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Geschichte der Kritischen

Gesamtausgabe der Werke und Briefe


Friedrich Nietzsches
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*** ARTICOLO IN AGGIORNAMENTO ***

Die Verwirklichung der Kritischen Gesamtausgabe


der Werke Nietzsches – und später auch seiner Briefe – verschaffte
Giorgio Colli und Mazzino Montinari internationalen Ruf. Die Ausgabe
liegt heute in fünf Sprachen vor – deutsch, französisch, italienisch,
japanisch und englisch – und dient als Grundlage jeder
wissenschaftlichen Beschäftigung mit Nietzsche.
Daher soll hier eine knappe Chronologie der schon früh gefassten
Pläne Giorgio Collis für dieses umfassende Projekt gegeben werden. Zunächst
für die vollständige italienische Ausgabe, dann für die deutsche Kritische
Gesamtausgabe und schließlich für die Ausgaben in den anderen Sprachen. Als
Grundlage dienten in erster Linie Dokumente aus dem Archivio Einaudi, Turin,
sowie aus dem Archivio Colli, Florenz.

Juni 1945

Colli schlägt dem Verlag Einaudi (mit dem er seit 1943 in


Verbindung steht) eine Übersetzung »sämtlicher Werke« Nietzsches und
Schopenhauers vor. Der Vorschlag wird Cesare Pavese während einer
Besprechung vorgetragen. [Giampaolo Dossena, Gespräch mit Giorgio Colli,
L’Espresso vom 29. 10. 1978, S. 95]. Pavese hält die Zeit für Nietzsche noch
nicht reif.
1948

Das Vorwort zu seinem Buch Physis kryptestai philei  schließt Colli ab


mit den Worten: »Nach unserer Sicht der Dinge, die wir hier zu begründen
versuchen werden, ist von den Griechen bis heute wenig Lebendiges begriffen
worden, bis auf das, was Nietzsche und Burckhardt gesagt haben.«
 

Februar 1949

Colli schlägt Einaudi die Übersetzung eines der Werke Nietzsches vor: der
Dionysos-Dithyramben oder der Nachgelassenen Schriften aus der Basler Zeit.
[Brief an F. Balbo v. 2.2.1949]

Januar 1950

Neuer Vorschlag einer Übersetzung der Nachgelassenen Schriften aus der Basler
Zeit [Brief an C. Pavese vom 16.1.1950], »die noch nicht übersetzt worden
sind, die aber sehr wichtig sind.« Abschlägige Antwort von F. Balbo. [Brief an
Colli v. 27.1.1950]

Frühjahr 1950

Colli veröffentlicht eine Besprechung von K. A. Goetz: Nietzsche als Ausnahme.


Zur Zerstörung des Willens zur Macht, Freiburg, 1949, in: Rivista di filosofia, n.
2, S. 227-231. Das Buch, »eine radikale Verdammung Nietzsches, dessen
Persönlichkeit auf die Züge der Krankheit und des Egoismus reduziert wird«, ist
ein Beispiel für den Versuch, sich des Gespenstes Nietzsche zu entledigen.
»Nietzsches pathologische und unmoralische Position wird stets vorausgesetzt
und niemals durch die konkrete Untersuchung seiner Lehren nachgewiesen.«
»Der Autor ist besorgt durch die Vorstellung, dass Nietzsche ein Deutscher ist,
und er bemüht sich um den Nachweis, dass sein Volk endlich reif genug ist, ihn
zu überwinden...«.
Oktober 1950

