Sie sind auf Seite 1von 3

DE 2 Q1 3.

Klausur (Heinrich von Kleist) Lösungsbeispiele und Erwartungshorizonte

Aufgabe 2)
Ordnen Sie als Grundlage für die Bearbeitung der Aufgabe 3) die Textstelle von Seite 28,
Zeile 8 (Die Marquise lag noch...) bis Zeile 34 (...und verließ das Zimmer.) in den
Zusammenhang der Novelle „Die Marquise von O.“ ein.

Lösungsbeispiel
Bei dem Textabschnitt handelt es sich um einen Auszug aus der Novelle „Die Marquise von
O. „ von Heinrich von Kleist. Es geht in diesem Abschnitt um die von der Hebamme
bestätigte Diagnose der Schwangerschaft der Marquise von O.

Die seit längerer Zeit unpässliche Marquise hat zuvor vom Arzt erfahren, dass diese sich
nicht nur so fühle, als ob sie schwanger sei, sondern damit „schon ganz richtige“ urteile. Die
Marquise will daraufhin eine Hebamme rufen, weil sie dem Urteil des Arztes nicht glaubt.
Eine Schwangerschaft scheint ihr und ihrer Mutter völlig undenkbar. Beide erklären sich die
Aussage des Arztes nur mit dessen Niedertracht. Dennoch will die Marquise eine Hebamme
rufen lassen, um eine zweite Meinung einzuholen. Die Mutter reagiert auf diesen Wunsch
zunächst sehr irritiert und empört, nimmt der Tochter aber das Versprechen ab, ein reines
Gewissen zu haben.
Die Hebamme wiederum bestätigt in dem Textabschnitt in einer recht nüchternen Art und
Weise den ärztlichen Befund und meint, dass sich der Vater des Kindes schon einfinden werde.
Daraufhin fällt die Marquise in Ohnmacht und wird von der Mutter zusammen mit der
Hebamme wieder zu Bewusstsein gebracht.

Anschließend jedoch verflucht die Mutter ihre Tochter, weil diese ihr nicht den Namen das
Vaters nennt und sich weiterhin ahnungslos gibt. Die Obristin fordert die Marquise zum
Gehen auf und verlässt ihrerseits das Zimmer. Im Folgenden wird die Marquise von ihrem
Vater verstoßen und muss das Haus verlassen. (217 Wörter)

Aufgabe 3)
Verfassen Sie einen Tagebucheintrag der Mutter, den diese an jenem Abend schreibt, als
die Marquise das Haus des Obristen verlassen muss. Schreiben Sie in der Ich-Form.
Arbeitshinweis: Es empfiehlt sich, als Vorarbeit den Eintrag stichwortartig zu
strukturieren (Inhalt, Aufbau, Textbezüge).

Was bei dieser Aufgabe erwartet wird:

Der Brief soll inhaltlich einige der folgenden Aspekte aufgreifen und muss den Eintrag als
Medium der Reflektion nutzen. Eine reine Wiedergabe des Inhaltes ist nicht ausreichend.

 Erschütterung über die Schwangerschaft


 Innere Zerrissenheit der Mutter
o Wut auf die Tochter wg. Vertrauensbruch und „Gottlosigkeit“
o Trauer über den Verweis/Verlust der Tochter
 Reflektionen über die harte Reaktion des Obristen
 Bezug zum Brief, der diktiert wurde / Mitleid mit der Tochter
 Spekulationen über die Hintergründe der Vaterschaft
 Gedanken an den Grafen F. / geplatzte Verlobung
 Reflektion über die gesellschaftlichen Konsequenzen für die Familie
Tonlage / Stil
 eher monologisierend, subjektiv in der Ich-Form
 teils emotional bewegt
 teils reflektierend
 Varietät: je nach Aspekt
o Standardsprache (Reflektion, Analyse des Sachverhalts)
o Punktuell Umgangssprache möglich (Bei Gedanken über die Tochter)
 Anteile unmittelbarer Gedankenwiedergabe
 Stil: eher hochsprachlich - keinesfalls vulgär/salopp!
 rhetorische Figuren: Aspektbezogen (Ausruf, Ellipse, Fragen, Wiederholungen)
Länge
 etwa 200 bis 300 Wörter

