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Technische Universität Berlin

Fakultät VI Planen Bauen Umwelt


Institut für Soziologie
FG Methoden der empirischen Sozialforschung
Wintersemester 2015/ 2016

Bachelorarbeit
im Studiengang
„Soziologie technikwissenschaftlicher Richtung“

Thema:
Soziale Exklusion von Notleidenden.
Eine ethnographische Analyse
am Beispiel Berliner Notübernachtungen
für Obdachlose

Erstgutachterin: Prof. Dr. Nina Baur


Zweitgutachterin: Dr. Leila Akremi

Vorgelegt von:
Sarah Lotties
sarahlotties@mailbox.tu-berlin.de

Berlin, 29.10.2015
Soziale Exklusion von Notleidenden -i-

Eigenständigkeitserklärung

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und
eigenhändig sowie ohne unerlaubte fremde Hilfe und ausschließlich unter
Verwendung der aufgeführten Quellen und Hilfsmittel angefertigt habe.

Datum Unterschrift
- ii - Soziale Exklusion von Notleidenden

Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, welche Gründe dafür
vorliegen, dass von Obdachlosigkeit betroffene Menschen das Angebot der
Notübernachtungen in den kalten Wintermonaten nicht wahrnehmen. Im
Rahmen der ethnographischen Studie wurden hierzu Hilfsangebote für Be-
troffene in der Kältehilfesaison 2014-15 in Berlin aufgesucht. Konkret bedeutet
dies, dass das Kältebusteam einmal begleitet werden konnte und mehrfach
zwei unterschiedliche Notübernachtungen besucht wurden.
Diese Hilfsangebote des Kältebusses und der Notübernachtungen sind
eingebettet in das Programm der Berliner Kältehilfe. Ihre nähere Funktion
und Besonderheiten werden im Kapitel 1 erläutert.
Die für diese Arbeit aufgesuchten Hilfsangebote gehören zum Angebot
der Berliner Stadtmission. Kapitel 2 beinhaltet, welche Hilfsangebote der Ber-
liner Stadtmission in der letzten Kältehilfesaison bestanden, und welche
Kenntnisse aus den dort erhobenen Daten gewonnen werden konnten.
Kapitel 3 befasst sich zunächst mit der Beschreibung des Feldzugangs
und anschließend mit der Beschreibung des Feldes. Hier werden sowohl
Räumlichkeiten der jeweiligen Notübernachtung, als auch typische Abendver-
läufe ausgeführt. Daran anschließend wird in Kapitel 4 das methodische Vor-
gehen reflektiert.
Die konkreten Gründe, die dazu führen, dass Betroffene das Angebot der
Notübernachtungen nicht wahrnehmen möchten, sind in Kapitel 5 aufgeführt.
Dabei sind die Gründe im Weiteren entlang des Prozesses der Inanspruch-
nahme gegliedert.
Die daraus gewonnenen Erkenntnisse und mögliche Interpretationen
sind im Kapitel 6 zusammengefasst.
Zum Abschluss soll das Fazit in Kapitel 7 aufzeigen, an welchen Stellen
konkreter und dringlichster Handlungsbedarf vorläge.
Der Anhang beinhaltet sowohl die Protokolle und eine Befragung aus der
Feldphase, als auch statistische Daten zur Auslastung in der Kältehilfesaison
2014-15 nach Bezirksgruppen in Berlin und die Zusammenfassung statisti-
scher Daten der Berliner Stadtmission aus der Kältehilfesaison 2013-14. Der
Anhang befindet sich auf einem separaten, beiliegenden Datenträger.
Soziale Exklusion von Notleidenden - iii -

Vorbemerkung
Da die deutsche Sprache leider nur unzureichend Möglichkeit bietet, neben
dem binären Geschlechtssystem unterschiedliche Gender gleichberechtigt ne-
beneinander darzustellen, verzichte ich zu Gunsten der Klarheit, Lesbarkeit
und des Platzes auf eine genderspezifische Schreibweise von Personengrup-
pen. Die jeweils verwendete (meist maskuline) Form beinhaltet immer gleich-
ermaßen alle Geschlechter.
Die Namen aller Personen – sowohl Mitarbeiter, als auch Obdachlose –,
die ich in der Feldphase kennenlernte, wurden innerhalb der Protokolle geän-
dert und dazugehörige Daten anonymisiert.
Weiterhin möchte ich betonen, dass die Hauptfragestellung der Arbeit –
nämlich welche Gründe bestehen, eine Notübernachtung nicht aufzusuchen –
mit sich bringt, dass im Folgenden kaum positive Eindrücke ihren Weg in den
Hauptteil finden. Das soll aber nicht bedeuten, dass es sie nicht gab. Daher
kann ich an dieser Stelle nur kurz auf all die Mitmenschen verweisen, die mit
viel Engagement die Berliner Kältehilfe ermöglichen. Und auf die vielen Gäste
der Einrichtungen, die diesen Menschen mit Dankbarkeit und Herzlichkeit
begegnen.
- iv - Soziale Exklusion von Notleidenden

Glossar & Abkürzungsverzeichnis


AV Abendverantwortlicher Mitarbeiter einer NÜ.

BAG W Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V.


Seelsorgerestaurant für wohnungslose Menschen der
City-Station Berliner Stadtmission. In der Kältehilfesaison auch als
NC geöffnet.
DRK Deutsches Rotes Kreuz.
GEBEWO – Soziale Dienste – Berlin gGmbH. Gesell-
schaft zur Betreuung Wohnungsloser und sozial Schwa-
GEBEWO cher. Im Rahmen der Kältehilfe übernimmt die GEBE-
WO u.A. koordinierende Aufgaben in der Koordinie-
rungsstelle Kältehilfetelefon und -datenbank wahr.
Aufsuchendes Hilfsangebot in der Kältehilfesaison für
Kältebus obdachlose Menschen in Berlin der Berliner Stadtmis-
sion.
Aufsuchendes Hilfsangebot in der Kältehilfesaison für
Wärmebus
obdachlose Menschen in Berlin der DRK.
LAGeSo Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin.

Nachtcafé. NCs bieten neben Schlafplätzen auch die


NC ganze Nacht über die Möglichkeit, sich aufzuwärmen
oder (günstig) eine warme Mahlzeit zu bekommen.
Notübernachtung. Sie bietet in der Kältehilfesaison eine
niedrigschwellige Übernachtungsmöglichkeit. Im Ge-
gensatz zu Obdachlosenheimen haben NÜs (zumeist)

nur nachts geöffnet und stellen auch keine Wohnplätze
zur Verfügung. Im Gegensatz zu NCs sind sie allabend-
lich in der Saison geöffnet.
Notübernachtung Lehrter Straße der Berliner Stadtmis-
NÜ I
sion.
Notübernachtung am Innsbrucker Platz der Berliner
NÜ III
Stadtmission.
NV Nachtverantwortlicher Mitarbeiter einer NÜ.
Die definitorische Unschärfe der Begriffe Wohnungs-
und Obdachlosigkeit bedingt, dass die heterogene
Gruppe der betroffenen Menschen kaum hinlänglich zu
kategorisieren ist. Zur Situation der Betroffenen soll
hier betont werden, dass sich im Folgenden die Ver-
Obdachlosigkeit wendung des Begriffs „Obdachlosigkeit“ tatsächlich auf
die Menschen im öffentlichen Raum und in den Not-
schlafstellen beziehen soll. Das schließt aber nicht aus,
dass z.B. Wohnsituationen in Obdachlosenheimen be-
stehen, die von den Betroffenen jedoch als unzumutbar
empfunden werden.
Schlaf- und Lebensplatz Obdachloser im öffentlichen
Platte Raum.
Soziale Exklusion von Notleidenden -v-

Inhaltsverzeichnis
Eigenständigkeitserklärung ..................................................................... i
Zusammenfassung ..................................................................................ii
Vorbemerkung....................................................................................... iii
Glossar & Abkürzungsverzeichnis .......................................................... iv
Abbildungsverzeichnis ........................................................................... vi
Tabellenverzeichnis ............................................................................... vii
1 Obdachlosigkeit in Berlin ................................................................ 1
1.1 Berliner Kältehilfe: Seismograph für soziale Nöte ................. 2
1.2 Die Kältehilfesaison 2014-15 in Zahlen .................................. 3
2 Die Angebote der Berliner Stadtmission ......................................... 5
2.1 Mobile Kältehilfe und Notübernachtungen ............................ 5
2.2 Zur Sozialstruktur in den Notübernachtungen ...................... 6
3 Feldzugang und -beschreibung .......................................................11
3.1 Die Notübernachtung Lehrter Straße (NÜ I) ....................... 13
3.1.1 Die Räumlichkeiten der NÜ I .................................. 13
3.1.2 Ein Abendverlauf in der NÜ I .................................. 15
3.2 Die Notübernachtung Halle-Luja (NÜ III)........................... 18
3.2.1 Die Räumlichkeiten der NÜ III ............................... 18
3.2.2 Ein Abendverlauf in der NÜ III ............................... 21
3.3 Der Kältebus ......................................................................... 23
4 Zur Methode und Reflexion ........................................................... 25
5 Inanspruchnahmebarrieren...........................................................29
5.1 Die NÜ kennen .....................................................................29
5.2 Die NÜ in Anspruch nehmen wollen .................................... 31
5.3 Die NÜ erreichen .................................................................. 33
5.4 In die NÜ hineingelangen ..................................................... 37
5.5 In der NÜ ..............................................................................42
5.5.1 Andere Gäste ............................................................ 43
5.5.2 Räumliche Situation ................................................46
5.5.3 Mitarbeiter .............................................................. 48
5.5.4 Betreuungsmöglichkeiten ........................................ 51
5.5.5 Atmosphäre .............................................................. 53
6 Interpretation zentraler Ergebnisse .............................................. 55
7 Abschluss ....................................................................................... 59
Quellenverzeichnis ................................................................................ 61
Anhänge (Übersicht): Auf beiliegender CD ..........................................64
Anhang A: Statistik Saison 2014-15 ............................................... 65
Anhang B: Protokolle ..................................................................... 67
Protokoll 29.01.2015 – 30:01.2015: Kältebus ..................... 67
Protokoll 10.02.2015 – 11.02.2015: NÜ I ............................85
Befragung 21.02.2015: AV NÜ I ..........................................96
Protokoll 21.02.2015 – 22.02.2015: NÜ I............................99
Protokoll 27.02.2015 – 28.02.2015: NÜ III ...................... 103
Protokoll 28.02.2015 – 01.03.2014: NÜ III ...................... 109
Protokoll 17.03.2015 – 18.03.2015: NÜ III ........................112
Protokoll 22.03.2015 – 23.03.2015: NÜ III ...................... 116
Protokoll 25.03.2015 – 26.03.2015: NÜ I ......................... 126
Protokoll 26.03.2015 – 27.03.2015: NÜ III ...................... 132
Protokoll 28.03.2015 – 29.03.2015: NÜ III ...................... 134
Protokoll 29.03.2015 – 30.03.2015: NÜ I ......................... 137
Protokoll 31.03.2015 – 01.04.2015: NÜ III ....................... 141
Protokoll 02.04.2015 – 03.04.2015: NÜ III ...................... 148
Protokoll 03.04.2015 – 04.04.2015: NÜ III ...................... 152
Protokoll 04.04.2015 – 05.04.2015: NÜ III ...................... 155
Protokoll 05.04.2015 – 06.04.2015: NÜ III ...................... 160
Anhang C: Zahlen zur Kältehilfe 2013-14 .................................... 164
- vi - Soziale Exklusion von Notleidenden

Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Panorama des Aufenthaltsraums [TV.Berlin 2015, 03:10 min -
03:13 min] ................................................................................................14
Abbildung 2: Notschlafplätze im Männerbereich im Schlafhaus II, NÜ I
[TV.Berlin 2015, 13:57 min] .....................................................................14
Abbildung 3: Notschlafplätze im Frauenbereich im Schlafhaus II, NÜ I
[eigenes Foto, 10.02.2015] .......................................................................14
Abbildung 4: Eingangsbereich der NÜ I von außen [Rostamkhani 2012,
online] ......................................................................................................16
Abbildung 5: Eingangsbereich der NÜ I von innen [Yunck 2010, online]........16
Abbildung 6: Die Wärmelufthalle von außen [Yunck 2014, online] ................ 18
Abbildung 7: Übersicht NÜ III von innen .........................................................19
Abbildung 8: Der Gemeinschafts- und Küchenbereich der NÜ III [Eigenes
Foto, 17.03.2015] ..................................................................................... 20
Abbildung 9: Mitarbeiterbereich im Schlafsaal I der NÜ III [Eigenes Foto,
27.02.2015] ............................................................................................. 20
Abbildung 10: Aufenthaltsbereich der NÜ III in der Nacht [Eigenes Foto,
26.03.2015] ............................................................................................. 22
Abbildung 11: Inanspruchnahmebarrieren im Prozess [Eigene Darstellung] . 29
Abbildung 12: Saisonales Hausverbot in allen Einrichtungen der Berliner
Stadtmission [Eigenes Foto, 10.02.2015] ............................................... 39
Abbildung 13: Schlafsaal in der NÜ III, Pressefoto [Bungert 2014, online] .... 47
Abbildung 14: Schlafsaal in der NÜ III [Eigenes Foto, 27.02.2015] ................ 47
Soziale Exklusion von Notleidenden - vii -

Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Auslastung der Einrichtungen in der Kältehilfesaison 2014-15 [vgl.
Koordinationsstelle Kältehilfetelefon und -datenbank
Periodenauswertung 2015, 4 und WetterKontor 2015, online] ............... 4
Tabelle 2: Auslastung der Einrichtungen in der Kältehilfesaison 2013-14 [vgl.
Koordinationsstelle Kältehilfetelefon und -datenbank
Periodenauswertung 2014, November bis März, 1 und WetterKontor
2015, online] ............................................................................................. 4
Tabelle 3: Übernachtungsangebot der Berliner Stadtmission in der
Kältehilfesaison 2014-15 ........................................................................... 6
Tabelle 4: Nationale Herkunft der Gäste in den NÜs der Berliner Stadtmission
in der Kältehilfesaison 2013-14 [Anhang C, S. 164 f] ................................ 7
Soziale Exklusion von Notleidenden -1-

1 Obdachlosigkeit in Berlin
„Berlin ist da was Besonderes. In Frankfurt [Oder] gab’s nur eine Suppenküche.
Die hat drei Stunden auf und dann musst Du zusehen, was Du machst.
Kältebusse gibt’s woanders gar nicht. Und in Berlin gibt es bestimmt 120
Suppenküchen. Als ich nach Berlin gekommen bin, dachte ich so: ‚Boah!‘“
[Matthias, Protokoll, 77]

Als Matthias – 37 Jahre alt und seit mindestens sieben Jahren obdachlos – in
der Nacht des 30. Januars 2015 über die Hilfsangebote für Obdachlose in Ber-
lin spricht, gerät er ins Schwärmen über deren Vielzahl. In der Kältehilfesaison
2014-15 bestanden in Berlin zwar keine 120, aber immerhin insgesamt 35
Treffpunkte, Tagesstätten und Suppenküchen [vgl. GEBEWO 2014, 9 ff.]. Da-
zu erklärt Prof. Dr. Susanne Gerull im strassenfeger:

„Berlin wird – zu Recht! – für seine Vielfältigen und zahlreichen Unterstüt-


zungsangebote für wohnungslose Menschen gelobt. Viele Menschen in Not
kommen daher gezielt nach Berlin, weil sie sich hier die notwendige Hilfe erhof-
fen, die sie woanders […] nicht bekommen.“ [Gerull 2013, 10].

Obwohl Unterstützungsangebote bestehen, bleibt eines aus: Es ist „vor allem


der politische Wille […], der Berlin fehlt“ [Gerull 2013, 11], denn Berlin verfügt
weder über einen Obdachlosenrahmenplan, noch über eine -statistik1.
Daher ist es nur möglich, etwaige Schätzwerte zur Obdachlosigkeit in
Berlin zu nennen und „wie viele Obdachlose es in Berlin gibt, hängt davon ab,
wen man fragt“ [Nowak 2013, 4]. Nach Schätzungen karikativer Einrichtungen
ist die Zahl der Wohnungslosen in Berlin fünfstellig [vgl. ebd.]:

„Somit wird Berlin zu einem großen Wohnzimmer. Doch besonders in den


Herbst- und Wintermonaten fehlen die Heizung und die heiße Dusche für Men-
schen ohne Wohnung.“ [Kältehilfe Berliner Stadtmission 2012, online].

Die Situation dieser Menschen ist in der kalten Jahreszeit nicht nur besonders
schwierig, sondern auch lebensbedrohlich. Um diesen Menschen im Winter
einen Zufluchtsort zu gewähren, verfügt Berlin über ein beeindruckendes Käl-
tehilfenetzwerk, die Berliner Kältehilfe. Dazu gehören auch die Angebote der
Notübernachtungen (NÜs). Dennoch suchen etliche Betroffene diese nicht auf
und riskieren damit den Kältetod.
Dass die sozialen Nöte der Betroffenen mit Armut, sozialer Ausgrenzung,
Ungleichheit, Deprivation und Diskriminierung zusammenhängen, liegt nahe.
Diese Arbeit fragt allerdings nicht nach soziologischen Theorien zu Obdachlo-
sigkeit oder Armutsdebatten, sondern sie soll sich auf qualitativ-empirischen
Weg einer einzigen, kurzen Frage widmen: Warum erfrieren – trotz bestehen-
der Hilfsangebote – Menschen auf unseren Straßen? Denn seit 1991 sind

1 Dass die aktuellste Fassung der Leitlinien der Wohnungslosenhilfe und –


politik des Berliner Senats mittlerweile 16 Jahre alt ist [vgl. Abgeordnetenhaus von
Berlin 1999] zeigt die unzureichende Befassung mit Obdachlosigkeit der Politik.
-2- Soziale Exklusion von Notleidenden

deutschlandweit mindestens 290 obdachlose Menschen2 unter Kälteeinwir-


kung verstorben [vgl. BAG W 2015, 1].
Mithilfe der ethnografischen Studie soll sich hier insbesondere mit den
Notübernachtungsangeboten der Berliner Stadtmission innerhalb der Berli-
ner Kältehilfe befasst werden und speziell der Frage, welche Gründe bestehen,
diese nicht wahrzunehmen. Dazu habe ich Mitarbeiter der Berliner Stadtmis-
sion im Kältebus begleitet und zwei NÜs in der Rolle der ehrenamtlichen Mit-
arbeiterin aufgesucht. Bei den NÜs handelt es sich um die NÜ Lehrter Straße
(NÜ I) und die NÜ Halle-Luja (NÜ III). Mit (offiziell) jeweils 100 Plätzen sind
diese die größten Berlins [Näheres in Kapitel 3.1, 13 und Kapitel 3.2, 18]. Wei-
terhin ist für diese beiden Einrichtungen kennzeichnend, dass dort eine dau-
erhaft hohe Auslastung von über 100% besteht [vgl. Anhang A, 65].
Die Berliner Stadtmission selbst ist ein wichtiger Akteur innerhalb die-
ses Kältehilfenetzwerkes. Zum einen dienen ihre Datenerhebungen [siehe dazu
Kapitel 2.2, 6] als Grundlage wichtiger Erkenntnisse für die gesamte Kältehilfe
und zum anderen stellen sie einen großen Anteil des Übernachtungsangebots.
Die Fragestellung dieser Arbeit zeigt sich dabei auch als wichtige Fragestellung
der Berliner Kältehilfe, thematisiert in der Pressekonferenz zu Beginn der Käl-
tehilfesaison 2014-15:

„Eine Erhebung [der Berliner Stadtmission] unter ihren Gästen in der Kältehilfe
ist alarmierend: Die Berliner Stadtmission hat in der letzten Kältehilfesaison
[2013-14] über 2.300 verschiedene Personen in ihren Notübernachtungen ge-
zählt. Die Angebote der Stadtmission machen 42 Prozent aller Plätze in der Ber-
liner Kältehilfe aus. Wo schlafen die rund 1.800 Menschen, wenn sie nicht einen
der 500 Schlafplätze in Anspruch nehmen? Warum nutzen so viele Menschen
das Hilfeangebot nicht oder nur kurzfristig? Wie können wir die vielen Men-
schen besser erreichen? Diese Fragen beschäftigen uns und sie sollten auch den
Berliner Senat beschäftigen.“ [Eschen 2014, 2].

1.1 Berliner Kältehilfe: Seismograph für soziale Nöte


„Die ‚Berliner Kältehilfe‘ ist ein in Deutschland einmaliges Programm, das 1989 von
Berliner Kirchengemeinden und Wohlfahrtsverbänden und vom Land Berlin
ins Leben gerufen wurde, um obdachlosen Menschen eine unbürokratische
Übernachtungsmöglichkeit während der kalten Jahreszeit anzubieten.“
[GEBEWO 2015, 9]

Die Kältehilfeangebote sollen für obdachlose Menschen unkompliziert und


niedrigschwellig Schlaf-, Aufenthalts- und Beratungsmöglichkeiten in den kal-
ten Monaten zwischen November und März bieten. Zu den Angeboten der Ber-
liner Kältehilfe zählen neben Tagesstätten, Suppenküchen, Treffpunkten, Be-
ratungsstellen, medizinischer Versorgung und Nachtcafés auch Notübernach-
tungsplätze und das Aufsuchen Obdachloser mit Kältebussen. Getragen wird

2 Eine Mitarbeiterin der BAG W erklärt mir dazu, dass die BAG W diese Daten
aus Presseberichten entnimmt. Auch hier gibt es keine offiziellen Statistiken (bspw.
durch Polizeiberichte). Die Höhe der Dunkelziffer ist damit nicht abschätzbar.
Soziale Exklusion von Notleidenden -3-

dieses Angebot von über 70 verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren, wie


Kirchengemeinden, Vereinen, sozialer Träger und Wohlfahrtsverbänden [vgl.
GEBEWO 2015, 8].
Zum einen wird die 25. Saison der Berliner Kältehilfe 2014-15 positiv bi-
lanziert, denn: „Auch in diesem Winter ist es gelungen, Menschen vor dem
Kältetod zu bewahren“ [Eschen 2015, 2]. Die beteiligten Institutionen berich-
ten aber auch von zunehmender Verwahrlosung und kritischer gesundheitli-
cher Situation vieler hilfesuchender Menschen:

„In dieser Kältehilfeperiode kamen besonders viele obdachlose Menschen, die


einen erhöhten Betreuungsaufwand mit sich gebracht haben: Psychisch schwer
kranke Personen, geistig behinderte Personen, akut somatisch erkrankte Men-
schen, mobilitätseingeschränkte Personen [und] inkontinente Personen“
[Eschen 2015, 2 f.].

Ein ähnliches Bild zeichnet die DRK Kältehilfe. Sie bilanzieren, dass die Zahl
der Obdachlosen, die sie mit dem Wärmebus im Freien begleiteten, leicht an-
stieg, und dass die stetig steigende Anzahl Obdachloser aus dem süd- und ost-
europäischen Raum mit akutem Hilfebedarf die Helfer vor Sprachbarrieren
stellt [vgl. DRK 2015 und Kostka 2015, 4]. Auch Geflüchtete werden auf dieses
Angebot immer öfter verwiesen [vgl. Kostka 2015, 4]:

„Damit wird die Kältehilfe zu einem Seismographen für soziale Nöte insgesamt.
Die Funktion, Obdachlose vor dem Erfrieren zu bewahren, tritt immer stärker
in den Hintergrund.“ [Kostka 2014, 3].

1.2 Die Kältehilfesaison 2014-15 in Zahlen


„Jede einzelne Übernachtung bedeutet: Es kommt ein Mensch in Not, der Essen,
Trinken, medizinische Versorgung, eine sichere Nacht und
menschliche Zuwendung braucht.“ [Wohlwend 2015, 5]

Und das 82.098 Mal in der letzten Kältehilfesaison 2014-15. Insgesamt stellten
29 Projekte zwischen 436 und 612 Notschlafplätze3 jede Nacht [vgl. Koordina-
tionsstelle Kältehilfetelefon und –datenbank 2014, 1 und Koordinationsstelle
Kältehilfetelefon und –datenbank 2015, 1]. 14 Nachtcafés (NCs) stellten dabei
14,3 % des Schlafplatzangebotes, 15 NÜs die restlichen 85,7 % [vgl. Koordina-
tionsstelle Kältehilfetelefon und –datenbank Periodenauswertung 2015,2].
Seit Eröffnung einer zusätzlichen NÜ im Januar 2015 konnten diese 15 NÜs im
Durchschnitt bis zu 532 Notschlafplätze bis Saisonende bereitstellen:

„Mit durchschnittlich 542 Übernachtungen bei 532 regulär zur Verfügung ste-
henden Plätzen, sind die Übernachtungen im Vergleich zum Vorjahr um 8934
Übernachtungen gestiegen. [Der Anstieg] hat sich innerhalb eines Jahres mehr
als vervierfacht. In diesem Jahr ist zudem eine dauerhaft hohe Auslastung zu

3 Diese Angaben schwanken sowohl täglich, als auch monatlich. Monatlich, weil
nicht alle Einrichtungen zum selben Datum eröffnen (und schließen). Täglich, weil
Nachtcafés lediglich an einigen Tagen pro Woche geöffnet sind, Notübernachtungen
hingegen allabendlich in der Saison.
-4- Soziale Exklusion von Notleidenden

verzeichnen. Gingen in den vergangenen Jahren die Übernachtungszahlen zum


Ende der Saison zurück, bewegen wir uns in diesem Jahr seit Januar auf einem
gleichbleibend hohen Niveau von 104 bis 108 %.“ [Eschen 2015, 2].

Die Auflistung der Auslastung aller Einrichtungen der Berliner Kältehilfe nach
Monat für die Saisons 2013-14 und 2014-15 ist in Tabelle 1 und Tabelle 2 ab-
gebildet. Diesen gegenüber sind zusätzlich die Temperaturmittelwerte für den
jeweiligen Monat in Berlin abgebildet. In der Saison 2014-15 standen insge-
samt 80.677 angebotene Übernachtungsmöglichkeiten zur Verfügung. Demge-
genüber standen 82.098 tatsächlich gezählte Übernachtungen, womit die Zahl
der Übernachtungen das vorhandene Platzangebot bei einer Auslastung von
durchschnittlich 101,76% überstieg4. Außerdem zeigt die zeitliche Übersicht
aller Notunterkünfte der Kältesaison 2014-15, dass trotz zunehmenden Ange-
bots an Plätzen der Bedarf auch zum Ende der Saison steigend ist.
Tabelle 1: Auslastung der
Einrichtungen in der Kältehilfesaison Berlin 2014-15 (NÜ + NC insgesamt) und Vergleich zur Durchschnittstemperatur
Kältehilfesaison 2014-15 Anzahl Plätze Gezählte Über- Auslastung in % Mitteltemperatur
[vgl. Koordinationsstelle Einrichtungen Angebot nachtungen (Tempelhof)
Kältehilfetelefon und - Nov 14 26 13.676 11.459 83,79 % 7,2 °C
datenbank
Periodenauswertung 2015, 4 Dez 14 28 16.392 16.197 98,81 % 3 °C
und WetterKontor 2015, Jan 15 29 17.623 18.362 104,19 % 3,3 °C
online] Feb 15 29 15.838 17.576 110,97 % 2,1 °C
Mrz 15 29 17.148 18.504 107,91% 6,3 °C
Gesamt 80.677 82.098 101,76 %

Tabelle 2: Auslastung der


Einrichtungen in der Kältehilfesaison Berlin 2013-14 (NÜ + NC insgesamt) und Vergleich zur Durchschnittstemperatur
Kältehilfesaison 2013-14 Anzahl Plätze Gezählte Über- Auslastung in % Mitteltemperatur
[vgl. Koordinationsstelle Einrichtungen Angebot nachtungen (Tempelhof)
Kältehilfetelefon und - Nov 14 28 13.706 12.368 90,24 % 5,6 °C
datenbank
Periodenauswertung 2014, Dez 14 29 14.594 15.164 103,91 % 4,4 °C
November bis März, 1 und Jan 15 29 14.685 16.284 110,89 % 0,7 °C
WetterKontor 2015, online] Feb 15 29 13.191 13.942 105,70 % 5,3 °C
Mrz 15 29 15.572 15.156 97,33 % 8,14 °C
Gesamt 71.748 72.914 101,63 % 5,6 °C

Im Vergleich mit den Wetterdaten lässt sich erkennen, dass trotz des verhält-
nismäßig milden Winters 2014-15 in Berlin eine starke Nachfrage von Über-
nachtungsplätzen bestand. Auch mit milderen Temperaturen zum Saisonende
hin war keine Abnahme der Übernachtungen zu verzeichnen. Die Gegenüber-
stellung zum Vorjahr zeigt, dass trotz erhöhtem Monatsübernachtungsangebot
eine ähnlich starke Auslastung von über 100 % besteht: „Die 25. Saison der
Kältehilfe hatte es also in sich. Noch nie haben so viele Menschen Schutz und
Wärme in den Angeboten der Kältehilfe gesucht.“ [Eschen 2015, 2].

