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150 Jahre

Hotel zur Linde


Spiekeroog

1856-2006
Schöne Linde!
Deine Rinde
Nehm den Wunsch von
meiner Hand:
Kröne mit den sanften Schatten
Diese saatbegrasten Matten,
Stehe sicher vor dem Brand.
Reißt die graue Zeit hier nieder
Deine Brüder:
Soll der Lenz diese Äst
Jedes Jahr belauben wieder
Und dich hegen wurzelfest

Johann Klaj (1616-1656)

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W as dieser Dichter vor rund vierhun-
dert Jahren einer “schönen Linde”
wünschte, wünsche ich auch unserem
Lindenbaum und dem dahinter stehen-
den “Hotel zur Linde”, das in diesem
Jahr 150 Jahre alt wird. Der Lindenbaum
wurde wohl schon um 1800 gepflanzt.

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H äuser leben und haben ihre
Schicksale wie deren Bewohner.
Die Erben des Inselvogtes Willms
besaßen den bisher einzigen, 1856 neu
erbauten Gasthof “zur Linde”, verfüg-
ten über das Monopol des Alkohol-
verkaufs sowie den einzigen Kolonial-
warenladen der Insel. Der Gasthof
hatte drei Gästezimmer und ein
“Conversationslokal”. Das war ein
Raum, in dem sich auch die übrigen
Gäste der Insel zur Unterhaltung oder
zur Einnahme der Mittagsmahlzeiten
treffen konnten.

Im August 1878 schwärmte ein Gast


über das Spiekerooger Badeleben: ...
In anderer Weise kann man sich eben-
falls manche angenehme Stunde ver-
schaffen, nämlich durch Anhörung
geistreicher Gespräche unter der schö-
nen Linde vor dem Hotel Willms.

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1884 schreibt die Bade-Kommission: ...
zwei Gasthöfe im Dorfe, Gasthof
“zur Linde” und “König von Hannover”
(später “Günsels Hotel” und danach
“Sporthotel”) und Restauration am
Strand. Table d’hote 2,00 M.
Die Zeit, wann zu Mittag gespeist wird,
geben gedruckte, in allen Wohnungen
angeschlagene Tabellen an.
Es werden auch Portionen aus dem
Haus gegeben.
Volle Pension 28. - 30 M. pro Woche

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D er erste Besitzer war Willem
Janssen Willms (20.10.1817 - 1872).
Steffen Willms (11.7.1841 - 7.9.1875),
sein Sohn und Nachfolger, heiratete am
8.12.1865 Gretje Hedwig Willms
(5.6.1842 - 18.6.1888).
Am 6.1.1880 heiratete Gretje Hedwig
Willms in zweiter Ehe Johann Adam
Janssen (8.7.1837 - 3.7.1924).
1904 kaufte Sander Johannes Sanders
(1871 - 1957) den Gasthof.
1950 übernahm dessen Sohn Hans-
Christel Sanders (1919 - 1996) das
“Hotel zur Linde” und 1987 übernahm
dessen Sohn Johannes Sanders in drit-
ter Generation das Hotel.
Nils-Uwe Ahsendorf führt seit Oktober
1997 (erst als Geschäftsführer und seit
1.3.2001 als Pächter) das Hotel in alter
Tradition erfolgreich fort.

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Seit Bestehen des Gasthofes bzw. des
Hotels wurde ständig renoviert, moder-
nisiert, an- und umgebaut.
Die größten Veränderungen fielen in
die Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts.

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1906 wurde der nördliche
Anbau erstellt

1911/12 erfolgte der südliche


Aufbau

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1958 entstand aus der “Kellerstube“
eine Weinstube mit Durchbruch zum
Saal, der Vorraum im Eingangsbereich
wurde modernisiert.

1965 baute Joachim Weerth die


Gaststube (das jetzige Kap Hoorn)
incl. der dazugehörigen Veranda um.

1973 erfolgte eine grundlegende


Renovierung des Hotels durch den
Architekten Herrn Klussmann und auch
die letzten Zimmer bekamen jetzt
Zentralheizung, Dusche und WC.

1989 wurde das Dach des Südflügels


neu gedeckt und die Personalzimmer
weiter ausgebaut.

1994 und 2002 erhielt der Saal (heute


Siwalu) sein jetziges Aussehen.

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1996 Umgestaltung der Gaststube zur
maritimen Kneipe “Kap Hoorn”.

2001/2002 bekamen alle Zimmer ein


neues Gesicht, die Bausubstanz
wurde restauriert und renoviert und
alle Sanitäranlagen wurden erneuert.

S eit dem Bestehen des “Hotel zur


Linde” sind drei Kriege vergangen:
1870/71 · 1914/18 · 1939/45

Während des letzten Krieges durften


keine Gäste auf die Insel kommen, und
man fragt sich, wie die Hotelbesitzer,
deren einzige Einnahmequelle der
Fremdenverkehr war, diese Jahre über-
standen haben.

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N ach 1945 lief die Saison langsam
wieder an. Die Verpflegung war
schwierig. Bis 1949 wurden Nahrungs-
mittel nur auf Lebensmittelkarten abge-
geben, aber das reichte nicht.
Die Hotelgäste mussten, besonders in
den Jahren vor der Währungsreform im
Jahre 1948 , zusätzlich noch Naturalien
mitbringen wie z.B. Kartoffeln, Hülsen-
früchte, Wein, Brikett.
Es befanden sich aber auch kuriose
Dinge unter den Naturalien: eine riesi-
ge Kiste mit Türschlössern stand jahre-
lang im “Hotel zur Linde”.

