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Ideenskizze: Bildungsinnovationsdialog – „Yes we learn“ Stand: 08.04.

2024

Präambel:
Die im folgenden skizzierte Idee ist aus verschiedenen Workshop-Settings und
Diskussionsrunden zum Thema „Der aktuelle Stand des Österreichischen Bildungssystems“
entstanden.
Hierbei hat man in der Diskussion festgehalten, dass das österreichische Bildungssystem
sinnbildlich einem Altbau gleicht. Grundsätzlich gut durchdacht und umgesetzt und auch
jetzt nach Jahrhunderten noch bewohnt. Jedoch aktuell in die Jahre gekommen und auch
problematisch zu sanieren, ohne die „Bewohner:innen“ zu stark zu beeinträchtigen.
Grundsätzlich weiß man aber, dass es nicht nur darum geht, den Altbau nur zu sanieren,
sondern ihn so zukunftsweisend zu machen, wie er damals bei seiner Erbauung war.

Ausgangslage:
Entscheidungen werden in der schulischen Bildungspolitik in Österreich im Unterschied zu
anderen Ländern wenig bis gar nicht demokratiepolitisch konsensual – sprich von einem
breiten Querschnitt aller Parteien getragen – und evidenzbasiert – sprich durch den
aktuellen Stand der Wissenschaft abgesichert – getroffen. Die (aktuell) regierende(n)
Partei(en) und zugehörigen Organisationen verfolgen bei Reformen oftmals in erster Linie
das Ziel ihre eigenen ideologischen Ansichten im Bildungskontext zu verankern. Weiters
werden dabei Entscheidungen stärker basierend auf ihrer politischen Verwertbarkeit
betreffend der aktuellen Ansprüche des eigenen Klientels bzw. auch ihrer Einfachheit in der
Kommunikation, als basierend auf ihrem Potenzial für die Gestaltung der Zukunft getroffen.
Eine Bildungspolitik, die jedoch nicht den Blick in die Sterne und somit gemeinsam Richtung
Zukunft richtet, während sie im Tun im hier und jetzt zielstrebig einen Fuß vor den anderen
setzt, braucht sich nicht zu wundern, wenn sie mit fortschreitender Zeit schnellerwerdend
rückwärtsschreitet.

Was die Verantwortung für die Ausgestaltung und Umsetzung von bildungspolitischen
Ansätzen betrifft, liegt diese im Zuständigkeitsbereich der Verwaltung. Diese agiert im
Bereich Bildung aktuell oftmals nach linearen top-down Modellen entsprechend der
systemisch vorgegebenen mehrstufigen Steuerung [1]. Die dahinterliegende
Modellvorstellung ist jedoch nicht nur aus systemtheoretischer Sicht lückenhaft bezüglich
der Beschreibung der Realität, da Effekte der Systemeigenlogik und -eigendynamik sowie
zufällig auftretende Ergebnisse von bewussten Steuerungsaktivitäten nicht abgebildet sind
[2]. Auch ist sie für die Erarbeitung von Lösungen zu adaptiven und komplexen
Problemstellungen unter schnellveränderlichen Rahmenbedingungen, wie sie aktuell
vielfach vorliegen, nur eingeschränkt erfolgsversprechend [3].
Die Möglichkeiten der Schulautonomie [4], die durch die entsprechende Gesetzgebung seit
2017 den Schulen teilweise entsprechende Freiräume zum autonomen Entwickeln von
Lösungsansätzen bieten würde, ist wissenstechnisch und auch kulturell noch nicht
ausreichend im Alltag der Schule und auch der Bildungsverwaltung angekommen, um der
aktuellen Situation adäquat zu begegnen. Auch im internationalen Vergleich schneidet das
österreichische Bildungssystem bezüglich seines Autonomiegrads eher dürftig ab.
Änderungen dieser systemischen Gegebenheiten brauchen Gesetzesnovellierungen auf
verschiedenen Ebenen bis teilweise hin zu verfassungsrechtlichen Novellen [5].

