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Expressionismusdebatte

Mit Expressionismusdebatte bezeichnet man die Auseinandersetzung um die


Kunstform des Expressionismus in den Jahren 1933 bis 1938 zum einen unter
Nationalsozialisten, zum anderen unter den emigrierten Marxisten in der deutschen
Sektion des Verbandes sowjetischer Schriftsteller.

Inhaltsverzeichnis
Nationalsozialistische Expressionismusdebatte
Marxistische Expressionismusdebatte
Literatur
Einzelnachweise

Nationalsozialistische Expressionismusdebatte
Die Konturen der nationalsozialistischen Kunstpolitik waren unmittelbar nach der
Machtergreifung noch unscharf, die Frage nach einem „Staatsstil“ noch offen. Anhänger
moderner Kunst versuchten einen „Nordischen Expressionismus“ im völkischen Sinne zu
etablieren.[1] Joseph Goebbels wollte 1933 die Expressionisten Emil Nolde und Ernst
Barlach zu „Prototypen des nordischen Künstlers“ ausrufen, stieß aber auf Widerstand des
Kampfbundes für deutsche Kultur von Alfred Rosenberg.[2]

Im Sommer 1933 veranstaltete der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund in


Berlin die Ausstellung 30 Deutsche Künstler. Gezeigt wurden überwiegend Werke
moderner, expressionistischer Künstler. Die Ausstellung stieß auf schärfste Kritik von
Alfred Rosenberg[3] und wurde nach nur 3 Tagen geschlossen. Nach einer Intervention der
Organisatoren über Walther Funk bei Joseph Goebbels wurde die Ausstellung nach einigen
Tagen wieder freigegeben. Der NS-Studentenbund durfte aber nicht mehr als Veranstalter
auftreten.[4]

Hitler persönlich entschied schließlich den „Expressionismusstreit“. Auf den


Reichsparteitagen 1933 und 1934 äußerte er sich im Konflikt Rosenberg-Goebbels noch
nicht eindeutig, sowohl die „avantgardistische Moderne“, als auch die „völkische Reaktion“
wurden verworfen.[5] Am 11. September 1935 aber rechnete er in seiner „Kunstrede“
endgültig mit der Kunst der Moderne ab. Goebbels schwenkte um, verfolgte nun eifrig
moderne Kunst, die fortan als „entartet“ verfemt wurde.

Am 19. Juli 1937 eröffnete in München die Wanderausstellung Entartete Kunst, die als
Kontrastprogramm zur zeitgleich in München gezeigten Großen Deutschen
Kunstausstellung angelegt war. Ausgestellt wurden auch Arbeiten von Ernst Barlach und
Emil Nolde (der sich selbst wiederholt als glühenden Parteigänger der Nationalsozialisten
erklärte) sowie Werke des „Kieler Expressionisten“ Friedrich Peter Drömmer.

Marxistische Expressionismusdebatte
Die Auseinandersetzung ging vor allem um den Bezug des Expressionismus zum
Faschismus und Nationalsozialismus sowie um die Alternative einer „materialistischen
Ästhetik“.[6]

Lukács trug seine Kritik in dem Aufsatz „Größe und Verfall des Expressionismus“ in der
Zeitschrift 'Internationale Literatur' (1934, Heft 1) vor. Seine eigene Position fasst er u. a.
in dem Aufsatz Es geht um den Realismus zusammen. Gegenideal sind die bürgerlichen
Realisten und ihre Nachfolger. Diese würden, so Lukács, die Wirklichkeit nicht
wiedergeben, wie sie subjektiv erscheine, sondern wie sie objektiv sei.[7]

Der Hauptteil der Expressionismuskritik wurde in der Moskauer Emigrantenzeitschrift


Das Wort publiziert.

Dieser Kritik entgegen stehen u. a. Ernst Bloch, Bertolt Brecht[8] und Hanns Eisler. Diese
bestehen „u.  a. auf der Anerkennung des ästhetischen Innovationscharakters der
bürgerlichen Avantgardebewegungen“.[9]

Einer der Streitpunkte ist die Beurteilung Gottfried Benns. Dieser hatte in einem am 5.
November 1933 in der Deutschen Zukunft erschienenen Aufsatz (Der Expressionismus,
leicht verändert 1934 in Kunst und Macht erschienen) sich zunächst nationalsozialistischer
Expressionismuskritik angeschlossen. Uwe-K. Ketelsen spricht hierbei davon, den
Expressionismus „in einer Weise zu 'traditionalisieren', die auch der
nationalsozialistischen Kritik geläufig war, und ihn der deutschen, ja arisch-europäischen
Tradition einzugliedern, war wohl in der Tat ein taktisches Entlastungsmanöver“.[10]

