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Editorial
Widerstand in der nationalsozialistischen Diktatur war im-
mer die Haltung von sehr wenigen, von einzelnen und oft
sehr einsamen Menschen. In diesem System mit totalitärem
Anspruch riskierten Menschen, die Widerstand leisteten, ihr
Leben. Umgeben waren sie von einer Bevölkerung, die sich
in ihrer Mehrheit anpasste, ja vom Nationalsozialismus be-
geistert zeigte und das Regime trug.
Um die Vielfalt der Motive und Handlungen zu veran-
schaulichen, aus denen heraus eine kleine Minderheit tätig
wurde, ist dieses Heft stark biografisch ausgerichtet. Was
veranlasste Einzelne, Widerstand zu leisten, was motivierte
59 sie zu ihren Aktionen, wer unterstützte sie? Welche Folgen
mussten sie gewärtigen? Ohne Anspruch auf Vollständig-
keit zu erheben, wird hier beispielhaft das breite, vielfältige
76 Spektrum des deutschen Widerstands gezeigt, das sich nur
schwer in Kategorien fassen lässt.
Um eine Übersicht zu ermöglichen, werden im Heft die
Widerstandshandlungen vor dem Zweiten Weltkrieg und
während des Krieges behandelt und gesellschaftlichen
Gruppen zugeordnet, die sich auf vielfältige Art und Weise
widersetzten. Dazu gehörten Hilfen für Verfolgte, Unterge-
tauchte und Zwangsarbeiter, die Herstellung und Vertei-
lung von Flugblättern und Klebezetteln, das Abhören und
Verbreiten von Nachrichten ausländischer Radiosender, das
Bemalen von Wänden mit Parolen gegen die NS-Herrschaft,
das Verweigern und die Desertion vom Kriegsdienst, die In-
formation über die nationalsozialistischen Verbrechen, die
Vorbereitung von Attentaten auf den Diktator und die nati-
onalsozialistische Führung.
Für die Mehrheit der Zeitgenossen waren Menschen, die
Widerstand leisteten, „Volksverräter“. Doch Widerstand ist
vielfältig interpretierbar und kann im Laufe der Zeit an-
ders gedeutet werden. Heute werden viele derjenigen, die
sich dem NS-Regime widersetzten, für ihren Mut und ihre
Die Wahrnehmung des Widerstands nach 1945 76 Zivilcourage angesichts eines verbrecherischen Regimes öf-
Öffentlichkeit und politische Würdigungen 76 fentlich gewürdigt und mit Erinnerungszeichen und Denk-
Der Remer-Prozess – ein Wendepunkt 78 mälern geehrt.
Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen aus der NS-Zeit
Ringen um Entschädigung 78
wurde im Grundgesetz Artikel 20 Absatz 4 verankert, um
Fehlende juristische Aufarbeitung 79 die Verfassungsprinzipien der Bundesrepublik Deutschland,
Historische und mediale Aufarbeitung 79 die freiheitliche demokratische Grundordnung, die Rechts-
staatlichkeit und die Menschenwürde, zu schützen: „Gegen
jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen,
Literaturhinweise und Internetadressen 80 haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn
andere Abhilfe nicht möglich ist.“
Das Beispiel der Menschen, die im Nationalsozialismus
Der Autor und die Autorin 83 Widerstand geleistet haben, kann Anstoß geben, darüber
nachzudenken, welche Handlungsmöglichkeiten und -spiel-
räume dem Einzelnen bleiben, wenn die demokratische
Impressum 83 Ordnung gefährdet ist.
Widerstand komme, so Klaus von Dohnanyi, Sohn des 1945
hingerichteten Widerstandskämpfers Hans von Dohnanyi,
immer zu spät. Entscheidend sei, dass Zivilcourage und Ord-
nung vorher gewahrt werden.
Jutta Klaeren
Widerstand gegen
den Nationalsozialismus –
eine Einführung
„Widerstand ist nicht, Widerstand wird!“ – mit diesen Wor- Aus heutiger Sicht umfasst der Begriff des Widerstands ein
ten beschrieb Joachim Gauck als damaliger Vorsitzender des weites Spektrum von Verhaltensweisen. Zu seinen Ausgangs-
Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ im Juli 2004 den punkten gehörten systemkritische Haltungen, Selbstbehaup-
prozesshaften Charakter aller gegen die nationalsozialisti- tung gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie oder die
sche Diktatur gerichteten Verhaltensweisen. Damit verwies er Verweigerung regimetreuer Aktivitäten. So konnten sich unter-
nicht nur auf die Vielfalt und Wandlungsfähigkeit des Wider- schiedliche Formen der Gegenöffentlichkeit oder des Protests
stands gegen den Nationalsozialismus, sondern gleichzeitig entwickeln. Sie boten wiederum die Voraussetzungen für die
auch darauf, dass sich dieser Widerstand starren und einseiti- aktive Gegnerschaft oder für die politische Verschwörung, die
gen Erklärungsversuchen entzieht. auf eine Veränderung der Verhältnisse oder den Umsturz des
Widerstand gegen den Nationalsozialismus kann zuerst Regimes nach einem gelungenen Attentat auf Hitler zielten.
einmal als Oberbegriff für alle Formen aktiven Handelns ge- Das handlungsorientierte und umfassende Verständnis des
gen die nationalsozialistische Ideologie und Herrschaftspraxis Widerstands ermöglicht es der historischen Forschung, nicht
verstanden werden. Beschrieben wird damit ein Verhalten, nur die Existenz von Handlungsspielräumen unter den Bedin-
das mehr ist als nur eine kritische Einstellung gegenüber der gungen der Diktatur aufzuzeigen, sondern auch danach zu fra-
Diktatur. Es setzt nicht nur die Bereitschaft zur Aktion voraus, gen, ob und wie sie genutzt wurden. Denn nur wenige ergrif-
sondern erfordert konkrete Handlungen. Diese Handlungen fen die Möglichkeiten, die noch zur politischen Aktion gegen
waren immer mit einem Risiko für die eigene Person oder für den Nationalsozialismus bestanden. Widerstand war damit in
Familienangehörige verbunden. der NS-Zeit das abweichende Verhalten einer Minderheit ge-
genüber der Mehrheitsgesellschaft.
bpk / Carl Weinrother
Barch, R3017/3828
Drei Pfeile – Symbol der Eisernen Front, Demonstration in Berlin am 1. Mai 1932 Von Walter Klingenbeck gemaltes „Victory“-Zeichen, München-Bogenhausen 1941
Gegen Monarchisten, Kommunisten und Nationalsozialisten – die Mitglieder der Der 1924 geborene Münchener Mechanikerlehrling verbreitet 1941 gemeinsam mit
Eisernen Front bekennen sich zum Weimarer Verfassungsstaat und wollen ihn ge- Freunden Nachrichten, die sie beim Abhören ausländischer „Feindsender“ erfahren
gen seine Feinde schützen. Manche sehen in den Pfeilen auch die SPD, die freien haben. Zudem malt Klingenbeck auf Hauswände und Straßenschilder mit schwar-
Gewerkschaften und das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Nicht nur mit großen De- zer Ölfarbe das „Victory“-Zeichen, ein Symbol für den Sieg der Alliierten. Er wird im
monstrationen wollen sie gemeinsam den Nationalsozialismus bekämpfen und die September 1942 vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und am 5. August 1943
Demokratie bewahren. in München-Stadelheim enthauptet.
GDW
nalsozialisten wenden.
Vor der nationalsozialistischen Regierungsübernahme 1933 Illegales Treffen von SPD- und SAP-Mitgliedern an der deutsch-tschechischen
hatten vor allem die Parteien der Arbeiterbewegung, aber auch Grenze im Riesengebirge um 1935
viele Künstler und Intellektuelle vor den Gefahren des Natio- In Berlin sammelt der Junggewerkschafter Willi Gabriel (r. mit seiner Frau Erna)
nalsozialismus gewarnt. Nach ihrer Regierungsübernahme im Informationen über die „Köpenicker Blutwoche“, in der die SA 1933 mehr als 20
Menschen ermordet hat. Zusammen mit Fritz Benke (3. v. r.), einem Mitglied der
Januar 1933 betrieben die Nationalsozialisten dann ebenso zü-
Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), gibt er in einer Holzbaude für Skifahrer
gig und planmäßig wie gewalttätig die Ausschaltung aller poli- und Wanderer im Riesengebirge das Material an seinen Schwager, den früheren
tischen Gegner und Konkurrenten. Alle Parteien außer der Nati- Köpenicker Jungbannerleiter Paul Hasche, weiter.
onalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) wurden
verboten; ein Medien- und Meinungsmonopol sollte die politi-
sche „Gleichschaltung“ der deutschen Bevölkerung sichern. Die
Grundrechte der Weimarer Verfassung wurden nach einem
Brandanschlag auf das Reichstagsgebäude mit der „Reichstags-
brandverordnung“ vom 28. Februar 1933 aufgehoben.
So sahen sich etwa Kommunisten, Sozialdemokraten, Sozialis-
ten und Gewerkschafter erst einmal gezwungen, neue Organi-
sationsstrukturen aufzubauen, bevor sie mit Flugschriften und
Flugblättern über den menschenverachtenden Charakter der
neuen Diktatur informieren konnten. Die Nationalsozialisten be-
trachteten dies als „Hochverrat“, den sie mit hohen Haftstrafen
verfolgten. Dennoch wurden aus den traditionellen Milieus der
Arbeiterbewegung immer wieder Versuche unternommen, alte
Privatbesitz
Kontakte zu bewahren und neue Widerstandsgruppen zu bilden,
um aktiv an der Beseitigung der NS-Diktatur mitzuwirken.
Die Verteidigung der eigenen Normen und Werte sowie der
Auflösung einer nicht genehmigten Bibelfreizeit evangelischer Jugendlicher in
geistigen Unabhängigkeit findet sich ebenso bei den liberalen Oberstein/Bayern um 1937
wie bei den konservativen NS-Gegnern. Einzelne wagten es, sich
Weil die Gestapo alle Treffen christlicher Jugendlicher kontrollieren will, müssen
offen gegen die Zumutungen der neuen Machthaber aufzuleh- Bibeltage, Jugendlager und Jugendfreizeiten polizeilich angemeldet werden. Ist
nen und fanden ihren Weg in den aktiven Widerstand. dies nicht der Fall, werden die Veranstaltungen sofort aufgelöst.
Auch Christen beider Konfessionen und Mitglieder kleinerer
religiöser Gemeinschaften wehrten sich gegen Übergriffe des
Staates auf die Freiheit des Glaubens. Sie dokumentierten ihren gimegegnerschaft. So desertierten etwa Soldaten, weil sie mit den
Willen zur geistigen Selbstbehauptung und verteidigten so aktiv nationalsozialistischen Gewaltverbrechen konfrontiert wurden
die Freiheit des Bekenntnisses. und nicht bereit waren, einem verbrecherischen Staat zu dienen.
Selbst nahe dem Zentrum der Macht regte sich aktiver Wi- Auch die Unterstützung für verfolgte Juden, Zwangsarbeiter
derstand. Er zeigte sich in den militärischen Umsturzversuchen und Kriegsgefangene gehörte zu den Formen des Widerstands
zwischen 1938 und 1944 und der Verschwörung entschiedener im Kriegsalltag. Insbesondere die Hilfe für verfolgte Juden
Regimegegner, die auf den Sturz der NS-Herrschaft abzielten. wandte sich gegen einen Kernpunkt der NS-Ideologie.
Formen der Selbstbehauptung, der Verweigerung und der Regimegegner mussten im nationalsozialistischen Herr-
daraus folgenden Auflehnung fanden sich auch bei Jugendli- schaftsbereich besondere Vorsicht walten lassen. Sie hatten
chen. Mitglieder früherer politischer oder kirchlicher Jugend- sich vor der Polizei zu hüten, aber fast noch mehr vor ihren
verbände widersetzten sich der Gleichschaltung ebenso wie Nachbarn, die regimekritische Handlungen registrierten und
Mitglieder bündischer Gruppen, deren elitärer Anspruch auf vielfach bereitwillig meldeten. Viele Flugblätter der Opposi-
Neuausrichtung der Gesellschaft der NS-Massenideologie zu- tion kennen wir heute nur aus den Akten der Verfolgungsbe-
widerlief und die deshalb 1933 direkt verboten worden waren. hörden, da sie von ihren Empfängern zwar gelesen, aber dann
Sie verteidigten damit ihr Recht auf Selbstständigkeit und Un- oftmals rasch bei der Polizei abgegeben wurden. Denunziati-
abhängigkeit. onen führten in vielen Fällen zu Aktionen der Polizei oder der
Desertion und Kriegsdienstverweigerung aus politischen und Geheimen Staatspolizei (Gestapo) gegen Menschen, die sich
weltanschaulichen Gründen waren ebenfalls Ausdruck der Re- regimekritisch geäußert oder verhalten hatten.
Die Bereitschaft zum Widerstand gegen den Nationalsozialis- Modellbildung kann hier anregend sein, niemals jedoch die
mus beruhte auf einer individuellen, ganz persönlichen Ent- genaue historische Analyse ersetzen.
scheidung, zumeist sogar auf einer Reihe von Entschlüssen. In Gerade in der Kriegsphase spiegelte sich in vielfältigen Ak-
Interviews können viele ehemalige Widerstandskämpferin- tionen des Widerstands und des Protests gegen die national-
nen und Widerstandskämpfer oftmals einen genauen Punkt sozialistische Diktatur auch der Zerfall einer Gesellschaft, die
benennen, an dem Regimekritik oder Opposition in aktive mit dem militärischen Zusammenbruch zugleich auf ihre ge-
Gegnerschaft umschlug. Viele andere können dies jedoch we- sellschaftliche Katastrophe zutrieb.
der auf eine konkrete Einzelentscheidung noch auf einen ge- Es kann der Widerstandsforschung und der wissenschaft-
nauen Zeitpunkt festlegen. lichen Zeitgeschichte nur gelingen, die Vielfalt dieser Er-
Gruppenbildung und Vernetzung waren unter den Bedin- scheinungen wahrzunehmen, wenn sich die Forschenden
gungen der Diktatur keine einfachen Vorhaben, sondern häufig die Offenheit des Blicks und die Unbefangenheit des Urteils
komplex ablaufende Vorgänge, in deren Verlauf sich die Beteilig- bewahren, aber auch den Willen haben, das ganze Spektrum
ten erst einmal kennenlernen und Vertrauen zueinander fassen von Verhaltensmöglichkeiten zur Kenntnis zu nehmen. Im
mussten. Das gemeinsame Milieu, die gemeinsame Alterskohor- Widerstand wird dann die Alternative zur Anpassung und zur
te, gemeinsame Interessen – all diese Faktoren konnten Men- Folgebereitschaft der meisten Deutschen sichtbar. Und dies
schen zusammenführen. Die Gruppenbildung erfolgte vielfach wiederum weist durchgängig darauf hin, dass Zivilcourage
in einer gemeinsamen Suche nach politischer und weltanschau- und Teilhabe, die heute so selbstverständlich erscheinen, nie-
licher Übereinstimmung. Persönliche und politische Diskussio- mandem in den Schoß fallen.
nen gingen ineinander über. In diesen Diskussionen wurde vor
allem das Informationsmonopol der Diktatur in Frage gestellt.
Es ging darum, Informationen auszutauschen, sie mit der Propa-
ganda der Diktatur zu vergleichen und sich so ein eigenes Bild
von den politischen Prozessen der Gegenwart zu machen. Dabei
wurde oft der eigene politische Standort – in Abgrenzung vom
nationalsozialistischen System – bestimmt, bevor weitere Ak-
tionen erfolgten. „Gegenöffentlichkeit“ – so klein sie auch sein
mochte – war ein Ziel, das mit Flugblättern oder Wandparolen
erreicht werden sollte.
Widerstand wird so als Prozess einer Auseinandersetzung
mit dem Nationalsozialismus und dessen Verbrechen deut-
lich. Die Geschichte des Widerstands zeigt aber auch das
Spannungsfeld, in dem die Deutschen in der NS-Zeit standen.
Es reicht von Begeisterung, Anpassung und Nachfolgebereit-
Privatbesitz
Warnungen vor dem Nationalsozialis- ners, der Arbeitersportverbände und der freien Gewerkschaf-
mus vor 1933 ten sowie der Sozialdemokraten zur Eisernen Front zusammen.
Sie reagierten damit auf die antidemokratische und rechtsex-
treme Harzburger Front, die sich unter Beteiligung der Nati-
Nach dem Ende des Kaiserreichs im November 1918 prägten Auf- onalsozialisten im November 1931 zusammengefunden hatte.
stände und Putschversuche die ersten Jahre der Weimarer Repu- Die Eiserne Front wollte verhindern, dass aus der Republik ein
blik. In der Bevölkerung wie unter deren politischen Vertretern autoritärer Staat wurde. Doch die Arbeiterbewegung der Wei-
herrschte eine ausgeprägte Abneigung gegen politische und marer Republik war gespalten. Die Kommunisten bekämpften
soziale Kompromisse, die das Entstehen eines gemeinsamen die als „sozialfaschistisch“ diffamierte Sozialdemokratie mit
Verantwortungsbewusstseins für ihren neuen, demokratischen mindestens ebenso viel Energie wie den aufkommenden und
Staat verhinderte. immer stärker werdenden Nationalsozialismus.
Erst 1924 begann eine Phase relativer Stabilität und in- Einzelne Schriftsteller, Künstler, Intellektuelle und Wissen-
nenpolitischer Ruhe, die bis 1929 andauerte. Verbunden mit schaftler warnten frühzeitig, jedoch erfolglos, vor dem Natio-
wirtschaftlichem Aufschwung führte sie zu einer Blütezeit nalsozialismus. „Daß der Nazi dir einen Totenkranz flicht:
in Kunst, Kultur und Wissenschaft. Eine Zwiespältigkeit zwi- Deutschland, siehst du das nicht?“, fragte Kurt Tucholsky 1930
schen Fortschritt und Stagnation, demokratischem Ringen in seinem Gedicht „Deutschland, erwache“. Carl von Ossietz-
und Anarchie, Moderne und Beharren auf Tradition kenn- ky, der Herausgeber der Zeitschrift „Weltbühne“, schrieb Ende
zeichnete die „Goldenen Zwanziger“. Technischer Fortschritt 1931: „Die gleiche Not, die alle schwächt, ist Hitlers Stärke. Der
und künstlerische Experimentierfreudigkeit beflügelten das Nationalsozialismus bringt wenigstens die letzte Hoffnung
Lebensgefühl. von Verhungernden: den Kannibalismus. Man kann sich
Dies alles endete mit der im Oktober 1929 einsetzenden schließlich noch gegenseitig fressen.“ Kritik am Antisemitis-
Weltwirtschaftskrise, in der Armut und Verzweiflung um sich mus übte der liberale Politiker und spätere Bundespräsident
griffen. Die regierenden Parteien entzogen sich ihrer Verant- Theodor Heuss in seinem 1932 erschienenen Buch „Hitlers
wortung und waren unfähig, stabile Koalitionen zu bilden. Weg. Eine historisch-politische Studie über den Nationalsozi-
Tief verwurzeltes autoritäres Gedankengut und antisemiti- alismus“. Ihm fehlte jedoch das Vorstellungsvermögen dafür,
sche Überzeugungen beeinflussten die Wertvorstellungen der mit welcher Brutalität und Mordlust die Absichten der NSDAP
Gesellschaft. In dieser Situation entfesselten die Gegner der ab 1933 in die Wirklichkeit umgesetzt werden sollten.
Weimarer Republik von rechts und links eine beispiellose Agi- Im Sommer 1932 entmachtete schließlich Reichskanzler
tation gegen den Staat, der keine Mittel gegen die wirtschaft- Franz von Papen die demokratisch legitimierte preußische
liche und politische Krise fand. Regierung und besiegelte so das Schicksal der Weimarer Re-
Breite Initiativen zur Verteidigung der Demokratie blieben publik. Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Paul von
aus. Nur eine Massenorganisation bildete die Ausnahme: das Hindenburg den „Führer“ der NSDAP, Adolf Hitler, zum Reichs-
1924 gegründete Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, der größ- kanzler. Als seine Gegner erkannten, dass er die endgültige
te republikanische Schutzverband mit etwa drei Millionen Zerstörung der Weimarer Republik betrieb, verfügte Hitler
Mitgliedern aus allen demokratischen Parteien und aus den bereits über die entscheidenden Machtmittel zur Errichtung
Gewerkschaften. 1931 schlossen sich Mitglieder des Reichsban- einer Diktatur.
Privatbesitz
gerade Weg“ verboten. Nach 16-monati-
ger Haft wurde Fritz Gerlich in der Nacht
vom 30. Juni auf den 1. Juli 1934 in das KZ
Dachau verlegt und dort erschossen.
fritz gerlich carl von ossietzky
Der 1883 geborene Journalist Fritz Ger- „Der Nationalsozialismus ist eine Pest! […] Der 1889 geborene Journalist Carl von
lich leitete zwischen 1920 und 1928 die Nationalsozialismus aber bedeutet: Feind- Ossietzky war zwischen 1911 und 1922
Münchner Neuesten Nachrichten, eine schaft mit den benachbarten Nationen, Mitarbeiter und Redakteur verschiede-
Vorgängerzeitung der heutigen Süddeut- Gewaltherrschaft im Innern, Bürgerkrieg, ner Wochen- und Tageszeitungen und
schen Zeitung. Völkerkrieg. Nationalsozialismus heißt: Lüge, ab 1919 Sekretär der Deutschen Friedens-
Unter dem Eindruck des Hitlerputsches Haß, Brudermord und grenzenlose Not. gesellschaft. Bewaffnete Auseinanderset-
vom November 1923 entwickelte sich der Adolf Hitler verkündigt das Recht der Lüge. zungen lehnte er kategorisch ab und
engagierte Katholik zu einem scharfen Kri- […] Ihr, die ihr diesem Betruge eines um trat für das Prinzip der Gewaltlosigkeit
tiker und Gegner Adolf Hitlers. 1930 über- die Gewaltherrschaft Besessenen verfallen ein. Die von ihm ab 1927 geleitete politi-
nahm Gerlich das Wochenblatt „Illustrierter seid, erwacht! Es geht um Deutschlands, sche Zeitschrift „Die Weltbühne“ war das
Sonntag“, das ab 1932 unter dem program- um Euer, um Eurer Kinder Schicksal.“ wichtigste Medium gegen den deutschen
matischen Titel „Der gerade Weg. Deutsche Wahlaufruf von Dr. Fritz Gerlich, „Der gerade Weg“, Nr. 31
Militarismus und übte scharfe Kritik am
Zeitung für Wahrheit und Recht“ erschien. vom 31. Juli 1932 obrigkeitsstaatlichen Denken und an der
politischen Justiz.
Im März 1933 wurde „Die Weltbühne“
verboten. Anfang April 1933 wurde Carl
Im September 1930 wurde Kurt Schuma- von Ossietzky vom Polizeigefängnis Ber-
cher Abgeordneter im Deutschen Reichs- lin-Spandau in das Konzentrationslager
tag. Als dort am 23. Februar 1932 Joseph Sonnenburg verlegt und dort schwer miss-
Goebbels die SPD als „Partei der Deserteu- handelt. Seine Schriften fielen im Mai 1933
re“ beschimpfte, antwortete er mit einer der Bücherverbrennung der Nationalsozia-
Stegreifrede, die noch heute als eine der listen zum Opfer. Mitte Februar 1934 setzte
schärfsten Attacken gegen den National- sich Ossietzkys Leidensweg im emslän-
AdsD / Friedrich-Ebert-Stiftung
Kundgebung der Eisernen Front vor dem Berliner Schloss, 19. Februar 1933 KPD-Demonstration in Berlin, 25. Januar 1933
Im Dezember 1931 schließen sich Sozialdemokraten, Freie Gewerkschaften, Reichs- Vier Stunden lang ziehen am 25. Januar 1933 mehrere zehntausend KPD-Anhänger
banner Schwarz-Rot-Gold und Arbeitersportvereine zur Eisernen Front zusammen. auf dieser letzten Großdemonstration der KPD an der Parteiführung vorbei. V. l.: Franz
Ihr Ziel ist die „Überwindung der faschistischen Gefahr“. Noch am 19. Februar 1933 Dahlem, Wilhelm Hein, Willy Leow, Walter Ulbricht, Wilhelm Florin (verdeckt), Artur
demonstrieren mehrere zehntausend Menschen gegen die Nationalsozialisten. Golke, John Schehr, Ernst Thälmann
durch Kritik in Betrieb und Nachbarschaft an der national- glieder wurden häufig durch V-Leute der Gestapo, die heimlich
sozialistischen Herrschaft, durch geheime Zusammenkünfte, in die Gruppen eingeschleust worden waren, verraten und in
Kurierdienste und Nachrichtenübermittlung, durch die Ver- politischen Massenprozessen verurteilt.
teilung von Flugblättern und illegalem Material sowie durch Zweifel an der Fähigkeit der Auslandsleitung, von außen
Hilfe für die Angehörigen inhaftierter Parteifreunde. den Widerstand zu koordinieren, bewogen seit der Mitte
Die emigrierte Leitungsgruppe der KPD hatte nach Prag und der 1930er-Jahre Gruppen kommunistischer Regimegegner,
Paris schließlich ihren Sitz in Moskau genommen. Dort vertrat unabhängig von der Führung der Exil-KPD zu handeln. Hin-
sie unter der Leitung von Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck zu kam die Kenntnis der stalinistischen Säuberungen in der
die politische Linie Stalins und strebte nach der Führung in Sowjetunion. Schließlich offenbarte der deutsch-sowjetische
der Arbeiterbewegung. Während die Sozialdemokraten stär- Nichtangriffspakt vom 23. August 1939, der Hitler den Überfall
ker darauf aus waren, Gesinnungsfreunde zu sammeln, war auf Polen erleichterte, die Zusammenarbeit der beiden Dikta-
es den Kommunisten wichtig, öffentliche Wirkung zu erzielen. toren bei der Aufteilung Ostmitteleuropas. Stalin ließ zu die-
Dieser öffentlichkeitswirksame Protest führte aber auch zur ser Zeit sogar kommunistische Regimegegner an die Gestapo
verstärkten Verfolgung von KPD-Funktionären. Schon in den ausliefern. Diese Umstände bewirkten in ihrer Gesamtheit bis
ersten vier Jahren der NS-Diktatur wurden die kommunisti- zum Kriegsbeginn eine weitgehende Lähmung des kommu-
schen Widerstandsgruppen weitgehend zerschlagen. Ihre Mit- nistischen Widerstands.
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lilo herrmann willi münzenberg robert stamm
Die 1909 geborene Lilo (Liselotte) Herr- Willi Münzenberg, 1889 geboren, trat 1919 Der 1900 geborene Robert Stamm be-
mann studierte von 1929 bis 1931 an der KPD bei und war von 1919 bis 1921 Se- suchte nach einer Werkzeugschlosser-
der Technischen Hochschule in Stuttgart kretär der Kommunistischen Jugendin- lehre die Fachschule für Werkzeug- und
Chemie und ab 1931 Biologie in Berlin. ternationale. 1921 organisierte er Hilfs- Maschinenbau. Noch im Frühjahr 1918
1928 trat sie in den Kommunistischen maßnahmen für das hungernde Russland wurde er zum Militärdienst einberufen.
Jugendverband ein, wurde Mitglied des und stand bis 1933 der Internationalen Stamm trat bald nach ihrer Gründung
Roten Studentenbundes und im Novem- Arbeiterhilfe vor. der KPD bei, beteiligte sich 1920 an Ak-
ber 1931 KPD-Mitglied. Er baute mit Hilfe der Kommunisti- tionen gegen die Kapp-Putschisten und
Wegen ihrer politischen Tätigkeit im schen Internationalen (kurz: Komintern) 1923 gegen die separatistischen Gruppen
Juli 1933 von der Universität verwiesen, ein breitgefächertes kommunistisches im Rheinland. Von 1924 bis 1930 übte Ro-
arbeitete sie anschließend als Kinder- Medienunternehmen auf. Im Zentralko- bert Stamm verschiedene Funktionen in
mädchen. Lilo Herrmann war in jener mitee der KPD gehörte er bis 1932 zu den der KPD im Rhein-Ruhr-Gebiet aus.
Zeit bereits Mitarbeiterin des geheimen Vertretern einer ultralinken Politik. Er war zunächst als Volontär, später
Nachrichtendienstes der KPD. Nach dem Reichstagsbrand floh Mün- als Gewerkschafts- und Wirtschaftsre-
Nach der Geburt ihres Sohnes Walter zenberg nach Frankreich und erhielt dort dakteur bei der KPD-Zeitung „Freiheit“ in
kehrte sie im September 1934 nach Stutt- durch Vermittlung des französischen Po- Düsseldorf beschäftigt. 1930 schickte ihn
gart zurück und war zunächst im Inge- litikers und Schriftstellers Henri Barbusse die KPD-Führung als Bezirksleiter nach
nieurbüro ihres Vaters als Stenotypistin politisches Asyl. Er gründete einen Verlag Bremen. 1932 wurde er als Abgeordneter
beschäftigt. Ab Ende 1934 arbeitete sie und veröffentlichte von Paris aus Aufse- in den Reichstag gewählt.
als technische Mitarbeiterin für Ste- hen erregende „Braunbücher“ über den Nach dem Reichstagsbrand arbeitete
fan Lovasz, den Leiter der illegalen KPD Reichstagsbrand und den Terror im nati- er illegal weiter, verließ Anfang April
Württemberg, und übernahm Schreib- onalsozialistischen Deutschland. 1933 Bremen und ging nach Berlin. Von
und Kurierarbeiten für den geheimen 1935 ergriff Münzenberg die entschei- Mai 1933 bis Frühjahr 1934 war er als Po-
Militärapparat der KPD. dende Initiative zur Gründung einer deut- litischer Sekretär der KPD-Bezirksleitung
Von dem in den Dornier-Werken in schen „Volksfront“ gegen den Nationalso- Niedersachsen tätig, anschließend leite-
Friedrichshafen beschäftigten Artur Gö- zialismus, der Vertreter unterschiedlicher te er die Berlin-Brandenburger Organi-
ritz erhielt sie militärische Informationen Parteien angehörten. sation der KPD bis Oktober 1934.
über die Produktion von Rüstungsgütern Meinungsverschiedenheiten mit der Im November 1934 verließ er Deutsch-
und über den Bau einer unterirdischen KPD-Führung in Moskau und Ausei- land und nahm in Moskau an den Vor-
Munitionsfabrik bei Celle. Dieses Mate- nandersetzungen mit Walter Ulbricht bereitungen des VII. Weltkongresses der
rial wurde einem Instrukteur des Zent- führten 1938 zum Bruch mit der KPD. Kommunistischen Internationale teil. Auf
ralkomitees (ZK) der KPD in der Schweiz Münzenberg trat für gemäßigte, sozialde- Beschluss der KPD-Führung kehrte er An-
übergeben. mokratische Positionen ein und lehnte die fang März 1935 nach Berlin zurück.
