Sie sind auf Seite 1von 39

DOKUMENTATIONEN

JOHANN FIGL

DIE ABTEILUNG I IM KONTEXT DER KRITISCHEN


GESAMTAUSGABE DER WERKE NIETZSCHES

Ein Zwischenbericht

1. Nietzsches Jugendschriften nach dem Urteil Marino Montinaris

Um die spezifische Stellung der Abteilung I im Kontext der von G. Colli


und M. Montinari begründeten Gesamtausgabe der Werke Nietzsches (KGW)
deutlich zu erkennen, ist es nützlich, Montinaris Vorwort sowie die editorischen
Grundsätze der Kritischen Studienausgabe (KSA) zu beachten. Dort lesen wir, daß
„die KSA eine Gesamtausgabe des philosophischen Werks Friedrich Nietzsches
ab 1869 (ist): Juvenilia, Philologica, Basler Vorlesungen bleiben somit aus dieser
Ausgabe ausgeschlossen".1 In der Studienausgabe fehlen also jene beiden Abtei-
lungen, die auch in der Gesamtausgabe noch nicht (Abteilung I) bzw. nur zum
Teil (Abteilung II) vorliegen. Montinari selbst hatte sich nämlich in erster Linie
den philosophischen Schriften und Aufzeichnungen Nietzsches vom Zeitraum
der Ausarbeitung der ,Geburt der Tragödie* an bis zu den letzten Notizen zuge-
wandt. Er ging von folgender Annahme bei seiner editorischen Tätigkeit aus:
„Der eigentliche philosophische Nachlaß, von den Vorarbeiten zur Geburt der
Tragödie bis zur letzten Turiner Zeit, war noch nicht wissenschaftlich erschlossen
worden. Für zwanzig Jahre von Nietzsches geistigem Schaffen vom Sommer
1869 bis zum 2. Januar 1889 also, lag er uns in höchst unbefriedigender und
unvollständiger Gestalt vor."2 Innerhalb dieser Texte nahm bekanntlich die kriti-
sche Auseinandersetzung mit der bisherigen Edition des späten Nachlasses unter
dem Titel JDer Wille zur Macht* einen besonderen Rang ein. Die frühen Auf-
zeichnungen (und der Philologische Nachlaß) sollten erst als letzte in der KGW
ediert werden. Außer den erwähnten Gründen, die für die vorrangige Behand-

1
KSA, Band 14, Editorische Grundsätze, 20.
2
KSA, a.a.O. 15.
316 Johann Pigl

lung der philosophischen Texte ab 1869 gesprochen haben, scheinen es vor


allem zwei weitere Motive gewesen zu sein, die diese Vorgangsweise nahelegten:
Einerseits die Überzeugung, daß gerade daraus nur ein geringer Teil für eine
italienische Übersetzung zu benützen gewesen wäre, und andererseits die Auffas-
sung, daß diese früheren Schriften schon sorgfältig ediert waren. Montinari
schreibt dies in seinem Vorwort zur KSA auch wördich: „Einen zuverlässigen
Text hatten wir nur für die Jugendschriften und die Philologica, die in der unvoll-
ständig gebliebenen Historisch-Kritischen Gesamtausgabe (Band I bis V, 1933/
40 vorliegen, also für die Schriften von 1854 bis Frühjahr/Sommer 1869 (der
allerersten Basler Zeit)".3 An diesem Urteil läßt sich folgendes ersehen: Monti-
nari hatte sachlich stringente und wichtige Gründe, sich zuerst den Fragmenten
ab 1869 zuzuwenden, wodurch aber zugleich die Befassung mit den frühen
Schriften — zumindest was die editorische Bearbeitung der Archiv-Manuskripte
betrifft — notgedrungen in den Hintergrund treten, ja, vorderhand aufgeschoben
werden mußte. Schon in einem frühen Planungs Stadium der neuen Ausgabe
blieb nur „betreffs der Jugendwerke" eine gewisse Unsicherheit, wie Montinari
1964 schreibt.4 Gleichwohl hatte sich M. Montinari immer wieder und sehr in-
tensiv mit den Jugendschriften Nietzsches befaßt: so nimmt ,Kindheit und Ju-
gend* einen breiten Raum in der auf das Jahr 1968 zurückgehenden Nietzsche-
Einführung ein.5 Und 1977 hatte Montinari eine Sammlung autobiographischer
Jugendschriften Nietzsches (1856-1969) in der italienischen Reihe ,Piccola Bi-
bliotheca Adelphi'6 herausgegeben. Schließlich sei auf den bedeutenden und
beeindruckenden, 1980 gehaltenen Vortrag ,Nietzsches Kindheitserinnerungen
aus den Jahren 1875/79" hingewiesen, der auch auf Texte der Kindheit (in der
BAW) zurückgreift.7
Durch den frühen tragischen Tod von Mazzino Montinari muß die Edition
der Abteilung I zur Gänze und ebenso die Abteilung II von anderen weiterge-
führt werden, im Unterschied zu den anderen Abteilungen der KGW und der
Briefausgabe (KGB), wo die Textbände vorliegen, jedoch die meisten Nachbe-
richtsbände noch ausständig sind. Im Hinblick auf die beiden ersten Abteilungen
sind darum einige Fragen offen, die sowohl diese beiden Abteilungen in ihrem
Bezug zueinander als auch jede für sich betreffen. Ein zentrales Problem ist
sicher die Frage, wie die philologischen Schriften von den Jugendschriften, ins-
besondere aus der Studentenzeit, getrennt werden sollen; dieses Problem ist

3
KSA, ebd. In persönlichen Gesprächen mit fnir hat er dieses Argument auch mehrfach genannt.
4
Vgl. Brief an G. Colli vom 10. 5.1964, abgedruckt in: G. Campioni, ,Die Kunst, gut zu lesen* —
Mazzino Montinari und das Handwerk des Philologen, in: Nietzsche-Studien 18 (1989), LIII.
5
Vgl. M. Montinari, Friedrich Nietzsche. Eine Einführung, Berlin/New York 1991, 5-50; vgl.
auch G. Cantpioni, Leggere Nietzsche. Alle origini dell'edizione critica Colli-Montinari, Pisa 1992,
160 ff.
6
Vgl. G. Campioni, a.a.O. (siehe Anm. 4), XXVII.
7
Vgl. M. Montinari, Nietzsche lesen, Berlin/New York 1982, 22-37.
Zut Abteilung I der KGW 317

durch die Historisch-Kritische Gesamtausgabe8 gerade nicht gelöst, da diese


z. T. philologische Schriften im Kontext der anderen Schriften der Reihe nach
publiziert hat, in einem anderen Zeitraum jedoch in §ehr problematischer Weise
die philosophischen Schriften als „Art rein philosophischer Fremdkörper" von
den philologischen separiert hat.9 Für diese Unterscheidung werden jedoch
keine näheren Kriterien von den bearbeitenden Herausgebern H. J. Mette bzw.
K. Schlechte angegeben; diese wichtige Frage ist somit offen geblieben. Auf
dieses Problem ist bei der nunmehrigen Edition in besonderer Weise einzuge-
hen. Es stellt sich jedoch noch nicht im Band I/l, der ausschließlich Texte aus
einem Zeitraum enthält, die %ur Gän%e als Kindheits- bzw. Jugendaufzeichnungen
zu betrachten sind; auch wenn sie z. T. philologischen Inhalts sind, haben sie
doch von ihrer Gesamtstruktur her (z. B. als Schulmaterialien) keine fachphilolo-
gische Qualität, wie z. B. die Niederschriften aus der Zeit des Studiums der
klassischen Philologie. Die Abgrenzung und Zuordnung von Texten der Studen-
tenzeit ist im einzelnen zu begründen; die vorliegenden Überlegungen beziehen
sich jedoch in erster Linie auf Fragen, die die Abteilung I in sich betreffen.

2. Zu den Grenzen und Vorentscheidungen derBAW10

Im Hinblick auf die in der BAW edierten Jugendschriften muß vorweg be-
merkt werden, daß sie nicht durchgehend und in jeder Hinsicht einen zuverlässi-
gen Text bieten; wenngleich hinzugefügt werden muß, daß Mette weithin korrekt
entziffert und transkribiert hat, und er sich in keiner Weise eigenmächtiger oder
gar tendenziöser Eingriffe in den Text schuldig gemacht hat, wie sie im Hinblick
auf den späten Nachlaß vorgekommen sind. Trotz der philologischen Sorgfalt,
mit der die Texte des Kindes und des Jugendlichen Nietzsche behandelt werden,
muß doch im Hinblick auf die editorische Verantwortung gesagt werden, daß
eine Reihe von Entscheidungen getroffen wurden, die nicht ausgewiesen sind,
die jedoch bei einer neu in Angriff zu nehmenden vollständigen Edition zu beden-
ken sind. Es wurde z. B. von Mette nicht geklärt, inwiefern Nachschriften, Über-
setzungen und Exzerpte aufzunehmen seien, bzw. warum diese de facto weithin
ausgeschlossen wurden, obwohl das Vorwort %ur Gesamtausgabe in Aussicht stellte,
„ausnahmslos alles" zu veröffentlichen.11 Auch wurde ein großer Teil von Schul-
8
Herausgegeben von H.-J. Mette u. a., München: G H. Beck"sehe Verlagsbuchhandlung,
1933-1940; im folgenden abgekürzt: BAW Photomechanischer Nachdruck u. d. Titel »Frühe
Schriften', mit einem Vorwort von R. Schmidt, 5 Bde., G H. Beck Verlag, München 1994.
9
BAW IJI, 439, Nachbericht
10
Vgl· zu Mette näher/Fig/ t Der frühe Nachlaß Friedrich Nietzsches. Kurzbericht über ein
Editionsprojekt, in: Mesotes. Zeitschrift für philosophischen Ost-West-Dialog 2 (1992), 488 f.
11
BAW I, XI: es sollten „auch alle Notizen über noch zu lesende Bücher anderer Autoren, ausge-
zogene Zitate, evd. auch größere zusammenhängende Auszüge aus anderen Werken" veröffent-
licht werden.
318 Johann Frgl

materialien ausgeklammert; fast zur Gänze jene aus der Naümburger Zeit. Auf
diese Weise blieben wichtige Dokumente des Bildungsweges Nietzsches der For-
schung unbekannt. Im Unterschied dazu bringt die nunmehrige Ausgabe auch
diese zahlreichen, bisher unveröffentlichten Textmaterialien. Die neue Edition
versucht eine Vollständigkeit in inhaltlicher Hinsicht zu erreichen, und somit
alle Texte, die Nietzsche in seinem frühesten Lebensabschnitt verfaßt bzw. nach-
weislich rezipiert und wiedergegeben hat, der Forschung zugänglich zu machen.
Es handelt sich — mit Ausnahme der fachphilologischen Schriften und Aufzeich-
nungen einerseits und der brieflichen Zeugnisse andererseits — um den gesamten
Nachlaß bis zum 25. Lebensjahr Nietzsches; dies ist nun näher zu begründen
und einzugrenzen.

3. Die Frage nach dem zeitlichen Umfang der Abteilung I der KGW

Diese Frage erstreckt sich auf zwei Probleme: einerseits nach dem Anfangs-
punkt, bei dem die Edition einsetzen soll, andererseits nach dem Endpunkt, bis
zu welchem Zeitraum sich die Abteilung I erstrecken soll. Ich möchte bei dem
zuletzt erwähnten Aspekt, dem chronologischen Endpunkt der Abteilung I beginnen,
der in einigen Grundzügen schon vorentschieden ist, wodurch sich eine Proble-
matik ergeben hat, die es zu lösen gilt. Einerseits enthält der letzte Band der
BAW nur die (überwiegend philologischen) Fragmente des Frühjahrs 1869: Aus
dem Sommer 1869 sind in Band 5 nur der veröffentlichte Vortrag ,Homer und
die klassische Philologie* und die Aufzeichnungen zur Vorlesung ,Die griechi-
schen Lyriker'12 aufgenommen. Andererseits setzt KGW Abteilung III erst mit
den nachgelassenen Fragmenten vom Herbst 1869 eki. Der nichtphilologische
Nachlaß von etwa einem halben Jahr (Frühjahr bis Herbst 1869) ist darum
noch in keiner der beiden kritischen Ausgaben vollständig enthalten. Aus diesem
Grund legt es sich nahe, den Nachlaß — insofern er nichtphilologisch ist — bis
zum Sommer bzw. Herbst 1869 im Rahmen der Abteilung I aufzunehmen und
diese somit mit dem Zeitpunkt zu beenden, an dem die Nachlaßbände der
Abteilung III einsetzen. Dadurch ergibt sich ein chronologisch kontinuierlicher
Anschluß der Abteilung III, während die Abteilung als philologische naturge-
mäß parallel zu mehreren Abteilungen verläuft.
Die Zäsur, die Montinari mit dem zeitlichen Beginn der Nachlaßaufzeich-
nungen in Abteilung III gemacht hat, ist -von der Sache her gut begründet und
zeigt die Geschlossenheit in der Gesamtkonzeption der Edition: Es ist philoso-
phisch und editorisch überzeugend, wenn mit der ,Geburt der Tragödie', dem
ersten philosophischen Werk, das Nietzsche publiziert, hat, die Abteilung III

:
Vgl. BAW V 285 ff., bzw. 307 ff. nun in: KGW II l, 247 ff. bzw. II 2, 105 ff.
Zur Abteilung I der KGW 319

begonnen wird und der zugehörige Nachlaß in dieser Abteilung aufgenommen


ist. Alles, was vor diesem Zeitpunkt liegt und von Nietzsche nicht veröffentlicht
wurde, würde ich als den Frühen Nachlaß Nietzsches bezeichnen, der aus Atffyeich-
nungen und Schriften besteht; in diesem sind philosophisch relevante Aufzeichnungen
von früh an, schon lange vor den Konzepten zur GT unzweifelhaft gegeben.
Die Zäsur, die zwischen Abteilung I und Abteilung III gegeben ist, besteht
demnach in dem wichtigen Faktum, daß die GT den Beginn des veröffentlichten',
d. h. von Nietzsche selbst publizierten philosophischen Werkes bedeutet.
Die Frage des „Beginns" der Abteilung /ist insofern nicht einfach zu klären, als
es meines Wissens keinen vergleichbaren Fall eines bedeutenden Denkers gibt,
bei dem die Schriften der Kindheit und Schulzeit in diesem Umfang erhalten
sind wie bei Nietzsche. Darum kann man sich an anderen Editionen nur in
begrenztem Ausmaß orientieren13. Die Beurteilung dieses Sachverhaltes ist
schwierig: Einerseits mag man denken, daß gerade angesichts der Bedeutung
des späteren Schrifttums Nietzsches es irrelevant erscheinen mag, was er als
Kind gedacht und geschrieben hat; andererseits lenkt gerade seine große Bedeut-
samkeit das Interesse auch auf seine geistige Entwicklung und Prägung von früh
an; hinzu kommt, daß Nietzsche selbst dem individuellen Lebenskontext eine
eminente Bedeutung für die Inhalte des Denkens zugesprochen hat, also Biogra-
phie und Werk nicht ohne weiteres zu trennen sind. Gerade der letztere Grund
aber scheint sehr dafür zu sprechen, doch den gesamten Frühen Nachlaß zu
publizieren, ohne eine Auswahl unter den von Nietzsche hinterlassenen Auf-
zeichnungen vorzunehmen (wie es Mette getan hat). Es ist also — wie auch
bei der Briefausgabe - mit den frühesten Notizen zu beginnen. Die frühesten
eigenständigen Aufzeichnungen stammen von 1853/54; Schulmitschriften und -
materialien (Übungen, Übersetzungen und dgl.) gibt es ebenfalls ab diesem Zeit-
raum. Reine Wiedergaben vorgegebener Texte reichen noch weiter zurück:
Nachschriften von Geburtstagswünschen (für die Mutter) bzw. Neujahrs-
gedichten sind nachweislich ab 1852 aufgeschrieben worden und erhalten.
Der zeitliche Umfang der Abteilung I erstreckt sich somit von den frühesten
nichtbrieflichen Aufzeichnungen Nietzsches an bis zum Sommer/Herbst 1869,
also jenem Zeitpunkt, an dem die Abteilung III einsetzt (KGW III 3. Nachgelas-
sene Fragmente. Herbst 1869-Herbst 1872); alles, was zeitlich davor liegt, gehört
in die Abteilungen I und II, wobei die letztere die philologischen, die erstere
alle anderen Aufzeichnungen (mit Ausnahme der Briefe) umfaßt. Durch diese
Konzeption ist die chronologische Kontinuität und Geschlossenheit der Ge-
samtausgabe gegeben. — Die Philologica, die aufgrund ihrer spezifischen inhalt-
lichen Thematik in einer eigenen Abteilung zusammen aufgenommen sind, ver-
laufen zur vorhergehenden und zu den nachfolgenden Abteilungen zeitlich par-
allel.
13
VgL dazu z.B. die Marx-Engels-Ausgabe (MEGA): siehe unten Anm, 20,
320 Johann Figl

