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Deutschland und Lateinamerika verbinden vielfältige einzufangen: die gedruckten Kommentare, die Gemälde
historisch gewachsene Beziehungen. Hier werden die und Fotografien, die Bücher, die Bauwerke oder die
Geschichten einiger deutscher Wissenschaftler, Künstler Betriebe. Die Beispielgeschichten stammen aus denjenigen
und Unternehmer vorgestellt, die unsere Kenntnisse Ländern Lateinamerikas, die zwischen 2009 und 2011
über Lateinamerika erweitert haben und gleichzeitig ihre zweihundertjährige Unabhängigkeit feiern.
das Deutschlandbild dort mitgeprägt haben. Es sind
bekannte Geschichten wie die Alexander von Unser Anspruch ist nicht, die deutsch-lateinamerikanischen
Humboldts und weniger bekannte. Es sind Geschichten Beziehungen in ihrer ganzen Vielschichtigkeit zu erfassen.
von Erfolgen und großer Anerkennung, aber auch von Vielmehr möchten wir mit unseren Fallbeispielen Anstöße
gegenseitigen Missverständnissen und von Fehlschlägen. dazu geben, sich mit diesen Beziehungen aktiv auseinander-
Allen gemeinsam ist die Auseinandersetzung mit einer zusetzen. Lateinamerika kann nicht ohne Europa verstanden
zunächst sehr fremden Welt. Wir haben versucht, werden, Europa nicht ohne Lateinamerika.
einige der Ergebnisse dieser Auseinandersetzung
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Kommentare
zur Unabhängigkeit
Amerika.
Im Laufe des Jahrs 1810 ist die Lage Amerika‘s völlig verändert;
seine gebundene Kindheit in blühende hoffnungsvolle Jünglingszeit
übergegangen; Europäische Vormundschaft hat geendet. Selbst-
ständig tritt es auf, schreibt sich den Kreis der Wirksamkeit vor.
Unermeßlich sind die Hülfsmittel der Natur und in glühender
Entwicklung die Kräfte der Völkerschaften. Mögen die Freistaaten
des Nordens und die Freistaaten des Südens brüderlich wetteifern!
Ernst Ludwig Posselt, Hg. 1812. Europäische Annalen, S. 83.
Stuttgart und Tübingen: Cotta.
Mitarbeiter der Berliner Gießerei Noack bearbeiten ein Reiterstandbild des Simón Bolívar. Fotografie von Friedrich Seidenstücker, Berlin, um 1930. © bpk
Man will versichern, daß der Aufruhr in Süd-Amerika weit mehr auf
sich habe, als man in den spanischen Blättern vorgegeben.
Ein Brief aus Rio de Janeiro vom 2. Dezember sagt, daß ganz
Potosi sich empört, und daß man in den Gegenden, wo Bergwerke
sind, alle Königl. Archive verbrannt habe. Derselbe Brief enthielt
sogar ein Manifest, in welchem man das ganze Volk des spanischen
Amerika auffordert, sich durchaus unabhängig zu machen.
Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, 27. 3. 1810
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„Alles ist Wechselwirkung…“
Alexander von Humboldt und
die Erweiterung des Weltbewußtseins
Alexander von Humboldts Arbeitsweise war transdisziplinär; er
führte den Dialog mit anderen Disziplinen nicht vom Standpunkt
einer bestimmten „eigenen“ Disziplin aus, sondern indem er
versuchte, mit Hilfe von Spezialisten die Logiken verschiedener
Wissensgebiete miteinander zu vernetzen.
Humboldts Blick auf die Neue Welt und ihre Bewohner war seiner
Zeit weit voraus und erfüllte die drei wichtigsten Anforderungen an
gute Ethnologie: Er stützte sich immer auf Empirie – bis hin zu ge-
Foto: Jürgen Liepe, © Staatliche Museen zu Berlin
Den Chimborazo bestieg Humboldt im Jahr 1802 bis zu einer Höhe von
etwa 5700 m. Dies blieb danach für 30 Jahre Weltrekord im Bergsteigen.
Humboldt war im Gehrock, hatte allerdings zusätzlich einen wollenen
Poncho angelegt. Er schrieb stets gegen das Vorurteil der „ungesunden
Tropen“ an: „… wir sind stets kräftig und robust geblieben“.
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Der Archivar des Alltags
Robert Lehmann-Nitsche
zeugen auch die über 5000 Briefe, die sich in seinem Nachlass
im Ibero-Amerikanischen Institut in Berlin befinden.