Von Agenten verraten, wurde Liselot- Diktatur des Proletariats ab. Er war Gegner Zusammen mit Adolf Rembte, Käte Lü-
te Herrmann am 7. Dezember 1935 fest- des deutsch-sowjetischen Nichtangriffs- beck und Max Maddalena wurde Stamm
genommen und am 12. Juni 1937 vom paktes. am 27. März 1935 von der Gestapo fest-
„Volksgerichtshof“ wegen „Landesverrats Als deutscher Staatsangehöriger in ei- genommen. Trotz einer großen interna-
und Vorbereitung zum Hochverrat“ zum nem französischen Internierungslager tionalen Protest- und Solidaritätsbewe-
Tode verurteilt. Ihre Enthauptung erfolg- festgehalten, floh Münzenberg im Juni gung wurden Stamm und Rembte am
te am 20. Juni 1938 in Berlin-Plötzensee, 1940 beim Vorrücken der deutschen Trup- 4. Juni 1937 vom „Volksgerichtshof“ zum
obwohl sich viele Menschen aus ver- pen. Sein Tod im Sommer 1940 auf dem Tode verurteilt und am 4. November 1937
schiedenen Ländern für die junge Frau Weg in die Schweiz ist bis heute ungeklärt. in Berlin-Plötzensee enthauptet.
und Mutter einsetzten.
IISH Amsterdam
ullstein bild
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otto wels werner blumenberg hilde ephraim
Ab 1919 war der 1873 geborene Otto Als Sohn eines Pastors 1900 geboren, Die 1905 geborene Fürsorgerin Hilde
Wels Reichstagsabgeordneter und ent- studierte Werner Blumenberg ab 1919 Ephraim arbeitete in Brandenburg an
schiedener Anhänger der Republik. Als Theologie, Religionsgeschichte sowie ori- der Havel und trat dort 1931 der Sozia-
SPD-Parteivorsitzender griff er die Na- entalische Sprachen und befasste sich listischen Arbeiterpartei Deutschlands
tionalsozialisten in Reden und Artikeln mit philosophischen und sozialistischen (SAP) bei.
unerschrocken an. Bis zuletzt versuchte Schriften. 1933 wurde sie wegen ihres politischen
Wels, die Republik und ihre Verfassungs- Er konnte sein Studium aus finanziel- Engagements und wegen ihrer jüdischen
ordnung zu verteidigen. len Gründen nicht beenden und arbeitete Herkunft aus dem Staatsdienst entlassen.
Im März 1933 wollte sich Hitler danach in einem Kalibergwerk. Daneben Sie zog nach Berlin und war hier für die
vom Parlament unabhängig machen schrieb er Artikel für die in Hannover er- SAP illegal tätig.
und forderte deshalb das Recht der Ge- scheinende sozialdemokratische Tages- Nach ausgedehnten Verhaftungswel-
setzgebung für seine Regierung. Dieses zeitung „Volkswille“, deren Lokalredak- len in der Berliner Organisation gab es
„Ermächtigungsgesetz“ sollte vorgeblich teur er 1928 wurde. nur noch circa 200 SAP-Mitglieder, die
auf vier Jahre begrenzt sein. Es bedeu- Ab 1932 bereitete er die Hannoveraner in Fünfer- bzw. Dreiergruppen organi-
tete tatsächlich die völlige Entmachtung SPD auf die Illegalität vor, organisierte siert waren und sich kaum mehr unter-
des Reichstages und die Zerstörung der einige Waffen und leitete die Flugblatt- einander kannten. Nur je ein Mitglied
verfassungsmäßigen Gewaltenteilung. produktion in die Wege. Zwischen März durfte die Verbindung zur nächsten
Durch die Festnahme der meisten kom- und Mai 1933 kritisierte er in mehreren Ebene halten. Treffen dienten dem Aus-
munistischen Abgeordneten, die Aberken- Flugblättern die „Stillhaltetaktik“ der tausch von Informationen oder der Vor-
nung ihrer Mandate sowie die absehbare SPD, die auf das bloße Überleben der Par- bereitung von Hilfen für Verfolgte.
Zustimmung des Zentrums und der Libe- tei abzielen sollte. Aufgrund ihrer Kontakte zu jüdi-
ralen, die Hitlers Zusicherungen glaubten, Unterstützt von den sozialdemokra- schen Hilfsorganisationen unterstütz-
stand die SPD-Reichstagsfraktion alleine tischen Funktionären Franz Nause und te auch Hilde Ephraim Gefährdete und
vor der Aufgabe, Hitlers Pläne abzulehnen. Willy Wendt baute Werner Blumenberg Familien von Inhaftierten. Im Frühjahr
Otto Wels wandte sich entschieden eine Widerstandsgruppe nach konspi- 1936 wurde sie festgenommen und
gegen die Entmachtung des Parlaments. rativen Regeln auf. Seit Ende 1933 trug bei den Verhören von Gestapobeamten
Er bekannte sich zu den Grundsätzen diese Gruppe den Namen „Sozialistische schwer misshandelt. Der „Volksgerichts-
des Rechtsstaats, des Parlamentarismus, Front“. Sie verteilte alle vier bis sechs hof“ verurteilte Hilde Ephraim am 25.
der Menschlichkeit, der Freiheit und des Wochen die zehnseitige Flugschrift „So- Juni 1937 zu vier Jahren Zuchthaus, die
Sozialismus. Nach seiner Rede gegen zialistische Blätter“ an einen zeitweilig sie in Lübeck und im bayerischen Am-
das „Ermächtigungsgesetz“, die als letzte bis zu 1000 Leser umfassenden Kreis. berg verbüßte. 1939 befand sie sich in
freie Rede im Reichstag gilt, wurde Wels Im Sommer 1936 gelang es der Gestapo, der Frauenstraf- und Verwahranstalt in
auf der letzten SPD-Reichskonferenz am einen Spitzel in die Sozialistische Front Aichach, wo sie die Nahrung verweiger-
27. April 1933 noch einmal zum Parteivor- einzuschleusen. Blumenberg konnte in te und schwer erkrankte.
sitzenden gewählt. der Nacht vom 16. zum 17. August 1936 Am 24. Juni 1940 wurde sie in der
Die Zerschlagung der Gewerkschaften in die Niederlande fliehen. Nach 1945 Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar regis-
Anfang Mai bewies ihm, dass es keiner- kehrte er nicht mehr nach Deutschland triert; am 20. September 1940 erfolgte im
lei Möglichkeit der legalen Opposition zurück und starb 1965 in Amsterdam. Rahmen der „Aktion T4“, bei der syste-
gegen Hitlers Regierung geben konnte. matisch Menschen mit körperlicher und
Wels emigrierte nach Prag und wurde geistiger Behinderung ermordet wur-
einer der Vorsitzenden der Exil-SPD (SO- den, ihre Überstellung in die Tötungsan-
PADE). 1938 floh er nach Paris, wo er ein stalt Hartheim bei Linz. Hier wurde sie
Jahr später starb. noch am Tag der Ankunft ermordet.
Widerstand aus christlichem Glauben tisierten Kirchenwahlkampf und riefen nicht zuletzt dadurch
ihre Gegner auf den Plan. Deren Wortführer wurde der Dah-
Der Widerstand von Christen beider Konfessionen und von lemer Pastor Martin Niemöller, der mit Gleichgesinnten den
Mitgliedern der kleineren religiösen Gemeinschaften lässt sich „Pfarrernotbund“ ins Leben rief, um den Zugriff der Deutschen
aus dem von vielen Gläubigen als unüberbrückbar empfunde- Christen und damit des NS-Staates auf die evangelischen Ge-
nen Gegensatz von Nationalsozialismus und Christentum, aber meinden abzuwehren. Sie wollten die Freiheit ihres Bekennt-
auch als innerkirchliche Auseinandersetzung erklären. nisses verteidigen, hielten an der Einheit von Altem und Neu-
Die Grundsätze der Religions- und Bekenntnisfreiheit fan- em Testament fest und lehnten insbesondere die Übernahme
den ihre Entsprechung im Willen zur Glaubenstreue. Sie muss- des „Arierparagraphen“ für die Kirche ab.
ten deshalb mit dem weltanschaulichen Führungsanspruch Evangelische Christen fanden sich später in der „Bekennen-
der NSDAP zusammenprallen, der Ausdruck des totalitären den Kirche“ zusammen, um die kirchenpolitischen Übergrif-
Charakters der NS-Ideologie war. Die Gegensätze zwischen fe der Deutschen Christen abzuwehren. Viele Landeskirchen
den Gläubigen und der NSDAP zeigten sich beispielhaft, als strebten jedoch nach einer tragfähigen Grundlage für ihr Wir-
die NS-Führung beabsichtigte, die Grenzen der Kooperation ken im NS-Staat, passten sich teilweise an oder versuchten,
zwischen kirchlichen Institutionen und dem nationalsozialis- eine Art Minimalkonsens zu finden.
tischen Staat festzulegen. So schmolz der Kreis der unbedingten NS-Gegner auf we-
Während die katholischen Bischöfe frühzeitig die natio- nige hundert Mitglieder der „Bekennenden Kirche“, deren
nalsozialistische „Irrlehre“ in klaren Worten verurteilten, ver- geistiger Wortführer Dietrich Bonhoeffer war. In der Ausei-
suchte in der evangelischen Kirche ein großer Teil der Gläu- nandersetzung mit dem Nationalsozialismus wurde Bonhoef-
bigen, die nationalsozialistische Weltanschauung mit dem fer zu einem der wichtigsten Theologen des 20. Jahrhunderts.
herrschenden Verständnis kirchlicher Verkündigung in Ein- Er prägte einen kleinen Kreis von evangelischen Geistlichen,
klang zu bringen. Sie organisierten sich in der Bewegung die nach dem Zusammenbruch des NS-Staates die Erneuerung
„Deutsche Christen“, die sich als Anhänger der NSDAP in der der evangelischen Kirche wesentlich beeinflussen konnten.
evangelischen Kirche verstanden. Sie wollten ein „artgemäßes Dietrich Bonhoeffer gehörte auch zum Kreis der Verschwö-
Christentum“ verkündigen und lehnten deshalb Glaubensvor- rer, die den Sturz Hitlers vorbereiteten. Bonhoeffers Beispiel
stellungen ab, die vor allem die enge Verbindung zwischen veranlasste dessen Freund Eberhard Bethge dazu, die „aktive
Christentum und Judentum hervorhoben. Konspiration“, die keine Deckung durch Institutionen mehr
In den innerkirchlichen Auseinandersetzungen vertraten kannte, als letzte Steigerung des Widerstands zu bezeichnen.
die Deutschen Christen einen entschieden nationalsozialis- In der katholischen Kirche gab es im Unterschied zum Pro-
tischen Standpunkt; sie wollten sowohl die Vielfalt der evan- testantismus eine lange Tradition des Widerstands gegen
gelischen Landeskirchen durch eine zentralisierte evangeli- staatliche Übergriffe, aber auch ein Gefühl für die Notwendig-
sche Reichskirche unter einem „Reichsbischof“ ersetzen, als keit, Verfolgung aus Glaubensüberzeugung auf sich zu neh-
auch die Mehrheit der kirchlichen Gemeinderäte stellen. Aus men. Noch im Reichstagswahlkampf 1933 bezogen die katholi-
diesem Grunde führten sie im Frühjahr 1933 einen sehr poli- schen deutschen Bischöfe klar Stellung gegen die NSDAP.
Privatbesitz
© SJ-Bild
Junge Christen auf einer Bibelfreizeit mit Friedrich Justus Perels (2. v. r.) und Hermann Eh- Pater Rupert Mayer mit Gläubigen bei einer Fronleichnamsprozession in München
lers (2. v. l.), zwei zentralen Persönlichkeiten der Bekennenden Kirche, Neuentempel 1937 um 1936
Nachdem Hitler in seiner Regierungserklärung vom 23. März sogar der Anpassungsbereitschaft gedeutete Verhalten ein-
1933 das Christentum als Basis des Staates beschworen hatte, zelner Bischöfe, die den nationalsozialistischen Übergriffen
rückten sie jedoch von ihrer klaren Haltung gegenüber dem nicht energisch und offen entgegentraten.
Nationalsozialismus ab. Viele Katholiken hofften auf eine Ko- Zu den entschiedenen Wortführern eines katholischen Wi-
operation zwischen ihrer Kirche und den neuen Machthabern. derstands, der sich auch der Opfer des Staates annahm, ge-
Nach längeren Verhandlungen schlossen am 20. Juli 1933 das hörten der Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg, aber
Deutsche Reich und der Vatikan das Reichskonkordat, einen auch Katholikinnen wie Margarete Sommer, die verfolgten
Staatskirchenvertrag, der die Beziehungen zwischen dem Juden beistanden. Sie waren im Berliner Bistum aktiv, wo
Deutschen Reich und der römisch-katholischen Kirche regelte. Bischof Konrad Graf von Preysing immer wieder versuchte,
Trotz warnender Stimmen von Vertretern des politischen Ka- dem Anspruch des NS-Regimes entgegenzutreten.
tholizismus und von einzelnen Bischöfen sahen viele Katholi- Besondere Aufmerksamkeit erregte allerdings in Münster
ken darin eine Garantie für die Unantastbarkeit ihrer Kirche Bischof Clemens August Graf von Galen, als er die Ermor-
und die Freiheit des Bekenntnisses. dung von Menschen mit geistiger Behinderung anprangerte.
Bereits im Herbst 1933 war jedoch klar, dass die National- Seine Predigten wurden abgeschrieben und von einzelnen
sozialisten sich nicht an das Abkommen hielten. Die Wir- Gläubigen, aber auch von Regimegegnern verteilt, die nicht
kungsmöglichkeiten der katholischen Organisationen, vor im Katholizismus wurzelten.
allem der Jugend- und Arbeitervereine, wurden immer wei- Neben den Anhängern und Vertretern der großen Kirchen
ter eingeschränkt, jede nicht rein religiöse Aktivität war ih- widersetzten sich Mitglieder kleiner religiöser Gemeinschaf-
nen untersagt. Auch die katholische Presse geriet verstärkt ten, wie etwa der Zeugen Jehovas, dem NS-Staat. Sie zahlten
unter Druck. Konfessionelle Schulen, die eigentlich durch das für ihre geistliche und geistige Selbstbehauptung, aber auch
Konkordat abgesichert waren, wurden geschlossen, der Reli- für ihre Bereitschaft, anderen zu helfen, einen hohen Preis.
gionsunterricht durch Geistliche wurde eingeschränkt und
schließlich verboten.
Einzelne Bischöfe, Geistliche und Gemeindemitglieder pro-
testierten offen gegen die Verletzungen des Reichskonkor-
dats und stellten sich dem weltanschaulichen Führungs- Zeugnisse christlichen Widerstands
anspruch der Nationalsozialisten entgegen. Prozessionen,
Wallfahrten und gemeinsame Jugendfahrten wurden zu Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat
einer Demonstration der Glaubenstreue und stärkten den über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und tota-
Zusammenhalt des katholischen Milieus. le Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die
Die Verfolgung katholischer Glaubensanhänger, die Dif- Bestimmung der Kirche erfüllen.
famierung von Geistlichen in Devisen- und Sittlichkeitspro- Theologische Erklärung der Bekenntnissynode von Barmen, 31. Mai 1934
zessen, die Unterdrückung des katholischen Vereinslebens
und der Jugendarbeit zeigten, dass die Auseinandersetzung
mit dem nationalsozialistischen Regime zu einer Existenz- Das evangelische Gewissen, das sich für Volk und Regierung
frage für die katholische Kirche wurde. Auf Bitten der Kardi- mitverantwortlich weiß, wird aufs härteste belastet durch
näle Karl Joseph Schulte und Michael von Faulhaber sowie die Tatsache, daß es in Deutschland, das sich selbst als
der Bischöfe Konrad Graf von Preysing und Clemens August Rechtsstaat bezeichnet, immer noch Konzentrationslager
Graf von Galen entschloss sich Papst Pius XI. zu einer öf- gibt und daß die Maßnahmen der Geheimen Staatspolizei
fentlichen Reaktion. Es entstand schließlich ein päpstliches jeder richterlichen Nachprüfung entzogen sind.
Rundschreiben an die Weltkirche, das unter großer Geheim- Vorläufige Leitung und Rat der Deutschen Evangelischen Kirche, Denkschrift an Hitler,
haltung nach Deutschland gebracht, vervielfältigt und an 28. Mai 1936
die einzelnen Pfarrgemeinden verteilt wurde.
Am 21. März 1937 wurde die Enzyklika „Mit brennender Sor-
ge“ in allen katholischen Gemeinden verlesen. Sie klagte die Mit brennender Sorge und steigendem Befremden beobach-
Rechtsbrüche des NS-Regimes an und wandte sich entschie- ten Wir seit geraumer Zeit den Leidensweg der Kirche, die
den gegen dessen weltanschauliche Positionen. Sie verwies wachsende Bedrängnis der ihr in Gesinnung und Tat treu-
zudem auf die Grundlagen des katholischen Glaubens und bleibenden Bekenner und Bekennerinnen inmitten des Lan-
die Aufgabe der Kirche. Zwei Tage nach der Veröffentlichung des und des Volkes, dem St. Bonifatius einst die Licht- und
der Enzyklika untersagte die NS-Regierung die weitere Ver- Frohbotschaft von Christus und dem Reiche Gottes gebracht
breitung. Es kam zu Hausdurchsuchungen und Festnahmen hat.
sowie zur Enteignung beteiligter Druckereien. Papst Pius XI., Enzyklika „Über die Lage der katholischen Kirche im Deutschen Reich“,
Einzelne katholische Gläubige wurden im Laufe der Jahre 14. März 1937
zu grundsätzlichen Gegnern des Nationalsozialismus und
fanden den Weg in den politischen Widerstand. Vereinzelt
ließen sich Bischöfe über die Pläne oppositioneller Kreise in- Es ist nun eine erschreckende Tatsache, daß die gegenwärti-
formieren und hielten während des Krieges Verbindung zu gen Machthaber in Deutschland alle aufrichtigen Bibelchris-
politischen Widerstandsgruppen. Auf der einen Seite gab es ten, die offen ihren Glauben an Jehova Gott bekennen und
einzelne Gläubige, die Verfolgten halfen, stellvertretend für ihm dienen, schmähen, verleumden und mit grausamen Mit-
andere ihr Leben riskierten und schließlich auch den Weg in teln verfolgen.
den engsten Kreis der Verschwörung fanden – wie beispiels- Offener Brief der Zeugen Jehovas, Juni 1937
weise der Jesuitenpater Alfred Delp. Auf der anderen Seite
stand das nicht selten als Ausdruck des Kleinmutes oder
che St. Hedwig in Berlin. In der Weimarer er bis zu seiner Festnahme öffentlich für
Republik war er Bezirksverordneter für verfolgte Juden und war als Leiter des
die katholische Zentrumspartei in Ber- Hilfswerks beim Bischöflichen Ordinariat
lin-Charlottenburg und gehörte dem Frie- Berlin für zahlreiche Hilfsmaßnahmen
densbund Deutscher Katholiken sowie der verantwortlich. 1941 protestierte er in ei-
Arbeitsgemeinschaft der Konfessionen für nem Brief an den Reichsärzteführer Leo-
den Frieden an. nardo Conti gegen die Krankenmorde.
1933 durchsuchten die Nationalsozia- Die Gestapo, die Lichtenberg überwach-
listen erstmals seine Wohnung. Als kon- te, nahm ihn nach einer Denunziation
sequenter Gegner des NS-Regimes wurde am 23. Oktober 1941 fest. Am 22. Mai 1942
Lichtenberg seit 1935 zu einem Vertrauten wurde er vom Sondergericht I beim Land-
Privatbesitz
des neuen Berliner Bischofs Konrad Graf gericht Berlin zu einer zweijährigen Haft-
von Preysing. strafe verurteilt, die er im Gefängnis Ber-
Entschieden setzte er sich für die vom lin-Tegel und im Arbeitserziehungslager
NS-Regime Verfolgten ein und beschwerte Wuhlheide verbüßte.
bernhard lichtenberg
sich 1935 massiv beim preußischen Minis- Nach dem Ende der Haft wurde er in das
Der 1875 geborene und 1899 zum Priester terpräsidenten Hermann Göring über die KZ Dachau überstellt. Auf dem Transport
geweihte Bernhard Lichtenberg wirkte Zustände im KZ Esterwegen im Emsland. dorthin starb der schwerkranke Priester
zuletzt als Domprobst an der Bischofskir- Seit dem Novemberpogrom 1938 betete am 5. November 1943 in Hof an der Saale.
Bereits in den frühen 1920er-Jahren setz- Papst Johannes Paul II. sprach Rupert
te sich Mayer in München mit dem Natio- Mayer am 3. Mai 1987 in München selig.
nalsozialismus auseinander. Die Münche-
ner Gläubigen schätzten ihn vor allem als
rupert mayer
Helfer und Seelsorger im sozialen Elend der
Der 1876 geborene Rupert Mayer studier- Großstadt.
te Philosophie und Theologie in Fribourg Die Gestapo verhängte 1937 ein Predigt-
(Schweiz), München, Tübingen und am verbot für Mayer, das dieser jedoch nicht
tum gelöst hatten, ließen ihn und seine der Kanzlei der Vorläufigen Kirchenlei-
zwei Brüder evangelisch taufen. tung der Bekennenden Kirche. Er war 1936
Friedrich Weißler studierte Jura und maßgeblich an der Ausarbeitung der re-
promovierte 1914. Nach der Teilnahme am gimekritischen Denkschrift der Vorläufi-
Ersten Weltkrieg setzte er seine juristische gen Leitung und des Rates der Deutschen
Ausbildung fort und wurde 1922 Hilfsrich- Evangelischen Kirche an Hitler beteiligt.
ter in Halle. Im selben Jahr heiratete er Das Papier gelangte an die Auslandspres-
Hanna Schäfer. 1932 wurde Weißler Land- se und erregte erhebliches internationales
gerichtsdirektor in Magdeburg. Aufsehen.
Am 21. Juli 1933 wurde er nach vorherge- Weißler wurde der Weitergabe des Pa-
henden Schikanen durch die SA aus dem piers bezichtigt. Nachdem sich auch die
Privatbesitz
Justizdienst entlassen. Kurz zuvor hatte Kirchenleitung von ihm distanzierte, er-
Weißler gegen einen in SA-Uniform er- folgte am 3. Oktober 1936 seine Festnahme.
schienenen Angeklagten ein Ordnungs- Am 13. Februar 1937 wurde Friedrich Weiß-
geld verhängt. ler in das KZ Sachsenhausen verschleppt,
friedrich weißler
Nachdem seine Proteste gegen die dort schwer misshandelt und am 19. Fe-
Friedrich Weißler kam als Sohn des Juris- Entlassung erfolglos blieben, ging Weiß- bruar 1937 ermordet.
ten Adolf Weißler 1891 in Oberschlesien ler nach Berlin und wurde im November
zur Welt. Seine Eltern, die sich vom Juden- 1934 juristischer Berater und 1936 Leiter
Kommandant am Ersten Weltkrieg teil. men mit mehreren hundert Pfarrern fest-
Ab 1919 studierte er Theologie und wurde genommen, die sich gegen Angriffe des
1924 Geschäftsführer der Inneren Mission NS-Ideologen Alfred Rosenberg wandten.
in Westfalen. Seit 1931 war er Gemeindep- Von der Gestapo ständig überwacht und
farrer in Berlin-Dahlem. am 1. Juli 1937 erneut festgenommen, ver-
Niemöller tolerierte und unterstützte urteilte ihn ein Berliner Gericht am 7. Fe-
zunächst die NSDAP, geriet jedoch bald bruar 1938 zu neun Monaten Festungshaft.
in Konflikt mit dem neuen Regime. Er Am darauffolgenden Tag wurde Nie-
wehrte sich gegen die Einflussnahme der möller jedoch als „persönlicher Gefange-
Deutschen Christen auf die evangelischen ner“ Adolf Hitlers auf dessen Befehl in das
Kirchen und rief, als der „Arierparagraph“ KZ Sachsenhausen eingeliefert und von
auch in der Kirche eingeführt wurde, mit den anderen Häftlingen isoliert.
GDW
anderen Pfarrern den Pfarrernotbund ins Am 11. Juli 1941 wurde er in das KZ
Leben. Wiederholt setzte er sich in seinen Dachau verlegt und im April 1945 mit wei-
Predigten für die Unabhängigkeit der Kir- teren Häftlingen nach Südtirol verschleppt.
martin niemöller
che von Staat und NSDAP ein. Alliierte Soldaten konnten ihn und seine
1892 in einem westfälischen Pfarrhaus ge- Im März 1934 verhängte das NS-Regime Mithäftlinge Anfang Mai 1945 befreien.
boren, kaisertreu und deutschnational er- ein zeitweiliges Redeverbot gegen Nie-
zogen, nahm Martin Niemöller als U-Boot- möller. Ein Jahr später wurde er zusam-
Theologiestudium und Habilitation Stu- doch bis 1940 weiter auf ihren Dienst
dentenpfarrer in Berlin. vorbereitet.
Bereits 1933 galt er als entschiedener 1938 war Bonhoeffer in die Staatsstreich-
Gegner der Nationalsozialisten und be- planungen seines Schwagers Hans von
gründete in seinem Aufsatz „Die Kirche Dohnanyi eingeweiht. 1940 von Dohnanyi
vor der Judenfrage“ die Pflicht der Chris- und Oster ins Amt Ausland/Abwehr des
ten zum Widerstand gegen staatliche Un- Oberkommandos der Wehrmacht einge-
rechtshandlungen. zogen, reiste er mehrmals ins Ausland, um
Von 1935 bis 1937 leitete er das Predi- Verbindungen zu alliierten Regierungen
gerseminar der Bekennenden Kirche, das zu knüpfen.
zunächst in Zingst, später in Finkenwal- Anfang April 1943 wurde Bonhoeffer
Privatbesitz
den Bibelforschern an und gehörte nach als Leiterin (Bezirksdienerin) der illegalen
1933 zu den aktivsten Zeuginnen Jehovas Organisation der Zeugen Jehovas tätig.
in Bayern. Als Kurierin transportierte sie im Ausland
Nach dem reichsweiten Verbot der Glau- hergestellte Schriften und Ausgaben der
bensgemeinschaft 1935 beteiligte sie sich religiösen Zeitschrift „Der Wachtturm“
an der Herstellung und Verbreitung von zu den verschiedenen Gruppen in ganz
illegalen Schriften und leitete heimliche Deutschland. Die zweite groß angelegte
Jehovas Zeugen in Deutschland
Treffen. Als die Zeugen Jehovas im De- Flugblattaktion im Juni 1937, die Vertei-
zember 1936 in einer deutschlandweiten lung des „Offenen Briefes“, bereitete Löhr
Protestaktion die „Luzerner Resolution“ maßgeblich mit vor.
verbreiteten, in der sie gegen die Verfol- Elfriede Löhr wurde am 21. August 1937
gung und die Misshandlungen ihrer Mit- in Berlin festgenommen und blieb ohne
glieder protestierten, wirkte Löhr aktiv Urteil in Haft. Im Januar 1939 wurde sie
daran mit. ins KZ Lichtenburg verschleppt und im
Nach Verhaftungswellen im Herbst 1936 Mai 1939 in das neu errichtete Frauen-KZ
elfriede löhr
und im Frühjahr 1937 gegen die Glau- Ravensbrück überstellt, wo sie bis Kriegs-
Elfriede Löhr kam 1910 in München als bensgemeinschaft rückten zunehmend ende in Haft blieb.
Tochter eines Zahnarztes zur Welt. Bereits Frauen in führende Positionen auf. Ab
im Alter von 16 Jahren schloss sie sich Frühjahr 1937 war Elfriede Löhr in Bayern
Widerstand und Exil (SOPADE) den Kampf gegen Hitler fort. Paris wurde der geisti-
ge Mittelpunkt der aus Deutschland emigrierten Intellektuel-
Ab 1933 flohen über eine halbe Million Deutsche vor den Natio- len. Sie bemühten sich, eine „Volksfront“ zu bilden, die von An-
nalsozialisten ins Ausland. Für sie bedeutete die Emigration hängern verschiedener politischer Gruppen und Richtungen
eine schmerzhafte und oftmals endgültige Trennung von dem verstärkt wurde. Kommunisten, Sozialdemokraten und Sozia-
Land, in dem sie aufgewachsen waren. Unter ihnen befanden listen wollten vom Exil aus ihre Gruppen im Reich unterstüt-
sich etwa 350 000 deutsche Juden, deren Hoffnungen sich zen. Sie veröffentlichten Nachrichtenblätter, Zeitschriften und
vielfach auf einen eigenen Staat in Palästina richteten. Aufrufe, um über die Verhältnisse in Deutschland zu informie-
Eine Rückkehr nach Deutschland wünschten sich dagegen ren oder die deutschen Widerstandsgruppen mit Nachrichten
viele der Flüchtlinge, die aus politischen oder weltanschauli- zu versorgen. Unter den Bedingungen des von Hitler 1939 ent-
chen Gründen auswanderten. Solange ihr Land vom NS-Ter- fesselten Weltkrieges und nach der Besetzung Frankreichs war
rorregime beherrscht wurde, wollten sie im Ausland das „an- dies aber fast nicht mehr möglich.
dere, bessere Deutschland“ verkörpern. Im Spanischen Bürgerkrieg (Juli 1936 – April 1939) ergriffen
Die Emigranten kamen aus unterschiedlichen politischen, die ins Ausland geflüchteten NS-Gegner die Partei der spani-
kulturellen und kirchlichen Gruppierungen. Neben Kommu- schen Republik gegen die nationalistischen Putschisten unter
nisten, Sozialisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern General Franco, die von Deutschland militärisch unterstützt
fanden sich parteipolitisch unabhängige Pazifisten ebenso wurden. Ausschlaggebend dafür war die Hoffnung, später
wie konservative Regimegegner und Mitglieder der ehemali- auch den Nationalsozialismus in Deutschland überwinden zu
gen Zentrumspartei. können. Von den rund 5000 deutschen Freiwilligen auf Seiten
Immer wieder versuchten die Regierungen des Auslands, der spanischen Republik fielen mehr als 1000.
den Zustrom von Flüchtlingen zu begrenzen. Sie verlangten Der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März
manchmal den Nachweis gesicherter Vermögensverhältnisse, 1938, die Besetzung des Sudetenlandes im Herbst 1938 und
untersagten die Erwerbstätigkeit oder verboten jede politi- schließlich der Einmarsch deutscher Truppen in Prag im März
sche Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur. Den deutschen 1939 bedrohten die dort lebenden Emigranten. Sie mussten
Emigranten schlug in ihren Gastländern oftmals Ablehnung erneut vor den Nationalsozialisten fliehen. Als Frankreich
entgegen. Viele von ihnen wurden ausgewiesen oder unter im Sommer 1940 unerwartet rasch von deutschen Truppen
ein verschärftes Fremdenrecht gestellt. besiegt und besetzt wurde, begann auch für die Flüchtlinge
Fehlende Sprachkenntnisse und fremde Lebensbedingun- dort ein Wettlauf mit den vorrückenden deutschen Soldaten.
gen, Rechtlosigkeit, da sie ihrer deutschen Staatsbürgerschaft Einige konnten nach Großbritannien oder in die Vereinigten
und damit ihrer Freizügigkeit beraubt waren, wirtschaftliche Staaten entkommen, andere suchten Sicherheit in Lateiname-
Not und die immer schwächer werdende Hoffnung auf Heim- rika oder im Fernen Osten. Die meisten der zurückbleibenden
kehr bedrängten fast alle Flüchtlinge. Sie fühlten sich als Au- Emigranten wurden von den Franzosen, ungeachtet ihrer Geg-
ßenseiter und suchten die Verbindung zu Landsleuten. nerschaft zum NS-Regime, als Angehörige eines feindlichen
Zunehmend überwanden die Emigranten, die häufig ganz Staates in Lagern interniert. Einzelne Flüchtlinge wurden nach
unterschiedliche politische Ziele verfolgten und noch lange der Kapitulation Frankreichs sogar an die Nationalsozialisten
durch die Auseinandersetzungen der Weimarer Zeit geprägt ausgeliefert. Sie kamen später fast ausnahmslos in Gefängnis-
blieben, ihre Gegensätze. Sie einte nun vor allem der Wille, den sen oder Konzentrationslagern ums Leben.
