
beste Waschkraft und natürliche Frische.
fühlen sich auch unsere Arbeit und unser
Leben bedeutender an.
Gut zur Haut – gut zur Natur.

Und wie sieht man seine Aufgaben

im neuen Licht?
Anstatt bloß Brötchen zu backen, jeden Tag
aufs Neue, um die eigene Miete zu bezahlen,
FOTO ALEXANDER HOFFMANN

könnte man sich, wie es zum Beispiel die

US-amerikanische Sinnforscherin Emily
Esfahani Smith vorschlägt, deutlich machen:
„Mein Job ist es nicht, dein Geld zu nehmen.
Mein Job ist es, dich zu ernähren.“ Ich kann
mir aber auch in meiner Freizeit eine für mich
sinnstiftende Tätigkeit suchen. Sinn entsteht,
wenn wir uns an Zielen orientieren, die wir
für wichtig halten. Wenn wir uns ganz kon -
kret fragen: Welchen gesellschaftlichen
TEXT KATJA BOSSE

Beitrag kann und möchte ich leisten? Wobei

erfahre ich Zusammenhalt und Gemein -
schaft? Wann fühle ich mich im eigenen
Dasein zu Hause? Dem können wir dann
mehr Platz einräumen in unserem Leben.

frosch.de /markefrosch /frosch_de WASCHTI

 Extra

Gute Laune zum Aufhängen

SOMMER-POSTER
Erfrischende Zitrusnoten, die Liebe und der
Fokus auf das, was gut läuft: wenn das nicht
drei Gute-Laune-Garanten für den Sommer sind.
Die Künstlerinnen Mélanie Johnsson und
Nikki Miles haben sie auf den zwei hübschen
Postern verewigt, die dieser Flow beiliegen

ILLUSTRATIONENMÉLANIE JOHNSSON, NIKKI MILES

104 _
„Ich liebe es,
wie der
Sommer dich
wie eine
warme Decke
umarmt.“
Kellie Elmore, Schriftstellerin

_ 105
 FÜNF BÜCHER FÜR
URLAUBSTAGE
-- TEXT ANGELIKA DIETRICH COLLAGE PAMELA CARBONELL --

Egal ob am Meer oder im Freibad – das richtige Buch macht die Auszeit
noch schöner. Radiomoderatorin und Autorin Mona Ameziane verrät
uns ihre fünf Lieblingsbücher für Liegestuhl oder StrandMatte

106 _

„Man lernt den
Strand noch einmal
von einer neuen
Seite kennen.“
Der perfekte Urlaubstag folgt für Mode-
ratorin und Autorin Mona Ameziane
einem ganz bestimmten Muster: Nach
einem gemütlichen Frühstück
schnappt sie sich ein Buch, legt sich
an einen weitgehend leeren Strand
und liest. Im Hintergrund rauscht das
Meer – im besten Fall in ihren Lieb-
lingsländern Frankreich oder Marokko,
dem Geburtsland ihres Vaters. „Es ist
ein Teil meiner Identität“, sagt Mona,
die selbst im Ruhrgebiet geboren
wurde und aufgewachsen ist. Darüber,
wie es ist, mit zwei Kulturen groß zu
werden und wie sie durch eine Reise
mit ihrem Vater Marokko noch näher -
kam, hat sie das Buch Auf Basidis
Dach geschrieben. Doch egal, wo
Mona gerade unterwegs ist, genug
Lesestoff muss immer dabei sein:
„Ich liebe es, Bücher haptisch dabei
zu haben. Wenn am Strand Sand in
das Buch kommt, es nass wird oder
einen Sonnenmilch
das nicht schlimm. Vielmehr sehe ich
es als Spuren einer schönen Zeit.
Wenn ich das Buch nach dem Urlaub
dann ins Regal stelle und Sand raus
rieselt – was gibt es Schöneres?“ Das
ganze Jahr über notiert sich die Jour
nalistin Titel, die sie auf ihren Reisen
mitnehmen möchte. Denn obwohl sie
für ihre wöchentliche Büchersendung
Stories , die sie seit 2017 bei 1 Live
moderiert, viel liest, bleiben immer
noch viele Bücher übrig, die sie inte-
ressieren. Auf ihrem Instagram -Kanal
@mona.ameziane teilt sie weitere
außerdem im Bücher -Podcast Zwei
Seiten zusammen mit der Moderato -
rin Christine Westermann jeden
Dienstag neuen Lesestoff zu einem
bestimmten Thema. Hier kommen
Mona Amezianes fünf Tipps für
sommerliche Auszeiten:
„STRAND“ VON KARSTEN REISE
UND HELLA KEMPER
Ich habe mir gewünscht, dieses Buch
am Strand lesen zu können. Ich
glaube, da fühlt man es noch einmal
ganz anders. Strand ist ein Sachbuch
aus der Reihe European Essays on
Nature and Landscape , in der es um
einzelne Landschaften geht: etwa den
Wald oder die Heide. Hier schreiben
der Meeresbiologe und Küstenfor -
scher Karsten Reise und die Journa-
listin Hella Kemper über den Strand.
Es ist eine Mischung aus ganz per
sönlichen Anekdoten, poetischen,
kunst - und kulturhistorischen, philo-
sophischen und naturwissenschaft-
lichen Texten und Informationen.
Lesen
„Der Roman bringt
einen zurück in
die Sommer der
eigenen Jugend.“
-
-
Bebildert ist der Band mit Fotos und
Zeichnungen, und am Ende gibt es
Empfehlungen für persönliche Lieb-
lingsstrände. Obwohl ich schon so viel
Zeit an Stränden verbracht habe, habe
ich wahnsinnig viel dazugelernt. Total
spannend fand ich zum Beispiel,
dass Strand früher Sicherheit bedeu-
tete, weil man alles weit überblicken
konnte. Ein Wort habe ich mir ganz
dick angestrichen: Sandlückenfauna.
Das ist eine Tierwelt, die in den
Lücken zwischen den Sandkörnern
lebt und noch sehr unerforscht ist.
„DAMALS IM SOMMER“ VON
FLORIAN GOTTSCHICK
Schon beim Blick aufs Cover spürt
- man warme Sonnenstrahlen auf
der Haut. Der Roman bringt einen
gedanklich zurück in die Sommerzeit
der eigenen Jugend, erinnert an erste
große Schwärmereien. Im Mittelpunkt >
_ 107
 „Zeitlos schön,

