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Briefe Band 3 Briefe Juli 1795 bis Juni

1797 1st Edition Wilhelm Von Humboldt


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Abteilung 1:
Briefe bis zum Beginn der diplomatischen Laufbahn
1781–1802
Wilhelm von Humboldt
Briefe

Band 3

Juli 1795–Juni 1797


Herausgegeben und kommentiert
von Philip Mattson
ISBN 978-3-11-046040-7
e-ISBN (PDF) 978-3-11-3-046605-8
e-ISBN (EPUB) 978-3-11-3-046592-1

Library of Congress Cataloging-in-Publication Data


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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek


Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-
bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Layout & Satz: Moritz Ahrens & Leonard Keidel


Druck & Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen

♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier


Printed in Germany

www.degruyter.com
In memoriam

Marie-Agnes von Heinz


1913–2015
Vorwort

Die Dankesworte, die das Vorwort zum letzten Band eingeleitet haben, sind selbst-
verständlich auch hier angebracht: der Herausgeber war und ist der Hilfe, Unterstüt-
zung und des Entgegenkommens vieler Freunde, Fachleute, Handschrifteneigentümer,
Satzgestalter und Verlagsmitarbeiter stets eingedenk und wiederholt dies hier aus gan-
zem Herzen. Die seinerzeitige, in einem günstigen Augenblick ergriffene Initiative des
Freundes Fritz Peter Knapp und der glückliche Umstand, dass der Adressat jener An-
regung, Heiko Hartmann, in der Lage und willens war, sofort konkrete Maßnahmen
zu ergreifen, sollen auch hier mit großer Dankbarkeit gerühmt werden.

Alle kontaktierten öffentlichen Fundstellen haben dankenswerterweise dem Abdruck


bzw. der Reprowiedergabe ihrer einschlägigen Bestände bereitwillig zugestimmt, und
der Familie der Grafen Trolle-Wachtmeister auf Trolle-Ljungby (Schweden) sei auch
an dieser Stelle gedankt für ihr hochherziges Überlassen der Briefe Humboldts an Carl
Gustaf v. Brinkman als Mikrofilm, der von der Universitätsbibliothek Uppsala gehütet
wird.

Die seinerzeitigen Helfer bei der Edition der Briefe Humboldts an F. A. Wolf, Erwin
Arnold und Ulrich Proetel, kommen auch in diesem Band mit eigenen Anmerkungen
zu Wort, deren Wiederabdruck für den Herausgeber mit angenehmen Erinnerungen
an fruchtbare und freundschaftliche Zusammenarbeit einhergeht.

Besondere Unterstützung von dritter Seite kam dem Band durch die kompetente und
umsichtige Betreuung von Herrn Klaus Oberdieck zugute (Verlagsarchiv Vieweg, Uni-
versitätsbibliothek Braunschweig). Eine entscheidende und detaillierte Auskunft ver-
dankt er Hans-Bernd Spies (Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg). Ein Hinweis von
Dieter Henrich war in der Causa Niethammer (vgl. S. 9) von entscheidendem Gewicht.

Schließlich gilt es, den befreundeten, treuen und so überaus kompetenten Satzgestal­
tern, Moritz Ahrens (klarsatz.de) und Leonard Keidel, für optimale Zusammenarbeit
sowie Peter Heyl für verständnisvolle und vor allem geduldige Verlagsbetreuung herz­
lich zu danken.

Heidelberg, im Januar 2017 Ph. M.

VII
Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
Zur Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Editionsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

Die Briefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

350. An Johann Carl Freiesleben, 1. VII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15


351. An Friedrich August Wolf, 6. VII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
352. An Friedrich Schiller, 7. (?) VII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
353. An Schiller, 13. (?) VII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
354. An Schiller, 17. VII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
355. An Wolf, 17. VII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
356. An Schiller, 28. VII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
357. An Friedrich Heinrich Jacobi, 28. VII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
358. An Christian Gottfried Körner, 1. VIII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
359. An Schiller, 4. VIII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
360. An Charlotte Schiller, 14. VIII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
361. An Friedrich Schiller, 15. VIII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
362. An Schiller, 18. VIII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
363. An Schiller, 21. VIII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
364. An Johann Wolfgang v. Goethe, 22. VIII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
365. An Schiller, 25. VIII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
366. An Schiller, 29. VIII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
367. An Schiller, 31. VIII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60
368. An Wolf, 1. IX. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
369. An Schiller, 8. IX. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
370. An Schiller, 11./12. IX. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
371. An Schiller, 14. IX. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
372. An Schiller, 15. IX. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
373. An Schiller, 22. IX. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
374. An Wolf, 25. IX. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90
375. An Schiller, 27. IX. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

IX
376. An Schiller, 28. IX. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
377. An Schiller, 2. X. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
378. An Schiller, 5. X. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
379. An Schiller, 12. X. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
380. An Schiller, 16. X. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
381. An Schiller, 23. X. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
382. An Schiller, 30. X. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
383. An Wolf, 30. X. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
384. An Schiller, 6. XI. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
385. An Wolf, 9. XI. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
386. An Carl Gustaf v. Brinkman, 10. XI. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
387. An Schiller, 13. XI. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
388. An Schiller, 20. XI. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
389. An Körner, 23. XI. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
390. An Wolf, 23. XI. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
391. An Schiller, 27. XI. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
392. An Dorothea Campe, 29. XI. (?) 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
393. An Schiller, 4. XII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
394. An Schiller, 11. XII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
395. An Schiller, 14. XII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167
396. An Schiller, 18. XII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
397. An Schiller, 25. (?) XII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
398. An Schiller, 29. XII. 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
399. An Wolf, 5. I. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
400. An Schiller, 12. I. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
401. An Schiller, 30. I. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
402. An Schiller, 2. II. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
403. An Unbekannt, 7. II. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
404. An Brinkman, Februar (?) 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
405. An Goethe, 9. II. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
406. An Schiller, 9. II. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
407. An Wolf, 9. II. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
408. An Schiller, 13. II. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
409. An Friedrich Wilhelm August v. Sellentin, 17. II. 1796 . . . . . . . . . . . . . 207
410. An Schiller, 20. II. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207
411. An Schiller, 27. II. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
412. An Brinkman, Anfang (?) März 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
413. An Schiller, 5. III. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
414. An Wolf, 10. III. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
415. An Schiller, 12. III. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

X
416. An St.-Petri-und-Pauli-Stift Halberstadt, 15. III. 1796 . . . . . . . . . . . . . . 220
417. An Brinkman, 19. III. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
418. An Schiller, 26. III. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
419. An Schiller, 2. IV. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
420. An Schiller, 9. IV. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
421. An Goethe, 19. IV. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
422. An Schiller, 3. V. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
423. An Körner, 3. V. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
424. An Wolf, 3. V. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
425. An Goethe, 8. V. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
426. An Schiller, 24. V. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
427. An Schiller, 31. V. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
428. An Jacobi, 6. VI. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
429. An Schiller, 11. VI. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
430. An Wolf, 11. VI. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
431. An Schiller, 18. (?) VI. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
432. An Michael Joseph Fränkel (?), 20. VI. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
433. An Hans Friedrich Vieweg, 22. VI. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
434. An Vieweg, 23. VI. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
435. An Goethe, 25. VI. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
436. An Schiller, 25. VI. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
437. An Vieweg, 2. VII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
438. An Vieweg, 2. VII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
439. An Vieweg, 4. VII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
440. An Schiller, 5. VII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
441. An Schiller, 9. VII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
442. An Vieweg, 9. VII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
443. An Vieweg, 11. VII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
444. An Vieweg, 14. VII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
445. An Schiller, 16. VII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
446. An Wolf, 16. VII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
447. An Schiller, 19. VII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
448. An August Wilhelm Schlegel, 23. VII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
449. An Jacobi, 26. VII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
450. An Unbekannt, 30. VII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
451. An Schiller, 1./2. VIII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
452. An Wolf, 2. VIII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
453. An Schiller, 16. VIII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
454. An Brinkman, 16./25. VIII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
455. An Schiller, 20. IX. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

XI
456. An Jacobi, 20. IX. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
457. An Wolf, 20. IX. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286
458. An Ernst Ferdinand Klein (?), 23. IX. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
459. An Alexander v. Humboldt, 2. Hälfte September (?) 1796 . . . . . . . . . . . . 291
460. An Schiller, 1. X. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
461. An Schiller, 11. (?) X. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
462. An Jacobi, 15. X. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
463. An Schiller, 18. X. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
464. An Wolf, 18. X. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
465. An Wolf, 22. X. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
466. An Vieweg, 24. X. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
467. An Brinkman, Herbst 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
468. An Brinkman, Oktober (?) 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
469. An Karoline v. Humboldt, 28. X. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
470. An Wolf, 31. (?) X. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
471. An Brinkman, 7. XI. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
472. An Wolf, 7. XI. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
473. An Wolf, 24. XI. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
474. An Goethe, 24. XI. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
475. An Wilhelm v. Wolzogen, 26. XI. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
476. An Brinkman, 9. XII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
477. An Wolf, 23. XII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
478. An Goethe, 23. XII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
479. An Brinkman, 30. XII. 1796 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
480. An Goethe, 10. I. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
481. An Johann Reinhold Forster, 15. I. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
482. An Goethe, 19. I. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
483. An Rahel Levin, 20. I. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329
484. An Wolf, 20. I. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
485. An Brinkman, 20. I. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
486. An Jacobi, 23. I. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
487. An Wolf, 3. II. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335
488. An Goethe, 10. II. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
489. An Brinkman, 13. II. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
490. An Goethe, 16. II. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
491. An Vieweg, 24. II. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
492. An Friedrich Gentz, Ende Februar 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
493. An Wolf, 3. III. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
494. An Körner, 7. III. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348
495. An Johann Jakob Hottinger, 24. III. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352

XII
496. An Jacobi, 24. III. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
497. An Brinkman, 27. III. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
498. An Wolf, 31. III. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
499. An Karoline v. Humboldt, 2. IV. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
500. An Karoline, 3. IV. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359
501. An Karoline, 5. IV. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
502. An Karoline, 6./7. IV. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
503. An Karoline, 7./8. IV. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
504. An Wolf, 21. IV. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
505. An Goethe, 24. IV. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368
506. An Karoline, 25. IV. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
507. An Karoline, 26. IV. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
508. An Karoline, 30. IV. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
509. An Karoline, 2. V. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372
510. An Goethe, 6. V. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
511. An Karoline, 6. V. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
512. An Karoline, 9. V. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
513. An Karoline, 12. V. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
514. An Karoline, 16. V. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384
515. An Karoline, 23. V. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388
516. An Goethe, 30. V. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
517. An Alexander v. Humboldt, 5. (?) VI. 1797 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391

Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609
Maße und Münzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615
Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616
Humboldts Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624
Humboldts Bücherverzeichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627
Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655

XIII
Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Zur Datierung von Brief 375 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93


Abb. 2 Zur Veranschaulichung der Hervorhebungsart durch größere,
deutlichere Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

XIV
Einleitung

Am Beginn dieses Bandes ist Wilhelm von Humboldt unterwegs: am 1. Juli 1795 hat er,
zusammen mit Frau Karoline und den Kindern, der dreijährigen Karoline und dem
einjährigen Wilhelm, Jena verlassen, um einige Wochen in Berlin (und Tegel) zuzu-
bringen und auf dem für den Frühherbst geplanten Rückweg den Schwiegervater auf
dem Dacherödenschen Gut Burgörner – in dessen „Laube“ sich die beiden zum ersten
Mal begegnet waren – zu besuchen.
Es kam anders. In Tegel, dem Humboldtschen Gut nördlich Berlins, findet er die
Mutter an Brustkrebs schwer, ja unheilbar erkrankt vor. So zieht sich die Rückkehr
nach Jena unwillkürlich in immer weitere Ferne: gut ein Jahr später als geplant, am
1. November 1796, kehrt Humboldt nach Jena zurück.
Von den rund zwei Jahren, die dieser Band umfasst, weilt Humboldt nur etwa ein
halbes Jahr in der thüringischen Universitätsstadt, und dennoch ist nicht etwa Ber-
lin Mittelpunkt des Bandes, sondern Jena, der Wohnort des Hauptadressaten der hier
versammelten Briefe: Friedrich Schiller. Humboldt hatte ja im Februar 1794 Jena als
Wohnort gewählt, nicht so sehr um der ländlichen Isolation, an der er inzwischen litt,
zu entfliehen, sondern – und dies vor allem – um mit Schiller zu leben. Und jetzt,
in der unfreiwilligen, sich immer weiter verlängernden Entfernung von Jena, ertönen
Brief um Brief Klagen und Beteuerungen, wie sehr er sich nach dem täglichen Umgang
im philosophischen Gespräch mit dem Freund, nach dem ,gesellschaftlichen Denken‘,
wie er einmal schreibt (im Brief 359, Zeile 8 – im folgenden 359/8), sehnt, wo hier (in
Berlin) derlei kaum möglich sei.
Und ,Brief um Brief ‘ sind es in der Tat: überlange Episteln, die mitunter mit post-
täglicher Frequenz seinen Schreibtisch in Richtung Jena verlassen. Äußerer Anlass
für diese ungewöhnliche epistolarische Produktivität ist in den ersten Monaten die
Überwachung des Drucks von Schillers „Musen-Almanach für das Jahr 1796“, den der
Berliner Drucker Johann Friedrich Unger – der Verleger von Goethes erster Werk-
ausgabe – besorgt. Da geht es sehr wohl und in großer Länge um Details – Redak­
tionskram eben, der zur besonderen Sorgfalt, die Humboldt diesem seinem ,adoptier-
ten Kinde‘ (372/16) widmen will, gehört. Aber auch dann haben wir nicht die Briefe
irgendeines Redakteurs vor uns, sondern solche Wilhelm von Humboldts, und jede
Möglichkeit, die sich zu einem philosophischen Exkurs bietet, wird gerne aufgegriffen.
Diese zahlreichen Briefe sind, wie Humboldt einmal schreibt (373/100), eine Fortset-
zung der Jenaer Gespräche.

1
Einleitung

Und der Empfänger? Schiller liefert in diesen Wochen eigene Beiträge zu seinem
Almanach in unglaublicher Fülle, und Humboldt ist unmittelbarer Zeuge dieser er-
staunlichen Produktion, darunter „Die Macht des Gesanges“, „Der Tanz“, „Der spie-
lende Knabe“, „Würde der Frauen“, „Die Ideale“, „Der Abend“, „Würden“. Diese Ge-
dichte, die zu den Höhepunkten von Schillers mittlerer poetischer Periode gehören,
entstehen in den Sommermonaten 1795 und finden sofort den Weg in den Almanach,
und es ist nicht verwunderlich, dass Humboldt nur zu gern die Gelegenheit ergreift,
über sie im einzelnen und über Schillers dichterische Eigenart im allgemeinen auf die
ihm eigene Weise zu ,raisonnieren‘. Auch die groß angelegten Gedichte von tieferem
philosophischem Gehalt („Das Reich der Schatten“ – später unter dem Titel „Das Ideal
und das Leben“; die „Elegie“ – später „Der Spaziergang“) werden gleichsam mit umge-
hender Post ausführlich gewürdigt.
Daneben spielt sich ein tragikomisches Drama mit dem Verleger des Almanachs
ab, mit Salomo Michaelis, Hofbuchhändler in Neustrelitz, dessen Bekanntschaft mit
Schiller Humboldt seinerzeit vermittelt hatte. Die Zusammenarbeit leidet an dessen
Unbeholfenheit, Umständlichkeit und vor allem Saumseligkeit; mitunter kommt sie
zum gänzlichen Stillstand (wodurch beide unserer Briefpartner in ihrer Verzweiflung
zu antisemitischen Beschimpfungen greifen), bis es sich herausstellt, dass Michaelis
– wenigstens nach seiner Darstellung – nicht so sehr unbeholfen als zu vertrauensselig
gewesen war und von einem Mann, den auch Humboldt kennt und dem er jederzeit in
ähnlicher Situation vertraut hätte, wie er schreibt (369/11), aufs übelste betrogen wor-
den ist – so Michaelis. Der Almanach erscheint schließlich, wenn auch verspätet, und
ist durch die Beiträge Schillers und Goethes (auch Hölderlins „Der Gott der Jugend“
zählt zu den Beiträgen) einzig in dieser Gattung.
Da ist aber auch noch Schillers anderes publizistisches Projekt dieser Jahre, „Die
Horen“, deren Druck Humboldt zwar nicht zu überwachen hat, über die aber seine
Ausführungen über Inhalt und deren insgesamt enttäuschende Rezeption in Berlin
breiten Raum einnehmen. Schillers ,Briefe über die ästhetische Erziehung‘ kommen
ebenso zur Sprache wie Goethes „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten“, vor al-
lem deren abschließendes ,Märchen‘, über das Humboldt seinen vielleicht ersten ge-
wichtigen Brief an Goethe schreibt, um an dessen Ende sich dann dafür zu entschuldi-
gen, beim Referat über den Eindruck des Werkes auf ihn ,förmlich in eine Theorie des
Märchens geraten zu sein‘ (was auf Kenner von Humboldts Briefen ungefähr so wirken
muss, wie wenn Humboldt sich dafür entschuldigt, einen typischen Humboldt-Brief
geschrieben zu haben).
Diese waren jedoch Werke, die noch vor seiner Abreise nach Jena in den ,Horen‘
zu erscheinen begonnen hatten. Neu hingegen waren Schillers Aufsätze „Über naive
und sentimentalische Dichtung“ und Goethes ,Cellini-Übersetzung‘ und sein Aufsatz
,Literarischer Sansculottismus‘, der mit einer Polemik eines noch Unbekannten ab-

