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MlHAILO DjURIO

DIE ANTIKEN QUELLEN DER WIEDERKUNFTSLEHRE*

Seine Lehre von der ewigen Wiederkunft des Gleichen hätte Nietzsche
mit Recht als ein ausgezeichnetes Beispiel für die Bestätigung dieser Lehre
selbst anführen können. Es würde genügen, hätte er nur deren geistesge-
schichtlichen Hintergrund etwas stärker hervorgehoben, hätte er deren Ur-
sprung in der näheren und ferneren Vergangenheit etwas vollständiger ge-
klärt. Daß Nietzsche es unterlassen hat, so zu verfahren, und sich statt dessen
damit begnügte, bloß auf die „Spuren" seiner Lehre bei den Stoikern, bzw,
beim stoisch gedeuteten Heraklit hinzuweisen1, bedeutet keineswegs, daß er
sich dieser Möglichkeit nicht bewußt war. Im Gegenteil, sehr gut wußte
dieser „letzte Jünger und Eingeweihte des Gottes Dionysos"2, daß der
Wiederkunftsgedanke selbst in der Geschichte des Denkens fortwährend
wiederkehrt. In diesem Sinne behauptete er, daß eine „eingeborene Syste-
matik und Verwandtschaft der Begriffe" bestehe, daß sich ein „gewisses
Grundschema von möglichen Philosophien" immer wieder ausfülle, daß das
philosophische Denken notwendig auf den „fernen uralten Gesammt-Haus-
halt der Seele"3 gerichtet sei. Er hielt es sogar für erforderlich, offen auf die
„wunderliche Familien-Ähnlichkeit alles indischen, griechischen, deutschen
Philosophirens"4 hinzuweisen. Wenn er auch dabei seinen „abgründlichen
Gedanken" nicht ausdrücklich erwähnt hat, sondern sich auf einen ganz
allgemeinen Hinweis beschränkte, brachte Nietzsche auf diese Weise doch
klar genug zur Kenntnis, daß seine Lehre im Verhältnis zur früheren Ent-
wicklung des Denkens mehr als „Wiedererkennen" denn als „Entdecken"5
aufzufassen sei, daß darin eher „Wiederholung" als „Fortschritt" zu sehen
sei.
Auf den ersten Blick könnte es scheinen, daß hier etwas nicht stimmt,
daß dieser Schluß verfrüht ist. Zunächst deshalb, weil es schwer fallt, diesen
* Dieser Aufsatz gibt den Text eines Vortrage* wieder« der bei einer Tagung der Europäischen
Nietzscbe^sdlschaft in St. Moritz im September 1977 gehalten wurde.
1
EH. KGW VI 3, S. 31L
2
JGB, KGW VI 2, S. 248.
» a, a. CXt S. 2«.
4
a. a. O,
4
a. a, O.
2 Mihailo Djuric

Schluß mit Nietzsches ausdrücklicher Behauptung in Verbindung zu bringen,


daß der Wiederkunftsgedanke seine eigene Erzeugung sei, daß ihm dieser Ge-
danke in einem ganz besonderen Augenblick der Inspiration in den Sinn ge-
kommen war, daß er von ihm gleichsam überfallen worden ist wie von etwas
Unerhörtem, Furchtbarem, Ungeheuerem6. Wenn Nietzsche tatsächlich nur
etwas längst bekanntes „wiederholt" hat, etwas was andere vor ihm entdeckt
haben, wie kommt es dann, daß der Wiederkunftsgedanke sein Wesen so tief
erschütterte, daß das Erleben dieses Gedankens eine so tiefe Spur in seinem
Leben hinterließ? Ferner, und nicht weniger wichtig, wenn es stimmt, daß der
Wiederkunftsgedanke schon längst unter den Menschen kreist, warum
erwartete Nietzsche so viel von dessen Wiederverkündigung, warum war er
überzeugt, daß dieser Gedanke die Mensch^riwelt erst durch seine nach-
trägliche Bearbeitung umwandeln wird? Beging er damit nicht einen unver-
zeihlichen Fehler, war dies nicht ein arger Verstoß gegen die Lehre von der
ewigen Wiederkunft selbst? Wäre es nicht angemessener gewesen, würde es
nicht mehr dem Sinn und Wort dieser Lehre entsprechen, hätte er ein-
gehender aufgezeigt, was alles seine Vorgänger in dieser Hinsicht erreicht
haben, anstatt nur seine eigene Denkerfahrung so peinlich genau zu be-
schreiben? Ist die Tatsache selbst, daß Nietzsche eine so große Bedeutung
seiner eigenen Behandlung der ewigen Wiederkunft beigemessen hat, nicht
ein schlagender Beweis dafür, daß hier nicht die Rede von einem „Wieder-
erkennen", noch weniger von einer „Wiederholung" irgendwelcher uralten
Form des Denkens und Glaubens sein kann, sondern daß es sich hier um eine
originale Einsicht handelt?
Es besteht eigentlich kein Widerspruch zwischen dem unzweifelhaft
atavistischen Charakter der Wiederkunftslehre und Nietzsches emphatischen
Hinweis auf das Einmalige und Unwiederholbare des Augenblicks, in dem er
seine Bekehrung erlebte. Eine objektiv stereotype Denkfigur kann sehr wohl
der Kernpunkt eines einzigartigen Denkerlebnisses werden. Nicht nur daß
die „Wiederholung" nicht eine Sache der reinen Routine ist, vielmehr ist sie
ein Ebenbild des ursprünglichen Schaffens. Erst recht besteht kein
Widerspruch zwischen dem nominalen Inhalt der Wiederkunftslfchre und
Nietzsches pathetischer Behauptung, daß diese Lehre die menschliche
Situation von Grund aus ändert, daß sie die Geschichte in zwei Teile zer-
legt, daß sie den Anfang einer „anderen Geschichte"7 bezeichnet. Dies

6
KGW VI 3, S. 333, 335. Vgl. auch Nachgelassene Fragmente: Frühjahr 1881 bis Sommer
1882, KGW V 2, 11 [141], S. 392, 12 [215], S. 512. Ebenso Nachgelassene Fragmente: Juli
1882 bis Winter 1883-1884, KGW VII l, 5 [1] 205, S. 214: „Unsterblich ist der Augenblick,
wo ich die Wiederkunft zeugte. Um dieses Augenblicks willen erfrage ich die Wiederkunft".
7
KGW V 2, 12 [226], S. 514. Vgl. KGW VII l, 16 [49], S. 541: „Die Lehre der Wiederkehr ist
der Wendepunkt der Geschichte".
Die antiken Quellen der Wiederkunftslehre 3

