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November/Dezember 2010 - Nr. 9, Jg.

di schwarzi chatz
Zeitung der Freien ArbeiterInnen Union in der Schweiz
www.faubern.ch | zeitung@faubern.ch

Streikwelle in Frankreich
Frankreich macht seinem Ruf alle Ehre. Während der grossen Entlas-
sungswellen aufgrund der Finanzkrise machten schon letztes Jahr Schlag- Editorial
zeilen aus Frankreich die Runde: Manager wurden gekidnappt oder die
Sprengung von Werkshallen angedroht. Nun sind es erneut französische Was haben die Entlassungen bei Als-
ArbeiterInnen, die mit einer Streikwelle auf sich aufmerksam machen. Der tom, die AVIG-Revision und die Streiks
in Frankreich gemeinsam? Dass alle
von den Herrschenden gefürchtete Klassenkampf erreicht Westeuropa.
drei Punkte in der vorliegenden Ausga-
be behandelt werden, ist nicht die ein-
zige Gemeinsamkeit - alle drei Punkte
sind Beispiele für die Verschärfung der
Auseinandersetzung zwischen denen,
die haben, und denen, die weniger bis
nichts haben. Diese Auseinanderset-
zungen sind typisch für das Krankheits-
stadium der Weltwirtschaft, in welchem
wir uns befinden: Die erste Welle der
Krise ist vorbei, einigen Branchen geht
es wieder besser - etwa den Autoher-
stellern und ihren Zulieferbetrieben
- aber anderen geht es unvermindert
schlecht. Im Oktober 2010 gingen in
der Schweiz 447 Firmen Konkurs, 12%
mehr als im Jahr zuvor. Auch die Pri-
vatkonkurse erhöhten sich im Oktober
Streikende SchülerInnen stehen der Polizei gegenüber 2010 um 5.3% auf 520.
Im Frühjahr dieses Jahres präsentierte Sar- Gegen diesen unpopulären Entscheid or- In dieses Klima der knapp überle-
kozy der Öffentlichkeit seine Rentenreform. ganisierten die Dachverbände der Gewerk- bensfähigen Wirtschaft und der Zu-
Das Renteneintrittsalter soll um 2 Jahre – schaften Aktionstage, die mit eintägigen kunftsangst vieler ArbeitnehmerInnen
von 60 auf 62 – angehoben werden. Dabei Streiks und Demonstrationen verbunden fallen die Kürzungen der Sozialwerke,
versucht die französische Regierung den waren. Diese verliefen alle recht ähnlich, die 750 Entlassungen bei Alstom und
europäischen Stabilitätspakt umzusetzen, jedoch stieg von Mal zu Mal die Teilneh- der Widerstand gegen Kürzungen in
welcher verpflichtet, die ausser Kontrolle merInnenzahl. Die Führungsspitzen der Frankreich.
geratenen Staatsschulden einzudämmen. staatsbefürwortenden Gewerkschaften und Bei der verlorenen AVIG-Abstimmung
die Regierung dachten wohl, man könne mit zeigte sich wieder einmal, wer denn ei-
Aus dem Inhalt einzelnen Aktionstagen den Unmut und die gentlich Einfluss im Parlamentszirkus
Wut der Bevölkerung unter Kontrolle hal- hat: Diejenigen, die haben. Diejenigen,
• Alstom entlässt 750 Leute...........3 ten, wie es in Griechenland bis jetzt erfolg- die nichts haben, werden auch nicht in
• Zur AVIG-Revision...........................3 reich geschehen ist. ein Parlament gewählt, denn Chancen-
Doch Anfang Oktober änderte sich die Lage
• Business as usual. Überlegungen zur gleichheit gibt es erst ab einem höheren
schlagartig.
Krise der radikalen Linken.............4 fünfstelligen Monatseinkommen.
Nehmen wir uns also an der Streikwelle
• Anarchismus als Organisations- Die Streikwelle beginnt
Anfang Oktober traten die Hafenarbeite- in Frankreich ein Beispiel und kämpfen
form...................................................5 rInnen von Le Havre und Marseille in den mit diesen Mitteln gegen Entlassungen,
• Schwarzrot? Keine Ahnung woher Streik. Der Hafenbetreiber wollte Arbeits- wie bei Alstom, und für unsere Zukunft.
plätze an ein Subunternehmen auslagern Eine andere Zukundt als imMoment
das kommt.........................................8
– natürlich unter schlechteren Arbeitsbedin- geplant wird. Denn die, die wenig oder
• Kultur.........................................10 nichts haben, können sich im Parlament
gungen. Aber auch die Ablehnung der Ren-
• Gelebtes Leben. Zu Emma Gold- tenreform wurde von den ArbeiterInnen in niemals durchsetzen!
mans Autobiografie.........................11 die Forderungen aufgenommen. Dank der
Eure FAUistas
• Rechtliches.....................................12 (weiter auf Seite 2)
Frankreich (von Seite 1) Intersyndikale Vollversammlungen Streikbrechende Ferien
Unter diesen Umständen organisierten sich Durch die Mitte Oktober beginnenden Feri-
Bestreikung der Häfen, war die Einspeisung die AktivistInnen verschiedenster Organi- en der Oberschulen, wurde dem Streik eine
von Rohöl in das Pipelinesystem blockiert. sationen in „intersyndikalen“ (übergewerk- wichtige Stütze genommen. Da kein anderer
Dadurch ermutigt, begannen die ArbeiterIn- schaftlichen) Vollversammlungen. Diese Sektor den Wegfall der SchülerInnen kom-
nen von verschiedenen Raffinerien ebenfalls wurden zum Schlüssel des Erfolgs und pensieren konnte, verlor der Streik an Dyna-
zu streiken. Auch hier waren die Rentenre- bildeten die Basis der Streikwelle. In den mik. Die StudentInnen versuchten ihrerseits
form und der Abbau von Arbeitsplätzen die meisten grösseren Ortschaften wurden Ver- während der Ferienzeit zu mobilisieren,
Beweggründe. Diese Dynamik führte dazu, sammlungen einberufen, auf welchen das brachten aber niemals so viele Leute auf die
dass bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr weitere Vorgehen besprochen wurde. Dort Strasse wie die SchülerInnen. In diese Zeit
alle TOTAL-Raffinerien bestreikt wurden. konnten die Streiks diskutiert und Aktionen fiel letztendlich auch die Abstimmung des
Doch dieses Mal schlossen sich die restli- organisiert werden. Leider blieb der Einfluss Parlaments über die Reform und diese wur-
chen dem Streik an. Am 14. Oktober hatten dieser Versammlungen lokal begrenzt. Zur- de – wie erwartet – angenommen.
alle Raffinerien Frankreichs die Produktion zeit wird versucht die Vollversammlungen Nun begann die Gewerkschaftsführung die
eingestellt. landesweit zu organisieren und eine dauer- Streiks zu sabotieren. In den Medien wurde
hafte Struktur aufzubauen. immer wieder betont, dass die Gewerkschaf-
Syndikalistische Mobilisierung ten in den Massendemonstrationen das Mit-
Parallel dazu rollte eine syndikalistische SchülerInnenstreik tel sahen, die Rentenreform aufzuhalten und
Mobilisierung an, welche ab dem 13. Ok- Neben den Hafen- und RaffineriearbeiterIn- sie in einer Ausweitung des Streiks auf den
tober den unbefristeten Streik gegen die nen schloss sich eine weitere Gruppe dem Generalstreik keinen Sinn sahen...
Rentenreform propagierte. Bei der Bahn, Streik an: Eine Welle von Jugendprotesten
den Busdepots, der Post, den Müllabfuhren, schwappte übers Land. Der Streik der Ober- Raffinerien arbeiten wieder
den LastwagenfahrerInnen und vereinzel- schulen brachte eine Menge junger Leute Der Streik der Raffinerien brach zusammen,
ten weiteren Betrieben fand diese Forde- auf die Strasse, welche die Streikposten un- als er gerade erst anfing, für die Regierung
rung nach und nach Anklang. Dennoch war richtig bedrohlich zu werden. Der französi-
sche Staat hat eine strategische Treibstoff-
reserve für mehrere Wochen, an welchen er
während des Streiks zehren konnte. Trotz-
dem lagen etwa ein Fünftel aller Tankstel-
len in Frankreich bereits auf dem Trockenen
und die Wirtschaft stand vor ernsthaften Ver-
sorgungsschwierigkeiten. So musste auch
eine Raffinerie im neuenburgischen Cressier
unfreiwillig abgeschaltet werden, da sie ihr
Rohöl von einer bestreikten Pipeline (nicht
mehr) erhielt.
Am 29. Oktober – nach der Annahme der
Reform – beschlossen die Belegschaften der
TOTAL-Raffinerien jedoch die Arbeit wie-
der aufzunehmen. Dies läutete das (vorüber-
gehende) Ende der Streikbewegung ein.