2
Einleitung

rechnete, der sich später als der Berliner Prediger Daniel Jenisch entpuppte. Auch hier
befand sich Humboldt sozusagen mitten im Geschehen.
Zur ,Horen‘-Rezeption gehörte allerdings auch ein ,Zwischenfall‘, der Humboldt
mittelbar betraf: ein wütender Ausfall des Hallenser Gräzisten Friedrich August Wolf
gegen Herders ,Horen‘-Aufsatz, „Homer, ein Günstling der Zeit“. Wolf, der kürzlich
seine berühmte Abhandlung ,Prolegomena ad Homerum‘ veröffentlicht und im Früh-
jahr 1795 in Weimar präsentiert hatte, sah sich durch Herders bald danach erschiene-
nen Aufsatz herausgefordert, ja um seinen Ruhm als denjenigen, der die ,homerische
Frage‘ nach seiner Ansicht endgültig beantwortet hatte, betrogen und ließ im Intelli-
genzblatt des führenden Rezensionsorgans jener Zeit, der ,Allgemeinen Literaturzei-
tung‘, eine wüste Replik einrücken. Schiller, der Herders Aufsatz selbst angeregt hatte,
wandte sich an Humboldt mit der Bitte, er möge seinem Freund, „dem groben Gesell,
die Meinung sagen“, was Humboldt auch umgehend tat, wie hier zu lesen ist (385/51).
Dieser Brief zeigt Humboldt von seiner allerstärksten Seite, der Argumentation. Er
setzt dem Freund in aller Ruhe auseinander, wie unnötig und letztlich für ihn selbst
schädlich diese Replik war, und es gelingt ihm, trotz aller Offenheit und einer gera-
dezu schonungslosen Diktion, den Freund zur Einsicht zu bringen und gleichzeitig die
Freundschaft zu erhalten: auch in diesem Band nehmen die Briefe an den befreunde-
ten Philologen breiten Raum ein.
Und die übrigen Freunde? Auch die Briefe an Christian Gottfried Körner, den In-
timus Schillers, setzen weiterhin die philosophischen Gespräche fort, die bei Hum-
boldts Besuch in Dresden im September 1793 begonnen hatten, aber mit nachlassender
Frequenz: in den zwei Jahren dieses Bandes gehen ganze vier Briefe nach Dresden ab,
während es im vorigen Band sieben in den 21 Monaten nach der Abreise von dort wa-
ren.
Hingegen lebt die Korrespondenz mit Friedrich Heinrich Jacobi, die im vorigen
Band fast gänzlich zum Erliegen gekommen war, wieder auf, ohne dass daraus eine
neuerliche philosophische Annäherung zu schließen wäre. Da sprechen Humboldts
Äußerungen über ihn (361/134, 377/83, 381/199) eine viel zu deutliche Sprache. Aber
dies tat der menschlichen Wertschätzung – im persönlichen Umgang muss Jacobi
eine ungemein gewinnende Art gehabt haben – auch weiterhin keinen Abbruch, und
außerdem war es ihm ein Bedürfnis, Jacobi Trostworte über Friedrich Schlegels ver-
nichtende Rezension von Jacobis Roman „Woldemar“ auszusprechen, weil er richtig
erkannt hatte, dass diese herbe Kritik mehr seiner eigenen Rezension des Romans als
dem Werk selbst galt (486/32).
Von einem weiteren Leitbild der Jugendjahre, Gegenstand schwärmerischer Be-
wunderung der Brautzeit, dem kurmainzischen Koadjutor Carl Theodor v. Dalberg,
distanziert sich Humboldt in diesem Band weiterhin. Sein vernichtendes Urteil über
dessen Einstellung im Ersten Koalitionskrieg (500/27) zeigt in aller Deutlichkeit, wie

3
Einleitung

vollständig der nunmehr dreißigjährige Humboldt die enthusiastische Verehrung die-


ses Mannes seitens des 23-jährigen abgestreift hatte.
Auch zum Berliner Freund Carl Gustaf v. Brinkman, dem deutsch-schwedischen
Diplomaten und Möchtegern-Poeten, scheint eine gewisse Distanzierung stattgefun-
den zu haben, vielleicht als Nachwirkung seiner Kritik an seinem zunehmend ober-
flächlichen Auftreten in Gesellschaft, der Sucht, unentwegt französische Verse zu
produzieren usw. (vgl. Brief 295 im 2. Band). Es ist auffallend, dass Humboldt einmal
meint, unter seinen Berliner Freunden nur mit Gentz über Schiller reden zu können
(393/41) – also: mit Brinkman nicht mehr. – Ein späterer Brief aus Jena, eine ausführ-
liche Darlegung des Trimeters der griechischen Klassiker, führt einen Themenbereich
in die Korrespondenz ein, der beide Briefpartner zeitlebens intensiv beschäftigen wird:
die Prosodie.
Aber zurück zur Herder–Wolf-Episode. Sie blieb nicht ohne Folgen ganz beson-
derer Art. Auch sie – neben den massiven Angriffen Nicolais und mehrfachen ,Schle-
geleien‘ in Reichardts Deutschland – war mit zu den Auslösern der „Xenien“ zu zäh-
len: Goethe regte Schiller gegenüber an, man könnte ein „kurzes Gericht“ über die
,Horen‘-Kritiker abhalten, wobei „der Günstling der Zeit“ seinen Anteil bekäme (zu
384/142). Diese Briefstelle ist ja die eigentliche Geburtsstunde der „Xenien“.
Von Berlin aus verfolgte Humboldt Entstehen und Erscheinen des ,Xenien-Alma-
nachs‘ mit regem Interesse. Seine Briefe aus den letzten Monaten des Berlin-Aufent-
halts berichten vom Rätselraten darüber, wer die jeweilige Zielscheibe sei und welcher
der beiden Verfasser den einen oder anderen Pfeil abgeschossen habe. Auch die ge-
druckten Gegenxenien verschiedener Provenienz kommen zur Sprache.
Dazwischen findet eine spontan unternommene Reise durch Norddeutschland statt,
deren Extrempunkte Rügen bzw. Hamburg sind. Er lernt dabei Kosegarten auf Rügen,
Voss in Eutin und Klopstock in Hamburg persönlich kennen, und in Wandsbek bei
Hamburg gibt es ein Wiedersehen mit Jacobi. Außerdem schließen beide Ehepartner
Bekanntschaft, ja sie gründen dauerhafte Verbindungen mit den Familien Reimarus,
Sieveking und Poel in Hamburg. Über die Details dieser Reise und die Eindrücke, die
sie auf persönlicher Ebene hinterließ, ist Humboldts Tagebuch die Hauptquelle, wäh-
rend er vor lauter gesellschaftlichem Umgang unterwegs kaum Zeit fand, sich hierüber
brieflich zu äußern.
Kurz vor dieser Reise spitzt sich eine Krise im Leben seines Freundes Friedrich
Gentz zu, die Humboldt und weitere Mitglieder dieses Freundeskreises monatelang
beschäftigen und finanziell belasten wird. Gentz, dessen Lebensführung nicht gerade
als diszipliniert zu charakterisieren war – das Wort ausschweifend wäre hier nicht fehl
am Platz –, war Mitte 1796 praktisch finanziell ruiniert, ja bankrott. Er stand bei sei-
nem Verleger Vieweg tief in Schulden, borgte von überall her Geldbeträge, die er nicht
im entferntesten hätte zurückzahlen können. Hinzu kamen natürlich auch nicht un-

4
Einleitung

beträchtliche Spielschulden. Humboldt, zusammen mit dem Bruder Alexander, be-


teiligte sich an einer Rettungsaktion, einem Fonds aus Zuwendungen in Form von
Darlehen von Verwandten und Freunden des Unglücklichen, die unter Vermittlung
Viewegs dazu verwendet werden sollten, den vollständigen Bankrott abzuwenden.
Diese Aktion ist Gegenstand einer Reihe von bisher ungedruckten Briefen in diesem
Band, die damit einen wenigstens kursorischen Einblick in ein wenig bekanntes – und
alles andere als ruhmreiches – Kapitel in Gentz’ Biographie gewähren.
So weit die äußeren Geschehnisse und sich von außen anbietenden Themen, die in
diesen Briefen zur Sprache kommen. Wie stand es aber mit Humboldts Innenleben und
der weiteren geistigen Entwicklung, vor allem mit seiner schriftstellerischen Produk-
tion? Da ist zunächst festzustellen, dass es mit der Zaghaftigkeit, ja dem akuten Mangel
an Selbstvertrauen, der sich im Laufe des vorigen Bandes zeigte, vor allem in der Folge
der beiden ,Horen‘-Aufsätze zur Geschlechterlehre, nur noch schlimmer wurde: Hum-
boldt schmiedet Pläne zu weiteren ,Horen‘-Aufsätzen (über Voss’ „Luise“ und Goethes
„Reineke Fuchs“) und wissenschaftlich-philosophische Abhandlungen (Pindar; der
griechische Dichtergeist), stellt Vorstudien an, absolviert ambitionierte Lektürepensa,
setzt sich zur Ausarbeitung hin – und bleibt bald stecken. In den zwei Jahren, die die-
ser Band umfasst, hebt er immer wieder seine ideale Lebensweise hervor, die ruhige
Isolation seiner Lage, welche Studien und intellektuelle Produktion nur begünstigen
könne, und trotzdem entstehen lediglich zwei einleitende Fragmente zu groß ange-
legten Abhandlungen, „Das achtzehnte Jahrhundert“ und „Plan einer vergleichenden
Anthropologie“, die erst posthum, in den ,Gesammelten Schriften‘, erscheinen. Die de-
saströse Rezeption seiner ,Horen‘-Aufsätze, vor allem ein Brief Kants an Schiller über
deren thematische Verfehltheit, aber auch der Spott der Altersgenossen – Friedrich
Schlegel nennt ihn beispielsweise einmal kurzerhand ,den Weiblichen‘ – lähmen ihn
weiterhin und werden es noch lange tun. Er ist sich dieses Zustands bewusst, kämpft
gegen ihn an – vergeblich, auch trotz des Zuredens der Freunde Schiller und Körner:
durch die Briefe dieses Bandes läuft Humboldts immer wieder angestimmte herbe
Selbstkritik wie ein roter Faden.
Und dennoch: eine entscheidende Weiterentwicklung ist in ihm vorgegangen – die
endgültige Hinwendung zur philosophischen Anthropologie, zu der in den früheren
Bänden Ansätze festzustellen waren (wie denn bei ihm überhaupt kaum eine Theorie,
Erkenntnis, These, ein Aperçu auch in seinen spätesten Schriften nicht schon in der
Jugend vorgeformt zu finden wäre). Die erwähnten ausformulierten Fragmente die-
ser Jahre legen beredtes Zeugnis davon ab, wie sehr sein Denken auf eine philosophi-
sche Ergründung des Phänomens Charakter fokussiert war. Die recht umfangreiche
Einleitungsschrift „Das achtzehnte Jahrhundert“ ist zur Gänze Fragen der Methodik
gewidmet, wie man ein Zeitalter mit philosophischer Stringenz charakterisieren soll,
ohne in Gemeinplätze zu verfallen. Die einleitenden Abschnitte zum Vorhaben einer

5
Einleitung

Schilderung eines Zeitalters geraten somit zu einer methodischen Abhandlung darü-


ber, was denn dazu gehöre, Charakter zu bestimmen und in seiner Individualität dem
Betrachter be-greifbar zu machen.
Auch in den Briefen dieses Bandes wird dieser Aspekt mitunter recht deutlich. Ge-
legentlich verrät deren Diktion, wie sehr das Charakterstudium für seinen Umgang
mit den Zeitgenossen bestimmend geworden ist. In einem Bericht zur norddeutschen
Reise schreibt er über den Umgang mit Voss, er habe sich „ein eignes Studium daraus
gemacht, tiefer in seine Individualität einzudringen“ (455/22), und an Jacobi schreibt
er, er habe Schiller (scil. den Menschen, nicht bloß dessen Werke) „äußerst genau stu-
dirt“ (462/74).
Kurzum, in diesen Jahren richtet Humboldt sein Denken immer mehr auf die aller-
dings schwierige Frage, was das eigentlich ist: Charakter. Und die einleitenden Kapitel
zu seiner Charakterisierung des nun zu Ende gehenden Jahrhunderts – es sind immer-
hin über hundert großformatige Druckseiten – vergessen vor lauter anthropologischer
Fragestellung und geradezu spitzfindiger Erörterung aller hiermit verbundenen argu-
mentativen Gefahren die Analyse des Jahrhunderts selbst vorzunehmen: die Schrift
bricht nach einer erschöpfenden Schilderung der methodischen Prinzipien einfach
ab. – Interessanterweise schließt Humboldt den „Plan einer vergleichenden Anthro-
pologie“ mit einem Rückgriff auf den Stoff der ,Horen‘-Aufsätze zur Geschlechterlehre
(auch im ,Achtzehnten Jahrhundert‘ fehlt ein entsprechender Passus nicht: V 6). Trotz
der Einwände Kants hält er an seinen dort dargelegten Thesen fest und trägt sie hier
mit großer Bestimmtheit vor.
Neben dieser grundlegenden Entwicklung nimmt Humboldt in der Schlusspartie
des Bandes ein literarisches Projekt in Angriff, das ihn volle zwei Jahrzehnte beschäf-
tigen wird: die metrisch getreue Übertragung von Aischylos’ Tragödie ,Agamemnon‘
ins Deutsche. Erst 1816, mitten in den vielfältigen diplomatischen Aufgaben, die ihm
Staatskanzler Hardenberg in der Folge des Wiener Kongresses ,zugeschustert‘ hatte
und die ihn ein Jahr lang fern von Berlin in Frankfurt/M. festhielten, konnte er letzte
Textrevisionen anbringen und die Übersetzung zur Veröffentlichung freigeben.
Ebenfalls gegen Ende des Bandes – nach der Rückkehr nach Jena – wird Hum-
boldt unmittelbarer Zeuge der Entstehung einer Dichtung, die ihn in den kommen-
den Jahren intensiv beschäftigen wird: Goethes ,Hermann und Dorothea‘. Besorgt
um die Korrektheit seiner Hexameter wendet sich der Dichter auch an Humboldt den
Prosodisten um metrischen Rat, und dieser betreut auch den Druck, ein ähnlicher
Freundschaftsdienst wie zu Beginn des Bandes für Schillers ,Musenalmanach‘. Die Be-
schäftigung mit diesem Epos wird Humboldt schließlich aus dem Tief des mangeln-
den Selbstvertrauens, das seit den misslungenen ,Horen‘-Aufsätzen zu beobachten ist,
befreien und zur ersten Buchveröffentlichung führen: seine ,Ästhetischen Versuche‘,
eine gründliche Analyse dieses Gedichts, werden 1799 bei Vieweg erscheinen.

6
Einleitung

Und Karoline? Von Kränklichkeiten geplagt – zu keinem Zeitpunkt in diesen Bän-


den wird man sie ganz gesund vorfinden – und mit zwei kleinen Kindern voll beschäf-
tigt (ein drittes, Theodor, wird am 19. Januar 1797 hinzukommen), findet sie dennoch
regelmäßig zur gemeinsamen Griechischlektüre mit dem Gatten Zeit und Energie:
Pindar, Sophokles, Euripides, Arrian.
Eine weitere, intensive ,Beschäftigung‘ kommt hinzu. Im Frühjahr 1796 lernt sie
Wilhelm von Burgsdorff kennen – und lieben. In den Monaten darauf vertieft sich
die Beziehung in Berlin, und nach Humboldts Rückkehr nach Jena besucht er sie im
Spätherbst dort und wohnt auch bei ihnen. Die Briefe, die Karoline nach seiner Ab-
reise zum Jahreswechsel 1796/97 an Rahel Levin darüber schreibt – sie gipfeln in der
angesichts der bevorstehenden Niederkunft ausgesprochenen Bitte, Burgsdorff möge,
wenn sie selbst dazu nicht mehr imstande sein sollte, von Rahel erfahren, wie sehr sie,
Karoline, ihn geliebt habe – sprechen eine klare Sprache und bedürfen hier keiner wei-
teren Kommentierung. Im nächsten Band wird diese Beziehung insofern einen ,festen‘
Charakter annehmen, als in Wien und Paris im Hause Humboldt ein offener ménage
à trois geführt werden wird, der von allen drei Beteiligten als Selbstverständlichkeit
erachtet wird. Man wird hier gut beraten sein, hierbei die gängigen moralischen Maß-
stäbe nicht allzu streng anzuwenden: Wir wissen einfach nicht, inwieweit dieses Ar-
rangement – und weitere außereheliche Beziehungen beider Ehepartner – die Ehe be-
lastet hat, aber man kann mit Sicherheit behaupten, dass es sie nie ernstlich gefährdet,
ja vielleicht auch nicht einmal sonderlich getrübt hat.
Der Band schließt mit dem Beginn der großen Reise, die Familie Humboldt nach
Italien führen sollte, die aber kriegsbedingt einem ganz anderen Itinerar folgte. Erst
Karolines Abreise aus Jena Ende Mai 1797 markiert den eigentlichen Reisebeginn,
während Humboldt bereits ein Monat zuvor nach Berlin gefahren war, um Erbschafts-
und Nachlassangelegenheiten infolge des Ablebens seiner Mutter zu regeln. In Dres-
den sind die beiden Ehegatten wieder vereint, von wo aus die Reiseroute zunächst
nach Wien führt, wo dann, weil die Kriegshandlungen in Oberitalien, Kärnten und der
Steiermark nicht nachlassen wollen, eine gänzliche Änderung des Plans beschlossen
wird: statt Italien wird Paris das Reiseziel.
Diese Privatreise, ein rund vierjähriger Aufenthalt im Ausland, leitet ein großes
geistiges Vorhaben Humboldts ein, auf das ihn die zwei Jahre dieses Bandes vorbereitet
haben und das ihn von nun an bis zum Tode beschäftigen wird: das Menschenstudium,
und zwar zunächst das Studium des Nationalcharakters, dessen Höhepunkt die Bas-
kenreise vom Frühjahr 1801 sein wird, die gleichzeitig eine Wende des Menschenstudi-
ums – oder besser: dessen Präzisierung – auf das Studium der Sprache, der ­Sprachen,
bewirken wird. Mit einem Wort: die Abreise Karolines aus Jena ist der Beginn einer
Reise, die Humboldt aus Jena weg- und zum Kernkriterium seiner nunmehr zur Reife
gelangten Charakterologie hinführen wird – zur Sprache als Produkt und gleichzeitig
Motor des Nationalcharakters.

