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Der weibliche Aspekt Gottes

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Veröffentlicht unter
https://de.scribd.com/user/203002700/Dr-Erhard-J-Fischer
am 25-07-2020
Alle Rechte © bei Dr. Erhard J. Fischer, Busenhausen
Der weibliche Aspekt Gottes

Vortrag

Dr. Erhard J. Fischer, GAC im OSS, Busenhausen

Montag, 11.08.2014, 19:30 - 21:00 Uhr


action 365, Bad Camberg, Haus Pohl

Ökumenischer Montagstreff der action 365


Bad Camberg

Kurztext von Werner Ott:

Dr. Erhard J. Fischer aus Busenhausen im Westerwald gehört der Ge-


meinschaft Apostolischer Christen in der Organisation „Opus Spiritus
Sancti“ („Werk des Heiligen Geistes“) an. Der Buchautor beschäftigt sich
mit den oft verdrängten oder vom männlichen Gottesbild vereinnahmten
weiblichen Seiten Gottes. Er erinnert an die häufig in Vergessenheit ge-
ratene Weichheit und Zärtlichkeit des Ewigen: Wie eine liebe Mutter
sorgt Gott für seine Kinder, begleitet sie, steht ihnen bei …: „Gott bin ich
und kein Mann“, heißt es im alttestamentlichen Buch Hosea (11,9). Wenn
nach der Schöpfungs-Erzählung Mann und Frau Abbild Gottes sind,
dann muss die „Vorlage“ auch männliche und weibliche Züge tragen. Der
Referent kann sich unter anderem auf die in der Bibel zwar seltenen,
aber dennoch vorhandenen weiblichen Gottesbilder berufen: Haus-
herrin, Gebärende, Mutter, Hausfrau, Hebamme, Weisheit (Sophia).

2
Der weibliche Aspekt Gottes

Gliederung Seite

19:30 1. Begrüßung, Vorstellungsrunde 4

19:40 2. Erwartungen der TN 4

19:50 3. Vorbemerkungen 4

3.1. Grundsätzliches 4

3.2. Wikipedia 4

3.3. Patriarchale Denkweise 4

20:00 4. Matriarchat 7

4.1. Symbole & Zyklen 8

4.2. Marija Gimbutas 9

4.3. Matriarchatskulturen 10

4.4. Feste & Mysterienspiele 11

4.5. Sohngeliebter 12

4.6. Die große Göttin 13

4.7. Die Göttin als Dreiheit 14

4.8. Definition Matriarchat 15

4.9. Epochen der Steinzeit 17

4.10. Zusammenfassung 18

3
Seite

20:40 5. Weiblicher Aspekt Gottes 19

5.1. Einstimmung 19

5.1.1. Bibelzitate 19

5.1.2. Weibliche Gottesbilder 19

5.2. Hinführung 21

5.3. Christa Mulack 28

5.4. Interpretation Genesis 30

5.5. Der Heilige Geist 30

5.5.1. Sophia

5.6. Jüdische Vorstellungen 37

5.6.1. Gott ist körperlos 38

5.6.2. Sefiroth - Lebensbaum 43

5.7. Hohes Lied der Liebe 49

21:10 6. Gespräch

21:20 7. Reflexionsrunde

21:30 Ende

8. Anmerkungen 52

9. Quellen 53

4
1. Begrüßung, Vorstellungsrunde

2. Erwartungen der TN

3. Vorbemerkungen
3.1. Grundsätzliches

Nehmen sie das, was ich sagen werde nicht für die absolute Wahrheit,
relativieren sie es, machen sie sich ihr eignes Bild. Dies gilt besonders für
den ersten Teil: Matriarchat. Meine Ausführungen stammen aus etwa
jeweils 30-jähriger Forschungstätigkeit von Heide Göttner-Abendroth,
Maria Gimbutas, Erich Neumann und einigen anderen. Für Erich Neu-
mann sind Matriarchat und Patriarchat psychische Entwicklungsstufen,
was ich nicht so sehe. Für ihn ist die große Göttin eine mythologische
Figur. Später mehr dazu.

3.2. Wikipedia

Vieles habe ich aus Wikipedia, das zum Teil berechtigt angegriffen wird.
Politische Artikel, Seiten von großen Konzern und vieles mehr werden
manipuliert. Ich habe vor 10 Jahren dort selbst mitgemischt. Themen
von denen ich Ahnung hatte, waren damals relativ schlecht und sind
heute wesentlich besser. Man benötigt eigene Urteilsfähigkeit.

3.3. Patriarchale Denkweise

Hier liegt ein massives Problem verborgen, weil wir alle vom patriarcha-
len Denken befangen sind und gar nicht anders können, auch wenn wir
sehnlichst wollen. Selbst Personen, die sich seit über 30 Jahren mit dem
Thema Matriarchat beschäftigen, tappen noch in die Falle des Patriar-
chats. Beispiel: In einem Werk1 von Heide Göttner-Abendroth lese ich
auf Seite 41 den Begriff Diskussion, wobei sie eher Dialog gemeint hat;

5
denn in einer Diskussion gibt es Gewinner und Verlieren, was im
Matriarachat ausgeschlossen ist.

Einschub – Mail an HAGIA bzw. H. G-A.


Dialog-Gruppen sind matriarchale Inseln im patriarchalen System, eine Aufweichung
des Herrschaftsdenkens. Winzige Tupfer des Matriarchats noch im Unbewussten
verharrend. Es wird Entscheidendes nicht verbalisiert und somit erfolgt keine
Ausgrenzung oder Tabuisierung. Ein Hoffnungsschimmer am Horizont weltweit
zunehmender Probleme. Eine Eigenschaft, die Konsensfähigkeit fördert, was im
matriarchalen Denken unerlässlich ist. Diese Gedanken werde von den führenden -
wieder so ein patriarchaler Begriff - Vertretern der Zunft des Dialoges noch nicht
gedacht. - "Noch nicht" ist so ein geheimnisvolles Zauberwörtchen. - Dialog bereitet
den Nährboden für matriarchales Denken im Kleinen.
Dialog-Veranstaltungen sind Regentropfen, die aus dem Bild der Gewitterwolke
herausfallen*, ohne dass es jemand bemerkt; auch wenn sich auf Seite 41 - rechst
unten - ein Relikt des patriarchalen Denkens eingeschlichen hat: Diskussion.
* Heide Göttner-Abendroth, Für Brigida Göttin der Inspiration, Frankfurt am Main 1998, p. 34

Wir haben so sehr patriarchale Normen verinnerlicht, dass uns eine


selbstkritische Bewusstseinsveränderung unmöglich ist. Wir sind gefan-
gen im traditionellen Rollenverhalten von Männern und Frauen; trotz
guten Willens wird alles ständig wiederholt. Selbst progressive Kreise,
alternative Bewegungen, Frauenzirkel sind geistig noch im Patriarchat
verhakt. Matriarchate sind keine einfache Umkehrung patriarchaler
Lebensformen und Denkmuster, sondern ihre Ordnung ist so anders-
artig, dass uns bei einer Beschäftigung damit ein Fremdheitsgefühl be-
schleicht; weil es eines radikalen Paradigmenwechsels bedarf, der noch
auf sich warten lässt. Dazu muss die patriarchale Ideologie erst bis auf
die Wurzeln durchschaut werden. Wir leiden unter der Unfähigkeit, das
Mann-Frau-Machtgefälle wirklich zu thematisieren. Wahre Emanzipa-
tion ist nicht allein durch Patriarchatskritik möglich. Die Begriffe
Patriarchat und Herrschaft sind synonym zu verwenden; schon ein
bisschen Herrschaft ist eben Patriarchat. Die drei Säulen des Patriarchats
sind:
Androzentrismus (griech. andros = Mann)
Anthropozentrismus und
geistiger und politischer Imperialismus

6
1. Der Androzentrismus ist die Fiktion universeller männlicher Domi-
nanz. Herrschaft ist alles andere als natürlich, sondern eine künstliche,
menschenfeindliche Konstruktion. In einer Herrschaftsgesellschaft kann
eine Minderheit einer Mehrheit befehlen, weil diese über einen „Erzwin-
gungsstab“ - Militär, Polizei, Justiz, Gefängnisse usw. - zur Durchsetzung
ihrer Bedürfnisse besitzt7. In matriarchalen Gesellschaften gibt es solche
Machgefälle nicht.
2. Anthropozentrismus (griech. anthropos = Mensch) ist die Herr-
schaft des Mannes über die Natur. Darin sieht sich der Mensch = Mann
als Maß und Mittelpunkt aller Dinge. Die Spaltung von Geist und Natur
wird eingeführt, wobei sich der Geist mit „Mann“, „Zivilisation“ und
„Gott“ gleichsetzt und die Natur zur bloßen Materie herabwürdigt.
3. Imperialismus. Durch das „Recht des Stärkeren“ werden nicht-
patriarchale Gesellschaften eliminiert, ausgerottet. Zwei klassisch-patri-
archale Thesen besagen „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ (Heraklit,
griech. Philosoph) sowie „Die politische Macht kommt aus den Gewehr-
läufen“ (Mao Zedong). Aus Herrschaft und ihren ausbeuterischen
Methoden folgen immer wieder soziales Chaos und Leid, weil die
Unterdrückten zu Barbaren oder Untermenschen deklariert werden.
Innerstaatliche Probleme werden nach außen projiziert und erzeugen
künstlich Feindbilder und überflüssige Kriege, sorgen für Kulturzerstö-
rung, Kolonialisierung und Völkermord. Zum geistigen Imperialismus
gehören sämtliche patriarchalen Religionen wie Christentum, Bahai,
Buddhismus, Hinduismus, Konfuzianismus, Islam, Zionismus, Zoroas-
trismus mit ihren jeweiligen Spaltungen in Gläubig und Ungläubige.

Androzentrismus, Anthropozentrismus sowie geistiger und politischer


Imperialismus bilden zusammen das patriarchale Syndrom, das einer
freien Erkenntnis enge Grenzen aufzwingt, es verhindert eine wirklich
humane Gesellschaft. Es erzeugt stattdessen das Krebsgeschwür der
zunehmenden patriarchalen Kulturneurosen und destruktiven Verhal-
tensformen.

7
Vorbemerkung
Stellen sie sich im Folgenden vor, ich hätte gelegentlich eingeflochten:
vielleicht, vermutlich, möglicher Weise, es wird angenommen, dass - o. ä.

4. Matriarchat
Als in grauer Vorzeit - vor 500.000 Jahren1 - unsere Welt noch in Ordnung
war, die Frauen das Sagen hatten - ohne die Männer zu dominieren -,
weil diese noch nicht wussten, das sie zur Zeugung notwendig sind,
lebten die Geschlechter in großer Eintracht miteinander.

Einschub: Diesen Gedanken habe ich zum ersten Mal bei Elisabeth Badinter in ihren
Werk Ich bin Du gelesen2. Dass Vaterschaft unbekannt gewesen ist, lernen wir
bereits in Wikipedia unter Geschichte der Matriarchatstheorien3.

Spiritualität prägte den Alltag. Die Frauen spendeten das Leben, waren
Inbegriff der Fruchtbarkeit. Frauen waren aufgrund ihrer körperlichen
Rhythmen eng mit den Rhythmen der Natur verbunden. Der Zyklus der
Frau korrelierte mit dem des Mondes, somit wurde alles in Zyklen ge-
dacht, das Jahr mit seinen verschiedenen Phasen, alles Werden und Ver-
gehen, Geburt und Tod, Sterben und wieder Auferstehen. Das Denken
war eine ewig kreisförmige Bewegung. Die Natur war allgegenwärtig und
wurde entsprechend verehrt. Muttererde und die Frau gehörten zusam-
men in ein Gedankengebäude, welches das Leben hervorbrachte und
verehrungswürdig erschien. Die Frau war die Hohe Priesterin, die im
Zentrum stand, alles in großer Harmonie leitend. Krieg war für viele
Hunderttausend Jahre noch nicht erfunden, kein Geschlecht dominierte
das andere, es herrschte Eintracht und Harmonie. Die Frauen kümmer-
ten sich um die Kinder, die bei ihnen lebten, bestellten die Gärten und
den Acker, während die Männer auf der Jagd waren und zu den Frauen
nur zu Besuch kamen, weil die Institution Ehe noch lange nicht erfunden
war. Den Kern solcher Gesellschaften bilden generationsübergreifende
Frauengemeinschaften und ihre Kinder - Sippen -; dabei haben die Kin-
8
der stets mehrere Erziehungs- und Bezugspersonen. Vaterschaft ist unter
diesen Voraussetzungen gesellschaftlich von keiner Relevanz. Über den
Beitrag der Männer an der Fortpflanzung herrschte ursprünglich Unwis-
sen3.
Kultbedeutung und Herrschaft des Matriarchalen sind für Neumann un-
bestritten. Die künstlerischen Darstellungen der Großen Mutter rei-
chen in überwältigender Fülle von Sibirien bis zu den Pyrenäen. In der
Steinzeit kommen auf fünfundfünfzig weibliche nur fünf männliche Figu-
ren, meist Jünglinge, denen wegen ihrer schlechten Bearbeitung zweifel-
los keine kultische Bedeutung zukommt.
http://schlüsseltexte-geist-und-gehirn.de/downloads/Mythos.pdf

zitiert aus Der Mythos von Birgit Sonnek

4.1. Symbole & Zyklen

Ständig wiederkehrende Symbole sind hier unter anderem die Mond-


sichel oder die Zahl 3. Die Zahl 3 ist dargestellt in Form von drei paral-
lelen Linien oder drei Punkten oder als Dreieck. Beide Symbole - die
Mondsichel und die Zahl 3 - bedeuteten die 3 Mondphasen. Die aufge-
hende Mondsichel war ein Symbol für Neugeburt, der Vollmond das
Zeichen für die Fülle des Lebens, der Neumond für die dunkle Phase des
Mondes, ein Zeichen für Tod. Die Verknüpfung dieser Symbolik bedeutet
die Idee „Leben - Tod - Wiedergeburt", und zwar Wiedergeburt durch
den Schoß einer Frau. Da die Menschen auf eine Wiedergeburt in der
eigenen Sippe hofften, wurden die Ahnen hoch in Ehren gehalten. Die
Frau war das Zentrum und die Trägerin des Ahnenkultes. Sie war auch
Priesterin. Sie war Mittelpunkt und Oberhaupt der Familie oder der
Sippe. Sie war die, die den Tod wieder ins Leben verwandeln konnte.
Die Frau wurde als alleinige Schöpferin und Erzeugerin des Lebens
betrachtet.

