Sie sind auf Seite 1von 8

März/April 2010 - Nr. 5, Jg.

2,

di schwarzi chatz
Zeitung der Freien ArbeiterInnen Union in der Schweiz
www.faubern.ch | zeitung@faubern.ch

In Italien brodelt es
Nach dem Sieg der ArbeiterInnen der
INNSE geht eine Welle von Arbeits-
gungen für GLS. Für 280 Arbeitsstunden
monatlich werden ihnen 1’000 Euro be-
Editorial
kämpfen durch das Land. Zunehmend zahlt, die Überstunden sind unbezahlt, Im Editorial der letzten Ausgabe von „di
wehren sich auch prekär beschäftigte und um den Fiskus zu umgehen werden schwarzi chatz“ stand, dass die Welt im-
MigrantInnen, die oft am Rande der Le- Spesen angegeben, die nicht vorhanden mer mehr einem Dampfkochtopf gleiche
galität oder komplett schwarz arbeiten. sind und auch nicht ausbezahlt werden. – das gilt auch heute noch. Doch langsam
Die Ausschreitungen in Rosarno mit der Mit diesem unversteuerten Geld werden dringen an wenigen Stellen erste zaghafte
darauf folgenden AusländerInnenhatz dann Hunderte noch günstigerer Ar- Sonnenstrahlen durch den Nebel und erste
Frühlingsblumen kämpfen sich durch den
kalten Boden: Es wird immer häufiger von
Kämpfen in Betrieben aller Art berichtet.
Interessanterweise lassen sich die Arbeite-
rinnen und Arbeiter dabei immer seltener
von einer sozialpartnerschaftlichen Ge-
werkschaft ruhig halten. Davon zeugen
Kämpfe in verschiedenen Ländern.
Angestachelt vom Erfolg der INNSE-
ArbeiterInnen letzten Sommer, wird die
ArbeiterInnenbewegung in Italien spürbar
stärker. Doch auch in der Schweiz ist es
am brodeln. Die beim Fribourger Restau-
rant Molino hinausgeworfenen KöchIn-
nen und Serviceangestellten organisierten
Streikende und die Polizei stehen sich gegenüber sich und fingen an zu protestieren. Auch
gegen die Schliessungspläne des Chemie-
ist nur die bekannteste solcher Ausein- beitsstunden bezahlt. Die Arbeit ist an- konzerns Clariant regt sich Widerstand.
andersetzungen. Die in Cerro al Lambro strengend und wird wegen der ständigen Es scheint mittlerweile auch so, als wür-
ist eine, die im deutschsprachigen Raum Verarsche durch die Chefs und die vielen den sich die radikalen Kräfte in diesem
weniger bekannt ist. Stunden auch nicht einfacher. Die Arb- von Sozialpartnerschaft durchdringten
neiterInnen kämpfen sich durch, bis es Land langsam finden und begreifen, dass
In Cerro al Lambro ist ein Logistikzen- genug ist: praktische Arbeit gefordert ist. Die Pro-
trum der Speditionsfirma GLS. Die Ar- testaktionen von UnterstützerInnen vor
beiterInnen arbeiten indirekt über eine „Eine Nacht in Cerro al Lambro… den anderen Molinos in Bern, Genf und
Genossenschaft zu miesen Arbeitsbedin- Geschichten von außergewöhnlichen Zürich und vor der Zürcher Börse gegen
Kämpfen gegen die Unternehmer, die den Abbau bei Clariant sind zwei Beispie-
Aus dem Inhalt wollen, dass die Arbeiter »gratis« arbei- le dafür.
ten... Vor allem wenn es sich um »keine Im Bildungssektor wird sich in diesen Ta-
• Kündigung von Delegierten bei Italiener« handelt und die Bullen, die sie gen zeigen, ob es die Studierenden schaf-
fen den Elan, der die Unis erfasst hatte, im
RadioFR....................................2 verprügeln, die Arbeiter natürlich, nicht
neuen Semester neu zu entfachen. In der
• Entlassen wegen „falscher“ die Unternehmer...“
(In einer Mail an die Redaktion von „labour-
zweiten Märzwoche will die Bewegung in
Herkunft ...................................3 net.de“) Wien gegen die Feierlichkeiten zu 10 Jah-
• Kahlschlag bei Clariant............3 ren Bologna protestieren. Dann werden
wir wohl sehen wie lebendig sie noch ist.
• Soziale Selbstbefreiung der Die Schlagstöcke machen ihnen
Ausgebeuteten (Teil 1).............4 keine Angst mehr. Noch drücken nur einzelne Sonnenstrah-
Die ArbeiterInnen haben, um ihnen zu- len durch. Vertreiben wir also mit dem
• Von Streiks, Bikes und Bars....5 stehendes Geld einzufordern, das Logis- Motto „Wenn nicht wir‘s tun, tun’s die
• Kultur........................................7 tikzentrum versperrt. Die Streikposten Nazis“ im Hinterkopf den Nebel – auf
• Rechtliches (Arbeitszeit und stehen fast sinnlos da, denn es gibt kei- dass endlich Frühling werde.
Ferien).......................................8 (weiter auf Seite 2)
Eure FAUistas
In Italien brodelt es (von Seite 1) zahlt wird, nur das Eigentumsrecht und Die ArbeiterInnen bleiben kämpferisch.
das Recht der BesitzerInnen die LKWs Durch wiederholte Angriffe hat die Polizei
ne Streikbrecher, die die Arbeit fortfüh- hineinfahren zu lassen, verteidigt und die ArbeiterInnen und UnterstützerInnen
ren wollen. Und dann kommt die Polizei nicht das Recht der Arbeiter auf einen (u.a. von der Basisgewerkschaft Slai Co-
und knüppelt auf die ArbeiterInnen ein. gesetzeskonformen Arbeitsvertrag.“ Für bas) in eine Ecke getrieben und verschiede-
ne von ihnen verletzt, um so den LKWs die
Einfahrt ins Logistikzentrum zu erlauben.
Hinzugekommen sind die Entlassungsdro-
hungen an die streikenden ArbeiterInnen,
denen die Chefs der Genossenschaft aufs
Handy angerufen haben, um sie zu zwin-
gen, hineinzugehen und die LKWs zu ent-
laden.
Doch der Arroganz des Unternehmens ist
es nicht gelungen, den Widerstand und die
Entschlossenheit der ArbeiterInnen und der
anwesenden GenossInnen zu schwächen,
die angesichts des erfolgreichen Streiks –
nach Abhaltung einer Versammlung – zu
vorgerückter Nachtstunde beschlossen ha-
ben, die Blockade zu beenden und neue
Streikende vor dem Logistikzentrum Kampfmassnahmen zu organisieren.
Leider eine Besonderheit des Kampfes
„Wir haben nur unser Streikrecht ausge- die Polizei hingegen ist das Ganze eine in Cerro al Lambro ist, dass bei diesem
übt, ein Grundrecht.“ erklärt Fulvio Di „unbewilligte Demonstration“. Deshalb Kampf im Gegensatz zu dem in Rosarno,
Giorgio von der Basisgewerkschaft Slai haben die Polizisten auch zwei Arbeiter „MigrantIn“ und „ItalienerIn“ gemeinsam
Cobas, „Vielmehr frage ich mich warum ins Spital geknüppelt und drohen den An- den mit Schildern und Knüppeln bewaffne-
die Polizei, die mit Steuergeldern be- deren mit Strafanzeigen. ten PolizistInnen gegenüber standen.