Zusammenfassend ist somit durch die Notwendigkeit einer Zwei-Drittel-Mehrheit im


Parlament für einige grundlegende gesetzliche Änderungen zu wichtigen systemischen

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Ideenskizze: Bildungsinnovationsdialog – „Yes we learn“ Stand: 08.04.2024

Bildungsthematiken sowie durch die Aufgabenteilung zu Bildungsthemen zwischen Bund und


Ländern ein demokratiepolitisch und auch innerhalb der föderalen
Verantwortungsaufteilung der Verwaltung konsensualer und evidenzbasierter Weg durch die
vorherrschenden demokratischen Spielregeln vorgegeben.
Erfolgreichen sowohl konsensorientierten als auch evidenzbasierten Handlungsweisen liegt
immer ein gemeinschaftlicher Lernprozess aller Beteiligten zugrunde und gelingendes
Lernen braucht Raum und Zeit, damit in gefühlter Sicherheit und unter sozialer Interaktion
im lernenden Miteinander Gestaltungsspielräume im Sinne aller Beteiligten genutzt werden.

Durch die Nichtbeachtung der beschriebenen systemischen Gegebenheiten und der


Negation der Tatsache, dass Lernen notwendig ist und Lernen nur unter den entsprechenden
Gegebenheiten passieren kann, ist über Jahrzehnte eine Patt-Situation entstanden. Geprägt
ist diese durch einerseits Stillstand und andererseits durch kurzfristige und übereilte
Aktionen und Reformen. Diese festgefahrene Situation hat sich inzwischen auch in der Kultur
des österreichischen Bildungsbereichs so weit verfestigt, dass sie als gängiger und
unabänderbarer Status-Quo verstanden wird.

In der Praxis führt diese Situation nicht nur zu Irritationen, Mehraufwand und damit
einhergehend Demotivation beim Verwaltungs- und Lehrpersonal – und wahrscheinlich auch
der Bildungspolitik - sondern hat in letzter Konsequenz auch starke negative Auswirkungen
auf die Schüler:innen und ihre Lernprozesse und somit ihre Zukunft. Zeitgleich hat die
Situation in den letzten Jahrzehnten auch das Bild des österreichischen Schulsystems in der
Öffentlichkeit stark negativ geprägt. Aufgrund der zentralen Rolle des Bildungssystem hat
dies nicht nur negative Auswirkungen auf den Forschungs-, Technologie-, Innovations- und
auch Wirtschaftsstandort Österreich [6], [7], sondern schwächt auch insgesamt das
gesamtgesellschaftliche Vertrauen in das Bildungssystem und bringt dadurch eine
gesamtgesellschaftlich nicht zukunftsorientierte Haltung und Entwicklung mit sich.

Mittlerweile haben sich zahlreiche staatliche und auch zivilgesellschaftliche Initiativen und
Organisationen gebildet, die das Bildungssystem in Österreich verbessern und positiv
beeinflussen wollen und auch zahlreiche Veranstaltungen zu Bildungsinnovationsthemen
finden statt. Aufgrund der Dimensionen des Bildungssystems wirken diese jedoch bei ihrer
im Vergleich eher geringen Größe nicht nachhaltig und breitflächig. Ein gemeinsamer
„systemischer Lernprozess“ kann ähnlich einem Orchester aus diesen vielen Einzelinitiativen
im gemeinschaftlichen Zusammenspiel die individuellen Stärken der einzelnen Initiativen zur
Geltung bringen und dabei über Synergieeffekte kollektiven Impact entfalten [8].

Der Ansatz:
Mit einem österreichweiten Bildungsinnovationsdialog soll ein einjähriger Prozess für ca.
1000 Personen aus allen Bereichen der Bildung in Österreich angestoßen werden, bei dem
gemeinsam und konsensual anhand von good und interesting practice und aktuellen
wissenschaftlichen Evidenzen zu den wesentlichsten Problemstellungen der
Bildungslandschaft diskutiert, gearbeitet und gelernt werden soll.