4. Die Bedeutung von Nachschriften und Exzerpten aus der Jugendzeit

Die Frage, inwiefern auch die in den frühen und frühesten Aufzeichnungen
Nietzsches zahlreich enthaltenen Nachschriften und Exzerpte zu veröffentlichen
sind, ist indirekt schon durch die Vorgangsweise M. Montinaris in den übrigen
Abteilungen der KGW vorentschieden: Er hat bekanntlich in Nachlaß-Bänden
nicht nur ausdrücklich Exzerpte Nietzsches aus Büchern im ganzen sowie ein-
zelner Kapitel oder Sätze veröffentlicht14, sondern diesen auf der Lektüre Nietz-
sches basierenden Zitaten eine große Wichtigkeit für das Verständnis des Den-
kens Nietzsches beigemessen15; der bedeutende Mitbegründer der Kritischen
Gesamtausgabe war der Auffassung, daß solche meistens versteckten Zitate in
seinen Schriften und in Exzerpten im Nachlaßsowie andere Lesespuren, also
überhaupt Nietzsches Lektüre anderer Autoren „Bestandteil des Werkes (ist)",
und sie gehöre einerseits „in den Text", weise aber andererseits „gleichzeitig
über den Text hinaus", wie er in einem posthum publizierten Artikel sagt.16
Läßt sich dieses Postulat auch auf Nachschriften der Jugendzeit anwenden?
Ich meine, daß es von der Sache her erfordert ist, auch Nachschriften aus Nietz-
sches Schul- und Jugendzeit in die Ausgabe aufzunehmen, da einerseits nur auf
diese Weise die Vollständigkeit in jenem Ausmaß gewährleistet ist, wie sie auch
in den übrigen, von Montinari edierten Abteilungen der Ausgabe gegeben ist,
und andererseits in Abteilung I solchen rezipierten Materialien ein besonderer
Stellenwert zukommt, da gerade in der Kindheit und Jugend die Aufnahmebe-
reitschaft gegenüber dem begegnenden Gedankengut bzw. die Reaktion darauf
besonders kennzeichnend und oft auch prägend ist. Aus diesen Gründen wäre
es eine willkürliche Entscheidung, Nächschriften aus der frühesten Periode
Nietzsches auszuklammern, wie es großteils in der BAW geschehen ist (jedoch
nicht vollständig, worin wiederum eine Inkonsequenz gegeben ist). Freilich muß
auch hinzugefügt werden, daß die editorische Bearbeitung dem eigenen Charak-
ter solcher Materialien in angemessener Form gerecht werden sollte^ woraus sich
einige spezifische Akzentuierungen der Abteilung I ergeben;17 in besonderer

14
Vgl. z. B. KGW IV l, 207 ff.: 9 [1]: Exzerpte von E. Dühring, Der Werth des Lebens, 1865; V
l, 471 ff.': 4 [l57ff.] (H, Lüdemann); a.a.O. 526ff.: 6 [12f£] und 735 ff.: 8 [l04ff.] (Mme. de
Remusat); a.a.O. 672f£: 7 [120ff.] (Stendhal); V 2, 564££: 17 [l f£] (Emerson) und passim;
vgl. zu den angegebenen Fragmenten KSA Band 14, 631 f., 633 ff., 639 ff;, 657 f. .
15
M. Montinari> Zum Verhältnis von Lektüre-Nachlaß-Werk bei Nietzsche, in: edirio. Internationa-
les Jahrbuch für Editionswissenschaft l (1987), 245.
16
Vgl. AI Montinari, Nietzsche lesen, Berlin/New York 1982, 4 ff. u. ö.; vgl. dazu W. Müller-Lauter,
Ständige Herausforderung. Über Mazzinp Montinaris Verhältnis zu Nietzsche, in:'Nietzsche-
Studien 18 (1989), 32 ff., bes. 46 ff.; vgl. in diesem Gedenkband ferner den Beitrag von G. Cam-
pioni, ,Die Kunst, gut zu lesen* — Mazzino Montinari und das Handwerk des Philologen, a. a. O.
XV ff., bes. XLVIIff.
17
Vgl. W. Müller-Lauter/K Pestalo^ Vorwort, in: KGW VI 4 (Nachbericht) VI. -
Zur Abteilung I der KGW 321

Weise trifft dies für die Gestaltung des Bandes l dieser Abteilung zu (z. B. durch
die Einführung zusätzlicher Siglen), da in ihm die frühesten Aufzeichnungen
und Nachschriften Nietzsches enthalten sind.

5. Zur editorischen Gestaltung von Band 1 (derslbtej/utig I)ls

Der erste Band von KGW I umfaßt die Aufzeichnungen Nietzsches bis zum
Sommer 1858, also bis zum Ende der Naumburger Schulzeit. Grundlage aller
abgedruckten Texte ist der originale Manuskriptbestand im Goethe-Schiller-Ar-
chiv in Weimar (GSA 71). Im Hauptteildes Bandes sind die eigenen bzw. eigen-
ständig gestalteten Texte Nietzsches aufgenommen, wobei freilich gleich hinzu-
gefugt werden muß, daß in diesem frühen Stadium das Eigenständige und das
Rezipierte nicht strikt zu trennen sind; diese Texte sind — entsprechend der
kindlichen und jugendlichen Aufnahmebereitschaft und Lernsituation - vielfach
durch eine rezeptive Struktur gekennzeichnet. Diese zeigt sich in vielen literari-
schen Anklängen, Entlehnungen, Zitaten, etc.; über die Vorlagen bzw. Quellen
wird — soweit sich diese feststellen lassen — der Kommentar im einzelnen berich-
ten. Trotz dieser vielfältigen Art der Rezeption sind solche Texte erste Formen
von Nietzsches eigener Gestaltungskraft und Ausdruck seiner Interessen. Zu
den von Nietzsche ab 1854 selbst verfaßten bzw. gestalteten Texten gehören
Gedichte, Theaterstücke, Pläne, etc., ebenso Biographien und Notizen. Soge-
nannte Gelegenheitsnotizen19 - wie z. B. Aufzeichnungen über Preise, Registrie-
rung eines Besuchs, also Notizen persönlicher Art, u. ä. - werden dann aufge-
nommen, wenn sie in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den übrigen Tex-
ten dieses Bandes stehen; die wenigen restlichen Bemerkungen solcher Art wer-
den im jNachbericht* mitgeteilt. Viele der Niederschriften Nietzsches zum
Krimkrieg sind mit Zeichnungen und graphischen Skizzen versehen; da sie un-
mittelbar zu dem entsprechenden Textzusammenhang gehören, gewissermaßen
einen konsumtiven Bestandteil desselben bilden, werden in diesen Fällen + * auch
die Zeichnungen (Sigle Z) gemeinsam mit den Texten wiedergegeben. Darüber
hinaus finden sich im Nachlaß Nietzsches bis 1858 eine Reihe von Zeichnungen,
die nicht in einem größeren texdichen Zusammenhang stehen und die — falls
überhaupt eine schriftliche Notiz vorkommt - nur mit einer kurzen Widmung,
mit erklärenden Benennungen der gezeichneten Gegenstände oder dem Datum
der Entstehung der Zeichnung versehen sind. Da gerade anhand der zeichneri-
schen Ausdrucksgestalt ein umfassenderes Verständnis eines Kindes und seiner

18
Die folgenden Ausführungen sind im wesentlichen dem Vorwort zu KGW I l entnommen.
19
Vgl. AI Aiofftinari, Nachbericht, KGW IV 4, 492 und VII4 2, 562.
322 Johann Figl

Psyche gewonnen werden kann, werden sie als Faksimile am Schluß des ,Nach-
berichtes* zur Abteilung I wiedergegeben.
In einer Art ergänzendem Anhang sind jene Texte veröffentlicht, deren Nie-
derschrift Nietzsche fast durchwegs vorgegeben war bzw. aufgetragen wurde,
vor allem durch die Schule (wie z. B. Schulaufgaben, -mitschriften und insbeson-
dere auch Übersetzungen20). Aufgrund dieser spezifischen Entstehungssituation
handelt es sich um durchgängig rezipierte Texte - vielfach um Nachschriften, die
allerdings von reinen Abschriften zu unterscheiden sind21 —, und die daher von
vornherein auch mit einer eigenen Sigle (A) gekennzeichnet werden. Obwohl
diese Texte und ihre Inhalte somit primär Ausdruck der damaligen Kultur und
ihrer Pädagogik sowie Didaktik sind, und es sich um Aufzeichnungen handelt,
die nur in sehr geringem Maß (d. h. im Rahmen aer jeweiligen Aufgabenstellung)
eine individuelle Gestaltung ermöglichten,22 war es angezeigt, diese — zwar abge-
hoben, jedoch zugleich mit den übrigen Kindheitstexten Nietzsches in demsel-
ben Band — zu publizieren: Zuerst ist hinzuweisen, daß diese Texte anschaulich
den firühesten Bildungsweg Nietzsches zeigen, der für seine spätere Entwicklung
nicht ohne Bedeutung gewesen ist; zudem dokumentieren diese Manuskripte
eine sehr frühe Begegnung Nietzsches mit bestimmten Inhalten und Ideen (z. B.

20
Vokabellisten zu einigen dieser frühen Übersetzungen bringt der »Kritische Kommentar', ebenso
wie andere Materialien primär formal-technischer Art (wie Rechtschreibübungen, Grammatikre-
geln, u. dgl.). In diesem Zusammenhang sei generell angemerkt, daß solche Schulmaterialien —
soweit überhaupt vorhanden - ebenso bei anderen großen Philosophen-Ausgaben aufgenom-
men wurden; im speziellen sei auf die Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) hingewiesen: hier
werden von Engels »Materialien aus der G)7mnasialzeit< als „Zeugnisse ergänzenden Charakters"
(MEGA IV/1, Einleitung 13*) publiziert, und zwar im Anbang zu den »Exzerpten und Notizen*,
a.a O. 437 ff.; dabei werden auch Vokabellisten zu Homers Jlias* gebracht, a. a. O. 515 ff. Schließ-
lich finden sich auswahlweise Angaben und Kopien zu E Engels' Notizen, Anstreichungen und
Korrekturen in Schulbüchern (a. a. O. 536 ff.).
21
Nicht aufgenommen wurden solche Abschriften, die reine Wiedergaben der betreffenden Vorlage
darstellen und die anhand anderer Veröffentlichungen allgemein zugänglich sind; sie sollen je-
doch hier genannt werden: In dem Zeitraum, den der erste Band umfaßt, finden sich im Nach-
laß Nietzsches noch Abschriften folgender Texte: die beiden Choräle ,Jesus leht, mit Ihm auch
ich" von Chr. F. Geliert (bekannter unter dem Titel „Jesus meine Zuversicht"), und das von
Martin Luther stammende > tiefer Noth schrei ich %H dit\ beide aus 1854/55; das Lied tyAn
der Saale kühlem Strande", aus 1856; der »Gesang. Rasch tritt der Tod den Menschen 'an" (F. Schiller,
Wilhelm Teil, 4. Aufzug, 3. Szene), aus 1856. Mit der Widmung versehen: »Nachstehende Lieder
bringet Dir auf Deinen Wunsch als kleine Weihnachtsgabe Dein Fritz Nietzschev 1857*, sind
folgende religiösen Lieder: »Gieb dich ^frieden und sei stille", und zwei Strophen von „O Haupt
voll Blut und Wunden" (beginnend mit der neunten Strophe „ Wenn ich einmal soll scheiden1"*) aus
den »Geistlichen Liedern* von Paul Gerhardt, sowie — ohne Nennung des Autors — der Liedtext
Jch habe L·^ 311 scheiden". — Die Festtagsgedichte, die die frühesten nichtbrieflichen Aufzeich-
nungen Nietzsches darstellen (ab 1852), wurden jedoch aufgenommen, da sie im Unterschied
zu den vorhin genannten Texten eine eher lokale Verbreitung hatten und zudem besonders
bedeutsame Zeugnisse des Milieus seiner Kindheit sind. ' .
22
Im Unterschied dazu sind Bearbeitungen, die ausdrücklich eine eigene Gestaltung erfordern,
wie Schulaufsätze u. dgl., im Hauptteil aufgenommen.
Zur Abteilung I der KGW 323

in Texten aus dem Sprachenunterricht) und zahlreiche andere für die Genese
seines Werkes und seine Biographie wichtige Aspekte;23 ferner sind sie als solche
Zeugnisse von besonderem kulturgeschichtlichen ^ert, auch in interdisziplinärer
Hinsicht (Pädagogik, Schulgeschichts- und Unterrichtsinhaltsforschung, Biogra-
phie- und Kindheitsforschung, insbesondere auch Kinderphilosophie, Mentali-
täts- und Frömmigkeitsgeschichte, etc.).
Aus den genannten Gründen war es angemessen, diese Materialien ergänzend
zu den anderen schriftlichen Aufzeichnungen aus der Naumburger Zeit aufzu-
nehmen. Da ihnen jedoch aufgrund ihrer nachweislich gegebenen eigenen Struk-
tur und Art eine andere Wertigkeit zukommt als jenen Texten, die - soweit sich
feststellen läßt — primär Nietzsches eigene Interessen widerspiegeln, werden sie
separat abgedruckt. Es ist aber aufgrund der chronologischen Anordnung für
den Benutzer der Ausgabe unschwer möglich, die zeitliche Zusammengehörig-
keit mit den im Haüptteil wiedergegebenen Texten festzustellen, da die Se-
rien l A bis 4 A chronologisch im wesentlichen den Serien l bis 4 entsprechen.
Auf solche Weise kann von frühen Anfängen an Stufe um Stufe die Entwicklung
eines bedeutenden Philosophen- und Gelehrtenlebens nachvollzogen werden —
und dies zu ermöglichen, ist gewiß eine der Aufgaben der vollständigen Edition
von Kindheits- und Jugendschriften Friedrich Nietzsches.

V$. für analoge Mitschriften aus der Pfortenser Zeit bzw. der Studentenzeit /. Figl, Dialektik
der Gewalt. Nietzsches hermeneutische Religionsphilosophie. Mit Berücksichtigung unveröf-
fentlichter Manuskripte, Düsseldorf 1984, 58 ff.; den, Nietzsches frühe Begegnung mit dem
Denken Indiens. Auf der Grundlage seiner unveröffendichten Kollegnachschrift aus Philoso-
phiegeschichte (1865), in: Nietzsche-Studien 18 (1989, Gedenkband für M. Montinari), 455-471.
Im Jahre 1982 konnte ich im Wissenschaftskolleg in Berlin mit Montinari über Nachschriften
der Jugendzeit sprechen, und ebenso kam das Thema in Briefen zur Sprache.
WlEBRECHt RlES

ZUR NIETZSCHE-PHILOLOGIE IN DER


GEGENWÄRTIGEN NIETZSCHE-REZEPTION

In seinem Beitrag „Das neue Nietzsche-Bild"1 hat Josef Simon konstatiert,


daß die großen Themen von Nietzsches Philosophie nach dem Erscheinen der
Kritischen Gesamtausgabe von Colli/Montinari heute „nüchterner, geradezu mit
philologischer Akribie aus Distanz und im Zusammenhang der Texte, in denen
sie vorkommen"2 gelesen werden. Dieses Urteil trifft meines Erachtens einen
zentralen Sachverhalt gegenwärtiger Nietzsche-Rezeption, auf den vor Simon
bereits Jörg Salaquarda aufmerksam gemächt hat.3
Nach dem Erscheinen der großen Nietzsche-Monographien von K. Jaspers,
W Kaufmann, K. Löwith und M. Heidegger versteht sich die gegenwärtige wis-
senschaftliche Nietzsche-Literatur im wesentlichen als ein differenzierter Be-
standteil einer vor allem von M. Montinari geförderten historisch-philologischen
Nietzsche-Interpretation4, in welchem die „Distanz" das „Pathos" überwiegt.
Dabei ist zu verzeichnen, daß mit ihr ganz ohne Zweifel eine gewisse „Entschär-
fung" der durch Nietzsche bestimmten radikalen Epochenstimmung der Gene-
ration M. Heideggers und G. Benns verbunden ist. Die Akzentuierung des Inter-
esses vor allem an der Textedition des Nachlasses eröffnet im Blick auf Nietz-
sches Experimentalphilosophie im besonderen Maße einer strukturalen Interpre-
tationsmethode die ihr eigene Möglichkeit, Nietzsches Texte als ein Netz von
Korrespondenzen und Oppositionen zu erschließen. Von ihr her erweist sich
Nietzsches Werk als ein kombinatorisches „System" hochkomplexer Zeichen-
und Bedeutungsordnungen, deren Sinnstrukturen sich nicht zuletzt der Alteri-
tätsbeziehung von Ich und Text im Medium sprachlicher Repräsentation verdan-
ken. Gerade die auf dem Felde der Methodendiskussiotl sich entfaltende Dialek-
tik von kombinatorischer „Textordnung" und hermeneutischer „Sinnordnung"
vermag im Blick auf Nietzsches Texte für jenes oft verkannte Phänomen zu
sensibilisieren, daß diese im Horizont des von ihrem Autor vertretenen Perspek-

