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HANSE-SCHULE

für Wirtschaft und Verwaltung


Berufliche Schule der Hansestadt Lübeck

Chancen und Risiken der Globalisierung aus Sicht der Unternehmen und des Staates

Situation:
Als angehende/r Europakaufmann/frau werden Sie von Ihrem
Unternehmen gebeten einen Fachvortrag in Ihrem zum
Thema Globalisierung: Chancen und Risiken einer vernetzen
Weltwirtschaft zu halten. Ihre Kolleginnen und Kollegen sollen
dadurch die Möglichkeit erhalten, zum Thema Globalisierung
sensibilisiert zu werden.

Arbeitsauftrag:
Lesen Sie den Text zu den Chancen und Risiken der Globalisierung aus Sicht der Unternehmen und des
Staates und erstellen Sie im Anschluss eine Power-Point Präsentation (Vortragszeit: ca. 10 - 15
Minuten) in der folgende Aufgabenstellungen bearbeitet werden:
a) Stellen Sie die Argumente zu den Chancen und Risiken der Globalisierung aus Sicht der
Unternehmen gegenüber. Lassen Sie zusätzlich auch eigene Ideen mit einfließen.
b) Stellen Sie die Argumente über die Machtverhältnisse zwischen Staat und Unternehmen
gegenüber.
c) Welche Argumente sprechen für einen Sozialstaat (mit einem Mindestlohn) und wo bestehen dabei
die Schwierigkeiten? Welche alternativen Wirtschaftsmodelle gibt es?

Die anderen Schülerinnen und Schüler sollen mithilfe der Informationen aus Ihrem Vortrag die
Ergebnisse eigenständig auf einem Arbeitsblatt festhalten können.