Nationalsozialismus von außen zu bekämpfen. Einige Gruppen und einzelne Emigranten, denen die Flucht
Mittelpunkte des deutschen politischen Exils aus der Arbei- in sichere Länder gelungen war, konnten dort in einigen Fäl-
terbewegung bildeten sich zunächst in Prag und Paris, danach len die deutschlandpolitischen Vorstellungen der Alliierten
in London, Stockholm und Moskau. Von Prag aus setzte der beeinflussen und auf diese Weise das NS-Regime von außen
Exil-Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bekämpfen.
Hilde Löbner und Kurt Liebermann nach der Flucht in der Grenzstadt Biela in der Emigrantengruppe beim Sprachunterricht in Kopenhagen 1939
Tschechoslowakei, vermutlich im Sommer 1933
Viele Emigranten leiden in ihren Aufnahmeländern unter den ungewohnten Le-
Die beiden teilen ihre Zweizimmerwohnung mit dem ebenfalls aus Deutschland bensverhältnissen und fehlenden Sprachkenntnissen. Als ihnen bewusst wird, dass
geflüchteten Walter Pöppel und dessen Frau Jenny. Die Wohnung dient als Um- Hitlers Herrschaft von Dauer sein wird, versuchen sie, sich verstärkt auf die neuen
schlagplatz für Flugschriften der Sozialistischen Arbeiterpartei und als Anlauf- und Lebensumstände in der Fremde einzustellen. Um ihre Verwandten und Freunde in
Sammelstelle für Informationen aus dem Reich. Deutschland zu schützen, verbergen die Emigranten auf diesem Bild ihre Gesichter.
Privatbesitz
Tschechoslowakei. Im Sommer nahm er
am Prager Zionistenkongress teil, einer
internationalen Konferenz, die die Grün-
dung eines eigenen Staates der Juden
theodor lessing irma götze
zum Ziel hatte. Theodor Lessing plante,
Der 1872 geborene Philosoph Theodor zusammen mit seiner Frau im tschechos- Die 1912 geborene Kinderpflegerin Irma
Lessing war vor dem Ersten Weltkrieg lowakischen Marienbad ein Landerzie- Götze war Mitglied der anarcho-syn-
Lehrer an verschiedenen Reformschulen. hungsheim zu eröffnen. Die NS-Presse dikalistischen Freien Arbeiter-Union
Trotz seiner Qualifikation blieb ihm als streute zur selben Zeit Gerüchte über Deutschlands (FAUD) und aktiv in der
Jude und Sozialdemokrat eine akademi- ein hohes Kopfgeld, das auf ihn ausge- Leipziger Meute, einer Gruppe vor allem
sche Karriere zunächst versagt. Erst 1907 setzt sei. jugendlicher Oppositioneller. Im Unter-
wurde er an der Technischen Hochschu- Am 31. August 1933 erlag Theodor Les- grund agierte sie als Kurierin und Grenz-
le (TH) Hannover habilitiert, war dort sing den Schussverletzungen, die ihm gängerin in die Tschechoslowakei. Sie
Privatdozent und ab 1922 außerordent- zwei Nationalsozialisten am Tag zuvor in wirkte auch an der Herstellung illegaler
licher Professor für Philosophie. Dane- seiner Marienbader Wohnung zugefügt Schriften mit.
ben erlangte er Bekanntheit durch seine hatten. Dieser erste politische Mord an 1935 floh Irma Götze nach Spanien und
journalistische Arbeit für verschiedene einem deutschen Regimegegner im Aus- nahm 1936 auf Seiten der Republikaner
Tageszeitungen. land sorgte weltweit für Empörung. am Spanischen Bürgerkrieg in Katalonien
teil. Besonders engagierte sie sich in der
politischen Arbeit der deutschen Anar-
cho-Syndikalisten in Barcelona und bei
wieder für die SPD. 1931 zum Oberbürger- der Versorgung der Milizionäre.
Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 Nr. 0134147 / Fotograf: k. A.
meister von Magdeburg gewählt, wurde Innerhalb der sehr heterogen zusam-
er nach Übergriffen der SA am 13. März mengesetzten Front der Republikaner
1933 abgesetzt. Wenige Tage später, am versuchten sich die Moskautreuen Kom-
23. März 1933, stimmte er als Reichstags- munisten – teilweise gewaltsam – gegen
abgeordneter mit der SPD-Fraktion ge- Anarcho-Syndikalisten und Trotzkisten
gen das „Ermächtigungsgesetz“. Als be- durchzusetzen. Diesen Querelen fiel auch
kannter sozialdemokratischer Politiker Irma Götze zum Opfer. Im Mai 1937 wurde
wurde er in den Jahren 1933/34 mehr- sie von der sowjetischen Geheimpolizei
fach festgenommen, misshandelt und GPU festgenommen, in das berüchtigte
inhaftiert. Geheimgefängnis Puerta del Angel ver-
1935 floh Ernst Reuter nach Großbri- schleppt und später in ein Frauengefäng-
tannien und bald darauf in die Türkei. nis überführt.
Er arbeitete im Wirtschafts- und im Ver- Nach ihrer Freilassung ging Irma Götze
kehrsministerium in Ankara und war 1939 nach Frankreich. Dort wurde sie 1940
ernst reuter
maßgeblich am Aufbau der türkischen und 1941 in den Lagern Gurs, Argelès-sur-
1889 in eine bürgerliche Familie geboren, Verwaltung beteiligt. Später unterrich- Mer und Rivesaltes als „feindliche Auslän-
studierte Ernst Reuter Geschichte, Ger- tete Reuter auch als Hochschullehrer. Er derin“ interniert und geriet schließlich in
manistik und Geografie in Marburg und hatte Kontakte zu deutschen Emigran- die Hände der Gestapo. Das Oberlandes-
München. 1912 trat Reuter in die SPD ein, ten in der Türkei sowie in anderen gericht Dresden verurteilte sie 1942 wegen
arbeitete als Hauslehrer und anschlie- Ländern und gehörte 1943 zu den Mitbe- der illegalen Arbeit für die FAUD zu einer
ßend als professioneller Redner für die gründern des Deutschen Freiheitsbun- Zuchthausstrafe von zwei Jahren und
SPD. Im Ersten Weltkrieg geriet er in des in Istanbul. sechs Monaten. Nach deren Verbüßung
russische Kriegsgefangenschaft und en- Ernst Reuter kehrte 1946 nach Berlin im Zuchthaus Waldheim wurde sie in
gagierte sich für die Bolschewiki, die in zurück, wo er zwischen 1948 und seinem das KZ Ravensbrück verschleppt. Dort traf
der Oktoberrevolution 1917 die Macht in Tod 1953 als Regierender Bürgermeister Irma Götze nach neun Jahren ihre Mutter
Russland übernahmen. von Berlin eine Symbolfigur für den Frei- Anna wieder, die bereits acht Jahre inhaf-
1918 kehrte er nach Berlin zurück und heitswillen der Berliner im Westteil der tiert gewesen war. Beide überlebten das
arbeitete zunächst für die KPD, ab 1922 Stadt war. Kriegsende.
Formierung der militärisch-zivilen politischen Mitte angewiesen sein werde. Letzterer schrieben
Opposition sie die Kraft zu, die nationalsozialistische Bewegung einzurah-
men, gar zu zähmen, und Hitler so an die Wand zu drücken,
Bis heute ist die Frage ungeklärt, welche politischen Traditi- „dass er quietscht“, wie Hitlers Vizekanzler Franz von Papen
onen das Scheitern der Weimarer Republik und den Erfolg selbstbewusst verkündet haben soll.
des Nationalsozialismus begünstigt haben. Die Bereitschaft, Doch im Sog einer von Hitler und seinem Propagandami-
die Weimarer Verfassungsordnung als Grundlage deutscher nister Joseph Goebbels inszenierten Begeisterungsstimmung
Politik zu akzeptieren und zu verteidigen, war vor 1933 nur verfestigte sich bei Vielen der Eindruck, sich im Rahmen der
schwach ausgeprägt: „Herzensrepublikaner“ waren selten, „nationalen Konzentration“ der Kräfte einer „nationalen Er-
und die „Vernunftrepublikaner“ waren kaum bereit, sich mit neuerung Deutschlands“ nicht entziehen zu können. Sie sa-
ihrer ganzen Kraft für einen Staat einzusetzen, in dem sie nach hen sich veranlasst, ihre distanzierte Haltung aufzugeben
dem Untergang der Monarchie nur das kleinere Übel sahen. oder zumindest zu unterdrücken und die innen- und außen-
Vor allem liberale und konservative Kreise neigten dazu, zu- politischen Forderungen Hitlers breit, nicht selten auch de-
nächst einmal die unmittelbaren politischen Folgen und nicht monstrativ, zu unterstützen. Teilweise hatten sie bereits in
zuletzt auch die ersten Ergebnisse der Regierungsübertragung Distanz zum Weimarer Staat gestanden und stimmten parti-
an Hitler abzuwarten. Sie gingen zudem davon aus, dass die- ell – allerdings oftmals auch vergleichsweise weitgehend – mit
ser entweder scheitern oder auf die Unterstützung der rechten den Zielen nationalsozialistischer Außen- und Gesellschafts-
politik überein.
Wenn nach einer belastenden Phase der Anpassung an
den herrschenden Zeitgeist die kritische Distanz gegenüber
Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte, Walter Eichgrün
Umsturzplanungen 1938
Am 5. November 1937 stellte Hitler dem Reichsaußenminister,
dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht und den Oberbefehls-
habern von Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe seine Kriegsplä-
ne vor. Sie mussten zur Kenntnis nehmen, dass er zielstrebig
einen Krieg vorbereitete, der die Vorherrschaft Deutschlands
in Europa sichern und „Lebensraum im Osten“ schaffen sollte.
Viele der Offiziere, die von diesen Plänen erfuhren, befürch-
teten eine militärische Niederlage und damit eine nationale
Katastrophe. Aus ersten Vorbehalten erwuchs bei regimekri-
tischen Militärs der Wunsch, sich den Kriegsplänen zu wider-
setzen. So versuchte der Generalstabschef des Heeres, Ludwig
Beck, zunächst mit Denkschriften auf die Politik Hitlers einzu-
wirken. Doch dieser hielt an seinem Vorhaben fest.
Anfang des Jahres 1938 nutzte Hitler Intrigen zur Entlassung
des Reichskriegsministers und Oberbefehlshabers der Wehr-
macht, Werner von Blomberg, und des Oberbefehlshabers des
Heeres, Werner Freiherr von Fritsch, und übernahm nun selbst
den Oberbefehl über die Wehrmacht, um seine Pläne durch-
zusetzen. Die politische Entmachtung der Heeresspitze bestä-
tigte einige jüngere Offiziere und Beamte in ihrer Ablehnung
des Regimes.
Nachdem er die Generalität vergeblich zum kollektiven
Rücktritt aufgerufen hatte, um so den drohenden Krieg in
Europa zu verhindern, trat Ludwig Beck im August 1938 von
Privatbesitz
allen Ämtern zurück. Als zentrale Gestalt der Militäropposi-
tion forderte er in ständiger Abstimmung mit Carl Friedrich
Goerdeler, dem führenden Kopf der zivilen Widerstandskrei- Hans Oster (M.) und Friedrich Wilhelm Heinz (r.) um 1937
se, ein gemeinsames Handeln von Zivilisten und Offizieren. Oster beauftragt Heinz im September 1938, einen Stoßtrupp zu bilden, um Hitler
Um die beiden entstand ein Kreis militärischer und ziviler Re- festzunehmen.
gimegegner. Sie nutzten ihre Verbindungen zu aktiven Militärs,
Diplomaten und Verwaltungsbeamten, um möglichst nah am
Zentrum der Macht – aus dem Militär- und Staatsapparat he-
raus – einen Umsturz zu wagen. So versuchten Diplomaten um
Ulrich von Hassell und Theodor Kordt noch im Sommer 1938 in
London eine entschiedene Stellungnahme der britischen Re-
gierung zu erwirken, um auf diese Weise Hitlers Eroberungs-
pläne gegenüber der Tschechoslowakei zu durchkreuzen.
Parallel zur Beck/Goerdeler-Gruppe bildete sich im Amt
Ausland/Abwehr des Oberkommandos der Wehrmacht um
den damaligen Oberstleutnant Hans Oster ein Kreis von Op-
positionellen, der mit zivilen Regimegegnern wie Hans von
Dohnanyi und Hans Bernd Gisevius zusammenarbeitete. Im
Sommer 1938 wurde er zur „operativen Zentrale“ aller Staats-
streichplanungen. Einige Truppenkommandeure konnten
für den Umsturz gewonnen werden. Dazu gehörten der Be-
Privatbesitz
slowakei spitzte sich stetig zu. In der letzten Septemberwo- den Nationalsozialisten mit Zustimmung anderer europäi-
che hielten sich die Verschwörer in der Erwartung des An- scher Mächte preisgegeben, der Krieg war noch einmal ver-
griffsbefehls bereit. Doch der italienische Diktator Benito mieden worden. Nach dem Münchener Abkommen befand
Mussolini machte ein neues Vermittlungsangebot. Auf der sich Hitler auf einem neuen Höhepunkt seiner Macht und
Münchener Konferenz am 29. September 1938, zu der die Popularität. Die meisten Deutschen wie auch viele Offiziere
Vertreter der tschechoslowakischen Regierung nicht einge- stimmten seiner Politik zu. Die Verschwörer hielten jetzt ei-
laden waren, stimmten Frankreich und Großbritannien den nen erfolgreichen Staatsstreich nicht mehr für möglich und
deutschen Gebietsforderungen zu. Ostmitteleuropa wurde stoppten alle Vorbereitungen.
GDW
Judendeportationen an hohe Militärs
bpk
Im Sommer 1938 forderte Ludwig Beck Goerdeler Ende der 1930er-Jahre Hitlers
vergeblich die Generalität zum geschlos- Wirtschafts- und Rüstungspolitik und
senen Rücktritt auf, um den drohenden warnte vor deren Konsequenzen, die in
Krieg in Europa zu verhindern. Als er er- den Krieg münden mussten. Nach einem
ludwig beck
kannte, dass er sich weder auf die Genera- gelungenen Staatsstreich war Carl Fried-
Im Oktober 1933 wurde der 1880 gebore- lität stützen noch Hitler überzeugen konn- rich Goerdeler für das Amt des Reichs-
ne Berufsoffizier Ludwig Beck Chef des te, reichte Beck am 18. August 1938 seinen kanzlers vorgesehen.
Truppenamtes im Reichswehrministe- Rücktritt ein. Bereits vor dem 20. Juli 1944 hatte er
rium, ab Juli 1935 Generalstabschef des Ludwig Beck wurde zum Mittelpunkt die Aufmerksamkeit der Gestapo erweckt.
Heeres. In seiner kompromisslosen Ab- der militärischen Opposition und soll- Nach dem Umsturzversuch konnte Goer-
lehnung des Kriegsrisikos war sich Beck te nach einem gelungenen Anschlag deler zunächst entkommen, wurde kurz
mit Carl Friedrich Goerdeler, dem Kopf auf Hitler Staatsoberhaupt werden. Am darauf denunziert und am 8. September
der zivilen Oppositionskreise gegen Hit- Abend des 20. Juli 1944 forderte ihn Gene- 1944 vom „Volksgerichtshof“ unter Ro-
ler, einig. ral Friedrich Fromm nach dem Scheitern land Freisler zum Tode verurteilt. Auf
In der Berliner Mittwochsgesellschaft, des Umsturzes auf, Selbstmord zu bege- Befehl Hitlers wurde er erst fünf Monate
in der sich seit ihrer Gründung 1863 auf hen. Als dieser Versuch misslang, wurde später nach ausführlichen Vernehmun-
ihrem jeweiligen Fachgebiet führende der schwer verwundete Beck auf Befehl gen am 2. Februar 1945 in Berlin-Plötzen-
Wissenschaftler regelmäßig zur freien Fromms erschossen. see erhängt.
GDW
Der zerstörte Bürgerbräukeller in München am Tag nach dem Attentat, 9. November 1939
GDW
Verstärkung kommunistischer Widerstandsaktivitäten und
eine Wiederannäherung an die Politik der Sowjetunion und Die Hamburger ABC-Kolonne im Winter 1941. V. l. n. r.: Robert Abshagen, unbe-
der KPD-Führung. kannt, Hein Bretschneider, Hans Christoffers
Auch frühere KPD-Funktionäre, die 1939 und 1940 aus Kon- 1941 bildet sich um die Hamburger Arbeiterfunktionäre Bernhard Bästlein, Oskar
zentrationslagern und Zuchthäusern zurückkehrt waren, Reincke, Franz Jacob und Robert Abshagen eine kommunistische Betriebszellen-
organisation, deren Schwerpunkt in den Werften liegt. Ende 1942 gelingt es der
versuchten, neue Widerstandsgruppen aufzubauen. So ent-
Gestapo, die Gruppe aufzudecken. Mehr als 60 Festgenommene werden zum Tode
standen um Robert Uhrig in Berlin, um Theodor Neubauer in verurteilt oder von der Gestapo ermordet, darunter auch Robert Abshagen und
Mitteldeutschland und um Bernhard Bästlein in Hamburg Hein Bretschneider.
große Widerstandsorganisationen; eine weitere um Wilhelm
Knöchel war im Ruhrgebiet aktiv. Später bildete sich in Berlin
eine weit verzweigte kommunistische Widerstandsorganisa-
tion um Anton Saefkow und Franz Jacob. Sie verstand sich als
Inlandsleitung der KPD und orientierte sich an den Zielen des
1943 von emigrierten Kommunisten und deutschen Kriegsge-
fangenen in der Sowjetunion gegründeten Nationalkomitees
„Freies Deutschland“.
Diese Organisationen, in denen auch Sozialdemokraten und
Sozialisten mitwirkten, verbreiteten Flugblätter und selbst-
gefertigte Flugschriften. Vor allem aber versuchten sie, in den
Betrieben ihre Basis auszubauen und sich auf die Zeit nach
Barch, NJ 1434 Bd. 9
Metallarbeiterverband bei und wurde bald für individuelle Hilfe schaffen und der
einer der führenden Funktionäre des Kom- Bildung einer breiteren Basis im Kampf
munistischen Jugendverbandes in Berlin. gegen das NS Regime dienen. Neben die
1924 trat er der KPD bei und war von 1928 „Kaderschulung“ und die Bildung von Be-
bis 1933 Mitglied der KPD-Bezirksleitun- triebsgruppen trat die Aufklärungsarbeit
gen in Sachsen, im Ruhrgebiet und in durch Flugblätter. Die Organisation um
Hamburg. Er wurde im April 1933 erstmals Saefkow bezeichnete sich dabei unter an-
festgenommen und 1934 zu zwei Jahren derem als Berliner Ausschuss des Natio-
Zuchthaus verurteilt. nalkomitees „Freies Deutschland“.
Im Herbst 1941 stieß Saefkow zum Kreis Anton Saefkow wurde am 4. Juli 1944
um Robert Uhrig. Gemeinsam mit Franz festgenommen und am 5. September 1944
Jacob baute er 1943 ein neues Netz unter- mit Bernhard Bästlein und Franz Jacob
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schiedlicher illegaler Gruppen auf. Saef- zum Tode verurteilt. Wenige Tage spä-
kow und seine Freunde hielten auch akti- ter, am 18. September 1944, wurden sie
ve Formen des Kampfes gegen das Regime gemeinsam in Brandenburg-Görden ent-
anton saefkow
für möglich: Durch Produktionssabotage hauptet.
Der 1903 geborene Maschinenbauer An- wollten sie die Rüstungsanstrengungen
ton Saefkow schloss sich der sozialisti- schwächen. Verbindungen zu ausländi-
schen Jugendbewegung an, trat 1920 dem schen Arbeitern sollten Voraussetzungen
schaftsbundes (ADGB) Darmstadt und stieg Leuschner nach seiner Freilassung in Berlin
1926 zum Bezirkssekretär des ADGB für eine Firma, in der viele Sozialdemokraten ar-
Waldeck, Hessen-Darmstadt, Hessen-Nas- beiteten. Bei seinen Geschäftsreisen konnte
sau, Rheinhessen und Saarland auf. er bis zuletzt mit zahlreichen Gesinnungsge-
Der Sozialdemokrat war bis 1928 Stadt- nossen in ganz Deutschland Kontakt aufneh-
verordneter in Darmstadt, danach bis 1933 men, auch mit der bürgerlichen Opposition.
Abgeordneter im hessischen Landtag. Als Bei Kriegsausbruch 1939 wieder kurzzeitig
hessischer Innenminister veröffentlichte er inhaftiert, hielt Leuschner in den folgenden
1931 interne Papiere der Nationalsozialis- Jahren Kontakte zum Kreisauer Kreis und
ten, die viele ihrer Gewaltpläne offenbar- war intensiv an den Vorbereitungen für den
ten. Im Januar 1933 ging er als Mitglied des Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 beteiligt.
ADGB-Bundesvorstandes nach Berlin. Nach Für die Zeit nach dem Sturz Hitlers war er als
GDW
der Zerschlagung der Gewerkschaften wei- Vizekanzler vorgesehen und sollte gemein-
gerte er sich, bei einem Treffen der Interna- sam mit zwei anderen die neue Einheitsge-
tionalen Arbeitsorganisation in Genf für die werkschaft führen. Nach dem gescheiterten
wilhelm leuschner
Anerkennung der nationalsozialistischen Umsturzversuch wurde Leuschner festge-
Der 1890 geborene Holzbildhauer Wilhelm „Deutschen Arbeitsfront“ zu sprechen. nommen, vom „Volksgerichtshof“ zum Tode
Leuschner war ab 1919 zunächst Vorsitzen- Von 1933 bis 1934 von der Gestapo in Kon- verurteilt und am 29. September 1944 in Ber-
der des Allgemeinen Deutschen Gewerk- zentrationslagern festgehalten, gründete lin-Plötzensee erhängt.
Sohn hatte. Ab 1921 Chefredakteur des so- Widerstandsgruppe des 20. Juli nach ei-
zialdemokratischen „Lübecker Volksboten“ nem gelungenen Umsturz Reichskanzler
wurde er 1924 für die SPD in den Reichstag oder Innenminister werden sollte, wurde
gewählt, dem er als wehrpolitischer Frakti- am 5. Juli 1944 aufgrund der Denunziati-
julius leber
onssprecher bis 1933 angehörte. on eines Gestapo-Spitzels festgenommen,
Julius Leber, 1891 geboren und in der Fami- 1933 wurde Leber verhaftet und kam am 20. Oktober 1944 durch den „Volksge-
lie eines elsässischen Kleinbauern aufge- erst im Sommer 1937 aus dem KZ Sachsen- richtshof“ zum Tode verurteilt und am
wachsen, wurde nach dem Abschluss der hausen frei. Er fristete sein Leben in Berlin 5. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee erhängt.
terjugend (SAJ), dann der SPD an und ar- 1937 Mitglied des in Straßburg gegründe-
beitete für die „Arbeiterwohlfahrt“ und ten Hilfskomitees für die Saar-Pfalz, das
als Zeitungskorrespondentin auf Partei- in Frankreich deutsche Emigranten aus
und Gewerkschaftskongressen. dieser Region betreute.
Als 1933 ein Haftbefehl gegen sie erlas- Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges
sen wurde, befand sie sich auf einer Reise wurde Johanna Kirchner auf Erlass der
in die Schweiz, um für andere Verfolgte französischen Regierung interniert. Ob-
AdsD / Friedrich-Ebert-Stiftung
des NS-Regimes Fluchthilfe zu organisie- wohl es zunächst gelang, sie mit Hilfe
ren. Sie emigrierte zunächst ins Saarge- französischer Freunde aus dem Lager
biet, beteiligte sich an den Vorbereitun- Gurs zu befreien, wurde sie später von der
gen zur Saarabstimmung und musste, Vichy-Regierung an Deutschland ausge-
nachdem das Gebiet danach dem Deut- liefert. Seit dem 9. Juni 1942 in Deutsch-
schen Reich angegliedert worden war, im land Gestapo-Vernehmungen ausgesetzt,
Januar 1935 weiterflüchten. verurteilte sie der „Volksgerichtshof“ im
Im französischen Forbach, nahe der Mai 1943 zu zehn Jahren Zuchthaus und
johanna kirchner
deutschen Grenze, blieb sie mit dem in einem Wiederaufnahmeverfahren am
Die 1889 geborene Johanna Stunz, ver- Kampf der deutschen Hitlergegner eng 21. April 1944 zum Tode. Johanna Kirchner
heiratete Kirchner, gehörte seit dem verbunden und stand mit kommunis- wurde am 9. Juni 1944 in Berlin-Plötzensee
14. Lebensjahr der Sozialistischen Arbei- tischen Gruppen in Kontakt. Sie wurde enthauptet.
GDW
die Länge zogen. 1943 gelang es ihnen, mit Hilfe des Exil-Rus-
sen Konstantin Shadkewitsch Kontakt zu verschiedenen Grup-
Seit 1941 muss Herbert Baum (hier l. mit der Familie seiner Frau Marianne) in der
pen von Zwangsarbeitern aufzunehmen, die nach Deutsch- „Judenabteilung“ der Berliner Elmo-Werke arbeiten und kommt dort in Kontakt
land verschleppt worden waren. Sie unterstützten deren mit anderen Zwangsarbeitern.
Versuche, Widerstandorganisationen aufzubauen, indem sie
Kontakte vermittelten und die Verbindungen zwischen den
verschiedenen Gruppen aufrechterhielten. Im Sommer 1943 Die Widerstandsgruppe um Herbert
verfassten Havemann, Groscurth, Richter und Rentsch mehre- Baum
re programmatische Texte. Sie gaben ihrer Gruppe den Namen
„Europäische Union“ und wollten damit ausdrücken, dass sie
die Widerstandsaktivitäten der aus vielen europäischen Nati- Die Widerstandsorganisation um Herbert Baum und seine
onen stammenden Zwangsarbeiter unterstützten. Im Kampf Frau Marianne bestand aus jungen Menschen, die dem Kom-
gegen das NS-Regime sahen sie die Grundlage für eine gesamt- munismus nahe standen und durch ihre gemeinsamen Erfah-
europäische sozialistische Nachkriegsordnung. rungen als verfolgte Juden geprägt waren. Deshalb werden
Die meisten Mitglieder der Europäischen Union wurden im Herbert Baum und seine Mitkämpfer häufig als jüdische Wi-
Spätsommer 1943 von der Gestapo festgenommen. Die Grup- derstandsgruppe bezeichnet oder als Kreis einer gegen das
pe galt den Nationalsozialisten als besonders gefährlich, weil NS-Regime gerichteten Jugendopposition gedeutet. Sie selbst
sie sich aus angesehenen Intellektuellen und Angehörigen verstanden sich aber stets als Angehörige der kommunisti-
verschiedener Nationen zusammensetzte. 1943/44 wurden ge- schen Widerstandsbewegung.
gen 16 Angeklagte Todesurteile verhängt. Andere verloren ihr Die Mitglieder der Gruppe kannten sich teilweise bereits seit
Leben schon in der Voruntersuchung, wurden in den Gaskam- dem Ende der Weimarer Republik und hatten schon früh ers-
mern des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau ermordet, te Erfahrungen im Widerstand gegen das NS-Regime gesam-
starben nach ihrer Verurteilung zu Haftstrafen im Gefängnis melt. 1938/39 fanden sich einige der jüdischen Freunde von
oder unmittelbar nach der Befreiung an den Folgen der Haft. Herbert Baum erneut zusammen. Sie versuchten unabhängig
von anderen kommunistischen Berliner Widerstandsgruppen,
eigenständige Formen des Protests und des Widerstands zu
entwickeln.
Seit dem Überfall deutscher Truppen auf die Sowjetunion
im Sommer 1941 verbreiteten sie Flugblätter, um so auf das
Unrecht und die gefährlichen Folgen des Krieges aufmerksam
zu machen. Ihre spektakulärste Aktion war ein Brandanschlag
auf die Propagandaausstellung „Das Sowjetparadies“ im Ber-
liner Lustgarten am 17. Mai 1942. Herbert Baum und seine
Freunde, die besondere Sympathie für die Bevölkerung der Sow-
jetunion empfanden, wandten sich mit ihrer Tat vor allem
gegen deren Verunglimpfung als „slawische Untermenschen“
Robert-Havemann-Gesellschaft
Widerstand aus christlichem Glauben rung gegen Hitler. Er wusste, dass seine Entscheidung aus
eigener Verantwortung erfolgte und seitens der Kirche nicht
Seit der Mitte der 1930er-Jahre gelang es den Nationalsozia- gedeckt wurde.
listen zunehmend, den Kreis oppositioneller evangelischer Evangelische Christen, die sich politisch gegen das NS-Re-
Christen zu schwächen. Martin Niemöller, ein Wortführer gime wandten, konnten ihren Selbstbehauptungswillen aus
des Kirchenkampfes, wurde 1937 festgenommen und 1938 den Grundlagen ihres Glaubens schöpfen, nicht aber auf die
ins Konzentrationslager eingewiesen. Andere Pfarrer aus der Unterstützung durch ihre Kirche hoffen. Sie blieben auf sich
Bekennenden Kirche wurden bedroht und mit Predigtverbot gestellt und fühlten sich oft allein gelassen.
belegt. Nach der Ermordung des Pfarrers Paul Schneider im Schon bald nach Abschluss des Reichskonkordates von 1933
KZ Buchenwald erkannten viele evangelische Regimegegner, war unübersehbar, dass Hitler den Einfluss des Katholizismus
mit welcher Brutalität die Nationalsozialisten ihre Drohungen auf das öffentliche Leben zurückdrängen wollte. Seit Mitte der
verwirklichten. 1930er-Jahre setzten einzelne Geistliche und Gläubige dem
Nicht alle Pfarrer und Christen aus den evangelischen Ge- Zeichen ihres Selbstbehauptungswillens und ihrer Glaubens-
meinden resignierten oder ließen sich einschüchtern. Sie treue entgegen. Auseinandersetzungen um die Entkonfessio-
beteiligten sich an Hilfsaktionen für Verfolgte, traten den nalisierung von Schule und Erziehung sowie die Kämpfe um
Zumutungen des Staates und der nationalsozialistischen Glaubenssymbole und kirchliche Wirkungsmöglichkeiten
„Deutschen Christen“ offen entgegen und verstärkten auf ihre zeigten den Machthabern, wie unbeirrbar sich praktizierende
Weise den kleinen Kreis unbeugsamer Protestanten, die Hit- Katholiken der weltanschaulichen „Gleichschaltung“ wider-
lers Herrschaft ablehnten und bekämpften. setzten.