„Inzwischen wurden sie [die Indianer] ins Heer, in die hier militä-
risch organisierte Feuerwehr oder unter die Schutzleute gesteckt
und bewähren sich gut. Andere dienen als Pförtner, Hausdiener
usw. Das gewöhnliche Volk macht keinen Unterschied zwischen
© Ibero-Amerikanisches Institut, Berlin
sich und den Indianern, merkt oft gar nicht, daß es mit
solchen zu tun hat. Es geht ihnen nicht besser oder schlechter
als anderen. Das große Publikum, das immer gern mal Indianer
sehen möchte, merkt gar nicht, daß der nächstbeste Schutz-
mann auf der Straße in Buenos Aires einer ist.“
Lehmann-Nitsche,1906
Liebeslied der Mapuche („Araukaner“) Postkartensammlung
Lehmann-Nitsche
ARGENTINIEN
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Expedition Nr. 24
Zwei Jahre im bolivianischen Amazonien
Albert Hahn: Leiter des Einidu. Bauhinia Leiter des Wald- und Buschgeistes Einidu Die Ethnologin Karin Hissink während
Caulotretus, eine Liane, nuni in der als Webmuster auf Tragbändern und Gürteln. der „24. Frobenius-Expedition“ auf
Tacana-Sprache. Sie führt zur Wohnung Gezeichnet von Albert Hahn. dem Rio Beni (27. 4.1952–13. 6.1954)
des Einidu, hoch oben in einem Baumloch.
BOLIVIEN
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Der lange Weg der Masken
durch Raum und Zeit
Von November 1914 bis April 1915 forschte der Archäologe und
Ethnologe Konrad Theodor Preuss bei den Kágaba in der Sierra
Nevada de Santa Marta in Kolumbien. Er wollte sich den vor-
spanischen Religionen über Rituale, Mythen und Gesänge zeit-
genössischer Indianer nähern. Rituelle Paraphernalia, auch Masken,
sind eigentlich unverkäuflich. Preuss nutzte einen Erbstreit zwischen
indigenen Priestern, um diese Raritäten zu erwerben.
Preuss konnte die Nutzung archäologischer Objekte in Ritualen Großsonnenmaske, Mama Nuikukui Uakai, aus Noavaca,
zeitgenössischer indigener Gruppen nicht erklären, er bezeich- Sierra Nevada de Santa Marta. Holz, gefasst
Der Besitz der Maske, eines aus der Zeit und der Welt der Ahnen
stammenden Objekts, legitimiert die Macht und das Prestige des
heutigen Priesters. Die religiöse Macht ist bei den Kágaba nicht
personalisiert, sie ist quasi „objektiviert“.
Ethnologisches Museum, Staatliche Museen zu Berlin, © Wouter Bokma, 1976
Pueblo Viejo, Sierra Nevada de Santa Marta Tänzer mit der Maske Mama Surli Uakai
KOLUMBIEN
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Der Grenzgänger
Begehungen und Berechnungen
„Der Kampf um die Gipfel und Täler Patagoniens wurde nicht
auf dem Schlachtfeld, sondern am Schreibtisch ausgetragen.“
Marisa von Wysocki, 2009
CHILE
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Tomebamba
Der Palast des Inka Huaina Capac
gewesen sind.
ECUADOR
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Der Sprachensammler
Walter Lehmann in El Salvador
EL SALVADOR
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Ein liebevoller Blick
auf Mexiko – vor hundert Jahren
„Für heut nur noch einige Fragen: Was ist eigentlich im Morlake
für ein Wesen? und was sind glagolitische Buchstaben?“
Aus einem Brief Caecilies an Eduard, 1884
Caecilie Seler-Sachs und Eduard Seler Eine großartigere Mitarbeiterin hätte sich kein Wissenschaftler
wünschen können: Sie hatte eine umfassende Bildung
genossen und wurde im Lauf der gemeinsamen Jahre selbst zur
Wissenschaftlerin. Neben dem nur schwer zu kalkulierenden
Anteil am Werk ihres Mannes hatte sie fast 40 eigene Publika-
tionen, darunter zwei sehr erfolgreiche Bücher: über ihre
Reisen „Auf alten Wegen in Mexiko und Guatemala“ (1900)
und über das „Frauenleben im Reiche der Azteken“ (1919).
© Ibero-Amerikanisches Institut, Berlin
MEXIKO
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Yboty rendá
Carlos Fiebrigs 600 ha großer „Blumenladen“
1910 bekam der Botaniker Karl Fiebrig
(1869–1951) ein Stellenangebot des deutschen
Kolonialamts für Ostafrika und gleichzeitig
eines der Regierung Paraguays, die ihm einen
Tiefergelegte Beete
Der Rosengarten
Der Botanische Garten verfügte nicht nur über einen Hafen am Rio Paraná,
sondern auch über eine eigene Bahnstation, etwa 60 km gepflegter Wege
© Fritz G. Heym
und ein großes Schwimmbad. Nach und nach richtete Fiebrig auch einen
Tiergarten, ein „Zoologisches Museum“, ein „Herbarium“, ein „Botanisches
Museum“ und schließlich das „Baumwoll-Institut“ ein. Letzteres trug
wesentlich zur Finanzierung des ganzen Komplexes bei.
Varietät von Rebutia fiebrigii
PARAGUAY
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Genau hingehört
Feine Unterschiede in Uruguay
Der Diatopische und Diastratische Sprachatlas Uruguays (ADDU) ist ein Koopera-
tionsprojekt der Professoren Adolfo Elizaincín (Universidad de la República,
Montevideo) und Harald Thun (Christian-Albrechts-Universität zu Kiel), das von
der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wurde.
