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Zur Dialektik von Verhaltensattributen und -erwartung: • die - zwangsläufig z.T. nur in speziellen psychologisch-psychiatrischen Pra-
xisbereichen bekannte, z.T. zwangsläufig historische - Literatur rekapitu-
Ergebnisse einer empirischen Felduntersuchung liert und
• die statistischen Ergebnisse einer empirischen Felduntersuchung sozialer
Urteile über das kooperative bzw. unkooperative Gesamtverhalten psychisch
gestörter Rechtsbrecher vorgestellt, ausgewertet und diskutiert werden.
Die freiheitsentziehende Unterbringung und Behandlung psychisch gestörter Die Tatsache, dass einerseits Gesetzes verschärfungen im Sexual strafrecht, ande-
Rechtsbrecher beinhaltet unweigerlich auch Komponenten des Zwangs und der rerseits für Sexualstraftäter eine Pflicht zur Behandlung eingeführt (Kobbe und
Kontrolle. Der Beitrag rekapituliert Literatur und referiert Befunde zur gesell- Pollähne 1999) und im Kontext wiederholter Sexualdelikte u.a. über unkriti-
schaftlichen, gutachterlichen, therapeutischen und institutionellen Praxis des Maß- sche gutachterliche Beurteilungen verhaltensunauffälliger, „angepasster"
regelvollzugs, um anschließend eine empirisch-statistische Analyse von Fremd-
Sexualstraftäter geklagt wird, indiziert geradezu die nähere Untersuchung der
beurteilungen über, Kooperation ' vorzunehmen. Im Ergebnis erweisen sich die sozi-
Art und Weise des Umgangs mit dem Alltagsverhalten dieser Personengruppe.
ale Wahrnehmung des Verhaltens und das soziale Urteil darüber als kontext- und
personenabhängig. Analog zur Compliance-Problematik lässt sich auch für die
geforderte Kooperation feststellen, dass diese zwar einseitig dem Patienten attri- 2. Forensische Psychologie als Politikum und Praxis
buiert wird, jedoch vielmehr Ergebnis einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung
sowie reziproker Verhaltenserwartungen und Interaktionserfahrungen ist. Die These Wie an anderer Stelle bereits ausführlicher dargestellt, stellt psychologisches
einer disziplinierenden Handlungs- und Behandlungspraxis konnte nicht bestätigt Arbeiten im Zwangskontext freiheitsentziehender Maßregeln - in forensisch-
werden. psychiatrischen Kliniken also - grundsätzliche ethische Fragen danach, wie
psychisch gestörten Rechtsbrechern einerseits in ihren Störungsanteilen the-
Co-operation: compliance - adaptation — subjection? The dialectics ofbehaviou- rapeutisch geholfen werden kann, wie sie andererseits in ihrem So-Sein res-
ral attributions and expectancies: Resultats oj an empirical research project pektiert, zugleich aber auch mit ihren devianten, fremdgefährlichen Hand-
The treatment of mentally ill delinquents in diseiplinary measures and forensic lungsweisen konfrontiert werden können. Wenn also „ein einseitiges Insistie-
hospitals includes undeniably aspects ofconstraint and control. First, the contri- ren auf der repressiven Funktion der Psychiatrie [...] nicht nur verdrießlich,
bution gives a repetition ofliterature and reports on results concerning the social, sondern auch irreführend" wird, weil diese eben „auch Hilfe ist" (Jervis 1979,
therapeutic, and institutional practice in special hospitals. In the second pari it S. 109), muss unter diesen Gesichtspunkten eine Analyse der Brennpunkte kon-
refers to an empirical and statistical analysis ofjudgements upon the patient's co- kreter Praxis versucht werden. Hierfür fordert Foucault eine Untersuchung der
operation, using these attributions to generate indications of behavioural norms Achsen der „Formierung des Wissens", der „Normativität des Verhaltens" und
and normalisation äs well äs oftheir implications. As expected, social perception der „Konstitution der Seinsweisen des Subjekts" (Reuter 1988, S. 15).
