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INTERVIEW

ISABELLA WEBER „Einzelne Branchen können die gesamte Inflation


anheizen“

© Marzena Skubatz / Der Spiegel


Die Ökonomin Isabella Weber forscht an der University of Massachusetts Amherst

von Jannik Tillar


13.02.2023, 16:516 Min.
Die Ökonomin Isabella Weber hat die deutsche Gaspreisdebatte geprägt. Nun forscht sie zur
Inflation – und fordert eine neuartige Betrachtung der Preissteigerungen. Im Interview erklärt
sie ihren Ansatz

Frau Weber, Sie veröffentlichen im April ein neues Buch über die chinesische
Wirtschaft. Jetzt haben Sie auch noch ein Arbeitspapier zur Inflation in den USA
herausgebracht. Gibt es da einen Zusammenhang?
ISABELLA WEBER: Tatsächlich beschäftige ich mich schon länger mit Inflation im Kontext
von schnellen historischen Umbruchprozessen, wie wir sie heute wieder erleben. China hat
einen solchen Umbruchsprozess im Zuge der Wirtschaftsreformen durchlaufen. Als China
damals von einer Plan- auf eine Marktwirtschaft umgestellt hat, war die Inflation immer eine
Art Gespenst im Raum, das es zu verhindern galt.

Deshalb haben Sie Ihr neues Buch auch „Das Gespenst der Inflation“ genannt?
Ja, genau. Für das Buch habe ich mir die 1980er in China angeschaut und wie führende
Ökonomen damals die Entwicklung bewertet haben. Ein wichtiger Vergleichspunkt war
damals zum Beispiel der Umbruch von einer Kriegs- zu einer Nachkriegswirtschaft. Dieser
Vergleich wurde auch im Kontext von Covid wieder gezogen. Plötzlich hat mit den
Lockdowns nicht mehr der Markt alleine entschieden, was produziert wird, wer zur Arbeit
gehen kann und wer zu Hause bleibt, sondern der Staat hat enge Grenzen gesetzt. Natürlich
ist die Situation auf ganz vielen Ebenen heute anders als am Übergang von der
Kriegswirtschaft oder am Anfang der chinesischen Reformen. Aber in dem einen Punkt, dass
es zu spezifischen Engpässen am Beginn der Wertschöpfungskette kommt, und später zur
Inflation, ist die Situation überraschenderweise vergleichbar. Das war auch
der Ausgangspunkt für das Arbeitspapier, das ich mit drei weiteren Kolleginnen und Kollegen
veröffentlicht habe.

Wie sind Sie vorgegangen?


Bislang dominieren mehr oder weniger zwei Theorien, wie Inflation zustande kommt. Zum
einen die monetaristische Sicht, dass zu viel Geld im Markt ist. Zum anderen die
neokeynesianische Sicht, das gesamtwirtschaftlich zu viel Nachfrage für das vorhandene
Angebot vorliegt. Ich will keineswegs abstreiten, dass diese Theorien bestimmte Inflationen
erklären können. Meine These ist vielmehr, dass wir es heute mit einer speziellen Art von
Inflation zu tun haben – und zwar einer Inflation, die mit dem radikalen Umbruch durch Covid
und dem Krieg in der Ukraine zusammenhängt. Diese Inflation lässt sich nicht allein durch
die beiden Theorien erklären. Wir müssen uns die Mikro-Ebene einzelner Sektoren
anschauen. In anderen Worten: Wir haben spezifische Schocks in spezifischen Märkten
erlebt, die zu breiten Preissteigerungen geführt haben. Diese Schocks haben sich im ganzen
System ausgebreitet und so zu einer allgemeineren Inflation geführt.