1
Simon, Das neue Nietzsche-Bild, Nietzsche-Studien Bd. 21, Berlin/New York 1992, -S. 1-9.
2
ebenda, S. 1.
3
J. Salaquarda, „Einleitung" zu Nietzsche, Wege der Forschung, Bd. 521, Darmstadt 1980.
4
Hierzu: G. Campioni, >Die Kunst, gut zu lesen<. Mazzino Montinari und das Handwerk des
Philologen, in: Nietzsche-Studien Bd, 18, Berlin/New York 1989, S. XV-LXXIV .
Zur Nietzsche-Philologie 325

tivismus Entwürfe einer „Sinnordnung" sind, die sie jeweils im Medium der
ihnen eigenen Metaphorik und Topik reflektieren.
Von der Dynamik ihrer poetischen SinnkonsMution her gelesen, verlieren
die großen philosophischen Entwürfe der Spätzeit, ewige Wiederkehr und Wille
zur Macht, ihren einseitigen Status als Paradigmen metaphysischer Welterkennt-
nis und gewinnen ihren Rang im Rahmen einer Werkkompositionj deren innere
Struktur vor allem durch die Ausdrucksbewegung einer Selbstdeutung Nietz-
sches im kalkulierten Zusammenspiel von „Text" und „Kommentar" bedingt
ist, die das Ensemble ihrer philosophischen Bedeutungen gleichsam „organi-
siert". Unter der Voraussetzung einer am Werk Nietzsches ablesbaren Aus-
druckseinheit von Welt-Spiel und Sprach-Spiel bilden die jeweiligen einzelnen
Schriften Nietzsches die Konstellation einer im Namen des DIONYSOS kodifi-
zierten Philosophie der Welt. „Dionysos" ist für Nietzsche das „Symbol" der
Welt in ihrem Seinsgefüige, er ist zugleich aber auch „Zeichen" für das Werk
Nietzsches als Konstellation seiner Texte.
Die angedeuteten Bezüge gewinnen an Gewicht vor allem durch die 1991
erschienene zweibändige Arbeit von Wolfram Groddeck zu Nietzsches letzter gro-
ßer Dichtung, den „Dionysos-Dithyramben"5. Der Rang und Reichtum wie die
Bedeutung dieser beiden Bände für eine literarisch und philologisch reflektierte
Bestimmung der Komplexität von Nietzsches Werk und den ihm zugrundelie-
genden Schaffensprozeß ist durch eine Besprechung allein nicht ausschöpfbar.
Es können daher an dieser Stelle lediglich einige Bemerkungen und Thesen zu
der fulminanten Forschungsarbeit des Basler Philologen gemacht werden, die in
der Referierung einiger ihrer wesentlichen Befunde den Stellenwert ihrer Rele-
vanz für ein philosophisch orientiertes Nietzscheverständnis mitzudenken ver-
sucht. Die textgenetische Edition der Vorstufen und Reinschriften der „Diony-
sos-Dithyramben", die zusammen mit den auf 142 Tafeln beigegebenen kostba-
ren Faksimiles der Manuskripte den Inhalt des ersten Bandes ausmachen, zeich-
net sich dadurch aus, daß erstmals alles Handschriftliche in seiner genetischen
Anordnung belegt ist und für den Leser „den Entstehungsprozeß der ,Dionysos-
Dithyramben* von der ersten Notiz bis zur definitiven Reinschrift nachvollzieh-
bar"6 macht. Insofern stellt die textgenetische Edition „Dionysos-Dithyramben"
„keine Alternative, sondern vielmehr ein Komplement zur KGW dar, indem
sie anhand einer überschaubaren Überlieferung die spezifisch schriftstellerische
Arbeit Nietzsches exemplarisch offenlegt"7.

5
F. Nietzsche: „Dionysos-Dithyramben", Bd. 1: Textgenetische Edition der Vorstufen M. Reinschriften y
eingeleitet u. hrsg. v. W. Groddeck. Ders.: „Die Dionysos-Dithyramben". Bedeutung und Entstehung
von Nietzsches letztem Werk, Berlin/New York 1991.
6
Bd. l, S. IX.
7
ebenda, S. IX f.
326 Wicbrecht Ries

Der zweite Band kommentiert sodann in neun „Lektüren" die Bedeutung


der letzten Fassung der Gedichte sowie die Genese der durch ihre Textge-
schichte am besten bezeugten sechs Dithyramben. Den Terminus „Lektüre"
will Groddeck im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit der hochreflektierten
Textstruktur der „Dionysos-Dithyramben" als eine „Poetologie" verstanden wis-
sen, „wenn darunter ein Verhalten zum Text verstanden wird, das diesen aus
dem Ensemble seiner semantischen, topischen, formalen und autoreflexiven
Elemente zu begreifen versucht"8. Ein solches Verhalten zum Text, das unter
dem Methodenideal einer von Nietzsche selbst gewünschten philologischen Lek-
türe steht — „sie lehrt gut zu lesen, das heisst langsam, tief, rück- und vorsichtig,
mit Hintergedanken, mit offen gelassenen Thüren, mit zarten Fingern und
Augen" (Aforgenrötbe9 Vorrede 5) —, nimmt den extrem modernen Kunstcharakter
der Dionysos-Dichtung ernst. Ausdruck dieser Modernität ist, daß sie unter
dem Gesetz der poetischen Abstraktion steht. Zu Recht liest Groddeck den
Zeichenkosmos von Nietzsches letztem Werk als „Partitur", zumal das musikali-
sche Element in Nietzsches Sprachkunst darauf beruht, daß ihre poetische Ver-
fahrensweise sich als „kompositorische Methode" beschreiben läßt und das
Druckbild der Faksimiles mit der Vielfalt ihrer phrasierenden Interpunktationen,
Frage- und Ausrufezeichen, Gedankenstriche, Doppelpunkte und auslaufenden
Punkte als ,eine Art Partitur* angesehen werden kann, „die auf akustische Reali-
sierung angewiesen ist."9
Indem er die Kompositionslogik der „Dionysos-Dithyramben" in ihrer der
Korrelation von Wortlogik und Tonlogik zugrunde liegenden (metrischen)
Strukturierung durchsichtig werden läßt, macht er die ihr eigene immanente
innere Spannung spürbar, eine „Spannung", die als Dramatik der Textbewegung
der „Dionysos-Dithyramben" durch die tempi der vom Pathos dieser Spannung
bewegten Zeichen innewohnt. Und indem er sich souverän der Erkenntnismittel
der Topos- und Rhetorikforschung zu bedienen weiß, steigert er das Verständnis
des Lesers für die ästhetische Virtuosität, mit der Nietzsche die numeralen Kon-
figurationen, die Farbenchiffrierung, die sublime Kunst des Anagramms wie das
aristotelische Paradigma der „Metapher nach der Analogie" als poetologische
Begründung seiner Metaphorik im Dienste eines rein dichterischen Sprechens
gebraucht, das auf ein „Absolutes" zielt, indem es die philosophische Formel
der Welt-Ewigkeit als poetische reflektiert.
In diesem Zusammenhang vermag die ebenso streng texttheoretisch orien-
tierte Analyse wie auch die sensibel-künstlerische Interpretation des Basler Ge-

8
Bd. 2, S. XXL
9
K. Pestalozzi, Die Entstehung des lyrischen Ich. Studien %urn Aiotiv der Erhebung in der Lyrik^ Berlin
1970, S. 220. - Ferner: G. Colli, Nachwort zu Nietzsches „Zarathustra"-Dichtung, in: KSA 4,
412. Sowie H.-M. Gauger, Nietzsches Stil am Beispiel von ,jEcce homo", in Nietzsche-Studien
Bd. 13, Berlin/New York 1984, S. 333-355.
Zur Nietzsche-Philologie 327

lehrten den Nachweis zu erbringen, wie eng Nietzsches Dionysos-Dichtung der


Tradition des literarischen Manierismus anverwandt ist, wie er sich beispielhaft
in dem von Nietzsche für seine eigene Stilintention wiederentdeckten Barockstil
des 17. Jahrhunderts dokumentiert. Ferner betont sie die Nähe dieser Dichtung
zu der Lyrik Baudelaires und die auffallende Strukturverwandtschaft mit der
absoluten Lyrik Mallarmes. Diese Korrespondenzen werden für ein philosophi-
sches Nietzsche-Verständnis aber erst fruchtbar, wenn sie nicht ausschließlich
unter dem Aspekt der Stilverwandtschaft gesehen werden, für welche die maß-
gebliche Arbeit von Hugo Friedrich zur „Struktur der modernen Lyrik" den Blick
geschärft hat, sondern aus der Perspektive der Welt als poiesis verstanden wer-
den, deren „Sprache" die apophantische Sprache der Dichtung ist.
Die Arbeit von Groddeck erschließt wesentliche Strukturgesetze der „Logik"
dieser Sprache bei Nietzsche. Die mit dieser Logik verbundene hermeneutische
„Sinnordnung" bezeugt sich vor allem darin, daß Nietzsches Texte „Interpreta-
tionen" des einen unausdeutbaren Textes der Welt sind. Als solche zeigen sie
aber die bevorzugte Kompatibilität ihrer Ästhetik mit dem Labyrinthmythos.
Zeitigen Nietzsches Schriften die Figur des Labyrinths als zentrales Symbol ihrer
Bauform, so ist, wie Groddeck zu zeigen weiß, das „Labyrinth" nicht nur Archi-
tektur-Metapher für den Text der „Dionysos-Dithyramben", sondern - wie in
der „Klage der Ariadne" — „zugleich auch die Metapher der Text-Bewegung: als
der jLabyrinth-Tanz', den einst Daidalos für Ariadne erfunden hat"10. Beobach-
tungen wie diese zur Anspielungspoetik Nietzsches lassen die Lektüre der Arbeit
Groddecks zu einem erregenden Nachvollzug der Rätsel ratenden Kunst der
Philologie werden. So auch, wenn an jener Stelle, an der Groddeck bei der
„Lektüre" des achten Dionysos-Dithyrambus >Ruhm und Ewigkeit< „die uner-
hörte poetologische Abstraktion" erörtert, „die der Begriff >Zeichen< im Kontext
der Dithyramben ausdrückt"11, er aufweist, wie Nietzsche in der Verbindung
von neuzeitlich astronomischem Wissen und mythologischen Konnotationen
der ältesten Lektüren der Sternbilder das „Sternbild" eines griechischen Heroen
zum reinen „Zeichen" verdichtet: Herkules, der als Säugling die Milchstraße
verursacht hat und als Held die Last des Himmels zu tragen vermag, repräsen-
tiert im Schweigen des Kosmos die Bejahung der Wiederkehr durch die Imagina-
tion des „Übermenschen".
In der Herausarbeitung dieser wie anderer Bezüge und Analogien sind die
aus ihnen gewonnenen Ergebnisse von Groddecks philologischen Leistungen
Kostbarkeiten ersten Ranges. - Indem Nietzsche die Zeitlichkeit der Zeit zum
Erdenken der Ewigkeit überschreitet, wird er aus einem unzeitgemäßen Kritiker
seiner Zeit zu einem letzten Liebhaber einer ehernen „Notwendigkeit" der in

10
W Groddeck, Bd. 2, S. 209.
11
ebenda, S. 237.
328 Wiebtccht Ries

der Widerwendigkcit des Werdens stehenden Welt-Ewigkeit jenseits von Ab-


sicht, Wille und Zweck. Die philosophische Formel der „Ewigkeit" und „Not-
wendigkeit" ist aber, sprachkritisch reflektiert, tautologisch und daher „Nichts
sagend"; vom Antiplatonismus Nietzsches aus erweist sie sich für die Rettung
der Erscheinungen als nicht mehr anwendbar. Sie wird selber rettungsbedürftig
und „überlebt" nurmehr als ästhetischer „Gegenstand": als — wie Groddeck
nachweist — >Schrift-Bild< in der Selbstbewegung des Textes. Die Konstellation
dieses „Schrift-Bildes" ergibt auf der leeren Schwärze der poetischen Abstrak-
tion ein „Sternbild", dessen funkelnde Schönheit reine Trostlosigkeit ist. Der
poetische Nihilismus in Nietzsches Spätdichtung ist unverkennbar. Bereits die
dionysische Sprache der ewigen Wiederkehr in den labyrinthischen Gehörgän-
gen von Zarathustras kleinen Ohrmuscheln,/ist keine bedeutungsartikulierte
Rede mehr, sondern „Echo" eines rein dichterischen Sprechers, das nur noch
sich selbst zum Inhalt hat. Aus der Perspektive einer akroamatischen Hermeneu-
tik legitimiert sich der Wahrheitsgehalt von Nietzsches Rede nurmehr als eine
„Rhetorik des Schweigens". Diese bestimmt in der Weise des andeutenden Ver-
schweigens die Stilgesetze von Nietzsches Arbeit am „Mythos" der ewigen Wie-
derkehr und am Dionysos-Mythos.
Ihr korrespondiert im Zyklus der „Dionysos-Dithyramben" eine angedeu-
tete Hermeneutik des Todes, deren „Bedeutungsfeld" an Nietzsches vollkom-
menster lyrischer Dichtung, dem sechsen Dithyrambus „Die Sonne sinkt", ables-
bar wird. Ist das aristotelische Paradigma der „Metapher nach der Analogie", der
„Lebensabend", die poetologische Begründung für die Metaphorik des sechsten
Dithyrambus, so pointiert die in ihm waltende Abendstimmung als memento
mori — wie bereits auch der Schluß von „Das Tanzlied" aus dem zweiten Teil
des „Zarathustra" — eine „Verführung zum Tode"12. Die prinzipielle empirische
Negativität des Todes bringt mit sich, daß seine Nähe nurmehr in Gestalt einer
symbolischen Chiffrierung benannt werden kann, „wo ein >ich< in der Nähe des
>Todes< auf den >Mittag< des Lebens zurückschaut"13. Ist die Farbenchiffrierung
„weiß", „braun" und „blau" mit der Konnotation „Tod" verbunden, so ver-
knüpft der „Nachen" als traditionelles Symbol des Todes „zwei disparat erschei-
nende Bedeutungen von ,Kähnc als Bild des >principium incüviduatipnis< und als
topische Metapher für das Gedicht. Mit dem Versinken des individuellen Prin-
zips im Gedicht schwindet auch die Bedingung der Möglichkeit des lyrischen
Gedichts. Was bleibt, ist die Erkenntnis eines subjektlosen ,SC, das keinen Namen
hat"14.
Am Ende des zweiten Bandes hat Groddeck den Nachweis erbracht, daß
„Nietzsches letztes Werk eine Dichtung über das Werk Nietzsches (ist), in des-