and social judgement prove to depend ofthe context and the involvedpersons. In
analogy to the compliance problem, the staff tends to one-sided attributions al- 2.1 Ausgrenzung & Disziplinierung: Die gesellschaftliche Praxis
though this demanded co-operation must be considered äs result of seiffulfilling
prophecies äs well äs of behavioural expectancies and interactional experiences. Die Strafpraxis der Aufklärung ist u.a. dadurch charakterisierbar, dass die frei-
The presumption of diseiplinary treatments couldnot be verified: Formally adapt- heitsentziehende Unterbringung von Rechtsbrechern nunmehr direkt auf Kör-
ed or subjecting behaviour had significantly no influence on decisions concerning per und Psyche einwirkt. Wenngleich die „peinlichen" Körperstrafen absolu-
future probation. tistischer Herrschaft mit der Zeitstrafe des Freiheitsentzugs durch ein schein-
bar „körperloses" Strafsystem ersetzt wurde, beinhaltet diese dennoch eine Dis-
1. Einleitung ponibilität des Körpers. Als eines der Ergebnisse dieser neuen, individualisierten
Strafmechanismen konstatiert Foucault (1977, S. 34) lapidar: „Die Seele tritt
Der Umgang mit struktureller Gewalt in Einrichtungen, die zugleich der Hilfe auf die Bühne der Justiz". Dieser Aspekt der „Konfiszierung von Lebenszeit
wie der Gefahrenabwehr dienen, war in den siebziger und achtziger Jahren als der nunmehr sich durchsetzenden Form strafenden Eingreifens" (Stangl 1978,
ein wesentliches Merkmal psychiatriepolitischer Auseinandersetzungen. S. 53) führt dazu, dass mancher Rechtsbrecher dem strafenden Staat - konkret
Wenngleich einer kritischen Diskussion dieser Problematik derzeit nur noch u.U. dem forensischen Psychologen oder Psychiater - entgegenhält: „Meine
punktuell Aufmerksamkeit geschenkt wird (Nickolai und Rcindl 1999; |<;ink Seele gehört mir!" (Volckart 1990, S. 182). Denn diese „Seele" sei nicht nur
266 Krim, .loiiniiil. 1l Krim. Journal. 3.V JK 2001, 11.4 267
„Effekt und Instrument einer politischen Anatomie" (Foucault 1977, S. 42) als Argument, die Fortsetzung der Unterbringung zu rechtfertigen" (Rasch 1984a, S.
geworden, sondern stelle zugleich die gemeinsame Matrix des Strafrechts und 133). Im Fazit stellt der Autor anschließend u.a. fest, „die Beschreibung der Patien-
der Wissenschaften der Medizin oder Psychologie dar (Foucault 1975, S. 38). ten und ihres Verhaltens ist eher oberflächlich und vermittelt den Eindruck, dass das
Insofern „sind die modernen Kriminalisierungen oder die Modernisierungen Hauptziel der Unterbringung das glatte Funktionieren der Institution ist oder dass die
der strafrechtlichen Kontrolle' in einem durchaus kritischen Sinne modern. Das Unterbringung zum Selbstzweck wurde" (Rasch 1984a, S. 134f.). - Auf das Verhal-
postmoderne Kontrollkonzept beginnt sich in Form verschiedenster Konflikt- ten der Patienten als Indikator für die prognostische Einschätzung zukünftiger Gefähr-
schlichtungsmodelle zu behaupten, das moderne Experiment Strafrecht lichkeit nahm Rasch in einer weiteren Arbeit (1984b) Bezug: „Die Praxis der Rauf-
jedoch zeigt sich davon unbeeindruckt" (Bussmann 1989, S. 16). und Runterstufung orientiert sich am unmittelbar beobachtbaren Verhalten bzw. an
den bekannt gewordenen Regelverstößen des Patienten. Seine Beurteilung richtet sich
Dabei lassen die Verhältnisse von Justiz, Medizin und Psychologie das Indivi- dadurch vor allem nach dem Maß seiner Anpassung an die Institution" (Rasch 1984b,
duum als ein Rechtssubjekt entstehen (Ladeur 1976, S. 91), o.S.).