Protektionismus schadet mehr, als er nützt


Protektionismus profitieren also allenfalls die
Wie Ricardo in seiner Theorie der komparativen
Aktionäre und Arbeitskräfte in den geschützten
Kosten nachgewiesen hat, stellen sich durch
Branchen. Verlierer sind die Verbraucher, die
internationale Arbeitsteilung und Spezialisierung
ausländischen Hersteller, aber auch zahlreiche
alle Länder besser. Die Menschen können eine
inländische Betriebe, deren Waren weniger
größere Menge an Gütern für dieselbe Arbeitszeit
gekauft werden, weil a) die inländischen
kaufen. Bei Öffnung der Grenzen für den
Verbraucher wegen der überteuerten Preise bei
internationalen Handel steigt das Volkseinkommen
„geschützten" Gütern weniger Geld haben und b)
aller Länder, die sich daran beteiligen. Trotz dieser
das Ausland weniger Geld ausgeben kann, weil es
Tatsache werden die Regierungen laufend von
weniger in unser Land exportiert. Warum treten
Interessengruppen belagert, die
dann so viele Menschen für protektionistische
„Schutzmaßnahmen" in Form von Zöllen oder
Maßnahmen ein? Und warum sieht man so gut wie
mengenmäßigen Einfuhrbeschränkungen
nie Demonstrationen für den Freihandel? Nun, für
verlangen. Dem nachzugeben ist unvernünftig.
die Unternehmer und Arbeitskräfte in den
Letztlich zahlen nämlich alle Verbraucher die Zeche
Branchen, die im internationalen Vergleich zu
für die Schutzmaßnahmen, da die „geschützten"
teuer sind, geht es um das Überleben ihrer Firma.
Güter für sie dadurch teurer werden. Der
Sie setzen sich daher vehement für ihre
Verbraucher wird - sarkastisch formuliert - also
Forderungen nach Schutzzöllen oder Subventionen
davor „geschützt", billigere Waren aus dem
ein und geben auch viel Geld für ihre politische
Ausland zu kaufen. Dadurch bleibt ihm natürlich
Lobbyarbeit aus. Für den einzelnen Verbraucher
auch weniger Geld, um sich andere Waren zu
macht der Preisunterschied durch die Zölle bei
kaufen, sodass der Protektionismus schließlich
einem einzelnen geschützten Produkt wie
nach hinten losgeht: Die Verbraucher werden
beispielsweise einem Lebensmittel vielleicht nur
gezwungen, teurere einheimische Produkte zu
wenige Cent aus - dafür geht kaum einer auf die
kaufen, haben deswegen aber auch weniger Geld,
Straße. Dabei übersieht man nur allzu leicht, dass
um sich andere (darunter auch wiederum
die zusätzliche Belastung für die Verbraucher
einheimische) Produkte zu kaufen. Vom
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insgesamt mehrere Tausend Euro im Jahr betragen entlangzieht und 2300 Menschen Lohn und Brot
kann. beschert. Doch plötzlich, ein Jahr vor den
Feierlichkeiten zum 200. Stadtgeburtstag, gerät die
Zukunft von Elberton ins Wanken. „Der Schatten
der Globalisierung senkt sich über die US-
Grabsteinindustrie, warnt Tom Robinson,
Geschäftsführer der Elberton Granite Association
(EGA). Der Schatten hat sich nur wenige Meter
neben dem Ortskern niedergelassen, eine weiße
Lagerhalle gleich neben den Bahngleisen. Hier zog
1998 die Firma Sinostone ein, eine Tochter der
chinesischen Wanli Stone Group aus Xiamen.
Sinostone importiert fertig polierte Grabmale aus