12
ebenda, S. 400.
13
ebenda, S. 163.
14
ebenda, S. 171.
Zur Nietzsche-Philologie 329

sen Zentrum die dreiteilige Dichtung ,Also sprach Zarathustra' steht"15. Als
entscheidend für die kompositorische Stellung der „Dionysos-Dithyramben" im
Gesamtwerk Nietzsches erweist sich aber auch, daß die „Geburt der Tragödie",
der Anfang seiner „tragischen Philosophie" im Namen des „Dionysos", den
Beginn seines Werkes bedeutet, das den „Sokratismus" der Wissenschaft durch
eine tragisch-ästhetische „Weisheit" zu überwinden versucht. Der Herr dieser
„Weisheit" ist Dionysos, als ästhetische Weisheit ist sie tragische Kunst im Zei-
chen des Weltstreites von Dionysos und Apoll. Wird sie beim späten Nietzsche
zu einem „semantisch-poetischen Labyrinth" (P. Pfaff), so ist, wie Groddeck mit
den wissenschaftlichen Mitteln neuester texttheoretischer Interpretationsmetho-
dik nachzuweisen weiß, sie in ihrer Formsprache ein „autoreflexives Gedicht",
ein poetisches Zeichen: DIONYSOS, insofern „Dionysos" „Zeichen" für die
zum Kunstwerk gewordene Philosophie Nietzsches ist. In diesem Nachweis
erfüllt sich, wie ich meine, die >eigentliche< Intention der Arbeit von W. Grod-
deck.
Nach der Vollendung der Zarathustra-Bücher wird das Problem der Werk-
komposition im Schaffen Nietzsches aktuell. Dies dokumentiert sich im Bezug
einer einzigartigen literarischen Selbstdeutung 1886 vor allem in jenen fünf Vor-
reden zu den Neuausgaben seiner Werke, die Claus-Artttr Scheier 1990 unter dem
Titel „Ecce auctor" herausgegeben und eingeleitet hat16. Ausdruckseinheit eines
Selbstdeutungsaktes, können diese kurzen Texte als „Schlüssel zu allen folgen-
den Schriften Nietzsches bis hin zu den Briefen und Postkarten des Jahres
1889"17 dienen, sie sind zugleich „Rechenschaft und Selbst-Vergewisserung des
Denkens auf dem Weg von Zarathustra zu Dionysos"18. Die von Scheier aufge-
stellte These, die kritische Ausgabe von Colli und Montinari hätte die Vorreden
als ein einziges Werk ansehen und editorisch entsprechend verfahren müssen,
scheint jedoch überzogen zu sein. Nietzsche hat die späten Vorreden ja jeweils
auf die frühen Werke hin geschrieben, er hat sie als solche zu Vorreden bestimmt
und sie damit in den Zusammenhang seiner frühen Werkkomposition gestellt.
Die kritische Ausgabe durfte und konnte daher die Vorreden nur so veröffentli-
chen, wie Nietzsche sie selbst publiziert hat. Im übrigen erlaubt der k> der
kritischen Ausgabe chronologisch zugänglich gemachte Nachlaß, die philosophi-
sche Produktion Nietzsches während des Jahres 1886 genauestens zu rekonstru-
ieren.19 Daß indes der Geist dieser Vorreden eine Einheit darstellt, die in der

15
ebenda, S. 478.
16
F. Nietzsche, Ecct cuttor: Die Vorreden von 1886, hrsg. u. eingeleitet v. C-A. Scheief, Hamburg
1990.
17
ebenda, S. VIII f.
18
ebenda, S. XL
19
Zur Kritik an der These Scheiers: H. Caygill, Friedrich Nietzsche, Ecce autor: Die Vorreden von
1886, ed. Claus-Artur Scheier, Friedrich Nietzsche, Tentativo di antocritica 1886-87, ed. and tr.
Marco Brusotri, \ Journal of Nietqche Studies, Issue 3, Spring 1992, S. 107-110.
330 Wiebrccht Ries

engen Zusammengehörigkeit thematisch fundiert ist, legitimiert ihre separate


Ausgabe.
Was die Einleitung des Braunschweiger Philosophen (wie auch sein 1985
veröffentlichtes Buch „Nietzsches Labyrinth. Das ursprüngliche Denken und
die Seele**) mit der Forschungsarbeit des "Basler Gelehrten Wolfram Groddeck
zu verbinden scheint ist, daß sie sich dem grundlegenden „ästhetischer?* Charakter
von Nietzsches Experimentalphilosophie widmet, wobei der Ausdruck
„ästhetisch" auf ein „ursprüngliches Denken" zielt, das sowohl jenseits der
Überhebung absoluter religiöser Sinngebung wie auch diesseits der Position ei-
ner zu der Möglichkeit objektiver Wahrheit skeptisch sich verhaltenden Wissen-
schaft verbleibt und somit eine Figur antiker „Weisheit" wiederholen will. Die
„Wahrheit" dieser Weisheit erscheint als die „poietische Bewegung des Lebens
selbst"20. Die alles entscheidende Frage scheint mir aber die zu sein, welche
„Sprache" dieser „poietischen Bewegung des Lebens" angemessen ist. Die Ant-
wort darauf ist von äußerster Zweideutigkeit - ist es, so Scheier, „die Seele" des
Dionysos, die Ariadne heißt? — sicher ist nur: sie ist der Untergang ^Uer Spra-
chen der Wissenschaft, aber auch der Kunst in der traditionellen Überlieferung
ihres Begriffs. In diesem Zusammenhang scheint der von Scheier als „Schlüssel-
begriff' verwendete Ausdruck „Seele" nicht ganz durchsichtig zu sein. „Seele"
ist hier weder die Psyche bei Plato in ihrer logischen Selbstreflexion im Hinblick
auf die Ideenlehre, noch die anima bei Augustin in ihrem Zwiegespräch mit
Gott. Ist sie als „Selbst der Weisheit" ein, wie Scheier formuliert, „Abgrund-
Wort" Nietzsches wie „Übermensch", „Wille zur Macht" und „ewige Wieder-
kunft des Gleichen"? Und fügen sich in diesem >Abgrund-Wort< das Denken,
die Seele und Dionysos zu einer Einheit? Dann stellt sich die Frage, worin
eine solche „Einheit" gegeben ist, wenn die Kantische Wendung der formalen
„Einheit" der transzendentalen Apperzeption als eine „Vereinfachung" der Ver-
nunft weder „die Seele" noch „Dionysos" erreicht. Vom Interpretationsansatz
Groddecks her wäre die kombinatorische Einheit von Denken, >Seele< und >Dio-
nysos< in der Selbstbewegung des Textes gegeben und nur in ihr. Vielleicht
vermag aber die Fügung der Trias von Denken, Seele und Dionysos näher noch
in den Erfahrungsbereich Nietzsches gestellt werden, wenn sie als eine „affektive
Spannung" im Sinne einer primär „musikalischen Gestimmtheit" aufgefaßt wird,
deren Widerklang in der „Klangrede" Zarathustras und der „Dionysos-Dithy-
ramben" zu finden ist. Dem korrespondiert die Bemerkung Scheiers, daß „im
Unterschied zum begreifenden Ich die .schaffende Seele ursprünglich dichten^21
ist. Problematisch bleibt nach Scheier die stete Möglichkeit einer >Übersetzung<

20
F. Nietzsche, Beet autor, a. a. O., S. XLII1.
21
ebenda, S. XXVIII. Zum Verhältnis von Philosophie und Dichtung bei Nietzsche: G. Kaiser,
Wortwelten — Weltworte. Die ersten beiden Dionysos-Dithyramben Nietzsches, in: Augenblicke
deutscher Lyrik, Frankfurt a. M. 1987, S. 350 f.
Zur Nietzsche-Philologie 331

des poietischen „Affektes" in die ideologische Realisierung als „politisch-soziale


>Mobilmachung< des faktischen Daseins" sowie die kreative Realisierung der
„ jZüchtung* der Seele zur Selbstüberwindung in die mögliche dionysische Paru-
sie"22, Assimilationen, die in Nietzsches exoterischer Philosophie prinzipiell an-
gelegt sind und die in der Geschichte der in den „Vorreden" wie im „Ecce
homo" dokumentierten Stationen der „Selbstüberwindungen" Nietzsches den
Umriß einer „Erkenntnistragödie" abzeichnen^ die Scheier in eindrucksvoller
Weise am Ende seiner „Einleitung" vor Augen stellt, wenn er schreibt: „Die
Katastrophe der nietzscheschen Existenz ist so die zum Widerspruch zuge-
spitzte Paradoxie, daß Dionysos' Ausbleiben, seine Apusie, die schaffende Seele
nötigt, selberdie schlechthin unvorgreifliche Bedingung des Schaffens, die Parusie
des Gottes, zu schaffen als creatio ex nihüo. Um dieser Sehnsucht der Seele willen
verwandelt sich Nietzsche in Dionysos — mit der ungeheuren Umkehrung, daß
Dionysos zum Dichter und ,Hanswurst* wird. Im Januar 1889 ist darum dieser
ursprüngliche Glaube der Welt an die göttliche Erneuerung, der auf je andere
Weise die Ursprungsgeschichte des nachhegelschen Denkens bestimmt hatte,
selber gestorben. Ein Tod Gottes, den das zeitgenössische Bewußtsein zu erfah-
ren seine Zeit brauchen würde. Daraus entsprang einerseits das ideologische
Bewußtsein, daß der Mensch, so wie er ist, die Verwandlung der Welt in der Hand
hätte, andererseits eine neue Gestalt des Denkens, die sich Rechenschaft darüber
ablegte, nicht poietisch sein zu können, und die deshalb, weil sozusagen nichts
übrig geblieben war als jener reine Widerspruch theoretisch und logisch sein
würde"23.
Die in dieser Passage gebrauchten Wendungen „Apusie" des Dionysos (als
gegengewendeter Ausdruck zur christlichen „Parusie") wie „creatio ex nihilo"
verweisen auf jene bereits von Karl Löwith in seinen maßgeblichen Nietzsche-
Arbeiten herausgestellte Bewandtnis, daß Nietzsches groß angelegter Versuch
der Wiederholung einer tragischen Weisheit „auf der Spitze der Modernität"
gescheitert ist, weil er von Anfang an gebrochen war durch den auf eine eschato-
logische Zukunft gerichteten Willen der jüdisch-christlichen Tradition, sodaß
Nietzsches Denken, von daher beurteilt, vielleicht den am schärfsten zugespitz-
ten Ausdruck für die aus dem Grundkonflikt von Mensch und Welt resultierende
Krise der Neuzeit darstellt. Es bleibt nachdenkenswert, ob diese Krise durch
eine ästhetische Radikalisierung des Mythos zur Kunst des „Erzählens" zu ent-
schärfen ist. Die ästhetische Eigenart dieses Erzählens liegt, das hat Scheier
scharfsinnig am Beispiel von Nietzsches „Zarathustra" angemerkt, in dem
„Spiel" seiner „synchronen" und „diachronen" Ordnungen. „Der Text geht dia-
gonal weiter, Aussage reiht sich an Aussage, aber die Sätze, die Satzreihen, die

22
ebenda, S. XXX.
23
ebenda, S. CXXII.
332 Wiebrecht Ries

Aphorismen wenden leidenschaftlich in die Tiefe, und in diesem je unvorgreif-


lichen Wenden blitzt die Hoffnung der ungeteilten Welt auf'24. In den großen
„Symbolen" dieser Kunst, Zarathustra, Ariadne, Dionysos, — in ihrem Geföge
— scheint die „Wahrheit" des einen Lebens im verdichteten Gleichnis geschaut
zu sein, erfüllt sich ein ursprünglicher Sinn von „Theorie", aber das im Blick
auf den aufsteigenden „Gedanken" der ewigen Widerkehr ineins gedichtete
Ganze der Welt zerfällt einer ernüchterten gedanklichen Auseinandersetzung in
unaufhebbare Widersprüche und laßt es lediglich in der sprachlichen Repräsen-
tanz jeweiliger Sinnordnungen von Texten anwesend sein, „außerhalb" derer es
keinen autonomen Wirklichkeitsstatus zu beanspruchen vermag. Das von
Scheier verhement hervorgehobene änigmatische Denken Nietzsches ist, dies
haben die philologischen Analysen Groddecks erneut unter Beweis gestellt, her-
metische Dichtung. Sie beruht, wie in den „Dionysos-Dithyramben" auf teil-
weise tief verschwiegenen „Erfahrungen", die, fundiert in einer „musikalischen
Gestimmtheit", sich in die „Sprache" „selbsterworbener Zeichen" (M. Komme-
reil) transformieren, und die sich ihrer „Übersetzung" in die Sprache des philo-
sophischen Begriffs grundsätzlich zu entziehen scheinen. In diesem Zusammen-
hang scheint mir die Differenz zwischen der „exoterischen" Lehre und der „eso-
terischen" Mitteilung bei Nietzsche für ein angemessenes Verständnis seines
Denkens von großer Relevanz zu sein. Der Akzent der Bedeutung dieses Den-
kens verlagert sich auf die letztere, wenn man, wie M. Heidegger und E. Staiger,
von einer „Welt-Durchstimmtheit" der dichterischen Sprache ausgeht, deren
„halkyonische" Gestimmtheit die Zuständigkeit des Innestehens im „dionysi-
schen Fortriß" (Th. Böning) der Welt erschließt.25
Vom Stand gegenwärtiger Nietzsche-Rezeption aus, scheint es sich als dien-
lich zu erweisen, immer noch primär auf die sprachliche Repräsentation seines
Denkens zu „hören" und sie zu reflektieren. Was dabei offen bleibt, ist, ob die
hier teilweise vorgestellten Methoden einer solchen Reflexion hinsichtlich des
durch Nietzsche gestellten Problems einer als Ära des vollendeten Nihilismus
diagnostizierten Moderne nach dem Verlust des ältesten griechischen Weitden-
kens und nach dem „Tode Gottes" eine „Lösung" bieten oder ob sie -nicht dieses
Problem „ausklammern", wie es im Wesen des Methodischen selbst angelegt ist.
Durch seinen philosophischen Gedanken der ewigen Wiederkehr als Wiederholung
einer vorsokratischen Ansicht der Welt scheint Nietzsche selbst in einer Gegen-
wendung zur Modernität dieses „Problem" unterlaufen zu haben. In seinem
unzeitgemäßen Versuch der Wiedergewinnung eines (kosmologischen) Stand-
punktes, der über der klassischen Metaphysik wie auch über den transzendenta-

24
ebenda, S. XLIL
25
Hierzu vor allem: Th. Böning, Metaphysik) Kunst und Sprache beim frühen Nief%sche> Berlin/New
York 1988, insbes. S. 305 ff.
Zur Nietzsche-Philologie 333

len Subjektivismus hinausliegt, denkt er das Sein als Zeit und versucht im Zei-
chen seiner „Dionysischen Philosophie" von „Mittag und Ewigkeit" ein „neues"
Verstehen der Welt als Ganzes, das an ältestes gneclusches Weltdenken einer
Äternität des Werdens anknüpft, in welchem in jedem Augenblick die Welt in
der „Bejahung des Vergehens und Vernichtens"26 zugleich verklärt und „ge-
rechtfertigt" ist, wobei die sprachlichen Wendungen der „Bejahung", der „Ver-
klärung" und der „Rechtfertigung" die eigentümliche Gebrochenheit dieses Ver-
suches belegen, da ihre Herkunft nicht griechischer, sondern jüdisch-christlicher
Tradition entspringt.27 Abgesehen von dieser „Gebrochenheit", die Nietzsche
als die janusköpfige Figur zwischen den Epochen erscheinen läßt — des vom
Spätlicht des Christentums umdunkelten 19. Jahrhundert und einer von der
„Morgenröte" der natürlichen Welt überglänzten unbewiesenen Zukunft — ist
aber sein entscheidend philosophischer Gedanke das Denken des Seins als Zeit,
das „philosophisch" wohl unausgeführt geblieben ist.28 Jedoch läßt sich diesem
Denken eine Dimension des „Zeit"-Verständnisses abgewinnen, wie sie vor
allem G. Colli in seinem 1968 geschriebenen Nachwort zu der italienischen Aus-
gabe des „Zarathustra" in den Blick gebracht hat, wenn er schreibt: „Als Wurzel
der Vision von der ewigen Wiederkunft suche man weniger das Nachklingen
doxographischer Berichte über eine alte pythagoreische Lehre oder wissen-
schaftliche Hypothesen des 19. Jahrhunderts als vielmehr das Wiederauftauchen
kulminierender Momente der vorsokratischen Spekulation, die auf eine Unmit-
telbarkeit hingewiesen haben, die in der Zeit wieder auffindbar ist, jedoch aus
ihr hinausführt und so ihre nicht umkehrbare Eingleisigkeit aufhebt. Wenn man
zurückgeht bis zu diesem nicht mehr Darstellbaren, so läßt sich nur sagen, daß
das Unmittelbare außerhalb der Zeit - die „Gegenwart" des Parmenides und
das „Aion" des Heraklit - in das Gewebe der Zeit eingeflochten ist, so daß in
dem, was vorher oder nachher wirklich erscheint jedes Vorher ein Nachher und
jedes Nachher ein Vorher ist und jeder Augenblick ein Anfang."29 Ich erinnere
an diese Passage, weil sie mir eine hermeneutische Maxime zu sein scheint. Von
Philologie und Philosophie gleichermaßen wäre erneut zu beachten, in welch
einem entscheidenden Maße Nietzsche „den Griechen" verpflichtet ist, den ein-
zigen, von denen er gelernt hat, „ja zu sagen" (G. Colli), und was er vornehmlich
Heraklit verdankt: die Wiedergewinnung des antiken Bodens der Physis, „als
Streit der Kräfte und Insichkreisen entmoralisiert, entlogifiziert und ästhetisch

