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Herwig Brätz

An der Saale hellem Strande


Die überaus beeindruckenden „Stifterfiguren“ im Naumburger Dom gelten als Höhepunkt der Bildhauerkunst zwischen
Romanik und Renaissance. Trotz umfangreicher Literatur und Forschung sind sie ziemlich mysteriös geblieben, denn sie sol-
len zwar Personen aus dem deutschen Hochadel darstellen, gehören aber als solche nicht in den Chor einer Kirche – weil sie keine
Heiligen sind. Natürlich gibt es keine Erklärung dafür.
Die Figuren sollen „um 1250“ von In Ägypten hieß der Zweihörnige
Leuten gefertigt worden sein, die 200 Amun, der Gott von Theben in Ober-
Jahre nach den Stiftern lebten und die- ägypten, dessen Name der Silbe Naum-
se also nie gesehen haben: vielleicht ha- entspricht. Die Philologen machen es
ben sie also ganz anders ausgesehen. Die sich mit Naumburg an der Saale beson-
Namen dieser „Stifter“ sind jedoch er- ders einfach, der Name soll „Neue Burg“
staunlicherweise genau überliefert: Ekke- bedeuten, im Gegensatz zur Altenburg
hard und Uta sowie Hermann und Regi- am anderen Saaleufer. Ganz so einfach
lindis sind die berühmtesten, von den ist es jedoch – wie man sieht – nicht.
anderen ist Dietmar von Interesse – er ist Amun-Ekkehards Göttergattin Uta
vielleicht der erste deutsche Historiker: dürfte also Uto sein, die Göttin aus Buto
Thietmar, der Bischof von Merseburg. im Nildelta, die als Grüne Kobra und
Vom benachbarten Merseburg aus soll Schützerin des Horus verstanden wurde.
auch die Verlegung des Bischofssitzes Als solche erscheint sie saaleabwärts in
nach Naumburg veranlasst worden sein. Merseburg, wo sie zum Dom und zur
Das Rätsel dieser Figurengruppe lässt Altenburg hin aus dem Schlangenkorb
sich lösen, wenn man die Grundrisse der (d.i. der Stadt) steigt. Sie ist wohl als
beiden Städte analysiert. Flussgöttin des „Heilsflusses mit dem
In Naumburg sind zwei Figuren dar- hellen Strande“ anzusehen: der Saale. Sie
gestellt: hat allen Grund, ihren Umhang in
1. eine Biene (die Marktstadt ist ihr et- Mundnähe zu halten: man könnte den
Ekkehard II. und Uta
was übergroßer Kopf; der Rüssel be- Giftzahn sehen, wenn sie zum Gähnen
findet sich am Marientor; das Auge ist oder Lachen den Mund öffnet. Schlan- genkloster zerstören) und sie dann in die
die Wenzelskirche; die Domstadt ist gengift ist freilich bis heute auch ein be- „neue Burg“ führen und heiraten. Die
ihr Körper, der Dom ihr Herz – wenn liebtes Heilmittel. Biene ist Regilindis, die schöne Königs-
Bienen ein Herz haben -; das Geor- Die Biene ist eine Hieroglyphe für tochter – aus Polen, dem Land der Fel-
genkloster ist der Stachel und das Unterägypten. Zugleich dürfte sie für der, also aus Ägypten, dem Lande der
Salzviertel der Flügel); den zweiten Namensteil stehen, denn Fellachen/Polaken. Die Polen selbst nen-
-burg ist immer auch „Virgo“, die Gött- nen sich übrigens „Polacy“ oder auch
2. den Kopf eines Zweihörnigen (sein liche Jungfrau, hier Maria Magdalena, „Lachy“.
Kopf ist ebenfalls die Marktstadt in die nach der Vorstellung der Naumbur- Regilindis hat wirklich Grund zum
etwas anderer Perspektive; sein Auge ger Venus war, denn auf der Spitze des Lachen, denn ihr Herr-Min/Hermann
das Rathaus, das als erstes die Hohe um 1714 neu errichteten Kirchturms
Lilie sieht, auf die sich die Biene wohl der Maria-Magdalenen-Kirche befindet
setzen soll, im Kopf hat er die Salz- sich ein Morgenstern. Die Biene hat
straße: den Weg zum Heil; ein Horn bereits einen Bräutigam im Auge: den
ist der Steinweg zu Dom und Burg, Heiligen Wenzel, der in der Geschichte
das zweite Horn die Michaelisstraße; als König von Böhmen gilt.
auf der Zunge liegt ihm die Maria- Ich würde jedoch sagen, Wenzel ist
Magdalenen-Kirche, in der Nase der der „Lewe-Zn“: der „Löwenzahn“ (den
Rosengarten – zum Bienenanlocken die Bienen so mögen, und der zum Leid-
und -fangen, denn dort befindet sich wesen aller Gärtner so unverwüstlich
das Gefängnismuseum). und fruchtbar ist und so schön blüht)
und Löwe von Zion, der wahre Bräuti-
Der Zweihörnige dürfte Ekkehard gam also - zugleich Horus-Min und
(II. !) sein: Die „zwei harten Ecken“ wä- Markgraf Hermann. Da der erste Teil des
ren dann die beiden Hörner. In Naum- Namens der Stadt Merse-Burg ebenfalls
burg hatte man früher keinen Zweifel an ein Götternamen sein dürfte, wird Her-
der Herkunft des Ekkehard, denn am mann also in typisch spätrömisch-syn-
ehemaligen Haus der Gerber-Innung kretistischer Sichtweise zugleich Hermes
hängt eine Tafel mit zwei Ziegenböcken, sein, der Götterbote, der zu Jesus Chris-
die an einer Palme (!) nagen. Sein latei- tus wurde, als Petrus und Paulus in den
nischer Name Echartus lässt sich mühe- Naumburger Dom einzogen.
los deuten als: tu es harc: „Du bist der Er wird der über die Felder fliegen-
Gehörnte, der Herrscher, Horus“. den Biene den Stachel ziehen (das Geor-
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Hermann und Regilindis
An der Saale hellem Strande