RadioFr: Kündigung von Delegierten


Als Fritz und Max vor zwei Wochen ihren Auf Versammlungen diskutierten die An- dessen Existenz von einem Tag auf den
Entlassungsbescheid bekommen hatten, gestellten, was sie diesbezüglich unter- anderen bedroht ist, sehr verständlich.
stand ihnen der Schock tief ins Gesicht ge- nehmen könnten. Sogar eine kollektive Dass die beiden nicht wegen finanzieller
schrieben. Wie aus dem nichts wurde den Kündigung stand eine Zeit lang im Raum. Schwierigkeiten gefeuert wurden, zei-
zwei langjährigen Mitarbeiter von RadioFr Schlussendlich entschied man sich aber gen zwei Inserate auf der Homepage von
gekündigt, weil das Vertrauensverhältnis eine Forderungsliste an den Verwaltungs- RadioFr. Dort werden per Inserat je einE
nicht mehr gewährleistet sei, so der Ver- rat zu stellen. So verlangte die Beleg- deutschsprachigEr und französischspra-
waltungsrat. Das einzige, was sie sich zu- schaft, dass sich der Verwaltungsrat zum chigEr JournalistIn auf den 1. April ge-
schulden kommen liessen, war ihr Einsatz Umstrukturierungsprozess äussern solle sucht
für die Belange der Belegschaft. und Mitteilungen an die ArbeiterInnen
zweisprachig verfasst werden sollen. Vier Die Zukunft steht offen
Umstrukturierung des Verwaltungs- Delegierte teilten diese Forderungen dem Fürs Erste haben die schockierten Mitar-
Verwaltungsrat mit. beiterInnen diesen Angriff von oben ge-
rats Da aber die Forderungen vom Verwal-
Die ganze Geschichte begann vor etwa 2 schluckt.
tungsrat ignoriert wurden, entschied sich Aber ob sie nun auch die ganze Umstruk-
Monaten, als der Verwaltungsrat für das die Belegschaft an die Öffentlichkeit zu
Unternehmen RadioFr eine Umstrukturie- turierung widerstandslos über sich ergehen
gehen und einen Tag zu streiken, um den lassen, bleibt offen. Wünschenswert wäre
rung vorsah.
Forderungen Nachdruck zu verleihen. es sicherlich, wenn sich alle (auch Leute
Für die MitarbeiterInnen war dies unver-
ständlich, da der Radiosender nicht in fi- ausserhalb des Betriebes) für die beiden
nanziellen Schwierigkeiten steckte und die Den Widerstand brechen Entlassenen stark machen würden, damit
Qualität sowie die Arbeitsbedingungen des Der Verwaltungsrat meldete sich zwei sie wieder angestellt werden müssten.
Radios verhältnismässig gut waren. Gröss- Tage nach dem Streik mit einer Presse-
tenteils war die Gestaltung des Radiopro- konferenz, auf welcher er mitteilte, dass Ein Unternehmen - zwei Sender
grammes den ModeratorInnen überlas- er zwei der vier Delegierten auf Anfangs
sen. Die Umstrukturierungspläne stiessen April entlassen werde. RadioFr ist ein Unternehmen, welches
auf Ablehnung und weckten gleichzeitig Der Verwaltungsrat soll die beiden ge- zwei Lokalsender beherbergt, die auf
Ängste bei der Belegschaft, dass z.B. die fragt haben, ob sie mit ihrem Umstruktu- dem ganzen Gebiet des Kantons Frei-
künstlerische Freiheit der Programmge- rierungskurs einverstanden seien, was sie burg empfangen werden können. Dabei
staltung der Umstrukturierung zum Opfer natürlich verneinten und hat dies als Bruch wird zwischen Radio Freiburg für den
fallen könnte. des Vertrauensverhältnisses interpretiert. deutschsprachigen und Radio Fribourg
Für die beiden war das ein Schicksals-
für den französischsprachigen Raum
schlag wie aus dem Nichts. Sogar Tränen
Forderungen der Belegschaft seien geflossen. Für einen Familienvater, des Kantons unterschieden.