26
EH,GT3;KSA6,313.
27
Hierzu vor allem KL Löwith, Nietzsches „Vorspiel einer Philosophie der Zukunft", in: SaattL
Schriften 6, Stuttgart 1987, S. 427-446.
28
Hierzu: J. Stambaugh, öntmuchungn Problem der Zeit bei Nietzsche, Den Haag 1959. - Zur
Kritik: E. Fink, Nichts Philosophie, Stuttgart 1973, S. 99 £
29
G.Colli, KSA4,416.
334 Wicbrecht Ries

gerechtfertigt."30 Neben Beiträgen von M. Djuri^ und i/ Höischer*2 verdient


in diesem Zusammenhang das Buch von G. WoblfartF* zu Nietzsches Heraklit-
Rezeption Beachtung. Seine historische Untersuchung setzt ein bei Nietzsches
Darstellung der Heraklit-Fragmente in den Basler Vorsokratiker-Vorlesungen,
„Die Vorplatonischen Philosophen", und in der frühen Schrift über „Die Philo-
sophie im tragischen Zeitalter der Griechen" und erstreckt sich bis zum späten
Nietzsche. Eine genaue Analyse dreier Kapitel aus „Also sprach Zarathustra"
(Von den drei Verwandlungen, Der Genesende, Mittags) erweist die zentrale
Bedeutung von Heraklits Fragment B 52 als Schlüssel zum Verständnis von
Nietzsches ästhetischer Metaphysik. Im Blick auf dieses Fragment hat bereits
T. BorscJje34 detailliert dargelegt, daß Nietzsche seiner Deutung die Interpretation
von /. jBernajs35 zugrunde legt, „der Heraklits 'Bezeichnung des als
unter Rückgriff auf die (stoische) Auslegung des Bildes bei Plutarch als
>weltbildende Thätigkeitx übersetzt hat".36 Nietzsches Interpretation geht jedoch
über Bernays hinaus, insofern er den Heraklitischen Gedanken des Seins-Spiels
der >Zeit< für seine eigene Ästhetik adaptiert, in welcher „der Begriff der Welt
der Kirnst zu dem der Welt als Kunst erweitert wird".37 Unklar bleibt aber in
diesem Zusammenhang meines Erachtens, inwiefern Nietzsches nicht nur durch
Heraklits Fragment B 52, sondern auch durch die Ästhetik Kants und Schillers
inspirierte „Spiel"-Theorie ihn ausgerechnet zu einem Protagonisten der Post-
moderne machen soll. Nietzsches zentraler Gedanke des „Spiels" ist primär die
ästhetische Konzeption eines tief tragischen Weltverständnisses, das wohl in der
Gebärde der Bejahung in die Dimension göttlicher Leichtigkeit gehoben —, aber
nicht aufgehoben ist. Ein solches Weltverständnis ist aber gerade der Postmo-
derne gänzlich fremd. In der fruchtbaren Verbindung von philologischer Ana-
lyse und philosophischer Interpretation gelingt Wohlfart der Nachweis, daß
Nietzsches Bild der ewigen Wiederkunft „auf Heraklitischem Grund gemalt
ist"38, und Nietzsches „Gründperception" von der Vollkommenheit der Welt
zur Stunde des vollkommenen „Mittags" einer von ihm Heraklit zugeschriebe-

30
H. Ottmann, Philosophie und Politik bei Nietzsche, Berlin/New York 1987, S. 56.
31
M. Djuric, Die antiken Quellen der Wiederkunftslehre, in: Nietzsche-Studien; Bd. 8,' Berlin/New
York 1979, S, 1-16.
32
U. Hölscher, Die Wiedergewinnung des antiken Bodens. Nietzsches Rückgriff auf Heraklit, in:
Neue Hefte für Philosophie 15/16: Aktualität der Antike, Göttingen 1979, S. 156-182.
33
G. Wohlfart, „A/so sprach Herakleitos". Heraklits Fragment B 52 und Nietzsches HerakUt-Re^eption,
Freiburg 1991.
34
T. Borsche, Nietzsches Erfindung der Vorsokratiker, in: Nietzsche und die philosophische Tradition^
Bd. l, hg. v. J. Simon, Würzburg 1985.
35
Bernays, Heraklitische Studien, in: Gesammelte Abhandlungen, hg. v. H. Usener, Berlin· 1885.
36
B. von Reibnitz, Ein Kommentar Friedrich Nietzsches „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der
Musik11 (Kapitel 1-12), Stuttgart 1992, S. 171.
37
G. Wohlfart, S, 277.
3
« ebenda, S. 329.
Zur Nietzsche-Philologie . 335

nen „ästhetischen Grundperception" vom „Welt-Spiel der Welt-Zeit"39 ent-


spricht, deren „Kulminationspunkt" im Gedanken der ewigen Wiederkehr zu
sehen ist. Und indem Nietzsches befremdlicher Blick auf das älteste Griechen-
tum, „den orphischen Zagreus und den Heraklitischen Aion zusammen-
schaut"40, eröffnet sich ihm „das dionysische Phänomen" einer im Doppellicht
ewiger Selbsterschaffung und Selbstzerstörung liegenden Weltewigkeit. Die von
Wohlfart erneut unter Beweis gestellte Allgegenwart Heraklits im Denken Nietz-
sches darf jedoch nicht vergessen machen, daß Heraklits ursprüngliches Denken
der Physis sich ontologisch gleichwohl von Nietzsches im Spiel interpretatori-
scher Konfigurationen gegründeten Welt-Begriff unterscheidet.41 Jedoch zeigen
sich dem Betrachter in der Verwebung der Texte von Heraklit und Nietzsche,
ihrer Nähe und ihrer Abständigkeit, die Nahtstellen einer als poiesis begriffenen
Welt, die sich im Werk Nietzsches in der Weise ihrer Sprachfindung reflektiert.

59
ebenda, S. 351.
40
ebenda, S. 365.
41
Siehe hierzu: F. Kaulbach, Nietyfbts Idet einer Exptriwtntalpbiksophi^ Köln 1980, S. 128.
MARTIN STINGELIN

DIE RHETORIK DES MENSCHEN

Neuerscheinungen von Angele Krerner-Marietti, Peter Gasser und Rudolf


Thema „Nietzsche und die RJjetorik"

Seit 1970/71 — dem Zeitpunkt, zu dem auch Nietzsche von der internationa-
len Renaissance der Rhetorik-Forschung erfaßt worden ist1 — steht Philippe
Lacoue-Labarthes Diktum zur Aktualität der Rhetorik in Nietzsches Werk nach
18752 im Raum: „Von 1875 an ist die Rhetorik kein privilegiertes Instrument
mehr. Man könnte fast sagen, daß Nietzsche ihr sämtliche Rechte entzieht, daß
sie praktisch aufhört, ein Problem zu sein"3. Zu diesem Schluß kommt Lacoue-
Labarthe, indem er die Rhetorik ausschließlich an Nietzsches Sprachkritik bin-
det: „die Rhetorik wird nur insofern in Betracht gezogen, als sie zur Enthüllung
des Wesens der Sprache beiträgt"4. Die Aporien, in die sich der noch immer
der Metaphysik verpflichtete Versuch verstrickt, das Wesen der Sprache als Rhe-
torik zu bestimmen — wenn auch unter dem Vorzeichen der „Umkehrung", aber
worin soll die Gewißheit der in der romantischen Tradition stehenden Bestim-
mung gründen, daß die Übertragung den Ursprung jeder „eigentlichen" Bedeu-
tung bildet? — , sollen dieses Problem schließlich bis zu seiner Erschöpfung auf-

1
Den Auftakt in der deutschsprachigen Nietzsche-Forschung bildeten Wilfried Barner, „Nietz-
sche über »Barockstil* und »Rhetorik*", in: ders., Barockrhetorik. Untersuchungen %ti Ihren geschichtli-
chen Grundlagen^ Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1970, S. 3-21, und Joachim Goth, Nietzsche und
die RJjeiorik, Tübingen: Max Nierneyer Verlag 1970 (= Untersuchungen %ur deutschen Literaturgeschichte
Band 5).
2
Im Sommersemester 1875 liest Friedrich Nietzsche als Ordinarius für klassische Philologie zum
letzten Mal über Rhetorik, und zwar über „Aristoteles* Rhetorik 3st." (Fortsetzung einer Veran-
staltung des Wintersemesters 1874/75), worauf sich Lacoue-Labarthe allerdings nicht explizit
bezieht; die für das Wintersemester 1877/78 und das Sommersemester 1879 angekündigten
Vorlesungen ,jDie Rhetorik des Aristoteles 2st." und „Einleitung in die griechische Beredsamkeit
2st." sind mit größter Wahrscheinlichkeit entfallen, vgl Richard Meister, „Nietzsches Lehrtätig-
keit in Basel 1869--1879", Sitzung der philosophisch-historischen Klasse vom 10. März 1948,
in: Anzeiger der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse 85. Jg.
(1948), Nr. 7, S. 103-121, hier S. 105-107.
3
Philippe Lacoue-Labarthe, „Der Umweg" (1971), aus dem Französischen übersetzt von Thomas
Schestag, in: Werner Hamacher (Hrsg.), Nietzsche aus Frankreich, Frankfurt/Main-^Berlin: Verlag
Ullstein 1986, S. 75-110, hier S. 78.
4
Ebd., S. 84.
Die Rhetorik des Menschen . 337

gerieben, Nietzsche es verlassen haben; so habe die Rhetorik zwar Nietzsches


Glauben an die Metaphysik erschüttert, zu ihrer Kritik aber soll er sich in der
Folge anderer Strategien bedient haben. ··
Auch Paul de Man, der im Gegensatz zu Philippe Lacoue-Labarthe „Impli-
kationen dieser frühen Spekulationen über Rhetorik in späteren Schriften"5
Nietzsches entwickelt und gezeigt hat, „daß der Schlüssel zu Nietzsches Kritik
der Metaphysik [...] im rhetorischen Modell der Trope liegt"6, genauer in der
Metonymie, die Nietzsche in der für die Metaphysik konstitutiven Vertauschung
von Ursache und Wirkung wiedererkennt und als Verführung durch die „Logik"
der Sprache kritisiert, gibt der Rhetorik bei Nietzsche eine wenn auch praktische,
so doch ausschließlich sprachkritische Wendung7.
Durch diese Reduktion der Rhetorik vernachlässigen sowohl Lacoue-Labar-
the wie de Man das ihr eigene Spannungsfeld zwischen Sprachform/-stilistik
und Anthropologie8, in dem Nietzsche sie in seiner Rhetorik-Vorlesung vom
Wintersemester 1872/739 erörtert; diese Vorlesung bildet den Brennpunkt des
Interesses einer Reihe von Neuerscheinungen zum Thema „Nietzsche und die
Rhetorik"10. Der unvermittelte Widerstreit zwischen dem sprachstilistischen und
5
Paul de Man, „Rhetorik der Tropen (Nietzsche)" (1974), in: ders., Allegorien des Lesens, aus dem
Amerikanischen von Werner Hamacher und Peter Kruppe, Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag
1988, S. 146-163, hier S. 149.
6
Ebd., S. 152.
7
Zu den geistesgeschichtlichen Konsequenzen von Nietzsches Sprachkritik vgl. Karl Pestalozzi,
Spracbkritik und deutsche Literatur im 20. Jahrhundert, Rektoratsrede gehalten an der Jahresfeier der
Universität Basel am 30. November 1990, Basel: Verlag Helbing & Lichtenhahn 1990 (= Basler
Universitätsreden 86. Heft).
8
Vgl. zu diesem Spannungsfeld Rüdiger Campe, Affekt und Ausdruck. Zur Umwandlung der literari-
schen Rede im 17. und 18. Jahrhundert, Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1990 (= Studien %ur deutschen
Literatur Band 107), ders., „Die zwei Perioden des Stils", in: Comparatio. Revue Internationale de
LJfterature Comparee 2/3 (1991), S. 73-101 (zu Nietzsche insbes. S. 98-99), und ders., „Rhetorik-
Forschungen (und Rhetorik)", in: Modern Language Notes Vol. 109 (1994), S. 519-537.
9
Die einzige bislang vollständige, zweisprachige Edition von Nietzsches „Darstellung der antiken
Rhetorik (1872-73)", in: Friedrich Nietzsche on Rhetonc and Language, Edited and Translated with
a Crirical Introduction by Sander L. Gilman, Carole Blair and David J. Parent, New York-Ox-
ford: Oxford University Press 1989, S. 1-167, ist von Anton Bierl and William Calder III,
„Friedrich Nietzsche: ,Abriss der Geschichte der Beredsamkeit*. A New Edition", in: "Nietzsche-
Studien Band 21 (1992), S. 363-389, als unzulänglich zurückgewiesen worden.
Methodologisch ertragreich ist die Quellenkritik von Anthonie Meijers und Verf., „Konkordanz
zu den wörtlichen Abschriften und Übernahmen von Beispielen und Zitaten aus Gustav Ger-
•ben Die Sprache als Kunst (Bromberg 1871) in Nietzsches Rhetorik-Vorlesung und in ,Ueber
Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne'", in: Nietzsche-Studien Band 17 (1988),
S. 350-368, weitergeführt worden von Glenn Most und Thomas Fries, „<«): Die Quellen von
Nietzsches Rhetorik-Vorlesung", in: Josef Kopperschmidt und Helmut Schanze (Hrsg), Nief^·
sehe oder ,JDie Sprache ist Rhetorik". München: Wilhelm Fink Verlag 1994 (= FIGUREN Band 1),
S. 17-38 und 251-258 (schematische, vereinfachte Darstellung der Quellenlage zu § 2 und § 7
der Rhetorik-Vorlesung).
10
Rudolf Fietz, Medienpbilosophit. Musik, Sprache und Schrift bei Friedrich Nietzsche, Würzburg: Königs-
hausen & Neumann 1992 (= Epistemata. Würzburger nwenscbaftlicbe Schriften. Reihe Philosophie
Band 117), 440 Seiten; Peter Gasser, Rhetorische Philosophie. Leseversucbe %u/n metaphorischen Diskurs
338 Martin StingeliR

dem anthropologischen Aspekt der Rhetorik kommt im Gedankensprung zum


Ausdruck, mit dem Nietzsche Bewußtsein und Unbewußtes zueinander in Be-
ziehung setzt, wenn er schreibt:
„Es ist aber nicht schwer zu beweisen, dass was man als Mittel bewusster
Kunst »rhetorisch* nennt, als Mittel· unbewusster Kunst in der Sprache und
deren Werden thätig waren, ja, dass die Rhetorik eine Fortbildung der
in der Sprache gelegenen Kunstmittel ist, am hellen Lichte des Verstan-
des. Es giebt gar keine unrhetorische »Natürlichkeit* der Sprache, an die man
appelliren könnte: die Sprache selbst ist das Resultat von lauter rhetorischen
Künsten."11
Im Grunde steht bereits hier nicht die „Natürlichkeit" der Sprache, sondern
die „Natürlichkeit" des Menschen auf dem Spiel: Wie bei der Affektenpsycholo-
gie des 17. und 18. Jahrhunderts, die im Menschen die Rhetorik entdeckt hat,
indem sie seinen Gemütsbewegungen einzelne rhetorische Figuren zuordnete,
in denen sie Gestalt annehmen12, stellt sich auch hier die Frage nach dem Ab-
hängigkeitsverhältnis zwischen Mensch und Rhetorik. Ist die Rhetorik als Unbe-
wußtes oder gar in Form des Unbewußten13 unvordenklich im Menschen einge-

