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Tiere als Mitgeschöpfe

von Hans-Eberhard Dietrich

Die Formulierung »Tiere als Mitgeschöpfe« stammt aus dem


Tierschutzgesetz von 1986: §1 lautet: »Zweck dieses Gesetzes ist es,
aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf
dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem
Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden
zufügen.«1 Das Gesetz nimmt die Tiere als Rechtssubjekte und als
Mitgeschöpfe wahr und weist auf die Verantwortung des Menschen
ihnen gegenüber hin, ja spricht sogar von Pflichten des Menschen
gegenüber den Geschöpfen. Mit der Wortwahl knüpft es an die
christliche Tradition an, die hinter der Natur den sieht, der alles geschaffen hat: Gott als den Schöpfer. Es stellt sich
die Frage: Wenn der religiös neutrale Staat eine solche Wortwahl trifft, welchen Wert und welche Würde haben die
Tiere in offiziellen Äußerungen der Kirche heute?
Traditionell geht es in der Kirche um den Menschen, um sein Verhältnis zu Gott und wie er zu seinem Heil gelangt.
Auf dem Weg dorthin geht es dann auch darum, wie er sich zum Mitmenschen und zur Gesellschaft verhalten soll.
Die Tiere kamen und kommen in dieser Ethik nicht vor, geschweige denn der Gedanke, dass der Mensch Tieren
gegenüber Pflichten hat. Albert Schweitzer charakterisierte es sehr treffend: »Wie die Hausfrau, die die Stube
gescheuert hat, Sorge trägt, dass die Tür zu ist, damit ja nicht der Hund hereinkomme und das getane Werk durch
die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen Denker darüber, dass ihnen keine Tiere in der Ethik
herumlaufen.«2
Am Ende des 20. Jh. setzte sich allmählich die Einsicht durch, dass christliche Ethik sich nicht allein auf
zwischenmenschliches Verhalten beschränken darf. Diesem Wandel im Denken konnte sich auch die Kirche nicht
länger verschließen. (…)
Das Verhältnis Mensch-Tier ist biblisch sachgemäß erfasst, wenn die Tiere als Mitgeschöpfe gesehen werden. Das
ergibt sich schon aus der Beobachtung: Menschen und Landtiere werden am gleichen 6. Schöpfungstag erschaffen,
Tiere und Menschen sind eine lebendige Seele (Gen. 1,20), beide stehen unter Gottes Segen und gehören zum
gleichen Gottesbund, Gottes Reich am Ende der Zeiten ist nicht ohne Tiere denkbar. Die hier herausgearbeiteten
sieben Themen kann man sehen als eine Entfaltung dieser Bestimmung: Das
staatliche Tierschutzgesetz mit seiner Bestimmung »das Tier als Mitgeschöpf«
entspricht genau diesem biblischen Befund. (…)