2
Entlassen wegen „falscher“ Herkunft
Stell dir vor du arbeitest seit zehn Jahren im In etwa so erging es elf Angestellten des Re- guten Geschmack, sondern vor allem gegen
gleichen italienischen Restaurant. Erledigst staurants Molino in Fribourg. jegliche Regeln, Überzeugungen und Geset-
was gerade anfällt oder wenn du mehr Glück Das Fribourger Molino gehört zu einer Ket- ze die ethnische Diskriminierung verurteilen.
hast, arbeitest du als gelernter Koch oder te mit insgesamt 17 Filialen in der ganzen
eventuell sogar als gelernte Köchin. Zehn Schweiz und gehört der Schweizer Invest- Die in einer solch diskriminierenden Weise
Jahre lang arbeitest du mit eingezogenem mentgesellschaft Athris Holding AG (ehe- Entlassenen aus Fribourg haben nun aber
Kopf bringst 120% Leistung, machst Über- malige Jelmoli AG). Die Leitung von Molino nicht einfach nur die Hand im Sack zur Faust
stunden, die du nicht aufschreibst, denn du AG hat bereits vor etwas über einem Jahr ent- geballt, sondern haben sich zu einem Kollek-
bist glücklich als ImmigrantIn überhaupt schieden, nur noch Personal mit italienischer tiv zusammengeschlossen, um gemeinsam
gegen Molino vorgehen zu können. Diese
Selbstorganisation fand übrigens statt, nach-
dem sich die Fribourger Unia Sektion gewei-
gert hatte, sich diesem Fall anzunehmen. Am
12. Februar fand nun eine erste Aktion dieses
Kollektivs statt. Um 12.00 Uhr wurden vor
den Molino-Restaurants in Fribourg, Bern,
Genf und Zürich von den Entlassenen und
zahlreichen UnterstützerInnen Flugblätter
verteilt, welche die Politik der Molino AG
kritisierten. In Bern holte der entnervte Ge-
schäftsleiter sogar die Polizei, die aber die
Aktion nicht unterbinden konnte. Geholfen
hat dem Molino die Polizeipräsenz sowieso
nichts: Vor dem Erscheinen der Polizei gin-
gen die Leute das Flugblatt lesend immerhin
hinein, doch mit drei Uniformierten am Ein-
gang trauten sich die Leute gar nicht mehr
rein… Während der Aktion in Bern wurde in
Erfahrung gebracht, dass in Bern auch Leute
Das Berner Restaurant Molino am Waisenhausplatz aufgrund ihrer Herkunft entlassen wurden.
Die Zahl der Entlassenen ist allerdings noch
eine Stelle zu haben. Für deine Kündigung Nationalität anzustellen. Wohl damit die in unklar.
kannst du nichts dafür und es ist auch nicht der Schweiz sich befindenden Restaurants
etwa so, dass die Entlassungen geschehen mit italienischem Thema etwas authentischer Die Proteste gegen das Molino werden nach
weil es dem Betrieb schlecht ginge. Denn wirken. Die Auswahl ihrer Angestellten auf- Redaktionsschluss dieser Ausgabe sicher
von deinen italienischstämmigen KollegIn- grund der italienischen Nationalität wird von noch weiter gehen – frei nach dem in Fri-
nen wird niemand entlassen und die Lücke, der Molino AG auch öffentlich propagiert. bourg während der Aktion kreierten Spruch
die dein Fortgang hinterlässt wird mit frisch Damit verstösst die Geschäftsleitung, wohl „Molino facho, employé(e)s faché(e)s!“.
aus Italien rekrutierten ArbeiterInnen gefüllt. durchaus wissentlich, nicht nur gegen den

Kahlschlag bei Clariant - Unia schaut zu


400 Arbeitsplätze will Clariant in Muttenz 500 Haushalten in Existenznöte bringen, Börse blockierten und den Glaspalast mit Ei-
abbauen – dies ist eine der grössten Massen- um ihre Profite zu steigern. Und was tut die ern bewarf, distanzierte sich die Unia eiligst.
entlassungen der letzten Jahre. Laut dem Cla- Unia? Sie schaut zu.
riant-CEO Kottmann lohne sich die Produk- An vier Betriebsversammlungen machten die
tion in der Schweiz nicht mehr. Man habe die ArbeiterInnen mehr als deutlich, dass sie dies
Entwicklungen der letzten Jahre verschlafen nicht hinnehmen wollen und dass sie sich zur
und müsse nun mit den anderen Chemie- Wehr setzen wollen. Die Unia-FunktionärIn-
Multis gleichziehen, die alle schon in Asien nen haben aber mit den Betriebsversammlun-
seien. Das repetierten alle Medien, die sich gen nur zahnlose Massnahmen beschlossen:
irgendwie für den massiven Arbeitsplatzab- einen runden Tisch mit Kottmann, Sozial-
bau interessierten - und die Gewerkschaft pläne (also „erträgliche Entlassungen“) und
Unia. Doch etwas erwähnten die wenigsten: eine Arbeitsplatzgarantie für die restlichen
Die Produkion in Europa scheint sich doch 100 Arbeitsplätze. Um dem ganzen einen
noch zu lohnen, denn Kottmann will nur ei- kämpferischen Anstrich zu geben, wurde
nen Teil der Produktion von Muttenz nach noch beschlossen, dass die Arbeitenden „Mit
China verlagern - der andere Teil geht nach Kampfmassnahmen (...) ihren Forderungen Werte ArbeiterInnen von Muttenz: Lasst
Spanien. Nachdruck verleihen [wollen], gegenüber euch nicht wie Borregard-Attisholz einfach
Es geht also weniger um „nicht rentabel“ als Clariant genauso wie gegenüber Behörden, abwickeln! Macht es wie die INNSE-Arbei-
um „weniger rentabel.“ Das heisstt, dass die Politik und Öffentlichkeit.“ terInnen, denn:
Clariant-Geschäftsführung und die Aktionä- Und das sieht so aus: Als UnterstützerInnen
Nur wer kämpft kann gewinnen!
rInnen in der Krisenzeit mal eben schlappe (u.a. von der FAU) den Zugang der Zürcher