insofern als der eigentliche Sinn dieser Lehre nicht darin liegt, daß alles was
geschieht, indem es immer auf das Gleiche hinauskommt, mehr oder weniger
gleichgültig ist, sondern daß alles absolut wichtig ist. Mit der Feststellung,
daß der Wiederkunftsgedanke seine eigene Genealogie hat, daß dieser
Gedanke an seinem Denkhorizont plötzlich und nahezu unvermeidlich aufge-
taucht ist, ihn wie ein Blitz treffend, wollte Nietzsche keineswegs seinen
persönlichen Anteil hervorheben, sich irgendetwas als Verdienst zuschreiben8.
Am wenigsten wollte er seine Lehre aus dem Kreis der ewigen Wiederkunft
herausheben, die Kette der Vererbungen, in denen sie sich befand, sprengen,
diese Lehre auf die Stufe eines puren privaten Meinens herabwürdigen. Im
Gegenteil, er wollte jedem möglichen Mißverständnis vorbeugen, und gerade
im Einklang mit dieser Lehre selbst unzweideutig auf die ausgezeichnete
Natur jeder nachträglichen Verkündigung derselben hinweisen.
Nicht zufällig geschah es, daß Nietzsche es unterließ, eine Liste aller
seiner Vorgänger in bezug auf die Wiederkunftslehre zusammenzustellen.
Ebenso war es kein Zufall, daß er es unterließ, näher zu erklären, worin die
wesentliche Verwandtschaft zwischen der seinigen und den früheren Bear-
beitungen dieser Lehre besteht. In der Vergangenheit hat Nietzsche nichts ge-
funden, das ihn befriedigen könnte, das er einfach übernehmen und seinen
Zielen anpassen könnte. Weder in der indischen noch in der griechischen
Philosophie konnte er sich mit den ihm Gleichgesinnten zurechtfinden. Daher
kann man nur bedingt von den antiken Quellen seiner Lehre reden. Sein
ganzes Leben hindurch zeigte Nietzsche ein lebhaftes Interesse für die
indische Philosophie, vor allem für den Buddhismus. Dieses Interesse wurde
bei ihm mittelbar durch seinen ersten Lehrer Schopenhauer erregt, und un-
mittelbar durch seinen Freund Paul Deussen. Trotz seinem dauernden Inter-
esse für den Buddhismus wußte Nietzsche jedoch nicht viel darüber. Sein
Wissen war gänzlich karg und unvollkommen, da es sich hauptsächlich auf
die frühere indische Form des Hinayana- oder Theravada-Buddhismus be-
schränkte9. Mit einem Wort, Nietzsche hatte so wenig Kenntnis von seinen
buddhistischen Vorgängern, daß er durch ihre Lehre gar nicht tiefer angeregt
werden konnte. Als ein klassischer Philologe der Ausbildung nach, kannte
Nietzsche zweifellos viel besser die griechische als die indische Philosophie.

* Vgl. KGW V 2, {144], S. 394: „Wenn der Gedankt der ewigen Wiederkunft aller Dinge
dich nicht überwältigt, so ist es keine Schuld: und es ist kein Verdienst, wenn er es thut".
Anscheinend widerspricht dem doch die folgende Aufzeichnung: „Diese Lehre ist noch nicht
auf Erden gelehn worden: nämlich auf der diesmaligen Erde und im diesmaligen großen
Jahre*4 - Nachgelassene Fragmente: Frühjahr bis Herbst 1SS4, KGW VII 2, 25 (7], S. 7.
9
Näheres über die Ähnlichkeiten und Unterschiedlichkeiten zwischen der Wiederkunftslehre
Nietzsches und der buddhistischen Denkweise« vgl. Ryogt Okochi* „Nietzsches Amor fati im
Lichte von Karma de* Buddhiimu*", Nientche-$t*dien> 1/1972, S. 36-94, bc*. S* «0-93.
Die obige Angabe findet sich auf der S. 39.
4 Mihailo Djuric

Aber, obwohl es fast keinen größeren griechischen Philosophen gibt, mit


dem sich Nietzsche nicht beschäftigt, auf den er sich nicht berufen und mit
ihm polemisiert hätte, so könnte man doch schwerlich von irgendeinem
dieser Philosophen sagen, er habe einen Einfluß auf ihn ausgeübt in dem
Sinne, daß er ihm unmittelbar die eigene Betrachtungsweise der ewigen
Wiederkunft aufgedrängt hätte. Insofern war es kein Fehlgriff, daß Nietzsche
viele seiner Vorgänger in bezug auf diese Lehre verschwieg. Niemandem
gegenüber fühlte er sich als Schuldner, denn tatsächlich war er von nieman-
dem abhängig. Auf den Gedanken von der ewigen Wiederkunft lenkte ihn
nicht so sehr das Lesen fremder Bücher, sondern vielmehr die Erfahrung der
Unerträglichkeit des Lebens.
In seiner autobiographischen Schrift Eccehomo, an einer wohlbekannten
Stelle, die wir schon am Anfang unserer Auslegung erwähnt haben, be-
zeichnet Nietzsche nur Heraklit und die Stoiker als Vorgänger seiner Lehre.
Niemand anderen und niemand mehr. Er muß starke Gründe dafür gehabt
haben, als er sich entschloß, nur ihn und sie unter allen anderen hervorzu-
heben. (Es sei denn, daß er sie als seine Vorgänger nur beispielsweise ange-
führt hat.) Man muß zwar hinzufügen, daß sich Nietzsche über diese
Angelegenheit sehr vorsichtig ausgedrückt hat. Die Form seiner Äußerung
schließt jede Möglichkeit von unmittelbarem Einfluß und Anleihe aus. Nach
den Worten Nietzsches »könnte (die Wiederkunftslehre) zuletzt auch schon
von Heraklit gelehrt worden sein", während bei den Stoikern „zum
Mindesten" so etwas wie „Spuren" dieser Lehre zu finden sind10. Diese
ungezwungene, um nicht zu sagen ganz unverbindliche Formulierung
bezeugt unzweideutig, daß sich Nietzsche nicht für einen Fortsetzer oder
Nachfolger von irgendjemandem hielt. Selbst seinen einzeln genannten Vor-
gängern zollte er keine uneingeschränkte Anerkennung, vielmehr fand er, daß
seine Lehre nur in einem fernen und vagen Abhängigkeitsverhältnis zu deren
Bearbeitung stehe. Als wäre es ihm nur daran gelegen, im Gegensatz zum
Christentum seine tiefe Ergebenheit der Antike hervorzuheben11, und nichts
mehr als das. Und obwohl Nietzsche den großen Vorsokratiker viel höher
schätzte als die späthellenistischen Sprößlinge des griechischen Geistes — was
leicht aus seinen Worten, daß die Stoiker „fast alle ihre grundsätzlichen Vor-
stellungen von Heraklit geerbt" haben12, zu erseheil ist — besteht doch kein

10
KGW VI 3, S. 311.
11
Eine Aufzeichnung aus dem Jahr 1881 lautet: „Wer nicht an einen Kreisprozeß des Alls
glaubt, muß an den willkürlichen Gott glauben — so bedingt sich meine Betrachtung im
Gegensatz zu allen bisherigen theistischen!" - KGW V 2, 11 [312], S. 459. Auf das Ver-
hältnis Nietzsches zum Christentum und zur Antike verweist nachdrücklich Karl Löwith,
Nietzsches Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen, Stuttgart 1956, S. 192-193.
12
KGW VI 3, S. 311.
Die antiken Quellen der Wiederkunftsichre 5

