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Seine Lehre von der ewigen Wiederkunft des Gleichen hätte Nietzsche
mit Recht als ein ausgezeichnetes Beispiel für die Bestätigung dieser Lehre
selbst anführen können. Es würde genügen, hätte er nur deren geistesge-
schichtlichen Hintergrund etwas stärker hervorgehoben, hätte er deren Ur-
sprung in der näheren und ferneren Vergangenheit etwas vollständiger ge-
klärt. Daß Nietzsche es unterlassen hat, so zu verfahren, und sich statt dessen
damit begnügte, bloß auf die „Spuren" seiner Lehre bei den Stoikern, bzw,
beim stoisch gedeuteten Heraklit hinzuweisen1, bedeutet keineswegs, daß er
sich dieser Möglichkeit nicht bewußt war. Im Gegenteil, sehr gut wußte
dieser „letzte Jünger und Eingeweihte des Gottes Dionysos"2, daß der
Wiederkunftsgedanke selbst in der Geschichte des Denkens fortwährend
wiederkehrt. In diesem Sinne behauptete er, daß eine „eingeborene Syste-
matik und Verwandtschaft der Begriffe" bestehe, daß sich ein „gewisses
Grundschema von möglichen Philosophien" immer wieder ausfülle, daß das
philosophische Denken notwendig auf den „fernen uralten Gesammt-Haus-
halt der Seele"3 gerichtet sei. Er hielt es sogar für erforderlich, offen auf die
„wunderliche Familien-Ähnlichkeit alles indischen, griechischen, deutschen
Philosophirens"4 hinzuweisen. Wenn er auch dabei seinen „abgründlichen
Gedanken" nicht ausdrücklich erwähnt hat, sondern sich auf einen ganz
allgemeinen Hinweis beschränkte, brachte Nietzsche auf diese Weise doch
klar genug zur Kenntnis, daß seine Lehre im Verhältnis zur früheren Ent-
wicklung des Denkens mehr als „Wiedererkennen" denn als „Entdecken"5
aufzufassen sei, daß darin eher „Wiederholung" als „Fortschritt" zu sehen
sei.
Auf den ersten Blick könnte es scheinen, daß hier etwas nicht stimmt,
daß dieser Schluß verfrüht ist. Zunächst deshalb, weil es schwer fallt, diesen
* Dieser Aufsatz gibt den Text eines Vortrage* wieder« der bei einer Tagung der Europäischen
Nietzscbe^sdlschaft in St. Moritz im September 1977 gehalten wurde.
1
EH. KGW VI 3, S. 31L
2
JGB, KGW VI 2, S. 248.
» a, a. CXt S. 2«.
4
a. a. O,
4
a. a, O.
2 Mihailo Djuric
6
KGW VI 3, S. 333, 335. Vgl. auch Nachgelassene Fragmente: Frühjahr 1881 bis Sommer
1882, KGW V 2, 11 [141], S. 392, 12 [215], S. 512. Ebenso Nachgelassene Fragmente: Juli
1882 bis Winter 1883-1884, KGW VII l, 5 [1] 205, S. 214: „Unsterblich ist der Augenblick,
wo ich die Wiederkunft zeugte. Um dieses Augenblicks willen erfrage ich die Wiederkunft".
7
KGW V 2, 12 [226], S. 514. Vgl. KGW VII l, 16 [49], S. 541: „Die Lehre der Wiederkehr ist
der Wendepunkt der Geschichte".
Die antiken Quellen der Wiederkunftslehre 3
insofern als der eigentliche Sinn dieser Lehre nicht darin liegt, daß alles was
geschieht, indem es immer auf das Gleiche hinauskommt, mehr oder weniger
gleichgültig ist, sondern daß alles absolut wichtig ist. Mit der Feststellung,
daß der Wiederkunftsgedanke seine eigene Genealogie hat, daß dieser
Gedanke an seinem Denkhorizont plötzlich und nahezu unvermeidlich aufge-
taucht ist, ihn wie ein Blitz treffend, wollte Nietzsche keineswegs seinen
persönlichen Anteil hervorheben, sich irgendetwas als Verdienst zuschreiben8.
Am wenigsten wollte er seine Lehre aus dem Kreis der ewigen Wiederkunft
herausheben, die Kette der Vererbungen, in denen sie sich befand, sprengen,
diese Lehre auf die Stufe eines puren privaten Meinens herabwürdigen. Im
Gegenteil, er wollte jedem möglichen Mißverständnis vorbeugen, und gerade
im Einklang mit dieser Lehre selbst unzweideutig auf die ausgezeichnete
Natur jeder nachträglichen Verkündigung derselben hinweisen.