Importbehinderung ist immer auch China. Und verkauft sie in den USA für die Hälfte
Exportbehinderung der einheimischen Preise. „Wir zahlen unseren
Wird die Einfuhr von Vorprodukten (z. B. Kohle, Arbeitern Stundenlöhne von 15 bis 25 Dollar, die
Stahl) durch Zölle verteuert, verschlechtert dies die Chinesen schuften 16 Stunden für einen Dollar am
Exportchancen anderer Wirtschaftszweige, z. B. Tag. Wie sollen wir da konkurrieren?", Klagt Bob
der Autoindustrie. Dies führt zu hohen, aber nicht Paul von Eagle Granite Gene Roberts, Präsident
für jedermann offensichtlichen von Old South Granite, marschierte Anfang des
volkswirtschaftlichen Verlusten. Werden Jahres kurzerhand zu Sinostone-Geschäftsführerin
ausländische Anbieter ausgesperrt - wie dies beim Su Xian. Ihre Steine seien zu billig, sagte er ihr, das
EU-Agrarmarkt der Fall ist -, fehlen der würde amerikanische Jobs vernichten. Chinesische
Volkswirtschaft außerdem Exporterlöse, die es ihr Menschen brauchen auch Jobs, habe die ihm
ermöglichen würden, Produkte auch aus den EU- geantwortet. „Freier Handel bedeutet auf lange
Ländern zu kaufen. Über Kredite und Sicht eine Bedrohung für Amerikas ökonomische
Entwicklungshilfe werden diesen Ländern dann Unabhängigkeit", sagt Robinson. „Die Stahl-, Textil-
Mittel aus Steuergeldern zur Verfügung gestellt, und Elektronikindustrie, einst Ikonen
die sie ohne die Handelsbehinderungen mit ihren amerikanischen Handwerks, sind bereits
Exporten selbst verdienen könnten. vernichtet. Wenn wir so weitermachen, kann uns
die ganze Welt erpressen.
Eine strategische Handelspolitik kann
zukunftsträchtige Branchen fördern
Moderner Protektionismus ist strategische
Handelspolitik. Mithilfe gezielter Subventionen
fördert der Staat solche Branchen, die
zukunftsträchtig sind und somit langfristig sichere
Arbeitsplätze bieten. Beispiele sind die
Computerindustrie, Windkraft- und Solaranlagen.
Auch die Airbus-Flugzeugfamilie verdankt ihren
Erfolg der strategischen Handelspolitik der EU,
ohne deren Subventionen sich die europäischen
Flugzeuge wohl niemals gegen die etablierte US- Neue Machtverteilung zwischen Wirtschaft und
amerikanische Konkurrenz hätten durchsetzen Politik
können. Auszüge aus einem Interview mit Ernst Ulrich von
Weizsäcker (geb. 1939, SPD), dem Vorsitzenden der
Panik in Granit Enquête-Kommission „Globalisierung der
Die Grabsteinindustrie im US-Städtchen Elberton Weltwirtschaft - Herausforderungen und
sah einer glänzenden Zukunft entgegen - bis eine Antworten zu Auswirkungen der Globalisierung":
chinesische Firma in den Ort kam. Ein Drittel aller Frage: Zu welchen Ergebnissen ist Ihre Enquête-
US-Grabmale stammt von hier. Allein vergangenes Kommission gelangt?
Jahr wurden 250.000 Stück aus der grau-blaue Weizsäcker: Die wichtigste Erkenntnis ist, dass die
Vene gehauen, die sich 56 Kilometer lang und Demokratien auf die Globalisierung, also auf die
knapp 10 Kilometer breit unter dem Ort immer stärkere Verflechtung des Austauschs von
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Waren und Dienstleistungen, mutig reagieren Dickicht globaler Produktion zwischen