7
Zur Überlieferung

Natürlich sind auch in diesem wie in allen Bänden dieser Edition nicht sämtliche
Briefe Humboldts im behandelten Zeitraum – von Mitte 1795 bis Mitte 1797 – abge-
druckt, sondern nur jene, von deren spezifischem Inhalt wenigstens etwas überliefert
ist. Die gewiss zahlreichen Briefe an den Bruder Alexander etwa sind lediglich in ei-
nigen Kurzregesten kümmerlich vertreten; die Briefe an Friedrich Gentz fehlen fast
gänzlich – ein dürftiges Regest konnte noch erschlossen werden.
Zu diesen beiden ,Phantomkorrespondenzen‘ gesellt sich ab der Schlusspartie des
Bandes ein weiteres hinzu: jene mit Johann Heinrich Voss, den Humboldt im Sommer
1796 kennen lernt und fortan, so oft sich die Gelegenheit bietet, aufsuchen wird. Aus
dieser lebenslangen Freundschaft sind gar keine Briefe überliefert.
Hingegen ist eine kleinere Korrespondenz, die sich vielleicht auf die Periode die-
ses Bandes beschränkt hat, in den folgenden Seiten mehrfach bezeugt und möglicher-
weise noch erhalten, aber leider im Original nicht beizukommen: Briefe Humboldts
an den Jenenser Philosophie- und Theologieprofessor und Publizisten Friedrich Im-
manuel Niethammer wurden zwar kurz nach Kriegsende als in einem überlieferten
Konvolut Briefe an Niethammer von diversen Absendern enthalten gemeldet, aber die
Umstände der Überlieferung und die Angaben waren so vage und zum Teil auch wi-
dersprüchlich, dass die Suche nach ihnen aufgegeben werden musste. Darüber wird
im Kommentar mit entsprechenden Literaturangaben berichtet (zu 359/85).
Auch die Briefe an Schiller, so zahlreich sie in diesem Band auch vorkommen, sind
nicht vollständig überliefert. Einmal lässt sich anhand von Schillers ,Kalender‘ feststel-
len, dass einige fehlen (auch hier kommen uns erschließbare Kurzregesten zu Hilfe).
Aber auch von den handschriftlich Vorhandenen fehlen immer wieder ganze Bogen.
Gerade die Briefe an Schiller haben eine abenteuerliche Überlieferung durchge-
macht, über die andernorts ausführlich berichtet wurde (vgl. zu 426/D). Hier sei die
Sache kurz zusammengefasst. Schillers Witwe Charlotte fasste den Plan, den Brief-
wechsel zwischen ihrem Manne und Humboldt zu publizieren und bat diesen durch
ihre Schwester, Karoline von Wolzogen, um die entsprechende Erlaubnis. Humboldt
behielt sich vor – wie immer in solchen Fällen – den Briefwechsel vorher durchzuse-
hen und machte in der Tat radikale Kürzungen. Ihm war aber dabei aufgefallen, dass
das Manuskript (Abschriften) kurz nach der Jahreswende 1795/96 aufhörte und da-
nach nur ein paar Nachzügler aus dem Rom-Aufenthalt hinzukamen. Die Abschrif-
ten waren die Arbeit des Sekretärs von Karoline von Wolzogens Schwager, General

9
Zur Überlieferung

Ludwig von Wolzogen, der preußischer Vertreter in der Militärkommission des Deut-
schen Bundestags in Frankfurt am Main war. Dessen Nachfolger, General Joseph Ma-
ria von Radowitz, ein passionierter Autographensammler, machte dort bei der Amts-
übernahme eine für ihn überaus erfreuliche Entdeckung. Versteckt in der Kanzlei fand
sich ein Konvolut Autographen: Briefe von der Hand Wilhelm von Humboldts an
Friedrich Schiller. Sie beginnen an der Stelle, wo die Briefe der Erstausgabe aufhören,
und füllen die von Humboldt bemerkte Lücke weitgehend aus. (Die von Humboldt be-
sorgte Erstausgabe von 1830 war also auch in dieser Hinsicht ein Torso. Hinzu kommt,
dass auch die meisten Antwortbriefe Schillers fehlen – Opfer eines Überfalls napoleo-
nischer Soldateska in Tegel 1806.)
Was war geschehen? Angesichts der Fülle des Materials, das er in toto zu transkri-
bieren hatte, beschloss Wolzogens Sekretär, es einer ,Schlankheitskur‘ zu unterziehen,
und es gelang ihm auch, dieses dicke Konvolut so zu verstecken, dass sein Vorgesetzter
es nicht nur nicht entdeckte, sondern auch gar nicht merkte, dass in der Briefabfolge
eine riesige Lücke klaffte. Man kann annehmen, dass Ludwig v. Wolzogen sich eher
aus Familienrücksichten angeboten hatte, diese Transkriptionsarbeit in seiner Kanzlei
geschehen zu lassen, denn aus übersteigertem Interesse an der Sache, und so konnte
diese Dreistigkeit dem Sekretär gelingen.
Auf diese Weise teilte sich die Gesamtmasse der Briefe Humboldts an Schiller in
zwei große Gruppen auf: einerseits jene Stücke, die in der Erstausgabe verwertet wur-
den und heute im Cotta-Archiv des Deutschen Literaturarchivs in Marbach am Ne-
ckar verwahrt werden; andererseits das von Radowitz entdeckte Konvolut in seinem
ursprünglichen Umfang. Aus diesem wählte er einige Stücke aus – oft eher wenig be-
deutende kürzere Briefchen –, um sie als ,Doubletten‘ im Tauschverfahren zum Er-
werb anderer Autographen herzugeben, ein damals unter Sammlern häufig gepflegter
Usus. Mittlerweile sind viele dieser Stücke, oft durch Stiftungen der Sammler, wieder
in öffentlichen Besitz gelangt: im vorliegenden Band gilt dies für die Briefe 401 (Han-
nover: Sammlung Culemann), 440 (Nantes: Fonds Labouchère), 453 (Krakau; Vorbe-
sitzer: Iwan Bloch), 463 (Marbach). Andere sind nach wie vor in Privatbesitz, manche
von ihnen seit Jahrzehnten verschollen, aber durchaus nicht als verloren zu betrachten:
Diese ,Schläfer‘ können jederzeit wieder zum Vorschein kommen. Eine Handvoll wei-
terer Stücke aus dem Konvolut hat Radowitz in seine riesige Sammlung einverleibt. Sie
kamen nach seinem Tode in den Besitz der Preußischen Staatsbibliothek und befinden
sich heute in der Biblioteka Jagiellońska in Krakau. Den noch immer umfangreichen
Rest des Konvoluts muss Radowitz en gros veräußert haben: er wurde 1909 von der
Stadtbibliothek Frankfurt/M. erworben (heute Universitätsbibliothek Johann Chris-
tian Senckenberg).
So weit das bisher Bekannte. In diesem Band kommt, wie bereits angedeutet, ein
bislang zu wenig beachteter Aspekt hinzu: vielen der Briefe an Schiller fehlen ganze
Bogen. Wolzogens Sekretär hat sein Pensum nicht nur durch die geschilderte ,Sekre-

10
Zur Überlieferung

tierung‘ des Konvoluts radikal ,verschlankt‘, sondern auch offenbar etliches in den
transkribierten Briefen unterschlagen: Von den 32 Briefen dieses Bandes, die heute
im Cotta-Archiv liegen, fehlen acht der Schlussbogen, während alle 16 Briefe aus dem
Konvolut (heute UB J. Chr. Senckenberg) vollständig sind. (Auch die erwähnten vier
Stücke, die im Tauschverfahren veräußert wurden, sind vollständig; von den sieben
Stücken der ,offiziellen‘ Sammlung Radowitz sind die ersten zwei (Br. 352 bzw. 353) un-
vollständig, aber hier könnten andere Ursachen bestimmend gewesen sein. Die fehlen-
den Bogen der Briefe des Cotta-Archivs sind nie im Handel aufgetaucht – gerade sie
wären dank der Unterschrift für Sammler interessant gewesen – und werden es wohl
auch nicht: hier sah sich der Sekretär wohl genötigt, die Spuren seines Tuns zu tilgen,
indem er die unterschlagenen Bogen vernichtet hat. Man kann sein Entsetzen durch-
aus nachvollziehen, als er mit der gewaltigen Gesamtmasse dieser nicht immer leicht
zu lesenden Autographen konfrontiert wurde, und ihm das Verstecken des Konvoluts,
das uns mittlerweile fast vollständig vorliegt, nachsehen, aber diese acht Briefbogen
(oder waren es gar noch mehr?) sind unwiederbringlich verloren. Das Verstecken war
nur hinterlistig, das Vernichten aber frevelhaft.

11
Editionsprinzipien

Eine ausführliche Darlegung der Editionsprinzipien dieser Briefsammlung schließt


die Einleitung zum ersten Band ab. Hier seien noch einmal die Hauptpunkte zusam-
mengefasst:

1. Die Textvorlagen teilen sich in zwei Gruppen ein:


a) Originalhandschriften bzw. (wo diese fehlen)
b) Sonstiges (Abschriften, bezeugte briefliche Äußerungen bzw. Inhalte, Drucke).
Die beiden Gruppen werden durch die jeweils verwendete Schriftart unterschie-
den: Gruppe a steht in einer Antiqua-(Serif-)Schrift, Jannon. Gruppe b in einer Gro-
tesk-(Sans-Serif-)Schrift, Jannon Sans. Der Text von Gruppe a ist historisch-kritisch;
Gruppe b folgt der jeweiligen Vorlage.
Hinzu kommt (in Gruppe a) eine eigene Schrift, welche eine im Zeitrahmen die-
ses Bandes gelegentlich verwendete Sonderform zur Hervorhebung wiedergibt: Hum-
boldt hebt eine Textstelle durch deutlich größere, recht kalligraphische, Kurrentschrift
hervor (vgl. Abbildung 2, S. 94). Dafür wird hier die Zierschrift Joos verwendet.

2. Im Kommentarteil und im Register wird auf Briefnummer und -zeile verwiesen:


,367/33‘ bedeutet z. B. ,Brief 367, Zeile 33‘ und ,zu 367/33‘, ,Kommentar zu Brief 367,
Zeile 33‘. Auch im Kommentar soll die Verwendung verschiedener Schriften die Be-
nutzung erleichtern: Myriad semibold condensed wird ausschließlich für Lemmata verwen-
det, und die Kurztitel von Humboldts Schriften stehen in Frutiger. (Die vollen Titel
stehen in einem eigenen Verzeichnis in der Schlusspartie des Bandes.)

3. Das Personenregister enthält die Lebensdaten der Personen – soweit bekannt – und
die für den Zeitrahmen des Bandes relevanten Lebensstationen und versteht sich als
Ergänzung (und Entlastung) des Kommentars.

12
Die Briefe
350. An Johann Carl Freiesleben in Leipzig Leipzig, 1. Juli 1795

Ankunft in Leipzig. Plan, am nächsten Tag mit Freiesleben und Fischer das anato­
mische Theater und das Observatorium zu besuchen.

Ich komme so eben hier an, liebster Freund, bin aber vom schlimmen u. langen
Weg so ermüdet, daß es mir leid thut, Sie nicht noch heute Abend sehen zu kön­
nen. Indeß bleibe ich morgen hier u. werde, wenn Sie erlauben, Sie morgen früh
zwischen 8 u. 9 Uhr bei Sich besuchen. Es ist mir dieß lieber, da meine Frau so früh
5 noch nicht angezogen seyn möchte. Herrn Fischer finde ich wohl bei Ihnen. Wenn
es angienge wollten wir alsdann H. D. Ludwig, das anatomische Theater u. Observa­
torium besuchen. Ich freue mich von Herzen Sie und H. Fischer morgen zu sehen u.
wünsche Ihnen recht wohl zu schlafen.
Ihr
10 1. Jul. 1795. Humboldt.

351. An Friedrich August Wolf in Halle Tegel, 6. Juli 1795

Die Reise nach Berlin und Tegel; Krankheit der Mutter. Gottfried Hermanns me­
trische Theorien.

Tegel, den 6. Jul. 95.

Ich bin hier angekommen, lieber Freund, leidlich gesund, und ziemlich heiter. Ich habe
aber das Unglück gehabt meine Mutter sehr krank zu finden, und dieß bringt mich gleich
zu Anfange meines hiesigen Aufenthalts in nicht geringe Verwirrung. Indeß konnte ich
5 doch nicht versäumen, Ihnen ein Wort, wie ich versprochen, zu schreiben und Sie zu bitten,
mir recht bald von Sich und Ihren Planen etwas zu sagen. Meine Reise war schnell, weil ich
herrei[s]en mußte, und wie Sie denken können, ohne Merkwürdigkeiten irgend einer Art.
Nur der M[agister] Herrmann in Leipzig (der Metricus) hat mir viel Spaß gemacht. Er ist
ein Original in jeder Rücksicht, aber gewiß von Geist und Gelehrsamkeit. Gott weiß aber
10 was ihm den Kopf verdreht hat. Denn stellen Sie Sich nur vor, daß er die Metra durch die
Kantischen Kategorien der Causalität und Wechselwirkung erklärt, und nun in Schwie­
rigkeiten, wie folgende, daß eigentlich, da jede Silbe aus der vorhergehenden entstanden
seyn müsse, keine die – erste seyn könne, und daß, da alle in Wechselwirkung ständen,

|| 7 herreiten h

15
Brief 351–352

alle eigentlich gleich lang oder kurz seyn müßten, u. s. w. verfällt. Indeß redet er doch bei
weitem gründlicher über die Sache, als Ilgen, erlaubt weit mehr Widerspruch, und hat mir 15
doch wenigstens das für seine Theorie anführen können, daß sie einige metrische Regeln,
von denen ich bisher immer gar keinen Grund eingesehen z. B. daß im Senarius nur äußerst
selten auf den Tribrachys oder Dactylus ein Anapaest folgt, und daß die beiden Anfangs­
silben des Antispasten nur in 1 reg[ione] gleichgültig sind, sehr genügend erklärt. Seine
Schrift wird aus 3 Abhandlungen bestehn. In der 1stn wird er seine Kantische metrische 20
Theorie, von der er mir aber mündlich nur sehr wenig deutlich sagen konnte, auseinander­
setzen; in der 2tn wird er einige vorzügliche Silbenmaaße nach dieser Theorie durchgehen;
in der 3tn endlich einige Chöre des Sophocles und Euripides, die er für vernachlässigt in
Rücksicht aufs metrum hält, emendiren.
In 3 Tagen gehe ich nach Berlin. Dort hoffe ich allerlei Vergnügliches zu erfahren. Dieß 25
und einiges über den Aristoteles erhalten Sie, liebster Freund, heute über 8 Tage, wo ich
wieder schreibe. Adieu!
Ihr
Humboldt.
Meine Frau grüßt Sie herzlich. 30

352. An Friedrich Schiller in Jena Tegel, 7. (?) Juli 1795

Ausführlicher Bericht über eine Unterredung mit Göschen: dessen gereizte Reak­
tion auf Schillers Verbindung zu Cotta und dessen Wunsch, auch frühere, von
­Göschen verlegte Werke Schillers zu übernehmen. Launiges Referat über Gottfried
Hermanns Anwendung der kantischen Kategorien auf die Metrik.

[„Humboldt ist glücklich angelangt, hat aber seine Mutter sehr krank angetroffen.“]

[…] Veranlassung hätte, auch in seine Versicherung Mistrauen zu setzen, so müßten


Sie wohl beide verschiedene Begriffe mit einem bestimmten Versprechen verbinden,
was auch bei der Verschiedenheit Ihrer Beschäftigungen nicht unmöglich sey. Zu­
letzt habe ich hinzugesetzt, daß Sie mir ausdrücklich aufgetragen, mit ihm, wenn es 5
die Gelegenheit gäbe, über diese Sache zu sprechen. Nebenher bei gar zu albernen
Aeußerungen seiner Arroganz, wohin z. B. gehört: „daß er von nun an nichts mehr
für die Deutsche Literatur thun wolle“ habe ich denn freilich nicht umhin gekonnt,

7 seiner Bewegung D 8 deutsche Literatur D ich dann freilich D

16
6.–7. Juli 1795

einiges zu erwiedern, u. ihn zu versichern, daß er sehr gut thun würde, seine Ge­
10 schäfte, bloß als Geschäfte zu nehmen, daß ich keinen Sinn für das Gefühl hätte, das
Buch eines Freundes gerade zu drucken, daß ich es von Ihnen sogar eitel gefunden
haben würde, wenn Sie geglaubt hätten, er lege auf den Besitz des Karlos einen so
hohen Affectionspreis, u. daß er mit Einem Wort eine bloße mercantilische Angele­
genheit viel zu gravitätisch u. feierlich aufnähme. Ein Paarmal, wo er in seinen Aus­
15 drücken wirklich zu weit gieng, habe ich ihm gehörigen Nachdruck entgegenge­
setzt, u. so sind wir denn ganz leidlich aus dem Gespräch geschieden. In Ansehung
der Hauptsache, seiner Erklärung über den K. sagte er erst immer: er habe völlig
darauf resignirt u. dieß auch Cotta gesagt. Da ich aber äußerte, Cotta habe Ihnen
das Gegentheil geschrieben, so gab er zu, daß er ihm eine unbestimmte Antwort
20 gegeben. Indeß hat er mich förmlich authorisirt Ihnen zu sagen: „daß er auf den
Don Carlos durchaus keine Ansprüche mehr mache, und Cotta ihn drucken könne.“
Wie diese Erklärung gemeint ist, können Sie daraus sehen, daß er versicherte: er er­
kläre dasselbe von allen übrigen Sachen, die er von Ihnen habe (er nannte dabei
besonders den Geisterseher) u. was er oft wiederholte „Sie hätten ihm schon den
25 Karlos genommen, indem Sie ihn zurückforderten“ ein Ausdruck, dessen Auslegung
ich Ihnen gern überlasse. An eine eigentliche Aussöhnung mit ihm ist nicht zu den­
ken, seine Eitelkeit ist aufs empfindlichste gekränkt, ob auch wirkliches Gefühl für
Freundschaft, was er vorschützt, mag ich nicht beurtheilen. Nach diesem Gespräch
kehrten wir zur übrigen Gesellschaft, die indeß größer geworden war, zurück, aber
30 G[öschen] war in sichtbarer Verlegenheit. Er mochte es doch fühlen, daß es un­
höf lich war, einen fremden Menschen über ein simples Compliment, das er bringt,
eigentlich zu attakiren, u. daß er sich bei dem ganzen Gespräch sehr unbesonnen
genommen hatte. Zwar affectirte er sehr freundlich gegen mich zu seyn, u. bat mich,
ihn doch ja, bei einer künftigen Durchreise zu besuchen; indeß habe ich ihn nun we­
35 nigstens auf lange Zeit genug gesehn. Gegen Cotta fing er ein Paarmal an zu reden,
indeß konnte er doch nichts auf ihn bringen, als daß er ein bloßer Buchhändler sey,
u. nichts thue, als wobei er seine Rechnung finde. Feierlich prophezeihte er auch,
daß er mit den Horen ganz gewiß nach zwei Jahren mismuthig seyn werde. Ueber
die verzögerte zweite Auf l. von Anmuth u. Würde klagte er auch einmal nebenher,
40 u. sogar ließ er fallen, daß Sie ihm auch den Kallias versprochen. Dieß ist ungefähr
das Wichtigste. Ich für meine Person hätte gewünscht, ich hätte dieß Gespräch nicht
zu führen brauchen, u. hätte ich seine Gesinnungen vorher gewußt, hätte ich gar
kein Kompliment von Ihnen bestellt. Allein nach dem was Sie mir sagten, glaubte
ich, es sey ein bloßes Misverständniß, u. nach seiner Antwort auf mein Kompliment,
45 konnte ich nicht mehr schweigen. Wenn ich durch das Gespräch etwas verdorben

9 erwidern, D 37 prophezeite D 44 Misverständnis, D

17
Brief 352–353

hätte, sollte es mir sehr leid thun. Aber ich weiß wenigstens jetzt noch nicht, wie ich
mich anders hätte nehmen sollen, und um Sie selbst urtheilen zu lassen, habe ich so
weitläuftig geschrieben.
Heydenreich fand ich nicht zu Hause, u. Blankenburg war aufs Land gegangen.
Sonst habe ich niemand besucht, einen einzigen M[agister] Herrmann ausgenom­ 50
men, an den mich Ilgen adressirt hatte, der in der That sehr merkwürdig ist. Dieser
Mann, unter dem Sie Sich einen recht eigentlichen Magister mit einem geflickten
Rock, in einer engen schmutzigen Stube u. unter Büchern vergraben denken müs­
sen, hat den sonderbaren Einfall die Silbenmaaße der Alten aus den Kantischen Ka­
tegorien erklären zu wollen. Ein Stückchen muß ich Ihnen doch zur Probe mitthei­ 55
len. Die Kategorien, die er zur Erklärung anwendet, sind die der Causalität u. der
Wechselwirkung. Jede Silbe, sagt er, muß durch die vorhergehende bestimmt werden
u. aus ihr entstehen. Nicht genug aber, daß jede folgende Silbe muß in der vorherge­
henden gegründet seyn, so muß auch jede folgende auf die vorhergehende zurück­
wirken, u. alle müssen durch wechselseitige Causalität verbunden seyn. Nun äußern 60
sich aber hiebei zwei Schwierigkeiten. 1., da jede Silbe entstanden seyn muß, kann
keine die erste seyn. 2., da alle wechselseitig auf einander einwirken, so müßten entwe­
der alle lang oder alle kurz seyn. Die Lösung beider Schwierigkeiten war er nicht im
Stande mir in irgend einer Sprache zu sagen, sondern verwies mich lediglich auf sein
Buch, das Michaelis erscheint. 65
Soviel für heute, lieber Schiller. Leben Sie wohl, u. denken Sie manchmal an
uns. Sie können nicht glauben, wie sehr es mich schmerzt, auf so lange von Ihnen
getrennt zu seyn. Es war eine so schöne Gewohnheit, täglich ein Paar Stunden mit
Ihnen zu verplaudern. Lolo grüßen Sie herzlich. Die Li schreibt mit nächster Post.
Tausendmal Adieu! 70
Humboldt.
Was macht Fichte?