• dessen Subjektstatus durch die rechtlichen Normen etabliert und Folgerichtig spielten das Wohlverhalten des Patienten, der Grad seiner Anpas-
• dem durch die hinzutretenden psychologischen Definitionen zwar einerseits sung an die Institution in der Praxis eines abgestufte Vollzugslockerungen prak-
bestätigt wird, grundsätzlich ein „übliches psychologisches Subjekt" zu sein tizierenden Behandlungskonzeptes eine entscheidende Rolle. So konnte es für
(Heinze 1992,8.49), die achtziger Jahre „kein Zufall sein, dass es sich bei den spektakulären
• das aber durch diagnostisch-psychopatho-logisierende Kategorisierung Zwischenfällen, die in den letzten Jahren durch Patienten des Maßregelvoll-
(,krank - gesund'; ,gestört - normal'; ,gefährlich - ungefährlich') ebenso zugs verursacht wurden, um Taten von Sexualdelinquenten handelte, bei denen
ausgegrenzt die Orientierung an der beobachtbaren institutionellen Anpassung zwangsläu-
• wie in seinen abweichenden, gefährlichen' Eigenschaften zugleich „peri- fig versagen muss" (Rasch 1985, S. 316). Entsprechend entwarf Rasch ein pro-
petal" (Heinze 1992) auf das Gesetz bezogen wird. totypisches Modell mehrdimensionaler Beurteilung des Patienten, in dem neben
den Tatcharakteristiken, der psychischen Erkrankung oder Störung, der Per-
Historisch lässt sich ein wissenschaftlicher Prozess beschreiben, der das Ver- sönlichkeit usw. auch das Alltagsverhalten während der Unterbringung einen
hältnis von Medizin, Psychologie und Strafjustiz durch die Schaffung der insti- von mehreren Datensätzen darstellen. Einschränkend fügte Rasch hinzu:
tutionellen und rechtlichen Struktur einer komplementären Kontrollinstanz ver-
ändert hat (Castel 1973, S. 294). Nach wie vor geht es „theoretisch (und auch „Bei der Bewertung der gemachten Beobachtungen sollte allerdings bedacht werden,
politisch)" darum, „ob und auf welche Weise die Vernunft kriminell werden welcher Bezug zwischen ihnen und dem eigentlichen Unterbringungsgrund besteht."
kann, und wie beides, Verbrechen und Wissen ,ertragen' werden kann von dem, So sei es „unzureichend, den bei einem Patienten angenommenen Fortschritt damit
was man die soziale Ordnung nennt" (Fontana 1973, S. 299). Diesbezüglich zu begründen, dass keine Straftaten von ihm bekannt geworden seien. Der Untersu-
sei für die letzten Jahren - so Heinze (1992) - ein gesellschafts- wie wissen- cher sollte sich bei jeder Stellungnahme auch darüber Rechenschaft geben, [...] wel-
schaftsinhärenter Prozess angebbar, der die Eliminierung der Kriminalität aus che realen Chancen für ihn bestanden, Kooperationsbereitschaft sinnvoll unter
Beweis zu stellen" (Rasch 1985, S. 320f).
dem öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs und die Entwicklung interner Dis-
kurspraktiken der Besserung, Erziehung und Prävention umfasse. Wurde Wiederholt wurde herausgearbeitet, dass das formale Verhalten des Patienten
ursprünglich der Ort des Verbrechens im Subjekt und seinen unterschiedlichen zumindest in der Vergangenheit eine große prognostische Wertigkeit hatte und
Diskursen lokalisiert (Foucault 1973, S. 239f), so sei das Kriminelle durch die „vordergründig gut angepassten sozial unauffälligen Straftäter" (Speier und
, dekonstruktivistische Auflösungen des Subjekts ,jetzt weder in der Öffent- Nedopil 1992) unter den persönlichkeitsgestörten Sexualdelinquenten vor-
, lichkeit noch beim Täter lokalisiert. Sein neuer Ort liegt im psychiatrischen herrschen. Im selben Kontext ist allerdings auch an diese Autoren die Frage zu
i Raum, für den Medizin und Psychologie kategorial verantwortlich zeichnen" richten, ob die von ihnen für eine günstige Prognose geforderte weitgehende
(Heinze 1992,8.52). Selbstbild-Fremdbild-Kongruenz nicht eine subtile psychische Anpassung des
Patienten an die vermuteten Erwartungen des Therapeuten induziert - ein Tat-
2.2. Reduktion & Bewertung: Die gutachterliche Praxis bestand, der an die realsatirischen Regeln des ,Psychotherapie-Spiels' erinnert
(Bradley 1988).