4 Die Übersicht zur Auslastung nach Bezirksgruppen [Anhang A, ab Seite 65]


macht hierbei deutlich, dass nicht nur eine zentrumnahe Konzentration bezüglich der
Übernachtungsplatznachfrage vorliegt, sondern zeigt auch auf, dass in den Bezirks-
gruppen, in denen sich die für diese Arbeit besuchten Einrichtungen befinden, gleich-
zeitig eine sehr hohe Auslastung bestand.
Soziale Exklusion von Notleidenden -5-

2 Die Angebote der Berliner Stadtmission


„Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe lassen wegführen,
und betet für sie zum HERRN; denn wenn's ihr wohl geht, so geht's auch euch wohl.“
[Jeremia 29:7]

Seit ihrer Gründung zum Ende des 19. Jahrhunderts ist obiger Bibelvers Leit-
wort der Berliner Stadtmission. Neben geistlicher Orientierung und Seelsorge
bietet die Berliner Stadtmission vor allem Unterstützung Bedürftiger: Darun-
ter befinden sich neben der Wohnungslosenhilfe Angebote und Projekte für
Kinder, Jugendliche und Familien, Seniorenheime, Hilfe für Asylsuchende,
Straffälligenhilfe oder Unterstützung für Menschen mit Behinderungen.

2.1 Mobile Kältehilfe und Notübernachtungen


„Die Obdachlosigkeit in Berlin steigt nach der Wende. Besonders im Winter ist es
hart, auf der Straße zu leben. Das ist die Geburtsstunde des Kältebusses der
Berliner Stadtmission. Durch das Aussenden der mobilen Winterhilfe startet die
Stadtmission ihre Kältehilfearbeit, die letztendlich in der Notübernachtung,
einem warmen Übernachtungsort für Obdachlose, mündet.“
[Berliner Stadtmission: Unsere Geschichte 2012, online]

Die Kältehilfetätigkeiten der Berliner Stadtmission beginnen 1977 mit der Er-
öffnung des Seelsorgerestaurants für obdachlose Menschen: Die City-Station
unweit des Kurfürstendamms [vgl. Berliner Stadtmission: Unsere Geschichte
2012, online]. Bis heute können dort tagsüber bedürftige Gäste günstig essen,
Beratung wahrnehmen, duschen, Wäsche waschen und Kleidung erhalten5.
Nach dem Erfrierungstod eines Obdachlosen in Berlin initiieren Sozial-
arbeiter der City-Station 1994 die Kälte- und mobile Winterhilfe [vgl. Berliner
Stadtmission: Über den Kältebus 2012, online]. Seitdem suchen Kältebusse
obdachlose Menschen auf der Straße auf, versorgen sie unter anderem mit
warmen Getränken und bringen sie, sofern erwünscht, zu einem Notschlaf-
platz.
Ein Mitarbeiter der NÜ I erklärt dazu, dass jedoch mit der Initiierung
der mobilen Kältehilfe auch schnell deutlich wurde, dass es insbesondere an
niedrigschwelligen Übernachtungsangeboten mangelte: Wenn die Kältebus-
mitarbeiter Obdachlose zu Notunterkünften bringen möchten, diese aber dort
häufig aufgrund verschiedenster Aufnahmekriterien nicht aufgenommen wer-
den, dann führe das die Hilfsbemühungen der Kältebusteams ad absurdum
[vgl. Mitarbeiter NÜ I, Protokoll, 85]. Darin liegt die dringende Notwendigkeit
begründet, neben der mobilen Kältehilfe insbesondere niedrigschwellige Käl-
tehilfeangebote zur Verfügung zu stellen. Letztlich bedeutet dies, dass in den

5 Zur Kältesaison bietet die City Station zudem als Nachtcafé neben der Möglich-
keit die ganze Nacht über einen warmen Ort mit warmer Mahlzeit aufzusuchen auch
20 Schlafplätze an.
-6- Soziale Exklusion von Notleidenden

NÜs der Berliner Stadtmission auch Menschen Einlass finden, die womöglich
woanders abgewiesen werden.
Tabelle 3 zeigt das Kältehilfeangebot der Berliner Stadtmission in der
Saison 2014-15.
Tabelle 3: Übernachtungsan- Schlafplätze für weibliche und männliche Gäste Schlafplätze für männliche Gäste
gebot der Berliner Stadtmissi- City-Station (20 Plätze) NÜ II: Kopenhagener Straße (42 Plätze)
on in der Kältehilfesaison Joachim-Friedrich-Straße 46 Kopenhagener Straße 29
2014-15 10711 Berlin 13407 Berlin
Vom 01.11.2014 bis 21.03.2015 geöffnet von Vom 01.11.2014 bis 31.03.2015 täglich geöffnet
21:00 bis 08:00 Uhr (Montag bis Freitag). von 21:00 bis 08:00 Uhr.
NÜ Franklinstraße (73 Plätze) NÜ III: Halle-Luja am Innsbrucker Platz (100 Plätze)
Franklinstraße 27a, Hauptstraße 65
10587 Berlin 12159 Berlin
Ganzjährig & täglich geöffnet von 18:00 bis Vom 01.112014 bis 06.04.2015 von 21:00 bis
08:00 Uhr. 08:00 Uhr geöffnet.
NÜ I: Lehrter Straße (100 Plätze)
Lehrter Straße 68
10557 Berlin
Vom 01.11.2014 bis 31.03.2015 täglich
geöffnet von 21:00 bis 08:00 Uhr.

Insgesamt stellte die Berliner Stadtmission zur Kältesaison 2014-15 mit fünf
Einrichtungen regulär bis zu 335 Plätze6 zur Verfügung. Für über 40.000
Übernachtungen, die allein durch das Angebot der Berliner Stadtmission ge-
tragen wurden. Als einzige Noteinrichtung war die NÜ III bis Ostermontag
2015 geöffnet.

2.2 Zur Sozialstruktur in den Notübernachtungen


„Immer mehr Menschen mit psychischen Erkrankungen suchen unsere
Wärmestuben und -cafés auf. Ältere Menschen mit niedrigen Renten sind froh über
eine warme Mahlzeit und eine Gesprächsmöglichkeit. Auch Menschen aus unter-
schiedlichen Herkunftsländern nutzen die Angebote zunehmend. Es sind EU-
Bürgerinnen und -bürger, Menschen aus Osteuropa, aber auch Flüchtlinge aus
Kriegsgebieten und Armutsmigranten.“ [Kostka 2014, 3]

Seit nun insgesamt zwei Jahren werden in den Notübernachtungen der Berli-
ner Stadtmission neben dem Namen der Gäste auch auf freiwilliger Basis Ge-
burtsdatum, Herkunftsland und Geschlecht erfasst.
Die Zahlen zur Kältesaison 2013-14 zeigen7, dass allein von den drei NÜs
der Berliner Stadtmission rund 42 % des gesamten Übernachtungsaufkom-

6 Jedoch nicht täglich: In der Kältehilfesaison 2014-15 bot die City Station zu-
nächst an zwei Tagen (Montag und Donnerstag) jeweils Übernachtungsmöglichkeiten
an. Seit 01. Januar 2015 wurde das Angebot auf vier Tage (Montag bis Donnerstag) bis
Saisonende aufgestockt. Unabhängig von der Kältehilfe ist die City Station zudem
ganzjährig geöffnet als Restaurant von Dienstag bis Samstag (16:00 – 21:00 Uhr).
7 Die Auswertung dieser Daten für die Kältehilfesaison 2013-14 sind mir von
einem Teamleiter der NÜ I zur Verfügung gestellt worden [vgl. Anhang C, 164]. Er bat
mich, nicht auf die Daten, die in der Presse kursieren zurückzugreifen, da „in den Me-
dien […] die ein oder andere Zahl leider missinterpretiert“ [ebd.] wurde. In der Saison
2013-14 stand anstelle der NÜ II in der Kopenhagener Straße die NÜ II Johanniter
Straße 2 (10961 Berlin) mit 55 Plätzen für Männer und Frauen zur Verfügung. Außer-
dem stellte die NÜ III 2013-14 circa 60 Plätze, allerdings für Männer und Frauen statt
wie 2014-15 nur für Männer. Damit ergeben sich etwa 50 Plätze weniger für die drei
Soziale Exklusion von Notleidenden -7-

mens aller Berliner Einrichtungen getragen wurde8: Von insgesamt 71.914


Übernachtungen [vgl. Tabelle 2] zählte die Berliner Stadtmission in ihren NÜs
30.734. In den drei NÜs der Berliner Stadtmission wurden 2355 verschiedene
Personen gezählt. Von diesen 2.355 gezählten Personen waren 2.103 männlich
(89,3 %) und 252 weiblich (10,7 %). Das durchschnittliche Alter der Gäste in
diesen Notübernachtungen betrug 39,8 Jahre.
Rund 94 % der 2.355 Gäste (2.209 Personen) machten Angaben zu ihrer
Herkunft. Die Berliner Stadtmission zählte insgesamt 58 verschiedene Her-
kunftsländer in den drei Notübernachtungen. Tabelle 4 zeigt die Anteile natio-
naler Herkunft unter den Gästen der Berliner Stadtmission in den drei NÜs
für die Kältehilfesaison 2013-14.
Herkunftsland der Gäste Absolute Anzahl der Gäste Prozentualer Anteil Tabelle 4: Nationale Herkunft
der Gäste in den NÜs der
Deutschland 830 37,57%
Berliner Stadtmission in der
Polen 564 25,53% Kältehilfesaison 2013-14 [An-
Rumänien 169 7,65% hang C, 164 f]
Bulgarien 161 7,29%
Litauen 100 4,53%
Lettland 82 3,71%
Russland 23 1,04%
Türkei 21 0,95%
Italien 21 0,95%
Tschechien 20 0,91%
Slowakei 20 0,91%
Spanien 18 0,81%
Ungarn 18 0,81%
Frankreich 14 0,63%
Sonstige (aus 44 weiteren Nationen) 148 6,70%
Gesamt 2.209 100 %

Mit 37,6 % (830 Personen) deutscher Herkunft bildeten diese die größte
nationale Gruppe in den NÜs. Der Anteil deutscher Frauen unter den deut-
schen Gästen betrug 14,8 %, womit der Frauenanteil weiblicher deutscher Ob-
dachloser etwas höher ist, als der Gesamtfrauenanteil an allen Nationalitäten.
Die zweitgrößte nationale Gruppe bildeten mit 25,5 % (564 Personen) polni-
sche Gäste. Bezüglich der Häufigkeit der Übernachtungen bildeten anteilig an
den 30.734 Gesamtübernachtungen jedoch Gäste deutscher und polnischer
Herkunft mit jeweils 28,8 % die größten Gruppen.
Aber auch unabhängig von der Nationalität sind die Gäste keinesfalls ei-
ner homogenen Gruppe zuzuordnen. In den Notübernachtungen finden sich
Menschen jeglicher sozialer Herkunft und mit unterschiedlichsten Bildungs-
hintergründen. Unter den Gästen der NÜs lernte ich Bauarbeiter, ALG II-
Empfänger, (Zwangs-) Prostituierte, Studienabbrecher, Burger King Mitarbei-
ter, Diplom-Betriebswirte, Musiker, Köche, (Früh-) Rentner, Pädagogen oder

Notübernachtungen (Lehrter Straße, Johanniter Straße, Hauptstraße) der Stadtmissi-


on als im Vergleich zur Kältesaison 2014-15.
8 In der Kältehilfesaison 2014-15 waren es bereits über 50 %.
-8- Soziale Exklusion von Notleidenden

Dealer kennen. Die Problemlagen der Gäste sind dabei meistens komplex und
unterschiedlichster Natur:

„Die Problemstellungen der Gäste sind so individuell, wie die Gäste auch. Es
kommt allabendlich immer ein neuer ‚Mix‘ an Besuchern heraus, der sehr häu-
fig auch brisant sein kann.“ [ Mark 2014, 4]

Menschen, die beispielsweise an Suchtmittelabhängigkeiten, Depressionen


oder Schizophrenie leiden treffen in den Notübernachtungen auf Menschen,
die der Verlust einer geliebten Person schlicht ‚aus der Bahn warf‘ oder Men-
schen, die wegen einer plötzlichen Krankheit ihre Perspektive verloren. Ar-
beitsverweigerer treffen Arbeitsmigranten und Menschen, die arm sind trotz
Arbeit. Justizflüchtige, Zuhälter oder wegen Totschlags Verurteilte sind ebenso
unter den Gästen, wie Reisende, die schlicht ihre Papiere verloren. Menschen,
die sich kognitiv nicht in der Lage sehen, einen Antrag auf Arbeitslosenunter-
stützung auszufüllen treffen dort auf Menschen, die ganz offen damit umge-
hen, dass sie ihr monatliches ALG II Einkommen überwiegend in Alkohol in-
vestieren. Sehr gepflegte Gäste treffen auf verwahrloste Menschen mit offenen
Wunden, Ausschlägen, Läusen oder Menschen mit körperlichen und geistigen
Behinderungen. Die Gründe, aus denen die Menschen die NÜ in Anspruch
nehmen müssen, sind enorm vielfältig und somit auch die Dauer, die sie auf
Unterstützung angewiesen sind. Es gibt Gäste, die mir anvertrauten, sehr wohl
eine Unterkunft in einem Obdachlosenheim zu haben, in dem die Zustände
jedoch so untragbar sind, dass sie lieber die NÜ aufsuchen. Oder Gäste, die
nur kurzfristig auf die Kältehilfe angewiesen sind, beispielsweise, weil sie sich
gerade von Lebensgefährten trennten und/oder auf behördliche Unterstützung
warten. Andere Gäste sind gezwungen, die NÜ aufzusuchen, weil sie zwar über
ein Einkommen verfügen, dieses jedoch so gering und/oder unregelmäßig ist,
dass sie sich keine Unterkunft mieten können. Etliche Gäste sind den Mitar-
beitern seit Jahren bekannt, andere kommen nur für eine Nacht. In der Käl-
tehilfesaison 2013-14 sind circa ein Drittel der Gäste nur einmalig in einer der
drei NÜs gewesen.
Diesem ‚häufig brisanten Mix‘ begegnen zudem Menschen, die aus Kri-
sengebieten flohen, oftmals traumatisiert von Krieg, Angst und Verfolgung.
Zur Situation in der Kältehilfesaison 2014-15 berichtet Prof. Dr. Ulrike Kostka:

„Immer häufiger werden Flüchtlinge zumindest kurzzeitig auf das Angebot der
Kältehilfe verwiesen. Dies geschieht vor allem am Wochenende, wenn die für
die Unterbringung von Flüchtlingen zuständige Behörde LAGESO geschlossen
ist. In unserer Notübernachtung Franklinstraße registrieren wir bei den Gästen
mit Migrationshintergrund inzwischen bereits etwa ein Drittel Flüchtlinge.
Auch in der Notübernachtung Lehrter Str. der Stadtmission gibt es inzwischen
einen Anteil von 7% Flüchtlingen.“ [Kostka 2015, 5].
Soziale Exklusion von Notleidenden -9-

Im Weiteren stellen die Notübernachtungen der Lehrter und der Franklinstra-


ße auch eine Übernachtungsmöglichkeit für Familien bereit. Da die aufge-
nommenen Familien jedoch nicht die Registrierung durchlaufen, sind sie in
den obigen statistischen Angaben nicht enthalten. Die Berliner Stadtmission
musste einen starken Anstieg obdachloser Familien feststellen: Wo in der Käl-
tehilfesaison 2012-13 drei Familien das Angebot der Notübernachtung in der
Lehrter Straße wahrnehmen mussten, waren es in der Saison 2013-14 insge-
samt 13 Familien. Davon waren vier aus Bulgarien, drei aus Tschetschenien,
zwei aus Rumänien, eine aus Polen, eine aus Kamerun und zwei weitere ohne
Angabe der Nationalität. 29 Kinder bis zu 10 Jahren wurden in der NÜ I un-
tergebracht. Die Aufenthaltsdauer betrug zwischen einer Nacht und mehreren
Wochen. In der Kältehilfesaison 2014-15 suchten 20 Familien die NÜ I auf und
„allein in den fünf Monaten der Kältehilfe sind in der Franklinstraße wieder
200 Übernachtungen von Kindern erfolgt.“ [Kostka 2015, 4]. Jürgen Mark,
Leiter der NÜ Franklinstraße, beschreibt dieses Problem in aller Deutlichkeit:

„Das Wohl des Kindes ist hier gefährdet. Auf unserer Gästeliste stehen Personen
mit Suchtmittelproblemen jeder Art, mit psychischen Problemen und Erkran-
kungen, Menschen, die strafrechtlich in Erscheinung getreten sind (auch Pädo-
phile) und dergleichen mehr. Wir haben bisher Glück gehabt, daß es hier noch
zu keinen schlimmeren Szenen – die Kinder betreffend – gekommen ist. Das
kann sich aber täglich ändern, denn Möglichkeiten gibt es viele. Ein
Schreckszenario wäre z.B., dass ein Kind bei einem nächtlichen Gang zur Toilet-
te einen Drogentoten findet. Einen solchen Todesfall hatten wir zuletzt im März,
in einer Nacht, als drei Kinder im Haus waren.“ [Mark 2014, 5 f.].

Im Vergleich zur vorletzten Kältesaison verzeichnete die Berliner Stadtmission


2014-15 mehr als 40.000 Übernachtungen [vgl. Wohlwend 2015, 5]. Weiterhin
verzeichnete die Berliner Stadtmission in dieser Saison einen Zuwachs schwer
kranker Obdachloser um 40 % [vgl. ebd.].
Neben dem generell erhöhtem Bedarf im Vorjahresvergleich machen die
statistischen Angaben deutlich, dass der Anteil nichtdeutscher Gäste in den
Notübernachtungen den der deutschen deutlich übersteigt9. Damit befinden
sich Menschen unterschiedlichster Nationalität, kultureller Hintergründe und
Mentalitäten in den Notunterkünften, was die zumeist vollen bis überfüllten
Einrichtungen vor ganz eigene Problemlagen stellt.
Im Weiteren machen die Zahlen allerdings vor allem eines deutlich: Die
Auslastung der Einrichtungen zu mehr als 100 %, die steigende Nachfrage
nach den Angeboten der Kältehilfe und die damit zusammenhängende Not der
Betroffenen stehen zwei verhältnismäßig milden Wintern gegenüber.

9 Dies sei jedoch nach Berichten langjähriger Mitarbeiter eine verhältnismäßig


neue Entwicklung der letzten Jahre, die sie insbesondere mit der EU-Erweiterung
2004 in Verbindung bringen. Etwa 13 % der nichtdeutschen Übernachtungsgäste wa-
ren in der Kältehilfesaison 2014-15 nicht EU Bürger [Mitarbeiter NÜ I, Protokoll, 97].
Soziale Exklusion von Notleidenden - 11 -

3 Feldzugang und -beschreibung


„Zwischen diesen ganzen Leuten. Ich verstehe das nicht. Warum tust Du Dir das an?
Ich meine, ich bin ja froh, dass Du da bist, aber ich versteh nicht, wie man auf so’ne
Idee kommen kann. Ich versteh’s nicht.“ [Olli, Protokoll, 143]

Wenn Gäste wissen möchten, wie es denn dazu kam, dass ich nun in einer NÜ
aushelfe, obwohl ich keine Sozialarbeiterin bin, erklärte ich oft, dass ich auf-
grund meiner Abschlussarbeit da ‚irgendwie hineingeschlittert‘ bin. Zugege-
ben, das klingt wenig professionell, entspricht aber der Wahrheit: Der Feldzu-
gang entwickelte sich schnell aber auch in ungeplante Richtungen.
Nachdem die Fragestellung der Arbeit den Zeitrahmen und Zielpopula-
tion – nämlich Obdachlose in Berlin, die in der kalten Jahreszeit nicht die NÜs
aufsuchen – sehr genau definiert, sollte die Beobachtung innerhalb der ethno-
graphischen Studie10 dort auch ansetzen. Diese Gruppe ist offensichtlich nur
dann sichtbar, wenn NÜs geöffnet haben und sie dort jedoch nicht anwesend
sind, weshalb der erste Ansatz darin bestand, Mitarbeiter der mobilen Käl-
tehilfe bei ihrer aufsuchenden Arbeit zu begleiten. Der Fokus richtete sich des-
halb auf den Kältebus der Berliner Stadtmission, weil dieser bereits seit 20
Jahren besteht und an die Berliner Stadtmission auch etliche NÜs angebun-
den sind.
Am 14.01.2015 trat ich telefonisch mit einer Mitarbeiterin der Berliner
Stadtmission in Kontakt, die auf der Webpräsenz als Ansprechpartnerin für
den Kältebus geführt wird. Nachdem ich meine Fragestellung und Anliegen
erklärte, leitete sie meine Anfrage an das Kältebusteam. Mit einem Mitarbeiter
des Kältebusteams konnte ein Termin für den 29.01.2015 vereinbart werden.
Dieser bot auch an, eine Terminanfrage in meinem Namen zu einem Be-
such der NÜ I intern weiterzuleiten. Für den 10.02.2015 bekam ich dort einen
ersten Termin. Zum Ende dieses Abends bot mir der dortige Teamleiter zum
einen an, weitere Termine in dieser Einrichtung wahrzunehmen und zum an-
deren, eine Terminanfrage intern für den Besuch der NÜ III zu stellen. Einen
ersten Termin erhielt ich dort für den 27.02.2015. Den zügigen Feldzugang
habe ich also der Unterstützung der dortigen Mitarbeiter in ihrer Funktion als
Gatekeeper zu verdanken.
Insgesamt hat sich bis Ende der Kältehilfesaison 2014-15 für mich ein
Mal die Möglichkeit ergeben, mit dem Kältebusteam unterwegs zu sein, vier
Mal die NÜ I zu besuchen und elf Mal die NÜ III. Ein Abend in den Notüber-
nachtungen begann zumeist um 19:00 Uhr und endete zwischen 01:00 und
03:00 Uhr, abgesehen von einem Termin, an dem ich bis 08:00 Uhr auch ei-
nen Morgen in der NÜ III miterleben konnte. Die NÜs habe ich in der Rolle
der ehrenamtlichen Mitarbeiterin aufgesucht.

10 Zur Ethnographie siehe z.B. Fetterman 1998, 473 ff. und Knoblauch 2014, 521
ff.
- 12 - Soziale Exklusion von Notleidenden

Neben den vielfältigen Eindrücken, die ich während der Feldphase gewinnen
konnte, sind die vielen Erzählungen der Gäste unverzichtbarer Hauptbestand-
teil der Studie. Und etliche Gäste zeigten sich sehr kontaktfreudig. Immer wie-
der werde ich zu Gesprächen aufgefordert, den Gästen liegen die unterschied-
lichsten Dinge auf dem Herzen: Ihr Tagesverlauf, neue Schuhe, Streitigkeiten,
Schmerzen, Entgiftungen, Überfälle, Amtsgänge, Schokolade, Suizid, Glücks-
bringer, Lieblingsmusik, Krankenhaus- und Gefängnisaufenthalte, Weissa-
gungen, Anekdoten aus der Jugend etc. Ich erlebe auch, dass Gäste mich gera-
dezu gerne über ‚ihre Welt‘ aufklären – alles wird mir geduldig und ausführ-
lich erklärt: Wo sich der strassenfeger besonders gut verkauft, wer zu welcher
Gruppe gehört und wer unter diesen Gruppen ‚das Sagen‘ hat, wie es sich an-
fühlt, unter Entzugssymptomen einen Supermarkt zu suchen, der am Feiertag
Alkohol verkauft, oder wie welche Rauschmittel konsumiert werden. Immer
wieder werden mir zum Beispiel Szenebegriffe, wie zu Rauschmitteln, dem
Leben auf der Straße oder im Gefängnis, ausführlich erklärt. Aussagen wie:
„Frag ruhig immer nach, wenn Du was nicht kennst. Ich erklär‘ Dir das gerne.“
[Rene, Protokoll, 150] höre ich häufiger, wenn ich mich während eines Ge-
sprächs erkundigen muss, um was es überhaupt geht. Kein einziges Mal bin
ich bei Nachfragen auf Ablehnung gestoßen, sondern höchstens auf die Ver-
wunderung, etwas ‚so selbstverständliches‘ nicht zu kennen.
Zum alltäglichen Umgang miteinander gehören aber auch unangeneh-
mere Situationen. Oft ist es zum Beispiel so, dass gerade zum Einlass die Gäste
übellaunig sind, zumeist schlicht weil sie Hunger haben und ihnen kalt ist –
das gibt sich dann häufig im Abendverlauf. Handgreiflichkeiten untereinander
und Aufdringlichkeiten gehören ebenso zum Alltag, wie Gäste, die ausfällig
und laut werden: Weil das Essen nicht schmeckt, weil gerade kein heißes Tee-
oder Duschwasser da ist, weil die Frisur nicht sitzt, weil Entzugserscheinungen
Übellaunigkeit erzeugen oder aus sonstigen Gründen, die mir bis heute unklar
sind. Es herrscht ein rauer Umgangston, aber gleichzeitig begegnen mir auch
viele Gäste mit Herzlichkeit. Etliche Gäste legen auch Wert darauf, ihrer Situa-
tion mit (oftmals erstaunlichem ‚Galgen-‘) Humor entgegenzutreten, es gibt
viele Situationen, in denen wir gemeinsam lachen.
Die nachfolgenden Abschnitte beschreiben sowohl die besuchten Ein-
richtungen, als auch typische Abläufe. Dazu muss aber bedacht werden, dass
diese unter ‚Idealbedingungen‘ beschrieben sind. Damit sind beispielsweise
Bedingungen gemeint, wie ausreichend (qualifiziertes) Personal, pünktliche
Nahrungsmittellieferung oder ausreichende Nahrungsmittelspenden.
Soziale Exklusion von Notleidenden - 13 -

3.1 Die Notübernachtung Lehrter Straße (NÜ I)


„Offiziell bietet die Berliner Stadtmission in diesem Winter bis zu 120 Schlafplätze
[in der NÜ I] an. Unsere Erfahrung zeigt, dass weitaus mehr Obdachlose zu uns
kommen. Unsere Devise ist, dass keiner abgewiesen wird.“
[Kältehilfe Berliner Stadtmission 2012, online]

Die Notübernachtung Lehrter Straße zeichnet sich besonders durch eines aus:
Sie ist „chronisch überbelegt“ [Mitarbeiter NÜ I, Protokoll, 85]. Ortrud Wohl-
wend, die Öffentlichkeitsreferentin der Berliner Stadtmission, fasst die Be-
sonderheiten der NÜ I zusammen:

„Obwohl in diesem Winter kein einziger Tag minus 20 Grad hatte, suchen dau-
erhaft anhaltend bis zu 200 obdachlose Gäste die [NÜ I] auf. Sie ist für 100-120
obdachlose Gäste ausgelegt. Doch Nacht für Nacht warten mehr obdachlose
Gäste auf Einlass. Wer in Berlin als obdachloser Mensch krank ist, im Rollstuhl
sitzt, Läuse oder Krätze hat oder alkoholisiert ist, hat kaum eine Chance unter-
zukommen. Die [NÜ I] ist für viele verzweifelte Obdachlose die einzige Mög-
lichkeit, eine sichere Schlafstätte und medizinische Versorgung zu erhalten.
Auch Wohnungslose mit einem Hund sind willkommen. Die Notübernachtung
in der Nähe vom Hauptbahnhof ist auch wegen der guten Anbindung ein Hei-
mathafen für alle, die nirgendwo aufgenommen wurden.“ [Wohlwend 2015, 5].