A us Statistiken der 20er und 30er


Jahre ist zu entnehmen, dass das Hotel
während der Monate Juli/ August täg-
lich bis zu 60 Übernachtungen ver-
zeichnete.
Ab 1928 kamen noch 30 Übernachtun-
gen der neu erbauten Dependance
“Haus Linde”(abgerissen im Jahre 2002,
jetziger Standort der “Leidenschaft”)
hinzu, deren Gäste im Hotel mit ver-
pflegt wurden.

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I n den Monaten Juni und September
war etwa 1/4 der Bettenzahl belegt,
und in der übrigen Zeit verirrte sich
kaum ein Gast auf die Insel.
Das änderte sich ganz allmählich, und
inzwischen gibt es für das Hotel nur
noch eine kurze Winterpause.
Bevor es im Kurzentrum einen Saal für
Veranstaltungen gab, fanden Mode-
schauen, musikalische Darbietungen
und Kabaretts im “Hotel zur Linde”
statt.
So gastierte der kürzlich verstorbene
Hans-Dieter Hüsch bereits ab 1958 im
“Hotel zur Linde”.
Hochzeiten der Insulaner oder auch
auswärtiger Gäste wurden gerne im
Hotel gefeiert.
Während der Sommermonate engagier-
te das Hotel eine Kapelle, die abends
zum Tanz aufspielte. Man achtete streng
darauf, dass die Damen und Herren in
angemessener Kleidung erschienen
(die Herren nicht ohne Krawatte und
natürlich nicht in Freizeitschuhen). Die
Kellner servierten im Frack.

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Hier möchte ich eine Begebenheit ein-
flechten, die ein Licht auf die damali-
gen Moralvorstellungen wirft (1951).
Die Kapelle bestand aus drei Musikern
und einer Sängerin. Der Kapellenleiter
war mit der Sängerin liiert. Einer der
Musiker hatte sich mit dem Kapellen-
leiter und auch mit dem Wirt überwor-
fen und zeigte den einen wegen
Unzucht, den anderen wegen Kuppelei
an. Beide wurden zu einer Geldstrafe
verurteilt, die einem gemeinnützigen
Zweck zugute kam.

B evor die Sommergäste eintrafen,


wurde großer Frühjahrsputz gehalten,
was man in Ostfriesland “Schummeln”
nennt. Die “Lindenwirtin” Sophie
Sanders (Ehefrau von Sander Johannes
Sanders) achtete darauf, dass auch der
Stamm und die Äste des Lindenbaumes
mit Wasser und Bürste geschrubbt wur-
den.Wem das unwahrscheinlich vor-
kommen mag, der erinnere sich an den
“Nachsommer” von Adalbert Stifter
(1805 - 1868), in dem die Bäume auch
auf diese Art behandelt wurden.

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Z wei Ereignisse fielen in die Herbst-
und Winterzeit:
Schweine schlachten und Eis einfahren.
Im November wurden die Schweine,
die man im Sommer mit Essensresten
mästete, unter Mithilfe der Nachbarn
geschlachtet und verarbeitet. Für ihre
Mithilfe erhielten die Nachbarn aus
der Schlachtung Naturalien.

Bevor es elektrische Kühlschränke und


Kühlhäuser auf der Insel gab, wurden
die Lebensmittel und Weine mit Roheis
gekühlt. Hinter der jetzigen Deichkrone
im Westen befanden sich zwei Teiche.
Während der Frostperiode, wenn sich
eine genügend dicke Eisschicht auf
den Teichen gebildet hatte, wurde das
Eis per Pferdewagen in den “Eiskeller”
hinter dem Hotel gebracht. Der “Eis-
keller” (er besteht bis auf den heutigen
Tag, wird allerdings nicht mehr genutzt)
ist doppelwandig und der Zwischen-
raum mit Torfmull gefüllt, und das Eis
hielt sich darin den ganzen Sommer
über.

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War der Winter zu milde, und es konn-
te sich keine Eisschicht bilden, brachte
man das Eis auf dem Seeweg aus
Norwegen auf die Insel.

E in einschneidendes Ereignis war die


Orkanflut von 1962, wobei das “Hotel
zur Linde” noch glimpflich davon kam.
Es wurde “nur” der Keller des nördli-
chen Anbaus überschwemmt, was aber
trotzdem einen beträchtlichen Schaden
verursachte. Es befanden sich dort das
Kühlhaus, der Heizungskeller, der
Waschkeller, der Vorrats- und Wein-
keller, sowie der Handwerkskeller.
Alle Räume pumpte die Feuerwehr in
den folgenden Tagen leer.
Zu der Zeit wohnten 10 Geschäftsrei-
sende im Hotel. Das Wohnzimmer mit
dem guten alten Kachelofen wurde
zum Gastzimmer, und an dem großen
ausgezogenen Eichentisch fanden sich
alle zum Eintopf zusammen.
Glücklicherweise stand in der Küche
noch ein großer Kohleherd.

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Da im Weinkeller und im Konserven-
keller alle Etiketten von Flaschen und
Dosen vom Hochwasser abgelöst wur-
den, gab es in der Folgezeit manche
Überraschung bei der Wahl des Weines
oder der Beilagen zum Essen.

S eit dem sind über 40 Jahre


vergangen, und ein neuer hoher Deich
beschützt unser Dorf.

Nichts bleibt wie es ist.


Alles ist im Wandel begriffen.

Und vielleicht findet sich nach


abermals 150 Jahren jemand, der die
Zeit beschreibt, die noch im Dunkeln
vor uns liegt.

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Geschrieben hat Ilse Sanders
Die Gestaltung kommt von Imke Sanders
und Dr. Kirsten Sanders-Seiter
entpuppte sich als Fürsorgerin

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