Zu allgemeinen Fragen der Bewertung des mehr oder weniger (un-)kooperati-
ven Verhaltens psychisch gestörter Rechtsbrecher im Maßregelvollzug 2.3 Anpassung & Behandlung: Die therapeutische Praxis
beschrieb in den achtziger Jahren Rasch in einer umfassenderen Untersuchung
psychiatrischer Gutachten eine manifeste Kriterienreduktion: Die bei Rasch zugunsten organisatorischer Lösungsvorschläge weniger in den
Vordergrund gerückten Behandlungsgesichtspunkte werden im Kontext der
„An zweiter Stelle [der Begründung weiterer Unterbringung] wurde mit 11,3% die Problematisierung des inflationären Gebrauchs des Suffix ,Therapie' aufge-
mangelnde Bereitschaft genannt, sich behandeln zu lassen, 5% der Kriterienvariab- griffen:
len bezogen sich auf die unkooperative oder zurückgezogene Haltung des Patienten.
[...] Es war aber nicht nur der Mangel an Kooperation, der negative Konsequenzen „Verstärkt wird diese inflationistische Benutzung dadurch, dass der Gesetzgeber kei-
für den Patienten haben konnte: in 12 Fällen diente der Hinweis auf Ühcraiipassiing nerlei Disziplinarrechte für den Aspekt der Sicherung vorgesehen hat. So verbrämen
274 Krim. Journal. 33. Jg. 2001, 11.4 Krim. Journal, 33. Jg. 2001, H. 4 275
ten untersucht werden: Angesichts erheblicher methodischer Probleme bei qua- niedrigerem Regulationsniveau und mündet der komplexe Interaktionsprozess
litativ-inhaltlichen Auswertungen frei formulierter Angaben wurde eine Eintei- in übervereinfachende Entdifferenzierung — eine Tatsache, die Schneider
lung in a) Kausalaussagen, b) Symptombeschreibungen, c) pauschal-undiffe- (1985) als „kollektive Dummheit" diffamiert, die jedoch u.a. dadurch bedingt
renzierte Stichwortangaben und d) inadäquat-arbiträre Mitteilungen vorgenom- ist, dass kognitive Regelsysteme zwar logische Diskursarten voraussetzen, mit
men und von einer unabhängigen, forensisch erfahrenen Kollegin hinsichtlich ihnen jedoch - speziell aufgrund ihrer Affinität zu Formen spekulativer Ver-
der Zuordnungen überprüft. Die Unterschiede lassen sich beispielhaft an folgenden nunft - mitnichten eins sind (Lyotard 1989, S. 97). Entsprechend handelt es
Klartexteintragungen zur erfragten zentralen Problematik illustrieren: sich um „heterogene Satz-Regelsysteme" (Lyotard 1989, S. 215ff), um aus ver-
schiedenen Diskursarten - Argumentieren, Erkennen, Beschreiben, Erzählen,
Kausalaussagen: „Kindliche Abhängigkeit von der Mutter - ausgeprägte Kon- Be-Fragen, Befehlen... - stammende, miteinander verkettete Aussagen, die auf-
takt- und Beziehungsstörung, ausgeprägte Aggressionshemmung; Selbstwert- grund ihrer Ungleichartigkeit „inkommensurabel", d.h. nicht ineinander über-
problematik, Ich-Schwäche; Suchtproblematik." (Fall E 208)
setzbar sind (vgl. Kobbe 1998d, S. 105f).
Symptombeschreibungen: „Im Rahmen der Schizophrenie entwickelte sich ein
paranoides Wahnsystem, in dessen Mittelpunkt schließlich die Mutter stand." 4.2. Paradigmen wechsel und Beurteilungskriterien
(Fall E 192)
Die eigentliche Fragestellung des Projekts bezog sich auf die institutionsin-
Pauschale Stichwortangaben: „Wahnthema" (Fall E 007) terne Veränderung der Zusammensetzung der Beurteiler(teams) und die vo-
Inadäquat-arbiträre Angaben: „Nach bisheriger Überwachung: recht unauf- rangestellten theoretischen Überlegungen. Es wurde davon ausgegangen und
fällig, angepasst, bemüht um Kooperation, andererseits: mäßige Beeinfluss- danach gefragt, dass bzw. ob
barkeit." (Fall E 258) • eine Veränderung der Beurteilungskriterien vorgenommen wurde und dies
Aufgrund des Datenniveaus wurde der Chi2-Test zur Erstellung einer auf fünf- • mit Hilfe der für Einzelbeurteiler und beurteilende Teams errechenbaren unter-
prozentigem Fehlerniveau gesicherten Korrelationsmatrix gewählt: schiedlichen Entscheidungsmodelle erklärbar bzw. interpretierbar ist.