3
Soziale Selbstbefreiung der Ausgebeuteten
Einige Anmerkungen der Gruppe Eiszeit zu autoritärer Krisenlösung und Klassenkampf - Teil 1
Die Berichte in den Medien seit dem Sep- in die Zukunft zu verschieben. weise zur Abdämpfung der für das Ka-
tember 2008 vermitteln das Gefühl, dass Eine Krisenbewältigung wie es den Ver- pital prekärsten Auswirkungen geführt.
die sogenannte Finanzkrise den Kapitalis- tretern und Vertreterinnen des Kapitalis- Trotz der offensichtlichen Ohnmacht und
mus genauso überraschend getroffen hat, mus vorschwebt, ist nicht für das Wohle Planlosigkeit des Staates gegenüber der
wie die Schweinegrippe die im Kapitalis- der Arbeiter und Arbeiterinnen gedacht, wütenden Wirtschaftskrise und den durch
mus lebenden Menschen. Entsprechend sondern dient der erneuten Kapitalakku- die Krise offensichtlich gewordenen Wi-
den Versuchen, die Schweinegrippe durch mulation bis zur nächsten Krise. Wer zur dersprüchen des Kapitals, wird weiterhin
Medikamente und das Separieren der Er- Arbeiterinnen- und Arbeiterklasse gehört, von allen Seiten nach mehr staatlicher Re-
krankten in den Griff zu bekommen, ver- wird sowohl in den so genannten guten gulierung gerufen. Überall werden Ret-
suchen die Politikerinnen und Politiker Zeiten des Kapitalismus, als auch in den tungspakete geschnürt, der Staat pumpt
durch das Verschreiben hoher Dosen an schlechten Zeiten, sein Leben mit Arbei- Milliarden in die Wirtschaft. Doch eine
Regulation und keynesianistischer Mass- ten verbringen, für einen Lohn, der allzu tatsächliche Krisenlösung ist nicht in
nahmen, sowie der Isolation, also Aus- oft gerade einmal für die Reproduktion Sicht.
lagerung fauler Aktien und Kredite, die der eigenen Arbeitskraft ausreicht, und Dabei steckt der Kapitalismus sogar in
vorherrschende Krise zu stoppen. Bei bei- in nächster Zukunft wohl im allgemei- einer doppelten Krise: Einerseits in der
dem gilt: Eine Lösung ist nicht in Sicht, nen auf einem deutlich tieferen Niveau. Anfang der siebziger Jahre entstandenen
also wird einfach Symptombekämpfung Die Arbeiter und Arbeiterinnen werden latenten Überakkumulationskrise des Ka-
betrieben. Natürlich probiert sich jeder vom Kapital auf eine Zukunft des Wohl- pitals, welche sich stufenweise entwickel-
Staat selbst zu retten und auf dem Welt- stands vertröstet, die etwa gleich gewiss te und die Einzelkapitale immer mehr in
markt tummeln sich viele konkurrierende kommen wird, wie die paradiesischen die Finanzanlangen drängte und schluss-
Nationalökonomien, welche die Ideologie Jenseitsvorstellungen verschiedener Reli- endlich zur Finanzkrise im Jahre 2008
der nationalen Einheit pflegen und hegen. gionen eintreffen werden. geführt hat. Und andererseits in einer -
Die dabei aufkommende Angst vor neuen mit der ökonomischen Krise direkt ver-
staatskapitalistischen Massnahmen, wie knüpften - ideologischen Krise. Während
es das letzte Mal New Deal, Stalinismus der Neoliberalismus bis vor kurzem noch
und Faschismus waren, hat somit durch- als Segen für die Wirtschaft schöngeredet
aus ihre Berechtigung. wurde, hört man heute plötzlich von al-
Zu welchen Mitteln der Staat alles greifen len Seiten Forderungen nach vermehrter
wird, um die Krise zu überwinden, ist aber staatlicher Regulierung der ausser Kon-
schwer einzuschätzen. Zentral ist deshalb trolle geratenen Märkte. Durch massive
vorerst nachzuvollziehen, wie die latente staatliche Eingriffe in den stockenden
Krise des Kapitalismus das Kapital in die Akkumulationsprozess und den Versuch
Finanzmärkte getrieben hat. Ausserdem des Staates, die sinkende Nachfrage an-
lohnt sich auch ein Blick auf die histori- tizyklisch wieder anzukurbeln, erlebt der
schen Formationen des Kapitalismus und Keynesianismus im weitesten Sinne eine
die dazugehörige spezifische Formen he- Renaissance. Besonders der bei linken
gemonialer Vermittlung von Ökonomie und gewerkschaftlichen Kreisen anzutref-
und Politik. fende Linkskeynesianismus erlebt einen
Die bürgerliche Politik von Links bis Aufschwung. Der Rückgriff auf keyne-
Rechts anerkennt zum heutigen Zeitpunkt sianische Krisenmodelle ist daher ein
keynesianistische Massnahmen als erste zentrales Moment der heutigen Versuche
Sofortmassnahme an. Und im Stadium die Krise zu lösen. Die Bourgeoisie dreht
der Sofortmassnahmen befinden wir uns ihre eigene widersprüchliche Ideologie
Jim Avignon: capitalism
nach wie vor. Die bürgerlichen Politiker um hundertachtzig Grad herum und findet
und Politikerinnen verhalten sich, als hät- Die doppelte Krise des Kapitals und sich wieder am Ausgangspunkt der nie
ten sie aus ihrem historischen Gedächtnis ihre Lösungsversuche gelösten Krise des Fordismus. Verzweifelt
gestrichen, dass das Kapital sich aufgrund Die aktuelle Weltwirtschaftskrise ist, ganz durch die intuitive Einsicht, dass die Spe-
stetig ansteigender Staatsverschuldung im Gegensatz zu den anfänglichen Prog- kulation auf die Zukunft und die Flucht
und einer starken Arbeiterklasse, die er- nosen bürgerlicher Wirtschaftsexperten in die Finanzmärkte - was bezeichnend
folgreiche Klassenkämpfe führte, Ende und den verzweifelten Regulierungsver- für den Neoliberalismus seit den siebzi-
der siebziger Jahre in das Finanzkapital suchen des Staats, immer noch unbeein- ger Jahren ist - nur eine Verschiebung des
retten musste und dadurch die Ära des druckt am weitertoben. Zwar konnte der Verwertungsproblems waren, greift die
Neoliberalismus eingeläutet wurde. Milli- Abwärtsstrudel der Weltwirtschaft durch Bourgeoisie nun auf alten ideologischen
arden werden nun vom Staat in den Markt staatliche Intervention und Regulierung Kaffee zurück. Doch so, wie die Flucht in
eingeschossen, um einen totalen Crash zu etwas abgefedert werden, zum Beispiel die Finanzanlangen nur eine kurzfristige
vermeiden. Dadurch versucht der Staat, durch die Einrichtung eines Public Priva- Verschiebung der Krise des Fordismus
was er sowohl im Keynesanismus als te Investment Funds in den USA, jedoch war, so beisst sich die Bourgeoisie mit der
auch im Neoliberalismus tat, nämlich die hat dies höchstens zur Verlangsamung Rückkehr zu keynesianistischen Mass-
immanenten Schranken des Kapitalismus der Krisenentwicklung und möglicher- nahmen lediglich wieder in den eigenen