Unter den Bedingungen des Krieges erkannten evangelische Während des Krieges wurden Hunderte von katholischen
Christen vermehrt den verbrecherischen Grundzug deutscher Geistlichen in Konzentrationslagern gefangen gehalten, mit
Politik. Wurden einzelne Pfarrer und Gemeindemitglieder be- Predigtverboten belegt oder unter Hausarrest gestellt. Ein-
drängt und festgenommen, weil sie sich angeblichen Zwän- zelne wurden vom nationalsozialistischen „Volksgerichtshof“
gen des Krieges nicht unterwerfen wollten, so rückten oftmals oder dem Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt, andere
Gleichgesinnte nach. Sie vertraten christliche Glaubensüber- starben während der Haft in Konzentrationslagern oder wur-
zeugungen und protestierten deshalb gegen Verbrechen hin- den dort getötet. Die Ermordung von Patienten aus Heil- und
ter der Front, gegen die entwürdigende und menschenver- Pflegeanstalten seit Herbst 1939 stieß bei vielen Bischöfen,
achtende Behandlung von Kriegsgefangenen und schließlich Geistlichen und Gläubigen auf offenen Widerspruch.
gegen die Deportation von Juden. Sie litten darunter, dass ihr Zwar ließen sich einige Bischöfe über die Pläne oppositio-
Protest zu schwach und ihre Kirche weitgehend stumm blieb. neller Kreise informieren und hielten während des Krieges
Einer der wichtigsten Wortführer des Protestantismus wurde Verbindung zu politischen Widerstandsgruppen wie dem
während des Krieges der württembergische Landesbischof Kreisauer Kreis. Der politische Widerstand katholischer Chris-
Theophil Wurm, der gegen die Ermordung von Menschen mit ten konnte sich jedoch ebenso wenig wie die Gegenwehr
geistiger Behinderung öffentlich Einspruch erhob. evangelischer Christen auf offenen Rückhalt durch kirchliche
Der überzeugte Pazifist Hermann Stöhr widersetzte sich Amtsträger berufen.
aus christlicher Überzeugung seiner Einberufung zum Kriegs- Das Gleiche galt für gläubige Katholiken wie Pater Franz
dienst. Er wurde hingerichtet, weil er sich weigerte, den Fah- Reinisch, Franz Jägerstätter und Josef Ruf, die den Wehrdienst
neneid auf Hitler zu leisten. Dietrich Bonhoeffer beteiligte sich und den Eid auf Hitler verweigerten, dafür wegen Wehrkraft-
bis zu seiner Festnahme im April 1943 aktiv an der Verschwö- zersetzung zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden.
Archiv der Deutschen Provinz der Jesuiten, Abt. 800, Nr. 432
Privatbesitz
Dietrich Bonhoeffer (3. v. l.) mit vier italienischen Mitgefangenen und einem Wärter Pater Alfred Delp SJ (l.) und Pater Lothar König SJ in Valkenburg/Niederlande um
im Zuchthaus Tegel, Sommer 1944 1935
Privatbesitz
ge Weltfriedensordnung. Als er versuch-
te, diese Denkschrift dem schwedischen
Erzbischof Erling Eidem von Uppsala zu
übermitteln, wurde er von der Kurierin,
max josef metzger kurt gerstein
einer Gestapoagentin, denunziert und
Geboren 1887, studierte Max Josef Metz- am 29. Juni 1943 erneut festgenommen. Geboren 1905, engagierte sich Kurt Gestein
ger Theologie und Philosophie in Freiburg Max Josef Metzger wurde in einem nach dem Abitur in der christlichen Ju-
sowie in Fribourg (Schweiz) und wurde 70-minütigen Schauprozess, in dem ihm gendarbeit. Er studierte Bergbau und legte
1911 zum Priester geweiht. Als Militärseel- der Vorsitzende Richter Roland Freisler 1931 die Prüfung zum Diplom-Ingenieur ab.
sorger nahm er am Ersten Weltkrieg teil. keinerlei Möglichkeit zur Verteidigung Im Mai 1933 trat Gerstein in die NSDAP ein.
Schon während des Krieges wurde für einräumte, wegen „Hochverrat und Feind- Im selben Jahr protestierte er offen gegen
ihn die Friedensarbeit zur vordringlichen begünstigung“ vom „Volksgerichtshof“ die Auflösung der evangelischen Jugend-
Aufgabe, denn er war überzeugt, dass zum Tode verurteilt und am 17. April 1944 verbände und schloss sich bald darauf der
„Kriege künftig ihren Sinn verloren haben, in Brandenburg-Görden enthauptet. oppositionellen Bekennenden Kirche an.
indem sie niemand mehr Aussicht geben, 1936 wurde er aus der NSDAP ausgeschlos-
mehr zu gewinnen als zu verlieren“. sen und zweimal inhaftiert.
Nachdem Kurt Gerstein von der Mord-
aktion an Patienten von Heil- und Pflege-
anstalten erfahren hatte, entschloss er
Schulen. Immer wieder brandmarkte er sich, in die Waffen-SS einzutreten. Er hoff-
öffentlich nationalsozialistische Übergrif- te, auf diesem Weg nähere Informationen
fe und Unrechtstaten. Neben dem Berliner über Verbrechen der Nationalsozialisten
Bischof Konrad Graf von Preysing wurde zu erhalten. Gerstein wurde dem Sanitäts-
er zum wichtigen Wortführer der inner- wesen der Waffen-SS zugeteilt und über-
kirchlichen Opposition. nahm die Leitung des technischen Desin-
Im Sommer 1941 hielt Galen drei be- fektionsdienstes. Im Juni 1942 bekam er
rühmt gewordene Predigten, in denen erstmals den Auftrag, Blausäure (Zyklon B)
Bistumsarchiv Münster
er die Terrormethoden der Gestapo, die zur Ermordung von Menschen zu be-
Morde an Patienten von Heil- und Pfle- schaffen. Im August 1942 wurde er zudem
geanstalten und die staatliche Beschlag- Zeuge des Massenmordes in den Vernich-
nahme von Klöstern durch die National- tungslagern Belzec und Treblinka. Ger-
sozialisten öffentlich anprangerte. Die stein informierte mehrfach ausländische
Predigten Galens fanden im In- und Diplomaten und Geistliche über die natio-
Ausland große Verbreitung. Sie wurden nalsozialistischen Gewaltverbrechen und
clemens august graf von galen
vom Londoner Rundfunk gesendet, als versuchte, Lieferungen des Zyklon-B-Ga-
Der 1878 geborene Clemens August Graf Flugblätter von alliierten Flugzeugen ses zu sabotieren.
von Galen entstammte einer katholischen abgeworfen und von vielen Deutschen Am 22. April 1945 stellte er sich den
Adelsfamilie. Nach dem Theologiestudi- abgeschrieben und verbreitet. Die Na- französischen Behörden. Kurt Gerstein
um empfing er 1904 die Priesterweihe und tionalsozialisten wagten jedoch nicht, kam am 25. Juli 1945 in einem Pariser Ge-
wurde 1933 zum Bischof von Münster er- den beliebten Bischof von Münster zu fängnis unter bis heute ungeklärten Um-
nannt. Galen galt als national und konser- verhaften. ständen ums Leben. Der von ihm noch
vativ eingestellt. Er wehrte sich schon 1934 Clemens August Graf von Galen über- in der Haft verfasste Bericht ist eines der
gegen Angriffe der Nationalsozialisten lebte das Kriegsende und wurde kurz vor wichtigsten Dokumente über den Völker-
auf die Kirche, katholische Vereine und seinem Tod 1946 zum Kardinal ernannt. mord an den Juden Europas.
Privatbesitz
wurde sie durch die evangelische Kirchen-
leitung in Breslau vom Amt suspendiert
und im Dezember 1941 in der SS-Zeitung
„Das Schwarze Korps“ scharf angegriffen.
katharina staritz elisabeth abegg
Im März 1942 nahm die Gestapo Staritz
Geboren 1903, promovierte Katharina Sta- in Haft und verschleppte sie im August Die 1882 geborene, linksliberal eingestell-
ritz 1928 als erste Frau an der Marburger 1942 in das KZ Ravensbrück. Paul Graf te Lehrerin Elisabeth Abegg unterrichtete
Evangelisch-Theologischen Fakultät. Ab Yorck von Wartenburg konnte nach Ver- ab 1924 am Berliner Luisen-Oberlyzeum
1933 war sie als Stadtvikarin in Breslau tä- handlungen mit dem Breslauer Gaulei- Mädchen in Geschichte. Zu Beginn der
tig. 1938 übernahm Staritz die schlesische ter Hanke im Mai 1943 ihre Freilassung NS-Zeit gehörte sie einem kleinen Kreis
Vertrauensstelle der „Kirchlichen Hilfs- erreichen. Sie blieb jedoch weiter unter von Lehrerinnen und Schülerinnen an, die
stelle für evangelische Nichtarier“ (Büro Aufsicht der Gestapo und durfte ihren Be- sich gegen die nationalsozialistische Ver-
Pfarrer Grüber), die Christen jüdischer ruf nicht mehr ausüben. Katharina Sta- einnahmung der Schule wehrten. Abegg,
Herkunft bei der Auswanderung half und ritz überlebte das Kriegsende und wirkte eine entschiedene Gegnerin des NS-Re-
ihnen seelsorgerisch sowie mit sozialen nach 1945 im Pfarrdienst in Thüringen gimes, wurde 1935 strafversetzt und 1941
Angeboten zur Seite stand. Auch nachdem und Hessen. zwangspensioniert. Im selben Jahr trat
sie der Religionsgemeinschaft der Quäker
bei, die unterschiedslos allen Verfolg-
ten half.
wegen der Zugehörigkeit zu dieser Religi- Als ihre enge Freundin Dr. Anna Hirsch-
onsgemeinschaft zu einer Gefängnisstra- berg, eine Christin jüdischer Herkunft, ihre
fe von neun Monaten verurteilt. Hilfsangebote ablehnte und im Juli 1942
Emmy Zehden war wie alle Zeugen Je- deportiert wurde, wollte Abegg fortan
hovas eine entschiedene Gegnerin des möglichst viele Verfolgte retten. Mit ihrer
Kriegsdienstes und beeinflusste ihren Schwester Julie nahm sie zwölf Geflohe-
Neffen Horst Günter Schmidt, sich dem ne in ihrer Wohnung in Berlin-Tempelhof
Wehrdienst zu entziehen. Obwohl ihr auf, darunter die jüdische Kindergärtne-
Mann verurteilt wurde und Emmy Zehden rin Liselotte Pereles, welche die kinderlose
wusste, dass ihre Haltung lebensgefähr- Abegg nach dem Krieg adoptierte. An-
lich war, hielt sie an ihrer Überzeugung deren konnte sie Verstecke bei Freunden
fest. Sie versteckte ihren Neffen sowie vermitteln.
GDW
Privatbesitz
„Wehrkraftzersetzung“ verurteilt. Vor allem Regimegegner
versuchen dennoch, sich unabhängig von den Nachrichten
der NS-Propaganda und den Wehrmachtsberichten zu infor-
Mit verschiedenen Mitteln versucht die NS-Führung das Abhören ausländischer
mieren und anschließend andere über die Kriegslage und die Sender zu verhindern. Die NSDAP-Ortsgruppen warnen ab 1941 mit einem Anhän-
deutschen Gewaltverbrechen aufzuklären. ger für Radiogeräte vor „Rundfunkverbrechen“.
Auch kritische Äußerungen über die NS-Führung oder Zwei-
fel am deutschen „Endsieg“ wurden unerbittlich geahndet. In
den letzten Jahren des Krieges wurde dafür immer häufiger sen aus der Bevölkerung und oftmals nach Denunziationen
die Todesstrafe verhängt. Die Polizei ermittelte nach Hinwei- von Bekannten oder Familienmitgliedern.
tern auf. Sie arbeitete als Hausmädchen verteilten die beiden in Berliner Treppen-
und Näherin. Im Januar 1937 heiratete sie häusern und Briefkästen, insgesamt mehr
den 1897 geborenen Arbeiter Otto Ham- als zweihundert Stück.
pel. Ihre Ehe blieb kinderlos. Sie wohnten Zwei Jahre nach Beginn ihrer Aktionen,
im Berliner Arbeiterviertel Wedding und Ende September 1942, wurden sie festge-
führten ein angepasstes und unauffälli- nommen. Die Bewohnerin eines Hauses
ges Leben. Elise Hampel war seit 1936 Mit- hatte sie beim Ablegen der Karten beob-
glied und Zellenleiterin in der Frauenorga- achtet und bei der Polizei denunziert. Der
nisation der NSDAP. „Volksgerichtshof“ verurteilte Elise und
Der Tod ihres Bruders Kurt, der im Juni Otto Hampel wegen „Vorbereitung zum
1940 als Soldat in Frankreich fiel, erschüt- Hochverrat“, „Feindbegünstigung“ und
Privatbesitz
terte Elise Hampel tief und ließ sie an der „Zersetzung der Wehrkraft“ zum Tode. Sie
NS-Propaganda von der Notwendigkeit wurden am 8. April 1943 in Berlin-Plöt-
des Krieges zweifeln. Gemeinsam mit ih- zensee enthauptet. Das Schicksal des Ehe-
rem Mann Otto begann sie kurz darauf, paars Hampel diente dem Schriftsteller
elise und otto hampel
mit handgeschriebenen Postkarten und Hans Fallada als Grundlage für seinen
Die 1903 geborene Elise Lemme wuchs in Flugzetteln zum Widerstand gegen Hitler Roman „Jeder stirbt für sich allein“.
der Nähe von Stendal mit vier Geschwis- und den Krieg aufzurufen. Diese Appelle
einjährigen Wirtschaftslehre als Telefonis- zu leiden. Sie lebte inzwischen mit ihrem
tin tätig. 1932 schloss sie sich in Detmold Ehemann und ihren zwei Söhnen im nieder-
der KPD an, der auch ihr späterer Ehemann sächsischen Verden, hörte nach Kriegsbe-
Wilhelm Schäfer angehörte. Nach der natio- ginn regelmäßig ausländische Radiosender
nalsozialistischen Machtübernahme wurde ab und gab die Informationen beim Einkau-
Wilhelm Schäfer aus dem lippischen Staats- fen und auf der Arbeit an andere Frauen im
dienst entlassen. Berta Schäfer hielt ihre Ort weiter. Sie wollte damit das Nachrich-
politischen Kontakte weiterhin aufrecht, tenmonopol der Nationalsozialisten durch-
beteiligte sich an der Verbreitung von Flug- brechen und über den tatsächlichen Verlauf
blättern der illegalen KPD und unterstütz- des Krieges aufklären.
te politisch Verfolgte und deren Familien. Berta Schäfer wurde am 19. Januar 1943
Privatbesitz
Nach einer ersten Festnahme 1933 wurde sie vom Sondergericht Hannover wegen „Rund-
im August 1934 wegen „Vorbereitung zum funkverbrechen“ zu fünf Jahren Zuchthaus
Hochverrat“ zu einem Jahr und vier Mona- verurteilt. Ende März 1945 konnte sie aus
ten Gefängnis verurteilt. einem Außenkommando des Zuchthauses
berta schäfer
Nach ihrer Haftentlassung stand Berta Lübeck-Lauerhof fliehen und sich bis zum
Die 1902 geborene Berta Klose war nach Schäfer unter Beobachtung der Gestapo Kriegsende verstecken.
dem Besuch der Mittelschule und einer und hatte unter beruflichen Repressionen
aktiv und trat Anfang der 1920er-Jahre der „Das Nazi-Regime ist ohne Gewalt nicht
SPD bei. Seit 1927 gehörte er dem Interna- zu beseitigen. Dies war eigentlich der für
tionalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) mich entscheidende Grund, wegzugehen
an. In Frankfurt am Main war er Mitglied und dann auch zu den Partisanen zu gehen
eines Widerstandskreises, der zur Tarnung und aktiv gegen die SS zu kämpfen. Ohne
vegetarische Restaurants betrieb. Mehr- Gewalt geht es nicht. Wir allein sind viel zu
fach festgenommen und 1938 zu einer schwach, und in Deutschland wird es kei-
Zuchthausstrafe verurteilt, wurde Ludwig ne Gewalt gegen Hitler geben. Wir werden
Gehm nach der Haft in das KZ Buchen- also angewiesen sein auf die Gewalt, die die
wald überstellt und kam von dort 1943 zu Gegner Deutschlands gegenüber Deutsch-
den „Bewährungseinheiten“ 999. Beim land und damit eben gegen den National-
Privatbesitz
Rote Kapelle Berlin. Im Frühjahr 1941 informierten sie die sowjetische Bot-
schaft über die Vorbereitungen der Wehrmacht zum Überfall
Bereits Mitte der 1930er-Jahre waren in Berlin Freundes-, Dis- auf die Sowjetunion. Doch Stalin ignorierte die Warnungen.
kussions- und Schulungskreise entstanden, die sich 1940/41 Zwei Funkgeräte, die die sowjetische Botschaft Harnack und
durch persönliche Kontakte zu einem losen Netzwerk von Schulze-Boysen im Sommer 1941 zur Aufrechterhaltung der
sieben Berliner Widerstandskreisen verbanden. Ihnen gehör- Verbindung zur Verfügung stellte, kamen wegen technischer
ten mehr als 150 Menschen ganz unterschiedlicher sozialer Probleme nicht zum Einsatz. Ab Herbst 1941 begannen die
Herkunft und weltanschaulicher Traditionen an, die aus dem überzeugten Regimegegner damit, die deutsche Bevölkerung
universitären Bereich, aus Kunst, Publizistik und Verwaltung mit Flugblättern und Klebezetteln über die NS-Gewaltverbre-
kamen, darunter viele Frauen. Sie alle einte die entschiedene chen zu informieren und vor den Folgen eines verlorenen Krie-
Gegnerschaft zum Nationalsozialismus. Sie diskutierten über ges für die Eigenstaatlichkeit Deutschlands zu warnen.
politische und künstlerische Fragen, halfen Verfolgten und do- Im Frühjahr 1942 verstärkten sie ihre Flugschriftenaktionen
kumentierten die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. und ihre Hilfen für Verfolgte und Zwangsarbeiter. Auch die
Über ihren engeren Kreis hinaus wandten sie sich an die Öf- Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen, besonders nach
fentlichkeit, indem sie Flugblätter und Klebezettel verbreite- Hamburg, wurden intensiviert. In der Nacht vom 17. auf den
ten. Schließlich nahmen sie Kontakte zu Gleichgesinnten in 18. Mai 1942 tauchten in mehreren Berliner Stadtbezirken Kle-
anderen Teilen Deutschlands auf. bezettel auf, auf denen gegen die große NS-Propaganda-Aus-
Schon 1933 hatten Arvid Harnack, ein Oberregierungsrat im stellung „Das Sowjetparadies“ protestiert wurde. Diese Kle-
Reichswirtschaftsministerium, und seine Frau Mildred pri- bezettel hatte Fritz Thiel organisiert, in dessen Wohnung sich
vate Diskussionsrunden zur politischen Zukunft nach dem die Beteiligten am Abend des 17. Mai zusammenfanden. Ange-
Sturz des NS-Regimes veranstaltet. An diesen Treffen nahmen klebt werden die Zettel von Otto Gollnow und Liane Berkowitz
neben den engen Freunden Adam und Greta Kuckhoff auch sowie Werner Krauss und dessen Freundin Ursula Götze.
Schüler des Berliner Abendgymnasiums wie Karl Behrens Trotz intensiver Ermittlungen gelang es der Gestapo zu-
und Bodo Schlösinger teil. Mitte der 1930er-Jahre knüpfte der nächst nicht, der Gruppe auf die Spur zu kommen. Dies än-
Kreis um Harnack Kontakte zu Sozialdemokraten wie Adolf derte sich, als Mitte Juli 1942 ein Funkspruch des militäri-
Grimme und zu kommunistischen Kreisen um John Sieg. Im schen Nachrichtendienstes GRU aus Moskau entschlüsselt
Sommer 1939 vermittelte das Ehepaar Kuckhoff den intensi- werden konnte. Der Funkspruch vom August 1941 war an
veren Kontakt zwischen Harnack und Harro Schulze-Boysen, den Brüsseler Agenten „Kent“ (Anatoli Gurewitsch) gerichtet
der seit 1934 im Reichsluftfahrtministerium arbeitete, und und enthielt die Adressen von Kuckhoff und Schulze-Boysen.
dessen Frau Libertas. 1940 stieß eine Gruppe von ehemaligen „Kent“ hatte diese im Oktober 1941 besucht und Informationen
Schülern der Berliner Schulfarm Insel Scharfenberg zum Kreis über Brüssel nach Moskau weitergegeben. Ende August 1942
um Schulze-Boysen hinzu. Dazu gehörten neben anderen Hil- erfuhr Horst Heilmann, ein Mitglied der Gruppe, von den ent-
de und Hans Coppi, Hans Lautenschläger und Heinrich Scheel. schlüsselten sowjetischen Funksprüchen und versuchte, seine
Nun begann zwischen den einzelnen Gruppen eine enge Zu- Freunde zu warnen. Doch in kürzester Zeit wurden weit über
sammenarbeit, deren Höhepunkt 1941/42 erreicht war. 130 Mitglieder festgenommen. Aufgrund der Verbindung zu
„Kent“ sah die Gestapo die Berliner Gruppe fälschlicherweise
Aktionen als Teil der sowjetischen Spionageorganisation an und gab ihr
Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen gewannen nicht den Namen „Rote Kapelle“. In den folgenden Monaten wurden
nur stets neue Gesinnungsfreunde, sie hielten auch Kontakt 49 Menschen der Gruppen um Harnack und Schulze-Boysen
zu amerikanischen und sowjetischen Botschaftsvertretern in von der NS-Unrechtsjustiz zum Tode verurteilt und ermordet.
GDW
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Mildred und Arvid Harnack mit Martha Dodd (r.), der Tochter des US-Botschafters Libertas und Harro Schulze-Boysen in Mülheim um 1935
William Dodd, um 1935
Der 1901 geborene Arvid Harnack wuchs in einer Gelehrten- Der 1909 geborene Harro Schulze-Boysen engagierte sich Ende
familie auf und schloss sich nach dem kriegsbedingten Not- der 1920er-Jahre im national-liberalen Jungdeutschen Orden.
abitur 1919 einem Freikorps an. Ein Rockefeller-Stipendium Als Herausgeber der Zeitschrift „gegner“ hatte er 1932/33 viel-
ermöglichte dem Juristen von 1926 bis 1928 ein Studium in fältige Kontakte in politisch unterschiedliche Lager. Nach dem
Madison/Wisconsin. Dort lernte er seine Frau Mildred kennen. Verbot des „gegner“ und einer kurzfristigen Haft in einem Ber-
1931 promovierte Harnack in Gießen über die vormarxistische liner SA-Folterkeller begann Schulze-Boysen im Mai 1933 eine
Arbeiterbewegung in den USA. Mit einer Delegation der von Ausbildung an der Verkehrsfliegerschule in Warnemünde. Seit
ihm mitbegründeten Gesellschaft zum Studium der sow- April 1934 war er im Reichsluftfahrtministerium tätig und bil-
jetrussischen Planwirtschaft (ARPLAN) reiste er im Sommer dete um sich Mitte der 1930er-Jahre einen engeren Freundes-
1932 in die Sowjetunion. und Widerstandskreis.
1933 begann Harnack einen Schulungszirkel aufzubauen. Er Gemeinsam mit Arvid Harnack informierte Harro Schul-
wollte die Beteiligten befähigen, sich mit den politischen und ze-Boysen im ersten Halbjahr 1941 einen Vertreter der sowjeti-
wirtschaftlichen Zusammenhängen des Nationalsozialismus schen Botschaft über die Angriffspläne gegen die Sowjetunion.
auseinanderzusetzen, und sie für die Zeit nach dem Sturz des Seine Initiative, den Kontakt nach Moskau während der Kriegs-
NS-Regimes vorbereiten. Ab 1935 im Amerikareferat des Wirt- zeit über ein Funkgerät aufrechtzuerhalten, wurde durch tech-
schaftsministeriums tätig, stieg Harnack bis 1942 zum Oberre- nische Probleme verhindert.
gierungsrat auf. Schulze-Boysen gewann nach dem deutschen Angriff auf die
Anfang 1942 erarbeitete Harnack die Studie „Das nationalso- Sowjetunion am 22. Juni 1941 neue Mitstreiter, beteiligte sich an
zialistische Stadium des Monopolkapitals“, die in Berliner und der Ausarbeitung von Flugschriften, an einer Klebezettel-Akti-
Hamburger Widerstandskreisen zirkulierte. Arvid Harnack wur- on und hatte Kontakte zu politisch und weltanschaulich un-
de am 7. September 1942 festgenommen, am 19. Dezember vom terschiedlich orientierten Hitler-Gegnern. Am 31. August 1942
Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt und auf Befehl Hitlers festgenommen, wurde Harro Schulze-Boysen am 19. Dezember
am 22. Dezember 1942 in Berlin-Plötzensee erhängt. 1942 vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt und drei Tage
Die 1902 in Milwaukee/Wisconsin (USA) geborene Mildred Fish später auf Befehl Hitlers in Berlin-Plötzensee erhängt.
stammte aus einer amerikanischen Kaufmannsfamilie und lehr- Die 1913 geborene Libertas Haas-Heye begann 1933 eine Tä-
te Literaturwissenschaft an der Universität Madison, wo sie Arvid tigkeit als Pressereferentin bei der Filmproduktionsfirma Me-
Harnack während seines Studiums in den Vereinigten Staaten tro-Goldwyn-Mayer in Berlin. Im Sommer 1934 lernte sie Harro
kennenlernte. Drei Jahre nach ihrer Heirat 1926 folgte Mildred Schulze-Boysen kennen, den sie im Sommer 1936 heiratete. Die
ihrem Mann 1929 nach Deutschland. Sie lehrte am Berliner Städ- Journalistin und Autorin arbeitete mit dem Autor und Schriftstel-
tischen Abendgymnasium und an der Volkshochschule Groß-Ber- ler Günther Weisenborn an einem Theaterstück „Die guten Feinde“
lin. 1941 promovierte sie in Gießen und arbeitete als Dozentin an über den Mediziner und Nobelpreisträger Robert Koch. Im Jahre
der Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Berliner Universität. 1940 schrieb sie vor allem Filmkritiken und sammelte zugleich
Gemeinsam mit ihrem Mann beteiligte sie sich an allen Aktionen in der deutschen Kulturfilmzentrale im Reichspropagandaminis-
der Widerstandsgruppe. terium Bildmaterial über NS-Gewaltverbrechen. Sie unterstützte
Mildred Harnack wurde gemeinsam mit ihrem Mann festge- ihren Mann bei der Suche nach neuen Verbindungen im Wider-
nommen und am 19. Dezember 1942 vom Reichskriegsgericht stand. Ende Oktober 1941 empfing sie den aus Brüssel angereisten
zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Am 21. Dezember 1942 hob sowjetischen Offizier des militärischen Nachrichtendienstes und
Hitler das Urteil auf und beauftragte das Reichskriegsgericht mit vermittelte ihm ein Gespräch mit ihrem Mann. Nach dessen Fest-
einer zweiten Hauptverhandlung, die am 16. Januar 1943 mit der nahme warnte sie Freunde und schaffte illegales Material beiseite.
Todesstrafe endete. Mildred Harnack wurde am 16. Februar 1943 Libertas Schulze-Boysen wurde am 8. September festgenommen,
in Berlin-Plötzensee enthauptet. am 19. Dezember 1942 vom Reichskriegsgericht zum Tode verur-
teilt und drei Tage später in Berlin-Plötzensee enthauptet.
Hans Coppi von 1929 bis 1932 die reform- verbindung der Widerstandsorganisation
pädagogische Schulfarm auf der Insel in die Sowjetunion herzustellen. Dies kam
Scharfenberg im Tegeler See. 1931/32 wegen fehlender Vorkenntnisse und tech-
schloss er sich den „Roten Pfadfindern“ und nischer Probleme jedoch nicht zustande.
dem KJVD an. Wegen illegalen Verteilens Coppi beteiligte sich an Flugblatt- und Kle-
von Flugblättern gesucht, wurde er Ende bezettel-Aktionen und kümmerte sich im
Januar 1934 festgenommen, kurze Zeit im August 1942 um den aus Moskau eingetrof-
KZ Oranienburg inhaftiert und zu einem fenen Fallschirmagenten Albert Hößler.
Jahr Jugendgefängnis verurteilt. Nach Nach seiner Einberufung zur Wehrmacht
seiner Entlassung schloss er sich wieder am 10. September 1942 wurde Hans Coppi
dem Scharfenberger Freundes- und Wider- am 12. September 1942 in Schrimm bei Po-
Privatbesitz
nen kleinen Laden für Lederwaren. Nach dies“ im Berliner Lustgarten. Mehrfach in-
dem Besuch eines Mädchengymnasiums formierte sie Angehörige deutscher Kriegs-
(Lyzeums) und einer höheren Handels- gefangener über deren Lebenszeichen, die
schule arbeitete sie in den 1930er-Jahren der Moskauer Rundfunk ausstrahlte.
als Sprechstundenhilfe und seit 1939 als Am 12. September nahm die Gestapo
Sachbearbeiterin bei der Reichsversiche- Hans und Hilde Coppi sowie ihre Mutter,
rungsanstalt für Angestellte. Während ihre Schwiegereltern und ihren Schwager
des Besuchs der Volkshochschule freunde- fest. Ende November 1942 wurde ihr Sohn
te sie sich 1933 mit kommunistischen Ju- Hans im Berliner Frauengefängnis Bar-
gendlichen an. Ihr jüdischer Freund Franz nimstraße geboren. Das Reichskriegsge-
Karma musste 1939 nach Skandinavien richt verurteilte Hilde Coppi am 20. Januar
Privatbesitz
Charlottenburg. Schon bald unterstützte er für in der Stadt untergetauchte Juden, die
hier Verfolgte des NS-Regimes medizinisch sich der Deportation entzogen hatten.
und besuchte abends seine jüdischen Pa- Himpel gewann Ende 1941 auch den Pia-
tienten, die ihn nicht mehr aufsuchen nisten Helmut Roloff für die Widerstandsak-
durften. Er hatte seit 1939 Kontakt zu Har- tivitäten der Gruppe. Am 17. September 1942
ro Schulze-Boysen und John Graudenz. wurden Helmut Himpel und seine Lebens-
Mehrfach beteiligte er sich an der Verbrei- gefährtin Maria Terwiel festgenommen
tung von Flugschriften, etwa bei „Die Sor- und am 26. Januar 1943 gemeinsam mit der
ge um Deutschlands Zukunft geht durch Tänzerin Oda Schottmüller und dem jungen
das Volk“. Kommunisten Walter Husemann wegen
Erst nach der Festnahme der Angehöri- „Hochverrat“ und „Feindbegünstigung“ zum
Privatbesitz
gen der Roten Kapelle im Herbst 1942 wurde Tode verurteilt. Noch in der Haft befasste
aufgedeckt, dass John Graudenz einen Ver- Himpel sich mit theologischen Fragen und
vielfältigungsapparat besorgt und zusam- erhoffte sich für die Zeit nach dem National-
men mit Helmut Himpel und Maria Terwiel sozialismus eine größere Gemeinsamkeit
helmut himpel
Herstellung und Versand der Flugschriften der evangelischen und katholischen Kirche.