Zweifel, daß auch der dunkle Philosoph aus Ephesos kein unmittelbares
Vorbild für den modernen Lehrer der ewigen Wiederkunft war, ebensowenig
wie die angeblichen Erben dieses letzteren.
Es scheint, daß Nietzsche viel stärkere Gründe hatte, über Heraklit als
seinen möglichen Vorgänger zu reden, als den tatsächlichen Zusammenhang
seiner Lehre mit den Auffassungen der Stoiker hervorzuheben. Einen solchen
Eindruck wenigstens gewinnt man bei dem ersten flüchtigen Vergleich der
entsprechenden Quellen. Wenn irgendjemand Nietzsche angeregt hat, die
Welt als ein dionysisches Spiel des ewigen sich-selbst-Erschaffens und
sich-selbst-Zerstörens aufzufassen, so war es Heraklit, wenn irgendjemand
entscheidend auf Nietzsche einwirkte, das Sein mit dem Werden gleichzu-
setzen, das Vergängliche als das Dauernde zu deuten, das Gepräge der Ewig-
keit allem Zeitlichen zu geben, dann war es dieser urwüchsige Denker aus
dem tragischen Zeitalter Griechenlands. Keinem anderen griechischen Philo-
sophen erwies er so viel Achtung wie Heraklit, kein anderer wurde von ihm
so viel gelobt und bewundert wie dieser kühne Gegner aller Beständigkeit,
Dauerhaftigkeit und Unveränderlichkeit. Heraklit war natürlich nicht der
einzige griechische Philosoph, der Nietzsche auf den Gedanken der ewigen
Wiederkunft lenkte, der diesen Gedanken ihm zur Aufgabe machte. Und
doch war er zweifellos der wichtigste unter allen seinen geistigen Vorgängern.
Mag es noch so richtig sein, daß es der „königliche und prachtvolle
Einsiedler des Geistes"13 war, der Nietzsche ermutigte, den Wiederkunftsge-
danken in den Mittelpunkt seines gesamten Philosophierens zu setzen, war
Nietzsche doch nicht im geringsten in irgendwelcher Hinsicht unmittelbar
von Heraklit abhängig. Es handelt sich eher um eine Wahlverwandtschaft als
um eine tatsächliche Anleihe. Diese Folgerung ziehen wir nicht nur daraus,
daß Heraklit eigentlich nur die Lehre vom ständigen Werden vertrat, die der
Wtederkunftslehre sehr nahe liegt, aber nicht identisch mit ihr ist14 — so daß
Nietzsche darin keine fertige Lösung finden konnte — sondern noch mehr
daraus, daß die „Lehre vom Gesetz im Werden and vom Spiel in der
Notwendigkeit"15* die der junge Nietzsche als die wertvollste und
» KGW VI 2, S. 135.
14
Ober die Differenz zwischen der Lehre Nietzsches von der ewigen Wiederkunft dc$ Gleichen
und der Lehre Heraklit$ vom ewigen Fließen aller Dinge, vgL Martin Heidegger, Nietzsche l
(Pfullingem Neske, 1961), S. 406-408. In einer späteren Schrift behauptet freilich Heidegger*
die Wicdcrkunfulchrc „läßt sich innerhalb der abendländischen Philosophie zuerst bei
Heraklit nachweisen**. VgJ. „Wer ist Nietzsches Zarathustra?", Vorträge und Auftäizc J,
Pfullingen 1967, $. H 7, Näheres über die neueren Auseinandersetzungen hinsichtlich der
Lehre vom ewigen Fluß ( ), die traditionell mit dem Namen Herakliu verbunden ist»
vgL W. K, C. Guthric, A ffttt&ry of Gretk Philötophy l (Cambridge: At thc University
Pros, !%2), S. 450-453, 465-469, 488-492.
15
Die Philosophie im tragischen Zeitalter der Griechen. Nachgelassene Schriften 1870- 1873,
KGW III 2, S, 329.
6 Mihailo Djuric

dauerndste Errungenschaft des Heraklit lobend hervorhob — und in der erst


der reife Nietzsche die Vorforni oder die Vorstufe der Wiederkunftslehre ent-
deckte — allem Anschein nach vor dem geistigen Auge des jungen
Gymnasiasten schwebte, bedeutend eher als er berhaupt Gelegenheit
hatte, Heraklits Philosophie kennenzulernen.
Nietzsche konnte gen gend gute Gr nde gehabt haben, sich auf Heraklit
als seinen philosophischen Vorg nger im allgemeinen zu berufen; gewi
jedoch ist, da er keinen einzigen Grund hatte, besonders auf ihn hinzu-
weisen als auf einen m glichen Lehrer der ewigen Wiederkunft. Denn
Heraklit hat sich nirgends f r die Reversibilit t des Zeitverlaufs, oder genauer
f r die absolute Identit t aller endlichen Zeitinhalte deutlich ausgesprochen
(w hrend Nietzsche darauf gr ten Wert legte), bei ihm ist keine Spur davon
zu finden, da sich der Flu des st ndigen Werdens in sich selbst umkehrt,
da das Weltgeschehen im voraus bis in die kleinsten Einzelheiten bestimmt
ist, da die Welt als solche f r Neues unf hig ist, da darin vielmehr das-
jenige, was schon unz hlige Male da war, immer nur wiederkehrt16. Und nur
im Falle einer, sei es auch ganz bescheidenen, Andeutung in dieser Richtung,
w re die Behauptung, die Nietzsche so leichtfertig aufstellte, begr ndet, da
Heraklit die ewige Wiederkunft lehren „k nnte". Es ist nicht ausgeschlossen,
da Nietzsche sich zu diesem bedenklichen Schritt vor allem deshalb ent-
schlo , weil er an einer wichtigen Stelle der stoischen Deutung von Heraklits
Philosophie unterlag, weil er in einem wichtigen Punkte sich von der
stoischen Interpretation der Heraklitischen Lehre vom Feuer lenken lie ,
eigentlich von der stoischen Popularisierung eines unzuverl ssigen Zeugnisses
von Theophrast bzw. Aristoteles ber Heraklit. Die Bedenklichkeit dieses
Schrittes berrascht um so mehr, als Nietzsche sehr wohl wu te, da die
Stoiker im gro en und ganzen den gewaltigen Denker „ins Flache um-
deuteten", da sie seine Lehre vereinfacht und umgest lpt haben, da sie
seine ausdr cklich sthetische Weltbetrachtung in eine vorzugsweise ethische
umgewandelt haben17. Sei dem, wie ihm wolle, aber Nietzsche nahm zu-
16
Anderer Ansicht ist Kostas Axelos, Heraclite et la Philosophie (Paris: Les ditions de Minuit,
1962), S. 54-55, 98-99, 118-119. Es ist doch fraglich, ob Heraklit berhaupt die Zeit als
Weltspiel aufgefa t hat, da das Wort αιών im Frg. 52 (αιών παις παίζων, π$ττεύων. παιδός
ή βασιληίη, 22. Β 52 Diels-Kranz) nicht die Weltzeit, sondern einfach die individuelle
Lebenszeit des Einzelnen bedeutet. Vgl. Walter Br cker, Geschichte der Philosophie vor
Sokrates (Frankfurt/M, 1965), S. 46. Dar ber, da das Frg. 60 (οδός άνω κάτω μια και
ώυτή, 22. Β 60 DK) keine physikalische Anwendung hat, d. h. da darin kein kosmischer
Proze des Entstehens aus Feuer und des Vergehens im Feuer beschrieben ist, bzw. da das
Frg. 103 (ξυνόν γαρ αρχή και πέρας επί κύκλου, 22. Β 103 DK) gar nicht vom Kreislauf in
der Natur handelt, vgl. G. S. Kirk, Heraclitus. The Cosmic Fragments (Cambridge: At the
University Press, 1954), S. 105-112, 113-115.
17
KGW III 2, S. 327. Vgl. auch Philologica III, GA XIX, S. 185 A, 22. Um so mehr ist es
befremdlich, da der sp te Nietzsche sich selbst als den „letzten Stoiker" ansehen konnte. -
KGW VI 2, S. 168.
Die antiken Quellen der Wiederkunftslehre 7