4
Schwanz. Denn weder der Neoliberalis- privaten Kapitals kompensieren kann, ist ökonomische Gesetzesmässigkeit in der
mus noch der Keynesianismus eröffnen das Gesamtkapital gezwungen die kapi- Krise zu verstehen, sondern als allgemei-
dem Kapital in der aktuellen Situation talistische Ausbeutung zu intensivieren. ne Tendenz der kapitalistischen Klassen-
neue Verwertungsperspektiven: Mit der Dies findet insbesondere durch die Aus- gesellschaft. Sowohl in Krisenzeiten als
Spekulation auf zukünftigen Mehrwert dehnung des relativen Mehrwerts (Stei- auch in Prosperitätszeiten verliert die Ar-
konnten die Widersprüche des Kapitals gerung der Produktivität der Arbeitskraft) beiterklasse in diesem Spiel, da auch im
kurzfristig umgangen werden, diese Op- und in Krisenzeiten wieder vermehrt Normalzustand des Kapitalismus die Aus-
tion zerfällt jedoch, sobald reale Investi- durch die Ausdehnung des absoluten beutung von menschlicher Arbeitskraft
tionsmöglichkeiten zur Mehrwertproduk- Mehrwerts (Verlängerung der Mehrar- die Quelle des Mehrwerts bildet. Insofern
tion fehlen. Die zweite Variante scheitert beit) in den noch profitablen Zweigen des besitzt der Kapitalismus als Klassenver-
an der Tatsache, dass der Staat sich ent- privaten Kapitals statt. Um die immensen hältnis in allen historischen Phasen und
weder massiv verschulden muss oder sich staatlichen Ausgaben nicht auf dem pro- Entwicklungsstufen, sowohl in Krisenzei-
vom Mehrwert aus den (noch) profitablen fitablen Teil des privaten Kapitals abwäl- ten als auch in Zeiten des Aufschwungs,
Zweigen der Privatwirtschaft bedienen zen zu müssen, werden die Kosten auf die ob in faschistischer und demokratischer
muss. Insofern steckt nicht nur die Welt- Arbeiterklasse übertragen. Auf Grund der Form, einen autoritären Charakter. Die
wirtschaft in der Klemme, sondern auch fallenden Profitrate versuchen die Einzel- Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft
der ideelle Gesamtkapitalist in seiner kapitale den Verlust durch einen Preisauf- zum Zwecke der Kapitalverwertung ist
Handlungsfähigkeit, etwas daran zu än- schlag wettzumachen. „Steigen die Preise ein autoritäres gesellschaftliches Verhält-
dern. Eine Krisenlösung ist weder durch schneller als die Löhne, so vermehrt sich nis, das sich in Krisenzeiten zwar ver-
„Selbstheilungskräfte des Marktes“ noch der Profit auf Kosten des Arbeitslohns; ein schärft, aber nicht erst dann entsteht. Die
durch massive Regulierungsversuche des grösserer Teil des gesellschaftlichen Pro- Ausdehnung des relativen- und absoluten
Staates in Sicht. dukts fällt den Kapitalisten zu, ein klei- Mehrwerts und ganz im Allgemeinen die
nerer den Arbeitern. Ist der Unterschied Verschärfung der Ausbeutung wird heute
Der autoritäre Charakter des gross genug, so kann ein grosser Teil der zum Beispiel auf ähnliche Weise unter
Kapitalismus als Normalzustand Kosten der erhöhten Besteuerung auf dem Schutz demokratischer Legitimati-
Da der Staat des Kapitals weder durch die Arbeiter abgewälzt werden“1. Dieser on durchgesetzt wie dies nach der Krise
eine Ausdehnung der unprofitablen Pro- Prozess ist darüber hinaus nicht nur als 1929 auf faschistische Weise durchgesetzt
duktion (wie z.B. im Rüstungskeynesia- wurde.
1
Paul Mattick, Die Gemischte Ökonomie und
nismus) noch durch die Ausgaben staatli- ihre Grenzen, 1971 http://www.marxists.org/
cher Gelder die sinkende Rentabilität des deutsch/archiv/mattick/1971/06/grenzen.htm Der zweite Teil erscheint in der Mai-Ausgabe