Nicht zufällig geschah es, daß Nietzsche es unterließ, eine Liste aller
seiner Vorgänger in bezug auf die Wiederkunftslehre zusammenzustellen.
Ebenso war es kein Zufall, daß er es unterließ, näher zu erklären, worin die
wesentliche Verwandtschaft zwischen der seinigen und den früheren Bear-
beitungen dieser Lehre besteht. In der Vergangenheit hat Nietzsche nichts ge-
funden, das ihn befriedigen könnte, das er einfach übernehmen und seinen
Zielen anpassen könnte. Weder in der indischen noch in der griechischen
Philosophie konnte er sich mit den ihm Gleichgesinnten zurechtfinden. Daher
kann man nur bedingt von den antiken Quellen seiner Lehre reden. Sein
ganzes Leben hindurch zeigte Nietzsche ein lebhaftes Interesse für die
indische Philosophie, vor allem für den Buddhismus. Dieses Interesse wurde
bei ihm mittelbar durch seinen ersten Lehrer Schopenhauer erregt, und un-
mittelbar durch seinen Freund Paul Deussen. Trotz seinem dauernden Inter-
esse für den Buddhismus wußte Nietzsche jedoch nicht viel darüber. Sein
Wissen war gänzlich karg und unvollkommen, da es sich hauptsächlich auf
die frühere indische Form des Hinayana- oder Theravada-Buddhismus be-
schränkte9. Mit einem Wort, Nietzsche hatte so wenig Kenntnis von seinen
buddhistischen Vorgängern, daß er durch ihre Lehre gar nicht tiefer angeregt
werden konnte. Als ein klassischer Philologe der Ausbildung nach, kannte
Nietzsche zweifellos viel besser die griechische als die indische Philosophie.
* Vgl. KGW V 2, {144], S. 394: „Wenn der Gedankt der ewigen Wiederkunft aller Dinge
dich nicht überwältigt, so ist es keine Schuld: und es ist kein Verdienst, wenn er es thut".
Anscheinend widerspricht dem doch die folgende Aufzeichnung: „Diese Lehre ist noch nicht
auf Erden gelehn worden: nämlich auf der diesmaligen Erde und im diesmaligen großen
Jahre*4 - Nachgelassene Fragmente: Frühjahr bis Herbst 1SS4, KGW VII 2, 25 (7], S. 7.
9
Näheres über die Ähnlichkeiten und Unterschiedlichkeiten zwischen der Wiederkunftslehre
Nietzsches und der buddhistischen Denkweise« vgl. Ryogt Okochi* „Nietzsches Amor fati im
Lichte von Karma de* Buddhiimu*", Nientche-$t*dien> 1/1972, S. 36-94, bc*. S* «0-93.
Die obige Angabe findet sich auf der S. 39.
4 Mihailo Djuric
10
KGW VI 3, S. 311.
11
Eine Aufzeichnung aus dem Jahr 1881 lautet: „Wer nicht an einen Kreisprozeß des Alls
glaubt, muß an den willkürlichen Gott glauben — so bedingt sich meine Betrachtung im
Gegensatz zu allen bisherigen theistischen!" - KGW V 2, 11 [312], S. 459. Auf das Ver-
hältnis Nietzsches zum Christentum und zur Antike verweist nachdrücklich Karl Löwith,
Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen, Stuttgart 1956, S. 192-193.
12
KGW VI 3, S. 311.
Die antiken Quellen der Wiederkunftsichre 5
Zweifel, daß auch der dunkle Philosoph aus Ephesos kein unmittelbares
Vorbild für den modernen Lehrer der ewigen Wiederkunft war, ebensowenig
wie die angeblichen Erben dieses letzteren.
