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Uwe Topper

Edgar Dacqué: Urwelt, Sage und Menschheit (München 1924)


Der Münchener Geologe Edgar Dac- keinen Lehrstuhl (der Rezensent hat sei- tausenden ihrer Geschichte. Oder die
qué nennt sein umwälzendes Buch be- ne Personalakte eingesehen), kann ihn Japaner, die haben eine jahrmillionenlan-
scheiden „Eine naturhistorisch-meta- also auch nicht verloren haben.“ ge Geschichte, wenn man ihren Über-
physische Studie“ und erklärt in der [Anm.: Der Fehler schlich sich auf lieferungen traut. Für Inder und Azteken
Vorrede, warum es sich tatsächlich nur folgende Art hinein (Hinweis von F. de gilt dasselbe, möchte ich anfügen.
um eine Studie handelt : Die Gedanken, Sarre): Ulrich Magin (1989): Edgar Wie wir wissen, macht Heinsohn
die er hier entgegen der Zeitströmung Dacqué - ein deutscher Pionier der Evo- damit radikal Schluss, er hat glaubwür-
vorbringt, sind so neu und ungewöhn- lutionsforschung, in: BIPEDIA, 2: 5-10, dig gezeigt, dass für die Menschheitsge-
lich, dass sie nur als Entwurf oder Pro- 1989 (Nice), (S. 9): schreibt: „Die Ver- schichte nur zwei oder drei Jahrtausen-
gramm gelten sollen. Die folgenden Ge- öffentlichung dieses Buches (Urwelt, de zur Verfügung stehen.
nerationen von Forschern werden erst Sage und Menschheit) führte dazu, dass Sind das konträre Ansätze zweier
die ganze Tiefe dieser neuen Gedanken- Dacqué seinen Lehrstuhl verlor (Bie- Außenseiter?
welt ausloten können und ihnen ein ge- dermann 1987: 6), er widmete sich in Unbeschadet der Einwände, dass
diegenes wissenschaftliches Funda- der Folgezeit, bis zu seinem Tod am 14. „Jahre“ in der Vergangenheit einen an-
ment verschaffen. September 1945 in Solln bei München, deren Stellenwert und eine andere Län-
Was Dacqué in seinem hoffnungs- der weiteren philosophischen Ausarbei- ge gehabt haben können, oder dass Ge-
vollen Ansatz nicht ahnte: dass die aka- tung seiner Ideen ...“ Dazu die Angabe schichtsschreibung dieser Art reine Zah-
demische Erstarrung viel stärker sein Biedermann, Hans (1987): Wesen, die lenmystik war, bleibt die Frage, was
würde und die Geistesgeschichte wei- es „fast nicht gibt“, in: Mysteriöse Fa- man als den Beginn der Menschheitsge-
terhin ein Stiefkind der Universitäten beltiere und geisterhafte Wesen. Lu- schichte definieren will. Schrift? Feuer-
bleiben würde. Die erneut in unserer zern, Motovun, S. 6-7. benützung? Aufrechter Gang? Denk-
Zeitschrift (SYNESIS Nr. 1/2002, S. Da ich mit Biedermann bis zu sei- vermögen? ...
21–28) vorgetragene Arbeit des Zoolo- nem Tod in sehr regem Briefaustausch In diesem Punkt unterscheidet sich
gen und Biologen François de Sarre reg- stand, dürfte meine Fehlinformation aus Dacqué von allen heutigen Vorstellun-
te mich an, den großen Vordenker mit jener Quelle stammen]. gen (außer de Sarre und den bei ihm ge-
einer kurzen Betrachtung seiner Thesen So werden Aktionen aufgebauscht. nannten Pionieren). Er sagt, dass die
noch einmal aufleben zu lassen. Dennoch stimmt es, dass diesem genia- Entwicklung der Wirbeltiere mit dem
Wenn wir uns an Dacqués Wirken len Forscher die Anerkennung seitens Menschen begann, und dass alle Tierar-
erinnern, fällt einem zumeist nur das der Etablierten versagt blieb. Da aus die- ten von diesem Hauptstamm abge-
Skandalöse seiner Thesen ein: dass sem Grunde nur wenige heute Dacqués zweigt sind. Auf einer Übersichtstafel
Mensch und Saurier Zeitgenossen wa- Werke kennen, will ich einen kurzen Ein- (S. 252) beginnen die Adamiten bereits
ren, dass der Mensch die Grundlinie der blick in das oben genannte Buch brin- in der Steinkohlenzeit; sie waren horn-
Schöpfung ist, die anderen Wirbeltiere gen. gepanzert, lebten amphibisch zwischen
die Abarten und Spezialisierungen, dass Sein Ansatz oder Einstieg hat gewis- Wasser und Land, gingen noch auf allen
die Naturgeschichte ein anderes Zeit- se Gemeinsamkeiten mit Hanns Hörbi- Vieren (im Gegensatz dazu: de Sarre
maß hatte als das akademische usw. gers Welteislehre (die ein Jahr vorher in nimmt Zweifüßigkeit als Urform an)
Dacqués frühere Schriften (1921 2. Auflage herauskam), indem er die und waren natursomnambule Wesen,
und 1923) spiegelten noch das aner- Mythen und Überlieferungen der Völker also noch nicht mit analytischem Den-
kannte akademische Muster wieder. auf ihren katastrophistischen Wahr- ken beschäftigt, sagten auch noch nicht
Erst in diesem neuen Werk (1924) zeigt heitsgehalt hin untersucht. Dabei hat er „ich“ sondern „wir“. Als nächste große
er sich als der Ketzer. An diesen Mann allerdings mit seiner umfangreicheren Stufe gibt es die Noachiten des Erdmit-
erinnert man sich, der angefeindet, aus Bildung einen viel größeren Hebel ange- telalters, genauer der Kreidezeit; sie
dem akademischen Betrieb verdrängt setzt, als dies der Ingenieur Hörbiger kämpften mit Drachen und entwickel-
und lächerlich gemacht wurde. In die- gekonnt hätte. Zumindest ergänzen sich ten den Heldenbegriff. Ihre Taten sind
sem Punkt muss ich jedoch eine Berich- die beiden, wo es um Sintfluten und unsere Mythen. Der Bruch zum Tertiär
tigung bringen: Ich hatte gehört, dass Mondstürze geht, während Dacqué die entspricht der Sintflut Noahs, Gondwa-
Dacqué wegen seiner Thesen seinen Veränderungen im Sonnensystem in viel naland ging unter, die letzten Menschen
Lehrstuhl an der Universität München weiterem Maße erkennt, auch in einem mit dem dritten Stirnauge erlagen der
aufgeben musste, und hatte das auch im weiteren Maß, als dies Velikovsky ein Katastrophe.
Berliner Geschichtssalon 1995 so wei- Vierteljahrhundert später gelungen war. Im folgenden Alt-Tertiär geht auch
tergegeben. Im 2. Kapitel, „Wirklichkeitswert Lemuria unter, Atlantis wird besiedelt,
Horst Friedrich schreibt nun (in der der Sagen und Mythen“, spricht er auch der Weinstock wird angebaut, die Natur-
Zeitschrift Bipedia von F. de Sarre, Nr. gleich den chronologischen Faktor an. verbundenheit geht allmählich verloren.
20, Jan. 2002, S. 28): „Dacqué war Wir möchten den alten Sumerern gern Das Jung-Tertiär ist die Zeit der Abspal-
zwar Professor an der Münchener Lud- einige Jahrtausende zugestehen, sie tung der Menschenaffen vom Men-
wig-Maximilian-Universität, hatte aber selbst sprachen aber von Jahrhundert- schen. Aufrechter Gang ist jetzt end-