Im Programmrat des Einaudi-Verlags wird am 11. Oktober Collis Vorschlag


beraten sämtliche acht Bände der Nachgelassenen Schriften (aus der Groß-
Oktav-Ausgabe) herauszugeben. Der Vorschlag wird abgelehnt, aber es gibt
eine vage Zustimmung zur Herausgabe der ersten zwei Bände [Brief von
Scassellati an Colli vom 12.10.]. Es entsteht ein Zwist zwischen dem römischen
und dem Turiner Zweig des Verlags: Nach der Rekonstruktion von L. Mangoni
[in: Pensare i libri. La casa editrice Einaudi dagli anni trenta agli anni sessanta,
Torino 1999, S. 599, Fn. 618] ist es der römische Zweig, insbesondere D.
Cantimori, der sich der Veröffentlichung Nietzsches widersetzt. Colli fährt selbst
nach Rom, jedoch ohne wesentliche Ergebnisse zu erreichen. [Brief an
Scassellati v. 5.11. 50]
Februar 1951
Scassellati schreibt an Colli, um ihm zu versichern, dass Balbo und Bobbio
beabsichtigen, die Frage nach Nietzsche erneut zu stellen. [Brief vom
21.2.1951]

September 1952

Gespräch mit Giulio Einaudi. Es wird mit Colli, zusätzlich zur Leitung der Reihe
»Klassiker der Philosophie« (gemeinsam mit Balbo und Bobbio) die Übersetzung
der Nachgelassenen Schriften Nietzsches aus den Jahren 1869-1876 vereinbart
(wofür Colli ab Oktober 1952 ein monatliches Honorar erhält). Colli schreibt
zwei Jahre später: »Vor zwei Jahren hatte ich Herrn Dr. Einaudi versprochen,
bis heute sechs Werke zu liefern, und zwar ... Nietzsche, Nachgelassene
Schriften 1869 – 1876 ...« [Brief an Luciano Foà vom 23. 9. 1954].
Unter Collis Titelvorschlägen für die Reihe »Klassiker der Philosophie« findet
sich: Nietzsche, Nachgelassene Schriften 1868-1875; der Titel wird auch von
Balbo in die offizielle Liste übernommen und an G. Einaudi weitergeleitet. Auch
in Collis Vorschlägen für die »Bibliothek philosophischer Bildung«, ebenfalls im
September 1952, tritt das Interesse für Nietzsche wieder hervor. Unter anderem
wird »ein Werk über Nietzsche« vorgeschlagen, »das ich schreiben würde, oder,
wenn Ihr einverstanden seid könnte es der Bertram* sein.« [*F.
Bertram, Nietzsche. Versuch einer Mythologie, 1918.]
Oktober 1954

Im Protokoll des Treffens wegen der Reihe »Klassiker der Philosophie« am 13.
Oktober, an dem Balbo, Bobbio, Colli und A.C. Solmi teilnehmen, erscheint
unter den Büchern, die bis Juni 1955 im Verlag eintreffen sollen, auch:
Nietzsche, Nachgelassene Schriften aus der Basler Zeit.

September 1956

Einreichung des Typoskripts der übersetzten Nachgelassenen Schriften aus der


Basler Zeit bei Einaudi. [G. P. Dossena, Gespräch mit G. Colli, in L'Espresso,
a.a.O.].
März 1957

»Rückkehr zu Nietzsche: IV. Buch der Fröhlichen Wissenschaft. Genealogie der


Moral. Nachgelassene Schriften zu »Der Wille zur Macht.« [La ragione
errabonda, S. 84 u. 599]
Juni-Juli 1957

Colli beginnt mit der Niederschrift »eines Buches über unsere Krise«,
hauptsächlich Nietzsche gewidmet [vgl. La ragione errabonda, S. 83-112].
Diese Texte werden später wieder aufgegriffen und bilden die Grundlage für sein
Buch Nach Nietzsche (1974).
Juli 1958

Brief an den Verlag Einaudi, angeregt durch Luciano Foà, mit dem Vorschlag
einer Kritischen Nietzsche-Ausgabe, oder, alternativ, einer vollständigen
italienischen Ausgabe auf der Grundlage der besten bereits vorhandenen
deutschen Ausgaben [Brief an Foà vom 3.7.1958]. Ablehnende Antwort
bezüglich der Kritischen Ausgabe; dagegen Einverständnis bezüglich der
vollständigen italienischen Ausgabe, die in der Reihe »I Millenni« erscheinen
soll. [Brief von Luciano Foà vom 17.7.1958]

Oktober 1958

Nietzsches Schopenhauer als Erzieher, übersetzt von Mazzino Montinari,


eröffnet die von Colli im Verlag Boringhieri herausgegebene Reihe
»Enzyklopädie der Klassiker«. In derselben Reihe werden drei weitere Werke
Nietzsches erscheinen.