/// Nietzsches ttA/so sprach Zarathustra'\ Bern—Berlin—Frankfurt/Main—New York—Paris—Wien: Pe-


ter Lang 1992 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe I: Deutsche Sprache und Literatur Band 1371),
265 Seiten, und Angele Kremer-Marietti, Nietzsche et la rhetorique^ Paris: Presses Universitaires de
France 1992 (= L'interrogation philosopbique), 269 Seiten.
11
Friedrich Nietzsche, „Rhetorik", in: GA XVIII, S. 237-268, hier S. 248-249.
12
Vgl. dazu Rüdiger Campe, „Rhetorik und Physiognomik oder Die Zeichen der Literatur", in:
Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch Band 9 (1990), „Rhetorik und Strukturalismus", S. 68-83.
13
In dieser Pointierung, dem Unbewußten im Anschluß an Roman Jakobsons linguistisches Zwei-
Achsen-Modell der Sprache die Struktur von Metapher und Metonymie zuzuschreiben, besteht
bekanntlich Jacques Lacans „Rückkehr zu Freud"; vgl. Jacques Lacan, „Das Drängen des Buch-
stabens im Unbewußten oder die Vernunft seit Freud" (1957, 1966), aus dem Französischen
übersetzt von Norbert Haas, in: ders., Schriften II, ausgewählt und herausgegeben von Norbert ·
Haas, Olten-Freiburg/Br.: Walter-Verlag 1975, S, 15-55. Schon Roman Jakobson hat in Freuds
Traumarbeitsmechanismen der „Verdrängung" und der synekdocheisch verstandenen „Verdich-
tung" das Kontiguitätsprinzip der Metonymie, in den -mechanismen der „Identifizierung" und
des „Symbolismus" das Similaritätsprinzip der Metapher wiederentdeckt; vgl. Roman Jakobson,
„Zwei Seiten der Sprache und zwei Typen aphatischer Störungen" (1956), aus dem Englischen
übersetzt von Georg Friedrich Meier, in: ders., Aufsätze %tir Linguistik und Poetik^ herausgegeben
von Wolfgang Raible, Frankrurt/Main-Berlin-Wien: Ullstein Verlag 1979, S. 117-141, insbes,
S. 137—138. So überrascht es - gerade bei der Verwirrung, die Jakobsons Zuordnung der „Ver-
dichtung" zur Metonymie ausgelöst hat — nicht, daß die Rhetorik in den letzten Jahren auch
innerhalb der Psychoanalyse zu einem vielbeachteten Problem geworden ist; vgl. etwa Emile
Benveniste, „Remarques sur la fonction du language dans la decouverte freudienne", in: ders.,
Probleme* de linguistique generale, Paris: Editions Gallimard 1966, S. 75—87, Tzvetan Todorov, „La
rhetorique de Freud", in: ders., Theories du symbole, Paris: Editions du Seuil 1977, S. 285-321,
Hans Hiebe!, „Witz und Metapher in der psychoanalytischen Wirkungsästhetik", in: Germanisch-
romanische Monatsschrift N. E Band 28 (1978), S. 129-154, Maria Ruegg, „Metaphor and Meto-
nymy: The Logic of Structualist Rhetoric", in: Glyph Vol. 6 (1979), S. 141-157, Samuel Jaffe,
„Freud äs Rhetorician: Elocutio and the Dream-Wprk", in: Rfietorik. Ein internationales Jahrbuch
Band l (1980), S. 42-69, und Günter Everhartz und Andreas Mones, „Text - Traum - Text
<?</<?>· Das Nichts einer Differenz", in: Rhetorik. Ein internationalesJahrbuch Band 9 (1990), „Rhetorik
und Strukturalismus", S. 38—51.
Die Rhetorik des Menschen 339

lassen und immer schon am Werk oder ist sie Menschenwerk, bewußtes Werk
von seiner Hand und damit Handwerk? Diese Frage verschärft sich im Verlauf
von Nietzsches Werk noch, in dem mehr und melrir-die Anthropologie in den
Vordergrund rückt. Wo immer sich Nietzsche die Frage nach dem Menschen
stellt, ist sie gleichzeitig eine Frage der Rhetorik, im Frühwerk eher im systemati-
schen, zusehends mehr jedoch in einem handgreiflich-praktischen Sinne. Für die
Genealogie ist das menschliche Wesen, „der schreckliche Grundtext homo na-
tura", interpretationsbedürftig14:
„Den Menschen nämlich zurückübersetzen in die Natur; über die vielen eitlen
und schwärmerischen Deutungen und Nebensinne Herr werden, welche bisher
über jenen ewigen Grundtext homo natura gekritzelt und gemalt wurden; ma-
chen, dass der Mensch furderhin vor dem Menschen steht, wie er heute schon,
hart geworden in der Zucht der Wissenschaft, vor der anderen Natur steht,
mit unerschrocknen Oedipus-Augen und verklebten Odysseus-Ohren, taub ge-
gen die Lockweisen alter metaphysischer Vogelfänger, welche ihm allzulange
zugeflötet haben: ,du bist mehr! du bist höher! du bist anderer Herkunft!' —
das mag eine seltsame und tolle Aufgabe sein, aber es ist eine Aufgabe - wer
wollte das leugnen!"15

Paradoxerweise also besteht „die Natur" des Menschen, in die ihn die Ge-
nealogie „zurückübersetzen" will, gerade in ihrer Interpretierbarkeit. Mit dieser
Bestimmung des menschlichen Wesens steht der Genealoge gleichzeitig unter
dem Gebot, es im Dienst des Lebens festzustellen und Geschichte zu machen16.
Auch dazu bedient sich Nietzsche der Rhetorik. Von einem erkenntniskritischen
Instrument zur Analyse der menschlichen Natur im Frühwerk - das in einer

14
Vgl. dazu Verf., „Der Körper als Schauplatz der Historie. Albert Hermann Post, Friedrich
Nietzsche, Michel Foucault", in: FRAGMENTE. Schriftenreihe %ur Psychoanalyse Nr. 31 (Okt.
1989), „Schnittstelle Körper - Versuche über Psyche und Soma", S. 119-131.
15
JGB, Siebentes Hauptstück: unsere Tugenden 230, KSA 5, S. 169; zu Nietzsches Bestimmung
der philosophischen Aufgabe vgl. insbes. JGB, Sechstes Hauptstück: wir Gelehrten 211, KSA 5,
S. 144-145.
16
Vgl. zu diesem Gebot Heinz Dieter Kittsteiner, „Nietzsches ,souveränes Individuum* fh'seiner
»plastischen Kraft*'*, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie Heft 2/1993, „Individuum und
Person", S. 294-316, insbes. S. 299 und 311-316, und Werner Hamacher, „Das Versprechen
der Auslegung. Überlegungen zum hermeneutischen Imperativ bei Kant und Nietzsche", in:
Norbert W. Bolz und Wolfgang Hübener (Hrsg), Spiegel und Gleichnis, Festschrift für Jacob Tau-
bes, Würzburg: Königshausen & Neumann 1983, S. 252-273, insbes. S. 264: „Die Geschichts-
schreibung steht unter dem Imperativ, selber Geschichte zu machen. Sie kann dabei aber nicht
umhin, gerade auch diejenigen Momente anzuerkennen, die sich der Autorität des Willens nicht
unterwerfen. Geschichtsschreibung, die sich selber performativ versteht und an der Erzeugung
eines souveränen, gesetzgebenden Willens mitzuwirken sucht, kann die Kontingenz, der er sich
zu entwinden hat, nicht verleugnen, sondern muß sie durch Affirmation zu bannen suchen. Sie
ist dazu auf ein Verfahren angewiesen, das Nietzsche als Interpretation bezeichnet hat, das
aber mit ebenso gutem und besserem Recht als Umdeutung, Erdichtung und Verfälschung
charakterisiert werden kann."
340 Martin Sringclin

sich gegen sich selbst wendenden Aporie gleichzeitig die eigene Tauglichkeit
bestreitet — wird sie zu einem praktischen Mittel, diese Natur zu gestalten.17
In Angele Kremer-Mariettis Monographie Nietzsche et la rhetorique™ steht
dagegen — wie bei Philippe Lacoue-Labarthe und Paul de Man — ganz jene
„rhetorische Wendung" von Nietzsches * Philosophie im Vordergrund, welche
die Autorin als sprachkritische versteht („Chapitre premier: Le tour rhetorique").
In Form einer genetischen Untersuchung will Kremer-Marietti ihre innere Dyna-
mik sowohl unter einem historischen wie unter einem systematischen Aspekt
entfalten. Originell ist dabei ihr Versuch, Nietzsches Begegnung mit der Rheto-
rik auf den christlichen Symbolbegriff zurückzuführen, in dessen Geist Nietz-
sche erzogen wird. Auch auf die altphilologische Tradition, in der Nietzsches
Studium steht, geht Kremer-Marietti näher ein. Leider erschöpft sich in den
folgenden Kapiteln ihre Vermittlungsfunktion, dem französischen Publikum
zum erstenmal Nietzsches Rhetorik umfassend vorzustellen, weitgehend in zum
größten Teil wörtlichen Paraphrasen von Nietzsches Metrik-Studien und seinen
Vorlesungen über die „Geschichte der griechischen Beredsamkeit" und über
die „Rhetorik" in französischer Übersetzung. Da die Monographie dabei die
deutschsprachige Forschung kaum berücksichtigt, ist ihr Gebrauchswert über
eine erste Lektüre von Nietzsches Texten hinaus beträchtlich geschmälert. So
findet sich zum Beispiel im Zusammenhang mit Nietzsches Metrik-Studien kein
bibliographischer Hinweis auf die einschlägige Untersuchung von Bornmann ^,
im Zusammenhang mit den Empedokles-Fragmenten kein Hinweis auf Söring20,
im Zusammenhang mit Nietzsches Rezeption von Friedrich Albert Langes Ge-
schichte des Materialismus (1866) kein Hinweis auf Salaquarda und Stack21, um nur
die naheliegendsten Versäumnisse zu nennen (vom fehlenden Hinweis auf die
einschlägige Konkordanz zu Nietzsches Gerber-Rezeption ganz zu schweigen).
Am Ende bleiben nur ein paar interessante Erwägungen zu Nietzsches Sprach-
kritik im Spiegel der Sprachreflexionen von Charles Sanders Peirce, Fritz Mauth-
ner und Ludwig Wittgenstein.
Rudolf Fietz' Bonner Dissertation Medienphilosophie. Musik, Sprache und Schrift
bei Friedrich Nietzsche22 bewegt sich „im Gesamtkontext der Frage nach dem

17
Diese Entwicklung gliedert Gerhard Rupp, „Wahrheit, Strategie und Kalkül. Nietzsches rhetori-
sche Praxis", in: Kopperschmidt und Schanze (Hrsg.), Nietzsche (Anm. 9), S, 171-182, einsichtig
in vier Stufen.
18
Kremer-Marietti, Nietzsche ei la rhetorique (Anm. 10); Seitenzahlen im Text beziehen sich im fol-
genden auf diese Monographie.
19
Fritz Bornmann, „Nietzsches metrische Studien", in: Nietzsche-Studien Band 18 (1989),
S. 472-489.
20
Jürgen Söring, „Nietzsches Empedokles-Plan", in: Nietzsche-Studien Band 19 (1990); S. 176-211.
21
Jörg Salaquarda, „Nietzsche und Lange", in: Nietzsche-Studien l (1978), S. 236-260, und George
J. Stack, Lange und Nietzsche, MTNF 10, Berlin 1983.
22
Fietz, Medienphilosophie (Anm. 10); Seitenzahlen im Text beziehen sich im folgenden auf diese
Dissertation.
Die Rhetorik des Menschen 341

medialen Status von Sprache und Schrift" (S. 8). In ihrem methodologischen
Selbstverständnis, das an Jacques Derridas poststrukturalistischer Kritik der
strukturalistischen Linguistik und Semiotik geschul!: ist, betreibt sie im Anschluß
an Roland Barthes „Philologie als jLehre' von den Möglichkeitsbedingungen
literarischen Bedeutens" (S. 418). Unter der mit dem Diskursanalytiker Friedrich
A. Kittler geteilten Prämisse: „Nietzsche denkt und argumentiert durchaus me-
dientheoretisch und medienhistorisch" (S. 309)23, wendet sie Nietzsches Rheto-
rik, die sie aus ihrer Abhängigkeit vom ersten Band des Buches Die Sprache als
Kirnst (Bromberg 1871) von Gustav Gerber entwickelt, vorab metaphysikkritisch
(wobei sie für den zweiten Teil ihrer Prämisse den Nachweis weitgehend schul-
dig bleibt; als Medienhistoriker ist Nietzsches Physiognomie — bis auf seine
Erwägungen zum Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit im 6. und
5. vorchristlichen Jahrhundert — weiterhin blaß). Metaphysik nennt Fietz origi-
nellerweise „die Negation-des Mediums, die Negation der unhintergehbaren Me-
dialität von Inhalten" (S. 282), wie sie etwa in Aristoteles' Begriff des Begriffs
zum Ausdruck kommt, der auf dem Umweg über die „uneigentliche", „übertra-
gene", „figurative" Bedeutung der Metapher als „eigentliche", „wörtliche" Be-
deutung bestimmt und dadurch von der Medialität der Sprache gereinigt wkd.
Dagegen kehrt Nietzsche — dessen „Schreiben über Sprache" mit der Lektüre
Gerbers „eine Qualität semiotischer Reflektiertheit" erreicht haben soll, „die es
so vorher nicht hatte" (S. 135) — dieses Verhältnis um: Der metaphorische Be-
griff „Metapher" entlarvt den „Begriff selbst als Metapher. So verweist Nietz-
sches Metaphorik, seine metaphorische Praxis als implizite Metaphorologie, „auf
die medialen Bedingungen der Möglichkeit, unter denen Sinn und Referenz
allererst zustande kommen". Auch Nietzsches Musikphilosophie mündet für
Fietz in die Erkenntnis: „Ästhetische Autoreflexivität von Zeichen [...] ist ge-
rade die Möglichkeitsbedingung des Funktionierens von Zeichen und Zeichen-
prozessen überhaupt. Zeichenhaftigkeit ist selbstreferentielle Medialität."
(S. 174) Diese globale Ästhetisierung von Zeichenprozessen, die den anthropo-
logischen Aspekt der Rhetorik bei Nietzsche vernachläßigt, hat methodisch aller-
dings einen hohen Preis: Sie nimmt Nietzsches Begriff der Interpretation, den
Fietz nicht reflektiert — immerhin „ein Überwältigen, Herrwerden [...], ein
Zurechtmachen [...], bei dem der bisherige ,Sinn4 und ,Zweck'" eines Dings,
eines Organs oder eines Brauchs „nothwendig verdunkelt oder ganz ausgelöscht
werden muss", so daß sich seine Geschichte wie „eine fortgesetzte Zeichen-
Kette von immer neuen Interpretationen und Zurechtmachungen"24 liest -, jede
Gewaltsamkeit.

23
Vgl. dazu vor allem Friedrich A. Kittler, „Nietzsche (1844-1900)", in: Horst Turk (Hrsg.), Klassi-
ker der Uteratortheorie. Von Boileau bis Baribes, München: Verlag C H. Deck 1979, S. 191-205 und
338-340.
24
GM, Zweite Abhandlung: „Schuld", „schlechtes Gewissen" und Verwandtes 12, KSA 5, S. 314.
342 Martin Stingdin

Diese kommt auch in Peter Gassers Neuenburger Dissertation Rhetorische


Philosophie?-5 nicht in den Blick; sie zieht die poetologischen Konsequenzen, die
sich aus Hans Blumenbergs Bestimmung ergeben: „Rhetorik ist das Wesen der
Philosophie Nietzsches" (S. 8), wobei sie von allen hier angezeigten Arbeiten
explizit den restringiertesten Begriff von Rhetorik pflegt, sieht sie diese doch in
Nietzsches Rhetorik-Vorlesung und in „Ueber Wahrheit und Lüge im aussermo-
ralischen Sinne" „weder als Stillehre noch als Technik der Beredsamkeit gefasst,
sondern als Figuren- und Tropenlehre" (S. 1l)26. So kann sie sich letztlich ganz
auf die Metapher beschränken, da Nietzsches Begriff der Metapher gelegentlich
— aber in Gassers Lektüre folgerichtig — selbst metaphorisch ist und im übertra-
genen Sinn alle Formen der Übertragung meint. In dieser Selbstimplikation, in
der sich Sprachreflexion nicht länger in Form/der Trennung zwischen Objekt-
und Metasprache, sondern performativ vollzieht, erweist sich Nietzsches Philo-
sophie als Dekonstruktion: „Das rhetorische Selbstverständnis überschreitet die
Reflexionstätigkeit, die Philosophie schon immer betrieben hat: die Reflexion
über Sprache. Philosophie ist Darstellung durch Rede. Diese grundsätzliche
These des ,linguistic turn4, auf die sich die neuere Hermeneutik und der Post-
strukturalismus gleichermassen berufen [...], bestreitet das Verfahren der logo-
zentrischen Philosophie, die sich, ihrer Wissenschaftlichkeit zuliebe und um der
Sache willen, von der Sprache, in der sie sich ausdrückt, dispensiert." (S. 8) In
zehn Studien über den metaphorischen Diskurs, die Gleichnisse, die Metamor-
phosen, das Bild der Sonne, die rhetorischen Dafstellungsweisen des Gedankens
von der Ewigen Wiederkunft, die Reden Zarathustras, das Rollen- und Masken-
spiel, die Sprache des Leibes, die philosophische Selbstdarstellung als Parodie
und das Verhältnis von Rhetorik und Philosophie erbringt Gasser den Nachweis,
„dass Nietzsches Diskurs" in Also sprach Zarathustra „weniger auf einer referen-
tiellen Basis denn auf einer rhetorischen fungiert, in der die figurale Rede auch
Prozesse der Defiguration auslöst" (S. 12), der die herkömmliche dichotomische
Gegenüberstellung von philosophischem Inhalt und sprachlicher Form nicht
gerecht wird. (Es überrascht allerdings gerade bei Gassers Aufmerksamkeit für
formale Gestaltungsmittel wie Satzzeichen ·«- die er mit Rudolf Fietz teilt —, daß
Zitate aus Also sprach Zarathustra in der Regel ohne Absätze wiedergegeben wer-
den.) So ist etwa der „Übermensch" „nicht das Dargestellte einer darstellenden
Rede, sondern eine Sprachfigur, die mit immer wieder neuen rhetorischen Mit-