Es scheint, daß Nietzsche viel stärkere Gründe hatte, über Heraklit als
seinen möglichen Vorgänger zu reden, als den tatsächlichen Zusammenhang
seiner Lehre mit den Auffassungen der Stoiker hervorzuheben. Einen solchen
Eindruck wenigstens gewinnt man bei dem ersten flüchtigen Vergleich der
entsprechenden Quellen. Wenn irgendjemand Nietzsche angeregt hat, die
Welt als ein dionysisches Spiel des ewigen sich-selbst-Erschaffens und
sich-selbst-Zerstörens aufzufassen, so war es Heraklit, wenn irgendjemand
entscheidend auf Nietzsche einwirkte, das Sein mit dem Werden gleichzu-
setzen, das Vergängliche als das Dauernde zu deuten, das Gepräge der Ewig-
keit allem Zeitlichen zu geben, dann war es dieser urwüchsige Denker aus
dem tragischen Zeitalter Griechenlands. Keinem anderen griechischen Philo-
sophen erwies er so viel Achtung wie Heraklit, kein anderer wurde von ihm
so viel gelobt und bewundert wie dieser kühne Gegner aller Beständigkeit,
Dauerhaftigkeit und Unveränderlichkeit. Heraklit war natürlich nicht der
einzige griechische Philosoph, der Nietzsche auf den Gedanken der ewigen
Wiederkunft lenkte, der diesen Gedanken ihm zur Aufgabe machte. Und
doch war er zweifellos der wichtigste unter allen seinen geistigen Vorgängern.
Mag es noch so richtig sein, daß es der „königliche und prachtvolle
Einsiedler des Geistes"13 war, der Nietzsche ermutigte, den Wiederkunftsge-
danken in den Mittelpunkt seines gesamten Philosophierens zu setzen, war
Nietzsche doch nicht im geringsten in irgendwelcher Hinsicht unmittelbar
von Heraklit abhängig. Es handelt sich eher um eine Wahlverwandtschaft als
um eine tatsächliche Anleihe. Diese Folgerung ziehen wir nicht nur daraus,
daß Heraklit eigentlich nur die Lehre vom ständigen Werden vertrat, die der
Wtederkunftslehre sehr nahe liegt, aber nicht identisch mit ihr ist14 — so daß
Nietzsche darin keine fertige Lösung finden konnte — sondern noch mehr
daraus, daß die „Lehre vom Gesetz im Werden and vom Spiel in der
Notwendigkeit"15* die der junge Nietzsche als die wertvollste und
» KGW VI 2, S. 135.
14
Ober die Differenz zwischen der Lehre Nietzsches von der ewigen Wiederkunft dc$ Gleichen
und der Lehre Heraklit$ vom ewigen Fließen aller Dinge, vgL Martin Heidegger, Nietzsche l
(Pfullingem Neske, 1961), S. 406-408. In einer späteren Schrift behauptet freilich Heidegger*
die Wicdcrkunfulchrc „läßt sich innerhalb der abendländischen Philosophie zuerst bei
Heraklit nachweisen**. VgJ. „Wer ist Nietzsches Zarathustra?", Vorträge und Auftäizc J,
Pfullingen 1967, $. H 7, Näheres über die neueren Auseinandersetzungen hinsichtlich der
Lehre vom ewigen Fluß ( ), die traditionell mit dem Namen Herakliu verbunden ist»
vgL W. K, C. Guthric, A ffttt&ry of Gretk Philötophy l (Cambridge: At thc University
Pros, !%2), S. 450-453, 465-469, 488-492.
15
Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen. Nachgelassene Schriften 1870- 1873,
KGW III 2, S, 329.
6 Mihailo Djuric
sammen mit den Stoikern als etwas Selbstverst ndliches an, da Heraklit sich,
wie Anaximander und Empedokles, in kosmogonische Spekulationen einlie ,
und den periodischen Wechsel von Weltzerst rung (έκπύρωσις) und Weltent-
stehung (διακόσμησις der άποκατάστασις oder παλιγγενεσία) lehne18,
obwohl er freilich diese stoischen Ausdr cke selbst nicht gebrauchte. H tte
er jedoch mit etwas mehr Aufmerksamkeit die berlieferten Fragmente des
gro en Vorsokratikers studiert, so h tte Nietzsche leicht einsehen k nnen,
da Heraklit ber keine kosmischen Katastrophen gesprochen hat, die
scheinbar in genau bestimmten Zeitabschnitten wiederkehren, da er vielmehr
ausdr cklich die Ewigkeit der Welt lehrte, so da demzufolge das Ma nach
dem das „Entz nden" und „Verl schen" des Feuers in dem Spiel der Welt
geschieht, nur r umlich, nicht aber zeitlich verstanden werden kann (was
brigens g nzlich im Einklang mit einem klaren und unantastbaren Zeugnis
Platons steht)19*
D rfte es jedoch auch zutreffen, da Heraklit tats chlich die έκπύρωσις-