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gültig (im biologischen Sinn, nicht wie handelt haben, wie die Antwort Gilga- was er sein und werden sollte, wenn-
bei Erich Kästner), Astrologie und be- meschs nahe legt: „Ich schau dich an, gleich mit allerlei grundlegenden Ver-
sonders Sonnenkult sind die religiösen Utnapischtim. Deine Maße sind nicht änderungen seiner Gestalt; und daß er,
Merkmale. anders, gerade wie ich bist auch du!“ körperlich und seelisch mit der Tierwelt
Im Diluvium geht wiederum eine Die verwachsene Hand macht jeder stammesverwandt, doch als die von Ur-
Kultur zugrunde: Atlantis versinkt. Und Mensch als Embryo noch durch; viele anfang an höhere Potenz die anderen
im letzten Abschnitt, dem Alluvium, tritt Sagen deuten dies an, Dämonen auf aus seinem Stamm entlassen haben
der apollinische Mensch mit den histori- Mayabildern haben verwachsene Hän- muß, nicht umgekehrt.“
schen Kulturen auf den Plan. de, und einige im deutschen Sandstein Dacqués Sprache ist packend, von
Gewiss tue ich diesem großen Den- der Perm-Triaszeit erhaltene Spuren ungeahnter neuer Kraft, wie sie Haeckel
ker Unrecht, wenn ich sein wohldurch- ebenfalls. oder Darwin nie aufbrachten. Hier ist
dachtes Zeitschema in diesen kurzen Fünffingrigkeit gilt seit langem als mehr als nur theologische Besserwisse-
Sätzen wiedergebe. Ich möchte anre- Beweis für höhere menschenähnliche rei, hier ist eine Weltanschauung zu Wort
gen, das Original zu lesen! Außerdem Formen. Der Fossilienkenner Dacqué gekommen. Hören wir noch folgenden
möchte ich zeigen, wie sehr unsere neu- kann zeigen (S. 63), dass schon im Kar- Satz: „Gewaltige Katastrophen kosmi-
eren Theorien auf diesem Schema fu- bonzeitalter einige Wesen fünffingrig scher Natur waren es, die mit der ganzen
ßen. Es ist ja nicht so, dass man nur waren, und dass dies vermutlich eine Wucht apokalyptischer Ereignisse sich
dann diese Pioniere wie Hörbiger und Schwundstufe einer früheren Sechs- der Urmenschenseele einprägten und
Dacqué zitieren muss, wenn man sie fingrigkeit darstellt, was uns die eigen- nun im Mythos unverblaßt fortleben.“
persönlich gelesen hat. Wir sind ja artige Diskussion über orientalische (S. 203)
durch unsere Erziehung und die kultu- Eingeweihte (Bu–Sta, arab.) in Erinne- Bei Überlegungen zur Entstehung
rellen Bewegungen unseres Jahrhun- rung ruft, denn der sechste Finger der Festlandsockel kommt Dacqué (S.
derts geprägt von den jahrelangen Dis- kommt bei ihnen als „Atavismus“ vor. 217) zu der Einsicht, dass das Zentral-
kussionen, die sich an diese Schriften Die fünf Finger gehören zu Lebewesen, problem paläographischer Forschung
gehängt hatten. Unsere Lehrer und El- die an Land gingen, vermutlich schon einer Lösung zugeführt werden könnte,
tern kannten die großen Vordenker noch halb aufrecht; sie waren unsere Ahnen, wenn man den Wasserzufluss aus dem
und haben sich oft heiße Debatten um wenn man der Entwicklungstheorie fol- Weltraum für die erdgeschichtlichen
ihre Thesen geliefert. Velikovsky war gen will. Die Vorstufe wären siebenfing- Epochen als Tatsache einbeziehen wür-
von diesen Ideen zutiefst geprägt, auch rige Wassertiere gewesen. de; und „man würde damit auch wieder
wenn er es aus religiösen Gründen nicht Wir sehen schon: Fische waren nicht zur Anerkennung kosmisch bedingter
hervorgekehrt hat. die Grundstufe der Menschheit, son- Katastrophen kommen, wie es die Hero-
Wenn es den Menschen schon seit dern der Mensch war die Grundstufe en der erdgeschichtlichen Forschung
ungezählten Äonen, seit dem Erdalter- für alle anderen höheren Tiere. Das am Ende des 18. und am Anfang des
tum sogar gibt, dann stellt sich die Fra- deckt sich mit Platon (Timaios), aber 19. Jahrhunderts noch ahnten und