Das damalige Weltbild entstand aus den vielen ineinander greifenden


Zyklen. Der Kosmos mit seinen zyklischen Bahnen und Ordnungen, der
Mond, der Wasserkreislauf, die Jahreszeiten und schließlich der Mens-

9
truationszyklus der Frau waren eng miteinander verwoben. Ein beweg-
tes Weltbild, in dem alles im Fluss ist und in verschiedenen Phasen im-
mer wiederkehrt. Matriarchatsforscherinnen gehen davon aus, dass die
damalige Weltauffassung am Prinzip der Zyklizität orientiert war. Im
Gegensatz zur patriarchalen Anschauung, die das Leben als lineare
Entwicklung begreift***.

4.2. Marija Gimbutas

Die litauisch-amerikanische Wissenschaftlerin Marija Gimbutas ent-


deckte die matriarchale, egalitäre, friedliche Kultur des "Alten Europa"
vor 6.000-8.000 Jahren durch ihre um fassenden Kenntnisse in Archäo-
logie, Linguistik, Mythologie und Volkskunde. Bei altsteinzeitlichen
Höhlenmalereien gibt es keinerlei Darstellungen von Waffen, jedenfalls
keiner Waffen, die gegen andere Menschen verwendet wurden.

Gimbutas betrieb eine Überschau und sah


"etwas Einheitliches, eine hochzivilisierte
Gemeinschaft mit einem feinen Gespür für
Ästhetik und Harmonie, einem Sinn für
Musik und Tanz, kunstvoller Metallbearbei-
tung lange vor den Metallzeiten, der Präzi-
sionsarbeit an Nadeln und Knöpfen ebenso
wie feiner Web- und Flechttextilien, einer
hohen Wertschätzung der Natur und hoch
differenzierter religiöser Vorstellungen."
Marija Gimbutas hat in ihrem umfassenden
Buch Die Sprache der Göttin die vielen,
verschiedenen Variationen von Gefäßen,
vulvischen Schalen und Kesseln, weiblichen
Idol- und Göttinnenfiguren, von Frucht-
barkeit und Menstrualblut beschrieben und
stellt zahlreiche Bilder dazu vor*****.
Venus von Willendorf, 25.000 v. Chr.

10
97% der Funde waren weiblich, darunter auch Vasen und Tassen.
Etliche Tongefäße hatten Brüste und ein Gesicht. Ein Altar hatte die
Form eines Schoßdreiecks. Manche Skulpturen zeigen nur die Vulva
oder ein Paar Brüste. "Das, was Frauen gegenüber Männern aus-
zeichnet, ist ihre Fähigkeit, neues Leben zu schaffen und mit dem
eigenen Körper zu nähren, es also zu erhalten."

"Die Göttin vereint alle Momente des Zyklus in sich. Sie, die Gebärerin,
schenkt Leben. Sie, deren Brüste Milch und Wasser spenden, erhält das
Leben. Als Furcht einflößende Macht bringt sie den Tod. Doch der Tod
ist nie das Ende, er enthält zugleich den Keim des neuen Lebens. Marija
Gimbutas nennt die Göttin ´Regeneratrix´, die Erneuerin."

Marija Gimbutas schloss aus den Darstellungen der Göttin auf die
Sozialstruktur Alt-Europas. Mit vielen Beispielen malte sie "ein soziales
Miteinander, in dem das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern
ausbalanciert ist, eine Lebensführung, in der religiöses und Alltags-
handeln nicht voneinander geschieden sind."

Marija Gimbutas fand bei ihren Ausgrabungen im Raum Süd-, Mittel-


und Osteuropa 30.000 Miniaturskulpturen der Göttin. Sie wies … nach,
dass der hohe soziale Rang der Frau als Sinnbild der Göttin und als
Priesterin von der Altsteinzeit bis in die Jungsteinzeit - Zeitraum von
600.000 Jahren - hinein (um etwa 7000 v.Chr.) ungeschmälert erhalten
geblieben ist.

4.3. Matriarchatskulturen

Das Wesen des Matriarchats besteht darin, dass das männliche und das
weibliche Prinzip gleichermaßen anerkannt sind. Es war eine Herr-
schaft ohne Gewalt und Unterdrückung auf Kosten des anderen Ge-
schlechts. Marija Gimbutas drückt das sehr treffend aus mit dem Satz:
„Keine Kraft ist der anderen unterworfen, sondern indem sie
einander ergänzen, wird ihre Kraft verdoppelt."

11
Die Matriarchatsforscherin Heide Göttner-Abendroth hat zahlreiche
Mythen und Märchen untersucht, die Hinweise dafür liefern, dass ein-
mal eine von Frauen geprägte und geschaffene Form der Gesellschaft
existierte, in der diese dominierten, aber nicht herrschten. Sie spricht
von einer weiblichen Form der Macht, wo Frauen Autorität besitzen,
aber andere nicht unterdrücken** . Interessanterweise finden sich
keinerlei Zeichnungen oder Gegenstände, die mit Gewalt in Zusam-
menhang gebracht werden könnten****.

In der Regel waren die Matriarchate Ackerbaukulturen, und das trifft


auch für die heute noch bestehenden Matriarchatsgesellschaften in
Asien, Afrika und Ozeanien zu. Felder, Häuser und Herden waren größ-
tenteils Sippeneigentum und wurden von der Sippenmutter verwaltet.
Name und Besitz gingen von der Mutter auf die Kinder über (d.h. matri-
lineares System). Die jüngste Tochter erbte die Rechte und Pflichten der
Mutter, und der älteste Sohn war der Helfer und Schützer seiner jüngs-
ten Schwester und deren Delegierter nach außen.

Die höchste Würdenträgerin der Gemeinschaft im Matriarchat war die


Hohepriesterin, in einer Stadtkultur meist identisch mit der Königin. Sie
war die Vertreterin, ja die Personifikation der Göttin auf Erden. Sie
wählte sich einen Gefährten. Das konnte ihr eigener Bruder sein oder
ein Mann aus dem Volk. Der war dann ihr Geliebter oder auch ihr
Gemahl. Wenn es einen König gab, dann war er der Hohepriesterin
oder der Königin zur Seite gestellt, und zwar administrativ, und nicht
allein entscheidungsfähig. In der Regel war er König nur für ein Jahr.

4.4. Feste und Mysterienspiele


Die Menschen feierten alljährlich im Frühjahr zur Wiederauferstehung
der Natur ein großes heiliges Tempelfest. Das war ein Fest über-
schwänglicher Freude mit Musik, rituellen Gesängen, ekstatischen
Tänzen und üppigen Gelagen. Der Höhepunkt war die Vereinigung der
Göttin mit ihrem göttlichen Gefährten, symbolisch vollzogen durch die
Hohepriesterin oder Königin mit dem König. Bei dieser „heiligen Hoch-
12
zeit" verband sich die Göttin symbolisch mit dem Menschen, der da-
durch zum Heros wurde. Himmel und Erde, Mond und Sonne, gingen
eine mystische Verschmelzung ein, die Mensch und Tier, Land und
Meer, den ganzen Kosmos fruchtbar machen sollte. Durch diese
Verschmelzung heiligte die Göttin die Natur, die ihr in der Gestalt ihres
Geliebten entgegentrat.
Aber die Zeit des Königs war begrenzt. Nach Ablauf eines Jahres wurde
er rituell geopfert, und zwar durch die Königin selbst - das heißt also
durch die Göttin. Die Göttin schenkte das Leben, aber sie brachte auch
den Tod. Der König, oft als „Sakralkönig" bezeichnet (last. sacrificium =
das Opfer), starb in dem sicheren Wissen, dass seinem Tod, seinem
Abstieg in die Unterwelt der Aufstieg und die Wiedergeburt notwen-
digerweise folgen mussten. Dieser Opfertod bedeutete für ihn Unsterb-
lichkeit und Vergöttlichung, denn es wurde ja alljährlich auch die
mystische Wiederkehr des Heros (meist als göttliches Kind) gefeiert.

Der Kult der Heiligen Hochzeit war ein fester Bestandteil der spät-
matriarchalen Epoche. In ihm wurde nicht nur die erotische Liebe
zwischen Frau und Mann gefeiert. Nein, hier ging es um das Drama der
gesamten Natur, die in rhythmischen Abständen stirbt und als Folge
vereinigender Liebe von der Göttin zu neuem Leben erweckt wird.

4.5. Sohngeliebter
http://schlüsseltexte-geist-und-gehirn.de/downloads/Mythos.pdf
zitiert aus Der Mythos von Birgit Sonnek.

Wie kam es zu diesem Mythos des Sohngeliebten? In den Mythen und


Religionen fast aller Kontinente taucht die Gestalt des „Sohngeliebten“
auf. In der nordischen Mythologie ist der Sohngeliebte der Frühlingsgöttin Ostara
gleichzeitig ein Hase, ein starkes männliches Fruchtbarkeitssymbol. Die ägyptische
Göttin Isis diente mit ihrem Sohn, dem Horus, als Vorbild für die
christliche Maria mit dem Jesuskind. Der griechische Liebesgott Eros wird meist
als Knabe dargestellt und gilt als Sohn der Liebesgöttin Aphrodite, die bezeichnenderweise
den Kriegsgott Ares liebte.

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Die Mutter spielte mit dem Sohn, war er doch etwas Männliches, das ver-
fügbar war und von ihr abhing. Er war er ihr auf Gedeih und Verderb
ausgeliefert. Sie infiltrierte ihn mit dem Glauben an ihre Göttlichkeit und
ließ sich von ihm verehren.

Die mütterliche Weltordnung bestimmt die Gemeinsamkeit, analog dazu


ist der mythische Sohngeliebte das ohnmächtige Spielzeug der Großen
Göttin.

Die Zeit des Matriarchats war eine Zeit der Ganzheitlichkeit. Der
Mensch und seine Tätigkeiten waren eingebunden in die Prozesse der
Natur, in Leben, Tod und Wiedergeburt. Diese große Weisheit hinter
allen Dingen drückte sich in allem aus: in den Symbolen, Mythen, Zere-
monien, Ritualen und Mysterienkulten, im Umgang miteinander und im
Umgang mit der Natur, in der Achtung vor dem Leben.

4.6. Die Große Göttin


Die große Göttin wurde in der Natur, in der Fruchtbarkeit der Erde
sowie in der Fruchtbarkeit der Frau und in allem Lebendigen verehrt. Als
Mythologie und Spiritualität noch Allgemeingut waren, man den Krieg
noch nicht kannte und Tanz einen ganz breiten Raum einnahm, wurde
bei Kulthandlungen in Tempeln oder Höhlen die Menstruation gefeiert,
dabei spielte die Farbe Rot eine große Rolle, an das Menstruationsblut
erinnernd.

Die zentrale Frage lautet: WER WAR SIE? Sie war alles in einem. Sie
war einfach DIE GÖTTIN, die GROSSE MUTTER, die Erfüllerin aller
Bedürfnisse und die Macht des Todes. Im Laufe der Zeiten bekam sie
Namen und Titel. Man nannte sie die Herrin des Universums, die
Schöpferin und Zerstörerin, die Gesetzgeberin, die Heilerin, die Pro-
phetin, die Erfinderin, die Jägerin, die Führerin im Kampf.

14
Helena P. Plavatzky meint, sie war die „höchste Göttin und die Herrin
des niederen Abgrundes, die Mutter der Götter und die Mutter aller
Existenzen" ******.

Ihr wichtigster Titel aber war „Himmelskönigin". In diesem Zusam-


menhang gibt es eine interessante Tatsache: Im Jahre 1950 verlieh
Papst Pius XII in einem päpstlichen Dekret der christlichen Mutter
Maria den Titel „Königin des Himmels und der Erde".