3.1.1 Die Räumlichkeiten der NÜ I


Abschiedsgruß eines Mitarbeiters der NÜ I in einer Email:
„Beste Grüße aus dem Keller!“

Den Hauptbereich der NÜ I bildet der Eingangs- und Gemeinschaftsbereich.


Da sich dieser im Untergeschoss befindet, ist der Bereich durch eine nach un-
ten führende Treppe zu erreichen.
Im Eingangsbereich befinden sich Plätze zur Eingangskontrolle und ein
Computerterminal zur Datenaufnahme. Etliche Schilder an den Wänden be-
lehren in Deutsch, Englisch, Polnisch und Russisch über die Hausordnung:

„Willkommen. Wir bitten Sie, liebe Gäste, folgende Regeln zu beachten: In der
Notübernachtung gilt: 1. keine Gewalt, 2. kein Alkohol, 3. keine Drogen und 4.
keine Waffen.“

An den Eingangsbereich angrenzend befindet sich der Gepäckraum. Dort kön-


nen Taschen, Trolleys, Jacken etc. verstaut werden. In kleinen Schalen werden
kleinere Besitztümer der Gäste gelagert: Neben Handys (die dort auch gleich-
zeitig aufgeladen werden können) landen dort Alltagsgegenstände, Spritzen
oder Medikamente. Jedes Gepäck- und Kleidungsstück und jede Schale wird
mit einer Nummer versehen, der Gast bekommt eine gegengleichen Abhol-
marke. Es gilt: Was abgegeben wird, kann auch (im Schlaf) nicht gestohlen
werden. Es steht den Gästen jedoch frei, ihr Gepäck nach einer Durchsuchung
mit hineinzunehmen (sofern es nicht zu sperrig ist). Sofort abgegebenes Ge-
päck wird nicht durchsucht.
- 14 - Soziale Exklusion von Notleidenden

Im Gang vom Eingangsbereich zum Aufenthaltsraum befinden sich Bänke und


die Türen zu den Toiletten. Abbildung 1 zeigt den Aufenthaltsbereich.
Abbildung 1: Panorama des
Aufenthaltsraums [TV.Berlin
2015, 03:10 min - 03:13 min]

Die hintere rechte Tür führt in den Raucherbereich. Außerhalb des Bildaus-
schnitts befindet sich linksseitig der Tresen zur Essensausgabe, an dem die
Gäste kostenlos am Abend Brot, Gebäck, Suppe und Wasser (manchmal auch
verschiedene Limonaden) bekommen können. Im hinteren linken Bereich, den
die Abbildung nicht mehr erfasst, führt eine Tür zu Mitarbeiterräumen und -
toiletten, einem barrierefreien Dusch- und Toilettenbereich, dem Sprechzim-
mer zur medizinischen Versorgung und der Notkleiderkammer11. Dieser Be-
reich ist allerdings nicht ständig frei für die Gäste zugänglich.
Um zu einem der zwei Schlafbereiche zu gelangen, muss der Kellerbe-
reich wieder verlassen werden. Der Weg zum Schlafhaus I führt über das Ge-
lände der Einrichtung. Dort finden sich Schlafräume für männliche Gäste und
ein eigener Schlafbereich für Gäste mit Hunden. Der Eingang zum Schlafhaus
II befindet sich neben der Kellertreppe zum Einlass. Dort werden auch weibli-
che Gäste untergebracht, zudem gibt es dort ein Krankenzimmer.
In beiden Schlafhäusern gibt es Wasch- und Raucherräume und einen
Mitarbeiterraum zur Aufsicht12. Abbildung 2 und 3 zeigen die Notschlafplätze
der NÜ I, ausgestattet mit Isomatten, einem Bezug und einer Bettdecke.
Linke Seite
Abbildung 2: Notschlafplätze
im Männerbereich im Schlaf-
haus II, NÜ I [TV.Berlin 2015,
13:57 min]

Rechte Seite
Abbildung 3: Notschlafplätze
im Frauenbereich im Schlaf-
haus II, NÜ I [eigenes Foto,
10.02.2015]

11 ‚Notkleiderkammer‘ bedeutet, dass Kleidung eben nur dann ausgegeben wird,


wenn es sich um einen Notfall handelt. Beispielsweise, weil Schuhe zu eng, zerlaufen
oder nicht wettergerecht sind. Unterwäsche und Socken werden, sofern es sich auch
hier nicht um einen Notfall handelt, zwei Mal wöchentlich ausgegeben.
12 Der Aufsicht dienen auch im Flur angebrachte Bewegungsmelder, deren
Alarm sich in einem Warnlicht im Mitarbeiterraum äußert. Dies soll u.A. die Einhal-
tung der Geschlechtertrennungen sicherstellen. Außerdem hält das Schlafhaus II im
obersten Geschoss die Räumlichkeiten für Familien bereit.
Soziale Exklusion von Notleidenden - 15 -

Die Räumlichkeiten der NÜ I sind dadurch gekennzeichnet, dass sich Schlaf-


und Aufenthaltsbereich innerhalb verschiedener Häuser auf dem Gelände ver-
teilen. Wie im nachfolgenden Abschnitt zum Abendverlauf deutlicher werden
wird, ist dies auch mit erhöhtem organisatorischem Aufwand verbunden.

3.1.2 Ein Abendverlauf in der NÜ I


„Es ist kurz vor Mitternacht. An Biergartentischen sitzen etwa 40 obdachlose
Männer und einige Frauen, sie essen Suppe, trinken Tee, reden teilweise laut
aufeinander ein. Eine Mischung aus Körpergeruch, Alkoholdunst und Nikotinqualm
hängt in der Luft. Etwa zwanzig Menschen schlafen ausgestreckt auf
Bänken und dem blanken Fußboden.“ [Brennberger 2012, online]

Um 21:00 Uhr öffnen sich die Türen der NÜ I für die Gäste. Die Arbeitsschich-
ten für die Mitarbeiter beginnen allerdings früher: Am späten Nachmittag be-
reiten in der Großküche mindestens drei Mitarbeiter die Mahlzeiten für die
Gäste zu. Durch diese Küche werden zudem auch die Einrichtungen der NÜ II
und der NÜ III versorgt – also insgesamt mindestens 300 Gäste.
In der Abendschicht von 19:00 Uhr bis 00:30 Uhr sind zwei Abendver-
antwortliche anwesend, sowie etwa 12 - 15 weitere Mitarbeiter, die für einen
reibungslosen Ablauf benötigt werden. Zusätzlich steht jeden Abend medizini-
sches Personal bereit. Die Nachtschicht verläuft von 00:30 Uhr bis 08:30 Uhr,
wobei ein Nachtverantwortlicher und etwa 5 weitere Mitarbeiter zugegen sind.
Davon ausgenommen ist das Securitypersonal, das von einer externen Sicher-
heitsfirma mit zwei Mitarbeitern pro Abend bereitgestellt wird. Außerdem
steht den Gästen der NÜ I jeden Morgen unter der Woche ein Sozialarbeiter
zur Verfügung. Im Weiteren bestehen noch andere unregelmäßige Angebote,
die sich je nach Mitarbeiterstand und –zeit unterschiedlich realisieren ließen13.
Ab 19:00 Uhr treffen die meisten Mitarbeiter ein. Die Zeit bis zum Ein-
lass wird für Vorbereitungen benötigt, z.B. die Zubereitung weiterer, frischer
Nahrungsmittel (z.B. Obst- oder Gemüsesalate). Nach den Vorbereitungen
versammeln sich die Mitarbeiter gegen 20:30 Uhr zu einer Andacht und Be-
sprechung zur Einteilung der Aufgaben.
Die ersten Gäste warten zumeist ab etwa 17:00 Uhr. Abbildung 4 und 5
zeigen eine typische Situation im Eingangsbereich, wie sie sich Ankommenden
(links) und Einlassenden (rechts) darstellt.

13 Beispielsweise sollte einmal wöchentlich ein Friseur bereitstehen, was auf-


grund von Personalmangel nicht durchgängig angeboten werden konnte. Weiterhin
musste eine ehrenamtliche Kosmetikerin aus Zeitgründen das vormals wöchentliche
Pediküreangebot auf einmal im Monat reduzieren. Zudem sind auch weitere Helfer
unregelmäßig beteiligt, wie z.B. eine Seniorengruppe, die einmal monatlich für die
Gäste bäckt.
- 16 - Soziale Exklusion von Notleidenden

Linke Seite
Abbildung 4: Eingangsbereich
der NÜ I von außen
[Rostamkhani 2012, online]

Rechte Seite
Abbildung 5: Eingangsbereich
der NÜ I von innen [Yunck
2010, online]

Wenn ab 21:00 Uhr geöffnet wird, werden etwa zwei bis maximal drei Gäste
gleichzeitig hereingelassen, damit die Durchsuchung, Aufnahme und Gepäck-
abgabe zu bewältigen ist14. Bis zu drei Mitarbeiter stehen für das Abtasten
nach verbotenen Gegenständen bereit (Suchtmittel, Waffen, Schraubenzieher,
Nagelscheren etc.) ein Mitarbeiter nimmt die Daten auf15 und ein Mitarbeiter
ist für den Gepäckraum zuständig. Nicht immer zeigen sich Gäste bei Kontrol-
le, Gepäckabgabe und Datenaufnahme kooperativ. Obwohl keine Ausweis-
pflicht besteht, zeigen die Gäste am Einlass häufig auch unterschiedlichste
Dokumente zur Identifikation vor: Entlassungspapiere, Krankenhauspapiere,
LAGeSo Übergangsscheine etc. Es dauert unterschiedlich lange, um auf den
Dokumenten Namen zu identifizieren. Vor der Tür kann es immer wieder zu
lautstarken Auseinandersetzungen und Rangeleien um Plätze kommen, das
Securitypersonal ist vornehmlich in diesem Bereich zuständig.
Viele Gäste haben es sehr eilig in den Gemeinschaftsraum zu gelangen,
ihnen ist kalt und sie sind hungrig. Im Gemeinschaftsbereich stehen am Tre-
sen zumeist zwei Mitarbeiter, die Suppen ausgeben und Getränke, Besteck und
Geschirr auffüllen. Gegen Aufpreis können auch andere Dinge von den Gästen
erworben werden, z.B. Kaffee (der morgens kostenfrei zur Verfügung steht),
Milch oder auch Drehpapier für Zigaretten. Im Küchenbereich kümmern sich
weitere Mitarbeiter unter Anderem um den anfallenden Abwasch und die
durchgehende Versorgung mit Brot oder anderem Gebäck.
Wenn ein Gast das Übernachtungsangebot in den Schlafhäusern wahr-
nehmen möchte, kann er im Eingangsbereich warten, bis sich eine Gruppe von
etwa drei bis vier Gästen dort einfindet. Dann bringt ein Springer diese in den
Schlafbereich. Das ist nötig um sicherzustellen, dass die Gäste auf dem Weg in
die Schlafhäuser z.B. keine vorher versteckten Rauschmittel konsumieren oder
Waffen mitnehmen. Allerdings nehmen auch nicht alle Gäste ein Übernach-
tungsangebot im Schlafhaus wahr. Es gibt auch Gäste, die beispielsweise aus-

14 Familien werden prinzipiell isoliert von den anderen Gästen behandelt, sie
durchlaufen nicht den Durchsuchungs- und Aufnahmeprozess im Eingangsbereich,
Nahrungsmittel werden zu den Familien hinaufgebracht.
15 Im ungünstigsten Fall zeigt das Computersystem dem Mitarbeiter bei der Da-
tenaufnahme zum Namen des Gastes eine rote Markierung: Gäste, denen Hausverbot
erteilt wurde, werden im System markiert und müssen wieder gehen.
Soziale Exklusion von Notleidenden - 17 -

schließlich im Gemeinschaftsraum übernachten, oder Gäste, die eine warme


Suppe oder Dusche möchten, und dann wieder gehen. Dabei gilt: Wer die Ein-
richtung an einem Abend verlässt, kommt am gleichen Abend nicht noch ein-
mal hinein.
Im Gemeinschaftsraum befinden sich weitere Mitarbeiter, die die ärzt-
liche Versorgung koordinieren, für Ruhe sorgen, Streitigkeiten schlichten oder
schlicht Gesellschaft leisten. Zudem wird – wenn möglich – die Notkleider-
kammer mit einem Mitarbeiter besetzt. Immer wieder treten auch Zwischen-
fälle ein, die einen Mitarbeiter länger an eine bestimmte Aufgabe binden, z.B.
Entlausungen oder Reinigungen der sanitären Anlagen.
Die Mitarbeiter in den Schlafhäusern sind mit der Ausgabe von Hygie-
neartikeln beschäftigt, müssen aber auch immer wieder eingreifen, wenn es in
den Zimmern zu Streitigkeiten zwischen den Gästen kommt. Außerdem wa-
schen die Mitarbeiter ‚nebenher‘ noch die anfallende Wäsche (z.B. Handtü-
cher).
Gegen 23:15 Uhr wird alles pausiert. Es soll etwas Ruhe bei den im
Aufenthaltsraum befindlichen Gästen einkehren. Meist ist ein musisch begab-
ter Mitarbeiter vor Ort, der dann ein Lied singt. Einige Gäste und auch Mitar-
beiter klatschen dann mit, tanzen oder genießen einfach die Musik. Einige
andere Gäste unterhalten sich weiter. Trotzdem dann zumeist eine Zugabe
gefordert wird, findet dann eine kleine Andacht statt, bevor der reguläre Be-
trieb wieder aufgenommen wird (und bevor für gewöhnlich die Zugabe erfüllt
wurde). Der Einlass wird ab 23:30 Uhr wieder aufgenommen.
Gegen Mitternacht wird die Beleuchtung im Gemeinschaftsraum aus-
geschaltet, es ist dann zumeist sehr viel ruhiger. Gäste schlafen dort auf Bän-
ken oder dem Boden, während andere noch etwas essen, rauchen oder reden.
Nach dem Schichtwechsel kümmert sich ein deutlich kleineres Team um den
Ablauf. Die gesamte Nacht über können Ankommende Einlass finden (von
draußen kann eine Klingel betätigt werden, damit Gäste, die später in der
Nacht kommen, auf sich aufmerksam machen können. Es gibt keinen ‚letzten
Einlass‘). Trotzdem immer mal wieder einige Gäste in die Schlafhäuser gehen,
ist es im Aufenthaltsraum eigentlich immer voll, weil Gäste nicht in die
Schlafhäuser gehen wollen oder können (wenn diese voll sind).
Ab 06:00 Uhr werden die Gäste geweckt. Der Ablauf morgens ist be-
sonders dadurch gekennzeichnet, dass die Gäste zügig in den Aufenthaltsraum
zum Frühstück möchten, aber deutlich weniger Mitarbeiter bereit stehen, um
zu wecken, Gepäck auszugeben und im Küchenbereich für Nachschub zu sor-
gen. Neben Gästen, die besonders schnell die Notunterkunft verlassen wollen,
gibt es Gäste, die lieber bleiben möchten. Beide Gruppen haben bis spätestens
08:00 Uhr die Notübernachtung verlassen.
- 18 - Soziale Exklusion von Notleidenden

3.2 Die Notübernachtung Halle-Luja (NÜ III)


„Es ist neun Meter hoch, gut 30 Meter lang und schimmert silbern in der
Abendsonne. Auf den ersten Blick könnte man meinen in Schöneberg ist ein
Raumschiff gelandet. […] Doch das seltsame Ding im Flunderdesign ist kein UFO […],
sondern eher ein UHO – ein (bisher) unbekanntes Hilfsobjekt: Die Stadtmission baut
hier gerade mit Hilfe des Energieunternehmens ‚Care Energy‘ Berlins erste mobile
Notunterkunft für Wohnungslose auf. Besser gesagt: pustet auf. Denn die Tragluft-
halle, wird durch einen leichten Überdruck stabil gehalten.“ [Cotreanti 2014, online]

Auf dem Stellwerksgelände am S-Bahnhof Innsbrucker Platz initiierte das


Hamburger Energieunternehmen Care-Energy in Kooperation mit der Berli-
ner Stadtmission zur Kältesaison 2013-14 erstmalig das Pilotprojekt ‚Wärme-
halle für Obdachlose‘ im Februar 2014. Sie entstand aus der Not heraus, dass
es dem Bezirksamt Schöneberg nicht gelang, geeignete Immobilien für No-
tübernachtungen zu finden [vgl. ots, online].
Nach dieser erfolgreichen Testphase wurde die Wärmehalle für die Sai-
son 2014-15 seit November 2014 bereitgestellt. Während Care-Energy die Hal-
le stellte, Mietkosten für das Gelände, sowie Strom- und Gaskosten über-
nimmt, wird der Betrieb (Nahrungsmittelversorgung, Personal, Innenausstat-
tung) von der Berliner Stadtmission getragen.
Die NÜ III bietet Platz für 100 Gäste. Eingelassen werden nur Männer16.

3.2.1 Die Räumlichkeiten der NÜ III


„‚Es ist wie Zelten im Winter‘, sagt ein junger Mann […]. ‚Ich wollte es mir eigentlich
nur einmal ansehen, weil ich neugierig war. Dann hat es mir aber so gut gefallen,
dass ich geblieben bin.‘“ [Die Halle(-)Lujah 2014, online]

Im Gegensatz zur NÜ I gestaltet sich die NÜ III weitläufiger und vor allen Din-
gen oberirdisch. Mit etwa 1000 m² und einer Deckenhöhe von bis zu neun
Meter wirkt sie bedeutend großräumiger als andere Einrichtungen. In der Hal-
le herrschen durchgängig 20 – 25° C. Abbildung 6 zeigt die Halle von außen.
Abbildung 6: Die Wärmeluft-
halle von außen [Yunck 2014,
online]

16 In der Kältesaison 2013-14 standen jedoch weniger Notschlafplätze zur Verfü-


gung (regulär 6 Plätze für weibliche und 57 Plätze für männliche Gäste). Wie Mitarbei-
ter erklärten, wurde in der Saison 2014-15 auf die vormals gemischtgeschlechtliche
Einrichtung aus logistischen Gründen verzichtet.
Soziale Exklusion von Notleidenden - 19 -

Bei Dunkelheit ist sie von weithin sichtbar. Der Zugang zur Wärmelufthalle
erfolgt über die im vorderen Bereich zu erkennende Luftschleuse.
Abbildung 7 zeigt eine Übersicht über die Wärmehalle zu einem Pres-
setermin vom Gemeinschaftsbereich aus betrachtet.
Abbildung 7: Übersicht NÜ III
von innen
[dpa 2015, online]

Auf der linken Seite befindet sich der Eingangs-, bzw. Kontrollbereich. Dort
stehen drei Tische, an denen zur Durchsuchung Gegenstände abgelegt werden
können und mit einem Laptop Gästedaten aufgenommen werden. Linksseitig
(außerhalb des im Foto sichtbaren Bereichs) ist der Gepäckraum. Wie alle Be-
reiche, die durch Bauzäune abgeteilt werden, ist auch dieser mit weißer Plane
versehen17. Der Gepäckraum funktioniert nach demselben Prinzip wie in der
NÜ I. Vor dem Gepäckraum steht ein Container, der als Mitarbeiterraum und
Büro dient. Hinter dem Eingangsbereich befinden sich der kleinere der zwei
Schlafbereiche und der Hygienebereich. Rechtsseitig ist im hinteren Bereich
der größere Schlafsaal zu sehen. Der mittlere Gang zwischen den Schlafsälen
führt in den Raucherbereich, direkt an der Hallenentlüftung.
Im vorderen Bereich der Abbildung 7 ist der Gemeinschaftsbereich zu
sehen. Abbildung 8 zeigt diesen vom Eingangsbereich aus betrachtet. Hinter
dem Tresen stehen zwei grüne Sanitärcontainer, in denen sich WCs und Du-
schen befinden. Hinter den Containern liegt die Notkleiderkammer, ebenfalls
durch Bauzäune abgeteilt und mit Vorhängeschloss versehen. Im Küchenbe-
reich befindet sich der Tresen, an dem die Essensausgabe erfolgt. Dort stehen
auch zwei Kühlschränke, Geschirrspüler, Mikrowelle, zwei Kochplatten und
eine Waschmaschine zur Verfügung. Wie auch in der NÜ I können die Gäste
dort z.B. Kaffee, Milch, Papiertaschentücher etc. käuflich erwerben.

17 Auf den Trennzäunen ist in Abbildung 7 auch Wäsche zu erkennen. Handtü-


cher für die Gäste und vergessene Kleidungsstücke werden vor Ort während der
Nachtschicht gewaschen und zum Trocknen dort aufgehängt, damit diese anschlie-
ßend neu ausgegeben werden können. Dies führte allerdings auch zu Missverständnis-
sen mit den Gästen, die glaubten, die Teams der Berliner Stadtmission würden das
Waschen ihrer privaten Wäsche übernehmen und/oder sie könnten sich quasi kosten-
frei an der dort aushängenden Kleidung bedienen.
- 20 - Soziale Exklusion von Notleidenden

Abbildung 8: Der Gemein-


schafts- und Küchenbereich
der NÜ III [Eigenes Foto,
17.03.2015]

Abbildung 9 zeigt den Mitarbeiterbereich im Schlafsaal I. Die Funktion stellt


sich ähnlich dar, wie in der NÜ I – hat jedoch einen mehr provisorisch wir-
kenden Charakter. Auf dem Tisch befindet sich ein Aufsteller für Zahnbürsten
(versehen mit dem jeweiligen Namen des Besitzers), abgefüllte Einwegbecher
mit Duschbad, Einmalhandschuhe, Desinfektionsmittel und der Schlafsaal-
plan. Auf diesem wird die Bettenbelegung notiert und gesonderte Bemerkun-
gen, beispielsweise wenn ein Gast darum bittet, zu einer früheren Uhrzeit ge-
weckt zu werden. In den Kisten im hinteren Bereich liegen Handtücher zur
Ausgabe bereit, im Schrank werden Rasierer, Wunddesinfektionsmittel,
Wundverband, Schermaschinen etc. gelagert.
Abbildung 9: Mitarbeiterbe-
reich im Schlafsaal I der NÜ
III [Eigenes Foto, 27.02.2015]

Im linken Bereich der Abbildung 9 ist zudem ausschnittweise eines der Betten
erkennbar. Im Gegensatz zur NÜ I befinden sich in der NÜ III Feldbetten mit
Matratzen. Diese werden mit Hygienelaken und darüber einem Bettlaken be-
zogen, zudem gibt es eine bezogene Decke.
Soziale Exklusion von Notleidenden - 21 -

3.2.2 Ein Abendverlauf in der NÜ III


Mitarbeiter der NÜ I über die NÜ III:
„Die haben es ja da ganz chillich, mit Musik und Palmen.“
[Mitarbeiter NÜ I, Protokoll, 86]

Auch in der NÜ III beginnt die Abendschicht für die Mitarbeiter um 19:00
Uhr. Ankommenden stellt sich um diese Uhrzeit zumeist eine lange Schlange
Wartender vor der Halle dar. Denn im Unterschied zur NÜ I gibt es für die
Gäste die Besonderheit, dass sie gegen 19:00 Uhr Wartemarken erhalten. Der
erste Gast in der Reihe bekommt die Wartemarke mit der Nummer eins, der
zweite die darauffolgende usw. Aus Gründen der Brandsicherheit ist die Auf-
nahmekapazität der NÜ III stärker limitiert. Die frühzeitige Ausgabe der War-
temarken soll den letzten Gästen, die in der späten Nacht nicht mehr hinein-
kommen würden, die Möglichkeit bieten, rechtzeitig eine andere NÜ aufsu-
chen zu können. Die Vergabe der Wartemarken sorgt aber auch für Streitigkei-
ten, weshalb ein Securitymitarbeiter, der die gesamte Abendschicht anwesend
ist, zumeist diese Aufgabe übernimmt. Nach Ausgabe der Wartemarken ziehen
sich die meisten der Gäste wieder zurück, sie suchen beispielsweise die wind-
und regenschützte Halle des nächstgelegenen Bahnhofes auf.
Für die Mitarbeiter gibt es bis zum Einlass um 21:00 Uhr zunächst ähn-
liche Tätigkeiten, wie in der NÜ I: Vorbereitung von frischen Nahrungsmitteln
in der Küche oder Herrichten des Aufenthaltsraumes. Die NÜ III ist dabei je-
doch weniger autark und z.B. davon abhängig, dass jeden Abend – gegen 19:30
Uhr – ein Kältebusmitarbeiter Suppen in Thermobehältern aus der Großküche
der NÜ I und Lebensmittel abliefert. Zudem transportiert ein Kältebusteam
auch gewaschene Bettwäsche dorthin und holt benutzte Bettwäsche ab.
Zur Vorbereitung gehört auch, dass zwei Mal wöchentlich, Montag und
Freitag, die Betten vom Abendteam neu bezogen werden. Andere Wäsche wird
vor Ort gewaschen und über den Trennwänden zum Trocknen aufgehängt.
Daher gehört es auch zu den vorbereitenden Tätigkeiten der Abendschicht,
diese Wäsche dann vor Einlass abzunehmen und ggf. in die Kleiderkammer
einzusortieren. Weiterhin wird der Mitarbeiterbereich im Schlafsaal vorberei-
tet, z.B. Duschbad in kleinere Wegwerfbehältnisse umgefüllt.
Zudem werden die Betten jeden Abend ‚gemacht‘. Das heißt, die Bettde-
cken und -Laken werden ausgeschüttelt (durch den direkten Kontakt zum Hal-
len-, bzw. Erdboden gibt es in den Betten immer Sand und Gras). Bei Bedarf,
z.B. bei Rückständen von Blut oder Urin, wird das Bettzeug selbstverständlich
außerhalb des Wechselrhythmus‘ erneuert18.
Die Abendschicht benötigt neben zwei Abendverantwortlichen mindes-
tens sechs Mitarbeiter für den reibungslosen Ablauf. Weiterhin stehen ein

18 Hierin zeigt sich auch ein Nachteil, der dadurch entsteht, dass die NÜ III in
ihrem Zugriff auf saubere Bettwäsche von der Lieferung des Kältebusses abhängig ist.
- 22 - Soziale Exklusion von Notleidenden

Securitymitarbeiter bereit und ein Mitarbeiter der Energiefirma Care-Energy.