November 1958

Die vollständige italienische Nietzsche-Ausgabe soll bei Einaudi nicht mehr in


der Reihe »I Millenni« erscheinen, sondern in der Reihe »Classici della filosofia«.
[Brief von Luciano Foà vom 10.11.1958]

Januar 1959

Anfang des Monats besprechen Colli und G. Einaudi den Plan der Vollständigen
Werke Nietzsches. Mündliche Einigung. [Brief von Colli v. 28.1.1959]
Februar 1959

Colli schickt dem Verlag einen Vertragsentwurf, der von G. Einaudi mit
geringfügigen Änderungen angenommen wird. Bei dieser Gelegenheit erwähnt
Colli die Ernennung von M. Montinari zum Mitherausgeber der Ausgabe. [Brief
von Colli v. 1.2.1959 und Antwort von Foà v. 5.2.1959].

Juni 1959

Colli schreibt: »Die Vorarbeiten für den Nietzsche kommen gut voran, wenn
auch mühsam – denn ich will mich vorab der Arbeit der Übersetzer
versichern...«. [Brief v. 19.6.1959].

Januar 1960
Einaudi schließt mit Sossio Giametta einen Vertrag für die Übersetzung
von Menschliches, Allzumenschliches ab, mit Ferruccio Masini für Morgenröthe,
Fröhliche Wissenschaft und die zugehörigen nachgelassenen Schriften. Colli
plant, die Herausgabe der vollständigen Werke mit diesen Bänden zu beginnen,
und nicht mehr mit den nachgelassenen Schriften der späten Jahre, die zu Der
Wille zur Macht gehören, denn dort treten schwerwiegende philologische
Probleme auf. [Brief von Colli v. 26.1.1960]
Juni 1960

Colli bittet um ein persönliches Gespräch mit G. Einaudi bezüglich der


bevorstehenden Nietzsche-Ausgabe. [Briefe von Colli an Foà v. 20.6.1960 und
an G. Einaudi v. 11.7.1960]

Juli 1960

Vertrag zwischen Einaudi und Mario Carpitella für die Übersetzung der
nachgelassenen Schriften aus der Basler Zeit, Vorlesungen und philologische
Schriften. [Brief von Colli an Foà v. 11.7.1960]

September 1960

Colli trifft G. Einaudi, um den Erscheinungsplan der Gesamtausgabe Nietzsches


festzulegen. Möglicherweise hat Colli bei dieser Gelegenheit Einaudi von der
Notwendigkeit überzeugt, in Weimar vor Ort die mit der Herausgabe des
Nachlasses verbundenen philologischen Probleme zu sichten.
November-Dezember 1960

Dass es zwischen Colli und Einaudi eine Einigung bezüglich eines


Arbeitsaufenthaltes in Weimar gegeben hat, zeigt die Tatsache, dass Foà die
Organisation einer ersten Erkundungsreise zum Goethe-Schiller-Archiv
übernommen hat: »Bezüglich des Zugangs zu den Weimarer Archiven werde ich
in etwa zehn Tagen mit Cases sprechen, wenn ich nach Rom kommen werde (er
scheint mir beste Verbindungen zu haben).« [Brief von Foà v. 7.11.1960]. Und
später: »Cases hat sowohl den offiziell Zuständigen als auch einem Freund in
Weimar geschrieben.« [Brief von Foà v. 6.12.1960].
Inzwischen stellt Colli den Zeitplan für die Abgabe der Bände der vollständigen
Werke vor: erster Band im Januar 1961 - letzter Band im Juni 1962 [Plan vom
6.12.1960].