Alfred Kurella vertrat die These, Benns Nihilismus „lasse nur einen Salto mortale in das
Lager Hitlers zu“; Ernst Bloch kommentierte dies süffisant 1938 in seinem Aufsatz
Diskussion über Expressionismus mit der Bemerkung, dieses Urteil sei „selbst eine Art
geistlicher Salto mortale“.[11]

Literatur
Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus. Rowohlt, Hamburg 1963,
S. 65–86.
Fritz J. Raddatz (Hrsg.): Marxismus und Literatur. Eine Dokumentation in drei Bänden.
Band 2, Reinbek bei Hamburg 1969.
Hans-Jürgen Schmitt (Hrsg.): Die Expressionismusdebatte. Materialien zu einer
marxistischen Realismuskonzeption. Frankfurt/Main 1973 (Enthält die in Das Wort
erschienenen Aufsätze).
Jan Berg u. a.: Die Expressionismusdebatte. In: Sozialgeschichte der deutschen
Literatur von 1918 bis zur Gegenwart. Frankfurt am Main 1981, S. 458–460.
Robert Cohen: Expressionismus-Debatte. In: Wolfgang Fritz Haug (Hrsg.): Historisch-
kritisches Wörterbuch des Marxismus. Band 3, Argument, Berlin 1997, S. 1167–1183.
Dieter Schiller: Die Expressionismus-Debatte 1937 – 1939. Aus dem redaktionellen
Briefwechsel der Zeitschrift "Das Wort" (=Pankower Vorträge 42), Helle Panke, Berlin
2002.
Detlev Schöttker: Expressionismus, Realismus und Avantgarde. Literatur- und
medienästhetische Debatten im sowjetischen Exil. In: Wilhelm Haefs (Hrsg.):
Nationalsozialismus und Exil 1933-1945. Hanser, München/Wien 2009, ISBN
9783446127845, S. 230–244.

Einzelnachweise
1. „Die Brücke“ als Staatskunst des Dritten Reichs? Die Kontroverse um den Nordischen
Expressionismus im Sommer 1933. (http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/article8RZME-
1.279419) In: NZZ, 19. Juli 2003; abgerufen am 24. April 2014
2. Michael Petrow: Der Dichter als Führer? Zur Wirkung Stefan Georges im „Dritten
Reich“. Tectum Verlag, Marburg 1995, ISBN 3-929019-69-8, S. 73.
3. Martin Papenbrock, Gabriele Saure (Hrsg.): Kunst des frühen 20. Jahrhunderts in
deutschen Ausstellungen. Teil 1. Ausstellungen deutscher Gegenwartskunst in der NS-
Zeit. Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften, Weimar 2000, ISBN 3-89739-
041-8, S. 22, doi:10.1466/20061109.28 (https://doi.org/10.1466/20061109.28).
4. Otto Andreas Schreiber: Vom Sarg aus gesehen. (http://www.otto-andreas-schreiber.d
e/Schreiber/Sarg.html) Biografische Kommentare
5. Manfred Funke, Karl Dietrich Bracher, Hans Adolf Jacobsen (Hrsg.): Deutschland
1933–1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft. Bundeszentrale für
Politische Bildung, Düsseldorf 1993, ISBN 3-89331-185-8, S. 261
6. K.-M. Bogdal: Kunst, Kunstwerk, 5. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie
7. Für einen kurzen Abriss der zugrundeliegenden ästhetischen Position vgl. K.-M.
Bogdal: Kunst, Kunstwerk, 5. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie
8. Bertolt Brecht: Gesammelte Werke. Band 19, S. 290 ff.
9. K.-M. Bogdal: Kunst, Kunstwerk, 5. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie
10. Die dreißiger und vierziger Jahre. In: W. Hinderer (Hrsg.): Die deutsche Lyrik. Reclam,
Stuttgart 1983, S. 491.
11. Silvio Vietta: Probleme – Zusammenhänge – methodische Fragen. In: ders. / Hans-
Georg Kemper: Expressionismus. Wilhelm Fink Verlag, München 1975, S. 208

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Diese Seite wurde zuletzt am 8. Mai 2021 um 22:54 Uhr bearbeitet.

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