müssen - grundsätzlich wie im Detail. Noch vor 25 Investitionsort, Produktionsort, Steuerort und
Jahren haben die Staaten den Unternehmen Wohnort selbsttätig unterscheiden und diese
gesagt, was sie tun müssen, damit sie willkommen gegeneinander ausspielen. Mit dem Resultat: Die
sind. Heute ist es genau umgekehrt. Die Firmen Führungskräfte können dort leben und wohnen,
sagen den Staaten, was zu geschehen hat, damit wo es am schönsten ist, und dort Steuern zahlen,
sie so gnädig sind zu investieren. Diese Umkehrung wo es am billigsten ist.
darf Demokratien nicht gleichgültig lassen.
Frage: Sehen Sie darin eine Gefahr für die Wohlgemerkt: alles ohne Eingabe oder Beratung
Demokratien? im Parlament, ohne Regierungsbeschluss, ohne
Weizsäcker: Ja, durchaus. Denn die Gesetzes-veränderung, ja, nicht einmal eine
Machtverteilung zwischen Markt und Staat stimmt Debatte in der Öffentlichkeit ist dazu erforderlich.
nicht mehr. Die Bürger wissen, dass die Partei oder Von außen betrachtet ist alles beim Alten
die Person, die sie bei einer Wahl unterstützen, geblieben. Die Konzerne produzieren,
nicht mehr so souverän ist wie vor 30 Jahren. Das rationalisieren, entlassen, stellen ein, bezahlen
gilt es zu ändern und dem Politischen gegenüber Steuern usw. Das Entscheidende aber ist, sie tun
dem rein Ökonomischen wieder mehr Bedeutung dies nicht länger im nationalstaatlichen
zu geben. Spielregelsystem, sondern so, dass sie im
Frage: Die Anhänger der Globalisierung würden Weiterspielen des alten Spiels dessen Spielregeln
jetzt einwenden, dass diese möglichst ungehindert aufheben und umgestalten. Es handelt sich also
ablaufen sollte. nur scheinbar um das alte Spiel von Arbeit und
Weizsäcker: Niemand bestreitet die guten Seiten. Kapital, Staat und Gewerkschaften, dieses wird nun
Ein Blick in die Warenhäuser und Supermärkte nämlich zugleich und gegenläufig von dem einen
genügt. Die Zahl der anspruchsvollen Arbeitsplätze Mitspieler weiter im national-staatlichen, von dem
ist gestiegen - auch in ärmeren Ländern. anderen schon im weltgesellschaftlichen Rahmen
Globalisierung heißt auch kulturelle Bereicherung. gespielt. Es wird also sozusagen zugleich von den
Aber der politische Handlungsbedarf liegt nicht bei Arbeitnehmern, Gewerkschaften und Regierungen
den Segnungen, sondern bei den Schattenseiten. noch „Mühle", von den Transnational-Konzernen
schon „Schach" gespielt. Auf diese Weise kann ein
Die einen spielen Schach, die anderen spielen scheinbares „Mühle-Steinchen" in der Hand der
Mühle Konzerne zum Springer werden, der den völlig
Ulrich Beck (geb. 1944) ist einer der bedeutendsten überraschten nationalstaatlichen König plötzlich
deutschen Soziologen. Er war Professor an der mattsetzt.
Universität München und der London School of Warum bedeutet Globalisierung Politisierung? Weil
Economic and Political Science. die Inszenierung der Globalisierung es den
Unternehmen und ihren Verbänden erlaubt, die
Worauf gründet sich die neue Macht politisch und sozialstaatlich gezähmte
transnationaler Unternehmen? Sie können erstens Handlungsmacht des demokratisch organisierten
Arbeitsplätze dahin exportieren, wo die Kosten und Kapitalismus aufzuschnüren und zurückzuerobern.
Auflagen für den Einsatz der Arbeitskräfte Globalisierung ermöglicht, was vielleicht im
möglichst niedrig sind. Sie sind zweitens in der Kapitalismus latent immer galt, aber im Stadium
Lage, Produkte und Dienstleistungen so zu zerlegen seiner sozialstaatlich-demokratischen Bändigung
und arbeitsteilig an verschiedenen Orten der Welt verdeckt blieb: dass die Unternehmen,
zu erzeugen, dass nationale und Firmen-Etiketten insbesondere die global agierenden, nicht nur eine
geradezu als Irreführung gelten müssen. Sie sind Schlüsselrolle in der Gestaltung der Wirtschaft,
drittens in der Position, Nationalstaaten oder sondern der Gesellschaft insgesamt innehaben -
einzelne Produktionsorte gegeneinander und sei es auch „nur" dadurch, dass sie der
auszuspielen und auf diese Weise “globalen Gesellschaft die materiellen Ressourcen (Kapital,
Kuhhandel" um die billigsten Steuer- und Steuern, Arbeitsplätze) entziehen können. Die
günstigsten Infrastrukturleistungen betreiben zu Inszenierung von Globalisierung als Drohfaktor,
können, ebenso können sie Nationalstaaten also die Politik der Globalisierung zielt nicht nur
„bestrafen", wenn sie als „teuer" oder darauf, die gewerkschaftlichen, sondern auch die
„investitionsfeindlich" gelten. Schließlich können nationalstaatlichen Fesseln abzustreifen, sie
sie viertens in dem erzeugten und kontrollierten betreibt eine Entmächtigung nationalstaatlicher
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Politik. Die Rhetorik wichtiger denen der Nationalstaaten und ihrer