April 1961

Endlich trifft Montinari in Weimar ein, um die Handschriften Nietzsches in


Augenschein zu nehmen. Von dort »meldet er bemerkenswerte Ergebnisse,
nach der ersten Berührung mit dem Material« [Brief von Colli v. 11.4.1961 und
Antwort von Foà v. 21.4.1961]. Montinari schreibt an Colli aus Weimar am
8.4.1961: »Diese Reise ist das wichtigste Ereignis meines Lebens... ich danke
Dir, dass Du die Idee dieser Reise nach Weimar hattest; ich habe das nicht
vergessen ...«.

Mai 1961

Aufgrund der Ergebnisse der Arbeit in Weimar, die die Notwendigkeit einer auf
die Originalhandschriften gegründeten Ausgabe der Nachgelassenen
Schriften erweist, schlägt Colli dem Verlag Einaudi abermals die bereits in
seinem Brief vom 3.7.1958 skizzierte Kritische Nietzsche-Ausgabe vor, findet
damit aber wahrscheinlich keine große Zustimmung.
Juni 1961

Colli ist ungeduldig, aber der Verlag Einaudi nimmt sich Zeit [Collis Brief v.
11.6.1961 und Antwort von Foà v. 19.6]. Colli bittet um ein Treffen mit G.
Einaudi; Foà antwortet ihm in einem privaten Brief: »Bezüglich des deutschen
Nietzsche [die Kritische Ausgabe, Anm. d. Red.] herrscht eisige Kälte...«, und
teilt ihm mit, dass er Ende des Monats den Verlag Einaudi verlassen wird. [Collis
Brief v. 26.6.1961 und Antwort von Foà v. 6.7.1961]

Herbst 1961

Die Begegnung zwischen Colli und Einaudi findet statt; Einaudi lehnt eine große
verlegerische Gelegenheit ab: die Kritische Ausgabe der Werke Nietzsches, die
später von Colli und Montinari verwirklicht wird und auf Französisch, Italienisch,
Deutsch, Japanisch und Englisch erscheinen wird. Später wird Colli das
Gespräch so schildern: »Er sagte, er sei daran nicht interessiert...« DOSSENA:
»Also ist es nicht wahr, dass Einaudi jene Nietzsche-Ausgabe geplant hatte, die
nun bei Adelphi erscheint. Und wie kam es zum Bruch?« COLLI: »Es muss etwas
passiert sein«. Colli spielt im Laufe des Gesprächs auf einen Widerstand von
Delio Cantimori an, aber er nimmt dazu nicht Stellung, und fährt fort: »Im Juli
1961 verließ Foà den Verlag Einaudi. Bei meinem Gespräch mit G. Einaudi hatte
ich Foàs Unterstützung nicht. Im Herbst 1961 bestätigte mir Einaudi, dass er
am zweiten, im Mai von mir vorgeschlagenen Plan, den gesamten Nietzsche
herauszugeben, nicht interessiert sei, und er sagte mir, dass er auch am ersten
Plan nicht länger interessiert sei, für den wir 1959 einen Vertrag abgeschlossen
hatten, zu dem bereits mehrere Übersetzungen vorlagen und zwei Bände
bereits gesetzt waren... Ich erhielt den deutlichen Eindruck einer wohl
überlegten Entscheidung, die keineswegs durch einen persönlichen,
launenhaften Sinneswandel Einaudis bestimmt war. Damit endeten alle meine
Verbindungen zu Einaudi und seinem Verlag.« [Gespräch mit Colli von G.P.
Dossena, in L’Espresso, a.a.O.].
Mai-Oktober 1961