4.7. Die Göttin als Dreiheit


Seit den Zeiten der ersten Hochkulturen kennen wir die eine Göttin in
einer dreifachen Gestalt, d.h. in drei verschiedenen Erscheinungsformen
gemäß den drei Mondphasen:
• Mondsichel: Geburt und Wachstum

• Vollmond: Reife

• Neumond: Tod

In archaischen Mythen repräsentieren drei Aspekte der großen Göttin die


drei Phasen des weiblichen Lebens. Hier besteht ein Zusammenhang
zwischen dem weiblichen Zyklus und der Natur, verkörpert durch die
„dreifältige Göttin“.
1. Dabei ist die erste Phase die der Jungfrau, die bis zur ersten
Menstruation dauert. Im Frühling erscheint sie als junges Mäd-
chen, als Göttin für Geburt und Wachstum, als Göttin der Jugend,
als Jägerin und Schützerin des Waldes, als die weiße Göttin.
2. Die zweite Phase bezeichnet die der fruchtbaren Frau und be-
steht bis zu den Wechseljahren. Im Sommer erscheint sie als reife
Frauengöttin, die Gebärerin und Lebenserhalterin, die rote Göt-
tin als Symbol für Liebe und Kampf.
3. Die dritte Phase schließlich charakterisiert die der alten Frau, die
von den Wechseljahren bis zum Tod währt4. Im Herbst wird sie zur
schwarzen Göttin, zur Greisin, zur Göttin für Tod und Unter-
15
welt, die dunkle Phase des Mondes, die aber den Neuanfang schon
in sich trägt. Sie ist die mystische Gottheit ewigen Untergangs und
ewiger Wiederkehr, die Wandlungsgöttin, die weise Alte.
In Nepal tragen die Frauen noch heute zu den Jahreszyklusfesten zu
Ehren der Göttin ihre Saris in den Farben Weiß, Rot und Schwarz.

[1907 entdeckte der Sandgrubenarbeiter Daniel Hartmann bei Mauer


südlich von Heidelberg den berühmten Unterkiefer des „Heidelberg-
menschen“, der mit einem Alter von 550.000 bis 630.000 Jahren der
älteste Europäer wurde.]

[Während der gesamten Altsteinzeit von den Anfängen der Menschheit


bis zu etwa 10.000 Jahren, d.h. mehr als 99% ihres Daseins waren un-
sere Vorfahren Jäger und Sammler, sie lebten in kleinen Gruppen. Da
die Bevölkerung sich nicht wesentlich vermehrte, bewahrte sie das
Gleichgewicht der natürlichen Umwelt und war selbst Teil der Natur.
Mit dem Beginn der Jungsteinzeit – um 10.000 Jahre mit dem Wech-
sel von der aneignenden zur produzierenden Wirtschaftsweise – kommt
die entscheidende Veränderung in der Geschichte des Menschen und
zwar „die neolithische Revolution“. Sie bringt Sesshaftigkeit,
Ackerbau und Viehzucht; demgegenüber treten Jagen und Sammeln …
in den Hintergrund, damit auch die wechselnden Reviere der
Gruppen...]

4.8. Definition Matriarchat

Übersetzten wir die Begriffe Patriarchat und Matriarchat – entgegen dem


Anschein gibt es hier keine Parallele – differenzierter, so bedeutet „Patri-
archat“ (arché = Herrschaft) klarerweise „Herrschaft der Väter“, aber
„Matri-archat“ (arché = Beginn) heißt „am Anfang die Mütter“. Und das
trifft die Sachelage.
1. Auf der ökonomischen Ebenen sind matriarchale Gesellschaften
meistens Ackerbaugesellschaften. Einfacher Gartenbau in frühes-
ten Anfängen der mittleren Steinzeit über den entwickelten

16
Ackerbau zu Beginn der Jungsteinzeit (10.000 v.u.Z.) bis zu den
großen Bewässerungssystemen der ersten Stadtkulturen. Matriar-
chate sind Gesellschaften mit perfekter ökonomischer Wechsel-
seitigkeit: Ausgleichsgesellschaften, dies verhindert, dass die
Güter bei einer Gruppe oder gar einem Individuum gehortet
werden.
2. Auf der sozialen Ebene sind Matriarchate Gesellschaften, die auf
großen Sippenverbänden beruhen (Gentilgesellschaften*). Die
Menschen wohnen in großen Clans zusammen, die ausschließlich
nach der mütterlichen Verwandtschaft gerechnet werden: Matri-
linearität. Eine solche matriarchale Sippe – kurz Matri-Clan –
besteht aus mindesten drei Generationen von Frauen: der Sippen-
mutter, ihren Töchtern und Enkelinnen, sowie den in direkter Linie
verwandten Männern: den Brüdern der Mutter, den Söhnen und
Enkeln. Spezielle Heiratsregeln, Wechselheirat, Gemeinschafts-
heirat ergeben Verwandtschaftsgesellschaften. Die Besuchs-
ehe schränkt sich auf die Nacht. Im Sippenhaus der Gattinnen
gelten die Gatten als Gäste, sie haben kein Wohnrecht. Werden
unter matriarchalen Männern Würden vererbt, dann immer vom
Mutterbruder (Onkel mütterlicherseits) auf den Schwestersohn
(Neffe mütterlicherseits), eine Art „sozialer Vaterschaft“. Biologi-
sche Vaterschaft war nicht bekannt, sie war kein gesellschaftlicher
Faktor.
3. Im Sippenhaus bilden Frauen und Männer einen Rat, von dem kein
Mitglied ausgeschlossen ist. Jede Entscheidung wird per Konsens
getroffen. In Konsensgesellschaften ist eine Machtanhäufung
unmöglich; denn es gibt keine Klassen von Herrschenden und Be-
herrschten. Mutterbrüder sind oft Delegierte, jedoch ohne Ent-
scheidungsbefugnis. Die eigentlichen Entscheidungen finden nicht
im Dorfrat sondern in den Sippenhäusern statt.
4. Die Frauen werden in matriarchalen Gesellschaften deshalb so
hoch geehrt, weil sie die Wiedergebärerinnen der Sippe sind und
somit die ständige Erneuerung und das Fortleben des Clans
sichern.

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Die Erde ist die große Ernährerin und gleichzeitig die wiederge-
bärende Große Mutter. Aufgang, Untergang und Wiederkehr
spiegeln sich täglich und nächtlich am Himmel. Einständiger
Wechsel bei dem sich die dunklen und hellen Seiten ständig ab-
lösen. Im Weiblichen und Männliche sehe sie die grundlegende
kosmische Polarität. Es wird nicht zwischen Profanem und Sakra-
lem unterschieden, weil alles heilig ist; jedes Haus und jeder Herd
sind heilig; denn dort wohnen nicht nur die Sippenmutter sondern
auch die Ahnen. Jede alltägliche Geste ist symbolisch gemeint,
jedes Ereignis und jede Handlung sind ritualisiert. Somit sind
Matriarchate auf der weltanschauliche ebene Sakrale Gesell-
schaften.

* Der Begriff „Gentilgesellschaft“ stammt von Henry Lewis Morgan, Die Urgesellschaft, 1891

4.9. Epochen der Steinzeit


http://www2.klett.de/sixcms/list.php?page=miniinfothek&miniinfothek=Geschichte%20Infothek&article=
Infoblatt+Epochen+und+Kulturen+der+Steinzeit

Die Steinzeit wird in drei große Abschnitte unterteilt: die Altsteinzeit


(Paläolithikum, griech. "paläo" = alt und "lithos" = Stein), die Mittel-
steinzeit (Mesolithikum, griech. "meso" = mittig) und die Jungsteinzeit
(Neolithikum, griech. "neo" = neu). Da die Altsteinzeit einen sehr langen
Zeitraum von über 600.000 Jahren umfasst, wird nochmals die frühe,
mittlere und jüngere Altsteinzeit unterschieden.

18
4.10. Zusammenfassung

Die Natur selbst galt als weiblich. Die Erde mit ihren Höhlen und
Spalten, mit ihren Quellen, Teichen und Flüssen, sie war ein geheiligtes
Wesen, der Schoß, aus dem alles Leben kam und in den auch alles Leben
zurückkehren musste. Die Natur war die Mutter, das mächtigste
Grundelement des Lebens, dem man zu gehorchen hatte, mit dem sich
aber auch das sichere Gefühl von Trost, Schutz und Fürsorge verband.
Die Menschen verehrten das Unfassbare, den Ursprung aller Dinge, das
schöpfende Prinzip in Form einer Muttergöttin.

Im Matriarchat gab es keine Armen oder Reichen, weil es nur gemein-


samen Besitz gab, den die Sippenmutter verwaltete. Es gab noch keine
Spaltung oder Teilung in Bewusstsein und Unbewusstes, Natur und
Geist, Gut und Böse, Profanes und Sakrales; denn alles war heilig und
wurde verehrt, mit Ehrfurcht bedacht. Es gab keine Herrschaft5, alles
wurde dialogisch besprochen und gemeinsam entschieden.

Leider ist das Wissen um die Zyklen im Leben der Frau heute nicht mehr
so präsent wie früher, da das Patriarchat die Frau aus ihrer wichtigen
Rolle verdrängt und der Materialismus die Jahreszyklusfeste aus unse-
rem Alltag entfernt hat. Versuchen wir, uns dieser Zyklen und ihrer
Bedeutung mehr bewusst zu werden!

Schauen wir nach innen, graben wir an unseren Wurzeln, hören wir den
Klang des Kosmos, stellen wir die Welt wieder vom Kopf auf die Füße,
meditieren wir regelmäßig und tanzen wir Mutter Erde.

19
5. Weiblicher Aspekt Gottes

5.1. Einstimmung

5.1.1. Bibelzitate

Deuteronomium/5 Mose 32,18


Den Felsen, der dich gezeugt, vernachlässigtest du, und vergaßest den Gott,
der dich geboren.
Psalm 27,10
Denn hätten mein Vater und meine Mutter mich verlassen, so nähme doch
Jehova mich auf. (Jesaja 49.15)
Jesaja 49,15
Könnte auch ein Weib ihres Säuglings vergessen, dass sie sich nicht erbarmte
über den Sohn ihres Leibes? Sollten selbst diese vergessen, ich werde deiner
nicht vergessen.
Jesaja 66,13f
Wie einen, den seine Mutter tröstet, also werde ich euch trösten; und in
Jerusalem sollt ihr getröstet werden.
Hosea 11,3
Und ich, ich gängelte Ephraim, - er nahm sie auf seine Arme - aber sie
erkannten nicht, dass ich sie heilte.
Hosea 11,9
Nicht will ich ausführen die Glut meines Zornes, nicht wiederum
Ephraim verderben; denn ich bin Gott und nicht ein Mensch, der
Heilige in deiner Mitte, und ich will nicht in Zornesglut kommen.
Sprüche Salomos 8,22
Jehova besaß mich im Anfang seines Weges, vor seinen Werken
von jeher. (Hiob 28.27)

5.1.2. Weibliche Gottesbilder

Gebärende, Psalm 48,7:


20
...Zittern ergriff sie dort, Wehen wie eine Gebärende.
Hebamme: 1Mose 38,17:
Als ihr aber die Geburt so schwer wurde, sprach die Hebamme zu
ihr: Fürchte dich nicht; du hast auch diesmal einen Sohn!
Hausfrau, Psalm 69,13
Die Könige der Heere fliehen, sie fliehen, und die Hausfrau teilt die
Beute aus.
Sprüche 31,10
Lob der tüchtigen Hausfrau Eine tüchtige Frau – wer mag sie
finden? Weit über Korallen (oder: Perlen) geht ihr Wert.
Mutter, Psalm 22,10
...Du bist es, der mich aus dem Schoß meiner Mutter zog, / mich
barg an der Brust der Mutter.
Jesaja 66,13
Wie nur eine Mutter trösten kann, so will ich euch trösten; ja, ihr
sollt in Jerusalem getröstet werden!
Richter 9,1
... der Sohn Jerubbaals, ging nach Sichem zu den Brüdern seiner
Mutter und sagte zu ihnen und zur ganzen Sippe der Familie
seiner Mutter:
Galater 4,26
...Das Jerusalem im Himmel dagegen ist frei, und dieses Jerusalem
ist unsere Mutter. Das obere Jerusalem. AL(2) ist die Mutter von
uns allen. Vergleiche Psalm 87
Jesus Sirach 40,1
... schweres Joch ihnen auferlegt von dem Tag, an dem sie aus dem
Schoß ihrer Mutter hervorgehen, / bis zum Tag ihrer Rückkehr zur
Mutter aller Lebenden:
Johannes 19,27
...Dann wandte er sich zu dem Jünger und sagte: »Sieh, das ist jetzt
deine Mutter! « Da nahm der Jünger die Mutter Jesu zu sich und
sorgte von da an für sie. Von jener...
Psalm 27,10

21
...Wenn auch mein Vater und meine Mutter mich verlassen, so
nimmt doch der HERR mich auf. Andere Übersetzung: Denn mein
Vater und meine Mutter verlassen mich, / aber der...
Psalm 87,5
... der Höchste, verleiht ihr sicheren Bestand. Aü Doch Zion nenne
ich Mutter, Mensch um Mensch ist dort geboren. Die Septuaginta
übersetzt: Mutter Zion,...

5.2. Hinführung - Einleitung

Ist Gott weiblich? fragt Klara Steiner.

http://www.muetterblitz.de/Ausgabe0409/SP/gottweiblich.masp

Eigentlich sollen wir uns ja gar kein Bild


machen von Gott. So steht es zumindest in den
zehn Geboten der Bibel. Trotzdem gibt es
unzählige Gemälde und künstlerische Darstel-
lungen von Gott. Die meisten von uns haben
irgendeine Vorstellung davon, wie Gott wohl
aussieht. Warum? Weil Menschen in Bildern
denken. Wir können gar nicht anders.
Spätestens wenn wir „Herr“ oder „Vater“ hören,
dann sehen wir ihn vor uns, den weisen alten
Mann mit Bart. Das Bild Aber wird Gott dies
gerecht? Könnte „er“ nicht auch eine Frau sein?
In der Bibel ist Gott kein Mann
Auf der Suche nach dem „wahren“ Bild Gottes liegt es nahe, zuerst
einmal in der Bibel nachzuschlagen. Interessant ist auch, dass die
Verfasser des Urtextes für Gott das hebräische Wort „elohim“ benutzten.
Das ist ein Plural. Offenbar stellten sich die Verfasser Gott nicht als einen
vor, sondern als Viele. Als etwas Umfassendes.