Wir kommen wieder – keine Frage


Auch wenn durch die Wiederaufnahme der
Arbeit in den Raffinerien das direkte Kräf-
temessen mit der Regierung und Wirtschaft
aufs erste verloren gegangen ist, sehen sich
die SyndikalistInnen nicht als VerliererIn-
nen. Die Aktionen der intersyndikalen Ver-
es zumeist eine Minderheit, die sich zum terstützten und den Protest auch in der In- sammlungen gehen weiter und es wird auch
Streik einfand. In Frankreich ist das Recht nenstadt täglich sichtbar machten. weiterhin gegen die Reform mobilisiert.
auf Streik stark geschützt und TeilnehmerIn- Der Streik umfasste drei Schlüsselsektoren Die SchülerInnen wollen in Zukunft wieder
nen dürfen aufgrund ihrer Beteiligung nicht für Infrastruktur und Mobililtät (Häfen, Öl, streiken und die „trotzkistische“ Karabikin-
entlassen werden. So kommt es, dass in Transportwesen). Mit Hilfe von Blockaden sel Guadeloupe hat angekündigt, gegen die
Frankreich jedEr auch individuell streiken versuchten die Streikenden und AktivistIn- Rentenreform in den Generalstreik zu treten.
darf. Im Gegenzug gibt es kein Streikgeld, nen den Druck auf die Wirtschaft und die In Frankreich wird es weiterhin spannend
was den Streik mit materiellen Entbehrun- Regierung zu erhöhen. Dabei wurden Glei- bleiben. Vor allem auch im Hinblick auf die
gen verbindet, dies obwohl die grossen se, Autobahnen, Fabriken, Industriegebiete geplante überregionale Koordinierung der
Gewerkschaften sich eine Schatzkasse von und vor allem Benzin-Depots blockiert. Die Vollversammlungen. Wenn sich daraus ba-
mehreren Millionen angespart haben. Die Blockaden hielten solange bis die Polizei sisdemokratische Strukturen bilden, welche
CGT z. B. liess die militante Basis agieren, eintraf und die BlockadeteilnehmerInnen einzelne Streiks aus ihrer Isolierung heraus-
verweigerte ihr jedoch jegliche sonstige Hil- vertrieb. Diese suchten sich sodann neue holen und ein organisiertes Vorgehen er-
fe. Weder wurde Geld für die Betroffenen, Ziele, welche sie wiederum blockierten. Das möglichen, wird in Frankreich vielleicht ein
noch eine überregionale Koordination der Ganze entwickelte sich immer mehr zu ei- breiter Klassenkampf – abseits der staatsbe-
Streiks organisiert. nem Katz und Maus Spiel. jahenden Gewerkschaften – möglich.
Paula Sigè

2
Alstom entlässt Zur AVIG-Revision
750 Leute
Am 26. September wurde in der Schweiz und die angeblichen Vorteile (Sanierung
wieder einmal abgestimmt. Zur De- der Arbeitslosenkasse) halten keiner ge-
batte stand eine Vorlage die zynisch naueren Überprüfung stand. Diese Vorlage
„Revision des Arbeitslosenversiche- wurde am 26. September von 53.4% der
rungsgesetzes (AVIG)“ genannt wurde. Abstimmenden angenommen. Was war ge-
„Sozialabbau“ meinten die einen und schehen?
„notwendig“ meinten die anderen. Dass Die Gegner der Revision haben es versäumt
die Direktbetroffenen in solchen Ab- auf die Arbeitslosen einzugehen und mit
stimmungen verlieren steht ausser Fra- diesen zusammen eine Kampagne zu fah-
ge. Eine Analyse des Wahlzirkus und ren, im Gegenteil: Die Arbeitslosen wurden
eine Andeutung von Alternativen zum in der spärlichen öffentlichen Diskussion
Gejammer linker Parteien. um das Referendum kaum beachtet. In ei-

Alstom-Werk in Birr AG
Am Morgen des 5. Oktobers liess Alstom
Power die Meldung an die Öffentlich-
keit: In einer Medienmitteilung, verfasst
in kältestem Manager-Neusprech, wurde
bekannt gegeben, dass in den nächsten
achtzehn Monaten weltweit 4‘000 Leute
entlassen werden. Alleine in der Schweiz
sollen 750 Stellen abgebaut werden.
Die Meldung von der bevorstehenden
Entlassungswelle erfuhren die Arbeite-
rInnen in den beiden grössten schweize-
rischen Standorten Baden (AG) und Birr
(AG) aus den Medien.
Die sozialpartnerschaftlichen Gewerk- Es geht auch anders: Aktion u.a. von Direktbetroffenen am UNO-Welttag gegen Armut
schaften in der Schweiz (Unia) und
Deutschland (IG Metall) appellierten an Die Änderungen im neuen AVIG waren nem Kommentar schreibt Christof Berger
den Anstand der Manager: Es solle Kurz- nicht Anpassungen des Gesetzes an eine vom Komitee der Arbeitslosen und Ar-
arbeit eingeführt werden und wenn Kün- geänderte Wirtschaftslage, es wurde nicht mutsbetroffenen (KABBA): „Die Direkt-
digungen ausgesprochen werden, dann darüber befunden, ob die die wenig haben, betroffenen blieben mit einem Komitee-
sollen diese doch bitte „sozialverträg- mehr bekommen sollen – diese Revision Budget von lediglich einem vierstelligen
lich“ ablaufen. war vor allem ein Abbau. Wenn es eine An- Frankenbetrag und mit viel Gratisarbeit im
passung an eine andere Wirklichkeit war, nationalen Abstimmungskampf praktisch
Ganz unerwartet kam die Meldung aber dann war es eine Anpassung an eine andere unsichtbar. Sie hatten versucht, den Betrof-
nicht, da schon seit Januar dieses Jahres, Ideologie, weg von einer gewissen Solida- fenen ein Gesicht zu geben. In der Kampa-
die Temporärangestellten entlassen wur- rität zwischen Bevölkerungsgruppen hin zu gne der Gewerkschaften und Linksparteien
den. Das Unternehmen begründet die „Wer arbeitslos ist, ist selber schuld.“ wurden die Arbeitslosen mehrheitlich als
Entlassungen in ihrer Medienmitteilung Es gab wahrlich genügend Gründe einen anonymer und willenloser Bodensatz der
mit der Wirtschaftskrise. solchen Abbau zu stoppen: Mit der Vor- Gesellschaft dargestellt.“
Es besteht Grund zur Befürchtung, dass lage zusätzlich bestraft werden Studien- In einer Medienmitteilung im Vorfeld der
wenn die Auftragslage für Alstom wieder und AusbildungsabgängerInnen, junge Abstimmung der KABBA ist treffend be-
besser aussieht, nicht wieder Festange- Erwerbstätige und es findet eigentlich nur schrieben, wieso eine Auseinandersetzung
stellte beschäftigt werden. Stattdessen eine Kostenverschiebung innerhalb der mit dem Begriff des/der Arbeitslosen für
wird wohl derselbe Umbau wie in vielen staatlichen Bürokratie statt: Die Arbeitslo- diese Abstimmung (und auch für weitere)
anderen Fabriken vor sich gehen: Die sengelder werden vom Bund bezahlt, die wichtig gewesen wäre: „Die 4. AVIG Re-
Stammbelegschaft wird auf ein Minimum zu erwartenden höheren Ausgaben bei der vision geht davon aus, wer Mühe habe eine
reduziert und der schwankende Bedarf an Sozialhilfe, müssen Gemeinden und Kan- Stelle zu finden ist entweder faul, Auslän-
Arbeitskräften wird mit Temporären aus- tone bezahlen. der, bildungsfern oder krank. Tatsächlich
geglichen, die jederzeit entlassen werden gibt es Gründe, welche mit der Qualifika-
können. Eine Vorlage ohne (sichtbare) Verlierer? tion oder den Arbeitswillen der Arbeitslo-
Diese Vorlage führt also für die grosse sen nichts zu tun haben: zum Beispiel zu
smf Mehrheit der Bevölkerung der Schweiz
zu jetzigen oder zukünftigen Nachteilen (weiter auf Seite 4)