Mittlerweile war eine für das Italien jener Jahre typische »Kulturpolemik«
ausgebrochen. Cesare Vasoli, »Garins wichtigster Assistent« [Brief von Colli an
Solmi v. 24.4.1956, in dem von Vasoli in äußerst positiver Form die Rede ist],
prangerte in einem im Mai 1961 in der Zeitschrift »Itinerari« erschienenen
Artikel die Tatsache an, dass sich in der philosophischen Kultur Italiens
irrationalistische Themenkomplexe immer mehr verbreiteten, die sich »nach
einer neuen Flucht aus der Realität und aus der Geschichte« richteten. Als
Beispiele für »irrationalistische Dekadenz« wurden sowohl die Ausgabe
Nietzsches sämtlicher Werke, als auch die bei Boringhieri erscheinende
»Enzyklopädie der Klassiker« angeführt. Es war ein gegen Colli gerichteter
Angriff. Vasoli (oder gewissermaßen Garin selbst) hatte Colli (den Colli der
Aristoteles-und Kant-Ausgaben wohlgemerkt) im Jahre 1956 um seine
Fürsprache bei Einaudi gebeten, um in der Reihe »Klassiker der Philosophie«
den lateinischen Giordano Bruno herauszugeben; Vasoli (oder Garin) warf Colli
im Jahr 1961 vor, er würde »uns die Lektüre des konsequentesten reaktionären
Philosophen [Nietzsche] zumuten, verbunden mit ‚geflügelten’ lobpreisenden
Einleitungen«. Der Angriff beeinflusste mit Sicherheit die Entscheidungen des
Beirats im Verlag Einaudi. D. Cantimori – einer der einflussreichsten Berater
Einaudis – veröffentlichte in derselben Zeitschrift »Itinerari« eine sehr
ambivalente Entgegnung, ungeachtet der Kommentare durch Montinari und, in
dessen Gefolge, durch Giuliano Campioni. Er sagte, dass die Kenntnis
Nietzsches nicht etwa zur Erweiterung der eigenen Weltsicht dienlich sei,
sondern vielmehr dazu, gefeit zu sein gegen »die furchtbarsten Auswirkungen
des zeitgenössischen Irrationalismus«, und schloss: »Natürlich werde ich
Nietzsche nicht in dasselbe Regal stellen, wo Einaudis Gramsci, Einaudis und
Feltrinellis Salvemini stehen, auch nicht dorthin, wo Laterzas Nitti, oder Marx,
oder Plato stehen; werde ich ihn zu den Dichtern und Tragikern und
Romanschreibern tun, ins Regal der Monstrositäten oder der Astrologen?«. Für
die akademische Kultur Italiens (die Rede ist von Garin und Cantimori!) ist es
noch zu früh, um Nietzsche aus dem Regal der Monstrositäten zu holen. In
Frankreich sieht das anders aus.
Juni 1962

Luciano Foà gründet den Adelphi Verlag, nach Verhandlungen zur Finanzierung
mit Roberto Olivetti und Paolo Boringhieri. Adelphi ist entschlossen, die Kritische
Nietzsche-Ausgabe zu verwirklichen, sucht aber einen ausländischen (möglichst
einen deutschen) Verlag, um sich mit diesem die Kosten zu teilen.
Verhandlungen mit Gallimard in Paris sind bereits angelaufen. In Frankreich ist
bereits ein beachtliches Interesse an Nietzsche vorhanden.

August 1962
Vertragsabschluss mit Gallimard. Die Kritische Ausgabe der Werke und der
Nachgelassenen Schriften Nietzsches beginnt dank zweier nichtdeutscher
Verlage: Adelphi und hauptsächlich Gallimard; mit der Merkwürdigkeit, dass
zwei Übersetzungen erscheinen, die auf der Grundlage eines neu etablierten
aber noch nicht veröffentlichten kritischen Textes ausgeführt werden. Colli
»schickt seine Männer nach Weimar« noch bevor er vom glücklichen Ausgang
der Verhandlung erfährt [Brief von Foà v. 13.8.1962]. Während der ersten Jahre
wird Montinari von S. Giametta und M. L. Pampaloni unterstützt. Die Arbeit an
der Nietzsche-Ausgabe beginnt.