Deutlich wird, dass sich signifikante Unterschiede hinsichtlich der Beschrei- Statistisch-methodisch wurden schrittweise Regressionen angewandt, die
bungsniveaus von Einzel- undTeambeurteilern feststellen lassen: Während die Modelle
Kausalaussagen (14,9% /17,8%) und Symptombeschreibungen (38,3% / 36,2%) • mit fünf Variablen und knapp 60% erklärter Gesamtstreuung für Einzel-
gleichverteilt sind, finden sich beurteiler sowie
• bei den Einzelbeurteilern signifikant gehäuft als inadäquat-arbiträr zu cha- • mit vier Variablen und einer Erklärungskraft von lediglich knapp 27% der
rakterisierende Angaben, Gesamtvarianz für beurteilende Teams ergaben.
• in den von Teams ausgefüllten Bögen signifikant mehr pauschal-undiffe- Bei der Auswertung fällt unmittelbar auf, dass beide Regressionsmodelle mani-
renzierte Stichwortnennungen. fest unterschiedlich sind: Die Matrix der Einzelbeurteiler der Tabelle 4
Insofern stellt die gemeinsame Reflektion und Beurteilung zweifelsohne ein • enthält die Variable der therapeutischen Einbindung in Beschäftigungs- und
Korrektiv dar und werden Überbewertungen marginaler Fakten oder irrelevanter Arbeitstherapie entsprechend der Intention der Fragestellung (s.o.),
Details verhindert; andererseits erfolgt im Team aber eine Urteilsbildung auf • gibt einen negativen Zusammenhang der Kooperation mit der Aufenthaltsdauer
an, sodass kooperatives Gesamtverhalten u.U. auch kontraphobische Funktion
haben kann und dementsprechend mitnichten Ergebnis kommunikativer Kom-
Tab. 3: Variable Zentrale Problematik- Beschreibungskategorien der Einzel- und
Teambeurteiler
petenz (s.u.) ist, sondern fallweise auch Resultat interpersoneller Abwehr durch
Anpassung und Unterwerfung (vgl. Rauchfleisch 1986, S. 743),
kausal symptomatisch pauschal inadäquat • beinhaltet die Berücksichtigung körperlicher Beschwerden i. S. einer ggf.
^ auch nonverbal-psychosomatischen Anpassungsleistung (vgl. Kobbe 2000)
Einzelbeurteiler n 7 18 5 17 47 und
% 14,9 38,3 10,6 36,2 • wird - nachvollziehbar - negativ durch manifeste psychotisch bzw. hirnor-
ganisch bedingte Störungen als Ausschlusskriterium für kooperatives
Teambeurteiler n 27 55 43 27 152 Gesamtverhalten definiert,
% 17,8 36,2 28,3 17,8 • lässt sich hinsichtlich der Kommunikationsrahigkeit dahingehend verstehen,
dass „Kommunikationsschwierigkeiten" zu sog. „malintegrativem Verhalten"
n 34 73 48 44 199
und dies wiederum zu Non-Compliance führt (Drews 1977, S. 90).
% 17,1 36,7 24,1 22,1 100
Kritisch hinzuweisen ist auf die fragliche Gleichsetzung von Kooperationsfähigkeit
Likelihood Ratio Chi2 = 10.6 Freiheitsgrade DF = 3 Signifikanz = .01 respektive -Bereitschaft mit Kommunikationsfahigkeit, da sich hier u.U. eine Interak-
276 Krim Journal, .U. Ju. 2001, H. 4 Krim. Journal. 33. Je. 2001. H. 4 277
Tabelle 4: Variable Gesamtvtrhalttn (Kooperation) Einzelbeurteiler Tatsächlich ist die Verbalisierungs- und Kommunikationsfähigkeit für die intrapsy-
chische Verarbeitung von Konflikten insofern von Belang, als erst „die Identifizie-
Beta SigT Variable rung einer Erregungsquelle (durch sprachliche Kommunikation)" dem Individuum
„den Weg für die Entdeckung einer Quelle der Abhilfe [öffnet]. Durch diese Pro-
.5027 .0000 Teilnahme an Beschäftigungs- / Arbeitstherapie zesse lernt ein Individuum, seine Impulse zu beherrschen" (Grossbard 1962, S. 172).