Dieser kümmert sich um den Zustand der Wärmehalle und ist unter anderem
verantwortlich für Temperatur und notwendigen Luftdruck.
Der Einlass der Gäste ab 21:00 Uhr erfolgt nach einem ähnlichen Prinzip
wie in der NÜ I: Etwa zwei bis drei Gäste werden gleichzeitig hineingelassen,
an einem Laptop werden Daten aufgenommen, anschließend Personenkon-
trolle und Gepäckabgabe.
Zum Einlass sind die Durchgänge in die Schlafbereiche zunächst noch
geschlossen, da die Mitarbeiter im Einlass- oder Küchenbereich benötigt wer-
den. Sobald die Schlafbereiche, zumeist zwischen 22:00 und 22:30 Uhr, geöff-
net werden, koordiniert ein Mitarbeiter dort die Bettenvergabe19, verteilt z.B.
Hygieneartikel und Handtücher. Weiterhin helfen auch hier die Mitarbeiter
bei Desinfektion/ Verband von Wunden, bei Rasur etc.
Die Notkleiderkammer ist nicht durchgängig besetzt, sondern es werden
bei Bedarf, bzw. Anfragen, Kleidungsstücke herausgegeben.
Gegen 23:30 Uhr wird das Licht ausgeschaltet, lediglich im Aufenthalts-
bereich leuchtet ein Baustrahler, und im Schleusenbereich, im Sanitär- und
Mitarbeitercontainer brennt durchgängig Licht. Abbildung 10 zeigt eine typi-
sche Situation kurz vor 01:00 Uhr: Während die Mitarbeiter im Küchenbe-
reich mit Aufräumen und Putzen beschäftigt sind, hat sich ein hungriger Gast
in den Aufenthaltsbereich begeben, um noch etwas zu essen. Im Gegensatz zur
NÜ I gibt es keine Abendandacht, bzw. Pause. Außerdem können sich die Gäs-
te die ganze Nacht frei zwischen Schlaf- und Aufenthaltsbereich bewegen20.
Abbildung 10: Aufenthaltsbe-
reich der NÜ III in der Nacht
[Eigenes Foto, 26.03.2015]

19 Außerdem wird auch in den Schlafsälen stärker die Gruppenstruktur der Gäste
deutlich: Unabhängig davon, dass viele Gäste, die regelmäßig da sind, ‚ihr‘ Bett bevor-
zugen – weshalb sie es sich zur Öffnung des Schlafbereichs quasi reservieren – befin-
den sich die Betten einer Clique meist beisammen.
20 Dabei kommt es nicht selten vor, dass leichtbekleidete Gäste schlaftrunken
durch den Aufenthaltsbereich laufen. Zum Beispiel, weil sie wach wurden und Durst
oder Hunger haben, weil sie noch eine Zigarette rauchen möchten, weil sie zur Toilette
müssen oder schlicht weil sie ruhelos sind, nicht schlafen können, Schmerzen haben
etc. Zwar kommt es im Abendverlauf regelmäßig dazu, dass Gäste ‚versehentlich‘ im
Aufenthaltsbereich einschlafen, aber vor allem wegen der stärker begrenzten Aufnah-
mekapazität, schlafen nur im Notfall vereinzelt Gäste im Aufenthaltsbereich.
Soziale Exklusion von Notleidenden - 23 -

In der Nachtschicht, die ab 00:30 Uhr beginnt, sind neben dem Nachtverant-
wortlichen lediglich zwei weitere Mitarbeiter anwesend. Neben Wäschewa-
schen, Aufräumen und Putzen bereiten die Mitarbeiter das Frühstück, belegte
Brote und Kaffee, vor. Ab 06:00 Uhr wird geweckt. Auch hier ist der Morgen
gekennzeichnet von großem Andrang der Gäste auf die Sanitärcontainer und
der Schwierigkeit für die Mitarbeiter, einerseits alle Gäste pünktlich zu we-
cken, andererseits gleichzeitig Gäste, die es eilig haben, genügend zu versorgen
und Gepäck auszugeben. Bis 08:00 Uhr sind auch hier alle Gäste gegangen.

3.3 Der Kältebus


„Da der Winter recht mild war, konnten sich die Mitarbeitenden genügend Zeit
für die persönliche Ansprache nehmen. Dies ist ein wichtiger Auftrag des
Kältebusses. Viele der Menschen, die besucht wurden, haben kaum Kontakte zu
anderen und sind komplett ausgegrenzt.“ [Wohlwend 2015, 6]

Der Kältebus der Berliner Stadtmission feierte am 01.11.2014 Jubiläum: Seit


20 Jahren suchen die Mitarbeiter des Berliner Kältebusses Obdachlose auf,
um ihnen auf Wunsch eine Fahrt in eine Notübernachtung zu ermöglichen.
Zwei Teams sind dabei jeden Abend zwischen dem 01. November und
dem 31. März des darauffolgenden Jahres unterwegs. Ausgerüstet mit einigen
Schlafsäcken, Isomatten, etwas Kleidung für den Notfall (Mützen, Socken),
einer Kleinigkeit zu Essen und warmen Getränken fährt der erste Bus von
19:00 bis 01:00 Uhr, der zweite von 21:00 bis 03:00 Uhr.
Dabei sind die Mitarbeiter immer zu zweit unterwegs: Während einer
den Wagen steuert nimmt der andere Mitarbeiter Anrufe entgegen und proto-
kolliert gemeldete und angefahrene Orte, bzw. Personen. Die Anrufe kommen
von unterschiedlichsten Menschen aus unterschiedlichsten Gründen: Von
Mietern, die einen hilflosen Wohnungslosen in ihrem Hausflur entdeckten,
von Passanten, die jemanden im Park liegen sehen, von Krankenschwestern,
die einen wohnungslosen Patienten nicht in die Kälte entlassen wollen, von
Ladenbesitzern, bei denen Wohnungslose Unterschlupf suchten, von Polizei-
beamten, die bei der obdachlosen Person warten, bis der Kältebus eintrifft,
von Mitarbeitern anderer Notübernachtungen, die jemanden wegen Überfül-
lung abweisen müssen, etc.
Ein Abend verläuft typischerweise so, dass sowohl Obdachlose aufge-
sucht werden, für die andere besorgte Menschen anrufen, als auch Obdachlo-
se, die dem Kältebusteam bereits bekannt sind. Bei ersteren passiert es durch-
aus nicht selten, dass die Personen, für die der Kältebus alarmiert wurde, gar
keine Kenntnis davon haben oder auch gar keine Hilfe wünschen und bei Ein-
treffen der Kältebusteams entweder bereits den Ort verließen oder ablehnend
reagieren. Da die Mitarbeiter jedoch zunächst nicht wissen können, ob die
- 24 - Soziale Exklusion von Notleidenden

gemeldete Person Hilfe braucht und wünscht, sind diese Situationen auch mit
längeren Suchen auf dem gemeldeten Gelände verbunden.
Neben der Versorgung und auf Wunsch auch den Transport in eine NÜ
von ‚gemeldeten‘ Personen suchen die Kältebusteams also auch ihnen bereits
bekannte Stellen auf, um die Menschen dort mit warmen Getränken, dicker
Kleidung oder Schlafsäcken zu versorgen. Bei dieser aufsuchenden Arbeit sind
auch die regelmäßigen Gespräche mit den oftmals sozial stark isoliert leben-
den Betroffenen sehr wichtig. Niemand muss das Angebot wahrnehmen, sich
mit dem Kältebus in eine NÜ bringen zu lassen, und häufig suchen die Kälte-
busteams ihnen bekannte Obdachlose auf, von denen sie wissen, dass sie das
Angebot der NÜ höchstwahrscheinlich nicht wahrnehmen werden. Bei be-
kannten Obdachlosen, die vom Kältebusteam regelmäßig (etwa ein Mal wö-
chentlich) auf ihrer ‚Platte‘ aufgesucht werden, bieten die Mitarbeiter immer
wieder ihre Hilfe an, versorgen sie – beispielsweise mit Schlafsäcken – und
nehmen ‚Bestellungen‘ auf, wie in etwa: ‚Könnt ihr nächstes Mal eine Mütze
für mich mitbringen?‘ [vgl. Protokoll, 78].
Für die Kältebusse gibt es zwei Teams. Im Kältebusteam I sind acht Mit-
arbeiter, im Kältebusteam II drei Mitarbeiter tätig. Diese Teams agieren übli-
cherweise getrennt voneinander, was bedeutet, dass sie auch unterschiedliche
Menschen auf ihren ‚Platten‘ aufsuchen [vgl. Mitarbeiter NÜ I, Protokoll, 96]:
„Ja und der Tomasz, der kennt zum Beispiel seine polnischen ‚Gangs‘. Kann
die direkt aufsuchen.“ [Michael, Protokoll, 83]. Es liegt also nahe, dass ein
polnischstämmiger Mitarbeiter auch polnischsprachige Obdachlose regelmä-
ßig auf ihrer ‚Platte‘ betreut.
Zur Spätschicht, an der ich am 29.01.2015 teilnehmen durfte, war ich
zunächst mit einem der Kältebusfahrer um 19:00 Uhr in der Lehrter Straße
verabredet. Dort werden noch organisatorische Vorbereitungen getroffen, der
Kältebus wird beladen, Kaffee und Tee werden vorbereitet. Die Mitarbeiter
nehmen noch an der, in der NÜ I üblichen, Abendandacht zu 20:30 Uhr teil
und brechen anschließend vom Gelände der NÜ I mit dem Kältebus auf. Hier-
für werden zuvor die Protokolle vom Vorabend durchgesehen, um zu wissen,
welche Orte am Vortag angefahren wurden.
Während dieser Schicht gab es 14 Anrufe, bei denen obdachlose Perso-
nen gemeldet wurden. Nach Erklärung der Mitarbeiter gibt es Abende, wo ext-
rem viele – also bis zu 60 – Anrufe eingehen und Abende, an denen das Tele-
fon kaum klingelt. Aufgesucht wurden insgesamt elf Orte. Davon wurde auf
bereits bekannten sechs ‚Platten‘, die das Kältebusteam auf Eigeninitiative
aufsuchte, zwei Mal niemand angetroffen. An den vier ‚gemeldeten‘ und aufge-
suchten Orten konnte zwei Mal niemand aufgefunden werden.
Soziale Exklusion von Notleidenden - 25 -

4 Zur Methode und Reflexion


Unterhaltung mit Gästen in der NÜ I:
Thorsten: „Wat machst’n Du hier?“ […]
Ich: „Ich wollte für meine Abschlussarbeit sehen, wie das hier so ist.“ […]
Maik: „Aber, Du hast sowas mit sozialer Arbeit noch nie gemacht?“
Ich: „Nein. Ich bin auch erst seit Januar dabei.“
Thorsten (lacht): „Ach, und da haste nüscht zu tun und hast Dir gedacht: ‚Geh ich
gleich mal inne Lehrter Straße. Nehm ich mal gleich die janz harte Tour‘.
Na, nur die Harten komm‘ in’n Garten, wa?“
[Protokoll, 127]

Mir war zuvor nicht bewusst, dass und warum die NÜ I als ‚harte Tour‘ be-
zeichnet wird. Von den Gästen. Und von den Mitarbeitern.
Das habe ich erst erfahren, als ich bereits dort war. Wie aus Kapitel 3 (S.
11) hervorgeht, sind die NÜ I und NÜ III nicht bewusst von mir gewählt wor-
den, sondern die Feldarbeit entwickelte sich dorthin, „wohin auch immer sich
ein Fuß in die Tür schieben ließ“ [Fetterman 1998, 480]. In erster Linie liegt
dieses Vorgehen auch in der inhaltlich offenen Herangehensweise begründet.
Für die Begleitung des Kältebusteams habe ich zeitnah einen Termin er-
halten. Aber als ich anschließend eine weitere Terminanfrage stellte, wurde
mir auch erklärt, dass aufgrund der vielen Terminanfragen für den Kältebus
(z.B. durch andere Mitarbeiter der Berliner Stadtmission, Sozialarbeiter,
Journalisten und Politiker) weniger gute Aussichten bestünden, in der Käl-
tesaison 2014-15 noch weitere Termine zu bekommen. Gerne hätte ich aus-
schließlich die Menschen aufgesucht, die das Angebot der NÜ nicht wahrneh-
men, dazu hätte ich jedoch wissen müssen, wo sie sich aufhalten21.
Allerdings erklärten mir die Mitarbeiter des Kältebusses auch, dass ich,
wenn ich wissen wollen würde, was die Menschen daran hindert, die NÜs auf-
zusuchen, ich das besser verstehen würde, wenn ich mir diese einmal selbst
ansähe. Weil diese Argumentation schlüssig ist, und weil bereits Kontakt zum
Kältehilfeteam der Berliner Stadtmission bestand, habe ich das Angebot
wahrgenommen. Damit verschob sich das ursprüngliche Vorhaben, draußen
‚auf der Straße‘ zu beobachten stärker in die Richtung der teilnehmenden Be-
obachtung in der Rolle der ehrenamtlichen Mitarbeiterin in den NÜs. Der Fo-
kus auf die Zielpopulation der Obdachlosen, die ihre Nächte lieber im Freien,
als in der NÜ verbringen, verlagerte sich nun auf die Gäste dieser Einrichtun-
gen sowie auf die Einrichtungen als solche.
Sicherlich haben diese beiden Fälle mit der NÜ I und der NÜ III den
Vorteil, dass sie sich hinsichtlich Größe, Einlasskriterien, Arbeitsabläufen rela-
tiv ähnlich sind und derselben Organisation angehören. Durch das Aufsuchen

21 Eine Mitarbeiterin der City-Station bot mir zumindest an, ‚einschlägige‘ Orte
zu nennen, die ich dann autonom hätte aufsuchen können. Aufgrund fehlender Beglei-
tung habe ich diese Möglichkeit nicht umgesetzt. Ich kann hier nicht leugnen, dass
auch meine eigene Unerfahrenheit mit dem Feld einen Teil dazu beigetragen hat.
- 26 - Soziale Exklusion von Notleidenden

beider NÜs ergaben sich Vergleichsmöglichkeiten, beispielsweise zwischen


den räumlichen Besonderheiten beider Einrichtungen, oder bezüglich der
Aufnahmekriterien nach Geschlecht. Für diese Arbeit ist zudem von Vorteil,
dass insbesondere die NÜ I ein ‚extremer‘ Fall ist. Weil dort Menschen Einlass
finden, die womöglich woanders abgewiesen werden, weil sie permanent über
ihre Kapazitätsgrenzen hinaus agiert und, weil es die ‚harte Tour‘ ist.
Retrospektiv würde ich an dieser Stelle jedoch mutmaßen, dass die Er-
gebnisse differenzierter hätten ausfallen können, wäre die Fallauswahl be-
wusst und nach dem Kontrastprinzip erfolgt. Das Aufsuchen von Einrichtun-
gen unterschiedlicher Organisationen, von unterschiedlicher Größe und auch
räumlich stärker verteilten NÜs hätte andere Resultate erzeugen können. Auch
größere Streuung hinlänglich der Einlasskriterien – mindestens jedoch nach
Geschlecht – wäre an dieser Stelle relevant. Die Zeit ist hier jedoch insofern
ein stärker eingrenzender Faktor, da das Kältehilfenetzwerk ausschließlich in
den Monaten zwischen November und März besteht.
Bezüglich der Häufigkeit, mit der die Einrichtungen aufgesucht wurden,
konnte ich nur im Fall der NÜ III selbstständig Terminentscheidungen treffen.
Im Vergleich hat es sich als großer Glücksfall herausgestellt, dass ich mit ins-
gesamt elf Besuchen in der NÜ III auch wiederholt Gespräche mit den gleichen
Personen führen konnte. Dort ließe sich argumentieren, dass dies eine Ver-
trauensbasis schafft, die mit weniger Terminen mutmaßlich nicht gegeben
gewesen wäre. Wenn Gäste sich mir gegenüber beispielsweise über das Sicher-
heitspersonal aufregen, sich über Mitarbeiter beschweren oder über andere
Gäste ‚lästern‘ wird dieser Aspekt relevant für die Forschungsfrage.
In den NÜs wurde ich in meiner Rolle als ehrenamtliche Mitarbeiterin je
nach Personalauslastung bestimmten Bereichen und Arbeitsaufgaben zugeteilt
(z.B. im Küchen-, Gepäck- oder Schlafbereich). Einerseits erlaubte dies nicht
immer, dass ich mich am frühen Abend ausführlich mit den Gästen unterhal-
ten konnte, andererseits konnte ich aber bei jeder dieser Tätigkeiten unter-
schiedlichste und wichtige Eindrücke sammeln22. Weil auch vorher nie klar
war, in welchen Bereichen ich eingesetzt werden würde, erübrigt sich auch der
Versuch einer strukturierten Beobachtung. Mit zunehmender Feldaufenthalts-
dauer war es jedoch möglich, einen gesonderten Aspekt gezielt zu beobachten.
Als Beispiel ließen sich hier von Gästen kritisierte Praktiken von den Mitarbei-
tern beim Wecken in den NÜs nennen, auf die ich jedoch erst durch die Un-
terhaltungen mit den Gästen aufmerksam gemacht werden konnte. Dieses
Beispiel verweist auch gleichzeitig auf ein Problem in der Rolle als teilneh-

22 Ebenso habe ich auch versucht, mich in der NÜ III bewusst in bereits ‚volle‘
Schichten einzutragen. Die Überlegung war, dass dann ausreichend Personal anwe-
send wäre und ich mich ausschließlich Gesprächen mit Gästen widmen könnte. Aller-
dings tauchten dann angekündigte Mitarbeiter nicht auf, und diese Abende stellten
sich vor Ort als personell unterbesetzt heraus.
Soziale Exklusion von Notleidenden - 27 -

mender Beobachter: Weil ich an diesem Morgen zum Wecken eingeteilt wurde
– die Gäste also selbst weckte – und mich überdies weigerte, besagte und von
Gästen kritisierte Praktiken hierbei anzuwenden, konnte ich natürlich nicht
beobachten, was ich ‚gerne‘ beobachtet hätte [siehe dazu Kapitel 5.5.3, 48].
Mitarbeiter der NÜs tragen kleine Namensschilder. Die Farbe der Schil-
der markiert, ob dieser Mitarbeiter dort mit Aufwandsentschädigung (blau,
bzw. orange für leitende Mitarbeiter), bzw. hauptamtlich (rot) tätig ist, oder
ehrenamtlich (weiß). Diese Farbcodierung ist auch etlichen Gästen bekannt
und es lässt sich an dieser Stelle mutmaßen, dass diese sogar von Vorteil wäh-
rend der Feldphase war23.
Aber auch unabhängig vom möglicherweise erleichterten Gesprächsein-
stieg durch die ‚Markierung als Ehrenamtliche‘ erlebe ich viele Gäste als offen
und gesprächig24. Das Interview nimmt hier jedoch eine spezielle Rolle ein:
Wenn mich Gäste (und Mitarbeiter) auf den Grund meiner Mitarbeit anspra-
chen und ich vom Thema dieser Abschlussarbeit erzähle, erlebte ich häufig
positive Resonanz. Ethisch problematisch an dieser Stelle bleibt aber der As-
pekt der informierten Einwilligung. Dabei ist beispielsweise unklar, ob zum
Befragten, der unter Rauschmitteleinfluss steht, überhaupt durchdrang, was
ich zuvor erklärte. Zum anderen bleibt die Beobachtung auch deswegen zu-
mindest teilweise verdeckt, weil es schlicht nicht möglich ist, immer alle Mit-
arbeiter und alle Gäste zu informieren.
Allerdings gelang es nur selten, Gäste direkt zum Thema zu befragen.
Zumeist ist es den Gästen ein Bedürfnis, über andere Themen zu sprechen.
Auch Nichtbefragbarkeit ist an dieser Stelle zu thematisieren. Selbst wenn sich
die Situation ergab, dass beispielsweise die Gründe für die Ablehnung der NÜ
direkt angesprochen werden konnten, waren Antworten nicht immer verwert-
bar, bzw. überhaupt verständlich (um beim gleichen Beispiel zu bleiben: Wenn
der unter Rauschmitteleinfluss stehende Befragte zwar mit guten Absichten
antwortet, daraus jedoch eine eher wirre Geschichte entsteht).

23 Eine beispielhafte Situation, an der dies konkret auszumachen ist, wäre eine
Unterhaltung mit einem mir zuvor unbekannten Gast. Er kommt an den Tresen wäh-
rend ich dort Essen ausgebe und stellt sich mir vor. Er schaut auf mein Namensschild
und fragt: „Du machst das hier ohne Geld?“ Ich antworte „Ja“. Er sagt: „Danke, dass
finde ich toll von Dir. Lass uns später doch mal sprechen.“ [Gast NÜ III, Protokoll,
119]. Anders herum ist es jedoch auch nicht ungewöhnlich, dass manche Gäste finden,
dass Mitarbeiter mit weißen Schildern ihnen ‚nichts zu sagen haben‘ – insbesondere in
Konfliktsituationen wird das deutlich.
24 Trotz, oder gerade wegen der Offenheit der Gäste bleibt etliches in den Proto-
kollen unerwähnt – ohnehin ist eine vollständige Erfassung nicht möglich. Intime
Details persönlicher Biographien, Verweise auf möglicherweise illegale Tätigkeiten
bzw. Andeutungen auf Orte fehlen ebenso, wie alle Erzählungen der Gäste, die zum
Beispiel explizit mit Phrasen wie ‚das bleibt aber unter uns, ja?‘ beginnen (oder en-
den). Mit dem Verweis auf forschungsethische Bedenken sei hier auch erwähnt, dass
gerade in Gesprächen mit den Gästen ‚seelsorgerische‘ Tätigkeiten vorrangig gegen-
über der Forschungsfrage zu betrachten sind – sofern sich überhaupt ein Bezug zur
Forschungsfrage ausmachen ließe.
- 28 - Soziale Exklusion von Notleidenden

Was Gespräche von Seiten der Gäste also oftmals limitiert, sind Sprache,
Müdigkeit oder die mentale Verfassung (wie im Beispiel durch Drogen oder
Krankheiten beeinträchtigt). Von meiner Seite aus wurden Gespräche auch
durch die Arbeit selbst limitiert: Das Bedienen eines hungrigen Gastes oder
das Wechseln der Bettwäsche eines Gastes, der sich einnässte, hatte stets Vor-
rang vor Unterhaltungen – egal wie fragerelevant diese gerade ist.
Für einen erleichterten Gesprächseinstieg mag zudem auch Aussehen,
Kleidung (hier eher im Verweis auf das alternative Milieu gemeint, wie Haar-
farbe und Körperschmuck) und womöglich sogar Berliner Dialekt (in seiner
Funktion als Soziolekt) methodisch relevant sein. Kenntnisse zur
(Rechts)Rock-, Gothik-, Metal- oder Punkszene und darauf verweisende Codes
der Gäste in Form von Kleidung(sstil), Tätowierungen oder Redensarten und
Textpassagen bekannter Songs finden häufiger Thematisierung. Das Rauchen
und Tabak sind ebenfalls häufig kontaktstiftende Elemente: Gerade die Rau-
cherbereiche sind auch oft die Bereiche, in denen die ganze Nacht über Gäste
gemeinsam sitzen und reden.
Zur Qualität der Protokolle ist anzumerken, dass während der Beglei-
tung des Kältebusteams der Vorteil bestand, dass während der Fahrt sehr aus-
führliche Notizen angefertigt werden konnten. Im Gegensatz dazu habe ich
während der Aufenthalte in den Notübernachtungen vor Ort zwischendurch
kürzere Notizen anfertigen können und entlang dieser nach Feierabend das
Protokoll vervollständigt und digitalisiert.
Abschließend soll zur Reflexion nicht unerwähnt bleiben, dass während
der Feldarbeit die Fragestellung dieser Arbeit permanent von anderen, und in
dieser Situation durchaus hochgradig relevanten Fragen abgelöst wurde:

„Ich bin soooo tollpatschig, ist ein Arzt noch da?“ [Jennifer, Protokoll, 129],
„Stimmt es, dass die Halle im März zumacht? Was mache ich denn dann?“
[Ralph, Protokolls, 107], „Kannst Du mitgucken, ob ich meine Tabletten richtig
nehme[…]?“ [Ronny, Protokoll, 156], „Ist noch Schokolade da?“ [Olli, Protokoll,
153], „Legst Du mir einen neuen Verband an?“ [Gast NÜ III, Protokoll, 146],
„Kannst Du mir die Haare schneiden?“[vgl. Maik, Protokoll, 157].

Es gelang mir nicht, zwischen all diesen kleinen und großen Sorgen, zwischen
Zuhören, Trösten, Aufmuntern, Essensausgabe und Bettenbeziehen den Fokus
ständig und ausschließlich auf Feldnotizen, geschweige denn auf diese Arbeit
zu lenken. Eventuell gerade weil es ‚den Obdachlosen‘ mit homogenen Selbst-
verständnis einer Gruppe meiner Einschätzung nach nicht gibt, liegt es auch
auf der Hand, dass es in den NÜs so viele unterschiedliche Gäste gibt, dass
eigentlich etliche dabei sein ‚müssten‘ mit denen man sich sehr gut versteht.
Deren individuelle Notlage und Probleme mich in diesem Moment jedoch
nicht minder beschäftigten, als bei allen anderen auch.
Soziale Exklusion von Notleidenden - 29 -

5 Inanspruchnahmebarrieren
„Es rufen so viele Menschen an wegen dir, weil sie sich Sorgen machen. Sollen wir
dich in eine Notübernachtung bringen?” [-] “Auf keinen Fall! Dort ist es so voll und
das letzte Mal habe ich mir dort Läuse geholt. Mein Platz hier ist wenigstens
windgeschützt. Viele Leute stellen mir Lebensmittel hin oder geben mir Geld.
Der Bäcker bringt mir sogar jeden Tag Brötchen.” [Kältehilfetagebuch 2014, online]

Obiges Zitat erklärt, warum Jürgen nicht mit dem Kältebusteam in die NÜ
möchte. Er hat dort bereits schlechte Erfahrungen gemacht: Es ist zu voll, Pa-
rasiten hatten ihn befallen und er fühlt sich an ‚seinem Platz‘ gut versorgt.
Die nachfolgenden Abschnitte beziehen sich auf weitere mögliche Grün-
de, welche mal mehr, mal weniger explizit während der Feldphase zum Aus-
druck gekommen sind. Diese Abschnitte richten sich entlang des Prozesses der
Inanspruchnahme, verdeutlicht in Abbildung 11.
Abbildung 11: Inanspruch-
nahmebarrieren im Prozess
[Eigene Darstellung]

Zunächst müssen Kenntnisse über das Bestehen der NÜ vorliegen, und wei-
terhin über Ort, Einlassbedingungen und Öffnungszeiten. Anschließend benö-
tigt es konkrete Ambitionen, dieses Angebot auch wahrnehmen zu wollen.
Beides ist gemeinsam mit der Erreichbarkeit der NÜ sowohl in sich zu be-
trachten, als auch in Kopplung mit den Tätigkeitsfeldern der Kältebusse. An-
schließende Zugangsbarrieren beziehen sich entweder auf den Zugang in den
Kältebus oder in die NÜ. Zuletzt bleiben die Erfahrungen der Betroffenen mit
der lokalen Situation als argumentative Barriere gegen das Aufsuchen der NÜ.

5.1 Die NÜ kennen


„Die ganze Zeit habe ich draußen geschlafen. So unter einer Bank. Da wusste ich noch
nichts von der Halle. Sonst wäre ich viel früher hier hergekommen, ich kenne die
aber erst seit Dezember.“ [Ralph, Protokoll, 106]

Ralph, etwa 50 Jahre alt und drogenabhängig, verlor im Oktober 2014 seine
Wohnung. Er hat starke Schmerzen in der Hüfte und meint, das käme der un-
günstigen Schlafposition unter einer Parkbank. Zwei Monate schlief er so
- 30 - Soziale Exklusion von Notleidenden

draußen, bis ihn der Kältebus ‚aufsammelte‘. Seine Beschwerden haben sich
aber auch nicht gebessert, seit dem er in der NÜ III schläft, denn seine Hüftge-
lenksentzündung benötigt Ruhigstellung zum Ausheilen.
Ralphs Fallbeispiel zeigt, dass sich bezüglich der Zugangsbarrieren auch
immer wieder Überschneidungen finden: Die Unwissenheit über die Notun-
terkünfte, Hilflosigkeit durch geistige Beeinträchtigungen25 und eingeschränk-
te Mobilität aufgrund starker Schmerzen. Außerdem macht Ralphs Darstel-
lung deutlich, dass die individuelle Neuheit der Obdachlosigkeit und eigene
Kontaktfreudigkeit mit den Kenntnissen über NÜs zusammenhängen. Er be-
schreibt sich selbst als eher verschlossenen Menschen und zeigt sich auch in-
nerhalb der NÜ vorwiegend einzelgängerisch.
Als Kontrastbeispiel zeigt sich die Situation eines anderen Gastes der NÜ
III: Auch Ronny, etwa 35 Jahre alt, ist erst kürzlich obdachlos geworden. Auf
dem Weg zur NÜ III treffe ich in der Bahnhofshalle zwei mir bekannte Gäste,
die zusammen mit Ronny dort warten, bis die Halle öffnet. Sie stellen ihn mir
vor und erzählen, dass sie ihn heute kennengelernt und ‚mitgebracht‘ hätten,
weil Ronny nicht wusste, wohin er sonst gehen könnte [vgl. Protokoll, 155].
Demnach stehen besonders unerfahrene und einzelgängerische Be-
troffene vor dem Problem, die Angebote nicht zu kennen und nicht zu wissen,
wie sie sich die Informationen beschaffen können. Trotzdem die Informatio-
nen über Unterkunftsmöglichkeiten im Kältehilfewegweiser gesammelt darge-
stellt werden (von der Koordinierungsstelle Kältehilfetelefon und –datenbank)
und auch das Kältehilfetelefon Auskunftsmöglichkeiten bietet, gelingt es nicht,
alle Betroffenen über diese Kanäle zu erreichen. Dies unterstreicht die Wich-
tigkeit des Kältebusangebots umso mehr: Bei einem Gespräch über eventuelle
Sprachbarrieren und die Bekanntheit des Kältebusangebots insbesondere bei
Nicht-Berliner Betroffenen erklärt ein Kältebusfahrer:

„Unser Bild spricht für uns [...]. Die sehen ‘ne Kanne und wissen, was wir ma-
chen. [...] Wenn einer richtig Hilfe braucht, brauche ich nur die Tür aufzuhalten
und dann steigen die rein. Natürlich ist das auch schon vorgekommen, dass die
überrascht waren, wo sie ankommen, aber in dem Moment ist Sprache kein
Problem.“ [Michael, Protokoll, 83].