22
Was also sagt die Bibel darüber, wer Gott ist und wie wir uns Gott
vorstellen können? Gott selbst stellt sich in der Offenbarung so vor: „Ich
bin, der ich bin“ (Exodus3, 14). Das ist völlig geschlechtslos, es beinhaltet
alles, kann alles sein!

Gott nennt uns auch seinen Namen:


JHWH - meist gesprochen als
„Jahwe“, aber auch Jehowa oder
Juhewa, halt alle möglichen Vokale
einsetzbar. Das bedeutet in
etwa: er/sie ist da oder er/sie weht.
Der Name Gottes ist also ebenfalls sehr
weit gefasst. Er deutet jedenfalls nicht
darauf hin, dass Gott zwangsläufig ein
Mann sein muss.

Konkreter wird es im ersten Kapitel


der Bibel. In Genesis 1, 27 heißt es:
„Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde. Nach dem Bilde Gottes
schuf er ihn. Männlich und weiblich schuf er sie.“ Gott wird also als
Vorbild für Mann und Frau beschrieben, was bedeutet, dass Gott beides
beinhaltet, Männliches und Weibliches.

Das weiblich Göttliche


Der „alte Mann mit Bart“ trifft also eigentlich gar nicht das, was ur-
sprünglich mit „Gott“ gemeint war. Mit „Gott“ ist im Grunde etwas viel
Umfassenderes gemeint. Auf jeden Fall aber beinhaltet es Männliches
und Weibliches. Die Vorstellung von Gott als Mann ist nur eine Seite
Gottes! Eigentlich müssten wir uns Gott genauso auch als Frau
vorstellen.

Gott als Frau? Im Bild einer Frau Gott sehen? Diese Gedanken haben für
uns etwas sehr Ungewohntes. Wir haben keine Vorbilder dafür, wie Gott
als Frau aussehen könnte. In vorchristlicher Zeit und auch noch zur Ent-

23
stehungszeit der Bibel war das ganz anders. Damals war es selbstver-
ständlich, dass das Göttliche auch in weiblicher Form verehrt wurde.
Deshalb wird auch in der Bibel an mehreren Stellen vom weiblich Gött-
lichen erzählt. Das Wissen darum ist sehr in Vergessenheit geraten, aber
es lohnt sich, einmal nachzuschauen.

Die Weisheit
Im Buch der Sprüche zum Beispiel wird von der Weisheit berichtet.
Ursprünglich war damit eine Göttin gemeint, die alte Göttin der
Weisheit. Noch bei der Übersetzung ins Griechische war dies den
Menschen bekannt, denn sie übersetzten das Wort „Weisheit“ mit dem
Namen der griechischen Göttin der Weisheit: „Sophia“. Die biblische
Weisheit hat auch tatsächlich Züge einer Göttin. So heißt es über sie, dass
durch sie Könige regieren. Und das Einsetzen der Könige war eine
göttliche Aufgabe. Weiter heißt es, dass sie „schon immer da war“ und
dass sie bei der Erschaffung der Welt dabei war, als Partnerin und
„Liebling“ Gottes (Sprüche 8,22ff).

Der Baum der Aschera


Ein anderes Beispiel ist die Geschichte von Abraham, der einen Baum
pflanzt als göttliches Symbol um dort Jahwe zu rufen (Gen 21,33). Der
Baum war das Symbol einer weiblichen Göttin, der Aschera
oder Astarte. Sie war die wichtigste Göttin im gesamten babylonischen
Raum und das gebräuchlichste Sinnbild für das Göttliche. Bei
Ausgrabungen wurden in sehr vielen Häusern Statuetten der Aschera
gefunden, auch in Häusern von Christen. Und im Jahwe-Tempel in
Jerusalem stand neben der Statue Jahwes auch der Baum der Aschera.
Ca. 700 Jahre lang dauerte im Christentum diese Anbetung des Weib-
lichen neben dem Männlichen. Erst mit der Reform des Königs
Joschija um 622 v. Chr. wurden die Aschera-Bilder aus den Tempeln
verbannt (2 Kön 23, 4 und 6f).

24
Die Schöpfung
Auch in der Schöpfungsgeschichte gibt
es weibliche Spuren: Gott erschafft
nämlich bei genauerem Hinsehen
nicht alles selbst. Einen Teil der
Schöpfung überlässt er der
„Erde“. Er lässt sie Gras, Kraut,
Bäume und lebendiges Getier hervor-
bringen. Hier lebt die Vorstellung
einer alten Schöpfergöttin weiter,
der „Mutter Erde“, die das Leben
hervorbringt. Und mit der Gestalt der
Eva wurde das Bild einer alten
Muttergöttin in den christlichen
Glauben mit einbezogen. Der Name „Eva“ heißt auf Hebräisch „chawwa“.
Das kommt von „cheba“, dem Namen einer altorientalischen
Göttin. „Cheba“ bedeutet „Mutter alles Lebendigen“ oder auch
„Ursprung alles Lebendigen“.

Die Taube
Heute kennen wir die Taube als Sinnbild für die geistige Liebe Gottes,
den heiligen Geist. In früherer Zeit aber war die Taube das Symbol
der Liebesgöttinnen. Die Taube verkörperte somit das Weibliche
schlechthin: Mitgefühl, körperliche und geistige Liebe. Für diese
Werte stand sie auch noch zu der Zeit, als sie in die Bibeltexte
aufgenommen wurde. Erst im Mittelalter wurde sie umgedeutet
zum Symbol der geistigen Liebe. Zu einer Zeit, als alles Körperliche für
sündig erklärt wurde, zumal, wenn es den weiblichen Körper betraf.

Vom weiblich Göttlichen zum weiblichen Gott


Es gibt in der Bibel noch einige Beispiele mehr dafür, dass Göttinnen und
ihre Aufgaben in das christliche Gottesbild mit einbezogen wurden.
Zuerst wurden sie noch als eigenständige „Personen“ gedacht, als
Partnerinnen Jahwes. Im Lauf der Zeit übernahm Jahwe selbst ihre

25
Aufgaben und das Bild von Jahwe, das Gottesbild, wurde um diese
weiblichen Aspekte erweitert. Auch das können wir heute noch in der
Bibel nachlesen. Gott wird ja in der Bibel in vielen unterschiedlichen
Rollen geschildert. Aber wir kennen eben meistens nur die Darstellungen
von Gott als Vater, als König und als Herr. Oder kennen Sie auch
Beispiele für weibliche Rollen Gottes?

Es gibt sie! In Psalm 22,10 zum Beispiel wird Gott als Hebamme
beschrieben, wenn es heißt: „Du bist es, der mich aus dem Schoß meiner
Mutter zog, mich barg an der Brust meiner Mutter“. Oder Gott als
Mutter in Jesaja 66,13: „Wie eine Mutter tröstet, tröste ich euch“ und im
Psalm 139: „Du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im
Mutterleibe“.
Überhaupt sind mütterliches Mitfühlen und Erbarmen wichtige Elemen-
te des biblischen Gottes. Seine „weibliche Seite“. Diese Eigenschaften
gehören zwar auch für uns heutige Menschen zum Gottesbild dazu, aber
wir verbinden damit kein weibliches Bild mehr. Wir sehen Gott nicht
mehr als mitfühlende, mütterliche Frau. Oder als Mutter, die uns in
ihrem Bauch heranwachsen ließ.

Am Anfang war der HERR noch kein Herr


Warum also nehmen wir nicht auch das in unser Gottesbild auf, was uns
sogar die Bibel selbst vom weiblich Göttlichen erzählt?

Wohl auch deshalb, weil beim Lesen der Bibel etwas ganz anderes in den
Vordergrund rückt: das Wort „Herr“. Es wird immer dann benutzt, wenn
von Gott die Rede ist, so als sei Gott „der HERR“ und nichts anderes.
Und was stellen wir uns unter einem „Herrn“ vor? Einen Mann. Sich
dabei eine Frau vorzustellen, fällt eher schwer. Aber: In den Urschriften
der Bibel war Gott gar nicht immer der Herr. In den ältesten biblischen
Geschichten wurde Gott stattdessen bei seinem Namen genannt:
„JHWH“. In späteren Texten wurde der Name JHWH dann nach und
nach ersetzt. Aber immer noch nicht durch „Herr“, sondern durch die
Bezeichnung „Gott“. Erst bei der Übersetzung der Texte ins

26
Griechische wurden die Worte JHWH und Gott beide mit
„Herr“ übersetzt.

Übersetzung oder Interpretation?


Genau genommen ist die ausschließliche Verwendung der männlichen
Bezeichnung „Herr“ für Gott keine Übersetzung, sondern eine
Interpretation. Denn weder der Name Jahwe noch die Bezeichnung
„Gott“ ist männlich und hat etwas mit
herrschen zu tun. Beide haben ursprünglich
eine viel weiter gefasste Bedeutung.

Die Bibel selbst macht da durchaus einen


Unterschied: Wenn von „JHWH“ oder „Gott“
die Rede ist, ist Gott als etwas Allumfassendes
gemeint. An anderen Stellen dagegen wird Gott tatsächlich als „Herr“
bezeichnet. Und zwar dann, wenn er auch in der Rolle eines Herrn
dargestellt werden soll. „Herr“ ist also durchaus ein Aspekt Gottes, aber
eben nur eine Rolle unter vielen. Wir haben schon gesehen, dass Gott
auch in anderen Rollen beschrieben wird. Die Übersetzung der
verschiedenen Gottesbezeichnungen mit „Herr“ ist daher eine
Einschränkung dessen, was ursprünglich mit Gott oder JAHWE gemeint
war. Und keinesfalls eine Begründung für ein männliches Gottesbild.

Aus dem Allumfassenden wird der „alte Mann mit Bart“


Wenn der biblische Gott also gar nicht nur männlich ist, warum sehen
wir Gott dann heute nicht mehr als Frau? Die Sache mit der
Übersetzung, die eigentlich eine Interpretation ist, bringt uns einer
Antwort näher! Sie zeigt uns nämlich, dass das Gottesbild immer auch
beeinflusst ist vom jeweiligen Zeitgeist. Von den Vorstellungen der
Menschen, die sich dieses Bild machen. Die griechischen Bibelübersetzer
lebten in einer männlich dominierten, kriegerischen Welt, in der sie Gott
vor allem als Herrscher sahen. Ein Herrscher war für sie
selbstverständlich männlich. Also übersetzten sie „Gott“ mit der

27
männlichen Bezeichnung „Herr“. Und machten damit den Anfang für ein
rein männliches Gottesbild.
Dennoch lebte das weiblich Göttliche noch eine Zeit lang fort in den
weiblichen Gottesbildern der Bibel: durch die Beschreibungen Gottes in
seinen weiblichen Rollen, durch die Taube oder die Weisheit. Das heißt,
Gott wurde zwar hauptsächlich als „Herr“ gedacht, aber selbst für die
Griechen war die Weisheit noch die Göttin „Sophia“, sie kannten also
auch noch das weiblich Göttliche. Die Taube war sogar bis ins Mittelalter
hinein ein Symbol des Weiblichen und der Liebe. Erst dann wurde sie
zum Symbol für den Heiligen Geist.

Dominanz des Männlichen und Abwertung des Weiblichen


Ursache für den Wandel des Gottesbildes waren also gesellschaftliche
Veränderungen. Im Zuge dieser Veränderungen wurden Männer und
ihre Belange immer wichtiger. Daher rückten auch die männlichen
Rollen Gottes immer mehr in den Vordergrund des Gottesbildes, die
weiblichen Rollen verloren an Bedeutung. Mit der Zeit ging das Wissen
um die Weiblichkeit des Göttlichen mehr und mehr verloren. Bis die
alten Bilder schließlich ganz in Vergessenheit gerieten. Gott wurde zum
Mann.

Dass das Weibliche dabei so völlig aus dem Gottesbild verschwand, hat
aber noch einen anderen Grund. Im Laufe der Zeit wurde nämlich das
Weibliche nicht nur unwichtiger, vielmehr wurden die Frau und „das
Weibliche an sich“ immer stärker abgewertet. In alten Zeiten wurden
Frauen verehrt für ihre Schönheit. Ihre Fähigkeit, Kinder zu gebären,
wurde hoch geachtet. Diese Hochachtung verwandelte sich immer mehr
in Verachtung und endete mit den uns allen bekannten Geschichten von
der Erbsünde und der „Verderbtheit“ der Frau.

Dieser Wandel des Frauenbildes lässt sich auch in der Bibel nachvoll-
ziehen: Im Hohelied des Alten Testaments z.B. wird die Weiblichkeit in
den höchsten Tönen besungen. Die Schönheit der Frau, ihr Körper und
vor allem ihre Haare werden vielfach bewundert. Bei Paulus dagegen

28
heißt es dann „wenn eine Frau kein Kopftuch trägt, dann soll sie sich
gleich die Haare abschneiden lassen“. Und während im ersten Kapitel
der Bibel Mann und Frau beide nach dem Bilde Gottes geschaffen
wurden, wird Eva in der zweiten Version der Schöpfung aus der Rippe
des Adam gemacht.