.2979 .0200 Vorliegen körperlicher Beschwerden Interessanterweise lässt sich für den Zusammenhang von Kommunikationsfähigkeit
.2916 .02.00 Qualität der Kommunikationsfähigkeit und Impulskontrolle anhand bivariater Korrelationen allerdings angeben, dass eine
-.2722 .0320 Vorliegen einer psychotischen / hirnorganischen Symptomatik verbesserte Impulskontrolle zu einer Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit führt,
.2679 .0310 Länge der Aufenthaltsdauer bei Beurteilung dieser Zusammenhang umgekehrt jedoch nur schwach ausgeprägt ist (Kobbe 2000,
Tab. lla/b).
S Beurteilungsbögen n = 47 Bestimmtheitsmaß r2 = .59
279
4.4. Wahrnehmungsdlfferenzcn und Compliance bei Betroffenen [...] verbessern wollen, gehen in diese Rich-
tung" (Hellerich 1995, S. 31). Diesbezüglich thematisiert Eink (1997, S. 133)
Angesichts der verschiedenartigen Kriterienmatrixen kamen Einzelpersonen vielfältige Formen von Abhängigkeit, Verweigerung von Intimsphäre, Zwän-
und Teams zu signifikant unterschiedlichen Beurteilungen: gen und Einschränkungen alltäglicher Wahlmöglichkeiten und den Druck zur
• Teams tendierten offensichtlich dazu, die Kooperationsbereitschaft und / oder Selbstoffenbarung hinsichtlich subtiler und verdeckter Formen der Kontrolle
-fähigkeit von Patienten zu zwei Dritteln mit einer ,Tendenz zur Mitte' ein- und fragt nach, ob der „modische Begriff der ,Compliance' ... mehr als die
zuschätzen (31% mittel, 40% eher kooperativ), erreichte Anpassung der Patienten / Klienten an das, was die Mitarbeiter für
• wogegen die einzeln beurteilenden Therapeuten zu 55% ein kooperatives wünschenswert halten", repräsentiere. Berücksichtigt man, dass die sog. ,Non-
Gesamtverhalten konstatierten. Complier' von Behandlern als „weniger zur Psychotherapie geeignet", als
„Patienten mit schlechterer Prognose" sowie als „aggressiver, feindlicher und
Tab. 7: Kreuztabellen für Ratings der Einzel- versus Teambeurteiler unangenehmer" eingeschätzt werden (Drews 1977, S. 70), so stellt sich die Frage
nach den iatrogenen Einflüssen der Interaktion von forensischer Institution,
un- kaum mittel eher Behandler und untergebrachtem Rechtsbrecher, nach Compliance - und eben
kooperativ kooperativ kooperativ kooperativ kooperativ S auch Non-Compliance - als Ergebnis eines gelungenen bzw. misslungenen
Teambeurteiler n 1 8 47 60 35 151
„wechselseitigen Prozesses der Verständigung, des Aushandelns und gleich-
% 0,7 5,3 31,1 39,7 23,2 75,5
mäßiger Annäherung"7 (Eink 1997, S. 133f.). Vor dem Hintergrund der arro-
ganten Formulierung, innerhalb sog. Probetherapien solle bei Rechtsbrechern
Einzelbeurteiler n 0 1 7 14 27 49 im Maßregelvollzug die Frage entschieden werden, „ob sich eine Therapie lohnt1'
% 2,0 14,3 28,6 55,1 24,5 oder nicht" (Kutter 1994, S. 87), lässt sich die Frage nach Kooperation in der
n 1 9 54 74 62 200 Behandlung auch als Beurteilung - bzw. besser Zuschreibung - von Wider-
% 0,5 4,5 27 37 31 100 stand übersetzen: Analog zu der Compliance-Problematik, bei der „der Arzt
weitgehend aus dem Zusammenhang der Interaktion und den daraus resultie-
renden Erscheinungen herausgenommen wird und die Phänomene mehr ,in den
Derartige Unterschiede überraschen keineswegs, denn sie sind nicht nur Patienten' verlegt werden", ist Resistenz auch für die Kooperationsproblema-
• auf die ,Erweiterung' von einer Beurteilungsperson auf eine Gruppe, tik eine mögliche Interpretation, wenn man Behandler, Institution und andere
• auf die hierdurch bewirkten Reflektions-, Kommunikations- und Konsens- Kontextvariablen bei der „Entstehung" von Non-Compliance außer Acht lässt
bildungsprozesse mit Differenzierungs- wie Integrationseffekten auf unter- (Drews 1977, S. 71f.). Anders ausgedrückt: „Wenn wir von Compliance [...]