353. An Schiller in Jena Tegel, 13. (?) Juli 1795


Ausführliche Würdigung der dritten Lieferung von Schillers ,Ästhetischen Brie­
fen‘: Hervorhebung der Leichtigkeit der Präsentation einer schwierigen Materie;
Schönheit als verbindendes Wesen; zu einer weniger verständlichen Stelle; Flüssig­
keit des Stils.

Es thut mir leid, liebster Freund, Ihnen den Centaur erst heute zurückzuschicken.
Aber es war mir unmöglich ihn in den ersten anderthalb Tagen meines Aufenthalts
hier durchzulesen, u. ich konnte mich doch nicht entschließen, ihn ungelesen zu­

18
7.–13. Juli 1795

rückgehn zu lassen. Ihre Briefe haben mir ein überaus großes Vergnügen gewährt.
5 Bei keiner der beiden vorigen Lieferungen, dünkt mich, wird man eine solche Fülle
des Geistes gewahr, die in einer so schwierigen Materie mit so großer Leichtigkeit
fortströmt. Denn der nicht geringen Schwierigkeiten ungeachtet, welche die eigent­
liche Deduction vom 19. Br. an umgeben, kann doch niemand, der nur mit dem
Inhalt der vorigen Br[iefe] gehörig vertraut ist, diese Leichtigkeit verkennen. Ueber­
10 all dringt sich das Gefühl auf, daß Sie Meister Ihres Gegenstandes waren, daß Sie
ihn aus allen verschiedenen Gesichtspunkten ansahen, u. gerade den schicklichsten
für die Darstellung wählten. Vorzüglich ist es Ihnen gelungen, dasjenige, worauf
freilich auch das Meiste ankam, auf das klarste darzustellen, wie die Schönheit jene
beiden verschiedenen Zustände rein entgegensetzt, u. innig verbindet. So sehr auch
15 alles Vorhergehende schon dieß vorbereitete, so fühlt man sich doch bei diesen Stel­
len Ihrer Briefe plötzlich auf eine Höhe versetzt, von welcher man das ganze Gebiet
des menschlichen Geistes mit bewundernswürdiger Leichtigkeit übersieht, u. mit
wahrhaft erhabener Achtung bewundert. Es kann nicht fehlen, daß eine Theorie,
die außerdem daß sie ihren eignen Gegenstand schlechterdings erschöpft, über den
20 Zusammenhang alles menschlichen Denkens u. Empfindens überhaupt ein so hel­
les Licht verbreitet, nicht auch außer ihrem Gebiete eine Revolution hervorbringen
sollte, u. da die jetzige Lieferung gerade sehr vieles enthält, was den Leser hierauf zu
führen bestimmt ist, so bin ich sehr auf den Eindruck begierig, den sie machen wird.
Von dieser Art ist z. B. die Note, in der Sie den Unterschied zwischen einem edeln
25 u. einem erhabnen Betragen [darstellen], u. die, so sehr sie auch mit dem Geiste
der Kantischen Moral übereinstimmt, doch gegen ihren Buchstaben anzustoßen
scheinen kann. Auf mich hat diese Stelle, so wie der Platz überhaupt, den Sie der
Schönheit in Rücksicht auf die Vermehrung der Einsicht u. die Verbesserung der Ge­
sinnung anweisen, auch darum noch einen tiefern Eindruck gemacht, weil ich mir
30 schon immer, wie Sie Sich wohl aus früheren Gesprächen erinnern, die Schönheit
auf ähnliche Art als ein verbindendes Wesen dachte, aber das Einzelne, was sie verbin­
det, nicht rein genug zu scheiden vermochte. Dadurch daß Sie diese Scheidung in
einer Vollkommenheit vornehmen, die zugleich mit jener Verbindung, nur Ihnen in
dem Grade gelingen konnte, haben Sie mich mir selbst deutlicher gemacht, u. wenn
35 ich sagen sollte, worin ich überhaupt am meisten für mein Denken durch Ihren Um­
gang gewonnen habe, so ist es an der Fertigkeit keine Verbindung anders, als nach
vollkommen reiner Entgegensetzung vorzunehmen.
Ich habe mir ausdrücklich Mühe gegeben, diese Lieferung Ihrer Briefe mit ver­
doppelter kritischer Aufmerksamkeit durchzulesen, es ist mir aber keine Stelle auf­

8 Deduktion D 9 Überall dringt D 19 die außer dem daß D 25 Betragen unterscheiden, H


Betragen darstellen, D 30 schon einmal, wie D

19
Brief 353–354

gestoßen, wo ich Sie gerade ausführlicher oder deutlicher gewünscht hätte, die 40
einzige Anmerkung ausgenommen, worin Sie die doppelte Freiheit unterscheiden.
Die Bestimmung „daß die eigentlich menschliche Freiheit als eine natürliche Möglich­
keit jener andern erklärt werden könne“ ist mir, gestehe ich dunkel gewesen. Denn
wenn gleich die letztere (jeder Intelligenz eigenthümliche) in dem sinnlichen Men­
schen nicht ohne die erstere möglich wäre, so erschöpft die Eigenschaft, sie möglich 45
zu machen, doch den Begriff dieser nicht, da sie vielmehr, wie Sie selbst sagen, auch
Ursache seyn kann, unter Gesetzen der Vernunft materiell zu handeln.
Das Stück, in dem Sie den Fortschritt des sinnlichen Menschen zur Cultur (die
Sie einmal von einer so überraschend neuen Seite, als die Würde mit der Glückse­
ligkeit verbindend, darstellen) beschreiben, ist überaus schön, u. reich an den wich­ 50
tigsten psychologischen Bemerkungen. Sehr wahr u. wenigstens in dieser Zusam­
menstellung u. dieser philosophischen Herleitung neu ist dasjenige, was Sie von
den Wirkungen der Vernunft in ihrer ersten Erscheinung im sinnlichen Menschen
sagen. Sehr hätte ich gewünscht, daß Sie noch öfter auf die Erfahrung zurückgegan­
gen wären, u. noch mehr Beispiele beigebracht hätten, aber freilich hätte es Ihnen 55
die Masse des Ganzen zu sehr vermehrt.
Um noch von der Darstellung ein Wort zu sagen, so ist es Ihnen, glaub’ ich, noch
nie so gut gelungen, das in der That äußerst Schwierige leicht u. klar zu machen. Ich
habe genau auf die Kunst Acht gegeben, mit welcher Sie die an sich sehr dunkle De­
duction führen, u. die beiden simpeln Expositionen im Anfange des 18. u. 19. Br. auf 60
welche die letzten Resultate wieder so gleichstimmig zurückgeführt werden, thun
eine überaus gute Wirkung. Ueberhaupt weiß ich nicht, ob nicht diese Lieferung an
Rapidität u. einem gewissen fortströmenden Flusse des Stils noch die beiden vori­
gen, die einen mehr gehaltenen Gang haben, übertrift. Als vorzüglich meisterhaft
gesagt aber sind mir besonders einige Stellen aufgefallen z. E. die über die näheren 65
Affinitäten der Künste in ihren höheren Graden, die Beschreibung der Reflexion u.
ihres Einflusses, u. die über die Empfindung des […]

354. An Schiller in Jena Tegel, 17. Juli 1795

Eine brief liche Attacke Fichtes gegen Schiller im Verfolg seines von diesem ab­
gelehnten Aufsatzes „Über Geist und Buchstab in der Philosophie“. Der Plan zu
Goethes Faust; seine Übersetzung „Auf die Geburt des Apollo“. Woltmann; Gros.
,Horen‘-Rezeption in Berlin. Herz und Dyk über Schillers philosophische Schriften.
Jenisch über die ,Lehrjahre‘. Göckingk. Klopstock über die Kantische Terminologie.

20
7.–17. Juli 1795

Tegel, 17. Jul. 95.

Ihr Brief ist, u. zwar bis Berlin (denn von dort habe ich ihn unmittelbar erhalten)
unbegreif lich lang unterwegs gewesen. Ich bekam ihn erst am 15t also 9 Tage, nach­
dem Sie ihn abgeschickt hatten. Je größer indeß meine Sehnsucht war, wieder etwas
5 von Ihnen zu hören, desto innigere Freude hat er mir auch gemacht. Meine beiden
haben Sie nun wohl schon erhalten.
Nach Lottchens Brief an die Li, die Sie beide herzlich umarmt, aber schwerlich
selbst wird schreiben können, da sie ein Gerstenkorn am einen Auge hat, müßte ich
beinah fürchten, Sie litten wieder an Ihrem gewöhnlichen Uebel, liebster Freund, u.
10 wenn das Wetter bei Ihnen wie hier ist, sollte es mich wenig wundern. Möge doch
der Himmel Ihnen bald wieder recht heitre Stunden, u. völlig freie Stimmung geben.
Die Epistel der Oßmannstädtischen Majestät ist ihrer ganz würdig. Verbissener
Aerger, sogenannte feine Ironie, u. eine gute Dosis recht eigentlicher Grobheit ha­
ben mir so die Ingredienzien dieser tref lichen Mixtur geschienen. Den philosophi­
15 schen Theil bescheide ich mich gern, nicht zu verstehen. Die Philosophie soll aus
lauter Geist bestehen. Wenn das den Sinn haben soll, daß sie gar keines Buchsta­
bens fähig ist, so ist niemand so schlimm daran, als die Philosophen, die doch nun
einmal als endliche Wesen einen Buchstaben brauchen. Soviel ich einzusehen ver­
mag, besteht Ihr freilich unverzeihliches Verbrechen darin, daß Sie Geist der Phi­
20 losophie u. nicht in der Phil. gesagt haben. Denn daß der letztere Ausdruck vom
Meister selbst gebraucht wird, kann ich bezeugen, u. da er sich auf mich, als auf
einen Jünger bezieht, so muß er mein Zeugniß gelten lassen. Auf der 4t Seite des
Briefes hat er sich indeß selbst jenen ketzerischen Ausdruck entfahren lassen. In der
That begreife ich nicht, wie man eine so simple Sache, daß jedes Ding, das auf Ideen
25 beruht u. von Menschen behandelt wird, außer seinem eigentlichen Gehalt eine äu­
ßere Form haben muß, u. daß es unmöglich ist, einseitig bei der letztern stehen zu
bleiben, so ungeheuer verdrehen kann, u. wie es nothwendig seyn soll, um vom
Geist in der Philosophie zu reden, den Geist in den schönen Künsten abzuhandeln,
man müßte denn psychologisch das Kleben am Buchstaben überhaupt untersuchen
30 wollen, was aber freilich in ein ganz anderes Fach gehört, u. einen noch weit andren
Umfang erfodert. Daß die philosophische u. ästhetische Urtheilskraft am Ende aus
Einer Quelle entspringt, daß es beiden nur um Vorstellung zu thun ist, ist freilich
wahr, scheint mir auch im geringsten nicht so neu; aber ich begreife immer nicht,
warum man nun auch immer beide zugleich abhandeln müsse? Das von den Trie­

3 lange D1 den 15ten, D1 am 15ten, D3-4 7 an meine Frau, die […] grüßt, D1 8 am Auge
hat, D1 müsste D4 (desgl. Z. 29) 20 gesetzt haben. D3 gesezt haben. D4 22 4ten D3-4 26 bei der
letzteren D3 30 weit andern D3-4

21
Brief 354

ben Gesagte ist mir durchaus dunkel gewesen. Ueberhaupt zeigen sich diese Rai­ 35
sonnements so abgebrochen, u. durch Unwillen herausgestoßen in dem Briefe, daß
man wohl vergebens nach ihrem Zusammenhang forschen würde. Die Stelle über
Ihren Styl ist in der That groß. Auf der einen Seite Fichte an der Spitze aller alten u.
neuern Schriftsteller; auf der andern Sie allein. Jene verkannt, angegriffen, aber ge­
lesen, verstanden u. nachgesprochen, Sie gepriesen u. bewundert, aber unverstan­ 40
den u. kaum gelesen. Wäre dieß ganze Urtheil über Ihre Manier zu schreiben bloß
Folge der Animosität, so würde es mich keinen Augenblick wundern, allein wenn
ich manche dunkle Aeußerungen, die ich sonst hörte, mit diesem Briefe zusammen­
nehme, so muß ich schließen, daß das Resultat schon viel früher in ihm ebenso da
war, u. nun ist es in der That schwer etwas über diesen Geschmack zu sagen. Was 45
mich aber eigentlich indignirt, ist daß es dieser ganzen Tirade so an allem Geist u.
selbst an allem Scharfsinn fehlt. Uebersetzt man sie in simple Worte, so ist es das alte
abgeschmackte Urtheil, daß Sie zu dichterisch schrieben u. schlechterdings nichts
weiter. War es einmal darauf angesehen, ungerechter Weise zu schimpfen, so ließ es
sich noch immer anders angreifen. Laut aufgelacht habe ich über die Stelle, daß man 50
seine Perioden ihn selbst declamiren hören müsse. Unter allen Hofchargen wäre
doch ein Hof­declamateur, der zugleich HofApostel wäre, die nothwendigste, u. das
Subject dazu ist so nah. Gar lustig ist auch noch der Bückling, den die Belagerung
so im Vorbeigehn erhält. Ich glaube wirklich, er meint, er könne Sie mit solchem
Lobe, von der Philosophie weg in die Poesie u. Geschichte hinüberschieben. Wie 55
billig man auch urtheilen möchte, so hat sich F. doch höchst unmännlich betragen.
In ein solches u. so weitläuftiges Geschwätz zu verfallen, ist in der That wie ein altes
Weib, das Lust hat, sich einmal recht auszukeifen. Merkwürdig ist es auch, wie der
Ton gegen das Ende zu immer ärger wird, u. wie immer mehr das Nicht-Ich über das
schwache Ich siegt. 60
Für die ausführliche Nachricht von G[oethes] Faust meinen herzlichen Dank.
Der Plan ist ungeheuer, schade nur, daß er ebendarum wohl nur Plan bleiben wird.
An dem Hymnus haben Sie gewiß eine gute Acquisition gemacht, u. es ist recht gut,
daß es nicht der ganze ist. Denn dieser Hymnus besteht offenbar, obgleich G. es
nicht finden will, aus zwei ganz verschiedenen Stücken, einem an den Delischen u. 65
einem an den Pythischen Apoll. Wahrscheinlich hat doch G. das ganze erste Stück
übersetzt, u. nur dieß ist sehr schön, das andere ist wirklich mittelmäßig.
Woltmann ist doch immer noch brauchbar, wie ich sehe. Bei Gelegenheit seines
Romans fällt mir ein, daß er den der Mereau neuerlich recensirt hat, u. daß Sie die
Rec. lesen müssen. Sie steht im 180. St. der A LZ. Sie werden einige Ideen aus Ihrer 70

45 über diesen Gegenstand D3-4 61 meinen herzlichsten D1 (Muncker) 65 verschiednen D4


67 das andre D3-4 70 aus der Matthissonschen Recension D1 Matthisonschen H D4

22
17. Juli 1795

Matthis[s]onschen Rec. u. ein Stück aus einer Theorie der Idylle, das mich sehr er­
baut hat, darin finden. In Einer Stelle scheint er sich u. Madem[oiselle] … <!> geschil­
dert zu haben. Aus dem Buch selbst ist eine philosophische Stelle angeführt, die in
der That sublim ist u. in der das Ich göttlich prangt.
75 Wegen Gros habe ich mit Hardenberg gesprochen. Er ist noch immer der Mey­
nung, ihn anzustellen. Da mich Gros immer mit Hard. quält, u. gegen andere von
einer Anstellung in Gött[ingen] spricht, so vermuthe ich fast, er will den Ruf nach
Erl[angen] als ein Mittel, etwas in Gött. zu erhalten, brauchen.
Ich war indeß Einen Tag in Berlin u. melde Ihnen doch einige poßierliche Dinge.
80 Zuerst über die Horen. Nichts als was wir längst hörten. Die Unterhaltungen mis­
fallen durchaus u. total, auch der Procurator. Man klagt im Ganzen über Mangel an
Leichtigkeit. Selbst die Epistel ist nicht verstanden worden. (!!) Der Dante gefällt
nur mittelmäßig, Herder gar nicht. Entschiednes u. allgemeines Glück hat bloß Ihre
Belagerung gemacht. Doch scheint auch Körner u. überhaupt das 5t St. gefallen zu
85 haben. Der Nationalcharakter soll recht hübsch seyn, einige tref liche Ideen haben,
u. nur hie u. da ungleich geschrieben seyn. Ueber die Verfasser ist man in der grö­
ßesten Verwirrung gewesen. Die Unterhaltungen hat man Göthe, den Fichtischen
u. Woltmannschen Aufsatz mir, meinen zweiten einem Unbekannten, der einige
Ideen aus meinem ersten weiter ausgesponnen habe, die Belagerung Woltmannen
90 (!) zugeschrieben. Eine Dame hat Ihre Belagerung zu taktisch gefunden. Herz hat
über Ihre Briefe u. über Anmuth u. Würde ein eignes Gleichniß gebraucht. Man soll
ein Gericht haben, wo BambusRohr in Zucker u. Gewürz eingemacht wird. Diesem
gleichen Ihre philosophischen Schriften. Erst schmecken sie süß u. zart, aber end­
lich bleibt etwas zurück, mit dem nun freilich nichts weiter anzufangen ist, weil es
95 das bloße Holz ist. Das Prächtigste aber hat über Ihre Briefe Dyck, der Buchhändler,
u. noch dazu in Druck ausgehen lassen. Es soll in einem Buch stehn, dessen Titel
man mir nur ohngefähr so angab: Politische Bemerkungen von einem Freunde der
Wahrheit. In diesem Buche soll er sich wohl 4 Seiten lang über Ihre Briefe verbreiten,
vorzüglich über die 3 Triebe. Die Kernstelle ist dann endlich die, daß man in 2–300
100 Jahren ebenso über diese Benennungen lachen werde, als man jetzt über Arends
wahres Christenthum u. Schmolkens Gebetbuch lache. Denn religiöse u. philoso­
phische Schwärmerei kommen doch am Ende auf Eins hinaus. Hennings hat schon
vor Monaten ich glaube im Archiv der Zeit eine Rec. der Schützischen Rec. der Ho­
ren abdrucken lassen, die mit den Horen ganz honnett, aber mit dem Recens[enten]
105 desto ärger umgehn soll.