Lehre vertrat, wie Nietzsche es annahm, w re es nicht minder unangemessen
und unbegr ndet, sich auf ihn in bezug auf die Wiederkunftslehre zu
berufen. Denn in diesem letzteren Falle m te man annehmen, Herakiit habe
einzig behauptet, da der allgemeine Zustand der Welt periodisch wechselt,
da alle Dinge aus Feuer entstehen und wieder im Feuer verschwinden,
gem einem genau festgesetzten Rhythmus, und nicht da dieselben Dinge
und dieselben Verh ltnisse in der Welt unaufh rlich auf dieselbe Weise
wiederkehren. Und dies ist offenkundig bedeutend weniger, wenn schon
nicht auch wesentlich anders als dasjenige, was in der Wiederkunftslehre ent-
halten ist20. Es ist schwer zu verstehen, warum Nietzsche Heraklit als den
m glichen Lehrer der ewigen Wiederkunft heraushob, obwohl dieser nur die
allgemeinsten Denkvoraussetzungen f r diese Lehre schuf, w hrend er ber
die Pythagoreer mit Stillschweigen hinwegging, die die Lehre vom unauf-
h rlichen Kreislauf aller Dinge bis in die kleinsten Einzelheiten entwickelten,
d. h. die Lehre von der strengen, ausnahmslosen Wiederkehr des gesamten
innerweltlichen Geschehens* Die Schwierigkeit ist um so gro er, als sich der
junge Nietzsche auch der Verdienste bewu t war, welche den Pythagoreern
« KGW III 2, S. 321. hnlich GA XTX, S. 182. Eine solche M glichkeit nimmt neuerdings auf
Obf Gigon, Der Ursprung der griechischen Philosophie (Basel/Stuttgart 1968), S. 215, 232.
l
* Eine gr ndliche philologische Auslegung des Frg. 30 (22* B 30 DK), in dem Heraklit die Welt
dem lebendigen Feuer gleichsetzt, sowie eine zusammenfassende Einsch tzung der Gr nde,
die daf r oder dagegen sprechen» dem „dunklen" Philosophen die ijc^QoXitg-Lehre iu-
zuschreibe«, find« man bei G. S. Kirk» a. a. Q.t S. 307-324, 335-338. Ober die ver-
schiedenen M glichkeiten der phik>sophiuhen Interpretation desselben Fragments» vgl,
Martin Heidegger/Eugen Fink, HerakUt (Frankfon/M 1970), S. 41-42, 93—100* 103-113,
116-120, 129-130, 171-172,
56
Die» hat schon Richard Qchlcr, Fncdnch Nittztake und 4** Ven kratik&r(Leipzig J904),
S. ISO, richtig angesehen.
8 MihaiJo Djuric
in dieser Hinsicht zukommen, was klar aus einer Stelle in seiner zweiten
„Unzeitgemässen Betrachtung", die unter dem Titel Vom Nutzen und Nach-
teil der Historie für das Leben veröffentlicht wurde, zu ersehen ist: „Im
Grunde ja könnte das, was einmal möglich war, sich nur dann zum zweiten
Male als möglich einstellen, wenn die Pythagoreer recht hätten zu glauben,
dass bei gleicher Constellation der himmlischen Körper auch auf Erden das
Gleiche, und zwar bis aufs Einzelne und Kleine sich wiederholen müsse: so
dass immer wieder, wenn die Sterne eine gewisse Stellung zu einander haben,
ein Stoiker sich mit einem Epikureer verbinden und Cäsar ermorden und
immer wieder bei einem anderen Stande Columbus Amerika entdecken
wird".21 An dieser Stelle hören wir fast unmittelbar jene spöttische Be-
merkung des Peripatetikers Eudemos, die voi^Simplicius in seinem Kommen-
tar der aristotelischen Physik angeführt wurde: „Wenn den Pythagoreern
Glauben zu schenken ist, dass numerisch gleiche Ereignisse (
) wiederkehren werden, und dass ich auch mit diesem Stäbchen in der
Hand wieder euch, die hier gesammelt seid, unterrichten werde, und dass
ähnlich mit allen übrigen Dingen sein wird, dann ist es sinnvoll zu sagen,
dass sich die Zeit wiederholt"22. Diese Worte sind auch an vielen Stellen im
dritten Teil des Zarathustra sehr klar herauszuhören* in dem Nietzsche am
vollständigsten seine Lehre von der ewigen Wiederkunft des Gleichen ver-
öffentlicht hat. Wir können nur Vermutungen haben, warum der späte
Nietzsche in seiner eingehenden Beschreibung der eigenen philosophischen
Entwicklung seine frühere richtige Bewertung der Pythagoreer als Lehrer der
ewigen Wiederkunft aus dem Gedächtnis verloren hat. Vielleicht darum, weil
es ihm unangenehm war, sich daran zu erinnern, daß er diese Lehre zunächst
als bloßen astrologischen Aberglauben auffaßte23.