schiedlichem Komplexitäts- und ggf. niedrigem Regulationsniveau, säuseln, ohne den Januskopf von Hilfe und Kontrolle kritisch zu reflektieren,
• auf soziodemographisch bedingte Auswirkungen der widerstreitenden - the- betrügen wir die Klienten und uns selbst" (Eink 1997, S. 134).
oretischen und lebenspraktischen - Bezugssysteme verschiedener Berufs- In diesem Zusammenhang ist interessant, dass die für Compliance relevanten
gruppen usw. subjektiven Krankheitstheorien und alltagsweltlichen Selbstverständnisse von
zurückzuführen. Vielmehr handelt es sich bei dem untersuchten Item um einen Krankheit oder Störung bei verschiedenen Patientengruppen (Persönlich-
zwangsläufig unscharfen Pauschalbegriff, der zwar u.U. gute Rerating-Werte, keitsgestörte, Psychosekranke, Minderbegabte...) für deren Lebensbewältigung
jedoch nur mäßige Interrater-Werte aufweisen dürfte (vgl. Weber 1998, S. 69ff.). unterschiedlich bedeutsam sind (vgl. Hellerich 1995) und insofern ein ergän-
Von Interesse ist das Ergebnis der statistischen Untersuchung also nicht hin- zendes Schlaglicht auf die erklärenden Variablen Vorliegen körperlicher
sichtlich seiner prognostischen Aussagekraft, sondern als hilfsweise qualifi- Beschwerden und Vorliegen einer psychotischen /hirnorganischen Symptomatik
zierbares Abbild der alltagspraktisch-sozialen Beurteilung - und der dahinter der Tabelle 5 werfen. Zugleich macht dies darauf aufmerksam, dass (un-)koope-
zu vermutenden sozialen Systeme und sozialen wie kognitiven Repräsentatio- ratives Gesamtverhalten dahingehend differenziert zu beurteilen ist, dass
nen - des Alltagsverhaltens von Rechtsbrechern im Maßregelvollzug. Denn „Anpassung" beispielsweise „nur bei minderbegabten Persönlichkeitsgestör-
immerhin ist zu vermuten, dass gerade dieses unpräzise Kriterium normativ- ten prognostisch positiv, bei nicht Minderbegabten u.U. sogar negativ zu wer-
imperative Verhaltenserwartungen in sich birgt bzw. zur Folge hat. ten ist" (Weber 1998, S. 80). In der Tat ergab sich auch bei einer Nachunter-
suchung zu den oben verwendeten Basisdaten, dass das als mehr oder weniger
Denn die implizite und mehr oder weniger explizite Forderung von Koopera- (un-)kooperativ eingeschätzte Patientenverhalten für sich allein genommen kei-
tion stellt eine Analogie mit dem sozialpsychiatrischen Reformdiskurs über nerlei signifikante Bedeutung für den Erfolg oder Misserfolg der Durchfüh-
Krankheitseinsicht und Compliance dar: „Zwar sind mangelnde Krankheits- rung von Lockerungen hatte.
einsicht, -bewusstsein und -gefühle" ebenso wie unzureichende Koopera-
tionsbereitschaft und -fähigkeit „nicht direkt gleichzusetzen mit Ablehnung der
Behandlung, aber sie korrelieren sehr eng" (Hellerich 1995, S. 23), sodass den
Behandlern viel daran liegt, „kooperative, also krankheitseinsichtige Patien- 7 Hervorhebung im Original
ten zu produzieren. Gewisse Modellprojekte, die [...] die Krankheitseinsicht 8 Hervorhebung durch den Verfasser
284 285
als implizite Gefährlichkeitsprognose. Werkstattschriften zur Forensischen Psy- len-Lippe am 10. Dezember 1984 in Lippstadt-Bad Waldliesborn, hektografiertes
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