Der 1907 geborene Zahnarzt Helmut Him- organisiert hatte. Gemeinsam mit ihr be- Helmut Himpel wurde am 13. Mai 1943 in
pel eröffnete 1937 eine Praxis in Berlin- schaffte Himpel 1941 auch Personalpapiere Berlin-Plötzensee erhängt.
als Vizepräsident beim Oberpräsidium der Schulze-Boysen und John Graudenz ken-
Provinz Pommern arbeitete. Nach dem nen und beteiligten sich an den Aktionen
Abitur 1931 studierte Maria Terwiel in Frei- dieser Widerstandsgruppe. Maria Terwiel
burg und München Jura. In Freiburg lernte vervielfältigte auf ihrer Schreibmaschine
sie ihren späteren Verlobten Helmut Him- mehrere Flugschriften, darunter im Ja-
pel kennen. Da sie wegen ihrer jüdischen nuar 1942 die Flugschrift „Die Sorge um
Mutter keine Aussicht auf eine Stelle im Deutschlands Zukunft geht durch das
staatlichen juristischen Vorbereitungs- Volk“. Zudem beteiligte sie sich an der
dienst hatte, brach sie ihr Studium ab und Zettelklebeaktion vom 17./18. August 1942
kehrte zu ihrer Familie zurück, die inzwi- gegen die nationalsozialistische Propagan-
schen in Berlin wohnte. Ihren Lebensun- daausstellung „Das Sowjetparadies“.
Privatbesitz
terhalt verdiente sie ab 1935 als Sekretä- Im Zuge der Verhaltungswelle gegen die
rin in einem französisch-schweizerischen Widerstandsgruppe wurde Maria Terwiel
Textilunternehmen. am 17. September 1942 festgenommen, am
Maria Terwiel und Helmut Himpel un- 26. Januar 1943 vom Reichskriegsgericht
maria terwiel
terstützten jüdische Mitbürger, indem zum Tode verurteilt und am 5. August 1943
Die 1910 geborene Maria Terwiel besuchte sie ihnen Lebensmittelkarten und Perso- in Berlin-Plötzensee enthauptet.
das Gymnasium in Stettin, wo ihr Vater nalpapiere beschafften. Sie lernten Harro
Zettelklebeaktion vom 17./18. August 1942 ihm empfohlen, die 22-jährige Keramike-
gegen die antisowjetische Propagandaaus- rin Cato Bontjes van Beek und die 19-jäh-
stellung „Das Sowjetparadies“. rige Schülerin Liane Berkowitz wegen der
liane berkowitz
Am 26. September 1942 wurde sie fest- geringen Schwere ihrer Taten zu begna-
Die 1923 in Berlin als Tochter des aus der genommen und am 18. Januar 1943 vom digen. Hitler lehnte dies jedoch ebenfalls
Sowjetunion geflohenen russischen Ka- Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt. Im ausdrücklich ab.
Weiße Rose
An der Münchener Universität fand sich im Frühjahr 1942 um
Hans Scholl und Alexander Schmorell eine Gruppe von Studie-
renden zusammen, die sich der totalen Vereinnahmung durch
den Nationalsozialismus entziehen und ihre geistige Unabhän-
gigkeit bewahren wollten. Zu ihnen gehörten Sophie Scholl,
Christoph Probst und Willi Graf. Alle wurden auch durch ihren
Hochschullehrer, den Philosophen Kurt Huber, geprägt, mit dem
sie Grundfragen einer politischen Neuordnung diskutierten.
Zwischen dem 27. Juni und dem 12. Juli 1942 versandten Hans
Scholl und Alexander Schmorell die von ihnen gemeinsam ver-
fassten ersten vier Flugblätter der „Weißen Rose“ in einer Aufla-
ge von mehr als hundert Exemplaren anonym per Post an aus-
gewählte Adressaten aus ihrem Bekanntenkreis. Sie forderten
darin zum „passiven Widerstand“ gegen Hitlers verbrecherische
Kriegsführung auf, verlangten ein sofortiges Ende des Krieges,
den Sturz des NS-Regimes und prangerten die nationalsozialisti-
schen Gewaltverbrechen an.
Von Ende Juli bis Ende Oktober 1942 wurden Hans Scholl,
Alexander Schmorell und Willi Graf als Sanitäter an der Ostfront
eingesetzt. Nach ihrer Rückkehr unterstützte Kurt Huber im Ja-
nuar 1943 Hans Scholl beim Text des fünften Flugblatts, das von
diesem, seiner Schwester Sophie, Alexander Schmorell und Willi
Graf vervielfältigt und in einer Auflage von mehr als 6000 Ex-
emplaren in München, Augsburg, Stuttgart und Frankfurt am
Main sowie in Salzburg, Linz und Wien verbreitet wurde. Allein
in München wurden in der Nacht vom 28. auf den 29. Januar
1943 mehr als 2000 Flugblätter ausgelegt. Die Studierenden ver-
suchten zudem, Kontakte in andere Städte aufzubauen. In Ulm
formierte sich eine Gruppe von Schülern, die Verbindung zu
Hans und Sophie Scholl hielt.
Hans Scholl, Alexander Schmorell und Willi Graf schrieben
unter dem Eindruck der Niederlage von Stalingrad Anfang Fe-
bruar 1943 nachts Parolen wie „Freiheit“, „Nieder mit Hitler“ oder
GDW
„Massenmörder Hitler“ an Münchener Hausfassaden. Ebenfalls
Anfang Februar 1943 verfasste Kurt Huber das sechste und letzte Das sechste Flugblatt der Weißen Rose gelangt über Helmuth James Graf von
Moltke zum norwegischen Bischof Eivind Berggrav und von dort aus nach Groß-
Flugblatt der Gruppe. Es wandte sich in einer Auflage von 2000
britannien. Unter der Überschrift „Ein deutsches Flugblatt … Manifest der Münch-
Exemplaren ausdrücklich an die Münchener Studierenden und ner Studenten“ wirft die britische Royal Air Force im Sommer 1943 mehrere Millio-
gegen das „furchtbare Blutbad“, das die Nationalsozialisten in nen Exemplare über Deutschland ab.
Europa angerichtet hatten.
Am frühen Morgen des 18. Februar 1943 legten Hans und So-
phie Scholl es in der Münchener Universität aus und warfen in
einem spontanen Entschluss mehr als 100 Flugblätter in den
Lichthof der Universität. Dabei wurden sie von einem Hausmeis-
ter gestellt und der Gestapo übergeben. Führende Mitglieder der
Weißen Rose wurden festgenommen und vor Gericht gestellt.
Die nationalsozialistischen Machthaber sahen in ihren Taten
und in ihrem ethisch begründeten Appell an das Gewissen ein
politisches Schwerverbrechen. Hans und Sophie Scholl sowie
Christoph Probst wurden noch am Tage ihrer Verurteilung am
22. Februar 1943 im Gefängnis München-Stadelheim enthauptet.
In einem zweiten Prozess verurteilte der „Volksgerichtshof“
im April 1943 Alexander Schmorell, Willi Graf und Kurt Huber
zum Tode. Weitere Helfer und Mitwisser, darunter auch Ange-
hörige der Ulmer Gruppe, erhielten langjährige Freiheitsstrafen.
In Hamburg hatte sich 1942 eine Gruppe gebildet, die über
Hans Leipelt und Traute Lafrenz Kontakte nach München hat-
te. Im Herbst 1943 entdeckte die Gestapo auch diese Gruppe und
nahm mehr als 20 Personen in Haft. In den folgenden Jahren
wurden weitere zehn Regimegegner aus dem Umfeld des Mün-
chener und des Hamburger Zweiges der Weißen Rose ermordet
oder in den Tod getrieben.
Privatbesitz
Privatbesitz
Privatbesitz
hans scholl sophie scholl christoph probst
Der 1918 geborene Hans Scholl wuchs Die 1921 geborene Sophie Scholl trat 1934 in Der 1919 geborene Christoph Probst
mit vier Geschwistern in einem libera- den „Bund Deutscher Mädel“ in der „Hit- studierte nach dem Arbeits- und Wehr-
len protestantischen Elternhaus auf und ler-Jugend“ ein, wo sie bis zur Gruppenlei- dienst 1939 in München Medizin. Seit
wurde stark von der bündischen Jugend terin aufstieg. Bereits als Schülerin wurde 1935 kannte er Alexander Schmorell, mit
beeinflusst. Seit 1933 engagierte er sich sie 1937 wegen des bündischen Engage- dem er bald eng befreundet war. 1941
in der „Hitler-Jugend“ und stieg hier zum ments ihres Bruders Hans von der Gestapo heiratete Christoph Probst Herta Dohrn,
„Fähnleinführer“ auf. Weil ihn dort aber vernommen. Seit dieser Zeit distanzierte mit der er drei Kinder hatte. Schmorell
bald die militärische Engstirnigkeit ab- sie sich radikal vom Nationalsozialismus. führte Probst im Sommer 1942 in den
stieß, wandte er sich vom Nationalsozi- Nach dem Abitur im März 1940 machte Freundeskreis um Hans Scholl ein. Trotz
alismus ab und beteiligte sich an bün- sie eine Ausbildung zur Kindergärtne- seiner Versetzung nach Innsbruck im
dischen Gruppen. Ende 1937 inhaftierte rin und begann nach dem Arbeits- und Dezember 1942 beteiligte Probst sich bei
ihn die Gestapo für zwei Wochen. Kriegshilfsdienst im Mai 1942 in Mün- seinen Besuchen in München aktiv an
Nach dem Arbeits- und Wehrdienst chen ein Studium der Biologie und Philo- der Diskussion des fünften Flugblattes
studierte Hans Scholl ab dem Sommer- sophie. Dabei kam sie durch ihren Bruder der Weißen Rose und war auch bereit,
semester 1939 in München Medizin. Im Hans auch mit dem katholischen Publi- selbst eine Flugschrift zu verfassen.
Mai 1940 wurde er als Sanitäter an der zisten Carl Muth zusammen, der beide Nach der Festnahme der Geschwister
französischen Front eingesetzt. Hans in ihrem christlichen Glauben bestärkte Scholl fand die Gestapo einen Flugblatt-
Scholl konnte im April 1941 bei der und sie in der Ablehnung des National- entwurf von Probst in Hans Scholls Ja-
2. Studentenkompanie der Heeressani- sozialismus ebenso beeinflusste wie der ckentasche, in dem es hieß: „Hitler und
tätsstaffel in München sein Studium Hochschullehrer Kurt Huber. sein Regime muss fallen, damit Deutsch-
fortsetzen, wo er im Juni 1941 Alexander Im August und September 1942 musste land weiterlebt.“ Christoph Probst wurde
Schmorell kennenlernte. Seit Herbst 1941 Sophie Scholl wieder vier Wochen Kriegs- am 20. Februar 1943 in Innsbruck fest-
hielt Hans Scholl engen Kontakt zu dem hilfsdienst leisten und in einem Ulmer genommen und am 22. Februar 1943
katholischen Publizisten Carl Muth. Rüstungsbetrieb arbeiten. Im Januar 1943 gemeinsam mit den Geschwistern Scholl
Im Juni und Juli 1942 verbreiteten wirkte sie an der Herstellung und Ver- vom „Volksgerichtshof“ zum Tode ver-
Hans Scholl und Alexander Schmorell breitung des fünften Flugblattes der Wei- urteilt. Am selben Tag empfing er un-
die ersten vier Flugblätter der Weißen ßen Rose mit. mittelbar vor seiner Hinrichtung im
Rose. Gemeinsam mit Schmorell und Bei der Flugblattaktion am 18. Februar Strafgefängnis München-Stadelheim die
Willi Graf wurde Hans Scholl von Ende 1943 wurden Sophie Scholl und ihr Bruder katholische Taufe.
Juli bis Ende Oktober 1942 zu einer „Feld- noch in der Universität festgenommen,
famulatur“ in die Sowjetunion abkom- am 22. Februar 1943 vom „Volksgerichts- „Auch im schlimmsten Wirrwarr kommt
mandiert, das heißt, sie mussten ein für hof“ unter Roland Freisler zum Tode ver- es darauf an, dass der Einzelne zu seinem
das Medizinstudium vorgeschriebenes urteilt und am selben Tag im Strafgefäng- Lebensziele kommt, zu seinem Heil kommt,
Praktikum als Kriegsdienst ableisten. nis München-Stadelheim enthauptet. welches nicht in einem äußeren ‚Erreichen‘
Nach der Rückkehr an die Münchener gegeben sein kann, sondern nur in der
Universität setzte er seine Widerstands- „Es war unsere Überzeugung, dass der inneren Vollendung seiner Person. Denn
aktionen fort. Krieg für Deutschland verloren ist, und das Leben fängt ja nicht mit der Geburt an
Bei der Flugblattaktion am 18. Februar dass jedes Menschenleben das für diesen u. endigt im Tod. So ist ja auch das Leben,
1943 wurde Hans gemeinsam mit sei- verlorenen Krieg geopfert wird, umsonst als die große Aufgabe der Mensch-Wer-
ner Schwester Sophie festgenommen, ist. Besonders die Opfer, die Stalingrad dung, eine Vorbereitung für ein Dasein in
vier Tage später vom „Volksgerichtshof“ forderte, bewogen uns, etwas gegen dieses anderer neuer Form. Und dieser Aufgabe
zum Tode verurteilt und am selben Tag unserer Ansicht nach sinnlose Blutvergie- dienen letzthin alle kleineren u. größeren
im Strafgefängnis München-Stadelheim ßen zu unternehmen.“ Aufgaben u. Ereignisse des Lebens.“
enthauptet. Aus der Vernehmung von Sophie Scholl durch die Gestpo
Aus einem Brief von Christoph Probst vom 27. Juli 1942
in München vom 20. Februar 1943
Privatbesitz
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alexander schmorell willi graf kurt huber
Der 1917 in Orenburg/Russland geborene Der 1918 geborene Willi Graf stieß 1929 Der 1893 in der Schweiz geborene Kurt
Alexander Schmorell entstammte einer zum katholischen Schülerbund „Neu- Huber studierte ab 1912 Musik, Philoso-
deutsch-russischen Familie, die seit 1921 deutschland“. 1934 schloss er sich dem phie und Psychologie, promovierte 1917
in München lebte. Er wuchs mit starken engeren Kreis des Jungenbundes „Grau- in Musikwissenschaft und habilitierte
Bindungen an seine russische Herkunft er Orden“ an und nahm an verbotenen sich 1920 im Fach Psychologie und Phi-
auf. 1933 trat Schmorell der SA bei und Fahrten und Lagern teil. 1937 begann Willi losophie. Ab 1926 lehrte er an der Uni-
wurde 1934 Mitglied der „Hitler-Jugend“. Graf in Bonn ein Medizinstudium und versität München Philosophie und war
Er wandte sich jedoch schon 1937 wäh- wurde Anfang 1938 wegen seiner Akti- ein anerkannter Volksliedforscher und
rend seines Arbeitsdienstes radikal ge- vitäten in der bündischen Jugendbewe- führender Experte für den Philosophen
gen die geistige Vereinnahmung durch gung für zwei Wochen inhaftiert. Anfang Gottfried Wilhelm Leibniz.
den Nationalsozialismus. 1940 absolvierte Graf in der Wehrmacht 1937 übernahm Huber die Abteilung
Nach dem Wehrdienst begann er 1939 eine Sanitätsausbildung, um zunächst in Volksmusik am Berliner Institut für Mu-
in Hamburg mit dem Medizinstudium, Frankreich und Belgien, ab Juni 1941 an sikforschung. Ein Jahr später wurde
das er in München fortsetzte. Im Juni der Ostfront eingesetzt zu werden. ihm wegen seiner „katholisch-weltan-
1941 lernte er in der 2. Studentenkom- Im April 1942 zur Fortsetzung des Me- schaulichen Bindung“ untersagt, einen
panie der Heeressanitätsstaffel in Mün- dizinstudiums in die 2. Münchener Stu- Lehrauftrag an der Berliner Universität
chen Hans Scholl kennen. Beide waren dentenkompanie abgeordnet, lernte er wahrzunehmen. Er kehrte nach Mün-
seit April 1941 hier kaserniert. Hans hier Hans Scholl und Alexander Schmo- chen zurück, wo er nach seinem Eintritt
Scholl und Alexander Schmorell verfass- rell kennen, mit denen er von Ende Juli in die NSDAP 1940 außerplanmäßiger
ten die ersten vier Flugblätter der Wei- bis Ende Oktober 1942 an der Ostfront Professor wurde. Huber fesselte seine
ßen Rose, ehe sie gemeinsam mit Willi eingesetzt war. Ende 1942 und Anfang Studenten vor allem durch seine weit-
Graf Ende Juli 1942 zu einer „Feldfamu- 1943 warb Willi Graf auf mehreren Rei- gefächerten Interessen und durch an-
latur“ an die Ostfront abkommandiert sen in seinem alten Freundeskreis um schauliche Vorlesungen.
wurden. Das Land und die Menschen Mitstreiter. Ab Dezember 1942 nahm er Im Juni 1942 lernte er Hans Scholl und
dort beeindruckten Alexander Schmo- an der Diskussion des fünften Flugblat- seine Freunde kennen, seine Vorbehalte
rell tief. tes der Weißen Rose teil. Im Februar 1943 gegen die Hitler-Diktatur verstärkten
Schmorell nahm auch an der Herstel- beteiligte er sich an den Freiheitsparolen sich durch die Schilderungen von der
lung des fünften und sechsten Flugblat- der Gruppe in der Münchener Innenstadt Front zurückgekehrter Studenten. Ge-
tes der Weißen Rose teil sowie an den und unterstützte die Herstellung und meinsam mit Hans Scholl formulierte
nächtlichen Aktionen im Februar 1943, Verbreitung des sechsten Flugblattes der Huber den politischen Teil des fünften
bei denen sie Parolen gegen Hitler an Weißen Rose. Flugblattes der Weißen Rose und ver-
Hausfassaden malten. Am 18. Februar 1943 nahm die Gestapo fasste Anfang Februar 1943 auch das
Nach der Festnahme von Hans und Willi Graf fest. Der „Volksgerichtshof“ sechste und letzte Flugblatt der Gruppe.
Sophie Scholl am 18. Februar 1943 ver- verurteilte ihn gemeinsam mit Kurt Hu- Wenige Tage nach der Verteilung die-
suchte Alexander Schmorell vergeblich, ber und Alexander Schmorell am 19. April ses Flugblattes durch die Geschwister
ins Ausland zu fliehen. Nach München 1943 in München zum Tode. Fast ein Scholl in der Münchener Universität
zurückgekehrt, wurde er am 24. Febru- halbes Jahr später wurde Willi Graf am wurde Kurt Huber am 27. Februar 1943
ar 1943 erkannt, denunziert und sofort 12. Oktober 1943 im Strafgefängnis Mün- festgenommen, am 19. April 1943 in
festgenommen, am 19. April 1943 vom chen-Stadelheim enthauptet. München vom „Volksgerichtshof“ zum
„Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt Tode verurteilt und am 13. Juli 1943 im
und am 13. Juli 1943 im Strafgefängnis Strafgefängnis München-Stadelheim ent-
München-Stadelheim enthauptet. hauptet.
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hans leipelt traute lafrenz heinz kucharski
Der 1921 geborene Hans Leipelt absol- Die 1919 geborene Traute Lafrenz gehörte Der 1919 geborene Heinz Kucharski be-
vierte nach dem Abitur zunächst den Ar- wie Heinz Kucharski und Margaretha Ro- suchte die Hamburger Lichtwark-Schule,
beitsdienst, anschließend leistete er den the zur Schulklasse der Studienrätin Erna setzte sich bereits als Schüler intensiv
Wehrdienst ab. Im August 1940 wurde er Stahl, die auch nach 1933 ganz im Sinne mit sozialistischen Ideen auseinander
aus der Wehrmacht entlassen, weil seine der freiheitlichen und musischen Tradi- und studierte Philologie, Völkerkunde
Mutter nach den nationalsozialistischen tion der Hamburger Lichtwarkschule un- und Orientalistik. Er organisierte Le-
„Nürnberger Rassegesetzen“ als Jüdin terrichtete. seabende, auf denen politische Schrif-
galt. Sein Vater konnte ihm jedoch einen Im Sommer 1939 begegnete Traute Laf- ten diskutiert wurden. Zusammen mit
Studienplatz für Chemie an der Hambur- renz in Hamburg Alexander Schmorell, Margaretha Rothe machte er auf Flug-
ger Universität verschaffen. Dort lernte der hier ein Semester lang studierte. Im zetteln die Sendezeiten des Deutschen
er Gleichgesinnte wie Margaretha Rothe Mai 1941 wechselte sie für ihr Medizin- Freiheitssenders 29,8 bekannt. Ende 1942
und Heinz Kucharski kennen. studium nach München und lernte bald diskutierte er mit Margaretha Rothe, der
Im Winter 1941/42 wechselte Hans Hans Scholl und Christoph Probst kennen. Buchhändlerin Hannelore Willbrandt, dem
Leipelt nach München an das weithin Sie nahm an vielen Gesprächen und Dis- Mediziner Albert Suhr und dem Philoso-
bekannte Chemische Institut des Pro- kussionen, auch mit Kurt Huber, teil. Im phiestudenten Reinhold Meyer das drit-
fessors und Nobelpreisträgers Heinrich November 1942 brachte Traute Lafrenz das te Flugblatt der Weißen Rose.
Wieland, der mehrfach rassisch Verfolg- dritte Flugblatt der Weißen Rose mit nach Am 9. November 1943 nahm die Ge-
ten half. Hamburg. An Weihnachten 1942 versuch- stapo Heinz Kucharski, seine Mutter
Die Nachricht von der Hinrichtung te sie, in Wien einen Vervielfältigungsap- Hildegard Heinrichs und seine Freun-
der Geschwister Scholl und Christoph parat zu besorgen. Gemeinsam mit Sophie din Margaretha Rothe fest. Bis zum
Probsts wurde für Hans Leipelt und sei- Scholl organisierte Traute Lafrenz im Janu- 25. Oktober 1944 war Kucharski im Ge-
ne Freundin Marie-Luise Jahn zur He- ar 1943 Papier und Briefumschläge für den stapo-Gefängnis Fuhlsbüttel, danach im
rausforderung. Weil sie sich der Weißen Versand weiterer Flugblätter. Hamburger Untersuchungsgefängnis in-
Rose verpflichtet fühlten, schrieben sie Am 5. März 1943 wurde sie erstmals haftiert. Nach dem Todesurteil des
das letzte Flugblatt ab und verbreiteten von der Gestapo verhört, wenige Tage „Volksgerichtshofs“ vom 17. April 1945
es mit dem Zusatz „Und ihr Geist lebt später, am 15. März 1943, festgenom- konnte er während des Transports zur
trotzdem weiter“ in Hamburg. Nach der men, am 19. April 1943 gemeinsam mit Hinrichtungsstätte Bützow-Dreibergen
Ermordung von Professor Kurt Huber Alexander Schmorell und Kurt Huber entkommen.
unterstützten Leipelt und seine Freun- angeklagt und zu einem Jahr Gefängnis Der ebenfalls festgenommene Rein-
de dessen Familie durch eine Geld- verurteilt – sie konnte verschleiern, an hold Meyer erkrankte in der Haft schwer
sammlung. der Verteilung von Flugblättern beteiligt und starb am 12. November 1944 im Ge-
Hans Leipelt wurde am 8. Oktober gewesen zu sein. stapo-Gefängnis Fuhlsbüttel.
1943 in München festgenommen, aber Nach ihrer Entlassung verhaftete die Margaretha Rothe wurde mit den ande-
erst am 13. Oktober 1944 vom „Volksge- Gestapo Traute Lafrenz Ende März 1944 ren weiblichen Gefangenen der Hambur-
richtshof“ zum Tode verurteilt und am erneut und überführte sie ins Hambur- ger Weißen Rose von Fuhlsbüttel zunächst
29. Januar 1945 in München Stadelheim ger Gestapo-Gefängnis Fuhlsbüttel. Ge- nach Cottbus, später in das Gefängnis
enthauptet. Marie-Luise Jahn verurteilte meinsam mit anderen weiblichen Ge- Leipzig-Kleinmeusdorf verlegt, wo sie am
der „Volksgerichtshof“ zu zwölf Jahren fangenen der Hamburger Weißen Rose 18. Februar 1945 in das Gefängnislazarett
Zuchthaus. Sie wurde am 29. April 1945 wurde Traute Lafrenz über Gefängnisse aufgenommen wurde. Unmittelbar vor
aus dem Zuchthaus Aichach befreit. in Cottbus und Leipzig nach Bayreuth der Befreiung der Stadt durch US-Truppen
verlegt, wo sie am 15. April 1945 von starb Margaretha Rothe am 15. April 1945
US-Truppen befreit wurde. in einem Leipziger Krankenhaus.
Widerstand von Jugendlichen ten oder Jugendliche jüdischer Herkunft, die sich zusammen-
fanden. Sie hörten verbotene ausländische Rundfunksender,
Ab 1933 sollte die „Hitler-Jugend“ (HJ) nach dem Willen des verbreiteten Nachrichten oder wollten mit Flugblättern über
NS-Regimes die einzige Jugendorganisation in Deutschland den Kriegsverlauf und die NS-Gewaltverbrechen aufklären.
sein. Daher wurden fast alle anderen Jugendverbände inner- Wurden ihre Aktivitäten aufgedeckt, drohte ihnen die Todes-
halb weniger Monate verboten, zur Selbstauflösung gezwun- strafe.
gen oder der HJ angegliedert. Seit Frühjahr 1939 mussten alle Während des Krieges verschärften die Nationalsozialisten
Jugendlichen dem „Bund Deutscher Mädel“ bzw. der HJ ange- die Verfolgung von Jugendlichen, die ihr Recht auf Unabhän-
hören, wo sie vormilitärisch ausgebildet und zu unbedingtem gigkeit und Selbstbestimmung außerhalb der „Hitler-Jugend“
Gehorsam erzogen wurden. verteidigten. Edelweißpiraten in Köln, Leipziger Meuten oder
Nicht alle akzeptierten diese totale Vereinnahmung durch Hamburger Swing-Jugendliche, die sich dem Zwang der Dik-
das NS-Regime. Politische Jugendgruppen versuchten trotz tatur durch ihren Lebensstil widersetzten, wurden von der
Verboten und Auflösungen zusammenzuhalten oder sich neu Gestapo verfolgt, in Jugend-Konzentrationslager eingewiesen
zu formieren. Die Gestapo verfolgte dies rücksichtslos. Die oder zu langen Haftstrafen verurteilt, obwohl sie eher unpoli-
Motive der Jugendlichen für ihren Widerstand waren vielfäl- tisch waren und nur wenige von ihnen das Regime aktiv be-
tig. Es waren junge Kommunisten, Sozialdemokraten, Chris- kämpften.
VVN – BdA Hamburg, Publikation „Die anderen. Widerstand und Verfolgung in Harburg und Wilhelmsburg“, 6., Auflage, Hamburg 2005
Illegales Treffen von Mitgliedern der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) in Dassow/Mecklenburg, Pfingsten 1934
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Bis Mitte der 1930er-Jahre fanden zahlreiche Prozesse gegen
Mitglieder des KJVD und der SAJ statt. Viele von ihnen wurden
in Konzentrationslager verschleppt, misshandelt oder vor Ge-
Der 16-jährige Lehrling Hans Gasparitsch gehört der sozialistischen Gruppe „G“
richt gestellt. Lange Haftstrafen und Todesurteile sollten auf (Gemeinschaft) an. Er wird 1935 festgenommen und bis 1945 im KZ inhaftiert, weil
andere Jugendliche abschreckend wirken. er im Stuttgarter Schlosspark Parolen gegen das NS-Regime verbreitet hat.
Christliche Jugendliche
1933 waren mehr als 2,5 Millionen Jugendliche in christlichen
Verbänden organisiert. Obwohl die Nationalsozialisten ver-
sicherten, die Eigenständigkeit der Kirchen zu respektieren,
wurden kirchliche Jugendgruppen zunehmend bedrängt und
verboten. Der Führungsanspruch der „Hitler-Jugend“ und des
NS-Regimes sollte durchgesetzt werden.
Viele christliche Jugendliche hatten der Regierung Hitlers
zunächst positiv gegenübergestanden. Bei manchen von
ihnen verstärkten sich jedoch schon bald Zweifel an der na-
tionalsozialistischen Kirchenpolitik. Einigen Jugendlichen
gelang es trotz der Auflösung oder „Gleichschaltung“ ihrer
Verbände, in Verbindung zu bleiben. Sie festigten ihre Kontak-
te und trafen sich bei Wallfahrten oder Freizeiten, die die Na-
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tionalsozialisten als Provokation empfanden. So gerieten sie
zunehmend in Konflikt mit dem NS-Regime.
Eine katholische Jugendgruppe um Bernd Wittschier aus Köln auf einer verbote-
Jüdische Jugendliche nen Wallfahrt zur Altenberger Madonna 1941
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden
jüdische Jugendliche zunehmend aus der Gesellschaft ausge-
grenzt. Sie durften nur jüdischen Jugendorganisationen ange-
hören und ab 1938 ausschließlich jüdische Schulen besuchen.
Die Jugendlichen fanden sich in Gruppen zusammen, in denen
sie sich respektiert fühlten, gemeinsam ihre Freizeit gestalte-
ten oder sich auf eine Auswanderung vorbereiten konnten.
Verschiedene dieser Gruppen sammelten sich um den
Berliner Elektriker Herbert Baum, der sich bereits 1927 der
Deutsch-Jüdischen Jugendgemeinschaft angeschlossen hatte
und 1931 in den kommunistischen Jugendverband Deutsch-
lands eintrat. Gemeinsam bereiteten die Mitglieder der Grup-
pen um Baum später Widerstandsaktionen vor, verbreiteten
Parolen, verteilten Flugzettel und illegale Schriften (siehe auch
S. 30). Als 1941 die systematische Ermordung der Juden Euro-
pas einsetzte, entzogen sich jüdische Jugendliche der Deporta-
tion durch die Flucht in den Untergrund.
Edelweißpiraten
Um 1938 entstanden im Rhein-Ruhr-Gebiet verschiedene
Gruppen von sogenannten Edelweißpiraten, denen sich meh-
rere tausend junge Arbeiter und Lehrlinge anschlossen. Ihr Er-
kennungszeichen waren eine Edelweißblume an der Kleidung
oder eine weiße Stecknadel. Sie trafen sich regelmäßig auf
Plätzen oder in Parks und nannten sich wie die Meuten nach
ihren Treffpunkten oder Stadtvierteln.