der Frankreich-
Nostalgie.“

„Man bekommt eines 15-Jährigen. So richtig span-

wirklich Fernweh
und Lust,
selbst loszufahren.“
der Geschichte stehen zwei Brüder,
die Ende der 1990er-Jahre ihre Ferien
in einem Haus am Strand verbringen.
Der eine ist 17, sportlich, vorlaut, ex -
trovertiert, hat Erfahrung mit Mäd-
chen. Der andere 15, schüchtern,
unsportlich, dem großen Bruder in
vielem etwas unterlegen. Dann lernt
der Jüngere von beiden Filip kennen,
einen Franzosen, der ihn sehr für sich
einnimmt. Im Laufe der Zeit merkt er,
dass er Gefühle für ihn entwickelt.
Plötzlich steckt man als Leser:in mit-
ten in der verworrenen Gefühlswelt
nend wird es erst nach den Ferien:
Da erfährt der Ich-Erzähler etwas,
das alles ins Wanken bringt. Die
Geschichte ist federleicht erzählt,
mitreißend und auch ein bisschen
melancholisch. Ein schöner, queerer
Sommerroman, den man locker an
einem Tag weglesen kann.
„IMMER AM MEER ENTLANG“
VON FRANZISKA JEBENS
Es gibt ja viele, die an ihrem Urlaubs-
ziel Bücher lesen, die in genau die-
sem Land spielen, und tatsächlich
gibt es sogar Destinationsromane als
eigenes Genre. Für mich persönlich
ist das aber nicht so wichtig. Wichtig
ist mir, dass ein Urlaubsbuch ein
Gefühl transportiert. Im Sommer
würde ich nie etwas über einen Skiur
lauber lesen. Immer am Meer entlang
gelingt es auf ganz spielerische Weise,
die Freiheit und Unbesorgtheit eines
Roadtrips einzufangen.
Josi und Paul nehmen sich je ein Jahr
Auszeit; Josi hat ihren Trip mit dem
Bulli von langer Hand geplant, Paul
fährt ganz spontan los. Sie reisen die
Küsten von ganz Europa ab. Anfangs
treffen sie zufällig aufeinander, später
absichtlich. Mit jeder neuen Station
lernen sie sich gegenseitig besser
auch zu sich selbst. Sie nehmen uns
mit an malerische Strände und ein-
same Buchten in Frankreich, Portugal,
- Spanien, Italien, Griechenland und
Schottland – man bekommt wirklich

MIT PODCASTS UM DIE WELT
Welttournee Adrian und
Christoph haben zusammen
schon über 100 Länder bereist.
Mit kleinem Budget und 30
Urlaubstagen pro Jahr. Pro
Folge wird ein Land oder eine
Region behandelt – von der
Ukraine über Guatemala bis an
die Nordseeküste.
Weltwach Selbst viel gereist,
lässt Moderator Erik Lorenz
ganz große Weltenbummler zu
Wort kommen: Die Fernwande-
rin Christine Thürmer verrät ihre
Lieblingsrouten in Europa und
Autor Frank Herrmann gibt
Tipps fürs nachhaltige Reisen.
Traveloptimizer Wohin rei-
sen mit Vollzeitjob und wenig
Freizeit? Die Frage beantworten
Nina Lipp und Thomas Killinger.
In ihrem Podcast stellen die
beiden tolle Kurztrips vor, die
sich auch mit Vollzeitjob reali-
sieren lassen. Luftpost Wer
nach einer Reise Freund:innen
und Verwandten nicht immer
wieder erzählen will, wie es war,
kann auf diesen Podcast ver -
weisen. Dort werden alle Fle -
cken dieser Erde ausführlich
beschrieben. Weltempfänger
Plastik sammeln auf Bali oder
kochen in Peru: Im Reisepod-
cast vom Deutschlandfunk geht
es weniger ums Unterwegssein,
sondern darum, wie man auf
unterschiedlichste Weise die
Welt erleben kann.

108 _

Fernweh und eine große Sehnsucht
danach, selbst in den Bus zu steigen
(MONA) COLLAGE @PAMELACARBONELL_ARTWORK
und loszufahren. Zwischen den Zeilen
hört man direkt den Sand unter den
Bulli-Reifen knirschen. Die Sprache ist
sehr simpel und leicht, aber manch-
mal wünscht man sich im Urlaub
genau das. Der perfekte Begleiter für
jede Bulli-Tour.
„BONJOUR TRISTESSE“ VON
FRANÇOISE SAGAN
Auf meiner Urlaubsliste steht oft ein
moderner Klassiker: Nicht im Sinne
von Goethe oder Brecht à la „das
sollte ich jetzt mal lesen“, sondern so
was wie Salz auf unserer Haut von
Benoîte Groult, Der Fänger im Roggen
FOTO ANNIKA FUSSWINKEL
von J. D. Salinger oder eben Bonjour
Tristesse . Bücher, die aus verschiede-
nen Gründen an mir vorbeigegangen
sind, aber bei denen ich doch wissen
will: „Was ist dran an diesem Hype?“
Ich las diesen Roman an einem ver
lassenen Pool einer kleinen Unterkunft
auf Kreta und dachte danach nur:
TEXT ANGELIKA DIETRICH
„Mein Gott, warum habe ich das nicht
schon viel früher in die Hand genom-
men!?“ Sagan war gerade mal 19, als
sie den Roman schrieb – Wahnsinn!
Die Geschichte spielt an der Côte
d’Azur. Die 17-jährige Cécile verbringt
dort die Ferien mit ihrem Vater und
dessen Geliebter Elsa. Als Anne
auftaucht, eine Freundin ihrer ver -
storbenen Mutter, bringt dies alles
durcheinander und Cécile beginnt, die
Erwachsenen gegeneinander auszu-
spielen. Es geht um die Themen
Verlieben, Eifersucht, Erwachsenwer -
den, aber auch um Familie, Schuld,
eben. Obwohl der Roman schon fast
70 Jahre alt ist, ist er zeitlos, voller
- Frankreich-Nostalgie und hat einen
ganz besonderen Ton. Ich mag es,
wenn Sommerbücher Leichtigkeit
transportieren, aber von etwas durch-
setzt sind, das diese Leichtigkeit
zerbröselnlässt.
„MALIBU RISING“ VON TAYLOR
JENKINS REID
Dieser Roman war im Frühjahr ein
TikTok-Hit. Dort wurde das Buch rauf
„Liebe, Sehnsucht
und Verrat – alles,
was eine gute
Geschichte braucht.“
und runter besprochen, gelikt und
gepostet. Die Geschichte spielt in
einer Sommernacht in den 1980er-
Jahren in Malibu, Kalifornien und
dreht sich um die Promi-Familie Riva.
Tochter Nina, Surfstar und Super -
model, schmeißt jedes Jahr eine
legendäre Party. In diesem Jahr aber
hat sie gar keine Lust dazu mitzufei-
ern, weil sie gerade von einem Mann
verlassen wurde. Als Leser:in beglei-
ten wir Nina durch ihre Emotionen und
auch durch die Zeit. Jenkins Reid
wechselt nämlich in der ersten Hälfte
des Romans gekonnt zwischen zwei
Zeitebenen: den 24 Stunden rund um
die Party und der Vergangenheit Ninas
und ihrer Familie. Dabei tauchen wir
zusammen mit der Protagonistin
immer tiefer ein in eine Geschichte,
die geprägt ist von Geheimnissen,
Liebe, Verlust und Verrat – ein moder -
nes Familiendrama, wenn man so will.
Trotzdem verliert die Erzählung nie
ihre Leichtigkeit. Das liegt auch an
dem Schreibstil der Autorin, der es
gelingt, in einfachen Worten eine
spannende Welt zu erschaffen. Ein
perfekter Roman für alle, die auf
Beach, Party und Surfervibes stehen.
Man fühlt sich gut unterhalten und
surft wie auf einer Welle mit.
_ 109
 Achtsamkeit für jeden Tag

GUT GEGEN
GEGEN
SCHMERZEN
Die monatlichen Bauchkrämpfe, der dröhnende Kopf, der
pochende Zahn: Schmerzen können unseren Alltag stark
beeinträchtigen. Wie Achtsamkeit uns helfen kann, besser
mit ihnen klarzukommen, erklärt Dr. Boris Bornemann

110 _
 Achtsamkeit

Wie genau wirken sie sich auf die Psyche aus?