3
AVIG-Revision (von Seite 3) mal etwas unter 19% der Wahlberechtigten, dieser Verdrängungspolitik auch noch der
die für die Vorlage waren – und das soll Häme preisgegeben.“
wenig praktische Erfahrung (Lehrabgän- eine demokratische Legitimierung sein?
gerInnen), nicht geradlinige Berufskarri- Die Initiative ergreifen
eren (wenn verschiedene Berufe ausgeübt Entsolidarisierung Der nächste Abbau wird bestimmt kommen
wurden), das Alter (über 45 Jahre), Wie- Nicht nur das Ergebnis, sondern auch die und die alten Institutionen für eine gerech-
dereinsteigerInnen und alleinerziehende ganze Vorlage stehen in einer Reihe von tere Gesellschaft (linke Parteien und Ge-
Frauen und Männer, Berufe mit weniger geplanten oder bereits umgesetzten Angrif- werkschaften) werden auch nächstes Mal
Nachfrage oder Übersättigung des Ar- fen auf die wenigen Einrichtungen, welche kaum in der Lage sein dem Angriff stand zu
beitsmarkts. Sie alle sind auf eine gute die Folgen des alles zerfetzenden Wirt- halten. Deswegen sollten wir mit unseren
ALV angewiesen.“ schaftssystems wenigstens ein bisschen FreundInnen, NachbarInnen, Arbeitskolle-
abschwächen sollten. Diese Angriffe sind gInnen und Verwandten zusammen eigene
Statt den Betroffenen ein Gesicht zu geben, die Folge eines Ideologiewechsels in der Initiativen aufbauen, die Hilfe für diejeni-
wühlten die Kampagnenplaner bloss in der Gesellschaft und einer verschärften Durch- gen, die sie nötig haben, bieten können. In
Schlagwortkiste und fanden dort den Be- setzung wirtschaftlicher Interessen durch Deutschland, wo der Abbau schon weiter
griff ‚Abzocker‘. Die Kampagne konzent- das Parlament. Von einer eher solidarischen vorangeschritten ist, zeigen verschiedene
rierte sich ausschliesslich auf dieses Wort und gemeinschaftlichen Gesellschaft hin zu Projekte dass solche Initiativen möglich,
und weniger auf die Nachteile, welche der einer egoistischen alle-gegen-alle Gesell- machbar und erfolgreich sein können.
Abbau der Arbeitslosenversicherung nach schaft. Heute ist es schon fast unschicklich Zwei Beispiele für solche Projekte sind die
sich ziehen würde. Es schien, als würden anderen Menschen zu helfen oder anders Tacheles-Sozialhilfe in Wuppertal oder das
die linken Parteien und Gewerkschaften gesagt: wer hilft noch den Arbeitslosen, Sozialwerk-DSP Kleider und Tafel e.V. In
den Abstimmungskampf lustlos führen, wenn in der gleichen Zeit Geld verdient Leipzig. smf
nach dem Motto „weil das halt einfach ge- und dazu noch das Risiko einer Entlassung
macht werden muss.“ Deswegen konnten gesenkt werden kann? Christof Berger vom
sich viele der Abstimmenden wahrschein- KABBA: „(...) weil niemand ernsthaft die
lich nicht einmal mit dem Thema identifi- bezahlte Arbeit gleichmässiger verteilen Weitere Informationen zu den Erwerbslo-
zieren. Dass die Wogen bei dieser Abstim- will, grenzt die Gesellschaft diejenigen aus, senprojekten:
mung nicht hoch gingen, zeigt auch ein die in diesem System die hoch gehängten http://www.direkteaktion.org/195/erwerbslo-
senprojekte-in-deutschland/
Blick auf die Stimmbeteiligung: 35.5% der Trauben nicht erreichen. Dies mit dem zy-
http://www.direkteaktion.org/196/erwerbslo-
Wahlberechtigten legten ihren Zettel in die nischen Hinweis, Arbeit wäre ja genügend senprojekte-in-deutschland/
Urne. Von diesen 35.5% haben also 53.4% vorhanden. Mit Schlagzeilen wie «Die http://www.tacheles-sozialhilfe.de/
die Vorlage angenommen, das sind gerade herbeigeredete Armut» werden die Opfer

Buisness as usual...
Überlegungen zur Krise der radikalen Linken
Ich hab mal irgendwo gelesen, dass die Teil von ihr. Ihre Kritik und ihre kreative tische Energie ist zusehends verbleicht.
Art, wie die schweizerische Bürokratie Energie, die z.B. durch den Rapper Greis was geblieben ist, ist die Konfrontation
funktioniert, sich auf eine Formel mit in seinem Lied „Global“ oder in PVP‘s mit der Polizei (von einigen Unbeirrba-
drei „D“ zusammenfassen lässt: „Ufstand“ sogar über Radio oder TV lie- ren immer noch als der eigentliche Aus-
fen, waren unter vielen Jungen populär. tragungsort „unseres Kampfes“ begrif-
1. Das hämmer scho immer so gmacht.“ fen). Und Partys gibt es auch noch – und
2. Das hämmer no nie so gmacht.“ Die Gegenseite lernte aber schnell und die bringen immer wieder viele Leute
3. Da chönnt ja jede cho.“ begann die Bewegung in zwei Grup- unter einem relativ unverbindlichen und
pen aufzuspalten. Die erste Gruppe, zu eher konsum- als handlungsorientierten
Ich wollte dies erwähnen, weil ich denen NGOs, Parteien, Gewerkschaf- linken Wertekonsens zusammen (siehe
manchmal das Gefühl habe, dass der lin- ten und Kirchen gehören, wurde mittels den Hype um den Müslüm-Song). Doch
ke Politzirkus genau gleich funktioniert. Dialog eingebunden (z.B. in das Оpen wenn man ausnahmsweise mal über den
Forum am WEF in Davos), die zweite, Tellerrand der eigenen Selbstinszenie-
Wie bei vielen meiner Generation, d.h. die grundsätzlichen KritikerInnen der rung blickt - man entschuldige meine
Leuten, die jetzt ungefähr zwischen 20 ausserparlamentarischen Linken, wur- harte Ausdrucksweise - dann ist diese
und 30 Jahre alt sind, wurde meine poli- den als Chaoten kriminalisiert und po- Szene im Moment aber nur eins: isoliert
tische Einstellung durch die Proteste ge- lizeilich eingekesselt. Dieses Vorgehen und politisch wirkungslos.
gen den Afghanistan- und den Irakkriege war auch psychologische Kriegsführung
geprägt. Die grosse Bewegung gegen den und ich bin überzeugt, dass sie trotz al- Das sollte uns weder überraschen noch
Irakkrieg ist zwar nach kurzer Zeit wie- ler Durchhalteparolen der Вewegung bei allzu fest in Panik versetzen, den auch
der eingeschlafen, aber die Euphorie und vielen auf persönlicher Ebene genau die das war auf eine gewisse Weise, „schon
die begonnene Politisierung hielt bei vie- gewünschten Effekte hervorgerufen hat: immer so“. Der Historiker Hans Ulrich
len jungen Leuten an. Viele hatten inzwi- Ohnmacht, Resignation, „Rückzug ins Jost, der den Einfluss linksradikaler
schen die Antiglobalisierungsbewegung Private“. Gruppen auf den schweizerischen Ge-
wahrgenommen und manche wurden Hier stehen wir heute. Die einstige kri- neralstreik 1918 untersucht hat, betont,

4
dass solche Gruppen nur in Zeiten so- einzuteilen: ein »sie« sind die Kapita- oder zu verbessern. Hier kämpft jeder
zialer Krisen eine wirklich einflussrei- listInnen und ihre Organisationen, sehr für sich allein.4
che Rolle spielen können: „Ihre radika- clever und möglicherweise allmächtig;
le, anarchistisch gefärbte, meist durch das andere »sie« steht für die »Arbei- Auf die Höhe der Zeit zu kommen wür-
eine realitätsferne Philosophie geprägte terklasse« oder »die gewöhnlichen Leu- de bedeuten, sich aus den szenemässigen
Politik war aber kaum geeignet, breit te«, mitschuldig, ignorant, und / oder zu Selbsbezogenheit rund um Themen wie
in die Arbeiterschaft einzudringen. Sie lethargisch, »etwas zu unternehmen«. Antifaschismus, Globalisierungskritik
bildeten keinen Machtfaktor im politi- Das »wir« dagegen ist unproblematisch usw. zu lösen und sich für die realen Be-
schen System, spiegelten aber in aller und klar definiert: »wir« sind »die Er- dingungen und Prozesse zu interessie-
Schärfe allgemeine sozio-politische leuchteten«. Diese Sicherheit ist sicher ren. Es würde bedeuten, Politik wieder
Spannungen. Die Bedeutung dieser nicht hilfreich! Tatsächlich verläuft sie als offenen Lernprozess zu begreifen, in
radikalen Linken überspringt dort ihre parallel zu der alten Argumentation der dem man nicht einfach aus der Vogelper-
Bedingungen und Beschränkungen,
wo ein sozio-politisches System in der
Phase einer grossen Krise die Grund-
sätze und Normen der Verhältnismäs-
sigkeit verliert.“1