Naumburg: Der Zweihörnige

Naumburg: Die Biene

ist zwar lahm (weshalb er wie das ägyp- ist ja so etwas wie der Löwe oder Tiger Amun, dargestellt wurde. Dhu-al’
tische einbeinige Original nicht in den unter den Insekten. Qarnain kann auch als „Dualkrone“ ge-
Krieg zieht und im Naumburger Dom Man erinnert sich, dass die Ge- lesen werden – die einem Gott beider
ein bisschen schief dasteht), aber er ist schichte von Samson im Buch der Rich- Ägypten natürlich zusteht. Ebenfalls im
für sein starkes Geschlecht berühmt, das ter eine Episode mit einem Löwen ent- Koran (Sure 53, Vers 19 ff.) wird die
wie die Kobra als „Vorstadt“ im Grund- hält, in dessen Kadaver die Bienen ein Göttin al’Uzza (also: Uta) erwähnt - die
riss von Merseburg „vorsticht“. Die Nest eingerichtet hatten. Die Hochzeits- Schutzgöttin von Mekka und Morgen-
Stadt ist sein Hodensack. Wenn die gäste konnten das daraus entwickelte sterngöttin. Aber nicht auf dem Umweg
Pfarrkirchen von Merseburg den Heili- Rätsel nicht lösen, was viel Ärger berei- über den Islam werden die beiden nach
gen Sixtus, Maximus und Vitus geweiht tet hat. Naumburg geraten sein. Vielmehr stam-
sind, gehört nicht viel Mut dazu, dies Die angeblichen „Stifter“ des Doms men sie aus einer Heimat – nämlich aus
sexuell auszulegen. sind also in Wahrheit ägyptisch-hellenis- Ägypten.
Hermanns „Schwägerin“, die Kobra- tische Gottheiten, da ist es nicht mehr Um keine voreiligen Schlüsse zu zie-
Uta, hilft ihm mit ihrem Gift, damit er wirklich verwunderlich, dass ihre Figu- hen: bis zum Christentum ist es von die-
nie wirklich lahm ist und der „Löwen- ren im Chor des Domes aufgestellt wur- ser Figurengruppe nur noch ein kleiner
zahn“ erigiert. Als glückliches junges den. Freilich ist ihre Tiergestalt in den Schritt: Hermes als dreimal größter Göt-
Menschenpaar sind Regilindis und Her- Grundrissen von Naumburg und Merse- terbote (und Gott der Kaufleute bzw.
mann bis heute nicht nur im Naumbur- burg geschickt verborgen worden. Diebe) wird zur Zentralfigur der neuen
ger Dom, sondern auch im Prunkzim- Der Zweihörnige kommt auch im Religion - Jesus Christus bleibt aber der
mer der „Hohen Lilie“, des Naumburger Koran vor (Dhu-al’Qarnain; 18. Sure Gesandte, der Bote Gottes. Der nicht in
Stadtmuseums, zu bewundern. Freilich Vers 82 ff.) und wird gern mit Alexander den Krieg ziehende, „bett-lahme“ und
mangelt es auch nicht an Löwendarstel- dem Großen identifiziert, der bekannt- „bettel-arme“ Simulant wird zum Un-
lungen im Stadtgebiet. Und eine Biene lich auch als gehörnter Ammon, also schuldsknaben aus „Bethlehem“. Die