73 Aus dem Buche D1 76 gegen andre D2-4 78 zu erhalten, benutzen. D2 79 possierliche D3


84 das 5te D3-4 89 Belagerung Woltmann D3-4 96 im Druck D3-4 99 ist denn endlich D3
102 Hennigs D1 (Muncker)

23
Brief 354–355

Ein Urtheil von Jenisch über den Meister: „ich habe den Meister auf meiner Frau
ihrer Toilette liegen sehn, stellen Sie Sich vor, der Mensch, der Göthe, spricht 5 Sei­
ten lang von Puppenspielen.“
Göckingk empfiehlt sich Ihnen u. findet sich durch Ihre Bitte um Beiträge zum
Almanach sehr geehrt. Reinhard ist aber eben auf einer eigentlichen Reise nach Bei­ 110
trägen in Berlin gewesen, u. hat ihn ganz erschöpft. Ramler u. Meyer fand ich noch
nicht, allein wahrscheinlich gehören sie auch zu den Ausgesogenen.
Klopstock hat ich denke auch im Archiv der Zeit, wieder ein grammatisches Ge­
spräch erscheinen lassen, in welchem er die Kantische Terminologie durchzieht. Te­
leologische Urtheilskraft sey nach dem Object gemacht. Man werde bald sagen: das 115
baumische Auge. Als parodie aller Kantischen Wörter hat er ein langes Wort gebildet.
Es giebt nemlich im Aristophanes ein Wort, das aus lauter einzelnen Essen zusam­
mengesetzt ist u. ein Paar Zeilen einnimmt. So ist auch dieß Klopstockische. Das
Ende soll heißen: […]

[„Humboldt läßt (Körner) grüßen.“] 120

Die Inlagen bitte ich Sie zu besorgen. Den Brief mit den 10 Fr. d’or sind Sie wohl so
gütig, mir aufzuheben.

355. An Wolf in Halle Tegel, 17. Juli 1795

Übermittlung der versprochenen Fragen zu Aristoteles’ Poetik; Selbstkritik an de­


ren Mängeln. Spaldings Quintilian-Studien; eine verunglückte Wortwahl bei Voss.
Weiterhin Gesundheitsprobleme.

Tegel, 17. Jul. 95.

Wenn ich auch nicht ganz genau Wort halte, theurer Freund, so können Sie doch
nicht sagen, daß ich leere Versprechungen mache. Hier haben Sie in der That Fragen
über das erste Drittel der Poetik. Wenn ich mich aber dieser Fragen rühme, so ists nur
ihrer Existenz, nicht ihrer Beschaffenheit. Ich habe sie im Lesen, wie sie mir einfielen 5
(so wollten Sie es ja) niedergeschrieben, aber heute, da ich sie im Zusammenhange
überlese, möchte ich mich doch beinah meiner incuria schämen. Es wird Ihnen vor­
züglich zweierlei daran auffallend seyn. 1., muß es, dächte ich, in diesen ersten 6

110 Reise um Beiträge D1 115 Man wird D1

24
17. Juli 1795

Kapiteln bei weitem mehr bedenkliche Stellen geben, als ich angemerkt habe u. 2.,
10 bin ich bei den bemerkten so ausführlich gewesen, daß mich Ihre Zeit dauert, wenn
Sie es lesen wollen. Der letzte an sich verzeihliche Fehler entstand nun freilich bloß
aus Mangel an Sorgfalt; aber der erste darf mir nicht so ungestraft hingehn. Ich muß
wirklich gestehen, daß ich sehr genau gelesen, u. alle Stellen angemerkt habe, wo
ich wirklich anstieß, u. mir nicht zu helfen wußte, u. daß ich von diesen sehr gewis­
15 senhaft keine übergangen habe. Alle übrigen also sind von der Art, daß ich eigne
Rechenschaft über sie geben kann. Von welcher Art diese ist, bitte ich Sie nun durch
Gegenfragen zu prüfen, die ich nach Möglichkeit beantworten will. Um die Gefäl­
ligkeit dieser Gegenfragen bitte ich Sie in der That recht ernstlich; es ist überhaupt
mein Fehler auch bei dem ernsthaftesten Vorsatz zu leichtsinnig zu lesen. Ich helfe
20 gern dem Ausdruck, wo er mangelhaft ist, nach, übersehe dadurch manche wirklich
verdorbene Stelle, wenn ich auch ihren Sinn errathe, od: misverstehe auch wohl in
der That andre. Mit Einem Wort: es fehlt mir an kritischem Mistrauen. Gegen diesen
Mangel würden Gegenfragen tref liche Dienste thun. In Absicht meiner Fragen ha­
ben wir ja wohl schon abgemacht, daß Sie bloß beantworten, wozu Sie jedesmal
25 gleich Lust haben, u. mich mit allen übrigen auf Ihren künftigen Commentar ver­
weisen, wenn Sie mir nicht nach Endigung aller meiner Fragen, Ihre schon fertigen
Noten schicken wollen, was freilich überaus gütig u. schön wäre. Können Sie aber
auch dieß nicht, so versagen Sie mir wenigstens alsdann nicht Ihre kritisch ästheti­
sche Abhandlung. Ich bin äußerst begierig auf dieselbe. Meine große u. gänzliche
30 Unbekanntschaft mit dem Arist. wird Ihnen jede Zeile verrathen, u. ich bin gern
zufrieden, wenn Sie nicht nun auch Beweise von Unbekanntschaft mit der Griech.
Sprache überhaupt finden.
Spalding ist neulich ein Paar Stunden hier bei mir gewesen. Er ist noch ganz der Alte
u. ich gewinne ihn immer mehr lieb. Der Quintilian soll, wie er behauptet, nun die einzige
35 Beschäftigung seines ganzen künftigen Lebens seyn, u. es soll immer eine ed. nach der
andern davon erscheinen. Wirklich scheint er recht fleißig. Ich wünsche nur, daß es Erfolg
haben mag. Daß er keine Kinder von der Wittib hat, ist ihm ein großes Anliegen. Indeß
meint er, werde es schon noch kommen. Sie würden nur wohl eben so langsam als die
Kinder des Geistes zur Reife kommen. Ueber Ihre Prol. denkt er völlig, wie man muß. Nur
40 jammert er, daß er immer so leicht überzeugt sey. Aber über einen accent hat er mir einen
Floh ins Ohr gesetzt. Warum haben Sie Il. ε. 116. nicht φῖλαι sondern φίλαι geschrieben?
Sie hatten gewiß gute Gründe, mich ärgert nur, sie nicht selbst zu wissen.
Haben Sie schon Voß Ged. Th. 2. angesehn? Sagen Sie, wie ist er auf folgende unglück­
liche Wendung gekommen:

15 einige Rechenschaft D1-2 23 treflichen Dienst h2 31 Sie nur nicht h2 D1 34 nur die einzige h1
36 andren h2 anderen D1 39 Ihre Trol. h1 43 wie er auf h1 D1

25
Brief 355–356

Nie ward gegen die Lieb’ ein anderes Mittel bereitet, 45


Nikias, weder in Salbe, so scheint es mir, noch in Latwerge,
Als Pierinnengesang.
Noch Einen Spaß muß ich Ihnen erzählen. In den Trachin. kommt doch gleich Anfangs
vor: φοιτων εναργης ταυρος. Dieß übersetzt Spalding: „er frequentirte unser Haus als ein
offenbarer Ochse“ und macht eine prächtige Anwendung auf einen gewissen OberSchul­ 50
rath davon.
Was ich Ihnen aber für Possen schreibe. Indeß denke ich, ists Ihnen, lieber Freund, nicht
undienlich, einmal Ihr Zwergfell zu erschüttern, u. auch mir kanns nicht schaden. Ich bin
noch gar nicht ganz wiederhergestellt, u. Selle erklärt mein Uebel für haemorrhoidal Ob­
structionen. Ich trinke den Pyrmonter u. reite täglich spatzieren. Vielleicht hilft diese Kur. 55
Meine Frau grüßt Sie recht herzlich. Sie hat ein sogenanntes Gerstenkorn am Einen
Auge, sonst ist sie recht leidlich wohl, u. jenes kleine Uebel wird wohl schon morgen vor­
über seyn. Die Kinder sind munter u. guter Dinge.
Leben Sie herzlich wohl, theurer Freund, empfehlen Sie uns allen den Ihrigen.
Ihr 60
Humboldt.

356. An Schiller in Jena Tegel, 28. Juli 1795


Besorgnis über Schillers Kränkeln. Literarische Neuigkeiten: Jacobi, Meyer, Gentz,
Voss, Maimon. Humboldts eintönige Existenz. Rezeption der ,Römischen Elegien‘
und der ,Briefe über ästhetische Erziehung‘ in Berlin. Bekanntschaft mit Burgs­
dorff.

Tegel, den 28. Jul. 1795.

Schon nach Lolos letztem Briefe an die Li fürchtete ich, Ihre Krämpfe möchten
sich bei dem üblen Wetter und Ihren Arbeiten häufiger einstellen, u. leider sehe
ich meine Besorgniß jetzt nur zu gegründet. Schonen Sie Sich ja, theurer Freund,
wie mir Lolo schreibt ist ja für die Horen völlig, u. für den Almanach auch fast ganz 5
gesorgt, und die Arbeit ist nun für den Augenblick minder dringend. Doppelt
schmerzt es mich jetzt, nicht in Jena zu seyn; es wäre Ihnen jetzt gewiß noch will­
kommener, ein Paar Stunden täglich zu verplaudern, u. wenn Göthe nicht da ist, so
haben Sie schlechterdings niemand.

47 Tierinnengesang. h1 55 trinke Pyrmonter h1 D1 56 Sie herzlich. h1 D1 an Einem Auge, h1 D1


|| 2 Schon nach Ihrer lieben Frau Briefe an die meinige D1 4 Besorgniß nur D1 Freund, es ist
ja D1 7 Ihnen gewiß D1-2

26
17.–28. Juli 1795

10 Jacobis Aufsatz amüsirt mich doppelt, da er meine Kunst zu rathen so anhaltend


beschäftigt. Die gute Lolo hat vergessen, mir auch nur den Titel zu schreiben, u. au­
ßerdem daß ich aus dem Briefe sehe, daß ein Brief an Ernestinen über die Kantische
Moral eine Fortsetzung davon seyn soll, weiß ich nun schlechterdings nichts davon.
Indeß werde ich ihm doch noch heute antworten, weil ich ihn gern bei recht gutem
15 Muth erhalten möchte.
Mein Leben ist seit meinem letzten Brief so in seiner Einförmigkeit fortgegangen.
Ich bin ein Paarmal in Berlin gewesen, aber ohne eben etwas interessantes zu erfah­
ren. Zum Arbeiten bin ich wenig gekommen, obgleich meine Gesundheit um sehr
Vieles besser ist, als anfangs, u. als in Jena. Aber es sind der Zerstreuungen so viele,
20 u. alle darf ich nicht einmal, wegen der fortdauernden Kränklichkeit meiner Mutter
entfernen. Indeß denke ich noch ernstlich an die Luise u. habe wieder allerlei Ideen
dazu gesammelt.
Ramler habe ich wieder einmal nicht gefunden. Meyer ist, wie ich von sichrer
Hand weiß, schon von Michaelis zu Beiträgen aufgefordert worden. Er hat aber ge­
25 gen einen Bekannten von mir hernach geäußert: „Sie hätten ihn neulich in Jena sehr
kalt aufgenommen, u. wenn Sie Beiträge wünschten, hätte er erwartet, daß Sie Sich
unmittelbar an ihn wenden würden.“ Bei so bewandten Umständen habe ichs für
besser gehalten, ihn nicht weiter zu beunruhigen u. habe ihn nicht besucht. Mit so
vornehmen Herren ist es schlimm umzugehen. Eben dieser Meyer hat auch geäu­
30 ßert, er habe Ihnen die Idee zum Geisterseher gegeben. Daraus ist denn freilich be­
greif lich, warum Sie, da Sie wahrscheinlich das Erhaltene verbraucht haben, keine
Fortsetzung liefern können. Er ist eigentlich der Herausgeber des Archivs der Zeit u.
zugleich Vf. der meisten Aufsätze darin. In den letzten Stücken ist unter dem Titel:
Flüchtiger Anblick der Deutschen Litt. etwas über Wieland u. Göthe, wovon mir
35 beim Blättern das Letzte recht gut schien. Es ist von ihm selbst.
Gentz, der sich Ihnen vielmals empfiehlt, u. auch noch immer etwas zu liefern
verspricht, hat mir das Posseltsche polit. Journal bei Cotta überaus gelobt. Er erklärt
es geradezu für das Beste jetzt. Ich habe ihn gebeten, es, wo möglich, in der A LZ.
zu recensiren, u. er hat es mir versprochen, wenn er es nur bekommen könnte. Sie
40 könnten ja wohl machen, daß es ihm bald angetragen würde. Es würde für Cotta
gewiß vortheilhaft seyn.
Ueber die Elegie[n] habe ich noch gar nichts rechtes gehört, das Einzige ausge­
nommen, daß, wie Sie auch schon vermutheten, niemand Anstoß daran nimmt. Von
Ihren Briefen ist altum silentium.

11 Ihre Frau hat D1 13 schlechterdings nichts. D1 16 letzten Briefe D1 21 Louise D1 (1830,


1876) 23 von sicherer Hand D1-2 24 zu einem Bekannten D1 27 habe ich es D1 D3
32 Archives D1 42 Elegie H Elegien D1-3

27
Brief 356–358

Den zweiten Theil der Vossischen Gedichte habe ich jetzt ganz durchblättert u. 45
gelesen, aber er enthält nicht Ein vorzügliches u. nur sehr wenig irgend unterhal­
tende Stücke. Der gewöhnliche enge Kreis, eine fast Bürgersche Kraftsprache, viel
Härten, hübsche, aber so oft wiederkehrende Naturschilderungen, das ist so ziem­
lich alles, was man findet. Die Uebersetzungen sind mir nun einmal nicht lesbar.
Maimon, den ich auch schon einmal vergebens aufgesucht, scheint das Hand­ 50
werk mit dem Doppeltdrucken öfter zu treiben. Auch Gentzen hat er gleich zum
ersten Stück des Journals einen Aufsatz gegeben, von dem dieser noch unmittelbar
vor dem Abdruck entdeckt hat, daß er schon ein halbes Jahr zuvor erschienen ist. Da
er ihn zurückgeschickt, hat er es mit ordentlich genialischer Unverschämtheit, bloß
ein Versehen genannt. 55
Neue Bekanntschaften habe ich hier sehr wenige gemacht, aber doch eine eines
jungen Menschen, eines Herrn von Burgsdorff, die mich wirklich interessirt. Er be­
sitzt sehr viel Kopf, u. vielleicht noch mehr Sinn. Ich habe wenig Menschen gefun­
den, die so sehr von der Natur dazu bestimmt scheinen, die Gegenstände um sich
her rein aufzufassen, u. rein auf sich wirken zu lassen, u. ich glaube, es könnte, bei 60
gehöriger Leitung, recht viel aus ihm werden. Zum eigentlichen Hervorbringen in
welcher Gattung es sey, halte ich ihn wenigstens nicht auf eine ausgezeichnete Weise
fähig; aber er müßte einen hohen Grad der Ausbildung erhalten, u. sehr interessant
für den Umgang werden können, was er für sein Alter, er mag einige 20 Jahr alt seyn
schon jetzt, wirklich ist. – Leben Sie wohl, liebster Schiller, u. werden Sie wieder 65
recht gesund u. heiter. Danken Sie der lieben Lolo für [i]hren gütigen Brief recht
herzlich, u. bitten Sie sie, mir, im Fall Sie verhindert wären, um fernere Nachricht.
Die Li umarmt Sie beide. Tausend Küsse an Karl! Die kleine Li spricht oft von ihm.

357. An Friedrich Heinrich Jacobi in Eutin Tegel, 28. Juli 1795

Zur Bitte Jacobis, das Manuskript seines Aufsatzes für die ,Horen‘ durchzusehen.

Tegel, den 28. Jul. 1795.

Schiller hat mir, liebster Jacobi, Ihren Brief geschickt, mir aber, da er eben krank war, nur
zwei Worte durch seine Frau dazu schreiben lassen. Ich weiß also eigentlich von Ihrem
Aufsatz noch nicht das mindeste mehr, als Ihr Brief enthält, und bin doppelt begierig ihn

61 Im eigentlichen D2-3 67 sie, im Fall D2 wären, fernere Nachricht zu geben. Meine Frau grüßt D1
68 Beide. D2 Karl! die D1

28
28. Juli – 1. August 1795

5 gedruckt zu lesen. Da Schiller ihn mir nicht mitgeschickt hat, so schließe ich daraus, daß er
ihn will unmittelbar abdrucken lassen, und das ist um so besser. Die Durchsicht der Hand­
schrift, die Sie so gütig sind, mir aufzutragen, kann ich nun zwar nicht besorgen, aber ge­
wiß läßt es Schiller nicht an Sorgfalt fehlen. Ich bin außerordentlich gespannt, Ihre Arbeit
zu sehen. Soviel ich schließen kann, sind es Briefe philosophischen Inhalts. Sobald ich sie
10 gesehn, schreibe ich Ihnen ausführlich. Heute that ich es eigentlich nur weil ich besorgte,
Schiller möchte, bei seiner jetzt, wie es scheint, wieder größern Kränklichkeit, verhindert
worden seyn, Ihnen den Eingang Ihres Packets zu melden.
Ich werde noch etwa 6 Wochen hier bei Berlin auf dem Landgut meiner Mutter blei­
ben, wo ich recht froh, aber freilich mehr, als ich wünschte, in Zerstreuung und Arbeitlosig­
15 keit lebe. Meine Frau und Kinder sind wohl, und die erstere trägt mir viel freundschaftliche
Empfehlungen an Sie und die Ihrigen auf.
In Eutin versichern Sie doch den braven Voß meiner hochachtungsvollsten Zuneigung.
Ewig
Ihr
20 Humboldt.

Lasen Sie wohl die Prolegomena zu Wolfs neuem Homer u. was sagen Sie dazu?