Bei Paulus heißt es dann gar: „Der Mann ist Bild und Abglanz Gottes, die
Frau aber Abglanz des Mannes.“ Schon während der Entstehung der
Bibel hat sich also das Frauenbild erheblich geändert. Das hatte natürlich
auch Einfluss auf das Gottesbild. Das sündhaft gewordene Weibliche
konnte kaum mehr etwas mit Gott zu tun haben. Das Göttliche konnte
nicht mehr weiblich sein.

Zeit für mehr Vielfalt


Unser Gottesbild existierte also nicht von Anfang an so, wie wir es heute
kennen. Es hat sich entwickelt und wurde beeinflusst vom Zeitgeist: Ur-
sprünglich stellten sich die Menschen Gott auch weiblich vor. Aber die
Gesellschaft wandelte sich. Männer wurden immer wichtiger genommen
und Frauen wurden immer negativer gesehen. Dadurch veränderte sich
auch das Gottesbild. Irgendwann war es für die Menschen nicht mehr
vorstellbar, dass Gott auch weiblich sein könnte. Das weiblich Göttliche
geriet in Vergessenheit. Und das männlich Göttliche wurde zum selbst-
verständlichen und ausschließlichen Bild Gottes.
Wäre es nicht an der Zeit, dass sich das wieder ändert?

5.3. Christa Mulack

Maria - Die geheime Göttin im Christentum.


Unter vielen Namen wird Maria in der ganzen Welt verehrt: als heilige
Jungfrau und Gottesmutter, als reine Magd und Himmelskönigin. Aus
der Bibel ist die überragende Bedeutung dieser weiblichen Gestalt im
Christentum nicht zu erklären, – die hingebungsvolle Frömmigkeit der
Gläubigen muss sich aus anderen Quellen speisen … Welche Botschaft hat Maria
heute für uns?

29
Matriarchale Voraussetzungen des Gottesbildes
Viel wichtiger als die Tatsache, dass Jesus ein Mann war, erscheint seine
nachweisbare Wertschätzung des Weiblichen. So wie nur Mann und Frau
gemeinsam den Menschen abgeben, kann auch das Göttliche nur aus der
polaren Einheit von Männlichem und Weiblichem bestehen. Ausgangs-
punkt der kritischen Untersuchung ist die Gottesvorstellung der Kabbala,
wie sie im Sefiroth-Baum veranschaulicht ist.

Religion ist zu wichtig, um sie den Männern zu überlassen


"Radikale Befreiung gibt es für uns Frauen nur, wenn wir bis zu den
Wurzeln unserer Unterdrückung vordringen, und die sind nun einmal
religiöser Natur." Das ist der Tenor dieses aufrüttelnden Buches, in dem
die Verfasserin Kritik übt am männlichen Religionsmonopol.

Das offensichtliche ethische Versagen der angestammten männlichen


Konzepte von Gott, die Realitätsfremdheit vieler Aussagen der Offen-
barungsreligion im Blick auf Frauen hat die Göttinbewegung auf den
Plan gerufen. Sie hat als weitere Quelle die existenzielle Suche vieler
Frauen nach ihrer Identität im Zuge einer inneren und äußeren Befrei-
ung. Wenn Frauen daher dem patriarchalen männlichen Gott den
Rücken kehren und sich der Göttin zuwenden, so bedeutet dies keinen
Rückfall ins Heidentum. Es ist vielmehr eine Frage des geistigen Über-
lebens; denn die Göttin erweist sich als ein unverzichtbares Symbol für
ein tragfähiges ethisches Wertesystem.

Der veruntreute Jesus – die Botschaft Jesu von „Reich der


Königin“ ist eine Neuinterpretation der Gestalt und Lehre Jesu als „der
Gesalbte der Frauen“.

Die gesamte Ethik des jüdischen „Menschensohnes“ lässt sich auf matri-
archale Wertsysteme zurückführen, die Jesus durch seinen Umgang mit
Frauen kennen- und wertschätzen gelernt hat.

30
Anhand der überlieferten Begegnungsgeschichten mit den Frauen macht
die Verfasserin deutlich, dass Jesus beileibe nicht von Anfang an jener
Frauenfreund war, als der er später in die Geschichte einging. Auch sein
Denken war zunächst von patriarchal-tradierter Frauenfeindlichkeit
geprägt, die er abzulegen lernte, als er sich im Verlauf seines Wirkens
zunehmend mit weiblichen Bedürfnissen konfrontiert sah und daraus ein
tiefes Verständnis für ein anderes, heilbringendes Wertesystem ent-
wickelte.

Diesen Schritt aber haben weder seine Jünger noch der spätere Apostel
Paulus vollzogen. Folglich konnten sie den Kern der Botschaft Jesu auch
nicht begreifen, was die Autorin an Hand von eindeutig nachvollzieh-
baren Belegen aus dem Neuen Testament darstellt. Anders als Jesus
waren sie offensichtlich nicht in der Lage, das patriarchale Weltbild ihrer
Kultur hinter sich zu lassen und haben damit die Botschaft Jesu von
Anfang an veruntreut.

5.4. Interpretation Genesis


Ilse Müllner (Wie heute mit den weiblichen Gottesbildern der Bibel
umgehen?): In der Gottesrede „Lasst uns Mensch machen“ (Gen 1,26)
werde die darin enthaltene Zweigeschlechtlichkeit auf zweierlei Weise
sichtbar: Zum einen lasse sie sich in anthropologischer Hinsicht in dem
grammatisch unbestimmten Begriff „Mensch“ herauslesen; darüber
hinaus werde sie in der viel diskutierten Aufforderung „Lasst uns“ auch
in Bezug auf Gott greifbar. Deshalb lasse sich für diesen ersten Teil des
Schöpfungsberichtes eine Pluralität in menschlicher und göttlicher
Sphäre feststellen.

5.5. Der Heilige Geist. Der weibliche Aspekt der Gottheit


http://www.pistissophia.org/de/Der_Heilige_Geist/der_heilige_geist.html

James K. Hurtak

31
Eine neue Antwort auf das "Bildnis" des Heiligen Geistes nimmt in
Gelehrtenkreisen in der ganzen Welt Gestalt an – ein Ergebnis neuer
Erkenntnisse aus den Schriftrollen vom Toten Meer, den kopti-
schen Nag Hammadi-Schriften und den intertestamentarischen
Texten der jüdischen Mystiker, die neben Büchern der frühen christ-
lichen Kirche gefunden wurden. Forscher fangen an, den Heiligen Geist
als das "weibliche Vehikel" für das Ausgießen einer höheren Lehre und
spirituellen Wiedergeburt zu begreifen. Der Heilige Geist hat viele Rol-
len in der jüdisch-christlichen Tradition: sie handelt in der Schöpfung,
vermittelt Weisheit und inspiriert die Propheten des Alten Testaments.
Im Neuen Testament ist sie die Gegenwart Gottes in der Welt und eine
Kraft bei der Geburt und im Leben Jesu.

Der Heilige Geist wurde fester Bestandteil einer Zirkuminzession, ein


Partner in der Dreifaltigkeit mit dem Vater und dem Sohn, nachdem die
Doktrinstreitigkeiten des späten 4. Jahrhunderts die Position der
westlichen Kirche stärkten. Obwohl alle christlichen Kirchen die Einheit
der drei Personen in einer Gottheit akzeptieren, unterstützet die
Ostkirche, insbesondere die griechischen, äthiopischen, armenischen
und russischen Gemeinden, keine feste Einheit der Persönlichkeiten,
sondern sieht ihre Gestalten als eindeutig unterscheidbar aber dennoch
in einer Einheit. Außerdem positioniert die Ostkirche den Heiligen
Geist als Zweite Person in der Dreifaltigkeit, mit Christus als der
Dritten, während die westliche Kirche den Sohn vor den Heiligen Geist
stellt.

Im Alten Testament und in den Schriftrollen vom Toten Meer war der
Heilige Geist bekannt als Ruach oder der Ruach Ha Kodesh (Psalm
51:11): Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und den Geist deiner
Heiligkeit nimm nicht von mir! [Elberfelder]

https://www.biblegateway.com/passage/?search=Psalm+51%3A11&version=MSG

und im Neuen Testament als Pneuma (Römer 8:9): Ihr aber seid nicht
im Fleische, sondern im Geiste, wenn anders Gottes Geist in euch wohnt.
Wenn aber jemand Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein. [Elberfelder]
32
Neue Evangelistische: Ihr jedoch steht nicht mehr unter der Herrschaft
eurer Natur, sondern unter der des Geistes, wenn wirklich Gottes Geist in
euch wohnt. Denn wenn jemand diesen Geist von Christus nicht hat,
gehört er auch nicht zu ihm.

In der Mehrheit wurde Ruach oder Pneuma als die spirituelle Kraft oder
Gegenwart Gottes angesehen. Das Wirken dieser Kraft kann in der
christlichen Kirche in Form der "Gaben des Geistes" gesehen werden
(insbesondere im Zungenreden heutiger Pfingstgemeinden). Der Heilige
Geist galt auch als Quelle göttlicher Führung und als der innewohnende
Tröster.

Auf ähnliche Weise wurde Ruach Ha Kodesh im hebräischen Gedanken-


gut als eine Stimme angesehen, die von der Höhe kommt und zum Pro-
pheten spricht. Daher ist sie in der Sprache der Propheten des Alten
Testaments der göttliche Geist der innewohnenden Heiligkeit und
Schöpferkraft und wird als eine weibliche Macht betrachtet. In der
Theologie hat man das Pronomen "er" mit Bezug auf den Geist eingeführt,
um es mit dem Pronomen für Gott überein zu stimmen, jedoch ist das
hebräische Wort Ruach ein weibliches Substantiv. Daher hat die
Bezugnahme auf den Heiligen Geist als "sie" linguistische Berechtigung.
Den Geist als ein weibliches Prinzip zu bezeichnen, als das schöpferische
Prinzip des Lebens, macht Sinn, wenn man den Aspekt der Dreifaltigkeit
bedenkt, in welcher der Vater plus der Geist zur göttlichen Extension der
Sohnschaft führt.

Der Geist wird nicht "es" genannt, obwohl Pneuma im Griechischen


ein sächliches Wort ist. Die Kirchenlehre betrachtet den Heiligen
Geist als Person, nicht als eine Kraft wie etwa den Magnetismus. Die
Schriften der katholischen Väter bewahren sogar eine Sicht des Geistes,
der das "Volk Christi" als Braut oder als "Mutter Kirche" versinnbildlicht.
Beide sind weibliche Aspekte des Göttlichen. In der östlichen Kirche
wurde dem Geist immer eine weibliche Natur zugeschrieben. Sie war die
Lebens -Trägerin des Glaubens. Clemens von Alexandrien nennt "sie"
eine im Innern wohnende Braut. Unter den Gemeinden der Ostkirche ist

33
es der Korpus der koptischen Gnostiker, der am eindeutigsten den
weiblichen Aspekt des Heiligen Geistes vertritt. Eines ihrer Dokumente
berichtet, wie Jesus sagt: "Sogleich ergriff mich meine Mutter,
der Heilige Geist, an einem meiner Haare und trug mich auf
den großen Berg Tabor [in Galiläa]."

Die Taten des Thomas, eine Schriftrolle des mystischen koptischen


Christentums aus dem 3. Jahrhundert, enthält einen anschaulichen
Bericht über die Reisen des Apostels Thomas nach Indien und enthält
Gebete, die den Heiligen Geist unter anderem als "die Mutter der
ganzen Schöpfung" und als die "mitfühlende Mutter" titulieren. Die
tiefgründigsten unter den koptisch-christlichen Schriften verknüpfen den
durch Christus offenbarten "Geist des Geistes" und dem "Geist der
göttlichen Mutter". Von besonderer Bedeutung sind die neuen Hand-
schriftenfunde der letzten Jahrzehnte, die aufzeigen, dass unter den
frühen Christen mehr als bisher angenommen der Heilige Geist als
die Mutter Jesu betrachtet wurde.

Ein solcher Text ist das Thomasevangelium, welches Bestandteil der neu
entdeckten Nag Hammadi -Schriften bildet (entdeckt zwischen 1945-
1947). Die meisten dieser Schriften wurden etwa zur gleichen Zeit wie die
biblischen Evangelien, im ersten und zweiten Jahrhundert nach Christus,
geschrieben. In diesem Evangelium fordert Jesus seine Jünger dazu auf,
ihre irdischen Eltern zu hassen (wie in Lukas 14:26), aber den Vater und
die Mutter so zu lieben, wie er es tut: "Denn meine Mutter (gab mir
Falschheit), aber meine wahre Mutter gab mir das Leben." In einer
anderen Nag Hammadi-Entdeckung, Das Apokryphon des Jakobus,
nennt sich Jesus selbst den "Sohn des Heiligen Geistes". Diese beiden
Aussprüche identifizieren zwar nicht explizit den Heiligen Geist als
Muttervehikel Jesu, doch wurden sie von mehr als einem Gelehrten so
interpretiert, dass damit der Heilige Geist als Mutter gemeint sei.

Der katholische Gelehrte Franz Mayr, Philosophieprofessor an der Universität Portland,


favorisiert ebenfalls eine Anerkennung des Heiligen Geistes als weibliche Realität. Er ist der
Meinung, dass die traditionelle Einheit Gottes nicht verwässert wird, wenn die Gelehrten die
weibliche Seite Gottes anerkennen.