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An der Saale hellem Strande

Merseburg: Phallus des Hermann

Stadtgrundriss von Merseburg (18. Jh.), gedreht

Schwägerin wird zur Mutter, der Bruder


zum Vater, die Braut zur Hure. Dieses
ironisch-lästerliche Verhältnis zu den Man zählte jedenfalls früher anders
Göttern erinnert an Homer, wurde den als wir: da die Null unbekannt war, be-
Christen durch die Schaffung der Bibel gann man bei 1 und zählte dann: 2, 3, 4.
sowie die Rigorosität von Dominikanern Aus diesem Grunde halten die Katholi-
und Reformatoren jedoch bald ausge- ken so fest zur Gottesmutter, und das
trieben. Neue Testament beinhaltet darum die
Die Inanspruchnahme der Naum- drei synoptischen Evangelien und dazu
burger Figuren, insbesondere der Uta, das vierte nach Johannes. 3 mal 4 ergibt
für die Stärkung deutschen Nationalbe- zudem die Heilige Zahl 12 – und im
wusstseins mutet aus dieser Sicht viel- Naumburger Dom stehen darum nicht
leicht grotesk an – freilich nur so lange, zufällig 12 Figuren in 3 Vierergruppen.
wie ungeklärt bleibt, was eigentlich 1+2+3+4 ergibt zudem 10, die andere
„deutsch“ ist. Darüber jedoch ein ander- Heilige Zahl. Ein schönes Beispiel für
mal. diese Zählweise findet sich im VIII.
Die Heilige Dreifaltigkeit besteht Korb Buch von Platos „Politeia“: die Hoch-
Flöte zeitszahl (d.i. 60 hoch 4) wird ermittelt,
übrigens nur scheinbar aus drei Figuren:
nämlich Vater (Amun-Ekkehard), Sohn indem die 60 dreimal mit sich selbst


(Hermes-Hermann) und Geist (Biene- multipliziert wird.
Regilindis). Die vierte ist die „Flussheili-
ge“, die Mutter (Kobra-Uta). Die Kir- Merseburg: Die Kobra
chen beider Städte stellen das Sternbild Abbildungen
„Kopf der Schlange“ (Serpens caput) Schlange also sogar die wichtigste von Skizzen: Autor
nach, in Naumburg entspricht das Geor- den Vieren, denn „alles fließt“, wie man Stadtpläne aus: „Handbuch der historischen
genkloster dem Schlangenträger, in Mer- weiß. „Alles“ aber ist auch „salus“, „Al- Stätten Deutschlands. Elfter Band. Pro-
seburg die Stadt. Vielleicht ist die
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lah“ usw. vinz Sachsen-Anhalt“ Stuttgart 1975.

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