358. An Christian Gottfried Körner in Dresden Tegel, 1. August 1795

Baldiges Treffen in Dresden unwahrscheinlich. Ausführliche Würdigung des nun­


mehr erschienenen Aufsatzes über Charakterdarstellung in der Musik. Die eigene
Scheu, über die Griechen für den Druck zu schreiben; über die Schwierigkeiten des
Schreibens überhaupt.

Tegel, 1. Aug. 95.

Es thut mir leid, daß der Kantische Brief Sie gehindert hat, liebster Freund, mir früher
zu schreiben. Ich sehnte mich so sehr, etwas von Ihnen zu hören. Desto herzlicher aber
danke ich Ihnen für Ihre lieben Zeilen. Warum ich nicht über Dresden gegangen? und
5 ob ich nicht darüber zurückkehre? Ich werde das Letztere nicht können, und der Grund,
warum ich nicht werde, ist zugleich der, warum ich es nicht schon that. Sie wissen selbst,
wie schwierig eine Reise einiger 20 Meilen, und soviel machte der Umweg hin und her,

|| 5 nicht drüber D1

29
Brief 358

mit einer Frau und zwei kleinen Kindern ist, und Sie wissen fast noch mehr als ich, wie
noch schwieriger, sich von Frau und Kind zu trennen. Sonst wünschte ich so unendlich Sie
einmal wiederzusehn, und am liebsten zugleich mit allen den Ihrigen bei Ihnen in Ihrem 10
Hause. Man ist da am besten und ruhigsten und genießt sich am meisten. Hoffentlich ge­
schiehts doch nächstens einmal wieder. Nur diesen Herbst schwerlich.
Ihren Aufsatz habe ich mit verdoppeltem Vergnügen wiedergelesen. Er hat sehr ge­
wonnen, so treflich er auch schon war, ob ich gleich nicht läugnen kann, daß auch unter
dem Neuhinzugekommenen Stellen sind, die statt andere, die vorher da waren, zu ergän­ 15
zen und zu erklären, vielmehr selbst andre neue nothwendig machten. Etwas, womit ich
nicht einig seyn zu können glaubte, finde ich schlechterdings nicht in Ihrer Arbeit, wie
ich sie verstehe, sie paßt vielmehr so sehr in meine Ideenreihe, daß vielmehr alles, was ich
bisher über diesen Gegenstand dachte, nun erst durch Sie rechtes Licht in mir gewonnen
hat. Das Einzige was ich eigentlich vermisse, ist das, daß der Leser nicht streng genug an 20
den Gang des Raisonnements gefesselt, und das Resultat nicht bestimmt genug gezogen
wird. Vielleicht mag die Schuld an mir und an meiner Unkenntniß der Musik liegen, aber
ich gestehe Ihnen offenherzig, daß ich über die Frage, in wiefern kann Charakterdarstel­
lung der Musik eigen seyn? keine vollkommene Befriedigung erhalten habe. Indeß sehe ich
auch recht gut die Schwierigkeit, oder vielmehr die Unmöglichkeit solche Befriedigung 25
in einem Journalaufsatze, noch dazu in einer Materie zu geben, in der noch fast nichts ist,
auf das man fußen könnte. Es gehörte ein Buch dazu. Eingefallen ist mir, ob Sie vielleicht
besser gethan hätten, sich recht streng an folgende zwei Fragen zu halten:
1., welche Mittel (moyens) hat die Musik? Meiner Vorstellung nach a., ein Materiale,
den Ton, wo sie von dem Eindruck des bloßen Tons auf das Gemüth, dann von seinen Ver­ 30
schiedenheiten, als einzelnen Tons, gesprochen hätten. b., ein Formale, die Folge der Töne.
2., worin besteht der Charakter? Kann er ohne allen Gegenstand, an dem, und ohne
alle Gestalt, in der er sich zeigt, dargestellt werden?
Strengere Absonderung dieser beiden Fragen und detaillirtere Behandlung jeder einzel­
nen hätte, glaube ich, die Deutlichkeit sehr befördert. Denn die eigentliche Dunkelheit 35
scheint mir dadurch zu entstehen, daß der Leser schwankende Begriffe vom Wesen der
Musik, und vorzüglich vom Charakter mitbringt, und Sie bald dem einen, bald dem andern
Mangel abzuhelfen suchen. Aber eine solche Behandlung, ich wiederhole es, hätte ein
Buch erfodert. Was ein Aufsatz leisten konnte, leistet der Ihrige, und dieß ist schon sehr
viel. Er zeigt dem Tonkünstler sein Object an, und zeigt im Allgemeinen die Möglichkeit, 40
Meister desselben zu werden. Der Philosoph, so wie der denkende Tonkünstler kann nun
für sich im Einzelnen weitergehn, und dankt doch eigentlich alle Fortschritte, die er macht,

10 wiederzusehen D1 14 trefflich D1 15 statt andre, D1 18 paßt so sehr D1 26 Journalaufsatz, D1


30 des bloßen Tones D1 39 und das ist D1 40 Objekt D1 42 weitergehen, D1

30
1. August 1795

allein Ihrer Leitung. Im Einzelnen sind sehr tiefe und schöne Ideen und wunderbar glück­
lich gesagte Stellen, z. B. die beiden, deren eine mit dem Bild von Achill und Priam, die
45 andre mit Klopstocks Worten schließt. Ueberhaupt hat der Styl zugleich eine Präcision,
Kürze und Rapidität, die im Ganzen nur sehr wenig, und in so vielen einzelnen Stellen
schlechterdings nichts zu wünschen übrig läßt.
Allerdings habe ich manches aus den Griechen, das ich für die Horen bearbeiten könnte.
Aber theils ist es eine Grille von mir, höchst ungern etwas über die Griechen zu schreiben.
50 Sie sind mir zu heilig um sie anders, als mit einer gewissen Würde zu nennen. Man muß es
erst verdienen, von ihnen reden zu dürfen. Ich habe große Plane mit ihnen, die aber freilich
eben wegen ihrer Größe vielleicht ewig Plane bleiben. Aber ich habe sie einmal, und ehe
nicht das Studium, das dazu erfodert wird, vollendet, ehe nicht bei mir selbst danach das
Bild des Ganzen entworfen ist, scheue ich mich das Einzelne zu berühren. Wer von den
55 Griechen spricht, versündigt sich leicht an der Vorwelt, oder der Nachwelt, und wem die
Menschheit heilig ist, soll keins von beiden thun. Anderntheils ists überhaupt mit meiner
Schriftstellerei ein armseliges Ding. Ich gehe immer durch eigentlichen Selbstzwang mit
Furcht und Besorgniß daran. Wenn ich mich hinsetze, halte ich die Zeit schon verloren,
weil mir nur selten etwas auch nur halb gelingt. Ich schreibe mit sehr vieler Mühe. Auch
60 liegt der Fehler tiefer. Das Lernen und das Wissen hat für mich zu viel Reitz und zu große
Wichtigkeit. Ich versäume wenn nicht das Denken überhaupt, doch das recht deutliche
auseinandersetzende Denken darüber, was zum Schreiben nothwendig gehört, und fast
nur durch das Schreiben gewinnt. – Wie ich aber so schwatzhaft werde, da ich von mir
rede? Verzeihen Sie mir ja. Ihrem Urtheil über Wolf stimme ich ganz bei und schreibe
65 nächstens mehr darüber. – Für Schillers Empfohlnen ist leider auch hier nichts zu thun,
noch weniger seit Herzberg todt ist, der noch allein wissenschaftliche Dinge protegirte.
– Für die Bezahlung der Schusterrechnung meinen verbindlichsten Dank. Wir berechnen
uns wohl nächstens einmal. – Tausend Empfehlungen von meiner Frau und mir an Sie und
alle die Ihrigen.
70 Ihr Humboldt.

Meine Adresse ist: Berlin, auf der Jägerbrücke im Humboldtschen Hause.

51 gewisse Plane D1 58 schon für verloren, D1 60 und Wissen D1 62 und [was man] fast D1
65 Empfohlenen D1