Wenn dieser Gedanke auf heute über-


tragen wird, dann kann die aktuelle
Krise (die noch lange nicht vorbei ist)
und ihre Abwälzung auf die mittleren
und unteren Gesellschaftsschichten zu
zunehmend fruchtbareren Bedingungen
für politische Interventionsversuche
führen. Klar: Nur weil die Lebensbe-
dingungen abgesenkt werden, kommt
es nicht automatisch zu neuen Kämp-
fen. Aber wenn lange existierende Ab-
sicherungen und Standards einbrechen,
zerbröckeln auch die Ideologien, die
darum herum entstanden. Die Leute
stellen sich neue Fragen und sind of-
fener für andere Antworten. Was diese
Fragen sind, wie und wo sie diskutiert
werden und welche Antworten darauf
Nicht auf der Höhe der Zeit? Demonstration in Bern
entstehen könnten – das zu untersu-
traditionellen Linken: weil die Arbei- spektive die Abschaffung des des Kapi-
chen, wäre das Gebot der Stunde. Doch
terklasse nicht »politisiert« (oder »ak- talismus oder die Revolution „predigt“,
„die (radikale) Linke ist nicht auf der
tiv«) ist, muss sie erzogen und auf ihre sondern in seinem eigenen Alltag und
Höhe der Zeit, sondern macht business
historische Rolle vorbereitet werden. sonst wo die Situationen und Umstände
as usual. Bündnispolitik, Mobilisie-
Wenn du nicht Teil der Lösung bist, bist sucht, in denen Leute sich gemeinsam
rung zum symbolischen Gipfelsturm,
du Teil des Problems.“3 selbst bemächtigen (können). Es würde
Hoffen auf Gewerkschaften und andere
bedeuten, sich in konkrete soziale Aus-
Institutionen.“2 Diese Aussage aus einer
Zu diesem elitären Selbstbild gehört einandersetzungen – egal wie gross oder
Krisenanalyse der Zeitschrift Wildcat
auch, dass man seine eigene Lebenssitu- klein diese sein mögen – einzumischen.
hatte es zum 1. Mai 2009 sogar auf die
ation kaum thematisiert: Falls es sowas, Reto Obst
Startseite des deutschsprachigen „In-
wie einen „Klassenstandpunkt“ unter
dymedia.ch“ geschafft, doch sie gab
diesen „Radikalen“ gibt, dann will man
wohl eher die Ansicht eines Teils der 4
Aus einem Beitrag von http://www.chefduzen.
etwas für das Proletariat, das Prekari- ch > Allgemeines Sozial- und Politikforum >
Indymedia-Redaktion, als tatsächliche
at, die MigrantInnen (etc.) erkämpfen „Мassenentlassungen“-Thread > Seite 6, 1. Beitrag
Lernprozesse einer breiteren Szene (Kuddel)
und sieht sich nicht als Teil der Klasse,
wieder. Tatsächlich scheinen sich alt-
der Ausgebeuteten, der Unterdrückten.
hergebrachte „gut/böse“-Erklärungs-
?
Arb
Dementsprechend kommen diese „Ra-
muster hartnäckig zu halten:
dikalen“ auch nicht auf die Idee ihre ei- Dein Chef ein
gene Lebenssituation zu thematisieren
„Einige AktivistInnen schienen die
Welt in Kategorien von wir, sie und sie oder eigene Arbeitsbedingungen mit ei- Arschloch? und
nem kollektiven Kampf zu verteidigen
1
Hans Ulrich Jost, Linksradikalismus in der deutschen
Schweiz 1914-1918, Bern 1973, S.35 3
What is the Movement? (Leeds May Day Group),
2
Aus Wildcats 5 Thesen zur globalen Krise http://www.
wildcat-www.de/aktuell/a073_krise_15thesen.htm
deutsch unter http://www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/ www.chefduzen.ch www
de/texte/movement.htm
?
Schon wieder
Montag
5 Ar
Anarchismus als Organisationsform
(M)Eine Sicht auf Anarchismus als und Erfahrungen suchen. Colin Ward führt zwei Grundmodelle an,
Organisationsform in der Auseinan- Zuerst stellt er die allgegenwärtige Fra- ein territoriales und ein arbeitsbezoge-
dersetzung mit einem Text von Colin ge: Kann eine soziale Organisation ohne nes. Das räumliche Modell besteht aus
Ward (1966: Anarchism as a Theory of Autorität und ohne Regierung überhaupt Kommunen, Räten oder Gemeinden, die
Organisation) sein? Die Antwort ist klar eine politische in einem föderalen System verbunden
– AnarchistInnen sagen es könne und sol- werden.
Anarchistische Organisationsweisen stel- le sein. Ein uns bekanntes System. Ward bezieht
len sich als Inseln im Meer dar, wenn sie Den Staat als grundlegendes Übel anzu- sich denn auch auf die Schweiz als das-
als hierarchiefreie und selbstverantwort- sehen mag nahe liegen, ihn für Krieg und jenige Beispiel, welches diesem Prinzip
liche Prozesse verstanden werden. Das Lohnkämpfe verantwortlich zu machen, am nächsten kommt. Nicht ganz zu un-
liegt zum Ersten daran, dass der Begriff würde aber heissen den Mensch, seine recht, wenn wir die lokale Ebene, also
des Anarchismus im Alltagsverständnis, alltäglichen Interaktionen und seine Ab- die Gemeinden, im Fokus haben. Es stellt
vor allem in den Medien, nur für Situa- hängigkeit von Erziehung zu negieren. Es sich jedoch die Frage, wie der Födera-
tionen des Kontrollverlusts angewendet würde auch heissen ein politisches Sys- lismus über das dezentralisierte Abstim-
wird. Nur wenn hierarchische oder gar tem als natürlich Gegeben darzustellen. men hinausgeht, und auch einen lokal
absolutistische Systeme zusammenge- Zumindest politisch gilt: Was die Men- abgestützten Aushandlungsprozess für
brochen sind oder aktiv zerstört wurden, schen wollen, können sie erreichen, auch überregionale Anliegen beinhalten kann.
wird dieses Wort von den Chefredaktio- eine anarchistische Organisationsweise Ward zitiert den schweizer Historiker
nen geduldet. Ein Machtvakuum ist aber - es stellt sich nur die Frage wie. und Publizisten Herbert Lüthy. Dieser
nie ein stabiler Zustand. Anarchismus als Der nächste Punkt betrifft die morali- vertritt die These, dass die kleinräumige
Gesellschaftstheorie kann daher gar nicht sche Grundhaltung, welche dem System Machtverteilung Grund für das dezent-
in grösserem Gegensatz zu diesem All- zugrunde liegen soll. Finden wir uns mit rale und sehr dichte Eisenbahnnetz ist.
tagsverständnis stehen. einer von oben befohlenen Struktur ab, Die Gemeinden konnten nicht von einem
Das zweite Problem liegt in der Annah- welche Menschen aufgrund von Druck Zentralstaat ausgehebelt werden, sondern
me begründet, dass hierarchiefreie und und Zwang in eine Gesellschaft presst? hatten ein hohes Mitspracherecht bei der
Gibt es eine von Linienführung.
unten aufbauende, Ward betont mehrfach, dass er nicht
auf Freiwilligkeit das schweizerische System hoch loben,
basierende Gesell- sondern aufzeigen will, dass Föderalis-
schaft? Anarchis- mus ein wichtiger, bzw. zu bedenken-
tische Ideale las- der Ansatz ist. So kann auch die These
sen sich nur dem hinterfragt werden. Zum Beispiel ist
zweiten Prinzip die Reihenfolge nicht eindeutig, ob die
zuordnen. Wenn dezentrale Wirtschaftsansiedlung auf-
Menschen nicht grund der Eisenbahn, des politischen
mehr wollen, sind Systems oder wegen dem lokalen Vor-
sie frei das Sys- kommen von Wasserkraft zustande kam.
tem zu verlassen Eine weitere Skepsis sollte die politische
und ein eigenes, Lage der schweizer Frauen im Erschei-
ein anderes aufzu- nungsjahr des Artikels auslösen. Das
bauen. Eine Mög- Frauenstimmrecht hatte 1966 gerade
Aldermaston Marches - Antikriegsdemos. Ein Beispiel von lichkeit, die wir in mal in drei welschen Kantonen bestand
dem Ward in seinem Artikel ausgeht. den heutigen, na- und wurde mit Basel-Stadt zum ersten
tionalstaatlichen Mal in der Deutschschweiz eingeführt.
selbstverantwortliche Systeme nur von Demokratien nicht haben. Es sollte noch ein weiteres Vierteljahr-
Angesicht zu Angesicht, also in kleinen hundert vergehen, bis zur Einführung in
Organisationseinheiten und Gesellschaf- Appenzell-Innerrhoden. Das Beispiel der
Prinzipien und Ansätze
ten funktionieren. Daher ist diese Organi- langsamsten Umsetzung eines Grund-
Mit vier Prinzipien verdeutlicht Ward den
sationsweise nur insular, in ein hierarchi- rechtes verdeutlicht die Problematik der
anarchistischen Ansatz: freiwillig (volun-
sches Ganzes eingegliedert, anzutreffen. Diffusion von Regeln und von Themen
tary), zweckmässig (functional), befristet
(temporary) und klein (small). Vor allem zwischen den einzelnen Gemeinden und
Ausgehend von Vorurteilen die letzten beiden sind problematisch, über verschiedene Ebenen hinweg.
Genau nach diesen Inseln sucht Colin wenn eine grosse Gesellschaft so orga-
Ward (siehe Kasten). Wenn wir Anar- nisiert werden soll. Wir leben auf einem Die spontane Ordnung – eine Frage
chismus als Organisationsweise der Ge- einzigen Planeten. Auch wenn es darauf der Zeit
sellschaft anwenden wollen, müssen wir viel Platz für verschiedene Modelle gibt, Ein weiterer Ansatz zur Beobachtung
Vorurteilen und Systemgrenzen begeg- so sind doch globale Aspekte und Proble- von Ordnungssystemen sieht Colin Ward
nen. Dazu will Ward theoretisch weiter me vorhanden, die weltumspannende und in der spontanen Ordnung. Damit meint er
denken und im Alltag nach Beispielen kooperative Systeme erfordern. Ad-hoc-Organisationsweisen, wie sie oft