Oft schlafen wir schlecht und fühlen uns dann tagsüber

energielos. Der Schmerz kann einen auch leichter reizbar
Warum sind Schmerzen machen. Manche Schmerzen schränken unsere Bewe-
manchmal so schwer aus - gungsfähigkeit ein oder die Fähigkeit, an sozialen Aktivi-
zuhalten? Sie sind Warnsignale täten teilzunehmen. Wir ziehen uns zurück. Wenn wir
unseres Körpers. In der Regel aber weniger mit anderen Menschen zu tun haben und
weisen sie uns auf Verletzungen, weniger Dinge machen, die Freude bereiten, tritt der
Entzündungen oder Krankheiten Schmerz oft noch mehr ins Zentrum des Erlebens. Wenn
hin. Wir können sie nicht so wir uns isolieren, werden wir niedergeschlagen, manch-
leicht ignorieren – und das ist mal sogar depressiv. Oft kommen auch Ängste hinzu:
auch gut so. Sie enthalten wich- Wir sorgen uns, dass der Schmerz auf etwas Schlimmes
tige Botschaften, zum Beispiel: hinweist oder auch, dass er nicht wieder vorbeigeht.
Geh zum Arzt. Beweg dich mehr.
Gönn dir mehr Erholung. Was
Schmerzen oft schwer auszuhal-
ten macht, sind die Gefühle und
Gedanken, die sie auslösen. Wir
fühlen uns durch sie bedrückt,
eingeschränkt, abgelenkt und
machen uns Sorgen.

Haben wir schlecht geschlafen oder

als andere? Die Ergebnisse des norwegischen
Schmerzforschers Christopher Nielsen und anderen
legen nahe, dass Schmerzerleben tatsächlich zu
etwa 20 bis 60 Prozent genetisch bestimmt ist.
für Kälteschmerz oder Gelenkschmerzen. Man kann
also nicht sagen: Dieser Mensch ist generell
zwischen Männern und Frauen. Die wenigsten davon
halten einer gründlichen empirischen Untersuchung
stand, wie die nordamerikanischen Forscherinnen
Javeria Hashmi und Karen Davis zeigen. Manche
Schmerzerkrankungen kommen bei männlich, andere
Es gibt hier ein komplexes Zusammenspiel geneti
scher und psychosozialer Faktoren.
sind gestresst, erleben wir Schmerzen
oft intensiver. Die Nerven liegen sozu-
sagen blank, reagieren stärker auf die
Schmerzreize. Je mehr wir uns außer -
dem um den Schmerz sorgen, umso
intensiver erleben wir ihn. Hilfreich ist
dagegen ein Gefühl von Sicherheit und
Geborgenheit. Ist ein guter Freund oder
eine gute Freundin anwesend, erleben
wir Schmerzen als weniger unange -
nehm, wie eine US -amerikanische
Studie zeigt. Chinesische Forschende
fanden sogar heraus: Menschen, die
sich altruistischer verhalten, also mehr
für andere sorgen, können auch besser
mit Schmerz umgehen. Sich zu küm -
DR. BORIS BORNEMANN
mern – um sich selbst oder andere – löst
Gefühle von Ruhe, Nähe, Entspannung, ist Neurowissenschaftler,
Geborgenheit und sozialer Nähe aus. Psychologe und Medi-
Es werden körpereigene Opiate ausge - tationslehrer. Er hat
schüttet, die schmerzstillend wirken. die Meditations-App
„Balloon“ mitentwickelt.
In Flow beantwortet
er regelmäßig Fragen
rund um unsere
- mentale Gesundheit.
>

_ 111
 Können Achtsamkeit und Medi -
tation gegen Schmerzen helfen,
und wenn ja, wie? Eine große
Übersichtsarbeit, in der 30 Studien
zusammengefasst wurden, befand:
Menschen mit chronischen Schmer -
zen, die an Achtsamkeitskursen
teilnehmen, erleben danach ihre
Schmerzen als weniger intensiv und
unangenehm. Sie waren danach auch
weniger depressiv und berichteten
über eine höhere Lebensqualität.
Durch Achtsamkeit lernen wir,
den körperlichen Schmerz da sein zu
lassen, ohne ihn durch Gedanken und
Gefühle weiter anzuheizen. Wir üben
außerdem, freundlich mit uns zu sein.
Das hat schmerzstillende Effekte. Wir
lernen auch zu entspannen. Das hilft,
sich zu erholen und den Schmerz bes -
ser auszuhalten. Schließlich gibt es
bestimmte Visualisierungen, die helfen
können, den Schmerz zu lindern –
etwa die Vorstellung eines wärmenden
Lichtes, das die schmerzende Stelle
weicher werden lässt. Was konkret
hilfreich ist, hängt von der Person
und Art des Schmerzes ab.

Was passiert in unserem Kör -

per, wenn wir uns Schmerzen

FOTOS PLAINPICTURE, SHUTTERSTOCK

Wie wichtig ist es, Schmerzen anzunehmen?
können sie nicht dauerhaft ignorieren. Sie sind ein wichti
ges Signal, drängen immer wieder ins Bewusstsein. Es
ist daher nötig, sie anzunehmen. Das bedeutet vor allem:
zu erkunden, was im Körper passiert, offen und interes
siert. Wir können das beim Meditieren üben. Zunächst
bringen wir die Aufmerksamkeit zu etwas Körperlichem,
das nicht schmerzt – etwa dem Atem oder einer
mit Achtsamkeit widmen?
In zahlreichen Experimenten wurden
Menschen, die in Achtsamkeit
geschult sind, in den Hirn-Scanner
Wir (fMRT) gelegt und dort Schmerz reizen
- ausgesetzt – natürlich nur mit ihrem
Einverständnis. Man kann dann meist
Folgendes beobachten: Es gibt eine
- größere Aktivität in den Regionen, die
körperliches Geschehen verarbeiten.
Zugleich gibt es weniger Aktivierung
in Regionen, die mit emotionaler
TEXT BORIS BORNEMANN

schmerzfreien Körperregion. So kommt der Geist zur Bewertung und Kontrolle beschäftigt
Ruhe. Dann untersuchen wir die schmerzenden Stellen. sind. Achtsamkeit befähigt uns also,
Was spüre ich genau? Ein Stechen, Brennen, Pulsieren, im Körper zu bleiben und weniger zu
Klopfen? Spüre ich Enge oder Druck? Wir bleiben bei werten oder zu grübeln.

wahrzunehmen, ohne uns in Gedanken und Gefühlen zu

verlieren, die alles nur unangenehmer machen.