Wie jedoch eine Unterhaltung mit einem unter Rauschmitteleinfluss stehen-


den Obdachlosen an diesem Abend und auch die Erfahrungen der DRK Wär-
mebusteams zeigen [vgl. Kapitel 1.1, 3], sind Verständigungsschwierigkeiten
insgesamt nicht unerheblich, sei es aufgrund des Bewusstseinszustandes oder
aufgrund der Sprache.

25Bei unserem ersten Zusammentreffen erklärt Ralph: „Ich hatte nur das Geld im
Kopf. Ich wollte keine Miete mehr zahlen. Ich dachte, ich könnte die Miete einsparen.
[Aber] seit ich auf der Straße lebe, höre ich die Stimmen nicht mehr. Alleine in der
Wohnung war das schlimm. Ich bin schizophren, aber Stimmen höre ich jetzt nicht
mehr.“ [Ralph, Protokoll, 106].
Soziale Exklusion von Notleidenden - 31 -

Neben dem Wissen, welche Einrichtungen es gibt und wie man dorthin ge-
langt, zeigte sich während dieser Kältebusfahrt auch, dass die jeweilige Vor-
stellung über die Angebote eine wichtige Rolle spielt. Gekoppelt an die eigene
Situationswahrnehmung und -definition der Betroffenen stellt sich das ver-
meintliche Wissen über die NÜ und den Kältebus als eine Form der Barriere
dar, die dazu führt, dass das Angebot trotz Kenntnisse über deren Existenz
nicht in Anspruch genommen wird. Das Problem liegt in dem Fall nicht darin,
das Angebot nicht zu kennen und prinzipiell nicht in Anspruch nehmen zu
wollen, sondern darin, dass Betroffene eine andere Vorstellung davon haben
und glauben, nicht berechtigt zur Inanspruchnahme zu sein.
Während der Kältebusfahrt rufen Anwohner eines Hellersdorfer Ge-
schosswohnungsbaus Kältebus und Polizei zur Hilfe: Eine stark alkoholisierte
Frau hält sich dort im Hausflur auf. Es handelte sich um Nicole, etwa 40 Jahre
alt. Sie berichtet, dass sie wegen häuslicher Gewalt vor zwei Tagen vor ihrem
Mann aus der Wohnung floh. Sie habe versucht, in einer Frauenunterkunft
Obdach zu finden, sei aber abgelehnt worden. Nicole trägt saubere und höher-
wertigere Kleidung, zudem diversen Schmuck. Die Fingernägel sind manikürt.
Bei der Ankunft des Kältebusses wird Nicole beidseitig von den bereits einge-
troffenen Polizisten gestützt. Barfuß geht sie mit ihnen den Hausaufgang in
Richtung Kältebus hinunter, eine Polizistin hält ihre Lederhighheels. Nicole
ruft: „Ich hätte nicht gedacht, dass ihr kommt. Wenn man so aussieht, wie ich,
hilft einem doch keiner.“ [Nicole, Protokoll, 71]. Ihr ist kalt, sie ist müde, be-
trunken und traurig. Es ist ihr egal, wo sie hingebracht wird, Hauptsache es ist
warm. Sie steigt in den Kältebus, und meint: „Ich hab’ gedacht, man muss
richtig abgewrackt sein, damit man mitgenommen wird. Ich bin so nicht. Ich
will nicht abgewrackt sein. [...].“ [ebd.].
Letzteres Zitat verdeutlicht auch, dass das Wahrnehmenwollen der An-
gebote der NÜ hier gleichzeitig mit dem Eingestehen der eigenen situativen
Zuständlichkeit einhergeht.

5.2 Die NÜ in Anspruch nehmen wollen


„Eine Frau im Park, die hat da auch schon offensichtlich länger geschlafen, lag da
auf einer Bank. Sie hat behauptet, sie probiere hier nur ihre neue Jacke aus. Oder,
was ich auch höre: Ich habe eine Wohnung, in der riecht es aber komisch.“
[Michael, Protokoll, 69]

Obiges Zitat des Kältebusfahrers zeigt, dass die Mitarbeiter vor verschiedenen,
mitunter kurios wirkenden Erklärungen zur Verweigerung stehen, wenn sie
Obdachlosen Hilfsangebote unterbreiten. Ein Mitarbeiter erklärt, es sei regel-
recht ein ‚Reflex‘ zu beobachten, dass Hilfsangebote nicht angenommen wer-
den, weil ‚man ja nicht dazugehöre‘ [vgl. ebd.]. Das Annehmen der Hilfsange-
bote kommt zudem dem Eingeständnis der eigenen Situation gleich.
- 32 - Soziale Exklusion von Notleidenden

Während wir an einer wohnungslosen Frau vorbeifahren, die in der Fußgän-


gerzone sitzt, erklärt der Kältebusfahrer, dass sie von ihnen regelmäßig aufge-
sucht wird. Sie nehme auch ein warmes Getränk an, aber sonst keine weiteren
Hilfsangebote und habe verschiedene ‚Ausreden‘: Beispielsweise würde sie
hier auf jemanden warten, der sie gleich abholt oder sie reihe sich nur mit an-
deren Leuten vor einem Geschäft ein [vgl. ebd.]. Er erzählt von einer weiteren
obdachlosen Frau, die die NÜ mit der Begründung ablehnt, dass sie einen Vi-
rus habe und deswegen nicht unter Leute dürfe [vgl. Michael, Protokoll, 70].
Dabei lässt sich nur schwer abklären, ob diese Begründungen wirklich
‚nur Ausreden‘ sind, aus welcher Motivation heraus sie genannt werden und
inwiefern Störungen der geistigen Entwicklung oder tatsächliche (psychische)
Erkrankungen damit zusammenhängen.
Mögliche Motivationen, den Helfern unterschiedlichste Begründungen
vorzuschieben, um Hilfsangebote anzulehnen, befinden sich neben der Leug-
nung des ‚Dazugehörens‘ und des Nicht-Eingestehenwollens der eigenen Situ-
ation auch in Stolz- und Schamgefühlen der Betroffenen26. Hier finden sich
auch Kopplungen an die in Kapitel 4.5 angeführte Situation vor Ort. Bedingt
durch die Niedrigschwelligkeit der NÜs finden sich dort auch zum Teil verhal-
tensauffällige Persönlichkeiten und Gäste in sehr schlechter körperlicher Ver-
fassung zu denen ‚man erst recht nicht dazugehören möchte‘. Dadurch sei be-
sonders das Angebot der Lehrter Straße mit einem sehr schlechten Ruf unter
den Obdachlosen behaftet: „Daher gehen sehr viele nur dorthin, wenn es sehr,
sehr kalt ist oder nicht mehr anders geht“ [Chris, Protokoll, 70], erklärt einer
der Kältebusfahrer.
Auf der anderen Seite können auch Angststörungen und Phobien ursäch-
lich sein, die Örtlichkeiten der NÜs zu meiden: Unter anderem wären hier z.B.
Angst vor Menschen(massen), überfüllten Plätzen, engen Räumen oder auch
vor Ansteckung durch Bakterien oder Viren. Beispielhaft wäre hier das regel-
mäßige Aufsuchen von Juan in der Nähe des Hauptbahnhofs durch die Kälte-
busmitarbeiter. Juan leidet an einer sozialen Phobie, was zudem die Koopera-
tion mit den Kältebusmitarbeitern stark erschwert. Besonders auf Fremde rea-
giert er mit großer Angst, und nicht immer erkennt er das Kältebusteam. Eine
Notübernachtung aufzusuchen ist aber auch wegen Juans Klaustrophobie für
ihn ausgeschlossen [vgl. Protokoll, 68 f.].
Als während dieser Fahrt kurz vor 22:00 Uhr eine Passantin den Mitar-
beiter des Kältebusses telefonisch über eine wohnungslose Person in Charlot-

26 In einem Artikel der Aktion Mensch äußert eine andere Kältebusmitarbeiterin:


„Und man ist stolz aufs Durchhalten […] Der Gang in eine Notunterkunft erscheint
manchen wie eine Kapitulation, der letzte Rest Selbstständigkeit weicht dann.“ [Kälte-
busmitarbeiterin, zitiert nach Rübel 2014, online].
Soziale Exklusion von Notleidenden - 33 -

tenburg benachrichtigt, die dort mit mehreren Matratzen am Parkrand liegen


würde, erklärt der Kältebusfahrer:

„Wundern Sie sich nicht, wenn er die [nächsten] Tage immer noch da liegt. Ge-
rade wenn er eine Matratze dort zu liegen hat, wollen die Menschen dort ja gar
nicht weg.“ [Michael, Protokoll, 70].

Später erklären beide Kältebusfahrer, dass besonders, wenn Obdachlose sich


ein ‚Lager‘ einrichten, die Angst besteht, dass ihre Besitztümer geklaut
und/oder von der BSR entsorgt werden, sofern sie nicht alles in die Notüber-
nachtung mitnehmen können [vgl. Protokoll, 75].
Dies koppelt sich dann an die Überlegung, dass die ‚eigene Platte‘ zum
Zuhause geworden ist, erst recht, wenn Konstellationen in Gruppen gegen das
Wahrnehmen eines Platzes in der NÜ sprechen. Als das Paar Matthias und
Andrea wegen schlechterer Wetterverhältnisse von ihrer ‚Platte‘ wegmussten,
nahm sie Stefan bei sich auf seiner ‚Platte‘ auf. Zu dritt teilten sie sich einen
Platz im Eingang eines Kaufhauses, als sie mit dem Kältebus aufgesucht wer-
den. Sie liegen eingehüllt in einige Decken und Schlafsäcke, um sie herum ste-
hen diverse Spirituosenflaschen verteilt27. Die NÜ I möchten die drei nicht
aufsuchen, wenn es dort „immer noch so schlimm [ist] mit den Polen und
Russen und so“ [Matthias, Protokoll, 77 f.]. Als die Mitarbeiter des Kältebusses
auf das Angebot der NÜ III zu sprechen kommen, legt Matthias seinen Arm
um Andrea und erklärt: „Das geht überhaupt nicht. Entweder nur wir zu dritt
oder gar nicht.“ [Matthias, Protokoll, 77]. Sie wissen, dass die Wärmehalle der
NÜ III in diesem Jahr keine Frauen aufnimmt.

5.3 Die NÜ erreichen


„Ich bin ja mittellos, ich muss da ja hinlaufen.“ [Jens, Protokoll, 115]

In der Nacht vom 16. zum 17. März 2015 erreicht Jens erst nach Mitternacht
die NÜ III. Er hatte sich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln verfahren und
als sein Fahrticket nicht mehr gültig war, musste er lange laufen, um sich wie-
der zurechtzufinden. Auch wenn Jens tagsüber eine andere Einrichtung aufsu-
chen möchte, sollte sie für ihn bestenfalls fußläufig zu erreichen sein [vgl.
Jens, Protokoll, 115]. Am 22.03.2015 berichtet mir Jens, dass er am Vortag in
einem Park übernachten musste, weil er zu weit entfernt von der Notüber-
nachtung war. Er hatte sich verlaufen [vgl. Jens, Protokoll, 122].

27 Auch wenn die Beschreibung der Szene das Vorurteil nahelegen könnte, dass
Obdachlose NÜs nicht aufsuchen würden, weil dort z.B. der Alkoholkonsum untersagt
ist, erklärt ein Kältebusfahrer, dass insbesondere langjährige und damit kälteerfahrene
Obdachlose den Alkoholkonsum mitunter stark reduzieren, wenn sie draußen schla-
fen: „Man muss ihnen nicht erzählen, wie sie draußen zu übernachten haben, das wis-
sen sie. Sie machen das seit Jahren. Das heißt, sie sind dann auch sehr diszipliniert
und wissen, was sie zu tun und zu lassen haben.“ [Chris, Protokoll, 69].
- 34 - Soziale Exklusion von Notleidenden

Sofern Betroffene das Angebot der NÜ kennen und auch aus eigener Kraft
wahrnehmen möchten, zeigt Jens‘ Beispiel, dass es jedoch nicht immer gelingt,
die Einrichtung zu erreichen. Sei es, weil öffentliche Verkehrsmittel nicht
mehr fahren, weil kein Fahrticket gekauft werden kann, oder weil sie sich ver-
irrten. So erklärt mir auch ein Gast, den ich sowohl in der NÜ I, als auch in der
NÜ III traf, dass er keine Präferenzen für eine der NÜs habe, sondern nur die
aufsucht, an der er gerade am nächsten ist [vgl. Leon, Protokoll, 105].
Für die Menschen, denen das Aufsuchen einer NÜ nicht aus eigener
Kraft gelingt, soll das Angebot des Kältebusses neben Informationen über die
Einrichtungen auch eine Beförderungsmöglichkeit darstellen. Allerdings zei-
gen sich insbesondere drei Schwellen bei diesem Hilfsangebot:
 Meldungen hilfebedürftiger Personen aus der Bevölkerung,
 Aufsuchen dieser gemeldeter Personen und
 Mitnahme von Personen, die in eine NÜ möchten.
Während der Fahrt mit dem Kältebus gab es 14 telefonische Hinweise über
obdachlose Personen an diesem Abend28. Bereits bei diesen 14 Anrufen konn-
ten nicht alle gemeldeten Personen aufgesucht werden. Es ist ab einer be-
stimmten Anzahl von Anrufen aufgrund der räumlichen Distanz der gemelde-
ten Menschen gar nicht möglich, dass alle Meldungen abgearbeitet werden
können.
Wenn Anrufe beim Kältebusteam eingehen, kommt es vor, dass die Mit-
arbeiter die beschriebene Person kennen und den Anrufenden darüber infor-
mieren, dass dieser bereits regelmäßig betreut wird. Aufgrund bisheriger Er-
fahrungen können die Mitarbeiter abschätzen, ob diese bereits bekannte Per-
son wahrscheinlich Hilfsangebote annimmt oder nicht. So äußert ein Kälte-
busfahrer am Telefon zu einer Anruferin: „Die Dame kenne ich, vielleicht brin-
gen wir ihr heute noch einen Tee, sie nimmt aber nie Hilfe an.“ [Michael, Pro-
tokoll, 70]. Oder die Mitarbeiter haben frustrierende Erfahrungen mit diesem
Menschen gemacht, sodass sie die ihnen zur Verfügung stehende Zeit in einer
Schicht lieber in Personen investieren möchten, bei denen sie von einer höhe-
ren Kooperationsbereitschaft ausgehen können. Beispielhaft wäre hier ein An-
ruf aus einem Krankenhaus, bei dem gemeldet wurde, dass ein Rollstuhlfahrer
nach ambulanter Behandlung nicht wisse, wo er schlafen könnte. Aufgrund
von Name und Beschreibung wurde bereits am Telefon schnell deutlich, dass
es sich um jemanden handelte, den einer der Kältebusmitarbeiter bereits am
Vorabend unter großem Aufwand in die NÜ I transportierte. Dort weigerte
sich dieser, die Einlassdurchsuchung zu passieren. Er wurde ausfallend und

28 Ein Artikel der Initiative Zuerst denken – dann klicken! (ZDDK) weist außer-
dem auch darauf hin, dass insbesondere bei Facebook mit guter Absicht geteilte Bilder
mit falschen Telefonnummern für die Kältebusse kursieren [vgl. Mimikama 2014,
online]. Von einer auf Facebook geteilten Liste von Telefonnummern für Kältebusse
stellten sich mindestens zwei Nummern für acht Städte als falsch heraus [vgl. ebd.].
Soziale Exklusion von Notleidenden - 35 -

beschwerte sich darüber, dass es menschenunwürdig sei, ihm den Drogenkon-


sum in der NÜ zu verwehren, um anschließend selbst die Polizei deswegen zu
verständigen und sich letztlich für eine Nacht im Freien zu entscheiden [vgl.
Protokoll, 80f.]. Er wurde an diesem zweiten Abend nicht erneut abgeholt.
Weiterhin bemerken die Kältebusmitarbeiter das Phänomen, dass für
Obdachlose in Gruppen sehr viel weniger Anrufe eingehen, als für obdachlose
Einzelpersonen [vgl. Chris, Protokoll, 83].
Es kommt ebenfalls vor, dass – wie im Fall von Nicole – die hilfesuchen-
de Person vor Ort äußert, dass sie die Unterstützung des Kältebusses wünscht.
Besonders ärgerlich ist es jedoch, wenn die Kältebusse ohne Kenntnis der ge-
meldeten Person verständigt werden und die Mitarbeiter dann bei Eintreffen
niemanden vorfinden oder die vorgefundenen Personen Hilfe ablehnen. Man-
gelnde Kommunikation der Passanten mit den Obdachlosen führt bei Meldung
an den Kältebus also auch dazu, dass entweder Obdachlose aufgesucht wer-
den, die jegliche Hilfsangebote ablehnen, oder, dass die gemeldeten Personen
gar nicht wissen, dass der Kältebus für sie gerufen wurde und sie zum Zeit-
punkt des Eintreffens vom gemeldeten Ort verschwunden sind. ‚Bewaffnet‘ mit
Taschenlampen durchsuchen die Mitarbeiter das Gelände, an dem sich laut
Anrufenden zuvor Hilfesuchende befanden [vgl. Protokoll, 74f. und 80]. Das
kostet Zeit, die in andere hilfebedürfte Personen hätte investiert werden kön-
nen.
Dabei zeigte sich während der Fahrt mit dem Kältebus, dass in dieser
Schicht vier Orte aufgesucht werden konnten, an denen Privatpersonen eine
hilfesuchende Person meldeten aber nur an zwei Orten tatsächlich jemand
aufgefunden werden konnte. An diesem Abend machten die Mitarbeiter be-
sonders den Wetterwechsel dafür verantwortlich: Zu Schichtbeginn war es
noch trocken, während im Abendverlauf zunehmend Schnee fiel und dieser
auch liegen blieb. An beiden Orten ist viel Zeit investiert worden, um die wo-
möglich vor dem Wetter geflüchteten, gemeldeten Personen in einem Unter-
schlupf oder gar unter dem Schnee im Park ausfindig machen zu können.
Widersinniger Weise führen also gerade schlechtere Wetterbedingungen
dazu, dass gemeldete Obdachlose weniger oft angetroffen werden, aber auch
gleichzeitig zu weniger Anrufen aus der Bevölkerung. Dazu erklärt ein Kälte-
busfahrer: „Bei Schnee und Regen bekommen wir sehr viel weniger Anrufe.
Die Leute verkriechen sich und niemand will offen im Nassen liegen.“ [Micha-
el, Protokoll, 80]. Zudem würden die Passanten weniger häufig überhaupt
Obdachlose bemerken, wenn starker Regen oder Schnee dafür sorgt, dass die
Passanten mit gesenktem Kopf schnellstmöglich freie Räume überqueren [vgl.
ebd.].
- 36 - Soziale Exklusion von Notleidenden

Die Flucht vor Witterungsbedingungen kann auch einer der Gründe sein, wes-
halb die Kältebusmitarbeiter mitunter auch niemanden an den ihnen bekann-
ten Orten antreffen. Auch dies kam während der Kältebusfahrt an diesem
Abend insgesamt zwei Mal vor. Weitere Gründe können im besten Fall ein
Platz in einer Unterkunft sein, aber auch Umzug auf eine andere ‚Platte‘. Im
schlechtesten Fall Gefängnis- oder Krankenhausaufenthalt, oder Tod.
Auch die Uhrzeiten, zu denen die Kältebusteams unterwegs sind, können
hier eine Rolle spielen. Alle Kältebusse Berlins sind zwischen 18:00 bis 03:00
Uhr unterwegs. Als kurz vor drei Uhr während der Fahrt mit dem Kältebus ein
Hilfegesuch aus dem Norden Berlins wegen Uhrzeit und Distanz abgewiesen
werden muss (die Mitarbeiter sind in diesem Moment noch damit beschäftigt,
die Sitzbank des Busses von Fäkalien zu reinigen), frage ich, weshalb die
Nachtschicht bis ausgerechnet 03:00 Uhr läuft. Mir wird erklärt, dass dies
eine Uhrzeit sei, wo besonders unter der Woche nur noch Wenige überhaupt
draußen seien. Am Wochenende seien auch mehr Obdachlose draußen, aber:

„Wir lassen ja auch nicht Punkt drei Uhr alles fallen und machen Feierabend.
[…] Aber das ist so die Uhrzeit, wo viele schlafen. Ab einer bestimmten Uhrzeit
passiert einfach nichts mehr, das hat sich so eingespielt über die Jahre. Wir ma-
chen das ja schon lange. Na, und um vier Uhr brauch ich die auch nicht mehr
wegen Kaffee wecken.“ [Chris, Protokoll, 82].

Weiterhin besteht das Problem, dass der Kältebus nicht für den Transport
mobilitätseingeschränkter Menschen ausgelegt ist. Während der Fahrt mit
dem Kältebus gelang es dem ambitionierten Kältebusteam nicht, einen im
Rollstuhl sitzenden Mann in den Bus zu bekommen. Über zwanzig Minuten
versuchten sie, den Mann auf die Sitzbank zu hieven, da er jedoch wenig Ko-
operation zeigte und sich immer wieder fallen ließ, blieb ihnen nichts Weiteres
übrig, als ihn mit einem Kaffee zu versorgen und wieder in den Bahnhof zu
bringen. Es komme jedoch sehr selten vor, dass sie jemanden, der möchte,
nicht in den Bus hineinbekommen. Beide Kältebusmitarbeiter sind von diesem
Erlebnis sehr mitgenommen und es kommt bei einem Gespräch zurück zur NÜ
I zum Ausdruck, wie frustrierend diese Erfahrungen sind und wie schwierig sie
die Situation für die Betroffenen insgesamt einschätzen:

Michael: „Das ist total die Ausnahme.“


Chris: „Das ist das erste Mal, das mir das passiert ist.“
Michael: „Das tut mir sooo leid, der Arme war echt vollgekotet.“
Chris: „Das habe ich auch schon lange nicht mehr gehabt. […] Ich bin wahnsin-
nig enttäuscht.“
Michael: „Bei Rollstuhlfahrern ist jeder überfordert, da holt keiner ’nen Kran-
kentransport. Die Polizei weiß ja auch nicht, was die mit dem machen sol-
len. Man weiß ja nicht wohin mit Ihnen […]. Haaaach, das passiert häufig,
dass man so’nen bitteren Abschluss hat. […] Ich versteh das nicht, der ist
uns einfach zusammengesackt.“
Chris: „Der wird nicht mehr richtig da gewesen sein.“ [...]
[Protokoll, 82].
Soziale Exklusion von Notleidenden - 37 -

5.4 In die NÜ hineingelangen


„Und da hab‘ ich halt in die Hose gepuschert. Was soll ich denn machen? […]“
[Helga, Protokoll, 139]

In der Nacht des 29.03.2015 kommt Helga in der NÜ I zu mir und erzählt mir,
wie sie das Warten an diesem Abend erlebte. Sie erklärt, dass sie seit 18:00
Uhr draußen gestanden habe, und dennoch sehr viele Menschen vor ihr bereits
da waren. Der Orkan Niklas kündigt sich an, bei etwa 4° C ist es sehr windig
und regnerisch. Als sie nach Stunden der Warterei dringend zur Toilette muss-
te, der Security aber ihrer Bitte nicht nachkommen konnte, ihren Platz ‚freizu-
halten‘, habe sie vor lauter Angst, sich wieder hinten anstellen zu müssen, in
ihre Hose uriniert. Darüber war sie so verzweifelt, dass sie den Mitarbeitern
im Einlass dann mit Anzeigen drohte. Sie entschuldigt sich mehrfach dafür,
dass sie ihre Scham und ihren Frust am Personal ausgelassen habe, erklärt
aber auch, wie anstrengend und belastend das Warten für sie war [vgl. ebd.].
Mitunter warten Gäste seit dem frühen Nachmittag vor dem Einlass der
NÜs. Wenn gegen 19:00 Uhr vor der NÜ III die Wartemarken ausgeteilt wer-
den, kommt es häufig zu Gerangel und Handgreiflichkeiten um ‚gute Num-
mern‘ (also Wartemarken mit niedriger Nummer und damit geringerer Warte-
zeit bis Einlass). Andere Gäste gehen entweder leer aus, oder müssen sich
Nummern ‚kaufen‘. So regen sich Gäste darüber auf, wie Nummern ‚getickt‘
werden und wie sie die Zustände bei der Wartemarkenvergabe erleben:

„Den Typen da hinten habe ich gefressen. […] Der Spinner mit dem blauen
Kappi. Der tickt Nummern. Das kotzt mich total an. Er steht dann da und
heimst sich die guten Nummern ein und vertickt die für so viel Wodka [Maik
zeigt zwischen Daumen und Zeigefinger etwa 10 cm] oder sonst was. […] Das
ist doch ein totales Durcheinander, die hauen sich ja gegenseitig auf’s Maul für
die Nummern. Der Kleine [Maik zeigt auf einen anderen Gast] hat heute drei
Mal auf dem Boden gelegen.“ [Maik, Protokoll, 156].

An einem anderen Tag kommt ein Gast sehr aufgebracht und wütend in der
Halle an. Während der Handgreiflichkeiten bei der Wartemarkenvergabe sei
seine eigene ‚niedrige‘ Nummer weggenommen worden:

„Ich hab noch zwei weitere Nummern in meiner Tasche. Ne 42 und ‘ne 56. Wie
blöde sind denn diese Türsteher bitte? Ich hatte niemals so eine hohe Nummer
und die muss mir jemand zugeschoben haben. Irgendeiner hat mir meine
Nummer aus der Tasche geklaut. Und da fehlen doch jetzt Nummern, ich hab
die doch selber in der Tasche und das will keiner merken? Und jetzt ist nüscht
Süßes mehr da.“ [Olli, Protokoll, 152f.].

Dass nichts Süßes mehr da ist, „is‘ dit schlimmste“ [Olli, Protokoll, 153]. Olli
fühlt sich bestohlen und ungerecht behandelt, er weint.
Insbesondere in der NÜ III höre ich häufiger von den Gästen, die es zu-
mindest geschafft haben hineinzugelangen, dass sie so spät da seien wegen der
Tumulte beim Warten (das wird besonders dann Thema, wenn aufgrund der
späten Ankunft dann bestimmte Lebensmittel aus sind).
- 38 - Soziale Exklusion von Notleidenden

Als sich an einem anderen Abend das Securitypersonal verspätet, welches für
gewöhnlich die Wartemarken austeilt, und ich auch erst gegen 19:15 Uhr dort
erscheine, bemerke ich bereits aus der Entfernung, dass die Gäste lauter und
unruhiger sind als sonst. Es kommt immer wieder zu Handgreiflichkeiten.
Auch noch Minuten später sind in der Wärmehalle laute Rufe von draußen zu
vernehmen. Eine Mitarbeiterin erzählt, dass das nicht ungewöhnlich sei, sie
sich aber auch nicht mehr trauen würde, in solchen Fällen selbst die Warte-
marken auszuteilen. Sie habe im Dezember den ‚Fehler‘ begangen, in einer
ähnlichen Situation die Wartemarken auszuteilen. Sie erzählt:

„Das war so in der Pfeffersprayphase […]. Ich weiß auch nicht genau, wieso ei-
gentlich, aber da hatten ungewöhnlich viele Leute Pfefferspray bei sich.“ [Mitar-
beiterin NÜ III, Protokoll, 116].