Karl Gutzmer / Stadtmuseum Bonn
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sam wanderte, musizierte und zuneh-
mend politisch aktiv wurde. Diese Gruppe,
die zu den sogenannten Edelweißpiraten
gehörte, begann, Flugblätter herzustel-
gertrud koch walter klingenbeck
len und zu verbreiten. Die spektakulärste
Gertrud „Mucki“ Koch wurde als Tochter Aktion war der Abwurf von Flugblättern 1924 geboren, gehörte Walter Klingen-
eines Kesselschmieds und einer Apothe- aus der Kuppel des Kölner Hauptbahnhofs. beck in der Münchener Gemeinde St.
kerin 1924 in Köln geboren. Ihr Vater war Mehrere Festnahmen waren die Folge. Ludwig der katholischen Jungschar an,
Kommunist, wurde nach 1933 mehrfach Im Dezember 1942 wurde Gertrud Koch die sich 1936 – aufgrund des national-
festgenommen und 1942 im Konzentrati- ins Gestapo-Gefängnis Brauweiler ge- sozialistischen Drucks – auflösen musste.
onslager ermordet. bracht, wo sie geschlagen und misshan- Zusammen mit seinem Vater hörte er Sen-
Die Familie war vielfältigen Repressali- delt wurde. Im Mai 1943 wurde sie ohne dungen von Radio Vatikan, in denen bei-
en ausgesetzt. Die Mutter verlor ihre Ar- Angabe von Gründen aus der Haft entlas- spielsweise von nationalsozialistischen
beit, Mutter und Tochter wurden gezwun- sen und floh mit ihrer Mutter nach Süd- Verstößen gegen das Reichskonkordat
gen, ihre Wohnung zu verlassen. Gertrud deutschland. Dort arbeitete sie bis zum berichtet wurde. Seiner Begeisterung für
Koch musste schon als Kind zum Lebens- Kriegsende auf einem Bauernhof und das neue Medium Hörfunk ging Walter
unterhalt beitragen, aus Geldmangel blieb kehrte dann nach Köln zurück. Klingenbeck in einer Lehre als Schalttech-
niker nach.
Ab Frühjahr 1941 fand sich um ihn
ein kleiner Freundeskreis zusammen, der
verschiedene Musikinstrumente und er- schließlich verschiedene Widerstandsak-
hielt erste Engagements als Schlagzeuger tionen durchführte. Zu diesem Kreis ge-
und Gitarrist in mehreren Jazzkapellen. hörten Daniel von Recklinghausen, Hans
1938 musste Coco Schumann auf eine Haberl und Erwin Eidel. Die vier Freun-
jüdische Schule wechseln, wenig spä- de hatten eine große Leidenschaft für
ter wurde er zum Zwangsarbeitsdienst Technik, besonders für das Radio. Das
verpflichtet. Obwohl er wegen seiner gemeinsame Hören deutschsprachiger
jüdischen Herkunft kein Mitglied der Sendungen der britischen BBC, des inter-
„Reichskulturkammer“ und damit Berufs- nationalen Radio Vatikan und anderer
musiker werden konnte, gelang es ihm, verbotener Radiostationen verstärkte ihre
weiterhin als Musiker in Berliner Bars regimekritische Sichtweise.
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Der Freundeskreis um Hanno Günther bei einer Silvesterfeier in Pichelsdorf 1940/41. V. l. n. r.: Hanno Günther, Dagmar Petersen, unbekannt, Hertha Miethke, Wolfgang
Pander, Mascha (Freundin von Pander); vorne: Irmgard Freier
Kreisauer Kreis gen der Kreise und Städte gewählt werden. Die Landtagsabge-
ordneten wiederum sollten die Zusammensetzung des Reichs-
Im Jahr 1940 bildete sich um Helmuth James Graf von Molt- tags bestimmen. Wählbar sollten hier die männlichen Bürger
ke und Peter Graf Yorck von Wartenburg eine Gruppe oppo- über 27 Jahre sein. Frauen sollten ein aktives, für die Landtage
sitionell gesinnter Männer und Frauen. Sie stammten aus und den Reichstag jedoch kein passives Wahlrecht besitzen,
unterschiedlichen sozialen Schichten und vertraten unter- das heißt, sie konnten in beide Parlamente nicht als Abgeord-
schiedliche Grundüberzeugungen. Gemeinsam diskutierten nete gewählt werden. Neben dem Reichstag sollte als Vertre-
in größeren und kleineren Gesprächsrunden Katholiken, Pro- tung der Länder ein Reichsrat bestehen mit der Zuständigkeit
testanten, Konservative, Liberale und Sozialisten. für Landes- und Standesinteressen. An die Spitze des Staates
Zu den Gesprächen traf man sich in den Berliner Wohnun- wollten die Kreisauer einen Reichsverweser stellen, der den
gen von Moltke und Yorck sowie auf den Gütern Kreisau (heu- militärischen Oberbefehl führen und das Reich nach außen
te Krzyżowa in Polen), Klein Öls (heute Oleśnica Mała), Kauern vertreten sollte.
(heute Kurznie) und Groß Behnitz. Ziel des Netzwerks, das spä- Im Kreisauer Kreis war das Ausmaß nationalsozialistischer
ter von seinen Verfolgern den Namen „Kreisauer Kreis“ erhal- Gewaltverbrechen bekannt. Die Kreisauer wollten die verant-
ten sollte, war es, Grundzüge einer geistigen, politischen und wortlichen „Rechtsschänder“ – so ihre Bezeichnung für die am
sozialen Neuordnung nach dem Ende des Nationalsozialismus Massenmord Beteiligten – zur Rechenschaft ziehen. Einigkeit
zu erarbeiten. Durch Tagungen, Gespräche und Denkschriften herrschte darüber, dass die Berufung auf Befehl und Gehorsam
wollten sie sich auf „die Zeit danach“ vorbereiten. keine Rechtfertigung für die Beteiligung an Verbrechen sein
Kleinere Arbeitsgruppen erarbeiteten zunächst Entwürfe – konnte. Die Täter sollten nicht an fremde Mächte ausgeliefert,
etwa zu den Themen Staat, Kultur, Wirtschaft, Sozialpolitik, sondern vor internationale Gerichtshöfe gestellt werden, de-
Agrarpolitik, Außenpolitik und Recht. Mitglieder des engeren nen neben drei Richtern der Siegermächte und zwei Vertre-
Kreises standen in Kontakt zu weiteren Fachleuten, die zu tern neutraler Staaten auch ein Richter des besiegten Staates
den Entwürfen Stellung nahmen. Lediglich Moltke und Yorck angehören sollte. Die Pflicht zur Wiedergutmachung an den
kannten alle Beteiligten. Häufig wurden aus Sicherheitsgrün- Opfern war für die Kreisauer Voraussetzung für die Rückkehr
den Decknamen verwendet. Von den Diskussionspapieren der Deutschen in die internationale Staatengemeinschaft.
wurden nur wenige Exemplare sicher aufbewahrt. Ab 1943 waren verschiedene Mitglieder des Kreisauer Krei-
Im Mai und Oktober 1942 sowie im Juni 1943 wurden im ses entschlossen, sich an Staatsstreichplänen zu beteiligen.
Kreisauer Berghaus auf drei größeren Zusammenkünften Ent- Sie standen in engem Kontakt zu Ludwig Beck, Carl Fried-
würfe zu den Themen Kirche und Staat, Erziehung, Staats- und rich Goerdeler, Ulrich von Hassell und Claus Schenk Graf von
Wirtschaftsaufbau, Außenpolitik und Bestrafung der natio- Stauffenberg. Aufgrund dieser Verbindung wurden die meis-
nalsozialistischen Verbrechen diskutiert. Die mit Zustimmung ten Mitglieder des Kreisauer Kreises nach dem 20. Juli 1944 als
aller erarbeiteten Ergebnisse wurden in „Grundsätzen für die Mitverschwörer angeklagt und zum Tode verurteilt.
Neuordnung“ zusammengefasst.
Die Kreisauer wollten das Zusammenleben der Menschen
ebenso wie den Staat auf eine neue Basis stellen. Besonders
zentral war für sie die Einbettung Deutschlands in eine euro-
päische Nachkriegsordnung. Christliche Maßstäbe sollten die
Grundlage menschlicher Beziehungen und damit auch des in-
neren und äußeren Friedens bilden. Rechtssicherheit, Achtung
vor der Menschenwürde, Glaubens- und Gewissensfreiheit
verlangten nach der Beseitigung der totalitären politischen
Ordnung des Nationalsozialismus.
Mit ihren Überlegungen knüpften die Kreisauer an die
Überlieferung der klassischen antiken und mittelalterlichen
Staatsphilosophie an. Der Staat habe die Voraussetzungen
für eine menschenwürdige Entfaltung der Persönlichkeit zu
schaffen und auf diese Weise eine gute und gerechte Ord-
nung zu gewährleisten. Der Staat sollte zudem den Einzel-
nen Mitwirkung ermöglichen und deshalb überschaubar in
vier Ebenen – Gemeinde, Kreis, Land, Reich – gegliedert sein.
„Landschaftlich zusammengehörige“ Länder mit drei bis fünf
Millionen Einwohnern sollten neu gebildet werden. Die Auf-
gabenverteilung sollte nach dem Subsidiaritätsprinzip erfol-
gen: Jede Körperschaft – von der jeweils kleinsten Einheit bzw.
untersten Ebene angefangen – sollte all diejenigen Aufgaben
erledigen, für die sie zuständig ist und die sie „sinnvollerweise
selbst durchführen kann“.
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GDW
freya und helmuth james marion und peter graf yorck
graf von moltke von wartenburg
Der 1907 in Kreisau geborene Helmuth James Graf von Moltke Der 1904 in Klein Öls im heutigen Polen geborene Peter Graf
studierte ab 1925 in Berlin Rechts- und Staatswissenschaften. 1927 Yorck von Wartenburg bestand 1930 in Berlin sein zweites ju-
gehörte er zu den Mitbegründern der Löwenberger Arbeitsge- ristisches Staatsexamen. Im selben Jahr heiratete er die pro-
meinschaft, die freiwillige Arbeitslager für Bauern, Arbeiter und movierte Juristin Marion Winter. Nach Tätigkeiten als Anwalt,
Studenten organisierte, in denen gemeinsam nach Lösungen als Referent in der „Osthilfe“ und am Oberpräsidium in Breslau
zur Verbesserung der Lebensverhältnisse gesucht wurde. Moltke war Yorck von 1936 bis 1942 als Referent für Grundsatzfragen
stand den demokratischen Kräften seiner Zeit nahe und verfolgte beim Reichskommissar für die Preisbildung in Berlin tätig. Da
Hitlers Aufstieg mit offener Kritik. Da ein Richteramt für ihn des- er sich weigerte, der NSDAP beizutreten, wurde Yorck ab 1938
halb nicht infrage kam, ließ er sich 1935 als Anwalt in Berlin nieder. nicht mehr befördert.
Zwischen 1935 und 1938 absolvierte er eine Ausbildung zum bri- Nach den Pogromen gegen die deutschen Juden im Novem-
tischen Rechtsanwalt und plante die Übernahme eines Anwalts- ber 1938 rief Yorck einen Gesprächskreis ins Leben, in dem
büros in London, die durch den Kriegsbeginn im September 1939 er mit Freunden wie Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg
verhindert wurde. Im selben Monat wurde Moltke als Kriegsver- und Ulrich-Wilhelm Graf von Schwerin von Schwanenfeld die
waltungsrat in das Amt Ausland/Abwehr des Oberkommandos Grundsätze einer neuen Reichsverfassung erarbeitete. Als Re-
der Wehrmacht in Berlin verpflichtet. Als Sachverständiger für serveoffizier wurde er bei Kriegsbeginn eingezogen und wech-
Kriegs- und Völkerrecht setzte er sich gegen Unrecht und Will- selte 1942 in den Wirtschaftsstab Ost beim Oberkommando der
kür ein. Besonders engagierte er sich für die humane Behandlung Wehrmacht in Berlin. Im Januar 1940 begann seine enge Zu-
von Kriegsgefangenen und die Einhaltung des Völkerrechts. sammenarbeit mit Helmuth James Graf von Moltke, mit dem
Bereits 1939 verfasste Moltke erste Denkschriften zur politi- er gemeinsam die Gespräche des Kreisauer Kreises, die sehr
schen Neuorientierung Deutschlands. Anfang der 1940er-Jahre häufig in Yorcks Wohnung in Berlin-Lichterfelde stattfanden,
wurden Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg zu den initiierte und führte.
führenden Köpfen des entstehenden Kreisauer Kreises. Als Molt- Yorck gehörte bis zuletzt zum engen Kreis der Verschwörer
ke Mitglieder des Widerstandskreises um Hanna Solf vor einer des 20. Juli und war nach einem erfolgreichen Staatsstreich
Gestapo-Überwachung warnte und dies entdeckt wurde, nahm als Staatssekretär des Reichskanzlers vorgesehen. Nach dem
man ihn am 19. Januar 1944 fest. Der „Volksgerichtshof“ verur- gescheiterten Umsturzversuch wurde Yorck am späten Abend
teilte ihn am 11. Januar 1945 zum Tode. Helmuth James Graf von des 20. Juli 1944 im Berliner Bendlerblock festgenommen, am
Moltke wurde am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee erhängt. 8. August 1944 vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und
Die 1911 geborene Bankierstochter Freya Deichmann besuch- noch am selben Tag in Berlin-Plötzensee ermordet.
te nach der Mittleren Reife zunächst eine landwirtschaftliche Die 1904 geborene Marion Winter wuchs als Tochter eines
Frauenschule. Später holte sie ihr Abitur nach und promovier- Oberregierungsrates im preußischen Kultusministerium auf.
te nach einem Studium der Rechtswissenschaft in Berlin. 1929 Sie nahm ein Studium der Medizin auf, wechselte jedoch schnell
lernte sie Helmuth James Graf von Moltke kennen, den sie 1931 zum Fach Rechtswissenschaft. 1928 lernte sie auf einem schlesi-
heiratete. 1937 wurde der Sohn Helmuth Caspar geboren, 1941 schen Gut Peter Graf Yorck von Wartenburg kennen. Sie heirate-
der zweite Sohn Konrad. Während der Abwesenheit ihres Man- ten Ende Mai 1930 und wohnten zunächst in Breslau, seit 1936
nes führte Freya das Gut in Kreisau. Im täglichen Briefwechsel in der Hortensienstraße in Berlin-Lichterfelde. Marion Gräfin
informierte ihr Mann sie über seine Kontakte und Gespräche. Yorck von Wartenburg nahm an den meisten Besprechungen
Freya von Moltke war die engste Vertraute ihres Mannes und der Kreisauer teil und ermöglichte viele Treffen in der gemein-
nahm regelmäßig an den Zusammenkünften und Diskussionen samen Berliner Privatwohnung. 1944 wurde sie festgenommen.
in Kreisau und Berlin teil. Sie schrieb Grundsatzpapiere des Krei- Obwohl sie über die Bestrebungen ihres Mannes informiert
ses ab und rettete die Dokumente sowie die Briefe ihres Mannes, war, überstand sie die „Sippenhaft“ und das Kriegsende.
die sie in ihren Bienenstöcken auf dem Gut Kreisau versteckte.
Ihr Einsatz blieb der Gestapo verborgen. Im Gegensatz zu ihrem
Mann, um dessen Freilassung sie sich erfolglos bemühte, konnte
sie das Kriegsende überleben.
pendium in Oxford. 1933 kehrte Trott tragter des Kreisauer Kreises. Dabei über-
nach Deutschland zurück und legte 1936 mittelte er den Westalliierten verschie-
die zweite juristische Staatsprüfung ab. dene Memoranden. Während der dritten
1937/38 konnte er in den USA, ein Jahr Kreisauer Haupttagung 1943 leitete er die
im Rahmen eines Stipendiums in China Diskussion über die Grundlagen künftiger
und Ostasien verbringen. Bei seinen Aus- deutscher Außenpolitik.
landsaufenthalten traf Trott auch immer Nach dem gescheiterten Attentat vom
wieder mit Gegnern des NS-Regimes zu- 20. Juli 1944 blieb Trott, der für eine lei-
sammen. Anfang 1937 lernte er in Oxford tende Funktion im Auswärtigen Amt vor-
Helmuth James Graf von Moltke, 1940 gesehen war, zunächst unbehelligt. Seine
Peter Graf Yorck von Wartenburg kennen, Festnahme erfolgte erst fünf Tage später,
Privatbesitz
mit denen er ab 1941 als zentrales Mitglied als seine Verbindungen zu Claus Schenk
des Kreisauer Kreises eng zusammenar- Graf von Stauffenberg entdeckt wurden.
beitete. Adam von Trott zu Solz wurde am 15. Au-
Im Frühjahr 1940 wurde Trott als Mitar- gust 1944 vom „Volksgerichtshof“ zum
adam von trott zu solz
beiter der Informationsabteilung des Aus- Tode verurteilt und am 26. August 1944 in
Der Jurist Adam von Trott zu Solz, 1909 wärtigen Amtes eingestellt. Trott unter- Berlin-Plötzensee erhängt.
geboren, bewarb sich nach seiner Promo- nahm noch 1944 Reisen ins Ausland und
tion 1931 erfolgreich um ein Rhodes-Sti- verstand sich als außenpolitischer Beauf-
schloss sich bereits in dieser Zeit der SPD Haubach stieß 1941 zum Kreisauer Kreis
an. Er gehörte zu den Mitbegründern des und nahm im Herbst 1942 an der zwei-
republikanischen Schutzverbandes Reichs- ten Kreisauer Haupttagung teil. In den
banner Schwarz-Rot-Gold. Planungen der Widerstandskämpfer des
1927 wurde er in die Hamburger Bürger- 20. Juli 1944 war er als Regierungssprecher
schaft gewählt, 1929 Pressereferent des vorgesehen.
Reichsinnenministers Carl Severing, 1930 Nach erfolgter Festnahme am 9. August
des Berliner Polizeipräsidenten Albert 1944 stand der während der Haft schwer
Grzezinski. Zwischen 1930 und 1933 betei- Erkrankte am 9. Januar 1945 gemeinsam
ligte sich Haubach intensiv an den Diskus- mit weiteren Angehörigen des Kreisauer
sionen im Kreis der Religiösen Sozialisten. Kreises vor dem „Volksgerichtshof“. Das
Privatbesitz
Nach der Machtübernahme der Nati- Verfahren gegen ihn wurde jedoch abge-
onalsozialisten wurde er kurze Zeit in- trennt.
haftiert und versuchte nach seiner Haf- Theodor Haubach wurde am 15. Januar
tentlassung, die Verbindungen zwischen 1945 zum Tode verurteilt und am 23. Januar
theodor haubach
Gewerkschaften, Reichsbanner und SPD 1945 in Berlin-Plötzensee erhängt.
1896 geboren, wuchs Theodor Haubach in aufrechtzuerhalten. Am 24. November 1934
Darmstadt als Halbwaise auf. Ab 1919 stu- wurde er erneut festgenommen und bis
dierte er Philosophie und Soziologie und Mai 1936 im KZ Esterwegen festgehalten.
Ab 1939 bis zu ihrem Verbot 1941 war er stellte auch wichtige Kontakte zu ande-
Redakteur der Kulturzeitschrift des Jesu- ren kirchlichen Kreisen her.
itenordens, „Stimmen der Zeit“, danach Am 28. Juli 1944 wurde Alfred Delp in
Seelsorger in der Filialgemeinde St. Ge- München festgenommen, am 11. Januar
alfred delp
org in München-Bogenhausen. 1945 vom „Volksgerichtshof“ zum Tode
Alfred Delp wurde 1907 als ältestes von Auf die Bitte Helmuth James Graf von verurteilt und am 2. Februar 1945 in Ber-
sechs Kindern einer gemischt-konfessi- Moltkes, den Kontakt zu einem Katholi- lin-Plötzensee erhängt.
onellen Familie geboren. Zunächst evan- ken zu vermitteln, der intensiv über das
Der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 alliierte Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation
der deutschen Wehrmacht engte seit 1943 die Verhandlungs-
Nach dem Abbruch des Umsturzversuchs im Herbst 1938 möglichkeiten oppositioneller Kräfte zusätzlich ein.
bemühten sich die Kreise der nationalkonservativen-militä-
rischen Opposition, neue Strukturen aufzubauen und neue Zentren des militärischen Widerstands
Kontakte zu knüpfen. Vor dem Hintergrund der umfassen- Die NS-Führung wollte seit Sommer 1941 nicht nur die deut-
den Zustimmung der Bevölkerung zur Politik Hitlers gelang sche Vorherrschaft in Europa sichern, sondern führte einen
es allerdings weder im Herbst 1939 noch in der Zeit nach dem Vernichtungs- und Weltanschauungskrieg gegen die Sowjet-
deutschen Sieg über Frankreich im Sommer 1940, Überle- union. Neben den gnadenlosen Kampf gegen den Kommu-
gungen für einen Staatsstreich konkrete Planungen folgen nismus trat auch der Völkermord an den Juden Europas als
zu lassen. wesentliches Kriegsziel. Von Anbeginn des Krieges waren die
Gegner Hitlers versuchten auch nach dem deutschen Über- deutsche Wehrmacht und mit ihr auch Einzelne, die später zu
fall auf Polen im September 1939 wiederholt, die Regierungen Regimegegnern wurden, an Gewalt- und Kriegsverbrechen be-
in London und Paris über die Existenz einer Opposition und teiligt. Selten wurde Widerspruch erhoben. Erst im Laufe der
deren Ziele in Kenntnis zu setzen. Im Februar 1940 übergab der Jahre überwanden manche Offiziere ihre loyale Haltung bzw.
Diplomat Ulrich von Hassell in Arosa/Schweiz James Byrns, der ihre Übereinstimmung mit dem Regime und entschieden sich
dem britischen Außenminister Lord Halifax nahestand, ein in diesem Gewissenskonflikt gegen Eid, Befehl und Gehorsam
Memorandum über die Friedensbestrebungen der deutschen und für den Widerstand.
Opposition. Auch über ihren Verbindungsmann zum Vati- Nach dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939
kan, den katholischen Rechtsanwalt Josef Müller, suchten sie bildeten sich drei erkennbare Zentren militärischer Wider-
1939/40, die Möglichkeiten für einen Verständigungsfrieden standsaktivitäten:
mit England auszuloten. Hans von Dohnanyi, der Schwager In der von Admiral Wilhelm Canaris geleiteten Abwehr,
des Theologen Dietrich Bonhoeffer, nutzte seine Tätigkeit als dem militärischen Nachrichtendienst, sammelten sich um
Mitarbeiter des Amts Ausland/Abwehr des Oberkommandos Hans Oster und Hans von Dohnanyi weitere entschlossene
der Wehrmacht, um ausländische Kreise über den Widerstand Gegner des nationalsozialistischen Regimes, die – wie Dietrich
in Deutschland und dessen Ziele zu informieren, genauso wie Bonhoeffer, Otto Carl Kiep, Justus Delbrück oder Karl Ludwig
Adam von Trott zu Solz, der als Mitarbeiter des Auswärtigen Freiherr von und zu Guttenberg – gezielt für diese Dienststel-
Amtes viele Auslandsreisen unternehmen konnte. le angefordert wurden. Offiziell im Dienste des NS-Staates
Doch all ihre Bemühungen scheiterten daran, dass sie im angestellt, ermöglichten Dohnanyi und Oster 1942 mit der
Ausland nicht als Vertreter eines „anderen Deutschlands“ res- Unterstützung von Canaris verfolgten Juden die Flucht in die
pektiert und als Verhandlungspartner anerkannt wurden. Die Schweiz.
Privatbesitz
Lagebesprechung beim Stab der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront 1943, wo sich um Henning von Tresckow eine der stärksten militärischen Oppositionsgruppen sammelt.
V. l.: Hauptmann Friedhelm Graf von Matuschka, Oberleutnant Risler, Oberstleutnant Berndt von Kleist, Oberst i. G. Georg Schulze-Büttger, Major i. G. Pretzell, Oberst i. G.
Henning von Tresckow, Oberleutnant Kahlenberg, Leutnant Genth, Oberleutnant Fabian von Schlabrendorff
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plante, sich am 21. März 1943 im Berliner Zeughaus mit Hit-
ler in die Luft zu sprengen. Sein Attentatsversuch scheiter-
te, weil Hitler sich nur überraschend kurz dort aufhielt. Im
Besichtigung des Kavallerieregiments Mitte durch Generalfeldmarschall Günther
Herbst 1943 war Axel Freiherr von dem Bussche bereit, sich von Kluge (M.), Rittmeister Philipp Freiherr von Boeselager (l.) und Major Georg
bei der Präsentation neuer Uniformen zusammen mit Hitler Freiherr von Boeselager (r.). Beide Brüder erklären sich 1943 bereit, Hitler bei einem
zu töten. Die Begegnung kam nicht zustande, weil die Unifor- Frontbesuch zu töten.
men bei einem Luftangriff auf Berlin zerstört wurden.
Ein weiteres Zentrum der militärischen Opposition bilde-
te sich um Friedrich Olbricht, seit 1940 Chef des Allgemeinen
Heeresamtes im Oberkommando des Heeres in Berlin. In sei-
nem Stab wurden Pläne für den Fall innerer Unruhen oder von
Aufständen von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen aus-
gearbeitet. Dabei sollten die vollziehende Gewalt im Reich und
die militärische Kommandogewalt auf den Befehlshaber des
Ersatzheeres, Friedrich Fromm, übergehen. Olbricht stimmte
sich mit den Widerstandskreisen um Ludwig Beck und Carl
Friedrich Goerdeler ab und betrieb die Ausarbeitung und Um-
wandlung dieser Notfallpläne in Instrumente für einen Um-
sturz. „Walküre“ war die Bezeichnung für diese Pläne, zu deren
Präzisierung Olbricht systematisch Regimegegner in seinen
Stab holte. Im Herbst 1943 forderte er Claus Schenk Graf von
Stauffenberg als Stabschef für das Allgemeine Heeresamt an.
Gemeinsam mit Tresckow bereitete dieser den Umsturzver-
such vor, der die NS-Herrschaft beseitigen sollte.
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Der 20. Juli 1944 war kein „Militärputsch“. Die beteiligten Offi- tät des Rechts“. Dies hieß nach mehr als elf Jahren Diktatur
ziere und Soldaten erkannten immer das Primat der Politik an. in Deutschland die Wiedererrichtung des Rechtsstaates als
Zwar lag ihnen eine Demokratie nach dem Vorbild der Weima- Garant der unveräußerlichen Menschenrechte. Recht gegen
rer Republik eher fern, doch wollten sie keine Militärjunta an Gewalt, nicht Gewalt gegen Gewalt war eine zentrale For-
die Spitze des Staates stellen. Vielmehr sollte Deutschland von derung. In den Plänen der Verschwörer für die vorläufige
der Diktatur befreit, der Krieg beendet und es sollten neue po- Besetzung von Regierungsämtern waren Ludwig Beck als
litische Handlungsmöglichkeiten geschaffen werden. Militäri- Staatsoberhaupt und Carl Friedrich Goerdeler als Reichskanz-
sche Macht war Mittel, nicht Ziel des Umsturzversuches. Die ler vorgesehen. Für den Posten als Vizekanzler war Wilhelm
drohende militärische Niederlage, die politische Isolation des Leuschner im Gespräch. Doch all dies waren vorläufige Pla-
Deutschen Reiches, der Wunsch, die Substanz des deutschen nungen.
Nationalstaats zu bewahren, vor allem aber auch der Wille, Die Widerstandskämpfer der Gruppen des 20. Juli 1944 wa-
die NS-Gewaltverbrechen zu beenden, stellten unverkennbar ren darin einig, dass sich die Deutschen nach dem Ende des
wichtige Motive vieler Widerstandskämpfer dar. Krieges der Verantwortung für das Unrecht stellen mussten,
Die Gegner Hitlers, die den Umsturzversuch des 20. Juli 1944 das sie den Völkern Europas und vor allem den Juden ange-
vorbereiteten, mussten sich fortlaufend über ihre unterschiedli- tan hatten. Nach dem Völkermord an den europäischen Ju-
chen außen- und innenpolitischen Zielvorstellungen verständi- den, an den Sinti und Roma und nach den anderen Verbre-
gen. Dies betraf auch die Umsturzplanungen von militärischer chen in den besetzten Gebieten war für sie nichts anderes
und ziviler Seite, die miteinander verzahnt werden mussten. So denkbar. In der für den 20. Juli 1944 geplanten Regierungs-
hatten schon 1940, als es noch keine reale Chance für einen Um- erklärung hieß es deshalb: „Zur Sicherung des Rechts und
sturzversuch gab, Johannes Popitz und Ulrich von Hassell den des Anstandes gehört die anständige Behandlung aller Men-
Entwurf für ein „Gesetz über die Wiederherstellung geordneter schen. Die Judenverfolgung, die sich in den unmenschlichs-
Verhältnisse im Staats- und Rechtsleben (Vorläufiges Staats- ten und unbarmherzigsten, tief beschämenden und gar nicht
grundgesetz)“ vorgelegt, das den Rechtsstaat wiederherstellen wiedergutzumachenden Formen vollzogen hat, ist sofort
und die Verfolgung der Juden beenden sollte. eingestellt.“
Zur Diskussion standen der Verwaltungsaufbau, die Glie- Auf dem Feld der Außenpolitik waren viele konservative
derung der Wehrmachtsspitze, die Grundlinien sozialer Poli- Gegner der Nationalsozialisten noch durch die Traditionen
tik sowie der Kultur-, Wirtschafts- und Außenpolitik ebenso machtstaatlichen Denkens geprägt. Sie hatten deshalb in der
wie die Zusammensetzung einer neuen Regierung nach dem frühen Kriegsphase selbstbewusst die Interessen des deut-
Sturz des NS-Regimes. Die Debatten und Gespräche spiegelten schen Reiches gegenüber den Staaten Europas durchsetzen
die unterschiedlichen Traditionen politischen Denkens wider. wollen. Einige unterstützten frühzeitig den Diplomaten Ul-
Sozialdemokratische Vorstellungen, wie sie etwa Julius Leber rich von Hassell, der einen Ausgleich mit den Westmächten
und Wilhelm Leuschner einbrachten, mussten mit konservati- anstrebte, um so eine Position der Stärke gegenüber der Sow-
veren Ordnungsvorstellungen, wie sie bei Carl Friedrich Goer- jetunion zu gewinnen. Andere folgten dem Plan des langjähri-
deler und Johannes Popitz vorherrschten, in Einklang gebracht gen deutschen Botschafters in Moskau, Friedrich-Werner Graf
werden. Doch allen Beteiligten war klar, dass sie die politische von der Schulenburg, der eine Verständigung mit der Sowjet-
Situation nach einem gelungenen Umsturzversuch nicht vor- union suchte.
her bestimmen konnten. Politische Zielsetzungen hatten da- Jüngere Diplomaten wie Adam von Trott zu Solz, Hans-
her immer provisorischen Charakter und hätten sich der po- Bernd von Haeften und andere Mitglieder des Kreisauer Krei-
litischen Realität nach einem erfolgreichen Umsturz stellen ses wollten dagegen den Nationalstaat überwinden und ent-
müssen. wickelten den Gedanken einer europäischen Konföderation.
Ihre gemeinsamen Grundüberzeugungen halfen den Wi- Auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts wollten sie
derstandskämpfern, politische Meinungsverschiedenheiten eine Friedensordnung schaffen, die auf gegenseitigem Ver-
zu überwinden. In der gemeinsamen Gegnerschaft zum nati- trauen aufgebaut sein sollte und so Wettrüsten und Angriffs-
onalsozialistischen Unrechtsstaat überschritten sie die engen kriege unmöglich machte.
