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Wissenschaftsgeschichte 445

WISSENSCHAFTSGESCHICHTE

Johanna Kinne, Das Akademische Kunstmuseum der tenen) Angaben zu Familie und Schulzeit sowie zu den
Universität Bonn unter der Direktion von Georg ersten vier Studiensemestern in Leipzig (Kap. 1), wo
Loeschcke von 1889 bis 1912. Michael Imhof Verlag, Loeschcke Adolf Furtwängler kennen lernte. Die erhal-
Petersberg 2004. 224 Seiten tene, aber noch nicht edierte Korrespondenz der beiden
Freunde aus den Jahren 1873 bis 1904 ist über weite
Für die Entwicklung der Klassischen Archäologie Strecken eine zentrale Quelle für die weitere Darstel-
als Wissenschaftsdisziplin und als Universitätsfach im lung – zunächst über die ›Studienzeit in Bonn‹ (Kap. 2),
19. Jh. war die Gründung des Akademischen Kunst- die 1876 mit der Dissertation über ein althistorisches
museums der Universität Bonn ein besonders wichtiger Thema abgeschlossen wird, dann über ›Die Reisejahre‹
Markstein. Insofern lag es nahe, die Geschichte dieser 1877–1879 (Kap. 3) als Stipendiat des deutschen Ar-
Institution unter Rückgriff auf die noch vorhandenen chäologischen Instituts (DAI) mit Studien- und For-
Aktenbestände aufzuarbeiten und in detaillierten Ein- schungsreisen in Italien und Griechenland sowie zu ver-
zelstudien darzustellen. Den Anstoß dazu hat Nikolaus schiedenen Museen in Deutschland und Westeuropa.
Himmelmann gegeben. Mittlerweile liegen in diesem In diesen Jahren bearbeiteten Loeschcke und Furtwäng-
Programm drei Bände vor. ler auch – im Auftrage des DAI – die keramischen
Wolfgang Ehrhardt hat in seiner Untersuchung ›Das Funde aus Schliemanns Grabungen in Mykene (›Myke-
Akademische Kunstmuseum der Universität Bonn un- nische Thongefäße‹, 1879).
ter der Direktion von Friedrich Gottlob Welcker und Ausführlich behandelt Kinne sodann (Kap. 4) Loesch-
Otto Jahn‹ (Opladen1982) die Gründungsgeschichte ckes Zeit als Professor in Dorpat (1879–1889): seine
und die erste Entwicklungsphase des Akademischen Berufung, seine Tätigkeit als akademischer Lehrer, seine
Kunstmuseums bis 1869 detailliert dargestellt. Der Bemühungen um den Ausbau des dortigen Kunstmu-
Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf den institutionen- seums, seine Aktivitäten im kulturellen Umfeld der Uni-
geschichtlichen Aspekten des Themas – dem Aufbau versität sowie seine Forschungen zur baltischen Hei-
des Museums als Einrichtung der 1818 neu gegründe- matgeschichte mit ersten eigenen Grabungserfahrun-
ten Bonner Universität in Konkurrenz zu dem 1820 auf gen bei der Untersuchung mittelalterlicher Gräber in
Initiative von Wilhelm Dorow gegründeten ›Museum der Region. Das Kapitel endet mit einigen Bemerkun-
Rheinisch-Westphälischer Altertümer‹ (dem späteren gen zu Loeschckes (bekanntlich nicht sehr umfangrei-
›Rheinischen Landesmuseum‹). cher) Publikationstätigkeit und zu seiner Berufung nach
Wilfred Geominy behandelt in seiner ebenso detail- Freiburg im Jahre 1889, der er aber nicht folgte, weil er
lierten Studie ›Das Akademische Kunstmuseum der bald darauf einen Ruf an die Universität Bonn erhielt.
Universität Bonn unter der Direktion von Reinhard Damit beginnt der Hauptteil (II) des Buches, dem
Kekulé‹ (Amsterdam 1989) die weitere Entwicklung Kinne den Titel ›Das Akademische Kunstmuseum un-
des Instituts in der Zeit von 1870 bis 1889. Seine ter Georg Loeschcke‹ gibt, obwohl vom Akademischen
Arbeit ist stärker personengeschichtlich ausgerichtet Kunstmuseum als Institution erst 31 Seiten später (in
und bietet eine vollständige Biographie Kekulés, in der den Kapiteln 6–9) die Rede ist. Das Kapitel über
aber dessen Aktivitäten und Leistungen während seiner Loeschckes ›Lehr- und Forschungstätigkeit in Bonn‹
Amtszeit in Bonn im Mittelpunkt stehen. (Kap. 5) hätte konsequenterweise noch in Teil I gehört.