112 _

Inwiefern kann man Schmerzen
tatsächlich wegatmen? Wenn der
Schmerz eine organische Ursache hat
wie bei einer Verletzung oder Krank-
heit, aber auch bei der Menstruation,
wird er durch Atemtechniken und
Meditation nicht ganz verschwinden.
Wir können ihn also nicht komplett
wegatmen. Aber Atmen kann helfen,
ihn zu lindern. Wenn wir tief und lang-
sam atmen, stimulieren wir den Vagus-
nerv, der entspannend wirkt. Für die
meisten Menschen ist dazu eine
Frequenz von sechs Atemzügen pro
Minute optimal. Manchen hilft es, sich
dabei vorzustellen, dass sie den Atem
in die schmerzende Körperregion schi-
cken. Beim Einatmen geben wir der
Region Platz und Sauerstoff, wir weiten
sie. Beim Ausatmen lassen wir los
und entspannen. Wir können das als
Meditation machen, zum Beispiel etwa
fünf Minuten lang, oder auch jederzeit
im Alltag zwischendurch.
Welche Übung ist im Akutfall gut? Das hängt
von der Art des Schmerzes und unseren Neigungen ab.
Manchmal helfen vor allem Entspannung und Wärme,
und sich zurückzulehnen. Wichtig ist, so gut es geht
die Ansprüche an sich selbst zu reduzieren – was wir
glauben, leisten oder erledigen zu müssen – und sich
zuzugestehen, dass man gerade erst mal ein bisschen
Kümmerzeit braucht. Die lässt sich auch für eine Medita
tion nutzen. Zum Beispiel: den Atem oder den Körper
als Ganzes spüren, zur Ruhe kommen. Dann die schmer
zende Region erkunden. Im Körper bleiben. Vielleicht ein
paar freundliche Worte zu sich selbst sprechen, die Stelle
massieren oder tief in sie hineinatmen. Vielleicht hilft
auch eine Vorstellung – etwa: die Stelle weiten und ent
spannen oder wärmendes Licht dort hinschicken. Ich
empfehle einfach etwas rumzuprobieren, um das zu
Hilft Achtsamkeit „nur“ beim Aushalten
oder kann sie Schmerzen tatsächlich auch
mildern? In der Schmerzforschung werden Kom-
ponenten des Schmerzes unterschieden: Zum einen
gibt es die Intensität, also wie stark das körperliche
Signal ist. Zum anderen die affektive Qualität, also
als wie unangenehm wir den Schmerz erleben.
Durch Meditation wird zunächst die affektive Kom-
ponente reduziert. Wir spüren den Schmerz noch
deutlich, aber leiden nicht mehr so sehr darunter.
Wenn wir dranbleiben und die Techniken regelmäßig
anwenden, kann sich aber auch die Intensität redu-
zieren. Weil wir das körperliche Signal nicht mehr
als so belastend bewerten, drängt es mit der Zeit
auch weniger ins Bewusstsein. Wir erleben den
Schmerz als weniger intensiv.
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-
-
_ 113

Ich
vermisse
Dich
Wie fühlt es sich an, jemandem Lebewohl
sagen zu müssen, den man leidenschaftlich
liebt? Autorin Fen Verstappen interviewt
ANNA (41), DIE SICH NICHT ZWISCHEN ZWEI
MÄNNERN ENTSCHEIDEN WILL
Ich war 21 und in der Überzeugung
aufgewachsen, dass ich mir Liebe ver - in seinen Augen, eine Art von Unan -
dienen muss. Ich würde geliebt wer - gepasstheit, die ich auch von mir
den, wenn ich mich richtig verhielt,
mich anpasste, nicht zu laut redete,
nicht zu viel diskutierte, nicht allzu
haben mich meine Eltern großgezo-
gen. Dadurch sehnte ich mich an der
Schwelle zum Erwachsenenleben
nach jemandem, der bedingungslos
für mich da ist. Nach jemandem, der
mich einfach so liebt, wie ich bin.
DU BIST ES
Eines Nachts in einem Club dann traf
ich Frank: Er war der Manager dort.
114 _
Ich erkannte eine gewisse Verrücktheit
kenne und niemals richtig ausleben
durfte. Du bist es!, dachte ich. Trotz
des Protests meiner Freund:innen
ging ich eine Stunde später mit ihm
nach Hause – und blieb eine ganze
Woche. Ich war schon öfter mit Män -
nern mitgegangen, auf der Suche
nach dieser einen Person, die mich
bedingungslos akzeptieren würde.
Doch bis dato war nie mehr als sehr
männerzentrierter Sex herausgekom
men. Ich war mir noch gar nicht
sicher, was ich eigentlich wollte,
geschweige denn, dass ich mich
traute, meine Wünsche zu äußern. Mit
Frank war alles anders. Er sah mir
direkt in die Augen, wollte wissen,
unangemessen. Er lachte über meine
Witze, hielt mich für klug, gut ausse -
hend, stellte mir Fragen. Nichts wollte
er an mir verändern, ich war gut so,
wie ich war, einschließlich meiner gro -
ßen Gesten und meiner manchmal
unverständlichen Sprunghaftigkeit.
Eine Woche lang gaben wir uns in sei -
ner Wohnung einander hin und hatten
wunderbar harmonischen Sex. Wir
verliebten uns unsterblich ineinander.
Der Mann, den ich später geheiratet
habe, ist mein absolutes Gegenteil.
Ruhig, zurückhaltend, beständig. Als
ich nach der Geburt unserer ältesten
Tochter unter postnatalen Depressio-
nen litt, war er verlässlich für mich da
– das wird schon wieder, sagte er.
Und tatsächlich: Dadurch wurde alles
gut. Seit 17 Jahren bilden wir das
solide und auch glückliche Funda-
ment unserer Familie; wir ergänzen
uns, können uns aufeinander verlas-
sen. Vielleicht gerade weil wir so
grundverschieden sind: Durch seine
Ruhe zwingt er auch mich, ruhig zu
sein, durch seine Beständigkeit macht
er auch mein Leben beständig, und
das macht ihn zusammen mit meinen
Kindern zu meinem Zuhause – die
Basis von allem. Allerdings führen wir
ein sehr gleichförmiges Leben ohne
viel Aufregung oder Entwicklung, ein
Leben, in dem Sex keine Rolle spielt.
Meine Persönlichkeit kann ich nur zur
Hälfte ausleben und oft genug fühle
ich mich zutiefst allein.
Mit Frank hatte ich damals Schluss
gemacht, gleich nach der einen
Woche in seiner Wohnung. Ich fand
diese absolute Hingabe, diese inten-
sive Dynamik zwischen uns erschre-
ckend. Noch nie hatte ich mich mit
jemandem so verbunden gefühlt, so
- sehr das Gefühl, meine andere Hälfte
gefunden zu haben. Aber genau das
machte mir solche Angst: Wenn das
so weitergeht, ging es mir durch den
 Kopf, wenn wir in diesem Tempo wei-
termachen und ich das alles dann
verliere, verliere ich auch mich selbst.
Deshalb sagte ich: Das muss aufhö-
ren. Bald darauf lernte ich meinen
Mann und Frank seine Frau kennen.
HEIMLICHES ANGELN
Ich will mich für das, was nun kommt,
nicht rechtfertigen. Aber wer Kinder
hat, versteht das vielleicht: Man
gewinnt durch sie eine ganz neue
Ebene an Gefühlen und Erfahrungen,
die man nicht mehr missen möchte.
Aber man gibt auch ein Stück der
eigenen Identität auf. Ständig muss
man auf die Persönlichkeiten und
Bedürfnisse der Kinder eingehen,
konsequent bleiben, Sicherheit garan -
unserer Familie hundertprozentig.
Dennoch suchte ich ab und zu den
Kontakt zu Frank, angelte mit dem
Smartphone zwischen Windelnwech
seln, Spielplatz und frühem Zubettge
hen nach ihm und einem Leben, in
dem ich mich bedingungslos akzep
tiert fühlte und das ich so unglaublich
vermisste. Einmal kam es zu einem
Kaffee-Date, aber die Spannung war
zum Schneiden, und ich brach ab,
bevor etwas passieren konnte. Ein
paar weitere Jahre vergingen.
Liebe, die zwei Jahrzehnte unter
Verschluss geblieben war.
Wenn ein Flugzeug abstürzt, muss
man zuerst sich selbst die Sauerstoff -
maske aufsetzen, damit man seinen
Kindern richtig helfen kann. Das sage
ich mir immer wieder – denn natürlich
plagt mich mein Gewissen. Frank und
ich sind jetzt seit eineinhalb Jahren
zusammen. Ich neben meiner Ehe und
meiner Familie und er neben seiner.
Zum ersten Mal in meinem Leben „NUR UNTER
habe ich das Gefühl, die absolute DIESEN
Liebe gefunden zu haben – dass alle
UMSTÄNDEN
meine Bedürfnisse erfüllt werden und
ich ganz ich selbst sein darf. Und es KANN ICH
mag verrückt klingen, aber ich würde MUTTER UND
nichts an der aktuellen Situation BESTÄNDIGE
ändern wollen. Ich weiß, dass ich die PARTNERIN
Liebe meines Mannes aufs Spiel SEIN.“
setze: Wenn diese zweite Beziehung
herauskäme, würde es ihn zutiefst
- verletzen und sein Vertrauen in mich
- zerstören. Aber nur unter diesen
Umständen kann ich Mutter und
- beständige Partnerin sein. Das ist das
Leben, das ich leben will. Ein Leben,
in dem ich – zumindest vorüberge -
hend – auf nichts und niemanden
verzichten muss.