Von Streiks, Bikes und Bars


Geschichte der FAU Bern - Teil 2
In der letzten di schwarzi chatz Ausgabe be- wir gehört hatten, online. Darunter befindet Im Sommer 2008 trug die FAU Bern zu einer
richteten wir über die Entstehung der FAU sich auch ein Bericht eines Konflikts um den Aktion mit internationalem Hintergund bei:
Bern und ihre Aktivitäten bis ungefähr Ende Menüpreis in einer grossen Betriebskantine ArbeiterInnen des Kaffeehaus-Multis Star-
2007. Von der Zeit danach berichtet dieser in der Berner Agglomeration. Die dort von bucks hatten sich in der Basisgewerkschaft
Artikel. der Firmenleitung durchgesetzte Erhöhung IWW in den USA und in Spanien in der CNT
des Menüpreises kam bei der Belegschaft organisiert, um gegen die prekären Arbeits-
Schon lange wurde in der FAU überlegt, sehr schlecht an, worauf sich ein paar mutige bedingungen zu kämpfen. Starbucks antwor-
wie das Internet als Werkzeug genutzt wer- Angestellte organisierten und aus Protest am tete darauf mit der gezielten Entlassung der
den könnte. Es entstand die Idee, eine Art Mittag auf dem Parkplatz eine eigene „Kan- aktiven Angestellten. Deshalb wurde im Juli
wikipedia für Probleme an der Arbeit und tine“ aufmachten. Dort gab es z.B. Paella für 2008 zu einem globalen Aktionstag gegen
Erfahrungen und Tipps für den Widerstand 5.- pro Teller. Dieses Angebot wurde so gut Starbucks aufgerufen. Das Resultat war be-
zu entwerfen. Im Frühjahr 2008 ging dieses genutzt, dass die offizielle Kantine leer stand eindruckend: in rund 20 Ländern wurde vor
Projekt unter dem Namen laborpedia online. und das Management sich gezwungen sah, Starbucks-Filialen gegen die gewerkschafts-
Das Projekt beschreibt sich so: die Preiserhöhung rückgängig zu machen. feindliche Praxis des Konzerns protestiert. In
Wir stellten auch ein komplettes Buch online, Bern hatten wir vorher mehrere Male kleine
„Mit laborpedia wollen wir eine Möglichkeit das wir von den HerausgeberInnen freundli- Handzettel an die Belegschaften der zwei
schaffen, dass Leute, die kämpfen wollen, cherweise zur Verfügung gestellt bekommen Starbucks verteilt, mit denen wir sie über den
sich unabhängig von Gewerkschaften orga- haben. Das auf Interviews basierende Buch Aktionstag informierten und für Rückmel-
nisieren können und nicht auf deren Funk- heisst Sabotage. ArbeiterInnen aus den USA dungen unsere Kontaktadressen angaben.
tionäre und Infrastruktur angewiesen sind. erzählen und gibt viele lebendige Beispiele Darauf meldete sich tatsächlich jemand, der
laborpedia soll Selbstvertrauen schöpfen, auf dessen, was Leute gegen den täglichen An- an der Arbeit bei Starbucks Bern folgende
die eigene Stärke zu bauen und ein Ort sein, schiss auf der Arbeit so alles unternehmen. Punkte kritisierte: kein regelmässiges Durch-
an dem solche Erfahrungen weitergegeben Da sich nach einiger Zeit aber niemand mehr führen von obligatorischen Lohngesprächen,
werden.“ bemühte, das Projekt weiterzutrieben, blieb Nachhauseschicken und nicht bezahlen von
es eine offene Baustelle. Trotzdem besitzt Angestellten „wenn nicht viel läuft“, teil-
Ein solches Angebot wird aber erst interes- das Projekt ein grosses Potential und es wäre weise Arbeit auf Abruf. Diese Informationen
sant, sobald genügend Material darauf ist. schön, wenn sich Leute finden würden, die es wurden von uns in unser Flugblatt eingebaut,
Wir stellten also ein paar Geschichten und weiterverfolgen. Die Adresse lautet: http:// dass wir am Aktionstag beim Starbucks am
Erfahrungen von uns selbst, oder von denen laborpedia.immerda.ch. Waisenhausplatz zu hunderten verteilten. Da

5
wir dazu auch eigenen zapatistischen Eiskaf- der obersten Kategorie (zu der die meisten grössten polnischen Tageszeitungen, einen
fee ausgaben – gratis oder gegen Spende – Aktiven gehörten) 2.- mehr Lohn bekamen, guten Bericht über die Aktion und ihre Hin-
gelang es uns, viele Leute vom Besuch des während für alle anderen die Zeit, die sie zu tergründe veröffentlicht hat. Um besser mit
Starbucks abzuhalten. Aus der Aktion resul- arbeiten haben, bis sie eine Lohnkategorie unserem Umfeld von FreundInnen und Sym-
tierten auch viele gute Diskussionen. Zudem aufsteigen, verdoppelt wurde. Die Spaltung phatisantInnen vernetzt zu sein, führten wir
wurden von einer weiteren Gruppe auch bei zwischen „Kernbelegschaft“ und Temporä- im Frühjahr 2009 die Passivmitgliedschaft
ein, richteten ein News-
letter-Dienst ein und
begannen, die Direkte
Aktion – die Zeitung der
FAU Deutschland – im
Abo zu vertreiben. Bald
darauf brachten wir die
erste Ausgabe unserer
eigenen Zeitung „di
schwarzi chatz“ heraus,
die seither alle zwei Mo-
nate erscheint.
Die aktuellsten Dinge
seien hier nur kurz er-
wähnt: Wir haben im
Herbst 2009 zwei klei-
ne Demonstrationen
für sechs in Serbien zu
Unrecht inhaftierte sozi-
ale AktivistInnen („Bel-
grade 6“) und am 20.
Februar dieses Jahres
eine Flugblattaktion ge-
gen das Gewerkschafts-
verbot der FAU Berlin
durchgeführt. Dazu sind
Transparent der FAU Bern an der Gewerkschaftsdemo gegen Krise und Kapital am 12.09.09 Mitglieder von uns am
Internetforum chefdu-
der Filiale am Hirschengraben Flugblätter ren, die seit Jahren überall benutzt wird um zen.ch beteiligt. Und wir planen für 2010
verteilt. Leider ist aus der Aktion kein länger- Löhne und Arbeitsbedungungen zu drücken, eine Kampagne zur Sensibilisierung von
fristiger Kontakt zur Starbucks-Belegschaft hat also wieder einmal funktioniert – und Lehrlingen.
oder anderen Interessierten entstanden. die Firma hat dabei wahrscheinlich noch Zum Schluss sollen noch ein paar Worte der
Im Herbst 2008 wurden wir in einem Ar- Gewinn gemacht. Aus dem hoffnungsvollen Selbstkritik gewidmet sein. Am meisten ins
beitskonflikt in einem Call Center in der Kampf wurde also eine völlige Niederlage. Auge sticht, dass wir all die Jahre hindurch
Region Bern verwickelt. Dort hatten sich Es gäbe noch viel zu diesem Thema zu sa- nicht wirklich mehr Mitglieder geworden
Angestellte unabhängig organisiert, um mit gen – auch zu dem, was nachher noch in dem sind. Die FAU Bern hat zwar immer wieder
einer Petition bessere Bedingungen einzu- Betrieb gelaufen ist – doch wir müssen aus neue Mitglieder dazugewonnen, aber genau-
fordern. Die Firma betreibt auch in einer an- Platzgründen hier aufhören. so andere verloren, die in andere politische
deren Stadt ein Call Center, und wir wurden Nachdem die globale Krise definitiv über Organisationen wechselten oder sich ganz
von der Angestelltengruppe angefragt, die die Welt hereinbrach und das Thema „Wirt- aus der politischen Aktivität zurückgezogen
Petition dort zu verbreiten (damit die aktiven schaftskrise“ in aller Munde war, beteiligten haben. Dies hängt unbestreitbar mit den in-
ArbeiterInnen sich nicht selbst exponieren sich FAU-Mitglieder an einem Bündnis aus ternen Dynamiken und informellen Hierar-
mussten). Ein paar Mitglieder der FAU Bern politischen Gruppen und Einzelpersonen, chien zusammen, die sich in der FAU Bern
gingen also an einem Abend zu dem auswär- das um den Jahreswechsel 2008/2009 unter ergaben und die teilweise für Verärgerung
tigen Betrieb und hielten den Leuten die Pe- dem Namen Stop the game! eine Informa- und böses Blut sorgten. Dazu kommt, dass
tition unter die Nase. Diese reagierten sehr tionskampagne und eine Demonstration zur einige ihre knappe Freizeit lieber mit ihren
interessiert und nahmen Petitionsbögen mit kapitalistischen Krise durchführte. Hobbys verbringen, schliesslich ist es klar,
rein, so dass schlussendlich fast die ganze Anfang 2009 führte die FAU Bern vor dem wie schwierig – manche würden sagen: hirn-
Schicht unterschrieben hat. Im Gespräch fan- Nestlé-Hauptsitz in Vevey eine Protestaktion rissig – es ist, einem Land wie der Schweiz
den wir heraus, dass diese Angestellten sogar durch. Dazu waren wir von Leuten unserer auf so etwas wie ein selbstorganisiertes und
noch 2.- weniger pro Stunde verdienten als Schwestergewerkschaft ZSP aus Polen an- kämpferisches ArbeiterInnen-Millieu hinzu-
die die Leute im Raum Bern. Nachdem die gefragt worden. Sie waren von Jacek Kotu- arbeiten. Wir haben aber ein gutes Verhält-
Petition von einem beträchtlichen Teil der la, einem Gewerkschaftsaktivisten bei einer nis zu unseren Ex-Mitgliedern und können,
Belegschaft unterzeichnet war, wurde sie Nestle-Tochterfirma in Polen um Unterstüt- wenn uns mal ein grösserer coup gelingt,
abgeschickt. Das Management reagierte aber zung gebeten worden, weil dieser wegen mit ihrer Unterstützung rechnen – und um-
lange Zeit nicht darauf und die aktiven Ange- seiner Gewerkschaftstätigkeit von Nest- gekehrt. Mit der Krise treten die sozialen
stellten fürchteten zunehmend Repressalien. lé entlassen sowie im Privaten terrorisiert Widersprüche offen zu Tage und das Terrain
Ende 2008 meldete das Management dann, wurde und ihn seine eigene Gewerkschaft wird vielleicht fruchtbarer für unsere An-
die Forderungen nach der Jahresabrechnung Solidarność fallen gelassen hatte. Schön war, sätze. Wir sind gespannt, was die Zukunft
zu „prüfen“. Es endete damit, dass die Leute dass Rzeczpospolita („Republik), eine der bringt.