Was das Verhältnis zur Stoa betrifft, das in der zitierten Äußerung
Nietzsches auffallend stärker betont ist als.das Verhältnis zu Heraklit, da läßt
sich gegen die dargebotene Erklärung nichts einwenden. Nicht nur, daß
Nietzsche gar nicht fehlging, als er seine Verpflichtung gegen die Stoiker
bekannte, als er erklärte, daß in seiner Lehre stoische „Spuren" zu finden
sind, vielmehr war dies, was er tat, wirklich das beste von allem, was er tun
konnte. Zahlreiche mehr oder weniger vertrauenswürdige Berichte über die
21
ÜB II, KGW III l, S. 257. Vgl. auch Philologica III, GA XIX, S. 222-223.
22
Eudem. phys. B. III fr. 51 (Simpl. ph. 732, 26) = FV I, 58. B 34 Diels-Kranz.
23
Auf den inneren Zusammenhang dieser Kritik des jungen Nietzsche an den Pythagoreern und
seiner späteren Bearbeitung der Wiederkunftslehre verweist Walter Kaufmann, Nietzsche.
Philosopher, Psychologist, Antichrist (New York 1968), S. 319. - Es würde uns zu weit
führen, wollten wir auf die Frage eingehen, warum der späte Nietzsche über Aristoteles als
Lehrer der ewigen Wiederkunft hinwegging, obwohl er in seiner frühen Schaffenszeit nur
noch ihm unter allen griechischen Philosophen eine Variante derselben Lehre zugeschrieben
hat. Vgl. Philologica II, GA XVIII, S. 117.
Die antiken Quellen der Wiederkunftslehre 9
VgL Bernd Magnus* Heidegger's Metabistory of Phüotopby: Amor Fati, Bring and Trutb
(The Hague: M. Nijhoff, 1970), S. 43-44, Etwas Ähnliches deutet an Max Pohlenz, Die Sioa:
Geschichte einer geistigen Bewegung l {Götiingcn 1948), S. 80-81.
!0 Mihailo Djuric
physischen den Vorzug gab. Nichts liegt uns so fern wie ein derartiger
Gedanke. Zwecks Vorbeugung möglicher Mißverständnisse muß man
entschieden betonen* daß Nietzsche viel tiefer und gründlicher über die ewige
Wiederkunft nachdachte als die Stoiker, daß der größte Unterschied zwischen
ihm und den Stoikern gerade darin besteht, daß der moderne Denker iin
Gegensatz zu seinen hellenistischen Vorgängern, jede Einteilung der Philoso-
phie in einzelne Disziplinen ablehnte, so daß er am wenigsten geneigt war,
den Wicderkunftsgedanken auf eine bloß ethische Lehre zurückzuführen25.