25
Gasser, Rhetorische Philosophie (Anm. 10); Seitenzahlen im Text beziehen sich im folgenden auf
diese Dissertation.
26
Zur Kritik dieses Begriffs von Rhetorik vgl. Gerard Genette, „Die restringierte Rhetorik"
(1970), aus dem Französischen übersetzt von Wolfgang Eitel, in: Anselm Häverkamp (Hrsg.),
Theorie der Metapher, Darmstadfc Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1983 (= Wege der Forschung
Band 389), S. 229-252; Gasser räumt allerdings ein, daß seine Lektüre von Nietzsches Philoso-
phie unter dem Vorzeichen ihrer Metaphorik „ein theoretisches Bestreben nach einer.genereil
»restringierten Rhetorik* [...] keineswegs" einschließe (S. 12).
Öie Rhetorik des Menschen 343

teln artikuliert wird" (S. 20). Gassers multiperspektivische Lektüre erschließt „die
strategische Sturkturvielfalt des Textes" (S. 28) unter dem Vorzeichen der Meta-
pher, ohne zu vergessen, daß dieser „Schauplatz einer-Auseinandersetzung kon-
kurrierender Auslegungsperspektiven" (S. 31) ist. Letztlich ist aber auch in dieser
Form der rhetorischen Lektüre die Interpretation eine Frage des Textes und
nicht der Text eine Frage der Interpretation.
So konfrontieren die Monographien von Kremer-Marietti, Fietz und Gasser
ihre Leser mit dem Paradox, daß ihre Textauslegungen in demjenigen Maße an
Detailgenauigkeit gewinnen, wie sich ihr Begriff von Rhetorik verengt. Damit
erweisen sie sich nicht zuletzt als Prüfsteine fiir die Frage, wie sehr die philologi-
sche Verbindlichkeit allein von dieser Detäilgenauigkeit abhängt.
PAUL S. MIKLOWITZ

NEW RECORDINGS OF NIETZSCHE MUSIC*

That Nietzsche composed music has never been a secret; nevertheless, real
knowledge of bis musical efforts has never been very comrnon among
Nietzsche's readers either. Already in 1868, after praising his genius and prophe-
sying his future greatness äs a philologist in a letter which woiild secure
Nietzsche's only stable source of income, Leipzig University's Friedrich Ritschi
noted, by the way, that Nietzsche was also a gifted musician — "which is irrele-
vant here." Nor have many scholars since found Nietzsche's compositions any
more relevant1. — a curious thing when one remembers that Nietzsche so often

* Piano Mnsic of Friedrich Nietzsche, John Bell Young and Constance Keene, piano (Newport Classic
compact disc NPD 85513, 1992): The Mnsic of Friedrich Nietzsche for Piano FourHänds: "Nachklang
einer Sylvesternacht" and "Monodie a deux", Performance Edition by John Bell Young (HLH Music
Publications, 1992)
1
There are important exceptions. Gurt Paul janz is perhaps the most prolific philosopher to
address himself to questions raised by Nietzsche's music; indeed, he has declared that, without
knowledge of his compositions, "wir einfach nicht den ganzen Nietzsche kennen und verstehen
können" ("Die Kompositionen Friedrich Nietzsches," Nietzsche-Studien\ Bd. l, [1972], S. 184).
Of Janz's writing, see also: "Die ctödtliche Beleidigung.' Ein Beitrag zur Wagner-Entfremdung
Nietzsches," Nietzsche-Studien, Bd. 4 (1975), S. 263-278; "Friedrich Nietzsches Verhältnis zur
Musik seiner Zeit," Nietzsche-Studien, Bd. 7 (1978), S. 308-326; Friedrich Nietzsche. Der musikalische
Nachlaß (Basel, 1976).
Other recent philosophical studies of this aspect of Nietzsche's aesthetlc practice include: Roger
Hollinrake, "Wagner and Nietzsche: The Triuniphlied Episode," Nietzsche-Studien, Bd. 2 (1973),
S. 196-201; Frederick R. Love, "Prelude to a Desperate Friendship: Nietzsche and Peter Gast
in Basel," Nietzsche-Studien, Bd. l (1972), S. 261-285, "Nietzsche's Quest for a New Aesthetic
of Music. 'Die allergrößte Symphonie,' 'Großer Stil,' TMusik des Südens"', Nietzsche-Studien, Bd. 6
(1977), S. 154-194, "Nietzsche, Music and Madness", Music and Letters, Great Brifyiin, Vol. LX/
2 (April 1979) [Mr. Love's 1958 Yale University dissertation, Nietzsche and Peter Gast: A Stttdy in
Musical "Taste, details Nietzsche's specific influences on Peter Gast's development of opera buffa
in response to abandoning his earlier Wagnerian ideal]; David S.Thatcher, c<Nietzsche and
Brahms: a Forgotten Relationship," Music and Leiters; Great Britain, LIV/3 (july 1973), "Musical
Settings of Nietzsche Texts: An Annotated Bibliography," Parts I and II, Nietzsche-Studien, Bd. 4
(1975), S. 284-323 and Bd. 5 (1976), S. 355-383, "Nietzsches Totengericht über Brahms,"
Nietzsche-Studien, Bd. 7 (1978), S. 339-356.
Finally, see Nietzsche's New Seas, ed. Michael Allen Gillespie and Tracy B. Strong, Part II, "Toward
a New Logic: Singing the Siren's Song*' (Chicago: The University of Chicago Press, 1988) for
translations of Curt Paul Janz, "The Form-Content Problem'in Nietzsche's Conception of
Music," and Jean-Michel Rey, "Commentary," äs well äs Gillespie's essay "Nietzsche's Musical
Politics."
New Recordings of Nietzsche Music 345

describes his prpse style and his very ideas äs kinds of music, that his faithful
friend and co-literary executor, Heinrich Köselitz^ was the composer "Peter
Gast," whose musical career Nietzsche championed, of that his formative friend-
ship with Richard Wagner climaxed with Nietzsche's brauen attempt to share
the Maestro's muse - and honor his wife - by dedicating a score for four hands
at the piano to Cosima for her birthday! Furthermore, while it is true that the
relative neglect of Nietzsche's music among philosophers is perpetuated by a
paucity of interested performers who might make recordings and give concerts,
musicians have by no means ignored this aspect of Nietzsche's Creative life.
Also sprach Zarathustra, to begin with the most obvious example, is a title
associated almost äs commonly with Richard Strauss äs it is with Nietzsche.
Completed in 1896, four years before Nietzsche's death, Strauss' eponymous
tone poem was the first to be inspired by the philosopher. To date, at least 174
composers, representing 19 nationalities, have set 89 of Nietzsche's texts in
more than 370 compositions!2 The cornucopia of musical forms that have been
exploited includes four operas, an oratorio, a mass and a requiem, four sym-
phonies and five tone poems, cantatas, songs, sonatas, string quartets, eleven
wordless compositions — even a pantomime-melodrama! Although many of
these works have not been published and relatively few have been recorded,
the list of composers who wrote them is impressive indeed: Strauss, Mahler,
Schoenberg, Webern, Delhis, Orff, Hindemith, Busoni, Foss, Hugo Wolf ... A
story is told that Strauss once counseled a young composer who had asked him
how he might proceed with his art to "Read Nietzsche!" A Century of musical
ears evidently heard — or already agreed with — this advice.
It is not surprising that modern composers, seeking an anchor in the deep
seas of German cultural expression, have looked to Nietzsche. German.philoso-
phy since Beethoven has tended to grant a privileged place to music. While the
epic closure and transcendent reach of Beethoven's music echoes the conceptual
grandeur of absolute idealism, Wagner's concept of the Gesamtkunstwerk repre-
sents an aesthetic instantiation of such synthetic ambitions - although Wagner
sought confirmation of his self-conception äs an artist in Hegel's nemesisx(and
Nietzsche's educator) Schopenhauer, who taught that music expressed more
directly than any words could do the true essence and "in-itself" of all reality.
If music were translated into words, Schopenhauer provocatively speculated, it
would be the true philosophy.3 Paraphrasing Leibniz, Schopenhauer remarks
that "Musica est exerätium metapkysms occultum nescientis sephilosophari animi"4 And,
although he regarded the shackling of music to inferior expressive forms äs

2
See David S. Thatcher, "Musical Settings of Nietzsche Texts," Parts I and U, op. cit
3
Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung (Berlin und Wien: Hans Heinrich Tillgner
Verlag, 1924), Bd. l, 52, S. 266-67.
4
Ibid., S. 267.
346 Paul S. Miklowitz

a delecerious compromise - "Wenn also die Musik zu sehr sich den Worten
anzuschließen und nach den Begebenheiten zu modeln sucht, so ist sie bemüht,
eine Sprache zu reden, welche nicht die ihrige ist"5 — Wagner nevertheless bore
Schopenhauer before him in those days like a shield. In the end, Nietzsche was
to have nothing but scorn for this oppoftunistic obsequiousness. Reflecting on
ascetic ideals in art, Nietzsche reinarked in 1887:
Mit dieser ausserordentlichen Werthsteigerung der Musik, wie sie aus der Scho-
penhauer'schen Philosophie zu erwachsen schien, stieg mit Einem Male auch
der Musiker selbst unerhört im Preise: er wurde nunmehr ein Orakel, ein Prie-
ster, ja mehr als ein Priester, eine Art Mundstück des -sich' der Dinge, ein
Telephon des Jenseits, — er redete furderhin nicht nur Musik, dieser Bauchred-
ner Gottes, - er redete Metaphysik [...]·6 /
In any case, it was during an early discussion of such ideas, then close to
both of their hearts, that Wagner and Nietzsche became friends in 1868. But
his friendship with Wagner defined and defiled Nietzsche's life-long relationship
with music. Having received substantial musical training äs a child growing up
in a musical household, Nietzsche's earliest success — during a youth filled with
little eise than conspicuous success — was äs an improvisor at the piano and,
inevitably, äs a composer. While at the prestigious boarding school Pforta,
Nietzsche formed a Student Bund called "Germania," to which he presented
both essays and compositions. But Wagner's agenda would have a place for
Nietzsche äs his philosophical spokesman — and äs Wagner's extravagant artistic
dreams were ultimately bankrolled by King Ludwig II, propelling his career into
a fulfillment such äs few artists have ever known, Nietzsche's career took a
downward trajectory from the püblication of his very first book — his Dionysian
paean to Wagner, true (perhapsi) to the spirit of ancient Greece, but scaridalously
distant from its nineteenth Century incarnation in German letters.
Nietzsche was never to purge himself of Wagner's potent spirit, although he
repeatedly tried to do so; among his very last works are three final attempts at
textual exorcism. Instead, Wagner remained a painful symbol to Nietzsche of
what he himself could not seem to achieve: worldly recognition of uncompro-
misingly original genius, a passionate erotic life (Nietzsche was also in love with
Cosima), and above all, success in the highest form of human expressjon, music.
For Wagner's rejection of Nietzsche's efforts äs a composer, reinforced by the
savage judgment he received of his "Manfred Meditation" from Hans von Bülow
(Cosima's former husbandl), snuffed out the young man's attempts to express
himself in the only form that he believed might not compromise its own true
emotional content.7

s Ibid., S. 264.
6
Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral^ Dritte Abhandlung, § 6, Bd. 5, S. 346.
7
Hans von Bülow, in response to Nietzsche's fawning dedication of his "anti-overture to Man-
fred" to him, cruelly fülminated * Manfred Meditation is the most extreme fantastical
New Recordings of Nietzsche Music 347

Internalizing and repressing this Frustration, Nietzsche's mature philosophy


became a new kind of music. Retrospectively lamenting the pedantic style of bis
first book — whose anti-pedantic iconoclasm had nevertheless scandalized the
academic worid - Nietzsche wrote nostalgically that "Sie hätte singen sollen, diese
'neue Seele* - und nicht reden!"8 Music is, in fact, the dominant metaphor
Nietzsche himself employed for the literally uncategorizable interdisciplinary
discourse he produced. In a letter to Peter Gast he went so far äs to claim that
Also sprach Zaratbustra, which had "grown out of the spirit of music," was more
nearly a symphony than anything eise - composed, äs it is, in four "movements"
that follow a slow introduction.9 Gast would enthusiastically remark years later,
upon visiting him in the mental Institution, how Nietzsche's ability to speak
through the piano survived the silencing of bis philosophical voice: "Then he
sät down to improvise. Not one wrong note! Interweaving tones of Tristan-like
sensitivity,... Beethoven-like profundity, and jubilant songs rising above it. Then
again reveries and dreams,"10 In light of the complex connections between
Nietzsche's work and "madness" - its extreme disregard for conventions and
its visionary passion, which contributed to its misappropriation in our own
Century by such notorious madmen äs Hitier - the image of the "insane" philo-
sopher, bis "proper" voice transfigured by mental illness, performing with virtu-
osity at the piano is striking indeed. And it is not surprising that the musical
structure of bis polymorphic prose has been posthumously evident to bis read-
ers äs well; Albert Schweitzer, for example, regarded all bis work äs Symphonie
in form, füll of "kleinen fugierten Intermezzi, womit Beethoven in seinem Wer-
ken manchmal verweilt."11
For these and other reasons to be considered in a moment, the commercial
release of recordings of Nietzsche's musical compositions is an important event
for anyone interested in Nietzsche's work and influence. It should be noted that
various privately-pressed recordings have been available for years at the
Nietzsche-Haus in Sils-Maria; that the pianist Garsten Storni has recorded many
of the same early works that appear on the Newport Classic CD (Storm's inter-

extravagance, the most irritating and anti-musical set of notes on manuscript paper I have seen
for a long time. [...] Apart from psychologjcal interest [...] your meditation has, from the
musical viewpoint, only the value of a crime in the moral world." Von Bülow suggested that
the piece might perhaps have been meant äs a joke, a parody of Wagner's Zukunftsmusik, and
he concluded that Nietzsche's cautious, self-depricating description of his music äs "frightful"
was really accurate. See Ronald Hayman, Nietyche: A CriticaJ Ufe (New York: Penguin, 1980),
p. 155.
8
Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie. Versuch einer Selbstkritik, § 3 (A3X, Bd. l, S. 15).
9
Curt Paul Janz, "Die Kompositionen Friedrich Nietzsches" Nietzsche-Studien, Bd. l (1972),
S. 175.
10
Quoted in Hayman, op. dt., p. 341.
11
Quoted in Curt Westernhagen, Richard Wagner (Zürich, Ip56), S. 463, and in Thatcher, "Musical
Scrangs of Nietzsche Texts," Part U, op. cit, p. 383.
348 Paul S. Nitklowitz

pretations are available on vinyl from PANOMIA e. V in Bornheim/Rheinland);


that cven so wcll-known a figure äs Dietrich Fischer-Dieskau rccorded some of
Nietzsche's songs (three are included on <cLieder der Neudeutschen," EMI C
065-02 674). There are , undoubtedly, still other examples. But the recent New-
port Classic digital issue (NPD 85513) makes an important contribution to this
somewhat evanescent field, while the Nietzsche Music Project's promise of a
second CD, to include the "Manfred Meditation" that so underwhelmed von
Bülow, a violin fantasy, and 17 songs, is also welcome news.lla Mr. Yourig's
reading of Nietzsche's sometimes awkward scores is sensitive to nuance and
intelligent in its grasp of structure> and Constance Keene's accompanirnent on
the pieces for four hands is skilled and sympathetic. There are some technical
infelicities: bar 30 of "Unendlich" is awkwardly executed, someone seems to
stumble in several passages of the "Nachklang einer Sylvesternacht," and the
quality of the recorded sound tends to muddy more saturated rnusical textures.
But such qualifications are of only marginal significance in the context of the
historical and intellectual value of making Nietzsche's music readüy available to
a wide audience.
Much of the material on the new recording dates from Nietzsche's school
days, seven years before meeting Wagner while "Fritz" was still a teenager
(l 861—63), and it thus ranks — both chronologically and qualitatively — äs juve-