Dann, als ich mit meiner Familie

wochenlang im Lockdown gefangen
ILLUSTRATIONANTRA ŠVARCS

war, drängte ich meinen Mann endlich

zu einem Gespräch. Ob es nach 17
Jahren nicht ab und zu Platz für
andere Partner:innen geben könne? Er
selbst denke nicht im Traum daran,
sagte er, und wenn ich jemanden tref -
fen würde, wolle er es nicht wissen.
Damit gab er mir kein grünes Licht,
keineswegs. Aber noch am selben
Abend schrieb ich Frank, ob wir uns
INTERVIEWFEN VERSTAPPEN

sehen können. 20 Jahre lang hatte ich

immer wieder an ihn gedacht, fünf
Wochen später vereinbarten wir ein
Treffen. Ich hatte den intensivsten,
überwältigendsten Sex meines Le-
bens. Es war absolute Hingabe, ein
vollkommenes Aufgehen im anderen –
es war die Verwirklichung einer großen

_ 115
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WARUM FÄLLT ES MANCHMAL
SO SCHWER, NEIN ZU SAGEN?
Ich denke, das hat vor allem damit zu tun,
dass wir es anderen gern recht machen
wollen. Aus Angst, sie zu enttäuschen,
sagen wir nach Möglichkeit Ja, wenn uns
jemand um einen Gefallen bittet. Auch ich
habe das lange wie selbstverständlich
getan, weil ich Angst hatte, eine Chance
zu verpassen – man nennt das auch
Fomo, die Fear of missing out. Ich war
überzeugt, für immer abgehängt zu sein,
schlagen würde. Oft habe ich nicht einmal
überlegt, ob die Stelle oder der Auftrag
überhaupt zu mir passen. Als mir angebo-
ten wurde, fürs Fernsehen zu arbeiten, lief
es genauso: Ich wusste vom ersten
Moment an, dass es nicht mein Ding ist,
vor der Kamera zu stehen. Es machte mir
keinen Spaß und ich fand es außerdem
ziemlich anstrengend. Aber ich konnte auf
keinen Fall Nein sagen. Denn wer lässt
sich eine solche Chance schon ruhigen
Gewissens entgehen?
118 _
Im Flow-Minikurs geht es
dieses Mal darum, wie wir
lernen, ohne schlechtes
Gewissen Grenzen zu setzen.
Wir sprechen dazu mit
Unternehmerin Cynthia Schultz
FINDEST DU, DASS EIN NEIN
IN DER HEUTIGEN ZEIT NOCH
SCHWIERIGER GEWORDEN IST?
Durch die sozialen Netzwerke und ihre
große Präsenz in unserem Alltag ist es
jedenfalls nicht leichter geworden. Wir
bekommen über Posts und Storys ständig
mit, zu welchen Dingen die anderen alle
Ja sagen. Die Menschen sind natürlich
stolz auf ihre Errungenschaften. Wenn man
Kollegen genauer ansieht, hat man am
Ende vielleicht das Gefühl, dass die eige-
nen Leistungen eher schwach sind. Das
will man kompensieren, engagiert sich
WAS GENAU IST SO
PROBLEMATISCH DARAN?
Grunde lieber ablehnen würde, macht man
dauernd Dinge, die man eigentlich gar
nicht will. Man lädt sich dadurch zu viel
auf. An sich selbst denkt man zu wenig.
Mir ging es lange selbst so. Ich habe so
viele Dinge getan, die mir überhaupt keine
Energie gegeben haben und mich auch
nicht weiterbrachten, weder privat noch
einem Burn-out. Aus der Distanz denkt
man: Ist ja logisch, natürlich brennt man
dann aus. Damals habe ich das aber nicht
rechtzeitig erkannt. Aus heutiger Sicht ist
mein Rat deshalb, zu allem, was man
nicht (mehr) wirklich gern macht, nach
Möglichkeit Nein zu sagen. Natürlich geht
das nicht immer. Aber unser Leben sollte
nicht nur aus Dingen bestehen, zu denen
gesundes Gleichgewicht.
„ EIN NEIN ZU
ETWAS KANN
EIN JA ZU ETWAS
ANDEREM
BEDEUTEN: ZU
DIR SELBST.“