Die Karte CAÇULA stammt aus dem portugiesisch sprachigen Teil des Atlas. Im Norden Uruguays wird
neben dem Spanischen auch eine Varietät des Portugiesischen gesprochen, die „konservativer“ als das
brasilianische Portugiesisch ist. Der in Brasilien sehr gebräuchliche Afrolusismus CAÇULA (für „der/die
Jüngste“, „das Nesthäkchen“) dringt langsam in Uruguay vor. Die Pluridimensionalität des Atlas ermög-
URUGUAY
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Klänge und Bilder der Tropen
Ein Multimedia-Visionär im Urwald
„Wir Europäer haben, besonders nach diesem Krieg, am allerwenigsten
das Recht, ein anderes Volk ‚wild‘ zu nennen.“
Koch-Grünberg, 1922
© Ethnologisches Museum Berlin
Theodor Koch-Grünberg
dokumentarischem Wert. Instrumente und Kleidung für den parishara-Tanz: Frauen mit
Tanzschmuck, Männer mit Tanzkrone und Tanzrock aus Palmen-
blättern. Nur sie spielen die Instrumente. In der linken Hand halten
sie den Tanzstab, an dessen oberem Ende die Reihenrassel kewei
befestigt ist. In der rechten Hand halten sie die Röhrentrompete
kamayén.
VENEZUELA
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Die Colonia Tovar in Venezuela
Vom Auswanderungsziel zum Ausflugsziel
Fotograf unbekannt, o. D.
Kolonisten auf dem Platz vor der Schule
hatten einen guten Ruf, und von ihrem Mutterland war keine Ein-
mischung zu befürchten. 1843 landeten 374 deutsche Siedler in
La Guaira, um nach 120 km Fußmarsch in den für sie bestimmten
In der Colonia Tovar wie in Deutschland sind putzige
Fachwerkhäuschen, kitschige Souvenirs und Karnevals- Talkessel zu gelangen. Dort gab es statt der versprochenen acht-
kostüme „authentische Anachronismen“. zig Wohnungen nur zwanzig; das Gelände war nicht abgeholzt,
die Straße nicht gebaut. Der Verwalter beutete die Siedler als Ar-
beitskräfte aus und hinderte sie am Verlassen der Siedlung. Erst als
er 1845 abgesetzt und 1852 das Land den Siedlern überschrieben
Fotograf unbekannt, o. D.
Fotograf unbekannt, o. D.
wurde, besserte sich die Lage. Zwischen 1858 und 1870 wurde die
Siedlung jedoch zweimal ausgeplündert und einmal vollständig
niedergebrannt. Ab 1870 baute man erfolgreich Kaffee an. 1877
Es gibt Hunderte von Einträgen über die Colonia Tovar
gab es wieder 200 Einwohner; 1920 waren es schon 850.
in Weblogs, Online-Reisetagebüchern und Webseiten
von Globetrottern. Die Urteile der deutschen Besucher
reichen von „totaler Tourismusnepp“ und „deutsches
In den 1940er Jahren kam die Anbindung durch eine Straße und
Disneyland“ über „deutscher als manches Schwarzwald- die Eisenbahn: Caraceños bauten nun Ferienhäuser in der Colonia.
dorf“ bis hin zu „WUN-DER-BAR !“
Das Umland wurde „Wasserschutzgebiet“, ab 1964 auch „Touris-
„Peter“ (http://blog.viventura.de/venezuela/schwarz- tenregion“. Landwirtschaft wurde dadurch fast unmöglich. Schon
urwald) schrieb am 4. 8. 2008:
„164 Jahre nach der Gründung der Colonia liegt das 1979 bezweifelte Hartmut Fröschle, dass „vom deutschen Charak-
Hauptproblem der Identifizierung der Einwohner der ter der Siedlung mehr übrigbleiben wird als ein bißchen kommer-
Colonia Tovar darin, dass die Mehrheit der nach-
folgenden Generationen niemals in der alten Heimat zialisierte Touristenfolklore“.
gewesen ist. ‚Wir wüssten gerne, ob es im Schwarzwald
wirklich noch so aussieht wie hier bei uns’, sagen die
beiden 30jährigen Kellnerinnen Carmen und Miriam.“
MIGRATION
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„El Subte“
verbindet die Porteños
Als im Jahr 1911 ein gewaltiger Graben mitten im Zentrum von Buenos
Aires ausgehoben wurde, der die erste U-Bahn Lateinamerikas aufnehmen
Fast 15 Jahre vergingen, bis eine zweite Linie begonnen wurde. 1928–1930
© Siemens AG
Die frische Brise über dem Río de La Plata, der die argen- Siemens hat in Buenos Aires eine lange Tradition. In den 1930er
tinische Hauptstadt ihren Namen zu verdanken hat, reicht Jahren entstanden mit Hilfe von Siemens der Obelisco, das
heute oft nicht mehr aus, um den dichten Smog über der Wahrzeichen der Stadt, die Avenida 9 de Julio, die breiteste
Stadt zu vetreiben. Im Großraum Buenos Aires befinden Straße der Welt, und die U-Bahn-Linien B und C.
sich fast 50 % der argentinischen Industriebetriebe.
Hier leistet das Nahverkehrssystem der Hauptstadt einen
wichtigen Beitrag zur Verringerung der Umweltbelastung.
