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Soziale Medien - Neue Massen

Herausgegeben von
Inge Baxmann, Timon Beyes und Claus Pias

diaphanes
Inhalt

Ein Vorwort in zehn Thesen.................................................................................................. 9

I. Welche Massen?
Einleitung (Inge Baxmann) ............................................................................................... 17

Christian Borch
Die vermittelte Masse:
Über Medien und kollektive Dynamiken.......................................................................... 25

Christiane Heibach
Von den Massen zu den Kollektiven:
Dimensionen eines diskursiven Paradigmenwechsels...................................................... 39

Florian Sprenger
Massenträgheit
Beschleunigung und Medien/Theorie .............................................................................. 57

Irina Kaldrack und Theo Röhle


Teilmengen, Mengen Teilen:
Taxonomien, Ordnungen und Massen im Facebook Open Graph.................................. 77

Roland Meyer
Augmented Crowds
Identitätsmanagement, Gesichtserkennung und Crowd M onitoring........................... 105

II. Welche Medien?


Einleitung (Claus P ia s ) ...................................................................................................123
Wolfgang Hagen
Entladene Massen
Zur Krise eines Begriffs...................................................................................................129

Martin Warnke
Datenbanken als Zitadellen des Web 2 .0 ....................................................................... 139

Michael Andreas
„Offen“ und „Frei“
Über zwei Programme sozialer Medien......................................................................... 155

Dirk Baecker
Soziologie der M edien.....................................................................................................171

Sebastian Vehlken
Reality Mining:
Neue Mengen-Lehren in Social Simulations................................................................. 189

Christoph Engemann
Human Terrain System:
Soziale Netzwerke und die Medien militärischer Anthropologie.................................209

III. Politik und Öffentlichkeit?


Einleitung (Timon B eyes)................................................................................................ 235

Sascha Simons
Ornament der Mass Customization:
Zum Kollektivbewusstsein verstreuter Examinatoren.................................................... 241

Carolin Wiedemann
Zwischen Netzwerk, Schwarm und Multitude:
Anonymous und die Infrastrukturen des Gemeinsamen ............................................... 265

Mirko Tobias Schäfer


Instabile (Gegen-)Öffentlichkeiten:
Online-Plattformen als hybride Foren gesellschaftspolitischer Debatten .................... 285

Christoph Bieber
Auf dem Weg zu einer Ethik des Lecks?
WikiLeaks als programmierte Öffentlichkeit.................................................................. 305
Peter Krapp
Zwischen Wahn und Weisheit der Massen:
Computerspiele und die Ökonomie der Zerstreuung......................................................329

IV. Kommentare

Marie-Luise Angerer
Kurzschluss der Massen................................................................................................... 349

Charles Ess
Zwischen zwei Stühlen sitzen - oder drei, oder ...
Ein Kommentar zum Zweiten Medienwissenschaftlichen
Symposium der DFG, „Soziale Medien - Neue Massen?“ ........................................... 357

Teilnehmerliste 365
Massenträgheit
Beschleunigung und Medien/Theorie

Eine Reihe unterschiedlicher historiographischer Narrationen, von der Literatur über


die Soziologie bis zur Medientheorie und vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart,
hat den als Globalisierung bezeichneten umfassenden Wandel mit der durch elektrische
Medien ausgelösten Geschwindigkeitssteigerung zu parallelisieren versucht. Ihm wurde
ein Movens der Beschleunigung injiziert und diese wiederum zur Signatur der Moderne
ernannt. Distanz galt und gilt nicht länger als limitierender Faktor des Austauschs zwi­
schen Menschen, was heute angesichts der gegenwärtigen Bedeutung ubiquitärer oder
smarter Kommunikation erneut unterstrichen wird. Diese Behauptung möchte ich im
Folgenden historisch verorten und als Rekurrenzmodell für die Auseinandersetzung mit
jeweils neuen Medien der Übertragung kennzeichnen. Dabei geht es mir weniger um eine
genaue Situierung der jeweiligen Verwendung der These, dass elektrische Kommunikation
Distanzen aufhebe, als um ihre Produktivität innerhalb der Debatten und ihre „Kohärenz
im Widerspruch“, die, so Jacques Derrida, „einer Begierde Ausdruck“1geben kann. Von
ihr aus lässt sich die Bedeutung dieser Diskurse noch für gegenwärtige Theoriedebatten
der Medienwissenschaft genauer fassen.
Mit der Benennung des Zusammenhangs von Globalisierungsprozessen und der
technischen Beschleunigung von Kommunikation ist jedoch mehr angegeben als die
bekannte Koinzidenz weltweiter Veränderungen mit den Medien dieser Veränderung.
Hand in Hand mit der Beschleunigung geht das Selbstbild einer neuen ,Gemeinschaft‘,
die sich nunmehr als weltweit durch elektrische oder elektronische Medien verbundene
ansehen kann: durch die Überwindung von Distanzen in wenig oder gar keiner Zeit, An­
wesenheit in Abwesenheit, sowie die Vereinigung von Getrenntem an entfernten Orten.2

1 Jacques Derrida: „Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Men­
schen“, in: ders.: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt am Main 1976, S. 422-442, hier S. 423.
2 Im Gegensatz zum Begriff der Gesellschaft, den Ferdinand Toennies, die Debatte eröffnend, im
Rahmen der Politischen Ökonomie 1887 dem der Gemeinschaft entgegenstellte, erlaubt letzterer,
schon etymologisch, eine Nähe zum Begriff der Kommunikation und bietet sich deshalb für die hier
vorgeschlagene Perspektive besonders an, weil er von Beginn an ein Versprechen der Unmittelbarkeit
suggerierte, das dem Begriff der Gesellschaft abgeht. Vgl. Ferdinand Toennies: Gemeinschaft und
Gemeinschaft, community, wird zur Zeit der Etablierung dieser Medien und später auch
in daran anschließenden Medientheorien als Effekt von Medien und das Gemeinsame
der Gemeinschaft als eine Verbundenheit der Kommunikation verstanden - und diese
Kommunikation als unmittelbar.
Anhand einiger Einblicke in die Genealogie elektrischer Verbundenheit, welche die
materiellen Infrastrukturen von Verteilung, Verbindung und Adressierung ebenso berück­
sichtigt wie die diskursive Verankerung dieser Techniken im Imaginären ihrer Zeit, kann
somit ein apokalyptisches Motiv der Moderne an die Oberfläche gezogen werden: die
elektrische Beschleunigung und die ihr zugeschriebene Aufhebung von Raum und Zeit.
Die in diesen Selbstbeschreibungen aufgeworfenen Konzepte, Ökonomien und Begriffe,
welche die Medien der Gemeinschaft als beschleunigt oder unmittelbar bestimmen, wer­
den im 20. Jahrhundert - ob gewollt oder nicht - von einer Tradition von Medientheorie
übernommen und fortgesetzt, die in Marshall McLuhan ihren wichtigsten Protagonisten
hat.3 Sie ist, so soll argumentiert werden, durch ihre imaginäre und genealogische Veran­
kerung an der Bildung von Gemeinschaft beteiligt und versucht, diese Gemeinschaft mit
Konzepten und Begriffen zu erklären, die selbst ein Produkt der Geschichte darstellen,
die sie erklären sollen.
Zugespitzt lautet die These: Ein Hindernis zwingt an Beschleunigung orientierte
Medientheorien zu einem essentialistischen und deshalb politisch und epistemologisch
prekären Gemeinschaftsbild. Durch die von ihnen inaugurierte Unmittelbarkeit einer als
instantan angenommenen Elektrizität sind sie in der Gefahr, die Spezifik ihrer Medien
und die Herstellung der Bedingungen von Gemeinschaft zu übersehen. Historisch mögen
sie zu den ersten gehört haben, die auf die Bedeutung von Medien hingewiesen haben
und sind doch, wie gezeigt werden soll, an einer Verdeckung des Potentials dieses Blick­
wechsels beteiligt. Wenn Medien und Kommunikation in der Genealogie der elektrischen

Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, Berlin 1887. Gemeinschaft gibt es, anders als
es ihre Beschwörung will, nur als Imaginäre, auch wenn dieses Imaginäre politische Realität ist.
In diesem Sinne soll der Gemeinschaftsbegriff, auf dessen Problematik am Ende nochmals einge­
gangen werden wird, als Beschreibungstool genutzt werden, das auch innerhalb der beschriebenen
Diskurse eine Geschichte hat, dabei aber andere Akzente legt als der Begriff der Masse, der ebenfalls
mit Elektrizitätsmetaphern beschrieben wird. (Vgl. Joseph Vogl: „Masse und Kraft“, in: Thomas
Brandstetter; Christof Windgätter (Hg.): Zeichen der Kraft, Berlin 2008, S. 187-197.)
3 Der Straffung halber konzentrieren sich die Ausführungen auf McLuhan, könnten aber auf Lewis
Mumford, Derrick de Kerckhove, Paul Virilio, Peter Weibel oder Götz Großklaus ausgedehnt wer­
den, die weitestgehend im von McLuhan abgesteckten Rahmen bleiben, ebenso wie Stephen Kern,
dessen maßgebliche Studie die Beschleunigung von der Instantanität her denkt (Stephen Kern: The
Culture o f Time and Space 1880-1918, Cambridge 1987). Gleiches gilt für die Internetdiskurse der
1990er Jahre und für zahlreiche aktuelle Geschichten der elektrischen oder elektronischen Medien,
etwa von Frank Hartmann oder jüngst Clara Völker, sowie eine breite Front soziologischer Theorien
der Globalisierung, auf die ich am Ende zu sprechen kommen werde (Vgl. Clara Völker: Mobile
Medien. Zur Genealogie des Mobilfunks und zur Ideengeschichte von Virtualität, Bielefeld 2010;
sowie Frank Hartmann: Globale Medienkultur. Technik, Geschichte, Theorien, Wien 2008; Florian
Sprenger: Medien des Immediaten. Elektrizität, Telegraphie, McLuhan, Berlin 2012).
Beschleunigung als „Mittler menschlicher Allgegenwart“4, „transmitted instantaneously
by electricity“5 zu einer „brand-new world of allatonceness“6beschrieben werden, wenn
also Kommunikation in elektrischen Medien immer schon überall sein soll, dann kommen
weder die Materialität der Kommunikation in all ihren Aufschüben und Brüchen noch die
für Gemeinschaft notwendigen Differenzen in den Blick.7
Die Beschleunigung historischer Abfolgen und kultureller Entwicklungen wird, wie
Reinhart Koselleck verschiedentlich gezeigt hat, seit der frühen Neuzeit von einer außer­
geschichtlichen Kategorie im Sinne Gottes zu einem innergeschichtlichen Axiom.8 Die
Technik verschafft der Beschleunigung zwar ein neues Wirkungsfeld, ist aber kein Aus­
löser der Verdichtung. Vielmehr ist sie anschlussfähig an bestehende Diskurse und nur in
deren Zusammenhang wirkmächtig. Sie fungiert vor allem im Rahmen der Französischen
Revolution und ihr verwandter Prozesse, eben auch der industriellen Revolution, als g e ­
schichtlicher Hoffnungsbegriff. Leitend sei dabei, so Koselleck, eine Differenz zwischen
Erwartung und Erfahrung, die es der Neuzeit erlaube, sich als neue Zeit zu markieren -
eine Figur, die seitdem auch auf neue Medien angewandt wird und mit deren Einfluss
auf Zeit- und Raumverhältnisse in Korrespondenz steht. Koselleck geht davon aus, dass
die Figur der Beschleunigung, trotz einiger Rudimente, nicht mehr aus den Prämissen
der jüdisch-christlichen Tradition einer zeitverkürzenden Apokalypse abgeleitet werden
könne, zumal die technische Beschleunigung angesichts des ausbleibenden Heils an Kredit
einbüße. Und doch kann gezeigt werden, wie der metaphysische, vielleicht platonistisch
zu nennende Gehalt dieser Tradition - als ,Lob des Berührens‘ - weiter getragen wird.9
Im Folgenden soll es zunächst weniger darum gehen, Korrekturvorschläge und Al­
ternativen anzubringen, als vielmehr eine Geschichte von Medientheorie als Geschichte
der Negation von Medien zu skizzieren: als Geschichte von Unmittelbarkeiten, die aus

4 Ernst Kapp: Grundlinien einer Philosophie der Technik, Braunschweig 1877, S. 135.
5 Samuel Morse: His Letters and Journals, Charleston 2007, S. 6.
6 Marshall McLuhan; Quentin Fiore: The Medium is the Massage. An Inventory o f Effects, Corte
Madera 2001, S. 63.
7 So hat der Soziologe John Tomlinson die Produktion von Unmittelbarkeit durch Übertragung be­
schrieben, bleibt aber innerhalb der Vorannahmen einer ,time-space-convergence‘, die selbst Produkt
dieser Diskurse ist. John Tomlinson: The Culture o f Speed. The Coming o f Immediacy, London 2007,
S. 11.
8 Vgl. Reinhart Koselleck: „Zeitverkürzung und Beschleunigung“, in: ders.: Zeitschichten. Studien
zur Historik, Frankfurt am Main 2003, S. 177-202, hier S. 195. Hartmut Rosa hat darauf aufbauend
differenziert in eine technische Beschleunigung, eine Beschleunigung des Lebenstempos und eine
Beschleunigung der sozialen und kulturellen Veränderungsraten. Aus dieser Konstellation leitet er
eine Zeitkrise des späten 20. Jahrhunderts ab, deren diskursive Fundamente jedoch im 19. Jahrhundert
bereits gelegt waren. Eine der Beschleunigung angepasste, entschleunigte Identität, wie sie Rosa
fordert, erscheint folgerichtig als Preisgabe des ,Projekts der Moderne‘, weil sie mit dem Aufgeben
der Beschleunigung die Moderne fahren lässt. Hartmut Rosa: Beschleunigung. Die Veränderung der
Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt am Main 2005, S. 16.
9 Vgl. zur platonistischen Medienpolitik Florian Sprenger: „Zu einer platonischen Rekurrenzfigur der
Medienkritik“, in: Maske und Kothurn, 2/2010, S. 53-67.
hoher Geschwindigkeit keine Geschwindigkeit bzw. aus wenig Zeit keine Zeit machen,
den technischen Aufschub und die soziale Differenz tilgen, dabei Medien vergessen und
letztlich ihre Gemeinschaften auf einen Einheitsgrund beziehen.10 Beschleunigung und
Geschwindigkeit haben als Effekte von Medien und als Motoren historischer Entwick­
lungen nicht nur eine Funktion für die Gemeinschaften, die sie verbinden oder trennen,
sondern auch für Medientheorien, die sie erklären, aber auf ihnen aufbauen und deshalb
das Erklärende und das zu Erklärende vermischen. Die folgenden Überlegungen kont­
rastieren die Innenseite dieser Narrationen, also die von ihnen erzählten Geschichten, mit
der Außenseite ihrer Historizität, um ihre Spiegelungen und Verzerrungen zu erfassen.
Die These kann wie folgt zusammengefasst werden: Die drei Instanzen Medientheorien,
Übertragungstechniken und Gemeinschaften können in historischer Perspektive nicht
voneinander abgekoppelt werden. Sie sind ineinander verzahnt.
Die beiden wichtigsten Triebkräfte der Beschleunigungsvorgänge, die im 19. Jahrhun­
dert einsetzen, sind die Eisenbahn und die Elektrizität, die häufig im Verbund auftreten und
von der Alltagswelt über die Industrieproduktion bis hin zur Kriegsführung kaum einen
Bereich unangetastet lassen.11Ihnen wird eine Geschwindigkeitssteigerung des Transports
oder der Übertragung zugesprochen, die den Raum verschwinden ließe, die Zeit aufhebe
und entfernte Orte aneinander grenzen oder ineinander aufgehen lasse, ein Prozess, der
von Frances Cairncross in den 1990er Jahren als ,Death of Distance‘ bezeichnet wurde.12
Dieser Begriff hätte aber auch in den zeitgenössischen Diskursen fallen können, setzt
Cairncross doch nur fort, was diese bereits etablierten. Auf diese Rekurrenzfigur wird seit
Mitte des 19. Jahrhunderts seit dem Aufkommen elektrischer Kommunikationsmedien
immer wieder zurückgegriffen.

10 Im breiteren historischen Rahmen habe ich dies ausgeführt in Sprenger: Medien des Immediaten.
Elektrizität, Telegraphie, McLuhan, a.a.O.
11 Die konkreten Auswirkungen dieser Prozesse sind Gegenstand zahlreicher Untersuchungen und
bestens erforscht, siehe beispielsweise James R. Beniger: The Control Revolution. Technological
and Economic Origins o f the Information Society, Cambridge 1986; James W. Carey: „Technology
and Ideology. The Case of the Telegraph“, in: ders.: Communication as culture. Essays on media
and society, New York 2009, S. 155-177; oder Carolyn Marvin: When old technologies were new.
Thinking about communications in the late nineteenth century, Oxford 1988.
12 Frances Cairncross: The Death o f Distance. How the Communications Revolution is changing our
Lives, Boston 2001. In diesem Sinne kann McLuhans Idee der Implosion als Gegenentwurf zu
Heideggers Begriff der Ent-Fernung gelesen werden, denn die Implosion lässt in der Ferne keine
Distanz mehr zu. Für Heidegger kommt in der durch Technik hergestellten Nähe die Ferne erst
zum Tragen. Wo nur noch Nähe ist, kann niemand mehr wirklich nah sein. Ganz im Gegenteil ruft
der Prozess der Entfernung eine Distanz hervor, die Nähe verhindert. Heidegger prägt den Begriff
Ent-Fernung als Aufhebung der Distanz zu einer Nähe, die keine mehr ist, unter dem Eindruck, den
die Kommunikationsmedien seiner Zeit hervorrufen und im impliziten Anschluss an das Lob des
Berührens. Doch er betont, dass diese Nähe nie nah sein kann, weil sie ent-fernt ist, also zugleich
nicht-nah und nicht-fern, weshalb auch die Ferne an Distanz verliert. „Heute ist alles Anwesende
gleich nah und gleich fern. [...] Das Abstandslose herrscht.“ Martin Heidegger: „Das Ding“, in:
ders.: Vorträge und Aufsätze, Stuttgart 1994, S. 157-175, hier S. 170.
Die Elektrizität, vor allem in Telegraphen zunächst per Kabel und dann drahtlos imple­
mentiert, übersteigt die Beschleunigung der Eisenbahn nochmals, weil sie, so beschreibt
man es in den im Folgenden angeführten zeitgenössischen Werken, den Träger von der
Botschaft trennt und deshalb die Geschwindigkeit von aller Trägheit befreit. Beschleu­
nigung gilt dabei nicht nur als eine Kraft, die näherbringt, sondern mit der Elektrizität
und der ihr zugesprochenen unmittelbaren Instantanität alle Trennungen und Differenzen
aufhebt sowie eine elektrische Einheit inauguriert - als „riesige Sprechhalle“13, als „electric
nowness“14. Diese These wird zu jener Zeit wie in einer spezifischen medienwissenschaft­
lichen Aufarbeitung zu einer geschichtsphilosophischen verallgemeinert, denn wenn, so
exemplarisch Paul Virilio, elektrische Unmittelbarkeit Zeitlosigkeit bedeutet, „gehen wir
tatsächlich von der extensiven Zeit der Geschichte zur intensiven Zeit einer geschichtslosen
Augenblicklichkeit über, ermöglicht durch die gegenwärtigen Technologien“15.
Die Beschleunigung erlaubt, vereinfacht gesagt, eine teleologische Ausrichtung: Für
derartige Theorien fungiert sie als Antrieb einer Geschichte, deren Resultat eben die Po­
sitionen sind, von denen aus sich diese Geschichte erzählen lässt - ob als Verfalls- oder
Erlösungsnarration. Sie etablieren ihren eigenen Ursprung und bringen ihn damit hervor.
Im gleichen Schritt werden Gemeinschaften ausgerufen, deren Individuen gleichzeitig
verbunden sind. „After three thousand years of explosion, by means of fragmentary and
mechanical technologies, the Western world is imploding. During the mechanical ages we
had extended our bodies in space. Today, after more than a century of electric technology,
we have extended our central nervous system itself in a global embrace, abolishing both
space and time as far as our planet is concerned.”16 McLuhan, der in diesem Kontext
zum Vorbild geworden ist, erklärt den Übergang von der mechanischen zur elektrischen
Übertragung als Wechsel von einer Explosion, einer Ausweitung des Raumes auf immer
größere Entfernungen, wie sie zunächst auch noch die elektromagnetische Telegraphie
prägt, hin zu einer Implosion, in der über die vermeintlich instantane Geschwindigkeit
der elektromagnetischen Schwingungen, manifest vor allem im Satelliten, unabhängig
von räumlichen Grenzen alle Zentren zugunsten eines weltweiten, grenzenlosen Raumes
aufgehoben werden, dem „simultaneous field of relations”17, wie McLuhan mit Bezug
auf den physikalischen Feldbegriff sagt. Schon diese Formulierung enthält eine typische
Spaltung: Simultan verbundene Orte können schwerlich Relationen sein, sondern bedeu­
ten vielmehr deren Aufhebung, obwohl sie getrennt bleiben. Dieser Raum der Gemein­
schaft des global village hat nur noch ein Innen, aber kein Außen, in das er expandieren
könnte, weil in ihm die Abstände der Kommunikation getilgt sind, und er ist deswegen