Wirtschaftsrepräsentanten gegen die Gesellschaften zuwiderlaufen.
sozialstaatliche Politik und ihre Vertreter lässt an Weizsäcker: Ich würde nur dann von Macht
Klarheit wenig zu wünschen übrig. Letztlich geht es sprechen, wenn es eine Konzentration von Einfluss
um das Schleifen des staatlichen Auftrags und auf wenige Personen gibt. Die Shareholder von
Apparates, um die Verwirklichung der heute sind eine Millionenschar, die für ihr Alter
marktanarchistischen Utopie des minimalen vorsorgt.
Staates. Die Politiker der verschiedenen Parteien, DIE ZEIT: Kollektiv führt der „Shareholder-Value" zu
überrascht und fasziniert von dem „Institutionen - bestimmten Verhaltensweisen. Manager müssen
Weichmacher" Globalisierung, beginnen erst noch mehr an die Dividende denken, noch weniger
dunkel zu ahnen, dass sie, wie von dem alten Marx zum Beispiel an Dinge wie den Erhalt von
beschrieben, zum „Totengräber" ihrer selbst Arbeitsplätzen im Land ihrer Herkunft.
gemacht werden sollen. Auf mich jedenfalls wirkt Weizsäcker: Natürlich kann es solche
es unfreiwillig komisch, wie einige Politiker nach Interessenkonflikte geben. Doch nehmen wir Ihr
Markt, Markt und noch mehr Markt rufen und Beispiel. Wenn der Konzern sich unter dem Diktat
offenbar gar nicht bemerken, dass sie sich auf des Shareholder-Value entschließt, Leute zu
diese Weise den eigenen Lebensnerv abtöten, den entlassen, ist das letztlich ein Teil des normalen
Geld- und Machthahn zudrehen. Hat man so eine Strukturwandels und keineswegs ein
bedenkenlose, fröhliche Aufführung eines Machtmissbrauch. Irgendwo fallen unrentable
öffentlichen Selbstmordes schon einmal erlebt? Arbeitsplätze weg, und anderswo entstehen
produktivere neue. Das ist hart, aber die Quelle
unseres Wohlstands.
DIE ZEIT: Zugleich entsteht ein
Erpressungspotenzial. Große, mobile Konzerne
drohen den Politikern mit Abwanderung, wenn die
Dinge nicht in ihrem Sinne passieren.
Weizsäcker: Ich würde auch hier nicht von Macht
sprechen, sondern von Wettbewerb. Die
Unternehmen machen sich die Standortkonkurrenz
zunutze.
DIE ZEIT: Aus der Sicht der Politiker ist das eine
Machtverschiebung. Sie können national immer
weniger Regeln setzen, und international fehlen
Carl Christian von Weizsäcker Institutionen für eine Aufsicht über die Konzerne.
(geb. 1938) ist Wirtschaftswissenschaftler an der Im Zeitalter der Mega-Fusionen gibt es nicht mal
Universität Köln mit den Schwerpunkten ein Welt-Kartellamt.
Energiewirtschaft und Wettbewerbsrecht. Sein Weizsäcker: Also, die Marktmacht von
Vater war der Physiker und Philosoph Carl Friedrich Weltkonzernen halte ich wirklich nicht für ein
von Weizsäcker, Ernst Ulrich ist sein Bruder. Problem. Die Globalisierung hat auch die Märkte
ungeheuer vergrößert und den Wettbewerb in den
DIE ZEIT: In Teilen der Bevölkerung wächst die allermeisten Produktkategorien verstärkt. Ein
Furcht vor den mächtigen, wachsenden Welt-Kartellamt würde da nicht viel bringen.
Weltkonzernen. Teilen Sie solche Sorgen? DIE ZEIT: Kartellaufsicht entspricht einer
Weizsäcker: Einen gewissen Einfluss haben große klassischen ordo-liberalen Vorstellung: Der Staat
Unternehmen immer gehabt. Ich kann aber nicht baut einen Rahmen für den Markt. Darauf wollen
erkennen, dass er gestiegen wäre. Die Sie verzichten?
Unternehmen müssen sich ihren Aktionären heute Weizsäcker: Sie müssen das praktisch sehen. Die
viel verantwortlicher zeigen. Zugleich hat auf den US- und EU-Wettbewerbsbehörden nehmen doch
internationalen Märkten der Wettbewerb gemeinsam quasi schon für alle praktischen
zugenommen. Ein Konzernmanager war früher viel Belange die Funktion einer Welt-Kartellbehörde
autonomer. wahr.
DiE ZEIT: Den Kritikern geht es aber nicht DiE ZEIT: Globalisierungskritiker vermissen den
unbedingt um Personen. Sie kritisieren, dass Aufsichtsrahmen" des Staates an allen Enden.
gerade diese Shareholder-Interessen gelegentlich Einige fürchten sich sogar davor, dass die Konzerne
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ungehindert eine weltweite Konsumkultur und des internationalen Finanzplatzes Schweiz.