6
bei Revolutionen, Besetzungen und nach die umgeben ist von Autorität und Kont- nimmt. Als Zweites nennt er das Kollek-
Naturkatastrophen auftauchen: rolle, von Selbstverantwortung und Leis- tivvereinbarungssystem (collective-con-
Angesichts eines gemeinsamen Bedürfnis- tung. Freiheit wird soweit gewährt, wie tract-system). Durch einen Vertrag wird
ses wird eine zufällige Ansammlung von die Ergebnisse vorhersehbar sind. die Gruppe konstituiert und die internen
Menschen durch Versuche und Irrtümer, Abläufe von den Unterzeichnenden sel-
durch Improvisation und Experiment aus Die Organisation von Arbeits- ber bestimmt. So wird auch die Verant-
dem Chaos heraus Ordnung entwickeln, - gruppen wortlichkeit an die Gruppe übertragen.
und diese Ordnung wird dauerhafter sein Um zur Arbeitswelt überzugehen widmet Die zweite Möglichkeit kommt aus dem
und in einem engeren Verhältnis zu ihren sich Ward zuerst der Frage der Autorität. Bergbau. Schichtgruppen werden die
Bedürfnissen stehen als irgendeine von Führungsrollen müssen nicht als festge- Verantwortung, die Arbeitsorganisati-
außen aufgezwungene Ordnung. schriebene Stelle Teil der Arbeitsteilung on und die Vorgehensweise übertragen
Mit zwei Ansätzen erläutert Ward diese sein. Den Mechanismen der Macht, wie (composite-working). Die Entlöhnung
Vorstellung. Der erste sind die Besetzun- sie in den folgenden Jahren sowohl in wird nach Fördermenge an die ganze
gen von Militäranlagen im England von den Sozialwissenschaften als auch im Be- Gruppe entrichtet. Anstelle der Kontrolle
1946. Daran zeigt er auf, wie diejenigen, triebsmanagement beschrieben wurden, und Autorität von aussen, gilt das Prin-
welche sich freiwillig dorthin begeben entspricht ein situativer Rollenwechsel zip der Selbstorganisation und Selbstent-
haben, als Kollektiv arbeiteten, um die eher. Erfahrung und Spezialwissen soll wicklung. Externe Vorgaben gibt es nur
Lebensumstände zu verbessern. Andere, sich temporär, in einem steten Wechsel- noch als Sicherheitsstandards und techni-
welche vom Staat angesiedelt wurden, spiel zwischen Autorität und Unterord- sche Rahmenbedingungen.
verharrten jedoch in einer passiven Hal- nung, an die Spitze der Gruppen setzen. All diese Arbeitsprozesse basieren auf
tung. Der zweite Ansatz sind Beispiele Wenn die Aufgabe erfüllt ist, tritt die Per- Kleingruppen. Diese Einheiten werden
von Kindererziehung, bzw. von Situa- son ab ohne weiteren Anspruch auf Be- wiederum in einem föderalen System zu
tionen, in denen Kinder Raum gelassen lohnung und Ehre. einem grossen Ganzen zusammengefügt.
wurde, sich selber zu Organisieren. In Im Folgenden zeigt Ward einige Modelle Die Funktionalität sieht er in länderüber-
einem Gesundheitszentrum wurde be-
obachtet, wie die Kinder sich von einem
„chaotischen und destruktiven Haufen“
zu gezielt Spielenden entwickelt haben.
Bei allen Beispielen stellt sich die Fra-
ge der Zeit. Ward sieht in der spontanen
Ordnung den Vorteil, dass sie nicht von
aussen aufgezwungen wurde. Das mag
sein, doch reproduziert sich eine soziale
Ordnung nicht isoliert. Und auch wenn
sie das würde: Die Probleme der politi-
schen Entwicklung entstehen auch aus
dem Inneren heraus. Einerseits sind die
Interessen der Beteiligten schwer unter
einen Hut zu bringen. In einer Ausnahme-
situation, wie sie alle Beispiele darstel-
len, gerät dies nur für kurze Zeit in den
Hintergrund. Andererseits entwickeln
sich schnell Dynamiken, welche aktiv auf, die diese Prinzipien verinnerlichen. greifenden oder weltumspannenden Sys-
überwunden werden müssen. Spontane In allen Modellen gibt es eine Gemein- temen, die föderalistisch organisiert sind,
Ordnung hat nichts mit einer Natürlich- samkeit: Die Arbeitsteilung wird entlang wie die Eisenbahn (UIC, RIC und RIV)
keit zu tun, so was gibt es im Sozialen gar von Produktionsschritten vorgenommen, oder die Post (Weltpostverein). Beide
nicht. Das Politische zeichnet sich durch welche im Team an einem Ort vorgenom- Beispiele haben die globale Koordination
einen stetigen Aushandlungsprozess aus. men werden können. Nach innen kom- als Verbund organisiert.
Wir wollen in politischen Kämpfen über men unterschiedliche Freiheitsgrade zur Laut Colin Ward verbreiten sich diese
unsere Lebensvorstellungen verhandeln. Arbeitsorganisation zum Zuge, nach aus- Modelle und Ideen stetig in der Praxis.
Die Beispiele der Kindererziehung be- sen kann die Gruppe aber klar abgegrenzt Aus heutiger Sicht bestätigt sich diese
haupten zwar den Einfluss der Erwach- werden. Leider sind die gruppeninternen Prognose im Grossen und Ganzen ein-
senenwelt ausgeschlossen zu haben, da Prozesse in Wards Artikel kaum Gegen- deutig. Dies hat aber oft eine einseitige
sich die Erziehenden gemäss Ward die- stand seiner Erläuterungen. Sich auf die Wirkung in Richtung Selbstkontrolle und
ser Situation bewusst waren und gezielt Analysen anderer Autoren beziehend, individuelle Effizienzsteigerung, ohne
auf die Selbstorganisation hinarbeiteten. fasst er deren Aussagen zu Produktivität dass dabei den Arbeitnehmenden wirklich
Trotz allem sind die Verhaltensmuster der und Kontrolle zusammen. ein grösseres Selbstbestimmungsrecht
Kinder doch stark von den Vorstellungen Eine Möglichkeit ist die Ausrichtung auf oder eine Beteilung an den Gewinnen zu-
übers Erwachsen sein und Verantwor- das zu produzierende Gut. Ward führt gestanden wird. Die autoritären Systeme
tungsbewusstsein geprägt. Die Umstände zwei Modelle an. Zum Einen das Arbeits- und Besitzstrukturen haben diese Prinzi-
sind ähnlich, wie sie im Folgenden bei gruppensystem (gang-system), welches pien längst für sich entdeckt und nutzen
der Organisation von Arbeit beobachtet das produzierte Gut, nicht die Arbeit
wurden. Die Kinder leben auf einer Insel, der einzelnen Angestellten in den Fokus (weiter auf Seite 8)