Sie meinen also, einzelne Branchen haben Flächenbrände mit ihren Preissteigerungen
ausgelöst?
Ja, so kann man es sagen. Wenn bestimmte Branchen die Preise anziehen, erhöht das die
Kosten für andere Branchen. Diese reagieren ebenfalls mit Preissteigerungen. Wenn der
Preis für Mehl oder Gas steigt, erhöht zum Beispiel der Bäcker seine Preise. Wenn man so
über Inflation nachdenkt, stellt sich die Frage, welche Branchen denn besonders wichtig sind
für die gesamtwirtschaftliche Inflation.

Und welche sind das?


Wir konnten insgesamt acht Branchen für die USA ermitteln, die besonders systemisch
relevant sind für die Preisentwicklung in allen anderen Branchen. Am allerwichtigsten sind
hier fossile Energien, also die Bereiche „Petroleum- und Kohleerzeugnisse“ sowie „Öl- und
Gasextraktion“…

Das ist sehr naheliegend…


Ja, das Hochschnellen der Gas- und Ölpreisen hat viele Menschen und Firmen hart
getroffen. Daneben gibt es aber noch Bereiche wie „Wohnen“, „Chemie“, „Lebensmittel,
Getränke und Tabakwaren“, „Transportwesen“, „Großhandel“ oder „Landwirtschaft“. All diese
Bereiche haben massiven Einfluss auf die Preise in anderen Branchen – oder direkt auf die
Inflation für Verbraucher.

Wie misst man das?


Wir haben Schocks simuliert für alle Sektoren einer großen volkswirtschaftlichen Input-
Output-Tabelle für die USA – also was kommt in einen Sektor rein, was kommt raus und
welche anderen Sektoren verwenden das. Und dann haben wir zwei Dinge getan: Wir haben
zum einen berechnet, wie dieser Schock in Vor-Corona-Zeiten durchschnittlich ausgesehen
hätte. Und dem haben wir gegenübergestellt, wie sich die Preise im Corona-Schock
entwickelt haben. Dabei kam raus, dass es große Überschneidungen gibt, welche Preise von
großer Bedeutung für die Preisstabilität in der ganzen Wirtschaft sind. Es gibt also
„strukturelle Vulnerabilitätspunkte“ – oder anders gesagt, systemisch relevante Preise, die
andere Preise nach oben ziehen.
Sie haben das jetzt für die USA untersucht. Was lässt sich daraus denn für Europa
und Deutschland ableiten?
Das ist die große Frage, die wir gerade auch beantworten wollen. Es gibt letztlich drei
Komponenten, die diese Ergebnisse bestimmen. Zum einen, in welcher Position ein Input-
Faktor in der Wertschöpfungskette angesiedelt ist. Da kann es zwischen verschiedenen
Ländern große Unterschiede geben. Allgemein erwarte ich aber, dass Dinge wie Öl oder Gas
auch in Deutschland extrem systemrelevant sind – selbst wenn wir hier mehr erneuerbare
Energien haben. Das zweite sind Preisbewegungen – nicht alle Preise bewegen sich gleich
viel. Die Preisbewegungen dürften ähnlich sein, insofern es Weltmarktpreise sind – vor allem
bei Öl und Gas.

Und drittens?
Geht es um die Bedeutung, die ein Sektor für die Ausgaben der Verbraucher hat. Da spielt
zum Beispiel der Häusermarkt eine wichtige Rolle. Sowohl in Deutschland und den USA
geben Menschen einen großen Teil ihres Einkommens fürs Wohnen aus. Es kann aber sein,
dass die Immobilienwerte in Deutschland stabiler sind. Damit wäre auch die Auswirkungen
auf die Inflation insgesamt geringer.

Es klingt so, dass vor allem die besonders notwendigen Produkte diese
Kaskadeneffekte auslösen. Das würde implizieren, dass ärmere Menschen davon
besonders stark betroffen sind, weil sie den Preissteigerungen kaum ausweichen
können. Ist das richtig?
Ja, der Verdacht liegt nahe – und einige Studien für Deutschland weisen schon in diese
Richtung. Wir wollen uns das bald in einem eigenen Papier systematisch anschauen. Dafür
würden wir dann einkommensspezifische und gruppenspezifische Inflationsraten betrachten,
zum Beispiel für People of Color in den USA.