WIE FÄNGT MAN DAMIT AN?
Vor allem braucht man Klarheit darüber,
was man will und was nicht. Man könnte
sich zuerst den Terminkalender vornehmen
und sichten, welche Aufgaben und Verab-
redungen in der kommenden Woche
anstehen. Manchmal ist es hilfreich, sie
erst mal alle aufzuschreiben. Dann über -
legt man, was davon man gerne tut und
was einem eher lästig ist. Was uns Energie
gibt, wird mit einem Pluszeichen versehen,
die Energiefresser bekommen ein Minus.
Ergibt sich ein Gleichgewicht? Wenn
unterm Strich zu viele Minuszeichen
stehen, wird es Zeit, zunächst bei den
kleineren Themen aufzuräumen und
WELCHE KÖNNEN DAS SEIN?
Vielleicht macht einem die Arbeit keinen
Spaß, aber die kann man natürlich nicht
einfach streichen. Was sich leichter ändern
lässt, ist zum Beispiel der tägliche lästige
Einkauf im Supermarkt. Plane im Voraus,
kaufe an einem bestimmten Tag für die
ganze Woche ein oder lass dir Lebensmittel
liefern. Plötzlich hast du nach der Arbeit
Grenzen setzen
Zeit, Rad zu fahren oder das Buch zu
lesen, das du schon lange lesen wolltest.
Wenn dir das wöchentliche Treffen mit dei -
ner Nachbarin eigentlich zu viel ist, schlage
vor, dass ihr euch künftig nur noch einmal
im Monat zum Kaffee trefft. Das braucht
ein bisschen Mut, bringt dir aber Freiraum.
WAS, WENN MAN SICH
CYNTHIA SCHULTZ (33)
EGOISTISCH FÜHLT, SOBALD MAN
DEN EIGENEN BEDÜRFNISSEN begann mit 19 Jahren als
VORRANG GIBT? Bloggerin und Unterneh-
Mir fällt tatsächlich immer wieder auf, dass merin zu arbeiten. Mit 23
das Neinsagen als etwas Negatives erlitt sie einen Burnout.
betrachtet wird. Wir glauben, dass eine
Infolge ihrer Erfahrungen
Absage vom Gegenüber gleich als Zurück -
lernte Cynthia, Entschei-
weisung oder Enttäuschung wahrgenom -
men wird. Dadurch hat das Nein ein dungen bewusster zu
schlechtes Image. Aber man kann es auch treffen und klarer Nein
von einer anderen Seite betrachten: Ein zu sagen. Inzwischen
Nein zu etwas kann ein Ja zu etwas ande - betreibt die Niederländerin
rem bedeuten, und zwar zu uns selbst. Das
neben ihrem Blog eine
ist das Positive am Neinsagen. Wenn ich
digitale Plattform für
berücksichtige, habe ich schließlich mehr mehr Struktur im Beruf
Freiraum und Energie, um anderen zu und Privatleben.
helfen, wenn es erforderlich ist. >
_ 119

MEHR KLARHEIT BEI
ENTSCHEIDUNGEN
1. Reagiere auf eine Bitte nicht
sofort. Nimm dir Zeit zum
Überlegen und antworte erst,
wenn du dich bereit fühlst.
2. Entschuldige dich nicht,
wenn du Nein sagst. Es reicht,
wenn du kurz erläuterst, warum
du eine Bitte ausschlägst.
3. Wenn es für dich infrage
kommt, biete eine Alternative
an, die dir selbst besser zusagt.
4. Wie sieht dein morgiger Tag
aus? Fällt dir schon etwas ein,
das du ablehnen möchtest?
Falls ja, überlege dir doch vorab
bereits, was du sagen wirst.
120 _
WIE KANN MAN MIT DER ANGST
VOR EINER UNANGENEHMEN
REAKTION UMGEHEN?
Tatsächlich gehen viele Menschen Kon-
frontationen lieber aus dem Weg. Aber
wenn jemand ärgerlich oder traurig ist, weil
du Nein sagst, ist das nicht dein Problem.
Das klingt hart, und ich bekomme von
dass sie nicht als hartherzig gelten möch-
ten. Aber es ist ja gerade die Empathie, die
es einem schwer macht, Nein zu sagen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass man mit
einem Nein zu hart reagiert, ist sehr gering.
Man bleibt jedenfalls eine empathische
sich einsteht – und das kann nicht verkehrt
sein. Niemand braucht sich für ein Nein zu
entschuldigen oder es ausschweifend zu
erklären. Denn es ist ja so: Wenn wir immer
alle anderen zufriedenstellen und nieman-
dem etwas abschlagen, werden wir einer
Person nicht gerecht – uns selbst.
HÄUFIG SAGEN WIR SPONTAN
JA, WEIL WIR ÜBERRUMPELT SIND.
Es hilft deshalb, sich anzugewöhnen,
zunächst mit „vielleicht“ zu antworten oder
sich Bedenkzeit zu erbitten. Am Ende eines
langen Arbeitstages fragte mich mal eine
Auftraggeberin, ob ich noch etwas mit ihr
trinken gehen würde. Ich sagte: „Ich gehe
erst mal zur Toilette und dann antworte ich
dir.“ Die Frau musste lachen, und für mich
war es die richtige Lösung, weil ich mir Zeit
zum Nachdenken eingeräumt habe.
MAN DENKT VIELLEICHT
AUCH: IRGENDJEMAND MUSS
ES DOCH MACHEN…
Das ist durchaus nachvollziehbar. Aber ich
sage mir dann: „Muss das wirklich meine
Sorge sein?“ Vor Kurzem sagte mein
Freund, dass er keine Lust hat zu kochen.
Daraufhin fragte ich mich, ob ich nun auto-
matisch zuständig bin – oder ob es nicht
auch ein einfaches Abendbrot tut.
Wenn man angestellt ist, hat man einen
bestimmten Verantwortungsbereich, aber
auch der muss fair bemessen sein. Wenn
man wegen Personalknappheit Überstun-
den machen muss, kann man sich fragen:
Ist es wirklich meine Aufgabe, mich auf-
zuopfern? Lautet die Antwort Nein, ist
es gut, das Gespräch mit der oder dem
Vorgesetzten zu suchen.
DU EMPFIEHLST, AUCH MAL
ZU SICH SELBST NEIN ZU SAGEN.
WAS MEINST DU DAMIT?
Die Person, die am meisten von uns
verlangt, sind wir selbst. Wir wollen die
engagierte Mitarbeiterin, die perfekte Part-
nerin, die immer gut gelaunte Freundin
sein. Das ist anstrengend. Lege die Latte
etwas niedriger. Bereite dir ein Tiefkühlge-
(CYNTHIA)
richt zu, statt aufwendig zu kochen. Kaufe
an deinem Geburtstag einen Kuchen beim
Bäcker, statt selbst zu backen. Verzichte
auf den Großputz, wenn Besuch kommt.
FOTOS SHUTTERSTOCK, ATELIER MABEL
Du wirst dadurch kein schlechterer, son-
dern ein zufriedenerer Mensch.
INTERVIEWBENTE VAN DE WOUW
„ VIELEMENSCHEN
SCHEUEN DIE
KONFRONTATION.
ABER FÜR EIN NEIN
MUSS SICH NIEMAND
ENTSCHULDIGEN.“
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for Travel Lovers Videokurs
Meditieren lernen Bezie -
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_ 121
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Träume dir dein Leben schön und mach Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen kann,
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122 _
 PAPER BOOK
FOR TRAVEL LOVERS

PAPIER-GOODIES RUND UMS REISEN

Wer von uns geht nicht gern auf Reisen? Es lässt uns Neues
entdecken, regt unsere Sinne an. Und selbst wenn gerade
kein Urlaub in Aussicht ist, können wir von all den schönen
Orten träumen, die es auf der Welt gibt. Deshalb haben wir
uns dieses Paper Book for Travel Lovers ausgedacht.
Es hat fünf Kapitel, jedes ist von einer anderen Illustratorin
gestaltet: Departure von Anna Boulogne, City & Culture
von Auracherrybag, Sun & Sea von Laura Page, Nature &
Hiking von Lotte Dirks und Home Sweet Home für alle
Heimkehrer von Virginie Cognet. Lass dich überraschen!