Der Herrschaftsauftrag über die Tiere


Hier wird Schluss gemacht mit einer Haltung der Ausbeutung und der
Verantwortungslosigkeit. Jetzt wird der Mensch den Tieren gegenüber gesehen
als Hirte.
Eigenwert der Tiere
Aus diesem Denken ergibt sich eine zweite Kurskorrektur: Die Tiere haben einen Eigenwert unabhängig vom Nutzen
für die Menschen. Sie müssen ihre Daseinsberechtigung nicht nachweisen. Sie sollen leben dürfen, weil sie Gott
geschaffen hat und weil Gott ein Freund des Lebens ist.
Artenschutz
Weil Gott ein Freund des Lebens ist, ist es ganz selbstverständlich, dass
alle Arten des Lebens gleiches Recht auf Leben haben und das Recht,
ihrer Art gemäß zu leben, was vor allem für die Nutztiere gilt. Der
Mensch muss alles tun, um die Artenvielfalt zu erhalten.
Unabhängig davon ist die Einsicht, dass die biologische Vielfalt von
Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen die Grundlage allen Lebens ist,
auch des menschlichen Lebens. Die Artenvielfalt zu erhalten ist im
Eigeninteresse des Überlebens des Menschen begründet. Man kann es
sich durch einen Vergleich verdeutlichen: Ein Flugzeug wird durch viele
Nieten zusammengehalten. Wenn nun eine Niete nach der anderen
ausfällt, ist irgendwann der kritische Punkt erreicht, dass es
auseinanderfällt und abstürzt.
Tiere gehören zum Gottesbund
Am Ende der Sintflut wird allen Kreaturen deutlich gemacht: Gottes Fürsorge und Erbarmen gilt allem Leben. Es ist
die Zusage von Treue, Heil und Segen, eine Selbstverpflichtung Gottes, die über die Bedeutung eines Vertrages
zwischen Gleichberechtigten hinausgeht.
Gerechtigkeit gegen Tiere
Die Forderung der Gerechtigkeit gegen Tiere geht über Humanität und Barmherzigkeit hinaus. Sie zielt z.B. bei der
Nutztierhaltung darauf ab, sie artgerecht zu halten, nicht nur Schmerzen und Leiden zu vermeiden, sondern darüber
hinaus für ihr Wohlbefinden zu sorgen. Die Forderung der Gerechtigkeit gegen Tiere wurde erstmals 1787 von dem
Mainzer Philosophen Wilhelm Dietler erhoben.23 Dietler sieht die Pflichten gegen die Tiere als einen wichtigen Teil
der praktischen Philosophie an. »Dass der Mensch gegen die Tiere Pflichten hat, kann niemand bezweifeln, wer die
Gottheit als Urheber und Regierer des Ganzen erkennt .... Wenn Gott vollkommen ist, dann will er auch das Glück
aller Geschöpfe ... Als Geschöpfe des nehmlichen, liebevollen Schöpfers sind wir alle gleich, mit gleichen Rechten und
gleichen Zwecken bestimmt ... Denn zu glauben, dass des gütigen Allvaters Liebe sich blos auf den Mensch
einschränken, wäre Gotteslästerung«24.
Barmherzigkeit
Über die in den Denkschriften erwähnte Bibelstelle hinaus soll hier noch auf weitere Bibelstellen aus dem AT
hingewiesen werden:
»Wenn du den Esel deines Widersachers unter seiner Last liegen siehst, so lass ihn nicht im Stich, sondern hilf mit ihm
zusammen dem Tier auf.« (Ex. 23,5)
»Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind.« (Spr. 31,8)
»Denn du liebst alles, was ist und verabscheust nichts von dem, was du geschaffen; denn hättest du etwas gehasst,
dann hättest du es nicht erschaffen.« (Weish. 11,24)
Frieden mit den Tieren
Von dieser Vision geht ein starker Handlungsimpuls aus. Wir Christen sind aufgefordert, in der Vorwegnahme dieses
Tierfriedens das uns heute Mögliche in die Tat umzusetzen. Wir Menschen können das Reich Gottes nicht
heraufführen. Wir können aber im Verhalten zu den Tieren Zeichen setzen, ein Stück weit einen solchen Frieden
verwirklichen.

Arbeitsaufträge
a.) Konsequenzen
Formuliert thesenartig Konsequenzen, die sich aus einer solchen biblischen Tierethik im Hinblick auf unterschiedliche
Themenbereiche ergeben, etwa für die Bereiche:
Tierische Ernährung, Tierversuche, Jagd, Pelztiergewinnung, Haustiere, Nutztiere, Tiere als Freizeitbeschäftigung,

b.) Tiere in der Bibel


Lest die folgenden Stellen in der Bibel und vergleicht mit den Aussagen oben: Was kennt Ihr schon, was kommt evtl.
neu an Impulsen hinzu?
Gen 1,27-30; Gen 9,1-5; Lev 11; Ex 23,4.5.12,19b; Dtn 14,21b; 22,6; 25,4; Ex 20,1-17; Jes 11,1-9; Num 22,22-35

Quelle: Deutsches Pfarrerblatt - Heft: 8 / 2013


(gekürzt S.M.)

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