13 Karl Knies: Der Telegraph als Verkehrsmittel, Leipzig 1857, S. 242.


14 Marshall McLuhan; Barrington Nevitt: „The Argument. Causality in the Electric World“, in: Tech­
nology and Culture, 14/1973, S. 1-18, hier S. 2.
15 Paul Virilio: Rasender Stillstand, München 1992, S. 49. Hervorhebungen im Original.
16 Marshall McLuhan: UnderstandingMedia. The Extensions ofM an, New York 1964, S. 19.
17 Marshall McLuhan: „The Electronic Revolution in North America“, in: International LiteraryAnnual,
1/1959, S. 165-169, hier S. 169.
für Essentialisierungen anfällig, die eine innere Verbindung aller Orte voraussetzen: die
Unmittelbarkeit ihrer Medien.

Jeder mit allen lebendig verbunden


Das diskursive Feld, auf dem McLuhan mit dem global village das wohl einflussreichs­
te medientheoretische Gemeinschaftskonzept errichtet, ist durch die Etablierungsträu­
mereien18 der elektromagnetischen Telegraphie als weltverbindendem Medium bereitet
worden. Sie operieren mit einem breiten Repertoire an Metaphern und Narrationen,
die verschiedene Wissensbestände aneinanderketten, zur Entparadoxierung der neuen
Verhältnisse von nah und fern, lokal und global beitragen und den Zusammenhalt einer
Gemeinschaft in den Medien der Verbindung suchen. Die diskursiven Formen all dessen
sollen nun im Mittelpunkt stehen. Die „intimate connection between nations, with race and
race”19, die man 1858 mit dem ersten, nicht sehr beständigen Transatlantikkabel bereits
erhofft hatte und welche die veraltete nationalstaatliche (Lokal-)Politik des Ausschlusses
und der Grenzziehung als „stagnation and death“ entlarven sollte, impliziert Mitte des
19. Jahrhunderts wie Mitte des 20. Jahrhunderts einen „vital cord“ des „free and unob-
structed interchange of each with all“. An diesen für die Zeit typischen Formulierungen
ist zweierlei bemerkenswert:
Erstens ist die Verbindung der Individuen ,vital‘, nicht zuletzt, wenn sie durch die ,Ka-
belseele‘ verläuft, als die im Deutschen das Innere eines beschichteten Kabels bezeichnet
wurde. Das verbindende Kabel ist „das gewaltsamste Band der lebendigen Schöpfung.“20
Nimmt man diese Redewendung ernst, die dazu anregt, ihren metaphorischen Status
zu überspringen, ist in der Verbindung Leben und die Trennung ist Tod, denn, so greift
McLuhan sie ein Jahrhundert später nahezu wörtlich auf, „electricity is organic in cha-
racter and confirms the organic social bond by its technological use in telegraph and tele­
phone, radio and other forms.“21 Das Aufheben des Abstands durch die Elektrizität, ergo
die Gemeinsamkeit der Gemeinschaft, spendet Leben, ganz gemäß dem platonistischen
Schema der Wahrheit in der Einheit. Differenz ist Leere, ist Vakuum, ist Verlorenheit, ist
Einsamkeit. Lebendig werden die getrennten Elemente, die getrennten Menschen und

18 In einer Träumerei, reverie, wie sie Gaston Bachelard beschrieben hat, wird die poetische Einbil­
dungskraft von ihrem Objekt getrieben, wie er es in Psychoanalyse des Feuers auch für die Elektrizität
vorgeführt hat. (Gaston Bachelard: Psychoanalyse des Feuers, München 1985.) So erlaubt dieser
Begriff, zu erfassen, „wie ein gerade entstehendes, sich formierendes Wissen Bilder von sich selbst
hervorbringt, die teils Ausdruck der schwierigen Ablösung vom Vorherigen sind, teils Signatur der
Unschärfe, die sein Ankommen notwendig mit sich bringt.“ (Erich Hörl: Die heiligen Kanäle, Berlin
2005, S. 18.)
19 Hier und im folgenden: Charles Briggs; Augustus Maverick: The Story o f the Telegraph, New York
1858, S. 21f.
20 Carl August von Steinheil: Ueber Telegraphie, insbesonders durch galvanische Kräfte, München
1838, S. 3f.
21 McLuhan: UnderstandingMedia. The Extensions o f Man, a.a.O., S. 219. Hervorhebung von mir.
die getrennten Kontinente nur als Einheit, und sei es im Live-Fernsehen. Die Aufhebung
der Trennung in der Kommunikation wird prämiert. Das Leben kommt von zwei Seiten
ins Spiel: durch die Assoziation des Kabels mit den Nerven, formuliert als Analogie des
Kabelnetzes mit dem Nervensystem,22 sowie durch die Präsenz der Berührung und Nähe,
die das Gegenteil von supplementärer Absenz und Tod, also Leben ist. In den Kabeln,
später im Fernsehen oder Satelliten, liegt das Leben und die Verbindung von jedem mit
allen. „Die Städte, die Völker ,erleben‘ die Ereignisse gleichzeitig - gleich als ob eine
Empfindung einen einheitlichen Körper durchzucke.“23 Der Nationalökonom Karl Knies
bildet 1857, also noch vor der Verlegung des Transatlantikkabels, daraus eine erste sys­
tematische Theorie, eben eine Ökonomie der Kommunikation. Die Verbundenheit durch
Elektrizität umfasst auch für ihn alles und ist allgegenwärtig, darin aber immateriell-vital
und nicht an die materielle Trägheit toter Körper und Kabel gebunden. Niemand kann sich
ihr entziehen. Dieses Leben ist körperlos. Innerhalb einer solchen Logik kann Technik
nicht in ihrer Materialität und Gemeinschaft nicht in ihren Teilungen gedacht werden,
welche Brüche und Aufschübe mit sich bringen.
Symptomatisch an diesen Formulierungen ist zweitens das Aufgehen des Individu­
ums im „each with all“. Damit ist die Spezifik jener nun beschreibbaren Gemeinschaften
angegeben, die über räumliche Trennungen hinweg durch elektrische Kommunikation
und Medien konstituiert werden. Die Verbindungen bestehen nicht nur zwischen ein­
zelnen Menschen, sondern sind als Netz Verbindungen von jedem mit allen. Darin liegt
die Neuerung technischer Übertragungsnetze und binärer Codierungsverfahren wie dem
Morsecode: die Sendung von einem an potentiell viele oder mit Broadcasting an alle zu
ermöglichen. Wenn jeder mit allen und alle mit jedem lebendig verbunden sind, dann
gibt es kein Außen. Dieses ,Jeder‘ aus dem Draht „ist ein Anhänger des Volapük und
ein grundgescheiter Kerl, der alle Sprachen der Welt genau und fehlerlos weiterleitet.“24
Anders gesagt: der Telegraph „reproduzirt in Einem, was Allen gegeben“25. Es ist diese
Verbindung des Einzelnen mit dem Globalen, die McLuhan zu beschreiben versucht.
Damit setzt er fort, was zeitgenössische Schriften als neue Ordnung entwerfen: „The
globe is now in electric union.“26 Die Welt bekommt ein neues Bild von sich selbst, von
ihrer Globalität und kann sich in anderer Weise als Welt adressieren. Doch wenn jeder
mit allen und alle mit jedem lebendig verbunden sind, dann gibt es kein Außen. Niemand
kann unangeschlossen sein. Ein essentialistischer Gemeinschaftsbegriff auf der Basis
medialer Unmittelbarkeit ist die Folge.