34
Mayr, der bei dem bekannten deutschen Theologen Karl Rahner studier-
te, sagt, dass er zu dieser Einsicht während seines Studiums der Schriften
des Hl. Augustinus (354-430 n. Chr.) kam. Der einflussreiche Kirchen-
vater Nordafrikas hatte festgestellt, dass eine signifikante Zahl früher
Christen an einen weiblichen Aspekt des Heiligen Geistes geglaubt haben
muss, und begann diese Ansichten zu geißeln. Für Augustinus war die
Anerkennung des Heiligen Geistes als "Mutter des Gottessohns und
Gefährtin des Vaters" eine heidnische Auffassung. Mayr jedoch vertrat
die Ansicht, dass Augustinus "den sozialen und mütterlichen Aspekt
Gottes übergangen" habe, der nach Mayr am besten im Heiligen Geist,
dem göttlichen Ruach Ha Kodesh zu sehen sei. Der Hl. Hieronymus,
ein Zeitgenosse Augustinus', sowie zwei Kirchenväter einer früheren
Periode, nämlich Clemens von Alexan-
drien und Origenes, zitierten aus dem
pseudepigraphen Evangelium der Hebrä-
er, worin der Heilige Geist als eine
"Muttergestalt" beschrieben wird.

Ein Fresko aus dem 14. Jahrhundert in


einer kleinen katholischen Kirche südöst-
lich von München zeigt nach Ansicht
von Leonard Swidler von der Temple
University einen weiblichen Geist als
Teil der Heiligen Trinität. Die Frau
und zwei bärtige Figuren an ihrer Seite
scheinen in einen einzigen Mantel gehüllt
und an der unteren Hälfte zusammenge-
fügt zu sein, was die Vereinigung des alten
und neuen Körpers der Geburt und Wie-
dergeburt andeutet.

Wir leben in einer Zeit der profunden und revolutionären Entdeckung


archäologischer und antiker spiritueller Texte, die einen Weg in die
Zukunft weisen. Von Christus selbst wird gesagt, dass er weibliche
Jüngerinnen hatte, wie es die gnostische Literatur und jüngste archäo-

35
logische Funde frühchristlicher Gräber in Italien zeigen. Ein Anfang
wurde gesetzt, den Geist des Ruach unter den Bergen neu entdeckter
vorchristlicher Schriften und koptisch-ägyptischer Buchrollen der frühen
Kirche wieder zu erwecken. Mit dieser Neubewertung der ersten 100
Jahre Christentum wird deutlich, dass die frühere Christenheit dem
"weiblichen Geist" des Alten Testaments, dem Ruach oder der geliebten
Shekinah, noch viel näher stand. Die Shekinah, die nicht das Gleiche ist
wie der Ruach, wurde als die innewohnende göttliche Gegenwart
verstanden, die eine "Geburt der Gaben" oder das gesalbte Selbst akti-
vierte. In der Folge änderte das aufstrebende Christentum seine ur-
sprüngliche Position über die "Geburt der Gaben" im Kompromiss für
das Privileg seiner Institutionalisierung.

Die neue Richtung in den spirituellen und wissenschaftlichen Studien


zeigt, dass es nun möglich ist, den Heiligen Geist, Ruach Ha Kodesh, als
die weibliche, innere Gegenwart Gottes, Shekinah, zu zeichnen, die die
Seelen für das Reich Gottes nährt und hervorbringt. Die geistigen Er-
kenntnisse aus dem Buch des Wissens: Die Schlüssel des Enoch®
machen uns begreiflich, dass gerade so wie das Alte Testament das Zeit-
alter des Vaters war, das Neue Testament das Zeitalter des Sohnes ist,
eben so das kommende Zeitalter, in dem die Gaben ausgegossen werden,
das Zeitalter des Heiligen Geistes sein wird. Doch die Schlüssel sagen uns
auch, dass die Göttliche Dreifaltigkeit jenseits der anthropomorphen
Formen von Männlich oder Weiblich ist. Hier ist unsere eigene männ-
liche oder weibliche Natur nur Symbol für das Göttliche und eine Mani-
festation unseres Lebens im Universum. Und darin verstehen wir, wer
wir wirklich sind, da wir, ob Mann oder Frau, uns vorbereiten auf die
Wiedergeburt des "Christus-Überselbst", vereint als Volk des Lichts,
als die "Braut" für ihren "Bräutigam" – den Christus.

36
5.5.1. Sophia
http://schlüsseltexte-geist-und-gehirn.de/downloads/Mythos.pdf

zitiert aus Der Mythos von Birgit Sonnek

Nachdem sich das Tochterprinzip mit dem Mutterprinzip vereinigt hat


und den Bestand des Lebens auf der Erde garantiert, fehlt noch der dritte
Aspekt zum Wandel des Weiblichen zum ewigen Licht: Die Vereinigung
mit der weiblichen Geistseite, der Sophia. Daraus resultiert die unsterb-
liche Große Göttin der drei Welten: der Erde, der Unterwelt und des
Himmels. Im Gegensatz zur männlichen Erleuchtung, die nur den Kopf betrifft und als
Krönung oder Heiligenschein dargestellt wird, ist das Weibliche imstande, das
Licht und den Geist zu gebären. Damit vollbringt es das Wunder, etwas
völlig Andersartiges zu erschaffen (Neumann).

Das Entzücken der Frauen betrifft auch die eigene Auferstehung aus der
Unterwelt ins Licht. Diese weibliche Lichtseite repräsentiert die
Sophia. Als höchste Entfaltung der weiblichen Weisheit ist sie die Über-
höhung der Mutter-Tochter-Doppelheit und damit die höchste Essenz, zu
der sich das Leben wandeln kann. Im patriarchal-christlichen Raum wur-
de die Sophia von der männlichen Gottheit an die letzte Stelle zurück ge-
drängt. Dennoch überlebte sie in Philosophie, Kunst und Dichtung. Ob-
wohl das Christentum immer um ihre Unterdrückung bemüht war, hat
sich die weibliche Symbolik als Gefäß noch im Gral und im Abendmahls-
kelch erhalten.

[Das Tauchbad der Taufe symbolisiert eine Rückkehr in den weiblichen Uterus, in
das Ur-Ei des Anfangs. Dieses Ur-Ei ist das Ursprungssymbol der matriarchalen
Welt. In ihm ist das All enthalten: das Chaos, die Materie und der Geist als Taube, die
aus dem Ei schlüpft. Sie ist der Vogel der Großen Mutter und später der Heilige Geist.
Auch die Schlange symbolisiert den Geist sowie den Sündenfall im Paradies, der zum
Bewusstsein führte. Als Doppelschlange vereint sie alle Gegensätze in sich, und in
Verbindung mit dem Äskulapstab steht sie noch heute im Dienst der Heilung.]

Das Unbewusste enthält eine nährende, schützende weibliche Kraft,


die als tiefe Weisheit erlösend und richtunggebend wirkt und der männ-
lichen Weisheit des Tagesbewusstseins unendlich überlegen ist
(Neumann).

37
Es ist eine liebende Bezogenheit, mit der das Unbewusste reagiert, auf
individuelle Probleme antwortet und die Seele rettet. Sophia ist eine
mitfühlende, immer gegenwärtige und dauernd anrufbare Göttin; kein
Gott, der in numinoser Ferne und vollkommener Abgetrenntheit für die
Menschen unerreichbar ist. Die Geist-Mutter Sophia verströmt Nahrung
und Weisheit zugleich. In der jüdisch-christlichen Entwicklung des
Abendlandes wurde die weibliche Weisheitsfigur entthront und unter-
drückt. Doch überlebte die Große Mutter in der Gestalt der Hexe, kehrte
in der Renaissance als Madonna zurück und stieg in der Moderne wieder
auf (Neumann).

Vom Großen Runden über die Herrin der Pflanzen und Tiere bis schließ-
lich zur Geistgebärenden und nährenden Sophia offenbaren sich die
Stufen der Selbstentfaltung des weiblichen Wesens seit der frühge-
schichtlichen Welt. Gleichzeitig erscheinen sie in der lebendigen Wirk-
lichkeit der modernen Frau, in ihren Träumen und Visionen, ihren
Beziehungen und Persönlichkeitswandlungen. Die Große Göttin ist
die Inkarnation des weiblichen Selbst, die Hintergrundmacht,
welche auch heute noch die Seelengeschichte der modernen Menschen,
besonders der Frauen, bestimmt.

5.6. Jüdische Vorstellungen

Das Judentum kennt zahlreiche Namen und Titel Gottes – so die Rab-
binerin Klapheck-, viele davon sind männlich geprägt, wie etwa „Herr“,
„König“, „Vater“ oder „Herrscher“. Solche und andere männlichen Got-
tesbilder kurzerhand durch weibliche zu ersetzen, führe jedoch nicht wei-
ter. „Einfach nur ‚Gott weiblich‘ statt ‚Gott männlich‘ wäre nicht wirklich
besser“, so die pointierte Ausgangsthese Klaphecks. Denn letztlich spieg-
le ein Gottesbild immer auch das zugrunde liegende Menschenbild wider,
sagten Aussagen über Gott immer auch etwas über den Menschen und
seine Beziehung zu Gott aus.

38
Je intensiver sie sich mit den hebräischen Originaltexten beschäftigt
habe, desto mehr sei das Männliche darin zurückgetreten. Durch das
genaue und vertiefte Übersetzen der Texte sei sie heute mit den Texten
versöhnt.

Klapheck demonstrierte dies an verschiedenen Gottesbezeichnungen. So


könne beispielsweise der Gottesname „El Schaddai“ nicht nur, wie meist
üblich, als „der Allmächtige“ wiedergegeben werden; die darin enthaltene
Wortwurzel könne auch mit „genug“ übersetzt werden. Dann könne El
Schaddai als „der Gott, der gerade noch genug vorhanden ist“ verstanden
werden. Gerade angesichts der Erfahrung der Schoa und der Auswirkun-
gen, die dieses unfassliche Geschehen für das jüdische Gottesverständnis
hat, sei ein solches Verständnis der heutigen Erfahrung angemessener als
die traditionelle Übersetzung.

Gottesvorstellung der Kabbala, wie sie im Sefiroth-Baum veranschaulicht


ist.

5.6.1. Gott ist körperlos

mit männlichen und weiblichen Aspekten, aber „Er“ darf im Judentum


nicht bildlich dargestellt werden und wir sollen uns auch geistig keine
bildliche Vorstellung von „Ihm“ machen. Das Judentum kennt 72
Gottesnamen, von denen manche „verborgen“ also nur bei den Mystikern
zu finden sind…

von Tanja Kröni

Darunter gibt es keine weiblichen Namen, obwohl die Hebräische Bibel


auch von Gottes mütterlichen Funktionen[01]spricht.

Bereits in der Hebräischen Bibel gibt es verschiedene weibliche Aspekte


Gottes, die natürlich auch zu anthropologischen Bildern führten: Da ist
Ruach Elohim, die heilige Geistin, die bei der Erschaffung der Welt
„brütend über den Wassern schwebt”. [02] Sie ist eine Kraft, Energie, die

39
von Gott ausgeht, wird in den Interpretationen meist als Taube
beschrieben, aber niemals in menschlicher Gestalt.

Chochma, die Weisheit, hingegen dürfte in der Antike stark personifi-


ziert gewesen sein. Darauf deuten die Texte in den Sprüchen Salomons
[03] hin. Doch auch sie ist ein Aspekt Gottes, nach Jesus Sirach 24,3.6
„…hervorgegangen aus dem Munde des Höchsten….“

Wurde bereits von Susanne Schneeberger ausführlich beschrieben.

Nicht in der Hebräischen Bibel erscheint die „Schechina“. Dieses Wort


wird oft als „Einwohnung“ Gottes übersetzt und als seine Immanenz
verstanden. Dieser weibliche Begriff wird in den aramäischen Targu-
mim[04](Volksbibeln mit Interpretation) immer dann gebraucht, wenn
Gott mitfühlt, mit leidet, weibliche Gefühle zeigt und mütterliche Tätig-
keiten ausübt. Sie wird auch im Babylonischen Talmud und in der nach-
talmudischen Literatur erwähnt: Sie weilt bei den Kranken, um sie zu
erquicken.[05] In den Sprüchen der Väter, Pirke Avot 3,3 ist die Sche-
china bei den Menschen, die sich mit den Worten der Tora befassen.
Nach verschiedenen Kommentaren begleitet die Schechina die Israeliten
in die Verbannung: „Überall wo Israel im Exil war, war die Schechina mit
ihnen im Exil…”[06] Moses wurde von früher Kindheit an von der Sche-
china begleitet[07]und sie sprach mit ihm zu jeder Stunde. [08] Wie weit
sie bis ins Mittelalter weiblich personifiziert wurde, ist nicht feststellbar.

Die Kabbala schuf im Mittelalter ein neues Gottesbild: das unend-


liche, gestaltlose, sich ständig bewegende Eyn Sof, das am ehesten mit
einem ineinander fließenden Yin und Yang bildhaft gemacht werden
kann. Es schwebt über 10 Sefirot, Energien, männlichen und weibli-
chen Aspekten, mit denen das Eyn Sof (Gott) in der Welt wirkt. Hier ist
die Schechina die unterste Sefira, Verbindung zwischen Transzendenz
und Immanenz und wirkt in die Schöpfung hinein. In der Kabbala wird
sie als weibliche Dimension Gottes personifiziert, ist Prinzessin, Toch-
ter, Königin und Matrone. Sie verfügt über einen eigenen, manchmal
sehr unabhängigen Willen, den sie sogar Gott entgegensetzt. Die Sche-
china ist die „himmlische Donna”[09], in deren Geheimnis alles, was
40
in der Welt weiblich ist, gründet, also das Ewig-Weibliche“ (Sohar 2 54b).
Nach Rabbinerin Pauline Bebe[10]entsprechen die Bilder und Wirkungs-
weisen der Schechina trotz allem in etwa dem patriarchalem Frauen-
bild der Mystiker jener Zeit.