ARGENTINIEN
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Aus dem „chocolatal“
Kaffee und Nüsse, gut angezogen
BOLIVIEN
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Die Schlüsselmarke
Bremer Kaufleute am Río Magdalena
Der Handelshafen von Barranquilla, vor 1908 Louis Delius & Co. wandten sich Ende des
19. Jahrhunderts dem Kaffee als Haupt-
handelsartikel zu; vor allem dem Kaffee aus
Carl Theodor Merkel (rechts), der Partner und spätere Kolumbien. Über hundert Jahre lang war dies
Gesellschafter der Firma Delius in Barranquilla, 1871 die tragende Säule ihres Unternehmens.
Mit der Stadt Bremen teilen sie sich noch
Der Handel mit Kolumbien gewann nach der Ratifizierung heute den Schlüssel im Wappen.
eines Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages
zwischen den Hansestädten Bremen, Hamburg und Lübeck und
Neu-Granada (später Kolumbien) im Jahr 1857 an Bedeutung.
Tabak im Trockenschuppen
„Um zu überleben, muss der Kaufmann sein von Barranquilla an der Mündung des
Río Magdalena, war in den 1870er Jahren
Geschäft immer wieder neu erfinden.“ für die Firma Delius zeitweise sogar
Volker Schütte, Louis Delius & Co., 2007 bedeutender als der Kaffeehandel.
Aus Kolumbien wurden außerdem
Rohkakao und Honig eingeführt.
© Louis Delius GmbH & Co. KG
Heute besteht das Geschäft von Louis Delius & Co. zur
Hälfte in „Nicht-Eisen-Metallhalbzeug“ und zur Hälfte
in Werkzeugen und Materialien für die Bauindustrie.
KOLUMBIEN
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DIN EN 1492-2
… wenn alle Stricke reißen
„Am Heben und Transportieren von Lasten hängen oft Menschenleben. Unsere Produkte
haben viel mit Sicherheit zu tun. Die Kunden in Chile vertrauen ‚Made in Germany‘ – und
wir können dafür, mit fast 75 Jahren Erfahrung in der Branche, höchste europäische
Standards garantieren.“
A. Krosta, 2009
CHILE
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„El trole“
Trolebús Quito S. A. und Vossloh Kiepe
„Übrigens: Der Betreiber der Oberleitungsbusse schreibt seit
einiger Zeit schwarze Zahlen! Im öffentlichen Personen-
nahverkehr in Deutschland kommt das vermutlich nicht oft vor.“
E. Luque, 2009
© Adtranz
Municipio del Distrito Metropolitano de Quito
ECUADOR
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Grünes Licht für Red Fox
Wurzeln schlagen in El Salvador
In Spitzenzeiten arbeiten bei Red Fox etwa 800 Personen. 400 von ihnen haben eine permanente Anstellung,
beziehen also ganzjährig ein Einkommen. Dies ist bei den drei großen Monokulturen des Landes – Kaffee,
Zuckerrohr und Bohnen – anders, da sie nur etwa drei Monate Saisonarbeit bieten. Zeitweise besteht sogar
eine gewisse Konkurrenz um Arbeitskräfte. Bei Red Fox gibt es allerdings eine Krankenstation und einen
Kinderhort, die zur Attraktivität des Arbeitsplatzes beitragen.
„Das ist auch gut für das Land: Gegen die extremen Unter-
schiede zwischen arm und reich, die großen sozialen Gegen-
sätze, hilft eines ganz gewiss: mehr gut bezahlte Arbeit.“
EL SALVADOR
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Mexikanische Käfer
und ihre natürliche Umwelt
Seit 1964 gibt es das Werk von Volkswagen Mexiko in Puebla.
Zwischen 1967 und 2003 wurden dort 1,7 Millionen der legen-
dären „Käfer“ gebaut. 2008 verließ bereits der einmillionste New
Beetle das Band, der Nachfolger des Käfers. Die Autos aus Puebla
werden mittlerweile in über hundert Länder exportiert.
© Volkswagen AG
trieren sich auf Recycling und Wasserwirtschaft. Verpackungs-
material wird bereits zu 98 Prozent wiederverwertet. Das Werk
unternimmt zudem große Anstrengungen, um seinen Wasser- 1974 war jeder dritte PKW in Mexiko ein Käfer. An manchen Stellen des
Landes wurde bisweilen sogar ein noch höherer Anteil festgestellt.
bedarf zu senken. Unterschiedliche Wasserquellen werden genutzt;
Sanitärabwasser wird mit Bakterienkulturen und Filteranlagen
wieder zu Brauchwasser aufbereitet. Industrieabwässer werden
auf mechanisch-chemischem Wege behandelt. Regenwasser wird
direkt in ein Auffangbecken eingeleitet. So wurde die Frischwasser-
Entnahme aus Brunnen seit 2004 um 20 Prozent reduziert.
© Volkswagen AG
Seit 2006 fördert VW Mexiko auch das Projekt „Aus Liebe zum
Planeten“. Es unterstützt die wissenschaftliche Erforschung von
Käfer im Rohbau, 1960er Jahre
Naturschutzgebieten.