6
Gedichte Bist du sicher, dass du kein neues Handy brauchst? Die Strahlung des alten Telefons könnte dir nämlich
ernsthaften Schaden zufügen -und das möchten wir ja beide nicht. Oder Jimmy?

Arbeiten im Callcenter
Drei Stunden sitz’ ich schon
Vor dem schmuddeligen Telefon
Ich soll Menschen zu Themen befragen
Und die wissen nicht, was zu sagen

Ich klebe bald am Schalensitz fest


Da sich das Fenster nicht öffnen lässt
Und wenn die Tastatur weiter macht was sie will
Schlage ich mit ihr das Telefon still

Ist nicht das Gesprochene bequem


Sondern der Besetztton angenehm
Verstehe ich kein Wort
Andersrum bläst es das Gehör fort

Man arbeitet, ackert und wird krank


Und was ist der Dank?
Lohn? Entschädigung von wegen!
Du gibst Zeit und sie nehmen dein Leben

von: Niedźwiedzek

Orange
We‘re
like
Das Leben leben family
now
Ich will unendlich viel sehen
Und immer wieder vor Staunen vergehen
Ganze Kontinente durchmessen
Ohne je ein Stückchen zu vergessen

Ich will möglichst viel erleben


Und mir Zeit für mich geben
Staunend Sternendächer betrachten
Doch die taghelle Stadt nicht verachten

Ich will die Welt in tiefen Zügen inhalieren


Der Duft von Lebenslust und vom Krepieren
Der Duft von Blumen im hohen Gras
Und die wütende Aggression von Tränengas
Solange
Solange der SVPebrillte dümmlich grinst Zur Kulturseite
Die ganze Spannbreite von tiefem Schmerz
Solange die Bank ordentlich zinst
Zum mit Leichtigkeit erzählten Scherz Wir haben uns vorgenommen in jeder
Solange die Cervelat kaufbar ist
Die Leichtigkeit des Scheins Ausgabe auch etwas Kultur zu brin-
Solange jemand die Flagge hisst
Und die bittere Härte des Seins gen und werden hier Kurzgeschichten,
Gedichte und grafischer Kunst einen
Solange nicht das falsche Grün gewinnt
Ich will das angenehmst Bequeme Platz geben. Wir versuchen möglichst
Solange die Hymne harmonisch klingt
Und das mühsamst Unangenehme Unverönventlichtes abzudrucken und
Solange um halb acht der Fernseher sendet
Mädchen mit feinstem Geruch freuen uns natürlich wenn du uns deine
Solange der Lack des eigenen Autos blendet
Und Betten mit fauligem Leichentuch Werke zur Verfügung stellst (schreib an
zeitung@faubern.ch)
Solange die Autos brausen
Ich will nicht auf ein Paradies hoffen
Solange der Kanake draussen
Ich will das Leben leben Falls wir einmal nicht genügend zuge-
Trübt immer noch kein Wölkchen
sendet bekommen, werden wir auch auf
Das Glück des Alpen-Herrenvölkchen
von: Niedźwiedzek schon bereits veröffentlichte Kunst zu-
rückgreifen.
von: Niedźwiedzek