Bei der Wartemarkenvergabe sei sie in die Tumulte hineingeraten und hat das
Pfefferspray abbekommen [vgl. ebd.].
In den Wartebereichen der NÜs gibt es aber nicht nur sehr lange Warte-
zeiten, Handgreiflichkeiten um Wartemarken und Stehplätze, sowie Warte-
markenhandel, sondern auch Konflikte mit anderen Gästen und/oder dem
Securitypersonal, wie in Kapitel 5.5 ausführlicher beschrieben.
Neben der Kapazitätsgrenze in der NÜ III ist aber auch Geschlecht ein
Einlasskriterium. Dort werden ausschließlich Männer hineingelassen29. Weite-
re Einlasskriterien gibt es im Gegenzug zu höherschwelligen Angeboten nicht
(z.B. Nüchternheit, Läuse- und Krätzefreiheit, keine Tiere). Es sei denn, einem
Gast ist bereits wegen vorheriger Auffälligkeiten Hausverbot erteilt worden.
Es gibt drei verschiedene Härtegrade des Hausverbots, die je nach
Schwere des Regelverstoßes variieren. Ein Mitarbeiter der NÜ I erklärt, dass
zunächst Hausverbot für einen Abend in einer NÜ bei ‚Lappalien‘ wie Un-
freundlichkeiten, Lauterwerden, Anschnauzen oder ähnlichem erteilt wird.
Dabei hätte der Gast theoretisch die Möglichkeit, eine andere NÜ der Berliner
Stadtmission für diesen Abend aufzusuchen30. Die nächste Stufe des Hausver-
bots stellt die Sperre für die gesamte Saison in einer der NÜs dar. Dies wird
ausgesprochen bei nicht gefährlichen bzw. nicht gewalttätigen Auffälligkei-
ten31. Im schlimmsten Fall, z.B. bei Handgreiflichkeiten gegen Mitarbeiter,

29 In der NÜ I hingegen – so berichtete ein Mitarbeiter – sei es bisher noch nicht


dazu gekommen, dass sie Hilfesuchende abgewiesen hätten. Zwar erinnerte er sich
auch an sehr kalte Wintertage, bei denen im überfüllten Gemeinschaftsraum kaum
noch Platz gewesen sei, um sich hindurchzubewegen, aber ihre Leitlinie bleibt: Jeder
darf hinein.
30 Insbesondere bei Streitigkeiten der Gäste untereinander wird diese Hausver-
botsstufe auch deswegen häufig ausgesprochen, weil es – sofern nicht gerade ein Mit-
arbeiter genau in diesem Moment in die Situation involviert war – im Nachhinein
einzig aufgrund der Berichte der Gäste und entsprechenden Sympathien untereinan-
der häufig schwierig ist nachzuvollziehen, wie sich die Situation genau entwickelte.
31 Zunächst nur in einer NÜ Saisonverbot auszusprechen hat den Hintergrund,
dass es schon vorgekommen ist, dass ein Gast sich in einer NÜ mehrfach auffällig be-
Soziale Exklusion von Notleidenden - 39 -

wird ein Saisonverbot für alle NÜs der Stadtmission ausgesprochen [vgl. Mit-
arbeiter NÜ I, Protokoll, 97f.].
Abbildung 12 zeigt eine Tür im Gepäckbereich der NÜ I, auf der Fotos
von Gästen zusammengetragen wurden, die in der Saison 2014-15 Hausverbot
in allen Einrichtungen der Berliner Stadtmission erhalten haben.
Abbildung 12: Saisonales
Hausverbot in allen Einrich-
tungen der Berliner Stadtmis-
sion [Eigenes Foto,
10.02.2015]

Das Computersystem würde bei Einlass eines Gastes, bei dem Hausverbot be-
steht, ebenfalls Foto und Grund aufzeigen, aber dieser Mechanismus hängt
davon ab, dass betreffender Gast im Einlass auch korrekten, bzw. denselben
Namen nennt oder Mitarbeiter den Gast wiedererkennen. Unter den Bildern
auf der Fotowand steht zumeist der Name, manchmal aber auch Grund des
Hausverbots und Ort, falls sich der Vorfall in einer anderen NÜ der Berliner
Stadtmission zutrug. Dort zu lesende Gründe sind z.B. „Körperlicher Angriff
gegen Gast“, „Gewalt“ oder „NÜ 3 – Messerangriff“. Aber auch die Fotografien
können nicht sicherstellen, dass Gäste, die sich bereits grob gewalttätig zeig-
ten, nicht erneut Zutritt zur NÜ bekommen. Dabei ist das Hausverbot kein
Mittel, das nach steten Vorgaben leichtfertig ausgesprochen wird. Pro Saison
betrifft es etwa 40 Gäste, die ein Saisonhausverbot in allen NÜs der Stadtmis-
sion bekommen, und den Mitarbeitern ist die Problematik durchaus bewusst,
dass gerade diese Gäste häufig in anderen Noteinrichtungen gar nicht aufge-
nommen werden. Daher wird während eines wöchentlichen Meetings der Mit-
arbeiter gemeinsam über die stärkste Form des Hausverbotes entschieden.
In der NÜ III erlebte ich, dass die Mitarbeiter untereinander auch unter-
schiedlicher Meinung waren, ab wann einem betreffenden Gast ein (saisona-
les) Hausverbot erteilt werden sollte. Als eine Abendverantwortliche einen Tag
später über die vorherige Entscheidung ihrer Mitarbeiter, ein ‚nur‘ eintägiges

nahm, Mitarbeiter anderer NÜs aber berichten, dass sie nie Probleme mit dem Gast
hätten. Gründe dafür könnten mit den Besonderheiten in der Einrichtung selbst zu-
sammenhängen, vgl. Kapitel 5.5.
- 40 - Soziale Exklusion von Notleidenden

Hausverbot in der NÜ III zu erteilen, nachdem es zu einem Übergriff eines


Gastes mir gegenüber kam, reagiert sie entrüstet: „Ich hätte da sofort Saison-
verbot erteilt, was soll das denn? […] Da gibt es etliche andere, die hier rein
wollen.“ [Mitarbeiterin NÜ III, Protokoll, 160].
Wegen dieser Vorkommnisse lässt sich auch mutmaßen, dass neben dem
formalen Hausverbot eine Form des informellen Hausverbots der Gäste unter-
einander besteht: Als andere Gäste von dem Übergriff erfahren, sind sie er-
bost. Weil das einabendliche Hausverbot das Risiko birgt, am nächsten Abend
vor der NÜ III allein auf diesen Gast zu treffen32, beteuern andere Gäste:

„Da musst Du Dir aber gar keine Gedanken machen, und wenn wir draußen
pennen, is‘ mir egal. Der soll sich nicht mal trauen, Dich anzugucken, dann hat
der’n Problem.“ [Maik, Protokoll, 157].

Zudem gibt es jedoch noch eine weitere Form des formalen Hausverbots, das
an den Grundsatz gebunden ist, die NÜ am selben Abend nicht immer wieder
verlassen und betreten zu können: Wer einmal abends hinausgeht, kommt am
gleichen Abend nicht noch einmal hinein33. Vor allem in der NÜ I war auffäl-
lig, dass immer wieder Gäste nur kurz die Einrichtung aufsuchen, z.B. um et-
was zu essen, ärztliche Versorgung in Anspruch zu nehmen, zu duschen, Klei-
dung abzuholen oder einfach, um sich kurz aufzuwärmen, und danach wieder
gehen. Selbst wenn Gäste eigentlich vorhatten in der NÜ zu übernachten, gibt
es verschiedene Gründe, dann doch wieder zu gehen [dazu Kapitel 5.5].
Ein weiterer Grund nicht hineinzukönnen ist die Weigerung der Einlass-
durchsuchung, bzw. das Gepäck abzugeben oder durchsuchen zu lassen. Die
Weigerung der Einlasskontrolle kann zum Beispiel darin begründet liegen,
dass der Gast nicht auf das jeweilige Suchtmittel verzichten kann/möchte. Es
kommt aber auch zu Beschwerden, dass die Einlassdurchsuchung als entwür-
digend empfunden wird. So regt sich beispielsweise ein Gast der NÜ I auf, als
ein Mitarbeiter ihn abtasten und auf Läuse untersuchen möchte:

Frank: „Das ist entwürdigend! Das ist unmenschlich, das ist total entwürdi-
gend!“
Mitarbeiter: „Soll ich Dir mal sagen, was entwürdigend ist?“
Frank: „Das interessiert mich nicht!“
Mitarbeiter: „Doch, ich sag’s Dir. Letztes Jahr, da haben wir etwas übersehen…“
Frank (wird lauter): „Das interessiert mich nicht. Das hier ist entwürdigend.“

32 Gänzlich unbegründet sind derartige Befürchtungen nicht. Einige Tage zuvor


fiel der Gast mir gegenüber bereits mit Aufdringlichkeiten auf. Als ich den Abendver-
antwortlichen davon erzähle, möchten sie ein Gespräch mit dem Gast suchen und erst,
wenn sich danach sein Verhalten nicht ändern würde, ein Hausverbot aussprechen.
Der Abendverantwortliche möchte mich vorwarnen: „Dann kann es aber hässlich wer-
den für Dich. Viele Gäste sind dann nicht auf uns sauer, weil wir sie rausschicken,
sondern auf die Dame, weil sie sich abgewiesen fühlen. Da solltest du bestenfalls nicht
in der Nähe sein […]. Das kann von wüsten Beschimpfungen über Drohungen alles
Mögliche sein.“ [Mitarbeiter NÜ I, Protokoll, 134].
33 Hauptsächlich besteht diese Regelung, weil es den Aufwand zur Einlasskon-
trolle erhöhen würde.
Soziale Exklusion von Notleidenden - 41 -

Mitarbeiter: „Ich sage Dir, was entwürdigend ist. Letztes Jahr hat mir jemand
Pfefferspray ins Gesicht gesprüht, DAS ist entwürdigend.“
[Protokoll, 89]

Auch bei der Gepäckabgabe bzw. -durchsuchung gibt es ähnliche Beschwer-


den. Hierbei besteht natürlich auch die Angst vor Verlust der Gepäckstücke,
weshalb sie zum einen ungern abgegeben werden, zum anderen dann aber
immer die Gefahr bestünde, von anderen Gästen bestohlen zu werden. Mut-
maßlich spielt hier auch der Verlust von Privatsphäre eine wichtige Rolle, was
sich beispielsweise aus der aufgebrachten Reaktion eines Gastes ableiten ließe,
welcher erneut zur Taschenkontrolle aufgefordert wurde: Nachdem eine Frau
in der NÜ I nochmal an ihr bereits verstautes Gepäck möchte, bringe ich ihr
alles in den Kontrollbereich. Sie zieht eine Tüte aus einer der Taschen, und
befüllt sie, während sie ihre Gepäckstücke durchsucht, mit den verschiedens-
ten Dingen. Unter anderem Tabletten, weitere kleine Beutel, Mäppchen, Hygi-
eneartikel und eine bereits angebrochene Trinkflasche – spätestens letztere
darf nicht in den Aufenthaltsbereich mithineingenommen werden. Ich bitte
sie, als sie damit fertig ist, die Tüte, die sie nun in den Aufenthaltsbereich mit-
einnehmen möchte, kontrollieren zu dürfen. Sie wird wütend:

„Sie können sich schon mal richtig frisch machen, Sie werden ein richtiges Don-
nerwetter erleben. Ihren Namen merke ich mir, ich werde Sie anzeigen, passen
Sie mal auf. Das geht Sie überhaupt nichts an.“ [Gast NÜ I, Protokoll, 138].

Sie lässt zwar zu, dass der Inhalt der Tüte kontrolliert wird, schimpft aber die
gesamte Zeit. Es ist ihr sichtlich sehr unangenehm, dass ihre privaten Habse-
ligkeiten und Hygieneartikel durchsucht werden müssen.
Es ist auch möglich, dass so viel Gepäck besteht, dass es nicht mithinein
genommen werden kann und Betroffene sich dann dafür entscheiden, ihr Ge-
päck zu bewachen. Eine Mitarbeiterin erzählt mir von Susanna, die lange mit
sich haderte, ob sie nun auf ihr Gepäck aufpassen oder in der NÜ I übernach-
ten solle. Susanna wurde von einem ebenfalls obdachlosen Freund beauftragt,
sein Gepäck während seines Krankenhausaufenthalts zu beaufsichtigen. Sie
selbst hatte schon viel Gepäck – überwiegend in großen Trolleys – und nun
auch noch einen Fahrradanhänger mit den Sachen ihres Freundes. Es gab kei-
ne Möglichkeit, diesen Anhänger in der NÜ I zu verstauen. Als ihr Freund ver-
starb, wurde die Situation für Susanna noch schwieriger. Es habe Wochen ge-
dauert, Susanna zu ‚überreden‘, sich von den Besitztümern des verstorbenen
Freundes zu trennen [vgl. Mitarbeiterin NÜ I, Protokoll, 99 f.].
Es gibt aber auch profaner scheinende Gründe, warum Obdachlose nicht
in die Notübernachtungen hineingelangen, nämlich dann, wenn Uhrzeit oder
Körper sie daran hindern: Auch Einlasszeiten und Barrierefreiheit sind ent-
scheidend. Von den 15 NÜs der Saison 2014-15 weisen 10 auf den „letzten Ein-
lass“ hin – zumeist zwischen 21:00 und 22:00 Uhr [vgl. GEBEWO 2014, 4 ff.].
- 42 - Soziale Exklusion von Notleidenden

Wenn kein letzter Einlass besteht, heißt das aber im Umkehrschluss dennoch
nicht, dass nicht bei Erreichen der Kapazitätsgrenze Menschen abgewiesen
werden müssen, wie z.B. bei der NÜ III. Außerdem ist es denkbar, dass letzte
Einlasszeiten wie z.B. 21:00 Uhr kritischer auf Obdachlose mit Suchtproblem
wirken. So erklärt mir ein Gast der NÜ I nach der Pause, dass die Gäste, die ab
23:00 Uhr eingelassen werden, besonders häufig starke Suchtprobleme haben:

„Die, die jetzt kommen, sind die Schlimmsten. Die sind krass drauf […] Na, die
tanken nochmal richtig auf. Für die Nacht. Hackezu sind die. Da geht richtig
was ab draußen. Sind ja immer die gleichen.“ [Maik, Protokoll, 128].

Die Schilderung deckt sich mit ähnlichen Berichten alkoholsüchtiger Gäste der
NÜ III, die mir erklären, wie sich „das Flattern“ (Tremor durch Alkoholentzug)
morgens äußert, verknüpft mit dem Drang, schnell aus der NÜ wieder heraus-
zukommen [vgl. Protokoll, 160f.].
Aber auch andere Körperbehinderungen erschweren das Hineingelan-
gen: Weiterhin weisen 3 der 15 NÜs im Kältehilfewegweiser explizit darauf
hin, dass kein behindertengerechter Zugang besteht [vgl. GEBEWO 2014, 4 ff].
Auch hier bedeutet es aber im Umkehrschluss nicht, dass es wirklich auch bar-
rierefrei, bzw. rollstuhlgerecht ist. So war ein Gast in der NÜ III häufig auf die
Hilfe anderer angewiesen, um sich beispielsweise in der Einrichtung in seinem
Rollstuhl auf dem kiesigen Untergrund zu bewegen. Weiterhin, so berichtet
ein Mitarbeiter der NÜ I, würden Rollstuhlfahrer von anderen Einrichtungen
häufig abgewiesen, da sie mit mehr Aufwand verbunden sind [vgl. Mitarbeiter
NÜ I, Protokoll, 86].

5.5 In der NÜ
„Der Boxer, den kennst Du auch, der hat immer so ein Kappi auf. Der sitzt da und
bekommt von so ‘nem Polen eine Glasflasche übergezogen. Das ganze Gesicht hat
geblutet. Keine Ahnung warum, der spinnt einfach.” [Leon, Protokoll, 105]

Wie einleitend für diesen gesamten Abschnitt angedeutet, ist es nicht unüb-
lich, dass Obdachlose nicht in die NÜ möchten, weil sie dort negative Erfah-
rungen gemacht haben oder den Einrichtungen ein gewisser Ruf vorauseilt.
Obiges Zitat spielt beispielsweise darauf an, dass es wegen anderer Gäste
in bzw. vor den NÜs auch nicht unbedingt sicherer für die Gäste sein muss, als
auf der Straße. Aber auch die Räumlichkeiten, der Umgang der Mitarbeiter
oder atmosphärische Besonderheiten führen zu negativen Einstellungen der
Obdachlosen über die NÜs. Gerade die vielen verschiedenen Aspekte inner-
halb der NÜ sind keinesfalls trennscharf, so hängen beispielsweise atmosphä-
rische Besonderheiten mit anderen Gästen, der räumlichen Situation und dem
Umgang der Mitarbeiter unmittelbar zusammen oder bedingen sich gar gegen-
seitig.
Soziale Exklusion von Notleidenden - 43 -

5.5.1 Andere Gäste


„Vor zwei Tagen war das. Da waren wir auf der Treppe [und haben auf Einlass
gewartet]. Und da war ein Mann und seine Frau. Und ihr war total kalt und sie
wollte weiter vor. Da stand aber der Holländer. Wir haben sie versucht zu warnen,
aber die haben uns nicht verstanden. Ja und dann ist sie etwas nach vorne gerückt,
und da hat der Holländer sie gepackt und begrabscht. Auf’s Widerlichste.
Das war so widerlich. So richtig zwischen die Beine und so. Und sie hat geschrien
aber das hat ja gedauert, bis man da hinkommt. Ich war so sauer, ich bin zwei Tage
nicht in die Lehrter gegangen, so sauer war ich.“ [Frank, Protokoll, 127].

Am 25.03.2015 sitzen fünf Gäste der NÜ I und ich gemeinsam im Aufenthalts-


bereich. Sie fragen mich, ob ich negative Erfahrungen mit anderen Gästen ge-
habt hätte, und möchten wissen, ob es Übergriffe gab – um mich insbesondere
vor ‚dem Holländer‘ dahingehend zu warnen. Die anwesenden Gäste pflichten
einander bei und regen sich darüber auf, dass dieser Gast häufiger zu weibli-
chen Gästen übergriffig werden würde. Sie sind wütend auf ‚den Holländer‘
und als ich nachfrage, was denn konkret vorgefallen sei, berichtet mir Frank
von der oben zitierten Situation im Wartebereich der NÜ I.
Wo Frank stattdessen hinging erfahre ich nicht, aber sein Beispiel macht
deutlich, dass einer der Gründe, nicht die NÜ aufsuchen zu wollen auch damit
zusammenhängt, dass man andere Gäste meiden möchte (zumal er selbst
nicht direkt betroffen war – bedenkt man nur die Zumutung für das Opfer,
sich mit ‚dem Holländer‘ in der NÜ womöglich noch Tisch und Bank teilen zu
müssen). Wie mir die Kältebusfahrer auch erklärten, muss das jedoch nicht
mit der Einrichtung in Verbindung stehen: Manche Gäste kennen sich bereits
von der Straße, haben sich verstritten und möchten nicht mit bestimmten Per-
sonen im gleichen Raum sein [vgl. Protokoll, 75]. Es können auch ‚offene
Rechnungen‘ bestehen, andere (gewaltsame) Konflikte oder schlicht missbil-
ligtes Verhalten, das dazu führt, dass einander gemieden wird34.
Als an einem Abend in der NÜ I ein Gast einem anderen droht und dafür
gehen muss, macht der bedrohte Gast ebenfalls Anstalten, die NÜ zu verlas-
sen. Obwohl die Mitarbeiter auf ihn einreden, nicht in diese stürmische Nacht
hinauszugehen, besteht er darauf. Die Mitarbeiter finden das nicht ungewöhn-
lich. Nachdem die beiden Männer weg sind, erklärt einer der Mitarbeiter:

„Der weiß halt, dass er so wie so auf’s Maul bekommt, die Rechnung bleibt ja of-
fen. Es wird am nächsten Morgen nur schlimmer, wenn er über Nacht bleibt, al-
so geht er mit raus.“ [Mitarbeiter NÜ I, Protokoll, 137].

Daneben bedeuten einige andere Gäste aber auch die permanente Konfronta-
tion mit Elend und Krankheiten, was Gäste dazu veranlasst, wieder zu gehen
und in Kauf zu nehmen, nicht wieder in die NÜ hineinzugelangen. So zeigte

34 Ein Gast der NÜ III berichtet aber auch von Gegenteiligem und wie sich in der
NÜ Gäste untereinander und Mitarbeitern gegenüber zurückhalten: „Draußen ist das
Leben ja anders. Hier drin sind die alle anders, morgen früh, wenn sie rauskommen,
ist es, als würde einer ’nen Schalter umlegen. Da musste gleich aufpassen, dass Du
nicht inne Fresse kriegst oder Dich einer absticht.“ [Rene, Protokoll, 150].
- 44 - Soziale Exklusion von Notleidenden

sich am selben Abend ein Gast regelrecht erschrocken nach seinem ersten Be-
such in der NÜ I. Nur 15 Minuten, nachdem ich sein Gepäck verstaute, steht er
wieder vor mir und möchte es zurück. Er regt sich auf:

„Das ist hier ja der letzte Saftladen, das tu ich mir nicht an. Wisst ihr überhaupt,
was das hier für ein Loch ist? Das ist ja ekelhaft, total. Was hier für Gestalten
sind, ekelhaft.“ [Gast NÜ I, Protokoll, 137].

Die Mitarbeiter weisen ihn mehrfach darauf hin, dass er nicht nochmal an die-
sem Abend hineinkommt – egal, wie stürmisch und kalt es ist. Das ist ihm so-
gar recht, wie er mehrfach betont.
Es kommt auch vor, dass Gäste – zumeist wegen anderer Gäste – nicht
zur Ruhe kommen und deswegen gehen, und in Kauf nehmen, nicht wieder
zurückzukönnen.
Neben der eingangs zitierten Erzählung von Frank bestätigen mir auch
weibliche Gäste, dass sie – nicht unbegründet – in der gemischtgeschlechtli-
chen Einrichtung Angst vor sexuellen Übergriffen haben. Als ich Jennifer in
der Nacht des 25.06.2015 mitteilen muss, dass im Frauenschlafbereich alle
Plätze belegt sind und sie im Aufenthaltsraum schlafen müsse, reagiert sie
enttäuscht und traurig: „Das ist schon die zweite Nacht. Ich komme dann nicht
zum Schlafen […] Ja, die Männer. Ich kann hier im Aufenthaltsraum nie schla-
fen, da habe ich Angst.“ [Jennifer, Protokoll, 130].
Wie mir ein Gast der NÜ III, der diese auch in der vorherigen Saison
aufsuchte, erklärte, sei es in dieser Saison 2014-15 insgesamt jedoch bedeu-
tend angenehmer, dass diesmal ausschließlich männliche Gäste in der NÜ III
zusammenkommen. Die Stimmung unter Männern sei seiner Meinung nach
eine andere, da es nicht zu Eifersuchtsszenen und Übergriffen käme. Er be-
richtet, dass die Nächte häufiger unruhig gewesen sind, da sich vornehmlich
männliche Gäste in der Nacht auch immer wieder zu (ihren) Frauen in den
Frauenschlafbereich geschlichen hätten [vgl. Benjamin, Protokoll, 136].
Auch homosexuelle männliche Gäste fürchten sich vor anderen Gästen.
Als Gesprächsthema kommt männliche Homosexualität regelmäßig zur Spra-
che, ich erlebe aber sehr wenig deutschsprachige Gäste, die sich ablehnend
äußern. Aber ich erfahre die Angst eines Gastes, als er sich mir gegenüber ou-
tet. Als ich an einem Abend in der NÜ III am Tresen bediene, kommt dieser
Gast zu mir, spricht mich an und macht laut Komplimente. „Ich kann das doch
sagen“ [Gast NÜ III, Protokoll, 109] meint er, schaut sich sehr genau um, wer
in der Nähe steht, und flüstert: „Ich meine das doch nicht so, ich stehe auf
Männer.“ [ebd.]. Eigentlich möchte er sich mit mir unterhalten, aber als sich
hinter ihm Schritte nähern, dreht er sich erschrocken um und läuft weg.
Homophobie soll laut Erzählungen der Mitarbeiter eher unter (süd-)
osteuropäischen Gästen verbreitet sein. Aber insbesondere transgender und -
Soziale Exklusion von Notleidenden - 45 -

sexuelle Gäste seien häufiger Anfeindungen und Gewalt durch überwiegend


osteuropäische Gäste ausgesetzt [vgl. Mitarbeiter NÜ I, Protokoll, 86]. In der
gemischtgeschlechtlichen Einrichtung der NÜ I, wo die Schlafbereiche nach
Geschlecht getrennt sind, ist oft unklar, wo betroffene Gäste untergebracht
werden können. Wie ein Mitarbeiter erklärt, bestehen besonders Probleme bei
Gästen mit weiblicher Identität aber vielen körperlich männlichen Zuschrei-
bungen (z.B. in Statur oder Bartwuchs). Betroffene Gäste werden zumeist mit
‚Erlaubnis‘ der weiblichen Gäste im Frauenschlafbereich untergebracht. Be-
sonders problematisch in der Unterbringung sind jedoch uneindeutige Fälle:

„Neulich war jemand da, also, der war ganz eindeutig ein Mann. Er hatte einen
Vollbart und war gekleidet wie ein Mann. Aber dann hatte er eine Perücke auf.
Wie sollen wir damit umgehen?“ [Mitarbeiter NÜ I, Protokoll, 86].

Neben der Angst vor Gewalt und sexuellen Übergriffen ist auch Diebstahl ein
großes Problem in den NÜs. Insbesondere zum Ende der Saison nehmen die
Berichte von Gästen über Diebstähle zu. Gleich in der ersten Nacht, die ich in
der NÜ I erlebte, berichtet mir ein Gast von einem Diebstahl:

„Der fragt mich, ob er das [Ladekabel] haben kann, ich sage ja. Ich guck da zwei
Minuten nicht hin, dreh mich wieder um, und da ist der weg und mein Ladege-
rät auch. Und die scheiß Mitarbeiter meinen, die können da nichts machen. Pff.“
[Gast NÜ I, Protokoll, 94].

Als besonders tragisch erlebe ich, wenn Gäste sich untereinander die Kleidung
stehlen. Am 28.03.2015 beschwert sich ein rumänischer Gast, den ich zuvor
immer als höflich erlebte, wütend und lautstark bei mir: Als er in der Nacht
wach wurde und nur kurz die Toilette aufsuchen wollte, stellte er bei seiner
Rückkehr in den Schlafsaal fest, dass ihm seine Kleidung vom Bett gestohlen
wurde. Das einzige, was er nun besitzt, sind die Socken und Unterwäsche, die
er gerade am Körper trägt – der Gast ist verzweifelt. Er kann mit neuer Klei-
dung aus der Notkleiderkammer versorgt werden [vgl. Protokoll, 136].
Nicht wenige Gäste schlafen daher voll bekleidet. Die Angst vor Dieb-
stahl ist ständig präsent. Am 10.02.2015 berichtet mir auch Ruud, der häufiger
in der NÜ I ist, von Diebstahlerfahrungen. Er habe auch mal die NÜ III aufge-
sucht, aber dort ist es ihm zu laut und zu unruhig. Ständig hätten ihn andere
Gäste geweckt. Zuerst wegen Zigaretten, dann wegen Feuer, dann wieder we-
gen Tabak usw. Da sei er sauer geworden:

„I was pissed off, I wanted to sleep. I was asking him why he is waking me, and I
was really pissed. And he was ‚sorry sorry man‘. Fuck sorry. I did not sleep the
whole night.” [Ruud, Protokoll, 95].