Mehr als eine Million Käfer fahren durch Mexiko. Der Käfer ist so
verbreitet, dass er auch ombligo, „Bauchnabel“ heißt – weil jeder
einen hat. Er ist sparsam, strapazierfähig und witzig, also ganz
zweifellos ein durch und durch mexikanisches Fahrzeug.
© Volkswagen AG
© Volkswagen AG
© Volkswagen AG
Taxikäfer, 2006
Dschungelkäfer, 2003
Käferskelette, 1960er Jahre, © Volkswagen AG
© Volkswagen AG
© Volkswagen AG
Von 1977 bis 1985 wurden in Puebla Käfer für den Export
nach Deutschland gebaut. Seit 1998 läuft sein Nachfolger
vom Band: der VW New Beetle, dessen Form von der des
Polizeikäfer, 1974 Käfers inspiriert wurde.
MEXIKO
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Vielseitig, mit Erfolg
Die Kooperative Fernheim
Die Kolonie Fernheim wurde 1930 von deutschstämmigen
Mennoniten gegründet, die aus der Sowjetunion kamen.
Heute zählt sie 24 Dörfer mit über 4000 Bewohnern. Ihr Zen-
trum ist die Stadt Filadelfia, etwa 450 km nordöstlich von
© Cooperativa Colonizadora Fernheim
PARAGUAY
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Extractum Carnis Liebig
„Kräftigungsmittel“ vom Río Uruguay
URUGUAY
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Mit voller Kraft
Das Gas- und Dampfturbinenkraftwerk
Termozulia
© MAN Ferrostaal AG
Beim Umbau von Termozulia I waren weit über 1000 lokale
© MAN Ferrostaal AG
Arbeitskräfte beschäftigt. Da gut ausgebildete Arbeiter
benötigt wurden, entschloss sich Ferrostaal, die Arbeiter
zu schulen. Durch diese Weiterbildung eröffneten sich vielen
von ihnen langfristige Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt.
Termozulia I
© MAN Ferrostaal AG
Abhängigkeit von der Wasserkraft. Besonders in der Ölindustrie,
die 85 % der Exporte ausmacht, verringern Stromausfälle
die Produktion.
Generator Generator
Dampfturbine
Speisewasserpumpe
© MAN Ferrostaal AG
dampf Schornstein
VENEZUELA
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„Bial“
Fluchtziel Bolivien
„Er ist durchaus ein Mann der Farbe; in breiten, hellen Flächen
baut Bialostotzky seine Bilder auf, mitunter glaubt man,
einen verjüngten Liebermann-Geist zu spüren.“
Max Osborn, 1937
Von den 250 000 bis 300 000 aus Nazi-Deutschand geflohenen
Juden dürften etwa 20–25 % nach Lateinamerika gelangt sein.
Bolivien nahm mindestens 12 000 von ihnen auf. Ab 1938/39
gab es Visahandel; im Mai 1939 wurde für sechs Monate
ein Einwanderungsstop verfügt. 1940 wurden dann die Grenzen
„Er wurde der wahre künstlerische Gestalter seiner neuen Einer der jüdischen Exilanten, die Zuflucht in Bolivien fanden,
bolivianischen Heimat auf dem Gebiete der Malerei. […] Mit allen
seinen Werken hat sich Bialostotzky in die erste Reihe der Maler
war Kurt Bialostotzky. Seine Lebensgeschichte erzählt manches
des Landes gestellt, eine Tatsache, auf die die gesamte jüdische von dem unendlichen Leid, das der Nazismus verursacht hat.
Einwanderung Boliviens stolz sein darf.“
„Aufbau“ Nr. 30, vom 26.7.1946 Kurt Bialostotzky wurde 1896 in Obornik (Posen) als eines von
acht Kindern eines Synagogen-Kantors geboren. Er besuchte
eine Schule in Berlin, absolvierte ab 1910 eine Lehre als
Musterzeichner in einer Teppichfabrik und danach ein Studium
der Malerei, unter anderen bei Emil Orlik. Im Ersten Weltkrieg
wurde er zweimal schwer verwundet. Eine Ehe, aus der zwei
Töchter hervorgegangen waren, wurde 1936 geschieden. Drei
seiner Schwestern wurden von den Nationalsozialisten depor-
tiert und ermordet. Bialostotzky versuchte die Flucht in die
Tschechoslowakei, wurde aber an der Grenze verhaftet und
kam für fünf Monate ins Gefängnis nach Wunsiedel. Im Januar
1939 erhielt er über Paris ein Visum für Bolivien, wo er sich in
La Paz und 1941 in Cochabamba niederließ. 1964 kehrte Kurt
Bialostotzky nach Deutschland zurück, zunächst nach Berlin.
Er verstarb 1985 in Detmold.