sammen mit den Stoikern als etwas Selbstverst ndliches an, da Heraklit sich,
wie Anaximander und Empedokles, in kosmogonische Spekulationen einlie ,
und den periodischen Wechsel von Weltzerst rung (έκπύρωσις) und Weltent-
stehung (διακόσμησις der άποκατάστασις oder παλιγγενεσία) lehne18,
obwohl er freilich diese stoischen Ausdr cke selbst nicht gebrauchte. H tte
er jedoch mit etwas mehr Aufmerksamkeit die berlieferten Fragmente des
gro en Vorsokratikers studiert, so h tte Nietzsche leicht einsehen k nnen,
da Heraklit ber keine kosmischen Katastrophen gesprochen hat, die
scheinbar in genau bestimmten Zeitabschnitten wiederkehren, da er vielmehr
ausdr cklich die Ewigkeit der Welt lehrte, so da demzufolge das Ma nach
dem das „Entz nden" und „Verl schen" des Feuers in dem Spiel der Welt
geschieht, nur r umlich, nicht aber zeitlich verstanden werden kann (was
brigens g nzlich im Einklang mit einem klaren und unantastbaren Zeugnis
Platons steht)19*
D rfte es jedoch auch zutreffen, da Heraklit tats chlich die έκπύρωσις-
Lehre vertrat, wie Nietzsche es annahm, w re es nicht minder unangemessen
und unbegr ndet, sich auf ihn in bezug auf die Wiederkunftslehre zu
berufen. Denn in diesem letzteren Falle m te man annehmen, Herakiit habe
einzig behauptet, da der allgemeine Zustand der Welt periodisch wechselt,
da alle Dinge aus Feuer entstehen und wieder im Feuer verschwinden,
gem einem genau festgesetzten Rhythmus, und nicht da dieselben Dinge
und dieselben Verh ltnisse in der Welt unaufh rlich auf dieselbe Weise
wiederkehren. Und dies ist offenkundig bedeutend weniger, wenn schon
nicht auch wesentlich anders als dasjenige, was in der Wiederkunftslehre ent-
halten ist20. Es ist schwer zu verstehen, warum Nietzsche Heraklit als den
m glichen Lehrer der ewigen Wiederkunft heraushob, obwohl dieser nur die
allgemeinsten Denkvoraussetzungen f r diese Lehre schuf, w hrend er ber
die Pythagoreer mit Stillschweigen hinwegging, die die Lehre vom unauf-
h rlichen Kreislauf aller Dinge bis in die kleinsten Einzelheiten entwickelten,
d. h. die Lehre von der strengen, ausnahmslosen Wiederkehr des gesamten
innerweltlichen Geschehens* Die Schwierigkeit ist um so gro er, als sich der
junge Nietzsche auch der Verdienste bewu t war, welche den Pythagoreern
« KGW III 2, S. 321. hnlich GA XTX, S. 182. Eine solche M glichkeit nimmt neuerdings auf
Obf Gigon, Der Ursprung der griechischen Philosophie (Basel/Stuttgart 1968), S. 215, 232.
l
* Eine gr ndliche philologische Auslegung des Frg. 30 (22* B 30 DK), in dem Heraklit die Welt
dem lebendigen Feuer gleichsetzt, sowie eine zusammenfassende Einsch tzung der Gr nde,
die daf r oder dagegen sprechen» dem „dunklen" Philosophen die ijc^QoXitg-Lehre iu-
zuschreibe«, find« man bei G. S. Kirk» a. a. Q.t S. 307-324, 335-338. Ober die ver-
schiedenen M glichkeiten der phik>sophiuhen Interpretation desselben Fragments» vgl,
Martin Heidegger/Eugen Fink, HerakUt (Frankfon/M 1970), S. 41-42, 93—100* 103-113,
116-120, 129-130, 171-172,
56
Die» hat schon Richard Qchlcr, Fncdnch Nittztake und 4** Ven kratik&r(Leipzig J904),
S. ISO, richtig angesehen.
8 MihaiJo Djuric

in dieser Hinsicht zukommen, was klar aus einer Stelle in seiner zweiten
„Unzeitgemässen Betrachtung", die unter dem Titel Vom Nutzen und Nach-
teil der Historie für das Leben veröffentlicht wurde, zu ersehen ist: „Im
Grunde ja könnte das, was einmal möglich war, sich nur dann zum zweiten
Male als möglich einstellen, wenn die Pythagoreer recht hätten zu glauben,
dass bei gleicher Constellation der himmlischen Körper auch auf Erden das
Gleiche, und zwar bis aufs Einzelne und Kleine sich wiederholen müsse: so
dass immer wieder, wenn die Sterne eine gewisse Stellung zu einander haben,
ein Stoiker sich mit einem Epikureer verbinden und Cäsar ermorden und
immer wieder bei einem anderen Stande Columbus Amerika entdecken
wird".21 An dieser Stelle hören wir fast unmittelbar jene spöttische Be-
merkung des Peripatetikers Eudemos, die voi^Simplicius in seinem Kommen-
tar der aristotelischen Physik angeführt wurde: „Wenn den Pythagoreern
Glauben zu schenken ist, dass numerisch gleiche Ereignisse (
) wiederkehren werden, und dass ich auch mit diesem Stäbchen in der
Hand wieder euch, die hier gesammelt seid, unterrichten werde, und dass
ähnlich mit allen übrigen Dingen sein wird, dann ist es sinnvoll zu sagen,
dass sich die Zeit wiederholt"22. Diese Worte sind auch an vielen Stellen im
dritten Teil des Zarathustra sehr klar herauszuhören* in dem Nietzsche am
vollständigsten seine Lehre von der ewigen Wiederkunft des Gleichen ver-
öffentlicht hat. Wir können nur Vermutungen haben, warum der späte
Nietzsche in seiner eingehenden Beschreibung der eigenen philosophischen
Entwicklung seine frühere richtige Bewertung der Pythagoreer als Lehrer der
ewigen Wiederkunft aus dem Gedächtnis verloren hat. Vielleicht darum, weil
es ihm unangenehm war, sich daran zu erinnern, daß er diese Lehre zunächst
als bloßen astrologischen Aberglauben auffaßte23.
Was das Verhältnis zur Stoa betrifft, das in der zitierten Äußerung
Nietzsches auffallend stärker betont ist als.das Verhältnis zu Heraklit, da läßt
sich gegen die dargebotene Erklärung nichts einwenden. Nicht nur, daß
Nietzsche gar nicht fehlging, als er seine Verpflichtung gegen die Stoiker
bekannte, als er erklärte, daß in seiner Lehre stoische „Spuren" zu finden
sind, vielmehr war dies, was er tat, wirklich das beste von allem, was er tun
konnte. Zahlreiche mehr oder weniger vertrauenswürdige Berichte über die