Es fällt gleich auf, daß die Stoiker in ihren Äußerungen über die uns hier
interessierende Frage nicht ganz sicher waren. Obwohl sie sehr gut wußten,
daß der periodische Wechsel von und ein unab-
wendbares Gesetz ist, das die ganze Welt zusammen mit allen sich darin be-
findlichen Dingen betrifft, waren sie doch ziemlich schwankend in ihrer Ab-
schätzung der Auswirkungen dieses Gesetzes auf den Menschen und das
menschliche Leben. Oder wenigstens wechselten diese ihre Abschätzungen
gewissermaßen im Laufe der Zeit. Es können zumindest drei Grundstufen in
der stoischen Auffassung des menschlichen Schicksals in bezug auf den Kreis-
lauf der Dinge unterschieden werden. Die Vertreter der alten Schule, be-
sonders Zenon und Chrysipp, nahmen jenes „Gleiche" im Sinne der
numerischen Gleichheit, und lehnen dementsprechend eine wortwörtliche
Wiederholung des menschlichen Lebens, d. h. die ständige Wiederkehr der
schon einmal früher lebenden Einzelnen. Wenn Tatianus, einem christlichen
Schriftsteller aus dem zweiten Jahrhundert Glauben zu schenken ist, so
behauptete der Gründer der Stoa, daß „nach dem Weltbrand dieselben-
Menschen wiederkehren werden, um dieselben Taten zu verrichten: Anytos
und Meletos zu beschuldigen, Bousiris um Fremde zu ermorden, und
Herakles um Athletik zu betreiben"26. Ähnlich dachte auch Chrysipp, dem
Alexander von Aphrodisias es zuschreibt, gesagt zu haben, daß „nach dem
Weltbrand wieder alle Dinge in der Welt entstehen werden, und zwar
numerisch identische ( 9 ); ebenso wird jeder Einzelne wieder
entstehen, ebenderselbe der in der vorhergegangenen Welt da war"27. Offen-
sichtlich war der Standpunkt der Stoiker ein streng deterministischer, was
auch Nemesios bestätigt: „Es wird nichts Fremdes da sein, gegenüber dem-
25
Daß Nieasche immer das Ganze der Bezüge des Menschen zum Seienden und zu sich selbst
vor Augen hatte, und nicht nur die praktische Tätigkeit im Sinne des moralischen Handelns,
darauf hat Martin Heidegger, Nietzsche I, S. 273, nachdrücklich hingewiesen. Eine etwas ab-
weichende Ansicht vertritt Michel Guerin, Nietzsche. Soaate heroique (Paris: Grasset, 1975),
S, 282.
26
Tatianus adv. Graec. c. 5 * SVF I, 109 Arnim.
27
Alexander Aphrod. comm. in Aristot. Analyt. priora p. 180; 31 Wallies - SVF H, 624
Arnim.
Die antiken Quellen der Wiederkunftslehre 11
jenigen das schon fr her da war, alles wird gleich und unver ndert sein bis in
die kleinsten Einzelheiten4'28.
Wir halten es hier nicht f r n tig, zu untersuchen, wann es dazu ge-
kommen ist, da bei den Stoikern Zweifel an der Richtigkeit dieses extremen
Standpunkts erwachten. Wohl konnte dies sehr fr h vorgekommen sein.
Jedenfalls bezeugt Simplicius, da das Problem der numerischen Identit t
die Aufmerksamkeit der Nachfolger Zenons und Chrysipps sehr ernstlich be-
sch ftigte, da ihnen die Frage: „Bin ich numerisch derselbe jetzt wie
einst?*'29 gro e Sorgen bereitete. Und aus einem Zeugnis des Christen
Origenes erfahren wir, da viele Stoiker aus dieser Verlegenheit einen
Ausweg fanden, indem sie die Folgerung zogen, da „das Gleiche" in ver-
schiedenen kosmischen Perioden nicht Einzahl sondern Mehrzahl bedeute.
Aus den Worten Origenes* folgt, da die Stoiker meinten, „alle Menschen der
n chsten Periode werden mit denjenigen aus der vorhergehenden v llig gleich
sein (απαράλλακτους), jedoch derart da es nicht wieder Sokrates sein wird,
sondern ein Mensch, der dem Sokrates gleich sein wird, der wird eine Frau
heiraten, die der Xanthippe gleich sein wird, und er wird von Menschen
angeklagt sein, die Anytos und Meletos gleich sein werden"30. Die dritte
Stufe in der stoischen Auffassung des menschlichen Schicksals in bezug auf
den Kreislauf der Dinge ist im Verh ltnis zu den beiden vorherigen noch
erheblich mehr elastisch. Die m igsten und bed chtigsten Stoiker, wahr-
scheinlich Vertreter der mittleren Schule, gingen noch einen Schritt weiter,
indem sie annahmen, da es auch keine vollkommene bereinstimmung
zwischen einzelnen Menschen aus verschiedenen kosmischen Perioden gebe.
Nicht nur, da die sp teren Einzelnen nicht numerisch identisch mit den vor-
hergehenden sein werden, sondern sie werden auch nicht nur zeitlich und
rumlich von ihnen verschieden sein. Zwischen Einzelnen, die verschiedenen
Welten angeh ren, werden gewisse konsumtive Unterschiede bestehen, seien
es auch ganz belanglose. Indem jedoch dies „nur Unterschiede hinsichtlich ge-
wisser u eren Merkmale sein werden" (παραλλαγάς μόνον γίνεσθαι κατά
τίνα των έξωθεν συμβεβεκότων) — wie die Stoiker nach einem Bericht des
Alexander von Aphrodisias gesprochen haben — wird das Bestehen dieser
Unterschiede das Leben dieser Einzelnen im Vergleich zu ihren Vorg ngern
nicht wesentlich ver ndern31. Von den Stoikern, die das Bestehen unbe-
deutender Unterschiede zwischen kosmischen Perioden anerkannten, sagt
32
Origines contra Celsum V 20 Vol. II p. 21, 23 Kö. (p. 592 Del.) = SVF II, 626 Arnim.