7
Anarchismus (von Seite 7) lung, einer speziellen politischen Strö-
mung zuzuordnen, geht Ward davon aus,
sie in ihrem Sinne. Diese ganze Frage der dass eine Theorie der sozialen Organisa-
Organisationsweise zeigt einerseits die tionsweise in der Öffentlichkeit nur auf-
Praxistauglichkeit der hierarchiefreien genommen und diskutiert werden kann,
Prozesse auf, zeigt aber auch, dass ohne wenn sie am Bestehenden anknüpft.
eine Veränderung der Eigentumsrechte Die Absicht von Ward, mit seinem Arti-
eine Veränderung des politischen Sys- kel auf die Praktikabilität der anarchis-
tems nicht erreicht werden kann. tischen Ideale zu verweisen, scheint mir
Ein Thema fehlt komplett: Verbindlich- gelungen. Mit offenen Augen und der
keit. In allen Produktionsprozessen und Bereitschaft zu diskutieren, lässt sich in
in der Organisation sind verbindliche der heutigen Gesellschaft eine noch grös-
Abkommen unerlässlich. Wenn aber aus sere Fülle an Beispielen erkennen, denen
den föderalen Absprachen Gesetze ent- Modelle für eine neue Gesellschaftsorga-
stehen müssen, um diesem Anspruch nisation entnommen werden können. Da-
zu genügen, gibt es keine Freiwilligkeit mit lassen sich auch Überlegungen zum
mehr. Überhaupt sind längere Koopera- Colin Ward
Übergang in eine weniger kontrollierte
tionsprozesse schnell mal der Verschrift- und zementierte Gesellschaft anstellen.
lichung und Verfestigung ausgesetzt, Meine häufige Kritik an den einzelnen Der Autor
somit einer Regularisierung. Die stetige Punkten will nicht Wards Ansatz in Frage
Veränderbarkeit muss in die organisato- stellen, sondern zeigt, wie anregend eine Colin Ward ist anfangs dieses Jahres im
rischen Prinzipien aufgenommen werden Orientierung an der Gegenwart und da- Alter von 86 verstorben. Er war Her-
können. An der stetig wachsenden Ge- mit an einer erfahrbaren Praxis sein kann. ausgeber der anarchistischen Zeitung
setzesfülle ist zu erkennen, dass Trans- Anstatt Beispiele aus längst vergangenen Freedom und Gründer und Herausgeber
formationen im bestehenden System Tagen anzuführen, die zwar als Beispie- der Zeitschrift Anarchy, in der auch der
schlecht integriert werden. le für Anarchie in der gesellschaftlichen rezensierte Artikel erschienen ist. Ge-
Praxis dienen, aber immer auf Interpreta- samthaft hat er mindestens 25 Bücher
Fazit tionen anderer Autoren basieren, kann ich und Artikel publiziert, in denen er sich
Das Bestechende am rezensierten Aufsatz die Beispiele Wards immer mit meinem vor allem mit den Themen um Anar-
ist der Ansatzpunkt in der Gegenwart. eigenen Alltag in Verbindung bringen. chismus, Architektur und Besitztum
Ohne Phänomene, wie eine weltweite auseinander gesetzt hat.
Wirtschaftsverknüpfung oder Arbeitstei- s. deo
s. deo

Schwarzrot? Keine Ahnung woher das kommt…


Bei Demonstrationen, Betriebsbeset- halb der ersten Internationale im Jahre 1871 welche den anarchistischen Flügel der im
zungen und anderen Aktionen tauchen aufgegeben haben. Dafür gibt es jedoch vergangenen Jahrzehnt aufgelösten Inter-
immer wieder verschiedenste Fahnen keine bestätigten Quellen. Im Gegenteil: nationalen organisatorisch verbinden soll.
und Symbole auf. Deren Ursprung und Einkaufsbelege bestätigen, dass die anar- Anlässlich eines Treffens im Jahre 1882
genauere Bedeutung bleiben aber oft im chistische Juraföderation während der 70er in Paris spricht sich die Anarchistin Louise
Dunkeln. Dieser Artikel soll dazu dienen, Jahre des 19. Jahrhunderts weiterhin roten Michel erstmals öffentlich für die Verwen-
den Ursprung und die Bedeutung der Stoff einkauft. Schwarz tritt zu dieser Zeit dung der schwarzen Fahne aus. Dies, um
schwarzroten Fahne zu erläutern und nur vereinzelt auf: Während eines Aufstan- sich besser von den autoritären und parla-
dir die Argumentation für die farbliche des in Bologna im Jahre 1874 erscheint die mentarischen SozialistInnen abgrenzen zu
Wahl deiner Fahne erleichtern. schwarze Farbe ein erstes Mal bei den An- können. Am 9. März 1883, anlässlich einer
archistInnen. Quellen berichten, dass einige Demonstration von 15‘000 arbeitslosen
Seit dem 19. Jahrhundert ist rot die traditi- TeilnehmerInnen während des Aufstandes Personen in Paris, schwenkt Louise Michel
onelle Farbe der Arbeiterbewegung. Unter die rotschwarze Kokarde (am Hut befes- eine schwarze Fahne (in Wahrheit einen
roten Fahnen vereinen sich die Arbeiterin- tigte Bandschleife, welche die Zugehörig- schwarzen Rock an einem Besenstiel), um
nen und Arbeiter an Demonstrationen oder keit zu einer politischen Gruppierung ver- die Leute um sich zu vereinen. Ungefähr
Aufständen, so auch während der Pariser deutlicht) der AnarchistInnen tragen. Über 500 Personen stürmen anschliessend drei
Kommune (1871). Die schwarze Fahne dieselben Kokarden wird auch bei einem Bäckereien und fordern Brot und Arbeit für
wird zu dieser Zeit kaum verwendet. Ein Aufstandsversuch 1877 im italienischen Le- alle, bevor sie von der Polizei zerstreut wer-
erstes Mal taucht sie im Jahre 1831 (also tino berichtet, wo auch schwarzrote Fahnen den. Luise Michel wird daraufhin von den
vor der Ausbildung des Anarchismus als geschwungen werden. Der Ursprung und Behörden als Initiantin der Unruhe angese-
spezifische Strömung der Arbeiterbewe- das Verständnis dieser Farbkombination zu hen und zu Haft verurteilt.
gung) auf. ArbeiterInnen schwenken sie jener Zeit sind jedoch nicht bekannt. Laut Luise Michel stellt die schwarze Fahne
während Arbeitskämpfen in einer Seiden- Nach diesen vereinzelten schwarzroten Er- zur damaligen Zeit die Fahne des Streiks dar
fabrik in Lyon. Danach gerät sie wieder scheinungen, setzt sich schwarz als Farbe und Peter Kropotkin, wie auch einige ande-
in Vergessenheit. Von einigen Seiten wird die AnarchistInnen immer mehr durch. re, sehen in der anarchistischen Internatio-
behauptet, dass die AnarchistInnen die rote Im Jahre 1881 wird in London die anarchis- nalen eine Organisation des Widerstandes
Farbe wegen der definitiven Spaltung inner- tische „Schwarze Internationale“ gegründet, und des Streiks. Die enge Verbindung von