November-Dezember 1962

Adelphi übernimmt von Einaudi die bereits fertigen Nietzsche-Übersetzungen


[Brief von Foà an Einaudi vom 4.2.1962]. Die Suche nach einem deutschen
Verlag geht weiter, die editorische Arbeit schreitet zügig voran.

1963

Die editorische Arbeit wird fortgesetzt.

Oktober 1963

Aus einem Brief von D. Cantimori an K. Löwith, den dieser uns vorgelegt hat,
geht die Einstellung des italienischen Historikers gegenüber Colli und seinem
»Projekt Nietzsche« nachträglich klar hervor. Cantimori schreibt: »… der
Ausbruch ist durch die Wut verursacht, die bei mir die von Prof. Colli
angeführten nietzscheanisch-platonischen Ästheten auslösen…« [Brief von
Cantimori vom 15.10.1963]. Damit wird Collis Eindruck vom Herbst 1961
bestätigt, Cantimori habe die Nietzsche-Ausgabe bei Einaudi verhindert. Oder
lag es doch an Garin?

1964

Die Suche nach einem deutschen Verleger geht weiter. Gallimard vermittelt
Verhandlungen mit Rowohlt, Luchterhand, später mit Nijhoff. Es bestätigt sich
die von Colli in seiner Rezension von Goetz 1950 sowie in seinem Brief v.
3.7.1958 an Foà ausgedrückte Vorahnung: Die Deutschen sind noch nicht reif
für Nietzsche und trauen zwei »unbekannten« Italienern nicht.

Januar 1964

In der Vorschau auf die Reihe »I classici Adephi« erscheint: »Die Werke
Friedrich Nietzsches. Erste auf der Grundlage der veröffentlichten und der
nachgelassenen Handschriften durchgeführte Ausgabe« von G. Colli und M.
Montinari. Der erste, allgemeinere Teil ist von Colli, der folgende, eher
technische Teil von Montinari.

Juli 1964

Colli und Montinari nehmen am »VIIe colloque philosophique international de


Royaumont, "Nietzsche"« teil (4.-8. Juli). Sie tragen vor über: »État des textes
de Nietzsche« (erschienen in Cahiers de Royaumont. Philosophie, n. VI, Les
Éditions de Minuit, Paris, 1967). Die Bedeutung der neuen Ausgabe wird – in
Collis kurzer Einleitung – in der größeren Menge der nachgelassenen Schriften
und Fragmente (fast doppelt so viele wie in früheren Ausgaben) gesehen, und
(im Unterschied zu den willkürlichen Zusammenstellungen der Vergangenheit)
hauptsächlich darin, dass »il faut que ces écrits posthumes soient présentés
comme ils ont été écrits; il faut donc que nous publions chacun des cahiers des
notes écrits par Nietzsche, et suivant l'ordre chronologique de leur rédaction«.
Oktober 1964

Bei Adelphi erscheint der erste Band der italienischen


Ausgabe: Morgenröthe und Nachgelassene Schriften 1879-81. Die
»philosophischen« Einleitungen sind von Colli; später (1980) werden sie zu
einem Band zusammengefasst [Scritti su Nietzsche, Adelphi – dt.
Übers.: Distanz und Pathos]. Collis erster Vorschlag an Cesare Pavese im Juni
1945 liegt nunmehr 19 Jahre zurück.
1965

K. Löwith – der an den Gesprächen in Royaumont teilgenommen hatte – nennt


die Aversion deutscher Verleger gegen die neue Kritische Ausgabe eine
»nationale Schande« und wird beim Insel-Verlag und beim Frankfurter
Suhrkamp-Verlag, sowie später bei W. de Gruyter in Berlin als Vermittler tätig.
Anscheinend hat sich Löwith von Cantimoris Tirade nicht allzu sehr
beeindrucken lassen.

Juni 1966

Vertragsabschluss mit W. de Gruyter über die Kritische Gesamtausgabe der


Werke Nietzsches. Der erste Band wird 1967 erscheinen.