Lassen sich denn aus dem ersten Inflations-Paper schon konkrete Empfehlungen
auskoppeln?
Ja, es gibt bestimmte Sektoren, die für Inflation besonders wichtig sind. Das heißt auch, dass
wir für diese Sektoren über Dinge wie aktive Preisbeobachtung nachdenken sollten. Das
passiert schon heute, aber viel oberflächlicher als Teil der Inflationsberechnung und nicht als
Frühwarnsystem. Das würde uns erlauben auf Schocks zu reagieren, sobald sie sich
abzeichnen, anstatt zu warten bis Preisschocks in einzelnen Sektoren auf andere Sektoren
auswirken und Inflation auslösen können.

Das riecht schon nach der nächsten staatlichen Intervention in den Markt – ähnlich
wie beim Gaspreisdeckel. Sie wurden zuletzt auch vom „Makroökonom“ in eine Reihe
von Ökonomen gestellt, die die „Rückkehr des Staates“ fordern. Sehen Sie sich richtig
eingeordnet?
Ich verstehe, dass viele Menschen gerne mit Dichotomien arbeiten – hier sind die
Marktökonomen, da sind die staatsorientierten Ökonomen. Mir geht es aber eher darum,
dass man den Markt als Frühwarnsystem nutzt. Eine starke Preisbewegung deutet auf eine
große Schieflage in einem Markt hin. Wenn sich ergibt, dass ein staatlicher Eingriff dazu
beitragen kann, die Schieflage zu korrigieren – wie es zum Beispiel mit den Anstrengungen
neue Gasquellen aufzutun gegenwärtig passiert, dann ist das gewissermaßen ein kleinerer
Eingriff als mit schnellen Zinserhöhung die Inflation einzudämmen und eine Rezession
auszulösen. Die Zinserhöhung trifft pauschal alle Unternehmen und Haushalte.
Preisbremsen wie die Gaspreisbremse können dabei Zeit kaufen für die Maßnahmen, die die
Marktschieflage korrigieren. Es geht für mich also nicht darum, dass der Staat mit dem
Hammer auf irgendwelche Branchen draufhaut, sondern die Dynamiken des Marktes
versteht und möglichst zielgenau interveniert – dass er also nicht nur den Hammer der
Zinserhöhung in der Hand hält.

An einem dieser Bereiche – dem Energiemarkt – haben Sie mit dem Deckel auch aktiv
mitgewirkt. Jetzt fallen die Strom- und Gaspreise. Für manche ist der Deckel dadurch
schon obsolet. Wie blicken Sie auf diese Entwicklung?
Die Strom- und Gaspreisbremse ist als Versicherung weiterhin wichtig. Sie verursacht ja
keine Kosten für den Staat, wenn der Preis unter den Deckel fällt. Auf der anderen Seite
bietet sie Haushalten und Unternehmen Planungssicherheit. Das ist wiederum gut für die
Konjunktur, weil die Menschen ihren Konsum und Unternehmen ihre Investitionen nicht mehr
aus Angst vor unberechenbaren Gaspreisen einschränken. Ich hätte mir zwar
gewünscht, dass das Instrument schon früher, also noch vor dem Preishoch im August
gekommen wäre – aber das zeigt noch einmal, wie wichtig ein Frühwarnsystem für
Preisexplosionen in systemisch relevanten Bereichen wäre. Die Bundesbank geht übrigens
davon aus, dass die Gaspreisbremse die Inflation um 1,5 Prozentpunkte senkt und da sind
die ganzen indirekten Effekte auf die ich verwiesen habe nicht mit eingerechnet. Das ist ein
wichtiger Beitrag zur Preisstabilisierung und wird auch die Inflationserwartungen abmildern
und etwas Druck von der EZB nehmen.

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