Er schlief schließlich doch noch ein, aber als er am nächsten Morgen wach
wurde, musste er feststellen, dass ein anderer Gast seine Schuhe trug [vgl.
ebd.].
- 46 - Soziale Exklusion von Notleidenden

5.5.2 Räumliche Situation


„Weißt Du, warum es hier im Aufenthaltsbereich jetzt so voll ist? Also, die Leute, wa-
rum sie hier auf den Bänken schlafen? […] Weil die Bänke Schutz vor Läusen bieten.
Und allem, was sonst noch so krabbelt.“ [Mitarbeiter der NÜ I, Protokoll, 95]

Wie mir ein Mitarbeiter in der NÜ I erklärt, mögen viele Gäste nicht gerne
ebenerdig nebeneinander liegen. Die Angst vor Laus- oder Krätzmilbenbefall
oder Ansteckung mit anderen Krankheiten scheint ständig gegenwärtig35.
Ein anderer Mitarbeiter der NÜ I erläutert, dass die Notschlafplätze der
Einrichtung generell weniger beliebt sind und man die Menschen draußen
‚besser mit Betten mit Matratze locken‘ könnte [vgl. Mitarbeiter NÜ I, Proto-
koll, 85]. Dass die Schlafplätze der NÜ I lediglich aus Isomatte, Laken und
Bettdecke bestehen, hat aber nach Erklärung eines Mitarbeiters vornehmlich
drei Gründe: Zum ersten ist der Missbrauch als Waffe damit erschwert (im
Gegensatz zu Feldbetten), zum zweiten sind diese aus hygienischer Sicht einfa-
cher in der Reinigung und zum dritten steht ein sozialpädagogischer Gedanke
dahinter. Es soll absichtlich wenig ansprechend und gemütlich sein, um auf
die Notsituation der Gäste zu verweisen:

„Wenn der Sozialarbeiter am nächsten Morgen am Bett steht und die Hand
reicht, dann sollen die Gäste nicht argumentieren können, dass es hier ja eigent-
lich ganz gemütlich ist.“ [Mitarbeiter NÜ I, Protokoll, 85].

Nicht nur, dass die Notschlafplätze der NÜ I also unbequem sind, in den klei-
nen Räumen ist es zudem eng, Gäste sind beispielsweise mit Geruchsentwick-
lung konfrontiert. Regelmäßig gibt es dann Streitigkeiten der Gäste unterei-
nander darüber, ob Fenster geöffnet werden können [vgl. Mitarbeiter der NÜI,
Protokoll, 92]36.
Wie zum Ende des vorherigen Kapitels gezeigt, sind die großen Schlafsä-
le der NÜ III auch damit verbunden, dass Gäste schlechter zur Ruhe kommen.
Ähnlich wie Ruud (in Kapitel 5.5.1, 45) berichtete mir auch Giovanni davon,
dass er, wegen der Lautstärke und weil ihm die Schlafsituation zu öffentlich
war, in der NÜ III nicht schlafen konnte [vgl. Giovanni Protokoll, 109].
Die Abtrennung der Schlafsäle aus Bauzäunen mit Planen sorgt zwar auf
der einen Seite für bauliche Offenheit und erzeugt weniger Enge, auf der ande-
ren Seite gibt es aber keine Möglichkeiten, Geräusche z.B. aus dem Aufent-
haltsbereich zu isolieren. In den Schlafsälen der NÜ III gibt es Feldbetten mit
Matratzen. Das ist auch vor allem deswegen nötig, weil als Untergrund der
nackte Feldboden besteht.

35 Etliche Gäste nächtigen aber auch schlicht deswegen im Aufenthaltsraum, weil


die NÜ I ‚chronisch überbelegt‘ ist und einfach nicht genügend Plätze in den Schlaf-
häusern für alle Gäste existieren.
36 Wie aus Abschnitt 5.5.1 hervorgeht, bereiten die räumlich geschlechterge-
trennten Schlafbereiche außerdem konkrete Nachteile, bedenkt man die Situation für
Paare und Transgender. Auf der anderen Seite möchten die Einrichtungen jedoch auch
die Trennung sicherstellen beispielsweise zwischen weiblichen Gast und ‚Aufpasser‘.
Soziale Exklusion von Notleidenden - 47 -

Abbildung 13 zeigt ein Pressefoto eines Schlafsaals der NÜ III. Auf der Website
wird zu dem Foto getitelt: „Nächte im Grünen: Die Klappliegen mit Matratzen
stehen hinter Zaunfeldern in der Traglufthalle“ [Flatau 2014, online].
Abbildung 13: Schlafsaal in der
NÜ III, Pressefoto [Bungert
2014, online]

Abbildung 14 zeigt, wie es jedoch zumeist dort aussieht.


Abbildung 14: Schlafsaal in der
NÜ III [Eigenes Foto,
27.02.2015]

Von dem Rollrasen, der für anstehende Presseterminen zu Beginn der Saison
verlegt wurde sind nur noch vertrocknete Reste übrig. Der Boden ist staubig,
trocken und überall liegt verdorrtes Gras. Mitarbeiter laufen in regelmäßigen
Abständen durch die Halle und besprühen Trennwände und Boden mit Was-
ser aus einem Schlauch, denn feiner Staub liegt ständig in der Luft. Nach der
zweiten Schicht in der Wärmehalle bin ich extrem heiser und fühle mich
schlapp. Auch vielen Mitarbeitern ging und geht es ähnlich. Erst nach einigen
Schichten gewöhne ich mich an diese trockene Luft37.

37 Als zum Ende der Kältehilfesaison erneut Rollrasen in der NÜ III für die ab-
schließende Einladung der Presse verlegt wird, reagieren einige Gäste mit Abneigung.
Mit Phrasen wie: ‚Sollen die [Pressefuzzis] doch ruhig mal sehen, wie es wirklich ist‘
bekunden sie ihren Unmut [vgl. Klaus, Protokoll 161].
- 48 - Soziale Exklusion von Notleidenden

In manchen Nächten ist es ungewöhnlich kalt in der NÜ III. Manche Gäste


stellen sich direkt vor die Warmluftzufuhr, aus der die trockene, erhitzte Luft
in die Halle strömt. Dafür ist die Geruchsentwicklung in der Wärmehalle we-
niger stark. Im ‚Keller‘ der NÜ I ist das ein bedeutend größeres Problem, denn
dort liegt der Geruch nach Schweiß, Zigarettenrauch und Alkohol stärker in
der Luft. Der beißende Geruch von Fäkalien oder der faulige Geruch infizierter
Wunden sind ebenso intensiver präsent.
Auch ist denkbar, dass Gäste ungern in der Bettwäsche schlafen, in der
ein anderer Gast vor ihnen schlief: In der NÜ III fiel auf, dass Gäste, die re-
gelmäßig da sind, auch auf ‚ihre‘ Betten bestehen. Neben diesen hygienischen
Bedenken sind auch häufiger Beschwerden wegen des Zustandes der sanitären
Anlagen von den Gästen geäußert worden [vgl. Protokoll, 136].

5.5.3 Mitarbeiter
Zwei Gäste sprechen eine Mitarbeiterin in der NÜ III an:
Jens: „Biste morgen früh auch da?“
Mitarbeiterin: „Nein.“
Jens und Kai sagen gleichzeitig: „Ein Glück!“ und lachen.
[Protokoll, 162]

Die Mitarbeiterin der NÜ III über deren voraussichtliche Abwesenheit am


nächsten Morgen die Gäste freudig reagieren, bekam von einigen Gästen den
Spitznamen „Wecknazi“ [ebd.]. Gäste beschweren sich über sie: Die Mitarbei-
terin sei dafür bekannt, besonders rabiat die Gäste am Morgen zu wecken. Die
Mitarbeiterin weiß um ihren ‚Ruf‘ und erklärt mir, ihre „Patienten“ zu kennen
und „nicht lange zu fackeln“ [Mitarbeiterin NÜ III, Protokoll, 162].
Gäste erklären mir, was das heißt: Ich höre Berichte von Gästen, die aus
Betten geworfen oder angeschrien werden und an denen kräftig gezogen wird.
An einem Morgen erlebe ich selbst, wie das Wecken der Gäste in der NÜ III
gehandhabt wird. Ab 06:00 Uhr wird geweckt, dabei wird Licht eingeschaltet
und Musik wird gespielt. Etliche Gäste stehen dann auf, die meiste Zeit sind
Mitarbeiter damit beschäftigt Betten auszuschütteln und Hygieneartikel zu
verteilen. Ab 07:00 Uhr sollen die Gäste nun ‚richtig geweckt‘ werden: „So,
jetzt darfst Du rabiat werden. Decken wegziehen und so.“ [Mitarbeiter NÜ III,
Protokoll, 162]. Während ich am Bett eines Gastes stehe, der tief und fest
schläft, und versuche ihn zu wecken, erklärt mir selbiger Mitarbeiter: „Da has-
te Dir ja gleich so einen Spezialisten ausgesucht, das wird so nichts.“ [Mitar-
beiter NÜ III, Protokoll, 163]. Bis 07:20 Uhr sitzen jedoch alle restlichen Gäste
aufrecht, gucken sich noch ein wenig verschlafen um oder ziehen sich an. Dass
‚rabiater werden‘ wirklich notwendig gewesen wäre, um die ‚Spezialisten‘ zu
wecken konnte ich nicht nachvollziehen38.

38 Bereits zuvor ist mir aufgefallen, dass etliche Gäste beim Wecken verschreckt
reagieren oder sofort eine Verteidigungshaltung einnehmen, bis sie realisieren, wo sie
Soziale Exklusion von Notleidenden - 49 -

Diese ‚Spezialisten‘ sind auf der anderen Seite jedoch auch Gäste, von denen
mir Mitarbeiter erzählen, dass sie die Aufstehzeiten stark ausreizen und kaum
pünktlich aus dem Bett kommen. Dass dieser Morgen so reibungslos ablief,
hat aber auch sicherlich damit zu tun, dass inklusive mir vier Mitarbeiter zur
Verfügung standen. Für gewöhnlich funktioniert der Ablauf mit den drei übli-
chen Mitarbeitern weniger gut, denn etliche Gäste haben es zum Beispiel sehr
eilig wegen des Suchtdrucks die NÜ III zu verlassen und können nach Mitar-
beiterberichten schon mal ungehalten reagieren, wenn die Gepäckausgabe ins
Stocken kommt. Noch anstrengender ist es für die Mitarbeiter, wenn diese
Schicht auch noch unterbesetzt ist. Weiterhin muss zu meinen eigenen Erfah-
rungen mit der Wecksituation auch beachtet werden, dass aufgrund des Oster-
festes am Vorabend die Gäste nicht nur früher Einlass in die NÜ III erhielten,
sondern auch die Schlafsäle früher als üblich geöffnet wurden. Sicherlich wa-
ren daher etliche Gäste auch ausgeschlafener als sonst und ließen sich mut-
maßlich daher deutlich leichter wecken.
Berichte über rabiat weckende Mitarbeiter habe ich ausschließlich in der
NÜ III von den Gästen gehört. Auch wenn ich gut nachvollziehen kann, unter
welchem Stress die Mitarbeiter in der Morgenschicht stehen, sind Beschwer-
den der Gäste an dieser Stelle gerechtfertigt. Die Erfahrung dort mit starkem
Rütteln, Geschrei oder gar dem Umwerfen des Bettes geweckt zu werden lässt
die NÜ sicherlich weit weniger attraktiv erscheinen.
Unabhängig von der Wecksituation erlebe ich auch in der NÜ III Be-
schwerden der Gäste über Mitarbeiter, die sich herablassend zeigen würden
[vgl. z.B. Protokoll, 135]. Tatsächlich erlebe ich aber von genau diesen Mitar-
beitern ‚nur‘ in der Abwesenheit der Gäste abfällige Kommentare [vgl. z.B.
Protokoll, 133]. Dass ich gerade über sie auch häufiger negative Bemerkungen
von Gästen zu hören sind, zeigt, dass die Gäste doch zumindest die Einstellung
dieser Mitarbeiterin deutlich spüren39.
Daneben erlebe ich auch, wie ein überforderter Mitarbeiter regelrecht
türmte und fluchtartig die NÜ III verließ [vgl. Protokoll, 121]. Eine ähnliche
Anekdote höre ich von einer Mitarbeiterin der NÜ III. Als ich mich bei ihr er-
kundige, wann und ob sich Sozialarbeiter angemeldet hätten und wie oft bis-
her auch tatsächlich welche da waren, antwortet sie:

sind. Unter den Gästen sind Menschen, die z.B. erleben mussten, dass ein Freund
beim Schlafen im Park von Jugendlichen angezündet wurde, oder die im Schlaf über-
fallen wurden. Ich spreche also die Gäste mehrfach mit „Guten Morgen“ an, wenn das
nicht ausreicht, genügt es meist über Oberarme oder Schultern zu streichen, nur selten
ist leichtes Bewegen nötig.
39 Mich stimmt das Verhalten dieser (sehr wenigen!) Mitarbeiter besonders be-
troffen, da es die Bemühungen der engagierten Mitarbeiter konterkariert, die jedem
Gast der Einrichtungen mit Respekt entgegentreten. Beinahe jedes Mal, wenn ich von
einem Mitarbeiter abfällige Kommentare über Gäste bemerke, bemerke ich auch, dass
andere Mitarbeiter diesen daraufhin zur Rede stellen [vgl. z.B. Protokoll, 126].
- 50 - Soziale Exklusion von Notleidenden

„So ein bis drei Mal im Monat vielleicht. Letzte Woche hatten wir erst Eine
abends da. Aber die wird wohl nicht mehr wieder kommen. Die war total über-
fordert.“ [Mitarbeiter NÜ III, Protokoll, 116].

Ich frage sie, was genau vorgefallen ist. Sie antwortet:

„Na, nichts. Also nichts Erwähnenswertes. Es war einfach alles. Die war einfach
überfordert, man hat ihr angemerkt, dass sie nicht mehr hier sein wollte.“ [ebd.]

Unabhängig von solchen Reaktionen, die die meisten Gäste eventuell nur indi-
rekt oder unterschwellig bemerken, gab es vor allem in der NÜ III aber auch
häufiger direktere Auseinandersetzungen mit Mitarbeitern, insbesondere,
wenn es um die Verteilung oder Zubereitung von Nahrungsmitteln ging.
Es ist durchaus nicht unüblich, dass Gäste einen großen, vollen Teller
vehement fordern, und dann doch nicht alles aufessen. Um der dadurch be-
dingten Verschwendung von Lebensmitteln entgegenzuwirken, soll nicht mehr
als eine Kelle Suppe ausgegeben werden. Nachholen können sich Gäste, sooft
sie wollen. Sie haben aber oft die Befürchtung, dass die Nahrungsmittel dann
aus seien könnten, und häufiger fühlen sie sich bei der Diskussion um die
Menge auf den Tellern regelrecht entmündigt. Als eine Mitarbeiterin die Bitte
eines Gastes nach etwas mehr Suppe abschlägt, antwortet der Gast: „Ich habe
doch aber mehr Hunger.“ Als sie entgegnet, dass er erst mal das essen solle,
nimmt er seinen Teller und richtet sich an mich „Ich bin ein erwachsener
Mensch, ich werde doch wissen, wie viel Hunger ich habe. Das wissen Sie doch
auch!“ [Gast NÜ III, Protokoll, 109].
Es ist durchaus denkbar, dass – sofern das Aufsuchen der NÜ ohnehin
mit Selbstständigkeitsverlust assoziiert wird – auch solche Aspekte dazu bei-
tragen, dass Gäste die NÜ als verstärkte Einschränkung ihrer Autonomie emp-
finden. Dabei geht es nicht um Suppe oder Dosenravioli40, sondern mutmaß-
lich vielmehr um etwas ‚Eigenes‘ und selbstbestimmte Ernährung. Das hat
auch weitere Implikationen, denn: „Irgendwann ist der Hunger stärker als die
Religion. Ich habe hier schon viele Muslime Schweinefleisch essen sehen.“
[Mitarbeiter NÜ I, Protokoll, 119].

40 Gäste bringen auch eigene Nahrungsmittel in die NÜ III. An der Einlasskon-


trolle kommen jedoch Gegenstände wie Messer oder Dosenöffner nicht vorbei, an die
Gäste selbst dürfen innerhalb der NÜ ausschließlich Löffel ausgegeben werden. Daher
bitten Gäste dann um Hilfe beim Öffnen von eingeschweißten Nahrungsmitteln, Kon-
serven, etc. Erwärmt man nun beispielsweise für einen Gast zwei seiner mitgebrachten
Bouletten in der Mikrowelle und übergibt ihm den Teller, werden die danebenstehen-
den Gäste das sehen und fast immer danach fragen, ob sie das gleiche haben können.
Mich störte das nie, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Ausdruck ‚sorry,
privat‘ an dieser Stelle international verständlich ist. An einem Abend werde ich je-
doch mehrfach von einer weiteren ehrenamtlichen Mitarbeiterin vehement darüber
belehrt, dass ich Gästen nicht bei der Zubereitung oder Erwärmung selbst mitgebrach-
ter Nahrungsmittel behilflich sein soll. Es ist ihr zu anstrengend „von den anderen
Gästen so belagert zu werden […]“ [Mitarbeiterin NÜ III, Protokoll 158]. Sie weigert
sich, die Gäste an dieser Stelle zu unterstützen (auch wenn jemand nur um einen fla-
chen Teller bittet, um nicht aus der Verpackung essen zu müssen) [vgl. ebd.].
Soziale Exklusion von Notleidenden - 51 -

5.5.4 Betreuungsmöglichkeiten
„Wir halsen denen in der Notunterkunft die ‚große‘ Arbeit auf. Waschen, tragen,
Klamotten wechseln. Wir laden den dann einfach ab und die müssen sich kümmern.“
[Chris, Protokoll, 82]

Als ich zu Schichtende der Kältebusfahrt mit einem der Fahrer spreche, erklärt
er mir, dass die Tätigkeiten der Kältebusteams doch letztlich nur ein Bruchteil
der notwendigen Arbeit seien. Insbesondere im Umgang mit Personen mit
erhöhtem Betreuungsbedarf, finde die ‚eigentliche Arbeit‘ erst in den Notüber-
nachtungen statt. Was er damit meint, und wie sich das auch auf die anderen
Gäste der NÜ auswirkt, möchte ich an Hannes‘ Fallbespiel verdeutlichen. Ihn
lernte ich am ersten Abend kennen, den ich in der NÜ I verbrachte. Als ich am
Tresen arbeite ‚stellt er sich mir vor‘:

“Ich heiße Hannes. Ich möchte, dass Sie die Polizei anrufen. Ich möchte Sie an-
zeigen. [...] SIE SOLLEN EINEN VERANTWORTLICHEN HOLEN, ICH WILL,
DASS SIE JETZT DIE POLIZEI RUFEN, ICH MÖCHTE SIE ANZEIGEN. […]
Ich bin draußen von der Security geschlagen worden.”[Hannes, Protokoll, 92].

Selbstverständlich schlägt niemand der Mitarbeiter Hannes. Aber er stellt die


Mitarbeiter sowohl im Wartebereich als auch innerhalb der NÜ regelmäßig vor
gesonderte Probleme im Umgang mit Personen, die an psychischen und/oder
Verhaltensstörungen leiden. Als während meines zweiten Aufenthalts in der
NÜ I lauter Tumult vom Wartebereich zu mir und der Mitarbeiterin im
Schlafhaus dringt, erkennen wir bereits an der Stimme, dass es sich um Han-
nes handelt, der etwas Unverständliches in die wartende Menge schreit. Vom
Mitarbeiterraum im ersten Stock aus können wir die Situation nicht richtig
einschätzen, erkennbar ist nur, dass der Securitymitarbeiter Schwierigkeiten
damit hat, den aufgebrachten Hannes zu beruhigen. Die Mitarbeiterin hat Mit-
leid: „Och Mensch, Hannes. Der kann heute nicht schon wieder draußen schla-
fen.“ [Mitarbeiterin NÜ I, Protokoll, 100]. Auf meine Nachfrage hin erklärt sie:

„Naja, so unterschiedliche Sachen. ‚Harmlos‘ ist ja noch, wenn er sich da drau-


ßen hinstellt und einfach mal laut ‚Sieg Heil‘ brüllt. Aber, dass das Krawall gibt,
ist doch klar. Es ist vielleicht einfach nicht besonders gescheit, in der Gruppe
voller Migranten ‚Sieg Heil‘ zu rufen, das gibt halt Handgreiflichkeiten.“ [ebd.]

Hannes, etwa 45 Jahre alt, hat diverse Handicaps. Er hört schlecht, kann nicht
lesen, er wirkt häufig desorientiert. Mutmaßlich leidet er an einer seelischen
Störung, es bleibt aber unklar, an welcher genau. Genauso unklar bleibt, was
dazu geführt hat, dass Hannes zu Saisonende in der NÜ I Hausverbot erhielt.
Als ich in der Nacht des 02.04.2015 in der NÜ III gegen Mitternacht im Kü-
chenbereich arbeite, erkenne ich sofort seine markante Stimme, als er auf den
Mitarbeiter im Einlassbereich einredet: „Ich kann nicht lesen.“ Kurze Stille,
dann schreit er: „ICH KANN NICHT LESEN.“ [Hannes, Protokoll, 144].
- 52 - Soziale Exklusion von Notleidenden

Hannes wird eingelassen, er kommt an den Tresen, schreit wieder: „Wo ist
mein Fahrrad? Ich will wissen, wo mein Fahrrad ist.“ [Hannes, Protokoll, 144].
Immer wieder hält er mir oder anderen Mitarbeitern einen Zettel hin und ruft:
„Wo ist mein Fahrrad? Sagen Sie mir, wo mein Fahrrad ist? […] Ich kann nicht
lesen! Steht dort, wo mein Fahrrad ist?“[Hannes, Protokoll, 145]. Niemand
weiß, wo sein Fahrrad ist, er kam ohne Fahrrad zur NÜ III. Mittlerweile hat
Hannes etliche Gäste geweckt, zum Glück ist niemand deswegen aufgebracht,
sondern viele sind nur neugierig. Ein Gast versucht Hannes zu beruhigen, an-
dere gehen wieder zu Bett oder in den Aufenthaltsbereich, manche beobach-
ten, wie die Mitarbeiter sich im Umgang mit Hannes versuchen. Hannes wie-
derholt sich einfach nur, fragt unablässig nach seinem Fahrrad. Und dabei ist
er sehr laut. Nach einiger Zeit wirft sich Hannes zu Boden und stellt sich ohn-
mächtig. Nachdem es gelingt, ihn an einen Tisch zu setzen, verständigt die
Abendverantwortliche – auch auf Hannes‘ Wunsch hin – die Polizei. Er ist sich
sicher, dass sie wissen werden, wo sein Fahrrad ist. Sie erklärt:

„Wir sind für Fälle wie Hannes gar nicht ausgelegt. Hannes hat ja eine eigene
Wohnung, ich weiß auch nicht, warum er immer wieder in die Notunterkünfte
kommt, aber wir können nichts für ihn tun.“ [Mitarbeiterin NÜ III, Protokoll,
145].

Es wird, von Hannes‘ Ankunft bis zum Zeitpunkt, an dem die Polizeibeamten
sich aufmachen, um mit Hannes sein Fahrrad zu suchen – und vom Gelände
der NÜ zu geleiten – über eineinhalb Stunden dauern, bis alle Gäste wieder
ruhig schlafen können.
Für Menschen mit erhöhtem Assistenzbedarf bestünde Bedarf nach ge-
schultem (Pflege-) Personal. Die Betreuung dieser Gäste bindet auch Arbeits-
kräfte an diesen Gast, die dann an anderer Stelle fehlen41. Zudem können Ver-
haltensauffälligkeiten, die sich wie im Beispiel von Hannes durch das lautstar-
ke Wiederholen der immer gleichen Frage äußern, andere Gäste wortwörtlich
um den Schlaf bringen.

41 Barbara Eschen erklärt dazu im abschließenden Pressebericht der Kältehil-


fesaison 2014-15: „Insbesondere der hohe Betreuungsaufwand für pflegerische Hilfen
ist von den Mitarbeitenden kaum zu leisten. Die Versorgung dieser Menschen bringt
die Kältehilfe an ihre Grenzen. […] Stark verwahrloste Menschen, teilweise mit Ent-
lausungsbedarf, binden oft zwei Mitarbeitende über mehrere Stunden. Sogar Kranken-
transporte bringen kranke und pflegebedürftige Menschen beispielsweise hier in die
Notübernachtung in der Lehrter Straße, weil sie in einem regulären Krankenhaus kei-
ne Aufnahme finden – was jedoch ein Skandal ist, da hier in vielen Fällen keine medi-
zinische Nothilfe gewährt wird. Die Mitarbeitenden sind vor die Frage gestellt: weisen
wir sie ab oder helfen wir? Weder die Notübernachtungen noch die Nachtcafés sind
für Menschen mit einem solchen Bedarf gerüstet. Es fehlt an barrierefreien Räumen
und Sanitäranlagen. Zumindest Feld- oder Klappbetten werden benötigt. Für die Un-
terstützung bei der Körperhygiene, bei Hilfen zur Mobilisation aus dem bzw. in den
Rollstuhl, für die Reinigung von Rollstuhl und Kleidung und für die Unterstützung bei
der Medikamenteneinnahme wird mehr und auch geschultes Personal benötigt.“
[Eschen 2015, online].
Soziale Exklusion von Notleidenden - 53 -

Glücklicherweise kommt es eher seltener vor, dass Gäste sich – so wie im Fall
von Hannes – kaum noch beruhigen lassen. Die Konsequenz ist jedoch, dass
sie in die Kälte hinausgeschickt werden müssen. An dem Abend, an dem ich
Hannes kennenlernte und er mit der Anzeige drohte, schreitet der Abendver-
antwortliche ein: „Hannes, hör auf zu schreien, sonst müssen wir dich wieder
rausschicken.“ [Mitarbeiter NÜ I, Protokoll, 92]. Ich bin mir nicht sicher, ob
Hannes wirklich die Tragweite dieser Androhung versteht.