ge, warum wir keine Fossilien von ihm ob Platons Dialoge Dacqués Einwei- schauten...“
oder seiner Tätigkeit finden. Dacqués hungserlebnis waren? Er wandte sich scharf gegen Lyell
Überlegungen (S. 75 ff) sind einleuch- Dacqué geht auch auf das dritte und dessen Uniformismus, dem er die
tend: Der ehemalige Kontinent Gond- Auge ein, denn das Stirnauge ist ja in vie- Erdkatastrophen entgegenstellte. Die
wana, auf dem der adamitische Mensch len Sagen vorhanden, wenngleich diese Sätze am Ende des 1. Teils seines Bu-
sich entwickelte, liegt heute größtenteils Riesen dann meist nur dieses eine Stirn- ches sind wegweisend für viele gewe-
unter Wasser, und die Festlandstücke auge besaßen. Das Problem bleibt zu- sen. Unsere „behäbige Auffassung des
sind (oder waren 1924) noch kaum er- nächst ungelöst, nur der Zusammen- erdgeschichtlichen Ablaufs“, die wir
forscht. Dacqué hofft auf künftige Fun- hang mit der Zirbeldrüse, die auch für Lyell und Darwin verdanken, und die
de, weiß aber, dass Fossilien nur im Zu- Riesenwuchs und geschlechtliche wohl im gewisser Harmonie mit dem
sammenhang mit Katastrophen (kosmi- Frühreife verantwortlich ist, wird ge- stabilen Bürgertum des 19. Jh.s stand,
schen oder vulkanischen und mariti- zeigt. hat die besten Werte der elementaren
men) zu erwarten sind, und dass gera- Eines der Schlüsselwörter bei Dac- Katastrophentheorie Cuviers ganz in
de die katastrophischen Kräfte fast alles qué ist der Zeitcharakter oder noch ge- den Hintergrund gedrängt. „Erst
zerstören. Nur im Flachmeer sind die nauer: die Zeitsignatur der Lebewesen. neuerdings kommen sowohl Erdge-
Bedingungen für erhaltene Abdrücke Es gibt Gestaltbildungen, die allen ver- schichte wie Biologie wieder zu stärke-
und Versteinerungen günstig. wandten Tierformen in einem gewissen rer Betonung der Tatsache, dass Zeiten
Aber es kommt noch ein erschwe- Zeitraum eigen sind. Andererseits sind ruhiger Evolution mit Zeiten revolutio-
render Umstand hinzu: Würden wir parallele Entwicklungen einer Säugetier- närer Gewaltwirkung auf dem Erdkör-
denn den Rest eines Frühmenschen als form oder Menschenrasse häufig, so per und in der Lebensentfaltung wech-
solchen erkennen? Sah der ferne Vor- dass deren späteres Wiederzusammen- selten, wie wir es jetzt auch wieder so
fahre denn genauso aus wie der heutige treffen überraschende Ergebnisse ungeheuerlich im Völkerleben sehen.“
Mensch? Vielleicht war seine Hand bringt. Oannes, der babylonische Dennoch hat sich der Katastrophismus
anders, wie Utnapischtim bemerkt, als Fischmensch, lehrt die einfachen Men- auch in den folgenden 70 Jahren nicht
ihm Gilgamesch im Boot naht und ver- schen, denn er hat ein großes Wissen durchsetzen können, so umstürzend die
mutlich die rechte Hand zum Gruß bewahrt, das weit zurückreicht in ein Ereignisse im Leben der tonangebenden
hoch hob: „Der da kommt ist doch kein Zeitalter, da der Mensch noch fischähn- Völker auch gewesen sein mögen. Hier
Mensch, die Rechte eines Mannes hat er lich aussah. Riesen, Menschen und versagte der Parallelismus zwischen
nicht.“ Utnapischtim, der vornoachiti- Zwerge lebten gleichzeitig und ergänz- Sozialgeschehen und Wissenschaft.
sche Mensch, hatte vielleicht noch Hän- ten sich gegenseitig. Auf wen Dacqué zurückgreifen
de, deren Glieder verwachsen waren. An einer Stelle (S. 95) fasst Dacqué konnte, wäre noch zu erwähnen. In bi-
Das muss eine sehr frühe Entwicklungs- seine Erkenntnis so zusammen, „daß ologischer Hinsicht wichtig war für ihn
stufe sein, und doch wird es sich um der Mensch ein eigenes Wesen, ein eige- das postume Werk von H. Klaatsch
einen aufrecht gehenden Menschen ge- ner Stamm ist, uranfänglich gewesen, (1920): „Der Werdegang der Mensch-