1la
Since the writing of this article, the promised CD has appeared ("The Music ;öf Friedrich
Nietzsche;" John Bell Young, piano; John Aler, tenor; Nicholas Eanet, violin; Thomas Coote,
piano; Newpor^ Classics NPD 85535). It contains Nietzsche's "musikalische Dichtung" "Eine
Sylversternacht" for violin and piano, the "Manfred-Meditation" for piano four hands, and
sixteen songs accompanied by piano: "Ständchen," "Ungewitter," "Es winkt und neigt sich,"
"Da geht ein Bach," "Aus der Jugendzeit," "Mein Platz vor der Tür," "Das Kind an die er-
loschene Kerze/' "Junge Fischerin" "Beschwörung," "Unendlich," "Gern und gerner," "Ver-
welkt," "Wie sich Rebenranken schwingen," "Nachspiel," "Kirchengeschichtliches Respon-
sorium," and "Gebet an das Leben." The recording is much more transparent than had been
the case with the first CD, and the performarices are consistently good. Three of the songs —
"Nachspiel," "Wie sich Rebenranken schwingen," and "Verwelkt" ~ can also be heard on the
Fischer-Dieskau LP mentioned above. "Kirchengeschichtliches Responsoriurn" is a witty and
very personal gesture to commemorate the birthday of Franz Overbeck, while !"Gebet an das
Leben," set to a poem by Lou Salome, was ultimately to be re-figured several times by Nietzsche;
a late Version, the "Hymnus and die Freundschaft" for piano recorded on the first Newport
Classic CD, is discussed below. Nietzsche's tendency to recycle his own better rnusical ideas is
evident äs well in the identity of principal theme(s) of "Eine Sylversternacht" and the "Manfred-
Meditation," the first and last selectioos of the new collectiön; the same theme also animates
the "Nachklang einer Sylvesternacht," recorded on the first CD.
Finally, it should be noted here that Wolfgang Bottenberg, of Concordia University, Montreal,
Canada, has released a two CD set that presents Nietzsche's compositions, performed by various
artists, "in chronological order of their dates of creation, and following the sequence which
Curt Paul Janz established in Der Musikalische Nachlaß" Dr. Bottenberg is presendy preparing
orchestral and choral versions of several of Nietzsche's larger compositions, and he hopes to
arrange a performance and subsequent recording of Peter Gast's orchestration of Nietzsche's
"Hymnus and die Freundschaft." * ·
New Recordings of Nietzsche Music . 349

nilia. Mr. Young himself admits, in his introductory notes to the simultaneously
published performing edition of the score for the two pieces for four hands
(the "Monodie a Deux" and the "Nachklang"), tnat "the snialler [works] are
unremarkable for their use of conventional formal patterns."12 Besides "Einlei-
tung" and "Nachspiel" (the latter, a charming song originally set to words of
Alexander Petöfi, can be heard on the Fischer-Dieskau album mentioned
earlier), Mr. Young's selection from among Nietzsche's many smaller works in-
cludes an evocation of running water in "Da geht ein Bach" and the romantic
pathos of e<Das zerbrochene Ringlein," a Hungarian march, "Two Polish
Dances" (although the second, "Aus der Czarda," is actually a Hungarian dance
- properly, "Csardai*)* and a "Symphonie Poem." The most ambitious of these
early pieces, this last is named for the Ostrogothic King Ermanerich whose
Wagneresque life story also provoked the young Nietzsche to compose poems
and a well-received essay for the same teacher — August Koberstein — for whom
he wrote his best known and most highly regarded early prose, the Pforta essay
on Hölderlin. Although it has been acclaimed for its precocity and insight by
more than a Century of scholars, this essay was recendy revealed to be a plagia-
rism (see my article "Same As It Ever Was: Plagiarism, Forgery and the Meaning
of Eternal Return," Journal of Nietzsche Studies, Autumn 1993).
The two most substantial and significant pieces on the new recording, then,
both dating from just about the tirne of Die Geburt der Tragödie, are the "Hymnus
an die Freundschaft" and the "Nachklang einer Sylvesternacht" ("dedicated to
Cosima Wagner on the occasion of her birthday (December 25, 1871)," äs the
score informs us). Melodrama, never far from Nietzsche's explicidy emotional
musical romanticism, attends the circumstances of the composition and pre-
sentarion of the "Nachklang." The previous Christmas Nietzsche had been pre-
sent at the Wagner's Lucerne villa "Tribschen" for the maestro's birthday gift to
his new wife: the house awoke that day to the music of what is now known äs
the "Siegfried Idyll," a grand gesture that brought tears to everyone's eyes (ac-
cording to Cosima's Journal account). Cosima had already borne Wagner's son
Siegfried before their marriage severed her liaison with von Bülow; the Wagners'
first Christmas together was indeed a "Tribschen Idyll." But Nietzsche's attempt
to match this gift with a musical offering of his own the following year was
rather less memorable; Wagner was driven from the room in laughter, and Cos-
ima was later annoyed to learn that Nietzsche had also sent a copy of the score
to his mother and sister that Christmas, dedicating the work to them.13 It is
12
Piano Series P 100 (HLH Music Publications, 1992), p. iii.
13
See Nietzsche's letter to Franziska and Elizabeth Nietzsche, Basel, Saturday [December 23,
1871]: "von Herzen wünsche ich daß Ihr an meinen kleinen Weihnachtsgeschenken einige
Freude haben mögt. Zur Erklärung derselben beginne ich mit dem, was Euch Beiden gemein-
sam gewidmet ist die Composition mit dem Titel 'Nachklang einer Sylvcsternacht' mußt Ihr
Euch recht bald einmal wirklich vortragen lassen; [...]". KGB, Abt. II, Bd. l, S. 261.
350 Paul S. Miklowitx

true that Wagner's own Gebttrtstagstöck conspicuously inhabits Nietzsche^ but


that in itself would not have becn grounds for Wagner's distress. In fact, traces
of Beedioven's B flat sonata, Opus 106, are evident in the score äs well.
Nictzsche's aggressively rhythniical use of the piano, evident already in the
bold heroics of "Ermanerich," is most dramatically demonstrated in the
"Bauerntanz" that begins at bar 188 of the ''Nachklang." Thundering^^xr/^
fifths - which Mr. Young indicates in a npte to the score are to sound "äs if
they were played by a hörn, or perhaps a bagpipe" — drive this dance passage
virtuaHy throughout, resounding vigorously in G major. Unfortunately, however,
neither this nor any of the other "Echoes" within this piece resönant with
personal pathos manage to form a disciplined expression of compelling musical
continuity or organic unity. And the other piede for four hands, the "Monodie
a Deux" — composed for a wedding out of material for an oratorio that
Nietzsche had attempted in 1861 — is chiefly of historical interest to readers of
Nietzsche's letters.
But if we accept Nietzsche's own lasting judgment, the most important —
and the longest — piece of music to appear on the new CD is the "Hymnus an
die Freundschaft." Originally composed in 1874, it was to be re-wörked eight
years later when Nietzsche was in thrall to another woman, Lou Salome (a
remarkable person in her own right, who was to inspire an opefa by Giuseppe
Sinopoli more than one hundred years later), subsequently arranged for fnixed
chorus and orchestra by Peter Gast in 1887 (a recording of which would be of
interest), and ultimately recommended by Nietzsche in a letter to Georg Brandes
äs the one composition "von meiner Musik übrig zu bleiben und einmal *zu
meinem Gedächtniß' gesungen zu werden."14
Enthusiastic mention of the piece first enters Nietzsche's correspondence
during the summer of 1882, when the twenty-one-yeaf-old Loü, with whom
Nietzsche had what came closest in his solitary life to a real romance, moved
him to set her poem "Gebet an das Leben" to music. In a letter to her from
the end of August, 1882, Nietzsche boasted "In Naumburg kam wieder der
Dämon der Musik über mich — ich habe Ihr Gebet an das Leben componirt."15
Although the score was not entirely new,16 mating it with Lou's wqrds seems to
have given it a special place in Nietzsche's mind, a preference which suryived
the short love affair (if such it can be called) that so decisively came to an end

14
Nietzsche to Georg Brandes, Nizza, December 2, 1887 (KGB, Abt. III, Bd. 5, S. 207).
15
Nietzsche to Lou von Salome in Stibbe [Naumburg, Ende August 1882] (KGB, Abt. III, Bd. l,
S. 247).
K>
"In Wirklichkeit aber schrieb er keine neue Musik dazu, sondern zwang den Text unter die
Melodie seines 'Hymnus auf die Freundschaft* von 1873." Ekkhart Kroher, "'Hörte jemand ihr
zu?' Erinnerung an den Komponisten Friedrich Nietzsche und seine Musik," Mttsica, Heft 6,
November-Dezember 1977, S. 503.
New Recordings of Nietzsche Music 351

only months after it had begun» As late äs November 1887, not much more
than a year before his breakdown, Nietzsche's letters record his delight in a
newly published version of the orchestrated score, nöw entided "Hymnus an
das Leben", and his pride in the limited critical acclaim it received (besides his
friends' praise, the Geneva professor of music Adolph Jluthardt, later of the
Leipzig Conservatory, commended the composition äs "sehr würdig, rein im
Satz und wohlklingend").17 Encouraged at long last, Nietzsche sent the score
to Brahms, Fuchs, Krug, Overbeck, and a number of prominent conductors. To
Hermann Levi, a conductor favored by Wagner in spite of the "tragic flaw" of
his being Jewish, Nietzsche confessed "Vielleicht hat es nie einen Philosophen
gegeben, der in dem Grade am Grunde so sehr Musiker war, wie ich es bin."18
Levi, his sympathy äroused, actually made plans to conduct the work for
Nietzsche's funeral, but his own death interceded (the first performance was
given in Vienna by the Berliner Wagner-Verein in 1926).19 Thus, Nietzsche af-
firmed — in a moment of modesty that contrasts with the bold confidence he
expressed in the profound destiny of his prose — that the "Hymnus," of all his
music, "soll von mir übrig bleiben, gesetzt, daß ich selbst übrig b/etbe."20
Nietzsche did himself survive; much more, he became, in the Century on
whose doorstep he left his corpse, the "destiny" he insanely proclaimed himself
to be from within the Isolation that produced Ecce Homo. But his musical judg-
ment, even of music not his own, was less reliable, more fickle and emotional.
When his love for Wagner soured, it fermented into an almost lewd infatuation
with Bizet's Carmen\ similarly, Nietzsche's fondness for his "Hymnus (Gebet) an
die (das) Freundschaft (Leben)" has, perhaps, more to do with Lou than with
the prophetic insight of the philosopher. The music shows the influences of
Beethoven in particular gestures, and of Schumann throughout, but finally fails
to sound a compelling voice of its own. Cascading scäles reminiscent of the first
movement of the "Emperor" concerto, and near quotation of part of üitArietta
theme from the Piano Sonata Opus 111 — but without its sustaining context —
punctuate this sprawling piece whose loose "literary" structure fails to cohere
into the romantic magic Schumann commanded. Ironically, the most "authentic"
elements here are those that honesdy pay tribute, but they are sewn together by
an alternately ponderous and wandering texture.
It seems that Nietzsche — to borrow a metaphor from Zarathustra — was
himself both the heavy drops of the last man and the lightning heralding the
advent of the next. The composer's awkward attempts to re-inhabit past expres-

17
Quoted by Nietzsche in a letter to Peter Gast, Nizza, November 10,1887 (KGBy Abt 111, Bd. 5,
S. 191).
18
Nietzsche to Levi (draft), dated October 20, 1887 KGB, Abt. III, Bd. 5, S. 172.
19
Thatcher; "Musical Settings of Nietzsche Texts," Part II, op, eh., p. 383.
20
Nietzsche to Carl Fuchs, Pension de Geneve, 14. Dez. 1887 (KGBt Abt. III, Bd. 5, S. 211).
352 Paul S. Miklowirz

sive forms appcar, in retrospect, äs the invcrse of bis radical philosophical icono-
clasm. Nietzsche's crcative work has served Western culture äs a rope, if not
between beast and overman, then between modernity and what has come after,
for coming to terms with the exhausüon of an age that has akeady tried every-
thing is the problematic legacy left to us.*
Nietzsche, "the central figure in postmodern thought in the West,"21 was
muse to the Zeitgeist at its own margins. Dietrich Schubert remarks that the work
of such artists äs Peter Behrens, Wilhelm Lehmbruck, Max Beckmann and
Oskar Schlemmer reflect "Konkretionen von Nietzsches Ideen in Malerei und
Plastik oder in Grafik und Baukunst."22 Also inspiring the expressionists, Franz
Marc and Edvard Munch (who, working from photographs, painted an "Ideal
Portrait" of the philosopher after his death),/fhe surrealists Max Ernst and
Giorgio Chirico, Dadaists like Hans Arp and less easily labeled figures such äs
Franz von Stuck and Wassily Kandinsky, Nietzsche's current presence in the
museum is perhaps most conspicuously mediated by Anselm Kiefer.23 While
Rodin is said to have remarked of Zarathustra "What a subject to put into
bronze!",24 Nietzsche's Geist is also palpable, if transmogrified, in the postmod-
ern "archisculpture" (to coin a term) of Peter Eisenman. And from the high
modernism of Strauss and Mahler through the rigorous formalism of Schoenb-
erg, Nietzsche's spirit has survived the "active nihilism" of John Gage to be
reincarnated in rock groups such äs The Will to Power. The aesthetic eschatpl-
ogy of the last hundred years has brought us to the brink of a new millennium:
"unsere bisherigen Werthe selbst [...] sind [es], die in ihm ihre letzte Folgerung
ziehn," Nietzsche warns in an unpublished Fragment, "weil der Nihilism die zu
Ende gedachte Logik unserer großen Werthe und Ideale ist."25 The posiüon of
art, therefore, is one of "absolute t//7originalität ihrer Stellung in der modernen
Welt"26 because, when everything is permitted, "Dieser Antagonismus, das was
wir erkennen, nicht zu schätzen und das, was wir uns vorlügen möchten, nicht
mehr schätzen zu dürfen — ergiebt einen Auflösungsproceß."27
The postmodern way beyond the exhausüon of modernism lies, perhaps, in
an ironic reappropriation of the past. As Umberto Eco writes, "The postmodern

21
Cornell West, "Nietzsche's Prefiguration of Postmodern American PhUosophy",\ß<w///a7/7 2,
Spring/Fall 1981, p. 242.
22
Dietrich Schubert, "Nietzsche-Konkretionsformen in der Bildenen Kunst 1890-1933"
Nietzsche-Studien, Bd. 10/11 (1981/82), S. 292. See also Dietrich Schubert, "Nietzsche und seine
Einwirkungen in die Bildende Kunst - Ein Desiderat heutiger Kunstgeschichtswissenschaft?",
Nietzsche-Studien, Bd. 9 (1980), S. 374-382.
23
See John G Gilmour, Fire on the Earth: Anselm Kiefer and the Postmodern World (Philadelphia:
Temple University Press, 1990).
24
Thatcher, "Musical Settings of Nietzsche Texts,'.' Part II, op. cit., p. 378.
2
* Friedrich Nietzsche, Nachgel. Frag, (KSAt Bd. 13, 11 [411], S. 190).
26
Friedrich Nietzsche, Nachgel. Frag. (KSA, Bd. 12, 2 [12 , S. 127).
27
Friedrich Nietzsche, Nachgel. Frag. (KSA, Bd. 12, 5 [71.], S. 212).
New Recordings of Nietzsche Music , 353

reply to the modern consists of recognizing that the past, since it cannot really
be destroyed, because its destruction leads to silence, must be revisited: but with
irony, not innocendy."28 Thus, a possible alternative the futile proliferation
of empty new forms beyond the end of formal constraints is to recycle the old,
reinvesting them with a rneaning that ho longer naively presumes them to be
adequate to the Spiritual energy that animates them. Postmodern irony presup-
poses the sophistication of an extreme aesthetic and intellectual distance. But
by recognizing that creation is recreation, by refusing to allow the cold solidity
of past forms to "boldly present themselves äs the true meaning and value of
our existence,"29 a new relationship with them becomes possible — a playful,
liberating relationship that affirms the freedom and dynamism of life and spirit.
Nietzsche's music provides an unexpected occasion to realize this liberation
from the tyranny of history. Listening to Nietzsche now, knowing what we do
of his radically forward-looking philosophical insight, and being situated äs we
are at a historical moment when composers are looking backward for Inspiration
to fire "new romanticism," our experience is not what Wagner's must have been.
In its youthful naivete, its explicit and unabashed emotionalism, Nietzsche's
music was composed on the eve of its own antithesis. But we late-comers have
lived through this antithesis äs well, lived through the experiment of aesthetic
intellectualism; perhaps we are ready to say with Nietzsche, after listening to his
other voice: "— Der hier das Wort nimmt [...] als ein Wahrsagevogel-Geist, der
sgmickblickt, wenn er erzählt, was kommen wird [,..]".30

28
Umberto Eco, PostScript to The Name oftbe Rose, tr. William Weaver (New York: Harcourt Brace
Jovanovich, 1983), p. 67.
29
Georg Simmel, "The Conflict in Modern Culture," in P. A. Lawrence, ed., Georg Simmel: Soaologist
ana Eunpean (New York: Barnes and Noble Books, 1976), p. 25.
30
Friedrich Nietzsche, Nachgel. Fra& (KSA, Bd. 13, 11 [411], S. 190).

Das könnte Ihnen auch gefallen