33
Zum Folgenden vgl. Eugen Fink, Nietzsches Philosophie, Stuttgart 1973, S. 92, 98-100,
102-103.
34
Kennzeichnend ist die folgende Stelle: „Meine Lehre sagt: so leben, daß du wünschen mußt,
wieder zu leben ist die Aufgabe - du wirst es jedenfalls*" - KGW V 2, 11 [163], S. 403..
Angesichts der tieferen philosophischen Bedeutung der Wiederkunftslehre Nietzsches kann
man schwerlich der Ansicht von Bernd Magnus, a. a. O., S. 46—47, beipflichten, daß die
Kritik, die Nietzsche an der Stoa geübt hat — „Und gesetzt, euer Imperativ ,gemäss der
Natur leben* bedeute im Grunde soviel als ,gemass dem Leben leben* ·*- wie könntet ihr's
denn nicht! Wozu ein Princip aus dem machen, was ihr selbst seid und sein müsst?" KGW VI
2, S. 16 — in letzter Instanz auch ihn selbst betrifft.
35
Za, KGW VI l, S. 196. (Es gibt auch eine ganze Reihe paralleler Stellen im Nachlaß:) Vgl. im
folgenden Oskar Becker, Nietzsches Beweise für seine Lehre von der ewigen Wiederkunft, in:
Blätter für deutsche Philosophie, 9 (1935/36), S. 368-387, bes. S. 376-384.
36
Darin, daß die Welt keine unendlich schöpferische Kraft hat, findet Nietzsche übrigens einen
schlagenden Beweis für seine nihilistische These, daß „Gott tot'* ist. Vgl. KGW VII 3, 36
[15], S. 280-281.
Die antiken Quellen der Wiederkunftslehre 13
seiner Ewigkeit, Unter der Sonne gibt es nichts, das absolut einmalig und
unwiederholbar wäre. Es gibt sogar kein erstes, ursprüngliches Vorkommnis,
das jeder Wiederholung zugrunde läge, nach dem der gegebene tatsächliche
Zustand als dessen Abbild bestimmt werden könnte. Kein innerweltliches
Ding und kein innerweltliches Ereignis haben ihren Anfang in der Zeit, nie
waren sie in einer angeblich ursprünglichen Form anwesend. Alles war schon
da, und zwar nicht einmal, sondern unzählige Male, und wiederholt kann es
gerade deshalb werden, weil es immer schon dagewesen ist.
Im Unterschied zu den Stoikern, die eine ganze Skala von Gesichts-
punkten in bezug auf das Problem der Wiederholbarkeit des Menschenlebens
in sukzessiven Weltperioden entwickelt hatten, war Nietzsche in dieser
Hinsicht völlig kategorisch und unerschütterlich. Bei ihm gab es keine
Zweifel darüber, daß „das grosse Jahr des Werdens"37, wie er selbst einen
Gang der Dinge durch die Zeit nannte, vollkommen allen solchen Jahren ent-
spricht, und zwar bis zur Unkenntlichkeit, so daß „das Gleiche", das in allen
diesen Jahren wiederkehrt, letzten Endes nur „das Selbe" sein kann38. In
diesem Sinne sagt Zarathustra: „Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit
dieser Erde, mit diesem Adler, mit dieser Schlange — nicht zu einem neuen
Leben oder besseren Leben oder ähnlichen Leben: — ich komme ewig wieder
zu diesem gleichen und selbigen Leben, im Grössten und auch im Kleinsten,
dass ich wieder aller Dinge ewige Wiederkunft lehre"39. Ähnlich drückt sich
auch der Dämon aus der Fröhlichen Wissenschaft aus: „,Dieses Leben, wie
du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige
Male leben müssen; und es wird nichts Neues daran sein, sondern jeder
Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglich
Kleine und Grosse deines Lebens muss dir wiederkommen, und Alles in der-
selben Reihe und Folge — und ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht
zwischen den Bäumen, und ebenso dieser Augenblick und ich selber. Die
ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht — und du mit ihr,
Stäubchen vom Staube!*"40. Diese starke Hervorhebung der unausweich-
lichen Wiederholbarkeit des scheinbar Unwiederholbaren, diese kühne Be-
jahung der unaufhaltsamen Periodizität des endlichen faktischen Daseins,
diese seltsame Verherrlichung der unvergänglichen Vergänglichkeit des
Einmalig-Individuellen, des hier und jetzt Gegebenen, dessen, was auf einem
bestimmten Ort der raum-zeitlichen Koordinaten erscheint ~ all das gibt der
Nietzscheschen Wiederkunftslehre ein ganz besonderes Gepräge. Dieser
** KGW VI i f S. 272.
** Näheres darüber, obwohl in etwas anderer Hinsicht, bei Joan Sumbaugh, Untersuchungen
z*m Problem der Z*U bei Nktztchc {Den Haag: M. Nijhotf, 1959), S. 219-222.
* KG W VI 1.S. 272.
** FW. KGW V 2, S, 25C.
14 Mihailo Djuric
41
Eugen Fink, a. a. O., S. 186-187.
Die antiken Quellen der Wiederkunftslehre 15
trotz seiner deutlichen Versicherung, daß das „gleiche Haus des Seins"46
ewig aufgebaut wird, daß ein und derselbe Weltzustand periodisch wieder-
kehrt, daß man unzählige Male ein und dasselbe Leben durchleben muß. Um
aus jenem Dilemma (welches übrigens die Wiederkunftslehre auch unab-
hängig von ihrer stoischen Bearbeitung begleitet) wirklich herauszukommen,
müßte man die temporale Struktur der Welt begrifflich näher fixieren,
man sollte über die Aporie der „abgelaufenen Ewigkeit", d. h. der aktualen
Unendlichkeit ernsthaft nachdenken, man müßte über den Begriff der Zeit als
einer bauenden und zerstörenden Macht, als eines dionysischen Spiels der
Welt gründlich reflektieren47. In vollem Bewußtsein der Unzulänglichkeit
und Ungeeignetheit der überlieferten Denkmittel der Metaphysik für eine
solche Aufgabe, hat aber Nietzsche etwas ganz- anderes geleistet. Er hat sich
bekanntlich in tiefgehende naturwissenschaftliche Betrachtungen eingelassen,
da er leichtsinnig annahm, der Satz von der Erhaltung der Energie fordere die
ewige Wiederkehr48. Die relativ große Gruppe der höchst scharfsinnigen und
miteinander fest verknüpften Aufzeichnungen in Nietzsches Nachlaß
(insbesondere im Nachlaß aus der Zeit der Fröhlichen Wissenschaft) zeigt ganz
deutlich, daß die naturwissenschaftliche Seite der Wiederkunftslehre in einem
Augenblick fast vollkommen seinen Denkhorizont getrübt hat. Vielleicht hat
Nietzsche auf die Veröffentlichung dieser Aufzeichnungen verzichtet, weil er
nachträglich eingesehen hat, die ewige Wiederkunft lasse sich überhaupt nicht
auf eine bloße naturwissenschaftliche Hypothese reduzieren, geschweige
denn unter Berufung auf die neuesten Ergebnisse der Physik beweisen. Oder
vielleicht auch deshalb, weil er mit der Zeit zur Einsicht gekommen ist, daß'
seine naturwissenschaftlichen Beweise gar nichts beweisen, da sie auf einer
ganzen Reihe von Voraussetzungen beruhen* deren Zutreffen erst auf
Grund umfassender naturwissenschaftlicher Untersuchungen überprüft
werden muß. Jedenfalls brauchte sich Nietzsche nicht im geringsten in die
moderne Naturwissenschaft zu verirren, um uns vom relativ hohen Grade
der Unabhängigkeit seiner Bearbeitung der ewigen Wiederkunft von den
antiken philosophischen Quellen zu überzeugen.
46
KGW VI l, S, 269. .
47
Eugen Fink, a. a. O., S. 99.
48
Nachgelassene Fragmente: Herbst 1885 bis Herbst 1887, KGW VIII l, 5 [54], S. 209. Daß
die naturwissenschaftlichen Beweise Nietzsches keinen streng naturwissenschaftlichen,
sondern vielmehr einen philosophischen Charakter haben, da im Beweisgang von der Kraft,
Bewegung, Raum und Zeit, also von den Voraussetzungen der Naturwissenschaft die Rede
ist, führt Martin Heidegger, Nietzsche I, S. 371—375 aus.