© Jüdisches Museum Berlin
EXIL
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„Verhiesigungs-Verweigerung“
Paul Zech, Dichter, unpassend unangepasst
Der Dichter Paul Zech, geb. 1881, war einige Zeit Hilfsarbeiter
im Bergbau. Ab 1910 arbeitete er als Redakteur und Dramaturg,
später als Bibliotheksgehilfe. 1912 zog er nach Berlin, verkehrte
ARGENTINIEN
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Bolivien singt …
die „Cantata Bolivia“
„Cantata Bolivia“, Kantate in drei Sätzen für Sopran, Alt, Tenor, Bariton, Chor und Orchester,
nach einem Text von Yolanda Bedregal de Konitzer
Erich Eisner (1897–1956) erhielt von 1919 bis 1921 an der Akademie
für Tonkunst in München seine Ausbildung zum Komponisten und
Dirigenten. Er arbeitete danach an verschiedenen Bühnen in Deutsch-
land und Österreich. Wegen seiner jüdischen Herkunft erhielt er 1935
Berufsverbot. 1939 emigrierte er nach Bolivien, wohin seine Familie
ihm folgte. Zunächst war er in Sucre musikpädagogisch tätig. 1944
erhielt Eisner dann den Auftrag zur Gründung eines staatlichen Sin-
fonieorchesters. Das Debüt des Orchesters fand im Jahr darauf in
La Paz statt. Eisner leitete dieses Orchester bis zu seinem Tode 1956
in La Paz. Für die Aufführungen bearbeitete er zahlreiche bolivianische
© Jüdisches Museum Berlin
Musikstücke.
BOLIVIEN
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Bücher neben Bildern
neben Büchern ...
Die „Librería y Galería Buchholz“ in Bogotá
Katalog der Ausstellung „Arte Gráfico Alemán Contemporáneo“ Godula Buchholz in der „Librería
y Galería Buchholz“, etwa 1958
KOLUMBIEN
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„ ... und hüten Sie sich vor Chili.“
Der Lieblingskünstler Humboldts
„Das Reisen hat immer das Gute, daß man fortstudiert
und die Augen aufbehält.“
Rugendas, 1828
CHILE
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Herr des Himmelblau
© Peter Mussfeldt
Peter Mussfeldt, Grafiker der Tropen Von Mussfeldt entworfene Logos
für das Museo Antropológico y de Arte
Contemporáneo (MAAC, 2001) und
die Banco del Pacífico (bdp, 1972)
© Peter Mussfeldt
Grafikdesign-Studium, das er nach seiner Flucht
nach Westdeutschland in Düsseldorf fortsetzte.
Peter Mussfeldt: Homenaje a Benito Juárez, 2006. Uni-ball II micro, 40 × 60 cm Er kam mit großen Künstlern zusammen: mit
Pablo Picasso, Josef Beuys und Jean Cocteau.
1962 lud ihn der Vater eines Freundes nach
Quito ein, wo er von einer Familie jüdischer Ein-
wanderer als Ehrenmitglied aufgenommen wurde.
Foto: Boris Andrade, 2009
„Ende der Siebziger wollte ich einige Grafiken in einem ausländischen Kultur-
zentrum in Guayaquil ausstellen. Ich stellte mich bei dem jungen und eifrigen
Direktor vor, der meine Werke jedoch ablehnte: Sie seien noch nicht reif
genug. Zwei Wochen später kaufte das New Yorker Museum of Modern Art
zwei Grafiken aus eben jener Sammlung, die ich Guayaquil angeboten hatte!
© Peter Mussfeldt
ECUADOR
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Gemälde anstelle von Fotos
El Salvador mit den Augen Max Vollmbergs
„Für ihn war Zentralamerika das Land des ewigen
Festtages, das Land des Lichtes und der Sonne, einer
Sonne, die veredelt und verschönt.“
Max Vollmberg über sich selbst, 1920
Um den Tod Vollmbergs ranken sich einige Geheimnisse. Bislang Max Vollmberg: Mirasol. 1920. Öl auf Leinwand
ging man davon aus, dass er 1930 in Mexiko gestorben sei. Aller-
Max Vollmberg: Landschaft (Ausschnitt), 1913. Öl auf Leinwand. Privatbesitz, San Salvador. Foto: Jürgen Hübner.
dings sind in einem seiner Bücher die von ihm selbst gemalten
Illustrationen mit „1931“ signiert. Auch existiert ein authentisches
Bild, ein Frauenporträt, das Vollmberg mit „1936“ datiert hat.
EL SALVADOR
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Fotogemälde
Hugo Brehmes pittoreskes Mexiko
Mexiko war die zweite Heimat des Deutschen
Hugo Brehme (1882–1954). Er zählt zu den be-
deutendsten Fotografen Lateinamerikas in
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Viele
seiner Fotografien bannen ein der Zeit ent-
rücktes Mexiko aufs Papier – ein idyllisches
Land, in dem der technische Fortschritt noch
kaum Spuren hinterlassen zu haben scheint.