Grenzen des obrigkeitsstaatlichen Denkens und des außen- Dabei sollte Deutschland über die eigenen territorialen In-
politischen Hegemonialstrebens. Aus dem Geist des Wider- teressen hinaus eine besondere Verpflichtung für Frieden
stands entstand so ein Gegenbild zum totalitären „Dritten und politische Ordnung im Rahmen einer europäischen Kon-
Reich“, das viele Widerstandskämpfer später auch vor dem föderation übernehmen. Nach einem sofort anzustrebenden
„Volksgerichtshof“ verteidigten. Sie traten für die Menschen- Waffenstillstand sollte der Friedensschluss die Völker Europas
würde als höchsten politischen Grundwert ein und bestritten miteinander versöhnen und die Grundlage für eine neue Frie-
dem Staat das Recht, über Leben und Gewissen seiner Bürge- densordnung schaffen. Aus dem Wunsch, ein von allen Staa-
rinnen und Bürger zu verfügen. ten respektiertes Friedenssystem zu bilden, entwickelte sich
Grundlegendes Motiv des Umsturzversuches vom 20. Juli ein zukunftsweisendes Bewusstsein von Europa als neuer po-
1944 war die „Wiederherstellung der vollkommenen Majes- litischer Einheit auf föderaler Grundlage.
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nalsozialismus stand er anfänglich positiv gegenüber und be-
grüßte die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Nach Front-
einsätzen in Polen und Frankreich wurde er 1941 zum General V. l.: Oberst i. G. Reinhard Gehlen, Oberstleutnant i.G. Coelestin von Zitzewitz und
stab des Heeres versetzt. Doch 1942 kritisierte er nicht nur Hitlers Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf der Fahrt nach Winniza, Sommer 1942
Kriegsführung und dessen strategische Entscheidungen, son-
dern hatte sich grundsätzlich vom NS-System abgewandt. Die
völkerrechtswidrige Kriegsführung, der Massenmord an den
Juden und die Unterdrückung der Bevölkerung in den besetzten
Gebieten ließen ihn im Sommer 1942 zu dem Schluss kommen,
dass ein Umsturzversuch und ein Attentat auf Hitler zwingend
notwendig waren.
Umsturzvorbereitungen
Im Februar 1943 wurde Stauffenberg nach Nordafrika versetzt
und dort am 7. April 1943 schwer verwundet. Er verlor die rech-
te Hand, den kleinen und den Ringfinger der linken Hand so-
wie das linke Auge. Kurz vor der Kapitulation der deutschen
Afrika-Truppen konnte er über Italien ins Lazarett nach Mün-
chen gebracht werden.
Nach seiner Genesung war Stauffenberg ab Mitte Septem-
ber 1943 Chef des Stabes im Allgemeinen Heeresamt unter Ge-
neral Friedrich Olbricht. Zu diesem Zeitpunkt zählte er bereits
Bundesarchiv, Bild 146-1984-079-02
Attentat und Umsturzversuch Stauffenberg flog am Morgen des 20. Juli gemeinsam mit sei-
Die Lagebesprechungen Hitlers schienen eine Möglichkeit nem Adjutanten Werner von Haeften zum „Führerhauptquar-
zu bieten, den Diktator auszuschalten. Deshalb konzentrierte tier Wolfschanze“ in Rastenburg (heute Kȩtrzyn). Dabei behielt
sich Stauffenberg nach mehreren misslungenen Attentatsver- er die Tasche mit dem Sprengstoff stets in seiner Nähe. Kurz
suchen anderer und Verhaftungen prominenter Mitverschwö- vor 12.30 Uhr zog er sich unter einem Vorwand zurück und
rer wie Julius Leber und Adolf Reichwein darauf, Hitler durch zerdrückte mit einer Zange die Säureampulle eines Zeitzün-
einen Bombenanschlag im Führerhauptquartier zu töten. Seit ders. Da er dabei gestört und zur Lagebesprechung gerufen
Mitte Juni 1944 hatte er als Stabschef des Befehlshabers des wurde, gelang es ihm nicht mehr, das zweite Sprengstoffpaket
Ersatzheeres dort Zugang. Obwohl er persönlich die Tat aus- scharf zu machen. Es verblieb in der Tasche Werner von Haef-
führen wollte, blieb Stauffenberg auf die Unterstützung seiner tens, der es kurz darauf bei der Flucht aus dem Wagen warf.
Freunde angewiesen: Sprengstoff musste beschafft und trans- Stauffenberg konnte den Sprengkörper unter dem Karten-
portiert werden, die Flucht aus dem Hauptquartier vorbereitet tisch in der Nähe von Hitlers Standort ablegen. Danach verließ
und eine weitgehende Nachrichtensperre verhängt werden. er unbemerkt den Raum und beobachtete aus einiger Entfer-
Erst dadurch entstand die Chance, das Attentat in einen Um- nung die Detonation gegen 12.42 Uhr. Unglückliche Zufälle
sturz des Systems münden zu lassen, der unter dem Stichwort verhinderten den Erfolg des Anschlags: Hitler blieb am Leben.
„Operation Walküre“ vorbereitet wurde. Der schwere Eichentisch, über den er sich zum Zeitpunkt der
Die Bombe, die Stauffenberg am 20. Juli in seiner Aktentasche Explosion beugte, hatte seinen Körper geschützt. Zudem hatte
bei sich trug, enthielt zwei Sprengstoffpakete mit chemischen die Besprechung nicht im Bunker, sondern in einer Baracke in
Zeitzündern. Hauptmann Wessel Freiherr Freytag von Loring- Leichtbauweise stattgefunden, wo die Explosionskraft des ei-
hoven verfügte als Chef der Abteilung Sabotage im Amt nen Sprengstoffpakets nicht ausreichend war und viel von ihr
Ausland/Abwehr über Zugang zu Sprengmaterial. Er hatte nach außen entwich.
den Sprengstoff für die Attentäter beschafft und Oberstleut- Stauffenberg glaubte jedoch, dass sein Attentat gelungen
nant Fritz von der Lancken in Potsdam zur Verwahrung ge- war. Er konnte das „Hauptquartier“ im letzten Moment vor der
geben. Von dort war die Aktentasche mit zwei verschnürten Abriegelung verlassen und flog nach Berlin, um dort im Ober-
Sprengstoffpaketen am Nachmittag des 19. Juli 1944 zur Woh- kommando des Heeres in der Bendlerstraße, der Zentrale der
nung Stauffenbergs in Berlin gebracht worden. Verschwörung, den Umsturzversuch voranzutreiben.
Der zerstörte Besprechungsraum im „Führerhauptquartier Wolfschanze“ nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944. Alle 24 Personen, die sich zum Zeitpunkt der Explo-
sion in diesem Raum aufhalten, werden verwundet. Vier von ihnen erliegen später ihren Verletzungen, Hitler überlebt den Anschlag nur leicht verletzt.
tanzierte sich dann aber zunehmend von Unruhen gedacht waren, in einen Staats-
der Politik Hitlers und stellte sich nach den streichplan für die Opposition umzuarbei-
Novemberpogromen 1938 auf die Seite der ten. Im Herbst 1943 wurde er an die Ost-
entschlossenen Regimegegner. 1940 wurde front versetzt und hielt als Generalmajor
er als Oberstleutnant zur Heeresgruppe B Kontakt zu den Verschwörern um Stauf-
versetzt, die 1941 vor dem Überfall auf die fenberg, ohne direkt eingreifen zu kön-
Sowjetunion in Heeresgruppe Mitte umbe- nen. Unmittelbar vor dem Anschlag vom
nannt wurde. Dort versammelte sich eine 20. Juli 1944 bestärkte Henning von Tres-
Gruppe von oppositionellen Offizieren, in ckow Stauffenberg in seinem Entschluss,
der Tresckow eine führende Rolle innehatte. das Attentat auszuführen.
Ende Juli 1943 wurde Tresckow in die Einen Tag nach dessen Scheitern töte-
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„Führerreserve“ versetzt, hatte also vorüber- te sich Tresckow an der Front bei Ostrów
gehend keine Aufgabe und war von Fron- in Polen mit einer Gewehrsprenggranate.
teinsätzen vorerst entbunden. Er nutzte Man glaubte zunächst, er sei im Kampf
die Gelegenheit, um zusammen mit Claus gefallen. Die späteren Prozesse gegen die
henning von tresckow
Schenk Graf von Stauffenberg, den er be- Urheber und Mitwisser der „Walküre“-Plä-
Der 1901 geborene Berufsoffizier Henning reits im Juli 1941 an der Ostfront kennen ne brachten seine Beteiligung an dem Um-
von Tresckow begrüßte zunächst die Macht- und schätzen gelernt hatte, in Berlin die sturzversuch ans Licht. Seine Familie wurde
übernahme der Nationalsozialisten, dis- „Walküre“-Pläne, die für den Fall innerer in „Sippenhaft“ genommen.
Er nahm am Überfall auf Polen und an der quartier Wolfschanze“ vorgesehen war.
Besetzung Frankreichs teil und wurde Bussche gehörte zu der kleinen Gruppe
schließlich als Regimentsadjutant bei jener Soldaten, die Hitler die Modelle
Dubno (Ukraine) am 5. Oktober 1942 Au- präsentieren sollten. Zwei Tage wartete
genzeuge der Ermordung von mehreren Bussche in der Gästebaracke der „Wolf-
tausend Juden. Dieses Verbrechen er- schanze“, doch die Vorführung kam nicht
schütterte ihn zutiefst. zustande.
Bussche, der eng mit Fritz-Dietlof Graf Kurz nach seinem gescheiterten At-
von der Schulenburg befreundet war, tentatsversuch wurde Bussche im Januar
wurde von diesem in die Pläne der Ver- 1944 an der Ostfront schwer verwundet,
schwörer eingeweiht und traf im Oktober ein Bein musste amputiert werden. We-
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1943 in Berlin Claus von Stauffenberg. Als gen seines Lazarettaufenthalts konnte er
sich im November 1943 eine Gelegenheit sich an den unmittelbaren Vorbereitun-
bot, in die Nähe Hitlers zu gelangen und gen für den Umsturzversuch vom 20. Juli
ihn zu töten, war Bussche unter dem Ein- 1944 nicht beteiligen. Seine Attentatsvor-
axel freiherr von dem bussche
druck der nationalsozialistischen Verbre- bereitungen vom November 1943 blieben
Der 1919 geborene Berufssoldat Axel von chen dazu bereit. Er wollte Hitler bei der von der Gestapo unentdeckt.
dem Bussche trat 1937 in das traditionsrei- Vorführung neuer Uniformen töten, die
che Potsdamer Infanterieregiment 9 ein. für den 21. November im „Führerhaupt-
München 1923 Zeuge des „Hitlerputsches“, dung Witzlebens 1942 wurde Schwerin als
der den gewaltsamen Sturz der demokra- „politisch unzuverlässig“ von Paris nach Ut-
tisch gewählten Regierung zum Ziel hatte. recht versetzt.
Dieses Erlebnis begründete seine Ableh- Im März 1943 holte ihn Hans Oster nach
nung des Nationalsozialismus. Berlin, wo er sich intensiv an den Staats-
Seine aktive Widerstandsarbeit begann streichvorbereitungen beteiligte. Dort freun-
1938 mit seinen Freunden Peter Graf Yorck dete er sich im September 1943 mit Claus
von Wartenburg und Fritz-Dietlof Graf von Schenk Graf von Stauffenberg an. Vorgesehen
der Schulenburg. Bereits 1938 wurde Schwe- als Staatssekretär des designierten Staats-
rin dank seiner Kontakte zum Auswärtigen oberhauptes Ludwig Beck, gehörte er bis zu-
Amt und zum Amt Ausland/Abwehr des letzt zum engsten Kreis der Verschwörer.
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Oberkommandos der Wehrmacht Verbin- Am 20. Juli 1944 wartete Schwerin zusam-
dungsglied zwischen zivilem und militäri- men mit Berthold Schenk Graf von Stauffen-
schem Widerstand. Als Reserveoffizier ein- berg, Yorck und Schulenburg in seinem Büro
gezogen, arbeitete er seit November 1939 auf die Nachricht von der Durchführung
ulrich-wilhelm graf von
im Stab und in der unmittelbaren persön- des Attentats. Schwerin wurde am 21. Au-
schwerin von schwanenfeld
lichen Nähe des späteren Feldmarschalls gust 1944 vom „Volksgerichtshof“ zum Tode
Ulrich-Wilhelm Graf von Schwerin von und Oberbefehlshabers an der Westfront, verurteilt und am 8. September 1944 in Ber-
Schwanenfeld, 1902 geboren, wurde in Erwin von Witzleben. Nach der Verabschie- lin-Plötzensee erhängt.
wurde der 1888 geborene Friedrich Olbricht sen bei einem Gespräch um den 10. August
1926 in die Abteilung „Fremde Heere“ des 1943 in die Planungen der Verschwörer
Reichswehrministeriums berufen und kam und die bisherigen Ausarbeitungen der
1933 als Stabschef nach Dresden. Im März „Walküre“-Befehle ein. Die vertrauensvolle
1940 wurde er zum Chef des Allgemei- Kooperation endete auch nicht, als Stauf-
nen Heeresamtes beim Oberkommando fenberg im Juni 1944 zum Befehlshaber
des Heeres in Berlin ernannt und war in des Ersatzheeres General Fromm wech-
Personalunion seit 1943 auch Chef des selte. Als am 20. Juli 1944 das mehrfach
Wehrersatzamtes beim Oberkommando der verschobene Attentat auf Hitler verübt
Wehrmacht. wurde, löste Friedrich Olbricht am Nach-
Olbricht betrieb in Abstimmung mit zi- mittag in Berlin den „Walküre“-Alarm aus.
vilen Oppositionsgruppen um Ludwig Beck Nach dem Scheitern des Umsturzversu-
GDW
und Carl Friedrich Goerdeler seit 1942 die ches wurde er noch in der Nacht im Hof
Ausarbeitung der „Walküre“-Pläne, um den des Bendlerblocks zusammen mit Stauf-
Verschwörern die Übernahme der vollzie- fenberg, Mertz von Quirnheim und Wer-
friedrich olbricht
henden Gewalt zu ermöglichen. ner von Haeften erschossen.
Nach dem Abschluss seiner Ausbildung Nachdem Olbricht 1943 Claus Schenk
zum Generalstabsoffizier, die durch den Graf von Stauffenberg als Stabschef für
Ersten Weltkrieg unterbrochen worden war, sein Amt angefordert hatte, weihte er die-
bildung zum Berufsoffizier und war seit dem Scheitern des Umsturzversuches
einem gemeinsamen Lehrgang an der wurde Mertz, der bis zuletzt versucht hat-
Kriegsakademie in Berlin mit Claus Schenk te, den militärischen Umsturz zum Erfolg
Graf von Stauffenberg befreundet. Nach zu führen, in der Nacht zum 21. Juli 1944
Einsätzen in Polen und Frankreich kam gemeinsam mit Stauffenberg, Olbricht
Mertz im Winter 1941 in das „Führerhaupt- und Werner von Haeften im Hof des Ber-
quartier“ Winniza an der Ostfront, wo er liner Bendlerblocks erschossen.
mit Stauffenberg bis zu dessen Versetzung
nach Afrika zusammenarbeitete. „Hitler ist ein Verbrecher oder Wahnsinni-
Mertz erlebte im Winter 1942/43 an der ger, wahrscheinlich aber beides. Er muss be-
Ostfront die Niederlage von Stalingrad. seitigt werden, um den aussichtslosen Krieg
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V. l.: Erich Weinert, Wilhelm Pieck, General Walther von Seydlitz-Kurzbach und Major Albert Hünemörder um 1943. General von Seydlitz-Kurzbach gehört wie Major
Hünemörder zu den Gründungsmitgliedern des Bundes Deutscher Offiziere, der kurz nach seiner Gründung im Nationalkomitee „Freies Deutschland“ (NKFD) aufgeht.
Widerstand von außen Generale wirkungslos bleiben würde. Es gelang, einige hohe
deutsche Offiziere zur Mitarbeit zu gewinnen. Ihnen war von
Während des Krieges kämpften deutsche Emigranten als Sol- ihren sowjetischen Gesprächspartnern versprochen worden,
daten in den alliierten Armeen oder schlossen sich den Parti- den Bestand des Deutschen Reiches zu garantieren, wenn
sanengruppen im deutsch besetzten Europa an. Sie waren aus sich die Wehrmachtsführung von Hitler abwende, dadurch
politischen Gründen geflohen oder weil sie als Juden verfolgt sein Regime beseitige und den Befehl zum geordneten Rück-
worden waren und wollten so Deutschland von der NS-Herr- zug auf die Reichsgrenzen gebe. Im Spätsommer 1943 wurde
schaft befreien. Ihre deutschen Sprachkenntnisse setzten der Bund Deutscher Offiziere gegründet und wenig später mit
einige in speziellen Propagandaeinheiten ein: Mit Hilfe von dem NKFD vereinigt. Er sollte möglichst viele der Offiziere an-
Flugblättern klärten sie Wehrmachtssoldaten über den tat- sprechen, die dem Kommunismus ablehnend gegenüberstan-
sächlichen Kriegsverlauf auf und wollten sie zur Aufgabe den. Als sich zeigte, dass die Rote Armee auch ohne Hilfe des
bewegen. NKFD die deutsche Front unaufhaltsam zurückdrängte, verlor
Ab 1941 gerieten immer mehr deutsche Soldaten in Kriegs- es für die Sowjetunion ab 1944 seine Bedeutung und wurde
gefangenschaft. In amerikanischer und britischer Gefangen- kurz nach Kriegsende im Herbst 1945 aufgelöst.
schaft lernten sie Grundsätze freiheitlicher Demokratie ken- In amerikanischer Kriegsgefangenschaft fanden sich ab 1943
nen, in sowjetischer Gefangenschaft wurden sie vielfach mit Gleichgesinnte zusammen, die sich innerlich vom Nationalso-
der Frage konfrontiert, ob sie den Vernichtungskrieg in der zialismus gelöst hatten. Sie versuchten, ihre Kameraden durch
Sowjetunion rechtfertigen könnten. Vorträge und Lagerzeitschriften zu beeinflussen und warben
Im Sommer 1943 wurde im Kriegsgefangenenlager Krasno- für den Aufbau eines demokratischen Deutschlands. 300 Geg-
gorsk bei Moskau auf Initiative der sowjetischen Führung und ner des NS-Regimes, darunter vorwiegend politische Zwangs-
unter Beteiligung deutscher kommunistischer Emigranten rekrutierte, die in Strafdivisionen der „999er“ (siehe S. 37) Wehr-
um Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht das Nationalkomitee dienst leisten mussten, befanden sich von Mai 1943 bis zum
„Freies Deutschland“ (NKFD) gegründet. Es sollte deutsche Sommer 1947 in Kriegsgefangenschaft in Französisch-Nord-
Kriegsgefangene beeinflussen, rief zum Sturz des NS-Regimes afrika. In der Tradition der Arbeiterbewegung konnten diese
und zur Desertion aus der Wehrmacht auf. Schnell wurde aber Regimegegner über das Kriegsende hinaus vielen jungen ge-
deutlich, dass die Propaganda des Nationalkomitees „Frei- fangenen Soldaten des Afrika-Korps die Idee eines demokrati-
es Deutschland“ ohne Unterstützung gefangener deutscher schen Nachkriegsdeutschlands näher bringen.
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Hanna Bernstein über einen Lautspre-
cherwagen zu den Wehrmachtssoldaten,
um sie zur Aufgabe des Kampfes zu be-
wegen. Zeitweise war sie auch mit ei-
hanna podymachina henry ormond
nem Doppeldeckerflugzeug im Einsatz,
Hanna Bernstein, 1924 in Berlin gebo- mit dem sie nachts über den Stellungen Hans Oettinger, 1901 in Kassel als Hans
ren, wuchs in einem kommunistischen der deutschen Soldaten kreiste und ihre Ludwig Jacobsohn geboren und 1920
Elternhaus auf. Ihr Vater Rudolf war KPD- Appelle verlas. Mit ihrem Lautsprecher- adoptiert, studierte Rechtswissenschaft,
Abgeordneter der Bezirksversammlung wagen begleitete sie die sowjetische arbeitete ab 1930 als Staatsanwalt und
Berlin-Mitte und leitete verschiedene Be- Armee auf ihrem Weg von der Ukraine wenig später als Amtsrichter in Mann-
triebe in Parteibesitz. Er wurde im Februar bis nach Wien, wo sie im April 1945 das heim. Wegen seiner jüdischen Herkunft
1933 festgenommen und im KZ Sonnen- Kriegsende erlebte. 1946 heiratete sie wurde er 1933 aufgrund des „Gesetzes
burg inhaftiert. Nach seiner Entlassung den sowjetischen Hauptmann Semjon über die Wiederherstellung des Berufs-
aus der Haft emigrierte die Familie im Podymachin. beamtentums“ aus dem Staatsdienst
Juni 1934 in die Sowjetunion. entlassen.
Ende 1938 wurde er verhaftet und ins
KZ Dachau gebracht, aber unter der Auf-
lage, aus Deutschland auszureisen, im
Internierungslager Rieucros, nach dessen März 1939 entlassen. Über die Schweiz
Schließung in das Lager Brens gebracht. gelang ihm die Flucht nach Großbritan-
Während der Internierung heiratete sie nien, wo er kurz darauf, nach Beginn des
Alfred Benjamin. Krieges, als „feindlicher Ausländer“ inter-
Im Juli 1942 floh sie aus dem Lager Brens niert wurde.
und schloss sich in Lyon dem französi- Als ein Geistlicher für ihn bürgte, er-
schen Widerstand, der Résistance, an. Un- hielt Oettinger eine Stelle als Haushalts-
ter dem Decknamen „Renée Fabre“ arbei- hilfe, wurde wenig später aber erneut in-
tete Dora Benjamin als Französin getarnt terniert und nach Kanada gebracht. Dort
bei deutschen Dienststellen, um so wich- meldete er sich zur britischen Armee und
tige Informationen für die Résistance nahm später den Namen Henry Lewis
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zu sammeln. Sie nutzte ihre Kontakte zu Ormond an. Mit einer Propagandaeinheit
deutschen Soldaten, um Schriften und der Royal Army kehrte er nach Deutsch-
Flugblätter gegen den Nationalsozialis- land zurück. Er verfasste Flugblätter und
mus zu verbreiten. Das Kriegsende erleb- Aufrufe an die deutsche Bevölkerung, die
dora schaul
te Dora Davidsohn in Frankreich. auch über Lautsprecherwagen verbreitet
Die 1913 geborene Dora Davidsohn stamm- 1946 kehrte sie nach Deutschland zu- wurden.
te aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie rück. Ihre Eltern und ihre Schwester wa- Nach dem Ende des Krieges blieb Hen-
in Berlin, besuchte eine Handelsschule ren im Vernichtungslager Lublin-Maj- ry Ormond in Deutschland und arbeitete
und arbeitete danach als Büroangestell- danek ermordet worden, ihr Ehemann wieder als Rechtsanwalt. Dabei engagier-
te. 1933 verließ sie Deutschland und ging Alfred Benjamin war während eines te er sich besonders für Opfer des Natio-
nach Amsterdam. Ein Jahr später über- Fluchtversuchs in die Schweiz 1942 töd- nalsozialismus und vertrat ab 1963 die
siedelte sie gemeinsam mit ihrem spä- lich verunglückt. Einige Jahre nach dem Nebenklage im ersten der Frankfurter
teren Ehemann Alfred Benjamin nach Krieg heiratete sie Hans Schaul, der 1933 „Auschwitz-Prozesse“.
Frankreich. Bei Kriegsbeginn 1939 wurde ebenfalls vor den Nationalsozialisten
Dora Davidsohn in Paris festgenommen, geflohen war, im Spanischen Bürger-
weil sie keine gültigen Papiere vorweisen krieg für die Republik gekämpft hatte
konnte. Nach der Haft in Paris wurde sie und später in Frankreich interniert wor-
im Oktober 1939 in das südfranzösische den war.
Gelingen konnte dies meist nur mit Hilfe von Menschen, die
bereit waren, Verfolgte zu unterstützen. Unter Gefährdung der
eigenen Person besorgten diese „stillen Helden“ Lebensmittel,
beschafften falsche Papiere, leisteten Fluchthilfe, stellten Quar-
tiere zur Verfügung oder versteckten die Verfolgten bei sich.
Viele wurden zu Rettern, weil sie von Verfolgten oder anderen
Helfern gezielt um Hilfe gebeten wurden. Andere wiederum
ergriffen selbst die Initiative zur rettenden Unterstützung. Sie
appellierten etwa an jüdische Freunde, sich nicht deportieren
zu lassen, und sagten ihnen Hilfe für ein Leben im Untergrund
zu. Weltanschauliche und politische Motive waren für die Hil-
fe ebenso von Bedeutung wie spontanes Mitgefühl. Dadurch
konnten sie die Angst um die eigene Person und die Familie so-
wie die berechtigte Furcht vor der Gestapo überwinden.
Häufig entwickelten sich im Verlauf von Rettungsversu-
chen Netzwerke von Helfenden. Für jeden „Untergetauchten“
waren bis zu zehn, bisweilen auch erheblich mehr nichtjüdi-
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otto weidt wilm hosenfeld marie burde
Der 1883 geborene Otto Weidt wuchs in Der 1895 geborene Wilm Hosenfeld wur- Die 1892 in Berlin geborene Marie Bur-
Rostock auf und erlernte wie sein Vater de im Ersten Weltkrieg schwer verwun- de lebte vom Verkauf von Zeitungen
den Beruf des Tapezierers. Er engagierte det. Danach widmete er sich als Lehrer und als Lumpensammlerin. Sie wohnte
sich in der deutschen anarchistischen der Reformpädagogik. Ende August 1939 in ärmlichsten Verhältnissen in einer
Bewegung und schrieb in seiner Frei- wurde Hosenfeld, inzwischen NSDAP- unmöblierten Kellerwohnung in Ber-
zeit Gedichte. Während des Ersten Welt- Mitglied, zur Wehrmacht eingezogen. Als lin-Wedding. Um 1943 wurde sie von
kriegs gelang es dem überzeugten Pazi- Besatzungssoldat richtete er bei Łódź ein einer Bekannten um Hilfe für einen
fisten, sich aufgrund eines Ohrenleidens Gefangenenlager für polnische Soldaten jungen Juden gebeten. Nach der Depor-
dem Dienst an der Waffe zu entziehen. und Offiziere ein. In Tagebüchern notier- tation ihrer Eltern waren die Brüder Rolf
Nach seiner fast vollständigen Erblin- te er sein Entsetzen über die Ermordung und Alfred Joseph untergetaucht. Spon-
dung wurde Weidt Bürstenmacher und tausender Angehöriger der polnischen tan war Marie Burde bereit, den 23-jäh-
eröffnete 1939 in Berlin-Kreuzberg eine Führungsschicht durch Deutsche. rigen Rolf bei sich aufzunehmen. Als Rolf
Bürstenwerkstatt. Otto Weidt war ent- In Warschau wurde er 1941 leitender Joseph bei einer Wehrmachtskontrolle
schiedener Gegner des Nationalsozia- Sportoffizier und begann, Verfolgten zu festgenommen wurde, weigerte er sich
lismus und beschäftigte ab 1939 haupt- helfen. So stellte er 1942 in seiner Sport- trotz Misshandlungen standhaft, den
sächlich Juden. Er tat alles, um sie vor schule unter anderem Leon Warm unter Namen seiner Quartiergeberin preiszu-
den judenfeindlichen Maßnahmen des einem Decknamen als Arbeiter ein, der geben. Beim Transport nach Auschwitz
Staates zu schützen. als Jude zuvor aus einem Deportations- gelang ihm die Flucht aus dem Depor-
1940 zog Otto Weidt mit seinem Be- transport geflohen war. Im November tationszug, doch nach wenigen Tagen
trieb nach Berlin-Mitte in die Rosentha- 1944 entdeckte Hosenfeld in einem Haus wurde er wieder aufgegriffen und an die
ler Straße 39. Dort arbeiteten mehr als 30 im zerstörten Warschau den jüdischen Berliner Gestapo ausgeliefert. Noch ein-
blinde und taubstumme Juden für ihn. Pianisten Władysław Szpilman, der sich mal konnte er fliehen und rettete sich zu
Mit den in der Werkstatt produzierten seit Monaten in den Ruinen versteckte. Er Marie Burde, die inzwischen auch seinen
Besen und Bürsten belieferte er auch versorgte ihn mit Essen und Kleidung. Mit Bruder Alfred und dessen Freund Arthur
die Wehrmacht, weshalb die Blinden- Hosenfelds Hilfe hielt sich Szpilman zwei Fordanski aufgenommen hatte. Zu viert
werkstatt als „wehrwichtig“ galt. Durch Monate auf dem Dachboden des Hauses teilte man sich die kargen Lebensmittel-
diesen Status und weil Otto Weidt regel- verborgen, während im Stockwerk unter rationen, die Marie Bude erhielt.
mäßig Gestapo-Beamte bestach, blieben ihm der deutsche Kommandanturstab Im Frühjahr 1944 – ihre Kellerwoh-
seine Arbeiterinnen und Arbeiter eine einzog. nung wurde Ende 1943 ausgebombt –
Zeit lang von der Deportation verschont. Als die Rote Armee im Januar 1945 schickte Marie Burde die Verfolgten in
Gemeinsam mit weiteren Helfern be- Warschau einnahm, wurde Hosenfeld ihre Gartenlaube auf einem Grundstück
sorgte er ihnen Lebensmittel, gefälschte von sowjetischen Soldaten gefangen in Schönow nördlich von Berlin. Dort
Papiere und Verstecke. Nachdem die genommen und 1950 wegen seiner Zu- blieb Rolf Joseph bis zum Einmarsch
meisten von ihnen 1943 deportiert wor- gehörigkeit zur Abteilung „Truppenbe- der Roten Armee Ende April 1945. Sein
den waren, versorgte er sie noch im treuung und Spionageabwehr“ zu 25 Bruder wurde im August 1944 in Berlin
Ghetto Theresienstadt mit mehr als 150 Jahren Gefängnis verurteilt. Hosenfeld festgenommen und ins KZ Sachsenhau-
Lebensmittelpaketen und half seiner de- blieb trotz der Fürsprache Geretteter in sen verschleppt, doch auch er überlebte.
portierten Sekretärin Alice Licht bei den Haft und starb 1952 in einem Lazarett in Nach Kriegsende hielten Rolf und Alfred
Fluchtvorbereitungen aus einem Kon- Stalingrad. Joseph Kontakt zu ihrer Lebensretterin
zentrationslager. und unterstützen sie nun ihrerseits.