7
Über uns... §§§§§§§§§§§§§§§§§§§§§
Das Ziel der AnarchosyndikalistInnen
ist eine ausbeutungsfreie, herrschafts-
Arbeitszeit
lose und auf Selbstverwaltung begrün- Wöchentliche Arbeitszeit festgelegt ist, müssen die Überstunden mit
dete Gesellschaft. Die Höchstarbeitszeit beträgt gemäss ArG einem Lohnzuschlag von 25% entschädigt
(Arbeitsgesetz) je nach Branche 45 oder werden. Bei Überzeit ist – im Unterschied
Wir denken, dass es unmöglich ist, 50 Stunden. Die meisten GAV (Gesamtar- zu Überstunden – keine vertragliche Ab-
unsere Interessen mit StellvertreterIn- beitsverträge) sehen tiefere Arbeitszeiten weichung von dieser gesetzlichen Rege-
nen-Politik, wie sie zum Beispiel von (40 bis 41 Stunden) vor. lung möglich.
Parteien, Kirchen und reformistischen
Gewerkschaften betrieben wird, durch- Tages-, Abend- und Nachtarbeit Achtung: Viele Betriebe drücken sich um
zusetzen. Daher lehnen wir die Vertre- Die Arbeit zwischen 6 und 20 Uhr gilt das Auszahlen von Überstunden und Über-
tung unserer Interessen in zentralistisch als Tagesarbeit, die von 20 bis 23 Uhr als stundenzuschlägen. Besonders betroffen
aufgebauten Organisationen ab, da es Abendarbeit. Betriebe können Abendarbeit sind Teilzeitarbeitende. Schreiben Sie Ihre
in solchen Organisationen immer ein ohne Bewilligung einführen. Für Abendar- Überstunden auf und lassen Sie diese Auf-
Machtgefälle zwischen „einfachen“ beit muss kein Zuschlag bezahlt werden. stellung jeden Monat vom Betrieb einse-
Mitgliedern und der Zentrale gibt. Für Nachtarbeit, also von 23/24 Uhr bis hen.
Uns schwebt viel mehr eine lokal ver- 5/6 Uhr braucht der Betrieb eine Bewilli-
ankerte Gewerkschaft ohne Funktionä- gung. Vorübergehende Nachtarbeit muss Ferien
rInnen vor, die allen, die ihre Dienste mit einem Zuschlag von 25% entschädigt Das Gesetz schreibt im Minimum 4 Wo-
nötig haben, Hilfe zur Selbsthilfe bietet. werden. Regelmässige Nachtarbeit muss chen Ferien vor (5 Wochen für bis 20-jäh-
mit 10% Zeitkompensation ausgeglichen rige). Ab 3. Monat Abwesenheit wegen
Um unsere Ziele durchzusetzen, dienen werden (mit Ausnahmen). Für Nachtar- Unfall, Krankheit oder Schwangerschaft
uns die Mittel der Direkten Aktion, wie beiterInnen gibt es Schutzregelungen zu hat der/die ArbeitgeberIn das Recht, den
z.B. Streiks, Besetzungen, Boykotte, medizinischer Beratung, Arbeitsweg, Ver- Ferienanspruch um 1/12 pro vollständig
etc. Im Gegensatz dazu lehnen wir die pflegung, Kinderbetreuung, etc. abwesenden Monat zu reduzieren. Wird
parlamentarische Tätigkeit ab. ein Arbeitsvertrag beendet und es bestehen
Pausen noch nicht eingelöste Ferienansprüche, so
Das gegenwärtige kapitalistische Wirt- Wenn der Arbeitsplatz während den Pau- müssen diese ausbezahlt werden.
schaftssystem zieht seine Macht aus der sen nicht verlassen werden darf, gilt die
Kontrolle über die Produktionsmittel Pause als Arbeitszeit. Das ArG legt die ge- Ferien bei Stundenlohn: Jede geleistete
und aus der tagtäglichen Ausbeutung setzlichen Mindestansprüche fest: Arbeitsstunde gibt Recht auf einen Ferien-
der Arbeitenden. Revolutionäre Arbeit Mehr als 5 ½ h Arbeitszeit 15 Minuten anspruch. Normalerweise muss der Ferien-
in den Betrieben trifft den Kapitalismus Mehr als 7 h Arbeitszeit 30 Minuten lohn dann bezahlt werden, wenn die Ferien
an seiner Wurzel. Damit die Kämpfe Mehr als 9 h Arbeitszeit 60 Minuten bezogen werden. Wer sehr unregelmässig
Erfolg haben können, müssen sie aber arbeitet und im Stundenlohn bezahlt wird,
mit Kämpfen in anderen gesellschaftli- Das ArG regelt auch in welcher maximalen kann das Feriengeld zusätzlich zum Brut-
chen Bereichen verknüpft werden. Zeitspanne die tägliche Arbeitszeit inkl. to-Stundenlohn beziehen:
Pausen und Überzeit liegen darf, sowie
Wir freuen uns über Kommentare, welche Ruhezeiten zwischen den Einsät- 8.33% bei 4 Wochen Ferienanspruch
Rückmeldungen und Kontakte an: zen eingehalten werden müssen. 10.64% bei 5 Wochen Ferienanspruch
info@faubern.ch.
Kommentare und Ähnliches, was die Überstunden/Überzeit Voraussetzung dafür ist ein schriftlicher
Zeitung betrifft an: zeitung@faubern. Um Überstunden handelt es sich, wenn Vertrag und eine Lohnabrechnung, auf
ch. mehr als das abgemachte Pensum gearbei- welcher der Ferienanspruch separat ausge-
tet wird. Überzeit ist das Überschreiten der wiesen wird.
Schwarze Katze? Höchstarbeitszeit (je nach Branche 45 bis
Die schwarze Katze als Symbol für 50 Stunden).
selbstorganisierte Arbeitskämpfe wur- Wenn spezielle Ereignisse es nötig ma-
de im frühen 20. Jahrhundert vom chen, kann der Betrieb Überstunden/Über-
IWW-Mitglied Ralph Chaplin erschaf- zeit anordnen, soweit diese für Sie „zu-
fen. Die Katze, auch „Sab Cat“ ge- mutbar“ sind. Regelmässige Überstunden/
nannt, wird heute von libertären Ge- Überzeit sind nicht erlaubt. Wenn Sie die
werkschaften auf der ganzen Welt als Überstunden nicht durch Freizeit kompen-
Symbol benutzt. sieren und wenn nichts anderes schriftlich

Kontakt
FAU Bern FAU Zürich di schwarzi chatz/DA-Abos
www.faubern.ch www.fauzuerich.ch zeitung@faubern.ch
info@faubern.ch info@fauzuerich.ch

Das könnte Ihnen auch gefallen