22 Vgl. Laura Otis: Networking. Communicating with Bodies and Machines in the Nineteenth Century,
Ann Arbor 2001.
23 Knies: D er Telegraph als Verkehrsmittel, a.a.O., S. 244.
24 Aus einem Vortrag eines amerikanischen Drahtindustriellen von 1899, zitiert nach O. G. Döhner:
Geschichte der Eisendrahtindustrie, Berlin 1925, S. 3. Vgl. den Beitrag von Michael Andreas in
diesem Band.
25 von Steinheil: Ueber Telegraphie, insbesonders durch galvanische Kräfte, a.a.O., S. 3f.
26 Cortlandt van Rensselaer: Signals from the Atlantic Cable. An Adress delivered at the Telegraphie
Celebration, Philadelphia 1858, S. 5.
Das ,each with all‘ beginnt auch aus McLuhans Sicht mit der Implementierung der
Elektrizität. Als global village lässt sich die telegraphische Weltkugel des 19. Jahrhunderts
zwar noch nicht verstehen, zu manifest ist die Trennung lokaler und globaler Ordnung.
Und doch reicht ihr Selbstbild durch den imaginären Haushalt einer sich formierenden
Gemeinschaft bis zur Formulierung des globalen Dorfes Anfang der 1960er Jahre. In-
stantanität ist vor diesem Hintergrund auch zum ständig erneuerten Versprechen eines
Wirtschaftsfaktors geworden, zum Bestreben von Zeitungen, ihre Nachrichten möglichst
zeitnah zu verbreiten, und zum strategischen Instrument der Kriegsführung.27 Kommuni­
kationen stellen Umgangsweisen für die Unsicherheiten bereit, die zwischen getrennten,
fernen Kommunikationspartnern liegen, übergehen aber in der Herstellung von Sicher­
heiten ihre eigene Herkunft aus der Unsicherheit. Die Gemeinschaften, die sich in diesem
Zuge etablieren, haben durch ihre instantane Kommunikation Sicherheit wenigstens über
deren technisches Gelingen zur Grundlage.
Der Möglichkeitsraum der medialen Ausweitung der Gemeinschaft resultiert aus der
Aushandlung des neuen Status von Nah und Fern, der in der elektrischen Übertragung
am Werk ist. Entfernung werde aufgefressen, „time and space are annihilated“28, so die
bezeichnende Angst und Erwartung, die sich durch alle Debatten zur Elektrizität zieht.
„Keine wirklichen Hindernisse, nur wirtschaftliche Widerstände und der Mangel an
praktischem Bedürfnis haben es bisher verhindert, daß jeder Ort auf der Erde mit jedem
anderen unmittelbar telegraphisch verbunden ist. Wenn der Mensch es wünscht, kann er
jeden Augenblick diese raum- und zeitvernichtende Brücke schlagen. Nun ist der Ge­
danke erst wirklich frei. Er ist es erst durch den Telegraphen geworden, der ihn aus der
Knechtschaft des trennenden Raums löste. [ . ] Diese überwindet also jeglichen Abstand
augenblicklich, die Erde schrumpft unter ihrem Flügelschlag zu einem ausdehnungslosen
Punkt zusammen.“29Auch wenn die Entfernungen geographisch gleich bleiben und der
Erdball materialiter weder schrumpft noch verschwindet, verringert sich die zur Über­
tragung nötige Dauer und nähert sich dem Nullpunkt. Sie kann diese Aufhebung aber
nie erreichen, sondern nur phantasmatisch aufgeladen werden. Und wenn es keine Zeit
zwischen verbundenen Orten, Menschen oder Adressen gibt, werden sie in der Einheit
einer Gemeinschaft aufgehoben, deren Essenz in der Verbindung gesucht wird. Produktiv
wird so eine Spaltung zwischen den Phantasmen einer Unmittelbarkeit und dem technisch­
physikalischen Wissen, in dem Unmittelbarkeit verboten ist, weil jede Übertragung Zeit

27 Vgl. Stefan Kaufmann: Kommunikationstechnik und Kriegsführung 1815-1945, München 1996.


28 Marshall Lefferts: „The Electric Telegraph. Its Influence and Geographical Distribution“, in: Bul­
letin o f the American Geographical and Statistical Society, 1 (1856), S. 242-264, hier S. 260. Vgl.
zur Virulenz dieser Rede von Morus, Iwan Rhys: „,The Nervous System of Britain‘. Space, Time
and the Electric Telegraph in the Victorian Age“, in: British Journal fo r the History o f Science, 4
(2000), S. 455-475. Eine ähnliche Lage hat Wolfgang Schivelbusch für die Eisenbahn angeführt:
Wolfgang Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit
im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2000.
29 Artur Fürst: Das Weltreich der Technik. Entwicklung und Gegenwart, Berlin 1923, S. 3.
brauchen muss. Diese Spannung prägt die frühe Elektrizitätsforschung und reicht bis in
die Medientheorie McLuhans hinein.
Waren es mit animalischen oder mechanischen Fortbewegungsmitteln, bei denen Träger
und Botschaft aneinander gekoppelt sind, noch Tendenzen der Ausweitung und Explosion,
welche die Raumnahme der Menschheit prägten, so sind es mit der Elektrizität Implosionen
zur Allgegenwart. Mit diesen Begriffen aktualisiert McLuhan in den 1960er Jahren die
Etablierungsdiskurse der Telegraphie. Explosion habe beschleunigte Geschwindigkeit.
Doch der Raum auf dem Erdball sei endlich. Mit der Elektrizität, ihrem weltumspannen­
den Netz und der Ablösung der Botschaft vom materiellen Träger ist es nicht mehr nötig,
so die These McLuhans, den Raum auszuweiten. Elektrizität ist überall und kann nicht
weiter beschleunigt werden, weil sie instantan ist: „Electric is always instantaneous; there
is no delay. [...] The telegraph also has that built-in dimension of the instantaneous and
it completely transformed news and information. The mere speed. Didn’t matter what
was written; the fact that it went at the speed of light transformed everything.“30 Für den
Satelliten Sputnik, Emblem weltweiter Gegenwart, ist jeder Ort erreichbar und ein Au­
ßerhalb auf dem Erdball verschwunden. Elektrizität ist überall gleichzeitig. Elektrizität
ist sogar schneller als das Licht, so McLuhan in einer euphorisierten Missachtung der
relativistischen Physik.31 Mit der Überlichtgeschwindigkeit gibt es keine Verzögerung der
Verbindungen. Die Orte dieses Raums sind unterbrechungslos aneinander gekoppelt, jeder
Ort an jeden Ort. Das Lokale geht ins Globale über. Die Entfernungen bleiben bestehen,
aber es spielt keine Rolle, wie groß sie sind, weil für die Elektrizität große und kleine
Entfernungen gleichrangig sind. Deshalb ist es auch irrelevant, dass im globalen Dorf
Milliarden von Menschen leben. Totale Geschwindigkeit ist totale Involviertheit eines
jeden an dieser Geschwindigkeit Teilnehmenden in alles, was anderswo geschieht. Im
Dorf nimmt jeder jeden Tag an allem teil und hört jede Neuigkeit in kürzester Zeit, weil
sie sich sofort akustisch herumspricht oder von der Stammestrommel, dem Radio oder
dem Fernsehen verbreitet wird.
Als weitverbreitetes Missverständnis weist McLuhan die Annahme von sich, er habe
das globale Dorf als eine harmonische Gemeinschaft beschrieben, als fröhliches Bei­
sammensein. „There is more diversity, less conformity under a single roof in any family
than there is with the thousands of families in the same city. The more you create village
conditions, the more discontinuity and division and diversity. The global village absolutely
insures maximal disagreement on all points. It never occurred to me that uniformity and
tranquillity were the properties of the global village. It has more spite and envy. [...] I
don’t approve of the global village. I say we live in it.“32Trotzdem ist es ein Dorf, und nur

30 Marshall McLuhan: Interview with Louis Forsdale, 17.7.1978. Auf: Understanding McLuhan: A
CD-Rom on the Ideas and Life o f Media Guru Marshall McLuhan, 1996 New York, Voyager.
31 Vgl. Marshall McLuhan; Barrington Nevitt: „Probleme der Kommunikation mit Menschen mittels
Medien“, in: dies.: Wohin steuert die Welt? Massenmedien und Gesellschaftsstruktur, Wien 1987,
S. 42-73.
32 Marshall McLuhan: „The Hot and Cool Interview“, in: ders.: Media Research. Technology, Art,
Communication, Amsterdam 1997, S. 45-78, hier S. 58.
als solches lässt es Spannungen und damit die Möglichkeit der Fusion zu. Ausgehandelt
wird immer, ob mit Keule und Axt oder mit Worten und Argumenten. Selbst ein streit­
süchtiges Dorf ist systematisch eine Einheit. Die Betonung des Streits liegt, so könnte
man in systemtheoretischer Terminologie sagen, auf der Innenseite der Unterscheidung
zwischen Einheit und Differenz, also auf Seiten der Einheit. Der Streit ist kein Streit aus
einer unaufhebbaren Konfrontation oder einem unausschließbaren Außen heraus, sondern
allenfalls ein notwendiges Übel, das die Einheit letztendlich nicht in Frage zu stellen ver­
mag. Die Zwietracht geht aus der Einheit hervor und ist ein Resultat ihres implodierenden
Zusammenschlusses. Das global village gibt es nur im Singular.33
Dieses Dorf kennt zwar ,bad vibes‘ und Streit, aber kein Außen und kein Fremdes.
Nach Innen ist es keineswegs totalitär, aber nach außen eine alternativlose Totalität, ganz
so, wie die telegraphisch verbundenen Kontinente den Frieden der Welt sichern sollen.
Ihnen wurde eine Predigt in einem Gottesdienst zur Feier der Verlegung des ersten Trans­
atlantikkabels gewidmet: „At the present day, all tendencies of the world’s advancement
are towards intercourse, unity, and peace. The swift communication of thought is the best
harbinger of universal concord. As the original dispersion of mankind was accomplished
by the confusion of language at the tower of Babel, so its reunion in the bonds of peace
is promoted by the creation of a new, universal language, outstripping the resources of
combined human tongues.”34 In all ihrer Universalität lassen das globale Dorf wie die
telegraphisch und im universellen Code verbundene Welt keine Alternative neben sich
zu. Die Kritik am globalen Dorf erstreckt sich nicht auf ein mangelndes Berücksichtigen
des Sozialen. Auf den Streit und die Zwietracht, die im Dorf herrschen, hat McLuhan
ausgiebig hingewiesen. Im Inneren des Dorfes muss keine Harmonie glücklich machen,
wie sie in den Internetdiskursen der 1990er Jahre imaginiert wurde. Dem „bond of peace“35
gegenüber hält sich McLuhan nach dem Zweiten Weltkrieg zurück und spricht nur noch
vom „organic social bond“36. Die Utopie des globalen Dorfes stellt keine totalitäre, aber
eine essentialistische, vitalisierte Gemeinschaft des „each with all“ vor. Ihr außenloses
Innen wird durch die Elektrizität konstituiert. Das globale Dorf ist universal. Es kann
sich nicht selbst in Frage stellen, weil es alternativlos wird. Deshalb ist der Streit zwar
innerhalb des Dorfes von Bedeutung, doch die Rede vom global village gerade deswe­
gen problematisch, weil sie Andersheit nur als schon innerhalb des Dorfes zugelassene
Andersheit sehen kann.
McLuhan grundiert die abstrakte Universalität der Gemeinschaft, deren Ursprünge
sicherlich auch in der fraternite, der egalite und der liberte der französischen Revolution
zu suchen sind, mit den technischen Netzwerken der Elektrizität. Schon um 1790 - lange
vor aller Implementierung - wurde das Überspringen und Überwinden von Trennungen