An diesem Vorbild orientiert sich offenbar auch die In ihm schildert Kinne zunächst Loeschckes Berufung
hier anzuzeigende Bonner Dissertation von Johanna nach Bonn, seine Lehr- und Vortragstätigkeit, die von
Kinne. Da es bisher noch keine monographische Bio- ihm veranstalteten archäologischen Ferienkurse für
graphie über Loeschcke gibt, ist zunächst einmal als Po- Gymnasiallehrer und seine Aktivitäten zur Förderung
sitivum hervorzuheben, dass Kinne mehr bietet, als die der Frauenbildung. Nur kurz (zu kurz!) behandelt wird
Formulierung des Titels erwarten lässt, und in ihre Dar- Loeschckes Verhältnis zum ›Verein von Altertumsfreun-
stellung in angemessener Ausführlichkeit auch die Pha- den im Rheinlande‹ und (unter dem Titel ›Ämter, Aus-
sen in Loeschckes Leben vor und nach seiner Bonner zeichnungen und Ehrungen‹) seine zunächst nicht ganz
Amtszeit einbezieht. Sie legt also im Prinzip eine voll- einfache Stellung im Kreis der altertumswissenschaft-
ständige Biographie Loeschckes vor, deren Schwerpunkt lichen Kollegen an der Universität. Es folgt eine zu-
allerdings (titelgemäß) die Darstellung von Loeschckes sammenfassende Darstellung von Loeschckes ›Grabun-
Aktivitäten und Erfolgen beim weiteren Auf- und Aus- gen und Forschungen am Limes‹, seinen Grabungen in
bau der Sammlungen des Akademischen Kunstmuseums Haltern und seinen Forschungen zu römischen Denk-
bildet, durch die es erst in vollem Umfang zu einem ar- mälern in Trier und Umgebung.
chäologischen Lehr- und Forschungsinstitut wurde. Die In Kap. 6 (›Der archäologische Apparat‹) schildert
sehr detaillierte Darstellung dieser Phase in Loeschckes Kinne Loeschckes Aktivitäten zum Ausbau der Bi-
Leben macht denn auch etwa die Hälfte des Textes aus. bliothek des Akademischen Kunstmuseums – vor allem
›Teil I‹ mit dem Titel ›Zur Biographie G. Loesch- durch den Ankauf der Bibliotheken von Theodor
ckes‹ beginnt mit den üblichen (hier sehr knapp gehal- Mommsen (1905) und Hermann Usener (1906) – so-
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wie des Lehrapparats (Fotos und Dias). Sehr ausführlich verständlich sind (oder erst durch weitere Recherchen
werden dann ›Der Ausbau der Gipsabgussammlung‹ im Buch selbst verständlich werden). Auch zu den im
und ›Die Arbeiten an den Gipsabgüssen‹ (Kap. 7) sowie Text genannten oder in den Quellen zitierten Personen
›der Aufbau der Originalsammlung‹ (Kap. 8) behandelt (ohne erkennbare Regel mal mit, mal ohne Vornamen)
– mit 60 Seiten das Kernstück des Buches –, wobei die gibt es zumeist keine ergänzenden Hinweise oder Erläute-
Autorin besonderen Wert darauf legt, die Kriterien her- rungen. Nur in seltenen Fällen findet man solche, wenn
auszuarbeiten, die für Loeschcke beim Erwerb von Ab- man über den Index die anderen Erwähnungen einer
güssen und Originalen maßgebend waren. Die Zugänge Person aufsucht (z. B. bei Georg Karo). In der Regel wird
zu den Sammlungen werden im Anhang (Kap. 14) noch nur der Name erwähnt, über die Person erfährt man
einmal in Listenform chronologisch zusammengestellt. nichts – nicht einmal über die großzügige Gönnerin des
Da die Zugänge im Text nach Gattungen behandelt Instituts Frau Ellen Waldthausen, die mehr als 25-mal
werden, ergeben sich aus diesen Liste weitere Erkennt- als Geldgeberin für Ankäufe genannt wird.