31
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unter den Erwachsenen Nichtraucher, Nichttrinker, Nichtjäger in
Menge? Machten wirklich nur diese Genüsse so unbedingt d a s
L e b e n aus, daß man sich sie nötigenfalls heimlich verschaffen
mußte, um vor sich selbst Geltung zu behalten? — Und in jäher
Sehnsucht nach friedlicher Ausgeglichenheit mit seiner Umgebung
warf er sich auf Bücher, fraß die väterliche Bibliothek gierig in sich
hinein, bis ihm der Vater eines Tages einen Cooperband wegnahm:
„Das ist noch lange nichts für dich; such’ dir was Vernünftiges,
Weltgeschichte oder Brehm! Und überhaupt hast du von jetzt ab zu
fragen, was du lesen darfst! Meine Bücher sind durchaus nicht für
dich da!“ Noch hielt sich der Junge, ließ zwar die Bücher sein, warf
sich aber auf Physik, baute elektrische Anlagen, Läutewerke,
Lampen, Motor, alles von einer Batterie gespeist. Eine Spielerei nur,
doch er nahm sie ernst, träumte sich über Jahre hinweg, zum
mächtigen Fabriksherrn, bis der Vater auch hier eingriff: „Die Bastelei
ist vollständig wertlos — Techniker wirst du ja doch nicht! Fang’
etwas Nützliches an!“
Und da war es vorbei mit allem guten Willen: die Krankheit war
nur ein Vorwand, um das Überwachen, Hineinreden, Schurigeln,
Drillen ungestört andauern lassen zu können! Darauf allein kam es
an, ihn weiter unterm Absatz zu behalten. Um seine Jugend wollte
man ihn betrügen!
Böse Zeit! Die Tage schleichen grau und leer. Draußen Regen,
Nebel, Stürme. Selten ein Sonnenblick. Beim Frühstück sagt der
Vater ein Mal ums andere: „Bei diesem Wetter ist es natürlich
ausgeschlossen, daß du ausgehst!“ Und die Wohnung wird zum
Kerker. Doch: unten im Keller wohnt der Hausmeister, ein
Schuhmacher. Wenn man den besuchte? Das heißt doch nicht
ausgehn? Ein Besuch innerhalb des Hauses! — Da unten hockt der
Schuster an seinem Werktisch. Die Luft ist schwer und fade — es
riecht nach Pech, Leder, altem Schuhwerk und Armeleute-Küche.
Durch das kleine Fenster hoch an der Decke dringt fahles Licht,
bricht sich in der runden Schusterkugel, die an einer Schnur hängt.
Man sieht die Beine der Leute, die auf der Straße vorübergehen. Der
Schuster fühlt sich geehrt durch den Besuch, gibt gewichtig
Aufklärung über sein Handwerk, läßt es grinsend geschehen, daß
Fritz sich im Einschlagen der widerspenstigen Holznägel versucht.
Allmählich wird er wärmer, erzählt Stücklein aus seiner Gesellenzeit;
er hat ganz Deutschland auf der Walz durchquert, war auch tief im
Böhmischen drin und in Tirol. Eine freie, eine wechselvolle, eine
bedeutende Zeit! Die schönen, fremden Gegenden, die lustigen
Spracheigentümlichkeiten, merkwürdige Bekanntschaften in den
Herbergen unterwegs, wohl auch Zwischenfälle mit hohen
Ortsobrigkeiten, wegen unerlaubter Erleichterung übervoller
Obstbäume oder Weinstöcke — und die Mädel, die Mädel! Durch
Wochen jede Nacht eine andere, dann wieder, wenn sich’s grade
traf, eine Meistersfrau, die dem jungen Gesellen auch nach
Feierabend zu tun gab ... vorbei! Jetzt hat der Schuster ein todböses
Weib, das gottlob tagsüber außer Haus ist, auf Bedienung. Aber sie
belauert seine Arbeit, seine Ausgänge, knausert mit dem Essen, es
gibt Zank und Streit, wohl auch Prügel. „Ich hob sie heiraten
missen,“ sagte der Schuster in seinem groben Deutsch, „weil ich ihr
a Kind gemacht hob. Ober das hat sie nur geschwindelt, die Bestie.
Dos Kind wor von ganz wen andern! — So a Drach, so a böser, ich
sog Ihnen, Herr Fritz, monches Mol könnt mich gleich der Teifel holn!
So a Kanalje, so a verfluchte!“ Dann bricht er plötzlich ab und
lauscht, ob die Frau nicht eben die Treppe herunterschleicht oder
gar schon an der Türe steht und horcht, wie es ihre Gewohnheit ist.
Fritz hört ihm gerne zu. Das, ja das war Leben, diese
Maßlosigkeit im Genuß! Was, e i n Apfel dann und wann, e i n
Gläschen, e i n Weib? Nein! Einen Baum leer fressen, daß man
wochenlang das Bauchweh nicht los wurde, den Schnaps in
Flaschen, den Wein in Krügen, das Bier in Kübeln saufen, daß Sinn,
Verstand und alle Bedenken zum Teufel gingen, und die Weiber
kurzerhand zusammenpacken, in einem Graben, in einem Kornfeld,
auf dem Heuboden, im Stall — wo sich’s gerade traf. Das tat ein
ganzer Kerl! — Er dachte an Betty. Die hatte er bei seiner Rückkehr
nicht mehr vorgefunden. Sie war in ihrem Heimatsdorf verheiratet.
Aber ihre Nachfolgerin? Ein strammes Bauernmädel, der das heiße
Blut aus den Augen blitzte — warum nicht die? Auch dem Schuster
gefiel sie. „Dos is a tüchtige Trulle,“ sagte er. „Ober solche junge
Mädel sein noch dumm — die fürchten sich vorm Kinderkriegen! Do
is nix zu machen!“ Aber Fritz bekam sie doch, fast mühelos, und sein
inneres Übergewicht über den weitgereisten Schuster war
wiederhergestellt, wenn er ihm auch seinen Triumph verschwieg. —
Und dann war es Winter, ein reicher Winter, mit viel Schnee,
Sonne und klarem Frost. Weiß und blauer Schneerauch adelte die
Einförmigkeit der engen Gassen, der flachen, toten Felder. — Da ist
der Hund Huck, ein gelbweißer Kolli, mit schmalem Kopf und
prächtiger Halskrause, nicht sonderlich klug, aber feurig und Fritz
blind ergeben. Die beiden ergänzen sich wunderbar: der junge
Mensch, der überall die Verbitterung über sein hartes Geschick mit
sich trägt, der eigenwillig Schranken setzt zwischen sich und dem
weißen Meer draußen, und der gereifte, verständige Hund, der die
Freiheit liebt und die weiten Schneeflächen in rasendem Laufe
durchpflügt. „Was rennst du so und freust dich, Huck, dummer
Huck? Bald müssen wir wieder zurück in die Stadt, dort wartet der
Maulkorb auf dich und die Leine!“ Aber Huck läßt sich nicht die
Laune verderben, er rennt und springt, wälzt sich im Schnee,
überschlägt sich und mit einem Gebell, das fast jubelndes Lachen
ist, will er seinen Herrn dazu bringen, sich gleich hemmungslos der
Freude hinzugeben. Umsonst — der vergißt Maulkorb und Leine
nicht, ist ständig ihrer Schrecken eingedenk. „Glücklicher Hund!“
denkt er. Und die Schneefelder blauen weit: „Komm, du Mensch! Wir
leben!“ Er aber sieht nur den Tod, sehnt sich nach ihm und folgt
doch, anstatt sich willenlos zum Sterben hinzubetten, haßerfüllt der
dunklen Stimme, die ihn zum Dasein zurückruft. —
Nach einförmigen Wochen eine Unterbrechung: Eine neue
Blutung. Ohne vorherige Anzeichen, gänzlich unerwartet. Nur
unbedeutend auch — doch immerhin Anlaß zur Unterdrückung der
letzten Reste bescheidener Freiheit. Die Besuche beim Hausmeister
fallen fort, desgleichen die Spaziergänge mit Huck. Tagelanges
Bettliegen erst, dann Zimmerhocken. Fritz rast in seiner Kammer,
rennt den Kopf gegen die Wände, beißt sich die Knöchel blutig:
„Hund Gott, warum mir das, warum?“ Und er hofft auf den
rächenden Blitz, der ihn zur Strafe für seine Lästerung
zerschmettern soll. Doch der Himmel schweigt. „Bin ich so nichtig,
daß ich dich nicht einmal beleidigen kann, Hund, meld’ dich, wenn
du b i s t !“ Und toter Unglaube löst den Aufruhr ab. Fritz beginnt
wahre Sträflingsliebe auf sein Zimmer zu verwenden, räumt selbst
auf, macht sein Bett alleine, hält besonders den kleinen Schreibtisch
in peinlichster Ordnung. Auf dem runden Blechuntersatz des
Tintenzeugs liegen links drei Bleistifte, rechts drei Federhalter,
sorgfältig ausgerichtet. Tintenlöscher, Mappe, Lineal haben ihre
genau bestimmten Plätze. Das ist sein Reich, das er regiert. Bis der
Vater einmal den sorgfältigen Aufbau bemerkt und alles
durcheinanderwirft: „Was soll denn der Firlefanz! Wie eine alte
Jungfer! Schämst du dich nicht?!“ Fritz baut heimlich wieder auf, der
Vater aber macht sich von da ab den Spaß, täglich zwei, dreimal ins
Zimmer zu kommen und Unordnung zu machen. Fritz läßt es
geschehen. Der Schritt des Vaters, seine Art, die Türen zu öffnen
und zu schließen, seine Bewegungen in dem kleinen Zimmer, alles
schnell, laut, energisch, selbstsicher: ich bin der Herr! — Fritz läßt es
geschehen. Und wenn der Vater draußen ist, legt er langsam die
Bleistifte wieder zurecht, die Federhalter und das andere. Aber er
zittert in glühendem Haß. Oh, wie er den Vater haßt! Einmal hört er
ihn im Vorflur stolpern. Und bei dem Gedanken, er könnte
hingefallen sein und sich weh getan haben, faßt den Jungen wilde
Freude, er reibt sich die Hände, schwenkt die Arme, strampelt mit
den Beinen, in lautlosem, wildem Jubel.
Kurze Zeit darauf kommt eine kleine Wandermenagerie in die
Stadt. Ein runzliger Elefant, ein alter Löwe, ein Tiger, eine Boa —
alle halbtot vor Hunger und durch das ständige Reisen zum Stückgut
entwürdigt. Nur einer zeigt Leben, unheimlich gespenstisch: ein
Wolf. Der rast hinter den dicken, rostigen Eisenstäben auf und ab.
Der Käfig ist so eng, daß die Bewegung des Tieres zum ewigen
Wenden wird, links, rechts, links, rechts. Die Augen, der triefende
Fang glühen Blutdurst, Sehnsucht nach Weite, nach Gewalttat, nach
Fleisch. „Hier, der russische Steppenwolf, der Schrecken des
Landmanns, der größte Feind der Schafherden,“ erklärt der Besitzer.
„Wenn man dieses Tier gefangen hält, dann rennt es hinter den
Gitterstäben immer auf und ab, bis es von ihrem Flimmern erblindet.
Auch dieser Wolf ist blind — aber er ist noch sehr böse!“ Und der
buntgekleidete Mann fährt mit einer Eisenstange klirrend über das
Gitter. Da heult der Wolf schaurig auf, springt an den Wänden hoch,
beißt wütend in das Eisenwerk, das ihn von der Freiheit trennt. Doch
das hält gut.
Fritz steht dabei, und Haß und Tränen würgen ihn zum Ersticken.
„Das bist du,“ kocht es in ihm. „Ein gefangener Wolf, geblendet, der
ins Gitter beißt!“ Gretl, neben ihm, legt unvermittelt die Hand auf
seinen Arm: „Ich möchte fort,“ sagt sie. „Das ist so traurig hier!“
Und sie gehen. Draußen liegt die Vorstadtwiese in grellem
Abendschein. Die Luft ist weich, in dem zertrampelten Rasen regt
sich da und dort ein elender grüner Halm; es riecht stark aus allen
Pfützen: das ist Frühling! Fritz wirft in jäher Bitterkeit beide Arme
hoch und spuckt wütend aus. Und die Schwester geht stumm und
blaß neben ihm.
Nach einer Weile fängt der Bruder an: „Wenn ich wenigstens eine
Liebe hätte, so eine richtige Studentenliebe, der man Blumen
schenkt, und Gedichte macht, und überhaupt ... Alle meine
Schulkameraden haben so wen gehabt, nur ich nicht! — ich hab’ mir
schon gedacht: sie dürfte nicht zu weit von uns wohnen, weil ich
doch oft schlecht weg kann, und von zu Hause müßte sie ziemliche
Freiheit haben, damit sie mit mir spazieren gehen kann, weißt du?“
— „Ja,“ sagt Gretl verlegen, „da wäre die Else Kalisch, die geht doch
immer mit Studenten.“ — „Kennst du sie?“ fragt der Bruder. Doch sie
wehrt hastig ab: „Nein, nein, nur vom Sehen. Aber sie wird doch
immer beim Lyzeum erwartet!“ „Ach so, sie hat schon einen,“ meint
Fritz enttäuscht. — „Es ist doch beinah jedesmal ein anderer,“
belehrt ihn die Schwester, „sie hat viele Bekanntschaften, allerdings!“
— „Ach Gott, so eine!“ murrt Fritz. — „Aber sie wohnt keine hundert
Schritt von uns, in der Seilergasse,“ gibt Gretl zu bedenken. — „Ist
das am Ende die jüngste Tochter von dem Finanzrat, die blonde?“
fragt Fritz. Gretl nickt. „Aber wie soll ich die kennen lernen? Kann ich
sie denn einfach so ansprechen?“ — „Ich glaube schon,“ sagt Gretl.
— „Aber wenn sie mir einen Korb gibt?“ — „Das tut sie nicht!“ sagt
Gretl. Und ein Unterton in ihrer Stimme läßt den Bruder auffahren.
„Mein Gott, alle können nicht so fein erzogen sein wie wir!“ sagt er
bissig. „So ein guter Vater, wie unser Vater! Alle Hochachtung!“ —
Da wird Gretl rot vor Eifer: „Sprich nicht so!“ bittet sie. „Er meint es
gut, glaub’ mir! Aber ihr versteht euch nicht, das ist der Jammer! Das
quält mich so ...“ Und sie schluchzt kurz auf. Der Bruder lacht
höhnisch, aber er sagt nichts. Und im Weitergehen drückt ihm Gretl
scheu und flüchtig die Hand.
Wenige Tage später macht Fritz die Bekanntschaft der blonden
Else, indem er ihr, nach alter Sitte, erst eine halbe Stunde
„nachsteigt“, wobei das erkorene Opfer mehrfach überholt, umkreist
und angelächelt wird, und sich endlich in einem stillen Winkel der
Anlagen „anschmeißt“. Es enttäuschte ihn, zu seiner eigenen
Verwunderung, daß alles so glatt ging. Was waren das für Mädel, die
sich so einfach ansprechen und begleiten ließen? Er dachte an
Gretl, und Verachtung für diese Fremde wollte sich regen. Aber der
einmal gefaßte Entschluß erlaubte kein Zurück: Hier war die
Gelegenheit zu einer Studentenliebe, und sie mußte ausgenützt
werden. Seine Eitelkeit wehrte sich zwar: Was war das schon für ein
„Erfolg“, den er mit fünf, zehn oder noch mehr andern teilte? Und wie
trostlos alltäglich war das alles, seine hergebrachten Komplimente,
ihre Geziertheit, die leeren Reden hin und her. Doch er zwang diese
inneren Einwände hartnäckig zum Schweigen. Er w o l l t e lieben; und
es gelang ihm bald. Sein Verhältnis zu Minna, der Nachfolgerin
Bettys, hatte sich sehr rasch hemmungsloser gestaltet, als ihm lieb
war. Das Mädel tat ja, als hätte sie körperliche Ansprüche an ihn zu
stellen! Nun, da er die Liebe zu der blonden Else, der
Unberührbaren, in sich groß zog und hütete, bot sich ihm ein
willkommener Vorwand, Minna fernzuhalten. Der Gedanke an
Untreue kam ihm nicht. Was hatten die auch miteinander zu tun, ein
Mädel an dem man gedankenlos seine Herrenlust kühlte, und eine
Jungfrau, die man anbetete? —
Nun liegen die Felder in jungem Grün, das Wetter ist mild und
Fritz kann sich ohne große Schwierigkeit zu täglichen
Spaziergängen von Hause entfernen. Meist trifft er sich mit seiner
Erwählten auf einsamen Feldwegen an der Stadtgrenze; dann gehen
sie langsam nebeneinander hin und er versichert in gewählten
Worten, wie sehr und ausschließlich der Gedanke an ihren blonden
Liebreiz seine einsamen Stunden fülle. Sie hört ihn sittig an, weiß im
rechten Augenblick schämig zu erröten, hat aber manchmal auch
eine Art, ihn hastig von unten her anzublitzen, die ihm unbehaglich
ist. Verdammt, das ist ja genau so wie Betty oder Minna ... Doch
entsetzt weist er den lästerlichen Gedanken alsbald von sich. —
Elsa schwärmt für die Natur und wird nicht müde, mancherlei
Schönheiten mit frohen Ausrufen zu begrüßen. Ein bunter
Sonnenuntergang, ungewöhnliche Wolkenbildungen, doch auch ein
blühender Obstbaum oder ein schillernder Käfer veranlassen sie oft,
unvermittelt stehen zu bleiben: „Sehen Sie nur, wie schön!“ sagt sie
dann wohl. Und fügt andächtig hinzu: „Ja, die Natur!“ Fritz vermag
ihr dabei nicht zu folgen. Der Begriff „Naturgenuß“ fehlt ihm völlig.
Wohl kennt er das tierische Behagen, sich oben in Weißwasser im
reifen Sommer in einem Waldwinkel zu dehnen und sich mit den
grüngoldenen Fichten, dem weichen Moos eins zu fühlen. Doch
auch da verläßt ihn nur in seltenen Augenblicken das Gefühl, er sei
in fremdem Hause zu Gast. Von der Feldebene hier unten trennen
ihn quälende Schranken; und Elsas selbstherrliche Art, die Vorgänge
in der Natur wie ein bezahltes Schauspiel mit gelegentlichem
gnädigem Beifall zu begleiten, weckt unbestimmten Ärger in ihm.
Einmal gibt es darüber eine kleine Auseinandersetzung. Fritz hat
den Hinweis auf eine zartrosa Wolkengruppe mit mürrischem
Schweigen beantwortet. Da sagt Elsa spitz: „Sie sind sicher kein
guter Mensch — Sie haben gar nichts für die Natur übrig!“ —
Und Fritz gibt bockig zurück: „Erstens habe ich gar keinen
Ehrgeiz, ein guter Mensch zu sein; so glänzend geht mir’s schon
nicht. Und dann: wird die Wolke vielleicht schöner, wenn ich mich
davor stelle und ‚Ach’ und ‚Oh’ rufe? Über so was kann man doch
nicht r e d e n !“ — „Sie sind aber doch sonst nicht auf den Mund
gefallen!“ spöttelt Elsa. Und er haßt sie plötzlich. Sie scheiden
verstimmt. Zu Hause fällt er trotzig über Minna her und übermannt
sie. Doch nachher plagen ihn Ekel und Selbstverachtung. Ist er so
grenzenlos verdorben, daß keine reine Liebe mehr in ihm wurzeln,
ihn vor schmutziger Fleischlust bewahren kann? Warum ist Elsa ihm
so fremd, so fern? Nun kennt er sie schon fast ein Vierteljahr, sieht
sie täglich — und immer noch dies kalte „Sie“ und „Fräulein Elsa“ —
und ein Handkuß dann und wann, als einzig gestattete Liebkosung!
Wenn sie sich küssen ließe, das müßte ihm helfen! Aber ein Kuß? —
Und er denkt an Gretl. Doch Gretl würde sich ja auch nicht auf der
Straße ansprechen oder begleiten lassen ... Und als er fühlt, daß
Elsa bei dem Vergleich schlecht wegkommt, beschließt er heftig, an
Gretl dabei gar nicht weiter zu denken. Es konnte ganz gut sehr
anständige Mädel geben, die sich auch einmal küssen ließen, wenn
sie einen sehr lieb hatten. Und Gretl hatte gar nichts dabei zu tun.
Für den nächsten Spaziergang wählt er einen Weg, der einsam
und in vielen heimlichen Windungen zwischen hohen Hecken
hinführt. Elsa ist von gestern her noch leicht verletzt und gibt sich
hoheitsvoll unnahbar. Er braucht lange, um zu seiner Bitte Mut zu
fassen. Dann beginnt er leise: „Ich habe eine große Bitte, Fräulein
Elsa!“ und bricht ab. Sie blitzt ihn aus den Augenwinkeln an, es sieht
fast wie Spott aus. Seine Augen bitten beredt weiter, er faßt
schüchtern nach ihrer Hand. Doch das Mädchen wehrt ihm ab: „Ich
kann mir schon denken, was Sie wollen! — Ihr Männer seid alle
gleich, — Liebe, Zutrauen, genügen euch nicht — ihr müßt mehr
haben — d a s ! Schämen Sie sich!“ Fritz ist sprachlos verwirrt: Ist es
möglich, daß die Bitte um einen Kuß solcher Empörung begegnet?
Und er fühlt, wie ihm das Weinen schmerzhaft in die Kehle steigt.
Wütend strafft er das Gesicht, um das Zucken der Mundwinkel zu
verbergen und stolpert trostlos neben dem Mädchen her. Da trifft ihn
wieder, kurz und spöttisch, ein blitzender Seitenblick, und sein
Mißtrauen will jäh aufspringen. Doch er zwingt es nieder, und sagt,
nach langer Pause, sehr demütig: „Ist das etwas so Schmähliches —
ein Kuß?“ Elsa dreht den Kopf weg, aber er sieht sie lächeln.
Lebensfreude kehrt ihm zurück, er beugt sich, küßt den kindlichen
Mund. Da beißt sie ihm scharf in die Lippe, daß er erschreckt
zurückfährt — was war das? — Elsa sieht ihm gerade in die Augen
und sagt: „Held!“ Nichts weiter. Er begleitet sie stumm nach Hause.
Kaum ist er allein, meldet sich Siegergefühl. Doch Mißtrauen streitet
heftig dagegen an, er muß sich mit Gewalt zwingen, den Vergleich
mit Gretl auszuschalten: „Ihr Männer ...“ Könnte Gretl jemals so
sprechen? — Doch endlich behauptet sich frohlockende
Siegerfreude.
Am nächsten Tage bringt er Krachmandeln mit, schlägt vor,
Vielliebchen zu essen, auf Dusagen. Und sein Stolz auf die kühne
Erfindung fühlt sich leicht verletzt durch den allzu geringen
Widerstand. Immerhin: „Du, Elsa, gib mir noch einen Kuß!“ Wie das
klingt! Und er bekommt den Kuß, noch einen, kann sich ohne Bitten
noch viele nehmen — das ist Liebe!
Dann zieht Elsa den linken Handschuh aus, zeigt ihm, in den
Handballen blutig eingeschnitten F. „Das heißt Fritz“ sagt sie und
sieht ihn fest an. „Das hab’ ich mir selber eingeschnitten, mit dem
Taschenmesser!“ Er ist überwältigt. S o wird er geliebt! „Schneidest
du dir ein E?“ fragt sie lockend. — „Nein!“ sagt er überrascht. Doch
als er sieht, daß die kurze Ablehnung sie verstimmt, fügt er schnell
hinzu: „Schneid’ du mich, daß ich eine Narbe behalte! Zum
Andenken!“ Sie drückt ihm wortlos die kleine Klinge in den
Handrücken und zieht sie langsam durch, daß aus einem tiefen
Schnitt reichlich Blut quillt. „Laß mich kosten,“ flüstert sie, beugt sich
über seine Hand und er fühlt ihre scharfen Zähne. Er beginnt zu
zittern vor Verlegenheit, reißt seine Hand zurück und umwickelt sie
dick mit dem Taschentuch. Sie gehen stumm weiter, bis zu einer
abgelegenen Feldscheuer. Da sagt Elsa: „Ich bin müde.“ Er, noch
halb in Gedanken verloren, wirft seinen Mantel auf den Wegrand und
ladet sie zum Niedersitzen ein. „Nein, nicht hier!“ sagt sie. „Gehn wir
in die Scheune!“ Und während er sie verblüfft anstarrt, kommt
unverhüllt der Ausdruck in ihr Gesicht, den er bisher in kurzen
Augenblicken erspäht hat und nie wahr haben wollte: ein Blitzen in