33 Vgl. Hartmut Winkler: Docuverse. Zur Medientheorie der Computer, Regensburg 1997, S. 71.
34 van Rensselae: Signalsfrom the Atlantic Cable. An Adress delivered at the Telegraphie Celebration,
a.a.O., S. 14.
35 Ebd.
36 McLuhan: UnderstandingMedia, a.a.O., S. 219.
metaphorisch als Funken in der Masse der Revolutionäre beschrieben. Gemeinschafts­
bildung operiert bereits zu dieser Zeit mit Elektrizitätsbezügen und der Rückblick kann
helfen, das Verständnis von deren Einsatz noch einmal zu vertiefen. Elektrizität erlaubt
knisternde, funkensprühende oder blitzende Kommunikationen zwischen den Subjekten
der Aufklärung, zu deren Herzen auch von dem „vital cord“ gesprochen wird, um die
Nation zu vereinen. So besagt der Bericht Madame de Staels über die Versammlung vom
14. Juli 1789: „Die Elektrizität der Gedanken wurde augenblicklich übertragen, weil die
Wirkung von Menschen auf Menschen unwiderstehlich ist, und weil nichts in stärkerem
Maße die Phantasie anregte als dieser unbewaffnete Volkswille, der uralte Ketten durch­
brach, welche die Eroberer geschmiedet hatten und die nun von der Vernunft einfach zum
Verschwinden gebracht wurden.“37 Es ist die Rede von der „rapiden Elektrizität, von der
jeder der eine große Versammlung verlässt, einen tiefen Eindruck mit sich nach Hause
trägt, weil sie das innerste Empfinden eines Menschen unwiderstehlich bewegt.“38 Erst die
dichte Zusammenkunft der Menschen und ihre gegenseitige Reibung laden die Versamm­
lung als untrennbare Gemeinschaft auf und sind an die anwesenden Körper gebunden.
Säßen sie hingegen auf getrennten Sitzen, würde sich die Spannung verlieren. Die Masse
muss stehen und sich bewegen, um zur Einheit zu verschmelzen und lebendig zu werden,
indem sie elektrisch geladen wird. Ihr „each with all“ ist die Nation, in der alle gleich
sein sollen. Mehrere Übertragungen sind also am Werk: Die Übertragung von Körper zu
Körper, von Mensch zu Mensch, von dort zum Geist und letztlich zum Kollektiv, also
zur Gemeinschaft der Einheit.
Den Animismus der Vernetzung und das Aufgehen aller in allen im All, teilt McLuhan
mit den Träumereien des 19. Jahrhunderts. Die Elektrizität und die Universalität der Spra­
che ihres Taktes sowie die Arbitrarität ihres Codes lösen schon damals das babylonische
Sprachgewirr und die Trägheit, welche McLuhan beklagen wird, um sie noch einmal zu
lösen. Das lebendige Band ist mit dem „each with all“ zu einem Band des Friedens durch
universale Kommunikation geworden. 1870 vertraut der Schriftsteller Hermann Grimm
folgende Zeilen seinem Tagebuch an: „Telegraph und Eisenbahn sind Organe der mensch­
lichen Existenz geworden, ohne die wir uns gar nicht mehr denken können, mit denen
wir operiren wie mit den eigenen Gliedmaassen. Und all dies [ist] doch nur der Anfang.
Dahin kommen muß es daß alle Menschen gleichsam ein einziges Hirn haben, das im
Moment denselben Gedanken aufnimmt. Man sieht kein Ende dieser Entwicklung.“39 Die
Frage nach der Distanz geht in dieser zum Allgemeingut avancierten Fortschreibung der
Instantanität in die Gemeinschaft in eine Frage des Politischen über.

37 Zitiert nach Michel Delon: „Die Elektrizität des Theaters. Theorie des Schauspiels und Elektrizitäts­
metapher am Ende der Aufklärung“, in: Herbert Lachmayer (Hg.): Mozart. Experiment Aufklärung
im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts, Ostfildern 2006, S. 29-40, hier S. 33.
38 Zitiert nach ebd., S. 34.
39 Hermann Grimm, Tagebucheintrag vom 30.7.1870, zitiert nach Alexander C.T. Geppert; Uffa Jensen,
Jörn Weinhold: „Verräumlichung. Kommunikative Praktiken in historischer Perspektive, 1840-1930“,
in: dies. (Hg.): Ortsgespräche. Raum und Kommunikation im 19. und 20. Jahrhundert, Bielefeld
2005, S. 15-49, hier S. 36.
Beispiellose Begierden
Die Funktionen dieses Diskurses, der in McLuhans media theory mündet, liegen erstens in
der Bereitstellung eines Selbstbilds der Gemeinschaft, die sich als beschleunigte begreift
und deshalb ihren Zusammenhalt und ihre Relationen mit jeder medialen Beschleunigung
neu bestimmen muss. Wenn die Enden der Welt oder Kolonien und Hauptstädte zeitlich
aneinander grenzen, wenn ferne Verwandte oder Händler und Fabriken in wenig oder
gar keiner Zeit miteinander verbunden sind, muss sich deren soziale oder ökonomische
Organisation ändern. Durch die Etablierungsdiskurse der elektromagnetischen Telegraphie
in der Mitte des 19. Jahrhunderts wird mithin ein Gemeinschaftsbild virulent, das diese
Gemeinschaft nicht auf eine vorgängige Essenz zurückbezieht, sondern - nicht weniger
essentialistisch - den Zusammenhalt in der ,Substanz‘ der medialen Verbindung sucht.
Indem sie Beschreibungsmodelle, Metaphern oder Bilder für das Gemeinschaftliche
und ihre Gestalt artikulieren, haben Medientheorien Teil an der Ausbildung dieser Subs­
tanz. Da Gemeinschaft immer imaginär verfasst ist, weil sie nur in Äußerungen, Darstel­
lungen oder Imaginationen erscheinen kann, ist in der Verknüpfung mit Medientheorien
ein Ausgangspunkt ihrer Konstitution zu finden, der über die Bindung von Individuen zu
einer Gruppe hinausgeht.40 Jede Beschreibung oder Theorie einer Gemeinschaft formt
diese nach dem Ebenbild ihres Imaginären. Der Essentialismus substantialisiert, wo er eine
instantane Elektrizität oder weltweite Computernetze besetzt, die medialen Kontakte zum
Zusammenhalt einer Einheit, die Gemeinschaft durch Beschleunigung zusammenbringt.
Um die Verbindung zu institutionalisieren wird eine zusätzliche Entität eingeführt, gleich­
sam eine übergeordnete Klasse, in der die Einzelwesen neu sortiert werden können - etwa
das globale Dorf oder die „electric union“41.
Wenn Übertragungsmedien, ermöglicht durch die Überlichtgeschwindigkeit der Elekt­
rizität, etwas Gleichzeitiges von einem anderen Ort im Hier anwesend machen, also Ferne
in Nähe überführen und die zugrunde liegende Materialität aufheben, dann gerät deren
Verhältnis in eine Oszillation. Wenn dann noch die Verbindungsmöglichkeiten immer
umfangreicher werden, weil nahezu jeder nordamerikanische Haushalt ein Radio besitzt
oder Satelliten den Planeten umkreisen, schlägt die Dezentralisierung - das gleichzeitige
Sein an verschiedenen Orten - in eine dezentrale Zentralisierung um, die Einheit des
global village, und zwar nicht nur als Metapher. Mit dieser neuen Einheit ist ein grund­
legender Wandel der Gemeinschaftsbildung angebrochen. Die den Kontakten zugrunde
liegenden Trennungen werden zugunsten einer Unmittelbarkeit negiert und die Welt zum