21
ÜB II, KGW III l, S. 257. Vgl. auch Philologica III, GA XIX, S. 222-223.
22
Eudem. phys. B. III fr. 51 (Simpl. ph. 732, 26) = FV I, 58. B 34 Diels-Kranz.
23
Auf den inneren Zusammenhang dieser Kritik des jungen Nietzsche an den Pythagoreern und
seiner späteren Bearbeitung der Wiederkunftslehre verweist Walter Kaufmann, Nietzsche.
Philosopher, Psychologist, Antichrist (New York 1968), S. 319. - Es würde uns zu weit
führen, wollten wir auf die Frage eingehen, warum der späte Nietzsche über Aristoteles als
Lehrer der ewigen Wiederkunft hinwegging, obwohl er in seiner frühen Schaffenszeit nur
noch ihm unter allen griechischen Philosophen eine Variante derselben Lehre zugeschrieben
hat. Vgl. Philologica II, GA XVIII, S. 117.
Die antiken Quellen der Wiederkunftslehre 9

stoische Lehre im allgemeinen, wie auch zahlreiche besondere Berichte über


die einzelnen Vertreter der stoischen Schule, bestätigen deutlich genug die
Angemessenheit dieses seines Bekenntnisses. Tatsächlich befindet sich
Nietzsches Lehre auf der gleichen Ebene mit der stoischen, zumindest be-
stehen zwischen beiden Berührungspunkte und Kreuzungen, zweifellos ist
zwischen beiden eine Ähnlichkeit leicht zu bemerken, um nicht zu sagen eine
völlige Übereinstimmung — und zwar in einem Punkte, der eigentlich nicht
ausschlaggebend, aber auch nicht ganz nebensächlich ist, so daß wohl
schwerlich ein geeigneterer Ausdruck dafür zu finden wäre, als derjenige, den
Nietzsche selbst gebrauchte- Insofern ist sein Selbstverständnis in diesem
letzteren Fall unantastbar.
Jedenfalls besteht die hier gemeinte Ähnlichkeit nicht nur darin, daß
Nietzsche die allgemeine kosmologische Konzeption der Stoa schlechthin an-
erkannte, daß er grundsätzlich auf das vorzüglich deterministische Grund-
schema des stoischen Weltverständnisses einging. Diese Ähnlichkeit ist nicht
nur eine ferne und abstrakte, die sich auf eine gleichartige Behandlung des
kosmogonischen Prozesses als eines periodischen Wechsels von
und beschränken würde, vielmehr ist sie sehr nah und konkret,
indem sie sich auch auf die Methode der Ausarbeitung dieser allgemeinen
Konzeption erstreckt. Es handelt sich vor allem um die Nietzsche und den
Stoikern gemeinsame Vorliebe für die anthropologische Seite der kosmo-
logischen Gleichung, für die Art und Weise der menschlichen Existenz unter
den Bedingungen der eisernen Notwendigkeit des Weltgeschehens, für den
menschlichen Sinn jenes „Gleichen" in der ewigen Wiederkunft, es handelt
sich vor allem um ihre kühne Konfrontierung mit den Auswirkungen des
Kreislaufs der Welt auf das Schicksal des Menschen24. Damit ist natürlich
nicht gemeint, daß Nietzsche die Betrachtungsweise der Stoiker im Hinblick
auf das Phänomen der Wiederholbarkeit des menschlichen Lebens voll-
kommen akzeptierte, daß er seine Beschreibung dieses Ereignisses im ganzen
aus den stoischen Quellen übernommen hat. Mit Rücksicht auf die schon
früher erwähnte kritische Stellung Nietzsches zur stoischen Heraklit-Inter-
pretation, muß man sich darüber im klaren sein, daß hier von einer völligen
Einigkeit in irgendwelcher Hinsicht keine Rede sein kann. Zumal ist damit
nicht gemeint, daß Nietzsche ohne Bedenken die Stoiker darin zum Vorbild
nahm, daß er angeblich einseitig auf der Sonderung der existenzialen von den
ontologischen Fragen beharrte, daß er angeblich grundsätzlich der
moralisch-praktischen Bedeutung der ewigen Wiederkunft vor der rneta-

VgL Bernd Magnus* Heidegger's Metabistory of Phüotopby: Amor Fati, Bring and Trutb
(The Hague: M. Nijhoff, 1970), S. 43-44, Etwas Ähnliches deutet an Max Pohlenz, Die Sioa:
Geschichte einer geistigen Bewegung l {Götiingcn 1948), S. 80-81.
!0 Mihailo Djuric

physischen den Vorzug gab. Nichts liegt uns so fern wie ein derartiger
Gedanke. Zwecks Vorbeugung möglicher Mißverständnisse muß man
entschieden betonen* daß Nietzsche viel tiefer und gründlicher über die ewige
Wiederkunft nachdachte als die Stoiker, daß der größte Unterschied zwischen
ihm und den Stoikern gerade darin besteht, daß der moderne Denker iin
Gegensatz zu seinen hellenistischen Vorgängern, jede Einteilung der Philoso-
phie in einzelne Disziplinen ablehnte, so daß er am wenigsten geneigt war,
den Wicderkunftsgedanken auf eine bloß ethische Lehre zurückzuführen25.
Es fällt gleich auf, daß die Stoiker in ihren Äußerungen über die uns hier
interessierende Frage nicht ganz sicher waren. Obwohl sie sehr gut wußten,
daß der periodische Wechsel von und ein unab-
wendbares Gesetz ist, das die ganze Welt zusammen mit allen sich darin be-
findlichen Dingen betrifft, waren sie doch ziemlich schwankend in ihrer Ab-
schätzung der Auswirkungen dieses Gesetzes auf den Menschen und das
menschliche Leben. Oder wenigstens wechselten diese ihre Abschätzungen
gewissermaßen im Laufe der Zeit. Es können zumindest drei Grundstufen in
der stoischen Auffassung des menschlichen Schicksals in bezug auf den Kreis-
lauf der Dinge unterschieden werden. Die Vertreter der alten Schule, be-
sonders Zenon und Chrysipp, nahmen jenes „Gleiche" im Sinne der
numerischen Gleichheit, und lehnen dementsprechend eine wortwörtliche
Wiederholung des menschlichen Lebens, d. h. die ständige Wiederkehr der
schon einmal früher lebenden Einzelnen. Wenn Tatianus, einem christlichen
Schriftsteller aus dem zweiten Jahrhundert Glauben zu schenken ist, so
behauptete der Gründer der Stoa, daß „nach dem Weltbrand dieselben-
Menschen wiederkehren werden, um dieselben Taten zu verrichten: Anytos
und Meletos zu beschuldigen, Bousiris um Fremde zu ermorden, und
Herakles um Athletik zu betreiben"26. Ähnlich dachte auch Chrysipp, dem
Alexander von Aphrodisias es zuschreibt, gesagt zu haben, daß „nach dem
Weltbrand wieder alle Dinge in der Welt entstehen werden, und zwar
numerisch identische ( 9 ); ebenso wird jeder Einzelne wieder
entstehen, ebenderselbe der in der vorhergegangenen Welt da war"27. Offen-
sichtlich war der Standpunkt der Stoiker ein streng deterministischer, was
auch Nemesios bestätigt: „Es wird nichts Fremdes da sein, gegenüber dem-