Widerstand von Juden Es gab vielfältige jüdische Bemühungen, sich gegen die
NS-Verbrechen aufzulehnen, so in Berlin die Gruppen um Her-
Der Antisemitismus war das zentrale Element der natio- bert Baum (siehe S. 30) oder die Gruppe Chug Chaluzi (Kreis
nalsozialistischen Ideologie. Deshalb hatten sich deutsche der Pioniere). Letztere war eine religiös-zionistische Gruppe,
Juden schon vor 1933 gegen die NSDAP zur Wehr gesetzt. die von Jizchak Schwersenz und seiner Freundin Edith Wolff
Grundsätzlich lassen sich drei Formen des Widerstandes gegründet wurde. Im Februar 1943, als mit der „Fabrikaktion“
von Juden in Deutschland unterscheiden: erstens Formen die letzten noch in Berlin lebenden Juden, die noch in den Rüs-
der Selbstbehauptung und der Solidarität, zweitens die tungsbetrieben zwangsbeschäftigt waren, deportiert werden
Mitwirkung von Jüdinnen und Juden in unterschiedlichen sollten, sammelte der bereits untergetauchte Lehrer Jizchak
Gruppen des Widerstandes sowie drittens der Aufbau eige- Schwersenz im Chug Chaluzi schließlich 40 Kinder und Ju-
ner Widerstandsgruppen im Kampf gegen den Nationalso- gendliche aus verschiedenen jüdischen Jugendbünden um
zialismus. sich. Ziel der Jugendgruppe war es, „durchzuhalten“, Flucht-
Unter dem Eindruck von Verfolgung und antisemitischer wege ins Ausland zu suchen und das Leben in der Illegalität
Propaganda entwickelten viele der mehr als 500 000 deut- bis zur Befreiung durch die alliierten Armeen zu organisieren.
schen Juden ein neues Selbstverständnis. Die Jüdischen Ge- Nach der geglückten Flucht von Schwersenz in die Schweiz
meinden, der Jüdische Kulturbund, jüdische Sportverbände wurde die Gruppe von Gad Beck fortgeführt. Noch im Unter-
und Bildungseinrichtungen wurden zu Orten der Selbstbe- grund vermittelte die Gruppe religiöse und zionistische In-
hauptung und Solidarität. In den Organisationen und Ver- halte an ihre jugendlichen Mitglieder. Tatsächlich konnte die
bänden konnten die deutschen Juden, die zunehmend aus überwiegende Mehrheit dieser Gruppe mit Hilfe von Nichtju-
dem öffentlichen Leben ausgeschlossen wurden, das Gemein- den überleben, einzelne Mitglieder wurden jedoch Opfer der
schaftsgefühl und ihren Überlebenswillen stärken. So be- Vernichtung. Der Chug Chaluzi war die einzige Widerstands-
schäftigte der 1933 gegründete Kulturbund Deutscher Juden gruppe innerhalb Deutschlands, die aus jüdisch-religiösen
entlassene jüdische Künstler und bot jüdischen Menschen Motiven heraus handelte.
die Möglichkeit, kulturelle Veranstaltungen zu besuchen. In In Ghettos und Lagern gab es Ausbruchsversuche und Auf-
Not geratenen Menschen wurden Wirtschaftshilfe und Wohl- stände. Der größte Aufstand fand im April 1943 im Warschauer
fahrtsleistungen gewährt. Juden, die Deutschland verlassen Ghetto statt. In den Vernichtungslagern Treblinka und Sobibor
wollten, wurden durch Sprachkurse und berufliche Umschu- im Herbst 1943 und in Auschwitz-Birkenau im November 1944
lungen und Ausbildungen bewusst auf die Emigration und kam es zu Aufständen, die von der SS blutig niedergeschlagen
das Leben im Ausland vorbereitet. wurden.
Privatbesitz
zialismus zum jüdischen Glauben und Chaluzi versteckt wurden, konnten 33 ge-
Landesarchiv Berlin, C Rep. 118-01 Nr. 17538 / Fotograf: k.A.
und wurde dort im Oktober 1940 von der gebenen Umständen nicht mehr als deut-
Gestapo festgenommen. Georg Hornstein schen Staatsangehörigen und würde jede
wurde am 3. September 1942 im KZ Bu- mir gegebene Gelegenheit benutzen, eine
chenwald ermordet. neue Staatsangehörigkeit zu erwerben,
wie ich auch als Jude jederzeit bereit wäre,
„Wenn ich gefragt werde, aus welchem für meine Lebensrechte zu kämpfen.“
Grunde ich als Offizier bei der Internatio-
Aussage von Georg Hornstein vor der Geheimen Staatspo-
nalen Brigade an den Kämpfen in Spani- lizei 1942, Landesarchiv Nordrhein-Westfalen/Abteilung
georg hornstein
en teilgenommen habe, so habe ich hierzu Rheinland, RW 58 Nr. 41305
Der 1900 in Berlin geborene Kaufmann folgendes zu sagen: Ich besitze zwar die
Georg Hornstein (hier auf einem Foto der deutsche Staatsangehörigkeit und gelte
Gestapo) emigrierte nach der Machtüber- nach den Buchstaben des Gesetzes als
GDW
Baracken im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau um 1945
Widerstand von Sinti und Roma Kampf gegen die deutsche Besatzungsmacht schlossen sich
Gruppen von Sinti und Roma vor allem in Osteuropa den Par-
1933 lebten rund 30 000 Sinti und Roma in Deutschland. Die tisanenverbänden an. Zentrum des bewaffneten Kampfes war
meisten besaßen die deutsche Staatsangehörigkeit. Für sie be- Jugoslawien. Auch in Frankreich leisteten Sinti und Roma in
gann mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten eine der Résistance Widerstand gegen den Nationalsozialismus
Zeit der „rassisch“ begründeten Entrechtung und Verfolgung, und die Verfolgung ihrer Minderheit. Dennoch fielen dem Völ-
gegen die sie sich zur Wehr setzten. Die „Rassenhygienische kermord nach Schätzungen bis zu 500 000 Sinti und Roma in
Forschungsstelle“ in Berlin sollte ab 1936 die deutschen Sinti Europa zum Opfer.
und Roma vollständig erfassen. Dies war die Voraussetzung
für ihre spätere Deportation in Konzentrations- und Vernich- Der Aufstand im „Zigeunerlager“ in Auschwitz-
tungslager. Birkenau
Doch zunächst veränderten die Nürnberger Rassengesetze Im Mai 1944 lebten im „Zigeunerlager“ B II e von Auschwitz-
vom September 1935 auch das Schicksal der Sinti und Roma Birkenau nur noch rund 6000 der insgesamt über 22 000 hier-
in Deutschland entscheidend. Sie verloren ihre Bürgerrechte; her verschleppten Sinti und Roma. Am 15. Mai 1944 fiel der Ent-
ebenso wie den Juden wurden ihnen die Heirat mit „Deutsch- schluss, diese Häftlinge in den Gaskammern zu ermorden. Als
blütigen“ und die Ausübung vieler Berufe verboten. In einigen die Betroffenen davon erfuhren, bewaffneten sie sich so gut es
deutschen Städten entstanden KZ-ähnliche Sammellager für ging und mit allem, was ihnen zur Verfügung stand – Messer,
Sinti und Roma, so etwa in Berlin-Marzahn oder in der Diesel- Knüppel, Spaten, Brecheisen und Steine. Am nächsten Tag ver-
straße in Frankfurt am Main. In diesen Lagern wurden pseu- weigerten sie den Befehl, ihre Häftlingsbaracken zu verlassen.
dowissenschaftliche „Rasseuntersuchungen“ vorgenommen, Als den SS-Männern klar wurde, dass die Häftlinge zum Wi-
die Inhaftierten waren der Willkür und den Misshandlungen derstand entschlossen waren, gaben sie die ursprünglich ge-
ihrer Bewacher ausgesetzt. Ab 1940 wurden Sinti und Roma in plante Mordaktion auf.
das deutsch besetzte Polen zur Zwangsarbeit verschleppt. Ende Juli 1944 wurden die früheren Wehrmachtsangehöri-
Immer wieder versuchten Sinti und Roma, sich gegenüber gen unter den Sinti und Roma, deren Familienangehörige so-
der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zu behaupten. wie weitere als „arbeitsfähig“ eingestufte Sinti und Roma aus
Sie unternahmen Fluchtversuche und leisteten Fluchthilfe. Ihr dem „Zigeunerlager“ in das Stammlager Auschwitz gebracht.
eigenes Überleben war die Voraussetzung dafür, anderen zu Die SS wollte so bei den verbleibenden Häftlingen in Ausch-
helfen und Widerstand zu leisten. Sinti und Roma gingen in witz-Birkenau den Eindruck erwecken, sie sollten zur Arbeit
die Illegalität, um der drohenden Haft oder Deportation zu in andere Lager transportiert werden. Ein Zug mit 490 Frauen
entgehen. Dabei wurden sie nicht selten von Nachbarn oder und über 1100 Männern und Jungen fuhr am Nachmittag des
Freunden unterstützt. Die Fluchthelfer wussten, in welche Ge- 31. Juli 1944 von der Rampe in Auschwitz-Birkenau ab. Über
fahr sie sich durch die Hilfe für die Verfolgten begaben. Aus den Zaun hinweg konnten sie sich mit Winken und Rufen
dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau sind 42 Flucht- von den Zurückbleibenden im „Zigeunerlager“ verabschieden.
versuche von Sinti und Roma belegt, nur zwei davon waren Diese wurden am Abend des 2. August 1944 auf Lastkraftwa-
erfolgreich. gen zu den Gaskammern gebracht. Viele der insgesamt 2897
Es kam auch zu verzweifelten Versuchen, sich in den besetz- Opfer wehrten sich bis zuletzt noch mit bloßen Händen ge-
ten Gebieten gegen die Massenerschießungen zu wehren. Im gen ihre Mörder.
und sein Bruder in das KZ Sachsenhausen harte Strafe fürchten müsse, gewährten
und von dort als ehemalige Soldaten er- ihm die Schweizer Behörden kein Asyl
neut an die Front. Beide überlebten Krieg und zwangen ihn zur Rückkehrt nach
Deutscher Sinti und Roma
ullstein bild
Häftlingsappell im Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin nach 1939
Widerstand von Häftlingen Spielräume, die sie sich durch Tätigkeiten für die SS oder die
KZ-Verwaltung verschaffen konnten. Unter den unmenschli-
Schon wenige Wochen nach Hitlers Regierungsübernahme chen Haftbedingungen des Lageralltags zu überleben und sich
begannen die Nationalsozialisten in vielen Teilen des Reiches innerlich nicht dem Druck der SS zu beugen, waren die Grund-
Konzentrationslager zu errichten, in denen sie ihre Gegner in- voraussetzungen für alle Bemühungen von Häftlingen, im KZ
haftierten und misshandelten. Eines von ihnen entstand im die eigene Identität und Menschenwürde zu bewahren sowie
März 1933 bei Dachau. Es wurde zum Modell für andere La- anderen Häftlingen zu helfen.
ger im Emsland, später für die Konzentrationslager Sachsen- Kontakte zu ihren Angehörigen und Freunden in der Freiheit
hausen, Buchenwald, Flossenbürg, Mauthausen, Ravensbrück waren für die Häftlinge lebensnotwendig. Erlaubt war ein Brief
und Neuengamme. Sie sollten die Inhaftierten einschüch- im Monat, dessen Inhalte allerdings einer strengen Postzen-
tern, aber auch die Bevölkerung gefügig machen, der so der sur unterlagen. Oft verbot die KZ-Kommandantur jedoch auch
Schrecken der nationalsozialistischen Verfolgung vor Augen diesen Weg. Entsprechend versuchten Häftlinge, mit Hilfe ver-
geführt wurde. schlüsselter Mitteilungen in zensierten Briefen oder durch ge-
In den Lagern wurden zunächst fast nur politische Gefan- heime Nachrichten, sogenannte Kassiber, Verbindungen nach
gene festgehalten, vor allem Kommunisten, Sozialdemokra- außen aufzunehmen. In einigen Lagern gelang es sogar, einzel-
ten und Gewerkschafter. Nach kurzer Zeit fanden sich hier ne einfache Rundfunkgeräte vor den Bewachern zu verstecken.
jedoch all jene Bevölkerungsgruppen wieder, die gemäß der Sie waren wichtige Informationsquellen über den Kriegsverlauf
rassistisch definierten NS-Ideologie aus der NS-„Volksge- und die Situation außerhalb der Konzentrationslager.
meinschaft“ ausgestoßen werden sollten: Juden, Sinti und Mit dem Krieg entstanden ab 1939 neue Konzentrations-
Roma, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, sogenannte Asoziale lager, darunter Auschwitz, Groß-Rosen, Stutthof, Majdanek,
und angebliche Berufsverbrecher. 1938 wurden Menschen Natzweiler und Riga. Hier mussten die Häftlinge unter un-
aus Österreich und dem Sudetenland in die Konzentrations- menschlichsten Bedingungen Zwangsarbeit verrichten. Ver-
lager verschleppt, ein Jahr darauf Tschechen und Polen, spä- nichtungsstätten in den besetzten Gebieten hatten ab Herbst
ter Gefangene aus allen deutsch besetzten Ländern. Ab 1943 1941 nur einen Zweck: Menschen fabrikmäßig zu ermorden
mussten die Häftlinge vor allem Zwangsarbeit für die deut- und ihre Leichname zu beseitigen. Bis heute stehen die Na-
sche Rüstungsindustrie leisten. Sie waren der Willkür, kör- men Chełmno, Belzec, Sobibór, Treblinka und Auschwitz-Bir-
perlichen Gewalt und dem psychischen Terror ihrer Peiniger kenau für den nationalsozialistischen Massenmord.
aus der SS ausgeliefert. Inhaftierte versuchten auch, sich dem drohenden Tod durch
Nicht nur unter den politischen Gefangenen gab es Solida- Flucht zu entziehen. In einigen Lagern fanden sogar gemeinsa-
rität und geistig-kulturelle Selbstbehauptung in vielfacher me Ausbruchsversuche und Aufstände statt. Diese deutlichs-
Form. Immer wieder versuchten Häftlinge, sich gegen ihre ten Zeichen eines organisierten Häftlingswiderstands gingen
Unterdrücker zur Wehr zu setzen und sich im Lageralltag zu zumeist auf Gefangene aus den besetzten bzw. eroberten
behaupten. Sie nahmen Verbindungen zu anderen Gefange- Ländern zurück, die seit 1942 die überwiegende Mehrheit der
nen auf, halfen Gefährdeten und nutzten vielfach die kleinen Häftlinge in den Konzentrationslagern stellten.
Privatbesitz
gerhart seger wilhelm hammann ilse unterdörfer
Der 1896 in Leipzig geborene Gerhart Der 1897 bei Groß-Gerau geborene Leh- Die 1913 in Plauen geborene Ilse Unterdör-
Seger war in der Weimarer Republik Ge- rer Wilhelm Hammann gehörte seit fer schloss sich Anfang der 1930er-Jahre
schäftsführer der Deutschen Friedensge- 1927 als KPD-Abgeordneter dem Hessi- der Glaubensgemeinschaft der Zeugen
sellschaft und Redakteur verschiedener schen Landtag an. 1935 wurde er zu drei Jehovas an. Nach deren Verbot in Sachsen
sozialdemokratischer Zeitungen sowie Jahren Zuchthaus verurteilt und nach im April 1933 war sie als Kurierin tätig
seit 1930 SPD-Reichstagsabgeordneter. seiner Haft 1938 in das KZ Buchenwald und verbreitete Schriften ihrer Glaubens-
Am 12. März 1933 wurde Seger festge- verschleppt. Er war dort in der illegalen gemeinschaft. 1936 reiste sie gemeinsam
nommen und in das Gerichtsgefängnis KPD-Gruppe aktiv und entwickelte mit mit Erich Frost, dem Bezirksdienstleiter
Dessau gebracht, am 14. Juni 1933 in das anderen Häftlingen 1944 Pläne für den für Sachsen, zum Kongress der Zeugen Je-
KZ Oranienburg überstellt. Angesichts Neuaufbau eines demokratischen Schul- hovas nach Luzern. Als Frost den Auftrag
der unerträglichen Haftbedingungen wesens. bekam, reichsweit die Untergrundtätig-
entschloss er sich im Dezember 1933 zur Ab Januar 1945 kümmerte er sich als keit der Zeugen Jehovas in Deutschland
Flucht. Blockältester im Kinderblock 8 um meh- zu leiten, übernahm Unterdörfer die Be-
Es gelang ihm, in die Tschechoslowa- rere hundert Kinder und organisierte treuung der Bezirksarbeit in Sachsen. Bei-
kei zu entkommen, wo er seine Erfah- deren geheimen Unterricht. Hammann de wurden im März 1937 festgenommen,
rungen niederschrieb. 1934 erschien sein besorgte Verpflegung und Kleidung, Ilse Unterdörfer wurde im Oktober 1937
Buch „Oranienburg“ in hohen Auflagen schützte die Kinder vor Übergriffen der zu einem Jahr und neun Monaten Haft
in vielen europäischen Ländern und SS und vermittelte Kontakte zu Angehö- verurteilt.
Nordamerika. Seger unternahm ausge- rigen im Lager. Nach Verbüßung ihrer Strafe wurde
dehnte Vortragsreisen, um die Weltöf- Als Anfang April 1945 die Evakuierung sie in das KZ Lichtenburg verschleppt
fentlichkeit über die deutschen Konzen- der jüdischen Häftlinge begann, rettete und im Mai 1939 in das neu errichtete
trationslager aufzuklären. Hammann gemeinsam mit Häftlingen Frauen-KZ Ravensbrück überstellt. Auch
Nach seiner Flucht nahmen die Natio- der Schreibstube alle 159 jüdischen Kinder hier lehnte sie wie die Mehrheit ihrer
nalsozialisten im Januar 1934 seine Frau in seinem Block vor dem Todesmarsch. Er Glaubensschwestern jegliche kriegsun-
Elisabeth und seine zweijährige Tochter ließ ihre Erkennungszeichen, auf die Häft- terstützende Arbeiten, etwa das Nähen
Renate in Haft. Erst nach heftigen öffent- lingskleidung angebrachte gelbe Winkel, von Uniformen, ab. Im Dezember 1939
lichen Protesten kamen sie im Mai 1934 entfernen, organisierte die Änderung verweigerten mehr als 400 Zeuginnen
aus dem KZ Roßlau frei und konnten ihrer Eintragungen in der Häftlingskar- Jehovas in Ravensbrück die Produktion
schließlich aus Deutschland ausreisen. tei und versicherte den misstrauischen von Patronentaschen und wurden da-
Im Oktober 1934 emigrierte die Fami- SS-Männern, die jüdischen Kinder seien für mit Bunkerhaft bestraft. Täglich
lie über Frankreich in die USA, wo sich bereits abtransportiert. In der allgemei- mussten sie mehrere Stunden in dünner
Seger als Chefredakteur der „Neuen nen Verwirrung der letzten Tage gelang Kleidung bei extremen Minusgraden auf
Volkszeitung“ und Berater der amerika- die Täuschung. Alle Kinder in Block 8 dem Gefängnishof stehen und erhielten
nischen Regierung weiterhin für ein de- erlebten am 11. April 1945 die Befreiung nur minimale Essensrationen. Trotzdem
mokratisches Deutschland einsetzte. im Lager. rückten sie nicht von ihrer Verweige-
Nach 1945 engagierte Wilhelm Ham- rungshaltung ab.
mann sich erneut für die KPD. 1984 Ilse Unterdörfer überlebte das Kriegs-
wurde der 1955 Verstorbene von der is- ende und war später als Predigerin
raelischen Gedenkstätte Yad Vashem als der Zeugen Jehovas in Österreich und
„Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Deutschland tätig.
ermöglichte ihr damit die Flucht. Den Sin- eine erneute Flucht der Familie blieb ih-
ti-Familien Reinhard und Meinhard ver- rem Sohn Paul dieses Schicksal erspart.
schaffte er gefälschte Ausländerpässe für Paul Kreber gelang es schließlich, die Fa-
das besetzte Frankreich und begleitete sie milie in einem Wanderzirkus zu verste-
paul kreber
auf der Fahrt nach Paris. cken. Seine Hilfsaktionen blieben unent-
Der 1910 geborene Paul Kreber arbeitete Kreber ließ Anweisungen seiner Dienst- deckt.
ab 1941 als Kriminalassistent im Polizei- stelle unbearbeitet oder verschleppte de-
präsidium Wuppertal. Ende 1942 wurden ren Bearbeitung. Unter Kollegen bekam
GDW
Bundespräsident Theodor Heuss und Bundeskanzler Konrad Adenauer während der Gedenkfeier der Bundesregierung zum 10. Jahrestag des 20. Juli 1944 im Ehrenhof des
Bendlerblocks in der Berliner Bendlerstraße am 20. Juli 1954. Ein Jahr später wurde die Bendlerstraße in Stauffenbergstraße umbenannt.
Die Würdigung und nachträgliche Legitimierung des Um- zuzugestehen und sie nicht als Handlanger Moskaus zu
sturzversuches vom 20. Juli 1944 durch Angehörige der politi- verstehen. Der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Willy
schen Eliten der Bundesrepublik Deutschland ist ohne die Ein- Brandt, der in der NS-Zeit ins Ausland geflüchtet war, wurde
beziehung des Volksaufstands in der DDR am 17. Juni 1953 nicht lange Zeit systematisch als „Emigrant“ diffamiert. Bundes-
denkbar. Typisch ist dafür die Rede des Berliner Regierenden präsident Gustav Heinemann würdigte 1969 den Hamburger
Bürgermeisters Ernst Reuter vom 19. Juli 1953: „Der Bogen vom Kommunisten Fiete Schulze und stieß dabei auf scharfe Kritik.
20. Juli 1944 spannt sich heute, ob wir wollen oder nicht, zu Eine rechtsradikale Zeitung titelte: „Heinemanns verbrecheri-
dem großen Tage des 17. Juni 1953, zu jenem Tag, an dem sich sche Vorbilder – Von Graf Stauffenberg zu Fiete Schulze gibt
ein gepeinigtes und gemartertes Volk in Aufruhr gegen seine es keine Brücke“. 1974 kam es zu einem Eklat, als ausgerech-
Unterdrücker und gegen seine Bedränger erhob und der Welt net der ehemalige Marinestabsrichter Hans Karl Filbinger bei
den festen Willen zeigte, dass wir Deutschen frei sein und als der Gedenkfeier im Reichstag sprach. Angehörige von Wider-
ein freies Volk unser Haupt zum Himmel erheben wollen. Wir standskämpfern verließen demonstrativ diese Feier. Filbinger
wissen, dass dieser 17. Juni wie einst der 20. Juli nur ein Anfang war seit 1943 an mehreren kriegsgerichtlichen Todesurteilen
war. Aber ich glaube, es ist gut, es ist richtig, wenn wir auch an beteiligt gewesen und rechtfertigte dies mit den Worten: „Was
diesem Tage den Bogen vom 20. Juli zu den Ereignissen schla- damals Rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein!“ 1976
gen, die uns heute innerlich bewegen.“ schließlich kam es zu heftigen Debatten, als Herbert Weh-
Bundespräsident Theodor Heuss, der sich noch 1950 der Bit- ner, SPD-Fraktionschef und ehemaliger KPD-Funktionär, als
te versagt hatte, im Rundfunk Worte der Würdigung und des Redner der jährlichen Gedenkfeier vorgesehen war. Wehner
Gedenkens an den 20. Juli 1944 zu sprechen, wies in einem 1952 verzichtete schließlich; an seiner Stelle sprach der Berliner
veröffentlichten Schreiben an Annedore Leber, die Frau des er- Regierende Bürgermeister Dietrich Stobbe. Diese Beispiele zei-
mordeten Widerstandskämpfers Julius Leber, alle Verratsvor- gen, dass von einem breiten Konsens über den Widerstand zu
würfe deutlich zurück und äußerte sich 1954 klar und eindeutig dieser Zeit auf keinen Fall gesprochen werden kann.
zum Erbe des Widerstands: „Die Scham, in die Hitler uns Deut- In Berlin gab es seit 1953 am Ort des Umsturzversuches vom
sche gezwungen hatte, wurde durch ihr Blut vom besudelten 20. Juli 1944 eine Gedenktafel und ein Mahnmal, seit 1968 eine
deutschen Namen wieder weggewischt. Das Vermächtnis ist kleine Ausstellung. 1983 erteilte der damalige Regierende Bür-
noch in Wirksamkeit, die Verpflichtung ist noch nicht eingelöst.“ germeister von Berlin den Auftrag, hier die gesamte weltan-
In der westdeutschen Bevölkerung allerdings war der Wider- schauliche Breite und soziale Vielfalt des Widerstands gegen
stand gegen den Nationalsozialismus überwiegend noch nicht den Nationalsozialismus aufzuzeigen. Erneut kam es zu hefti-
akzeptiert. So beurteilten 1951 nur 43 Prozent der Männer und 38 gen Diskussionen, etwa über die Darstellung des kommunisti-
Prozent der Frauen die „Männer vom 20. Juli“ positiv. Im Sommer schen Widerstands, des Exils, der Roten Kapelle und des Nati-
1956 lehnte es eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung onalkomitees „Freies Deutschland“. Kommunisten hätten – so
(54 Prozent der Männer und 44 Prozent der Frauen) ab, eine Schu- die Kritik – lediglich versucht, eine Diktatur durch eine andere
le nach dem Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffen- zu ersetzen. Erneut wurde ihnen eine eigenständige Hand-
berg oder nach dem zivilen Kopf des Umsturzversuches vom lungsmotivation abgesprochen. Diese Diskussionen flammten
20. Juli 1944, Carl Friedrich Goerdeler, zu benennen. Nur 18 Pro- 1994 und 1997 erneut auf, bevor deutlich wurde, dass ein re-
zent der Befragten sprachen sich dafür aus. alistisches Bild vom NS-Widerstand, von seinem politischen
Der Anteil der positiven Beurteilung des 20. Juli 1944 sollte Scheitern und seiner moralisch-ethischen Bedeutung nicht
sich auch in den folgenden Jahrzehnten nur unwesentlich än- gewonnen werden kann, ohne alle Strömungen einzubezie-
dern. Eine Umfrage vom Frühjahr 1970 machte deutlich, dass hen, die sich der totalitären Bedrohung durch den Nationalso-
39 Prozent die „Männer vom 20. Juli“ positiv beurteilten (gegen- zialismus entgegengesetzt hatten.
über 40 Prozent im Jahr 1951) und nur noch 7 Prozent sie ablehn- Die DDR verstand sich als der aus dem antifaschistischen
ten (gegenüber 30 Prozent im Jahr 1951). Stark angestiegen war Widerstand geborene deutsche Staat, in dem das Vermächt-
der Kreis derer, die nichts über die Ereignisse des 20. Juli 1944 nis der Widerstandskämpfer verwirklicht werden würde und
wussten (37 Prozent gegenüber 11 Prozent im Jahr 1951). 1985 ver- berief sich vor allem auf den Widerstand aus der Arbeiterbe-
änderte das Institut für Demoskopie Allensbach zwar seine Be- wegung und aus der Kommunistischen Partei. Tatsächlich
wertungsmethode, bezog aber in seine Ergebnisse nur noch die- wurde in der DDR nur ein sehr eingeschränktes Bild vermittelt.
jenigen ein, die über die Ereignisse des 20. Juli 1944 „richtige oder Gab es etwa noch 1945/46 in der Sowjetisch Besetzten Zone
ungefähr richtige Angaben“ machen konnten. Gegenüber 1971 (SBZ) positive Bewertungen des 20. Juli 1944, wurde dieser
war die Bewertung fast unverändert, lediglich die negativen Be- später diffamierend oft als „Generalsputsch" bezeichnet. Dies
wertungen gingen geringfügig zurück. Erst im Jahr 2004 gab es änderte sich erst Mitte der 1980er-Jahre, als im Zuge der De-
in einer repräsentativen Befragung der deutschen Bevölkerung batte über die Nachrüstung die Sozialistische Einheitspartei
erstmals eine überwiegend positive Beurteilung des 20. Juli 1944. Deutschlands (SED), die in der DDR die Führungsrolle inne hat-
1958 resümierte der Publizist und NS-Widerstandskämpfer te, eine „Koalition der Vernunft“ anstrebte und sich dabei auch
Rudolf Pechel: „Der Einfluss der Überlebenden des Widerstan- auf die Gemeinsamkeit der Widerstandskämpfer gegen den
des ist heute in Deutschland gering. [...] Intellektuelle Rollkom- Nationalsozialismus berief. Im Juli 1984 brachte das SED-Zen-
mandos mit notorischen Denunzianten und Rufmördern an tralorgan „Neues Deutschland“ einen ganzseitigen Artikel
der Spitze können sich heute in Verunglimpfungen der Wider- über den 20. Juli 1944 mit einem ehrenden Foto von Claus
standskämpfer versuchen, ohne dass ihnen etwas geschieht.“ Schenk Graf von Stauffenberg. Damit war eine Neubewertung
Immer wieder kam es auch in den 1960er- und 1970er-Jah- eingeleitet. Trotzdem stand in der DDR weiterhin die These im
ren zu politischen Auseinandersetzungen um den Widerstand Vordergrund, dass der Widerstand in Deutschland nur unter
gegen den Nationalsozialismus. Bundespräsident Heinrich Führung der Moskauer Exil-KPD möglich gewesen sei. Mit der
Lübke sprach sich bereits 1964 dafür aus, kommunistischen historischen Realität des Widerstands gegen den Nationalso-
Regimegegnern eigenständige idealistische Handlungsmotive zialismus hatte dies allerdings nichts zu tun.
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Der Autor und die Autorin Weiteres zum Thema Nationalsozialismus in den
„schwarzen Heften“:
Prof. Dr. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Wider-
stand in Berlin, apl. Prof. am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft
der Freien Universität Berlin, z. Zt. Gastprofessor am Touro-College Ber-
lin, Studiengang Master of Arts in Holocaust Communication and To-
lerance.
Julia Albert, M. A., Historikerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Ge-
denkstätte Deutscher Widerstand.
Die Verfasser danken ihren Kolleginnen und Kollegen der Gedenkstät-
te Deutscher Widerstand für ihre umfangreiche Unterstützung bei der
Erarbeitung des Textes.
Impressum
Herausgeberin: Text und Fotos sind urheberrechtlich geschützt. Der Text kann in Schu-
Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, Adenauerallee 86, 53113 len zu Unterrichtszwecken vergütungsfrei vervielfältigt werden.
Bonn, Fax-Nr.: 02 28/99 515-309, Internetadresse: www.bpb.de/izpb,
Der Umwelt zuliebe werden die Informationen zur politischen Bil-
E-Mail: info@bpb.de
dung auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt.
Redaktion:
Christine Hesse (verantwortlich/bpb), Jutta Klaeren, Peter Schuller
(Volontär)
Redaktionelle Mitarbeit:
Imke Marie Dralle, Göttingen; Alina Finke, Köln
Titelbild:
Fotos der Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg (l.)
und Georg Elser in der neuen Dauerausstellung der Gedenkstätte
Deutscher Widerstand am 26. Juni 2014 in Berlin. Diese Ausstellung
wurde nach einer grundlegenden Neugestaltung am 1. Juli 2014 feier- Anforderungen
lich wiedereröffnet. Foto: Jörg Carstensen / dpa
Umschlag-Rückseite: bitte schriftlich an
Leitwerk, Köln Publikationsversand der Bundeszentrale für
politische Bildung/bpb, Postfach 501055, 18155 Rostock
Gesamtgestaltung:
KonzeptQuartier® GmbH, Art Direktion: Linda Spokojny, Schwabacher Fax: 03 82 04/66-273 oder direkt bestellen unter www.bpb.de/informa-
Straße 261, 90763 Fürth tionen-zur-politischen-bildung
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