40 Vgl. Cornelius Castoriadis: Gesellschaft als imaginäre Institution. E ntw urf einer politischen Philo­
sophie, Frankfurt am Main 1990. Sowie Thomas Frank; Albrecht Koschorke; Susanne Lüdemann;
Ethel de Matala Mazza: Derfiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte
Europas, Frankfurt am Main 2007.
41 van Rensselaer: Signals from the Atlantic Cable. An Adress delivered at the Telegraphic Celebration,
a.a.O., S. 5.
Projekt der Übertragung, zu sehen etwa an
einer an Shakespeares Puck alias Robin
Goodfellow angelehnten Figur, welche
die beiden Enden eines um den Erdball
gelegten Kabels in den Händen hält: zieht
sie am einen Ende, bewegt sich das andere.
Sie ist Sender und Empfänger zugleich.
Sie vernetzt dabei weniger die einzelnen
Orte untereinander, sondern formt eine
Verbindung, die dort endet, wo sie beginnt
und spricht den notierten Satz aus Shake­
“ r n put • girdle round sbout the earth in fort; minates."- S m n m n speares Midsummer Night‘s Dream: ,I’ll
put a girdle round about the earth in forty
Abb. 1: Alexander Jones: Historical Sketch of minutes.‘ Bezeichnenderweise ist dieses
the Electric Telegraph, New Y°rk 1852, Put- Kabel nicht um die Pole verlegt, sondern
nam. Deckbla,tt. um den Äquator. Die Abbildung stammt
aus Alexander Jones‘ Historical Sketch o f
the Electric Telegraph, der mehr als 10 Jahre vor der Verlegung des Transatlantikkabels
in New York erschien, die Weltumleitung aber schon erwartete. Ihr faktisches Gelingen
erfüllt nur noch, was imaginiert wurde.
Zweitens hat die Beschleunigung eine Funktion für die Historiographie, in der sie zum
Agens wird. Sie lässt diese in immer schnelleren Schritten teleologisch auf eine Einheit
zulaufen. Dieses Ziel wurde mit der Einführung der (zunächst noch optischen) Telegra­
phie mit dem Movens einer „beyspiellose[n] Begierde“42nach Nähe und Beschleunigung
stilisiert, die nicht nur die Geschichte der Medien als Zerstörer von Raum und Zeit in Epo­
chenschritten vorantreibt, sondern als Brutstätte eines theoretischen Umgangs mit Medien
und Kommunikation gelten kann.43 „Dieß ist so ungezweifelt wahr, daß alle Erfindungen,
welche eine schnellere, und leichtere Mittheilung unter den Menschen möglich machten,
(als Erfindung des Schreibens, des Kompaßes, Einführung der Posten, der Buchdruckerey,)
auch zugleich Epoche in der Geschichte der Kultur machten.“44 So wirkt diese Begierde
auch noch in den mcluhanesken Theoriebildungen der 1990er Jahre: „Die drahtlose Tele-

42 Ernst Gottfried Fischer: „Ueber Telegraphie“, in: Deutsche Monatsschrift, 2/1795, S. 85-95, hier
S. 85.
43 In diesem Sinne bringen die Diskurse der Unmittelbarkeit ihre eigene Beschreibungssprache hervor.
Das Risiko jeder Beschreibung einer Kultur des Beschreibens liegt darin, dieser Kultur auf den Leim
zu gehen und sie als das zu nehmen, was sie sein will: Ausdruck dessen, was ist. Um dem entgegen­
zuwirken, muss jede Beschreibungssprache historisiert und auf ihre Erscheinungsbedingungen hin
befragt werden.
44 Ebd., S. 88. Kay Kirchmann hat derartige Selbstsituierungen einer ,neuen Zeit‘ der Beschleunigung
anhand zweier Aspekte beschrieben: einer „Substantialisierung und Semantisierung der Geschichte
zur bewegungsmächtigen Kraft“ sowie einer „Relationierung von Geschichtsepochen über den
Geschwindigkeitsparameter“. Kay Kirchmann: Verdichtung, Weltverlust und Zeitdruck. Grundzüge
grafie hingegen ist eine körperlose, immaterielle Übermittlung: Sendung und Empfang der
Botschaft erfolgen zur gleichen Zeit, das ultime [sic!] Ziel der Beschleunigung, nämlich
die [sic!] instante [sic!] Zeit.“45 Unmittelbarkeit wird zum historischen Horizont, vor
allem dort, wo mehr oder weniger explizit katholisch argumentiert wird.46 Der Einsatz
dieser Unmittelbarkeit stellt unterschiedliche Prämierungen in Aussicht: sie hebt die Un­
sicherheiten und Kontingenzen auf, die in der Trennung liegen, indem sie Vielheit durch
Einheit zu ersetzen verspricht; sie stellt eine ungetrennte Gemeinschaft durch immediate
Medien in Aussicht; in Gestalt einer Metaphysik greift sie auf einen originären Ursprung
zurück, von dem alles andere abgeleitet werden kann; und sie strebt nach einer immer
schon übertragenen Übertragung, in der Vermittlung oder Verlust keine Rolle spielen.
Eine Narration der Begierde nach Kommunikation und in der Kommunikation nach
Kontakt, wie sie seit 1800 in Anschlag gebracht wird, erscheint allzu verlockend (und hat
noch aktuelle Mediengeschichtsschreibungen in Versuchung geführt), erklärt sie doch die
Überwindung der Distanz und ihre Techniken zum Antriebsmotor geschichtlicher Abläufe.
Die Erneuerung dieses ,Lobs des Berührens‘ und die Phantasmen der Elektrizität sind
unwahrscheinlich. Als Agens der Geschichte wäre ihr Auftreten wahrscheinlich, und das
ist der Effekt der Erzählung eines Begehrens. Eine Anthropologie dieses Bedürfnisses,
wie sie noch in den Erzählungen des global village wirksam ist, charakterisiert Medi­
en als notwendige Schritte einer Annäherung an Unmittelbarkeit und untergräbt alle
Kontingenzen der Technik und ihre Abhängigkeit von diskursiven Konstellationen oder
Materialitäten der Kommunikation. Es wäre trügerisch, die Phantasmen der Instantanität
einem solchen anthropologischen Bedürfnis zu übergeben und es zu nutzen, um deren
Geschichte zu erörtern. So würde man die Historizität der Diskurse und Techniken der
Herstellung von Nähe und Distanz allzu schnell einbüßen und die Produktivität des Auf­
schubs aus den Augen verlieren. Es ist kein Begehren nach Nähe, welches die technische
Entwicklung von Telegraphen oder den sozialen Zusammenschluss vorantreibt, sondern
die kleinteilige, physikalische Arbeit an Synchronisationsprozessen, in denen statt Echtzeit
Rechtzeitigkeiten hergestellt werden. Eine Medientheorie oder Mediengeschichte, die von
einer auf Einheit ausgerichteten Konstellation ihren Anfang nähme, würde Medien als
Agenten von Unmittelbarkeit beschreiben und sich selbst in dem Imaginären ansiedeln,
das sie beschreiben sollte.
Diese Überlegungen zeigen, wie mit der Instantanität der Elektrizität und der Be­
schleunigung ihrer Gemeinschaft systematisch Unmittelbarkeiten produziert werden,
wo man die Differenz von Medien beschreiben will. Im Telegraphendraht sei, so Frank
Hartmann, der Empfänger „unter Bedingungen der Echtzeit-Übertragung fernanwesend

einer Theorie der Interdependenzen von Medien, Zeit und Geschwindigkeit im neuzeitlichen Zivili­
sationsprozess, Opladen 1998, S. 304.
45 Peter Weibel: Die Beschleunigung der Bilder in der Chronokratie, Bern 1987, S. 102.
46 In dieser Hinsicht bedarf der Katholizismus McLuhans, der allen Beteuerungen seiner Anhänger
zum Trotz tragendes Moment seines Denkens ist, einer genauen medienhistorisch und philosophisch
informierten Kritik. Seine Religiösität erlaubt ihm Anschlüsse an zahlreiche Diskurse und ist gerade
kein Addendum, das auch weggelassen werden kann, sondern elementares Gerüst.
oder telepräsent.“47 Auch Globalisierungstheorien, allen voran mit Anthony Giddens
und Manuel Castells prominente Vertreter der Soziologie, stehen in dieser Tradition.
Beschleunigung nimmt bei ihnen die gleiche Systemstelle ein wie in den einschlägigen
Medientheorien. Weil sie in dieser Genealogie stehen, sind alle Versuche solcher Theorien,
die Gemeinschaften und Massen der Globalisierung zu beschreiben, auf beschleunigte
Unmittelbarkeit und damit Essentialisierung fokussiert.
Auf diese Weise wird die Verbindung auch von einer Reihe von Soziologien der Glo­
balisierung aufgenommen, welche die Beschleunigung zum Agens der Moderne gemacht
haben. Die ,annihilation of space and time‘ entwickelt sich dort zum Erklärungsmodell
globaler Transformationen. In den 1970er Jahren werden Utopien der ,wired society‘ oder
des ,electronic cottage‘ für die unmittelbar vernetzte Heimarbeit vor allem soziologisch
fortgeschrieben - durchaus im Anschluss an McLuhan, wobei dessen wissenschaftliche
Fragwürdigkeit gelegentlich betont wird.48 Konzeptuell agiert man dabei unter der Prä­
misse einer ,time-space convergence‘ - der elektrischen Instantanität, die mithin zum
Kanon dieser Soziologien gehört. Geprägt wurde der Begriff von Donald Janelle in Bezug
auf die Eisenbahn, dann aber von David Harvey einflussreich auf den Operationsmodus
globaler Finanzströme und ihrer Medien erweitert, schließlich von Anthony Giddens zu
einer allgemeinen Soziologie geformt und von Manuel Castells als Modell der Netzwerk­
Gesellschaft etabliert.49 Man findet Ausläufer dieser Überlegungen und Zeugnisse für die
Mächtigkeit dieses Diskurses besonders prägnant bei Castells, wenn er nach einer extensi­
ven Analyse der gesellschaftlichen Synchronisationspraktiken sozialer Zeiten und Flows
angesichts von Vernetzung und globaler Interdependenz von der „annihilation of space
and time by electronic means“50 spricht. Castells beschreibt die Echtzeit-Interaktion, die
Räume und soziale Verbindungen stiftet, wenn Orte die gleiche Zeit teilen und Akteure
im gleichen Raum agieren können, obwohl Distanzen zwischen ihnen liegen. Die daraus
resultierende Behauptung, die Netzwerkgesellschaft sei „without reference to either
past or future“51, erscheint analog zu McLuhans Idee der „electric nowness“52. Castells
widerspricht damit auf den letzten Seiten seines Werkes all dem, was er zuvor in mühe­
voller Kleinarbeit beschrieben hat und hebt die Kontingenzen der Globalisierung ebenso
auf wie er die Auswirkungen der Konvergenz von Technologien und sozialen Praktiken
überspringt. Die globalen communities, die Castells als Neuverteilungen des Lokalen der