nisse zu Loeschckes Erwerbungsaktivitäten. Zu Recht macht Kinne ihre Leser darauf aufmerk-
Als Folge der intensiven Erweiterung der Sammlun- sam, dass sich in ihrer Darstellung »gedankliche und
gen und der Bibliothek des Akademischen Kunstmu- zeitliche Überschneidungen nicht vermeiden ließen«
seums ergaben sich erhebliche Raumprobleme, die erst (S. 11). Leider verzichtet sie in diesen Fällen fast voll-
durch einen Erweiterungsbau gelöst werden konnten, ständig auf Binnen- bzw. Rückverweise. Zumindest bei
der am 4. 11. 1908 eröffnet wurde. Die damit verbun- der Nennung von Dissertationen im Text hätte auf die
denen Planungen, Verhandlungen und Probleme wer- Liste der »bei Loeschcke geschriebenen Dissertationen«
den in Kap. 9 eingehend dargestellt. Es folgt ein kurzes (S. 220 f.) verwiesen werden müssen und bei den im
(streng genommen auch nicht in Teil II gehörendes) Text sehr pauschal erwähnten »vielen Anerkennungen
Kapitel über Loeschckes Berufung nach Berlin, seine und Auszeichnungen« (S. 62) auf die entsprechende
dortigen Aktivitäten in den Jahren 1912–1915 und sei- Liste im Anhang (Kap. 15.3).
nen Tod (Kap. 10) sowie einige Informationen über Auf ein dornenvolles Problemfeld gerät der Leser,
›Die Georg Loeschcke-Stiftung‹ (Kap. 11). der sich daran macht, die mitgeteilten Informationen
Im Anhang (Teil III) folgen 962 Anmerkungen (S. zu verifizieren. Das liegt vor allem daran, dass die Auto-
174–183) und (auf 41 Seiten) verschiedene Listen: eine rin das Verzeichnis der »benutzten Quellen und Ver-
Übersicht über die benutzten Quellen und Veröffent- öffentlichungen« (Kap. 13) teils systematisch (›13.1
lichungen, die bereits erwähnte ausführliche Liste der Quellen‹), teils alphabetisch (›13.2 Sonstige Literatur‹)
Zugänge zu den Sammlungen (S. 191–218), Loesch- geordnet hat. Dabei sind mit ›Quellen‹ nicht nur unge-
ckes Veröffentlichungen, die von ihm betreuten Disser- druckte Archivalien gemeint, sondern sehr wohl auch
tationen (warum nicht auch die Habilitationen?) und (freilich schwer zugängliche) Veröffentlichungen. Kinne
eine Übersicht über ›Mitgliedschaften, Ernennungen, hätte eine über die reine Lektüre hinausgehende Benut-
Ehrungen, Auszeichnungen‹ – außerdem ein ›Personen- zung ihres Buches sehr erleichtert, wenn sie – wie üb-
verzeichnis zum Text‹. lich – die von ihr zitierten Quellen in einer einzigen,
Ich habe das Buch von Kinne zweimal gelesen. Zum durchgehend alphabetisch sortierten Liste verzeichnet
ersten Mal im Zusammenhang mit Studien zur Ge- hätte und wenn sie zudem dem Kap. 13 zur Orientie-
schichte der Archäologie und der archäologischen Mu- rung des Lesers eine zusammenfassende Information
seen in Bonn, und bei dieser Lektüre stand zunächst das über die Quellenlage vorangestellt hätte (Ansätze dazu
Interesse an den mitgeteilten Fakten im Vordergrund. finden sich im Text verstreut auf S. 10, 29 und 86 f.).
Der Gesamteindruck war durchaus positiv: eine zu- So kann man dem Leser nur raten, sich zunächst in-
meist gut lesbare, vorwiegend aus bisher unerschlosse- tensiv mit dem (in sich nach unterschiedlichen Prinzi-
nen Quellen erarbeitete sehr (manchmal allerdings auch pien gegliederten und dadurch sehr unübersichtlichen)
zu sehr) detaillierte Darstellung, die vor allem wegen Kapitel 13.1 zu befassen, um Zugang zu dem recht
der zahlreichen Zitate aus der Korrespondenz mit Furt- ungewöhnlichen und umständlichen Zitiersystem von
wängler und aus von Loeschcke verfassten Berichten ein Kinne zu finden. In der Regel gilt: Wer da suchet, der
lebendiges Bild von seiner Person und seinen Aktivitä- wird finden – wenn auch zuweilen nur mit einiger
ten vermittelt. Mühe. In einigen Fällen bleibt die Suche allerdings
Bei der zweiten Lektüre (zur Vorbereitung dieser Re- ohne Erfolg und der Leser findet für manche Abkür-
zension) musste die Lupe des Kritikers zur Hand genom- zung keine Auflösung.
men werden – und bei näherer Betrachtung mit diesem Nicht immer stimmt die Zitierweise von Quellen
Instrument wurden bald einige konzeptionelle und orga- in den Anmerkungen mit der im Verzeichnis der »be-
nisatorische Schwächen deutlich, die den Wert des Bu- nutzten Quellen und Veröffentlichungen« überein.