25
Daß Nieasche immer das Ganze der Bezüge des Menschen zum Seienden und zu sich selbst
vor Augen hatte, und nicht nur die praktische Tätigkeit im Sinne des moralischen Handelns,
darauf hat Martin Heidegger, Nietzsche I, S. 273, nachdrücklich hingewiesen. Eine etwas ab-
weichende Ansicht vertritt Michel Guerin, Nietzsche. Soaate heroique (Paris: Grasset, 1975),
S, 282.
26
Tatianus adv. Graec. c. 5 * SVF I, 109 Arnim.
27
Alexander Aphrod. comm. in Aristot. Analyt. priora p. 180; 31 Wallies - SVF H, 624
Arnim.
Die antiken Quellen der Wiederkunftslehre 11

jenigen das schon fr her da war, alles wird gleich und unver ndert sein bis in
die kleinsten Einzelheiten4'28.
Wir halten es hier nicht f r n tig, zu untersuchen, wann es dazu ge-
kommen ist, da bei den Stoikern Zweifel an der Richtigkeit dieses extremen
Standpunkts erwachten. Wohl konnte dies sehr fr h vorgekommen sein.
Jedenfalls bezeugt Simplicius, da das Problem der numerischen Identit t
die Aufmerksamkeit der Nachfolger Zenons und Chrysipps sehr ernstlich be-
sch ftigte, da ihnen die Frage: „Bin ich numerisch derselbe jetzt wie
einst?*'29 gro e Sorgen bereitete. Und aus einem Zeugnis des Christen
Origenes erfahren wir, da viele Stoiker aus dieser Verlegenheit einen
Ausweg fanden, indem sie die Folgerung zogen, da „das Gleiche" in ver-
schiedenen kosmischen Perioden nicht Einzahl sondern Mehrzahl bedeute.
Aus den Worten Origenes* folgt, da die Stoiker meinten, „alle Menschen der
n chsten Periode werden mit denjenigen aus der vorhergehenden v llig gleich
sein (απαράλλακτους), jedoch derart da es nicht wieder Sokrates sein wird,
sondern ein Mensch, der dem Sokrates gleich sein wird, der wird eine Frau
heiraten, die der Xanthippe gleich sein wird, und er wird von Menschen
angeklagt sein, die Anytos und Meletos gleich sein werden"30. Die dritte
Stufe in der stoischen Auffassung des menschlichen Schicksals in bezug auf
den Kreislauf der Dinge ist im Verh ltnis zu den beiden vorherigen noch
erheblich mehr elastisch. Die m igsten und bed chtigsten Stoiker, wahr-
scheinlich Vertreter der mittleren Schule, gingen noch einen Schritt weiter,
indem sie annahmen, da es auch keine vollkommene bereinstimmung
zwischen einzelnen Menschen aus verschiedenen kosmischen Perioden gebe.
Nicht nur, da die sp teren Einzelnen nicht numerisch identisch mit den vor-
hergehenden sein werden, sondern sie werden auch nicht nur zeitlich und
rumlich von ihnen verschieden sein. Zwischen Einzelnen, die verschiedenen
Welten angeh ren, werden gewisse konsumtive Unterschiede bestehen, seien
es auch ganz belanglose. Indem jedoch dies „nur Unterschiede hinsichtlich ge-
wisser u eren Merkmale sein werden" (παραλλαγάς μόνον γίνεσθαι κατά
τίνα των έξωθεν συμβεβεκότων) — wie die Stoiker nach einem Bericht des
Alexander von Aphrodisias gesprochen haben — wird das Bestehen dieser
Unterschiede das Leben dieser Einzelnen im Vergleich zu ihren Vorg ngern
nicht wesentlich ver ndern31. Von den Stoikern, die das Bestehen unbe-
deutender Unterschiede zwischen kosmischen Perioden anerkannten, sagt

** Nemur$ju$ de nat. horo. cp, 38 p. 277 « $VF II, 625 A min».


** Simpliciu* in An». Phys. p. S86, 11 Dieb «SVF Hf 627 Ami m,
» Orientes contra Gcbun»· IV 68 Vol. I p. 338,3 K tschau {p, 555 Dehn*) * SV!·' 11, 626
Amim.
31
Alexander AptuodL comm» in Amt, Arulyt, prbra p. 181. 25 Wallics « SVF II, 624 Arnim.
12 Mihailo Djuric

Origenes, daß sie „das Dogma scheuten" ($ ), dL h. daß


sie keine verblendeten Dogmatiker waren32.
In seiner Wiederkunftslehre hat Nietzsche die Frage nach dem meta-
physischen Schicksal der menschlichen Seele angesichts des unbedingten und
unendlichen Kreislaufs der Dinge aufs Äußerste verschärft. Sogar den Sinn
dieser Frage hat er radikal umgewandelt, indem er über die ewige Wieder-
kunft nicht mehr aus der Perspektive der linearen Zeit dachte33, die von den
Stoikern unkritisch als selbstverständlich übernommen wurde. Ob es
Nietzsche auf diese Weise wirklich gelungen ist, mit den Schwierigkeiten, die
seine Vorgänger so gut wahrgenommen hatten, fertig zu werden, das ist doch
etwas anderes. Gewiß ist jedenfalls, daß der moderne Lehrer der ewigen
Wiederkunft keine Illusionen hinsichtlich der Möglichkeit des Menschen,
seinen eigenen Lebensweg frei zu wählen, hegte. Ihm war es völlig klar, daß
in der Welt eine eiserne Notwendigkeit herrscht, so daß sich der Mensch nur
dieser Notwendigkeit fügen, daß er nur dasjenige hinnehmen kann, was ihm
von allem Anfang an zuerkannt worden ist („amor fati")34. Nicht nur, daß
Nietzsche die Welt als einen Kreislauf ohne Anfang und Ende aufgefaßt hat,
vielmehr machte er geltend, daß alle Dinge fest verknotet sind, daß jeder
Augenblick alle kommenden Dinge nach sich zieht, ebenso wie sich selbst,
daß alles einmal schon geschehen sein mußte, was überhaupt geschehen
konnte35. Etwas Neues gibt es weder im Himmel noch auf Erden, weder in
der Natur noch im Menschenleben. Alles was ist, war schon einmal und wird
wieder sein, jedesmal auf dieselbe Weise, für immer und ewig. Die Un-
möglichkeit des Neuen ist gleichsam die Kehrseite der wesentlichen Voll-'
endung der Welt, ihrer Unfähigkeit, sich grenzenlos umzuwandeln, ins
Unendliche zu wachsen und sich zu entwickeln36, diese Unmöglichkeit ist ein
eigenartiger Ausdruck der aktualen Unendlichkeit des Weltgeschehens,