8
Streik und anarchistischer Bewegung er- Farben bestimmt und definiert. Schwarz ist bol des Anarchosyndikalismus entwickelt
klärt die Herausbildung der schwarzen Fah- die mysteriöse Umrahmung der Keimung, sich die schwarzrote Fahne aber erst nach
ne als spezifisch anarchistische. der Fertilität, des Nährbodens für neues Le- der Gründung der spanischen anarchosyn-
Im Jahre 1883 wird in Lyon die anarchisti- ben, welches sich stets im Dunkeln bildet, dikalistischen CNT im Jahre 1910, welche
sche Zeitung „Le Drapeau Noir“ (frz. Die erneuert und reproduziert. Die Saat in der sich die Farbverbindung zu Eigen macht.
Schwarze Fahne) ein erstes Mal herausge- Erde, der seltsame Weg von Spermien, die Doch die Verwendung der schwarzroten
geben und erhöht dadurch die Popularität geheimnisvolle Reifung des Embryos in der Fahne beschränkt sich nicht nur auf Spani-
dieses Symbols. Gebärmutter, all dies wird umgeben von en, sondern weitete sich schon bald auf an-
Laut Paul Avrich, einem US-amerikani- schützendem Dunkel“ (Howard Ehrlich, dere Länder mit Verbindungen zu Spanien
schen Historiker, erscheint die schwarze Reinventing Anarchy, again) aus. So kam es, dass auch ArbeiterInnen in
Fahne im Jahre 1884 ein erstes Mal in den Italien während den „zwei roten Jahren“,
USA. Aus der militanten Lokalzeitung The Die Machno-Bewegung in der Ukraine hat welche im Jahre 1920 in zahlreiche Fab-
Alarm ist zu entnehmen, dass anlässlich ei- während den Jahren 1918 – 1921 eben- rikbesetzungen mündeten, die rotschwarze
ner Demonstration von AnhängerInnen der falls die schwarze- und teilweise auch die Fahne gebrauchten. Durch spanische Emi-
anarchistischen Internationale in der Nähe Piratenfahne als Symbol verwendet. Sie grantInnen wurde die schwarzrote Fahne
des Rednerpultes eine grosse schwarze kämpfte in Form von 12 Armeen und ver- nach Mexiko und andere lateinamerikani-
Fahne neben der traditionellen roten Fahne trieb für kurze Zeit einen grossen Teil der schen Länder exportiert. So ist selbst die
stand. Beide seien während der anschlies- zentralisierten Gewalt. Letztlich wurden sie schwarzrote Fahne der SandinistInnen, wel-
senden Demonstration zuvorderst mitgetra- aber von bolschewistischen Truppen massa- che im Gegensatz zur anarchosyndikalisti-
gen worden. kriert. schen horizontal und nicht diagonal geteilt
Am 13. Februar 1921 fand das Begräbnis ist, von mexikanischen Anarchosyndikalis-
Die schwarze Fahne des Anarchismus er- von Peter Kropotkin in Moskau statt. Zahl- tInnen inspiriert.
hält eine immer klarere Bedeutung: Das reiche schwarze Fahnen und Transparente Durch den spanischen Bürgerkrieg wird die
Schwarz der AnarchistInnen bedeutet An- mit der Aufschrift: „Wo es Autorität gibt, diagonal geteilte schwarzrote Fahne allge-
tinationalismus, da es alle Grenzen negiert. gibt es keine Freiheit“ begleiteten den Trau- mein zum Symbol des revolutionären Syn-
Die weisse Fahne als Kontrast ist das Sym- erzug. Dieser Tag stellt einer der letzten dar, dikalismus.
bol des Aufgebens, des Sichbeugens – die an welchen schwarze Fahnen in Sowjet- Aus anarchosyndikalistischer Sicht verbin-
schwarze Fahne steht dazu in eindeutiger russland noch offen gezeigt werden durften. det die schwarzrote Fahne die Arbeiterbe-
Opposition. Zwei Wochen später fanden die Kronstadt- wegung, die syndikalistische Opposition
Howard Ehrlich erklärt die schwarze Fah-
ne so: „Warum ist unsere Fahne schwarz?
Schwarz ist der Schatten der Negation; die
schwarze Fahne ist die Negation aller Flag-
gen. Es ist eine Verneinung des Nationalis-
mus, welcher die Menschheit gegen sich
selbst ausspielt und die Einheit aller Men-
schen negiert. Schwarz ist die Stimmung
der Wut, der Empörung über all die grau-
enhaften Verbrechen an der Menschlichkeit
im Namen der Treue zu dem einen oder dem
anderen Staat. Es ist die Wut und Empörung
über die Beleidigung menschlicher Intelli-
genz durch Scheinheiligkeit, Heuchelei und
billige Machenschaften der Regierungen. Erste anarchistischen Zeitung mit offensichtlichem Bezug zur schwarzen Fahne
Schwarz ist auch die Farbe der Trauer; die
schwarze Fahne, welche die Nationen zu revolten statt, welche ebenfalls von den zum Kapitalismus (rot) mit den anarchisti-
Nichte macht, betrauert die Opfer, die un- konterrevolutionären Bolschewiki blutig schen Idealen und der anarchistischen Ab-
gezählten Millionen Ermordeten und Krie- niedergeschlagen wurden. Dieses Ereignis lehnung des Staates (schwarz).
ge im Inneren wie Äusseren zum Ziele markierte das Ende des anarchistischen Ein-
noch grösseren Ansehens oder Macht eines flusses auf das sowjetische Russland. Die Hoffnung bleibt, dass nach einer gelun-
Staates. Sie betrauert jene, deren Arbeit genen sozialen Revolution auch diese Fah-
ausgebeutet (besteuert) werden für das Ab- Die schwarze Fahne gilt seitdem klar als ne dereinst überflüssig wird.
schlachten und die Unterdrückung anderer anarchistisch. Dies bedeutet jedoch nicht,
Menschen. Sie betrauert nicht nur den Tod dass sich einige AnarchistInnen weiterhin Paul Isler
der Körper, sondern auch die Lähmung des als SozialistInnen definieren und deshalb
Geistes in autoritären und hierarchischen auch noch im 20. Jahrhundert die rote Fah-
Nachbemerkung
Systemen; sie betrauert die Millionen still- ne verwenden. So lässt sich die spätere Ver- Dieser Text ist eine Adaptation diverser Quellen. Für
gelegten Hirnzellen ohne Chance, jemals bindung von Rot und Schwarz erklären. Interessierte empfehlen sich folgende zwei Artikel,
die Welt zu erhellen. Es ist eine Farbe un- Wie oben bereits erwähnt, besagen einige welche beide im CIRA (www.cira.ch) einsehbar sind:
tröstlichen Schmerzes. Quellen, dass 1877 in Letino schwarzrote
DUBOIS, Mayk und Marianne Enckell. 2006. Sur la
Aber Schwarz ist auch schön. Es ist eine Fahnen geschwenkt wurden. Desweiteren symbolique anarchiste. Caen : Syndicat intercor-
Farbe der Bestimmung, der Entschlossen- sollen sie 1879 auch bei anarchistischen poratif anarchosyndicaliste
heit, der Stärke, eine Farbe, die alle anderen Protesten in Mexiko auftauchen. Zum Sym- WHEELING, Jason. 1997. « History of the black
flag » in Fifth Estate n° 349

9
Gedichte

Hinterbrunnen-Lied
Ein trist-sonniger Montagmorgen
Im letzten Kaff an der letzten Sackgasse
Irgendwo in den hohen Alpen
Hinterbrunnen - wo nichts passiert

Hier ist alles ritualisiert und langweilig


Sogar der Alkohol bleibt ohne Reiz
Da nicht mal im Suff etwas passiert
Man kann es den Jungen nicht verübeln
Dass sie das versteinernde Dorf verlassen
Denn nicht einmal ein Ruhe suchender Wanderer
Verirrt sich in diese wilde Ödnis
Hinterbrunnen hat keine Wasserfälle
Keinen uralten Dorfkern, keine Wanderwege
Keinen Bahnhof und keine Haltestelle

Hinterbrunnen – wie eine verstrahlte Industriebrache


Mitten in einem abgelegenen Bergtal
Das einzig Aufregende in Hinterbrunnen
Ist seine nervzehrende Langweiligkeit

Von: Niedźwiedzek

Frei
Durch Tropfen der Freiheit
vom Himmel niederprasselnd
verschwinde ich
auf schwarzem Band
durch grünes Land

von: Niedźwiedzek
Cc&Hs: Do It Yourself

Die Einen und die Anderen


Der Einen Fremdsprache, der Anderen Faulheit
Ist der Einen Unverständnis und der Anderen Rassismus Zur Kulturseite
Der Einen Integration und der Anderen Bewegungslosigkeit
Wir haben uns vorgenommen in jeder
Bringt die Einen und die Anderen einander nicht näher
Ausgabe auch etwas Kultur zu brin-
gen und werden hier Kurzgeschichten,
Der Einen Not ist der Anderen Gesetz
Gedichte und grafischer Kunst einen
Der Einen Lösung ist der Anderen Problem
Platz geben. Wir versuchen möglichst
Der Einen Schwierigkeiten ist der Anderen Wählerstimmen
Unveröffentlichtes abzudrucken und
Deswegen ist der Einen Mensch-Sein der Anderen Unmenschlichkeit
freuen uns natürlich wenn du uns deine
Werke zur Verfügung stellst (schreib an
Der Einen Entzug vor der Anderen Kontrollen
zeitung@faubern.ch).
Ist der Einen Notwendigkeit vor der Anderen Nötigung
Der Einen Wille zu Leben weckt der Anderen Misstrauen
Falls wir einmal nicht genügend zuge-
Eines Teils der Einen Wille Andere zu sein ist der Anderen Ausrede
sendet bekommen, werden wir auch auf
schon bereits veröffentlichte Kunst zu-
Von: Niedźwiedzek
rückgreifen.