Die Schechina lebt mit dem Volk Israel im Exil und kann nicht zu Gott
zurückkehren, denn die Sünden der Menschen halten sie im Exil fest. Für
den Mystiker ist die irdische Welt ein Abbild der himmlischen Welt und
das irdische Geschehen hat direkten Einfluss auf die Sphäre des Göttl-
ichen. Durch die Erfüllung der Gebote schafft der Mensch den Tikkun
Olam, die Wiederherstellung des harmonischen Urzustandes der Welt.
Dieser ist die Voraussetzung für die Einswerdung der männlichen und
weiblichen göttlichen Kräfte, der erneuten ständigen Verschmelzung von
Gott und der Schechina. So wird auch die Vereinigung von Mann und
Frau in der Schabbat(Freitag)nacht „zu einer symbolischen Verwirkli-
chung der Vereinigung Gottes und der Schechina“.[11]

Weiblich personifiziert ist in der Kabbala ebenfalls die Sefira, Energie,


Bina, die Einsicht oder unterscheidende Vernunft. Sie wird auch „die
obere Schechina“ genannt, das mütterliche Prinzip, aus dem alles
kosmische Leben hervorgeht. Weiter heißt Bina auch „die Erhabene“,
„Herrin“ und „Matrone“. Sie hat aber nicht die Bedeutung der Sche-
china, die die Mutter aller Kinder Israels und die irgendwie in allen Sefi-
rot, Energien vorhanden ist.

Auch sollen alle Matriarchinnen, Sara, Rebekka und Rachel, Inkar-


nationen der Schechina gewesen sein. [12] Die Schechina und Rachel
kommen ebenfalls in kabbalistischen Liturgien und Meditationen vor,
wie im Tikkun Chazot, der Mitternachtsliturgie vor Schawuotbeginn.

Natürliche hat die jüdische feministische Theologie diese Bilder und


auch Teile dieser Liturgien aufgegriffen. Die Schechina wird zusammen
mit Adonaj, dem Herrn, oder allein angesprochen.

Die Schweiz erreichte der jüdische Feminismus in den 80ziger Jahren des letzten Jahrhun-
derts. Pionierinnen waren Miriam Brassloff[13] (orthodox), Marianne Wallach[14]und

41
Rachel Rybowski (ICZ/ILG). Zu den beiden letzteren stieß auch ich um 1987.[15] Wir wollten
nicht die Frauen aus den USA kopieren sondern bemühten uns eigene europäische Wege zu
gehen. Dabei orientierten wir uns vor allem an Pnina Navè Levinson. Wir feierten
gemeinsam Rosch Chodesch[16], Frauenschabbatot und Frauenseder[17].

Heute bin ich immer noch daran, meine eigene Theologie weiter zu entwickeln. Für mich ist
wichtig, dass Gott mindestens weiblich und männlich bleibt.

In den Gebeten und Segenssprüchen wird das Göttliche immer mit Sche-
china und Adonaj angesprochen. Manchmal, wenn der Gottesname „Elo-
him“ mehrmals verwendet wird, wechsle ich auch mit „HaElahut“, der
weiblichen Form ab. Wird der Väter Abraham, Isaak und Jakob
gedacht, setze ich die Matriarchinnen Sarah, Rivka (Rebekka) und
Rachel daneben. Dies ist bereits seit Jahren auch in den Liturgien der
Reformgemeinden, wenigstens in den Hauptgebeten, Brauch. In eigenen
Pijutim, religiösen Gedichten, Gebeten, erinnere ich an die Taten nicht so
bekannter Vorfahrinnen, bitte Bina um Einsicht und Chochma um Weis-
heit.

Zusammen mit Rachel Rybowski erarbeitete ich Liturgien für Rosch Chodesch, für Feiertage
und auch für den Seder. Am Anfang ernteten wir, wenn eine von uns in der liberalen Gemein-
de einen Gottesdienst leitete und predigte, ein mildes Lächeln oder ein Kopfschütteln, wenn
wir weibliche Formen in den Gebeten verwendeten und die Frauengestalten aus dem
Wochenabschnitt ins Zentrum der Predigt stellten, sie auf dem Hintergrund der
Kommentare neu beleuchteten. Mann gewöhnte sich aber bald daran. Bis heute liegt uns
beiden eine ganzheitliche Theologie und nicht nur eine reine Frauentheologie am Herzen.

Männer waren und sind immer zu meinen Liturgien willkommen und


werden mit einbezogen. Seit einiger Zeit lese ich mit einer gemischten
Gruppe kabbalistische Texte auf Deutsch, weil nur wenige wirklich gut
Hebräisch lesen können. Das hat den Vorteil, dass diese Sprache – im
Gegensatz zum Hebräischen – eine neutrale sächliche Form hat. So
wurde konsequent das Eyn Sof das Unendliche, der Ewige das Ewige,
der Schöpfer das Erschaffende und der Herrscher das Herrschende. Am
Anfang bereitete diese Umstellung einigen in der Gruppe Mühe. Zu fest
verwurzelt waren die alten männlichen Formen. Doch heute verspricht
sich in der Diskussion niemand mehr und alle sind froh darüber, dass die
(männlichen) körperlichen Vorstellungen, Bilder langsam verblassen.

42
Erschienen in: Judith Stofer/Rifa’at Lenzin (Hg.), Körperlichkeit – Ein
interreligiös-feministischer Dialog, Religion & Kultur Verlag 2007.

Anmerkungen
1. Deuteronomium 32,18, Psalm 27,10, Jesaja 49,15, 66,13f; Hosea 11,3 [↩]
2. Jerusalemer Talmud, Chagiga 2,1 [↩]
3. Sprüche Salomos 8,4-31 [↩]
4. Am bekanntesten ist der im ersten oder zweiten Jahrhundert geschriebene Targum
Onkelos, der auch ins Englische übersetzt wurde. [↩]
5. Schabbat 12 b [↩]
6. Mechilta, massechta de Pischa, S. 51-52 [↩]
7. Babylonischer Talmud Sota 12b [↩]
8. Babylonischer Talmud Schabbat 87a [↩]
9. Gershom Scholem in „Von der mystischen Gestalt der Gottheit“, S. 177 [↩]
10. Pauline Bebe, „Isha“, S. 317-320 [↩]
11. Gershom Scholem in „Von der mystischen Gestalt der Gottheit“, S. 256 [↩]
12. Joseph Gikatillia, „Scha’arei Ora“ (Tore des Lichts), 13. Jh. Kap. 5, S. 230 [↩]
13. Miriam Brassloff-Kugelmann: Zuhören und Zuschauen. Erfahrungen im christlich-
jüdischen Dialog unter Frauen, in: Siehe, ich schaffe Neues. Aufbrüche von Frauen in
Protestantismus, Katholizismus, Christkatholizismus und Judentum, hg. v. Doris
Brodbeck, Yvonne Domhardt, Judith Stofer, Zürich, 1998, S. 211-218. [↩]
14. Marianne Wallach verfasste Texte zu feministischer Theologie und interpretierte
Frauengestalten der Hebräischen Bibel in Marianne Wallach „Die Frau im Tallit,
Judentum feministisch gelesen“, nach ihrem Tode herausgegeben von Doris Brodbeck
und Yvonne Domhardt, 2000, Chronos Verlag Zürich, ISBN 3-905313-65-0 [↩]
15. Tanja Kröni, Artikel und Texte zu den jüdischen Wochenabschnitten, zu Judentum, zum
jüdisch-christlichen Dialog in Jüdische Rundschau, Israelitisches Wochenblatt, tachles,
Allgemeine jüdische Zeitung (D), Leben & Glauben, ideaSchweiz, Luzerner Tagblatt,
u.v.a. Tanja Leutenegger-Kröni: Ewiger, ich danke dir (1992), in: Unerhörte Worte.
Religiöse Gesellschaftskritik von Frauen im 20. Jahrhundert, hb. v. Doris Brodbeck,
Bern/Wettingen 2003, S. 256-259. [↩]
16. Neumond, Monatsanfang, Halbfeiertag für die Frauen [↩]

17. Seder = das Vorabendritual von Pessach, der Erinnerung an den Auszug aus Ägypten [↩]

URL: http://www.hagalil.com/archiv/2012/03/17/gott-ist-koerperlos/

43
5.6.2. Sefiroth. Baum des Lebens in der Kabbala
http://www.kabbala-info.net/deutsch/ramchal/tree-of-life-ten-serirot.htm

Oberstes Gebot ist es, sich KEIN BILD von G-TT zu machen, sondern
stattdessen sich immer vor Augen zu führen, dass es sich nur um die Idee
der Manifestation bestimmter enthüllter Attribute handelt, und NICHT
um DAS GÖTTLICHE WESEN an sich.

44
HaRav Moshe Chaim Luzzatto - RAMCHAL - schreibt sinngemäß: Die
Zehn Sefiroth oder die zehn Grundzahlen die wir im Heiligen Sohar oder
dem Sefer Yetzirah finden, erscheinen immer wieder in allen Büchern
und Schriften der Kabbala, allerdings mit mehr oder weniger deutlichen
Unterschieden. Sie sind mit den Konzepten imprägniert, die im Buche
Bahir durch die Maamaroth ausgedrückt werden, den zehn Wörtern mit
denen sich der verborgene G-TT - das En Sof - während der Schöpfung
manifestiert.
Die Zehn Sefiroth formulieren somit zehn Sichtweisen von G-TT. Gemäß
dem Bahir bilden alle Kräfte G-TTES eine Aufeinanderfolge von Ebenen
(Zweigen) die wie ein Baum geformt sind.
Die Kabbala präsentiert diese Kräfte in einer Hierarchie welche den
"Sefiroth Baum" begründen. Jede Ebene oder G-ttliches Attribut stellt
einen Zweig dar, deren gemeinsame Wurzel unfassbar ist: das En Sof
oder Ain.
Andererseits kann uns die Konzeption der Sefiroth als Teile oder Glieder
von Adam Kadmon, "dem Prototyp des übernatürlichen Menschen" zu
einem anatomischen Symbolismus führen.
Als Benennung der Abfolge der Zehn Sefiroth verwendet die Kabbala
mehr oder weniger festgelegte Begriffe, um die Erscheinungsformen des
Schöpfers auszudrücken.
Insoweit sie ausschließlich die Aspekte einer einzigartigen Realität
bilden, sind die Sefiroth untereinander durch extrem komplexe
Analogien verbunden, die uns der ARI in seinem Magnus Opus "Etz
Chajim" (Der Baum des Lebens) hinterließ.

Sephiroth http://anthrowiki.at/Sephiroth
Sephirot, Sefirot oder Sefiroth (Singular hebr. ‫ ְספִ ָירה‬Sefira, Plural ‫ ְספִ ירוֹת‬,
Sephiroth = Ziffern) ist nach den Lehren der jüdischen Kabbala der
hebräische Name der 10 göttlichen Emanationen*, die zusammen den

*Streng genommen darf man hier nicht von «Emanationen» sprechen, denn nach der von Isaak
Luria stark geprägten kabbalistischen Lehre entstand die Schöpfung nicht als «Ausstrahlung»
Gottes, sondern vielmehr durch seinen Rückzug und seine Selbstbeschränkung nach dem Tzimtzum

45
(hebr. ‫ צמצום‬, im ūm, wörtlich Zusammenziehung oder Rückzug). Dadurch erst wurde Raum
geschaffen für die Freiheit des Menschen, aber auch für das Böse.
Lebensbaum der Kabbala (hebr. ‫עץ החיים‬, Ez Ha-Chajim, oder kurz ‫עץ חיים‬,
Ez Chajim) bilden, der zugleich symbolisch den himmlischen, makro-
kosmischen Menschen, den Adam Kadmon, als übergeschlechtliches,
aber bipolares männlich-weibliches Wesen darstellt, der sich am voll-
kommensten im irdischen Menschen als Mikrokosmos, aber auch sonst
überall in der Schöpfung, wenn auch unvollkommener, abbildet. Ähnlich
den 10 Kategorien des Aristoteles bilden die 10 Sephiroth ein geistiges
Alphabet, mit dem sich der ganze Kosmos in seinem Sein und Werden
systematisch beschreiben lässt. Die 10 Sephiroth sind durch 22 Pfade, die
den 22 Buchstaben des Hebräischen Alphabets entsprechen, miteinander
verbunden; zusammen mit den 10 Sephiroth bilden sie die 32 Pfade der
Weisheit.

Namensherkunft: Der Begriff Sephiroth (hebr. ‫ספרות‬, Singular: Sephira


- ‫ספרה‬, Ziffer, Chiffre) taucht erstmals im Sefer Jetzira auf, dem ältesten
überlieferten Werk der Kabbala, das der Legende nach auf Abraham
selbst zurückgeht und das Ergebnis seiner Einweihung durch
Melchisedek festhält. Das Wort geht auf den hebräischen Verbalstamm s-
f-r (‫ספר‬, vgl. Sefer Jezirah § 1) zurück, der „zählen“, „schreiben“,
„erzählen“ und, als Nomen gebraucht, auch „Buch“ (sefer) bedeuten
kann, entlehnt aus arabisch sifr „Null, leer“, was wiederum lehnübersetzt
ist von altindisch sunya „Null, leer“.