ches – insbesondere für den Leser, der es gern etwas ge- Manche Verweise sind irreführend oder falsch, und im
nauer wissen möchte – nicht unerheblich beeinträchtigen. alphabetisch geordneten Verzeichnis ›Sonstige Litera-
So macht Kinne es dem um ein genaues Verständnis tur‹ (Kap. 13.2) gibt es einige Fehler in der alphabeti-
ihres Textes bemühten Leser nicht immer leicht, denn schen Sortierung durch den Computer, die sich zwar
sie konfrontiert ihn mehrfach mit Sachverhalten und von selbst erklären, aber das Auffinden der betreffenden
Ereignissen, die ohne erläuternde Informationen nicht Titel erschweren.
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Das ›Personenverzeichnis zum Text‹ (Kap. 15.4) ent- Diese Abstinenz geht so weit, dass etwa zu Kap. 5.6
hält nicht nur die im Text erwähnten Namen, sondern nicht einmal das Buch von G. John, 150 Jahre Verein
auch die Namen der in den Anmerkungen und im Li- von Altertumsfreunden im Rheinlande (Köln 1991), zi-
teraturverzeichnis (Kap. 13) genannten Autoren – dies tiert wird bzw. zu Loeschckes Mitwirkung in der Zen-
allerdings nicht in konsequenter Vollständigkeit. Dies traldirektion des DAI bei der Gründung der Römisch-
gilt auch für die Autoren der von Loeschcke betreuten Germanischen Kommission die im Jahre 2002 erschiene-
Dissertationen (Kap. 15.2), ohne dass dabei ein Aus- nen Beiträge zur Geschichte dieser Institution (Ber. RGK
wahlprinzip erkennbar wird. Nicht aufgenommen wor- 82, 2001, 103 ff ). Auch auf die ebenfalls 2002 erschie-
den sind leider die in den Zugangslisten (Kap. 14) ge- nene sehr informative Studie von Winfried Sühlo über
nannten Namen, obwohl diese gerade für weiterfüh- die Bibliothek von Theodor Mommsen wird nur in Form
rende Untersuchungen zum Antikenhandel jener Zeit einer Ankündigung (Anm. 391) und zudem mit irrefüh-
von Interesse sein könnten. renden bibliographischen Angaben hingewiesen (›Hand-
Als Fazit ist zu konstatieren, dass die wissenschaft- werkszeug und Mythos. Über das Schicksal der Biblio-
liche Benutzung von Kinnes sehr nützlichem Buch thek von Theodor Mommsen. In: A. Jammers u. a.
durch die erwähnten Mängel nicht unerheblich beein- [Hrsg.], Die besondere Bibliothek oder: Die Faszination
trächtigt wird. Bedauerlicherweise ist es ganz offen- von Büchersammlungen [München 2002] 205–228).
sichtlich unterblieben, die Dissertation bei der Vorbe- Das »Hauptziel« ihrer Arbeit, »die gesamte Leistung
reitung für die Veröffentlichung noch einmal einge- Loeschckes für das Akademische Kunstmuseum … auf-
hend redaktionell zu überarbeiten. zudecken und darzustellen« (S. 10), erreicht Kinne vor-
So verdienstvoll es ist, dass Kinne für ihre Darstel- wiegend durch eine Fülle von Einzelinformationen, un-
lung eine Fülle bisher unveröffentlichter oder schwer ter weitgehendem Verzicht auf zusammenfassende Dar-
zugänglicher Quellen erschlossen und damit viele neue stellungen oder wertende Resümees. So ist denn auch
Fakten ermittelt hat, so bedauerlich ist es, dass sie über ihr Versuch einer Würdigung Loeschckes am »Schluss«
diesen Horizont der Quellenpräsentation in der Regel des Buches (S. 172 f.) kein eigentliches Fazit aus den
nicht hinausgeht und auf eigene Recherchen oder wei- vorangegangenen sehr detaillierten Einzeluntersuchun-
terführende Informationen auch da verzichtet, wo es gen, sondern bleibt – gestützt auf einige wenige Zitate
vom thematischen Zusammenhang eigentlich nahe ge- Loeschckes und seines Nachfolgers Franz Winter – eine
legen hätte. Mitgeteilt wird nur, was in den ausgewerte- wenig konturierte Skizze.
ten Quellen gefunden wurde. Wer mehr wissen will, ist
auf eigene Recherchen angewiesen. Bonn Jochen Briegleb

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