10
Gelebtes Leben
Die Autobiografie Emma Goldmans. Eine Rezension
„Es war genauso interessant wie bezeich- um die Emma Goldman zu werden, die uns Dass in diesem, in direktem Zusammen-
nend, dass zu gleicher Zeit ein Soldat der allen ein Begriff sein sollte. Sehr schnell hang mit Emma Goldman stehenden Zi-
Vereinigten Staaten und ein Sozialist ver- fand sie den Anschluss an die deutsch- und tat, keine gendergerechte Form verwen-
dammt wurden, weil sie es gewagt hatten, jiddischsprachigen AnarchistInnenszenen. det wird, ist kein Zufall. Schade, dass die
irgendetwas mit Emma Goldman zu tun zu An ihrem ersten Tag in New York trifft HerausgeberInnen (Im Impressum sind
haben.“ sie auf zwei Männer, die für ihr Leben vor allem Frauen vermerkt) sich nicht zu
prägend sein sollten: Alexander Berkman irgendeiner Form von gendergerechter
Gegen Biografien habe ich eigentlich und Johann Most. Bald entwickelt sie sich Sprache durchringen konnten. Vor allem,
grundsätzlich Vorbehalte. Oft sind es an- zu einer mitreissenden Rednerin und ge- da der Text ohne Verfälschung hätte an-
biedernde und rechtfertigende Schriften, rät ins Visier der Behörden. Prägend für gepasst werden können – die Erstveröf-
egal ob sie von der beschriebenen Person ihr ganzes Leben sollten vierzehn Jahre fentlichung der Autobiografie war in eng-
selbst oder von einer anderen Person ge- sein. Vierzehn Jahre in denen Alexander lischer Sprache.
schrieben wurden. Dann gibt es Biografien, Berkman, den sie stets Sascha nennt, im
die interessante Leben langweilig machen Gefängnis steckt. Immer wieder bezieht Ansonsten ist die Biografie in der vorlie-
und die nach der Lektüre erleichtert weg- sie sich auf dieses prägende Erlebnis, als genden Ausgabe sehr gut gemacht, das
gelegt werden. Und dann gibt es überzeu- etwas das in ihr Kräfte weckt und das sie auffällige Umschlaglayout des gebunde-
gende Werke, wie die Bakunin-Biografie zum Nachdenken bringt. nen Buchs gefällt und es ist abgesehen von
von Madeleine Grawitz, welche den äus- sehr wenigen Fehlern (der auffälligste ist
seren Umständen, die einen Lebenslauf Überhaupt ist die Schilderung ihres Lebens ein falscher Zeilenumbruch) gut lektoriert.
mit beeinflussen, auch ein grosses Gewicht eine sehr persönliche. Die politischen Ide- Die veranschaulichenden Bilder in der
geben. Und es gibt Biografien, wie dieje- en, ihre damals unerhörten Vorstellungen Mitte des Buches sind gut ausgewählt und
nige des (sowjet-)russischen Physikers und von Liebe, Moral, Bildung und Erziehung illustrieren sowohl Emmas und Alexan-
Dissidenten Juri Orlow, anhand derer eine tauchen meistens nur dann explizit auf, der Berkmans Entwicklung, als auch den
turbulente Zeit aus der hautnahen Perspek- wenn sie über ihre persönlichen Beweg- Kreis der Personen, die für Emma Gold-
tive des Einzelschicksals verständlich wird. gründe spricht. LeserInnen der Biografie man wichtig waren.
erhalten zwar ein gutes Bild davon, wer die
Die soeben im Nautilus Verlag wieder er- Person Emma Goldman war, aber sollten Die Goldman-Biografie ist zwar nicht gera-
schienene Autobiografie von Emma Gold- nicht darauf hoffen nebenbei auch noch den de billig, aber den Preis wert!
man hat beides. In einer angenehm zugäng- Kosmos ihrer Ideen erforschen zu können. Niedzwiedzek
lichen Sprache beschreibt Emma Goldman Als Aufmacher verwendetet der Nautilus-
ihr Leben von ihrer Geburt bis 1931. Ihre Verlag auf dem Buchrücken ein Zitat von Zum Buch:
wahre „Geburt“ ist aber nicht die Nieder- J. Edgar Hoover: „Emma Goldman ist ohne
Emma Goldman: Gelebtes Le-
kunft im damals russischen Kaunas im Jahr Zweifel einer der gefährlichsten Anarchis- ben. Autobiografie
1869, sondern der 15. August 1889 – der ten in diesem Land.“ In meinen Augen
Tag ihrer Ankunft in New York. Soeben zeigt das dieser Rezension vorangestellte Gebunden mit Schutzum-
schlag, 928 Seiten.
hatte sie die bedrückende Strenge ihres Va- Zitat besser auf, wie Staat oder staatsbeja- ISBN 978-3-89401-731-6
ters, die monotone Plackerei in einer Textil- hende Menschen fast jeglicher Couleur auf sFr 54,90
fabrik und eine missglückte Ehe hinter sich sie reagiert haben.
gelassen und war auf- und ausgebrochen Kann über die FAU Bern
bestellt werden.

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Über uns... §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§
Das Ziel der AnarchosyndikalistInnen Schwangerschaft Lohn bei Arbeits-
ist eine ausbeutungsfreie, herrschafts-
lose und auf Selbstverwaltung begrün- & Arbeit verhinderung
dete Gesellschaft. Es gibt einige Schutzbestimmungen für 1. Lohn bei Unfall
Schwangere und Stillende:
Wir denken, dass es unmöglich ist,
Allen ArbeitnehmerInnen müssen ob-
unsere Interessen mit StellvertreterIn-
nen-Politik, wie sie zum Beispiel von Schwangere und Stillende dürfen nicht ligatorisch für einen Lohnersatz (Tag-
Parteien, Kirchen und reformistischen mehr als neun Stunden täglich arbeiten. geld) von 80% gegen Betriebsunfall
Gewerkschaften betrieben wird, durch- Sie dürfen nur mit ihrem Einverständ- (während Arbeit und Arbeitszeit) ver-
zusetzen. Daher lehnen wir die Vertre- nis beschäftigt werden und dürfen die sichert sein. Wer mehr als 8 Stunden
tung unserer Interessen in zentralistisch Arbeit auf blosse Anzeige hin verlassen pro Woche arbeitet, muss obligatorisch
aufgebauten Organisationen ab, da es oder fernbleiben. auch für Nicht-Betriebsunfälle ver-
in solchen Organisationen immer ein In den letzten 8 Wochen dürfen Schwan- sichert sein. Auch wenn der/die Ar-
Machtgefälle zwischen „einfachen“ gere nur noch am Tag (6-20 Uhr) arbei- beitgeberIn keine Unfallversicherung
Mitgliedern und der Zentrale gibt. ten. Wenn der Betrieb keine Arbeit in abgeschlossen hat, erhält der/die Ar-
Uns schwebt viel mehr eine Föderation dieser Zeit zuteilen kann, muss er 80% beitnehmerIn trotzdem die Leistungen
lokal verankerter Gewerkschaften ohne
des Grundlohns bezahlen. bei Unfall (meist über die SUVA).
FunktionärInnen vor, die allen, die ihre
Stehende Arbeit ist nur mit Einschrän-
Dienste nötig haben, Hilfe zur Selbst-
hilfe bietet. kungen erlaubt; gefährliche oder be- 2. Lohn bei Krankheit oder
schwerliche Arbeit ist gar nicht erlaubt. Schwangerschaft
Um unsere Ziele durchzusetzen, dienen Wenn der Betrieb keine diesen Vor- Bei Arbeitsunfähigkeit wegen Krank-
uns die Mittel der Direkten Aktion, wie schriften entsprechende Arbeit zutei- heit oder Schwangerschaft muss der
z.B. Streiks, Besetzungen, Boykotte, len kann, muss er ebenfalls 80% des Arbeitgeber während einer bestimmten
etc. Im Gegensatz dazu lehnen wir die Grundlohns bezahlen. Zeit den Lohn weiterhin zahlen.
parlamentarische Tätigkeit ab. Nach der Geburt gilt ein Arbeitsverbot Es gibt von Region zu Region ver-
von 8 Wochen, sowie das Recht 16 Wo- schiedene Skalen, die gelten, wenn im
Das gegenwärtige kapitalistische Wirt- chen lang der Arbeit fern zu bleiben. Arbeitsvertrag keine bessere Regelung
schaftssystem zieht seine Macht aus der Als letztes Land in Westeuropa hat die vorhanden ist. Grundsätzlich gilt: Je
Kontrolle über die Produktionsmittel
Schweiz eine Mutterschaftsversiche- länger du für denselben Betrieb arbei-
und aus der tagtäglichen Ausbeutung
rung bekommen: Nach der Geburt muss test, desto länger muss dieser den Lohn
der Arbeitenden. Revolutionäre Arbeit
in den Betrieben trifft den Kapitalismus der Mutter der Lohn während 14 Wo- fortzahlen.
an seiner Wurzel. Damit die Kämpfe chen zu 80% weiterbezahlt werden. In
Erfolg haben können, müssen sie aber einigen Branchen gibt es GAV, die bes- Achtung: In den ersten drei Monaten
mit Kämpfen in anderen gesellschaftli- sere Bedingungen vorschreiben. eines neuen Arbeitsvertrags muss bei
chen Bereichen verknüpft werden. Krankheit keine Lohnfortzahlung ge-
Wichtig: Da du nach der Niederkunft leistet werden!
Wir freuen uns über Kommentare, 16 Wochen lang der Arbeit fernbleiben
Rückmeldungen und Kontakte an: darfst, reicht es auf jeden Fall, wenn du
info@faubern.ch. deine Stelle erst nach der Geburt kün-
www.direkteaktion.org

Die Zeitung betreffende Kommentare digst, falls du nachher nicht mehr arbei-
und Ähnliches an: zeitung@faubern.ch.
ten willst. Nütze dies aus! Direkte
Schwarze Katze?
Die schwarze Katze als Symbol für Nützliche Adressen
www.viavia.ch/ratgeber -> Schwanger-
Aktion
selbstorganisierte Arbeitskämpfe wur-
de im frühen 20. Jahrhundert vom schaft, Mutterschaft.
[mehr als nur eine Zeitung]
IWW-Mitglied Ralph Chaplin erschaf-
fen. Die Katze, auch „Sab Cat“ ge-
nannt, wird heute von libertären Ge- Probeheft gratis!

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