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heit und die Entstehung der Kultur“ blieben auf dieser Stufe der naturwis- Hauptlinie bedeutet. Anthropozentrische
(Berlin). Kulturell bedeutend sind Bach- senschaftlichen Denkweise, er hat den Philosophie? Gewiss doch, und zu
ofen, Frobenius, Spengler, auch Böl- Sprung ins Geistige tatsächlich vollzo- Recht.
sche, Helene Blavatsky, geologisch na- gen: „Die Urgestalt. Der Schöpfungs-
türlich die Welteislehre, ganz besonders mythos neu erzählt“ (Insel-Verlag 1951)
Hanns Fischer, sie alle werden mehrfach bezeugt die Größe seiner Weltschau, Einige Werke von Edgar Dacqué:
zitiert; selbst Friedrich Delitzsch und J. wahrhaft gnostisch, an Jakob Böhme (1921): Biologische Formenkunde der fos-
G. Frazer sind erwähnt, und last but not geschult. Hier erst findet der Naturwis- silen niederen Tiere (Berlin)
least Martin Buber. Der Entelechie-Ge- senschaftler seine Erfüllung. Aus die- (1923): Biologie der fossilen Tiere (Samm-
danke, von Hans Driesch am besten ver- sem Buch wird klar, wie Dacqué das lung Göschen, Berlin und Leipzig)
treten, findet sich bei Dacqué sehr aus- Menschwerden versteht: als ein ethi- (1924): Urwelt, Sage und Menschheit
geprägt. Aber am Ende ist es doch sein scher Vorgang, als Bewusstwerden der (München)
ganz persönliches Werk, unvergleich- Verantwortung vor dem eigenen Ent- (1951): Die Urgestalt (2. Aufl.; Insel-Ver-


lich in seiner Offenheit und seinem wicklungsgang, als Bewahrung einer lag)
Sprung nach vorn. Zielsetzung, der gegenüber die tierische
Dacqué ist übrigens nicht stehen ge- Weiterentwicklung ein Abfall von der

Hans-Joachim Zillmer

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