47 Hartmann: Globale Medienkultur. Technik, Geschichte, Theorien, a.a.O., S. 42.


48 Vgl. James Martin: The wired society, Englewood Cliffs 1978; Thomas Forester: „The myth of the
electronic cottage“, in: ACM SIGCAS Computers and Society, 2/1989, S. 4-19.
49 Vgl. Donald Janelle: „Measuring Human Extensibility“, in: Journal o f Geography, 5/1973, S. 8-15;
David Harvey: The condition o f postmodernity. An enquiry into the origins o f cultural change, Oxford
1989; sowie Anthony Giddens: Konsequenzen der Moderne, Frankfurt am Main 2008.
50 Manuel Castells: The Information Age: Economy, Society, and Culture. End o f millennium, Malden
1998, S. 379.
51 Ebd., S. 386.
52 McLuhan; Nevitt: „The Argument. Causality in the Electric World“, a.a.O., S. 2.
society beschreiben möchte, macht er zu einer neuen Einheit des Austauschs, obwohl er
sie bereits als komplexe Organisationen sozialer Ausdifferenzierung beschrieben hat.
Eine Medientheorie, die diese ,Kommunikationssucht‘53, von der Ernst Gottfried
Fischer spricht, zum Agens macht, hat schon verloren, weil sie ihr analytisches Tool von
der Geschichte dieses Tools abschneidet. Die Feststellungen über die Innenseite dieser
Geschichten können um die Historizität ergänzt werden, die auf der Außenseite liegt. Sie
sind selbst Produkt der historischen Prozesse, die sie beschreiben. Genau darin liegt die
Tektonik, die es McLuhan unmöglich macht, das Potential seiner eigenen Blickwendung
zu erkennen. „All means of interchange and human interassociation tend to improve
by acceleration. Speed, in turn, accentuates problems of form and structure.“54 Diese
Formfragen sind der epistemologische Einsatz seiner media theory. McLuhan sieht, das
muss an dieser Stelle paraphrasiert werden, die medientheoretische Blickwendung vom
Inhalt auf das Medium als Produkt der elektrischen Beschleunigung. Durch Elektrizität
werden vertraute Denk- und Erkenntnisweisen obsolet, die auf Linearität, Rationalität und
Inhalte abzielten. An deren Stelle sollen pattern recognition, Gestalttheorie und media
theory treten. McLuhan sucht nach Tools, um das „simultaneous field of relations“55 ohne
Rückgriff auf lineare, rationalistische Modelle zu erklären, da diese verdecken, dass das
Medium die Botschaft ist. Für McLuhan macht die globale Simultanität der Elektrizität,
die am Ende der Beschleunigung steht, Medientheorie erst intelligibel, weil Medien - ge­
stalttheoretisch formuliert - im Hintergrund standen und nur in einer Gleichzeitigkeit von
Figur und Hintergrund als Medien erkennbar sind. Diese Gleichzeitigkeit stellt, vereinfacht
gesagt, die Elektrizität bereit. Sie erst macht im Medium die Botschaft erkennbar, hebt es
als instantane Kraft aber im gleichen Schritt wieder auf. „Before the electric speed and
total field, it was not obvious that the medium is the message.“56

Gemeinschaftslücken
Der Vitalisierung der (Kabel-)Verbindung wie dem „each with all“ liegt eine Verkennung
des Ausschlusses zugrunde, den der allumfassende, lebendige Anschluss an Telegraphen­
netze mit sich bringt. Diese Präsenz kennt keine Differenz. Die weißen Flächen auf der
Landkarte, die nicht an das Kabelnetz angeschlossen sind, oder die Orte, die über kein
Radio und keinen Fernseher verfügen, stehen außen vor. Ein derartiger Raum hat notwen­
digerweise einen blinden Fleck: ein Außen, das er nicht mehr erkennen kann. Im Prozess
der Unterscheidung identifiziert das Innen aber erst das Außen und konstituiert es deshalb
notwendigerweise. Ohne das Andere gibt es das Eigene nicht. Doch das globale Dorf macht

53 Ernst Gottfried Fischer: „Ueber Telegraphie“, in: Deutsche Monatsschrift, 2/1795, S. 85-95.
54 McLuhan: UnderstandingMedia, a.a.O., S. 95.
55 McLuhan: „The Electronic Revolution in North America“, in: InternationalLiteraryAnnual, a.a.O.,
S. 169.
56 McLuhan: Understanding Media, a.a.O., S. 28.
wie die telegraphische „electric union“57 alles eigen, indem es gemeinsam ist. Wenn es
nur alle gibt, gibt es keine anderen. McLuhan betont das Kollektiv jedoch nicht so weit,
dass es sich über das Individuum erheben und die durchaus vorhandene organizistische
Deutung des Zusammenhalts zu einer totalitären oder gar faschistischen Position führen
könnte. Von den Abwegen politischer Exklusion ist McLuhan weit entfernt, unterstreicht
er doch die Rolle des Individuums. In diesem Dorf gibt es trotzdem nur Plural, bestehend
aus Individuen, die zur Einheit verbunden werden - und es gibt kein Außen. Der blinde
Fleck der Exklusion ist als Schließung von Anschlüssen strukturell integriert.
Unter Berufung auf neuere, differenzorientierte Gemeinschaftstheorien kann diese
Konstellation abschließend in einigen vorläufigen Überlegungen kritisiert und dabei ihre
historische Situierung geschärft werden. Sie als fundamentalistische Utopie hinzustellen
wäre zu einfach, wenn man sie von ihren Medien und der Kommunikation her verstehen
will, ohne deren Eigensinnigkeit stillzustellen. Neuere Theorien der Gemeinschaft, wie sie
Jean-Luc Nancy, Roberto Esposito, Jacques Derrida oder Jacques Ranciere vorgebracht
haben, insistieren darauf, dass Gemeinschaft nur insofern als verbunden gedacht werden
sollte, als sie nicht vereinigt wird. Dieser Gefahr sehen sich die beschriebenen und sich
selbst als durch Medien verbunden ansehenden communities ausgesetzt, wo sie ihre Ge­
meinschaft in der Einheit suchen. In den letzten Jahren ist in einer vor allem in Frankreich
geführten Debatte versucht worden, über einen Gemeinschaftsbegriff hinauszukommen,
der Gemeinschaft essentialistisch als Ansammlung von Individuen begreift, die in ähnlicher
Weise auf einen gemeinsamen Einheitsgrund bezogen werden und der entsprechend his­
torisch belastet ist.58 Zwei von Matthias Flatscher als idealtypisch identifizierte Strategien
der Gemeinschaftsbildung werden dabei kritisiert, deren essentialisierende Doppelfunk­
tion in der Homogenisierung nach Innen und der Abgrenzung nach Außen besteht: Die
Einheit der Verbundenheit kann einerseits durch eine nachträgliche Festlegung hergestellt
werden, indem in einem politischen Akt geteilte Eigenschaften definiert werden. Dadurch
wird jeder Andere auf ein Eigenes bezogen, etwa auf eine politische Orientierung. Sie
wird das Eigene der Gemeinschaft. Wer sie nicht teilt, gehört nicht dazu. Gemeinschaft
kann andererseits auf eine vorab gemeinsame, gleichsam apriorische, etwa religiöse,
verwandtschaftliche oder geographische Zugehörigkeit im Sinne von Kirchen, Stämmen
oder Völkern zurückgeführt werden. In dieser Hinsicht ist das Andere oder Singuläre der
größeren Ordnung unterstellt oder ihr gar als feindlich gegenübergestellt, aber in beiden