Wie in den Gemälden von Caspar David Fried-
rich (1774–1840) erscheint die Natur darin als
großes magisches Gegenüber, als Meditations-
objekt, in dessen Betrachtung meist einzelne
Menschen versunken sind. Die Landschaftsauf-
„Voller Enttäuschung über ihre automatisierte Welt der Fabriken „Der ideologische Einsatz der Fotografie als vertrauenswürdiges
kommen Europäer nach Mexiko. […] Sie interessieren sich für den Zeugnis verstärkte die Phantasien der europäischen Vorstellungs-
Teil der mexikanischen Kultur, für den sich sonst niemand mehr welt durch Bilder des Malerischen, des Andersartigen, des
interessiert. Mexiko ist für sie die Wiedergutmachung des Fiaskos ‚Anderen‘. Das Empfinden Lateinamerikas als exotisch wurde
der Industrialisierung …“ mit Verbreitung der Fotografie in Europa zum Gemeingut, das
Elena Poniatowska, 2004 im europäischen Bewusstsein schließlich als Bild/Konzept der
lateinamerikanischen Wirklichkeiten verankert war.“
Boris Kossoy, 1998
MEXIKO
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Waldzauber
Romantisches Lagerleben in Paraguay
„Ein Besuch im Atelier des Künstlers überzeugte mich,
daß sein Werk für die Kunst des südlichen Südamerika
von größter Bedeutung ist ... Unter den exotischen
Malern gibt es sehr wenige, von deren Arbeiten so viel
‚Waldzauber‘ ausgeht.“
Ten Kate, 1913
Der Cerro Tatuy, nach einer Zeich- In San Bernardino logierte Oenike in der
nung von Karl Oenike, 1896 „Bierschlucht“, etwa 10 km vom Zentrum der
Kolonie entfernt. Sie war deren Attraktion,
dort fand sich nämlich, aus „den kleinsten
Noch 1889 galt der südöstlich der Stadt Villarrica gelegene sagenumwobene primitiven Anfängen entstanden ...
Cerro Tatuy als höchster Berg Paraguays. In dessen Umgebung lebten im Schutz eine nette, echt deutsche Brauerei in der
dichten Urwalds die Guayaqui-Indianer, auf deren Spuren Oenike nach früheren Wildnis“ (Oenike, 1896).
Besteigung des Berges stieß.
PARAGUAY
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Die Größe der Kleinen
Peter Lilienthals „Blick von unten“
© Provobis 1984
© Provobis 1984
© Provobis 1984
Fünf Szenenfotos aus dem Spielfilm „Das Autogramm”, Regie: Peter Lilienthal, Kamera: Michael Ballhaus. Deutschland / BRD 1984
Peter Lilienthal (*1929, Berlin) floh 1939 mit seiner Mutter vor den
Nationalsozialisten nach Uruguay. In Montevideo betrieb die Mutter
ein kleines Hotel. Nach dem Gymnasium studierte Lilienthal zunächst
Kunstgeschichte, Jura und Musik an der Universidad de la República „Alle meine späteren Lateinamerika-
in Montevideo. Im universitären Filmclub sah er die Arbeiten von filme haben einen direkten oder
indirekten Uruguay-Bezug. Besonders
Vittorio de Sica und Jean Vigo. Zusammen mit Freunden aus dem ‚Das Autogramm‘, das zwar in Portugal
gedreht wurde, das aber in allen
Club drehte Lilienthal Kurzfilme über Probleme der Landbevölkerung
Details eine uruguayische Kleinstadt
Lilienthal illustriert und kommentiert die große Politik aus der Perspek-
tive der kleinen Leute. Sein Ansatz ist empirisch und induktiv: Auf- © Provobis 1984
URUGUAY
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Der Urwaldmaler
Vier Jahre auf Humboldts Spuren
„Bis zum heutigen Tag hat noch niemand unsere Land-
schaften mit solcher Wucht gemalt … Seine Malerei ist so
ausdrucksstark und kraftvoll, daß sie gewiß die Aufmerk-
samkeit der hiesigen Maler erwecken wird …“
Alfredo Boulton über Bellermann, 1968
Ferdinand Bellermann, ohne Datum, „Die Guácharo-Höhle“. Öl auf Karton, 35 × 25 cm. Foto: bpk © Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin
Dort entstanden etwa 650 Ölgemälde und
Zeichnungen, oft auf Wunsch Humboldts, der
Bellermann gebeten hatte, bestimmte Pflanzen
Foto: Jörg P. Anders, © Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin
VENEZUELA
35 www.miradas-alemanas.de
Stimmen
zu Lateinamerika
Es ist leicht, in Lateinamerika Mitarbeiter der Spitzenklasse
zu finden, mit denen man „auf Augenhöhe“ verkehrt:
Das macht Spaß!
… zu den „Blicken“ auf ein Land gehören immer auch Das Faszinierende an der Humboldtschen Wissenschaft
Reizworte. Bei Argentinien kommt sofort: Tango. Bei ist ihre Transdisziplinarität, ihre Interkulturalität und ihre Christoph G. Schmitt ist Unternehmer und Hauptgeschäftsführer des
Kolumbien: Guerrilla. Venezuela: Chávez, Revolution, Kosmopolitik. Zudem ist Humboldt durch die jahrzehnte- Lateinamerikavereins der Deutschen Wirtschaft mit Sitz in Hamburg.
Bolívar … Bei Venezuela fällt einem natürlich auch lange Beschäftigung mit Globalisierungsphänomenen den
Humboldt ein, aber meistens viel später … Das sind lauter aktuellen Theoriebildungen in vielen Dingen noch voraus. Jeder schaut in die andere Region durch seine eigene
Reizworte, die vieles verdecken … und „den“ Blick auf Ich finde ihn ungeheuer inspirierend, weil er Globalisierung kulturelle Brille … z. B. die durch seine Bildung geprägte.