Dezember 1966

Colli vermerkt in seinem Tagebuch: »Eine Pause in der Arbeit … noch immer
über Nietzsche. Ich bearbeite allein den dritten Band und habe bereits 390
Seiten des Nachlasses transkribiert. Ende März muss er vollständig
abgeschlossen sein… Andere Ideen kommen zum Vorschein; noch ist der Plan
nicht entschieden, auch die »Briefe« Nietzsches herauszugeben. Mazzino wird in
einigen Tagen nach Berlin fahren, um die Verhandlungen mit de Gruyter wieder
aufzunehmen. Aber dieser Plan begeistert mich nicht.« [La ragione errabonda,
a.a.O., S. 600]. Das »Projekt Nietzsche« ist für Colli so gut wie abgeschlossen.
Er hat bereits anderes im Sinn.
1967

Nach Vertragsabschluss mit de Gruyter, einem wissenschaftlichen und


akademischen Verlag, den Colli nach vier Jahren eher akzeptiert denn
ausgesucht hat, und der der Nietzsche-Ausgabe einen philologisch-technischen
Charakter aufprägt, zeichnen sich Differenzen zwischen Colli und Montinari ab:
Montinari fügt sich – folgt dabei aber auch der eigenen Neigung – und spürt das
Bedürfnis am kritischen Apparat zu arbeiten, geduldig den versteckten Zitaten
nachzugehen, den »historischen« und kulturellen Kontext zu rekonstruieren, in
dem Nietzsche lebte und dachte. Für Colli dagegen »muss Nietzsche in keiner
Weise interpretiert [...] werden. [...] Man braucht ihm bloß Gehör zu schenken
[...] in seiner Einheit und Totalität. [...] Denn leben bedeutete für ihn schreiben,
und schreiben hieß nichts anderes, als die Flüge seiner Phantasie und die
Qualen seines Denkens offen auszusprechen, wie in einem Spiegel zu
reflektieren.«

1967

Vertragsabschluss mit Gallimard, de Gruyter und Adelphi über die Ausgabe der
Briefe Nietzsches.

Mai 1968

Bei Gallimard erscheint der erste Band der französischen Ausgabe: Le gai
savoir. Fragments posthumes 1881-82.
1969

Vertragsabschluss mit dem Verlag Hakusuisha in Tokio über die Kritische


Gesamtausgabe der Werke Nietzsches. Die ersten Bände werden drei Jahre
später erscheinen.

1972

Der Verlag Barral Editores in Barcelona interessiert sich für eine spanische
Ausgabe der Werke. Die Verhandlungen bleiben ergebnislos.

Juli 1974
Bei Adelphi erscheint Dopo Nietzsche. Damit wird jenes durch den deutschen
Denker inspirierte »Buch über unsere Krise« verwirklicht, an dem Colli 1957 zu
schreiben begonnen hatte.
6. Januar 1979

Tod Collis.

Oktober 1980

In Deutschland erscheint, als Gemeinschaftsprojekt von de Gruyter in Berlin und


dtv in München, die Kritische Studienausgabe, eine vollständige, preiswerte
Taschenbuchausgabe mit schlankerem kritischem Apparat als die
»hypertrophen« Apparate der großen Ausgabe. Colli ist zwei Jahre zuvor
verstorben. Montinari kommentiert: »Das ist Giorgios Ausgabe, ich habe sie für
ihn gemacht.« In dieser Ausgabe sind die zu den Werken oder zu den
Nachgelassenen Schriften von Colli für die italienische Ausgabe verfassten
Einleitungen als Nachworte enthalten.
24. November 1986

Tod Mazzino Montinaris.

April 1987

Colli und Montinari erhalten (in memoriam) den Preis der Wheatland Foundation
in New York für die Kritische Gesamtausgabe der Werke F. Nietzsches.

1995

Bei Stanford University Press, Stanford, California erscheinen die ersten Bände
der Complete Works of F. Nietzsche based on the edition by G. Colli and M.
Montinari. 

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