57 van Rensselaer: Signals from the Atlantic Cable. An Adress delivered at the Telegraphic Celebration,
a.a.O., S. 5.
58 Innerhalb dieser Debatten, die zunächst Anfang der 1980er Jahre am Centre de Recherches Philoso-
phiques sur le politique die Nachfolge der in den USA geführten Kommunitarismus-Diskussionen
antreten, lässt sich eine bemerkenswerte Leerstelle erkennen: Technik und Medien gelten meist
allenfalls als Hinzutretendes der Gemeinschaft. Zur Übersicht vgl. Joseph Vogl (Hg.): Gemein­
schaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen, Frankfurt am Main 1997; sowie Oliver
Marchart: Die politische Differenz. Zum Denken des Politischen bei Nancy, Lefort, Badiou, Laclau
undAgamben, Frankfurt am Main 2010.
Fällen ein Derivat.59 Das Gemeine ergänzt das Eigene und tauscht sie in einer überge­
ordneten Einheit gegeneinander aus: der Rasse, der Religion oder dem global village.
Die Genealogie der Elektrizität bis zu McLuhan eröffnet eine dritte Position mit ähn­
lichen Folgen, denn auch ihre Träumereien lassen die Gemeinschaft aus einer Ontologie
erwachsen - einer Ontologie der Verbundenheit durch Medien. Das Band ist dieser Ge­
meinschaft nicht vorgängig oder nachträglich, sondern wird den Medien der Verbindung
von Getrenntem zugeschrieben und diesen eine essentielle Unmittelbarkeit. Damit eröffnet
die Beschleunigung der Elektrizität eine exklusive Option der Gemeinschaftsbildung.
in der Medien eine zentrale Stellung zukommt,60 deren Phantasma - das Trugbild ihrer
selbst - eine Einheit von getrennten Elementen ohne Differenz ist. Doch ohne Entfernung
und Differenz gibt es keine Kommunikation oder Übertragung oder gar Gemeinschaft.
Sie setzen den Abstand voraus, den sie überwinden sollen. In der Einheit wird die Vor­
gängigkeit der Differenz getilgt, um die Einheit denken zu können. So entzieht man sich
den eigenen Boden. Im Unterschied zu neueren, die Schwierigkeiten des Begriffs auf­
recht erhaltenden Konzepten von Gemeinschaft, welche Universalität mit Individualität
verbinden, ähnelt McLuhans Gemeinschaft einer christlichen communitas, in der es trotz
Streit um das Aufgehen in der Einheit geht, weil ein höherer Zusammenschluss in Aussicht
steht. Die Einordnung in diese Einheit bedeutet keine allgemeine Vereinheitlichung, wohl
aber das Herausheben eines gemeinsamen Merkmals, das zur Essenz verdichtet wird: des
unvermeidlichen Anschlusses an die Elektrizität.
Erst vor dem Hintergrund eines Anderen, das nicht im Gleichen aufgehoben wird, lässt
sich eine nicht-essentialistische Gemeinschaft denken und dieser durch Identitätslogiken
und Ausschlussmechanismen belegte Begriff dekonstruktiv verschieben. Eine offene
Gemeinschaft, die weder exklusiv noch inklusiv ist, muss ihr Außen behalten. In diesem
Sinne hat etwa Jean-Luc Nancy Gemeinschaft von der Differenz und ihrer Mit-Teilung
her gedacht und nicht von Identität aus, um Schließungen und Ausschließungen zu ver­
meiden.61 Identitätsstiftung soll nicht zur Abgrenzung führen. Die Trennung beschreibt
er als Moment einer jeden Gemeinschaft, in der Gemeinsamkeit durch Trennung entsteht

59 Vgl. Matthias Flatscher: „,And there is nihil nuder under the clothing moon‘. Rekonzeptionen von
,Bild‘ und ,Gemeinschaft‘ nach Jacques Derrida“, in: Beate Fricke; Markus Klammer, Stefan Neu­
ner (Hg.): Bilder und Gemeinschaften. Studien zur Konvergenz von Politik und Ästhetik in Kunst,
Literatur und Theorie, München 2010, S. 492-520.
60 Diese Dimension von Gemeinschaftsbildung hat in den entsprechenden Debatten bisher praktisch
keine Beachtung gefunden. Selbst dort, wo über die Medien der Gemeinschaft nachgedacht wird,
beschränkt man sich auf die Repräsentation etwa in Kinobildern, anstatt die Infrastrukturen der
Verbindung anzugehen. (So etwa: Lars Gertenbach; Dorothee Richter: „Das Imaginäre und die
Gemeinschaft“, in: dies.: Mit-Sein: Gemeinschaft. Ontologische und politische Perspektivierungen,
Zürich 2010, S. 119-136.) Deshalb soll hier für eine andere Perspektive plädiert werden, die auf einen
anspruchsvollen Begriff der Gemeinschaft angewiesen ist. Vgl. zum Konnex von Gemeinschaft und
Technik: Erich Hörl: „Die künstliche Intelligenz des Sinns. Sinngeschichte und Technologie im An­
schluss an Jean-Luc Nancy“, in: Zeitschriftfü r Medien- und Kulturforschung, 2 (2010), S. 129-147.
61 Vgl. Jean-Luc Nancy: Singulär Plural Sein, Berlin 2004.
und die sich nicht deduzieren lässt, will man einem Essentialismus entgehen. Sie ist nicht
als utopisches, versöhntes Gegenmodell zu einer zersplitterten Gesellschaft zu verstehen.
So kann die eigentümliche Spannung zwischen einer Schließung, die immer im Imaginä­
ren verbleibt (allen praktischen Schließungsversuchen zum Trotz) und den notwendigen
Differenzen zwischen den Individuen aufrecht erhalten bleiben - eine Spannung, welche
die Politik von Gemeinschaften zutiefst prägt und die um ihre Medien, deren Geschichte
und vor allem den Einsatz von Medientheorien ergänzt werden muss.
Das westliche Denken hat, darin sind sich derartige Ansätze einig, immer wieder auf
eine ursprüngliche, nunmehr verfallene, ungetrennte Gemeinschaft rekurriert, also ganz
im platonistischen Sinne eine Gemeinschaft, die qua Unmittelbarkeit zu ihrer Wahrheit
findet. Dementgegen müsse eine Gemeinschaft gedacht werden, in der Differenz nicht nur
geduldet, sondern grundlegend sei - aller Gefahr der Fragmentierung zum Trotz und, mit
Flatscher formuliert, gegen den Substantialismus einer vordeterminierten Zusammenge­
hörigkeit sowie gegen die Immanenz eines normativen Ideals für die Gemeinschaft. Das
Aufrechterhalten der Differenz ist nicht nur politisch im Sinne eines operativen Raums des
Austauschs relevant, welcher nicht durch Essenzen besetzt werden kann. Es geht darum,
diese Verbundenheit ohne Vereinigung, die Relation ohne Einheit der Differenz zu denken
und ihr keine Anwesenheit oder Konsistenz unterzuschieben. Vor allem für die benannte
dritte Form des Essentialismus der medialen Verbindung können diese Forderungen nur
erfüllt werden, wenn man die technischen Netzwerke der Verteilung von An- und Ab­
wesenheit, der Überwindung von Raum durch Synchronisation entfernter Orte oder der
Verbindung von Getrenntem beachtet: etwa die Kabel, die Kontinente kurzschließen, die
Schalter, die Zustände wechseln, oder die Relais, die an Knotenpunkten die Kabelver­
bindungen zu Netzen aufspalten.62
Der Begriff des global village und all die Ideen einer weltweiten Verschaltung, die
auch religiös besetzt sein können, schließen folgerichtig Differenz aus, einerseits bezogen
auf die Übertragung, andererseits auf die Unterschiede der vereinheitlichten Elemente
oder Individuen. Differenz kann kein Teil der Einheit sein, selbst wenn sie ihr voraus­
geht. Das globale Dorf ist Kontakt ohne Takt, ohne Zeit, ohne Abstand, vielleicht auch
ohne Anstand, wenn auch keine Gleichschaltung, so aber doch eine gleichzeitige Berüh­
rung ohne Dazwischen, ein Takt mit Berührung, der in der Berührung hängenbleibt. Im
elektrisch-instantanen Medium wird die Trennung, die es überbrückt, getilgt. Das global
village verdeckt die Raumverhältnisse, Unterbrechungsräume und Unterbrechungszeiten,
die elektrische Medien erzeugen, sowie ihre Rekonfigurationen des Sozialen. Wenn es
keine Differenz in der Einheit gibt, wohl aber Unterschiedlichkeit, weil nicht alle ihre
Elemente, alle Bewohner des globalen Dorfes gleich sind, dann sind diese Unterschiede
nur Ableitungen von der Einheit. Etwas Anderes als Anderes, ein Außen, das nicht von der
Einheit umfasst wird, kann es dann nicht geben. Den Anderen nicht als Erweiterung eines
Eigenen nehmen, sondern als autonom - dafür gibt es im globalen Dorf keine strukturelle

62 Vgl. Hugo Theodor Horwitz: „Das Relais-Prinzip“, in: ders.: Das Relais-Prinzip, Wien 2008, S. 77­
117; sowie Bernhard Siegert: Relais. Geschicke der Literatur als Epoche der Post, Berlin 1993.
Möglichkeit. So werden die komplexen, gebrochenen, weil unterbrochenen Formen elek­
trischer oder elektronischer Distributionen, Vernetzungen und Protokolle übersprungen,
die kleinräumige Koordinaten des Sozialen nicht bloß globalisieren, sondern vielmehr
bis in die Gegenwart radikal rekonfigurieren.63
Stattdessen kann die Genealogie von Medientheorien und -begriffen in Angriff genom­
men werden, welche die Geschichte ihrer Gemeinschaften ist und wohl weiterhin sein
wird. Die von ihnen angestrebte Verbundenheit hat einen historischen Index, der von den
Techniken der Verbindung und Adressierung her aufgeschlüsselt werden kann, wenn man
sie als Umgang mit Differenz begreift. Lässt man diese Gemeinschaft, diese Geschichte,
diese Theorien und ihre Medien auf Einheit zulaufen, ist man in der Paradoxie gefangen,
unmittelbare Medien denken zu müssen oder landet in einer fragwürdigen politischen
Utopie wie dem außen- und anderslosen global village. Von solchen Phantasmen besetzt,
die nicht logisch, sondern nur historisch aufgelöst werden können, bleiben daran anschlie­
ßende Medientheorien und Mediengeschichten haltlos. Ein Effekt dieser Haltlosigkeit sind
jene Theorien oder Geschichten, die Medien als Medien der Unmittelbarkeit besetzen und
Gemeinschaft beschleunigen, obwohl sie das Gegenteil im Blick haben.

63 So hat, um nur ein einziges Beispiel zu nennen, Alexander Galloway beschrieben, wie Protokolle
nicht als Disziplinarmacht funktionieren, sondern Kontrolle als Modulation und Verteilung ausüben:
Alexander R. Galloway: Protocol. How control exists after decentralization, Cambridge 2004.

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