Das ist drin:

Postkarten Adressbüchlein Fächer zum Selberbasteln
Einladungen zum Mitreisen Anhänger für Souvenirs
Mini-Poster Lesezeichen Poster Sticker Cable-Car-
Papiergirlande und vieles mehr

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PA PIER-GOO DIES

Das neue Flow Paper Book for Travel Lovers kannst du für 18,95 Euro
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low-magazin.de/travellove

_ 123
 MEDITIEREN LERNEN &
BEZIEHUNGS-COACHING
GANZ BEI SICH SEIN
Meditieren hat so viele positive Effekte und man braucht
dafür nicht stundenlang still zu sitzen, sondern es nur regel -
mäßig zu tun. Doch genau das ist oft schwierig. Deshalb
haben wir mit dem Neurowissenschaftler und Meditations -
lehrer Boris Bornemann und sinnsucher.de den Videokurs In Kooperation mit
„Meditieren lernen. Stress loslassen und zufriede -
ner leben“ entwickelt. Er zeigt dir, wie du eine Praxis
eta blieren und in deinen Alltag integrieren kannst.

Das erwartet dich:

In 8 Modulen zeigt dir Experte Boris Bornemann, warum
Meditieren so wirksam ist, und leitet dich durch viele
in Kooperation mit

Meditationen. Du bekommst Handouts zum Vertiefen Modul 1:

Kurs: Meditieren lernen

und Üben plus als Extra-Goodie weitere kostenlose

in Kooperation mit

Praxis, Teil 1

I
Meditieren
hilft beimlernen
Modul 2:Das

M ED ITA TIONS-
Kurs: Meditieren

Meditationen in der Balloon-App.

Zur Einleitung
In der ersten Meditation dieses Kurses berühren wir bereits viele wesentliche Arten, mit sich in Kontakt zu sein.
Wir werden sie in den folgenden Modulen vertiefen.

Die Meditation besteht aus zwei Teilen: „In den Moment kommen“ und „Freundlichkeit kultivieren“. Wenn du sie Praxis
ohne Audioanleitung durchführen willst, schlage ich dir vor, dir für jeden der beiden Teile einen Wecker oder
Timer zu stellen. Für den ersten Teil eignet sich eine Zeit zwischen 10 und 20 Minuten. Für den zweiten Teil sind
für den Anfang ca. 10 Minuten gut.
ieren
Regelmäßig medit

Los geht’s: Setz dich bequem und aufrecht hin. Spüre den Körper, wie er sitzt und atmet.
In der Meditation erkundest du deine Erfahrung in vier Phasen.
Für viele Menschen
ders gut geeignet:
ist es gut, Meditieren
Der Geist ist noch
Meditierens zurückgreifen.

erschiene Studie
1
zu einer

Außerdem machen
täglichen Routine
frisch und ausgeruht
und wir können den
Menschen, die sich

und ich erlebe es auch

in meiner
zu machen. Dabei
ganzen Tag auf die
vornehmen morgens
ist der Morgen beson

Tätigkeit als Achtsamkeitslehrer.

Effekte des
zu meditieren, dies
auch

Wenn möglich, mache

-

EX PERTE
BO RIS
des Tages.“ Ver -
ist das Steuerruder Geist sowie einer besseren
1. Frag dich zunächst, wie du dich fühlst. „Die erste Morgenstunde Tag mit klarerem
Augustinus sagt: und starte so in den
deiner Morgenroutine
Was sagt der Körper dir darüber? Meditieren zum Teil wichtig ist!
Was gibt es an Bewegung im Körper, an Spannung oder angenehmen und dem, was dir wirklich
bindung zu dir selbst
im alltäg -
wirkt, ist es wichtig,
Beschreibe dir selbst mit ein paar einfachen Worten, wie du dich fühlst Damit es wirklich
Ein Hinweis: für ein bewusstes Leben. Laufe des Kurses noch
genauer
(„Da ist Angst“; „Ich bin etwas unruhig“; „Da ist Freude / Gelassenheit / Meditieren ist nur
der Ausgangpunkt werden wir uns im
. Wie das gelingt,
Dankbarkeit“). anzuknüpfen
lichen Leben daran
angucken.
eine Art Mini-Meditation.
Guter Rat: Mach immer mal wieder

BO RNEM A NN
inne. beim Atem.
im Laufe des Tages Ruhe einige Augenblicke
Halte am besten mehrmals dir, wie du dich fühlst. paar Sekunden
deinen Körper. Beschreibe Das braucht nur ein
2. Schau nun, was die Gedanken gerade treiben. Spüre zum Beispiel ich gut für mich sorgen.“). Du
Satz zu dir (z.B. „Möge aus dem inneren „Autopiloten“.
Gibt es innere Bilder oder Worte? Vielleicht sind diese offensichtlich, Sprich einen freundlichen du immer wieder aussteigen
kurzen Pausen kannst
vielleicht kannst du sie mehr im Hintergrund wahrnehmen – wie eine zu dauern. Durch diese dich neu ausrichten.
passiert und kannst
bemerkst, was in dir
Du kannst sie erahnen oder ihre Spuren in dir wahrnehmen. nutzen:
Beschreibe dir selbst, was in deinen Gedanken los ist. Mit Sätzen wie: Modul mehrere Hilfsmittel
kannst du zu diesem
Praxis“ (= Meditation)
„Ich denke darüber nach, dass …“, „Mich beschäftigt, dass …“ oder Für deine „formale
Audios.
„Meine Gedanken kreisen um …“ 2 – oder die dazugehörigen
von Modul 1 und Modul
1. Die beiden Videos App.
sein“ in der Balloon
2. Die Übung „Gegenwärtig zu Modul 1.
aus dem Handout
3. Die Übungsskripte

-
Anchors to Esta
(2021). Using Personalized
M., & Huberty, J. Controlled Trial.
1
Stecher, C., Sullivan, App: Randomized
Practice With a Mobile
blish Routine Meditation
e32794.
uHealth , 9(12),
JMIR mHealth and

GEHEN ODER BLEIBEN?

Kennst du das Gefühl, dass mit deiner Beziehung etwas
nicht stimmt? Bist du schon länger unglücklich? Und quälst
dich mit der Frage, ob es eine Zukunft für euch gibt? Dann
ist unser neuer Videokurs „Gehen oder bleiben? Das
Klärungscoaching für deine Beziehung“, den wir mit
der Trennungscoachin Dorothea Behrmann und
sinnsucher.de entwickelt haben, genau das Richtige für dich.

Das erwartet dich:

In fünf Modulen
Übungen hilft dir Therapeutin Dorothea Behrmann dabei,
M IT PA AR- zu deiner inneren Weisheit vorzudringen und die für dich
TH ERAPEU TIN richtige Entscheidung zu treffen, um kraftvoll die
DO ROTHEA nächsten Schritte zu gehen.
BEHRM AN N

Die Flow-Coaching-Kurse kannst du buchen

124 _
 SELBSTSABOTAGE
ÜBERWINDEN
DEIN POTENZIAL ENTFALTEN
Du scheust immer wieder vor den gleichen Hürden?
Gehst bestimmte Themen in deinem Leben gar nicht
erst an? Oder bist unsicher und sorgst dich, obwohl
eigentlich alles gut läuft? Dann ist unser neues Video-
Coaching „Blockier dich nicht länger selbst – wie
du Selbstsabotage überwindest und endlich In Kooperation mit
deinen Weg gehst“ das Richtige für dich, das wir
mit Psychologin Anne Otto und sinnsucher.de zusam -
men entwickelt haben. Darin lernst du deine inneren
Blockaden, aber auch deine Kraftquellen besser kennen
und erfährst, wie du dich weiterentwickeln kannst.
FOTOS JULIA BAIER (BORIS), AMANDA DAHMS (DOROTHEA), SILJE PAUL (ANNE)

Das erwartet dich:

In 18 Videos und mit -
xionsübungen unterstützt dich Psychologin Anne Otto
dabei zu erkennen, wo du dir selbst Steine in den Weg
legst und wie du das ändern kannst. Alle Videoinhalte
kannst du als Audiodatei für unterwegs herunterladen. PS YC H OL O GI N
AN NE O T TO

Das neue Flow-Coaching „Blockier

dich nicht länger selbst“ kannst
du für 129 Euro buchen unter
www.flow-magazin.de/coaching
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_ 125
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Eine wunderbare Möglichkeit, deine Reiseerinnerungen zu bewahren, ist
das Sketchnoting. Im Kreativzeit-Workshop „Travel Journal“ zeigt dir
Expertin Diana Meier-Soriat, wie du dein ganz besonderes Reisetagebuch
mit kleinen Zeichnungen und schönen Letterings erstellst.