5.5.5 Atmosphäre
„Eigentlich bin ich total entspannt, aber wenn ich hier bin, hab‘ ich das Gefühl, ich bin
immer auf 180, ich werde richtig aggressiv. Die gehen mir richtig auf den Sack.
Ich merke das ja selber, wie mich das alles auf einmal so nervt.
Aber draußen bin ich nie so.“ [Leon, Protokoll 135]

Oft wurde ich von Mitarbeitern in Gesprächen gefragt, welche der beiden Ein-
richtungen denn ‚besser‘ wäre. Viele Mitarbeiter sind nie in beiden NÜs gewe-
sen, und dann besonders neugierig. Beide Einrichtungen haben ihre eigenen
Vor- und Nachteile, besonders bedingt durch maximale Gästeanzahl oder bau-
liche Struktur. Die NÜ III hat beispielsweise unter den Mitarbeitern der NÜ I
den Ruf, „zu gemütlich“ [Mitarbeiter NÜ I, Protokoll, 86] zu sein. Dessen offe-
ne, hohe Struktur im Vergleich zur baulichen Enge im Untergeschoss der NÜ I
mag auf den ersten Blick durchaus einen freundlicheren Eindruck erwecken.
Aber gerade auch diese bauliche Offenheit und die Tatsache, dass die
Gäste sich nicht auf verschiedene Gebäude verteilen, können dazu beitragen,
dass sehr beklemmende Eindrücke entstehen. Während einer turbulenten
Schicht am 22.03.2015, erlebe ich auch die Stimmung insgesamt als deutlich
angespannter als sonst [vgl. Protokoll, 124]. Es gelingt mir jedoch nicht, diesen
Eindruck an konkrete Ereignisse zu koppeln. Es ist vielmehr spürbar, dass die
Gäste insgesamt deutlich ruppiger zueinander sind und weniger ausgelassen
als sonst. Als ich an anderen Terminen Mitarbeiter der NÜ III darauf anspre-
che, ob sie solche Abende ähnlich erleben und diese seltsam angespannte At-
mosphäre ‚fühlen‘ würden, stimmen sie zu. Später werde ich erfahren, dass
auch Gäste diese angespannte Stimmung wahrnehmen und die deutschspra-
chigen Gäste dafür sogar ein Begriff nutzen: „Kurwa-Abende“ [vgl. Protokoll,
136]. Der Begriff rührt schlicht daher, dass man an solchen Abenden von den
polnischen Gästen ganz besonders häufig den Vulgärausruf „Kurwa“ hört.
Auch wird mir Leon, wie das Zitat zu Beginn dieses Kapitels zeigt, erklären,
dass die NÜ in ihm eine grundsätzlich angespannte und regelrecht aggressive
Grundstimmung weckt.
Hinzu kommt das Gefühl, ständig unter ‚Beobachtung‘ zu stehen. Es ist
ein ruheloses Gefühl, gepaart mit dem Wunsch, sich zurückziehen zu können.
Die NÜ III bietet keine ‚Ecken und Nischen‘, und ich erlebe diesen kurzen
- 54 - Soziale Exklusion von Notleidenden

Einblick in das Gefühl vom Verlust der Privatsphäre als enorm bedrückend.
Dieses ‚Beobachtetwerden‘ wird an manchen Abenden regelrecht aufdringlich.
Zunächst ist es nur ein unbestimmtes Gefühl aber nach einigen Schichten be-
stätigen mir Gäste auch direkt, dass sie glauben, sie müssten auf mich aufpas-
sen und daher unter Beobachtung stellen [vgl. Ruud, Protokoll, 128 oder
158f.]. Was durchaus fürsorglich gemeint sein mag, ist letztlich mit einer
enormen inneren Anspannung verbunden. Auch andere weibliche Gäste der
NÜ I erzählen mir, dass dieser oder jener Gast auf sie ‚aufpassen‘ würde –
ohne von der Dame darum gebeten worden zu sein [vgl. Protokoll, 138].
Bezüglich atmosphärischer (An-)spannungen hat die NÜ I also zunächst
jedoch den Vorteil, dass sich Gäste auf verschiedene Schlafbereiche verteilen
können. Dafür vermittelt sie aber besonders im Aufenthaltsbereich auch ein
beengtes Gefühl durch die Lage im Untergeschoss.
Schon alleine aufgrund des oftmals rauen Umgangstons untereinander
passiert es nicht selten, dass die Stimmung schnell ‚umkippt‘. Gäste nehmen
ihre Differenzen untereinander, die sie ‚draußen‘ haben, aber auch mit hinein.
Hinzu kommt, dass Gäste, wie im Beispiel von Leon, eine gewisse Grundan-
spannung in die NÜ hineinbringen. Da scheint erst recht verständlich, wenn
Situationen geradezu unvorhersehbar und plötzlich eskalieren.
Zum Beispiel, als ich während einer Schicht gemeinsam mit zwei Gästen
im Aufenthaltsbereich der NÜ III sitze und wir uns unterhalten. Die meisten
Gäste schlafen bereits und es ist ruhig. Plötzlich, mitten in der Unterhaltung,
wird der Gast zu meiner Linken wütend und aggressiv. Mit vulgären und bos-
haften Beleidigungen beschimpft er plötzlich den Gast zu meiner Rechten. Die
Beschimpfungen treffen den anderen Gast hart, glücklicherweise ist dieser
eher von zurückhaltender Natur [vgl. Protokoll, 154].
Auch in der NÜ I treten solche ‚unvorhersehbaren‘ Ausbrüche auf, bei-
spielsweise als – noch relativ früh am Abend – Gäste im Aufenthaltsbereich
sitzen und essen. Plötzlich gibt es ein lautes Geräusch, weil ein Gast von seiner
Bank aufspringt. Er sucht einen Mitarbeiter, der ihm beistehen kann und ruft:
„Warum spuckt der mir einfach ins Gesicht? Ich lass mich nicht dreckiger Ka-
nake nennen und dann einfach anrotzen, was soll denn das?“ [Gast NÜ I, Pro-
tokoll, 91].
Das Aufeinanderprallen von Menschen unterschiedlichster Mentalitäten
und Problemlagen erschwert zudem den Umgang miteinander in den NÜs und
kann Nährboden für etliche Konflikte bieten:

„Es lässt sich leicht vorstellen, daß es von jedem Einzelnen viel Toleranz und
Respekt abfordert, auf engem Raum den Anderen zu akzeptieren. Ebenso leicht
wird man sich vorstellen können, daß dies nicht immer gelingt. Die Folgen kön-
nen heftig ausfallen.“ [Mark 2014, 4].
Soziale Exklusion von Notleidenden - 55 -

6 Interpretation zentraler Ergebnisse


„Also, wenn Du meine abgestumpfte Meinung hören willst. Also, das was wir hier
betreiben, ist weniger Hilfe als Totenbegleitung. Was sie erwartet ist der Kältetod auf
der Straße, wir versuchen nur, denen das etwas leichter zu machen. […] Es sind mitt-
lerweile so viele verstorben, die ich begleitet habe, dass… ja. […]“
[Chris, Protokoll, 83]

Fest steht: Die Berliner Kältehilfe leistet viel. Sie bringt die Mitarbeiter aber
auch ständig an ihre Grenzen. Als es dem Kältebusteam nicht gelang, einen
Rollstuhlfahrer zu transportieren, entsteht aus dieser gedrückten Stimmung
heraus obiges Zitat eines Fahrers.
In der Tat können die Mitarbeiter der Kältebusse auch nur vergleichs-
weise selten Geschichten vom langfristigen Erfolg oder Obdachlosen, die sie
direkt von der Straße ‚holen‘ können, erzählen42. Sie erzählen Geschichten
über Ängste, Ausreden, Scham und Stolz, über Menschen, die nicht fälschli-
cherweise als bedürftig eingestuft und abgestempelt werden möchten. Und
Geschichten über ‚Platten‘, die plötzlich leer sind.
Dieser erdrückende Eindruck des Mitarbeiters mag auch damit zusam-
menhängen, dass die Kältebusmitarbeiter in den Fällen, in denen sie Men-
schen in die NÜ bringen konnten, nicht immer erfahren, wie sich ihr weiteres
Dasein entwickelt. Das wiederum liegt einerseits daran, dass die Berliner Käl-
tehilfe aus einem Netzwerk besteht, in dem unterschiedlichste soziale Akteure
agieren, und andererseits ein zeitlich befristetes Konstrukt darstellt.
Das macht ihre Arbeit jedoch nicht minder ergiebig. Die aufsuchende
Arbeit des Kältebusses bildet neben anderen Institutionen der Straßensozial-
arbeit wichtige Informationskanäle für Betroffene, die aus eigener Kraft nicht
in der Lage sind, sich Kenntnisse über die Berliner Kältehilfe anzueignen.
Um eigenständig von der NÜ, ihrer Lage, Öffnungszeiten und Zugangs-
bedingungen Kenntnis zu erlangen, ist zunächst Sprache und Verständnis eine
wichtige Voraussetzung. Die Angebote der Berliner Kältehilfe werden sowohl
im Printformat, als auch online43 veröffentlicht. Diese Dokumente finden sich
auf Deutsch, Spanisch, Bulgarisch, Russisch und Polnisch. Sofern hier eine
Barriere durch Sprachkenntnisse besteht, wären sicherlich zusätzliche Infor-
mationsangebote in weiteren Sprachen von Nutzen44.

42 Aber es gibt sie. Dem Kältehilfetagebuch der Berliner Stadtmission lässt sich
beispielsweise der weitere Werdegang von Jürgen entnehmen. Eingangs zitiert in Ka-
pitel 5, weigerte er sich, eine NÜ aufzusuchen, nimmt aber kurze Zeit später einen
Platz im Übergangshaus Anspruch [vgl. Kältehilfetagebuch 2014, online].
43 Zur Gepäckabgabe der NÜ I geben etliche Gäste ihre Smartphones zum Aufla-
den ab. Auch (technisch versierte) Obdachlose, die nicht die NÜs aufsuchen, wissen
häufig, wo sie Zugang zu Strom und WLAN bekommen [vgl. Protokoll, 68]. Für diese
Zielgruppe macht das Onlineinformationsangebot sehr wohl Sinn.
44 Wie mir ein Mitarbeiter der GEBEWO pro dazu erklärte, wurden die beste-
henden Übersetzungen von Mitarbeitern auf ehrenamtlicher Basis erarbeitet, da der
Kältehilfekoordination keine finanziellen Mittel für Übersetzungsleistungen zur Ver-
fügung stehen. Diese Sprachauswahl an angebotenen Übersetzungen ist demnach
- 56 - Soziale Exklusion von Notleidenden

Im Kontext des Kältehilfewegweisers bleibt dennoch offen, wie viele Betroffene


denn tatsächlich auf eigene Initiative solche Informationsangebote nutzen. Die
Hilflosigkeit, mit der Betroffene sich konfrontiert sehen, wenn sie diese Infor-
mationen nicht selbstständig einholen können, verdeutlichen sich beispielwei-
se an Ralph oder Ronny, die keine Kenntnisse über die NÜs hatten, bis der
Kältebus oder andere Obdachlose sie ‚einsammelten‘ [vgl. Kapitel 5.1] – oder
weitergehend auch an Hannes, der nicht lesen kann, was auf dem Stück Papier
steht, das er in seiner Jackentasche gefunden hat [vgl. Kapitel 5.5.4]. Die
Kompetenz, sich eigenmächtig über Hilfsangebote zu informieren45 stellt einen
wichtigen Schlüssel im Zugangssystem zur NÜ dar. Ausgehend davon bleibt
die Frage, wie hoch der Anteil der Betroffenen ist, der tatsächlich aufgrund
dieser Mechanismen von Kenntnissen über die Hilfsangebote ausgeschlossen
bleiben und mit welchen Mitteln diese Menschen erreicht werden können.
Weiterhin zeigt Nicoles Fallbeispiel, dass auf diesen Zugangsebenen
auch eine Zugangsschwelle im (vermeintlichen) Wissen über die NÜ besteht,
welche auch mit ihrem eigenen Selbstbild zusammenhängt. Nicole stellte die
Frage, ob sie überhaupt ‚abgewrackt‘ genug sei, um das Hilfsangebot des Käl-
tebusses wahrzunehmen – und sie stellte gleichzeitig klar, dass sie das nicht
sein will. Hierin steht zunächst ihre Frage, ob sie berechtigt ist, das Angebot
des Kältebusses und damit den Transport in eine NÜ wahrzunehmen. Dahin-
ter finden sich jedoch komplexere Mechanismen über Rollenzuschreibungen
innerhalb eines sozialen Systems, und ein Problem, mit dem sich Nicole kon-
frontiert sieht, weil sie den Rollenerwartungen, die sie selbst an beispielsweise
‚den‘ Gast der NÜ hegt, widerspricht. Andersherum zeigen Situationen, in de-
nen (vermeintlich) hilfebedürftige Menschen telefonisch gemeldet, vor Ort
aber nicht angetroffen wurden, dass bezüglich der Hilfsbedürftigkeit divergen-
te Situationsdefinitionen bei Betroffenen und ‚Meldenden‘ bestehen. Für wei-
tergehende Erklärungen wäre an dieser Stelle wissenswert, welche Rollen Be-
troffene denn eigentlich einnehmen und hinsichtlich welcher Bezugsgruppe
die jeweilige Rollenerwartung individuell zum Konflikt führt. Argumente, die
mit Stolz- oder Schamgefühlen, mit Nicht-Dazugehören oder -Eingestehen-
wollen zusammenhängen [vgl. Kapitel 5.2], verweisen auch auf die Frage, in-
wiefern sich innerhalb der heterogenen Gruppe der Betroffenen auch differen-
zierte Modelle der Lebensführung und –einstellung ausmachen ließen.
Nicht unerheblich scheinen auch Stigmatisierungsprozesse, die zu dem
‚Reflex, nicht dazugehören wollen‘, führen und Hilfsangebote abzulehnen.

vielmehr dem Zufall zuschulden, was auch erklärt, warum diese nicht mit den anteilig
größten nationalen Gruppen kongruiert, die das Kältehilfeangebot der NÜ in An-
spruch nehmen [vgl. Tabelle 4].
45 Pierre Bourdieus Kulturkapitalbegriff wäre an dieser Stelle ein nützlicher
Wegweiser zur tieferen Interpretation gesamtgesellschaftlicher Zusammenhänge.
Soziale Exklusion von Notleidenden - 57 -

Ein weiterer wichtiger Aspekt findet sich in Matthias‘ Bekundung, dass ‚ent-
weder alle oder keiner‘ aus seiner Gruppe die NÜ aufsuchen [vgl. Kapitel 5.2].
Anders, als seine Erklärung zunächst vermuten lässt, sind Gruppenstrukturen
hier als Trink-, Schutz-, Zweck- oder Zwangsgemeinschaft zumeist eher weni-
ger durch Zusammengehörigkeitsgefühle und Solidarität geprägt [vgl. van den
Brink 2004, 18 ff.]. Dazu wäre im Weiteren wissenswert, inwiefern also gerade
die Gruppenstrukturen, welche einerseits der Sicherheit dienen sollen aber
andererseits von kurzer Dauer und geringem Gemeinschaftsgefühl geprägt
sind, die Inanspruchnahme von Hilfsangeboten wie der NÜ verhindern46.
Denn gleichzeitig zeigt auch das Verhalten eines Gastes, der einem Gast folgte,
als dieser wegen Gewaltandrohungen die NÜ I verlassen musste, dass auch
‚entweder alle oder keiner‘ die NÜ verlässt [vgl. Kapitel 5.5.1].
Weiterhin bestünden auch zusätzliche Aspekte in den Geschlechterrol-
len, die es näher zu beleuchten gälte47. Schwierig ist insgesamt, dass auf der
einen Seite fehlende Unterkünfte für Frauen und Paare kritisiert werden. Auf
der anderen Seite bemängeln aber auch Gäste, dass es bei gemischtgeschlecht-
lichen Einrichtungen vermehrt zu Streitigkeiten käme. Gäste, die sich dem
binären Geschlechtersystem entziehen, stehen zusätzlich vor gesonderten
Problemen der Unterbringung und der ständigen Angst vor Übergriffen.
Dabei scheint es auch logisch, dass eigentlich vielmehr kleinere Einrich-
tungen sinnvoll wären: Sie wären attraktiver für die Gäste und böten den Mit-
arbeitern vor Ort bessere Möglichkeiten, zumindest beratend zu wirken48. Zu-
dem bestünde nicht die gleiche anstrengende Situation für die Wartenden
Gäste draußen.

46 Ein Kältebusfahrer weist mich noch am selben Abend darauf hin, dass Stefan
bereits länger von ihm betreut wird, und seine Freundschaften häufig wechseln [vgl.
Protokoll, 83]. Dass sich Gäste „ja gegenseitig auf’s Maul [hauen] für die Nummern“
[Maik, Protokoll, 156] bei der Wartemarke zeigt, wie gering Solidaritätsgefühle inner-
halb einer Gruppe sind, wenn es um den Einlass in die NÜ geht. Hierbei sprach Maik
von einem Gast, der einen anderen so hart ins Gesicht schlug, dass dieser ein großes
Hämatom davontrug. Beide gehören jedoch zur selben Clique und geben sich auch
nach diesem Vorfall als befreundet. Dazu muss jedoch beachtet werden, dass auch
innerhalb der NÜ die Gruppe wiederum erhöhtes Schutzpotential verspricht. Mir ist
bekannt, dass diese Gruppe sich nach der Kältesaison verstritt.
47 Ein langjähriger Mitarbeiter der NÜ I erklärt, dass es bei weiblichen Gästen
die Besonderheit gäbe, dass sie entweder einzelgängerisch auftreten (und dann oft
psychisch beeinträchtigt sind) oder in Gruppen mit Männern, bzw. ‚Aufpassern‘ (und
mutmaßlichen Zuhältern) die NÜ aufsuchen würden. Es sei auffällig, dass kaum ‚reine‘
Frauencliquen in der NÜ bekannt sind, ‚reine‘ Männergruppen hingegen schon [vgl.
Mitarbeiter NÜ I, Protokoll, 86]. Insgesamt bringen Aspekte weiblicher und damit
verdeckter Obdachlosigkeit eigene Problemlagen mit sich: „Frauen verstecken sich viel
mehr. Wenn man dann ein Projekt anmelden will, um Frauen zu unterstützen, kann
man den Bedarf ja nicht aufzeigen und bekommt keine Gelder.“ [Michael, Protokoll,
80], erklärt ein Mitarbeiter des Kältebusteams.
48 Die Mitarbeiter sind mit Bereitstellung der Primärversorgung bereits stark
ausgelastet, es fehlt oftmals an Zeit, sich intensiver mit den Gästen auseinanderzuset-
zen. Zeit ist wichtig, aber Zeit kostet Geld, und davon ist nur wenig da. Insbesondere
zur Weckphase scheint es jedoch wichtig, dass mindestens genug Personal anwesend
ist. Weiterhin zeigte sich auch in der NÜ III, dass es auch an Sozialarbeitern mangelte.
- 58 - Soziale Exklusion von Notleidenden

Weiterhin, so ist zu mutmaßen, hängen doch zumindest atmosphärische Be-


sonderheiten, oder die Überfüllung der Einrichtung auch damit zusammen,
dass Gäste erhöhtes Aggressionspotential zeigen. Was jedoch im Umkehr-
schluss nicht bedeutet, dass Gäste Übergriffe gegen andere Gäste und Mitar-
beiter dulden. Zugespitzt formuliert lässt sich sagen, dass nicht etwa Heroin-
konsum, Alkoholmissbrauch oder Justizflucht unter vielen Gästen der NÜ als
abweichendes Verhalten gelten – denn das ist dort mitunter das ‚normalste
der Welt‘ – sehr wohl aber beispielsweise sexuelle Übergriffe durchaus zum
Ausschluss aus der Gemeinschaft führen können. Dass mutmaßlich formelle
und informelle Hausverbotsformen parallel zueinander bestehen, jedoch nicht
die gleichen Kriterien besitzen, deutet darauf hin, dass Gäste eine andere De-
finition als ‚angemessener Gast‘ aushandelten. Im weiteren ließe sich also die
Frage stellen, inwiefern diese NÜs als Orte der negotiated order im
Strauss’schen Sinne Ausschlussmechanismen kreieren, die nicht mit der for-
malen Hausordnung der Einrichtung kongruiert. Dieser Aspekt ließ sich in
dieser Arbeit nur ansatzweise beleuchten.
Dass Obdachlose befürchten, ihnen könnte in der NÜ ihr Gepäck abhan-
denkommen bzw. auch, dass sie es nicht mit hineinnehmen können, mag mit-
unter damit zusammenhängen, dass dieser letzte Besitz symbolisch stärker
aufgeladen wird. Das stellt Betroffene womöglich zunächst auch vor die Frage,
wie sie ihr Gepäck überhaupt zur NÜ transportieren können. Aber auch ohne
Gepäck erreichen nicht alle, die möchten, die NÜ. Das hängt nicht damit zu-
sammen, dass die NÜs schlecht an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden
sind, sondern damit, dass die Menschen mittellos49 sind, oder sich verirren.
Besonders zentrumnahe NÜs sind stärker ausgelastet, was mit Erreich-
barkeit und Nähe zu anderen Einrichtungen in Verbindung steht. Auf der an-
deren Seite sind genau in diesen Bezirken geeignete und günstige Immobilien
oftmals rar. Bedenkt man Konzept und Entstehungsgeschichte der NÜ III,
scheinen für den zukünftigen Einsatz sich zuspitzende Barrieren auf dem
Wohnungsmarkt nicht ausgeschlossen: Auf dem freistehenden Stellwerkge-
lände, auf dem die Wärmehalle in den letzten zwei Jahren errichtet wurde,
werden aktuell Wohnungen erbaut. Care-Energy ist bestrebt, für die kommen-
de Saison eine andere Freifläche zu finden.

49 Eine mögliche Handlungsstrategie zeigte die Bremer Straßenbahn AG (BSAG)


wiederholt in Kälteperioden auf: In Bremen bestand an mehreren, sehr kalten Tagen
für Obdachlose das Angebot, kostenlos Busse und Bahnen zum Aufwärmen nutzen zu
dürfen. Zwar entstand dies in Ermanglung ausreichender Notschlafplätze, aber das
Angebot sei sowohl bei Obdachlosen, als auch der Öffentlichkeit gut angekommen
[vgl. Knödler 2012, online]. Um dem eisigen Temperaturen entgegenzutreten, hat sich
die BSAG „entschlossen, pragmatisch vorzugehen und gar nicht erst zu versuchen,
Obdachlose von vermeintlichen Obdachlosen zu trennen, die einfach nur kostenlos
Bahn fahren wollen“ [ebd.]. BSAG Sprecher Jürgen Lemmermann erklärt: „Jeder
weiß, wer gemeint ist.“ [ebd.].
Soziale Exklusion von Notleidenden - 59 -

7 Abschluss
„Erinnerst Du Dich noch an Matthias?
[…] Er starb. Vor drei Wochen etwa. […] Andrea sagt, er hatte noch gute Laune am
Abend, sie legten sich zusammen hin, zum Schlafen. Und da ist er nicht mehr aufge-
wacht am nächsten Tag. […].“
[Michael, Protokoll, 115]

Als Matthias – 37 Jahre alt und seit mindestens sieben Jahren obdachlos – in
der Nacht des 30. Januars 2015 über die Hilfsangebote für Obdachlose in Ber-
lin spricht, gerät er ins Schwärmen über deren Vielzahl. Er ist fröhlich, ausge-
lassen und er scherzt viel. Matthias wird nur noch knapp einen Monat leben.
Es bleibt unklar, weshalb der junge Mann – trotz der vielen Hilfsangebo-
te – auf der Straße verstarb50.
Sicherlich hätte Matthias, wie viele von Armut betroffene Menschen,
bessere medizinische Versorgung benötigt. Der gesundheitliche Zustand vieler
Obdachloser ist prekär. Auch in den NÜs finden sich zuweilen mehr und mehr
kranke und pflegebedürftige Gäste – nicht selten wurden diese zuvor von
Krankenhäusern abgewiesen oder sogar von Krankentransporten in der NÜ
‚abgesetzt‘. Die ambulante Behandlung der Gäste ist unverzichtbar, es fehlt
jedoch auch an dringend benötigten stationären Aufnahmemöglichkeiten.
Matthias lag nicht unbedingt falsch, als er urteilte, dass „doch die guten
Einrichtungen fast immer voll [sind]“ [Matthias, Protokoll, 77]. Mit 82.098
gezählten Übernachtungen bei dauerhaft hoher Auslastung lässt sich für die
Berliner Kältehilfesaison 2014-15 nicht geringe Resonanz, sondern sogar stei-
gende Nachfrage attestieren. Trotz ihres schlechten Rufes ist die NÜ I ‚chro-
nisch überfüllt‘, die NÜ III operierte ebenfalls ständig am Kapazitätsmaxi-
mum.
Matthias konnte aber auch ernst sein. Wenn es um Politik ging zum Bei-
spiel. Da regte er sich auf: „Das geht doch nicht, dass der Staat Geld hat und
Asylantenheime baut aber sich nicht um die Deutschen kümmert. Die müssen
erfrieren. Der Staat soll sich mal um die eigenen Leute kümmern.“ [Matthias,
Protokoll, 76]. Grundsätzlich – so streitbar seine Argumentation auch ist – ist
sein Vorwurf von mangelndem politischem Interesse an der Obdachlosenthe-
matik jedoch nicht ungerechtfertigt. Mit ihren Datenerhebungen in den NÜs
zeigte die Berliner Stadtmission, dass es – zumindest in diesem Rahmen –
durchaus möglich ist, Obdachlosenstatistiken zu erstellen. Weiterhin wartet
die Berliner Kältehilfe, unter anderem mit Hilfe dieser Statistiken, mit konkre-

50 Als ‚offizieller‘ Kältetoter wird Matthias in der Pressemitteilung der Bundesar-


beitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. allerdings nicht geführt. Laut dieser ver-
starben mindestens sieben wohnungslose Menschen unter Kälteeinwirkung in der
letzten Kältehilfesaison 2014-15, jedoch keiner davon in Berlin [vgl. BAG W 2015, 1].
An dieser Stelle soll allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass auch der letzte warme
Sommer beispielsweise ein großes Risiko für Obdachlose, insbesondere mit Sucht-
problem, darstellte.
- 60 - Soziale Exklusion von Notleidenden

ten Forderungen an die Landespolitik Berlin auf: Trotz des bereits bestehen-
den Hilfenetzes fehlt es insbesondere an Angeboten für obdachlose Menschen
mit erhöhtem Assistenzbedarf [vgl. Eschen 2015, 2], Notunterkünften, die un-
ter angemessenen Voraussetzungen Familien mit Kindern aufnehmen können
[vgl. Kostka 2015, 3], spezieller Förderung von Projekten, die die Unterstüt-
zung nichtdeutschsprachiger Bedürftiger ermöglichen [vgl. ebd.] und Konzep-
ten zum Umgang mit der Flüchtlingsproblematik [vgl. ebd.].
Aber, Matthias sagte auch, er freue sich immer, wenn die Kältebusteams
vorbeikämen [vgl. Matthias, Protokoll, 78]. Er hat viel zu erzählen, und die
Mitarbeiter hören zu. Sie kämpfen gegen die Isolation und Ausgrenzung an,
denen die Betroffenen ausgesetzt sind.
Die Argumente, eine Übernachtung in den Notunterkünften nicht wahr-
zunehmen sind, wie die Arbeit aufgezeigt hat, vielschichtig und sowohl diffe-
renzierter und weitgehender, als ‚gängige‘ Vorurteile zunächst nahelegen mö-
gen. Dabei überrascht es weniger, dass etliche Gründe auf einen Nerv gesamt-
gesellschaftlicher Diskriminierungsformen drücken, der bis ‚ganz nach unten‘
ausstrahlt. Die ärmsten der Armen konkurrieren um die Plätze in den Notun-
terkünften: Immer mehr Menschen sind auf diese Hilfe angewiesen. Wo es
unter anderem an Unterbringungsmöglichkeiten für obdachlose Frauen,
Transgender und Paare mangelt, müssen sich gleichzeitig besonders weibliche
und homosexuelle Gäste um ihre Sicherheit fürchten und Menschen mit kör-
perlichen oder geistigen Behinderungen können nicht versorgt werden. Die
ursprüngliche Primärfunktion der Berliner Kältehilfe, nämlich den Kältetod
auf der Straße zu verhindern, ist im Hintergrund aller Tätigkeiten sicherlich
präsent. Aber vor den unterschiedlichsten sozialen Nöten und prekären Le-
bensumständen, aus denen heraus die Betroffenen auf die Kältehilfe angewie-
sen sind, kann die Kältehilfe allein keine Abhilfe schaffen.
Diese Menschen sind das ganze Jahr über in Not. „Die machen’s dann
halt irgendwann nicht mehr und sterben dann halt einfach.“ [Chris, Protokoll,
83].
Soziale Exklusion von Notleidenden - 61 -

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- 64 - Soziale Exklusion von Notleidenden

Anhänge (Übersicht): Auf beiliegender CD


Der Anhang befindet sich auf der beiliegenden CD in folgende Kapitel unter-
teilt:

Anhang A: Statistik Saison 2014-15 65


Anhang B: Protokolle 67
Protokoll 29.01.2015 – 30:01.2015: Kältebus 67
Protokoll 10.02.2015 – 11.02.2015: NÜ I 85
Befragung 21.02.2015: AV NÜ I 96
Protokoll 21.02.2015 – 22.02.2015: NÜ I 99
Protokoll 27.02.2015 – 28.02.2015: NÜ III 103
Protokoll 28.02.2015 – 01.03.2014: NÜ III 109
Protokoll 17.03.2015 – 18.03.2015: NÜ III 112
Protokoll 22.03.2015 – 23.03.2015: NÜ III 116
Protokoll 25.03.2015 – 26.03.2015: NÜ I 126
Protokoll 26.03.2015 – 27.03.2015: NÜ III 132
Protokoll 28.03.2015 – 29.03.2015: NÜ III 134
Protokoll 29.03.2015 – 30.03.2015: NÜ I 137
Protokoll 31.03.2015 – 01.04.2015: NÜ III 141
Protokoll 02.04.2015 – 03.04.2015: NÜ III 148
Protokoll 03.04.2015 – 04.04.2015: NÜ III 152
Protokoll 04.04.2015 – 05.04.2015: NÜ III 155
Protokoll 05.04.2015 – 06.04.2015: NÜ III 160
Anhang C: Zahlen zur Kältehilfe 2013-14 164

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