32
Origines contra Celsum V 20 Vol. II p. 21, 23 Kö. (p. 592 Del.) = SVF II, 626 Arnim.
33
Zum Folgenden vgl. Eugen Fink, Nietzsches Philosophie, Stuttgart 1973, S. 92, 98-100,
102-103.
34
Kennzeichnend ist die folgende Stelle: „Meine Lehre sagt: so leben, daß du wünschen mußt,
wieder zu leben ist die Aufgabe - du wirst es jedenfalls*" - KGW V 2, 11 [163], S. 403..
Angesichts der tieferen philosophischen Bedeutung der Wiederkunftslehre Nietzsches kann
man schwerlich der Ansicht von Bernd Magnus, a. a. O., S. 46—47, beipflichten, daß die
Kritik, die Nietzsche an der Stoa geübt hat — „Und gesetzt, euer Imperativ ,gemäss der
Natur leben* bedeute im Grunde soviel als ,gemass dem Leben leben* ·*- wie könntet ihr's
denn nicht! Wozu ein Princip aus dem machen, was ihr selbst seid und sein müsst?" KGW VI
2, S. 16 — in letzter Instanz auch ihn selbst betrifft.
35
Za, KGW VI l, S. 196. (Es gibt auch eine ganze Reihe paralleler Stellen im Nachlaß:) Vgl. im
folgenden Oskar Becker, Nietzsches Beweise für seine Lehre von der ewigen Wiederkunft, in:
Blätter für deutsche Philosophie, 9 (1935/36), S. 368-387, bes. S. 376-384.
36
Darin, daß die Welt keine unendlich schöpferische Kraft hat, findet Nietzsche übrigens einen
schlagenden Beweis für seine nihilistische These, daß „Gott tot'* ist. Vgl. KGW VII 3, 36
[15], S. 280-281.
Die antiken Quellen der Wiederkunftslehre 13

seiner Ewigkeit, Unter der Sonne gibt es nichts, das absolut einmalig und
unwiederholbar wäre. Es gibt sogar kein erstes, ursprüngliches Vorkommnis,
das jeder Wiederholung zugrunde läge, nach dem der gegebene tatsächliche
Zustand als dessen Abbild bestimmt werden könnte. Kein innerweltliches
Ding und kein innerweltliches Ereignis haben ihren Anfang in der Zeit, nie
waren sie in einer angeblich ursprünglichen Form anwesend. Alles war schon
da, und zwar nicht einmal, sondern unzählige Male, und wiederholt kann es
gerade deshalb werden, weil es immer schon dagewesen ist.
Im Unterschied zu den Stoikern, die eine ganze Skala von Gesichts-
punkten in bezug auf das Problem der Wiederholbarkeit des Menschenlebens
in sukzessiven Weltperioden entwickelt hatten, war Nietzsche in dieser
Hinsicht völlig kategorisch und unerschütterlich. Bei ihm gab es keine
Zweifel darüber, daß „das grosse Jahr des Werdens"37, wie er selbst einen
Gang der Dinge durch die Zeit nannte, vollkommen allen solchen Jahren ent-
spricht, und zwar bis zur Unkenntlichkeit, so daß „das Gleiche", das in allen
diesen Jahren wiederkehrt, letzten Endes nur „das Selbe" sein kann38. In
diesem Sinne sagt Zarathustra: „Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit
dieser Erde, mit diesem Adler, mit dieser Schlange — nicht zu einem neuen
Leben oder besseren Leben oder ähnlichen Leben: — ich komme ewig wieder
zu diesem gleichen und selbigen Leben, im Grössten und auch im Kleinsten,
dass ich wieder aller Dinge ewige Wiederkunft lehre"39. Ähnlich drückt sich
auch der Dämon aus der Fröhlichen Wissenschaft aus: „,Dieses Leben, wie
du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige
Male leben müssen; und es wird nichts Neues daran sein, sondern jeder
Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglich
Kleine und Grosse deines Lebens muss dir wiederkommen, und Alles in der-
selben Reihe und Folge — und ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht
zwischen den Bäumen, und ebenso dieser Augenblick und ich selber. Die
ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht — und du mit ihr,
Stäubchen vom Staube!*"40. Diese starke Hervorhebung der unausweich-
lichen Wiederholbarkeit des scheinbar Unwiederholbaren, diese kühne Be-
jahung der unaufhaltsamen Periodizität des endlichen faktischen Daseins,
diese seltsame Verherrlichung der unvergänglichen Vergänglichkeit des
Einmalig-Individuellen, des hier und jetzt Gegebenen, dessen, was auf einem
bestimmten Ort der raum-zeitlichen Koordinaten erscheint ~ all das gibt der
Nietzscheschen Wiederkunftslehre ein ganz besonderes Gepräge. Dieser

** KGW VI i f S. 272.
** Näheres darüber, obwohl in etwas anderer Hinsicht, bei Joan Sumbaugh, Untersuchungen
z*m Problem der Z*U bei Nktztchc {Den Haag: M. Nijhotf, 1959), S. 219-222.
* KG W VI 1.S. 272.
** FW. KGW V 2, S, 25C.
14 Mihailo Djuric

paradoxe Gcdankenschritt enthüllt vielleicht am besten die vornehmlich


metaphysisch gefärbte antimetaphysische Ausrichtung dieser Lehre selbst41.
Schwerlich wäre auch bei den älteren Stoikern etwas mehr als nur die
rudimentäre Form dieser extremen Einstellung zu finden.
Obwohl aber Nietzsche fest daran glaubte* daß das Leben aus lauter
Wiederholungen zusammengesetzt ist, daß darin alles auf dieselbe Weise und
in derselben Form wiederkehrt, ist seine philosophische Begründung dieses
phänomenalen Tatbestands doch alles andere eher als klar und eindeutig.
(Wenn die kargen, kaum noch verständlichen Andeutungen in dieser
Richtung überhaupt als Begründung angesehen werden können.) Man fragt
sich: ist die Zeit selbst diejenige Macht, die die endlichen Dinge freiläßt, um
ihren streng bestimmten Weg immer wieder einzuschlagen, oder ist es die
immer gleiche Natur dieser Dinge, die ihre unaufhörliche Wiederholung er-
möglicht? Von der Beantwortung dieser Frage hängt das endgültige Urteil
über den Charakter und die Tragweite der ganzen Nietzscheschen Denk-
anstrengung ab. Im ersteren Falle müßte man annehmen, Nietzsche habe
einen neuen, nicht mehr metaphysisch bestimmten Horizont des Weltver-
ständnisses eröffnet, und dabei den existential-ontologischen Kreislauf ge-
lehrt, d. h. den Kreislauf der einzelnen Dinge und Ereignisse, im zweiten
Falle würde man aber der Schlußfolgerung nicht entgehen können, Nietzsche
sei in der Metaphysik befangen geblieben, und habe den eidetischen Kreislauf
gelehrt, d. h. den Kreislauf der Wesensformen. Es ist kein Geheimnis, daß
die wirklichen Resultate, die Nietzsche beim Versuch, den Wiederkunfts-
gedanken vom Grundschema der Metaphysik freizumachen, erreicht hat,'
weit hinter seinen programmatischen Deklarationen zurückgeblieben sind.
Und eben deshalb hätte er seine Lehre von der ewigen Wiederkunft des
Gleichen als ein ausgezeichnetes Beispiel für die Bestätigung dieser Lehre
selbst anführen können.
Man kann leicht einsehen, daß Nietzsche über die menschlichen Dinge
in unmittelbarstem Zusammenhang mit ihrer natürlichen Umgebung spricht,
indem er dabei ihren kosmischen Hintergrund vor Augen hat, obwohl er
ihnen zweifellos die höchstmögliche Bedeutung zukommen läßt. Er macht,
keinen Unterschied zwischen den einzelnen Gebieten des Seiendem, vielmehr
faßt er sie alle zusammen. In seiner Bearbeitung der Wiederkunftslehre teilt
der Mensch das Schicksal aller anderen Dinge: die Himmelskörper, das
Gewächs und Getier sind seine unvermeidlichen Gefährten. Und nicht
weniger wichtig ist, daß Nietzsche über die menschlichen Dinge ganz
konkret spricht, und dabei mit Namensnennung verschiedene Gemütszu-
stände und Wirkungen anführt. Zugleich hebt er besonders hervor, daß der