Wesen der Sephiroth: Die Sephiroth sind nach der Lehre Isaak Lurias
aus Licht (hebr. ‫אור‬, or) gestaltete Gefäße (hebr. ‫כלי‬, qli oder kli; Plural:
‫כלים‬, keilim oder kelim), etwa vergleichbar den kristallenen Schalen der
Planetensphären der griechischen Kosmologie, das dadurch begrenzt
und geformt ist - denn das Licht an sich ist undifferenziert und
entstammt dem ursprünglichen, grenzenlosen Licht (Ain Soph Aur). Und
diese Form, als reine Seelenform, besteht in dem Wunsch oder
Verlangen, von dem unendlichen Licht zu empfangen und von ihm erfüllt
zu werden.

46
Die 32 Pfade der Weisheit entstehen aus den 10 Sephiroth und den
22 sie verbindenden Pfaden, die den Buchstaben des Hebräischen
Alphabets entsprechen. Sie repräsentieren 32 Entwicklungsstufen der
kosmischen Intelligenz.
„In zweiunddreißig geheimnisvollen Pfaden der Weisheit zeichnete
JAH, JHVH Zabaoth, Gott Israels, lebendiger Elohim, König der
Welt, allmächtig, barmherzig und gnädig, hoch und erhaben, wal-
tend in Ewigkeit, heilig ist sein Name, und schuf seine Welt mit
drei Sefarim (hebr. ‫)ספרים‬: Erzählung (hebr. ‫ ִספּוּר‬,sippur), Zahl
(hebr. ‫ ִספְ ָרה‬, sefar, Ziffer) und Zeichen (hebr. ‫סֵ פֶר‬, sefer;
Buchstabe).“
– Sefer Jezirah 1,2

Die Igulim (Kreise) als kosmische Sphären und die Herrschafts-


gebiete der höheren geistigen Hierarchien. Die inneren Kreise
unterhalb der Sonnensphäre sind hier nicht dargestellt.

47
Der Baum des Lebens von Selim Oezkan
http://www.kabbalahvedanta.net/artikel/mystik/der-baum-des-lebens
Verbindung zu Urknall, hinduistischen Upanischaden, Veden, Chakren,
Sufismus, Theosophie, Rudolf Steiner, Rosenkreuzer.
Gerd Scherm, Die poetische Kabbala
http://www.scherm.de/kabbala/

48
49
5.7. Hoheslied der Liebe
Gerda Weiler führt die Erzväter- und Familiengeschichten auf altorien-
talische Ritualtexte und Mythen zurück, die der Göttin als Himmelskö-
nigin gewidmet waren. Der spätere monotheistische Vatergott war zu
Zeiten der Großen Göttin der Sohn-Geliebte und im Gegensatz zur Him-
melskönigin sterblich. In ihrem Buch - Das Matriarchat im Alten Israel -
deckte Gerda Weiler kenntnisreich und mit schöpferischer Phantasie die
Spuren der ehemaligen Göttin-Verehrung auf, die durch die Veränderun-
gen und Umschreibungen im Laufe der Entwicklung des Judentums
nicht vollständig verwischt werden konnten.

Dabei setzt die Autorin an den Widersprüchen biblischer Texte an. Der
einseitig patriarchalen Sichtweise des Transzendenten wird die matri-
archale Weltsicht gegenübergestellt. So tritt das matriarchale Bewusst-
sein hervor und überschreitet die gegenwärtige Welt.

Christa Mulack meint, das Werk der 1994 verstorbenen Gerda Weiler
„Das Matriarchat im Alten Israel" ist wohl das einzige im deutschspra-
chigen Raum, wenn nicht gar weltweit, das matriarchale Restbestände
in der Bibel nachweist. Genauer gesagt geht es um Das Hohelied der
Liebe im AT. Religionswissenschaftliche Vergleiche, insbesondere mit
den Texten aus Ras Schamra*, in denen sie eine Fülle von Parallelen zu
biblischen Erzählungen und kultischen Texten aus matriarchaler Zeit
fand, haben Gerda Weiler dabei geholfen. Es ist das Hohelied der Liebe,
der einzige erotisch-sexuelle Text der Bibel, in dem das Liebespaar
einander gleichgestellt ist, ein matriarchaler Kultgesang, der den Ritus
der Heiligen Hochzeit wiedergibt und die Tiefen der Geschlechter-
liebe besingt.

Weltweit begegnen wir göttlichen Paaren, deren Liebe besungen wird.


Zum Beispiel Inanna und Dumuzi in Sumer, Ischtar und Tammuz in
Babylon. Aphrodite und Adonis in Griechenland, Isis und Osiris in
Ägypten. Baal und Baalat in Kanaan, Jahwe und Ascherah in Israel
mythische Namen, die für den Kult der Heiligen Hochzeit stehen,
dem selbstverständlich auch Israel sich nicht entziehen konnte. Und so
50
zeigen sich überall entsprechende Parallelen, die insbesondere zwischen
dem Hohenlied und Texten aus Babylon und Ras Schamra ins Auge
fallen. Nach Hartmut Schmökcl7, den Gerda Weiler zitiert, konnte es
auch «ein Baal oder gar ein in kanaanäischer Form verehrter JHWH
der Volksreligion (sein), dessen Frühlingsfest man beging». (Schmökel
1956, 120: zit. Weiler, 229)

Weder als kultischer Gesang zwischen der Göttin und ihrem Sohn-
geliebten noch als profaner Liebesgesang… hätte das Hohelied die
patriarchalen Hürden der Kanonisierung überwinden können. So ver-
dankt es sein Überleben schließlich jener Allegorisierung, die seinen
Inhalt in ein rein geistiges Geschehen zwischen Gott und seinem Volk
verwandelte.

In dieser Hommage an die Liebe zwischen den Geschlechtern wird sie in


vielfältigen Bildern besungen. Dabei wird nicht nur der weibliche und
männliche Körper völlig unbefangen in höchst sinnlichen Bildern be-
schrieben, wie zum Beispiel in 7,2:4;8: «Deiner Hüften Rundungen sind
wie Geschmeide, gefertigt von Künstlerhand ... Deine zwei Brüste sind
wie zwei Kitze, wie Zwillinge einer Gazelle. ... Ja, dein Wuchs gleicht der
Kalme, und deine Brüste Trauben.»

Auch die Tiefen der Liebe werden in ergreifender Weise dargestellt, wenn
es heißt: «Ja, stark wie der Tod ist die Liehe, hart wie die Unterwelt die
Leidenschaft. Ihre Brände sind Feuerbrände ... Selbst gewaltige Wasser
vermöchten nicht die Liehe zu löschen, auch Ströme schwemmen sie
nicht fort.» (8,60 Oder wenn gewarnt wird: «Stört doch die Liehe nicht,
und weckt sie nicht auf bis es ihr selbst gefällt.» (2.7b; 3,5b). Es ist schon
seltsam, hinter diesen sinnlichen und leidenschaftlichen Bildern die
Liebe Jahwes zu seinem Volk zu vermuten.

In den 20er-Jahren war es W. Wittekindt5, der als erster die kultischen


Hintergründe dieser Texte anerkannte. Ihm folgte der Kulturphilosoph
Otfried Eberz, der im Hohenlied «eine für... Eingeweihte... bestimmte
esoterische Textsammlung (sah), aus der uns die willkürlich
51
zusammengestellten Fragmente und Fetzen erhalten (ge)bl¡eben» sind.6

Als Dritter wäre Hartmut Schmökel mit Heilige Hochzeit und Hohes
Lied7 zu nennen, der die Parallelen zwischen dem Hohenlied und den
entsprechenden Kultgesängen aus Ras Schamra und Babylonien
aufzeigte. Ihn machte Gerda Weiler zur Grundlage ihrer Recherchen.

Otfried Eberz schrieb: «Ich betrachte das Hohelied Salomos als einen
Kulttext, der zur Feier der Heiligen Hochzeit in Jerusalem benutzt
worden ist. Zerstückelt und aus seinen Zusammenhängen gebracht, ist
das Lied seines ursprünglichen Sinnes beraubt worden und wirkt wie
eine Sammlung lose hingeworfener Fragmente.»

Wie Gerda Weiler schreibt, wurde im Hohenlied ursprünglich «die


Wiederkehr des Jünglingssohnes gefeiert, des Sohnes der Himmels-
königin, der sterbend in die Unterwelt eingegangen ist, von der Göttin
beweint und betrauert.»

Um den ursprünglichen Zusammenhang unkenntlich zu machen,


wurden im Hohenlied - wie bei vielen anderen Texten auch - Anfang
und Ende vertauscht.

*Ras Schamra ist eine Ausgrabungsstätte in Syrien, an der Mittelmeerküste, nördlich der Hafen-
stadt Lattakia, dort machte im Jahr 1928 ein Bauer die Entdeckung. Die Sprache auf den Tafeln
nannte man Ugarit - nach dem früheren Namen der Stadt. Bei fast jeder Grabung wurden neue
Tafeln entdeckt. Heute gibt es mehr als 1.500 Stücke in ugaritischer Schrift und außerdem viele in
babylonischer Sprache. http://www.theologische-
links.de/downloads/archaeologie/ras_schamra_schaeffer_tontafeln_funde.html

52
Anmerkungen
1
Göttner-Abendroth, Heide. Für Brigida Göttin der Inspiration. Neun
patriarchatskritische Essays und Thesen zum Matriarchat, Frankfurt/Main 1998, p. 41

1
Laut Konrad Pfaff kennt der homo erectus spätestens seit 500.000 Jahre das Feuer.
http://www.konradpfaff.de/downloads/06/45_vor_dem_erwachen_des_geists.pdf
2
Badinter, Elisabeth. Ich bin Du. Auf dem Weg in die androgyne Gesellschaft,
Weinheim 2001
3 http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Matriarchatstheorien
4
Voss, Jutta. Das Schwarzmondtabu, Zürich 1988, p. 57f
5
Göttner-Abendroth, Heide. Für Brigida Göttin der Inspiration. Neun
patriarchatskritische Essays und Thesen zum Matriarchat, Frankfurt/Main 1998
7
Zu diesem Herrschaftsbegriff: Sigrist, Christian. Regulierte Anarchie. Untersuchungen zum
Fehlen und zur Entstehung politischer Herrschaft in segmentären Gesellschaften Afrikas.
Freiburg i. Br. 1967

** Göttner-Abendroth, Heide. Das Matriarchat, München 1995, 9f.


**** Göttner-Abendroth, Heide. Das Matriarchat, München 1995, 12.
*** Alte Mythen rund um die Menstruation. Das Matriarchat: Die Große Göttin und das
Mutterrecht - http://gabrieleproell.at/infopool/mythologie.htm
***** Gimbutas, Marija. Die Sprache der Göttin. Das verschüttete Symbolsystem der
westlichen Zivilisation, Frankfurt/Main 1998, 15f.
******
Blavatsky, Helena Petrovna. Die Geheimlehre, Band II, Theosophische Philosophie,
London 1888

5
Wittekindt, Wilhelm: Das Hohe Lied und seine Beziehungen zum Istarkult. Hannover 1926.
6
Eberz, Otfried: Der gnostisch gynäkokratische Doppelorden von Sophia und Logos, 1950/1.
posthum veröffentlicht in Eberz: Sophia und Logos oder die Philosophie der
Wiederherstellung. Freiburg 1976, S. 218.
7
Schmökel, Hartmut: «Heilige Hochzeit und Hohes Lied», in: Abhandlungen für die Kunde des
Morgenlandes, Wiesbaden 1956.
Weiler, Gerda. Ich verwerfe im Lande die Kriege. Das verborgene Matriarchat im Alten
Testament, München 1984; 3. überarbeitete Auflage. Das Matriarchat im Alten Israel,
Stuttgart 1998

53
Quellen:
Fleiss, Irene. Die Sprache der Göttin, www.frauenwissen.at
Pfaff, Konrad. Vor dem Erwachen des Geistes liegt sein Ursprung mythisch-magisch
verborgen. Vor dem Erwachen des Geists – 45_vor_dem_erwachen_des_g.pdf
Childe, V. Gordon. Man makes himself, London 1936
Plattner, Rotraud. Bedeutung und Mythen des Matriarchats, Abenteuer Philosophie Magazin
für Kultur, Gesellschaft, Wissenschaft, Mythologie, Heft Nr. 78
Müllner, Ilse. Wie heute mit den weiblichen Gottesbildern der Bibel umgehen?
http://www.theologie.uni-wuerzburg.de/es/aktuelles/meldungen/single/artikel/wie-heute/
Mulack, Christa. Gerde Weiler, Hoheslied und Heilige Hochzeit
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UrFpHLU&sig=GfNwtThwysQnCVIIeHsJot4fn-
w&hl=de&sa=X&ei=hirlU7GqEMn24QT8roGYDA&ved=0CFQQ6AEwCA#v=onepage&q=ger
da%20weiler%20das%20matriarchat%20im%20alten%20israel&f=false
Weiler, Gerda. Hoheslied
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Klapheck, Rabbinerin Elisa. Rabbinische Vorstellungen von Gottes Weiblichkeit im Rahmen der
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Würzburger Universität, 2012. http://www.theologie.uni-
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