Lösungsbeispiel
[eventuelle Anrede: Liebes Tagebuch]
Dieser Tag brachte eine tiefe Erschütterung über mich. Wie kann meine Tochter sich und uns
in diese Lage bringen? Eine Schwangerschaft ohne Ehe und Gottes Segen in unserem Haus!
Mit wem hatte sie Kontakt, wie kann sich mich so belügen? Wie kann vor unseren Augen so
etwas geschehen? Aber es ist ja nicht allein die Schwangerschaft, auch diese Gottlosigkeit die
darin steckt, so zu tun, als handle es sich um eine unbefleckte Empfängnis! Ihre ganzen
Andeutungen in der letzten Zeit über ihr Befinden und ihren körperlichen Zustand... Jetzt
erklärt sich einiges. Sie hat doch anscheinend etwas geahnt. Und doch: Wer ist der Vater?
Ach, ich will es gar nicht wissen. Dieser muss ein zutiefst verachtungswürdiger Mensch sein,
eine Frau in eine solch missliche Lage zu bringen.

Ich habe noch diese Worte der Hebamme im Ohr. „der muntere Korsar der zur Nachtzeit
„gelandet sei. Was wird man sich über unsere Familie in der Gesellschaft die Münder
zerreißen? Gerade Julietta, die auch noch versprochen hatte, nie wieder eine Ehe einzugehen.
Wie wird sich der Graf von F. erst fühlen mögen, der so voller Hoffnung war! An eine
Verbindung dieser beiden ist natürlich jetzt nicht mehr zu denken. Auch wenn die Umstände
etwas merkwürdig waren - er wäre eine gute Partie gewesen. Wie mag er diese ihn
entehrende Schmach nur aufnehmen?

Und doch ist es mein Kind und wird es immer bleiben, meine Julietta. Wie musste sie die
Reaktion des Obristen erschreckt haben haben, dessen harte Haltung ich ja verstehen kann.
Aber ihr Flehen, der Verweis aus dem Haus, der Schuss in die Decke und dann: der Brief, den
mir der Obrist [hier wäre auch eine Phantasiename möglich] diktierte. Aus dem Hause
verwiesen, für immer wieder. Mir flossen die Tränen, als ich diese schmerzenden und doch
wohl nötigen Zeilen zu Papier brachte. Doch ich hätte nicht diese Unerbittlichkeit, diese
Endgültigkeit aufgebracht. Aber wie tief muss der Obrist getroffen sein, seine Tochter in so
sittlicher Verkommenheit zu erblicken.
Lieber Gott, wie wird es Julietta fortan ergehen ? - Allein ausgestoßen aus der Gesellschaft.
Wer gibt mir die Stärke, dass zu tun, was in dieser Lage geboten ist. Ich bete für sie und
unserer Familie.

Aufgabe 4)
Erläutern Sie die Gestaltung des Tagebucheintrages, indem Sie z.B. inhaltliche Schwerpunkte,
Stimmungslage und sprachlichen Stil begründen. Nennen Sie zentrale Textstellen in der
Novelle, an denen Sie sich dabei orientiert haben. Begründen Sie gegebenenfalls eine
denkbare alternative Gestaltungsmöglichkeit, die Sie verworfen haben
Was bei dieser Aufgabe erwartet wird:

In der Aufgabe soll der Schüler zeigen, dass er Inhalt, Sprache und Struktur seines
Tagebucheintrages reflektieren kann. Eine bloße Wiederholung des Eintrages ist nicht
ausreichend. Es müssen Begründungen und Textverweise genannt werden, welche die
Schwerpunkte des Tagebucheintrages belegen. Zumindest in Ansätzen muss hier die innere
Zerrissenheit der Mutter begründet werden. Reflektionen über die Handlung des Obristen sind
naheliegend. Insgesamt soll plausibel dargelegt werden, auf welche Referenzen
(Textabschnitte, Handlungen, Ereignisse) sich der Tagebucheintrag beruft. Dabei muss
beachtet werden, dass die Chronologie der Ereignisse sich inhaltlich stimmig in den Eintrag
fügt.
Die sprachliche Gestaltung sollte ebenso begründet werden. Hier gilt es, sich an den in
indirekter Rede geäußerten Beiträgen der Mutter zu orientieren. Ein Bezug auf den
Erzählerbericht wäre hier unpassend, da der Eintrag in der Ich-Form steht.
Es sollte eine Alternative für die Gestaltung formuliert werden, die nicht abseits des
Denkbaren liegt. Hier bietet sich die Möglichkeit, die Charaktere der Figuren auf
Ambivalenzen und ihre Deutungsmöglichkeiten hin auszuloten sowie die interpretatorische
Offenheit des Textes einerseits und dessen Grenzen andererseits zu reflektieren.

Das könnte Ihnen auch gefallen