Mit langfristiger Perspektive möchte man dabei die beschriebene Situation adressieren und
unter Einbezug aller Beteiligten wesentliche Themenstellungen und Herausforderungen der
(schulischen) Bildung in Österreich sowie auch Erfahrungen aus der Pilotierung von

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möglichen Lösungsansätzen unter die Lupe nehmen. Eine wichtige Erfolgsbedingung ist bei
der Arbeit an der Gestaltung der zugehörigen Rahmenbedingungen, die erfolgreiche
Transformation verhindern oder auch ermöglichen können, eine iterative Vorgehensweise
sowie eine lernende Haltung aller Beteiligten.

In diesem "systemischen Lernprozess" sollen somit nicht nur erprobte Lösungsansätze


diskutiert und wenn notwendig adaptiert und zur Umsetzung vorbereitet werden, sondern
unter Einbindung von Politik, Verwaltung und Wissenschaft auch ein Pilotversuch zum
Thema „humble policy making meets collective impact“ [3], [8] im Bildungsbereich unter
Einbezug aller relevanten Ressorts auf Bundes- und Landesebene umgesetzt werden.

Damit kann man neben einem konsensualen und evidenzbasierten österreichweiten


Bildungsstrategieprozess auch eine großangelegte (Weiter-)bildungsaktivität über alle
Ebenen der Verwaltung hinweg in die Wege leiten, was beim in den kommenden Jahren
bevorstehenden Generationswechsel sehr gelegen kommt [9].

Bei einer entsprechenden Einbindung der Öffentlichkeit und der Möglichkeit zur Teilnahme
am Prozess für die interessierte Bevölkerung, kann zeitgleich auch das Demokratievertrauen
positiv beeinflusst werden. Dieses ist die Voraussetzung für die Legitimation der
Institutionen bzw. Organisationen, die Reformvorhaben vorantreiben und somit auch die
Legitimation dieser Vorhaben selbst. Denn auch wenn die Legitimität der Demokratie und
ihrer Institutionen über Generationen hinweg durch die Gesetzgebung festgeschrieben
werden kann, kann sie doch nur von jeder Generation über die Neuerarbeitung ihrer
Grundsätze immer wieder zu neuem Leben erweckt werden [10]. Somit ist die Einbindung
der Öffentlichkeit ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor.

Zielsetzung/Vision:
Zielsetzung des Prozesses ist, im Dialog zu entwickeln, wie Österreichs Schulen und
Kindergärten und die zugehörige Verwaltung und Lehre wieder zu Orten und Organisationen
werden, an denen:
• Kinder und Jugendliche die Qualifikationen erwerben, die sie brauchen, um
zuversichtlich in die Zukunft zu blicken.
• Lehrer:innen und Kindergartenpädagog:innen sich wieder vor allem auf das
Unterrichten und Arbeiten mit den Kindern fokussieren können.
• Personen aus der Verwaltung und Lehre sich darauf konzentrieren können, durch
ihre Aktivitäten, diese Aktivitäten an den Schulen und Kindergärten bestmöglich zu
begleiten und zu ermöglichen.

Die Ergebnisse des Prozesses sollen als Grundlage für eine integrierte und umfassende
Strategie für den schulischen Erfolg und zur Senkung der Schulabbrecher:innenquote
entsprechend der Empfehlungen des Rates der Europäischen Union vom 28.November 2022
dienen [11] und somit Österreich eine ganzheitlich gedachte und langfristig ausgerichtete
Bildungsstrategie geben.

Zielgruppe:
Bei diesem „systemischen Lernprozess“ ist angedacht ca. 1000 Personen aus den
verschiedensten Bereichen und Organisationen der Bildung in ganz Österreich über ein Jahr

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zu beteiligen. Dazu zählen politische Parteien, Interessenvertretungen, Mitarbeiter:innen


aus den Ministerien und anderen staatlichen und staatsnahen (Bildungs-)organisationen,
Wissenschafter:innen, Schulleiter:innen, Lehrer:innen, Schüler:innen, Eltern,
Bildungsstiftungen, Unternehmen und viele mehr.
Ein genauer Auswahlschlüssel und Selektionsmechanismus wird im Zuge der
Prozessvorbereitung erarbeitet. Zu berücksichtigen ist, dass eine gute Ausgewogenheit
zwischen den folgenden Gruppen gegeben ist:
• Personen, die aufgrund ihrer persönlichen Expertise involviert sind.
• Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Rolle involviert sind.
• Personen, die unterschiedliche betroffene gesellschaftliche Gruppen repräsentieren.
• Personen, die sich freiwillig melden und über einen transparenten
Bewerbungsprozess ausgewählt werden.