den Augen, die Lippen, dunkelrot, öffnen sich halb — das ist Betty,
Minna, das ist der Schmutz! Seine Liebe ist verflogen. Was,
Jungfrau, unberührbare! Wütende Enttäuschung und, stärker noch,
Angst befallen ihn, Angst davor, mit diesem begehrlichen Weib allein
zu sein in geschlossenem Raum. Blitzschnell jagt seine Erinnerung
vergangene Eindrücke vorbei. Sein Mißtrauen, überwach nun und
ungezügelt, zieht grausam die Summe: die leichte Bekanntschaft,
die Bereitwilligkeit zu einsamen Gängen; die Empörung damals, als
er um den Kuß bitten wollte — wie falsch und hohl, wohl nur
gespielt, um ihn herauszufordern! Anbeten — die? — Bleich vor
Verachtung macht er seine gezierteste Tanzstundenverbeugung und
fragt: „Darf ich Sie nach Hause begleiten?“ — Da läuft sie wütend
davon. Er fühlt sich in seinem Heiligsten verraten, weidet sich
wollüstig an bitterem Weltschmerz. Auch Stolz meldet sich, daß er
der Versuchung nicht erlegen ist. Die Angst ist vergessen. Keine
leiseste Regung mahnt ihn, es könnte ein schönes und heiliges
Feuer sein, das zwei junge Körper ineinander schmilzt. Ihm selber
unbewußt sind seiner Seele wohl eingebrannt die Striemen jener
Züchtigung, die ihn zum Glauben an den Storch zwingen wollte, und
geifernde Pfaffenworte springen ihm durchs Hirn, von fleischlicher
Vermischung und Unkeuschheit.
Wo bist du, sonniges Hellas!
42
Kurz darauf reist die Mutter mit Fritz und Gretl nach Weißwasser.
Klarer Bergsommer, der Wäldern und Bächen nichts von ihrer
Frische nimmt, sie nur segnend durchwärmt. Jede Stunde hat ihr
Gesicht, ihren Geruch. Fritz kennt sie alle. Frühmorgens herrschen
die Fichten, stehen taubeperlt nach kalter Nacht und füllen die
sonnendunstige Luft mit ihrem herben Atem. Am hohen Mittag
duften die Walderdbeeren und das Harz am stärksten; die Kreuzotter
sonnt sich träge; Kuckucksruf und Taubengurren. Sinkt aber früh am
Nachmittag die Sonne hinter den hohen Berg, — tief unten das Tal
liegt noch in ihrem Schein — da rieseln die Quellen lauter, die
Moospolster senden leise Nebel aus, die sich ziehend mit dem
Holzrauch und dem süßlichen Stallgeruch aus den Dorfhäusern
mengen.
Fritz geht mit der Schwester durch den Wald, und aus tausend
Erinnerungen weht Kindheit und Heimatsgefühl: hier stand die
Zwergenhütte, und das hier war Falkos Stall — weißt du noch? In
beiden erwacht die Lust, alles Wissen abzutun, wieder gläubig zu
spielen. Doch scheue Verlegenheit hält sie ab. Sie sind
erwachsen! —
Wieder empfindet Fritz quälend den Abschnitt in seinem Leben.
Vorbei die Kindheit — und war so kurz, kaum gelebt. Vorbei das
unbefangene Hinnehmen; nun steht das Leben da und fordert ein
Tun, ein Wollen zumindest. „Was bin ich und was soll ich?“ Die alte
Frage hat plötzlich schreckhaft neuen Sinn. Die Bäume rauschen
Antwort. Doch der Junge versteht ihre Sprache nicht.
43
Immer häufiger beginnt der Vater von seinem nahen Ende zu
sprechen. Zwar ist er unverändert rüstig, und dem straffen,
aufrechten Körper merkt niemand die vollen siebzig Jahre an. Noch
waidwerkt er ungehemmt auf den Brunfthirsch in steilen Waldbergen,
keine Frühpirsch, kein Nachtansitz, keine winterliche Treibjagd wird
ihm zu sauer. Vielleicht ist es nur eine Redensart, um von den
Zuhörern immer wieder die Versicherung zu erhalten, wie so gar kein
Anlaß zu solcher Befürchtung gegeben sei. Eine späte Koketterie
also, wie sie manchen rüstigen Greis befällt? Oder fühlt er innerlich,
daß die Welt schneller zu laufen beginnt, zu schnell, als daß er lange
noch mit ihr Schritt halten könnte? —
Nun hat die Stadt endlich ein Kraftwerk gebaut, und es gehört
zum guten Ton, elektrisches Licht zu brennen. Die Einrichtung ist
nicht länger mehr zu umgehen. Beim Abendessen kommt einmal
das Gespräch darauf. Da sagt der Vater, leise und seltsam müde:
„Mein Vater, mein Groß- und Urgroßvater haben Öllampen und
Kienspan gebrannt, und an Festtagen Wachskerzen. Und mein Vater
hatte noch mit neunzig Jahren Augen wie ein Luchs. Aber jetzt? In
den letzten zehn Jahren haben wir viermal die Beleuchtung
gewechselt — erst die neuen Petroleumlampen mit Rundbrenner,
dann das offene Gaslicht, dann Auerlicht, jetzt soll Elektrisches
kommen, und morgen vielleicht schon wieder was Neues! Man
kommt gar nicht mehr zur Ruhe — die Welt ist verrückt!“ Fritz hat ein
unbestimmtes Siegergefühl und beginnt unvermittelt seine
Kenntnisse über die neue Erfindung auszukramen: „Die Glühbirne
muß luftleer sein, sonst würde der Kohlenfaden verbrennen. Und
gegen den Kurzschluß gibt es Sicherungen, das sind ganz dünne
Silberdrähte, die in den Stromkreis eingeschaltet werden ...“ Da
weist ihn der Vater heftig zur Ruhe: „Halt den Mund und warte, bis
du gefragt wirst!“ Und Fritz verstummt, aber er schießt der
Schwester einen Triumphblick zu. Und in ihm jubelt es: „Er kann
nicht mehr mit — er kann nicht mehr mit!“
Schließlich werden die elektrischen Leitungen gezogen, aber der
Vater weigert sich hartnäckig, in den Schlafzimmern Bettlampen
anbringen zu lassen. Der Schalter kommt an die Eingangstür, in die
Mitte des Zimmers eine Deckenlampe. Auf den Nachttischen werden
nach wie vor Kerzen gebrannt. „Das Gas konnte man ja auch nicht
vom Bett aus anzünden oder löschen,“ sagt der Vater. Fritz aber
meint spöttisch zur Schwester: „Der glaubt, er hält die Zeit auf, wenn
er sich’s ja recht unbequem macht! — Ist ja lächerlich!“ —
Und da ist das Telephon, das endlich auch seinen Einzug
erzwungen hat. Mein Gott, da hängt nun so ein dunkelpolierter
Holzkasten an der Wand, der mit Drahtwerk, Hartgummi- und
Nickelteilen geradezu medizinisch anmutet. Das schrille Läutwerk
bringt jedesmal das Haus in Aufruhr. Der Vater geht an den Apparat,
hebt den Hörer ab, ruft „Halloh“ in die Sprechmuschel, alles mit
gemessener, wenn auch etwas krampfhafter Würde. Dabei läßt er
kein Auge von der breitgedruckten Gebrauchsanweisung, die
daneben an der Wand hängt. Und nachher versäumt er es nie, den
Inhalt des Gesprächs der aufhorchenden Gattin kurz zu wiederholen.
„Der Direktor Keil bittet, ich soll gegen fünf Uhr nachmittags
hinkommen, und ich habe ihm geantwortet ...“ — „Wie Moses nach
der Rückkehr vom Berge Sinai, als er mit Gott geplaudert hatte,“
sagt Fritz zur Schwester. Ihm ist übrigens die Benützung des
Telephons verboten. „Das ist ein sehr kostspieliger und komplizierter
Apparat, den ich beruflich brauche, aber kein Spielzeug für die
Kinder!“ So sagt der Vater. Und Fritz trägt, wie gewöhnlich, seinen
Ärger zu Gretl: „Wenn er telephoniert, dann spricht er selbst und hört
den anderen sprechen — aber deswegen glaubt er doch nicht, daß
es so was überhaupt gibt! Ich bin überzeugt, er hat im Grunde Angst!
Und wenn er telephonisch wohin gerufen wird, dann geht er zwar,
aber bis zum letzten Augenblick ist er nicht sicher, ob es nicht nur
ein dummer Witz war! Und deswegen darf ich nicht telephonieren,
weil ich mich eben auskenne! Eifersucht, nichts weiter!“ Gretl lächelt
gequält und sagt: „Laß ihn, du änderst ihn nicht mehr! Er ist alt!“
Es geht dem Herbst zu, und noch ist über Fritzens nächste
Zukunft nicht entschieden. Gegen die Rückkehr an die Universität, in
die Großstadt, sprechen gewichtige gesundheitliche Gründe: „Jetzt
hat man den Buben ein Jahr lang mühsam herausgefüttert,“ sagt der
Vater, „und in der staubigen Großstadt geht der Tanz nach ein paar
Wochen wieder los! Dazu habe ich wenig Lust! — Und überhaupt die
Universität! Bei deiner notorischen Faulheit brauchst du sicher fünf,
sechs Jahre bis zum Doktor, und selbst dann kannst du dich noch
lange nicht selbst erhalten. Und wenn ich heute oder morgen einmal
nicht mehr da bin, dann möchte ich nicht, daß du etwa Jahrzehnte
lang der armen Mama auf der Tasche liegst! — Es gibt ja auch
praktische Berufe, in denen man viel schneller zum Verdienen
kommt! Was sagst du dazu?“ — Und Fritz schweigt, hauptsächlich,
weil er weiß, daß er den Vater damit ärgern kann. Teils aber auch
aus wirklicher Ratlosigkeit. Das freie Studentenleben schreckt ihn
nach den ersten Erfahrungen mehr, als es ihn reizt. Und wirklich
studieren, die elende Schulpaukerei gleich wieder fortsetzen? —
Aber ein praktischer Beruf? Schlosser vielleicht? — Der Vater hat
wohl schon einen festen Plan, und will jetzt nur sein Einverständnis
erlisten, um später einmal sagen zu können: „Du hast’s ja selbst
gewollt — man hat dir ja die Wahl gelassen!“ — Wie kläglich war
das! Früher einmal, da hieß es: Biegen oder brechen! Der Vater
befahl, und die „Kinder“ hatten zu gehorchen. Kein schöner Zustand,
bei Gott, aber einfach und klar. Jetzt aber, die Jesuitenkünste! Dem
alten Löwen wackelten die Zähne!
Und Fritz schweigt, der Vater aber wird pünktlich böse: „Da hat
man’s ja, da steht der ellenlange Kerl wie ein Stück Holz, und sagt
nicht A noch B! — Aber ich werde mich nicht mit dir herumärgern
und mir die Lunge aus dem Leib reden! — Du gehst heute
nachmittag zum Herrn Rat, der wird dich vielleicht eher zum
Sprechen bringen!“
Der Herr Rat empfängt den Jungen in seinem prunkvollen
Wohnzimmer, weist ihm einen der üppigen, weichen Lehnstühle an,
hüstelt ein wenig, saugt passend an seiner dicken Zigarre und
beginnt endlich sichtbar verlegen eine vorbedachte Rede. Fritz fühlt
sich geschmeichelt von dem großen Apparat, der seinetwegen in
Bewegung gesetzt wird, ist aber auch gespannt auf die kommenden
Enthüllungen. Das Bewußtsein augenblicklicher Wichtigkeit und der
eifrige Wunsch, die dadurch bedingte Überlegenheit zu wahren und
nötigenfalls auszunützen, beschäftigen ihn so stark, daß er der
gutmütigen, leicht kurzatmigen Stimme des Herrn Rats zunächst nur
wohlig lauscht, ohne auf den Sinn der Worte zu achten. Erst ein
stark geräuspertes „Verstehst du mich auch?“ reißt ihn aus seinen
Träumen.
Ja, also: Der Papa ist alt ... zwar außergewöhnlich rüstig ... aber
immerhin — siebzig Jahre ... hat den begreiflichen Wunsch, die
Kinder versorgt zu sehen. Bei Felix und Max sei das wohl erreicht,
und Gretl, na ja, für die würde sich wohl ein braver Mann finden, ein
so prächtiges Mädel, keine Frage ... Ja, aber (hm, hrrr, pschitt), Fritz!
Ja! Da sei wohl reiflichste Überlegung am Platze! — Der Geldpunkt
allein dürfe keinesfalls ausschlaggebend sein ... Obwohl natürlich ...
das lange Studium und die Anfangsjahre in jedem akademischen
Beruf, ohne oder fast ohne Gehalt ... immerhin recht weitgehende
materielle Opfer ... aber diese Opfer würden ohne weiteres gebracht
werden — im Vertrauen: des Vaters Vermögenslage sei durchaus
nicht ungünstig, wenn er selbst sich auch als armen Mann
hinzustellen liebe; durchaus nicht ungünstig, im Gegenteil, hm, hrr!
Aber der Kernpunkt: Ob ausgesprochene Neigung zum
Universitätsstudium vorhanden sei, ausgesprochene Neigung und
der feste Wille, es darin rasch vorwärts zu bringen ... Darauf komme
es wesentlich an ... denn sonst allerdings ... Obwohl von Zwang
keine Rede sein solle ... aber immerhin — wie? Hm? —
Fritz beginnt Mitleid zu empfinden für den verlegen hüstelnden
alten Freund und bricht mit einer Frage ein: „Um welchen
praktischen Beruf handelt es sich?“
Der Herr Rat beantwortet diesen knabenhaften
Entwirrungsversuch feingesponnener diplomatischer Fäden
zunächst mit einem mißbilligenden Funkeln aus runden
Brillengläsern und mit verstärktem Hüsteln. Dann entschließt er sich,
in wesentlich trocknerem Ton, zu der sachlichen Mitteilung, er habe
einen befreundeten Bankdirektor in Mailand, der bereit wäre, Fritz
als Volontär einzustellen. Und er will sich über die Vorzüge und
Nachteile des Bankfaches weiter auslassen. Fritz aber unterbricht
ihn atemlos: „In Mailand? Wann könnte das sein?“ „Morgen, wenn du
willst!“ gibt der Herr Rat gemessen zurück. „Oh ja, oh, bitte, ja, das
will ich! Ich gehe nach Mailand!“ Fritz jubelt fast. Umsonst versucht
der Herr Rat ihn zum Nachdenken zu bringen ... der endgültige
Verzicht auf den akademischen Grad dürfe nicht der Entschluß eines
Augenblickes sein, später, im Leben, hänge die gesellschaftliche
Stellung nicht unwesentlich davon ab ... dann sei es aber zu spät zur
Umkehr ...
Fritz aber hält ihm froh entgegen: „Sie sind ja auch nicht Doktor,
und verkehren doch überall!“ Darauf hat der Herr Rat, leise verletzt,
nichts mehr zu erwidern. Er fragt nur, etwas förmlich: „Es ist also
dein freier und fester Wille?“ Und Fritz schmettert ein begeistertes
Ja! Er hat nur M a i l a n d erfaßt, die Weite, die Fremde, die Freiheit!
Dorthin reichte die Zuchtrute nicht — dort mochte das Leben
beginnen. Bankvolontär? Mein Gott, man konnte auch Kuhhirte sein
— in Mailand! Er springt auf, will nach Hause laufen, einpacken ... da
hält ihn der Herr Rat zurück: „Ich werde also meinem Freunde
schreiben, daß du die Stellung, sagen wir, Mitte September antreten
wirst!“ — „Mitte September, noch drei Wochen, warum so lang?“
fragt Fritz enttäuscht. „Bei der großen Entfernung ist an ein
Nachhausekommen vor einem Jahre nicht zu denken,
wahrscheinlich werden sogar zwei, vielleicht auch drei Jahre
vergehen.“ Der Herr Rat spricht mit eindringlicher Würde, mit etwas
Schärfe sogar. „Da ist nicht nur Verschiedenes vorzubereiten, an
Wäsche, Kleidern und so fort, sondern,“ und die runden Brillengläser
blitzen Ermahnungen, „deine Eltern werden dich vor der langen
Trennung noch einige Zeit bei sich haben wollen!“ — „Wirklich!“
murmelt Fritz, und verzieht höhnisch den Mund. „Ich dächte, ich bin
nun lange genug erzogen worden!“ — Aber der Herr Rat belächelt
die Frechheit nicht. Er bleibt ernst und gemessen: „Du begehst ein
großes Unrecht! Deine Eltern haben sicher immer nur dein Bestes
gewollt! Du hast dir nur nicht die Mühe genommen, sie zu verstehen!
Du bist vielleicht auch noch zu jung ...“ — „Sagen Sie lieber, mein
Vater ist zu alt, fünfzig Jahre älter als ich, und die Mama dreißig, da
ist es schwer mit dem Verstehen! Und mein Vater hat nie daran
gedacht, etwa mich verstehen zu wollen ...“ — „Er ist dein V a t e r ,“
sagt der Herr Rat mit Strenge. Und in Fritz erwacht der wilde Trotz
seiner Jungenjahre: „Ich habe ihn nicht darum gebeten — und
keinesfalls ist das so, daß der Vater nur Rechte hat und der Sohn
nur Pflichten — und schließlich ist immer der Knüppel der einzige
Dolmetsch! Mein Vater hat mich in die Welt gesetzt — aber darum
bin ich noch nicht seine Sache!“
Der Herr Rat winkt peinlich berührt ab: „Lassen wir das ... Du
wirst älter werden und über all das ruhiger denken lernen! Da du
aber gerade hier bist, hätte ich gerne noch etwas mit dir besprochen
... um so mehr, da du ja jetzt weit fort in die Fremde gehen sollst ...
Ja! Hm!“ Und das Räuspern und Hüsteln setzt verstärkt wieder ein ...
„Dein Vater findet es sehr schwer, sich mit dir zu verständigen — du
tust ja auch tatsächlich nichts, um es ihm irgendwie leichter zu
machen — ja! Hm! ... Und so hat er mich gebeten ... Es gibt gewisse
Fragen, über die du schwerlich bisher nachgedacht hast, du bist
wohl auch zu jung dazu ...; nun handelt es sich darum, dich vor
Torheiten zu bewahren! Die Beziehungen des Mannes zum Weibe ...
Hm! Hrr! Hrrr!“ Der Herr Rat versteckt sich zeitweilig hinter einem
Hustenanfall. In Fritz aber knallt die vorherige Spannung zu der
jähen Erkenntnis auseinander: „Er soll mich aufklären!“ Grell wie im
Blitzlicht liegt die unerhörte, weltfremde Ahnungslosigkeit der alten
Leute vor ihm: die meinen etwa, er glaube noch an den Storch, weil
man es ihm vor Jahren einmal so eingeprügelt und seither nicht
widerrufen hat! Und der Vater findet es unter seiner Würde, eine
frühere Erziehungslüge zuzugeben, darum muß der Herr Rat an die
Front! Und der gibt sich dazu her, ahnt nicht, oder will es nicht
wahrhaben, daß ein junger Mensch mit neunzehn Jahren sich
selbständig Gedanken gemacht, Erkenntnisse verschafft haben
könnte! Oh, altes Eisen, altes Eisen! — Und eine entsetzliche, giftige
Lachsucht, auf deren Grunde Tränen lauern mögen, erstickt den
Jungen fast. Doch er bezwingt sich; Wissen zu zeigen, könnte
gefährlich sein. Und dann: dem alten Herrn fällt es ersichtlich
schwer, die heiklen Dinge zu erörtern. Mag er sich plagen — die
beste Rache!
So senkt der Junge die Augen, um ihr Glitzern zu verbergen,
klemmt schmerzhaft das Wangenfleisch zwischen die Backenzähne,
damit nicht das Gesicht in breitem Grinsen zergehe, und knetet
fieberhaft die Finger ineinander. Der Herr Rat nimmt es für
schamhafte Verlegenheit, wird dadurch selbst noch befangener und
räuspert, hustet, stottert linkische Erklärungen, Andeutungen,
Warnungen ... — Alimente ... Erpressung ... Krankheit ... Zwangsehe
... Das Geheimnis der Menschwerdung wird in dem Greisenmund
zur gefahrdrohenden Klippe, zum häßlichen Schattenfleck. Fritz fühlt
seine Erinnerungen, seine Triebe sich regen, unrein und doch
unwiderstehlich lockend; lastend, wie ein süßer Fluch. — Die
niedergepreßten Augenlider erzeugen rotglühende Bilder, in deren
Schauern es sich verliert — Weiber mit geil prunkenden
Geschlechtsmerkmalen, Busen, Hüften, Schenkel, dunkles
Kraushaar auf weißem Fleisch, Weiber, lüstig hingestreckt, kniend,
kauernd, breitbeinig stehend — Weiber — d o c h k e i n e h a t e i n
G e s i c h t . Nur i h r G e s c h l e c h t lockt aus dem roten Nebel ...
Weiber ...
Da klingt die Stimme des Herrn Rats, väterlich, mit ernster
Rührung geladen: „Versprich mir das, mein lieber Junge!“ „Ja, ich
verspreche es,“ sagt Fritz mechanisch und gibt eine bebende Hand.
Er weiß nicht, was er versprochen hat. Die Erregung sitzt ihm an der
Kehle wie eine würgende Hand. So tappt er heim.
44
Ein Frühzug gleitet aus dem Kleinstadtbahnhof. Der Morgennebel
läßt den Kohlenrauch nicht verfliegen. Es riecht nach Reise und
Abschied. Die müde Herbstsonne malt Perlmutterglanz auf Dächer
und Türme. Sie grüßen von weither, wie seliges Land. Ist das die
Heimat?
Fritz beugt sich ein letztesmal zum Fenster hinaus. Da sieht er
weit weg, verschwimmend schon, ein weißes Tüchlein wehen. Das
ist die Schwester — und wütende Sehnsucht überfällt ihn, nach den
guten, dunklen Augen, die nur Treue kennen. Was könnte ihm die
Fremde bieten, das besser wäre? — Angst schleicht sich an. — Und
der Vater — wie müde und weich war der Abschied! „Wir sehen uns
wohl nicht mehr, mein lieber Junge,“ hat er gesagt. „Halt dich brav —
vielleicht geht’s jetzt!“ Das klang wie Eingeständnis eigener
Ohnmacht — und quälend hatte der Junge die Härte vermißt, die er
am Vater, bei allem Trotz und Haß, doch immer geliebt hat. Immer
geliebt hat. —
Die Kleinbahn bleibt zurück — der Schnellzug auf der
Hauptstrecke klirrt durch weites Land. Die große Stadt wird im
Wagen von Bahnhof zu Bahnhof durchquert. Die Universität dort. —
Student? — Halber Pennäler!
Und wieder ein Schnellzug mit riesenhafter, kegelspitzer
Maschine, stiernackig, und langgestreckten Wagen, die lautlos aus
der weiten Halle schwimmen. Und was sich nun zu beiden Seiten im
Abenddämmern dehnt, Felder, Büsche und ferne Waldberge, das ist
Neuland, ist die Fremde. Die Nacht bringt zerrissenen Schlaf.
Im Frühlicht flammen Schneeberge auf, mit Almen an ihrem Fuß
und Dörfern von nie gesehener Bauart. Und Menschen, die ihrem
Tagewerk nachgehen, unbekümmert. Kann diese Natur Alltag
werden?
Dann die Grenze, fremde Uniformen, unverständliches
Wortgewirr. Der Junge fühlt sich sehr einsam, und doch dem Neuem
fiebernd hingegeben. Beschämt fast gedenkt er der Vaterstadt — ein
Backsteinhaufen inmitten flacher Rübenfelder, zwecksüchtig dem
nüchternen H e u t e untertan: die alten Gräben eingeebnet, Wälle und
Basteien geschleift, die alten Häuser niedergelegt oder zu
Mietskasernen entwürdigt. Zerstört, erstickt, in Zweckformen gepreßt
alles, was von der Altvordern behäbiger Lebensfreude künden
könnte. Geschichte? Eine trockene Wissenschaft!
Hier aber lebt ein reiches Gestern, lebt fort, noch in des letzten
Bettlers Haltung und Gebärde! Verwittertes Mauerwerk übt im Verfall
noch Herrenrecht, fordert Ehrfurcht. Und wucherndes Leben in
jedem Blatt, und Sonne, Sonne in nie geahnter Glut.

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