Darauf kannst du dich freuen: Ca. zwei Stunden Videokurs mit Sketch -
note-Expertin Diana Meier-Soriat umfangreiches Materialpaket mit neun
Tombow Brush- und TwinTone-Pens, Kreativzeit-Übungsheft und Flow-Ferienbuch

Workshop & Materialpaket

kannst du für 59 Euro buchen Informieren und direkt anmelden kannst
unter www.kreativzeit.info du dich auch über diesen QR-Code.

VORSCHAU
D I E N EUE
FLOW
KOMMT AM

FOTO KREATIVZEIT
5.9 . Lebe das Leben, das zu dir passt
Der Job, Freundschaften, Beziehungen – manchmal
fühlt sich das eigene Leben irgendwie falsch an. Was
wir tun können, wenn es Zeit für Veränderungen ist

Kreativer werden
Was hilft einem, auf gute Ideen zu kommen? Ein Inter -
COLLAGE SCISSORSANDSTORIES

view mit dem Psychologieprofessor Ap Dijksterhuis

Die Haare als Spiegel der Seele

Auf unserem Kopf wird vieles sichtbar, was in unserem

rum unsere Stimmung. Wie wir das richtig deuten

Unsere Papiergeschenke
Musterpapier zum Basteln & hübsche Deko für
sommerliche Cocktails

Manchmal ändern wir unsere Pläne, finden etwas noch Besseres, etwas noch Schöneres.
126 _ Darum kann es sein, dass die nächste Ausgabe ein bisschen anders aussieht, als wir hier ankündigen.

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KolumneTATJANA
LEBT IN
VOLLEN
Z Ü GEN
Die Beziehung zu meinem Körper ist eine mit vielen Höhen
und Tiefen. Bis vor ein paar Jahren war es vor allem eine
mit Tiefen, um ehrlich zu sein. Ich war nie zufrieden mit
meinem Spiegelbild und habe mich oft vor meinem Körper
geekelt. Ich dachte: Erst wenn ich viel dünner bin, werde
ich ein glückliches, gesundes, erfolgreiches Leben führen.
Eines, in dem ich mich nicht ständig mit meinem Gewicht
beschäftige und nicht deswegen benachteiligt werde
(von Liebhabern, Arbeitgeber:innen, Verwandten oder
Wildfremden auf der Straße). Ich dachte,
Abnehmen sei die Lösung, und verlor
dann auch innerhalb eines Jahres auf
nicht sehr gesunde Weise 60 Kilo. Alle „An manchen
lobten und bewunderten mich – alle, Tagen liebe
außer ich selbst. ich meinen
Ich hatte erwartet, dass alles Hadern mit Körper sogar.“
mir auf wundersame Weise aufhören
würde, doch ich war genauso unglück - seines Körpers. Schau dir zum Beispiel
lich wie vor der Parforce-Diät. Ich sah immer noch haupt - deine Beine an, aber nicht, wie sie aussehen, sondern
sächlich das, was nicht in Ordnung war: jedes Speck-
röllchen, jedes Stück schlaffer Haut, jede Delle – jeder
vermeintliche Makel war einer zu viel. Ich ließ Mahlzeiten
aus, trainierte oft vier Stunden am Tag. Gemeinsamen
Essen ging ich aus dem Weg, benebelte Abende mit Freun
den vermied ich. Freizeitdrogen würden mich nur ablenken,
und ich musste früh ins Bett, weil morgens schließlich
ein perfekt auf mich abgestimmtes Cardio- und Krafttrai-
ningsprogramm wartete. Ich hatte immer geglaubt, mein
Leben würde erst richtig anfangen, wenn ich ein bestimm-
tes Gewicht erreicht hätte, doch stattdessen wurde es
immer eingeschränkter, bedrückender, trostloser.
128 _
Autorin und Fotografin Tatjana
Almuli (31) hat lange mit dem
frühen Tod ihrer Mutter gekämpft
und damit, sich selbst so zu
akzeptieren, wie sie ist. Das
sieht heute anders aus
MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG DER DE ROOS STIFTUNG VONDELPARK
Vor fünf Jahren dann wurde mir klar, dass ich eine andere
Beziehung zu meinem Körper aufbauen wollte. Ich hatte
alles daran gesetzt, so dünn, straff, glatt und jugendlich
wie möglich auszusehen. Aber es machte mich unglücklich
und hielt mich davon ab, in vollen Zügen zu leben. Also
beschloss ich, etwas zu ändern. Und ich war nicht die
Einzige. Das Konzept der Body Positivity ist in den letzten
Jahren immer mehr zum Mainstream geworden. Doch
ich habe mich nie ganz wohl damit gefühlt: der Schritt von
Selbsthass zur Selbstliebe ist groß,
man geht ihn nicht einfach so. Außer -
dem wollte ich mich endlich weniger
mit meinem Äußeren beschäftigen.
In dem Buch Beyond Beautiful von
Anuschka Rees stieß ich auf das Kon -
FOTO DANIQUE VAN KESTEREN
zept der Body Neutrality. Dabei lenkt
man den Fokus weg auf die Funktionen
was sie dir ermöglichen. Meine Beine sind stark und
dehnbar: Ich kann stundenlang Rad fahren, laufen, tanzen,
mich beim Yoga verbiegen, in den schönsten Meeren
schwimmen. So bin ich nachsichtiger mit mir geworden:
- An den meisten Tagen bin ich mit meinem Spiegelbild
TEXT TATJANA ALMULI
zufrieden. Und an manchen Tagen liebe ich meinen Körper
sogar, genieße seine weichen Formen. An anderen Tagen
bin ich noch unsicher oder lehne mich sogar ab – und
das wird vielleicht so bleiben. Aber trotzdem verspüre
ich inzwischen eine immense Dankbarkeit für all das,
wozu mein Körper in der Lage ist. Und das verleiht mir
große Freiheit.
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NICHT NUR
HEUTE
AN MORGEN
DENKEN
IM TREND SEIT 1979

Vertrauen bekommt man

nicht geschenkt. Man muss
es sich erarbeiten. Aber wir
hatten ja auch mehr als 40
Jahre Zeit dazu. Deshalb
können wir heute stolz
sagen: Wir unterstützen
dich mit unserer ganzen
Erfahrung und immer
wieder neuen Ideen. Wir
sind ja nicht umsonst im
Trend seit 1979.

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