Lateinamerika gibt es nicht. Die Lateinamerikabilder als Prozess de longue durée untersucht, weil er dessen Da steht Humboldt für Lateinamerika oder die Auswan-
„in den Köpfen“ entsprechen oft tatsächlichen Bildern Vorgeschichte bedenkt, mindestens seit Kolumbus, seine derung nach Südbrasilien oder Chile … oder ein anderes,
– zum Beispiel fotografischen. Was ich als Fotograf gern Globalisierungstheorie also aus einer historischen Perspek- medial geprägtes Bild: das Lateinamerika der Drogen-
zeigen möchte, ist der ständige Wandel hier [in Buenos tive entwickelt. Wenn wir heute Humboldt lesen, verstehen kartelle, Diktatoren und Guerrilleros. Und der wirtschaft-
Aires] – etwa am Beispiel der Häuser. Zwischen all den wir wenigstens, dass Globalisierung kein Prozess ist, der lich geprägte Blick sieht Lateinamerika als einen Markt,
Hochhäusern die Überbleibsel des Jugendstils, des Neo- irgendwann in den 1980er Jahren angefangen hat. Dabei auf dem VW und andere deutsche Unternehmen erfolg-
klassizismus … wunderbare Kontraste. Eigentlich gibt ist Humboldts Blick auf die Neue Welt ein offener, dialogi- reich sind. Man braucht ein adäquateres Bild als das aus
es keinen architektonisch oder stilistisch einheitlichen scher Blick; auch ein selbstkritischer Blick, da er sich – bei dem Internet. Das gilt nicht nur für Lateinamerika: Augen
Straßenzug; immer ist etwas Fremdes oder Modernes aller Mobilität – seiner Standpunkte stets bewusst ist. Sein auf, neugierig sein, unvoreingenommen Zustände hinter-
dazwischen. Diese Vielfältigkeit ist reizvoll und spannend Denken ist nie statisch, sondern immer in Entwicklung. fragen – und zwar nicht nur, „Warum sind die Dinge so?“
– und auch paradigmatisch für das Ganze. In den Tagebüchern steht, was er – z. B. über die Indigenen sondern: „Warum sehe ich sie so?“ Das ist der große Nach-
in Amerika – zu einem bestimmten Zeitpunkt einfach teil der Medien-beladenen Welt: Niemand hinterfragt mehr
festhalten will, und darunter können sehr wohl Vorurteile wirklich. Unsere schnelle, digitalisierte Zeit ist tatsächlich
sein. Aber es ist bedeutsam, dass er vieles nicht in die „overnewsed – but underinformed“. Uns wirklich – z. B.
Druckform übernimmt. Das hat nichts mit political correct- mit einer Region – beschäftigen, uns austauschen, in die
ness zu tun, die es damals so auch gar nicht gab, sondern Tiefe gehen; das geht nur noch, wenn man loslassen kann
es zeigt, wie er das Ganze peu à peu in einen komplexeren und eintauchen in eine Geschichte …
Denkzusammenhang einbaut ... wie er die eigenen Posi-
tionen nach und nach revidiert. Insofern ist er auch dyna-
misch … er versucht ständig, den eigenen Blick, den er
bewusst markiert, zu transformieren, zu verändern.
auch seine Literatur verändert. Deshalb suche ich immer Daneben gibt es unser großes Programm „Kultur und inspirierenden Austausch.
weiter. Es wird mir viel zugeschickt, aber dieses Suchen Entwicklung“, das die nötige Infrastruktur für kulturelles Die Bundesregierung will die politischen Beziehungen
will ich mir erhalten. Und das Prinzip, kein Buch zu publi- Arbeiten befördern soll: Wir bilden Museumskuratoren durch eine neue Lateinamerikapolitik noch aktiver gestal-
zieren, das ich nicht gern und nicht ganz gelesen habe. aus, Bibliothekare, Theatermacher und Medienspezialisten ten. Denn Deutschland und die Europäische Union wollen
Das ist nicht einfach, aber „sólo lo difícil es estimulante“ … auch als unsere späteren Partner. als Partner den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und
(Lezama Lima). Über die Literatur versteht man Land und Eigentlich reicht es ja, sich auf das ungeheure kulturelle politischen Fortschritt unterstützen, für den die Menschen
Leute, Literatur baut Brücken. Ich verstehe mich gern als Potential Lateinamerikas einzulassen und eine Art Lernge- in Lateinamerika Opfer gebracht haben, für den sie arbeiten
ein kleiner Brückenbauer. meinschaft zu bilden. Wir haben das schon oft bemerkt: und in den wir gemeinsam unsere Hoffnung setzen.
„Miradas alemanas hacia América Latina – Deutsche Blicke auf Lateiamerika“ Leitung: Barbara Göbel
Ausstellung und Themenportal des Ibero-Amerikanischen Instituts, Berlin, Koordination: Bruno Illius
Texte: Bruno Illius und Mitarbeiter
Design: Frank Lange
BICENTENARIO
LATINO
ALEMÁN © Ibero-Amerikanisches Institut und Auswärtiges Amt 2009
im Auftrag des Auswärtigen Amtes zur Würdigung der „Bicentenarios“
36 lateinamerikanischer Staaten.