verbreiten und das Leben der Menschen immer Sogar in den neuen Bundesländern ist das
mehr beeinflussen. Lohnniveau vier-bis fünfmal so hoch wie bei
Weizsäcker: Gewisse kulturelle Entwicklungen sind unseren unmittelbaren Nachbarn Polen und
nicht zu leugnen. Doch die einzige Antwort wäre Tschechien. Diese Lohnunterschiede, und damit
eine Zensur der Werbung und ein Staatsmonopol der von ihnen ausgehende Wettbewerbsdruck,
der Medien - eine sehr werden noch Jahrzehnte bestehen. Empirische
paternalistische Vorstellung. Untersuchungen haben ergeben, dass die
DIE ZEIT: Man könnte auch gezielter die wirtschaftliche Anpassung der ärmeren an die
öffentlichen Gegenangebote ausbauen - nicht- reicheren Regionen lange dauert. In den letzten 30
kommerzielle Inhalte als Alternative. Jahren verringerte sich in Westeuropa der
Weizsäcker: Es ist ja nicht so, dass etwa bei den Unterschied im Einkommen der Länder um 1,1 %
Medien kein Wettbewerb herrschen würde. Da pro Jahr. Außerhalb Europas wurde ein
gibt es doch ungeheuer viele Mitspieler. Konvergenztempo von 2 % gemessen. Viele
DIE ZEIT: Die Wahl zwischen den Game- und Deutsche hoffen, dass es möglich sei, den
Talkshows nimmt zu. Konsum- und Popkultur, Wettbewerbsdruck zu ignorieren. Die große
getragen von Medienkonzernen und der Koalition der Besitzstandswahrer versucht, durch
werbenden Wirtschaft, drängen öffentliche protektionistische Maßnahmen zu retten, was
Information und Bildung zurück. doch nicht zu retten ist. Jeder Bürger hat zwei
Weizsäcker: Aber soll eine geistige Elite Seelen in seiner Brust. In seiner Eigenschaft als
bestimmen, was der Medienkonsum der Produzent möchte er sein Einkommen maximieren,
Gesamtbevölkerung ist? Soll sich der Staat zum indem er seine Produkte zu möglichst hohen
Anwalt der Goethe-Fans machen? Hinter Ihrer Preisen verkauft. In seiner Eigenschaft als
Frage steckt eine pseudodemokratische Konsument strebt er nach größtmöglichem Nutzen,
Vorstellung. indem er sich bei Waren gleicher Qualität für das
DIE ZEIT: Demokratie braucht Bildung. jeweils Billigste entscheidet, auch wenn es
Weizsäcker: Man kann sich natürlich die Frage ausländischer Herkunft ist. In der Politik setzen sich
stellen: Was passiert, wenn das Bildungsniveau der immer die gut organisierten Produzenten durch,
Bürger durch die beschriebenen Entwicklungen so während die Interessen der politisch schwachen
weit sinkt, dass die Demokratie nicht mehr Konsumenten unberücksichtigt bleiben. Das hat
funktioniert? Die Frage lautet dann, ob Demokratie sehr nachteilige volkswirtschaftliche
eine stabile Staatsform ist. Es ist aber nicht die Konsequenzen. Hierzu der Ökonom Hans-Werner
Frage, ob mächtige Mediengiganten das Volk Sinn: Westliche Politiker reagieren auf den
verdummen. Niedriglohndruck, indem sie das Lohnsystem noch
DIE ZEIT: Die Demokratie versagt in Ihrem starrer machen. In Deutschland beispielsweise
Gedankenspiel, weil konzerngemachte Pop- und plant man, einen gesetzlichen Mindestlohn
Konsumkultur andere Einflüsse zurückdrängen. einzuführen, wie es ihn in anderen Ländern schon
Weizsäcker: Das ist nicht die Macht der Konzerne, länger gibt. Aber derartige Maßnahmen
sondern die Macht des Konsumenten. Wenn der verschlimmern die Situation nur noch. Die
Konsument seichte Unterhaltung will, wird sie von Spezialisierung auf kapitalintensive,
den Konzernen produziert. arbeitssparende Sektoren wird verstärkt, noch
mehr Kapital fließt aus dem Land, und noch mehr
Der Sozialstaat führt zu Massenarbeitslosigkeit Menschen wandern aus dem Ausland zu und
Die Globalisierung ist nicht das Ergebnis der verdrängen die Einheimischen in den Sessel, den
Verschwörung einiger Kapitalisten, sondern sie ist der Sozialstaat für sie bereithält. Die
das Resultat einer Abstimmung, die alle Bürger Massenarbeitslosigkeit sinkt nicht, sondern steigt.
täglich an den Ladenkassen mit ihren Geldscheinen Die Globalisierung bewirkt einen
als Stimmzetteln vornehmen. Für die Produzenten Faktorpreisausgleich auf den beteiligten Märkten,
bedeutet das, dass alle Kostenbestandteile ihrer d. h. eine Angleichung der Preise, die für die
Produkte auf den Prüfstand kommen. Den größten Produktionsfaktoren Kapital, Arbeit und Boden
Anteil an den betrieblichen Kosten haben die gezahlt werden. Für den Produktionsfaktor Kapital,
Löhne. Nun sind bekanntlich die Löhne in der schon immer besonders mobil war, hat sich in
Deutschland höher als in jedem anderen Land der den letzten 200 Jahren weltweit ein Zinssatz von
Welt, mit Ausnahme des Erdöllandes Norwegen 496 pro Jahr herausgebildet. Dieser
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Weltmarktzinssatz war im gesamten Zeitraum verschwiegen - es gibt ja keine Alternative. Die