Dimensionen der Diversität und Inklusion werden bei der Zusammensetzung der Gruppe
ebenfalls berücksichtigt.

Ergebnisse:
Am Ende des einjährigen Prozesses sollen folgende Dinge vorliegen bzw. eingetreten oder
forciert worden sein:
• Aufgearbeitete Diskussionsergebnisse, die die Erstellung einer langfristigen, von allen
politischen Parteien und betroffenen Ministerien und anderen staatlichen
Organisationen akzeptierten Bildungsstrategie ermöglichen.
• Ein großer mit der Strategie vertrauter Personenkreis, der durch den persönlichen
Bezug größere Motivation zur langfristigen Verfolgung der entwickelten Ziele hat und
auch Ambassadorship für diese übernimmt.
• Eine gestärkte positive Wahrnehmung des österreichischen Bildungssystems in der
Öffentlichkeit und somit auch eine Stärkung des Vertrauens der Gesellschaft in das
Bildungssystem.
• Eine langfristige Stärkung der Wichtigkeit des Themas (schulische) Bildung in der
Gesellschaft und der Politik.

Finanzierung:
Aktuell ist für die Vorbereitung des Projekts mit Kosten von ca. 100.000€ zu rechnen, um den
Prozess im Detail auszuarbeiten und relevante Stakeholder an Bord zu holen.
Erste Abschätzungen ergeben für das Finanzierungsvolumen des einjährigen Prozesses eine
ungefähre Summe von 1,5 Mio. €.

Zeitplan:
Der Start des Projekts ist von der Finanzierungszusage abhängig und der Verfügbarkeit
einiger Key-Stakeholder. Für die vorbereitenden Arbeiten ist mit 6-12 Monaten zu rechnen.

Folgende Projektphasen sind vorläufig angedacht:


• Prozessvorbereitung (Inhaltliche-Recherche, Stakeholder-Recherche und Einbindung,
Finanzierung)
• Veröffentlichung (Kommunikationskampagne)
• Einladung und Selektion der Teilnehmenden

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• Auswahl und Aufbereitung der Themen


• Prozessdurchführung inkl. Berichterstattung
• Nachbereitung

Literaturliste/Quellen:
• [1] Nationaler Bildungsbericht (bmbwf.gv.at)
• [2] Altrichter, H. & Maag Merki, K. (2016). Steuerung der Entwicklung des
Schulwesens. In: H. Altrichter & K.Maag Merki (Hrsg.), Handbuch Neue Steuerung im
Schulsystem. Wiesbaden: Springer VS, S. 1–27. https://doi.org/10.1007/978-3-531-
18942-0_1 (Stand: 29.8.2019).
• [3] Humble Government: How to Realize Ambitious Reforms Prudently - Demos
Helsinki
• [4] Handbuch Erweiterung der Schulautonomie durch das Bildungsreformgesetz 2017
(bmbwf.gv.at)
• [5] VCL-News1-2019.indd (vcl-oe.at)
• [6] FTI-Strategie (bmbwf.gv.at)
• [7] Wirtschaftsuniversität Wien: Lässt sich Bevölkerungsschwund durch Bildung
kompensieren?
• [8] What Is Collective Impact - Collective Impact Forum
• [9] Personal des Bundes 2022 (bmf.gv.at)
• [10] CPI-Public-Impact-Fundamentals-Report-English.pdf (centreforpublicimpact.org)
• [11] Rat ergreift Maßnahmen zur Förderung des schulischen Erfolgs von Kindern in
der gesamten EU - Consilium (europa.eu)

Mitschreibende: Alfred Schierer, Teresa Torzicky


Mitdenkende: werden laufend ergänzt

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