41
Eugen Fink, a. a. O., S. 186-187.
Die antiken Quellen der Wiederkunftslehre 15

Gedanke von der ewigen Wiederkunft zum unentbehrlichen Bestand der


menschlichen Seele gehört. Daß Nietzsche die verschiedenen Gemütszu-
stände und Wirkungen nur in bezug auf ihren individuell bestimmten Träger
erwähnt — als äußerte sich nicht durch sie die allgemeine Gesetzlichkeit des
Lebens — bedeutet keineswegs, daß er darin bloß zufällige, unwesentliche
Eigenschaften der einzelnen Existenz sieht. Noch weniger, daß die Wieder-
holung dieser Zustände und Wirkungen ausschließlich durch die Wiederhol-
barkeit ihrer Träger bedingt ist. Tatsächlich überblickt Nietzsche kühn das
Ganze des menschlichen Lebens. Bei ihm ist alles Einzelne Bestandteil eines
größeren Zusammenhangs der Dinge, alles ist in der allgemeinen Kette von
Ursachen und Folgen tief verwurzelt, alles findet mitten in der Menge mannig-
faltigster gleichartiger Erscheinungen statt. Jenes „Gleiche" ist nur insofern
das „Selbe", als der „Gesammt-Charakter des Lebens"42 im Grunde ein
unveränderlicher ist. Daher hat es auch keinen Sinn zu behaupten, daß sich in
Nietzsches Gesichtsfeld stets nur das Einzelne befand, daß der erbitterte
Gegner der platonischen Metaphysik Ohr und Verständnis nur für das
Einzelne hatte. Wie tief Nietzsche sich der exemplarischen Bedeutung der
meisten einzelnen Handlungen und Bestrebungen des Menschen bewußt war,
wie gut er wußte, daß der konkrete einzelne Mensch sehr wenige wirklich
eigene Zuge hat, ist am besten daraus zu ersehen, daß sein Zarathustra nicht
nur die Wiederkehr seiner selbst und seines imaginären anonymen Mitredners
verkündet, sondern ebenso auch die ewige Wiederkehr bestimmter Typen des
menschlichen Charakters. An einer Stelle, die in die endgültige Version des
veröffentlichten Werkes aufgenommen ist, lesen wir: „Der kleine Mensch
kehrt ewig wieder"43, und an einer anderen, die aus derselben Schaffenszeit
stammt, jedoch unveröffentlicht geblieben ist, steht: „Nicht nur der Mensch
auch der Übermensch kehrt ewig wieder!"4*, was offensichtlich mit der Lehre
von der ewigen Wiederkunft im Einklang steht, nicht aber auch mit der ver-
öffentlichten Behauptung, daß es „niemals noch ... einen Übermenschen"45
gab. Es wäre schwer, dieses ausdrückliche Zeugnis anders zu deuten, als wie
ein klares Zugeständnis, daß „das Gleiche" im kosmologischen Schema sich
ebenso auf das Einzelne als auf das Typische bezieht, wenn schon nicht auch,
daß das Einzelne in hohem Maße nur noch ein Gleichnis ist.
Und so erweist sich, daß Nietzsche nur scheinbar aus dem schweren Di-
lemma der Stoiker herausgekommen ist, wenn er „das Gleiche" entschieden
als „das Selbe" proklamiert hat. Dieses Dilemma ist unaufgelöst geblieben
42
Nachgelassen* Fragmeme: Anfang I8S8 bis Anfang Januar 1889, KGW VH1 3, M (14J, S, 16.
Zu dieser Stelle, vgl. den Kommentar bei joan Sumbaugb, 4. a. O.» S. 220.
4
» RGW VI 1. S, 270.
44
KG W Vfl 2, 27 [2*1, S. 281.
4
* KGW VI l, $. m. Ebenso KGW VI! 1, 13 [26], S. 491.
16 Mihailo Djuric

trotz seiner deutlichen Versicherung, daß das „gleiche Haus des Seins"46
ewig aufgebaut wird, daß ein und derselbe Weltzustand periodisch wieder-
kehrt, daß man unzählige Male ein und dasselbe Leben durchleben muß. Um
aus jenem Dilemma (welches übrigens die Wiederkunftslehre auch unab-
hängig von ihrer stoischen Bearbeitung begleitet) wirklich herauszukommen,
müßte man die temporale Struktur der Welt begrifflich näher fixieren,
man sollte über die Aporie der „abgelaufenen Ewigkeit", d. h. der aktualen
Unendlichkeit ernsthaft nachdenken, man müßte über den Begriff der Zeit als
einer bauenden und zerstörenden Macht, als eines dionysischen Spiels der
Welt gründlich reflektieren47. In vollem Bewußtsein der Unzulänglichkeit
und Ungeeignetheit der überlieferten Denkmittel der Metaphysik für eine
solche Aufgabe, hat aber Nietzsche etwas ganz- anderes geleistet. Er hat sich
bekanntlich in tiefgehende naturwissenschaftliche Betrachtungen eingelassen,
da er leichtsinnig annahm, der Satz von der Erhaltung der Energie fordere die
ewige Wiederkehr48. Die relativ große Gruppe der höchst scharfsinnigen und
miteinander fest verknüpften Aufzeichnungen in Nietzsches Nachlaß
(insbesondere im Nachlaß aus der Zeit der Fröhlichen Wissenschaft) zeigt ganz
deutlich, daß die naturwissenschaftliche Seite der Wiederkunftslehre in einem
Augenblick fast vollkommen seinen Denkhorizont getrübt hat. Vielleicht hat
Nietzsche auf die Veröffentlichung dieser Aufzeichnungen verzichtet, weil er
nachträglich eingesehen hat, die ewige Wiederkunft lasse sich überhaupt nicht
auf eine bloße naturwissenschaftliche Hypothese reduzieren, geschweige
denn unter Berufung auf die neuesten Ergebnisse der Physik beweisen. Oder
vielleicht auch deshalb, weil er mit der Zeit zur Einsicht gekommen ist, daß'
seine naturwissenschaftlichen Beweise gar nichts beweisen, da sie auf einer
ganzen Reihe von Voraussetzungen beruhen* deren Zutreffen erst auf
Grund umfassender naturwissenschaftlicher Untersuchungen überprüft
werden muß. Jedenfalls brauchte sich Nietzsche nicht im geringsten in die
moderne Naturwissenschaft zu verirren, um uns vom relativ hohen Grade
der Unabhängigkeit seiner Bearbeitung der ewigen Wiederkunft von den
antiken philosophischen Quellen zu überzeugen.

46
KGW VI l, S, 269. .
47
Eugen Fink, a. a. O., S. 99.
48
Nachgelassene Fragmente: Herbst 1885 bis Herbst 1887, KGW VIII l, 5 [54], S. 209. Daß
die naturwissenschaftlichen Beweise Nietzsches keinen streng naturwissenschaftlichen,
sondern vielmehr einen philosophischen Charakter haben, da im Beweisgang von der Kraft,
Bewegung, Raum und Zeit, also von den Voraussetzungen der Naturwissenschaft die Rede
ist, führt Martin Heidegger, Nietzsche I, S. 371—375 aus.

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