erstaunlich stabil, Für den Faktor Arbeit verursacht Medizin soll sogar in immer höheren Dosen
nun die Globalisierung einen ähnlichen Prozess der angewendet werden. Abgesehen davon, dass
Angleichung der Preise, die für die Nutzung von sowohl die Globalisierung als auch der
Arbeitskraft zu zahlen sind. Der demografische Wandel keine unvermeidbaren
Faktorpreisausgleich sorgt, über die Landesgrenzen Naturkatastrophen sind, die man nicht verhindern
hinweg, für eine Verringerung der Unterschiede in oder umgestalten könnte, wird hier vonseiten
den Löhnen für gleiche Arbeit. Wenn in den interessierter Kreise versucht, sozialpolitische
Hochlohnländern die Gewerkschaften eine Umverteilung durch Scheinargumente aus der
Korrektur der Löhne nach unten verhindern, dann gesellschaftlichen Debatte zu verbannen. Wie
entsteht Arbeitslosigkeit, Unternehmen gehen sagte schon Margaret Thatcher: „There is no such
bankrott und Kapital wandert in Länder mit thing as society. There are individual men and
günstigeren Bedingungen ab. Die internationale women, and there are families. And no
Angleichung der Löhne, die für eine jeweilige government can do anything except through
Qualifikationsstufe zu zahlen sind, lässt sich nicht people, and people must look to themselves first.
verhindern, es sein denn, man schließt sich völlig It's our duty to look after ourselves, and then also
vom Ausland ab. Die Gewinne aus der to look after our neighbour."
internationalen Arbeitsteilung gibt es nur
gemeinsam mit dem Faktorpreisausgleich. Die
deutschen Löhne können nicht unter das Niveau
fallen, das durch die Lohnersatzleistungen des
Sozialstaates gegeben ist. Warum sollte ein
Arbeitnehmer einen Lohnabschlag hinnehmen,
wenn er dadurch weniger verdient, als er für
Nichtstun vom Sozialstaat bekommt? Die
sozialstaatlichen Lohnersatzleistungen begründen
einen Mindestlohnanspruch gegenüber der
privaten Wirtschaft, der von ihr im Zeitalter der
Globalisierung immer weniger erfüllt werden kann.
Der Sozialstaat verursacht Massenarbeitslosigkeit,
und diese wiederum zerstört ihren Verursacher,
indem sie ihn unfinanzierbar macht. Hierzu erneut
Hans-Werner Sinn: „Der auf Lohnersatz und
Mindestlöhnen beruhende europäische Sozialstaat
wird die Globalisierung nicht überleben. Es wird
möglicherweise noch weitere zehn oder zwanzig
Jahre dauern, bis die Politiker das verstehen, aber
am Ende werden sie es verstehen müssen.

Es gibt durchaus eine Alternative


There is no alternative - mit diesem Argument
versuchen neoliberale Politiker seit Margaret
Thatcher in England und Ronald Reagan in den USA
- und längst auch Politiker in Deutschland - ihre
Reformvorschläge durchzusetzen: Sozialabbau,
Lohnzurückhaltung, Privatisierung, Deregulierung,
Abbau der Mitbestimmung usw. Es gäbe keine
Alternative, weil 1. die Globalisierung und der
weltweite Standortwettbewerb und 2. der
demografische Wandel, also die steigende Anzahl
an Rentnern und sonstigen „Versorgungsfällen",
dazu zwängen.
Dass die neoliberale Medizin" nicht wirkt oder
erhebliche Nebenwirkungen hat, wird geflissentlich

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